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Full text of "Euphorion; Zeitschrift für Literaturgeschichte. Ergänzungsheft"

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Kuphorion 


Beitfchrift für Siteraturgefchichte 
herausgegeben 
von 
Zen uN Banner 
weiter Band 


Jahrgang 1895 


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Smmer höher muß ich fteigen, 
Immer weiter muß ich jchaun. 


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Bamberg 


C. C. Budner Derlag 
Rudolf Kod) 
1895 


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inhalt. 


Literaturkunde und Literaturgefchichte in der Schule. Bon Auguſt Brummer 
in Münden . LEBE al ir allen 1e 
Das Drama der Jeſuiten. Eine theatergefchichtlihe Skizze. Bon Paul 
Bahlmann in Münfter ER — 
Ariſtoteles und Shakeſpeare in Leſſings Hambuͤrgiſcher Dramaturgie. Bon 
Georg Witkowski im Leipzig . . 
Wilhelm Meifters Lehrjahre und der Kampf gegen den Dilettantismus. 
Von Richard Meyer in Berlin — 
Wilhelmine Andreä. Von Wilhelm Lang in Stutigart 


Das Volkslied von den zwei Geſpielen. Von Adolf Saunen in e 
Fauft in Erfurt. Bon Siegfried Szamatölsfi . ; 
Beilage: Hogels Erzählung 
Der junge en Bon Mar Rubenfohn in Berlin. 
1. Afterie. Liebes- und Dichterleben in Görlik . 
Beilage: Afterie-Lieder . GERT Eee 
Soerhes erſte Walpurgisnacht und ihre Baralipomena. Eine methodo⸗ 
logiſche Unterſuchung. Bon Veit Valentin in Frankfurt a. M.. 
Schwäbiſches. Mitgeteilt von Erich — in Berlin. 
1. Schubart . A 
2. Franzisfa von Hohenheim 
3. Schiller —— 
4. Uhlaıd . . 3A ife 
Ein gejchriebenes Liederbuch des ſechzehnten Jahrhunderts. Von Paul 
Stötzner in Zwidau . . — — 
Zwei Briefe Johann Arnold Eherts. Zum 19. März 1895. Mitgeteilt 
von Bernhard Seuffert in Graz da 
Ueber den Göttingiſchen Muſenalmanach für das dahr 1803. Von 
Reinhold Steig in Berlin RE NE 
Zu Goethes Pöwenftuhl. Bon Dtto Harnad in Rom — 
Ernſt Ludwig Groſſe. Bon C. A. H. Burkhardt in Weimar . 
Anhang: Selbftbiographie Grofies . . 
Nachträge dazu. Mitgeteilt von Alfred Kofenbaum in Prag 
Bibliographiſch-kritiſ ſche Studien über Johann Chriſtian Günther. Bon 
Arthur Kopp in Berlin. 
3. Einige Strophen Günthers . h 
Anhang: Eine RR — und ein n ibm untergefihebenes 
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IV Suhalt. 


Das Aufkommen des englifchen Gefchmades in Wien und Ayrenhoffs 


Trauerfpiel Rleopaıs und Antonius. Von Emil Horner in Wien 596, 7 


Schubart und Gleim. Bon Carl Schüddefopf in Roßla a. 9. 
Briefe von Joh. Heime. Jung-Stilling an Sophie v. Ya Node. Mit- 
geteilt von Robert One cap in Düffeldorf 
Studien zu Goethes Elpenor.. Bon Rudolf Schlößer in Jena — 
Goethes Gedicht „Das Tagebuch. Bon Johannes Niejahr in Halle a. ©. 
Johann Leonhard Schvag und Jean Paul. Kleine Beiträge zur Geſchichte 
des deutſchen Buchhandels und zur Chavakteriftif Fean Pauls. 
Mitgeteilt von Auguſt Sauer ee 
Neue Beiträge zur Literaturgeſchichte der Fauſtfabel. Mitgeteilt von 
Ludwig Fräntel in München ee Eee 
1. Aeltere Sagenparallelen. 
2, Fauft bei Jacob Weder. 
3. Fauft-Geichichten bei (Bütner-) Steinhart. 
. Weintraubenzauber und ls bei Simon Majolus. 
5. Allerlei Fauftifhes bei J. Chr. Frommann. 
6. Kauft bei Bernhard Waldſchmidt. 
7. Doktor Fauft bei einem Nahahmer Abrahams a Sancta 
Clara. 
Bürger und Walther von der Bogelweide. Bon Ernſt Elfter in Leipzig. 
Schubartiana. Mitgeteilt von Adolf Wohlwill in Hamburg 
I. Chr. F. D. Schubart und Markgraf Karl Friedrich von 
Baden. 
11. Briefe Schubarts an Pfarrer Weyffer in Thamm (umweit 
des Hohenaspergs.) 
Zu „Aeris und Dora” von Goethe. Bon Daniel Jacoby in Berlin 
I. Die Schlußverfe. 
11. Zur Entftehung des Gedichts. — Die ſchöne Mailänderin 
in Goethes Gedichten. 
Schäfers Klagelied von Goethe. Bon Reinhold Steig 


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Mliscellen, 
Zu Goethes Geſpräch über Deutfche Literatur von Richard M. Meyer 
Davefon und Leifing. Von Erid Schmidt en RER 
Die erfte Nathanaufführung. Bon Erid Schmidt . . . . — 
Die fünf Goethe Briefe an Salzmann aus der Straßburger zeit Von 
Adolf Metz in Hambınz . y ed : 
Zu Goués „Mafuren“ Bon Rudolf Schlößer 
Goethe ein großer Nehmer. Bon a Dünter in Köln. 
Zu Heinvich von Kleifts Briefen. Von Berthold Schulze in Charlottenburg 
Zacharias Werner als Erzieher. Von Felix Poppenberg in Berlin 
Die Quelle von Rückerts „Chidher“. Von Leonhard Neubaur in Elbing 
Aus a Nachleben des Peter Squenz und des Fauſtſpiels. Yon Alerander 
Weilen in Wien N 
Seffingiana, Bon d. v. Heinemann in Wolfenbüttel 
I. Zu einge Berufung nah Wolfenbüttel. 
II. Ueber Leſſings verfchiedene Wohnungen in Wolfenbüttel. 
J. 8. Lavater über F. M. PS Mitgeteilt von Heinrich Funk 
in Gernsbad ; 2 Er 2 RE HI 


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Authentifche Keniendentungen. Mitgeteiltvon Albert Leitzmann in Weimar 637,679 


Aus dem Briefwechfel Wilheln von Humboldts (1808/9). en von 
Theodor Diftel in Dresden . . . 640 

Motivwanderung und -Wandelung. Bon Mar Rubenſohn 

Erläuterung. (Zu Euphorion 1, 346 f.) Von Woldemar Zraiherri 
von Biedermann in Dresden 


Recenſtonen und Referate. 


Alt, Vom charakteriſtiſch Schönen (Hugo Spitzer in Graz). . 

Brentano, Das Schlechte als — nor Darfelung (Emil 
Arleth in Prag) . 

Neue Sagenfonmtungen (Adolf Hauffen) . 


. Rıoop, Sagen und Erzählungen aus der Provinz. Bofen. 


> Haufer, Sagen aus dem Paznaun umd deffen Nahbarfchaft. 
3 Reiche — der ſächſiſchen Schweiz. 
4. A. R. (Freifrau A. von Reichlin-Meldegg), Regens— 
burger Volksſagen für Jung und Alt erzählt. 
Alte und neue m. (Auguft Sauer). . 
1. Hettner, Literaturgeſchichte des achtzehnten Sahıhunderts. 
Dritter Teil. Bierte Auflage. 
. Wadernagel-Martin, Gefhichte der deutfchen Literatur. 
Zweite Auflage. 
. Roh, Gefhichte der deutſchen Literatur. 
Wychgram, Hilfsbuch für den Unterricht in der deutfchen 
Literaturgefhichte. Zweite Auflage. 
. Hüppes Frauzem, Gefhichte der deutſchen Nationales 
literatur. Vierte Auflage. 
6. Yemmermader, Kurzes Repetitorium der deutſchen Literatur: 
geichichte. 
Lrauſe, Gottichen und Flottwell (Richard Rofenbaum in Berlin) 
Jenny von der Dften, Luiſe PR Herzogin von Sachfen-Gotha 
(Rudolf Schlößer) . ee kamen 351322, 
Forfter, Ausgewählte Eleine Schriften. Herausgegeben von A. Leitzmann 
(Eugen Guglia in Wien) . : 
Fürſt, Auguft Gottlieb Meißner (Karl M züller⸗ Fraureuth in Drosten) 
Schultheiß, Friedrih Ludwig Jahı. . H 
Bieſe, Die Philoſophie des Metaphorifchen (Hugo Spitzer) 
Haustath, Martin Luthers Romfahrt (Georg Ellinger in Berlin) . 
Tſchackert, Ungedruckte Briefe zur a a 
(Georg Loefche in Wien) . 
Schriften zum Hans Sads- Jubiläum SE — Hans Sacs- Forſchungen 
(Karl Drefcher in Münfter i. W.) . id. 
Schwartz, Ejther i im deutichen und lateinischen Drama des Neformationg- 
zeitalters (Alexander von Weilen) . . e 
Elodeſſer, Die ältefte dentiche Neberfetsung Motisveicher Luſtſpiele (Rudolf 
Fürft in Prag). . ; 
Müller ©. A., Urkundliche Forf ſchungen zu Goethes Seſenheimer Idylle 
und Friederifeng Jugendgeſchichte (Adolf Met) f — 
Geiger, Karoline von Günderode und ihre Freunde (Reinhold Steig) . 


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VI Inhalt. 


Litzmann, Das deutſche Drama in den literariſchen ——— der 
— (Ferdinand Heitmüller in Weimar) — 

Köhler, — über Märchen und Voltslieder (Adolf Hauffen) . 

Hauffen, Die Deutſche Sprachinſel Gottichee ( J. W. Nagl in Wien) . 

Wolkan, —* der deutſchen Literatur in Böhmen bis zum Aus— 
gange des XVI. Jahrhunderts (Rudolf Fürſt) 

Flohr, Geſchichte des Knittelverſes vom 17. Jahrhundert bis zur Jugend 
Goethes (Ferdinand Eichler in Graz) . 

Petri, Mritifche Beiträge zur Geſchichte Der Dichterſprache glopſtocks 
(Chriſtoph Würfl in Linz) 

Herders Werke. Erſter Teil. 2. Abteilung. Stimme der Völker. Heraus- 
gegeben von Heinrich Meyer (Ernft Naumann in Berlin) . 5 

Peigmann A., Tagebuch Wilhelm von Humboldts von feiner Reife nad) 
Rorbeutfchland im Sahre 1796 (Rudolf Haym in Halle) . 2 

Müller J., Jean Rn und feine Bedeutung für die Gegenwart — 
Arleth) 

Schulte vom Brühl,? Otto Müller Jakob Barchtotd in Sir) 

Flathe Th., Deutſche Reden (Eugen Guglia) 

Borinsfi, Deutfche Poetit (Nihard M. Meyer) . . 

Brugier, Geſchichte der deutſchen Nationalliteratun Karl Fey i in Halle a. &) 


Seltene Drude in Nachbildungen I. (Edward — in Marburg i. 9.) 
Bibliothek Deutſcher al aus Böhmen T. — Lambel in 
Prag) 


9). 

Loeſche, Ihann Matheſius Johann Loſerth in Sra3) . ; 

Friedrih Creuzer und Karoline von Günderode (Reinhold Steig). — 

Meißner, Der Einfluß deutſchen Geiſtes auf die franzöſiſche Literatur 
des 19. Jahrhunderts (Arthur Eloeſſer in Berlin) 

Stern, Studien zur Literatur der Gegenwart (Anton E. Schönbach in 
Graz). Ber 

Plechanow, N. G. Tſcherniſchewsky Eugen Gualia) 


Bericht über neuere literarhiftorifche Arbeiten in polnischer Pas Wiel 
Barewicz in Drohobycz. — 
1. Sellenta, Das alfgemein- menschliche Focal in der aleich- 
zeitigen Poeſi ſie. 
2. Spaſowicz, Schiller und Goethe im denkwürdigen 
Jahrzehnt ihrer Freundſchaft. 
3. Zathey, Einige Bemerkungen über Goethes Leben. 
Bericht über die während des Jahres 1894 in Amerika veröffentlichten 
Aufſätze über deutiche Literatur (Mar Poll in Cambridge, Maff.) 


Bibliographie. (Unter Mitarbeit von Hugo Blümner in Zürich, 
Huge Handwerd in Frankfurt a. M., Arthur Kopp in Berlin, 
E. 5. Koßmann im Haag, Albert Leitzmann in Weimar, Nichard 
M. Meyer und Richard Rofenbaum in Berlin zufannnengejtellt 
von Auguſt Sauer.) 


Jiiſchiſfee er 3 T ee 
2.7 Bücher... rt et 666 


Darin kurz befpochen 
Weddigen, Gefchichte der Einwirkungen der deutſchen Literatur auf die 
Yiteraturen der übrigen europäiſchen Kulturvölker der TAN 
Chevalier, Zur Poetif der Ballade III. SERIE 


Seite 
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240 
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Inhalt. 


Grethlein, Allgemeiner deuticher Theaterfatalog . 
Batfa], Aus der Muſik- und Theaterwelt . . 
Firdojis Königsbud (Schachname) überjetst von Zriedrih Rüdert. 
Lange, Franz Grillparzer . . ! 
Franzos, Die Geſchichte des Erſtlingswerks 
Schert, Il uſtrierte Geſchichte der Weltliteratur 
Könnecke, Bilderatlas zur Geſchichte der Nationalliteratur . . 
Broul, A handy bibliographical guide to the u of the 
German language and literature : 
Frenzel, Ueber Gelleris religiöſes Wirken 
Trura, Marie Edle v. Pezeln . 
Möllendorf, Die Weltliteratur 
Wukadinovié, Prior in Deutſchland TEN RT AR 
Maack, Ueber Popes Einfluß auf die Idylle und das Lehrgedicht ın 
Deutfchland ; U DIET EN 
Jädicke, Bismard und das deutſche Vaterland im zeitgenöſſiſchen Lied. 
Kern, Kleine Schriften. Erfter Band u 
Lyon, Bismards Neden und Briefe (Hugo Blünner) 
Sriiebad, Katalog der Bücher eines deutjchen Bibliophilen 
Wittig, Urkunden und Belege zur Günther- Da 
Jonas, Schillers Briefe. Fünfter Band 
Klee, Zu Ludwig Tiecks germaniſtiſchen Studien 
3. Bibliographie der im Jahre 1893 in den Niederlanden er⸗ 
ſchienenen Arbeiten auf dem Gebiete der modernen Literatur— 
geihichte (E. F. Koßmann) 


. . .  Ba 1 rarer 
Nachträge und een 66 
Regiſter. Von Richard Batka in Prag 


Dazu ein Ergänzungsheft: 


VII 


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850 
850 
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Mitteilungen aus der Literatur des 19. Jahrhunderts 


und ihrer Geſchichte. 


Snhalt: 


Charles Wolfe. Bon Jakob Schipper in Wien NT ERS A SR Erin: 
Ueber Kleiſts „‚Käthehen von ee Bon Spiridion Wukadinovié 
in Graz Ä 


Clemens Brentanos — zu Beethoven. Von Alfred Chriſtlieb 
Kaliſcher in Berlin . N Re 
Beilage: Ueber Clemens Brentanos Beiträge zu Carl 

Bernards Dramaturgifhem Beobachter (An Reinhold Steig 

in Berlim). Bon Auguſt Sauer . ne 


1 
14 


36 


64 


VIII Inhalt. 


Zu Theodor Körners Leben und Dichten. Bon Reinhold Steig . 
1. Tod und Schwertlied. 
2. Theodor Körner und die Liedertafel in Berlin. 
3. Das Sonett an Henriette Hendel-Schütz. 
Grabbes und Grillparzers „Hannibal“. Bon Anton Reichl in Brür. 
Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. Bon Rudolf Krauß in Stuttgart. 
1. Zeit der Entftehung. 
2. Art der Entftehung. 
3. Verfchiedene Faffııngen. 
4. Idylle vom Bodenjee. 
Beilage: Ein umgedrudtes Jugendgedicht Mörifes 
Unbekanntes und Ungedrudtes von raten Freiligrath. Auen von 
Wilhelm Buchner in Eifenad) ; 
Der Apothefer von Chamouny oder der lleine NRomanzerd von "Gottfried 
Keller: In älterer Faſſung mitgeteilt von Jakob Baechtold in 
Bi Tee lt ee Se 
Miscellen. 
Friedrich Aſt an Creuzer. . El 
Ein Sprachdenkmal aus den vefteiiungehriegen. Mitgeeilt von 
Emil Fromm in Machen . ——— 


Seite 


94 
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Literaturkunde und Fiteratur- 
geſchichte in Der Schule. 
Bon Auguſt Brunner in München. 





Die Zeitjchrift Euphorion iſt der Forſchung gewidmet, die 
ihren Zweck in fich jelbit hat und deshalb ohne Rückſicht auf die 
Schule ihre Ziele verfolgt. Wenn gleichtwohl der Herr Heraus- 
geber wünſchte, ein Schulmann möge das Verhältnis dev Literatur- 
gefchichte zur Schule bejprechen, jo mag ihn dasjelbe Intereſſe 
geleitet haben, das Kliniker bejtimmt, Erkundigungen darüber ein- 
zuziehen, wie jich die Ergebniffe der Elinifchen Forſchung vom 
praftifchen Arzt veriverten lafjen. Denn mit dieſem Bergleich 
wird ſich das Verhältnis der Hochjchulen zu den Peitteljchulen, 
der Vertreter der reinen Wifjenjchaft zu den praftifchen Schul- 
männern bezeichnen lafjen. Nicht als ob dieje Begriffe jich aus- 
jchlöffen. Denn zu allen Zeiten hat es Schulmänner gegeben, die 
in einzelnen Stunden ihres Arbeitstages als ebenbürtige Gehilfen 
den Männern an die Seite traten, die das Gold der Wiljenschaft 
aus dem tiefen Schachte graben. Ihre Zahl würde noch weit 
größer fein, wenn ihre Studien wie die der Umiverfitätslehrer nur 
einem Fache zugeivendet wären, wenn fie alfo nicht auf mehreren 
Gebieten den Fortjchritten der Forſchung zu folgen hätten, und der 
größte Teil ihrer Kraft nicht durch vieljtiimdigen Unterricht und 
die drückende Storrefturlajt jo in Anjpruch genommen würde, daß 
nur wenigen Nüjtigfeit und Zeit dazu bleibt, an der Löſung wiljen- 
Ichaftlicher Fragen ſich in bedeutenderem Maße zu beteiligen. 
Deshalb wird es im allgemeinen dabei fein Bewenden haben, daß 
der Schulmann die wiljenschaftlichen Forſchungen mit Eifer ver 
folgt und fie jorgfältig darauf prüft, inwieweit fie jeinem Be 

Euphorion II. 1 


2 A, Brunner, Literaturkunde und Literaturgefchichte in der Schule. 


dürfnis entjprechen. Thäte er es nicht, jo würde er zu jenem 
Brotgelehrten herabjinten, den Schiller in jeiner Antrittsrede 
brandmartt, To wide das Lehramt an Mittelfchulen dem Banaujen- 
tum verfallen, ein Unglück, das ebenjo groß wäre, als wenn die 
Quellen der Wiffenfchaft verfiegten; denn die Blüte der Nation 
würde des Segens der fortjchreitenden Bildung unteilhaftig, und 
der Lehrer wirde unfähig, jeines Amtes mit Begeijterung und 
Arbeitsfreude zu walten, da ein geijtiger Stoffwechjel ebenjo die 
Bedingung des geiftigen Lebens ift, wie vom förperlichen Stoff- 
wechjel das animalijche Leben abhängt. 

Wenn die Literaturgejchichte auf genauer Kenntnis der 
einzelnen Literaturwerke beruhen muß, jo fann fie im eigentlichen 
Sinne des Wortes nicht Gegenjtand des Jugendunterrichtes fein; 
denn genaue Kenntnis der einzelnen Literaturiwerfe kann beim 
Sugendunterricht nicht vorausgejegt werden. Das Hauptgejchäft 
der Schule bejteht vielmehr darin, den Schüler mit der Literatur 
jelbjt vertraut zu machen. Iſt freilich einmal eine Kenntnis der 
wichtigjten Literaturiverke, eine Yiteraturfunde, gewonnen, dann 
füllt dem Lehrer die weitere Aufgabe zu, die Literaturwerfe, die 
der Schüler kennen gelernt, zu einander ſowie zu den Seitverhält- 
niffen und den Yebensumftänden der Dichter in Beziehung zu jegen 
und zu erläutern, wie die jpäteren Yiteraturerzeugniffe von den 
gleichzeitigen und früheren bedingt find. Das jo nicht ohne Hilfe 
der allgemeinen Kulturgejchichte gewonnene Syſtem kann aber 
wegen jeiner Liückenhaftigfeit auch nur im wneigentlichen Sinne 
Yiteraturgefchichte heißen, und deshalb wählt die bayerische Schul- 
ordnung mit gutem Bedacht den freilich etwas umjtändlichen 
Ausdruck: Hiſtoriſcher Weberbliet der deutjchen Literatur. 

Zunächſt jei es gejtattet, dasjenige Unterrichtsfach näher zu 
betrachten, das wir oben als Literaturfunde bezeichnet haben. 

Für die Stellung, welche früher und zwar in nicht allzu 
jernliegender Zeit der deutjche Unterricht, alfo auch die Literatur- 
funde einnahm, ijt nichts bezeichnender als der von dem berühmten 
Philologen Friedrich Thierſch ausgearbeitete Schulplan für Bayern 
vom 8. Februar 1829; von den 24 PBflichtjtumden entfüllt feine 


N. Brumner, Literaturkunde und Literaturgefhichte in der Schule. 3 


einzige auf die deutjche Sprache, da nach Thierſchs Anficht für 
die formale Ausbildung in der Mutterjprache das meijte der alt- 
£lajfiiche Unterricht thue, die Lektüre aber nicht in der Schule, 
jondern zu Haufe vorgenommen werden ſolle.) Eine allmähliche 
Befjerung trat jehr bald ein, aber ein ernfterer Verjuch, von Seite 
der Schule der Literaturfunde die gebührende Aufmerfjamfeit zu 
Ichenfen, wurde, in Bayern wenigjtens, erjt gegen Ende des fiebenten 
Dezenniums gemacht. 

Daß der deutjche Unterricht immer mehr an Bedeutung 
gewann, war vor allem die Folge der bahnbrechenden Schriften 
von Robert Hiecke ımd rnit Laas. Die Forderungen beider 
Pädagogen waren freilich viel zu Hoch; ihre Verdienjte würdigt 
mit maßvoller Kritik Rudolf Lehmann in jeinem „Dentjchen 
Unterricht“, einem Buch, das für jebt eine abjchliegende Bedeutung 
bat. 

Wie jorgt nun unfere heutige Schule für die Literaturkunde ? 

Mit den Lejebüchern, welche eine nur dem individuellen 
Geſchmack des Herausgebers entjprechende Auswahl von Lefejtücken 
boten, ijt grimdlich aufgeräumt. Schon von der unterjten Klaſſe 
an werden die Schüler mit jorgfältig nach methodifchen Grund- 
jügen ausgewählten poetifchen und proſaiſchen Leſeſtücken befannt 
gemacht. Ein Kanon jorgt in der Regel an jeder Anftalt dafür, 
daß gewiſſe Gedichte von allen Schülern beim Unterricht fennen 
gelernt und einige durch Memorieren zum bleibenden Eigentum 
werden. In den mittleren und oberen Stlaffen bilden Dramen 
joiwie eine Auswahl aus den jchiwierigeren Gedichten Goethes und 
Schillers die jtehende Stlafjenleftüre. Daneben liejt man Hiftorifche 
und philoſophiſche Broja von Wincelmann, Herder, Leifing, Goethe, 
Schiller, joiwie Reden, auch aus der neueften Zeit, z. B. von 
E. Curtius; jelbjt Romane, wie Guſtav Freytags Ahnen, zu 
Haufe zu lefen und in der Schule in der einen oder anderen Form 


!) Grießbach, Die gefhichtliche Entwicklung des altklaffifchen und dentfchen 
Unterrichts an den Gymnaſien im Königreich Bayern. Programm des k. huma— 
niftischen Gymnaſiums zu Hof. 1892, 


1* 


4 A. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 


über die Lektüre Rechenschaft zu geben, werden unſere Schüler 
angehalten. Ueberblickt man die in den „Sahresberichten der deut- 
ichen Gymnaſien mitgeteilte Klaſſen- und Privatlektüre, jo wird 
man kaum mehr eine Lücke entdecken können, welche durch einen 
neuen Borjchlag ausgefüllt werden könnte. Denn auch die mittel- 
hochdeutjche Poeſie, Shakeſpeare und jelbjt Werfe der neuejten 
Dichter, wie Martin Greifs Dramen, bilden den Gegenftand der 
Symnaftalleftüve. Erwägt man noch, daß dem deutjchen Aufjas 
in den Prüfungsordnungen eine ganz hervorragende Bedeutung 
beigelegt wird, jo muß man nach unjerer Anficht zugeben, daß 
die deutſche Sprache und Literatur jo ziemlich diejenige Stellung 
errungen hat, die ihr am deutjchen Gymnaſium gebührt. Wir 
wiſſen freilich, daß manchen das Erreichte noch viel zu wenig 
jcheint. Die Entjcheidung der Frage, wie viel noch anzujtreben 
jei, hängt zu jehr nicht nur von rein jchultechnifchen Erwägungen, 
jondern auch von der prineipiellen Anfchauung über die Aufgaben 
des Gymnaſiums ab, als daß ihre Erörterung hier am Platze wäre. 

Daß die Lehrer es an Eifer und fjorgjamer Fortbildung 
nicht fehlen lafjen und die reiche Literatur!) gewiſſenhaft benüßen, 
darf ohne UWeberhebung behauptet werden. So bieten denn die 
Lehrpenja, die Auffäge, überhaupt der gejamte Unterrichtsbetrieb 
für alle diejenigen, welche vor etiva dreißig Jahren das Gymnaſium 
verlafjen haben, ein vecht überrajchendes Bild, an dem auch die 
Stürmer und Dränger der verjchiedenen Neformparteien wenig zu 
mäfeln finden. Trotz dieſer jcheinbaren Bollfommenheit können 

Wir führen von methodiihen Schriften nur das oben erwähnte Bud) 
von Rudolf Lehmann am und die reichhaltige Programmliteratir. Reich an 
tefflichen methodiſchen Winfen ift auch der eine umfaffende Schulliteratur 
berüctjichtigende „Ausgeführte Lehrplan im Deutichen“ von Schnippel (Berlin, 
Gärtner). Bon Zeitihriften dient vor allem Lyons „Zeitjchrift für den deutjchen 
Unterricht“ den Bedürfniffen der Schule, während Rethwiſchs „Sahresberichte 
für das höhere Schulweſen“ auch für den deutjchen Unterricht ein periodijches 
Repertorium bilden. Eine kritiſche Umschau auf dem Gebiete der Literatur für 
den deutſchen Unterricht geben ferner die „Jahresberichte für neuere deutjche 
Yiteraturgejchichte” im dem „Die Literatur in der Schule“ .betitelten Abjchnitt, 
welcher 1890 und 1891 von R. Lehmann, 1892 von P. Goldjcheider verfaßt üt. 


A. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefhichte in der Schule. 5 


aber diejenigen Lehrer, welche mitten in der Schularbeit jtehen, 
ihre Augen den Gefahren faum verjchliegen, welche einem wirklich 
fruchtbringenden Unterrichtsverfahren auf diefem Gebiete allmählich 
drohen. Mögen auch die Vertreter der Literaturgejchichte an den 
Univerfitäten den Betrieb der Viteraturfunde an den Mittelichulen 
ihre Aufmerfjamfeit zuwenden und ihre Zuhörer, joweit ſie ich 
zu Lehrern an Meittelfchulen ausbilden, warnend und mahnend zu 
unteriveifen nte müde werden! 

Eine unleugbare Gefahr liegt offenbar in der Ueberfülle des 
Leſeſtoffes. Freilich ijt diefe Gefahr feine allgemeine, jondern 
tritt nur da und dort, oft aber in auffallender Weije, zu Tage. 
Wo fie jedoch bejteht, ift fie groß; denn fie bedroht eine der 
unantajtbaren Hauptaufgaben des deutjchen Gymnaſiums, nämlich 
die Schüler an gründliche Arbeit zu gewöhnen; wer aber über- 
büxdet ijt, verfällt notwendig der Oberflächlichfeit. Und wenn es 
ferner Aufgabe des Gymnaſiums ift, die Schüler Hungernd und 
dürftend zu machen, wenn es unbejtritten fejtiteht, daß das 
Gymnaſium eine Vorſchule bildet, vor allem für die Univerfität, 
jo ift nicht abzujehen, weshalb eine Art von Bollftändigfeit er- 
jtrebt werden joll. Wer am Gymnafium mit unverdautem Wiſſen 
überjättigt worden, der hat nicht Luſt, an der reichen Tafel der 
Hochjchule mehr Blab zu nehmen; das mögen jene fich merken, 
die über die Abnahme der philofophifchen Studien fchelten; fi 
werden darin allerdings feine völlige Erklärung, aber doch einen 
Grund dafür finden, daß die Hörſäle der philofophifchen Wiſſen— 
Ichaften weniger voll find, als man im Intereſſe der allgemeinen 
Bildung unferer afademijchen Jugend wünjchen muß. 

Die Grenzen des Zuviel find nicht fejtzuftellen; denn das 
Maß der Schularbeit hängt zu ſehr von der Individualität der 
Schüler ab. Die Hauptjache wird fein, daß dieje durch gründliches 
Studium einiger für den Schulunterricht bejonders tauglicher 
Hauptwerke) Goethes, Schillers und Leſſings ihr äſthetiſches 
— 1) Vgl. „Die neuhochdeutfche Lektüre am Obergymnaſium“ von A. Brunner 
in den Neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädagogit 1876 2. Abteilung 
©. 624. 


6 N. Brunner, Literaturkunde und Literaturgefchichte in der Schule. 


Gefühl und Urteil bilden oder vielmehr zu bilden beginnen. Die 
Frage, ob in diefen Kreis der erjte Teil des Kauft und Nathan 
der Weiſe einzufchliegen find, kann nicht jchlechthin bejaht oder 
verneint werden, während man wohl faum ſchwanken wird, als 
Ergänzung der deutjchen Dichtungen noch das eine oder andere 
Drama von Shakejpeare den Schülern vorzulegen. 

Uebergangen ſei hier die an fich keineswegs gleichgültige 
Frage, wann die einzelnen Schriften den Schülern vorzulegen find; 
im allgemeinen wind die Neife dev Schüler eher über- als unter- 
Ichäßt. 

Wie eine Hauptjchranfe für die Menge des Lejejtoffes in 
der Individualität der Schüler liegt, jo iſt die Zuläffigfeit mancher 
jchtwierigen Schrift oder Dichtung hauptjächlich von der Indi— 
vidualität des Lehrers bedingt. Es ijt vielleicht einem philoſophiſch 
durchgebildeten Lehrer möglich, Schillers Schrift über native und 
jentimentalijche Dichtung mit Augen zu erklären, aber viele werden 
an diefer Aufgabe kläglich jcheitern nnd die ſchwere Verantwortung 
auf ich laden, den Schülern die Luft, ſich mit derlei Schriften 
jpäter zu. bejchäftigen, gründlich verleidet zu haben. Als offen- 
baren Mißgriff aber müfjen wir es bezeichnen, wenn man geivagt 
hat, genannte Abhandlung den Schülern als obligatorische Privat- 
lektüre zu überweijen. }) 

Hiemit haben wir bereits die Frage über die Erflärung der 
Schriftiwerfe gejtreift. Denn der Streit, ob man die Dichtungen 
durch jich jelbjt wirfen lafjen jolle, wie vor allem Raumer wollte, 
oder jie den Schülern erklären müſſe, wofür Hiecke und Laas jehr 
energijch eintraten, iſt zu Gunjten der le&teren entjchieden. 

Kein einfichtiger Schulmann wird leugnen, daß der Aufſchwung, 
welchen die Gymnafialpädagogif in den legten Jahren genommen, 
jehr fördernd auch auf den deutjchen Unterricht eingewirkt Hat, 
aber andererjeits ijt doch auch faum zu verfennen, daß die Rück— 
ficht auf piychologiiche Behandlung der Lehrgegenſtände zu äußerſt 


) Bol. die Verhandlungen der 22. Divektorenverfammlung in der Provinz 
Weftfalen 1889 ©. 75, 


A. Brunner, Piteraturkunde und Piteraturgefhichte in der Schule. 7 


fünjtlichen Berfnüpfungen führen kann, infolge deren die Yehrobjekte 
weniger um ihrer jelbjt willen als vielmehr als Grundlagen und 
Bauſteine der zu entwickelnden Idee erjcheinen und jo mehr, als 
gut tjt, in den Hintergrund treten. Cine notwendige Folge davon 
ijt zugleich, daß an fich Wertvolles, weil es fich dem jeweiligen 
Bau nicht einfügen will, unbeachtet bleibt. Man wird verftehen, 
was ich meine, wenn ich folgende Stelle aus Fries Abhandlung 
über „Die Lektüre der deutjchen Lyriker in den oberen Klaſſen der 
höheren Schulen" anführe. Frick jagt dort!) über Goethes Lyrik: 
„Goethe hat (in Werther Leiden) das Naturgefühl eigentlich evt 
erflärt und literariſch wieder eingeführt, es aber auch in jeinen eigenen 
Dichtungen in bisher unübertroffener Weife zum Ausdruck gebracht. 
Er iſt jodann wie fein anderer Dichter befähigt, uns über das 
Wejen der „Dichtung jelbjt Aufichluß zu geben. Deshalb rücken 
wir unter jeinen noch zu behandelnden Gedichten nunmehr diejenigen 
in den Vordergrund, welche dieje beiden Begriffe nach ihren Ele— 
menten zu tieferem Verſtändnis zu bringen geeignet find: das 
Maturgefühl nach jeinen beiden wejentlichen Seiten (Herauslejen 
der Stimmungswelt aus der Natur, Hineintragen unjerer Stimmungs- 
welt in diejelbe) jowie nach den Objekten (Mannigfaltigkeit der 
Vandjchaftsgebilde, Wechjel der Tages- oder Jahreszeiten); — die 
Dichtung (Bhantafie, Gejtaltungsgabe, idealifierende Thätigkeit, 
Gehalt, fünjtlerifche Thätigfeit), Was jodann an den übrigen für 
diefe Stufe noch geeigneten Gedichten jich auf Menjchenleben und 
die Welt des Emigen (Vebensfragen und Lebensweisheit) bezieht, 
ordnen wir um jene beiden Hauptgruppen." 

Ein anderes Beijpiel zur Erläuterung des oben Gejagten 
iſt die Einteilung, welche er in jeinem mit Polack herausgegebenen 
Werfe „Aus deutjchen Lejebüchern” (4. Band 2. Abteilung) für 
die Behandlung der Goethejchen Lyrik vorjchlägt: A. Naturleben. 
I. Gruppe, vorwiegend Ausdruc des Veaturgefühls: 1. Mteeres- 
jtille. 2. Slücliche Fahrt. 3. Auf dem See. 4. Dornburg. 
>. „Dämmerung ſenkte jich von oben". 6. Wanderers Nachtlied. 


1) 7. Heft der „Lehrproben und Lehrgänge” ©. 70 (Halle, Waifenhaus.) 


8 X. Brunner, Literaturkunde und Literaturgeſchichte in der Schule. 


II. Naturgefühl und Liebe: a) Liebesglück: 1. Mailied. 2. Früh— 
zeitiger Frühling. 3. Nähe des Geliebten. 4. Jägers Abend— 
lied. b) Liebesleid: 1. Herbſtgefühl. 2. Schäfers Klagelied. 
3. An den Mond. c) Die Natur ſelbſt als Geliebte angeſchaut: 
1. Der Filcher. 2. Ganymed. TI. Natur und Gott. 1. Atmojphäre, 
Status, Cumulus, Cirrus, Nimbus. 2. a) Parabaſe, b) die 
Metamorphoje der Pflanzen, c) Epirrhema, d) Metamorphoje der 
Tiere, e) Antepivrhema. 3. Weltfeele 4. Prooimion. B. Menjchen- 
leben. 1. Gruppe (enge Anlehnung an das Naturleben): 1. Maho- 
mets GSejang. 2. Der Filcher. 3. Der Erlfünig. 4 Mignon. 
Il. Gruppe (Anlehnung an die gejchichtliche Welt): 1. Geijtes- 
gruß. 2. Bergſchloß. 3. Der Wandrer. IH. Gruppe (Innen— 
leben im Anſchluß an Einzelgejchichte): Der König in Thule. 
IV. Das eigene perjönliche Innenleben des Dichters. X. Gruppe 
(Lebensweisheit, Gnomijches): 1. Der Gejang der Geijter über 
den Wafjern. 2. Prometheus. 3. Grenzen der Menjchheit. 4. Das 
Göttliche. C. Dichtkunſt und Dichter: 1. Künſtlers Abendlied. 
2. „Meine Göttin." Ob diejes Schema nicht einzelne überflüffige 
Gedichte enthält oder andererjeits einzelne übergeht, die dem einen 
oder andern wichtig jcheinen, darauf legen wir weniger Gewicht, 
ebenjo fragen wir nicht, ob die angedeutete Behandlung bei der be- 
ſchränkten Zeit ermöglicht wird; wohl aber müjjen wir den Zweifel 
ausjprechen, ob durch Die gernälke Sruppierung die Gedichte in 
die richtige Beleuchtung gerückt werden, und ferner, ob, wenn auch 
diefe Frage bejaht werden fann, der Schüler infolge der künſt— 
lichen Syjtematifierung nicht mehr von der eindringlichen Betrachtung 
abgezogen als dazu angehalten wird. Am bedenklichjten aber 
ſcheint uns der Satz (Lehrproben und Lehrgänge 7, 65): Mit der 
von uns gewählten eigentümlichen Anordnung aber wünjchen wir in 
einem einzelnen Bunft einen Beitrag zur praftifchen Ausgeftaltung 
einev Theorie des Lehrplans zu geben, joweit er nämlich die 
Lektüre dev deutjchen Lyriker in oberen Klaſſen betrifft." Das 
Klingt ja, als jolle allmählich ein ganz bejtimmtes, allgemein 
gültiges Verfahren für die Auswahl und Anordnung der Iyrijchen 


Gedichte Herausgebildet, als jollten die Lehrer an den Mitteljchulen 


A. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefhichte in der Schule. 9 


ganz Deutjchlands in Automaten verwandelt werden!!) Das Unter- 
vichtsverfahren darf gewiß nicht vom Augenblick eingegeben fein, 
aber eine für alle Yehrer verbindliche Methode fann und darf es 
jo lange nicht geben, als man die Individualität des Lehrers für 
einen wichtigen Faktor des Unterrichts hält; eine jolche einheitliche 
Methode fann es am wenigjten für die höchjten Unterrichtsitufen 
geben und am allerwenigjten für die Erklärung Iyrifcher Gedichte. 
Was joll hindern, die Iyrifchen Gedichte Goethes an jeine Lebens— 
gefchichte anzujchliegen oder fie mit Bezug auf Stil und Ton der 
Darjtellung vom einfachjten Lied bis zur grandiofen Odenform zu 
betrachten? Ganz bejonders aber fann es hier Feine bindenden 
Normen geben wegen der Berfchiedenheit der Lehrer. Beſitzt ein 
Lehrer poetischen Sinn und die Gabe, jchön zu lefen, jo kann er 
die den lyriſchen Gedichten gewidmete Unterrichtszeit zu wahren 
Weihejtunden machen, die oft auch im jpäteren Leben unvergefjen 
bleiben und jo den deutschen Dichtern nachhaltige Teilnahme fichern, 
während ein Amtsgenofje mit verjchieden gearteter Beanlagung 
oder unglüclichen Stimmmitteln troß aller pädagogischen Hilfen 
fich und das Gedicht lächerlich machen fann — auf lange hinaus. 
Kurz, das geheimnisvolle Fluidum, das gerade bei Iyrijchen 
Dichtungen vom Lehrer auf die Schüler übergehen muß, wird in 
den Retorten der pädagogischen Yaboratorien nicht erzeugt. 

Wir haben jchon oben bemerkt, daß der Aufſchwung, den 
die Pädagogik in legterer Zeit genommen, auch dem Untericht im 
Deutjchen zu jtatten kam. Zu der „neuen Methode" gehört auch 
die Anwendung der fogenannten Herbart-Zillerfchen Formalſtufen, 
deren nachdrückliche Betonung zweifellos dazu beitrug, daß man 
jich wieder mehr auf pfychologijche Unterrichtsbehandlung bejann. 
Gegen die überaus heftigen Angriffe auf die Anwendung der 
Formalſtufen verteidigen fich die Vertreter der Herbart-Zillerjchen 


1) Bol. Oskar Jäger „Aus der Praris“ ©. 10: „... das wird Fünftig, 
wo es bloß noch Lehrkräfte geben wird, anders werden; allerdings diefe Lehr— 
fräfte werden feine Individuen mehr fein, jondern nur die willenlofen Organe 
der richtigen Methode, welche ihnen auf irgend einer Kandidatenbildungsanftalt 
eingegoffen worden,“ 


10 A. Brummer, Literaturkunde und Literaturgeſchichte in der Schule. 


Schule mit allem Nachdruck: „ſie jeien als zwanglos verfügbare 
Hilfen frei und mit eigenem Nachdenken zu verwenden“, !) „mur 
einer elajtifchen Verwendung der Stufen und einer freien Bewegung 
innerhalb derjelben werde das Wort geredet" ?) u. ſ. w. Aber 
andererjeits haben jelbjt Anhänger des Herbart-Zillerichen Unter- 
richtsverfahrens mit Necht darauf hingewieſen, daß die praftijchen 
Arbeiten der Herbartianer in der That an manchen Stellen das 
Erreichbare, ja auch nur das Wünfchenswerte um ein Bedeutendes 
überſchreiten.“ Und hierin liegt gewiß eine Gefahr für den 
(itevaturkundlichen Unterricht. Wenn die in den mitgeteilten Lehr— 
proben aufgejtellten Grundſätze ohne weiteres Eingang in den 
Schulen fünden, jo würde der Lebensnerv des gedeihlichen Unter— 
richtes, die Teilnahme der Schüler, unterbunden. 

Einer bejonderen Erörterung bedarf noch die jchulmäßige 
Behandlung der Dramen. An Hilfsmitteln fehlt es dem Lehrer feines- 
wegs. Er jchöpft nicht nur aus jenen Schriften, welche die wiſſen— 
ichaftliche Erfenntnis der Literaturwerke gefördert haben, jondern 
er benüßt auch die zahlreichen Silfsbücher, in denen der Erflärungs- 
jtoff gefammelt und in manchem Betracht durch jelbjtändige Forſchung 
der Herausgeber vermehrt dargeboten wird, *) jorwie die zahlreichen 
mitunter jehr verdienftlichen Schulprogramme, welche ſich mit der 
Erklärung von. Schuldramen bejchäftigen. Für die Schüler hat 
man eine Reihe von billigen Ausgaben hergejtellt, deren Mängel 


*) Schiller in feinem „Handbuch der praftifhen Pädagogik“ (Leipzig, 
Fuss) ©. 237. 

?) Frick im 6. Heft der Lehrproben und Lehrgänge ©. 113. 

?) Verhandlungen der 22. Diveftorenverfammlung in der Provinz Weft- 
falen 1889 ©. 80. 

) Ermwähnt jeien nur Kuno Fiſchers Schriften, Düntzers „Erläute- 
rungen zu den deutfchen Klaffifern“, die für alle Erklärer eine Hauptfundgrube 
find und bleiben, Fricks „Wegmweifer durch die Haffifchen Schuldramen“, ein 
jehr gründliches Werk, das auch durch jelbftändiges Urteil fi) auszeichnet, aber 
von Rünfteleien keineswegs frei ift, Bellermanns „Schillers Dramen”, Blüm- 
ner3 Kommentar zu Leffings Laokoon, Coſacks Materialien zu Leſſings Ham- 
burgifcher Dramaturgie. 


A. Brummer, Literaturkunde und Literaturgefchichte in der Schule. 11 


jüngjt Kurt Hentjchel in durchaus zutreffender Weiſe bejprochen 
hat; bier jei nur auf eine Seite jeiner Ausführungen hingewiejen, 
nämlich auf die Textänderungen, die man im Dienjte der Moral 
vornehmen zu müſſen glaubte. Wenn etwa die derbe Aeußerung 
in Leſſings Minna von Barnhelm (I. 12) ausgelafjen wird, jo 
fann man dagegen wohl wenig oder nichts einwenden. Und wenn 
Verſe gejtrichen werden wie: „Dirnen, die ließ er gar nicht 
paffieren, mußten jie gleich zur Kirche führen," jo iſt das einfach 
lächerlich, aber nicht mehr. Dagegen hört der Scherz bereits auf, 
wenn Baumgartens Erzählung „Sch Hatte Holz gefällt — Bad 
geſegnet“ fehlt. Mean jollte doch meinen, es jei vor allem darauf 
zu achten, daß der Zuſammenhang gewahrt wird. Aber die 
Aengitlichfeit geht noch weiter, viel weiter, unglaublich weit! 
Der 3. Aufzug von Maria Stuart jcheint einem Herausgeber jo 
gefährlich, daß er die acht Auftritte auf vier gefürzt hat; ebenjo 
ijt dortſelbſt im 1. Aufzug der +. Auftritt faſt ganz ausgejchteden 
worden. Gegen eine jolche barbarijche Berjtümmlung, durch welche 
die Lektüre volljtändig illuforisch wird, fann nicht laut genug 
Einjprache erhoben werden. Doch ſchlimmer jcheinen uns freilich 
die häufig vorfommenden Fälſchungen des Tertes. Nur durch ein 
paar Citate wollen wir den Unmut des Leſers gegen jolche Ver— 
Jündiqgungen wach rufen. So nennt nach einer Ausgabe Egmont 
jeine Geliebte niemals Liebchen, jondern ſtets nur Klärchen. Statt 
„wenn mein Schoß von einer Tochter jich entbinden würde" Liejt 
man in einer Ausgabe: „wenn ich Mutter von einer Tochter 
einjtens werden würde" ; ähnlich wird ftatt „der des alten Fürſten 
ehliches Gemahl in ein frevelnd Ehebett geriffen” gejchrieben: „in 
ein frevelnd Eheband gerifjen.‘ 

Die oben genannten Erläuterungsiverfe ‚find wohl geeignet, 
auch den Anfänger im Lehramt den rechten Weg zu weijen und 
auf die Hauptgejichtspunfte der Erklärung aufmerffam zu machen: 
‚sortjchritt und pfychologische Motivierung der Handlung, Charakte- 


) Beitfchrift für den deutfchen Unterricht. 8. Jahrgang 1894, ©. 22. 
Diefem Auffat find die folgenden Beifpiele größtenteil3 entnommen. 


12 N Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 


riſtik der Perſonen, Entwicklung der Hauptidee; auch) die Forderung, 
daß. Dramen nicht Zeile für Zeile in der Schule gelejfen, und die 
dramatijchen Gejeße an den Dramen jelbjt entwickelt und aus ihnen 
abgeleitet werden jollen, wird jeßt wohl überall beachtet. Bei der 
Sründlichkeit der Kommentare iſt freilich die Gefahr nicht aus- 
geſchloſſen, daß die Dichtung „zerrupft und zerpflückt und zu Atomen 
zerfafert, und herausgezerrt wird, was nicht darin iſt.“ Se erachte 
ich es 3. B. ſchon für gefährlich, wenn gelegentlich der Erklärung 
von Goethes Iphigenie das Heldentum der Perſonen einen jtehenden 
und weſentlichen Bejtandteil der Lektüre bilden joll, etwa nad) 
folgenden Gefichtspunften: Heldentum der Iphigenie als das Helden- 
tum eines Weibes, das Heldentum innerer Kämpfe; das Heldentum 
Drejts zuerjt als Heldentum des Duldens, dann als Heldentum 
der tapferen That; das Heldentum des Gejchlechtes der Atriden; 
das geijtige Heldentum des Ihoas.!) Jedenfalls aber müßte die 
lebendige, unbefangene Erklärung zu einem  gefünftelten, toten 
Formalismus erjtarren, wenn es der Lehrer als jeine Aufgabe 
betrachtete, bei der Lektüre der Dramen die Begriffe der Ehre, 
Treue, der yarramrys, der Jittlichen Freiheit als Centren der Unter— 
richtsbehandlung zu betrachten.?) Dagegen wird fein Unbefangener 
verfennen, daß gewiſſe Dramen von jelbjt zur Erörterung der 
genannten Begriffe anregen. Nur zu einer ermüdenden Wieder— 
fehr jolcher Erörterungen darf man es nicht fommen lafjen; denn 
„ver Unterricht joll methodisch, aber ex darf nicht ſchematiſch ſein.“ 
Eine wirffame Kontrole der mit den Schülern bei der Dramen- 
leftüre erarbeiteten Unterrichtsergebnifje bilden deutſche Aufſätze. 
Daß dieje Kontrole ewnftlich geübt wird, dafür zeugen die in den 
„sahresberichten dev Gymnafien mitgeteilten Themen. Solche auf- 
') Frid, Wegweifer durch die Haffifhen Schuldramen 1, 356, 414. 

?) Frick, Yehrproben und Lehrgänge 5, 16. Wenn ich die Arbeiten des 
num verewigten hochverdienten Schulmanns nicht immer in zuftimmendem Sinn 
erwähnte, fo wird hierin hoffentlich niemand eine pietätlofe Nergelei erbliden. 
Wer feine Ausführungen nicht in allen Stücen billigen kann, darf an ihnen 
auch jest noch nicht ſchweigend vorübergehen, weil die Autorität des Verfaffers 
feinen Schriften eine über das Grab hinausreichende Bedeutung fichert. 


A. Brunner, Literaturkunde und Literaturgefhichte in der Schule. 15 


zufinden fällt auch dem Anfänger nicht jchiwer, da eine Anzahl 
trefflicher Auffaßbücher die Themen zu deutjchen Aufjäßen teils 
ausschließlich, teils großenteils der Lektüre, namentlich der Dramen- 
lektüre entnimmt.!) Auch wird durch den Vergleich mit den Schrift- 
werfen. der antiken Schriftiteller eine jehr fruchtbringende Kon— 
zentration des Unterrichts hergejtellt. Gewilje Begriffe, 3. B. der 
des Tragijchen, die bei der deutjchen Leftiire gewonnen wurden, 
iwerden- auch an Homer nachgeiviejen, für Motive und Charaktere 
der Perſonen einer modernen Tragödie wird eine Parallele in 
einem antifen Drama gejucht u. ſ. w. Daß übrigens mit folchen 
Themen, die ſich auf deutjche oder auch antife Dramen oder auf 
Bergleiche zwiſchen deutjchen und antifen Dichtungen beziehen, des 
Guten zu viel gejchehen fann und gejchieht, iſt zweifellos. Yeicht 
ganz jelten wird der Schüler veranlaßt, über den Dichter, zu dem 
er — weil er Schüler ift — bewundernd aufjchauen jollte, zu 
Gericht zu fißen,?) noch häufiger aber werden Themen  gejtellt, 
deren Bearbeitung nur jpisfindigem Klügeln gelingen kann. Derlei 
Künfteleien perjifliert Oskar Jäger in jeinem unübertrefflichen, 
durch jeltenen Freimut ausgezeichneten Büchlein „Aus der Praxis“, 
aus dem ſchon oben eine Probe angeführt wurde, in köſtlicher 
Weife durch folgende Themen: Welche Gründe bejtimmen in 
Schillers Tell den kleinen Wilhelm, nicht mit nach Altdorf zu 
wollen? — Charakter der Neubrunn in Wallenjtein. Aber auch 
das Uebergewicht, das die auf Dramen bezüglichen Aufſätze all- 
mählich gewonnen haben, jcheint nicht unbedenklich. Unleugbar 
bildet das Berjtändnis deutjcher Dichtungswerfe ein wichtiges 
Unterrichtsergebnis deutjcher Gymnaſien, aber von gleicher Wichtig- 
feit ijt auch der Beweis, daß die Schüler unſerer Gymnafien etivas 
von dem Geiſt des Flajfischen Altertums verjpürt haben, daß jte 
die — Erzeugniſſe des Altertums bis zu einem gewiſſen 


1) Air meinen freilich nicht, daß ſolche Themen in bequemer Weiſe ein— 
fach beim Unterricht benützt werden jollen, aber gute Themen vegen zu ähnlichen 
an umd ftellen beachtenswerte Grenzen auf. Selbſt die von Yaas mitgeteilten 
Dispofitionen können befonnenen Lehrern nützlich werden. 

2) Solche gefährlihe Aufgaben veranlaßte namentlich Laas. 


14 N. Brummer, Literaturkunde und Literaturgeſchichte ın der Schule. 


Grade kulturhiftorifch verjtehen gelernt, ihre Beziehung zur Gegen- 
wart einigermaßen erkannt und überhaupt jich eine gejchichtliche 
Auffafjung, bijtorischen Sinn angeeignet haben. Dies wird ja 
wohl ungefähr auch der Sinn des fajt zu Tode gebeten Bildes 
jein, daß der deutjche Unterricht die Strahlen der übrigen Unter- 
vichtsfächer in jeinem Spiegel zu jammeln habe. Sa, er mag 
getroft auch noch die Strahlen jammeln, die er aus dem Er— 
fahrungsfreis der Schüler auffangen fann. Mit andern Worten: 
die Schule darf ſich nicht auf literarijche Themen bejchränfen, 
jondern ſoll auch hiſtoriſche, namentlich Eulturhiftorifche, und ſo— 
genannte allgemeine Themen berüctfichtigen. Dieſe dreifache Auf- 
gabe des deutjchen Aufſatzes jehen wir auch in den bayerijchen 
Abiturientenauffägen berückfichtigt. Im Bayern find nämlich die 
Abiturientenaufgaben für alle Gymnafien die nämlichen, mit der 
Ausnahme, daß von der oberiten Schulleitung jtets drei Aufjaß- 
themen vorgelegt werden, von denen die Prüfungstonmiffionen der 
einzelnen Gymnaſien eines auszuwählen haben. Regelmäßig wird 
ein jogenanntes allgemeines, ein hiſtoriſches over fulturhiitorijches 
und ein’äjthetijches Thema!) bejtimmt. Yeßteres bezog fich in den 
legten Sahren auf die Dramenleftüre; es jollte 3. B. der Charakter 
des Helden eines gelejenen Dramas gejchildert oder nachgewiejen 
werden, wie jich die Handlung eines Dramas aus den Charakteren 
der Hauptperjonen entwidelt u. ä. Es ſcheint fajt, als jollten 
Themen diejer Art alljährlich wiederfehren; das aber wäre jehr 
bedenklich. Denn darf man annehmen, daß bei jeder Abiturienten- 
prüfung ein Thema gejtellt wird, das die Yeftüre eines Dramas 
zur VBorausjegung hat, jo muß dies keineswegs ein gründlicheres 
Studium der Dramen im allgemeinen zur Folge haben, jondern 
es liegt die Gefahr nahe, daß Lehrer und Schüler ein einziges 
Drama, gewöhnlich das zuleßt gelejene, mit Rückſicht auf den 
Abiturientenauffaß als Gegenjtand des Drilles und des mechanischen 
Studiums betrachten. Das ijt aber eine unwürdige Taglöhner- 

!) Leider nur ganz ausnahmsweiſe wurden literarhiftorifche Themen und 
ſolche über die mittelhochdeutjche Literatur gejtellt. 


A. Brumner, Viteraturfunde und Literaturgefchichte in der Schule. 15 


arbeit, die von der idealen Bejchäftigung mit unjeren Dichtungs- 
werfen weit entfernt ift und geradezu demoralifterend wirkt. 
Außerdem gibt ein jolchermaßen vorbereiteter und „zugerichteter 
Auffag nimmermehr einen Mapjtab für die Beurteilung der 
geijtigen Reife. | 

Aber auch bei freier, idealer Lehrer- und Schülerarbeit wird 
der jchädliche Mechanismus nicht immer ferne gehalten. Und hiezu 
tragen jelbjt literarifche Hilfsmittel, welche die Frucht ernjter Arbeit 
find, nicht wenig bei. Freytags berühmte „Technik des Dramas“ 
iſt allmählig auch ein Schülerbuch geworden, das aber freilich oft 
nur dazu dient, über verjchtedene Fragen ſich ſchnell Auffchluß zu 
erholen. Den Schülern allerdings wenig befannt find die Schriften 
von Unbefcheid!) und Franz. ?) Auch fie dürfen nimmermehr für 
den Lehrer autoritative Bedeutung gewinnen. Allerdings ſcheint 
diefe Bemerkung überflüffig, aber gleichwohl liegt wenigjtens für 
den jungen Lehrer die Gefahr nahe, daß er jich feinen unbefangenen 
Blick durch ſolche Bücher trüben läßt. Selbjtändige Auffafjung 
und völlige Klarheit des Lehrers, oft freilich erjt das Ergebnis 
wiederholten eindringlichen Studiums, tjt, wie überall, jo auch hier 
die notwendige Grundlage gedeihlicher Unterwetfung. In der 
Unterrichtsjtunde jelbjt mag man dann heuriftifch die Hauptidee 
und den Aufbau des Dramas entiwiceln und durch eine bejonnen 
und jorgjam geleitete Diskuſſion der Schüler klären. Dabei fann 
der Lehrer die in den literarischen Hilfsmitteln vertretenen Anfichten 
beiziehen und der Prüfung unterjtellen, aber es ijt feineswegs nötig, 
daß die Streitfragen entjchieden werden, daß ein völlig befriedigendes 
Ergebnis gewonnen wird; es wird fich vielmehr als jehr förderlich 
erweijen, den Schülern oft nur zum Bewußtſein zu bringen, daß 
verjchiedene Auffafjungen möglich find, und ſie darauf hinzuweiſen, 
daß das in Rede jtehende Problem auch noch für jpätere Jahre 


1) Unbejcheid, Beitrag zur Behandlung der dramatifchen Lektüre, 
Dresden 1886. 

2?) Rudolf Franz, Der Aufbau der Handlung in den Haffischen Dramen 
Bielefeld und Leipzig (Velhagen und Klafing) 1892. 


16 N. Brunner, Literaturkunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 


Gegenstand des Nachdenkens und des Studiums bleiben joll. Wir 
meinen, daß durch jolche Behandlung äjthetifcher Fragen fich das 
Gymnaſium als Vorſchule für das wiljenschaftliche Leben erweijen 
fann. So wird der Schüler allmählich) auch zu der wichtigen 
Erkenntnis kommen, daß der Genius fich nicht immer den Schul- 
vegeln fügt, jondern aus jich begriffen werden müſſe. 

Diefen Weg, eine Frage nicht jchlechthin zu entjcheiden, 
jondern vorläufig nur die verichiedenen Wege der Entjcheidung zu 
weijen, wird man auch bei anderen äjthetijchen Fragen einzufchlagen 
haben, jo 3. B. bezüglich der Schuld Emilias in Leſſings Drama 
und hinfichtlich des Begriffes des Tragijchen. Viſchers Erklärung 
dDiejes Begriffes wird vielleicht die Grundlage der Bejprechung 
bilden können, aber der Lehrer wird auch Schillers, Hegels, Stleins, 
Baumgarts, Günthers Aufjtellungen kennen müfjen, nicht um durch 
einen gelehrten Siathedervortrag das Staunen der Schüler zu erregen 
und dabei ihre Köpfe leer zu lafjen, jondern um, weije auswählend 
und jorgjam gruppierend, den Begriff zu erläutern und die wichtig- 
jten Unterjchiede der Auffaſſung Elar zu jtellen. Mit einem Macht- 
wort wird er ebenjowenig über die Tragif des Dedipus wie über 
die Katharjisfrage hinweg kommen fünnen und dürfen. Letztere 
gehört überhaupt faum in die Schule, da ihre Behandlung feinen 
jolchen didaktischen Gewinn abwirft, daß es dem nötigen Aufwand 
an Seit entjpricht. Glaubt aber der Lehrer, darauf nicht verzichten 
zu können, jo darf er fich nur auf kurze Darlegung der wichtigjten 
Auffaffungen bejchränten. Wie follte die Schule ſich anmaßen, 
jertige Entjcheidungen jolcher Fragen zu übermitteln, welche für 
die größten Geifter noch immer Gegenftand der Erörterung und 
des Zweifels find? Und müßte fie nicht auch an Anjehen einbüßen, 
wenn der Schüler jpäter erfährt, daß die Dinge nicht jo einfach 
liegen, wie jte ihm nach dev Darjtellung feiner Lehrer am Gymnafium 
ichienen ? 

Es erübrigt noch, die mittelhochdeutfche Lektüre furz zu be- 
Iprechen. Daß die preußifche Unterrichtsverivaltung die ſchulmäßige 
Lektüre mittelhochdeutjcher Dichtungen in dev Urſprache abgeschafft 
hat, ijt hinlänglich befannt. Die hierauf bezüglichen Vorjchriften 


N. Brunner Literaturkunde und Literaturgeſchichte in der Schule. 17 


lauten: Einführung in das Nibelungenlied unter Mitteilung von 
Proben aus dem Urtext, die vom Lehrer zu leſen und zu erklären 


ſind . . . Einzelne ſprachgeſchichtliche Belehrungen durch typiſche 
Beiſpiele . . . Vorträge der Schüler über den Inhalt bedeutenderer 


mittelhochdeutſcher Dichtungen.“ 
Es iſt überflüſſig, hier die Gründe zu jener Vorſchrift oder 

die durchaus gelungene Widerlegung derſelben durch eine reich— 
haltige Literatur ausführlich zu beſprechen. Wir wollen nur auf 
das eine hinweiſen, daß es ein Widerſpruch der grellſten Art iſt, 
wenn der Schüler eines deutſchen Gymnaſiums zwar Homeriſche 
Formen ſprachgeſchichtlich zu erklären vermag, aber in der hiſtoriſchen 
Grammatik ſeiner Mutterſprache durchaus nicht Beſcheid weiß. 
Aber auch hievon abgeſehen wird es ſich fragen, was unter Ein— 
führung in das Nibelungenlied zu verſtehen iſt, d. h. ob es erlaubt 
und möglich iſt, das Lied wenigſtens durch Ueberſetzungen pädagogiſch 
ſo zu verwerten, wie die ethiſche Wirkung der Dichtung es wünſchens— 
wert macht; außerdem, ob die nicht ausdrücklich erwähnten Lieder 
Walthers von der Vogelweide teilweiſe wenigſtens in der Ueber— 
jeßung gelejen werden. Wir Bayern fünnen mit Genugthuung 
und Stolz auf die Verordnung unferer Unterrichtsverwaltung hin- 
weijen, daß ausgewählte Stücke des Mibelungen- und Gudrunliedes 
joiwie einige Lieder Walthers von der Vogelweide gelefen und erklärt 
werden jollen. „Bor Beginn der Vektüre umd in Verbindung 
mit dieſer iſt die mittelhochdeutjche Yaut- und Formenlehre zu 
behandeln. Es ſoll damit nicht nur ein Verſtändnis unjerer alten 
Sprache und YViteratur, jondern auch eime hiftorische Sprach 
betrachtung angebahnt werden." Einzelnen jchultechnischen Bedenken 
gegen diefe im ganzen hocherfreuliche Borjchrift haben wir in der 
ZJeitjchrift für deutjchen Unterricht, 6, 802 „Der deutjche Unter 
richt und die Neform der höheren Schulen in Bayern”, Ausdrucd 
gegeben. Es wurde dort namentlich darauf bingewiejen, daß die 
Schüler das ganze Vibelungenlied, wenn auch qroßenteils durch 
eine Ueberſetzung, fennen lernen müfjen. Spricht man jo viel von 
dem „nationalen Element” des Unterrichtes, jo muß man doch vor 
allem jenes Epos, das ganz aus dem deutjchen Geiſt und Bolfe 
Euphborion II. 9 


- 


{8 A. Brunner, Literaturkunde und Literaturgeſchichte in der Schule. 


ervorgewachjen iſt, billig in erjter Linie der Jugend zugänglich 
machen. 

Wir gehen nach diefen Bemerkungen über die Lektüre zu der 
Frage über, inwiefern an den Gymmafien ein eigentlicher Unter 
vicht in dev Yiteraturgefchichte gepflegt werden kann. 

Vorausgeſchickt jeien die Bejtimmungen der wichtigſten Lehr— 
pläne. 

Der neue preußijche Lehrplan verlangt: Ausblicke auf nordiſche 
Zagen umd die großen germanischen Sagenfreife, auf die höfiſche 
Epik und die höfische Lyrik. Yebensbilder aus der deutschen Literatur- 
geichichte vom Beginn des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 
in fmapper Darjtellung. Proben von neueren Dichtern. Lebens- 
bilder Goethes und Schillers und ihrer berühmtejten Zeitgenofjen 
ſowie bedeutenderer neuerer Dichter. 

Die bayerische Schulordnung jagt über den literargejchicht- 
lichen Unterricht: „Ein hiftorischer Ueberblick der deutjchen Literatur 
wird in den beiden oberen Klaſſen gegeben und zwar in der 8. Klaſſe 
von der ältejten Zeit bis zum Schlufje des 16. Jahrhunderts, in 
der 9. Klaſſe von Opitz bis in das 19. Jahrhundert. Es joll 
Dabei der Literarische Entwiclungsgang in furzen, aber jcharfen 
Umriſſen und mit charakteriftiichen Belegen aus den beiden klaſſiſchen 
Epochen zur lebendigen Anjchauung gebracht und eine eingehendere 
Behandlung mm den bedeutendjten und einflußreichjten Schrift- 
jtellevn der neueren klaſſiſchen Epoche gewidmet werden.“ 

Die Inſtruktionen für den Unterricht an den Gymnafien in 
Defterreich!) endlich äußern fich im Eingang der ziemlich aus- 
führlichen Borjchriften über den Unterricht in der Literaturgejchichte 
folgendermaßen: „Yiteraturgefchichte ift als -Tehrftoff des Gym- 
naſiums inſofern grundfäglich abzulehnen, als fie üjthetifierend 
vorgetragen wird, d. h. dem Schüler äjthetifche Urteile beibringt, 
die er nicht aus eigener Lektüre jchöpfen gelernt hat; joweit jie 
aber vein hijtorijch bleibt, d. h. Literarische Werke, Perſönlichkeiten, 


') Eime von tiefer pädagogischer Einficht zeugende Schrift, die nach unferer 


Anſicht nur in den Fehler verfallen ift, daß fie auch alles einzelne gleichheitlic) 
regeln will, 


A. Brunner, Literaturkunde und Literaturgefchichte in der Schule. 19 


Richtungen in ihren hiſtoriſchen Zujammenhängen nach Ort umd 
Zeit befchreibt, it fie ebenjo zuläfjig wie die Staatengejchichte und 
ergänzt dieje. Doch it die engite Begrenzung des Stoffes not- 
wendig, insbefondere für jene Perioden, deren Erzeugnijje nicht 
Segenjtand der Schullektüre find" u. j. w. 

Man erfennt aus diejen kurzen VBorjchriften den Unterſchied 
der Auffaffung: In Preußen kommt für den literaturhiftorifchen 
Unterricht die auch für den Gejchichtsunterricht der unteren Klaſſen 
maßgebende biographijche Behandlung in Betracht, die beiden 
anderen Lehrpläne wollen innerhalb bejcheidener Grenzen einen 
wirklichen literaturgeichichtlichen Unterricht erteilt wifjen. Für 
welchen Lehrbetrieb man fich entfcheiden wird, jcheint faum zweifel- 
haft. Soll der Schüler einen richtigen Begriff von dem Weſen 
der Literatur erhalten, joll er lernen, daß fie ein durch viele 
Faktoren der Kultur bedingtes Produkt it, Viteraturgejchichte alfo 
einen Zeil der Sulturgejchichte bildet, jo wird man auf eine, wenn 
auch nur elementare, eigentlich gejchichtliche Behandlung nicht ver- 
zichten können. Es iſt auch nicht zu fürchten, daß dadurch eine 
Ueberbürdung der Schüler eintritt; es wird vielmehr die Kon— 
zentration des Unterrichts gefördert. Seitdem man nämlich zur 
Einficht gefommen, daß es Aufgabe des Gejchichtsunterrichtes ift, 
nicht etiva nur eine Gejchichte der Kriege zu übermitteln und 
genealogijche Tafeln auswendig lernen zu lafjen, jondern den Ent- 
wicklungsgang der einzelnen Völker, und zwar nicht nur nach der 
vein politifchen Seite, aufzuzeigen, muß die Sprache und Yiteratur 
eines Volkes auch im Gejchichtsunterricht Gegenstand der Betrachtung 
jein. Werden nun die Fäden des gejchichtlichen oder, genauer 
gejagt, des fulturhijtorischen Unterrichts in den Bereich des deutjchen 
Unterrichtes herübergejponnen, jo wird man der Aufgabe, literatur- 
gejchichtlichen Unterricht in bejcheidenem Sinne des Wortes zu 
erteilen, leicht gerecht werden fünnen. Die Werfe, die der Schüler 
fennen gelernt und jtudiert hat, bilden die Hauptglieder der Ent- 





1!) Die Unzufriedenheit der preußifchen Lehrer mit dev neuen Vorſchrift 
fam in den Neferaten für die 22, Divektorenverfammlung in der Provinz Weit 
falen zum deutlichen Ausdrud. 

2* 


90 X. Brunner, Literaturkunde und Literaturgeſchichte in der Schule. 


wicklungskette; diefe durch Bindeglieder zu ſchließen, wird dem 
litevaturgefchichtlichen Unterricht zufallen. Es ift z. B. nicht mög- 
lich, in der Schule Hans Sachjens Werfe oder die Erzeugnifje 
der ſchleſiſchen Dichterfchulen zu lefen; aber joll der Zufammen- 
hang zwiſchen dem Mittelalter und der neueren Zeit Elar gelegt 
werden, jo ijt es unumgänglich nötig, auf den unendlichen Einfluß 
des Humanismus und der Nenaifjance hinzuweifen. So merden 
für lange Strecken der Literaturgefchichte, z. B. für die Zeit von 
1300-1500 und wieder für den Zeitraum von Yuther bis Klopſtock 
die Hauptthatjachen der politischen Gejchichte und dev Kulturgejchichte 
die Wegezeiger dev ſchulmäßigen Literaturgejchichte bilden. Noch 
aufdringlicher macht fich der Einfluß der politijchen Gejchichte im 
Mittelalter geltend. Hier fann man überzeugend darthun, daß 
unfere Sprache und unjere Literatur das Spiegelbild unferer 
Sefchichte it. Die literarischen Erjcheinungen von 900—1200 
(lateinische Hofdichtung, Stoff der höfiſchen Poefie u. dgl.) können 
und müffen in durchaus heuriſtiſcher Weiſe aus dem Gejchichts- 
wiſſen des Schülers entwicelt werden. Die Ergebnifje der Be- 
iprechung bilden, jtreng genommen, feinen neuen Lernjtoff, jeden- 
falls feine Belaſtung, jondern bringen nur Klärung und Berdichtung 
der erworbenen Kenntniſſe. Und in welchen Lichte erjcheinen auch 
die befannten Dichtungen, z. DB. Schillers Jugenddramen oder 
Emilia Galotti, wenn der Yehrer mit weifer Bejchränfung das 
von Minor und Weltrich in ihren Schillerbiographien gebotene 
Material verivendet ! 

Dad Yaas die Grenzen des ſchulmäßigen literaturgejchichtlichen 
Stoffes bei weitem überjchritten hat, wird wohl heutzutage allgemein 
zugeftanden. Andererjeits muß uns das Schema, das Wilhelm 
Herbjt in jeinem SHilfsbuch für die deutjche Piteraturgefchichte auf- 
geitellt hat, wenigjtens für die mittelhochdeutfche Periode — die 
althochdeutjche Zeit bleibt jo ziemlich unberückjichtigt etwas zu 
dürftig erjcheinen; nahezu genügend dagegen ijt fein Plan für die 
neuhochdeutjche Literatur, die ex freilich exit mit Klopſtock beginnt. 
Als trefflich befannt jind die Yiteraturgejchichten von Hermann 
Kluge und Gottlob Egelhanf. An erjterer hat man freilich den 





A. Brunner, Piteraturfunde und Literaturgefchichte in der Schule. 21 


zu großen Umfang getadelt. Wer nur ein dürres Lernbuch ver- 
langt, hat mit diefem Vorwurf vecht, aber wir meinen, das Hand- 
buch der PLiteraturgejchichte ſoll wie das der politischen Gefchichte 
ein Nachjchlagebuch für das ganze jpätere Leben des Schülers 
werden, und hiezu eignet ſich Kluges Leitfaden fo qut vie nicht 
leicht ein anderes Werk. Bon etwas geringerem Umfang als 
Egelhaafs „Grundzüge der deutjchen Literaturgeſchichte“ ijt der 
fürzlich erſchienene Abriß der deutschen Piteraturgefchichte von Lyon, 
der namentlich in einer zweiten Auflage ſich manche Freunde ge- 
winnen wird. Die „Weberficht der Gefchichte der deutſchen Literatur“ 
von Pütz-Conrads ijt zwar wiſſenſchaftlich zuverläffig, entbehrt aber 
als Schulbuch viele Vorzüge, die anderen Handbüchern eigen find. 
Die Lehrer werden außer den befannten Werfen von Hettner u. ſ. w. 
mit Nuben auch „die Gejchichte der deutjchen Literatur“ don 
Ferdinand Schult benußen. Ebenfo ift ein willfommenes Hilfsmittel 
die graphijche Literatur-Tafel von Flaiſchlen. Zur Privatlektüre foll 
den Schülern die erjte Hälfte der befannten Piteraturgefchichte von 
Vilmar dringend empfohlen werden; denn niemand hat namentlich 
das Nibelungenlied ſchöner und ergreifender nacherzählt als er. 
Zu beginnen ijt der Unterricht damit, daß die Stellung der 
germanischen Sprachen, ihrer Dialekte und der daraus hervor 
gegangenen Idiome (des Englijchen, Niederländischen u. ſ. w.) 
innerhalb des imdoeuropäischen Sprachjtammes erläutert wird. 
Ein Blick auf Fritz Neuter wird namentlich in Süddeutjchland 
am PBlaße fein. Auch die Entjtehung der vomanijchen Sprachen 
wird hereingezogen. Die Erörterung nüpft überall an den Gefchichts- 
unterricht an. Die politifche Gejchichte erklärt auch die Bildung 
der Sagenfreije und das Uebergewicht der hochdeutjchen Yiteratur. 
Die Entjtehung des ältejten Sprachdenfmals fällt in die Regierung 
Karls des Großen, jeit Yudwig den Jrommen tritt die chriftliche 
Poeſie in den Vordergrund, unter den Ottonen die lateinische. 
Belanglos für die Schule iſt die num folgende Zeit bis zu den 
Hohenjtaufen. Nach deren für die Literatur hochbedeutfamen 
Regierungsperiode gelangen allmählich die Städte zur Blüte. Ihre 
Bürger pflegten den Meiftergefang. Gleichzeitig entjteht das deutjche 


292 N. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 


Drama. An der Schwelle der neuen” Zeit und Sprache jteht 
Puther. Neben ihm macht der Humanismus feinen weitreichenden 
Einfluß geltend. Das Kirchenlied jchließt ji) an das Volkslied 
an. Letzteres erjcheint namentlich auch als Hijtorisches Volkslied, 
2.98. auf die Schlacht bei Sempach, bei Pavia. Dem polemijchen 
Charakter des Neformationszeitalters gemäß treten Satirifer auf: 
Murner (der Nachfolger Seb. Brants) und Fiſchart. Der dreißig- 
jährige Strieg, an den Grimmelshaujfens Sittenroman anfnüpft, 
veranlagt die Verwelſchung Deutschlands und die Nachahmung der 
fremden Piteraturwerfe. Auf den Einfluß Frankreichs mußte jchon 
beim höfiſchen Epos hingewieſen werden. Dach den irrtümlichen 
Verſuchen der Schlefier, der deutschen Poeſie richtige Bahnen zu 
weifen, ſah man in der Herrichaft des franzöſiſchen Klaffizismus 
ein Allheilmittel. Aus der Schar der Gegner Gottjcheds im 
Jächjtichen Dichterverein ging Klopſtock hervor, deſſen begetjterte 
Jünger im Göttinger Dichterbund ich zuſammenſchloſſen. Klop— 
jtoef und jein Gegenbild, Wieland, Voltaires Schüler, führen zu 
Friedrich dem Großen und von diefem zum preußiſchen Dichter- 
verein hinüber. Rouſſeau wirkte auf den tdeenreichen Herder, der 
jene Genieperiode evöffnete, unter deren Bann auch der junge 
Goethe jtand, zugleich aber das Verſtändnis für das Wejen der 
Poeſie erjchloß, während Leſſing mit gewaltiger Hand die Feſſeln 
brach, welche die freie Entfaltung der dichterifchen Schöpfungs- 
kraft in Deutjchland jo lange gehindert. 

Mit Namen von Schriftjtellern, die der Schüler durch die 
Lektüre nicht fennen gelernt, jowie mit Zahlen kann der Lehrer 
nicht ſparſam genug jein. Mean glaube auch ja nicht, daß durch 
Mitterlung von Proben jelbjt nur deutliche Umriſſe eines lebendigen 
Bildes entjtehen. Das Annolied, die Kaiferchronif u. dgl. find 
für den Schüler toter Gedächtnisfram. Much das Waltharilied 
wird nur mit Rückſicht auf Scheffels Effehard genannt werden. 
Solche Kückjicht auf Werfe der Neuzeit wird auch jonjt zu üben 
jein: beim Yeibelungenlied wird man auf Hebbels Trilogie und 
Geibels Brunhilde Hinweijen, und Richard Wagners Opern ver- 
leihen den mittelhochdeutjchen Stoffen erhöhten Reiz. 


A. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 25 


Weiſe Bejchränfung iſt auch bei Dichtern am Blaße, die 
an fich bedeutend find. So fann Walther von der Vogelweide jo 
ziemlich als der einzige Vertreter des Minnegejanges gelten; außer 
ihm wird etiva nur Neidhart als Ausläufer der höfiſchen Lyrik 
anzuführen jein. Die mittelhochdeutjche Didaktik iſt durch Frei- 
danfs Befcheidenheit genugjam vertreten. 

Manche Dichter, deren Werfe nicht gelejen werden fünnen, 
wird man dem Schüler mittelbar zur Anjchauung bringen, jo 
Hans Sach durch Goethes „Dans Sachjens poetische Sendung“ 
und „Legende vom Hufeiſen.“ Aehnlich kann bei Goethe Die 
Darjtellung des Tierepos der früheren Zeit nachgeholt werden, 
jomweit dies nötig jcheint. 

Neben dem Inhalt der Piteraturiverfe iſt aber jtets auch 
ihrer Form, namentlich der Entwiclung der Sprache Aufmerkſam 
feit zu ſchenken. 

An die Erörterung der deutſchen Sprachzweige veiht ſich 
pafjend eine Heberjicht der im eigenen Yande gejprochenen Dialekte. 
Wir Bayern dürfen dabei auch unjeres Schmeller nicht vergefien. 
Auf die Brüder Grimm und ihre Werfe führt, wenn nicht ein 
früherer Anlaß, jo doch der mittelhochdeutjche Unterricht bei Be 
Iprechung der Pautverjchiebung. Einen Begriff von der gothiichen 
Sprache erhält der Schüler durch Mitteilung des Waterunfer, das 
Althochdeutjche wird beim mittelhochdeutjchen Unterricht jtellen- 
weile zum Vergleich beigezogen. Der mittelhochdeutjche Unterricht 
wird auch die charafteritiichen Unterjchiede der mittelhochdeutjchen 
und neuhochdeutjchen Sprache aufzeigen. Weber den mittelhoch- 
deutjchen Unterricht jelbjt haben Böhme (Lehrproben und Yehrgänge 
32. Heft) und befonders Oberlehrer Schmidt in Schwerin (ebenda, 
34. Heft) ausgezeichnete Winke gegeben. Dtfrieds Evangelienbuch 
gibt Anlaß, des Endreimes im Gegenſatz zu dem bisher üblichen 
Stabreim zu erwähnen. Hier wird auch auf die Verfuche der 
neueren Zeit, den Stabreim wieder zu einem weſentlichen Weittel 
der Poeſie zu erheben, kurz hingewiejen. Bet der höfifchen Epit 
ift auch der den Schülern von Uhland her jchon bekannten kurzen 
Reimpaare zu gedenken, ebenfo beim Nibelungenlied der neuhoch 


24 N. Brunner, Piteraturkunde und Piteraturgefhichte in dev Schule. 


deutjchen Nachahmungen der Vibelungenjtrophe im iambiſchen 
Metrum und in Mecentverjen, ſowie des viel gebrauchten Hilde- 
brandstones. Endlich iſt Opitz als Begründer der neuen Metrif 
zu würdigen. 

Der Beiprechung Shafejpeares hat Lehmann eine Stelle 
hinter Hans Sachs angewiejen, da er die künſtleriſche Berjchmelzung 
von Nenaifjancebildung und volfstinnlichem Gehalt zeigt. 

Daß vor allem Goethe und Schiller eine ausführlichere 
Behandlung zu teil werden muß, wid niemand leugnen. Eine 
fichere Unterlage bietet hier vor allem die eigene Lektüre des 
Schülers. Aber die diefem noch nicht befannten Werke legen dem 
Vehrer auch bei Goethe eine bejonnene Zurückhaltung auf. Er 
bleibe fich bewußt, daß es pädagogischer iſt, für die noch nicht 
gelefenen Werke Intereſſe zu erwecken als fertige Urteile zu über- 
mitteln und beim Schüler ein jchädliches Scheinwiſſen zu erwecken. 

Nicht belanglos ift auch die Frage — ſie drängt fich gerade 
bei Goethe auf — inwieweit die Schule die Ergebnifje der Quellen- 
forschung benüßen joll. 

Indem wir einen Unterſchied zwiſchen den verjchiedenen 
Quellen machen, ergänzen wir im folgenden zugleich das über die 
Lektüre der Dramen und der lyriſchen Gedichte bereits Geſagte. 
Es ſcheint uns von großem Belang fir die Auffaſſung und das 
genaue Verſtändnis der hiftorifchen Dramen, den Rohjtoff, aus dem 
der Dichter fein Gebilde jchuf, eingehend zu betrachten, ihn gleich- 
jam in ſeiner Werkftätte zu belaufchen und zu verfolgen, mit 
welchem Geſchick ex das Ungeeignete entfernte, wie er Homogenes 
zuſammenſchmolz und, ganz neue Gejtalten jchaffend, wirkſame 
Stontrajte hervorzauberte. In diefer Beziehung liefert die Be- 
twachtung der Quellen zu Maria Stuart, Wallenjtein, Egmont 
ungemein belehrendes Material. ber abgejchen davon, daß der 
Lehrer im Intereſſe des äſthetiſchen Berftändnifjes auf Borführung 
des wichtigſten Quellenjtoffes nicht verzichten darf, wird er jchon 
durch die Rückſicht auf die Hiftorifche Wahrheit und die im 
Gejchichtsunterricht vorgetragenen gejchichtlichen Thatjachen förmlich 
gezwungen, an den Quellen des Dichters nicht vorüberzugehen und 





A. Brunner, Piteraturkunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 25 


den Unterjchied zwischen den hiftorischen Thatfachen und der dichte: 
tischen Geſtaltung aufzudeden.) Daß die Zeitgejchichte helles 
Picht auf manche Dramen wirft, ijt oben fchon angedeutet worden. 
Anders Schon ſteht es mit den Goethejchen Dramen Iphigenie und 
Taſſo. Hier jind die Nejultate der Forschung unficher, und wenn 
ſie e8 nicht wären, jo würde gleichwohl kaum abzujehen fein, welch 
bildenden Ertrag die Rückwandlung Fphigeniens in Frau von Stein 
liefern follte. (Vgl. Lehmann, „Der deutfche Unterricht" ©. 272). 
Eine gelegentliche, geichieft angebrachte Bemerkung mag immerhin 
den vermutlichen Zuſammenhang zwiſchen Dichtung und Yeben 
andeuten, aber als didaktisch weſentlich jollen derlei Fingerzeige 
nicht erjcheinen. Berjchonen wir überhaupt unfere Schüler mit 
den jubtilen Forſchungen der Goethephilologie! Unſere Jugend, 
die die Gymnaſien befucht, it für fie noch nicht veif und braucht 
es noch nicht zu fein. Der ganze Goethe iſt ja überhaupt fein 
Dichter für achtzehnjährige Sünglinge, jo wenig wie der ganze 
Horatius. Halbverjtandene Mitteilungen führen aber gerade am 
leichteften zu einer Verkennung des Dichters. Dies mögen jene 
bedenken, die ganz auf dem Boden Hermann Grimms jtehen. Die- 
jenigen aber, die fich zu deſſen Auffaffung nicht bekennen, — und 
wir geftehen offen, zu diefen zu gehören — mögen fich hüten, 
ihren Sfeptizismus in die Schule hineinzutvagen und etwa gar 
durch häßliche Polemik die Goethes Werfen getvidmeten Stunden 
zu entweihen. 

Von den Iyrischen Gedichten kann manches eine willkommene 
Illuſtration eines Pebensverhältniffes Goethes geben — nur diejer 
ja fommt wohl in Betracht, — im ganzen aber wird man es auch 
hiev vermeiden, didaktisch unfwuchtbare und noch dazu vielfach 
unfichere Mitteilungen über den Zuſammenhang der Gedichte 
mit dem Leben des Dichters zu machen; mit vollem echt be 
merkt Lehmann (a. a. D. ©. 274), „daß wir uns in der Schule 
nicht mit den Werfen des Dichters um feiner Perſon willen, 

1) Für die Quellen einzelner Dramen vergl. Yandmwehrs „Dichterifche 
Seftalten in hiftorifcher Treue“, 


26 U. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 


jondern mit feiner Perſon um jeiner Werfe willen zu bejchäftigen 
haben; denn Goethes Wirkung auf die Jugend werde immer mehr 
von jeinen Dichtungen als von jeiner PVerjönlichfeit ausgehen." 
Das jchließt freilich nicht aus, daß jein Lebensgang wie der 
anderer Dichter gejchildert wird; es ijt die wegen der innigen 
Beziehungen zwijchen dem Leben und den Werfen Goethes jogar 
eine unabweisbare Forderung; aber nur in großen Zügen darf 
diefer Zujammenhang erörtert werden, weil er nur innerhalb 
gewiſſer Grenzen und bis zu einen gewiljen Grade für die Jugend 
faßbar iſt. Die Jugendzeit des Dichters, die Eindrücke des 
franzöfifierenden Leipzig, Herders Einfluß und infolge deſſen 
Shafejpeares Wirfung auf den Dichter, die Bedeutung Leſſings 
für Goetheſche Dichtung, die folgenreiche italienische Reife, das 
jcheinen wichtige Nichtpunfte für die Biographie Goethes, um jo 
wichtiger, als der Dichter die Ereigniffe und Erlebnifje jelbjt 
Ichildert; das jpätere Yeben Goethes kann den an Yebenserfahrungen 
noch armen Schüler nicht jo feffeln wie die Schilderung des mit 
äußerem Zwang, mit des Lebens Not und des Yeibes Schwäche 
fümpfenden Schiller, deſſen Biographie auf den Jüngling nicht 
nur ergreifender, jondern auch weit mehr erziehend zu wirken 
vermag. 

Wie weit joll die Yiteraturgejchichte fortgeführt werden ? 
Nur bis zu Goethes Tod oder bis zur Gegenwart? Unbedingt 
nötig jcheint uns, daß die große Bedeutung, welche die Roman— 
tifer — allerdings nicht als Dichter — hatten, den Schülern einiger- 
maßen begreiflich gemacht werden muß; ihre Wirkſamkeit fällt 
freilich in Goethes Yebenszeit, aber da die Pehrbücher die voman- 
tiſche Schule meijtens in einem auf Goethe folgenden Abjchnitt 
behandeln, jo jcheint es am Plate, darauf hinzuweifen, daß die 
Romantiker einen Teil ſchulmäßiger Behandlung bilden müffen. 
Was weiter geboten werden joll, ift nicht leicht zu jagen; jeden- 
falls aber ijt jener Dichter zu gedenken, von welchen die Schüler 
ſchon in früheren Jahren Dichtungen kennen gelernt haben. Nicht 
zu übergehen find deshalb vor allem Uhland und der Dichter der 
Befreiungsfriege, ferner Chamifjo, Eichendorff, Gujtav Schwab, 


A. Brunner, Piteraturfunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 27 


Kerner, Hoffmann von Fallersleben, Freiligrath, Seibel. Aber 
auch noch andere Dichter werden in den Kreis der Beiprechung 
zu ziehen fein, diejenigen nämlich, deren Werfe den Schülern 
teilweife durch Brivatleftüre befannt geworden, oder die da oder 
dort beim Unterricht erwähnt wurden, und endlich jene, mit denen 
jich für die Zukunft eine nähere Bekanntſchaft lohnt, z. B. 
Srillparzer, Stifter, Wilhelm Hauff, Viktor Scheffel, Guſtav 
Freytag. Dafür, daf die Bejprechung nicht in eine bloße Auf- 
zählung ausartet, jondern die Charafterijtif der einzelnen Dichter 
teils aus dem Gelejenen gewonnen, teils ergänzt wird, hat die 
Einficht des Vehrers zu jorgen. Beſondere Kenntnifje und be- 
jonderen Takt jeßt der Verſuch voraus, die allerneuejte Piteratur 
in der Schule zu erwähnen. Nicht jeder Yehrer darf ich dies 
getrauen. Außerdem vergefje man auch nicht, daß jelbjt örtliche 
Berhältnifje von entjcheidender Wichtigkeit find. Wo Daritellungen 
guter oder gar hervorragender Bühnen auf die Schüler wirfen 
und ſie mit den neuejten Grjcheinungen des Dramas befannt 
machen, wo ein geijtig anregender Berfehr auch in den Familien 
herrjcht, da kann ſich der Unterricht in mancher Beziehung ganz 
anders gejtalten als in fleinen Städten, deren Schüler nie eine 
Bühne gejehen und jelten ein Buch, das nicht ein Lehrbuch tft 
oder der dürftigen Schülerbibliothef angehört. Unter allen Um— 
jtänden aber jet der Lehrer jtets eingedenf, daß er, wenn er etwa 
gar von Ibſen ſpricht, nicht mehr Piteraturgejchichte lehrt, ſondern 
über einen Dichter redet, der ein Meitlebender ijt und fich der 
objektiven Betrachtung mehr oder weniger entzieht, alfo Anspruch 
darauf hat, daß der Lehrer fein Urteil über ihn den Schülern 
nicht aufdränge. 

Wir hoffen, durch unfere Auseinanderjeßungen den Beweis 
erbracht zu haben, daß die Errungenschaften der Forſcher auf dem 
Gebiete der Yiteraturgefchichte jeit mehr als zwei Dezennien durch 
die Schule immer mehr Gemeingut des edleren Teiles des Volkes 
wird, — zwar feine notwendige Borausjegung des Nußens wiſſen— 
Ichaftlicher Arbeit, aber doch eine ſchöne Frucht derjelben. Wie die 
Löſung eines Problems dem afademifchen Lehrer der Medizin nicht 


28 X. Brunner, Piteraturkunde und Piteraturgefchichte in der Schule. 


nur die Freude des Forſchens gewährt, jondern in ihm auch das 
erhebende Gefühl erweckt, daß er durch ein glückliches sdonza der 
leiblichen Not der Menfchheit Abhilfe jchafft, jo mag jeßt auf den 
wiſſenſchaftlichen Vertreter der Piteraturgejchichte auch der Gedanke 
ermunternd und begeifternd twirfen, daß feine Worte nicht in dem 
Hörjaal verhallen, jondern durch die Jünger dev Wiſſenſchaft hinaus— 
tönen ins ganze weite Pand und dazu beitragen, in die Seelen 
unjerer Jugend den Geijt der Edelſten ihrer Nation zu gießen 
und fie jo mit idealen Geſinnungen zu erfüllen. 

Mögen aber auch die Lehrer der Hochjchulen, denen die 
Bedürfniffe der Mittelfchulen ferner liegen, es nicht verfchmähen, 
ji) mit dem durch die Natur der Schüler und die Bejtimmung 
der mittleren Lehranſtalten gebotenen Unterrichtsbetrieb befannt zu 
machen — zum Wohle der fünftigen Lehrer und der Jugend jelbft! 
Wiſſenſchaft und Schule, Theorie und Praxis müfjen fich notwendig 
ergänzen, wenn die allgemeine Bildung, die geijtige Förderung 
unjerer Jugend in Frage fommt. Wir wünſchten deshalb auch, daß 
dem bayerischen Oberjten Schulvat ein Germaniſt und ein Hijtorifer 
beigegeben werde, nicht als ob wir glaubten, daß diefe für die 
ſchulmäßige Behandlung ihres Faches die rechten Wege weijen 
fönnten, jondern weil wir meinen, daß durch den Ideenaustauſch 
der Vertreter der reinen Wiffenjchaft mit den Männern der Praxis 
Vorteile für unfere Schulen erwachſen würden; die einen fünnten 
anregend wirken, die anderen zu Hoch gejpannte Forderungen 
mäßigen und auf das Erreichhare zurückführen. 

Wir haben in unferer Betrachtung nur den Unterrichtsbetrieb 
derjenigen Lehranftalten berücfichtigt, die wir aus eigener Anjchauung 
und Erfahrung genauer fennen. Hoffen wir, daß ein anderer das 
Bild von dem Unterricht in der deutschen Literatur an den deutjchen 
Mittelfchulen ergänze, namentlich auch durch Mitteilungen über den 
deutjchen Unterricht an den Mädchenschulen ! 


A. Hanffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielert. 29 


Dus Volkslied von den zwei Gefpielen, 


Bon Adolf Dauffen in Prag. 





Das Yied von den zwei Gejpielen ift uns in der ältejten deutjchen 
volljtandigen Faſſung A aus dem Jahre 1582 in dem jogenannten 
Ambrajer Liederbuch Wr. 53 (Herausgegeben von Bergmann im 
Stuttgarter Yitterarifchen Verein 12, 46 f.) erhalten. Seine Ent- 
jtehung muß aber für eine viel frühere Zeit angenommen werden. 
Das beweien uns: 1. Ein Bruchjtüd unjeres Liedes aus dem 
Sahre 1576 C, das durch feine Abweichungen von A auf mehrere 
verloren gegangene Zwijchenglieder und ein älteres gemeinjames Vorbild 
jchließen laßt. 2. Ein geiftliches Yied aus dem Jahre 1589 (Uhland, 
Schriften 4, 120) mit der Bemerfung: „In dem thon: Es giengend 
zwo gejpilen quot, wol vber ein gruene Heyde.“ Solche Melodien- 
angaben bezogen jich natürlich immer auf ältere allgemein befannte 
Lieder. 3. Die äußere Situation, die Unterredung zweier Mädchen, 
die, wie Uhland gezeigt hat (Schriften 3, 405—409, 490 f.; 4 
120 f.), in der mittelalterlichen Dichtung, namentlich bei den jüngeren 
Minneſängern jehr häufig ift. 

In unferem Yiede num werden (jo viel mir befannt ift zum 
erjten male) die beiden Gejpielen als veiche und arme Braut in Gegen- 
jaß gebracht. Im wejentlichen hat A folgenden Inhalt: Ein Yüngling 
wird don zwei Mädchen geliebt. Er wählt fich die Arme, die jchon 
(jäuberlich) und zugleich brav iſt; denn ex erwartet ſich fleigige Mit— 
arbeit von ihr (7,3 f.). Er verjchmäht die Neiche, die nicht ſchön iſt 
(fie wird ja zur „jäuberlichen“ in Gegenſatz gebracht) und die nicht 
brav iſt; denn er befürchtet, daß fie ihr Gut verzehren werde (7, 1). 
Er liebt die Arme, denn ex will jie nicht betrüben (6, 2) und verjpricht 
ihr ewige Treue (10, 4 „von div will ich nicht wenden“), während 
er die Neiche allenfalls nur des Geldes wegen genommen hätte; mit 
dem Schwinden des Gutes, jo jagt ex jelbjt (7, 1 f.), hätte auch die 
Liebe ein Ende. 

In allen Safjungen unſeres Liedes und außerdem in mehreren 
Gruppen verwandter deutſcher Volkslieder wird, was ich unten näher 
ausführen will, mit derſelben demokratischen Tendenz gegen das veiche 
Mädchen Stellung genommen. 


30 N. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielen. 


Früher als in Deutjchland ift Text und Melodie des Liedes 
von den zwei Gejpielen im Niederländijchen nachgewiejen: die Ein- 
gangszeilen und eine Melodie beveits in Handſchriften des 15. Jahr— 
hunderts, eine zweite Melodie aus dem jahre 1540 (Uhland, Schriften 
4, 120 f.), der ganze niederländijche Text B im Antwerpener Lieder- 
buch aus dem Jahre 1544, Nr. 162, Hoffmann von Fallersleben, 
Horae Belgicae 11, 242 f.,!) B jtimmt in den meiften Strophen 
völlig mit A überein, abgejehen natürlich von der verjchiedenen Mund— 
art, es enthält aber eine wichtige Strophe, die in A zwijchen Strophe 
4 und 5 ausgefallen ift. Das arme Mädchen weift den Antrag der 
Reichen Fraftig zurück. 

Och dijnen broeder en wil ic niet, 
och dijns vaders goet cen deele, 
Je hebbe veel lieuer mijn joete lief, 
Dan jilner oft root qulden. 


Dieje Aeußerung treuer Yiebe erleichtert natürlich dem laujchenden 
Jüngling die Qual der Wahl. Sie ift in A nur zufällig ausgefallen, 
denn jie fehlt nicht im den jpäteren deutjchen Texten (2 umd 7): 


Deinen Bruder, den mag ich nicht 
och Baters Gut zum Theile, 

Ich will nicht Silber und feines Gold, 
Will meinen Schaß alleine. 

Das niederländifche Yied hat ferner eine neue Eingangsitrophe, 
zwei ganz allgemein gehaltene Schlußftrophen (für A 9— 11), Die 
nicht organisch zum Yiede gehören, und es fehlt ihm die unentbehrliche 
Strophe A 5°). 

Der älteren Aufzeichnung wegen hat Willens PR für ein ur- 
jprünglich niederländijches Yied und A für eine Ueberſetzung gehalten. 
Doch jpricht dagegen die außerordentliche Verbreitung diejes Yiedes 
über ganz Deutjchland und außerdem verjegt gerade die Eingangs— 
jtrophe von B die Handlung nach Wittenberg. Endlich ijt uns, wie 
jchon erwähnt, aus dem Jahre 1576 ein deutjches Bruchſtück C unjeres 
Liedes überliefert (mitgeteilt von W. Büttner in Epitome Historiarum, 
Bl. 334, vgl. Erks Viederhort 1, 250), das neben wörtlichen Ueberein- 
jtimmungen mit A und B anderfeits von beiden jo jehr abweicht, daß 





!) Die Terte A und B mit ftarfen Menderungen in Erks deutſchem 
Liederhort herausgegeben von Böhme, Wr. TOb und 70a. 

?) Nach dem Borbild von A haben die neueren Herausgeber Willens, 
Dude Blaemſche Liederen Nr. 57 und Hoffmann von Yallersieben, Horae 
Belgieae 2? Wr. 66 eine ähnliche Strophe eingefügt. 


A. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielen. 31 


wir daraus auf einen älteren Stammbaum und eine veichere Ver— 
äftelung unjeres Textes auf deutjchem Boden jchliegen müfjen. In € 
ift dev Gegenjaß zwijchen den beiden Gejpielen (zu Ungunjten der 
Reichen) fehärfer betont. Die Arme wird bezeichnet als: „ehrenveich“, 
als „jäuberlich, Fromm und fein“. Von der Neichen hingegen, der 
alle diefe Tugenden fehlen, erwartet der Jüngling, daß fie jchmollen 
und zannen (feifen) und ihm vorwerfen würde, ev ſei nicht ihresgleichen. 

Ein weiteres Bruchjtüct D, mur den Anfang: das Gejpräd der 
beiden Mädchen enthaltend, ift in des Stnaben Wunderhorn (3, 18) 
aufgezeichnet.) Das vollftändige Yied von den zwei Gejpielen, in den 
wichtigften Punkten mit A übereinftimmend, ift noch heute im ver- 
ichiedenen deutfchen Yandfchaften lebendig. Hoffmann von Fallersleben 
hat es nach dem Volksmund bei Breslau aufgezeichnet (Hoffmann 
und Richter, Schlefische Voltslieder Ar. 17) E, Erf bei Yiegnig 
(Erks Liederhort Nr. 70e) F.?) Die beiden jchlefiichen Yieder (von 
einander mur wenig abweichend) haben im bewundernswerter Treue den 
alten Wortlaut von A bewahrt. Sie enthalten aber die oben erwähnte 
Strophe von B und weichen am Schluffe von A ab. Die beiden, 
Geſpielen werden hier nur als Neich und Arm in Gegenjag gebracht. 
Der Küngling unterdrücdt nicht feine Bedenken vor der endgiltigen 
Entſchließung (fin A 6, 3 f.): 


Wend ich mich zu dev Armen 
Da geht's, daß Gott erbarme. 


Doch durch Fleiß hofft ev auch an der Seite der Armen jeinen 
Unterhalt zu finden und tröftet jich mit dev Erwägung, daß ev am 
Geld der Neichen ja gar feinen Anteil hätte: 


Wenn die Neiche einen Thaler hat, 

So verzehrt fie ihn ganz alleine. 

Und wenn die Arme einen Grojchen hat, 
So thut jie ihn mit mir teilen. 

Diefe Schlußftrophe von Z jteht für A 8—11. 

Neben dieſen aus dem mittleren und nördlichen Deutjchland 
Itammenden Faſſungen der „Zwei Gejpielen“ gibt es drei oberdeutjche 
Lieder des gleichen Inhalts, die dejto mehr von dem alten Text 

1) Das Gejpräh der Mädchen, mit der Ermeiterung, daß fie um den 
Geliebten lojen und die Arme ihn gewinnt, finden wir in einem wendiſchen Yiede, 
Haupt und Schmaler 1, 105. 

2) A, E und D find noch einmal abgedrudt bei Mittler, deutjche Volks— 
lieder Nr. 140— 142. Simrod (Deutfche Volkslieder Nr. 58) hat aus A, Bund E 
einen neuen Tert gemacht. 


32 A. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielen. 


abweichen, je tiefer im Süden jie heimijch find. Während die jchon 
erwähnten Lieder in dem alten volfstiimlichen Stil mit einem Fleinen 
Begebnis, einer flüchtigen Zeichnung des Hintergrundes beginnen: 
„Es giengen zwei Gejpielen gut, wohl über eine grüne Wieje“ und 
die verjchiedene Yebenstellung der beiden Mädchen erſt im zweiten - 
Teil mehr oder minder deutlich bezeichnen, plagen die jüddeutjchen 
Lieder mit diejer Eröffnung unmittelbar heraus. Alle drei haben die 
Eingangsverſe: 

Es waren (einmal) zwei Geſpielen, 

Eine Reiche und eine Arme. 


Das iſt natürlich eine Vergröberung der älteren reizvolleren, nur 
zart andeutenden Weile. Alm nächjten dem Wortlaut von A ımd E 
jteht das jchwäbische Yied von den zwei Geſpielen @ (Meier, Schwäbijche 
Bolfslieder, 573 f.). Es iſt nur fnapper gefaßt, hat mehrere Strophen 
fallen lafjen und mehrmals > ältere Strophen zu einer zufammen- 
gezogen. So fir EA und 5 


„Wein nicht, wein nicht Ge- „OD — den mag ich nicht, 
jpielchen mein, Noch 2 Vaters Gut zum Teile. 
Ach, weine nicht jo jehre! ‚sch will nicht Silber und feines 

Ich will div geben den Bruder mein, Gold, 
Und Baters Gut zu Teile.“ Will meinen Schab alleine.“ 


in G nur eine Strophe: 
„sch will div geben meinen jüngjten Bruder, 
Meins Vaters jein Gütle zum Teile!“ 
„Und wenn du mir Silber und votes Gold gäbeſt, 
Sp ift mir der Knab nicht feile.“ 


Der r Jüngling entſchließt ſich auch hier für die Arme, auf Gottes 
Hilfe vertrauend. In G@ kann man beobachten, was auch ſonſt nach 
weisbar ill, daß die Worte eines Liedes, als etwas außerliches, treuer 
im Gedächtnijje des Volkes haften, als der Sinn. Aeltere Ausdrüce 
und Reimpaare werden beibehalten, jelbjt wenn der Sinn der betreffenden 
Strophe ein anderer wird. In Z und F heikt es: 
Wend ich mich zu der Armen, 
Da gehts, daß Gott erbarme! 
und in @ mit denjelben Worten, aber anderer Bedeutung: 
Und wag ich's mit der Armen, 
So wird fich Gott erbarmen; 
Gott ernährt manchen Bogel in der Yuft 
Sr wird uns auch ernähren. 


A. Hauffen, Das Bolkslied von den zwei Gefpielen. 33 


Am fürzejten — die Geſchichte von den zwei Geſpielen 
ein Lied aus dem Berner Oberland 47 (Tobler, Schweizeriſche Volks— 
lieder 2, 187; Erks Viederhort Ir. 704). Es hat neum: zweizeilige 
Strophen, mit einem ‚gar nicht dazu pafjenden, wahrjcheinlich nebjt 
der Melodie von einem fremden Yiede herübergenommenen Kehrreim 
(„Hoff man zue, laß numme ga“). In dieſer Schweizer Faſſung, m 
der auch noch einzelne Verſe wörtlich mit 4 übereinſtimmen, wägt der 
Jüngling die Vor- und Nachteile der beiden. Mädchen ab: die Arme 
iſt hübſch und fein, fie kann wacker jpinnen, hingegen: 


Die Nichi ißt keis Haberbrot 
Und geit nit gern a d'Sunne. 


Sie ift aljo verwöhnt und brächte ihm in dev Wirtfchaft wenig Nutzen. 
Diejes Motiv, die Vorzüge der Armen und die Fehler der 
Reichen gegeneinander abzuwägen, mag wohl in mehreren verloren:ge- 
gangenen Faſſungen unjeres Yiedes ausgeführt eo jein.’ Breiter 
ausgejponnen finden wir es in dem: Gottſcheer Liede I (Hauffen, Die 
deutjche Sprachinjel Gottjchee Ir. 115), das von A volljtändig ab— 
weicht, mit 4 abgejehen von dem ſchon erwähnten ‚gleichen: Eingang 
mehrfach zuſammentrifft. Nach I ift die Arme gewöhnt ii. der heißen 
Sonne zu jäten, Hirſebrot zu eſſen, Wafjer zu trinken; die reiche 
hingegen: im fühlen Schatten zu vajten, feines Weizenbrot zu ejjen 
und Wein zu trinken. Und während in den übrigen. Yiedern der 
Jüngling mm die Bermutung ausjpricht, daß ex mit der: Armen 
glücklich leben würde, , und daß ihm die Weiche das Gut raſch ver- 
thun wide (A—C), wird in J der Verjuch mit dem evwarteten Er— 
folge wirklich durchgeführt. Der Yüngling heiratet die Arme, lebt 
mit ihr glücklich fieben Jahre; nach ihrem Tode heiratet er die Neiche, 
und dieſe verpraßt ihm Alles in einem Jahre.!) : 
Hiemit hätte ich eigentlich meine Aufgabe erfüllt, wenn mich 
nicht Euphorions Wahljpruch beftimmte, höher. aufzufteigen und weiter 
auszujchauen und auch andere Gruppen von Bolfsliedein: zu betrachten, 
die unjer Motiv von der Armen und der Neichen mit Kuuder Ten- 
denz behandeln. Da wäre zunächſt das Yied von der armen Braut, 
das in Schwaben (Meier, a. a. D. 349 f.) und mit einigen Kürzungen 
im Elſaß (Mündel, Elſäſſiſche Volkslieder Nr. 11) in neuerer Zeit 
aufgezeichnet wurde. Ein Bauernjohn hat einem armen Mädchen, das 
er liebt, die Ehe verſprochen. Inzwiſchen trifft ev ein reiches Mäd— 


Dieſe Wendung bejchließt auch ein fteirifches Lied anderen Inhalts 
(Schloſſar, Deutiche Wolfstieder aus Steiermark Nr. 299). Eim Mann, froh 
über den Tod jeiner alten Frau, heiratet eine Junge, Doch dieſe vertrinkt alle 
Erſparniſſe der Alten. 

Euphorion II. 3 


34 N. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielen. 


chen, das er des Geldes wegen lieber hätte. Die Reiche gibt ihm 
den böjen Nat, die arme Braut zu vergiften. Der Bauernjohn läßt 
fich überreden, vergiftet und vergräbt jeine Braut; doch der Mord bleibt 
nicht verjchwiegen; und fommt (das wird als jelbjtverjtändlich nicht 
ausdrüclich gejagt) vor den Richter. Das Lied jchliegt mit dem 
Seufzer des Mörders: 


Berflucht jei alles Geld und Gut, 
Das in der Welt florirn (regirn) thut, 
Hätt' ich meine Arme behalten ! 


Biel verbreiteter ift das Lied vom Genügjamen, das in älterer 
Form aus dev Mitte des 18. Jahrhunderts belegt iſt (Erks Yieder- 
hort Nr. 554b) und das heute am Niederrhein, im Elſaß, in Franken, 
Schlefien, Schwaben, in der Schweiz und anderwärts fajt gleich- 
lautend gejungen wird.!) Einem Jüngling vaten der Water (oder 
die Mutter), ex jolle fich eine veiche Braut wählen, die brav Silber 
und Gold habe. Doch der Genügjame will lieber in der größten 
Armut leben, als jein unbegütertes Schägchen verlajjen. An ihrer 
Seite jei er jeelenvergnügt, Neichtum bringe feine Ehre, Armut feine 
Schande. Mit einer frommen Wendung jchließt dieſes anjpruchsloje 
Liedchen. Verwandt damit find zwei Yieder aus dem Yahnkreife vom 
treuen Yiebhaber (Erks Yiederhort Nr. 447f und 447e). Seine Eltern 
(oder Freunde) wünjchen, daß er eine Weiche. freie, die viel Silber 
und Gold habe. Er. aber verfichert jeiner Geliebten, daß er nad 
Neichtum und Geld nichts frage, ev nehme fie, weil fie ihm gefalle. 

Nur zum Teil in unferen Zufammenhang gehört das jcherzhafte 
Yied von den Ehejtandsbedenfen. in Junggeſell beſchließt ledig zu 
bleiben, weil ihm fein Mädchen, wie er meint, die Gewähr dauernden 
Glückes bietet. Wählt ev eine Schöne, jo wird fie ihm untreu, wählt 
er eine Junge, jo will ſie nur Vergnügen haben und fümmert fich 
nicht um die Wirtjchaft, vor einer Alten oder Häßlichen graut ihm, 
nimmt er eine Arme, jo fehlt es bald an dem Nötigften und: 


rei ich mir dann ein’ Neiche, 

Gleich wie ich gerne thät, 

Die möcht fich viel wumftreichen, [Sie ift nicht meines Gleichen] 
Was fie für Gelder hätt. [Sie hat 'nen ftolzen Mut.) 

So hieß es Tag und Wacht: 

„Hab’ dich zum Mann gemacht, 


) Simrod Nr. 167; Mündel Nr. 92; Ditfurth, Fränkiſche Volkslieder 2, 
Mr. 94; Hoffmann, Schlefifche Volkslieder Nr. 156; Meier 104; Tobler 1, 136; 
Erfs Liederhort Wr. 555. 


A. Hauffen, Das Bolfslied von den zwei Gefpielen. 35 


Du Lumpenhund, du Prahler, 
Du haft feinen halben Thaler 
Zu mir ins Haus gebracht!“ 


Diefes Lied muß bei Hageftolzen jehr beliebt jein, denn es 
wird noch heute in verjchiedenen längeren oder kürzeren Verſionen in 
Preußen, Schlejien, den ganzen Rhein entlang, im Elſaß und in 
Gottſchee gejungen.!) 

Für ich allein jteht ein ſächſiſches Yied, (Mittler Nr. 771), 
worin ein Süngling einem hübjchen, armen Mädchen jagt, er wide 
fie nehmen, wenn fie nur ein bischen veicher wäre. Sie fertigt ihn 
fräftig ab. Es jei ein Yafter nach großem Gut zu freien, nur mit 
jeines Gleichen lebe man glücklich, 


„Freit ihr nach einer reichen, 
So jeid ihr doch nur Knecht.“ 


Berührt wird unfer Thema wiederholt in anderen Liedern ver- 
jchiedenen Inhalts. In einem thüringijchen Liede (Erks Liederhort 
Nr. 521) droht das verlaffene arme Mädchen dem treulojen Geliebten, 
daß auch jeine veiche Braut arm werden könne; mit der Reichen fünne 
es ihm noch ergehen, „daß Gott erbarm.“ Im einem jchlefifchen Yiede 
(Erf Nr. 565) klagt ein Mädchen, daß die Freier auf Geld jtatt auf 
Tugend jehen, umd ein Abjchiedslied aus dem 16. Jahrhundert (Erf 
Nr. 495) betont, daß man 


Reichtum und auch Schöne 
Adelig und Frumm 


jelten bei einander finde. ?) 

Auch die Schnaderhüpfeln, die in ihrer zugejpigten Form Lebens— 
wahrheiten eindrücklich und urwüchſig vortragen, haben jich mit diejen 
Motiv von der armen und hübjchen, der reichen und unſchönen Braut 
gerne bejchäftigt. Weit und breit befannt find die nachjtehenden Vier- 
zeiler aus Wejtböhmen?) und aus Oberfärnten:?) 

1) Erks Liederhort Nr. 864; Hoffmann, a. a. DO. Wr. 95 und 184; 
Zurmüblen, Niederrheinifche Voltslieder Nr. 86; Mündel Nr. 231 f.; Hauffen, 
Nr. 116 u. a. 

?) Hiebei erinnere ich mich eines Wites in den „Fliegenden Blättern“ 
mit der Ueberſchrift Macht der Gewohnheit: A. „Sehn Sie mal die Dame 
drüben, die befommt eine halbe Million zur Mitgift.“ B. „Nicht möglich, die 
it doch wunderſchön!“ 

3) Hruſchka und Toiſcher, Deutſche Volkslieder aus Böhmen, S. 286 
Nr. 127a. Parallelen dazu ſind verzeichnet ©. 516. 

) Pogatſchnigg und Hermann, Deutſche Volkslieder aus Kärnten, 1, Nr. 312 
und Hruſchka a. a. DO. Nr. 127b, 

3* 


36 A. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gejpielent. 


Man Schagerl is hübjch, und Das Diendl iS chen, 


Dmwa reich is jie neat. Aber reich iS es nit. 
Was ho ih van Neichtum, Was mußt mi das Geld, 
S' Gold ſchmatz ih neat. Dan Geld jchlaft ma nit. 


Wiederholt verjichern die jingenden Burjchen, daß fie ihr Mädchen 
troß ihrer Armut gerne nehmen werden. 
Du Schagerl du flans, und Mir is nix um'n Neichtum, 


Haft a Haus oder fans, Dir is nix um's Gel. 
Haft a Geld oder net, Und a liebs feins Herzel, 
Laſſen thue i di net. Is miv’s Liebſte af der Welt. ') 


Dei einer Neichen hat die Sache meist irgend einen Hafen. 3. B. 
S Dirndl friegt a Heivatsguet, und Wenn d' Houfeiſ'n jchlecht jan, 


Dos war mir jchon vecht, Dan günga d' Pferd frumm; 
ur nit fropfet wenns war, Die reihen Maidla jan ja 
Daß ih's heiraten möcht! ?) 5 majt allajam dumm. ?) 


© Dirndl is ſakriſch ſtolz 
Mit ihrem Geld, 

Wenn ihr glei im Köpferl 
Der Spiritus fehlt.*) 

Aus allen diefen Beijpielen geht es hervor, daß das deutjche 
Volfslied für das arme Mädchen Partei ergreift und gegen das veiche 
Mädchen nachdrüdlich Stellung nimmt. Die Arme wird als jchon, 
ehrenreich, brav, fleißig, jparjam bezeichnet. Sie it dazu auserjehen 
den Mann zu beglücten und jeiner Wirtjchaft Segen zu bringen. Die 
Reiche hingegen ijt weder jchön, noch brav. Sie ift verwöhnt und 
verjchwenderijch, zänfijch und Lieblos, dumm, für die Wirtjchaft unbrauch— 
bay, je hält ihren Mann immer ihr Geld vor und erniedrigt ihn zum 
Knecht, ja in dev zweiten Gruppe der bejprochenen Yieder ift jie jogar 
eine Giftmiſcherin. Immer wird es ferner in den Yiedern betont, daß 
der Jüngling die Arme aus Yiebe heiratet, daß er bereit iſt ihret- 
halben auf äußeres Glück zu verzichten, während es als jelbjtver- 
jtändlich gilt, daß man die Neiche mur des Geldes wegen, nur auf 
Wunfch der Eltern, niemals aus Yiebe nimmt. 

Dieje einjeitige Auffafjung ift ſehr auffällig, läßt fich aber aus 
den gejellichaftlichen Zuſtänden unjeres Yandvolfes erklären. Denn 

) Pogatſchnigg a. a. DO. Nr. 809 und 313, vgl. das oben erwähnte 
Lied, Erf Nr. 447 f. und Erf Wer. 666 und 713», 

2) Hrujchfa a. a. O. ©. 288, Nr. 145. 

>, Ebenda, ©. 307, Nr. 318. 

*, Ebenda, ©. 306, Wer. 316, 


A. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielen. Bu 


in bäuerlichen Streifen jpielen ja durchwegs die vorgeführten Yieder. 
Auf dem Yande gibt es Yiebesehen nur unter den Befiglojen.!) Der 
Stnecht wählt jich eine Magd, die ihm gefällt, ev geht mit ihr einen 
innigeren Bund ein und heiratet, jobald es ihm die äußeren Verhält- 
nifje gejtatten. In den Streifen der bejigenden Bauern aber fennt 
man nur Stonvenienz- das heißt Geldheiraten, die vorerst ohne Vor— 
wifjen der Kinder von den beiderjeitigen Eltern bejchloffen werden. 
Die Stinder befolgen zumeift den Wunſch der Eltern ; jeltener verweigern 
fie den Gehorjam, dann fommt es zu jenen in Dorferzählungen und 
Volksſtücken Hundertfach behandelten tragischen Stonfliften. Da es üblich 
ift, daß der Erbe eines Bauernhofes ein dem Bermögen nach möglicht 
ebenbürtiges Mädchen aus derjelben oder einer Nachbargemeinde heiratet, 
jo ift die Zahl der für ihn überhaupt in Betracht fommenden Mädchen 
meijt noch bejchranfter, als für den Erben einer Krone. Es iſt aljo 
nur Zufall, wenn ev gerade eine von den. wenigen „Möglichen“ Lieben 
würde. Darum fam es und fommt es bei den bäuerlichen Befigern 
thatjächlich jehr jelten vor, daß ein reiches Mädchen aus Liebe geheiratet 
wird. In der Regel hat ſogar deren Bräutigam vor der Verlobung 
ein anderes nicht ebenbürtiges Mädchen geliebt, das er dann dem Willen 
der Eltern und ſeinem eigenen Standesſtolz aufopfert. Aus dieſen 
Erwägungen erſcheint es begreiflich, daß die Volkslieder, die als echte 
Poeſie immer für die Rechte des Herzens eintreten und die in 
demokratiſch geſinnten Kreiſen entſtanden ſind, das arme Mädchen über 
das reiche erheben und dem reichen Mädchen allgemein Untugenden 
zuſchreiben, die ihm nur in einzelnen Fällen wirklich zukommen. 
Dieſen kleinen Ausſchnitt könnte man leicht abrunden, und es 
wäre eine hübſche Aufgabe, aus unſeren alten und neuen Volksliedern 
ein Kulturbild des bäuerlichen Lebens zu zeichnen. Bolte hat in ſeiner 
Sammlung: „Der Bauer im deutſchen Liede“ einen verdienſtlichen 
Anfang dazu gemacht. Er hat aber in den mitgeteilten Texten, jo 
wie in dem angehängten überaus reichhaltigen Verzeichnis zumeift nur 
jene Yieder zujammengeftellt, in denen der Bauernjtand ausdrücklich 
mit Namen genannt ift. Doch jchildert darüber hinaus die Mehrheit 
unferer Iyrifchen VBolfslieder ländliche Berhältnijje, und ſie müßten 
alle zu dem bezeichneten Zweck herangezogen werden. Aus einer 
jolchen fulturgejchichtlichen Arbeit würde man auch erjehen, wie fon 
jervativ unfer Yandvolf ift und wie nicht nur jeine Yieder, ſondern 








) Eine andere Art des Gegenſatzes (moran hier erinnert werden kann) 
iſt eg, De jene Minneſänger, die im Tone der volkstümlichen Lyrik dichten, 
ſich von den vornehmen Damen ab und den Mädchen des niederen Standes, 
armen wiben, zuwenden. Vgl. u. a. F. Arnold Mayer, Die Mondſee-Wiener 
Liederhandfchrift und der Mönch von Salzburg 1, 151. 


38 A. Hauffen, Das Volkslied von den zwei Gefpielen. 


auch feine, in den Yiedern angedeuteten der Wirklichkeit entjprechenden 
gejellichaftlichen Zuſtände jeit Jahrhunderten ich faſt ganz gleich 
geblieben find. 


Anhangsweife möchte ich einige Bemerkungen zu dem Terte A des Yiedes 
bon den zwei Gefpielen machen. In dem (Ambrafer) Liederbuch ift es im ver— 
derbter Geftalt aufgezeichnet, weswegen alle neueren Herausgeber: Uhland (Volks— 
lieder Nr. 115 A), Goedefe-Tittmann (Liederbuch, 89, Ver. 86), Böhme (Alt 
deutfches Liederbuh Nr. 41), Liliencron (Deutiches Leben im Bolfslied Nr. 88) 
und Erk-Böhme (Liederhort Nr. 7Ob) fich genötigt fahen einen neuen Text her- 
zuftellen. In der Quelle beginnt das Lied mit dem Vers: „ES giengen fich aus 
zwo gefpiele“. Daraus machen alle Herausgeber „ES giengen zw» gejpielen gut“. 
Das Schlußwort „gut“ bildet den Reim zu „Mut“ im 3. Vers und erweift 
jeine Berechtigung durch die niederländifchen Verſionen; doch fehlt er in den 
jpäteren deutſchen Liedern, denm den Bolfsfängern lag ja gar nichts daran ein 
Reimwort zu gewinnen oder beizubehalten. „Sich“ haben nur Goedeke-Tittmann 
bewahrt. Sicher ift es alt berechtigt. Jakob Grimm hat in der Grammatik 4, 36 
mehrere altdeutiche Beifpiele für diefe uns fremde Verwendung des Reflerivums 
zufammengetvagen: „ev kam ſich, hieß ſich, ſprach ſich.“ Im deutjchen Wörter- 
buch 3, 1138 iſt die Vermutung ausgeſprochen, daß aus dem „ſich“ durch Ver— 
kürzung in ſſ' und falſche Auflöſung dieſes Füllſel das Fürwort „es“ ent— 
ſtanden ſei, das gerade in unſeren Volksliedern ſo häufig als nichtsſagendes 
Flickwort ſteht: „ALS wenn es der Sommer angeht. Ein freier Reiter iſt 
er’s genannt. Mein Herz ift mir es betrübet.” Es ift wohl eine Beftätigung 
diefer Anficht, daß in einer jüngeren (Schweizer) Faſſung 77 unferes Liedes, 
gerade an der Stelle des älteren „fich“ ein „es“ eingetreten ift: „Es fin es 
mal zwo Gipiele gfin.“ 

Die Strophen 2—7 haben alle Herausgeber im mejentlihen unverändert 
beibehalten. Die Frage an die Freundin in der zweiten Strophe 

Ei traureft du umb deins Vaters Gut, 
Oder traureft du umb dein Ehre? 


findet fih wörtlich auch in anderen Volksliedern, jo in den Liedern vom Gretlein, 
bom Brautmörder, von Stolz Sieburg u. a.!) In den Vers 7, 3 haben nad 
Uhlands Vorgang die meiften Herausgeber augenſcheinlich aus metriichen Gründen 
ein „noir“ eingefchoben: „Wir zwei wir find no jung und ftarf.“ Notwendig 
war diefer Einſchub nicht, denn wenn wir nad A lefen: „Wir zwei find noch 
jung und ftark,“ fo fehlt eben eine Senfung zmwifchen zwei Hebungen, was dem 
Bolfslied ganz gemäß ift. Die anderen Faffungen weichen an diefer Stelle von 
A ab, doch feines fett zweimal „wir“. 

B „Dan zijn wi twee noch ionc ende fterd.“ 

E „ix find alle beid’ hübſch jung und ſtark.“ 

F „Wir beide find noch jung und ſtark.“ 
Die 8. und 9. Strophe der Vorlage haben Uhland und Liliencron mweggelaffen. 
Sie find aus dem Liede Abendgang (Uhland Nr. 90 A 10) übernommen worden 
und paffen hier gar nicht in den Zuſammenhang hinein. Die übrigen Heraus- 
geber haben die 8. Strophe (nachdem fie die überlieferten 3 Verſe, was jehr 
leicht war, in 4 zerdehnt haben) beibehalten. Sch glaube jedoch, daß Uhland mit 


1) Des Knaben Wunderhorn (herausgegeben von Birlinger und Erecelius) 1, 43. Erf 
Nr. 41d. Alg. 42f., ähnlich Alb,c. 42b—d. 67c.d, j 


©. Szamatölsti, Fauft in Erfurt. 39 


der Streihung der 8. Strophe auch Recht hatte, dem die Wendung: „Er nahm 
fie an der Hand und führte fie in den Wald“ ift in Volksliedern zwar häufig, 
aber nur dort, wo es fih um eine Entführung mit böfer Abficht handelt (Vgl. 
Hauffen, Gottichee, S. 152), was in unferem Liede gar nicht der Fall ift. In 
der 10. Strophe gibt der Füngling dem Mädchen einen Ring und ſchwört ihr 
Trene. Darauf folgt die 11. und letste Strophe: 

Sie gab jm wieder ein frenzelein, 

Bon gold, dabey er jr gedenden folt, 

Ich hab euch lieb im hertzen mein, 

Bon euch mwil ich nicht ſcheiden. 

Der Wortlaut ift augenjcheinlich verderbt. Uhland hat die Strophe ganz 
geftrichen, was nicht zu billigen ift, dem die Gegengabe des Mädchens bildet einen 
hübſchen Abſchluß und es ift ja noch heute durchwegs volfstümlicher Braud, daß 
fi Yiebespaare bei Verlobungen gegenfeitig bejchenfen. „Bon gold“ gehört in 
den erſten Vers, jchwerlih an den Schluß, meil die Volkslieder Neimpaare in 
vierzeiligen Strophen lieber vermeiden. Sehr hübfch haben Goedeke-Tittmann 
diefe Strophe hergeftellt: 

Sie gab im von gold ein Fvenzelein, 

Daß er ir folt gedenten: 

Ich hab euch lieb im Herzen mein, 

Bon euch mil ich nicht wenken. 
Die übrigen Herausgeber find Goedefe-Tittmann gefolgt, nur Erf jetst für „von 
gold“ „wieder“ ein umd meint? „es war doh nur ein Blumenkranz.“ Man 
muß ihm nicht Necht geben, denn Kränze von Gold werden in Bolfsliedern 
häufig erwähnt (Erks Liederhort Nr. 453, 458, 490 u. a.), als Geſchenke zwifchen 
Liebenden und als Ehrenfränze der Jungfrauen. 


Fauſt in Erfurt, 


Bon Siegfried Szamatolsfi.!) 





Alle Probleme, welche die Lliterarhiftorifche Forſchung in unferen 
mittelaltexlichen Volksepen gefunden und zu ihrer Lieblingsaufgabe 
erwählt hat, werden auch von dem bedeutendften unſerer jüngeren 
Bolfsbücher geboten. Es ift aber noch nicht lange her, daß Die 
Forſchung fich diefen Fragen zugewandt hat und bemüht ift, mit den 
Mitteln philologifchev Scheidefunft zu den Elementen vorzudringen, 
aus deren Mifchung fich jenes wunderſame literarifche Produkt kryſtalli— 
fiert hat, das wir das ältefte Fauftbuch nennen. Und doch bietet fich 





) Wehmütig übergebe ich diefe Studie des am 14. Auguft 1894 in 
München verftorbenen Freundes dem Drud. Es ift ein am 23. Januar 1890 
in der Berliner Gefellfchaft für deutfche Literatur gehaltener Vortrag (vgl. Deutjche 
Piteraturzeitung 1890 Nr. 7), den Szamatolsfi veiflih nahprüfen und erweitern 
wollte. Die Hauptergebniffe ſcheinen mir gefichert zu fein; dod um nur eines 


40 ©. Szamatölsti, Fauft in Erfurt. 


gerade hier wie jonft bei feinem Wolfsepos oder Volfsbuch eine Fülle 
von Material für folche Unterfuchungen. Die gewaltige Maffe der 
erhaltenen gleichzeitigen Yiteratur gewährt uns Stügpunfte genug, um 
Schritt fir Schritt der Entwiclung. dev Sage vom Hiftorischen Fauft 
bis zum mythiſchen nach zu gehen. Zudem liegt uns im älteſten 
Fauftbuch vor, was wir von andern Sagendichtungen vergebens zu 
befigen winnjchen: die erſte literariſche Zufammenfafjung. In ihr jind 
noch alle die Fugen eines Nohbaues wahrzunehmen, die ext die jpätere 
Entwicklung der Sage zu glätten und verdeden. vermag. So läßt 
jich deutlich verfolgen, inwieweit die Sage auf hiſtoriſcher Grundlage 
ruht, inwieweit Einflüffe anderer Sagenfreife gewirft haben, inwieweit 
(itevarifche Entlehnung jtattfindet, inwieweit der Verfaſſer des erjten 
Fauſtbuches die Sage gemodelt hat. Können auch die Probleme por— 
läufig nicht alle mit Sicherheit entjchieden werden, weil das Material 
teilweife noch aufgejucht werden muß, jo bejigen wir doch überall 
Unterlage genug, um wenigjtens zu einer jicheren Fragſtellung zu 
gelangen, die uns davor bewahrt, auf der Wildbahn luftiger Einfälle 
zu ſchweifen 

Im Gegenſatz zu einer älteren Behauptung, die eine unverkenn 
bare Aehnlichkeit mit gewiſſen Konſtruktionen auf dem Gebiet des 
mittelalterlichen Volksepos aufweiſt, will die folgende Unterſuchung 
die Löſung eines der wichtigſten und intereſſanteſten Probleme der 





zu berühren, die übrigen Teile der Hogelſchen Chronik mußten ſtiliſtiſch und 
grammatijch, im Zufammenhang mit Wambahs Nachlaß, unterfucht werden. 
Ob die im Fauſtbuch ge Schilderung der Homeriſchen Schatten einen 
Einfluß des Hans Sachs oder Wierus u. a. erfahren hat? Daß Szamatolsfi 
diefe Motive genauer zu entwideln vorhatte, lehrt eine ihm von F. Schnorr 
v. ‚ Carolsfeld beforgte Abfchrift aus Bütners Epitome historiarum Bl. 115: 
„So habe ich auch gehöret, das Fauftus zu Wittenbergf, den Studenten ud 
einem hohen Mann N. habe Hectorem, Vlyffem, Herculem, Aeneam, Samſon, 
Dauid, vnd andere gezeiget, Die denn mit graufamer geperde, vnd ernithafften 
angeficht herfür gangen, vnd follen (welches Luth. nicht gelobet) dazumal auch 
Fürſtliche Perſonen dabey geſeſſen, vnd zugeſehen haben“ (Bl. 59 „Zu Halberſtad, 
iſt mir recht, jo war es Fauſtus, vnd ſprach: Nach dem eſſen wolan waſchet 
die hende, zu Lübeck wollen wir ſie treugen“). Milchſacks bedeutſamer Wolfen⸗ 
bütteler Fund, den ich durch ſeine Güte ſchon länger kenne, berührt Szama— 
tölkis Studie nur von fern und bloß die allgemeinen Vorausfetzungen über den 
Urſprung der Hiſtoria von 1587. Den Redaktor der Erfurter Capitel würde 
ich freundlicher beurteilen. Nachträglich bemerke ich, daß A, Pick — 
die Stellen aus der Hogelſchen Chronik am Schwer zuügänglichem Orte mit— 
geteilt hat, doch ohne die Verzweigung der Berichte zu unterſuchen Fauit in 
Erfurt. PVortrag gehalten im Verein für Gefchichte und Altertumsfunde von 
Erfurt am 17. November 1893. Erfurter Echo, Beilage zur Thüringer Zeitung 
1893 Nr. 30—32, 1894 Nr. 1—3). Ich erfuhr das zufällig im Goethes 
Schiller⸗Archiv und erhielt dann von dem Verfaſſer, der ee verfahren 
ift, ein Exemplar, — - FErih Schmidt,“ 


©. Szamatölsti, Fauft in Erfitrt. 41 


alten Fauſtgeſchichte vorbereiten, indem jie dem Urſprung der Erfurter 
Kapitel auf dem Wege philologijch- hiftorischer Kritik —— 

Georg Ellinger hat in einem Aufſatz über die Quellen des 
Fauſtbuches von 1587 (Beitjchrift für vergleichende eiteratungejchichte 
ind Nenaifjanceliteratur. Neue Folge. 1,156 ff.), der im übrigen 
einen bedeutenden Fortjchritt auf dem zulebt bezeichneten Wege bedeutet, 
die Annahme vertreten, daß zur Zeit der Entjtehung des älteften Fauſt— 
buches eine den Fauſt tvealifterende Tradition ihre literarijche Faſſung 
gefunden Habe; uns erhalten in gewiljen Bruchjtücen, die in die 
gedruckten Hiſtorien geraten jeien: in die Ausgabe von 1587 mur 
zwei fleine Trümmer, die beiden viel berufenen Stellen von den 
Titanen und den Adlersflügeln, in die Ausgabe von 1589 außerdem 
eine umfanglichere Nuinengruppe, die Erfurter Stapitel. Es kann fich 
hier nicht um eine Kritik der allgemeinen Grundlage dieſer Behauptung 
handeln, die mit ihrer theoretifchen Konſtruktion einer den Fauſt ivdenli- 
jievenden und einer ihn niederdrüchenden Tradition dem vielgejtaltigen 
Leben der Sage Gewalt anthut; auch nicht um eine Erörterung der 
Ummahrjcheinlichfeit, daß die eine Tradition aus der anderen zu ver- 
Ichtedenen Zeiten gejchöpft habe, ebenjo wenig um eine Ausjcheidung 
der beiden Gleichnisftellen, deren Bedeutung ich bereits früher durch, 
fiterarhiftorifche Vergleichung feſtgeſtellt habe (Bierteljahrichrift für 
Literaturgeſchichte 1, 181 ff.); vielmehr um eine Betrachtung der Gründe, 
die Ellinger für jeine Hupothefe bezüglich der Erfurter Stapitel anführt: 

Daß diefe fünf Gefchichten das Bruchſtück einer größeren, die ganze 
Sejchichte Faufts umfaffenden, Darftellung find, beweift meiner Anficht 
nach nicht allein die Eunftmäßige, die Hand eines einzigen Verfafjers 
verratende Behandlung, der innere Zuſammenhang der einzelnen Ge- 
jchichten, jundern geht auch aus der Thatjache hervor, daß der inhalt 
einer Erzählung des Fauftbuches von 1587 auch zum Gegenjtande 
eines Stapitels der Erfurter Ueberlieferung gemacht worden ift. Es 
handelt fich um die Warnung Fauſts.“ Gegen dieje Beweisführung: 
ift einzuwenden, daß aus dem einheitlichen Stil der Erfurter Kapitel 
durchaus nichts weiter als ein gemeinfamer Berfaffer eben diejer fünf 
Geſchichten exfchloffen werden fann; und die zulegt angeführte That- 
jache jpricht ſogar geradezu gegen Ellingers Satz, da ſie fich micht 
erklären. läßt, wenn man bei dem Redaktor von 1589 freie Auswahl 
aus einer Gejamtüberlieferung vorausjeßt, jondern allein dadurch, daß 
man die volljtändige Uebernahme einer durch Ortseinheit gejchloffenen, 
für fich beftehenden Gruppe annimmt. Mus einer jolchen aber fann 
man ebenfo wenig auf eine ejamtüberlieferung jchliegen wie aus 
irgend einem einzelnen Kapitel, 3. B. dem Yeipziger. 

Da wir uns nicht mit diefer negativen Kritif der älteren Hypotheſe 


42 S. Szamatölsti, Fauft in Erfurt. 


begnügen, jondern über dieje hinaus zu einer neuen vorjchreiten wollen 
und zwar auf dem Wege philologijch - Hiftorijcher Unterjfuchung, jo ift 
als Grundlage eine Analyje dev Erfurter Kapitel faum zu entbehren. 
Die beiden erjten Kapitel verjegen uns in die afademijchen Kreiſe 
Erfurts: Fauſt lieft an der Univerjitäat über Homer und erweckt in 
den Studenten die Sehnjucht nach den Helden des Altertums. Er 
befriedigt jie durch eine Geiſterbeſchwörung und ſchreckt fie zugleich von 
ferneren Wünfchen ab, indem er ihnen mit dem Polyphem gewaltige 
Angſt einjagt. Sodann erjcheint Fauſt bei einer Promotionsfeierlichkeit, 
als man über die verlorenen Komödien des Terenz und Plautus jpricht. 
Er erbietet jich, diefe auf einige Zeit zum Zweck einer Abfjchrift hexbei- 
zujchaffen, wird aber von den anmwejenden Theologen und Ratsmitgliedern 
abgewiejen, weil jie Zeufelsfünfte befürchten. Die beiden nächjten 
Kapitel führen in die Streife des Erfurter Stadtadels. In dem Haufe 
zum „Encker“ (Anker) in der Schlöfjfergajje feiert ein Stadtjunfer ein 
Gelage. Ein Gaſt wünſcht Fauſt herbei, der ich gerade in Prag 
beim Kaiſer befindet. Da erjcheint diejer plötzlich und führt der 
GSejellichaft das Zauberftücchen vor, dem wir noch bei Goethe begegnen: 
er zapft Wein aus dem Tijch. Noch in derjelben Nacht bejteigt ex 
das Pferd, das ihn hergebracht und fich inzwijchen teuflifch gefräßig 
erwiejen hat, veitet die Schlöffergaffe hinauf, um dann plöglich durch 
die Yuft in der Richtung auf Prag zu entjchwinden. Nach feiner 
Rückkehr erhält die Gejelljchaft aus dem Anker eine inladung zu 
Sauft, findet jedoch bei ihm feine Vorbereitungen zum Feſt. In ihrer 
Gegenwart jpielt ſich nun die Scene ab, die an bedeutfamerer Stelle 
in die Volfsjchaufpiele überging und ähnlich noch bei Leſſing erjcheint; 
Fauſt citiert verjchiedene teuflifche Diener und läßt fich von jedem 
jeine Schnelligkeit bezeichnen: wie der Pfeil, wie dev Wind, wie die 
Gedanken der Menjchen.!) Während der leBte, vajchefte Geift die 
Aufträge zum Gaftmahl empfängt, wird der Wein dadurch herbei- 
geichafft, daß Fauft die leeren Becher zur Füllung vor das enter 
ftellt. Eine wunderbare Mufif beftreitet die Unterhaltung. Das lebte 
Kapitel enthält den Dialog zwijchen Fauft und dem Barfüßermönch 
Dr. Klinge, der ihn unter Hinweis auf Buße und Meffe zur Umfehr 
überreden will. Fauſt aber antwortet: Meß hin, Meß her! Er wolle 
dem Teufel jein Wort nicht brechen, weil diefer ihm das feine gehalten 
habe. Da verflucht der Mönch Fauſt und erwirkt gegen ihn bei 
Rektor und Nat einen Ausweilungsbefehl. 

Für dieſe Kapitel vermute ich nun auf Grund der folgenden 
Unterfuchung als Quelle nicht eine fabuloje Gefamtüberlieferung, jondern 





1) Bol. Euphorion 1, 47. E. S. 


©. Szamatölsfi, Fauft in Erfurt. 43 


ein ganz bejtimmtes literarijches Erzeugnis, das jedoch nicht vorgelegt 
werden fann, da es zur Zeit leider verjchollen ift. Das Ergebnis 
meiner Unterfuchung, das nicht nur Ellingers Schlüffe, jondern auch, 
wie jich jpäter zeigen wird, Die Forſchung über den hiſtoriſchen Fauſt 
angeht, ſtützt ſich alſo weder auf luftige Geſpinſte noch auf die wohl⸗ 
feile Beweiskraft einer einfachen Quellenentdeckung, ſondern auf ein 
ſtrenges Indizienverfahren, deſſen letzte Beſtätigung oder Verwerfung 
freilich erſt die Auffindung des von mir zu bezeichnenden Werkes 
ergeben könnte. 

Wie mir eine Hypotheſe die Anregung zur Unterſuchung lieh, 
jo gab eine andere den Fingerzeig für meinen neuen Weg. In einem 
jener wüſten Sammelwerfe, deren die Gelehrtengejchichte des vorigen 
Jahrhunderts viele aufzuweiſen hat, in der „Erfordia literata“ des 
Juſt Ehrijtoph Motſchman n |3. Fortſetzung 1735 ©. 372: Kloſter 
5, 486] findet jich eine Biographie des Dr. Stlinge, deren größeren 
Teil die volljtändige Grzählung dev erwähnten Begegnung mit Fauſt 
und mehr oder weniger ausführliche Auszüge der vier übrigen Geſchichten 
einnehmen. Als feine Quelle bezeichnet Motſchmann „ein altes 
Chronicon“. Die fajt mwörtliche Uebereinftimmung der erjtgenannten 
Gejchichte mit dem betreffenden Kapitel des Fauftbuches erhebt die 
Bermutung über jeden Yweifel, daß zwijchen diefem und dem Chronifon 
ein engjtes verwandtjchaftliches Verhältnis bejtehen muß, und die Frage 
nach der Art diejes Berhältnijjes hat denn auch bereits mehrfach die 
Forſchung bejchäftigt. Emil Sommer jtellte die Bermutung auf, daß 
Motjchmanns „altes Chronicon“ das Fauſtbuch jelbjt oder ein Werf 
mit Auszügen daraus jei. Hier hatte es nun Dünger leicht, einen 
Irrtum nachzumeijen: deun Motjchmann teilt aus demjelben Chronifon 
Ereignifje der Stadtgejchichte mit; und um Auszüge fann es ſich auch 
nicht handeln, da er mwenigftens das eine Stapitel, das ihn Dr. Klinges 
wegen intereffierte, vollftandig bietet. Dünger nahm  jeinerjeits an, 
daß Motſchmann wirklich für ſeine Mitteilungen aus den Erfurter 
Kapiteln eine Chronik benutzt habe, und Kam nun weiter zu der Frage: 
in welchem Berhältnis fteht das Chronifon zum Fauſtbuch? Dünger 
entjchied jich dafür, das Chronifon habe aus dem Fauftbuch entlehnt, 
denn die Gejchichten jeien mehr legendariich als chronifaliich. Dieſe 
recht jchmwächliche Bemweisführung erfuhr feinen Cinjpruch, bis vor 
furzem Ernſt Raligan in feiner Histoire de la leEgende de Faust 
[1885 ©. 8 vgl. 180] der Düntzerſchen Anficht fühl entgegnete, fie 
jei haltlos, da die Ehronifen gerade jolche Geſchichten liebten; und 
dem läßt ich hinzufügen: der bejte Beweis hierfür ift eben die Chromif, 
die aus dem Fauftbuch abgejchrieben haben jol. Die Bedeutung diejer 
Streitfrage für Ellingers Sätze ift leicht exfichtlich: wird fie zu Gunſten 


44 S. Szamatölski, Fauft in Erfurt. 


der Priorität der Chronik entjchieden, jo iſt Die Hypotheſe auch auf 
dieſem Wege zerſtört. Die erſte Vorbedingung für ein begründetes 
Urteil, die von den bisherigen Forſchern übrigens vernachläſſigt worden 
iſt, beſteht natürlich darin, die fragliche Chronik zur Stelle zu ſchaffen. 
Das treffliche Werk von Karl Herrmann, Bibliotheca Erfurtina,!) 
ſowie auch eine zufällige Erwähnung P. Caſſels Erfurter Bilder und 
Brauche 1859] erleichterten mir die Aufgabe, Motſchmanns Zeugen 
zu identifizieren: es iſt M. Zacharias Hogel II in ſeiner handſchrift— 
lichen „Chronica von Thüringen und der Stadt Erffurth“. Faligan 
bemerti ſehr richtig, daß die Frage zu ſeinen Gunſten beantwortet ſei, 
ſobald ſich herausſtelle, die von Motſchmann benutzte Chronik ſei älter 
als das Fauſtbuch. Dies iſt nun nicht der Fall: Hogels Chronik iſt 
erſt um die Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts entſtanden. Sind 
wir alſo in eine Sackgaſſe geraten, und die gewöhnliche Meinung 
hätte Recht, ſich Düntzer anzuſchließen? Durchaus nicht! Man muß 
ſich nur don der Vorſtellung losſagen, daß Fauſtbuch und Chronik im 
Verhältnis von Vater und Kind ſtehen. Ihre Aehnlichkeit wird ebenſo 
befriedigend dadurch erklärt, daß man ſie als Geſchwiſter anſieht; und 
daß dieſe Annahme richtig iſt, ſucht der folgende Indizienbeweis zu 
bekräftigen, der zugleich den leider verſchollenen Vater genau bezeichnet. 

Eine kritiſche Vergleichung der beiden Faſſungen ergibt inmitten 
der allgemeinen Uebereinſtimmung beträchtliche Unterſchiede, die jcharf 
in zwei Klaſſen gejchieven werden können: die hiſtoriſchen und Die 
novelliftifchen. Für die Verwendung der erjteren innerhalb des In— 
dizienbeweijes iſt folgender allgemeine Gefichtspunft maßgebend gemejen: 
befigen wir von einer Sage zwei verfchiedene Fafjungen, von denen 
die eine etwa zwei, die andere etwa vier Menjchenalter von den zu 
Grunde liegenden Hiftorifchen Ereigniſſen entfernt ift, und finden wir 
nun, daß die zweite Faſſung dieſe hiſtoriſchen Verhältniſſe reiner dar- 
jtellt al3 die erjte, jo müſſen wir zunächſt von einer Herleitung der 
jüngeren aus der älteren Abjtand nehmen und für beide eine Urquelle 
juchen, die in der älteren Faſſung umgegofjen, in der jüngeren dagegen 
treu bewahrt worden it. Dieje allgemeine Borausjegung unterliegt 
natürlich der Prüfung im einzelnen. 

Betrachten wir zunächſt die hiftorifchen Berfchiedenheiten. Man 

') 1863 ©. 123—125. Danach ſtammte Hogel (1611—1677), Paftor an 
der Auguftinerfiche und Gymnaſialdirektor, ein ftreitbarer Proteftant, aus einer 
alten Erfurter Familie. Seine Chronik, ſoweit ſie erhalten iſt, bricht mit dem 
Jahre 1627 ab. Sie iſt zuerſt 1822 von Erhard (Herrmann ©. 24) unterſucht 
worden, der aud der Benutzung durch Motſchmann gedenft ebenda ©. 124). Die 


Handf hrift ging 1774 durch ein Vermächtnis des Herrn von Gerftenberg in 
die Bibliothek des evangelifchen Minifterium zu Erfurt über (©. 48). E. S, 


©. Szamatolsti, Fauſt in Erfurt. 45 


ift durchaus berechtigt, an die Erfurter Stapitel diefen Maßjtab an- 
zulegen, denn, wie längjt fejtiteht und weiterhin bekräftigt werden fann, 
es gibt feinen andern Abjchnitt im ganzen Fauſtbuch, der jo wie diejer 
mit hiftorischen Elementen gejättigt wäre. Sat doch Erich Schmidt, 
als er vor Ellinger und Scherer die ‚höhere Sphäre unferer Kapitel 
pries, im Hinblick auf helle Yofalfarben den Verfaſſer einfach als den 
„Erfurter“ bezeichnet. Der berühmte Humanift Mutianus Rufus ver 
brieft, daß Fauft wirklich und zwar Ende September 1513] in Er— 
furt war und allgemeine Aufmerkſamkeit erregte. Man hat erhärtet, 
daß die Ortsangaben im Gegenjage zu den übrigen Teilen des Fauſt— 
buches der Wirklichkeit entſprechen. Mit Hilfe der Erfurter Häuſer— 
chronik ſvon B. Hartung 1861 ©. 190 F.] läßt ſich ſogar feſtſtellen, 
was die Forſchung bisher überſehen hat, daß das Haus zum „Encker“ 
wirklich zu jener Zeit einem „Sundern“ gehörte, nämlich dem Junker 
Wolfgang von Denſtett. Ferner hat Eric) Schmidt gezeigt, wie eigen 
die wiljenschaftlichen Beftrebungen, an denen wir Fauft hier beteiligt 
jehen, der Erfurter Poetenuniverjität find. Auch ift die Anwejenheit 
von Natsmitgliedern bei der Promotionsfeier ein Charakteriſtikum 
diefer bürgerlichen Hochjchule.t) Dr. Klinge vagt als hiſtoriſche Per— 
jönlichfeit hervor, und an der Hand jeiner eigenen Schriften mag man 
jic) davon überzeugen, wie völlig die Nolle, die er im Fauſtbuch jpielt, 
jeinem wuchtigen Weſen entjpricht. Ja, es ift gewiß fein Zufall, daß 
ev die Meſſe jo betont: vornehmlich wegen des großen Mepjtreites 
mit Juſtus Menius verzeichnet die Kirchengeſchichte Klinges Namen. 

Hogel unterjcheidet ich an zwei Stellen von dem Fauftbuch, 
und an beiden ſteht ex den hiſtoriſchen Berhältnifjen näher als das 
Fauſtbuch. 

Der erſte Fall findet ſich in der Einleitung zum letzten Kapitel, 
dem Bekehrungsverſuch des Dr. Klinge. Nachdem geſagt worden iſt, 
daß man allmählich Furcht bekommen habe, Fauſt könne die Jugend 
ernſtlich verderben, heißt es: 

Hiſtoria: „war von etlichen verſtendigen ein berhümpter Bar— 
füſſer Mönch, Doctor Klinge genandt, welcher auch mit Doctor Luther 
vnd D. Yangen wol befand war, angeſprochen, weil jhme Fauſtus 
auch bekandt, er ſolte bverſuchen, ob et jn erretten fünnte.“ 

) Motſchmann ©. 18 überliefert uns den Bericht über eine theologiſche 
Wromotion, deren Formen, was den bier interejfierenden Verlauf angeht, gewiß 
denen der philoſophiſchen Fakultät entſprechen: „im Rückweg geſchieht die Promotion 
in voriger Ordnung, außer daß nunmehr der Rektor Staamineng und atvei 
Deputati von dem Stadtrate (als welche während der erften ration des 
Promotoris eingebolet werden) dabey find“; ferner wird durch Ermähmmg der 


Präfenzgelder die Anweſenheit dev Mitglieder der andern Fakultäten bei ae 
theologiichen Attus, aljo gewiß vice versa, als offiziell beglaubigt; — E 


46 S. Szamatölsti, Fauſt in Erfurt. 


Dagegen Hogel: „Nun fich denn der Zauberer zum under 
im Ender, jo ein Bapift war, hielte. Als ward Anleitung gegebeit, 
daß Sich doch der benachbarte Mönch Dr. Klinge an ihm verjuchen 
möchte, ob er jhn . . . befehren möchte.“ 

Bergleichen wir nun beide Stellen mit der hiſtoriſchen Wirflich- 
feit. Zunächſt die Faſſung bei Hogel. Fauſt hielt ſich zu einem 
Erfurter Junker, „der ein Papiſt war“: eine Angabe, die jich nicht 
im Fauftbuch findet, aber vollfommen dem Thatbeſtand entjpricht. 
Die bei Hogel oft erwähnte Familie von Denjtett war jo jtreng 
fatholijch, daß fie jogar die Wiederlafjung der Jeſuiten in Erfurt be- 
fürderte. Hieraus wird ganz vichtig motiviert, daß Dr. Klinge als 
der Helfer in der Not erjcheinen muß; denn ex iſt der Beichtvater 
und Gewiſſensrat des fatholifch gebliebenen Stadtadels thatjächlich 
gewejen. Und jelbjt ein jo umbedeutender Nebenumfjtand wie der, 
daß Klinge den Denſtetts „benachbart“ war, ift, wie man fich auf 
der Starte von Erfurt überzeugen kann, biftorisch richtig. Man fieht 
aljo bei Hogel eine hiſtoriſch und logisch feſt gejchloffene Darjtellung. 
ie anders im Fauſtbuch! Als Motiv die billige Angabe, Klinge 
und Fauſt jeien von früher bekannt gewejen. Statt des charafterifti- 
ichen „benachbart”“ ein nichtsjagendes „berhümpt“, das der Nedaftor 
jofort jelbjt in ein jeltfames Yicht vüct, wenn ex von Klinge, dem 
unentwegten Derteidiger des Statholizismus in Erfurt, einem der 
ichärfften Feinde Yuthers und des Yuthertums in Deutjchland über- 
haupt, nichts anderes anzugeben weiß, als er jei mit D. Yuther und 
jeinem berühmten Erfurter Genofjen, der Erfurt für die Reformation 
gewann, mit D. Yange „wol befandt“ gewejen. Es ift für uns 
gleichgiltig, ob ſich vielleicht noch einmal perjünliche Beziehungen zwifchen 
Klinge einerſeits und Yuther und Yange andrerjeits herausitellen. Bis 
jet wijjen wir nur, daß jie einander konfeſſionelle Todfeindichaft ent- 
gegenbrachten. Ein wunderlicher Ausdrud, das als „qute Befannt- 
jchaft“ zu bezeichnen. Und was foll diefe Erwähnung hiev überhaupt ? 

Alles läßt jich jehr leicht erklären, wenn wir uns erinnern, wie 
jtarfen Einfluß veligiöfe Tendenz bei dem Anonymus von 1587 und 
jpäter bei Widmann 1599 auf die Darftellung der urjprünglichen Sage 
geübt hat. Religiöſe Tendenz hat ficherlich auch dem Anonymus von 
1539 die Hand geführt zur Entftellung der urjprünglichen Fafjung. 
Wie alles Böje in der Fauftjage dem Slatholizismus allmählich zu- 
gejchoben wird jeitens theologijcher Bearbeiter, jo alles Gute dem 
Protejtantismus. Wenn aljo der Nedaftor von 1589 in jeiner Vor— 
lage den Befehrungsverjuch Klinges findet, jo jucht er dieſe ihm ex- 
freuliche That für den Protejtantismus zu vetten, indem ex Stlinge 
in Beziehungen zu Yuther und Yange rüdt. Für das jechzehnte Jahr- 


©. Szamatolsfi, Fauft in Erfurt. 47 


Hundert ift es ja auch nichts Ungewöhnliches, daß Mönche zur anti- 
mönchifchen Partei jtehen. Dann mußte der Nedaftor natürlich die 
Motivierung durch den Katholizismus des Junkers fallen lafjen. Und 
bei einem Manne, der mit Erfurter Berhältnijjen jo wenig vertraut 
ift, um Klinges Perſönlichkeit in das trübfte Yicht zu rücken, ift es 
auch ganz natürlich, daß er den charafteriftiichen Zuſatz „benachbart“ 
nicht verjteht und durch ein nichtsjagendes Wort erjegt. 

Hogel hat alſo ſeine Vorlage bewahrt, das Fauſtbuch ſie entſtellt. 
Das iſt meine Auffaſſung dieſer auffälligen Verſchiedenheit. In privater 
Beſprechung habe ich nun hiergegen einen Widerſpruch erfahren, der 
bald wieder zurückgezogen wurde, aber doch von andrer Seite wieder 
ins Feld geführt werden könnte. Diejer Einwand war folgender: 
allerdings fünne die autochthone Erfurter Sage nicht jo gelautet haben 
wie im Fauſtbuch; allerdings biete Hogel die Faſſung, wie jie nach 
gejchichtlichen und jagengejchichtlichen Erwägungen urjprünglich gelautet 
haben müjje. Aber das jei nicht dadurch zu erklären, daß Hogel eine 
ältere Faſſung, als es das Fauſtbuch iſt, benugt habe, jondern Hogel 
habe als Erfurter Ehronift auf Grund jeiner hiſtoriſchen Stenntnifje 
die Gejchichte wieder auf ihren urjprünglichen Stand gebracht. Kine 
etwas fünftliche Annahme! Doch das würde nichts bedeuten. Künſt— 
liche Annahmen jind zumeilen die richtigjten. Aber hier wird Die 
Annahme durch innere Gründe zu Falle gebracht, die in der Sache 
jelbft liegen. Kann man Hogel jolche Aenderungen jeiner Vorlage 
überhaupt zutvauen? Wenn man jeine eigene Dandjchrift vornimmt, 
wird man dieſe Frage jtrift verneinen müſſen. Es find in Ddiejer 
Handjchrift nämlich mehrere Korrekturen vorhanden, von Hogels eigener 
Hand wie der Text. Und das Nefultat fajt aller dieſer Korrekturen 
ift, daß ein Text hergestellt wird, der genau mit dem Fauſtbuch d. h. 
der gemeinfamen Vorlage übereinftimmt. in Mann, der „was iſt's“ 
durch „was wolt jhr,“ „gefrejjen“ durch „verjchluct“ Forrigiert, der 
jo pedantijch jeiner Vorlage folgt, wird ſich nicht an andrer Stelle 
große Veränderungen erlauben. Diejelbe Borlage, in der Hogel „was 
wolt jhr“ und „verſchluckt“ fand, enthielt auch den Paſſus über Klinge, 
wie ihn Dogel giebt. Aber auch wenn dieſer entjcheidende Dinderungs- 
grund nicht entgegenjtände, ift jene Annahme einer hiftorischen Korrektur 
jeitens Hogels ganz unwahrſcheinlich. Selbjt wenn wir annehmen, 
daß er hiſtoriſche Kritik auf das Fauſtbuch anwandte, iſt es unwahr— 
ſcheinlich, daß er ſo ſtillſchweigend in einen ſonſt treu übernommenen 
Text ſeine tiefgehenden Umänderungen eingeſchoben hätte. Dem wider 
ſprechen auch alle Analogiefälle. Man denke etwa an die bekannte 
Kritik eines Lercheimer. Und endlich, wie hätte es Hogel einfallen 
jollen, einen jo unbedeutenden Nebenumftand wie das „benachbart,“ 


48 S. Szamatölsti, Fauſt in Erfurt. 


das wohl dem erſten Erzähler einfließen fanıt, plöglich nun einzuflicfen ? 
Daß diefe umgekehrte Erklärungsart auch die verkehrte ift, wird ferner 
dadurch bewiejen, daß fie fich nicht Fonjequent durchführen laßt bei 
dem jeßt zu bejprechenden zweiten Fall hiftorijcher Unterjchiede. 

In dem dritten Erfinter Kapitel heißt es: „zu Braga beym 
Keyſer“ [die legten Worte fehlen bei Widmann]; dafür bei Dogel: 
„gen Prag in Böhmen“. 

Am Anfang des vierten Stapitels: „Als nun D. Fauftus von 
Prag wider anheim fomen, vnd von den Dfterreichiichen Herren und 
andern Fürſten und Graffen, jo ans Römiſchen Keyſers Hoffe, damals 
fich verhielten, viel herrlich gejchene mit jich bracht hatte“ ; dafür bei 
Hogel: „Nach etlichen Wochen fomt ev wider von Prag gen Erffurt 
mit herrlichen ihm dort verehrten presenten“. 

Der Unterjchied der Dogeljchen Faſſung von der des Fauſtbuchs 
bejteht darin, daß in beiden Fällen die Erwähnung des Kaiſers fehlt. 
Die triviale Erklärung, Hogel habe die Stelle überjehen, wäre jelbjt 
dann unmöglich, wenn Hogels pedantische Treue nicht exwiejen wäre. 
Die wahre Erklärung iſt wiederum nur durch hiſtoriſche Erwägungen 
zu finden. Dean beachte, daß Prag erſt 1558 Nefidenz des vömijchen 
Kaiſers wurde oder eigentlich jogar erſt 1576, denn Ferdinand I. und 
Maximilian 11. weilten als Kaiſer vecht flüchtig in Prag. Erſt 
Nudolf II. machte Prag zur dauernden faijerlichen Reſidenz. Segen 
wir nun die gemeinfame Quelle von Hogel und vom Fauftbuch, jene 
Chronik X, etwa in das dritte Viertel des Jahrhunderts, jo jehen wir 
ganz klar, weshalb dieſer Chronift nicht davan dachte, Fauſt zum 
Kaiſer nach Prag gehen zu laſſen. Einfach, weil es feinen Kaiſer 
in Prag gab. Dagegen mußte ſich dem Redaktor von 1589 ganz 
naturgemäß mit dem Namen Prag die Idee der Reſidenz des Kaiſers 
verbinden — und welches Kaiſers: Nudolfs II., des Aftronomen, 
Aftrologen und Alchymiften! Aus dem einfachen Bejuch, von dem 
jeine Vorlage berichtete, wurde ihm ganz jelbjtverjtandlich ein Bejuch 
bei dem der Magie ergebenen Kaiſer. 

Hören wir nun wieder den Verteidiger der umgefehrten Anficht: 
Hogel habe das Fauftbuch hiſtoriſch korrigiert. Hogel habe, da er die 
Sauftgejchichten unter dem Jahre 1550 berichtet, einjehen müfjen, daß 
damals noch fein römiſcher Kaiſer im Prag gejejlen habe, und ihn 
jomit aus dem Text geftrichen. Dagegen ift wieder und wieder Die 
TIhatjache anzuführen, daß Hogel viel zu pedantijch jeiner Vorlage 
(ich meine damit die Chronik X, der Gegner kann jich das Fauſtbuch 
denfen) folgt, um jolche Streicyungen vorzunehmen. Und das auch 
noch jo jtillfchweigend, ohne die polternde Kritik analoger Fälle. 

Der wichtigjte. Einwand gegen dieje Argumentation iſt die beveits 


©. Szamatolsti, Fauſt in Erfurt. 49 


angedeutete Inkonſequenz. Im vorigen Falle, da Hogel es jo Leicht 
hatte, jich mit einer einfachen Streichung zu begnügen, joll ex jtatt des 
Unfinns, den er entfernte, ein anderes hiſtoriſches Stück eingeflickt 
und außerdem noch einen ganz unbedeutenden Nebenumſtand hinein- 
getüftelt haben, hier aber jollte er einen unhiftorifchen Umstand, trogdem 
er in der Vorlage auf das jtärffte Herausgearbeitet iſt, einfach fallen 
lafjen, während doch gerade hier für den hiſtoriſch-grübelnden Stopf, 
der Hogel nach der faljchen Annahme ift, eine ganz leichte Korrektur 
jich bot: ex brauchte nur jtatt Kaiſer König zu jeßen; jeit 1531 jaß 
in Prag der römische König Ferdinand I. Will man aljo die gegen 
Hogels Charakter verjtogende Annahme einmal machen, daß er ein 
mit philologijcher Afribie ausgerüfteter Nejtaurator des alten Sagen- 
bildes gewejen jei, dann müßte man wenigjtens fonjequent verfahren 
fünnen. So aber fünnen jolche Einwände die auf anderem Wege 
wahrjcheinlich gemachte Behauptung nicht erſchüttern, daß Hogel und 
das Fauftbuch auf eine gemeinjame ältere Quelle zurücgehen. 

Hierfür Spricht auch ein Grund, der jchon Dinger veranlapt 
hat, in einer Anmerfung jeine eigene Meinung anzuzweifeln. In der 
Einleitung zum erjten Erfurter Kapitel im Fauſtbuch heißt es: „wie 
noch etliche Berjfonen beim leben, die jn wol gefandt, jolche Ebentewr 
von jhm gejehen, auch mit jm gejjen und getrunden haben.“ Selbſt 
wenn wir annehmen, daß Fauſt nach dem „jahre 1513 noch einmal 
in Erfurt geweilt habe, iſt es nicht vecht zu glauben, daß die Angabe 
für das Jahr 1559 noch wahr gewejen jei. Man kann vielmehr 
Dünger darin beiftimmen, daß ſich dieje Angabe aus einer Notiz einer 
älteren handjchriftlichen Borlage eingejchlichen haben muß. Dieje Worte 
mußte Dogel, wenn er auch ſonſt jeine Vorlage auf das genauejte 
bewahrte, fortlaffen: daß im ‘Jahre 1650 ein Bekannter Fauſts noc) 
am Leben, fonnte ex beim bejten Willen, jeiner Borlage treu zu jein, 
nicht behaupten. 

Hiermit find die hijtorischen Indizien aus den Unterjchieden der 
beiden Fafjungen erjchöpft. Wir wenden uns num zu den Unterjchieden, 
die ich die technifch-novelliftifchen nannte. Wir können und müſſen 
diefe im ganzen abmachen. Nur einige Beijpiele jeien angeführt. 
Ueberall zeigt jich das Fauſtbuch veicher als Hogel: wenn Fauſt fragt, 
welchen Wein man. haben wolle, heißt es im Fauſtbuch: jemand 
antwortete „lachend,“ fie jeien alle gut. Wenn Fauſt jich durch die 
Bitten der Gäfte zweimal zur Verlängerung feines Aufenthalts bewegen 
läßt, macht ex jedesmal einen Sinoten. Wenn er dann das Haus 
verläßt, wird erwähnt, daß man ihm jein Pferd vorzieht. Wenn er 
dann ſelbſt feine Gefellfchaft gibt, heißt es: um ſich zu befreunden 
und um zu danfen. Wenn der legte Teufel erſcheint, heißt es: „Tab 

Euphorion II. 4 


50 ©. Szamatolsti, Fauſt in Erfurt. 


er gar jawer ins Feld.” Wenn Fauſt mit Klinge disputiert, heißt es: 
hörte er mit Fleiß zu, bis dev Mönch geendet hatte und jagte dann. 

Yauter kleine Züge, die entbehrlich find. Es erhebt jich nun 
die Frage: ift es möglich, daß Hogel all das nur fortgelafjen Hat, oder 
hat das Fauſtbuch Zufäge zur urjprünglichen Faſſung gemacht? Man 
fünnte hier jagen, der Chronitjtil habe eine Zujammenziehung und 
Auslafjung erfordert, Dogel habe alles Entbehrliche ausgejchieden. 
Dagegen ift zu erwidern, daß Hogel, wie bewiejen, jeine Borlage 
genau wiedergeben will und viel nebenjächlichere Umſtände als die eben 
erwähnten anführt. Es ijt vielmehr anzunehmen, daß das Fauftbuch 
Erweiterungen einer gemeinfamen Vorlage vorgenommen hat. Hierfür 
jpricht noch bejonders, daß wenigjtens zwei Stellen, die das Fauſtbuch 
vor Hogel voraus hat, unmöglich in der urjprünglichen Sage gejtanden 
haben können: in den Abjchnitten vom HYauberpferd und die von den 
verlorenen vömijchen Komödien.) Aber nicht nur deshalb ift der Weg 
von der knapperen zur veicheren novelliftiichen Darjtellung wahrjcheinlich, 
weil das Fauſtbuch nachweislich fich Zujäße erlaubt, jondern auch durch 
die Analogie der weiteren Entwicklung bei Widmann und Pfißer. 
Stets erfährt das Novellijtiiche Berjtärfung. So wird jpäter 3. B. der 
Yuftritt auf der Rückreiſe damit motiviert: die Stadtthore jeien noch 
verjchlofjen gewejen; oder wenn der Diener Fauſt auf der Straße am 
Abend erkennt: es war Mondjchein . . 

Hieran fünnen wir endlich einige jprachliche Erörterungen jchließen. 

Erinnern wir ums, daß nach allem bisher Gejagten Hogel eine 
Quelle aus der Mitte des 16. Jahrhunderts benußt haben muß, daß 
ex jelbjt in dev Mitte des 17. jchrieb, endlich daß er fich pedantijch 
genau jeiner Vorlage anſchloß, jo wird man jehen, daß auch Die 
jprachliche Gejtalt der Hogeljchen Darjtellung für einen Indizienbeweis 
in Betracht fommt. Man wird fragen müfjen: kann die Gejchichte, 
wie jie bei Hogel jteht, formal auch dem 16. Jahrhundert angehören? 
Und ferner, finden fich bei Hogel Formen, die durchaus für das 16. 
entjcheiden? Die erjte Frage ift nicht nur von mir, jondern auch 








) Szamatolsti meint die bei Hogel fehlende, bei Widmann (Klofter 2, 514; 
vgl. Pfiter ©. 302) auf die erften ſechs Worte reduzierte Stelle (Braune ©. 135 u.): 
„Es war aber ſein Geift Mephortophiles, der, wie oben gejagt, fi zu weilen in 
ein Pferd mit Flügeln, wie der Poeten Pegajus verwandelte, wenn Fauftus 
eilends verreifen wollte”, womit auf die viel profaifcheren Worte des erſten Anonymus 
zu Anfang des 26. Kapitels zurückverwieſen wird: „Derhalben fih M. zu einem 
Pferde verfehret und veränderte, doch hatt er flügel wie ein Dromedari.“ 
Den Fauftbüchern eigentümlich ift auch das Knotenknüpfen (Braune ©. 136). 
Szamatolsfi meint ferner die pedantifche, mit einem Verweis auf Aufonius u. ſ. w. 
ausgeftattete Einleitung des Promotionsfapitels (Braune ©. 132), das Widmann 
und Pfiger übergangen haben; doch fennt Pfizer die alte Ausgabe. — E. S, 


©. Szamatolsti, Fauft in Erfurt. 51 


einem der bedeutendjten Kenner unſerer Sprachgefchichte bejaht worden. 
Für die zweite Frage fommt noch die Einſchränkung hinzu, daß Die 
bezeichneten Stellen nicht im Fauſtbuch jtehen dürfen, da jonjt immer 
noch Einfluß von diefem geltend gemacht werden könnte. 

Zwei jolche Stellen kann ich aufzeigen. Die erjte iſt eben 
jene, die ich jchon aus hiſtoriſchen Gründen auf eine ältere Quelle 
zurücführte: „Nun fich denn der Zauberer zum under im Ender, 
der ein Papiſt war, hielte. Als ward Anleitung gegeben“ u. j. w. 
Hier it die Interpunktion Hogels von großer Wichtigkeit. Er ſetzt 
hinter „hielte“ (aljo am Ende des Nebenjages) einen Punkt, und 
beginnt dann mit großem Buchjtaben einen meuen Sat mit „Als“ 
wie wenn es jich um ein temporales „Als“ handelte. In der That 
aber ijt dies „Als“ Fonjefutiv wie „aljo“ oder unjer „jo.“ Wie 
fommt num Hogel, der jonjt auch in der Interpunktion jeine Genauig- 
feit durch Korrekturen beweiſt, zu diejer ſeltſamen Verwirrung? Schlägt 
man Grimms Wörterbuch auf, jo findet man, daß dieje Verwendung 
von „als“ im Sinne des fonjefutiven „jo“ eine zwar im 16. Jahr— 
hundert gewöhnliche Erjcheinung ift, die jedoch im 17. jchtwindet. 

Die zweite Stelle ift ein einzelnes Wort in der Einleitung. 
Fauſt wird genannt: „verzweifelter hellebrandt.“ In dieſem Kompoſitum 
ift der erſte Beftandteil auffallend. Schlägt man wiederum den Grimm 
auf, jo findet man: im 16. Jahrhundert faſt durchaus „helle,“ aber 
bei Fiſchart jchon vorwiegend „hölle“ ; im 17. dagegen verliert ſich 
„helle“ ganz. Aber mehr noch als der Vokal jpricht für das 16. Jahr— 
hundert die Endung. Aus ihr fann man einen entjcheidenden Schluß 
auf den Urjprung im 16. Jahrhundert ziehen. Die Deklination iſt 
mhd. ftarf; im 16. wird fie vorwiegend ſchwach. Yuther hat „aljo 
nur noch teilweiſe „hellebrant,“ meift aber ſchon „hellenbrant“ u. |. a. 
Sm 17. Jahrhundert ift „hellebrant“ ohne direkten Einfluß einer 
alten Vorlage unmöglich. 

So zwingt mich denn eine ganze Kette von Indizien zu dem 
Urteil: Hogel und das Fauſtbuch haben eine gemeinjame ältere Vor— 
lage, eine Chronif aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Sollte ich 
aber ein jo bejtimmtes Werk nicht finden lafjen? Die rechten Zeugen, 
die wir zu vernehmen haben, jind natürlich die beiden Kinder des 
gefuchten Baters: Hogels Chronik und das Fauftbuch. Das Fauſtbuch 
gibt, wie man weiß, feinerlei Auskunft. Und auch Hogel nicht in 
unmittelbavem Bezug auf jeine Erzählung vom Fauſt. Wenn wir 
aber die umliegenden Jahre nach Quellenhinweifen durchjehen, jo finden 
wir eine Spur, der wir nachgehen müſſen. Unter dem jahr 1556 
lefen wir die Worte: „Wolf Wambach, aus dejjen Kontinuierung 
der Erfintifchen Chronifen bißher manches erzehlet worden“ und unter 

4* 


52 S. Szamatolsti, Fauſt in Erfurt. 


dem Jahr 1542: „Diejer (Pfarrer zur Regularn Georg Ingweiler) 
hatte einen Schwager, nahmens Wolf Wambach, der war ein achtfnecht, 
befam exjtgedachten verjtorbenen Pfarrers (Kilian Reichmann) Teutſche 
Erfurtiſche Chronikam, und continuierte ſie fleißig.“ Alſo eine Chronik 
von 1542—1556, die Hogel nach eigenem Geſtändnis für den Zeit— 
vaum benußt hat, innerhalb dejjen er die Fauſtgeſchichte erzählt. Anlaß 
genug, auf diefe Chronif als Quelle der Faujtfapitel zu fahnden. 
Doch vergeblich! An der Hand der trefflichen Arbeit von Herrmann !) 
gelangen wir zu der betrübenden Erkenntnis, daß Die Neichmann- 
Wambachjche Chronik verjchollen ift. 

Ueber diefen Verluft müſſen wir um jo mehr klagen, als eine 
ganze Neihe neuer Indizien unjere Bermutung bejtätigt, daß Wambach 
der Gewährsmann für Hogel und das Fauftbuch war. Wir bejigen 
ein chroniftiiches Wert Wambachs aus der Zeit, da er noch nicht an 
der Fortjeßung des Neichmann arbeitete. Und dies zeichnet jich nach 
dem kundigen Urteil von Herrmann dadurch aus, daß es von poetijchen 
Vorfällen berichtet, die feine andere Chronik fennt. Das jtimmt voll- 
fommen dazu, daß die Fauftgejchichten von feiner anderen Chronif des 
16. Jahrhunderts gemeldet werden. Sehen wir num dieje Aufzeich- 
nungen einmal durch, jo finden wir in den jonjt ziemlich abgerijjenen 
Kotizen als längſte Gefchichte die Erzählung von den Gejtändnifjen 
eines Mannes, der fich dem Teufel verjchrieben Hatte. In ganz 
unchroniftiicher Weile — wie Dünger jagen würde — laßt er den 
Dann erzählen; dem Teufel habe die rote Zunge herausgehangen 
wie einem lechzenden Hunde, und Augen habe er gehabt wie ein paar 
Käſenäpfe. Was liegt näher, als daß derjelbe Wambach ähnliche 
Gejchichten auch in fein zweites Werk aufnahm, jobald er jolche hörte. 

Und wir fünnen mit ziemlicher Sicherheit bejtimmen, nicht nur 
daß — jondern auch wann und von wen Wambach die Yauftgefchichten 
vernahm. 

Jene Notiz bei Hogel, die Wambachs Kontinwierung anführt, 
erwahnt Wambach in amtlicher Ihätigfeit: am Mittwoch nach Yaetare 
1556 reiſt Wambach als Achtfnecht des Nates von Erfurt in gericht- 








) Herrmann gedenft ©. 142 eines Convolutes erhaltener Aufzeichnungen 
SB ambachs, ftellt, die zwei Belegſtellen Hogels anführend, den Verluft des 
Originals der „contimmierten“ Chronik feft, vermutet aber in unklaren Ausdrüden, 
daß Die Alain: einer anderen auf uns gefommen fei. Von Wambach erzählt 
Herrmann, daß er „1507 wahrſcheinlich zu Groß-Rudeſtedt geboren, in jeiner 
Jugend verjchiedene Schulen, in Groß-Rudeſtedt, Sala: und Halle, beiuchte, 
ſodann Knecht (Diener) in Erfurt wurde, von dem Knechte eines Dieners zu den 
Neglern 1524 jelbjt zum Kirchner an diefer Kirche vorrüdte und jpäter einer der 
Achtfnechte (Nats- und Gerichtsdiener) der Stadt Erfurt wurde.“ ©. 379 Iehrt, 
daß die Familie Denftädt 1700 ausjtarb, — E. S. 


S. Szamatölski, Fauft in Erfurt, 55; 


lichen Angelegenheiten nach Schmalfalden in Begleitung eines Mannes, 
der als höherer Beauftragter des Nates hingeht, als ehemaliger Kirchner 
und Natsmeifter ; und diefer Mann heit — Junker Georg von Denſtett. 

Es läßt ich leider nicht feititellen, in welchem Verwandtſchafts— 
verhältnis diefer Georg zu Wolfgang von Denftett jteht. Aber es ift 
nach genauen Prüfungen jehr wohl möglich, daß ex mit jenem Georg 
von Denftett identijch ift, der 1510 mit Wolfgang zufammen am 
Aufruhr ſich beteiligte, fliehen mußte, wieder heimfehrte und mit 
Wolfgang zujammen die ganze Stufenleiter jtädtifcher Ehren durchlief. 
Georg don Denftett war ficher in der Gejellichaft des Wolfgang von 
Denjtett umd gehörte jicher zu den Yeuten, die mit Fauſt zuſammen 
jpeiften und zechten. Die Thatjache, daß drei von den Erfurter 
GSejchichten im reife der Denftetts jpielen, jtimmt vorzüglich dazu, 
daß es ein Denjtett wäre, der die Gejchichten jeinem Unterfollegen im 
Nate, dem Chroniften Wambach erzählte. 

Und weiter! Läßt man in der Chronik von Hogel den Blic 
von der Notiz über die Reiſe Denftetts und Wambachs auf die andere 
Seite hinübergleiten, jo findet man dort folgende Notiz: „Dr. Kunrad 
Klinge der Münch jtarb heuer“ oder genau am en nach Deuli 
1556, d. h. genau acht Tage vor der erwähnten Reiſe.) Das war 
der aftuelle Anlaß für Junker Denftetts Mitteilungen aus jeiner 
Familiengeſchichte. 

Und bei dem Tode Dr. Klinges, unter dem Jahre 1556 muß 
Wambach auch die Fauſtiana aufgezeichnet haben als Ereigniſſe, die 
vor „etlichen Jahren“ geſchehen ſeien. Sp kam Hogel, der von 
Fauſts Lebenslauf nichts wußte, dazu, bei der chronologiſchen Ein— 
ordnung dieſer Geſchichten ſie nach Gutdünken nun bis zur nächſten 
runden Zahl, d. h. 1550, zurückzuſchieben. Er ſagt anfangs: „Ferner 
mag es auch wol um dieſ Zeit und Jahre geſchehen ſein“, und am 
Schub: „doch mag jich diejes mit jolchem Zäuberer in dieſem Jahre, 





1) „Auch grif Gott der Herr obgedachten verftocten Mönch und Guardian 
im Franziscaner Klofter zu Erfurt D. Klingen mit ſchwerer Krankheit an, daß 
ev fich feines Lebens erwegte. Er fam aber wieder auf, und weil ihm vorbracht 
worden, man bette von ihm in der Stadt ausgefprengt, alß ob ev Lutheriſch 
were morden, jchrieb und publicierte ev deshalben fein Buch Catechismus 
Catholieus genant, und anno 1570 zu Cöln gedruct, und bezeugt ev im der 
Borrede er wolte bey der lehre, die er nu 36 Jahr zu Erfurt gepredigt, bleiben, 
ete. Und diß der Mönch gewefen, der den berufenen D. Fauſten von feinen 
böjen leben ablenden und befehren hat wollen: welcher D. Klinge aber hernach 
anno 1556 am Dienftage nah Oculi geftorben: am welchem Sontage ev noch 
zu umnferer lieben frawen gepredigt hatte, und liegt drumb alda gegen der Cantzel 
über begraben, da man fein Grabichrift ſiehet.“ Diefe Notiz fand fich mit der 
bloßen Bezeihnung „1554* unter Szamatolstis Papieren. Sie ftammt, wie mir 
Herr D. Bärminfel auf eine Anfrage beftätigt, aus Hogels Chronif. E. S 


54 S. Szamatölsti, Fauft in Erfurt. 


oder furk vorher oder hernach bey D. Klingen Yebzeit noch zugetragen 
haben.“ 

ch faſſe die Ergebniffe zufammen: Motjchmann jchreibt Hogel 
aus, die Quelle für Hogel und das Fauftbuch ift die verjchollene 
Erfurter Chronif Wolf Wambachs, Hogel bietet eine urfprünglichere 
Seftalt als das Fauftbuch, die Erfurter Kapitel in Hogels Faſſung 
find, wie jchon Faligan unter Benußung der fragmentarifchen Mit- 
teilungen Motjchmanns gethan, aus der Sage im engern literarifchen 
Sinn auszufcheiden und den Zeugniffen über den hiſtoriſchen Fauſt 
uzumeifen. Damit ift ein alter Wunſch der Fauftforjchung wiljen- 
Ichaftlich efüllt, denn all den halbgejchichtlichen Kunden vom Doftor 
Fauſt fehlte bisher der höhere geiftigere Zug, während nunmehr die 
Erfurter Berichte über Fauſt den Humaniften und Fauſt im troßigen 
Geſpräch mit Klinge eine alte, an den Hiftorijchen Yandfahrer unmittel- 
bar anfnüpfende idealere Auffafjung ergeben. 


Hogels Erzählung. 

„Ferner mag es auch mol umb diefe Zeit [1550] und Jahre gefchehen 
jeyn, was fih zu Erffurt mit dem beruffenen Schwargfünftlev und verzweifelten 
hellebrandt Doctor Fauſten vor ebenthewr fol zugetragen haben. derſelbige, 
wiewol ev zu Wittenberg wohnte, iedoch wie er mit feinem unruhigen geifte ſonſten 
immerdar im dev welt herumb vagirte, alfo fand ev fih auch zu Erffurt bey 
der Universitet ein, mietete bey dem großen Collegio in der nähe ein, erlangte 
mit feinem großjprechen fo viel, dz er fih auf offentlicher cadethra hören dorfte 
laffen, umd den Griechifchen Posten Homerum den Studenten ercklären; und 
inden er hierbey des Königs zu Troja Priami und derer Kriegshelden Hectors, 
Aiar, Ulysien, Agamemnons und mehr anderer zu erwehnen anlaß hatte, befchrieb 
er fie jede wie fie ausgefehen hatten. Wurde gebeten, (wie es denn vorwitzige 
burſche gibt, und was hinter ihm jtad, nicht gar verborgen war,) er wolte es 
durch jeine kunſt dahin bringen, dz fie dümen, und ſich alfo jehen möchten lagen, 
wie er fie ihnen gleichſam vorgemahlt hatte. dz fagte er ihnen zu, beftimte fie 
auf die nechjte zeit ins auditorium, umd fagte, da die ftunde kommen, und ſich 
mehr Studenten, als zuvorn, bey ihm eingeftellet hatten, mitten in feiner leetion, 
nur ietzt folten fie die alten Griechischen helden zu jehen befommen. Flugs rief 
er einen nach dem andern hinein, und trat tet diefer, darnach ein ander, wenn 
jener wieder hinaus war, zu ihnen daher, ſahe fie an, und ſchüttelte feinen Kopf, 
wie wenn ev noch vor Troja im feldt agirte. der letzte unter allen war dev 
Rieſe Polyphemus, der nur ein einig fchredlih groß auge mitten an feiner 
Stirn hatte, trug fih mit einem langen fewerrohten Barte, fraß an einem Kerl, 
und ließ deßen jchendel zum maule herauszoten; jchredte fie mit jeinem anblide, 
dz ihnen allen die haar gen berge ftunden, und wie D. Fauſt ihm hinaus zu 
gehen windte, thäte er, wie wenn ers nicht verftünde, [und] jondern ihrer auch 
ein bohr mit jeinen zähnen anfaßen wolte: ftieß mit feinem großen eifernen 
ſpieß auf den Erdboden, dz ſich dz ganze Collegium davon erjchütterte, und 
machte fich drauf wieder dapan, 


&. Szamatölski, Fauft in Erfurt. 99 


Nicht lange darnach ward eine promotio Magistrorum gehalten, undt 
bey derjelben [dabey angeftelleten prandio]) in beyſeyn derer von der Theologischen 
Facultet und des Rahts Gefandten, von der alten Poöten Plauti und Terentii 
comoedien discurrirt, und geflagt, dz derenfelben jo gar viel vor zeiten ſchon 
verlohren weren worden, derer man fi) doch, wenn man fie haben fönte, mit 
nut bey den Schulen wol brauchen fönte. D. Fauſt hörte zu, hub auch an 
von beiden Poöten zu reden, erzehlte etliche Sprüche, die in ihren verlohrnen 
Comoedien ftehen folten, und erbot fi, wo es ihm ohn gefahr, [feyn], und den 
Herrn Theologen nicht zumieder ſeyn folte, die verlorne Comoedien alle wieder 
an dz liecht zu bringen und vorzulegen auf etliche ftunden lang, da fie von 
etlichen vielen studenten oder ſchreibern geſchwinde müſten abgejchrieben werden, 
wenn man fie haben wolte, und nachfolgends möchte man ihrer mügen, wie man 
wolte. Die Theologen und Rahtsherren aber liegen ihnen ſolchen vorjchlag nicht 
gefallen: denn, jagten fie, der Teufel möchte in jollche newerfundene Comoedien 
allerley ärgerliche fachen mit einfchieben, und man fünte doch ja auch ohn dieſelben 
aus demen, die noch vorhanden weren, gnung qut Yattein lernen. Dorfte alfo 
der Teufelsbanner hierinnen fein meifterjtücd ſehen laßen. 


Sonften pflegte ev fi die Zeit über, weil er zu Erffurt war, viel und 
oft in der Schlüßergaßen zum Ender bey Junder N. aufzuhalten, und 
ihn famt feiner gejelfchaft mit feinen ebenthewren zu beluftigen. Er war aber 
einsmals gen Prag in Böhmen gefahren, und nichts dejtoweniger hette ihn folche 
geſellſchaft, da fie inmittelft daſelbſten beyſammen war, gern bey fich gehabt, der 
wirt mochte gleich jagen, wo er war: umdt vief ihm einer fchertsweife mit nahmen, 
und bat ihn, er wolte fie nicht verlaßen. Indem Flopft eines auf der gaßen 
an die thür. - der Haußfnecht laüft ans fenfter, [und] queft, und fraget, wer 
da ſey. Sihe da fteht D. Fauft vor der thür, helt fein pferd bey der hand, 
wie wenn er erſt abgeftiegen were, und fpricht: kenneſt mich nicht? ich bins, 
den fie jet geruffen haben. der Knecht lauft in die Stube, und fjagts. der 
[Herr] Wirt wils nicht glauben, denn D. Fauſt jey ja zu Prag. Indem pocht 
er noch einmal an die thür. da lauft herr und fnecht wieder ans fenfter, 
jehen ihn, machen auf, und wird er Schön empfangen, und bald zum gäften geführt. 
des Wirts john nimt fein Pferd, fagt, er wolle ihm ſchon futter gnung geben, 
und führts in ftall. D. Fauften fragt der under bald, wie er fo geſchwinde 
wiederfommen jey. Da ift mein Pferd gut dazu, fagt D. Fauſt: meil mich die 
herrn Gäfte jo fehr begehrt, und mir geruffen, hab ich ihnen wilfahren und 
ericheinen wollen, wiewol ich noch vor morgen wieder zu Prag jeyn muß. drauf 
trinden fie ihm einen guten rauſch zu, und, wie er fie fragt, ob fie auch gern 
einen frembden Wein mögen trinden, jagen fie, Ja. Er fragt, ob es Nheinfal, 
Malvafier, Spanifcher oder Frantenmwein fezn folle. Da fpricht einer [corrigiert 
aus: So ſpricht da], Sie find alle gut, Bald fordert er ein börl, macht damit 
in dz Tiſchblat vier Löcher, ftopft fie alle mit pflöcklein zu, nimmt friſche gläfer, 
und zäpft aus dem tifchblatt jenerley Wein hinein, welchen er nennet, und trinckt 
mit ihnen darvon luftig fort. Indeßen läuft der Sohn im Haufe in die jtube; 
jpricht, Here Doctor, ewer Pferd frißt wie wenns toll were: es hat mir jchon 
etliche ſcheffel haber gefreßen] verſchluckt, fteht und ficht ftets, wo ſein mehr jey; 
ih mil ihm doch noch mehr geben, dz es fatt habe. Yaft dz bleiben, jagt der 
Doctor, e3 hat gnung befommen, es fräße euch alle ewer futter vom boden, che 
8 voll würdt. Zur Mitternacht aber thut dz Pferd ein hellen Schrey, dz man 
es durch dz gante hauß hört. Sch muß fort, fagt der Doctor; läft ſich doc) 
halten ein wenig, bis es zum andern, und lett zum drittenmal fchreyet. drauf 
geht er fort, nimt draußen feinen abjchied von ihnen, fett fich aufs Pferd, veitet 
die Schlöffergaffe hinaufwerts. dz Pferd aber ſchwingt fich zuſehens eilends in 


56. S. Szamatölsfi, Fauft in. Erfurt. 


die höhe, und führt ihm durch die luft gen Praga wider zu. Nach etlichen 
Wochen fomt er wider von Prag gen Erfjurt mit herlichen ihm dort verehrten 
presenten, bittet jene Gejelfchaft zu fih bey S. Michael zu gaft. Cie fommen, 
umd ftehen da num in dev Stuben: da ijt aber gar feine Zuſchickung nicht. Er 
aber flopft mit einem meßer an den tiſch. Bald trit einer hinein, und jagt: 
herr, was [ift?] wolt ihr? Er fragt: Wie behende biftu? Jener antwortet: 
Wie ein Pfeil. O nein, jagt D. Fauft, du dienſt miv nicht. gehe wieder, hin, 
wo dur biſt herkommen. Darnach klopft ev aber, und wie ein ander Diener hinein— 
tritt, und fragt gleichfals, Spricht er: wie jchnell biftu denn? Wie der Wind, 
jagt jener. Es ijt wol etwas, jpricht D. Faust, läft ihn aber auch wieder hinaus— 
gehen. Wie ev aber zum drittenmal Hopfte, da trat einer hinein, und jagte, 
als er auch jo gefragt wird, ev were jo geichwinde, als dev Menjchen Gedanden 
weren. da recht, jagte D. Fauft, Du wirjts thun: gieng mit hinaus, befahl ihm, 
wz er thun folte, gieng wieder zu feinen gäften, ließ fie waßer nehmen, und fich 
jeten. Bald brachte der diener jelb dritte, ein ieder drey gededte jchüßeln voll: 
und dz geihah viermal: wurden aljo 36. gerichte oder ſchüßeln aufgetragen, mit 
wildpret, vogeln, gemüßen, Pajteten und andern fleifche, ohn des obſts confects, 
kuchen etc. Alle becher, [und] gläfer und Kandeln wurden leer auf den tiſch 
geſetzt: bald. fragte D. Fauſt, wz einer wolte trinden von biev oder wein, fette 
drauf dz geſchirr vors fenſter; und bald nahın ers wieder voll eben des geträndes 
frifch, welches man haben wolte. Die music, jo einer feiner Diener fpielte, war 
beides fo lieblich, dz dergleichen von den gäften nie gehört worden, und jo wunder— 
li), wie wenn ihr etliche auff positiven, querchpfeiffen, zinden, lauten, harfen, 
pojaumen ete. zufammen jtimmeten. So waren fie bis an den hellen morgen 
luſtig. Wz jolte gefchen ?!) ES machte der mann der poßen fo viel, dz die Stadt 
und dz land von ihm fchwatste, und manche vom Adel auf dem lande ihm gen 
Erffurt nachzogen, und begunte ſich die jorge zu finden, es möchte dev Teufel 
die zarte jugent umd andere einfeltige verführen, dz fie auch zur Schwargen 
kunſt luſt befämen, umd fie vor eine geſchwindigkeit nur halten möchten. Nun 
ih dann der Zäuberer zum Junder im Ender, fo ein Papiſt war, bielte. Als 
ward anleitung gegeben, dz fi doch der benachbarte mönch D. Klinge au 
ihm verjuchen möchte, ob er ihn vom Teufel reißen und befehren möchte. 
Diejer Franeiseaner thäts, fand fich mit herbey, vedte erft freundlich, jo dann 
hart mit ihm: erklärte ihm gottes zorn und ewig verdammis, jo ihm auf ſolchem 
weſen jtünde: jagte, ev were ein fein gelehrter mann und fönte ſich mit got und 
ehren wol mehren jonjten: drumb ſolte ex ſich folcher leichfertigfeit, dazu ev viel- 
leicht in feiner Jugend, durch den Teufel bereden hatte laßen, abthun, und Gott 
jeine Sünde abbitten: folte hoffen, er würde alfo vergebung feiner Sünde erlangen, 
die Gott feinem noch verſchloſſen hette. D. Fauft jagte: Mein lieber Herr, ich 
erkenne, dz ihrs gene gut mit mir jehen möchtet: weiß auch dz alles wol was 
ihr mir ietzt vorgefagt habt: Ich hab mich aber jo hoch verjtiegen, und mit 
meinem eigenen blut gegen dem Teufel verſchrieben, dz ich mit leib und Seel 
ewig ſein ſeyn wil: wie Fan ich denn nu zurüd? oder wie fan mir geholfen 
werden? D. Kling ſprach: Dz fan mol gejchehen, wann ihr Gott umb gnade 
und barmbersigfeit ernftlih anruft, wahre vew und buß thut, der Zauberey und 
gemeinschaft mit den Teufeln euch enthaltet, und niemanden ärgert, noch verführt: 
wir wollen in unſerm Klofter vor euch Meß halten, dz ihr wol jolt des Teufels 
loßmwerden. Meß hin, Meß her, ſprach D. Fauft: meine zufage bindet mich zu 
hart: jo hab ich gott muthwillig verachtet, bin meineydig und trewloß an ihm 


1) Das Vorige ercerpiert Motjchmann nur, das Folgende drudt er ab, mit geringen 
Abweichungen im Anfang und am Ende: „Hierauf ward der Rath auch davon berichtet, und Kauft 
aus Erffurth geſchaft. Bis hierher gedachtes Chronicon.“ — E. S, 


M. Rubenſohn, Dev junge Opit. 57. - 


worden, dem Teufel mehr gegläubet und vertramt, denn ihm: darumb ich zu 
ihm mit wieder Fommen, noch feiner guaden, Die ich verſchertzt, mich getwöften 
kann: zu dem were es nicht ehrlich: noch miv vühmlich nachzufagen, dz ich meinem 
brief umd Siegel, dz doch mit meinem blut gejtellet, wiederlauffen folte: jo hat 
mir der Teufel vedlih gehalten, wz ev mir hat zugejagt, darumb wil ich ihm 
auch wieder vedlich halten, wz ich ihn hab zugejagt und verjchrieben habe. Ey, 
jagt der mönd, jo fahre immerhin, dir verfluchtes Teufelsfindt, wenn du div 
ie nicht wilt helfen laßen, umd es nicht anderft haben. Gieng drauf von ihm 
zum magnifico Rectore und zeigte es ihm an. Hierauf ward der 
Raht auch von der jachen berichtet, umd von ihm verfchaffung gethan, d3 D. Fauſt 
den ſtab fürder ſetzen muffte, und ward alfo Erffurt des böſen menjchen lo. 
doh mag fich diefes mit ſolchem Zäuberer in diefem Jahre, oder Furt 
vorher oder hernach bey D. Klingen lebzeit noch zugetragen haben“ ... 


Der junge Opik, 


Bon Mar Nubenjohn in Berlin. 


1. Alterie. 
Kiebes: und Dichterleben in Görlitz. 


Als ich mich im verflofjenen Sommer mit Opigens Ueberjegungen 
aus der griechijchen Anthologie !) bejchäftigte, bemerkte ich nicht ohne 
Ueberwrajchung, daß der Dichter dem (gewiß mehr zur Dftentation als 
zur Belehrung) beigefügten „gelehrten“ Apparat?) eine Ausgabe der 
Anthologie zu Grunde legte, die zwar jämtliche Epigramme (gegen 3000) 
mit des Herausgebers (und anderer Gelehrten) lateinijchen Ueberſetzungen 
bringen jollte, aber ſchon nach den erſten fünf Centurien zu erjcheinen 
aufhörte und jo, zum Torſo geworden, weitere Beachtung und weitere 
Verbreitung nicht gefunden hat. Es iſt des Görliger Rektors Elias 
Küchler Ardoloyla dapsoow "Eriyoauudrov zahaov. Florilegium 


1) Florilegii variorum epigrammatum liber unus, Gedani 1639 — 
liber alter, Gedani 1639; 4 Monate liegen die Bücher auseinander. 

2) Sp gleich zum erſten Epigramm: Ex Anthologiae Graeeorum epi- 
grammatum libro primo. In vitam humanam, Tit. XIII (= Anthologia 
Palatina IX 559). „Posidippi, siue ut aliis placet, Cratetis Cyniei.“ 
Griechiſcher Text. Lateiniſche Ueberſetzung J. Scaligers (darüber ſieh meine Aus- 
gabe). „Idem Epigramma Latine reddiderunt Ottomarus Luscinius, 
Casp. Ursinus Velius, Georg. Buchananus, Elias Cuchlerus, Erasmus 
Roterodamus paullo liberius, ac forte alii. Respondet illi et Ausonii 
Eeloga de vita humana.“ Deutjche Ueberjetung. Die Note ift bis auf das 
duch den Druck Hervorgehobene aus Cüchler entlehnt, nur daß diefer auf Die 
Autorennamen auch die entiprechenden Ueberfegungen folgen läßt. 


58 M. Rubenfohn, Der junge Opit. 


diversorum Epigrammatum veterum in Centurias distributum. 
Opus nov-antiquum, Lusatiae literatae sacr. Versione Latina 
gemina, soluta et ligata (cum autoris perpetua, tum aliorum 
diversorum saepius intertexta) adornatum. Centuria prima. 
Gorlicii. Iohannls RhaMbae typl eXCUDebant.!) Aus demjelben 
Jahre 1618 ftammt noch die zweite Genturie, während die drei folgenden 
das Chronogramm 1619 zeigen.?) So fommt denn jener Apparat 
im ganzen nur 14 Epigrammen zu gute — joviel gehören von den aus 
der Anthologie aufgenommenen (gegen 40) den fünf erſten Genturien 
an. Die Verwendung diefer Sammlung nun und der Umftand, daß man 
über den Aufenthalt unjeres Dichters während des Winters 1617/18 
nichts Sicheres weiß — Einzeldrude dieſes Zeitraums führen nicht, wie 
man erwarten jollte, nach Beuthen oder Frankfurt, jondern eher nach 
Görlitz — Schienen mir die Kombination zu rechtfertigen, daß Opik 


1) Die Widmung (12. Cal. Jun. A. C. 1618) ift von einem gewiffen 
Intereſſe: Illustrissimo et generosissimo heroi ae dn. Dn. Carolo Hanni- 
bali Burggravio de Dohna.. Sacrae Caesar. Maiest. a secretis 
eonsiliis et cubiculis, Marchionatus superioris Lusatiae Praesidi di- 
gnissimo, domino et Mecaenati suo submisse eolendo. In der in Diſtichen 
verfaßten Zufchrift heißt e8 von den einzelnen Centurien: Quas Patriae visum 
Diis tutelaribus atque / Omnigena cultis arte sacrare viris. | Quos inter » 
virtus alios tua praeterit omnes....... | Regia eui Camerae 
commissa negocıa (alfo nicht erſt 1621, wie im den Biographien fteht), 
ceuius / Consiliis Magni Caesaris aula viget, / Cui data Lusatiae 
imperitandi plena potestas | Caesare sie fasces distribuente soli. / Tu 
mihi primus ades Mecaenas optime . . . . Mit diefen Blätterıt wird 
deinen Namen noch eine fpäte Nachkommenſchaft leſen, das höchſte ift ja: Funere 
maiorem te superesse tibi. In Dohnas Familie war die Pflege literarifcher 
Intereſſen hergebracht. In Fibigers Silesiographia 8, 453 mwird von dem 
Vater, Abraham von Dohna, erzählt, in wie engem Bertehre er mit dem 
chlefifchen Dichter Andreas Calagius ftand (fieh Höpfner, Reformbeſtrebungen 
©. 37); er ließ ihn 3. B. monatelang auf feiner Befitung Wartenberg wohnen. 
Auch Grotius (epistolae p. 100) vühmt in einem Schreiben an Salmaftus 
(5. DOftober 1630) die Yamilie: digna est, quae cordi sit literatis, cum 
ipsa, raro tantae nobilitatis more, literarum cultum literatorumque 
amieitiam plurimi semper fecerit. Zwei Mitglieder habe ex feinen gelernt 
(Achazius und Christophorus), die feien freilih im pietatis negotio 
constantes geblieben, Opitens Gönner aber fei Caesarianus adeo, ut et 
religionem domini induerit. Wie kann man nad diefer durchaus 
authentifchen Notiz (Opits war kurz vorher bei Grotius gewefen) zweifelt, ob 
Dohna von Kind auf oder erft jpäter, im Berlaufe feiner politifchen Thätigkeit, 
übergetreten ſei? 

) Zu III und IV: eXsCrlpta st VDDIo Iohannls RhaMbae, zu V: 
eX oKICIna RhaMbaVlana proDlt. Die fonftigen Kleinen Differenzen der 
Einzeltitel brauche ich hier nicht anzuführen. Das Eremplar war mir von 
Herrn Oberlehrer Dr. Buchwald, dem Berwalter der Milichſchen Bibliothet zu 
Görlitz, freundlihft zur Verfügung geftellt worden. In Berlin ift das Bud 
nicht vorhanden, wohl aber in Göttingen (M 9380). 


M. NRubenfohn, Der junge Opik. 59 


in jenem Winter in Görliß verweilt, dort die Befanntjchaft mit Cüchler 
und dejjen Florilegium gemacht habe, ja von ihm geradezu zu einer 
Bearbeitung einzelner Epigramme veranlaßt worden jei. So erklärte 
ich es mir wenigjtens, daß ſich bereits in der erſten Ausgabe der 
Gedichte von Zinkgref (1624) eine Anzahl griechiſcher (meift erotiſcher) 
Epigramme in Ueberſetzung, auch eine beträchtliche Zahl nach Art 
dieſer Epigramme verfaßter Dichtungen (zu einem großen Teile freilich 
ſpäter fortgelaſſen) vorfinden !) und vor allem daß ſich der Dichter 
in einem an Balthaſar Venator gerichteten Carmen (Zinfgref ©. 14 f.) 
als einen Jünger und Schüßling des Haupterotifers der Anthologie, 
des Meleager von Gadara, bezeichnet, der jein neues Saitenjpiel 
(obe und fich ihn gar wohl gefallen lafje. Die angedeutete Vermutung 
ift, wie ich jofort nachzuweifen verjuchen werde, vichtig gemwejen: jte 
jcheint mir zugleich von einer damals gar nicht geahnten Tragweite 
zu fein für die Erfenntnis einer wichtigen Periode aus Opitzens Leben, 
für die vechte Auffafjung und Datierung einer nicht unbedeutenden 
Zahl jeiner lateinifchen und deutjchen Gedichte und endlich für die 
quellenmäßige Darftellung jeiner Metrif. Den Schlüfjel birgt ein 
fleines, auf der Berliner Königlichen Bibliothef (vergleiche Yindner, 
Opitz 2, 327), und zwar in zwei Gremplaven vorhandenes Schrift- 
chen von Opitz, das den Titel führt: Martini Opitii / Hipponax / 
ad Asterien / puellam formae & animi do /tibus longe amabi / 
lissimam. / Item Germanica quaedam / ejusdem argumenti. 
Gorlicii / lohannls Selbe typl eXCUDebant. Es ijt dies 
überhaupt die zweite von Opitz allein herausgegebene Schrift (voran 
geht 1616: Strenarum Libellus, Görlig) und, vom Ariftarchus und 
von einem fleinen Gelegenheitsgedichte abgejehen, die einzige des 
Jahres 1618, denn die übrigen in Görlig erjchienenen und die Glogauer 
und Beuthener Einzeldrude, die Defterley ?) aufzählt (Gentralblatt 
für Bibliothefswejen 2, 385 f.) enthalten nur Beiträge des Dichters. 
Die Vorrede ift an zwei Jugendfreunde gerichtet: „V. C. Casparo 
Kirchnero et Bern. Guilielmo Nüsslero, literatissimo adolescenti, 


1) Auch PB. Ronſard Hat griechiiche Epigramme überjegt, und zwar ſchon 
in einer feiner früheſten Sammlungen (Liuret de Folastries, Paris, 1559), 
davon finden fih fünf aud bei Opitz, aber erſt in dem Florilegium von 1639. 
Irgend eine Beeinfluſſung habe ich nicht entdecken können. In Beuthen aber 
wurde wohl Theognis, nicht aber die Anthologie in der erſten Klaſſe traktiert, 
Hoffmann, Spenden 2, 62. 

?) Defterleys Bibliographie der Einzeldrucke iſt gewiß ein ſehr danfens- 
wertes Unternehmen: hätte ev nur der Berfuhung widerjtanden, Die richt 
datierten aus Gründen, über die er Nechenjchaft nicht erſtattet, beſtimmten Jahren 
zuzuweiſen. Ich bin dadurch wiederholt in die Irre geführt worden, ſieh unten. 


60 M. Rubenſohn, Der junge Opik. 


amicis summis“!); fie ift wichtig, weil fie die Stimmung des Ver— 
faſſers und, freilich vecht verftect, jeine Yage erfennen läßt: Die 
Ruhe des Gemütes ift das höchſte Gut; fie durch wiljenjchaftliche 
Thätigfeit, durch das Studium der Philojophie zu erwerben und damit 
den einzigen Neichtum, der des Strebens wert jei, ſich zu verjchaffen, 
jei ev von Jugend auf bemüht gewejen. Wenn er daher jest noch 
an die Yiebe denfe und an ihre Freuden, in tam prolixa adolescentiae 
meae calamitate, jo jei das nicht verwunderlich. Denn da, wo es 
andere Affefte nicht gebe (perturbationes reliquae absunt), verjchaffe 
fich der freche Eindringling Amor am ehejten eine Stelle, er verlange 
gar feine Unterjtügung von anderen Dingen (nervos caeterarum 
rerum). Warum jolle er aljo den Kopf hängen laſſen? Habe doc) 
Sappho in eines Dichters Haus feine Traurigfeit dulden fünnen, viel- 
mehr nach Maximus Tyrius (VIII 96) nicht eben ungern mit dem 
jchönen Bathyllos, Smerdias und Ktleobulos (ſieh ©. 74) fich bejchäftigt. 
Man müßte denn meinen, jein Yiebehen (pellex) fünne jeine Armut 
(penia) nicht ertragen. Uebrigens jei wohl zu beachten, daß die Dichter 
wie alles, jo auch ihre Geliebten (amasiae) — um eine gute Stilübung 
zu erhalten — jich exrdenfen fünnten (jo jeien denn auch gewiß mehr 
Weiber entjtanden als durch die Steimwürfe der Pyrrha). Er Habe 
wenigjtens nur an Abjpannung jeines Geiftes gedacht; wäre ernſt 
gemeint, was ev mitteile, jo hätte er ja Gefahr gelaufen, daß die 
jungen Freunde, denen er jo das Geheimnis verraten, jeine Süßigfeit 
vor ihm und gar an jeiner jtatt Fojten fünnten. — Die guten Bekannten 
werden natürlich gewußt haben, was von diefem Geſtändnis zu halten: 
daß ihr guter Opitz wieder einmal in ſüße Bande gejchlagen jei und 
im Dienjte dev Venus jeine unglücliche äußere Yage zu vergefjen juche. 
Denn daß es ihm jchlecht gehe, daß er die externa bona, die ev 
angeblich verachtet, auch in Wirklichkeit, und feineswegs zu jeiner und 





1) Caspar Kirchner, Opitzens Better und Freund, wurde 1592 in 
Bunzlaı geboren. Sein Leben hat der Dichter jelbft in einem an Nikolaus 
Henel gerichteten Briefe befchrieben (Palm, Beiträge 186) ex memoria vel 
aliis: die Schulbildung genoß ev in der Baterftadt und in Breslau; er jtudierte 
in (Frankfurt und) Straßburg, wurde in Bajel zum Dichter gefrönt (1615). 
Dann trat er die übliche peregrinatio an, die ihn durch die Niederlande, Eng- 
land und Frankreich führte und mit Dan. Heinfius befannt machte. Ueber feine 
Rückkehr (Anfang 1618) nah Bunzlau und Heirat fieh unten. — Nüßler 
wurde Februar 1598 zu Friedland in Böhmen geboren, von wo fein Vater 
1610 als pastor primarius nah Bunzlau fam (F Dezember 1616); am 
3. April 1614 in Frankfurt infkribiert, wurde er erſt 1616 vereidigt. In 
Görlitz war er Dornaus Schüler geweſen, fieh unten; ihm widmete ev von 
Bunzlaı aus (1. Januar 1618) feine Comparatio galli gallinacei cum 
prineipe (Görliß, 1618). Am 1. Juli 1618 war ev bereit$ bei dem Kanzler 
Geisler in Liegnit als Hauslehrer, fieh unten. 


M. NRubenfohn, Der junge Opitz. 61 


jeines Mädchens Freude, nicht befige, mußten ſie aus der Dedifation 
allerdings entnehmen. — Wo aber befand jich dev Dichter? Das 
Widmungsjchreiben schließt mit den Worten: Utrum enim nuntius 
magis voti fiat compos, an qui misit, x0ons &» yobvası zeitau. 
Valete. E coenobio. Alſo aus einem Stlojter ift das Büchlein in 
die Welt gejendet. Was ift damit gemeint ? 

As im Jahre 1616, am 18. Januar, für den im Sommer 
1615!) von Görlig nach Beuthen zur afademijchen Ihätigfeit berufenen 
Caspar Dornau fein Nachfolger im Neftorat, der eben genannte Elias 
Güchler, der ſchon 23 Jahre an dei Anftalt unterrichtet hatte, in 
feierlichen Verfammlung eingeführt worden war, hielt er einen längeren 
Bortrag, den er zugleich mit der Inaugurationsrede des Görlitzer 
Syndikus ©. Glych von Milziz?) und funzen Reden zweier neuen 
Kollegen und — was für ums wohl das Wichtigjte mit einem 
Curriculum studiorum scholae Gorlicensis vexöffentlichte (Actus 
Inauguralis. Gorlicii. Excusus typis Joh. Rhambae). Die übliche 
Zujchrift an verjchiedene Gönner fehlt nicht, fie trägt folgende sub- 
scriptio: Gorlicii ex Coenobio, Augusta Musarum sede, ipso 
die Gregorii M. Anno, quo InVIgILanDVM bonls LlIterls (1616). 
Mit Coenobium ijt demnach das Görlitzer Gymnaſium gemeint, das 
wie unten ausgeführt wird,“) im jahre 1565 in einem ſäkulariſierten 





1) Nicht 1616: „ad operas Academicas superiore aestate evocatus“ 
jchreibt Cüchlev 1616. — Der 18. Januar 1616 galt zugleich der Feier des 
50jährigen Bejtehens der Anſtalt. 

2) Milziz wurde im Sommer 1595 in Frankfurt immatrifuliert, aber 
nicht vereidigt. Er war mit Dornau verſchwägert; wenn er dieſen in feiner 
Jede ex certis causis scholae valedicere läßt, jo ſcheint ev damit auf feine 
„Schuhmüdigfeit“ anzufpielen, ſieh Neiffericheidt, Geiftiges Leben im Deutjch- 
land, Band 1 unter „Dornau“. 

») In der vom 1. Mai 1566 datierten Borrede zu der Diseiplina et 
Doctrina Gymnasii Gorlicensis. Edita a Petro Vincentio Rectore 
(Gorlieii, a. MDLXVI) heißt es: lJaudem maximam mereri honestissimum 
consilium vestrum (des Magiftrats), quod captum vobis atque initum 
est, anno pene iam elapso, de aperienda Dei opt. maximi et Inuietissimi 
Imperatoris Diui Maximiliani II auspieiis, noua Scola, in qua patria 
adolescentia et simul extera iuuentus, si qua huc mitteretur, doctrina 
de Deo et optimarum artium ac virtutum diseiplina instrueretur. Ferner 
jcehreibt in der oben ſchon citierten praefatio El. Cüchler: Itaque basilicam 
hane fratrum olim religiosorum, sed ob temporum vicissitudinem 
tum pene desolatam et desertam ab Opt. Imper. Maximiliano II augustae 
memoriae, consentiente in donationem Antistite Loci Ordinario, non 
sine labore et impensis impetrarunt (magistratus): novisque ac neces- 
sariis exornatam aedificiis sedem Musis aptam eonstituerunt. Das Gym» 
naſium erhielt, zumal der Kaifer es alljährlich mit dev Summe von 200 Thalern 
interjtüßte, den Namen Schola Augusta. — „Nlojter” wird das Gymnaſium 


62 M. Nubenfohn, Dev junge Opitz. 


Franzisfanerklofter errichtet worden war. Iſt jo durch die mitgeteilte 
Unterjchrift Opigens Aufenthalt in Görlig und — was nicht weniger 
intereffant jein dürfte — jein Domizil während desjelben bezeugt, jo 
wirft ein (zum Glück datierbares) Hochzeitsgedicht ein Licht auf jein 
Leben und Dichten in der Hauptjtadt der Oberlaufig. Das Carmen 
jteht in der im Jahre 1631 von B. ©. Nüßler veranftalteten Sammlung 
Opitzſcher lateinifchev Gedichte (Mart. Opitii Silvarum libri II. 
Epigrammatum liber unus. Francofurti) ©. 45. Ich muß den 
erſten Teil ganz herjeßen. 


In nuptias Jacobi Gottfridi et Catharinae Emericae.!) 


Nisse pater, foetis quem diva Lusatia pratis 
Et variis culta saltibus ambit humo: 
Et tu, nobilium quaedam regina locorum, 
Gorlicium, nostri stella corusca soli; 
5 Si fas est sedesque meis vacat ulla Camoenis, 
Nos quoque post reliquos vatibus adde tuis 
Haud ego praeripiam vestris loca debita Musis: 
Sat mihi postremo non nisi fine legi. 
Meisteri summa facies statuatur in ora: 
0 Huic par tam celebri nullus in urbe fuit; 
Seu facili puros elegos deducit avena, 
Seu, Flacco propior (!), grande figurat epos. 
Vendicat inde suo Mylius sibi iure triumphum: 
Cederet argutis Bilbilis ipsa iocis. 
ı5 Alcaei quoque sublimi rivalis in oestro _ 
Arnoldus reliquis non minor unus eat. 


3. B. mehrfach in einem handfchriftlih erhaltenen Diavium genannt (Neues 
Laufiser Magazin 41, 102): 1592 „gefengnuß im Klofter“, 1595 „h. a. ward ein 
nen Klofterthor angelegt“. Die Görliger Programme fand ich hier in Berlin. 

!) Die Emmrichs waren ein Görlitzer Patriziergeſchlecht; vergleiche 
(4. Hoffmannus, Scriptores rerum Lusatiearum (Leipzig, 1719) 1, 414 fi.; 
2, 63; 2, 77 und 81. Ein Johann Emmrich „Civis Romanus, Comes 
Palatinus“ ift 1613 Seabinus und 1617 und 1620 Consul. Auch der Er- 
bauer der Kreuzkirche (1489) war ein Emmrich. — Auf diejelbe Hochzeit bezieht 
fih übrigens ein Opitjches Anagramm (Zinkgref, S. 99): „Katharina Emm- 
che An jhren Hochzeiter Herrn Gottfried Jacobi“ (Jacobus Gott- 
fridus ift ein Berfehen). Auch letsterer (Sommer 1610 unvereidigt in Frankfurt 
immatrifuliert: Godfridus Jacobi Gorlitzensis) war aus veiher Familie: er 
hatte ein Landgut Leichwit 3. 56, gegenüber der Yandesfrone (fieh unten) 
3. 73, fein alter Bater lebte noch 3. 9. Eine veiche Mitgift bringt ihm die 
Braut 3. 111 f. 


M. Nubenfohn, Der junge Opib. 63 


Cüchleri!) numero titulus ponatur ab isto, 
Quem referet Latiis Graecia versa modis. 

Post alios aliosque, quibus tua gloria surgit 
20 Vindicibus, nomen tunc superadde meum. 


1) Es kann natürlich nicht meine Sache fein, die Görlitzer Dichterfchule 
zu Schildern; vielleicht wird eim mit dem Gegenftand vertrauter Lokalforſcher fich 
der Aufgabe unterziehen. Einige Dichtungen find noch befonders unten zu er- 
wähnen. Hier mögen wenige Notizen genügen, die ich zum Teil aus Ottos Schrift- 
jteller-Lerifon der Oberlaufi entnommen. 1) Joachim Meifter, geboren in 
Görlig am 1. November 1532, wurde 1569 Rektor, dankte aber 1584 ab, um 
nad) Bremen zu gehen; hier ftarb er 1587 am 10. Februar. Abraham Scul- 
tetus, der befannte pfälzifche Theolog, hielt ihm als feinem Lehrer die Leichen- 
rede, wie er es auch bei dem Tode eines jeiner anderen Lehrer, Laurentius 
Ludovicus (geftorben 1594),. that. Genannt werden von Meifter befonders geift- 
liche Gedichte. 2) Martin Mylius, 1542 in Görlig geboren, fam 1568 als 
Lehrer an das Gymnaſium, 1594 Rektor, 1611 gejtorben: Laurea Apollinaris — 
M. Mylio collata a Melisso — Gorlieii 1601 mit miscella carmina des 
Mylius. Gelegenheitsgedichte. 3) Chrift. Arnold war aus Dresden (daher 
bei Dtto nicht genannt, wohl aber in den Scriptores rerum Lusatiearum), 
J. U. D. und P. C., er ftarb im Jahre 1616 in Görlig, am 24. Juli. ch 
kenne von ihm unter anderem drei Ehrengedichte auf Dornaus Encomium In- 
vidiae, ferner ein don Cüchler mitgeteiltes, ganz feinfinniges Urteil über die 
griechifchen Epigramme: Graecorum acumen Latinis poetis mirari faeilius 
quam imitari licet. Er hatte vier Centurien gelefen, alfo ſchon 1616 war das 
Florilegium Cüchlers (vergleiche auch deſſen Vorrede zur erſten Centurie) ziemlich 
weit gediehen. Daß ihn Opitz in diefer Neihe nennt, iſt bemerkenswert; ev wird 
von Cüchler und Dornau über ihn öfters gehört haben. Letzterer jagt im 
feinem Epefedion: 


Si eui Musa loqui faeilis dedit ore rotundo: 
Arnoldus sclidae nomina laudis habet. 

Gallica si placeat vox, Itala, Graeca, Latina: 
Arnoldus solidae nomina laudis habet. 

Si pulehrum est viridi praeeingi ab Apolline lauro: 
Arnoldus solidae nomina laudis habet. 


4. Din die Güte des Herrin Dr. Buchwald in Görlitz kann ich das Epi- 
taphium Cüchlers (nah Fundes Eigentliher Befchreibung der Kirchen ©. ©. 
Petri und Pauli) mitteilen. Es wurde im Jahre 1655, alfo a pacifica Passav. 
Aug. Vindel. confirmata Julibaeo primo, errichtet: M. Elias Quechlerus, 
P. L.C. / et Notar. Publ. / Gymn. Gorl. patr. per annos XVII. Rector / 
natus Gorlicii an. M. D.LXVI]. / denatus ibidem an. M. DC. XXXI. / 
aetatis LXV ... . Unter dem Bildnis ftehen 4 Diftihen. Er ftarb an der 
damals in Görlit graffierenden Peſt; dieſe nebft dem Kriegsunglüd brachte das 
einft jo blühende Gymnaſium (es nannte fih mit Stolz Schola Philippiea, 
im Jahre 1590 gehörten ihm 616 Schüler an) der Auflöfung nahe. Die 
Fortſetzung der Cüchlerichen Anthologie hat offenbar der Ausbruch des Krieges 
verhindert. — In poetifchen Gratulations- und Kondolenzheften jener Jahre ift 
die Muſe eines fo gewandten Latiniften natürlich oft vertreten. Auf einen jolchen 
Beitrag bezieht fih wohl die Anfrage Dornaus (vom 4. Februar 1617) in 
einem der 13 an Cüchler gerichteten Briefe, die nad) Dr. Buchwalds gütiger Mit- 


64 M. Nubenfohn, Der junge Opib. 


Nec timeo, reliquis ne dedecus arguar; hospes 
Nec nimium vestra sum male notus humo. !) 
Jam vaga bis solitum Phoebe decrevit in arcum — 
Vestra mihi gratus tecta recessus erant — 
> Cum me sollicitas intra tua moenia curas 
Sperabam pulchro ludere posse dolo. 
Nec nos vana sua mens credulitate fefellit 
Plus nimis, et voti sat bene compos eram. 
Materies etiam nostro festiva furori 
30 Contigit et nervis digna palaestra meis. 
Nam cum grassantem patriis crudeliter hostem 
Finibus et saevas in sua membra manus 
Victura populis tentassem credere penna 
Virgiliigque gravi non minor ire tuba; 
55 Mox alio traxere tui nos, diva, lepores 
Fixaque virgineis astra?) superba polis. 


teilung die Milichiche Bibliothef bewahrt: „Epigrammatium illud, quod abs te, 
loco meo, petiit Ludovieus noster (Lehrer in Görlitz), spero jam nunc 
abs te confeetum esse.* Die Berufung Cüchlers, über deſſen Familien— 
verhältniffe wir noch weiter unten zu jprechen haben, nad) Görlis war 1592 
erfolgt, die Einführung am 18. Januar 1593. Unter dem Namen von Koc)- 
heim erhielt ev den Adelsbrief. In Neumeifters berühmter Magifterarbeit „de 
poetis Germanieis“ (1695) wird irrtümlich umferes Cüchlers gedacht als des 
Berfaffers von „Apollos Denck Sprüchen“. 

1) Als fih Heinfius in feinem leßten Hipponar (Poemata, 1617, ©. 161) 
bei dem Magiftrat von Brügge für die ihm bezeigten Ehren bedankte (1609 war 
er dort gemefen), zählte ev die berühmten Männer der Stadt auf: 

. . . Pluresque, quos laus conseceravit et fama 

Aevo nepotum saeceuloque venturo. 

His, Diva, si quid nostra tinniet pulchrum 

Et audiendum nota posteris Musa 

Dignumque laudis, Heinsium licet adiungas. 

Quem tu benigna comitate....sic tenes vinetum.. 
Mit den folgenden Verſen vergleiche aus dem Hipponax ad Thaumantidem 
(©. 146): 

Hie, Diva, versor usque; patriae vestrae 
Nee inquilinus degener nee ignotus. 
Nochmal nachgeahmt find die Verſe 1619, als Opitz Gruter in Heidelberg zu— 
rief (Silvae II p. 37): 

Non vivam in vestra degener hospes humo. 
Zu 3. 3 vergleihe das unten (S. 98) folgende Sonett. 

*) Anfpielung auf den Namen Afterie. „Das jvrdiiche Geftien“ nennt er 
fie in dem Gedicht An die Teutjche Nation 3. 19, „O mein Geftien“ im 
8. Sonett, fieh unten, „Afteris mein Firmament“ in der 4. Ode, „O astrum 
amieum!“ Sipponar V. 5, „o inelytum astrum“ ebendort V. 52 und 
„Asterin stellam“ V. 199, (ähnlih V. 29, V. 172); ſieh auch die unten zu 
bejprechenden zahlreichen Epigramme, in denen fie und die Sterne, die fie ver- 
dunkele, zufammengeftellt werden. 


M. Nubenfohn, Der junge Opit. 65 


Hinc mihi grandilogquum Cypri regina cothurnum 
Exuit et lepidum condere iussit opus. 

Protenus exciderunt animo fera bella, meumque 

40 Pro lauru myrti circumiere caput.!) 

Nec mirare meas hausisse venena medullas: 
Vates et iuvenis, res erat apta deae. 

Feci, quod voluit: nunce claudos fingere iambos 
Occepi, numeros nunc, Elegia, tuos. — 


1) Mehrfach jpricht Opit den Gedanken aus, daß ihn Venus von einem 
großen Epos, das er bereits begonnen, abgebracht habe. Das Sujet wechjelt. 
Schon in dem Abjchiedsgedichte an Nüßler (1617, Silvae, p. 44) lieft man 
3. 39: Cumque laborato sublimius ire eothurno Vellem et Mantoo tra- 
dere vela Noto, Arridens vafro formosa Amathuntia nutu Monstrat 
virgineos imperiosa sinus: Ista palaestra tua est, ait.... . Num brenne 
er, aber nicht nimium relligiosus für eine: bald ſei's Lesbia, bald Neaera, 
bald Corinna, jede habe ihre befonderen Meize. Nur fo ein D Dichter fünne das un— 
geſtraft thun. Scultetus, der Treffliche, begünftige feine Miufe. An die Teutſche 
Nation 3. 4 fi. „Mein Sinn flog vber hoch: ich wolte dir (o Vatterland) 
vermelden Durch Kunſt der Poeſie den Lauff der groſſen Helden, Die ſich vor 
dieſer Zeit den Römern widerſetzt, Vnd in dem ſtoltzen Blut' jhr ſcharpffes 
Schwerd genetzt . . . . Da kam der Venus Kind, bracht' einen Krantz von 
Myrten Vor meine Lorbeerkron' vnd ſtieß mich zu den Hirten In einen grünen 
Wald, wieß auff ein ſchönes Bildt .... * bitterfüffe Pein Die muſte 
mir an ſtatt der Heldenthaten ſeyn. Ich thue, Aſterie, nach deinem Wohl— 
behagen ... .“ Aber am Schluß heißt es wieder... . „Biß daß ich höher ſteig' 
vnd deiner Thaten Zahl Werd’ vnabläſſiglich verkünden vberall“. — In den 
Hendekaſyllaben „Ad C. Kirchnerum sponsum“ (Silvae, p. 63, 1619 Früh— 
jahr): „Sed quod iam posito gravi Maronis Summi pondere eastiore 
gressu Gyros contraho carmen in minores, Quid Miu tıbar.ee . ars 
dem Epithalamium am ebendenjelben, 1619: ss ‚Dergeßt der hohen Kunſt der 
Himmlischen PBoeten ... . . 3° Vergönnet mir den lauff Dev tapffern merthen 
Helden, Die vor das Batterlandt fich opffern, zu vermeiden. Das, jo jhr jetz— 
undt thut, ich mir noch nicht begehr, Was aber ich will thun, wer’ euch mit 
dem zuſchwer“ Zinkgref, S. 31. Bon 1625 ab bleiben 3. 37—40 weg wegen 
der Aehnlichfeit mit dem amderen Gedicht. Hierher gebört auch der 1620 (?) 


geäußerte Plan eines „liber.... ingens arte protusus mea Corneliae de nup- 
tiis“ (Silvae, p. 68). — Ein Arminius-Epos plante auch Opitens Freund 


Chriſtoph Köler (Hochzeitgefänge für Kaften, 1627, Straßburg; Euphorion 1, 295): 
Bor andern allen wolt’ ich preifen den Armin, 
Den feine Nitters-Hand, dann meineydt ſchlug dahin: 
Wie damals-Teutſche fich gegliedert vnd getrewet, 
Vnd von der Römer Joch’ vnd Dienfte fich befreyet; 
Wie auch der Flavius (der Schelm mit vnterlaufft) 
Sein Vatterland vmb Geldt verrahten vnd verkaufft. 
Es paßt dies alles in der That zu der damals ſo gewaltig aufflammenden Be 
geiſterung für deutſche — rt und Dichtung, gerade infolge der Jämmer— 
lichkeit Der Gegenwart — Scherer, Geſchichte der deutſchen Literatur, 
S. 363). Auch Opitens \ Lieblingsſchriftſteller ſcheint Tacitus geweſen zu ſein 
(Tacitus meus nennt ev ihn in einem Gedicht an Gruter 1619, Silvae p. 99). 


Euphorion IT. D 


66 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


Mit „Hos quoque tam leni manantes flumine versus 
46 Indulget genio sponte Cupido meo, 
Seu quia sopitos etiam sentiscit amores 
Et tacito mea mens igne videtur agi, 


Seu quod sidereos ...“* wendet ſich Opitz endlich in vecht fonventionellen, 
von der metriſch wie inhaltlich wohl gelungenen Einleitung jtarf ab- 
fallenden Verſen!) zum Preis der Braut und zur Gejchichte der Yiebe 
der beiden. Gegen den Schluß des Gedichtes Fehrt der jugendliche 
Berfafjer, durch das Glück des jungen Ehemannes an jein eigenes 
Unglück erinnert, wehmütig zum erjten Teil, zur Schilderung jeiner 
Lage zurück. 
ı13 Nos miseris vitae florem depascere curis 
Cogimur et sortis de levitate queri; 
115 Ingeniumque meum duro sub pondere languet 
Ulteriusque sui vix meminisse potest. 
Si tamen haud prorsus Musarum castra relinguam 
Nec penitus nostrae transfuga partis ero, 
Extollam Famae fretus plaudentibus alis 
120 Carmine Gorlicium non moriente tuum. 
Tu sobolis, Gothofride, tuae natalis in ipsa 
Ut possit libri fac modo fronte legi. 


Die Hochzeit, fir die unfer Gedicht bejtimmt war, fand am 
4. Februar 1619 jtatt.?) Wo hat Opis das Carmen verfaßt? Er 
bittet Görliß, auch ihm ein Plägchen in dem veichen Kranze feiner 
Sänger zuzumweifen. Er werde den anderen wohl nicht zur Unehre 
gereichen. Sei er doch der Stadt fein Fremdling mehr. Schon Ddieje 
Apojtrophe erklärt ſich bejjer, wenn man den Dichter nicht mehr in 
der Stadt weilen läßt. Notwendig aber wird diefe Annahme durch 
die folgenden Berie 23 ff.: „Zweimal fchon nahm ab der Mond — 
eure Stadt gewährte mir eine willfommene Zuflucht — jeit ich hoffte, 
in ihren Mauern durch ein ſüßes Spiel mich über meine Sorgen 

9 Sie ſind teilweiſe, wie wir unten ſehen werden, in freier Weiſe einem 
holländischen Gedichte entlehnt, das Opitz in „Frülings Klaggedichte“ vollſtändig 
überſetzt hat. 
Nach einer gütigen Mitteilung des Herrn Superintendenten Schult 
in Görlitz: „Zwar nicht aus unferen Kirchenbüchern, die bloß bis 1720 zurüd- 
veichen, wohl aber aus den (handjchriftlichen) Schaeferfchen Tabellen, welche für 
uns beinahe urfumdlichen Wert haben, geht hervor, daß Gottfried Jacobi auf 
Leſchwitz“ (vgl. V. 55 Heu quoties motu conatus frangere morbum, 
Leschuieium sese eontulit ille suum) „jih am 4. Februar 1619 mit 
Catharina Emmerich verheiratet hat“. 


DM. Nubenfohn, Der junge Opik. 6% 


hinwegtäuſchen zu können., Und ich irrte mich nicht: ich fand, was 
ich juchte. Allen ernſten Plänen und Gedanfen entriß mich meine 
Söttin. Ihr weihte ich bald Hinfende Jamben, bald Elegien.“ Jetzt 
freilich, wo er diejes niederjchreibt, darf der Dichter an jolche Thätig- 
feit nicht denfen, jein Geiſt erlahmt unter einer ſchweren Yaft, ift fich 
jeiner faum noch bewußt. Trotzdem hofft er, vielleicht nicht ganz der 
Mujen Yager verlafjen, nicht ganz jeiner Natur untreu werden zu 
müſſen. Dann aber will ev in unfterblichem Geſange (non moriente, 
wie 3. 33 vietura penna) daS liebliche Görlitz feiern und damit, wie 
hier gleich eingejchaltet jein mag, dem Beijpiele jenes Joachim Meifter 
folgen (Urbis Gorlicensis descriptio, 1550, 456 Herameter, Scrip- 
tores rerum Lusaticarum I 2, 95 ff.) und noch mancher anderen, 
die die Herrlichfeit der Stadt und ihrer Quellen, auch der innumerae 
formoso corpore Nymphae gepriejen. 

Diejer melancholijche Ausklang des Gedichtes erinnert an ein 
anderes, das fajt gleichzeitig ijt und etwas deutlicher ahnen läßt, was 
den Dichter, der freilich jehr oft pejfimiftifch über jein Unglück jpricht, 
damals drückte. Es ift an Nüßler gerichtet, cum Aranei Laudes 
ab eo ederentur (Silvae, p. 108). Dies Büchlein exjchien, wie 
ich durch die Freundlichkeit des Herin Dr. Wendt von der Breslauer 
Stadtbibliothef mitteilen fann, im Jahre 1619 zu Yeipzig unter dem 
Titel: „B. G. Nüssleri Encomium Aranei ad magnificum et 
nobilissimum virum Andream Geislerum.“ Andreas Geisler war 
Kanzler des Herzogs von Yiegniß; nach dev Widmung (Kl. Novembris, 
Anno MDCXIX) wohnte Nüßler (ſieh oben ©. 60) noch Ende des 
Jahres 1618 in Yiegnig bei Geisler („Lignici Silesiorum in aedibus 
tuis“). Ganz anders und ungünftiger zunächjt war Opigens Schickſal: 

At nobis aetas viridis, spes nıagna juventae, 
Pressa sub adversae pondere sortis, abit. 
Ingenio Fortuna tuo contendit et aequat 
Virtutes rerum dexteritate tuas. 
So erfteigit du vafch den Gipfel des Nuhmes, du magjt treiben, 
was du willit . 
Seu melius nobis quondam obvia numina Musas 
Sollicitas, cultis proditur Ascra modis: 
Sive ad tentatas toties mihi vertere leges, 

Astraea haud alium mallet amica procum. 

) Nicht ganz gleich ift die Konftruftion in dem Epigramm Ad Prin- 
cipem ES (Silvae p. 105): Bis tribus excreuit vaga Cynthia 
cornibus, ex quo A Daeis ibas, Dux generose, tuis. In der Parentheſe 
ſoll mit recessus erant der Zeitpunkt, in den die Erzählung fällt, fixiert 
werden. Der Nüßler jteht ein Semifolon nach erant. 


5* 


68 M. Rubenſohn, Der junge Opiß. 


Materielle Sorgen alſo und die Trennung von den Mufen, die 
Notwendigkeit fich mit einem ihm verhaßten Studium zu bejchäftigen, 
das war e3, was den Dichter zu jenen jchwermütigen Verſen drängte. 
Die Jurisprudenz hat ihm folche Bein verurjacht. (Sieh unten ©. 79). 
Die Frage, wo er ihr. damals oblag, wo er aljo das Epithalamium 
gejchrieben, werden wir jpäter beantworten und dann auch erjt die 
Chronologie genauer behandeln fünnen. Kehren wir inzwijchen 
nach Görlitz zurück und zu des Dichters materies festiva furoris. 

Die erſte Andeutung des Görlitzer Yiebesverhältnifjes enthalten, 
jo weit wir erfennen oder bejjer datierbares Material haben, die unten 
zum erſten Male nach dem in Breslau aufbewahrten Einzeldrucf mit- 
geteilten Alerandriner aus der „Orchestra melica“ fir die Hochzeits- 
feier des Schulfollegen Sebaſtian Namsler zu Bunzlau (Gorlicii, 
lohannls RhaMbae typl eXCVDebant, Tag: 26. Februar 1618). 
Hier heißt es: 

>; Wir müfjen mit gedult ziehen an Venus Wagen, 

Vnd ons bey Tag vnd Nacht mit diejem leiden plagen, 

Wir jehen angjt vnd noth, jhr jehet Hülff vnd rhat, 

Was bey vns hoffnung ift, das wird bey euch die that... . 

3 Wir wollen williglich es lajjen jeßt anjtehn 
Biß es vns dermaleins auch wird jo wol ergehn. 


Diejer in Nefignation abwartenden Stellung entjprechend nennt 
jich Opiß in den jchon vorher dem Bräutigam überjandten Jambi claudi 
(Silvae, p. 110) noch inexpertus in &hejachen, womit es nicht in 
Widerjpruch jteht, daß er als eine durch Erfahrung feſtſtehende That— 
jache verfündet: 

... . Cui semel iugo collum 
Venus dolosa aptauit, ille nequicquam 
Quae iam subiuit onera, ferre detrectat. 


Fünf Monate jpäter, am 11. Juli, feierte Matheus Nuthard, 
PBajtor in Tillendorf, Bunzlauer Patronats (geboren 1593, Februar 1629 
„weggejagt militari manu“, gejtorben 1642 in Yüben) jeine Hochzeit. 
Auch für diefen Anlaß dichtete Dpiß ein Carmen, er ließ es zugleich 
mit dem jeines Freundes Caſpar Kirchner bejonders in Görlig bei 
Yhambau drucken. !) 


!) Das Datum ergiebt ſich aus dem zu derjelben Feier erjchienenen, auch 
von Opit (mit fieben Diftichen) ausgeftatteten lateinifhen Gratulationshefte, 
vergleiche auch ©. J. Ehrhardt, Schleſiſche Presbyterologie III, 2. Abſchnitt. Jenen 
deutjchen Einzeldruck kennen wir leider nur durch die Bejchreibung Lindners 
(Opit 2, 5), der ältefte war er übrigens nicht, wie mit letterem Hoffmann 
(Spenden 2, 69) und Höpfner (BZeitichrift für deutiche Philologie 8, 471 und 


M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 69 


Nach der üblichen Anrede an das neuvermählte Baar lefen wir 
nun hier die folgenden wichtigen Berfe: 


» hr vielgeliebtes Par, bitt wollet mix verzeihen, 
Daß ich (wie gern’ ich will vnd joll) nicht fan einweihen 
Ewer unmüfjig Feſt mit Nömijchem Gedicht. 
Apollo zürnt mit mir, will mich mehr fennen nicht.!) 
Entjchuldiget mich euch: ch jchwere bey der Schönen, 
Der Schönen, von der ich mein Yeben muß entlehnen, 
5 Die mich führt im Triumph, die miv nimpt meinen Geift 
Vnd jhn, wenn's jhr geliebt, auch widerfommen heißt. ?) 
sch Schwere bey dem Yiecht, das jie left freundlich blicken 
Bon jhrer Augen Sonn’, vnd mich mir jelbjt entzücen, 
Daß Venus zu mir fam (es ift noch nicht ein Jahr) 
»» Am schönen Wafjerberg mit jhrer gangen Schar. ?) 


„Beiträge zur deutſchen Philologie“ 1880, ©. 298) annehmen, fteh oben. 
Der Titel lautet: „Herrn Matthäi Ruttarti vnd Jungfraw Annä Namslerin 
Hochzeitslieder, von zweyen guten Freunden geftellet. Gedrudt zu Görlit bey 
J. Ahambau 1618." Das eine ift unterzeichnet: M.O., das andere: Defiderius 
von Liebethal. Dies wunderliche Pjendonym erklärt fich folgendermaßen: Im 
Jahre 1616 war Kirchner in England gemwejen und hatte hier unweit Windfor 
das immer grüne Thal und das Nofenfchloß der Liebesgöttin fennen gelernt, 
das nur Dichter betreten dürfen. Dort wurde ihm von der Göttin zuerkannt, 
was er fpäter empfing (fein Liebchen nämlich). Sp erzählt wenigftens Opitz 
im deutfchen wie im lateinischen Hochzeitsgedichte an Kirchner, offenbar einem 
Einfall des letsteren folgend. — Abgedrudt ift unjer Epithalamium nur bei 
Zinfgref, S. 42 und in den Züricher Streitfchriften 3, 49. 


!) Der fieben lateinischen Diftichen (fieh oben) gedenft er hier alfo nicht. — 
Es verdient beachtet zu werden, daß Opits damals noch deutſche Verje für minder: 
wertig, von Apollo, dem eigentlichen Patron der gelehrten, ernfthaften Dichtung 
(daher er denn in Gegenſatz fteht zu der Liebesdihtung, An die deutſche Nation, 
oben ©. 65) nicht eingegeben und alfo der Entfhuldigung bedürftig erachtet. 
Selbjtbewußter fpricht ev in dem Hochzeitsgediht an Geisler, aber auch ſchon 
in der im zweiten Teil mitzuteilenden Zufchrift an Namsler. 


?) Aus Heinfius’ Elegie, ofte Vryagie 3.78 f. die (jeine Göttin) 
my de moet kont geven, En wederom beneemt. 


3) Höpfner (Zeitfchrift für deutsche Philologie 8, 471) hat mit glüclichem 
Scharffinn die Beziehung herausgefunden: „gemeint kann nur fein das Schlößchen 
Bellaguimontium, das des jungen Opitz Beſchützer, der Faiferliche Kammer: 
fisfal und Pfalzgraf Herr Tobias Scultetus von Bregofhit und Schwanenfee, 
fih 1615 auf dem hohen Ufer der Oder zu Beuthen erbaut hatte“. Wir 
hörten oben (S. 65) wie Scultetus des Dichters „tenerae largus dat amica 
silentia Musae* umd Ietterer in Beuthen Schöne aller Art ſich zum Preifen 
erfieft. Allerdings ift von diefer Poefie (und gar von deutjcher Erotik) nichts 
erhalten (vergleiche aber Ariftarhus, ©. 98). Uebrigens findet fih ſchon im 
„Strenarum libellus* (Januar 1616) ein ziemlich freies Erotopaegnium, 


70 M. Rubenfohn, Der junge Opik. 


Sie bat, ich wolt' jhr Kindt lafjen bey mir einfehren, 

Vnd es die Teutjche Sprach, jo qut ich's wilte, lehren: 
Ich gab jhr guten Troſt, jie gab mir. jhren Sohn: 
Sie hofft’ auff meinen fleiß, ich hofft’ auff trewen Yohn. 

So fompt zwar unverhofft der Knab' in eyl geflogen, 

Alsbald er aber nur bey Dir ijt eingezogen, 

Legt' er die Flügel ab, dein Efjen nicht begert, 
Thut, wie ev wer zu Hauß, macht Fewer auff den Herdt. 

Du mußt gedultiglich deß Gaftes nur gewohnen: 

Wiewol ex jeinen Wirth thut zimlich jchlecht belohnen: 

Das Herbe zimdt er an, die Augen macht ex blindt: 
Man find nicht die man jucht, man jucht nicht die man findt, 

Iſt das der Dand? Ich ließ an mir nichts nicht erwinden, 

In kurtzer zeit Fondt ex jich in die Sprache finden, 

35 Letzlich vor meine Müh er fich jelbjt in mich drang, 

Vnd nam mir mein Gemüth vnd Sinn. Iſt das der Dank? 

Bein, O ſüſſe Bein, O Yeyden ohne Frewden, 

Fewer ohne Brandt, O Frewden ohne Yeiden, 

Das liebliche Geſpenſt, jo man allhier zu Yandt 

0. Jungfraw zutäuffen pflegt, ward mir durch jhn befandt. 

Wie offt' hab’ ich gewündjcht, daß mich der Sonnen Wagen, 

Vmb das gläjerne Feld deß Himmels möchte tragen: 

Wie wind’ ich halten offt! auch mitten in dev Flucht, 
Daß ich den jchönen Glang an jhr bejchawen mocht. 

Wie offt' hab’ ich gewündſcht, daß ich doch werden jolte 

Ein Bien’, ein Fleine Bien vnd lejen, wenn ich wolte 
Auf ihrem rothen Mundt den honigjüjfen Thaw, 
Depgleichen man nicht findt in der Welt großen Aw. 

Sp wind mein Seel’ in jhr, ihr Seel’ in meine fommen, 

So würde mir mein Schmerg durch jhren jeher benommen, 
Sp wide mir die Pfort des Yebens aufgemacht, 

So wer mir die Nacht Tag, jo wer mir der Tag Nacht. 

So wird ich frewdiglich mit lebendem Todt jterben, 

Sp wind’ ich in der Welt den Himmel noch everben: 

5 Den Todt den ich mir windjch, den Himmel den ich mein’, 

Iſt in der Yiebjten Schoß gar janffte jchlaffen ein 


1 


[24] 


[OR 


Han 
[2) 


5 


Für den Kenner Opigjcher Dichtung exgiebt es jich jofort aus 
den gehäuften Goncetti, die auch im folgenden noch fortgejfegt werden 
und erjt mit 3. 65 „diß alles jollet jhr, Herr Breutigam, erlangen“ 
ein Ende finden, aus der häufigen Anwendung der Anaphora, aus 
dem ganzen vhetoriichen Habitus, daß hier eine Nachahmung einer 


M. Rubenfohn, Der junge Opig. 71 


jener jpäteren Nenaifjance- Dichtungen vorliegt. Wiederum (jieh ©. 66) 
ift es eine Vorlage, die Opitz noch einmal und zwar volljtändiger 
nachgebildet hat: „An die Jungfrawen in Teutſchlandt. Auf dem 
Holländijchen Dan. Heinsii“ (Zinfgref, ©. 2). Das ift denn auch der 
Grund für die Fortlaſſung des Hochzeitsgedichtes aus den jpäteren Auf- 
lagen geweſen (nicht richtig aljo ift Hoffmanns Anficht, Spenden 2,69). 
Freilich, dem Dichter ſelbſt vielleicht unbewußt, enthielt feine Sammlung 
noch eine dritte, ältere Bearbeitung desjelben Motivs, die für Heinſius 
das Vorbild gewejen: der jeinerjeitS aus Bions viertem Idyll ent- 
lehnte „Hirtengeſang“ (jo bei Zinfgref, wonach ich die Texte hier zu 
geben habe, ©. 25, in 1625 als VII. Ode mit dem Zufaß): „Aus 
Ronſardts Erfindung“. 


ı Newlich als ich aufgegangen Sam die Benus jelbjt zu mir, 
In des Waldes grüne jtett, Pracht auch jhren Sohn mit jhr, 
Vnd, mein beſtes zuerlangen, Der bey mir verbleiben jolte, 
Mit den Hirten fingen thet, Wo ich jhn was lehren wolte. 

2 Alles was du wilt bedingen, Wohl, ich lehrt es gant bereit, 
Sagte jie, ijt div vergündt, Was man noch findt, diejer Zeit, 


Wo du deine Kunſt zu jingen Bon den Göttern auffgejchrieben, 
Vehren wirft mein fleines Kindt. Vnd im Hirtenbuch ift blieben. 


4 Aber doch der loje Knabe Allzeit hat er in dem Mundt, 
Der gieng feinen alten Gang, Wie die Yieb das Her verwundt, 
Wann ich jhm was guts auffgabe, Wie, nach jeiner Mutter Sinnen, 
Bracht er einen Yiebsgejang, Alle müſſen Lieb gewinnen. 

C g 


Sp wurde der Lehrer zum Schüler: „Jetzt ich alſo nichts mehr 
weiß US von Yieb vnd ihrem Preiß.“ Ich glaube, man darf die 
Bariation, die im Hochzeitscarmen vorliegt, geiftvoll nennen, ein Lob, 
das man befanntlich Opitz jelten erteilen fann und das ihm auch 
hier im Grunde nicht zukommt, da ex ich faſt Zeile fir Zeile — mit 
einer Ausnahme — an Heinfius anjchliegt: Amor, d. h. die Iyrifche 
Poeſie, hat der deutjchen Sprache fich zu bedienen gelernt, der Danf 
gebührt dem Dichter, der freilich dafür fein Herz verlieren mußte. 
Das jcheint mir eine feinfinnige und bejcheidene Darjtellung einer 
wichtigen Epoche aus Dpitens Yeben zu jein. Und vergleicht man 
nun, wozu die ausführliche Anmerkung dienen mag, beide Faſſungen,) 


Da arichmereie u) = If: Der-lleberfeßung, 175. 
13 f. (. . das fie mir pflegt zugeben, Wann jhrer Augen Sonn erblict mein 
tramwrig Leben), 19 f. = 17 f. (Es ift nicht lange Zeit daß ich die Venus fande 
An einem grünen Orth in meinem Batterlande), 21—24 = 21—24 (Sie wolte 
daß ihr Sohn hier bey mir folte Hleiben, Vnd vnſer Teutſche Sprach auffs beit 


12 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


jo wind man die des Epithalamium nicht ungefchieft nennen, ja be- 
haupten dürfen, daß das jtolze Bekenntnis, ex jei der Begründer 
der neuen deutjchen Lyrik, ſich in dem Hochzeitsgedicht deutlicher, be- 
ſtimmter ausdrüce. Letzteres ift zugleich ein treffliches Beijpiel fir 
die erfolgreiche Bemühung des jungen Opitz, der Gelegenheitspoejie 
(auch der lateinischen) einen höheren, allgemeineren Inhalt zu geben. 
Unjer Barmen jollte zugleich Opigens perjünliche Erlebniſſe und ſeine 
dichteriſche Entwickelung vor Augen führen, die vor faſt einem Jahre 
durch Cupidos Eingreifen in eigenartiger Weiſe beſtimmt worden 
waren, ſo daß der Dichter jetzt (Juli 1618) ſchon mit ihnen als ge— 
gebenen Thatſachen ſich hefehäftigen kann, ohne uns freilich genauer 
die Schöne und die ihr gewidmeten Gedichte zu nennen. Dennoch 








ichs wüſte treiben, Ich ſagte zu, jo wiel mir möglich, vnd gab für Es wer ein 
junges Kindt: Sie ließ es da bey mir), 25—832 Be vielleicht im 
Anſchluß au das Anakreonteon 31, 33 |. — 25°. (Erhielt ſich bey mix 
vff, wir lieffen nichts erwinden, Vnd font er ohne müh fi in die Sprade 
finden), 85 f. = 27—31 (der Dichter fpielt mit des Gottes Waffen, 
endlih beim Abſchied an ſtatt mir Danck zu haben ... Hat er mir einen 
Pfeil getrucket in mein Herb), 3T—40 = 335—44 (DO bitter ſüſſe Pein! Dadurch 
lernt er die vrſach zu Der Ehr, die vrjach au ee Leyden, Die Jungfrauen 
fennen), 41—49 = 45—58 (D daß ih Sonne wer, vnd jhren hohen Wagen 
Einmahl vegierete nad) — wolbehagen Daß ich nur von der Lufft herab 
recht ſchawen kundt Der ſchönen Angeſicht, die mich ſo ſehr verwundt. O daß 
ich Sonne wer, ich wolt jhr Augen machen Zu Sternen in der Lufft, daß ich ſie 
könt anlachen Vnd anſehn jederzeit. .... Wie offt hab ich gewünſcht, wie 
offte dörffen ſagen, daß ich wer eine Bien' vnd Honig ſolte tragen Aus jhrem 
rothen Mundt, wenn ev wirdt auffgethan Bin ich jo froh, daß ich mich wicht 
mehr halten kan. Alß dann kompt jhre Seel, wann ich mich nichts before, 
Vnd fleucht in meine Seel). — Heinſius wünſcht ſich nun noch die Meta— 
morphoſe im eine Fliege (60—67), ſpricht dann jo geziert, wie nur möglich, 
von der Frauen Macht über den "Mann, ihrer Erichaffung durch Jupiter (ein 
Thier — een dier, een lieflichs — — das man bey vus jetzundt bier 
eine Jungfraw nennet, vgl. Epithalamium 39 f.) des Gottes eignen Liebesleiden 
(vgl. Epithalamium 60 f, endlich wie ev den Himmel regieren und einrichten 
würde als “Jupiter. 0-56 — 153 ff. (Dep Gottes Himmel ift [ach wer 
ihn könt everben!] In feiner Freundin Schoß vnd zarten Armen jterben: 
Deß Gottes Himmel ift nur allzeit können jeyn, Bey feiner liebeſten verklärtem 
Augenſchein). Mit 3. 136. fchließt die Dichtung, deren teilweife Benutzung 
in dem Hochzeitsgedicht zwar Unfelbftändigkeit verrät, aber zumal wenn man 
die — genauer vergleicht, keineswegs Urteilstofigteit. Daß Muth 
in ſeiner Differtation (Opitz und Heinfins) hierauf nicht geachtet, zeigt, wie 
ig fie den Anforderungen gemügt, freilich hat er noch NS: vernach⸗ 
läſſigt. Höpfner (Beiträge zur deutſchen Philologie, Halle 1880, S. 300) hat 
zwar den Sachverhalt erkannt, auch die Abhängigkeit des Kirchnerſ ſchen Gedichtes 
von Heinſius, aber das un. Carmen nicht vecht gewürdigt. — Um mın 
einen Vergleich mit dem Original zu ermöglichen, feien einige der wichtigeren 
Stellen noch niederländifch angeführt: 17 f. Self Venus de Godin (het is 
niet lang’ geleden) Quam vroeyelick en bly naer Hollants rijcke 





M. Rubenſohn, Der junge Opib. 13 


dürfen wir die weitere Auseinanderjegung an einige Zeilen unferes 
Hochzeitsgefanges anjchliegen: ich meine 3. 41—44. Sie find von 
mir in die Sammlung von einzelnen Verſen und Motiven aus der 
griechifchen Anthologie aufgenommen worden; ich fünnte diefen Punkt 
hier unberücfichtigt lafjen, wenn nicht eine Stelle aus Opitzens (teil: 
weife aus Seriverius und Heinfius gejchöpfter) Vorrede zur Straß— 
burger Ausgabe eine ganz eigentümliche Entdeckung veranlaßt hätte, 
die mit jener Entlehnung und des Dichters Anthologie- Studien zu- 
ſammenhängt. Blatt A? jet ev auseinander, daß die deutjche Sprache 
fich ſehr wohl für die „gebundene Art zufchreiben“ eigue. Das be- 
weile das Heldenbuch und andere alte Dichtungen, das ſolle nun auch) 
jein Büchlein, mit dem er die Bahn breche, erweifen. Enthalte es 
aber vorzüglich Yiebesfachen, jo möge man bedenken, daß „jonderlich 
der anfang jetwedern Dinges von Freundlichkeit vnd Yiebe (welcher 
ein jeglicher durch verborgene gewalt der Natur, derer gröſſeſte vnder— 
halt fie ift, verbunden) muß gemacht werden.“ Sprächen doch dafür 
ferner die „Exempel der Edelften Poeten“ und „daß auch gemeinig- 
lich die vnderrichtung von Weißheit, Zucht vnd Höfligfeit vnder dem 
betrieglichem Bilde der Yieb verdeckt lieget.“!) So werde niemand 
die Poeten „vmb diefer jhrer alten Freyheit willen verwerffen. Iſt 
auch Plato, der vnder andern in feinen jchönen Berjen jhm wünſchet 
dev Himmel zu werden, daß ev Asteriem genugjam bejchawen 
fönte, nit zu verdammen . . . (Cicero, Blinius, Apulejus folgen noch), 
wie viel mehr ich, der ich angefehen meine blühende jugent, die Keuſche 
Venus mit den gelerten Musis zugleich verehret habe.“ Er werde 
jedenfalls, jollte auch dieſe Entjchuldigung nicht gelten, noch zeigen 


steden, 21 fi. Zy wou dat haeren soon by my wat sou verkeeren, Op 
dat hy onse spraeck van Hollant mochte leeren: Ick gaf haer goeden 
moet, ick seyd’het sou wel sijn, Het kint was jonck genoech. Zy liet 
het daer by mijn. Hy woonde vast bv my, wy souden Hollants 
spreken, Hy hadd’ de spraecke vast in tien of twellef weken. 
Für Opitz ift befanntlih Daniel Heinfius der Erwecker der Mutterfprache, der 
deutschen Poefte, fo ſetzt er denn auch 3. 16 „Bud von dev Teutjchen 
Sprach’ auf mir bericht einnimpt (Cupido)“ für das niederländifche „Dat ick 
Cupido wil gaen leeren onse spraeck*; 45 ff. Dat ick de Sonne waer, 
of dat ick haeren wagen Een dach mocht ofte twee doen gaen naer 
mijn behagen, Ick soude stille staen soo diekwils in de locht, Dat 
ick den schoonen glans van een aenschouwen mocht. In dem Hochzeits- 
carmen hat Opits fich alfo hier enger an das Original gehalten. 59... als hy 
(ihre Mund) eens open gaet Soo word ick met een sap der liefliekheyt 
versaet. Dan kommt haer siel in my soetrieckende geslopen, En 
vloeyet in de mijn. 

1) Heinfins (Vorrede zum Hipponar) will auch bezeugt haben, daß ihm 
in jeinen Amores sapientiae plurima praecepta excidisse. 


714 M. Rubenfohn, Dev junge Opiß. 


„wie jehr die iwren, jo auß dem anfange von lünfftigem zu vrtheilen 
fich vnderſtehen.“ Wunderlich wird gewiß diefe Nechtfertigung der 
exotifchen Dichtung erxjcheinen, vätjelhaft aber geradezu der Hinweis 
auf Platon. Wir jahen zwar oben ſchon (©. 60), wie Opis in 
dem Borwort zu jeinem Hipponax von Sappho ganz harmlos erzählt, 
was Marimus Tyrius über Anafreon berichtet;!) aber das ift ja nur 
ein Frlüchtigfeitsfehler. Einem jolchen kann die angebliche Geliebte 
des Platon doch wohl nicht ihren Urjprung verdanfen. Die Aufklärung 
bringt die Ausgabe der Anthologie, die Cüchler jeiner Sammlung und 
Dpig jeinen Studien und Ueberſetzungen, jo weit er die Görlitzer 
Edition nicht (oben ©.57 f.) oder noch nicht benugen konnte, hauptjächlich 
zu Grunde legte. Der befonders als öſterreichiſcher Hiſtoriograph be- 
fannt gewordene Hieronymus Megijer aus Stuttgart (F 1616 in Yinz) 
veranstaltete im “Jahre 1602 in Frankfurt eine Anthologia seu 
Florilegium Graecolatinum: hoc est Veterum Graecorum Epi- 
grammata, . ... . quotquot in hanc usq. diem, doctissimorum 
virorum opera "Latino carmine conversa exstant.?) Hier jtehen 
J. II p. 188 die berühmten zwei Epigramme, die man Platon zu- 
ichreibt (Anthologia Palatina VII 669 und 670, von Cüchler nicht 
mehr aufgenommen). 
IDartorvos. 
Aor£oas zioadosı A0TMo E£uos. side yerolumv 
ovoaros, ms mokkois Ounaoıw eis 08 PAETO. 
(Too autor.) 
Aormo zoiv usw Ehaumes Eri Cwoloıw Eos, 
vöv ÖE davon Adumeıs 078005 Ev POtusvors. 

Zunächſt ift klar, daß Opitz 3. 4144 und feine Vorlage Heinjius 
51 (fieh Anmerkung zu ©. 72) wirflich das erſte Blatonijche 
Epigramm metaphrafiert haben und daß erfterem, wenn ex die Anthologie 
überhaupt jtudiert hat, dies Berhaltnis bewußt werden konnte. In 
meiner Sylloge habe ich aber durch den Hinweis auf eine Anzahl 
Mikverjtändnifje, Die Opitz mit den Ueberſetzern bei Megiſer gemein 
hat, dargethan, daß er in der That, wie wir oben ſchon erwähnten, 
jenes Florilegium zu Hilfe genommen — ſo zu Zinkgref S. 58: 





1) Die Verwechslung wird dadurch erklärlich, daß Anakreon nicht nament— 
lich genannt iſt, es heißt vielmehr: 7 d& Too Tnlov oogyıorod reyvn, zufällig 
jteht bei Heinfius reyvn. So fonnte man leicht bei 7 dE an die vorhergenannte 
Sappho denken, übrigens ein Beweis, daß Opitz nicht nur Heinſius' Ueber— 
jegung, fondern auch den Text bemutte. Bol. Witkowski, Ariftarhus ©. 98. 

2?) Opitz benutste vielleicht den nach Ablauf des faiferlihen Privilegs im 

Jahre 1614 ebendort erſchienenen Abdrud, der den alba Titel erhalten hat: 
Omnium horarum Opsonia . 


M. Rubenfohn, Der junge Opib. 75 


Auf dem Griechifchen Platonis, lib. IV — ; die angeführte Stelle 
aus der Vorrede iſt num ein weiterer, jchlagender Beweis. Mlegijer 
hat unter anderem auch die lateinischen Paraphrajen des Nathan 
Chyträus (Profeſſor der lateinischen Sprache und der Poeſie in Roſtock, 
jeit 1595 Neftor in Bremen, 7 1598, jein Bruder der berühmtere 
Theolog David Chyträus) dem griechiichen Texte des Platon bei- 
gefügt. Sie lauten 
Suspicis Asterie stellas mea: caelum utinam sim, 
Pluribus ut videam te, mea lux, oculis. 
Asterie vivens vivis fuit alter Eous, 
Mortua defunctis Hesperus alter erit. 


Solche Variationen mit den Texten vorzunehmen war etwas ganz 
Gewöhnliches,) Megiſer pflegt fie durch ein vorgejegtes Simile zu 
fennzeichnen; fie ernſt zu nehmen, d. h. als richtige \nterpretationen 
war wohl auch damals fein Zeichen eindringender Bejchäftigung mit 
den Driginalen. Opitz hat, wie wir jehen, fich düpieren lafjen: er 
jpricht wirklich) von den ſchönen Verſen Platons auf jeine Aſterie. 
Der Irrtum iſt aber nicht nur für den von ihm jo ſehr verehrten 
Platon (vgl. die befannte Ronſard nachgebildete Ode, ferner Witkowski 
S. 89, unten S. 90) verhängnisvoll geworden, auch für eine andere von 
ihm ebenſo treu verehrte und gefeierte Perſon: für ſein Görlitzer 
Mädchen, das er Aſterie nannte, nicht nur weil der Name auf den 
Himmel und das Göttliche Hinwies, ſondern vor allem um dem großen 
Philofophen zu Huldigen.?) So zeigt meines Grachtens allein der 
Name der Geliebten, der erjten Dichterbraut der neuen Dichtung, 
daß Opig fie kennen lernte, als ev mit den griechijchen Epigrammen 


!) So metaphrafierte Mich. Tarcagnota Marullus: Lucebas superis 
ınea Lucia lucida Phoebe: At nune Persephone .tertia regna tenes. 
Vielleicht ſchien den Faraphraften (auch Opitz) das Berhältiis zu dem Knaben 
(Adormo!) — sn den Delitiae poetarum Germanorum II, (1612) 
jtehen p. 254— 411 Kochhafens Gedichte und jo unfere Epigramme p. 400, mit 
den Titel: Ex Graeco, das zweite mit der Ueberſchrift: In defunetam. Das 
griechiiche Yemma der BI anudesausgaße: eis rıva Jeyousvov Aoteoa fehlt, was 
von Wichtigkeit, bei Megifer. — 3. 1 ift oadoers zu leſen. 

?) Asterie ift der fingierte Name einer Schönen bei Horaz c. III 7, 
jonft als Perſonenname faſt ungebräuchlih. Auf Inſchriften findet ſich dagegen 
zumeilen Asteris, au Statius silvae I 2, 197. 198. So nennt denn auch 
Heinfius, der den Statius bearbeitete, in feinem un in Hugenis 
Grotii nuptias deffen Braut Asteris (Sylvae II 1, 35). Nicht unwahrſchein— 
lich iſ es, daß daher die Namensform Aſteris ſtatt (Ode IV, Silvae 
p- 95, unten ©. 93) ſtamme. Als mythiſcher Name kam Afterie in der Erzählung 
bon Arachne vor, Opit hebt in dem Gedicht auf Nüßlers Arachne dies bejonders 
hervor (oben ©. 67). 


76 M. Rubenfohn, Der junge Opig. 


fich bejchäftigte, zu der Zeit alfo, wo er in Görlig Cüchlers Verkehr 
genoß. Doch wir haben ein anderes, ganz unzweifelhaftes Zeugnis 
über die Herkunft Ajteries, das man freilich jchon beachtet, aber in 
wunderlicher Weile mißverjtanden hat. 

G. Witfowsfi hat jich durch die Beröffentlichung einer größeren 
Anzahl Opisjcher Briefe aus Breslauer Handjchriften ein nicht geringes 
Verdienſt erworben. (Zeitjchrift für deutjche Philologie 21, 16 ff., 163ff.). 
Als Nr. XL teilt ex einen Jugendfriſche und -übermut verratenden 
Brief Caspar Sinner mit, eines dem Dichter bejonders werten (vgl. 
Nr. XIV md XV) jungen Mannes aus Yauban, bei dem er beijpiels- 
weife einen Tag in heiterjter Yaune verbrachte, als er die Reiſe von 
Breslau nach Paris antrat. Das Datum des Briefes hat der Heraus- 
geber richtig beftimmt. Der Yobgefang Bacchi, den Sinner von Opitz 
gerade erhalten, erjchien nach der Faſtnacht 1622 (Unterjchrift der 
Borrede), nach diefem Termin, aber vor der Abreife nach Siebenbürgen 
(Ende Mai) ift das Schreiben verfaßt. ch muß den Anfang ganz 
herſetzen. 


Sal.: et Amorem. 


Gratum est, o Poeta et Amor noster, quod tam 
cito ad meas respondisti; gratiora quae scribis; gratissi- 
mum quod hymnum in Bacchum mittis una: quod veluti 

5 fidus elucet in literis candor et calor ille veri ac veteris 
affectus amoris in me Tui. Te Gorlicii fuisse scribis, 
ubi mentionem mei fecisse cum Asterie tua; quaererem 
quid ibi. Sed ipsemet dicis. Asterie; nihilne „mutatus 
ab: illo“? ,Semperne adhue:; tibi in ’ere, eb corde 

ı Amasia? Ah Amasia! Amasia! dedistine centum basia, 
quidni?!) Sapienti sat! Hac nostra aetate nil magis am- 
plecti debemus quam studia, non favillas, nisi fortasse 
matrimonialiter, tamen feminae sunt potentes, immo sole 
potentiores videntur, sol tantum obfuscat oculos, femina 

ı5 occaecat... De statu rerum tuarum quod significasti gra- 
tum. Eremiticam vivere vitam scribis, vix imaginari 
possum; cum non modo ibi Aula, Curia, Amasia...?) 
Witkowski jchreibt 3. 7: fecisse, cum. Dagegen jpricht nicht 

nur die Stellung, jondern auch der Umjtand, daß dann gar nicht 
gejagt ift, bei wen Opitz des Abjenders Erwähnung gethan. Nun iſt 


*) Aber ich meine ins linde Bein. 
?) Die folgenden Worte: amabo, num tibi male credam jam posse 
nämlid esse) sub tot vitae incentivis? find durchaus nit unvollſtändig. 


M. Nubenfohn, Der junge Opitz. 17 


aber mentionem alicuius facere cum aliquo eine ganz gewöhnliche 
Bhrafe in dem Sinne „mit jemanden fich über einen bejprechen“. 
Diejer jemand iſt Afterie, die Opitz demnach im Jahre 1622 in 
Görlitz beſuchte. Witkowski laßt übrigens den guten Opiß, der 
allerdings in puncto sexti manches auf dem Gewifjen hatte, als einen 
argen Sünder erjcheinen. Er jagt nämlich in einer Note: „Der Name 
„Amasia“ ijt nur hier erwähnt,“ nimmt aljo eine zweite Geliebte an, 
der Opiß feine Huldigungen — aljo wohl in Yiegnig — und auch die ob- 
bemeldeten 100 Küfje dargebracht. Nun, amasia ift eine gar nicht un- 
gewöhnliche Bezeichnung der Buhle, fommt außerdem (oben ©. 60) ge- 
vade bei Opiß vor im diefer Bedeutung. Natürlich wundert fich Sinner, 
und zwar bei dem beweglichen Charakter jeines Freundes mit Necht, 
daß Opitz die kleine Görligerin noch immer nicht vergefjen könne, 
gar Erfurfionen nach ihrer Baterjtadt unternehme!) und dann jelbft 
in den Briefen jein jüßes Geheimnis verkünde (3. 9). Die Fleine 
Görligerin! So fonnte man fie freilich 1622 nicht wohl mehr nennen, 
wohl aber in dem Jahre, wo Opitz ihre Bekanntjchaft machte. Wit- 
fowsfi berichtet a. a. D., er habe fie ſchon in Bunzlau bejungen, als 
fie erft 14 Jahre zählte. Das ift — von der Ortsbejtimmung 
natürlich abgejehen — richtig. Es war im Jahre 1620, als Opik 
in Heidelberg von einem jeiner dortigen Freunde, Balthafar Venator, 
dem Verfaſſer des PBanegyrifus auf Gruter, ein necijches Brieflein 
erhielt voller Borwürfe über jeine Schreibfaulheit und feinen Wanfel- 
mut, unter der Fiktion, daß es von Aſterie herrühre. Es jteht in 
den Ausgaben vor dem vierten (fünften) Buche der poetifchen Wälder 
unter der Aufjchrift: Balth. Venatoris ad Auctorem Epistola. Ex 
persona Asteries, cuius in his carminibus saepe fit mentio.?) 
Das Gedicht gehört zu denjenigen des Heidelberger Kreiſes, die man 
nicht ohne herzliche Freude lieſt, die deutlich noch jenes Hochgefühl, 


!) In dem Silvae p. 70 abgedrucdten Gedicht Ad Michaelem Bart- 
schium (Cassoviae, Prid. Cal. Jun. A. 1622) gedenft ev auch der pia 
puella ımd wie er in der Heimat gelebt: gute Freunde habe er dort gehabt, 
Queiscum futile tempus otioso, Cantando simul et simul bibendo, Et 
quod forte caput rei est amando, Prorsus fallere suaviter licebat. 

2) Seripta Heidelbergae An. MIOCXX. David Schirmer verrät 
feinen schlechten Geſchmack, wenn ev die Elegie im erſten Nofengepüfch des zweiten 
Buches überjegt hat. Uebrigens hat er in der Vorrede bereits Platons Geliebte 
mit in jeinen Katalog herübergenommen. — Zu der zarteren, Jugend feheint 
Opitz auch jpäter noch infliniert zu haben, vgl. den XXI. Brief an Buchner 
bei Geiger (1637) über das ſchwarze, geſchwätzige Kind, mit dem ev drei Monate 
lang verlobt war: deeimum quartum annum parte vix dimidia iam ac- 
cessit, ut pater eius esse possim. — 3. 18 jteht in den Ausgaben ein 
Punkt nad vetat. 


18 M. Nubenfohn, Der junge Opit. 


jenes exhebende Bewußtſein nationalen Stolzes widerjpiegeln,!) das 
das Erjcheinen des jungen ſchleſiſchen Dichters, die Bekanntjchaft mit 
jeinen — rhythmiſch mit bisher nie gefannter Eleganz ausgejtatteten — 
deutjchen Gedichten in der Neckarſtadt hevvorrief: Als ich div noch 
ſchön erjchien, exrklang deine Yeier von meinem Preiſe. Nun würdigſt 
du die jchöne Aterie nicht einmal eines Briefes. Oder haſt du 
geheuchelt, denfjt nun mehr an die Heidelberger Schönen, gegen die 
ich wohl gar eine Vettel bin: 


ır At bis septenos nutrix mihi computat annos 
Et me ceu parvam mater amare vetat, 
Cum tu me caneres — nec enim potes ista negare, 
Nondum ego tunc noram quid puer esset Amor. 


Dft fragte ich in meiner Einfalt meine Mutter danach und zog 
mir dadurch ihren Ummwillen und Argwohn zu, doch verriet ich den 
Sänger nicht. Nun fenne ich freilich jene Gottheiten, von denen deine 
Gedichte jpreihen, o, nur zu gut. Verſchmähſt du mich nicht, jo 
jchreib mir doch! Meinft du, ich wüßte nicht, welch gewaltiges Unter- 
nehmen du planjt: daß du den Yorbeer durch deutſche Verſe div 
erwerben willft, um die Hellas und Nom uns beneiden werden, als 
ein deutjcher Kallimachos, als ein deutjcher Birgil? Wie freute ich 
mich der Botjchaft! Soll doch auch eine Jungfrau in ihnen gefeiert 
werden! O, daß ich es doch fein umd ich ewig meinen Plag in deinem 
Herzen bewahren möchte! Berzeih miv meine Zweifel an deiner Treue. 
Schreib nur einmal wieder: meine Afterie, und nie jollft du dergleichen 
wieder hören! Doch mußt du mir auch die goldenen deutjchen Verſe 
jenden und auch die lateinifchen, die die Römer neidiſch machen; feinen 
Leſer wirst du haben, der fie jo lieben kann wie ich. Nur muß ich 
die einzige jein, von der man darin lieft, die Alleinherrjcherin. Meine 
Freundinnen tröften mich freilich: ich jolle div nur trauen. Glücklich 
preifen fie mich, ſtolz dürfte ich fein, eines jolchen Dichters Herz 
zu bejigen und mit ihm unfterblich zu werden. O, fehrteft du doch 
bald heim, meine Treue und Yiebe zu erproben! — Der Brief iſt 
meines Grachtens ein deutlicher Hinweis auf die damals vom Dichter 


1) „Die deutfche Sprache hat er von dem fremdländiichen Unflat welſcher 
Geden gereinigt, fie, die einft rauhe, barbariiche, ungefüge, unter Geſetze gebracht, 
an den Rhythmus gewöhnt und gebunden, mit jolher Eleganz und jo erfolgreid) 
ausgebildet, daß wir mit allen anderen modernen Sprachen den Wettfampf auf- 
nehmen, die alten aber mm weniger zu bewundern gelernt haben. Gerade den 
Griechen gegemüber zeigt Opitz' Dichtung jene Fülle und jene Kraft des Aus— 
druds, all den poetiſchen Schmud, die glänzenden Lichter, um die wir jene jonft 
mit Recht beneideten“ jo Nüfler 1631 in der Vorrede zu den Silvae und Epi- 
grammata ganz im Simme jener Dichter. 


M. Rubenfohn, Der junge Opiß. 19 


ernftlich geplante Sammlung jeiner deutjchen und lateinijchen Dichtungen 
(fieh Witfowsfi, ©. 34; Cuphorion 1, 59). Der Einfall der Spanier 
ließ den Gedanfen nicht ausreifen.!) Opitz, der diejen Brief durch 
eine gleichfalls lateinisch gejchriebene Elegie (Silvae p. 56) beantwortet, 
ähnlich wie er das deutjche Carmen desjelben Venator in deutjchen 
Alerandrinern beantwortet (ſieh oben ©. 59), will freilich jegt gar 
nichts Poetiſches vorhaben : 
44 Nos Pindo extorres sacramus Apollinis aris 
Versibus his pulsas non sine laude fides: 
„Hic tibi, Phoebe, Iyram grati mens ponit Öpiti, 
Dum petit undosi turbida iura fori. 
Si tamen interdum huc ad non sua regna redibit, 
Sis facilis, gravis haud non fuit ille tibi.“ ?) 
sch habe die Berje ausgehoben, weil man auch jie nicht beachtet 
hat, wie jo viele lateinijche, obwohl gerade dieje oft den Schlüffel zu 
umjtrittenen Fragen geben. ES wird jo ficher gejtellt, was man aus 
Kölers Worten „Musas cum Gratiis suavissima harmonia miscuit“ 
ohne weiteres nicht (vgl. Palm ©. 138) jchliegen durfte, daß Opiß wirklich 
in Heidelberg Jurisprudenz jtudierte.?) Sonft ift aus der Antwort nicht 
viel zu lernen: Er habe, heißt es da, jofort aus dem Siegel erſehen, 
daß Freund Venator jeine Hände im Spiel gehabt, er habe allen 
Grund zu fürchten, daß der jein Nachfolger in der Gunjt Ajteries 
geworden. Uebrigens jei er treu geblieben, ja jelbjt wenn er wolle, 
fünnte ex ihr nicht untreu werden, da die Heidelberger eine wunderliche 
Kalte, ja Angſt vor dem Fremden zeigten. An die Dichtung denke 
er jeßt faft gar nicht, und wenn auch, das weibliche Gejchlecht ginge 
das nichts an; jeine Stelle jei am Spinnrocken, die Poeſie verderbe 
die Jungfrauen. So möge fie denn das Schweigen jeiner Muſe 
ertragen und mit dem bejjeren Poeten Venator jich tröften. — Hierin 
liegt, glaube ich, eine verjtecfte Ankündigung feiner neuen Heidelberger 
Viebjchaften, denen er allerdings weniger zahlreiche Dichtungen ge— 
weiht hat. 
Koch in einem anderen Gedichte an Venator erwähnt Opig 
jeiner Görliger Geliebten, auch diejes jei hier mitgeteilt (Epigrammatum 
liber, .p. 113). 


1) Darauf bezieht fih die befannte Stelle in der Poeterei, daß er fein 
Gedichte „zum theil vor etlichen Jahren felber“ zujammengelefen. 

?) So bittet in einem frivolen Wortipiel Silvia (Epigrammata p. 119): 
Ne gravis esto (Helios); levis nam fuit ille (Opit) mihi. 

>) Auf die Verſe: „Hat auch ein folches Recht Juſtinian gelehret? Habt 
ihr's mit mir vorhin zu Heydelberg gehöret“ (Auff Herrn E. Langens Hochzeit) 
verwies jchon Hoffmann; fich auc oben S. 68. 


80 M. Rubenfohn, Der junge Opiß. 


In poemata Venatoris. 


Quid facis? aut quibus absolvis tua tempora rebus, 
Lingelsheimiacas inter, amice, dapes, 

Dum patrias tantum iam conspicis eminus oras 
Nec tibi quo vellem viuere more licet? 

5 Ut video, versus e chartis colligis illos, 

Quos ipsae vatum te docuere deae. 

Sic me Phoebus amet, nil nobis gratius unquam 
Ex libris misit Lipsia pulchra suis. 

10 Forsitan hic etiam nostri tibi mentio facta est, 
Si vetus in memori pectore viuit amor. 
Forsitan Asteries alio nunc igne calentis 

Dulce prius quaedam pagina nomen habet. 


Auf die Zeit diejes Gedichtes erlaubt wohl einen Schluß der 
Brief, den Opitzens Freund Ehr. Köler aus Straßburg, wo damals auch 
Benator bei Yingelsheim eine Zufluchtsjtätte gefunden hatte, am 
8. Auguft 1626 an den jchlefischen Dichter jandte (asfi ©. 10) 

2.2.2... Peto a te iam summopere, ut Berneggerianis respon- 
deas et poemata mea si tanti aestimas euphemia aliqua exornes. 
Zincegrefius, Venator, Creutzius et alii sua poemata meis reli- 
quarii loco adiungent, aljo eine Nachahmung dev Opig-Zinfgrefjchen 
Sammlung von 1624. Yeider ijt aus dem Plane nichts geworden 
(Euphorion 1,305). Mit 3. 9 iſt wohl ein Meßkatalog gemeint, vgl. 
Zeitſchrift für deutjche Philologie 21, 26 (20. November 1626): 
De poematis tuis (Kölers) catalogus Francofurtensis indi- 
cauit. So viel aber zeigt die poetijche Epiftel, daß Opiß an Ajterie 
noch um 16264) denft umd nicht ohne Betrübnis ihrer Untreue 
Erwähnung thut. 

och zwei Stellen feien evwahnt, um das Bild von dem Görliger 
Verhältnis zu vervollftändigen. Als Caspar Kirchner nach feiner Rück— 
fehr, im Jahre 1618, fich verlobte und die Freunde aufforderte, ihm 
Gratulationsgedichte zu ſeiner Bermählung?) zufommen zu lafjjen, 
entjprach Opitz der Aufforderung durch zwei Gedichte (Silvae ©. 63 ff.), 


') Sollte meine Anfegung nicht richtig fein, jo fünnte Doch wohl nur das 
Jahr 1625 in Betracht fommen. 

2) Opiß jagt allerdings im feinem biographiichen Briefe, die Heirat habe 
1615 jtattgefunden. Aber der Schluß des deutjchen Hochzeitsgedichtes: „Bnd warn 
das ftreiten nicht in Böhmen gröffer were“ ift notwendig auf das Jahr 1619 
zu beziehen. Defterley bat hier, wie leider noch öfters, die falſche Jahreszahl 
eingejegt. Sieh Witfowsti, Kentralblatt für Bibliothefswejen 5, 531. 


M. Rubenfohn, Der junge Opitz. si 


während ein drittes (S. 51) jchon vorher dem Brautigam überjandt 
war. Die Hendefajyllaben (©. 63, ſieh oben ©. 65) erwähnen der 
Geliebten nur verjtecft; wenn Kirchner gar jchon an das Heiraten denfe, 
jo dürfe er jich auch nicht wundern, quod iam posito gravi Maronis 
Summi pondere castiore gressu Gyros contraho carmen in 
minores. Die 54 Herameter (©. 64) gedenfen ihrer am Schluß: 


At mihi si, quamvis ab avo descendimus uno, 
Praesenti non esse licet vultusque meorum 
Asterienque meam cogor vitare, benignus 
Fatorum concedat amor, reduci alite laeto 
Ut vestros detur tamen olim cernere natos. 


Nuptiarum promulsio nennt daher Opitz jeine beiden Carmina, 
er jchrieb fie längere Zeit vor der Hochzeit, die am 18. März 1619 
jtattfand.!) Sturz darauf brach er jchon nach Heidelberg auf. Kirchner 
wollte ihn zurückhalten, aber der junge Dichter brennt vor Verlangen, 
Neues zu lernen, nicht Hinter den anderen zurüczuftehen und Ruhm 
zu euwerben (Silvae, p. 66. Ad eundem. Peregre abeuntis). 


Quare valete prospere; et tu civitas?) 
Met impleratrix atque Seiren pectoris, 
Et si quid uspiam tui placuit, vale. 


Daß er feiner Sirene die Treue nicht gehalten, wiljen wir; ex 
beruhigt jich mit den Worten, die ihm nachher noch von manchen 
Dichtern nachgebetet wurden („An eine Jungfraw“, bei Zinfgref ©. 48 
„Elegie an jeine newe Liebe“): 


Verzeihe mir, Aſterie mein Leben, 

Weil ich jeßundt jo jehr weit von dir bin, 
Daß ich mich hab in ander Holdt ergeben, 

Vnd frembde Gunft mir fommen in den Sinn. 
‚sch habe dich in jhren Augen (Delias) Funden 


Und lang genug ijt die Yeporellolifte, vielleicht nicht einmal 
vollftändig, in dem Gedichte „An Nüßlern“ (1624): 


) Dazu jtimmt das Epigramm Ad Mich. Bartschium (7. Mai 1622 
in Bunzlau gejchrieben): Nonne hoc (Veneris opus) eum noster quondam 
Kirchnerus agebat, Ibam ad nune moesti littora foeta Nieri? (Silvae, 
p. 101). 

*) Görlitz. Das Gedicht iſt in Bunzlau verfaßt. Ebenjo die anderen, 
vergleiche Silvae, p. 63: es will heuer nicht Frühling werden, „paternum 
Sero constiterit gelu fluentum (Bober). 

Euphorion II. 6 


89 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


Mir auch 
Gefiel Aſterie; vnd als ich dieſe ließ, 
Durch Reiſen, welches mich von jhrer Seiten rieß, 
Kam meine Sylvia, die ſchon liegt in der Erden, 
.dann die. lange Vandala und nach der Heimkehr aus 
Weißenburg Flavia. 


Köler folgte den Spuren des Meiſters im Lieben und Dichten; 
er wußte, daß es keine Schemen waren, die jener geliebt, fragte deshalb 
gelegentlich einmal (Ende 1626) nach ihrem Schickſal. Opitz antwortete 
am 13. Februar 1627 von Breslau (Zeitſchrift für deutſche Philologie 
21,27) ... ash Hlamzi-derigquasinmsanugissimeisıitet sunf’ ama- 
toriae delitiae, caue credas esse nobilissimi apud nos uiri filiam. 
Jamdiu apud plures est Galatea siue Siluia siue quod aliud 
nomen puellae inferioris fortunae dedi. Aſterie war jomit nicht 
inferioris fortunae, aber andererjeits auch nicht eines jehr vornehmen 
Görlitzers) Tochter. 

Sollte es nicht möglich fein, noch etwas weiter zu fommen umd 
jo, was der Dichter vor jenem Fremde verheimlichte, den profanen 
Bliefen einer jpäten Nachwelt zu enthüllen, jo glücklicher zu jein, als 
es in einem viel Nehnlichfeit bietenden Falle Dtto Taubert war, als 
er den völlig mißlungenen Berjuch machte, das „Nojina-Bhantom“ 
des Paul Schede (Melissus) zu beleben?!) Inter den Schönen der 
Stadt Gorlig auf eime zu fahnden, die im Winter 1617/18 vierzehn 
‚jahre zählte,?) möchte als ein thörichtes Unterfangen erjcheinen, das, 
jelbjt wenn es erfolgreich wäre, keinerlei Nußen brächte. 

Wie aber, wenn unter den Töchtern des ehrbaren Neftors Elias 
Cüchler, mit dem Opiß unter einem Dache wohnte, eine ich befunden 
hätte, auf die jene Angabe paßt? Das gäbe doch zu denken. Das 
iſt nun aber in der Ihat der Fall. Kin günftiger Zufall Hat es 
gefügt, daß wir über die Familienverhältniſſe des Görlitzer Rektors 
genauer informiert jind (ande, Einige hiftorijch - genealogijch- kritische 
Zufäße und Berichtigungen zu Nnauths Gymnasium Augustanum. 11. 


!) Torganer Programm 1864, dagegen in eimem vortrefflichen Aufſatz 
E. Höpfner, Zeitfcehrift für das Gymnaſialweſen 19, 337. Meliſſus ſelbſt hat 
das Forſchen nach feiner Geliebten als vergeblich bezeichnet: Nulla est, Carole, 
nulla: fieta plane est. Obwohl er fie ſchon per bis terna fere lustra 
liebt, nennt ev fie doch nee visam nec posthac forte videndam. Nur im 
Heiligtume feiner Minerva lebe fie. 
; 2) Das hübjche Geficht, das lange Haar, der milchweiße Teint, die Roſen— 
wangen und die Purpurlippen, die B. Venator jonjt noch hervorhebt, ergänzen 
das Bild Ajteries in gar zu unbejtimmten Zügen. Der Dichter jelbjt weiß von 
dem Wunderwerf ihrer Augen nicht genug Rühmens zu machen. 


M. Rubenſohn, Der junge Opit. 33 


Neues Selen: Magazin 41. ande benußt cin ihm gehöriges 
genealogifches Manuffript des 17. Jahrhunderts): „Küchler heiratete 
1596 4. November Hans Nörners oder Kerners, Chirurgi in Hirſch— 
berg, Tochter, die 1634 29. November jtard. Ein Sohn Clias 
Cüchler, geboren 1597,!) jtarb 1622 als Studiofus. Kine Tochter 
Elifabeth, geboren 1599, heiratete 1620 den Subdiaconus Gregorius 
Richter in Görlitz““ und ward 1633 Witwe, . . . gejtorben 1639. 
Eine Tochter Roſina, geboren 1603, heiratete 1623 den Paſtor 
Paul Schubarth in Nothenburg und wurde 1651 Witwe, verheiratete 
ſich aber 1632 mit dem Görliger Amtsjefretär Alberti, fie jtarb 1637 
in puerperio. Cüchlers Sohn Georg, geboren 1608, jtarb 1645 
als Stadtrichter aet. 37 Jahr.“ Die 1605 geborene Nofina war 
aljo, als Opitz in Görlitz weilte, in der That vierzehn Jahre alt, 
und die argwöhniſche Mutter, die Ajterie in ihrer Einfalt nach dem 
Inhalt der Yiebesgedichte (tua carmina 3. 29) fragt und, da fie den 
Berfafjer nicht verrät, zum Zorne veizt, wäre jo auch urkundlich für 
jene Zeit evwiejen. Aber freilich was jpricht denn für die Gleich- 
jeßung Ajteries mit jener Nofma? Das Übereinjtimmende Yebensalter 
kann doch nicht als hinveichender Beweis gelten. Zum Glück kommt uns 
eine authentische Aeußerung von einem der Beteiligten zu Hilfe, von 
feinem Geringeren nämlich als Opig. Im Jahre 1619 ließ Opitzens 
Lehrer, Dornau, ein jeit langem jorgfaltig vorbereitetes Foliowerk 
erjcheinen, zu dem er in der Zeit jeiner Krankheit gefammelt hatte: jein 
zwar wunderlich angelegtes, aber. durch die Vereinigung mannigfachiter, 
3. T. ſonſt nicht gedruckter Yiteraturwerfe doch vecht wertvolles Am- 
phitheatrum Sapientiae Socraticae ioco-seriae, hoc est encomia 
et commentaria...., quibus res, aut pro vilibus vulgo aut dam- 
nosis habitae, styli patrocinio vindicantur, exornantur (Han- 
noviae, die Zufchrift an Johann Chriftian von Yiegnig, iſt vom 
10. März 1619 aus. Beuthen datiert). Auch die Roſe findet bier 
ihre Yobredner (S. 184194): antife (Inafreon, Auſonius) wie 
moderne (Paſſeratius, Aeidalus, J. Samerarius, N. Chyträus u. |. w.), 
profaische (Mich. Gehler) wie poetijche (die meilten). Unter den 
leßteren lieft man als leßtes das folgende Anakreonteon: 


') „Elias Kuchler Gorlieensis Lusatius (propter aetateım non 
iuravit).“ Frankfurter Matrifel vom Sommer 1612. Im, Winterſemeſter 1617 
wurde er vereidigt, supplevit 4 gr. 

2) „1615. 12. Maij die Gregorius Richterus, Gorlicius“: Heidel 
berger Matrifel; 1619 kam er als vierter Schultollege an das Görlitzer Gym 
naſium, das geiftliche Amt befam er 1624, 7 1633. Als Verfaſſer geiftlicher 
Lieder in Opitziſcher Manier wird er genannt. Sein Vater, Gregorius Richter, 
der gegen Jakob Böhme jchrieb, war mit Opiß bekannt. 


S4 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


Mart. Opitii / Silesii Rosa ad / Rosillam. 


JUuenantibus Poetis Rosa lac puellularum, 
Rosa ordium canendi, Rosa temporis cachinnus, 
Rosa Etesiarum ocellus; ı5 Rosa ventuli susurrus, 
Rosa muta lingua Florae, Rosa amantium catena, 

5 Rosa pompa nuda Peithüs, Rosa lectulus superbus, 
Rosa Gratiae dioptra, Rosa rubra nuptiarum 
Rosa semihulca pubes Obelus aurearum, 

Horae nec impudica, »» Rosa dosque flosque florum, 
Rosa Cypridis labella, Rosa osculum Rosillae 
10 Rosa carminum tabella, Rosa corculum Rosillae, 

Rosa basii medulla, Juuenantibus Poetis 
Rosa mel puellulorum, Rosa exodus canendi. 


Das Gedichtchen jteht noch in der erjten Hälfte des umfangreichen 
ersten Bandes, wird aljo ziemlich lange vor März 1619 eingejendet 
worden jein. Bei einer jo eindrucksfähigen Natur wie Opig, der der 
augenblicklichen Stimmung jo leicht erlag und jo gern ihr einen Aus— 
druck lieh (ieh den zweiten Teil), darf man annehmen, daß die ana- 
freontifche Form ſich ihm durch die Befchäftigung mit den Anakreonteen 
ergeben hatte. Sie lernte er aber wohl, wie die Anthologie und die 
Lyriker, in Gorlig bei Küchler fennen. Und wenn das Ganze in eine 
Berherrlichnng einer Nofilla ausläuft, auch die vorhergehenden Verſe 
ſtark erotiſch gefärbt erſcheinen, ſo dürfen wir auch Hier eine Andeutung, 
jedenfalls den Einfluß eines Herzenserlebnijjes vermuten. Die Variation 
des Namens aber ift an fich nicht auffällig, für Nofina insbejondere 
wird jie, wie miv von jachfundiger Seite verfichert wird, auch ſonſt 
befundet. !) Und ift es denn etwas jo Außergewöhnliches, daß der 
Herr Kandidat — und als Candid. Poes. & LL. ac Philol. Studiosus 
zeichnet Opitz jchon Herbſt 1617 ein Gedicht — jeine Augen und 
Wünſche bis zu der veizenden Tochter des geftrengen Herrn Reltors 
erhebt? Oder etwa verwunderlich, daß diefe in jprödem Stolz von 
dem armſeligen Bhilologen nichts willen mag, jeine Huldigungen ver- 
ſchmäht — darüber aber klagt Opis, wie wir jehen werden — und 
höher hinaus will? Wunderlich könnte eher erjcheinen, wenigjtens in 
unjerer Zeit, daß die Stolze nicht zur Strafe jißen geblieben ift, 
jondern, gewiß zum höchſten Schmerze ihres Werehrers, jpäter einen 


') „So nennt Günther feine Yeipziger Geliebte Anna Roſina Lange 

in jpielenden Variationen: Nofette, Nofilis, Nhodanthe. Vergleiche auch die 

Anjpielungen in „Scherghafte Gedanken über die Roſen“ (Gedichte S. 329)". 
A. Kopp. 


M. Rubenfohn, Der junge Opit. 85 


würdigen Chegemahl in der Perſon des Pfarrers Schubarth gefunden 
hat, noch wunderlicher freilich, wie jchon bemerkt, daß Opig einer jo 
langjährigen Yiebe überhaupt fähig gewejen. An diejer Berwunderung 
aber trägt du, Freund Opitz, jelbjt die Hauptjchuld. Oder ſchriebſt 
du nicht im „Jahre 1625, als du dem Fürſten Yudwig zu Anhalt deine 
Gedichte weihteft, in der Zuſchrift: „Sie (die Tadler der weltlichen 
Gedichte) wiſſen nicht, vnnd wollen nicht wiljen, daß in jolchen Getichten 
offte eines geredet, vnnd ein anderes verjtanden wind . . . .; wie 
dann Ajterie, Flavia, Vandala vnnd dergleichen Namen in diejen 
legten Büchern nichts als Namen find, vnnd jo wenig fin wahr 
ſollen auffgenommen werden (mie die Scaligers . . .)“? Freilich in 
der jpäteren Auflage (1639), da jchlug dir doch das Gewiſſen über 
dieje kleine Ungenauigkeit, und du fügteſt vor „nichts als Namen“ 
das bedeutungsvolle Wörtlein „faſt“ ein. — Immerhin, die uns aller— 
dings kaum mehr begreiflichen Anſichten der Zeitgenoſſen, gegen deren 
Urteil anzukämpfen dem Dichter ſtets fern lag, zwangen ihn zu dieſer 
Fiktion, wir aber freuen uns, daß wir es nicht mit fiftiver Yiebe und 
nicht mit fiktiven Gedichten zu thun haben, jondern daß die Afterie 
wirklich gelebt hat, von ihm wirklich lange und innig geliebt wurde 
und daß er wirflich, wie das Hochzeitsgedicht berichtet, an diejer 
Liebe zum deutjchen Dichter, zum Begründer der neuen Kunſtlyrik 
geworden: ilt. 

Ihre hauptjächlichjten Dokumente jollen nun noch im folgenden 
vorgeführt und zugleich kurz gezeigt werden, was außer der Yiebe 
noch weiter bejtimmend auf Opitzens poetiſche Entwicelung in Gorliß 
einwirkte. 

Aſterie-Lieder. 
Vorbemerkung. 

In der im Jahre 1621 geſchriebenen Vorrede „an den Leſer“ vor 
Heinſius' Lobgeſang Jeſu Chriſti (Zinkgref S. 118) erzählt Opitz von „etlichen 
Holländiſchen Reimen — auff welcher art dieſer Lobgeſang gemacht iſt“ — 
die ihm vor wenigen Jahren „zue handen geſtoſſen“; fie haben ihm „wegen 
jonderer bequemigfeit ſehr gefallen, vırd vnderweilen, wann mich dev verdruß 
ſchwereren ftudierens ankommen, mit onferem Deutfchen dergleichen verſuch zue thun 
anlaß gegeben. Ob nun zwar damals meine einfälle vnd gedancken mehrertheils 
nur auff weltliche ſachen (wie dann die jugend auß mangel reifferen verſtandes 
im brauch hatt) gerichtet waren“, ſo wurden ihm doch viele gelehrte Männer gerade 
deswegen geneigt und rieten zur Veröffentlichung. Wer die Stelle unbefangen 
betrachtet, kann jene „holländiſchen Reime“ nicht von Heinſius Gedichten verſtehen, 
die ſchwerlich in dieſem Zuſammenhang jo unbeſtimmt bezeichnet werden konnten 
(und doch faſſen Palm, Beiträge 144, Berghöffer, Martin Opitz' Bud) von 
der deutjchen Poeterei 34 f. die Worte fo auf). Gemeint müffen vielmehr ältere 
holländische Gedichte fein, deren Verfaffer Opits nicht nennen konnte oder nennen 
wollte. Und ſolche Dichtungen müffen allerdings aud aus anderen Gründen 


86 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


vorausgeſetzt werden. Wäre der holländifche !) Alerandriner Opit gleih durch 
Heinfins befammt geworden, fein Entwidelungsgang wäre ein jchnellerer und 
einfacherer geweſen, das Accentgefeß würde er früher erfannt haben. Nun 
aber führen eime ganze Anzahl ſchon bei Zinkgref jtehende Gedichte auf vor- 
beinfifche Quellen (letstere werden allerdings meift erft in den jpäteren Aus— 
gaben angedeutet): 1. Frülings Klagegetichte. Einen groffen Theil aus dem 
Niederländiſchen: wie auch die nechitfolgenden vier Carmina. (Der Poetifchen 
Wälder fünfjtes Buch, 1625, ©. 137. Gemeint find mit den 4 Carmina) 
2. Geburtgetihte (©. 143). 3. Vom Abwefen feiner Liebjten (S. 145). 
4. Nemwjahrs-Getichte (S. 146). 5. An eine Jungfram (©. 147). — 6. An 
die Augen feiner Jungfrawen. Faſt aus dem Holländifchen (Sonett VIII, ©. 209). 
7. Auff einen Kuß. - Auch zum theil aus dem Holländifchen (Sonett IX, ©. 210). 
Ss. Sonett XIV: Zum theil aus dem Niederländifchen (Cupido, jo du bift nichts 
anders als em Kind, ©. 213). 9. Sonett XVI. Aus dem Niederländischen 
(Was mil ich vber Push, ©. 213). 10. Ode VIII. Faſt aus dem Holländischen; 
wie auch das nachfolgende (D Du Gott der ſüſſen Schmerzen, S. 192). 11. Ode IX 
Corydon ſprach mit Berlangen, ©. 19). 12. Epigramma auf dem Holändifchen. 
(Nur bei Zinfqref, ©. 35). Mir fchien die Angelegenheit für die Erfenntnis 
der Opitzſchen Dichtkunſt jo wichtig, daß ich mich -entjchloß, einen Kenner der 
niederländiſchen Poeſie, Herren Oberlehrer Dr. Bolte, um feine Unterftügung zu 
bitten. Er vermutete jofort, daß Opitz eine Anthologie von Gedichten ver- 
ichiedener — nicht genannter — Verfaſſer benußt habe, wie fie damals üblich 
waren. Mach kurzem Suchen fand er denn auch die Sammlung (gelegentlic) 
eines Ferienaufenthalts) auf dev Gothaer Bibliothef. Sie führt den Titel: 
Den / Bloem-Hof / Van de.Nederlantsche Jeught / beplant / Met uijt- 
gelesen Liedekens en dichten, / Vergeselschapt met eenen Maywagen / 
door verscheyden Liefhebbers gecow: t / Noyt in den druck gesien. | 
t Amstelredam. / Bij Dirck Pieterss in / de Witte Parsse op / het 
Waeter / a0 1610. / 4 8.+106 ©. Outer 40.2) Hier ftehen nun alle die 
genammten Dichtungen mit alleiniger Ausnahme von Nr. 5 und 12. Bon 
welcher Wichtigkeit die Entdedung Boltes ift, wird fich erſt vecht im zweiten 
Teil des Aufjaßes zeigen. Hier möge, bevor wir weitere Mitteilungen daraus 
geben, dem Gelehrten aufrichtiger Dank ausgefprohen werden für die freund- 
liche Ueberlaffung feines Fundes und befonders für die aufopferungspolle Mühe, 
die ev mit dev vollftändigen Abjchrift der in Betracht kommenden Gedichte auf 
jich zu nehmen nicht verichmäht hat — Die Zeit der Befanntjchaft mit dem 
Bloem-Hof it mit Sicherheit zu beftimmen. Im Hipponar, der, wie wir ſahen, 
1615 in Görlitz evichien, fteht in dem Anhang deutjcher Gedichte (oben ©. 59) 
eines der oben aufgezählten Sonette (Nr. 9) mit der Ueberjchrift: E Belgico. 
So fallen denn auch die andern Ueberjegungen, jeheint es, meift in Die Görliger 
Periode, jämtliche Alerandriner wenigftens (außer den frei bearbeiteten) vor 
den Beginn des eingehenderen Studiums der Gedichte des Heinfins (etwa Früh— 
jahr 1615, ſieh dei zweiten Teil). Und wie jehr für einen verliebten, etwas 
jentimentalen Gefellen, wie es damals unſer Opitz war, das Heft fich eignete, 
zeigt ſchon der Titel, noch beſſer freilich der Inhalt der Dichtungen, die wider- 
tönen von all dem Eleinen und großen Freuden, von all den jehnfüchtigen Hoff— 


1) Er begann übrigens mit der Nachbildung des franzöſiſchen, vergleiche Ariftarh S. 98: 
Memini . ... . Maecenati meo (Tobias Scultetus) Germanicos quosdam meos, 
Gallieco more etfictos, versiculos non ita pridem fuisse oblatos. 

2) Es gab übrigens nod) eine Ausgabe des Yiederbuches vom Jahre 16085 Herr Dr. Worp 
in Groningen hat ein Exemplar dieſer Ausgabe jreumdlichit für mid; eingejehen: „Die 10 Yieder 
werden alle aud) im Bloemhof von 1608 gefunden, Nr, 5 und 12 fehlen aud) hier,“ 


M. Rubenfohn, Der junge Opit. 87 


nungen, Wünfchen und Klagen, den jchmerzerfüllter Vorwürfen, wie fie junge 
liebende Menfchenkinder zu allen Zeiten in ſolchen Liedern äußern. Daneben 
fommt freilich der befondere Gefhmad der Nenaiffance-Boefte in dem überreichen 
mythologiſchen Beiwerk und im der Vorliebe für ſchillernde Concetti, der 
holländische Urjprung aber in dem zwar gefitteten, aber auch oft unſäglich 
nüchternen Gefühlsausdrude zur Geltung. 


1. Elegien.!) 
An die Teutfche Natioır. 


17 In jhren äugelein hab ich das alles funden, 
Was ih mich in diß Buch zu fchreiben onderwunden, 
Das jrrdiſche Geftien hat meinen hohen Geiſt 
20 In Diefes enge Meer der Eitelkeit geweift. 
In Diefes enge Meer, auff welchen meine Sinnen 
Nichts als von Freundligkeit und Liebe dencken künnen. 
> Ich thue, Afterie, nach deinem wolbehagen — 
Vnd will dein hohes Lob big an die Sternen tragen: 
Sp weit der Teutfchen Ned und Tugendt ift befandt, 
Soll auch dein Ehr vnd Preiß durchtringen alles Pandt. 
O hohe werthe Seel in Weißheit außerkoren 
30 Zum Spiegel weiblicher volltommenheit geboren, 
Sey mir mit deiner Gunſt, mit deiner Huld bereit 
Komm, fomm, vnd laß vns gehn den Weg der Ewigkeit. . 2) 


Elegia) 


WEIL daß die Sonne fih ins tieffe Meer begeben, 
Vnd ihr geftirntes Haupt Die Nacht hat vffgericht, 
Sein Menfchen, Bich vnd Wild wie gleichfam ohne Yeben, 
Der Monde fcheinet auch gar kaum mit halbem Viecht. 
5 ch, ob ſchon alles jchläfft, muß ohn auffhören wachen, 
Ich, ob ſchon alles ruht, muß vuhen ohne Ruh, 
Ob Schon die gante Welt frey ift von jhren jachen, 
Bring ih vor Liebes Brunft vnd Angft fein Auge zu. 
Bud dich, Afterie, hat auch der Schlaf vmbringet, 
10 Der Tages Arbeit furth, des Todes Ebenbilo, 
Da mir der Zährenbach auß beyden Augen dringet, 
Biſtu mit ſanffter Ruh auff deinem Beth füllt... . 
25 Du auch,“) mein Yeben, jchleffft, ih muß in Nöthen wallen, 
Du bift in guter Ruh, ih wache für vnd für, 
Biß mich. der leßte Todt wirdt endlich vberfallen, 
Auff den ich ſehnlich wart allhie bey deiner Thür. 


1) Féci quod voluit: nune elaudos fingere iambos 
Occepi, numeros nune, Elegia, tuos. 

Vergleiche ©. 67. Die Skazonten find dev (unten zu behandelnde) Hipponax, die Elegien die 
längeren deutſchen Gedichte in Alerandrinern; Lateinische Elegien find in dev Görlitzer Zeit, ſo— 
meit ich jehe, nicht entjtanden, Aus’ der erjten Elegie find einige Verſe ſchon S. 65 f. mitgeteilt. 

2) Zinfgref 2. 1. 

3) Zinfgref ©. 68. 

4) Wie Delia, während Pan fie ängftlid) ſucht. 


88 


10 


15 


20 


Bon den übrigen Elegien fei hiev zunächſt noch der umfangreichiten ge— 
dacht „Frülings Klag Gedichte (Lentes Clag-ghedicht)“,?) eines Prachtſtückes 
der oben charakteriſierten holländischen Nenaiffance - Dichtung. 


M. Aubenfohn, Der junge Opik. 


Newjahr Gedicht.9 
Die Sonn hat ihre Reiß auff diefes Jahr vollendet, 
Mein Lieb, ihr endet noch die harten Sinne nicht, 
Die Sonn hat jhren fchein nun wieder her gewendet, 
Ihr wendet von mir ab dev fchönen Augen Liecht. 
Was wünſch ich euch dann jeßt, mein Augentroſt, vor Gaben, 
In diefem newen Jahr? Gelt? Das befitst ihr ſchon. 
Hut Glück? Auch diß ift hier. Wolt ihr dann Schönheit habe? 
Ihr habt fie allbereit, ond wiſt zuvil darvon. 
Koch etwas ift in euch, wofern ic) es mag ſagen, 
Davon fompt alles Leidt vnd tramwren bey mir her, 
Ein groffes Bollwerd ſteht vmb ewer Hert gejchlagen, 
Diß möcht’ ich gerne jehn, daß es gefellet wer. 


Die feſte Mawer macht, daß meine — Sinnen, 


Mein vnverfälſchte Lieb, vnd trewe Dienſte nicht 
Des Hertzens hohes Schloß vermögen zugewinnen, 

Die Schantz iſt allzu ſtarck dem anlauff zugericht. 
Ah daß durch dieſen Wahll Cupido wolte ſchieſſen, 

Wo nicht, ſo geb er mir den Bogen vnd Gewalt, 
Ich ſolt ein groſſes Loch bald haben durch geriſſen, 

Da ich mein Läger hett vnd ſtäthen auffenthalt. 
Seyt nun mit meinem Schatz vnd höchſtem Gut verehret, 

Dem Hertzen, welchs ich euch zum neuen Jahre ſendt, 
Verwahret es ja wol, daß es nicht wirdt verſehret, 

Wie das vergangne Jahr, ſo jetzundt hat ein endt. 


die Scene in Holland lokaliſiert. 


1) Zinfgref ©. 35. Wohl Neujahr 1618 Afterie überreicht. Das niederländische Driginal 


(S. 123) das ziemlich frei wiedergegeben ift, ſei gleich angejchloffen. 


Jaer-dieht, aen sijn beminde. 


Ic wensch u dit nieuw Jaer voorspoedich gants en gaer 
Veel heyls in uwen schoot, een liefst’ in u ghedachten, 
Ie wensch u voor en naer een soet gshewenste jaer, 

Int soet ghewenste jaer veel soet ghewenste celachten. 
Rijekdom, Fortuyns sheluck, eere des aertrijex staet, 
Schoonheyt des werelts lust, deucht der godvruchten ceroone 

Sal ick u wenschen niet in’t Jaer, dat nu aengaet, 
Dat waer ins’ Hollandts baen gebrocht niet ongewoone. 
Een font is doch in u, so verr’ick’t segghen mach, 
Die wensch ick dat van u wert verre wech ghenomen, 
Dat is, dat daer een Schelp (ghelijek een bolwerck plach 
Om een bemuerde Stadt) is om u hert ghecomen. 
Dees Schelpe die belet, dat mijn suyver beleyt 
Mijn dienstbaerheyt, mijn trouw, u hert niet connen raken. 
hert wert steets bestormt van mijn ghetrouwicheyt, 
Dan door dees dicke Schelp can het nu niet ghenaken. 
So wensch ick, dat die liefd’ dit jaer dees wal doorschiet 
Of dat hy my eens leen deu boosh met sijnder peesen, 
Ick sond’ een bresse groot door des schulp maken siet 
Op’ dat ick selfs daer “door in u hert mochte wesen. 
Ick geef tot een nieuw jaer een d’aldergrootste gaven, 
Die ick ter werelt heb, dat is mijn eyghen hert. 
Gheeft ghy het maer die plaets of een bequamer haven 
Dan t’/lest voorleden jaer, dat nu verloren wert! 


2) Zinfgref S. 18. Im holländiſchen Tert find e8 212 Verſe, bei Opit 196, 


Im Original ift 


M. Rubenſohn, Der junge Opik. 89 


25 Dies Nimphen die nu gaet met t’ IAs Nimphen paren, 
Daer d’Emstel ende het Ty, haer water vergaren. 
Die van u fiere hooft, u blonde hayren soet 
Laet sweren op ten stroom van uwe stille vloet. 
Die voor u daechlijex siet, dees fiere Maghet sweven, 
30 Die dus voet mijn verdriet, int beste van mijn leven. 
En ghy, die op den boort van Rheno sit end elaecht, 
Dat uwen ouden stroom gheheel nu is verjaecht . . . 


Opitz faßt das im zwei Berjen zuſammen: 


25 Ihr Nymfen die jhr auff den ſchönen Wafferflüffen, 
Sehr offt auf groffer Lieb auch Thränen müft vergieffen ... 


Der Grund für diefe Generalifierung ergiebt fi) ohne weiteres, wenn 
man beachtet, daß auch das Klagegediht für Görlis und für Afterie beftimmt 
war. Stark melancholiſch Eingt auch die „Elegie. Von abwefen feiner Liebſten“ 
(Binfgref ©. 27. „Elegie. Of Clachte“) aus: 


31 Wann aber ich von jhr mich werde müffen fcheiden, 
Begehr ich meiter nicht bey Leben mehr zu fein. 


Die 12. Strophe des Originals ſchließt dagegen: 
Het welfe]ick met my nam, doen ick van haer ginck ryen, 
En liet haer weer mijn hert, t’ welek haer een tempel is. 


Auch Hier ift das holländifche Lofalfolorit vollftändig fallen gelaffen, auch 
die beftimmte Angabe (Strophe 7) „Twelf daghen moet mijn hert noch 
met een nevel duycken“ fehlt. Das „Geburtgedichte" (Zinfgref ©. 65) ge- 
hört eigentlich nicht zu diefer Gruppe, das holländiiche Sonett (Gheboort dicht) 
ift hier in 48 Berjen ganz jelbftändig umgearbeitet worden, aber auch die fait 
fehlerlofe Metrit verrät eine fpätere Zeit, desgleihen die Zahl der Jahre (fieh 
oben ©. 77) 


7 Drey mahl fein jetund gleich ſechs Jahre weg verlohren, 
Daß die durch Gütigfeit deß Himmels ward geboren, 
In der ich alle Tag auffs new geboren werdt, . . . .') 


und der bedeutungsvolle Schluß, dem nichts in dev Borlage entfpriht: In 
Afterie vereinigen ſich 


33 Die Dinge, jo doch fonft gar felten Freunde find: 
Die Schönheit, vnd die Zucht. Sch mwill mein Haupt bededen 
Mit einem Lorbeerfvant, Ich will wiel höher ftreden 
Die Sinnen, die Sie mir hat gant vnd gar entzündt, 
Verzeihe mir, mein Lieb, daß ich von dir zufchreiben 
Mich vnderftehen darf: ich will dich einwerleiben 
Durch dieſe meine Fauſt der Vnvergänglichkeit. 
10 Waun andre Heldinen hinfort genennet werden, 
Die durch jhr Lob erfüllt all Oerter diefer Erden, 
Wird auch dein hoher Nahm erſchallen weit vnd breit . 
In das Frühjahr 1619, in die Zeit alfo unmittelbar vor der Abreije 
nach Heidelberg, führt endlich die Elegie „An die Afterien“ (Zinfguef ©. 85): 


1) Thien, halfthien, viermael een: heeft nu ghemaeyt de jaren, 
Saturnus uwe jeught, Regente van mijn hert, 


90 M. Rubenfohn, Der junge Opit. 


ZWeymal ift jetzund gleich der ſchöne Früling kommen, 
Vnd zweymal hat der Froft der Winters abgenommen 
Der Bäwme grünes Kleyd, als Venus zu mir kam, 
Vnd mich, Afterie, von Phoebus Seiten nam, 
5 Bud dir zugab . . . 
9 Wie offt hab ich bißher gehoffet frey zu werden, 
Wie offtmals hetten mich geführet von der Erden 
Die Flügel der VBernunfft, wann nicht das weite Meer 
Der groffen Freumdligfeit in Div geweſen wer ? 
Jedoch wird dich vnd mich Thalia nicht verichweigen . . . 

Unfterblich ift allein der Dichter, aus dem Himmel ftammt fein Geift, der 
Neid kann ihm nichts anhaben. 

30 Diß ift der alte Pauff. ch, den dur hier fichit ftehn, 

Vnd auch dein Lob mit mir, foll nimmer ondergehn —, 
„es ſey, daß,ich hinfort“ (im Heidelberg bei Gruter) in Die tieffinnigften 
Schriften der Alten meinen Geiſt verjenfe: vom Pöbel bleib’ ich getrennt. „Mit 
dem bejcheidt Beger ich deiner Huld, vnd gegenfreundtligfeit“. Ergieb dich endlich, 
damit du nicht einft, wenn ich Div genommen, jpät und vergeblich Reue empfindeft. 
Die Emigfeit breitet nah dir ihre Hand aus: 

63 Diemweil fie nun duch mich zu Füffen dich begert, 

Bin ih mit widerumb auch deines Kuſſes werth ? 

Mit diefev etwas aus dem patbetifchen Tom fallenden, daher fpäter auch 
ganz befeitigten Frage jchließt das Abfchiedsgedicht, das ein großes Selbſtbewußtſein 
des jungen Dichters verrät (vergleiche den zweiten Teil). Die Piebe zu Ajterie 
hat er, wie wir fehen, mit fi genommen nach Heidelberg und zwei “Jahre 
fpäter aud aus Holftein wieder heimgebradt.') 


2. Epiaramme.?) 
1.* Auß dem Gridijchen.?) 
CVpido, muſtu ja mit deinem Bogen jchergen, 
Triff mich wohin du milt, ſchieß nur nicht nach dem Herten. 
2* An die Sternen, daß fie jhm dem Weg zeigen wollen.*) 
FHr Fadeln diefer Welt, jhr ewig bremmend Fewer, 
Ihr Piechter in der Lufft, jhr Himmels äugelein, 
Führt mic zu meinem Lieb: Kompt jhr mir nicht zu ſtewer, 
Sp. wirdt mein brennendt Herß an ftatt der Sternen fein. 


1) Die nur. bei Zinfgref ©. 51 ftehende Weberfeßung (Elegie) au& Dan. Heinsii 
Monobiblo jei wenigftens (ihres ftarf erotiſchen Inhalts wegen) hier genannt. Das Gedicht 
„Elegie* (Zinfgref ©. 6), jpäter „Gedanden bey Nacht, als er nicht jchlaffen kundte“ betitelt, 
gehört zwar in die exfte fchlejifche Periode, hat aber mit Afterie nichts zu thun, es iſt teifmweife 
aus Heinfius fompiliert, fieh unten. Dagegen wird in einem nur in dev Straßburger Ausgabe 
(5. 76) abgedrudten, nicht eben feinfühligen „Hochzeit Gedichte“ Afteries gedacht: 

Die Nymfen haben ed (des Bräutigams Klagelied) mit Wehmut auch vernonmen, - 

Bnd mein Asterie hats lafjen mir zufommen. 

n AL mein Yeiden, Lieb und Schmerte 
Hat mein Hertze .... 
Borher heißt es nämlich: „Nit lengſt hab id) gehört von einer Feldgättinnen,” daß jener ein Klage— 
lied anzujtinmen pflegte. ä 

2) Die zahlreichite Gruppe. Freilid) bietet fie feinen fonderfichen Reichtum an Motiven, 
einige werden vielmehr wieder und immer wieder behandelt; deshalb hat Opit nicht ohne. Grund 
1625 eine ganze Anzahl nicht beibehalten, die beibehaltenen find mit einem Sternchen bezeichnet. 
Die im Hipponar veröffentlichten folgen im zweiten Teil. 

3) Anthologia Palatina V 223, Mafedonios. Zinfgref ©. 59. 

4) Nad; Anthologia Palatina IX 15, Ungenannter, ©. 30. 





M. Rubenfohn, Der junge Opitz. 91 


3* An die Liebftet) 
Auf dem Grichiichen. 

WO fern die Zeit die Schönheit gantz vertreibet, 
Sp brauche fie, weil jie noch iſt bey dir, 
Verwartet jie vollfommen für vnd für, 

So gib fie mir, weil fie div gleihwol bleibet. 


4. Epigramma.’) 


ALS dih, O werthe Kron, der Hirte Paris ſach, 
Erſchrack er, vnd fing an: O Venus halt gemad), 
Gib mir den Apffel her, dir ift zuviel gefchehen, 

Die Schöne Nymf hab ich vorhin noch nie gefehen. 


5.* Epigramma) 


WEil ich mein Lieb gant freundlich thäte küſſen, 
War fie betrübt, vnd ſeufftzet jnniglich, 

Ich achte wohl, dar ſie befahrte fich, 

Es würd' jhr Schmerk fih gar zu balde jchlieffen. 


6. Epigramma auf dem Holändijchen.t) 


DJFeweil man muß, zufviegen Himmliſch Gut, 
Die Sünde beichten vnd beklagen, 

Vnd zu entfliehn der Höllen heiffe Glut 

In feinem Herten Rewe tragen, 

5 ©o bitt ih doch, D meines Pebens jchein, 
Gebt mir mein Hertz, das ich verließ bey euch, 
Wolt aber jhrs behalten ja allein, 

So beichtet mein vnd ewre Sind zugleich. 


1.* Epigramma.) 


Die Sonn, der Pfeil, der Wind, verbrent, verwundt, weht hin, 
Mit Fewer,- Schärfe, ſturm, mein Augen, Herte, Sinn. 


8.* Alıud.®) 


WArumb wirdt Amor bloß von Mahlern fürgeftallt ? 
Je nadter ift die Lieb, je minder ift fie falt. 


2 1) Anthologia Palatina XII 235, Straton, Opitz hielt aber nad) der Planudea 
Meleager für den Berfaffer. Zintgref ©. 62. Sieh oben ©. 59, 

2) Motiv der Anthologie. ©. 55. 

3) ©. 33. Ich Taffe zunächſt die Yiebesepigramme in vers communs folgen, fie ver- 
wendete Opitz ſpäter nur nod) felten. So ift unter Epigramm 1625 in Alerandrinern umgefornt 
worden (S. 229): „Als newlich ic) mein Yieb vmbfieng mit vielen küſſen .... .." Das Epis 
Be VI (1625) fehlt dagegen bei Zinkgref, obwohl es in vers communs. verfaßt iſt. „Du 
agit, es ſey ver Spiegel voller Lift Vnd zeige did) div ſchöner als du bift; Komm, wilt du jehn, 
day er nicht Liegen fa, Vnd jchawe did) mit meinen Augen an.” Vergleiche Poeterey VII. 

; 4) ©. 35; oben ©. 86. 3. 2 und 4 nicht vers communs. Aud) das einen griechischen 
Epigramme nachgedichtete „Echo“ (S. 97) gehört in die Aiteriergeit, wir bringen e& im zweiten Teil. 
5) ©. 29. Ein gutes Beispiel fir die Manier dcs Euphuismus. 
6) ©. %, 


92 M. Rubenfohn, Der junge Opit. 


9. Epigramma.!') 

FLeuch wo dir hingeliebt, wohin du nur kanſt kommen, 
Fleuch mein Gemüthe, fleuch Yufft, Fewer, Waffer, Erdt, 
Du magft doch nicht entgehn, dein vorſatz mwirdt verfert, 

Weil dih mein Lieb inn ſich ſchon gäntzlich eingenommen. 


10.* Epigramma.?) 
MeEin Lieb, hat dein Geficht jo weit mich können bringen, 
Wie folte denn wol nicht dein ganter Leib mich zwingen ? 


11. Epigramma.’) 

ACH ſchicke mir doch zu ein Küfftchin, mein Leben, 
Fürchſtu, daß auff dem Weg es jemandt möcht auffheben ? 
Ey drud auff meinen Mundt dein zartes Mündelein, 

So mwirdt es vor Gefahr der Diebe ficher fein. 


12.* Epigramma an die Afterien.t) 
OB ſchon dein rother Mumndt ift einer Roſen gleich, 
Wo er wirdt andre fih zufüffen onderfangen, 
So wünſch ich, daß er doch werd alfo weiß vnd bleich, 
Als mir von Liebes Pein fein worden meine Wangen. 


13.* Epigramma.) 
OB du gleih, Edles Bild, die ſchönſte bift auff Erden, 
Ob glei dir alle Zier und Gaben vnderthan, 
Wünſch' ich, Aſterie, mir doch nit du zu werden, 
Weil ich fein Steinen Her’ im Leibe führen far. 


14.* Epigramma, 
Vber der Liebften Bildnuß.‘) 
SO ift mein Lieb geftallt, fo ift jhr Angeficht, 
Ihr Halß, ihr voter Mund, vnd jhrer Augen Liecht, 
Bnd warn der Mahler fündt abbilden ihre Sinnen, 
Nichts ſchöners würde man auff Erden finden können. 


15. Bon der Afterie Ringe) 

WgJe diefer Ring von Golt gefchmiedet ift zufammen, 
Wie diefer edle Stein fcheint gleich den Fewerflammen, 

So ift auch dein Gemüth fo hart als Golt vnd Stein, 

Bud dein Gefichte Scheint ein helle Fackel fein. 

1) ©. 55. — Die Epigramme „Die Blumen zu dem Krank” (S. 74, nad) Joſeph Scaliger), 
„An feine Freundin. leid) wie der Morgenftern” (S. 83) und „Ihr zarte Brüftelein” (©. 85) 
find ne hierher zu vechnen. 

. 24. 


3) ©. 48. 

4) ©. 28. 

5) ©. 88. 

6) Zinfgref ©. 68. Vergleiche „Vber feiner Buhlichafft Bildnuß“ S. 33, auch die Ueber» 
feßung des Fpigramms des J. Scaliger (©. 57). 

7) S. 76. Bergleice „An das Armbandt“ „vinbbunden meiner Handt zum zeichen ihrer 
Trew“ (S. 100) und „An feine Buhlichafft. Den Spiegel ſend ich euch, ihr Spiegel aller Frawen“ 
(©. 50), 





M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 93 


16.* Epigramma.!) 
Bon feiner Buhlihafft Winter Roſen. 


WAS wunder its mein Lieb, daß wir dir blühen jehen 
Die Nofen, da wir doch im falten Winter jein, 

Es iſt genug daß fie dein Athem an thut mwehen, 
Bnd deiner Augen Liecht ift ihnen Sonnenjcein. 


17. Epigramma an den Schlaf.?) 
ICh wach allhie mit jehnlichem verlangen, 
Du janffter Schlaf haft gant mein Lieb vmbfangen, 
Erblict fie dich mit einem Eugelein, 
So wirjtu bald von ihr vertrieben jein. 


18. Die Augen der Witerie.?) 
ALS Ajteris bey Nacht den Himmel angejehen, 
Hat fie der Sternen zahl vermehrt durch jhren jchein, 
Vermagftu das, mein Lieb, wie mag es dann gefchehen, 
Daß mein Geficht vergeht von deinen äugelein ? 


19.* Epigramma an die Sternen.t) 
FHr Liechter, die man fieht am hohen Himmel jchweben, 
Rufft auff von jhrem Schlaf, erwedet mir mein Leben, 
Wolt jhr dann nicht? Gewiß jhr merdt, warın fie erwacht, 
Daß jhrer Augen Liecht euch gantz zufchanden macht. 


20.* Epigramma.) 
An die Naht vnd das Geftien. 


DB ſchwartze Nacht, die du die Welt vmbfangen 
Haft vberal mit Forcht vnd Dundelheit, 
Schemjtu dich nicht, wann jhre rote Wangen 
Mein Augentroft lejt jehen weit vnd breit? 
5 hr Sternen auch dörfft jhr von oben ſchawen, 
Vnd lenger ftehn, daß jhr euch nicht vermwendt, 
Wann jhr das Liecht der jchöneften Jungfrawen, 
So biß zu euch im Himmel veicht, erfent ? 
Wie möget jhr nicht aljo bald verbleichen, 
10 Wenn jhr Geficht als eine Nofe blüht ? 
Aurora jelbft die pfleget jhr zu weichen, 
So daß fie auch für Scham blutroth außſieht. 


21. An den Abendtftern. 


ACh jegund wolt ich gleich zu meiner Bulfchafft gehen, 
Nun weicht die Sonne wegf, vnd du wilt auch entjtehen, 
Du ſchöner Abendtitern, die jpäte Nacht bricht an, 

So daß ich heute nicht zu jhr gelangen fan. 


1) ©. 61. 
2) ©, 76. Hiermit beginnt die lange Bieihe der Epigramme, die das —— der 
Augen ſeiner Aſterie beſchreiben ſollen; ſieh oben. Eine ſtarke Beeinfluſſung durch die Anthologie, 
beſonders das Platoniſche Epigramm VIL 669 (vergleiche Nr. 18), Liegt entjchieden vor, jieh ©, 74, 
©. 80. 
4) ©. 27. 
5) ©. 24. 


94 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


Antwort deß Abendtfterns.?) 
ICh jonften Hesperus, hab jetundt mich gewendet, 
Bnd werde Lucifer, ich bin vorher geſendet, 
Sey nit beftürtt, daß ich den alten Lauff verkehr, 
Weil deine Sonne fompt, jo geh ich für jhr ber. 


22.* Als er bey Naht den Himmel anjahe.?) 
DJe andre Sternen zwar jeh’ ich am Himmel jehweben, 
Allein an zweyen nur ift gleichwol mangel doch, 
Du ſchöner Morgenftern, wed’ auff, weck' auff mein Leben, 
An jhren äugelein da fehlt es jetzundt noch. 


3. Lieder, 
Ein Anders.’) 
Itzundt fompt die nacht herbey, 
Bieh vnd Menſchen werden frey, 
Die gewünſchte Ruh geht an, 
Meine ſorge kompt heran. 


Schöne glentzt der Mondenſchein, 
Vnd die güldnen Sternelein, 
Froh iſt alles weit vnd breit, 

SH nur bin im tranvigkeit. 


Zweene manglen wberal 
An der jehönen Sternen zahl, 
Die zween Sternen, jo ich mein, 
Sind der Liebſten Aeugelein. 


Nach dem Monden frag ich nicht, 
Dundel iſt der Sternen licht 
Weil fi) von mir weggewendt, 
Asteris, mein Firmament. 


Wann jich aber naht zu mir 
Diefer meiner Sonnen zier, 
Acht ich es das befte fein, 
Daß fein Stern noch Monde jchein. 


An jein Bulichafft.*) 
Vff die weiße: Angeliea die Edle. 
ASterie du Edle Schäfferin 
Werd ich dich jehen jchier ? 


1) ©. 80. 

2) ©. 34. 

3) ©. 92, nad) dem „Lied“: „Wol dem der weit von hohen Dingen” (S, 91). Dir 
icheinen die beiden hier mitgeteilten (Heidelberger) Lieder zu den beten aus Opigens Feder zu ges 
hören. Sie haben aud) das gemeinjam, daß ſie gewiſſermaßen in abjchliegender- Form früher in 
Epigrammen oder Elegien behandelten Motive in volfstiimlicher Yiederform wiedergeben. 

: 4) ©. 101, Vergleiche zur 4. Strophe die Elegie „Bon. abwejen ſeiner Liebjten“ (oben 
S. 89): „Werdt ic) die Zeit wol jehn, daß doch der Tag anbreche, darınnen id) mein Yieb nod) 
endtlich jchawen fol? Ihr Stunden laufft doch fort..... “, fir das folgende aber hat Opitz 
wieder das holländijche Original zu Rate gezogen; Strophe 9 T’sa morghen gaen-ick scheep, 
Heer Eole wilt vullen De zeglen met den wint...... Strophe 10 Neptunus, Venus 


M. Rubenſohn, Der junge Opit. 95 


In deiner Huld ich gantz verichlofien bin, 
Vnd lebe weit von dir. 
Nur bey den wilden Thieren, 
Bnd in dem wüjten Walt, 
Muß ich mein Leben füren, 
Das iſt mein vffenthalt. 
Kein Schöner Baum, fein zartes Blümelein, 
Kein Orth mich tröften mag, 
Kein Kalter Brun mit jpringender Fontein 
Erlejchet meine Plag, 
Mein augen and wie Brunnen 
Sein gant von Threnen maß, 
Auch fat gar außgerunnen 
Durch Weinen ohne maß. 
Kein Rath noch Hülff ohn dich mein Hertz erfreut, 
Kein Edler Lautenklang, 
Kein grüner Platz erquicket mich in Leidt, 
Kein lieblicher Geſang, 
Voll Zittern, Forcht vnd Zagen 
Iſt mir die gantze Welt, 
Nur trawren, ſeufftzen, Klagen, 
Alleine mir gefelt. 
Ach komm, ach komm du ſehr gewünſchter Tag, 
Ihr Stunden eilet fort, 
Daß ich doch bald mit frewden kommen mag 
Zu meines Lebens hort, 
Laß Eolus die Winde 
Mich füren von dem Landt, 
Neptunus gib geſchwinde 
Mich in der Liebſten Handt. 
Gehabt euch wohl jhr Nimfen in der Heidt, 
O Pan ich muß von dir, 
Gehabt euch wohl, mein Schiff iſt ſchon bereit, 
Das mich von hinnen führ, 
Adie ich will verlaſſen 
Der Weisheit Lob vnd Ehr, 
Minerva mag mich haſſen, 
Mein Augentroſt iſt mehr. 
vrient, die zal sijn stroom ghetyden, Den wint doen jaghen naer..... &trophe 12 
Comt, aenghenamen dach ..... Das Gedicht jteht in den fpäteren Ausgaben nicht, dagegen 
als XI. Ode die bei Zinkgref ©. 102 folgende „Palinodie oder widerruff dei vorigen Liebs“. 
ASterie mag bleiben wer fie will, 
Ich wein mit mehr von jbr, 
Ade Jungfraw, ein jehr vil höher Ziel 
Hab id) gejtellet mir... . 
35 Weg Venus, weg, Cupido geh bejeit, 
Ich ſelbſt vergejje mein, 
Und will jett gehn den Yauff der Emigfeit, 
Vnd nit mehr ivdijch fein, 
Mir thut nur tunjt gefallen, 
Die Tugent it mein Ziel, 
Aſterie mit allen 
Mag bleiben wer fie will, 


Alſo dieſelbe gemachte, kaßenjämmerliche Stimmung, die ſich in dem Einleitungsgedichte „An die 
Zeutjche Nation” fund giebt: 37 „Dip Bud) iſt mein beginn in Lieb vnd auch das ende,“ 


96 M. Rubenſohn, Der junge Opitz. 


4. Sonette, 


Das erfte datierbare Sonett ift, wie wir oben (S. 86) fahen, das aus 
dem Holländifchen überfegte „Was wil ich über Puſch, was wil ich über Sandt“, 
das fich bereits im Hipponar-Anhang (1618) befindet und daher von uns im zweiten 
Teil veröffentlicht werden wird. Hier fei — da er fiher auf Aiterie zur beziehen 
iſt — wenigſtens ein Vers daraus angeführt: 

12 O were nicht Demant jhr Hert’ vnd harter Sinn! 
(Och! mocht haer herte niet van Diamanten zijn). 


Damals hatte der Dichter offenbar nicht nur zahlreiche Epigramme, jondern 
auch ſchon manche Sonette in feiner poetifchen Mappe. Dachte er doch daran, 
junetim omnia (lateinische und deutjche Gedichte) einmal herauszugeben. „Zum 
theil aus dem Niederländifchen” ftammt das XIV. Sonett, deſſen Schlußverfe 

Ey triff nur auch das Hert der liebeften Freundinne, 
Daß Sie mich, wie ich fie, auch wieder lieb gewinne, 
Sp jag ich, dur fchießt vecht mit Vortheil vnd BVerftandt !) 


nicht nur inhaltlich, jondern auch wegen der rhythmiſchen Beſchaffenheit in jene 
Periode zurückweiſen. Das gleiche gilt von Ar. IX „Auf einen Kup. Arch zum 
theil aus dem Holländifchen“. 


5 sch mag gewißlic wol von gutem Glüde jagen, 
Ich bin durch jhren Mund zu letste noch erfreut, 
Ein Nectars-füffihen ward mir nach langem Streit, 
Die große Gunft hab ich dannoch davon getragen. 
Götter, mißgönnt mir diefe Freude nicht: 
Der Ruß ift wohl verfaufft vmb all mein bitter Yeiden.?) 


Das VIII. Sonett „Faſt aus dem Holländifchen“ erwähnten wir oben 
ihon (S. 66). Hier find recht deutliche Anſpielungen auf Aſterie: 


Sonnet.?) 
An die Augen feiner Jungfrawen. 


LEitSternen meines Haupts vnd meiner jungen Zeit, 
Die als Planeten fein geſetzet meinem Leben, 
Ihr Augen, wann ich euch jo freundlich ſehe ſchweben, 
Bin ich gleich als entzüct, für vnerhörter Frewd, 


1) Zinfgref ©. 83. Die Verſe lauten im Urtert: 
Maer vindt doch eens het hert mijns vriendlix vyandinne, 
Treft haer met eenen pijl vun een ghelijeke minne, 
So segh ick, dat ghy recht en oock met ordeel schiet. 
2) ©. 68. Im Bloem-Hof: 
5 Ick mach voorwaer te recht van mijn gheluck nu booghen, 
Ick heb noch van haer mont ten lesten eens ontfaen, 
Een Nectars kusken soet, daer door ick heb voortaen 
Mijn leven door haer mont .al eussende ghesoghen. 
14 T’is duer ghenoech ghecoft om al mijn bitter lijden. 
Die em ift alfo feineswegs genau in Anſchluß an die Vorlage gegeben. 
) ©. 50. Im Bloem-Hof jteht and) dieſes Gedicht. Sein Berfaffer ift, wie Bolte 
fette, 2 Cz. Hooft. Ich gebe es daher nad) der neuen Leendertzschen Ausgabe (1874 
1 24) wieder: 
Sonnet. 


Leitsterren van mijn hoop, planeten van mijn jeucht, 
Vermogen oogen schoon in hemels vuyr ontsteken 
Als ghij u vensters luickt soo sietmen mij ontbreken 


M. Rubenfohn, Der junge Opik. 97 


5 Dann jhr bejchlieft in euch ein hohe Liebligkeit, 
Vnd lieblich Hoheit: Ihr, ihr könnt alleine geben 
Genüge, rechte Luft, vnd nach dem alle ftreben, 
Sit völliglih bey euch, O mein Geſtirn, bereit. 
Natura felber ligt in Finfternuß begraben, 
10 Vnd mangelt jhres Liechts, von wegen jhrer Gaben, 
Die gantz bejchloffen findt in jolcher engen ftatt, 
Doch ift fie enge nicht, vnd thut fich weit ergieffen, 
Ja wüſt' vnd groß genug fait alles einzufchlieffen, 
Weil ſich mein arme Seel in ihr verjrret hatt. 


Eine felbftändige Behandlung desjelben Themas ftellt das nur bei Zint- 
gref ©. 33 erhaltene „Sonnet von der Liebften Augen dar“. Opit jpricht von 
dem Wunderwerk der Welt. 

Hett es fein, oder auch zwo, Sonnen, ftünd es nicht. 
5 Sch arm betrübtes Thier muß zweyer Sonnen liecht 
Bertragen, die mir arg für meine Liebe lohnen, 
Ja die bey Tag vnd Nacht auch meiner nicht verichonen, 
Doc ärger ift die Pein, warn mir der Glantz gebricht, 
Was Wunder ift es dann, daß jhr mich fehet fterben 
10 Mehr als zehn taujentmal, eh’ kaum hingeht ein Tag? 
Vnd jmmer widerumb belebt zur newen Plag ? 
Iſt fie miv allzunah, muß ich Durch fie verderben: 
Iſt fie denn gant hinweg, fo hab ich lauter Nacht, 
Doch wehl' ich mir den Todt, dem mir die Hitze macht. 

Aus Hiftorifchen Gründen ift im diefelbe Zeit zur ſetzen das gleichfalls nur 

bei Zinfgref (S. 62) ftehende Sonnet: 
Die Liebe frändt mein Herk, der Krieg das Batterland, 
Der Krieg mit Haß vnd Zorn, die Liebe mit dem Bogen, 
Die Liebe jaugt mich auf, der Krieg hat aufgejogen 
Vns vnd die Nachbarſchafft mit Anjtoß allerhand . .. 
9 Es ift vnglücklich Bold die folde Herren ehren... . 
14 Es ift der befte Nath, ich laſſe beydes ftehn. 
h Bielleiht fünnten noch andere angeführt werden, !) aber gerade die, welche 
Welti (Gefchichte des Sonetts) mit Sicherheit der früheren Sopnettdichtung zu- 
weift: „Bedeutung der Farben“ (Zinfgref ©. 74) wegen des viermal ge— 
Mijns levens onderhout, een teder soete vreucht: 
5 Want ghij besluit daer in een saligende deucht 
Vriendlijeke vrolijekheit; de Min met al sijn treken, 
Jock, Lach, Bevallijekheit daerinne sijn geweken 
En wat ter werelt is van wellust en geneucht. 
Natuire die daer schijnt in droeve damp begraven, 
10 Doort missen van u glans, betreurt haer rijekste gaven, 
Die gh’altesaem besluit in plaets soo nau bepaelt, 
Doch nau en is sij niet, gelijck het schijnt van buiten, 
Maer wijt en woest genoech om alles in te sluiten, 
Daer sich mijn wufte siel soo ver in heeft verdwaelt. 
Das grobe Mißverſtändnis in Zeile 1 („Leitfternen meines Hauptes“ ftatt „meiner Hoffnung“) ijt 
Leendertz nicht entgangen; übrigens ivrt er, wenn ev meint, Opig habe evjt in den Niederlanden 
Bann gelernt, 3. 8 ift „o mein Geſtirn“ (jpäter geändert) ein Zujat des Ueberſetzers, 
ſieh oben, 
1) Das Sonett Über den erjten Brief der Ajterie (S. 70), das ich im zweiten Teil bringe, 
gehört in die Monate ‚unmittelbar nad). der Abreije aus Görlitz. Aud) dad „Sonnet auß dem 
Yatein Adeodati Sebae* ©. 61 fann man in Ddieje Periode jegen, vielleicht aucd) „Sonnet an 
feine Thränen. Auß dem Lateinijchen Hugonis Grotij” (S. 34). 
7 


Euphorion II. 


98 M. Nubenjohn, Der junge Opit. 


hobenen iambiſchen Verſes und die Ueberjetung von Petrarcas Wefen der Liebe 
(Zinfgref ©. 26) wegen der auffallenden Neimftellung, laſſe ich der Heidelberger 
Zeit. Volkstümliche Verſe verwandte Opits nur in dieſer, und andere als 
niederländifche Vorbilder find für die fehlefiiche Periode nicht zu erkennen. Aber 
aweifellos find letzterer, umd zwar dem Görlitzer. Jahre, die beiden Sonette zu 
verdanken, die ich hier zuletst bejprechen will. 


Sonnet. 
An der Liebjten VBatterlandt. 


DB aller ſchönſter Ort der Flüß vnd falten Bronnen, 
Dahin fih alle Zier vnd Luſt hat eingeftalt, 
Dahin fih alles Gut begeben mannigfalt, 
So jemals worden ift bejchienen von der Sonnen, 
5 Du aller jchönfte Statt, du Hauß der Frewd vnd Wonnen, 
Printzeßin aller Stätt!) an Reichthumb vnd Gewalt, 
Doc mehr, weil du erzeygt meins Lebens vffenthalt, 
Der feine Schätze nicht verglichen werden können, 
Verzeihe mir du Statt darinnen ich geboren, 
10 Hier hab ich mir zu jein ins fünfftig außerforen, 
Hieher hab ich allein mein Hertz vnd ſinn gewandt. 
Vnd ob es mir gleich ſchwer, daß ich dich werde meiden, 
Will dennoch ich von dir, als jhr, viel lieber jcheiden. 
Dann wo mei Yeben ift, da iſt mein VBatterland.?) 


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er, 


D 


7 


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Daß Görlits gemeint jei, bedarf nach dem VBorausgehenden feines Be- 
weifes. Hinſichtlich des erſten Verſes erinnere ich an des obem genannten 
J. Meisteri descriptio, wo es 3. 34 heißt: 


Hie gelidi fontes, totam quibus unda per urbem 
Labitur abiegnis diffusa canalibus . . .. 


und an des M. Val. Polidamus Panegyricus (1518 verfaßt) 3. 44 Sint 
gelidi fontes, sint stagna virentia musco, Sint rivi eireum labentes. 
3. 10 ff. wird man nicht allzu ernjt nehmen dürfen; den Gedanken, in Görlitz 
ſich miederzulaffen, gab er auf. Weber die fehr fröhlichen Exkurſionen, die er ftatt 
dejjen nach dev Neiße-Stadt unternahm, habe ich bereits gejprochen. 


Sonnet an einen gewijjen Berg.’) 


DB grüner Berg, der du mit zweyen Spiben 
Parnaſſo gleichft, du hoher Felß, bey dir 
Wünſch ic im Ruh zubleiben für vnd für, 
Vnd deine Luft gang einfam zu befiten, 

5 Weil du mir auch vor aller Welt fanft mügen, 
Dann wann ich bin auff deinen Klippen bier, 
Seh’ ich allzeit derjenen orth für mir, 

Die für dem Tod alleine mich Fan hüten, 
Mein höchite Fremd vnd meines Lebens Leben: 


? 1) „Doorluchtige Princes van Neerlants rijeke steden.“ Heinsius Elegie 1, 
Sieh oben ©, 66. „Magdeburg . . . Princefin deiner landen“ Nittershaufen, : 
2) S. 80. Nr. 5 in 1625. 
3) ©, 52, Nr, 6 in 1625. 


M. Rubenjohn, Der junge Opit. 99 


10 So weiß ich auch, daß man jonft nirgendt findt 
Mit folder Hier ein einig orth vmbgeben, 
Natura hat die Luft allher gefetzet, 
Daß, die auff dic) mit Müh geftiegen findt 
Hinmwiderumb auch würden vecht ergetet.!) 


Da das Gedicht fi unmittelbar an das Sonett auf die Stadt Görlitz 
anjchließt, jo jchien mir die Beziehung auf Afterie und einen Berg bei Görlitz 
wahrſcheinlich. Ich fragte daher bei einem Sachverftändigen, Herrn Dr. Buchwald 
in Görliß?), an, feine Antwort jege ich hierher: „Der in Sonett VI gepriejene 
Berg kann nur die Landeskrone fein, ein doppelgipfliger Bajaltkegel won 
etwa 426 M. Höhe über dem Meeresipiegel, etwa 1!/, Stunden von Görlit 
entfernt und von dev Umgegend ſehr viel bejucht.“ Möge es der genannte 
Herr nicht für ein Mißtrauensvotum halten, wenn ich feinem Zeugnis das eines 
um drei Jahrhunderte Älteren Kollegen beifüge. In feinen Annales Gorlicenses 
berichtet Martin Mylius (fieh oben ©. 63) I 2 ©. 13 der Sceriptores rerum 
Lusaticarum, auch von dem Berge, quem Coronam provinciae vocant. Er 
ſei einſt ſehr befeftigt gewejen. Ceterum in gemino vertice eius montis, 
qui dimidio fere miliari ab urbe abest, duae fuerunt arces sibi invicem 
oppositae ..... Dem Hiftorifer ſei eim Dichter angereiht, Opitz felber: Wir 
jahen oben, daß Gottfried Jacobi auf Yeichwit fein Befitstum hatte umd oft hierhin 
fih begab, um der Liebespein zu entgehen. Aber es nützt nichts, überall wird 
er an die Geliebte erinnert: 

73 Consulit aduersi bipatentia culmina montis: 
Parnasso dominae vellet adesse suae.°) 


Zu bemerfen ift dabei, daß Yeichwit (vergleiche die Karte der Oberlaufit 
in Seriptores rerum Lusaticarum I) ſüdlich von Görlitz liegt und fo der 
Landeskfrone, die fich etwas mehr nach Westen erſtreckt, näher ift als die Stadt. — 
Sonette auf befannte Dertlichfeiten waren in der damaligen Dichtung beliebt, 
Opitz huldigt der Sitte wie in Görlitz, jo jpäter in Heidelberg, Straßburg und 
Bunzlaı (Sonett 2, 3, 4). Uebrigens weifen auch die vers communs (fie finden 
fih nur noch einmal in dem Ronſard nachgebildeten Sonett 27 „Au weh! ich 
bin in taufend tauſend Schmergen“) das Gedicht der früheren Sonett-Diehtung 
des Schlefiers zu. Wir jahen ja, daß auch in den Epigrammen dev Alerandriner 
allmählich zur Alleinherrichaft Fam und jo der fünffüßige Jambus nur im den 
früheften Verwendung fand. 





1) 12 ff. Vergleiche Anthologia Palatina IX 230 Aupabor "Eiızava u£yar 
zauss, all Eroo&odms | Ilmyaoidos zonvns vexztap&or Jıpadan" | oütws zaı 
oopins ovos Godıos Mr Ö'do Er üroov | Teoua uolns, aobon Llısoidwv yavıras. 
Dies oft überjegte Epigramm des Onejtes jand Opitz im der erſten Genturie der Cüchlerſchen 
Anthologie. Für ausgemacht möchte ic) die Benugung nicht halten, obwohl es jic) beide Male um 
einen „Muſenberg“ handelt. 

2) Ihm möge es verftattet jein auch an diefer Stelle herzlid) zu danfen für die bei wieder- 
holten Anfragen bewiejene Hilfsbereitichaft. Dem gleihen Dank habe id) Herrn Dozenten 
Dr. Herrmann in Berlin zu erjtatten. 

3) Ein aud) fonjt vorfommender frivoler Witz. 


7* 


100 8. Balentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralıipomena. 


Goethes erfte Walpurgisnacht 
und ihre Varalipomena. 
Eine methodologifche Unterfuchung. 


Don Beit Balentin n Frankfurt a. M. 





Seit der Bereicherung, die die Kenntnis Goethiſcher Werke durch 
den erweiterten Einbli in ältere Entwürfe, Borarbeiten und Notizen 
erfahren Hat, it es ganz jelbjtverftändlich geworden, daß die kritiſche 
Behandlung eines Goethijchen Werkes nicht mehr ohne jorgfältige 
Berückſichtigung der fie betreffenden Paralipomena jtattfindet. Zweifelt 
num auch niemand an diejer allgemeinen Berpflichtung, jo ijt doch die 
Berechtigung des Verfahrens feineswegs über allem Zweifel erhaben. 
Namentlich aber wird fie nicht in allen Fällen die gleiche fein können: 
jie wird von dem bejonderen Weg abhängen, den die kritiſche Be— 
trachtung einjchlägt. | 

Der nächjtliegende und auch am häufigjten betvetene Weg der 
fritiichen Betrachtung iſt der der literarhiftorijchen Methode. Ye reicher 
das Material fin eine bejtimmte einzelne Schöpfung ift, je mannig- 
faltiger es fich in jeinem Beftande infolge der langen Dauer bis zur 
Bollendung des Werfes darjtellt, je verjchiedenartiger dejjen Ziele in 
verjchiedenen Zeiten geweſen find, dejto jchwieriger, dejto danfenswerter 
aber auch ijt eine Sichtung des Materiales, das jeder Einzelheit ihre 
vechte Stelle innerhalb der Entwicelung des dichterijchen Werkes zu- 
weiſt. Ein jolcher Fall liegt bei Goethes Faujtdichtung vor. Hier 
würde jich für die literarhiftoriiche Methode die bedeutungsvolle Auf- 
gabe zur Löſung bieten, ein klares Bild von der hiſtoriſchen Entivice- 
lung der Dichtung in ihrer wechjelnden Gejtaltung herzuftellen, jo daß 
jich für die Hauptabjchnitte der Dichtungsgefchichte deutlich ergäbe, wie 
nach den vorhandenen Mitteln in einer beftimmten Zeit die Dichtung 
im Plane des Künstlers gejtaltet gewejen jei. Hieraus würde fich 
eine Gejchichte der Gejtaltungen ergeben, die die Dichtung bis zu der 
Form durchzumachen gehabt hat, in der fie jegt fertig vor uns fteht. 
Hand in Hand damit ginge der Nachweis, warn ein bejtimmtes Motiv 
eingetreten ift, wie es jich zu der damaligen Gejtaltung des Planes 


V. Valentin, Goethes erfte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 101 


verhalten, was es für Wandlungen durchgemacht hat, bis es ver- 
jchwunden oder in die endgiltige Sejtaltung der Dichtung GATBEROgINEN 
worden ift. ES ijt feine Frage, daß eine jolche jtufenweije Dar- 
jtellung des jedesmal vorhandenen Beſtandes in ſeinem Zuſammenhang 
nicht nur einen höchſt wertvollen Einblick in eine Geiſtesarbeit ſonder 
Gleichen ermöglichte: es würde auch für das Verſtändnis der Dichtung 
ſicherlich außer einem feſten Boden für jeden Zeitabſchnitt auch für 
ihre ſchließliche Geſtaltung ein großer Gewinn ſich ergeben. 

Wenn eine ſolche Klarlegung des Sachbeſtandes für jeden Haupt— 
abſchnitt dazu übergeht zu unterſuchen, aus welchen Gründen der Dichter 
eine beſtimmte Aenderung vorgenommen hat, warum er ein beſtimmtes 
Motiv fallen gelaſſen hat und zu einem anderen übergegangen iſt, oder 
weshalb er ihm eine neue Wendung glaubte geben zu müſſen, ſo ver— 
bindet ſich die literarhiſtoriſche Methode der kritiſchen Behandlung mit 
der äjthetifchen Methode: die Gründe werden nicht mehr in der äußeren, 
durch den Sachverhalt gegebenen Beglaubigung gejucht, jondern in 
der Beurteilung des fünftleriichen Zweckes, den das einzelne Motiv 
und feine bejondere Geftaltung in dem Gejamtzwec dev Dichtung ver- 
folgt: gerade dieje vereinigte Betrachtung kann für die Erkenntnis 
diejes Gejamtzwedes der Dichtung höchſt fruchtbar werden. 

In diefer verheigungsvollen Verbindung diejer beiden Methoden 
der fritiichen Betrachtung liegt nun aber auch eine Gefahr, jobald ein 
einzelnes Motiv herausgegriffen und jo unterjucht wird, daß die eine 
Methode, die literarhiftorifche, das Uebergewicht hat: tritt die ſehr 
wünjchenswerte Verbindung der beiden Methoden ein, jo wird Die 
äjthetijche Methode das entjcheidende Wort zu veden haben, weil hier 
für die Feftitellung der Bedeutung einer bejonderen Gejtaltung des 
Motivs die Berücjichtigung der fünftlevijchen Stellung des Einzelnen 
in der Gejtaltung der Gejamtdichtung in Frage kommt. Ein Ueber- 
wiegen der literarhiftorifchen Methode tritt aber ein, wenn zur Unter- 
ftügung eines Motivs die Paralipomena herbeigezogen werden und 
wenn dabei überjehen wird, daß das PBaralipomenon nur für den 
Zuftand der Dichtung auf einer bejtimmten Stufe der Entwicelung, 
nicht aber für die endgiltige Dichtung eine entjcheidende Bedeutung 
hat. Hieraus ergiebt fich eine ganz bejtimmte Grenze dev Berechtigung, 
ein Baralipomenon für die Beurteilung der Gejamtdichtung zu ver- 
wenden. 

In feiner jchönen und für die Klärung des Planes des Dichters 
in einer bejtimmten Detnne: der Entwidelung der Kunftdichtung jehr 
wertvollen Unterjuchung „ Die Walpurgisnacht im erſten Teile von 
Goethes Fauft“ (Leipzig, F. W. dv. Biedermann 1894) hat Witfowsfi 
dieje Grenze überjchritten. Er erfennt zwar an, es jei „im allgemeinen 


102 B. Balentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 


fein Kritiker verpflichtet, bei der äfthetijchen Beurteilung eines vollendeten 
Kunſtwerkes die Zeugnijje für die friiheren Stadien der Arbeit zu be- 
rückſichtigen“: es fragt fich aber, ob der Kritiker überhaupt in dem 
Sinne dazu berechtigt it, daß er, wo ein Abweichen dev fertigen 
Dichtung von einem früheren Plane vorliegt, jchliegen dürfte: deu 
friihere Blan deutet eine vollftändigere Ausgejtaltung eines Motivs an, 
die fertige Dichtung hat von dem früheren Plane mur einen Teil 
benußt: ſie zeigt deshalb eine Yüce. Dieſe Berechtigung muß ich 
beftreiten, weil fie dem Weſen des Finftleriichen Schaffens widerjpricht. 

Witkowski weilt zur Begründung feines Verfahrens jehr richtig 
auf ein Beiſpiel aus einer anderen Kunſt Hin: jolche Verweiſungen 
find, folange es jich um das Weſen des künſtleriſchen Schaffens und 
die in ihm hervortretenden allgemeinen Gejege handelt, jehr fruchtbar 
und durchaus berechtigt. Es fommt nur darauf an das Beijpiel richtig 
zu wählen. Witfowsfi jagt: „Nur der wird die architektonische Größe 
der Peterskirche richtig windigen, der von Bramantes und Michelangelos 
Plänen weiß und im Geifte die Zuthaten Madernas und der Späteren 
bejeitigt“ (©. 65). Bramantes Plan, der mit dem Michelangelos in 
der Hauptjache, dev Wahl des griechifchen Kreuzes als der Form des 
Grundriſſes, übereinſtimmt, kann hier wenig bejagen: man muß den 
nachträglich wieder aufgenommenen Plan Naphaels, das griechijche 
Kreuz im Grundriß durch das lateinische zu erjegen, ſich klar machen, 
um eine Borftellung von der beherrjchenden Bedeutung der Kuppel zu 
erhalten, wie jte für den an den Bau Herantretenden erjcheinen würde, 
wenn Michelangelos Grundriß beibehalten und das Yangjchiff nicht 
verlängert worden wäre. Auch ift es wohl eine Frage, ob Madernas 
Arkaden den Eindruck des Baues beeinträchtigen und nicht vielmehr 
die Großartigfeit dev Geſamtwirkung erhöhen: es iſt als ob die Kirche 
Arme ausjtredte, in die fie alle Herantretenden fallen möchte. Allein 
das Unvichtige des Beijpiels Liegt fin unfere Frage in etwas Anderem: 
es darf als Beijpiel kein Kunſtwerk gewählt werden, an dem mehrere 
Künſtler gearbeitet haben, jondern ein jolches, das uns die verjchiedenen 
Stadien in dem Schaffen und der künſtleriſchen Entwickelung eines 
und desjelben Künſtlers erfennen lajjen. Betrachten wir etwa wie 
Diver die Nompofition „Ehriftus am Delberge“, die er jehließlich in 
die „kleine Paſſion“ aufgenommen bat, allmählich veifen ließ. Cine 
Dandzeichnung zeigt uns Chriftus in wilder Verzweiflung auf der Exde 
ausgejtreckt, während der Engel den Kelch hält; eine weitere Stufe ift 
die, daß Chriftus niet und verzweifelnd zum Engel aufjchaut, der ihm 
Itatt des Kelches das Kreuz hinhält: diefe Auffaſſung ift bereits in 
Holz gejchnitten gemwejen; dennoch hat Diver fie noch verworfen. 
Er ſchafft nun Chriftus jchmerzvoll aber mit Ergebung zum Engel 


V. Balentin, Goethes erite Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 103 


aufblickend, der den Kelch halt. Nach und nach hat jich der Künftler 
zu der Auffafjung durchgerungen, die allein für den Zufammenhang 
der Paſſion des jich opfernden Heilands paßt, und hat ich nicht 
gejchent, die anderen Auffafjungen, die als Einzelwerfe jicherlich groß- 
artiger und, ergreifender find, bei Seite zu lafjen. Dürften wir nun 
vielleicht jchließen: die älteren Auffafjungen find das Großartigere, 
Bedeutendere, Beljere, und wenn wir das Werf in jener eigentlichen 
Gejtaltung erfennen wollen, jo müſſen wir eine diejer früheren Auf- 
faljungen der jpäter gewählten jubjtituieren? Müſſen wir nicht viel- 
mehr jchließen, daß Diver feine guten Gründe gehabt hat, dieje erſten 
genialen Gingebungen dennoch zu bejeitigen, und müſſen wir nicht 
juchen, Ddiefe Gründe aus der Stellimg des Einzelblattes im großen 
Zujfammenhang des ganzen Werkes zu finden? Ein mur verzweifeln- 
der Chriftus iſt eben fein Heiland: ein folcher opfert fich frenvillig und 
ergebungsvoll. So menjchlich wahr und großartig befonders das erſte 
Blatt empfunden ift, jo fehlt ihm eben das göttlich den Schmerz 
Ueberwindende, was allein für die Balfionsentwicelung geeignet tft 
und mit ihr jtimmt. Aber welch ein wertvoller Einblick in das Empfinden 
des Menſchen Dürer und die künſtleriſche Selbjtbeherrjchung des Meifters 
Dürer wird durch Herbeiziehung der PBaralipomena gewonnen: gerade 
dieje Stufen der Entwicelung find nach allen Seiten hin im höchſten 
Grade lehrreich. Aber falſch wäre es wiederum zu behaupten, wir 
fünnten das Blatt wie es jegt in der Fleinen Paſſion fich befindet, 
erſt richtig erfennen, wenn wir die Paralipomena daneben jehen: 
Tauſende und aber Taujende ſind von ihm ergriffen worden, gar viele 
andere jind von jeiner Fünftleriichen Schönheit erfaßt worden und 
haben nie von den beiden Blättern eine Ahnung gehabt. Und für 
das Verſtändnis des Blattes innerhalb der Gejamtdichtung ſind Die 
Baralipomena auch heute noch nicht notwendig: das hindert nicht, daß 
ihre Kenntnis unſre Wertjchäßung des Künftlers und unſre Achtung 
vor ſeiner Meifterjchaft erhöht — aber der Einblick in die Schaffens 
art des Künſtlers ift etwas ganz Anderes als der Einblick in das 
einzelne fertig vor uns liegende Kunſtwerk. Für die methodijche 
Behandlung wird fich hieraus ergeben, daß ein Künſtler, je langer ex 
an einem Werfe vorbereitend arbeitet, um jo mehr Möglichkeiten in 
Betracht zieht: das fertige Werf ftellt diefem Werfe gegenüber die 
endgiltige Wahl des Künſtlers feit, neben der alle früheren abweichenden 
Entwinfe als von dem Künſtler zurückgewieſen und nach. ihrer Durch 
probung verworfen erjcheinen. Das braucht ihrer Trefflichkeit feinen 
Eintrag zu thun: es zeigt mur, daß der Künſtler, dev immer das 
Ganze im Auge hat, die Wirkung des Einzelnen in der bejonderen 
Geftaltung, die ihm zunächſt gut erſchienen ift, fir das Ganze und in 


104 8. Valentin, Goethes erfte Walpurgisnacht und ihre Paraliponiena. 


dejjen Zuſammenhang bei der emdgiltigen Geftaltung jeines Werkes 
nicht mehr gebilligt hat. Hiernach wird man fein Mecht haben, eine 
frühere Gejtaltung, weil fie, für jich betrachtet, vollfommener erjcheint, 
als die richtigere gegenüber der jchlieglich von dem Künstler gewählten 
anzujehen und ihre Nichtverwendung als eine Yürfe in der fertigen 
Dichtung zu bezeichnen. 

Witfowsfi thut dies bei der erjten Walpurgisnacht. Er weit 
ausführlich alle die Quellen nach, die Goethe zur Verfügung für jeine 
Kenntnis des Hexenweſens gejtanden haben — eine wertvolle Bereicherung 
des Materials der bisherigen Kenntnis gegenüber. Er baut dann jehr 
jchön die ganze Satansjcene auf, wie ſie Goethe jicher einmal geplant 
hat, und benußt dazu gejchickt die Baralipomena. Dies alles halte ich 
für berechtigt und danfenswert, jo lange es ſich darum handelt nach- 
zuweijen, wie in einer bejtimmten Zeit auf einer bejtimmten Stufe 
innerhalb der Entwicelungsgejchichte der Dichtung der Künftler die Aus— 
führung dev Scene fich vorgeftellt hat. Wenn aber Witfowsfi annimmt, 
Goethe habe „der Dichtung im ganzen wie der ‚Walpurgisnacht‘ im 
befondern gejchadet, als ex fich durch Unluft oder moralijche Bedenf- 
lichkeit bejtimmen ließ, jeine Gonception zu verſtümmeln“ (©. 64), 
und wenn er den Schluß zieht, daß infolge dieſer Verſtümmelung 
die jeßige Faſſung der „Walpurgisnacht“ eine Lücke erkennen laſſe, 
wie auch der Abjtieg zur Projerpina und die Belehnung durch den 
Kaiſer jolche jeien, jo kann ich dieſer Folgerung aus der durch die 
‘Baralipomena angedeuteten veicher geplanten älteren Faſſung nicht 
zujtimmen: dem Weſen des künſtleriſchen Schaffens folgend muß ich 
annehmen, daß Goethe mit vollem Bewußtjein aus fünftlerifchen Gründen 
den älteren lan verworfen hat. Dieſe Gründe müſſen ſich aus der 
Betrachtung der Stellung des einzelnen Gliedes im Ganzen erfennen 
laſſen: ſie müſſen fich aus der Notwendigkeit der Unterordnung des 
Einzelnen unter das Ganze ergeben. Es muß aljo gezeigt werden, 
daß die jegige. Faſſung dev Walpurgisnacht der Aufgabe diejes befonderen 
Gliedes im Ganzen bejjer entjpricht und jomit richtiger ift als die 
urjprünglich geplante Durchführung. 

Der Ausgangspunkt fin eine Berftandigung über dieje Frage 
liegt in der Grundvorausſetzung: ift Goethes Fauftdichtung im vollen 
Sinne des Wortes als Kunſtwerk zu betrachten und fommt ihr die 
wejentliche Eigenjchaft des Kunſtwerkes, die Einheitlichfeit, zu? Witkowski 
Iteht mit miv auf diefem Standpunft und vertritt ihn mit aller Ent- 
jchiedenheit: er verficht „grundjäglich die Einheit des ganzen Fauſt“, 
er hält ihm „nicht nur fin unſre größte Dichtung, jondern auch für 
eines der höchjten Kunſtwerke“ und begrüßt daher „jeden Verſuch die 
Einheit zu beweijen mit Freude“ (©, 52): „es hieße in der That, 


B. Valentin, Goethes erfte Walpurgisnaht und ihre Paralipomena. 105 


Goethen das jchwerjte Unrecht anthun, wollte man die Einheit der 
Fauftdichtung leugnen.“ Ich wiirde nun freilich die Einheit eines 
Kunſtwerkes nicht als die „Beziehung aller Teile auf ein gemeinjames 
Intereſſe“ beftimmen, da dieſer Gefichtspunft teils vein jubjeftiver 
Natur ift, teils aber auch zu allgemeiner Art: ich wiirde die Einheit 
des Kunftiverfes als das Ergebnis der deutlich erfennbaren Mitwirkung 
allev Teile zur Erreichung des zunächjt in der Sache ſelbſt liegenden 
Geſamtzweckes betrachten. Wie dieſer ſich geſtaltet, hängt im einzelnen 
Falle von der Art des beſonderen Kunſtwerkes ab: bei dem Drama, 
deſſen ſachlicher Zweck die Darſtellung einer Handlung iſt, muß jeder 
Teil in erkennbarer Weiſe den Fortgang der Handlung nach ihrem 
Endziele fördern. Da der Fortgang der Handlung aber auf einem 
Widerſtreit entgegengeſetzter Kräfte beruht, ſo iſt auch ein Hemmnis 
berechtigt, wenn es nur in ſeinem Endergebnis wiederum dazu dient 
die Handlung vorwärts zu bringen. Es wird das Zeichen hervor— 
tragenden künſtleriſchen Gejchides jein, Hemmniſſe jo eintreten zu lafjen, 
daß gerade fie gegen ihre Abjicht die Förderung hervorrufen. 

Es kann nun feine Frage fein, daß für Mephiftopheles das 
Intereſſe Fauſt bei Gretchen feftzuhalten in dem Augenblic aufhört, 
in dem er erfennt, daß fein durch diefe Verbindung Fauſts mit 
Gretchen erjtrebtes Ziel nicht evreicht wind. Dieſes Ziel ift eben jo 
fraglos die Erfüllung dev Wette, auf deven Gewinnung jein Anjpruch 
auf Faufts Seele beruht. Der Verkehr mit Gretchen hat für Fauſt 
nicht die erfehnte Erfüllung gebracht: da ev im Genuß nach Begierde 
verjchmachtet und fich zugleich eines ſchweren Unvechtes gegen Gretchen 
bewußt ift, jo kann er den Augenblic hier nicht erleben, dem ex 
Berweilen wünſchen möchte. So liegt es nun im Intereſſe des 
Mephiftopheles ihn von Gretchen loszureißen und zu neuen Verſuchen, 
neuen Genüffen Hinzuführen. Gin Mittel hierzu bietet ihm die Wal- 
purgisnacht: tücifch benutzt er Fauſts Wunfch, für Gretchen neue 
Geſchenke fich zu jchaffen, dazu ihn auf den Blocsberg zu locken: jo 
weiß der Dichter die Walpurgisnacht vorzubereiten und mit der 
Handlung enge zu verfnüpfen (B. 3660— 3675 Weimarifche Ausgabe). 

Hat jo das Hereinziehen der Walpurgisnacht iiberhaupt jeine 
volle Berechtigung, jo fragt es fich nun, wie es mit dem Einzelverlauf 
ihrer Erſcheinung ſteht. Wie die Paralipomena zeigen, hatte Goethe 
urſprünglich einen viel weiter gehenden Plan der Ausführung gefaßt. 
Nach Witkowski gliedert ſie ſich in drei Teile: der Aufſtieg zum Gipfel, 
anfangs Mephiftopheles und Fauſt allein emporklimmend, dann in 
den Zug der Heren hineingeratend und von ihm mit nach oben gerifjen, 
das eigentliche Feſt mit Tanz, Dilettantentheater und Anbetung des 
Höllenfürften, und endlich die Thalfahrt, bei der wieder Mephijtopheles 


106 B. Valentin, Goethes erjte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena, 


und Fauſt von der Menge der Geijter fortgerijjen werden und wider 
ihren Willen in eine Nichtung geraten, die jie jchlieglich zur Richtſtätte 
führt: hier werden fie Zeugen der Tänze und Gefänge, in denen 
Gretchens herannahendes Ende ſich ankündigt. Fauſt erfährt das 
Schiefjal dann deutlicher durch das Gejchwäß der Teufelsfinder, der 
stielfröpfe, und beim hevanbrechenden Morgen jchließt ſich unmittelbar 
die Scene „Trüber Tag. Feld“ an“ (Witfowsfi ©. 37; im einzelnen 
ausgeführt ©. 57— 64). Das ijt ficherlich ein jehr jinnvoller Plan 
und, wie alle ein jelbjtändiges Glied des Ganzen bildenden Epijoden 
der Goethijchen Fauftdichtung, ein fleines Drama für fich in deutlicher 
Gliederung. ber die Walpurgisnacht ift feine Epiſode für Jich: fie 
it eine Scene innerhalb einer jelbjtändigen Epijode, der Gretchen- 
tragddie. Ihr Derammwachjen zur Selbjtändigfeit iſt ein künſtleriſcher 
Fehler, weil hierdurch Motive mithereingezogen werden, die für Die 
Haupthandlung feinerlei Bedeutung haben, die die Haupthandlung in 
ihrem Fortgange hemmen, aber nicht jo, daß Durch diefes Demmen 
eine Förderung, jondern ein Aufenthalt, ein Ablenfen des Intereſſes 
von der Hauptjache ftattfindet. Die Anbetung des Höllenfürſten ift 
jicherlich Für fich genommen ein Motiv, das einen Künſtler, dev im 
Bewußtſein des veinjten Zieles jich nicht vor der derbiten Derbheit 
zu jcheuen brauchte, wohl zur Ausführung veizen fonnte, und jo weit 
jie vorhanden ift, läßt dieje Ausführung nichts von jatanischem Geijte 
vermijjen — jehr richtig it es hierbei, dag Witkowski fich bei der 
Anführung nicht des nußlojen Feigenblattes der Gedanfenftriche bedient: 
für den Wiljenden verhüllt es nichts, den Nicht- oder Halbwijjenden 
macht es exit darauf aufmerfjam, daß hier etwas Bejonderes zu juchen 
jei und fordert einen Neiz, den die Offenheit vermeidet. Was aber 
hat dieje Anbetung des Satans, was dejjen Erjeheinen überhaupt mit 
Fauſt und Gretchen, was mit dem ihr unmittelbar bevorjtehenden 
Schicjal zu thun? Ich muß es daher als einen Akt künſtleriſcher 
Weisheit betrachten, daß Goethe die Selbjtbeherrjchung hatte dieſes 
danfbare Motiv nicht auszuführen, jondern dem jtraffen einheitlichen 
Gange der Handlung zu Yiebe zu opfern: der große Künſtler jcheut 
jich nicht auch das an fich Beſte rückſichtslos zu verwerfen, ſobald 
es fich dem höheren Zwecke, dem ungehemmten Zujammenhange des 
Ganzen, jtörend in den Weg jtellt — nur der fleine Künſtler iſt in 
jeine Schöpfungen verliebt und jchont jelbjt die unbedeutendjten, und 
mit Necht: hat er doch nicht das Gefühl der jchranfenlos und ver- 
ſchwenderiſch wirkenden Schöpfungskraft, die unabläjfig immer Neues 
zu gejtalten vermag. 

So ijt allevdings an die Stelle des Satans jelbjt nur eine 
Andentung getreten, und auch ſonſt ift manches damit überflüfjig 


V. Valentin, Goethes erfte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 107 


geworden: ift aber damit die Walpurgisnacht wirklich jo herabgeſunken, 
daß fie nur noch als eine „oje eingefügte Epijode“ bezeichnet werden 
darf? 

Soll die Walpurgisnacht der Aufgabe genügen als Ddienendes 
Glied ich dem Ganzen einzuordnen, jo wird fie zwei Forderungen 
zu erfüllen haben: fie muß für Mephiftopheles das Mittel werden 
Fauſt von Gretchen abzulenken, und dieſes Mittel muß ſich als nicht 
genügend erweiſen. Zu einer wirklich künſtleriſchen und ſpeciell 
dramatiſchen Geſtaltung wird dieſe Doppelforderung erſt dann gelangen, 
wenn gerade das Mittel, das Mephiſtopheles anwendet, um Fauſt von 
Gretchen abzubringen, dahin führt, ihn um ſo energiſcher zu ihr hin— 
zutreiben. Und eben um dieſe Forderungen zu erfüllen, hat Goethe 
die Ausführung der Walpurgisnacht anders geſtaltet als ſie der in den 
Paralipomenis erhaltene ältere Entwurf erwarten läßt. 

Demgemäß gliedert ſich jetzt die Walpurgisnacht in zwei große 
Maſſen: die Ablenkung Fauſts von Gretchen und die durch Mephi— 
ſtopheles ſelbſt ſehr gegen ſeinen Willen veranlaßte Zurücklenkung 
Fauſts zu Gretchen, ſo daß das ganze Zauberweſen ſtets in engſter 
Beziehung zu der Haupthandlung, hier der Verbindung Fauſts und 
Gretchens, und ihres Fortganges bleibt. Die erſte Hauptmaſſe geht 
von V. 3834 bis 4023: Fauſt folgt dem Mephiſtopheles wider— 
ſtandslos. Sollen wir als Miterleber der Handlung den Eindruck 
einer unter beſtimmten Vorausſetzungen zuzugebenden Wahrſcheinlichkeit 
gewinnen, ſo muß der Uebergang von der Welt der Wirklichkeit in die 
Welt der Traum- und Zauberſphäre und der ihr eignenden Wirklichkeit 
deutlich bemerkbar werden. So ſehen wir die beiden nicht, wie es 
Mephiftopheles lieber gehabt hätte, auf Bock und Bejenjtiel reiten, 
was jehr zauberhaft gewejen wäre, jondern als irdiſche Wanderer die 
Höhe hinanflimmen, was Faufts Entzüden an der Natur entjpricht, 
während Mephiftopheles jich vecht unbehaglich fühlt. Der Eintritt in 
die Zauberjphäre, in die Wunderwelt diefer Nacht, in der das Unglaub- 
fiche natürlich ift, bietet die Führung des rrlichtes, das naturgemäß 
von dem vechten Weg der Alltagswelt ablenft: jofort Fühlen Die 
Wanderer die Wirfung, zunächſt Mephiftopheles, der auf dieſe neue, 
ihm ungewohnte Weiſe die Zauberjphare betritt und daher die erſte 
Wirkung mit jo „scheint es“ begrüßt. Die Verteilung des Wechjel 
gefanges auf die drei Perſonen ift zweifellos: Witfowsfi führt die von 
Erich Schmidt (Weimarifche Ausgabe 14, 280) gegebene als die wahr 
jcheinlichjte an. Sie muß es fein: auch andere haben nicht anders 
geunteilt, wie ich mix jelbjt jeit lange dieje Verteilung bemerft hatte 
— Beweis genug, daß die drei Individuen jo klar charakteriſiert find, 
daß das Ergebnis der Verteilung bei verjchiedenen Beurteilern dasjelbe 


108 3. Balentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre: Paralipomena. 


jein muß. Jeder der drei Wanderer jieht in der Natur jein eigenes 
Wefen (Vgl. meine Nachweifung in „Goethes Fauftdichtung in ihrer 
fünftlexifchen Einheit dargeſtellt,“ Berlin, E. Felber 1894, ©. 100 F.). 
Natürlich ift ſich auch der Dichter jelbjt über dieſe Berteilung Klar 
gewejen, da er jonft eine jo jcharfe Charakterifierung nicht hätte geben 
fünnen, umd nicht minder ficher hat er eine Verteilung überhaupt 
gewollt: dies ift mit Notwendigfeit aus dev Bezeichnung „Wechjelgejang“ 
zu jchliegen. Ich kann daher die Ausführungen Witfowsfis (©. 39) 
nicht für zutreffend halten. 

Das Ergebnis diejes Eintritts in die Zauberjphäre jpricht jich 
in den Worten Faufts aus: „Aber ſag' mir, ob wir ſtehen Dder ob 
wir weiter gehen, Alles, alles jcheint zu drehen“: was hier in der 
Zauberwelt wirklich und natürlich ift, exjcheint dem dieſes Treibens 
Ungewöhnten als das dem ihm bisher gewohnten Zuftande vollig 
Widerjprechende. Aber Fauſt wird bald heimijch, jo daß dieſe 
Empfindung des Widerjpruches aufhört: das Irrlicht hat mit feiner 
Führung jeine Schuldigfeit gethan und exjcheint ebenjowenig wieder 
wie die anderen Gejftalten, jobald ſie an Fauſt oder Fauſt an jie 
herangetreten ift. Wie auf einem Jahrmarkt, dejjen Bild ja auch vom 
Dichter verwendet wird, vor dem ihn Durcchwandernden Gejtalten auf- 
tauchen und verjchwinden, Eindruck machen und verlieren, jo geht es 
auch hier: das bleibende, die Handlung darjtellende und fortführende 
Element find die beiden Hauptperſonen, deren Bejuch auf diefer „Meſſe“ 
gejchildert wird. 

Die erjte Thatfache, die uns zeigt wie Fauſt, nach Durchmachung 
diejes Angleichungsprozejjes, thatjächlich nicht nur äußerlich in die 
Zauberſphäre eingetreten iſt, jondern für die Zeit feines Aufenthaltes 
in ihr Anteil an der Geijternatur genommen Hat und eben dadurch 
befähigt ijt alles als Gleichgearteter mitzuerleben, mitzujehen und 
mitzuhören, dieje erſte Ihatjache ift das Erbliden des Mammon: 
der verborgene Schaß, den er früher nur aus der Ferne hatte flimmern 
jehen und von dem ev gehofft hatte, daß er allmählich in die Höhe 
rücken werde, hat ihn ganz bejonders bewogen Mephijtopheles hierher 
zufolgen, und Mephiftopheles zeigt ihm nun zuerſt die ganze Fülle 
des erdgeborgenen Neichtums: aber Fauſt darf ihn nur jtaunend 
bewundern. Denn jchon jagen die ungeſtümen Gäſte heran, die Heren 
jeglicher Art, die in alles ducchbrechendem Sturm unter Heulen und 
Ziſchen zum Brocden ziehen. Sie braujen an den beiden Wanderern 
vorbei, die einzelne Worte von ihnen auffangen: dieſe haben Logijchen 
Zuſammenhang nur jo weit jie einer und derjelben Gruppe der 
Vorüberziehenden angehören. Die erſte Gruppe geht von 3956— 3967: 
der Hexenchor. Dann begegnen ich zwei einzelne Hexen, begrüßen 


V. Balentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomend. 109 


fih und erzählen fich etwas: die beiden „Stimmen“ 3968—3970a. 
Nun drangt fich eine Here, ohne ein Wort zu jagen, in blindem Eifer 
vor und verlegt zwei andere: die eine von dieſen xuft entrüftet: 
„D fahre zur Hölle! Was reit'ſt du jo ſchnelle!“ Die andere Elagt 
der Dahineilenden nach, indem jie der, die eben gejprochen hat, zuruft: 
„Mich Hat fie gejchunden, Da fieh nur die Wunden!“ Es find aljo 
die vier Stimmen vier verjchiedene Perfonen: V. 3972 hat mit 
3. 3969 logiſch nichts zu thun: die gejchunden hat, iſt nicht die Eule 
oder die Here, die der Eule ins Neſt geguct hat: die zwei erjten 
Stimmen und die zwei folgenden Stimmen find zwei Gruppen, von 
denen jede für fich zu nehmen ift. Nun hebt der Hexenchor jeinen 
Geſang wieder an, dem der Chor der Herenmeifter folgt: ehe jie fich 
im Geſang vereinigen, kommen wieder einzelne Hexen zu Wort, eine 
oben, eine unten — es ijt eine durch verjchiedene Höhen hingehende 
Scenerie, wie jpäter auf dem Neinigungsberg in der Schlußſcene: 
der Zufammenhang liegt in dem alle einzelnen Berjonen und Gruppen 
beherrjchenden gemeinfamen Streben nach oben, nicht in der inhaltlichen 
Beziehung jeder folgenden Zeile auf den Inhalt einer der vorher- 
gehenden. Noch viel weniger aber darf in den Verſen 3987 ff. 
irgend welche ſatiriſche Beziehung gejucht werden: der Dichter bleibt 
hier durchaus in den jachlichen Berhältniffen der angenommenen Wirk— 
lichfeit: jo wie die zur Seligfeit Beſtimmten nicht alle jofort das 
höchjte Ziel erreichen, jondern lange, jelbjt Jahrhunderte lang warten 
müfjen bis jie den Gipfel ewreichen, jo ift es auch bier im Neiche des 
Böſen, das in allem eine farifievende Nachbildung des Reiches 
Gottes ift. 

Diejer gewaltige Herenfturm bleibt auf die Wanderer nicht ohne 
Wirfung': fie werden auseinandergerifjen und können fich nur mühſam, 
ja nur mit Anwendung von Gewalt zufammenfinden: Mephiftopheles 
benußt diefe Gelegenheit zu einem Borwand aus dem Gedränge zu 
weichen, um jeinem perjünlichen Gelüfte nachzugehen. Damit tritt 
die mit bejonderem Fünftleriichen Geſchick hexbeigeführte und benußte 
Wendung in der dramatifchen Entwicdelung der Scene ein: Mephiſto— 
pheles vergißt einen Augenblick über der Befriedigung jeiner Yüftern- 
heit den Hauptzwec des Brockenbeſuches in dieſer Nacht, und jtatt 
Fauſt von Gretchen fortzureißen, indem er ihn zur Anbetung des 
Satans hinführte, bringt ev ihn an eine abjeitS gelegene Stelle, wo 
die Begegnung mit dem „Idol“ erfolgt, die Fauſt unausweichlich 
wieder zu Gretchen zurückführt. Dev noch umerlojchene Erfenntnis> 
drang laßt Kauft winjchen, der Menge zum Böſen hinauf zu folgen, 
wo fich manches Nätjel löjen muß. Auf diefen Wege nach oben hatte 
er das „Idolh“ nicht gefunden: dies aber wird für die Ausführung 





110 8. Valentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 


diefer Scene nun die Hauptjache, und jo fommt es dem Dichter darauf 
an, Fauſt möglichjt bald dahin zu bringen, wo ihm das „Idol“ ent- 
gegentreten fan und muß. Der Grund, den er für Mephiftopheles 
verwendet, ijt das jinnliche Gelüfte, die gemeinjte Aeußerung des Ge- 
ichlechtStriebes, dejjen einſeitig lüſterne Geftaltung ſtets den einzigen 
Empfindungsinhalt von Mephiftopheles’ Herzen bildet: ihm nachgehen 
zu dinfen erbittet ſich Mephiftopheles von Fauft als einen perjünlichen 
Gefallen: „Sei freundlich, nur um meinetwillen!” So drängt Fauſt 
den Forjchungstrieb zurücd, der durch Löſung mancher Rätjel obendrein 
nur neue fände: Mephijtopheles jiegt und führt jelbjt Fauſt dahin, 
wo diejer ihm verloren geht. indem fie nun bei Seite treten, den 
Augenblict benugend, in dem der Herenjchwarm auf jeinem Zuge nach 
oben fich für kurze Zeit lagert, fommen fie aus dem aufwärts jtürmen- 
den Strudel heraus und zu jolchen Gejtalten hin, die vorläufig noch 
in diefe unteren Regionen gebannt jind: diejen Unterjchied hat der 
Dichter durch die Stimme 3996—99 vorbereitend angedeutet. Hier 
ift zugleich die Stelle, wo der Dichter mit aller Entjchiedenheit von 
dem alten Blan abweicht: es tritt aber auch deutlich genug hexvor, 
warum er es thut. Hätte ex Hier erſt zum Satan hinaufgeführt und 
dejjen Anbetung ausführlich dargejtellt, jo wären zwar nach diejem 
alten Plane Fauft nnd Mtephiftopheles jchlieglich auch, aber exit jpät 
bei ihrer Thalfahrt, an die Stelle gefommen, wo das „Idol“ er- 
jceheint: allein dies ware nebenjächlich aufgetreten und im Berlaufe des 
regelmäßigen Auf- und Abjteigens der Wanderer, und die jcharfe Jronie, 
daß Mephiſtopheles jelbjt es jein muß, der Fauſt dahin bringt, wäre 
überhaupt nicht zum Ausdrucd gefommen. Zugleich aber wäre durch 
dieſen Umweg in die Hauptbeſtandteile der Scene, Ablenkung Fauſts 
von Gretchen und Hinlenkung Fauſts zu Gretchen, ein Mittelſtück 
eingeſchoben worden, das notwendig als Gipfelpunkt der Scene er— 
jchienen wäre und, da es mit der Haupthandlung feinen Zuſammen— 
hang hat, ebenjfo notwendig die Aufmerkfamfeit von dieſer abgelenkt 
hätte. Dies wird durch Beifeitelafjung der Satansjcene glüclich ver- 
mieden: der Dichter bejchränft ſich und führt nur jo viele -Gejtalten 
des Blocsbergs ein, wie notwendig ift, um das Treiben dort zu jehil- 
dern, ohne daß der Hauptzweck aus dem Auge verloren wird. 

In Ddiejem Zaubertreiben macht Mephiſtopheles natürlich den 
Führer. Indem nun Fauſt auf deſſen Wunſch, hier abſeits „im Stillen 
zu haufen”, eingeht, fragt er Nephiftopheles, in welcher Maske er 
hier auftreten wolle: ev muß doch wiljen, wie er mit dem Gejellen 
zu verfehren hat, ohne ihn aus jeiner Rolle herauszubringen. 
Mephiftopheles kann auf dem Blocsberg jo auftreten, daß er wie die 
Hexenmeiſter als Zauberer erjcheint, oder aber jo, daß er jeine wahre 


B. Valentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 111 


Natur erkennen läßt. Mephijtopheles zieht dies leßtere vor: that- 
jächlich hat ex jchon von Anfang an nach diefem Grundjage gehandelt, 
jowohl als er das Irrlicht anherrichte, das ihn daher als „Herrn dom 
Haus“ erkannte, wie wenn er den „ſüßen Pöbel“ Pla machen heißt 
und ausruft: „Junker Boland kommt.“ So will ex fich denn auch 
weiterhin nicht verleugnen: wird doch hier in der Zauberwelt jeine 
wahre Natur auch unter jeiner Maste erkannt, wie er ſie fir den 
Berfehr mit Kauft angenommen hat: jo gejchieht es eben jett durch die 
heranfriechende Schnece. So kann denn die Teufelsnatur ungehemmt 
walten, und fie thut es. Sie thut es, indem jie alles mit giftigem 
Hohn übergießt, wie zunächſt bei den Alten der verjchiedenen Stände, 
die mit den Neuerungen nicht einverjtanden jind: um fie zu verhöhnen, 
erjceheint Mephiſtopheles auf einmal jelbjt alt wie jie und ſpricht 
ihren Grundſatz aus: weil jie jubjeftiv alt werden, jo muß es nach 
ihrer Meinung die Welt auch, die thatjächlich immer wieder ſich 
verjüngt: „Und weil mein Fäßchen trübe läuft, So iſt die Welt 
auch auf der Neige.“ Natürlich iſt auch jein Wort, ev erjteige den 
Herenberg jegt zum legten Male, nur ironiſch zu nehmen: plößlich 
alt ausjehend, jpricht ex, die Neden der vier Unzufriedenen farrifierend, 
wie ein altes Männchen, das feine Zukunft mehr vor jich hat. Dieſe 
Unzufriedenen jind typijche Vertreter aller durch die vorwärtsgehende 
Welt Zurücgejegten, wie jie zu allen Zeiten vorfommen und vor- 
fommen müjjen. Im mächjten Bilde, vor der Bude der Trödelhexe, 
verjpottet ex die Yujt am Alten von einer andern Seite: überall ift 
er der Geilt, der verneint. 

Mit der Trödelhexe ift der von Mephiſtopheles erſehnte Ueber— 
gang zu den Weibern gefunden, was weiterhin freilich gegen jeinen 
Wunſch zum „Idole“ führt. Den Anfang der verführerifchen Weiber 
macht Yilith, an der die Wanderer vorübergehen. Dann finden jie 
Tänzerinnen. Das Dazwijchentreten des Broftophantasmijten dient 
dazu, das Bewußtſein, daß hier ein Geiftertreiben realistisch herrſcht, 
vecht lebendig werden zu lajjen: ein Leugner der Geifter muß jelbjt 
als Geift erjcheinen und die Wahrheit des Geifterlebens gegen jeinen 
Willen beweijen, wie dev Geiſt Talbots in Schillers Jungfrau von 
Drleans (vgl. meine Abhandlung: „Das fünftleriiche Hauptproblem in 
Schillers Jungfrau von Orleans,“ Berichte des Freien Deutjchen Doch 
jtiftes 10, 36*f.). Soll dieje Abficht verjtanden werden, jo muß der 
Dichter eine Perſönlichkeit benugen, die durch ihre Geifterleugmung 
befannt war. Da der Dichter jelbjt natürlich auf der anderen Seite 
iteht, jo wird diejfe Verwendung zur Sative. Will man dev poetijchen 
Berechtigung dieſer Gejtalt damit das Urteil jprechen (Witkowski ©. 47), 
daß dieſe Geftalt „schon zu Goethes Zeiten allen Yejern, die nicht in 


112 B. Balentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 


die literarifchen Händel eingeweiht waren, ein Rätſel geweſen“ jei, 
und daß dies „noch weit mehr heute der Fall fein“ muß, jo wird 
damit aller poetijchen Satire das Urteil gejprochen: fie jet ſtets eine 
gewilje Kenntnis auf dem Gebiete voraus, das zur Satire benußt 
wird. Sicher haben zur Zeit des Ariftophanes nicht alle Hörer jede 
Anjpielung verjtanden, und ohne die Scholien jtünden wir ihnen heute 
ganz fremd gegenüber: hatte darum der Dichter fein Recht zur poetifchen 
Satire? Es ift nun aber noch ein großer Unterjchied, ob dem Dichter 
die Satire das Ziel oder das Mittel iſt: Goethe Hat nicht den 
Broftophantasmilten hier eingeführt um fich über Nicolai luſtig zu 
machen, jondern er brauchte einen Geiſtesleugner, um durch diejen 
Gegenjaß die reale Wahrheit jeiner Wunderwelt zu bewähren: hierzu 
benußgte er Micolai. Unter anderen Verhältniſſen hätte ex einen 
anderen benußt — Die poetijche Aufgabe der Gejtalt wird‘ dadurch 
nicht geändert. 

Gerade hier war eine befondere Betonung der Realität der 
Wunderwelt notwendig, nicht nur wegen des dem Munde der jungen 
Tänzerin entjpringenden voten Mäuschens, jondern mehr noch um dev 
Natur des jofort erſcheinenden „Idols“ willen: iſt das, was hier 
erſcheint, Realität, jo kommt ſie auch dieſer Fauſt bekannten Erſcheinung 
zu, und alle Künſte des Mephiſtopheles werden Fauſt nicht zu der 
Ueberzeugung bringen können, daß dieſe Erſcheinung hier nur ein leb— 
loſes Zauberbild wäre. Fauſt bleibt feſt dabei, es ſei Gretchen, und 
ſchon grübelt er über das rote Schnürchen, das nicht breiter als ein 
Meſſerrücken dieſen ſchönen Hals ſchmückt: ein weiteres Hinſtarren 
würde ihn vielleicht zur Ahnung der Wahrheit bringen, und ihm ſo 
den Zuſtand der Geliebten, der der Tod durch das Richtſchwert bevor— 
ſteht, andeuten — da reißt ihn der über dieſe „Luſt zum Wahn“ ſich 
immer verzweifelnder gebärdende Mephijtopheles fort und ergreift das 
erite bejte Mittel Fauſt auf andere Gedanken zu bringen, Er fieht 
ein Theater: es trifft fich gut, man füngt gevade wieder an, und 
faum jind die Wanderer ftehen geblieben, wird auch der Borhang auf- 
gezogen: daß fie weiter jtehen bleiben und mit anjehen was gejpielt 
wird, iſt jelbjtverjtändlich — alles was der Dichter vorführt, bringt 
er dor mit Bezug auf Kauft und Mephijtopheles, und Mephiſtopheles 
it mit diefem Zuſammentreffen viel zu zufrieden, als daß, wovon 
zudem nicht die leiſeſte Andeutung tft, ev ſich mit Fauſt wieder fort- 
begeben und jich aufs neue der Gefahr ausgejeßt hätte, daß Fauſt 
das „Idol“ wieder gejehen und ihm weiter nachgegrübelt hatte. 
Dhne das Theater wäre Fauſt dies Grübeln nicht los geworden: 
gerade darin liegt die Berechtigung des Dichters hier ein größeres 
Schauftück einzufügen, das Fauſt bis zum Aufhören der Walpurgis- 


V. Balentin, Goethes erfte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 113 


nacht bejchäftigen joll. Und es wäre nicht bloß ein verjtandesmäßiges 
Grübeln gewejen: aus jeinen Worten: „Daß fie dem guten Gretchen 
gleicht” ; „Fürwahr es find die Augen einer Toten, die eine liebende 
Hand nicht jchloß“ ; „Welch ein Yeiden! Ich kann von diefem Blick 
nicht jcheiden“ geht hexvor, wie jein jchuldbewußtes Herz fich regt, 
wie er immer entjchiedener jich der Geliebten wieder zumendet. 

Das vom Dichter auf den Blocsberg verjegte Theaterstück wird 
von ihm Intermezzo genannt: das heit Zwiſchenſpiel, und Witkowski 
hat gewiß echt, wenn er hinzufügt (©. 56), „und zwar doch wohl 
ſicher Zwifchenjpiel der ‚Walpurgisnacht‘ und nicht des ganzen Fauft“. 
Er argumentiert nun weiter: „Ein Zwiſchenſpiel aber kann unmöglich 
am Ende einer Handlung jtehen, es muß noch etwas darauf folgen, 
und diejes folgende Stüc fehlt hier.” Aber muß denn Zwiſchenſpiel 
durchaus jubjeftiv genommen werden mit Bezug auf uns, jo daß für 
uns noch etwas folgt, das wir miterleben fünnten? Yiegt es nicht 
viel näher den Ausdruc objektiv zu faſſen, als ein Zwijchenjpiel in 
dem Treiben auf dem Blocksberg für deſſen Bejucher, die jich dort im 
Theater ein Bierteljtündchen vorjpielen lajjen und dann zu anderen 
Ständen und Gruppen weiterziehen, nachdem jie dies Zwiſchenſpiel 
zwijchen ihrem eigenen Treiben genojjen haben? So iſt für Fauft 
und Mephijtopheles in ihrem Umherſtreifen dies Intermezzo in der 
That ein Zwijchenfpiel, für uns aber ift es, ohne diejen ihm objektiv 
zufommenden Charakter zu verlieren, außerdem noch Schluß der 
Walpurgisnacht: diefer Schluß aber ift zugleich ein in hohem Grade 
künſtleriſcher. 

So wie der allmähliche Eintritt in die Zauberſphäre einer be— 
ſonderen Darſtellung bedurfte, ſo muß auch das Aufhören der Zauber— 
welt uns deutlich zum Bewußtſein gebracht werden: die Zauberwelt 
hört auf, ſobald das Licht in ſein Recht tritt, mit dem Morgengrauen. 
Dies hat der Dichter mit in das Intermezzo verwoben: die dort mit 
thätigen Geiſter, die das Orcheſter bilden, merken das Nahen des 
Tages wie die anderen alle: da gerade fie in der Gegenwart der 
Wanderer zu Worte fommen, jo legt ihmen der Dichter das Wort in 
den Mund, das für alle Geifter gilt, das von allen geſprochen wurde, 
von jedem je nach jeiner Weije wieder anders. Da wir als Wit 
exleber jtets gerade das hören, was die beiden Wanderer hören, jo 
wohnen wir der Aeußerung des Drchejters bei: „Wolfenzug und 
Nebelflor Erhellen jich von oben. Yuft in Yaub und Wind im Rohr 
Und alles iſt zerſtoben“ — natürlich nicht nur hier in dem Theater, 
das feiner Kulifjen bedurft und im Freien gejpielt hatte, jo daß die 
Schauipieler, wie alle anderen Geifter, dev Wirfung des auffteigenden 
Zages ausgejegt jind, jondern auf dem ganzen Berge. Damit Fehren 

Eupbhorion 1]. 8 


114 B. Valentin, Goethes erfte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 


auch Fauſt und Mephiftopheles in die Alltagswirklichfeit zurück: dies 
noch weiter auszuführen wäre Sache des pedantijchen Grüblers, nicht 
des Dichters gewejen: wenn Dante in der Viſion feines „Traumes“ das 
höchite Ziel erreicht und die Trinität gejchaut hat, jo hütet fich der 
Dichter uns zu erzählen, daß er dann wieder aus dem Schlaf erwacht 
und in das Alltagsleben zurückgefehrt jei — das ijt jelbjtverjtändlich 
und würde eben deshalb die dichterifche Wirkung ſtark beeinträchtigen. 
Und Goethe macht als echter Dichter es hier nicht anders. 

Im alten Plane jollte dev Henferstod Gretchens viel deutlicher 
ericheinen: dev Kopf jollte abfallen, dev dem Hals entquellende Blut- 
ſtrom das Feuer löſchen, Kauft in der Dunfelheit aus dem Gejpräch 
von Kielkröpfen die jchreefliche Wahrheit hören: daran hätte ſich unmittel- 
bar das Gejpräch zwijchen Fauſt und Mephiſtopheles angejchlojjen, aljo 
die Scene „Trüber Tag. Feld.” ch habe den Grund des Abweichens 
von dieſer Auffaſſung bereits an andrer Stelle dargelegt („Goethes 
Fauſtdichtung“ ©. 108): ein jolcher unvermittelter Uebergang aus 
der Zauberwelt in die Alltagswelt ijt nicht möglich. Für die endgiltige 
Bearbeitung der Fauftdichtung iſt Fünftleriich der Zug charafteriftijch, 
daß Goethe aufs jtrengjte jedes willfürliche, unvermittelte Herüber- 
greifen aus einer Dajeinsart in eine andere vermeidet, während dies 
in den erſten Entwürfen feineswegs gejchieht: jede der Dajeinsarten, 
die er verwendet, gewinnt ihre künſtleriſche Wahrjcheinlichfeit nur 
Dadurch, daß jegliches Ueberjchreiten der einmal gejteckten Grenzen 
vermieden wird. So darf hier in der Jauberwelt zwar eine Andeutung 
dejjen, was in der Alltagswelt inzwijchen jich ereignet hat, exjcheinen, 
aber dieje jelbjt und ein Auftreten der Perſonen jo, wie jie nur in 
diefer auftreten können, iſt ausgejchlojjen. Es darf daher einerjeits 
Die bevorjtehende Hinrichtung Gretchens angedeutet werden, aber nicht 
zu voller Greifbarfeit fommen; andrerjeits darf das Geſpräch Faujts 
mit Mephiſtopheles, in dem die ganze gräßliche Wirflichfeit mit ihrem 
überwältigenden Eindruck auf Fauſt zu Tage tritt, weder auf dem 
Blocksberg noch in unmittelbarem Anjchlug an die Erjcheinungen der 
Zauberwelt, alfo hier der Ktielfröpfe, gejchehen. So lange Fauſt auf 
dem Blodsberg ift, erfährt er Gretchens Schicjal nicht. Die Ahnung, 
die im ihm auffteigt, wird von Mephiftopheles gerade durch das 
Iheater wieder zurückgedrängt, ſo daß Mephiſtopheles Fauft zwar 
nicht, wie ev beabfichtigt hatte, durch die Luſt am Zauberwejen end- 
giltig von Gretchen losreißt, wohl aber, nachdem jeine eigne Thorheit 
dazu beigetragen hatte, die Erinnerung an ſie in ihm wieder zu 
erwecen, dieſe wenigjtens fin die ihm jo herrliche Walpurgisnacht 
zurückdrängte: jo fann diefe Nacht ohne Mißklang enden. Und es 
it in der That feine geringe Kunſt des Dichters, die es fertig bringt 


B. Valentin, Goethes erfte Walpıngisnadht und ihre Paralipomena. 115 


nach all den jeltjamen, erſchreckenden, häßlichen, verlegenden Eindrücken 
einen Schluß zu finden, der beruhigend wirft, und es ift ebenjo feine 
geringe Kunft, durch diefen harmoniſch endigenden Schluß einen Hinter- 
grund zu gewinnen, von dem im denfbar fräftigjten Kontraſte nun jenes 
Geſpräch ſich abhebt, dejjen Furchtbarfeit durch Umpragung in Verſe 
abzufchwächen der Dichter jich befanntlich gejcheut hat. 

So jteht die jegige Faſſung der Walpıngisnacht in künſtleriſcher 
Beziehung ſchon ihrem Plane nach weit über dem erjten Entwurfe, 
jobald man von dem Grundjag ausgeht, daß das Glied eines Kunſt— 
werfes jich dem Ganzen ein- und unterzuordnen habe. Ich kann 
deshalb Witfowsfi in dem Ergebnis jeiner Unterfuchung nicht zuftimmen, 
wenn er behauptet, das Zwijchenjpiel bleibe „für die Handlung in 
jedem Betracht wirkungslos“: es greift vielmehr nach zwei Seiten 
jehr wejentlich in die Handlung ein: um Fauſt von dem Bilde 
Gretchens abzubringen und um das Zaubertreiben der Nacht abzu- 
jchliegen und harmoniſch ausklingen zu lajjen. Ich kann auch nicht 
zugeben, daß dieſe Gefichtspunfte „von außen her hineingetragen jind“ ; 
jie find durch die Dichtung jelbft gegeben, jobald man das Augenmerk 
auf den dramatischen Entwicelungsgang hinlenft. Demgemäß ſtimme 
ich auch dev Schlußbemerfung nicht zu: „Die Behauptung der fünftlerijchen 
Einheit des Fauft laßt ſich an diejer Stelle, der einzigen ihrer Art 
in der gejamten Dichtung, nicht aufrecht erhalten“ : ich glaube dargethan 
zu haben, daß das Gintreten des Intermezzo in der That in den 
dramatifchen Gang gehört und die künſtleriſche Einheit in feiner Weiſe 
beeinträchtigt : daß das Intermezzo überhaupt eintritt, iſt eine künſtleriſche 
Notwendigkeit. Ob es gerade jo ausgeführt werden mußte, it eine 
andre Frage. Daß es aber gerade jo ausgeführt werden fonnte, daß 
aljo Goethe, indem er Material benußte, das urſprünglich nicht für 
diefe Stelle gejchaffen war, nicht der Satire zu lieb den Rahmen 
jeiner Dichtung gejprengt hat, daß er vielmehr mit feinem Sinne 
jeine feindjeligen Verſe den feindjelig gejinnten böjen Geiftern in den 
Mund legte, die hier ein Elfenftücchen aufführen und unwillkürlich 
ihre teuflifche boshafte Natur hevvorbrechen laſſen, dies alles zeigt, 
wie vortrefflich der Künſtler es verftanden hat auch bei einer jolchen 
Einfügung den Charakter des Cingefügten mit dem Charakter der 
Umrahmung zufammenzuftimmen ; e3 zeigt, wie ex bei jeiner dichterijchen 
Arbeit als Künſtler gewaltet und ich in dem aus der Natur des 
Objektes, des Kunſtwerkes, entjpringenden Charakter jtrenge gehalten 
hat. So bewährt ex fich gerade in diefen Umgeftaltungen als echten 
Künſtler, und der Hauptwert der Paralipomena bejteht außer in ihrer 
gejchichtlichen Bedeutung für die allmähliche Geſtaltung des Werfes 
bejonders darin, daß ſie uns amregen in die Gründe einzudringen, 

. 8* 


116 B. Valentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 


warum Goethe jie verworfen hat: bier lernen wir den Künſtler bei 
der Arbeit kennen, und der Künſtler bewahrt jich dabei als Meifter. 
Die Paralipomena jelbjt aber haben fertig gewordenen Werfen gegen- 
über nur den Wert älterer, vom Künſtler jelbjt verworfener und 
bejeitigter Entwürfe. Sie werden ficherlich manche Erläuterung geben 
fünnen: ſie dürfen aber dem fertig gewordenen Werfe nicht als 
für die emdliche fünftlerifche Geftaltung der Schöpfung noch giltige 
Zeugen gegemübergeftellt, nicht als Korrekturen für diefe benützt werden. 
In diefem Sinne find die Paralipomena in meiner Unterjuchung über 
die künſtleriſche Geſtaltung von Goethes Fauſtdichtung verwendet worden. 

Ebenſo bedenklich erjcheint vom methodologijchen Standpunft Die 
Verwertung von Aeußerungen des Künſtlers ſelbſt, die er während der 
Entſtehungszeit ſeines Werkes gethan hat, zumal wenn dieſe Aeußerungen 
in eine Zeit der Planumgeſtaltung und der Unentſchloſſenheit fallen. 
Und wenn dieſe Aeußerungen zudem in dem vertraulichen Verkehr mit 
einem Freunde geſchehen, von dem der Künſtler neue Anregungen 
erhält und zwar gerne erhält, jo gerne, daß er ſie immer wieder hervor— 
(ot, jo dürfen ſolche Worte der Thatſache des fertig gejchaffenen 
Werfes gegenüber nicht als Aeußerungen der „Mißachtung des eignen 
Werfes“ betrachtet werden (Witfowsfi ©. 8f.). Schiller ftand dem 
„Fauſt“ ganz gewiß nicht gerechter gegenüber als Goethe: Goethe 
wußte jehr genau, was an dem Fragmente war, und wenn er zeit- 
weilig an der Fertigftellung, an der Bewältigung des disparaten Stoffes 
verzweifelte, was gerade der bejte Beweis für jein Bejtreben nach 
fünftlerifcher Einheit ift, jo tritt dieſer Zweifel hinter dev Ihatjache 
zurück, daß diefe Bewältigung ihm jchlieglich doch gelungen ift. Die 
Schiller gegenüber gebrauchten Ausdrüce mit ihrer Selbjtivonie tragen 
durchaus jcherzhaften Charakter: wußte doch Goethe jehr genau, daR 
Schiller nicht an des Dichters Kraft verzweifelte: an Schillers fräftiger 
umd energijcher Hinweiſung auf die Förderung des Werkes und auf 
die. rückſichtsloſe Behandlung der einzelnen Geſtalten mit ausjchließlicher 
Rückſichtsnahme auf ihre Stellung in der Geſamtheit des Werkes 
(vgl. ſeine Aeußerungen über Helena: „Goethes Fauſtdichtung“ ©. 289) 
richtete fich der zweifelnde Dichter immer wieder auf. Einem folchen 
Freunde gegenüber durfte ev über jich und jein Werk ſpötteln — er 
war ficher verjtanden und darum nicht geringer geachtet zu werden. 
Nun liegen zudem zwijchen dieſen Aeußerungen Goethes und der 
Wiederaufnahme der Dichtung, die diefe zu Ende führte, fünfundzwanzig 
bis dreißig Jahre: was wollen fie dem fertigen Werfe gegenüber, jelbjt 
wenn jie ernjt gemeint gewejen wären, bedeuten, als daß Goethe zeit- 
weilig an der Möglichkeit der einheitlichen Durchführung gegmeifelt 
hat? Kin jolches früheres Zeugnis, das für die Zeit aus der es 


B. Valentin, Goethes erfte Walpurgisnaht und ihre Paralipomena. 117 


ftammt, höchſt wertvoll ift, verjchiwindet vor der ſpäteren Thatſache 
der fertig gewordenen Dichtung für die Beurteilung ihrer Einheitlichfeit 
zu einem Nichts. So war auch Paul Heyſes Verſuch (in feiner 
Goetherede zu Weimar), die Annahme der Einheit der Fauftdichtung 
durch die dem Jahre 1800 entjtammenden Berje zu vernichten: „Wohl 
hats einen Anfang, hats ein Ende, Allein ein Ganzes ift es nicht“ 
ein ganz verfehlte: die Verſe beweijen, was Goethe 1800 von feiner 
Dichtung glaubte, nicht was ev 1832 dachte. Wer über diefe Frage 
vom äfthetifchen Standpunft aus urteilen will, muß die fertige Dichtung 
und nur dieſe jprechen laſſen; eine jolche Betrachtung neben der 
(iterarhiftorifchen zu verlangen ift das Necht des Dichters, und das 
follte am allerwenigjten ein Dichter bezweifeln. 

Es war bisher von literarhijtorifcher und von afthetifcher Methode 
die Rede: giebt es denn nicht aber noch eine dritte, die philojophijche ? 
Ich glaube nicht: wenn die äſthetiſche Methode nicht von philoſophiſchem 
Geiſte getragen ift, jo hat jie von vornherein feinen Wert. Wohl aber 
fann fich die philojophijche Betrachtung des Fünftleriichen Problems 
von der ihr nahe liegenden Seite her bemächtigen: dann unterjucht 
jie aber nicht die Frage: wie hat der Künftler durch fein Kunſtwerk 
das künſtleriſche Problem gelöſt: diefe Frage zu beantworten, ift Auf- 
gabe der äſthetiſchen Betrachtung ; jondern fie unterjucht das in dem 
fünjtlerijchen Problem mitgegebene, zugleich mitenthaltene menjchliche 
Problem an ich und abgelöft von der künſtleriſchen Geftaltung, die 
ein bejonderer Künjtler ihm gegeben Hat. Die philojophifche Be— 
trachtung des Fauſtproblems hat mit der bejonderen dramatiſchen Ge- 
ftaltung der Goethiſchen Fauftdichtung gar nichts zu thun: das Fauſt— 
problem wäre vorhanden und fünnte fich dev Löſung bieten, wenn dev 
Dichter irgendwelche andere Finftlerifche Form gewählt, ja wenn er 
es gar uicht künſtleriſch gejtaltet, jondern nur als Entwurf nieder- 
gejchrieben oder überhaupt auch nur als Frage aufgeworfen hätte. 
Dann käme die Frage zur Behandlung, ob die von Goethe erdachte 
Löſung die richtige jei, ob fie überhaupt eine wirkliche, jachlich ent- 
Iprechende Löſung biete, ob nicht andere bejjere gefunden werden 
fünnten. ine folche Unterjuchung gehört aber nicht in die nach 
afthetifcher Methode angeftellte Unterfuchung: Mar Schneidewin hat 
jie mit vollem Necht als eine wohlaufzumerfende Frage bezeichnet, 
während ex nicht im Nechte war, die Behandlung diejer Frage in meinem 
Buche „Goethes Fauftdichtung in ihrer Fünjtlerijchen Einheit dar 
geſtellt“ zu vermiſſen (Hannoverjcher Curier 9. März, Abendblatt). 
Schneidewin betont dabei jehr richtig, daß Fauſt nicht die Verkörperung 
des Menjchen an fich ift: nicht die ganze Menjchheit iſt im ihm ge- 
geben, und er kann fie daher in ihrem Gejamtjtreben und Ningen 


118 B. Valentin, Goethes erſte Walpurgisnacht und ihre Paralipomena. 


auch nicht vertreten. Fauſt erwächſt aus ganz bejtimmten Voraus— 
jeßungen ımd muß für fein Thun und Denfen innerhalb der durch 
diefe Vorausſetzungen gegebenen VBerhältnifje beurteilt werden: er fann 
aljo ein Typus nur für die jein, für die auch dieſe Borausjeßungen 
zutreffen („Goethes Fauftdichtung“ ©. 296). Dieje müfjen daher 
zuerft Flav gelegt werden (ebenda ©. 9 ff.): damit ift die Medglich- 
feit Kauft als „den Menjchen“, als Vertreter der Menjchheit über- 
haupt zu betrachten, ausgeſchloſſen. Es ijt ein zweifelhaftes Yob 
Goethes, wenn man ihm zutvaut, ev habe mit einer Ddichterijchen, in 
eine bejtimmte Zeit, in ein bejtimmtes Volk hineingejchaffenen Gejtalt 
einen Typus jchaffen wollen, der in feiner allumfafjenden Begriffsmweite 
jedes individuellen und jomit auch jedes fünftlerifch greifbaren Cha— 
tafters entbehren müßte. Zu einer jolchen, allerdings weit genug ver- 
breiteten Auffafjung konnte man nur durch eine Verquidung der philo- 
jophijchen Betrachtung des in Kauft gegebenen menjchlichen Problems 
mit dev ajthetifchen kritiſchen Unterjfuchung gelangen, die die philo- 
ſophiſche Auffafjung, wie fie der Nünftler verwendet, als gegeben be- 
trachtet, und nur nach ihrer Verwertung für das Kunſtwerk fragt: hier 
liegt ihr Problem klar und deutlich gegeben. So haben auch andere 
Kritiker die Sachlage angejehen: Kuno Fiſchers Fauſtbuch giebt Literar- 
hiſtoriſche und afthetiiche Unterfuchungen, nicht aber in dem Sinne 
philojophijche, daß jeine Beurteilungsmweile als Vertreterin einer „philo- 
jophijchen“ Methode der Literarhiftorischen und der äjthetilchen gegen- 
über gejtellt werden dürfte, wie es Ih. Ziegler gethan hat (Münchener 
Allgemeine Zeitung, Beilage Wr. 13). So lange die Dichtung als 
jolche, das Werf als Kunftwerf betrachtet werden joll, giebt es nur 
zwei Methoden, die zu einem klaren und das Verſtändnis dev Dichtung 
wirklich fördernden Ziele gelangen, die literarhiftorifche und die afthetijche: 
die Ziele der beiden Methoden jind nicht Ddiejelben, aber fie haben 
eine Wejensgemeinjchaft, die je nebeneinander hergeben und ſich gegen- 
jeitig unterftügen lajjen kann, das Bejtreben nach einem immer wachjen- 
den, möglichjt alljeitigen Berftändnis des literarischen Kunſtwerkes. 


E. Schmidt, Schwähifches. 119 


Schwäbiſches. 


Mitgeteilt von Erich Schmidt in Berlin. 


1 


Der Enkel Adelberts v. Keller, Dr. Sigmund Keller, hat mir 
gern gejtattet, einige Blätter aus feiner ererbten reichhaltigen Auto- 
graphenfammlung vorzulegen, und ich jchliege mehrere Stüde andern 
Urſprungs an, jo daß Schubart, die Herzogin Franzisfa, Schiller und 
Uhland zu Worte fommen. 

Schubart war im Mai 1773 aus Yudwigsburg ausgemwiejen 
worden und durch wirre Pfälzer, Münchener, Augsburger Zeiten hin- 
durch nach Ulm gelangt, wo ex jeinen jaftigen Wig und jein politijches 
Ungeftüm in der Deutjchen Chronik jpielen ließ. Der folgende Brief 
an Schillers Lehrer Naft (geboren 1751, jeit 1773 Brofefjor in 
Stuttgart), der jpäter auch Schubarts Sohn Yudwig unterrichtete und 
noch 1789 zu den „alten Freunden“ gezählt wird, iſt nicht bloß an- 
ziehend durch den unmittelbaren friichen Sprechton wie alles was von 
Schubart kommt, jondern auch bejonders interejjant durch den publi- 
eiftiichen Anjchlag auf die „Selavenplantage“ (an Haug 14. März 1775) 
und den ergreifenden Kontraſt zwijchen dem Freiheitshymnus und dem 
nahen Verhängnis. Die Chronif hatte am 12. Dezember 1774 ein 
rühmliches Artifelchen über die Militärafademie gebracht; aber eine 
offenbar von Schubart zur Würze beigefügte Fußnote ©. 588 über 
den jchon im Text leisivonisch als Deutjchfranzos bezeichneten Uriot 
zeigt, daß man feineswegs nur zu preifen gewillt war: „Uriot ift auch 
ein Männchen, der auf deutjchem Grund und Boden den deutjchen 
Geiſt in franzöfischen Brühen erſticken möchte.“ Die Berje auf die 
Freiheit find mit leichter Umstellung dev Dde „Das neue Jahrhundert“ 
jeines Klopſtock entlehnt; „frei bin ich, wie der Vogel unter dem 
Himmel“ (vgl. Wohlwill, Allgemeine Deutjche Biographie 32, 594; 
Strauß, Gefammelte Schriften 9, 109) — einen Monat jpäter ward 
er in langjährige Kerkerhaft geworfen. 


120 E. Schmidt, Schwäbiſches. 


Tit, Herrn Mag. Naft Profeßor der Herzogl. würtembergijchen 
Militärſchule in Stuttgardt. 
Ulm den 10!n December 1776 
Trauter Freund, 

Die frohen Stunden, die mix Ihre Freundjchafft in Ludwigs— 
burg zuweilen jchuf, ziehen noch immer meine Seele vorüber, wie 
Frühlingsgewölf. — Ach, warum fann man nicht immer ganz der 
Freundſchaft und Yiebe leben! — Aber jo ſtoßt uns die Welt herum, 
dahin! dorthin!! wir jchwindeln und der - Empfindungsquell zerrinnt 
im Sande. — Was ift zu thun? — Das bejte ift, man arbeite, 
leide, fampfe, dulde, verjchliege fich in jein Nämmerlein und bitte Gott 
um ein jeeliges Ende. Warlich, lieber Naft, Hiob hat vecht, wir jind 
zum Elend erjchaffen, wie der Bogel zum fliegen. Was hab ich nicht, 
in vier wenigen jahren, jeitdem ich von Yudwigsburg weg bin, erlebt! 
Freud und Yeid, Schmach und Ehre, Hunger ımd Sattheit, Durſt 
und Räuſche — und nun Hoff ich iſt's vorüber, ich lebe bei meiner 
mageren Koſt vergnügt, wie Kurius bei jeinen Rüben. Miller — 
mein Freund ift mein und ich bin jein, meine Kinder geben mir große 
Hofnungen und frei bin ich, wie der Vogel unter dem Himmel. 


D Freiheit! Freiheit!! 
Silberthon dem Ohre! 
Dem Herzen groß Gefühl! 
Licht dem Verſtand! 

und freier Flug zu denken! 


Und wie leben dann Sie, mein Befter? Unter taujend Unterrichts- 
jorgen, vermuth’ ich. Seelige Sorgen, wenn jie mit Früchten be— 
lohnt werden. — D, lieber Naſt, hätt’ eine Bitt! an Sie. Ich leb 
in Abjicht auf die innere Einrichtung der Militärjchule jo unmiljend, 
wie ein Kamtſchadal. Da ich nun einmal wieder was und zwar was 
Gründliches in meiner Chronif davon jagen möchte: jo bitt! ich ©ie, 
mix zu jagen: wie dieje Anftallt zu ihrem gegenwärtigen Gipfel auf: 
ſchoß? was für eine Methode da herrſche? welche Bücherwahl? welche 
Wiſſenſchafften da getrieben werden ? — Mit einem Wort, eine Finze . 
und nervöſe Bejchreibung der dermaligen innen und augen Verfaßung 
dev Militärfchule, in fofern fie in ein öfentliches Blat taugt. — Ge— 
heime Anekdoten, in jofern Sie mich damit beehren wollten, bleiben 
in meinem Herzen verſchloſſen. — Empfehlen Sie mich Ihrem Herrn: 
Bapa, dem brafen, vedlichen Manne. : Antworten Sie mir fein bald: 
mir ift wirklich dran gelegen. Ich bin ewig der Ihrige 
M. Schubart.. 


E. Schmidt, Schwäbiſches 121 


DR 


Sranzisfa von Hohenheim hat 1772 in Yudwigsburg Schubarts 
Mufifunterricht genojjen. Gern ſtößt man in Straußens Sammlung 
(9, 197) auf das Schreiben vom März 1787, worin die gejchmähte 
„Donna Schmergalina“ der Karjchin des Dichters Befreiung anfündigt. 
Aus demjelben Jahr liegt mir ein unadrefjierter Dank an Naft vor, 
gewiß Fein „durchlauchtiges Nichts“, fein „jchwänzlender Brief“ wie 
Schubart 1789 ein jeinem Sohne gewidmetes Billet nennt, jondern 
eine Urkunde liebenswerter weiblicher Bejcheidenheit und ernſter Teil- 
nahme am geijtigen Yeben Schwabens. Die Handjchrift ift zierlich. 
Der Neiz der jeltjamen Orthographie darf hier nicht angetaftet werden. 
Es handelt fich um das Buch „Bon den Urfachen des Berfalls der 
römischen Beredjamfeit. Ein Gefpräch aus dem Yateinijchen [des 
Taeitus] überjegt und mit kritiſchen und hiftorischen Anmerkungen und 
Grlauterungen begleitet von Johann Jakob Heinrich Naſt, der griechi— 
ſchen und römiſchen Litteratur, wie auch der Beredſamkeit öffentlichen 
Lehrer an der Karls hohen Schule zu Stutgart. Halle, bei J. J. 
Gebauer 17877; zugeeignet „Der Durchlauchtigen Frau FRA Fran— 
ziska Herzogin zu Wirtemberg und Tek ꝛc.“, mit einer ſehr jchmeichel- 
haften Zuſchrift über Franziskas literariiche Bildung und ihre mit 
feinftem Geſchmack gejammelte Handbibliothef, die ihr nach Werfen 
der Wohlthätigfeit die gewohnte Ruhe im Schooß der Mufen bejchere. 


Hohenheim d. 17. Nov. 1787 
Hoch Edel Gebohrner Herr Brofefjor! 


Den ofentlichen beweis, Hoch zu verehrenfter Herr Profeſſor, 
Ihres Wohlwollens, die jchmeichelhafte Auftrücde mit denen Sie mir 
Ihre heraus Gabe von den Urjachen des verfalls dev römtjchen Beret- 
jamfeit zu Ge&ignet haben, Erfüllet mein Herz in der That mit den 
Angenehmften Empfindungen, doch wünfte ich, das diſſes Werck mit 
Einem nahmen geziert wäre, dev dem verfaffer oder Weberjeger auf 
der Seite der Einficht u. der Beurtheilung jo viel Genüge leijten 
Könte, als ich nur allein — wann Es Ihnen darauf ankumt — mich 
darin aufzuzeichnen Glaube: das ich verdienjte zu Schäzen u. zu 
ver&hren weiß u. um des willen um ſo mehr Stolz darauf bin, 
wann ich mich von Einem Manne Ge&hrt jehe, deſſen verdienft u. 
Eigenschaften ich in denen Selben mit mit [jo] hochachtung jchäße ; 
jo jehr ich aljv fühle das Sie durch Eine andre zu&ignung gewonnen 
hätten, jo verfichere ich Sie doch, das Kein Beurtheiler, deſſen Beyfall 
als Känner jchmeichelt, jo viel Theil an Ihrer herauf Gaabe nehmen 
Kan, alf ich, in dem ich mich Jedes product, wordurch Würtembergs 


122 E. Schmidt, Schwäbiſches. 


Söhne Ihr vatterland unterrichten u. durch Ihr talent Entfernde 
völlker, Ihre Nation Bekannt machen, ungemein freue; — Kann diſſe 
Theilnehmung Em. Hoch Edel Gebohren Ein Erſaz ſein? jo verſichere 
ich Sie auch noch der danckbareſten Geſinnung Ihrer Güte: — die 
Gute Meinung, die Sie von mir haben, werde ich mir zur Auf— 
munterung machen, ſo zu werden, wie Sie von mir dencken, Haubt— 
ſächlich aber werde ich Streben zu zeigen das ich die Pflichten Känne, 
die ich Gegen Ihr vatterland habe, u. in Ihrer Erfüllung mich 
beruhige, wann ich Gelegenheit finden Kan, Ihrem verdienſt die achtung 
laut zu beweiſen, die Ihnen von Jedem, dem der rechtſchaffne u. 
nüzliche Mann nicht Gleichgültig iſt, Gebühret. 
Erkäntlich u. mit wahrer Hochachtung bin ich un aus Geſezt 
Ew. Hoch EdelGebohren 
Ganz beſonders affectionirte 
Franciſca HzWürttemberg. 





3. 

Schon mehrmals habe ich, dank einer hilfreichen Erlanger Kollegin 
und Literaturfreundin, aus Niethammers kleinem handſchriftlichen 
Nachlaß ſchöpfen dürfen. Einen der letzten Schillerſchen Briefe 
wird Jonas in ſeiner ſchönen Sammlung bringen; die beiden folgenden, 
die dem Anfang des Verhältniſſes angehören, ſind mir zu ſpät zuge— 
gangen um ihm die erſte Drucklegung zu überlaſſen. Ernſt Müllers 
überaus fleißig gearbeitetes Regiſter zu „Schillers Kalender“ kann 

S. 275 die Daten der Korreſpondenz erft. feit dem April 1796 ver- 
folgen. Die Anfunft des Yandsmannes Friedrich Immanuel Niet- 
hammer in Jena, wo er jich 1793 als Philojoph habilitierte, ſteht 
nicht genau feſt. Den jugendlichen Kreis, der Schillers damals umgab, 
hat zuletzt Brahm uns vergegenwärtigt; auch der Magiſter Göritz, 
damals Hofmeiſter des Herrn v. Fichard, gehörte bekanntlich dazu. 
Die aus ſeinem Nachlaß gedruckten Jenaer Erinnerungen, Morgenblatt 
für gebildete Leſer 1838 Nr. 221 ff., gedenken Niethammers nur 
flüchtig. Am 8. October 1791 jchreibt Schiller an Cruſius, er habe 
die von Berling zu flüchtig bejorgte Uebertragung der „Gejchichte des 
Maltheferordens“ von Vertot „reiferen Händen“ übergeben. Am 
28. November dankt er Göfchen für die Gewährung eines halbjährigen 
Reviforgehalts, Niethammer rühmend: „Sie werden den Nuten gewiß 
finden, wenn ein Mann von Ordnung und Fleiß ſich dev Thalia 
annimmt“, erklärt aber ein Jahr jpäter (16. November 1792) fchroff: 
„Niethammern werde ich abdanfen“; Göjchen möge ihm die Höhe der 
Koften und die Nachläjjigfeit der Korrektun vorhalten: „Wenn die 
Leute ihre Schuldigfeit nicht thun, jo kann man ihnen nicht helfen.“ 


E. Schmidt, Schwäbifches. 123 


Eine legte Abrechnung geſchah am 11. Januar 1793. Dieje wohl 
ungerechte Verjtimmung war ohne Dauer. Niethammer arbeitete jich 
zu mwohlverdienten menjchlichen und wiljenjchaftlichen Ehren empor und 
unterhielt mit Schiller bis zu dejjen Tod warme Beziehungen. Nicht 
das Gejchäftliche giebt unjern Briefen ihren Wert, jondern die leb- 
hafte praftiiche Sorge für die Zukunft eines tüchtigen jungen Yands- 
mannes, die offne Serzlichfeit, der heitre Ton, der auch die Kirche 
nicht jcheut. „Schiller mit jeinem heiligen hohen Gemüt haßte die 
pofitive Religion, jo wie er fie fannte,“ jagt Göritz, der ſpätere 
ichwäbiiche Defan (a. a. DO. ©. 901). Mit großer Anhänglichfeit 
jpricht Charlotte Schiller von Niethammer, jehr jcharf dagegen 
über Göritz Hennes, Andenken an B. Filchenich 1841 ©. 51, 91, 
vgl. 8). 


Jena den 5. Sbr. 91. 


Herr D. Mereau wird Ihnen von meinetwegen gejagt haben, 
daß ich Ihren Wunjch, bier zu privatijiven, erfüllen helfen fann. Mit 
Hilfe zweyer Arbeiten die Ihnen weder viel Zeit noch Mühe foften 
werden, weiß ich Ihnen für diefen Winter 15 Ldor zu verjchaffen, 
außer dem, was vielleicht Göſchen von jeiner Seite gibt, um die 
Thalia in Ordnung zu bringen. Jezt hat er den Kopf von Meß— 
gejchäften warm, ſonſt könnte ich Ihnen jchon jeine Anerbietung 
beftimmt jagen. Aber durch 15 Ldor jind Sie auf jeden Fall für 
diefen Winter gejichert. ch bezahle fie Ihnen zu drey Terminen, 
und den erſten jogleich mit Anfang des folgenden Monats. Die 
Arbeiten, welche Sie dafür übernehmen, werden „shnen des Tags faum. 
2 Stunden foften, und zugleich eine nicht ganz unangenehme jchrift- 
jtellevifche Übung für Sie jeyn. 

Yaflen Sie mich nun vechtbald willen, wie bald ich Sie hier 
erwarten fann. Mein Haus ift von Studenten bejeßt, jonjt hätte ich 
Sie erſucht, dieſes vorzuziehen, weil Sie da eine gute Koft und gute 
Yeute finden, und wir auch leicht communieiren fünnten. Ich kann 
Ihnen aber vielleicht eine Wohnung in der Nähe ausfindig machen, 
wenn Ihnen Diejes vecht ift. Meine Frau und ich freuen uns der 
Hofnung, Sie länger und vecht oft zu jehen. Mir befonders wird es, 
da ich ohmehin nicht mehr joviel Zeit am Schreibtifch zubringen darf, 
wahre Wohlthat jeyn, die Abende mit Ihnen durchzuphilosophiren. 
Yeben Sie indefjen recht glüclich, und laſſen bald etwas von fich hören 
Ihren ganz ergebenen 


Schiller. 


124 E. Schmidt, Schwähifches. 


Jena den 28. Nov. 91. 


Hr. Göschen accordirt jehr gerne 3 Louisdors für das Erſte 
halbe Jahr, wenn Sie Sich mit Revision der für die Thalia ein- 
laufenden Aufſätze und mit der Correctur der Bogen befafjen wollen. 
Das Mserpt zum Corrigiren, wovon ich Ihnen jchon gefprochen, 
wartet nur auf Ihre Ankunft, jo daß Sie fogleich bei Ihrem neuen 
Etablissement in Jena zu thun und zu erwerben finden. Ein Zimmer 
bietet Ihnen Here M. Göritz in demjelben Haufe, wo ex jeßt wohnt, 
an. Sie jehen aljo, lieber Freund, daß Sie uns mit jedem Tage will- 
fommen find. Auch hat jich eine neue jchriftitelleriiche Bejchäftigung für 
Sie aufgethan, mit der Sie, wie ich vermuthe, ganz wohl zufrieden jeyn 
werden. Damit aber hat es gleichfalls Zeit, biſſ Sie bey uns find. 

Gebe übrigens der Himmel, daß feine wirtembergijche Stanzel 
Sie uns dor der Zeit entführe; das würde nicht ſehr geſchickt jeyn, 
mich mit dem lieben Chriſtenthum auszujühnen, das, unter uns gejagt, 
jo wenig mehr bey mir zu verlieren hat. Doch fürchte ich es in 
Anjehung Ihrer, lieber Freund, dießmal weniger, als Amors 
jchelmijche Augen, die Ihnen bei Ihren Hausgenoſſinnen ſehr jcharf 
auflauern jollen. 

Leben Sie wohl und beantworten mir diejen Brief, jobald 
möglich, mündlich. 

Der Ihrige 
Schiller. 


ch miederhole Hier für weitere Streife einen Bericht über 
Schillers erjte Collegia. Er hat jich, von unbefannter Hand, auf 
einem abgerifjenen Blatt des Niethammerjchen Nachlaffes gefunden und 
ift don mir 1893 in einem Privatdrudf zu Weinholds fiebzigjtem 
Geburtstage Freunden dargebracht worden. Ueber den Schreiber, einen 
ſchwäbiſchen Docenten, find wir nur zu unficheren Vermutungen gelangt. 
Einige krauſe Säße, worin der junge Mann jeine eigene Anficht von 
der Univerjalgejchichte in mathematijche Figuren faßt, habe ich weg— 
aelajjen. 


Ijena 26. 27. Mai 1789.] 


— „daß man hätte vor Staub exjticten mögen! — Er jagte 
viel Gutes, und, ut Schiller, noch mehr Schönes und Schöngejagtes. 
Bon jeiten des Vortrags, der Deflamation hätt ich mehr von ihm 
erwartet. Seine Poſtulate find mit unter überfpannt und verfehlen 
dadurch ‚den vorgejeßten Zweck. Morgen zur nemlichen Stunde wird 
er fortfahren uns vollends zu beweilen: daß man ohne gründliches 
Studium der Univerjalgejchichte nicht jeelig werden fünne. — 


E. Schmidt, Schwäbiſches. 125 


Das ijt doch ein Erzgenie der Schiller. War heute wieder 
dort, es war das Gedräng noch ärger als gejtern wenns möglich ift. 
Ich kam um drei Viertel, das Veſtibüle war aber jogar jchon voll- 
gepfropft. Ich Drang mich doch nach und nach bis ans Auditorium 
durch. — Schon nach 5. Uhr hatte das Auditorium angefangen, voll 
zu werden, ja einige wollten behaupten, verjchiedene, die bei Griesbad) 
Exegeſe hörten, jeien jeit 11. Uhr dageblieben und haben jich das 
Eſſen ins Auditorium tragen laffen, um ihre Pläße nicht zu verlieren. 
— Ich laſſe dies billig auf jeinem Werth oder Unwerth beruhen ; 
ihm jei wie ihm wolle, genug, Schiller zeigte jich wieder bejonders 
als ein Kraftſchenie primi ordinis. — Univerjalgejchichte ftellt ex dar 
als einen conus; jie füngt aber bei der basis an und geht herunter 
bis auf die Spige . . . ich dachte da wunder, wie parador ich jchon 
jei; aber der machts nun vollends breit; ich dachte man müfje anfangen 
Menjchengejchichte, jo bald es Menſchen giebt, wenigjtens jo gut wir 
jie aus den wenigen alten Denfmalen zufammenfliden und zufammen- 
philojophiven fünnen, und dann die Entwiclung dev Menjchheit herunter 
verfolgen, jie aber nicht,. wie man gewönlich thut, da abbrechen und 
in Staatengejchichte zerjtüceln, wo fie juft am veichhaltigften und 
interejjanteften zum ganzen Großen ich vorbereitet und entfnojpet: 
aber Schiller ift damit nicht zufrieden, er will fie juft da anfangen, 
wo andre jie aufhören lafjen, bei der Völkerwanderung. Ich muß 
gejtehen, daß ich es noch nicht vecht einjfehen und ſpitz Friegen fann, 
und bin daher jehr begierig auf jeine Gründe, ich werde aber damit 
nicht bis über 8 Tage warten (denn er lieft nur 2 mal wöchentlich), 
jondern will ihn doch morgen bejuchen, wiewol ich eigentlich mit ihm 
trugen jollte, denn Er als Yandsmann übergieng mich da ex jeine 
erjten Viſiten machte, da ich doch ein neuer ordinarius, Voigt, und 
extraord. Göttling die Ehre gegeben haben, mich, — wenigjtens 
par billet, wie überall — zu befuchen. Übrigens muß ich jeßt fort, 
es ijt 9. Uhr; ich kann nicht ruhen, bis ich hinlängliche data zuſammen— 
gejammelt habe, um zu wiljen, ob Sie hier ift, oder nicht. In einer 
halben Stunde — gute Nacht Ihr! —“ 


4, 


Es muß nicht alles gedruckt werden. Gerade jeßt, wo Die 
icherzhafte Weisfagung, die Welt werde einft in Papier erſticken, fich 
zu erfüllen droht, wo ein ungeheurer Schwall politifcher und literar 
hiftorifcher Urkunden, oft genug ohne jeden greifbaren Ertrag, über uns 
- hereinbricht, wo wir uns nach zahllojen neuen Briefen eines DB. oder 
eines F., die weder formales, noch inhaltliches Intereſſe bieten, ermüdet 


126 E. Schmidt, Schwäbische. 


fragen: cui bono, thut es dringend Not, in Büchern und Zeitfchriften 
Maß zu halten. Was den erjten Männern der Nation vielleicht 
vecht iſt, kann den zweiten und dritten nicht billig jein; der Ueber— 
bleibjel Kleiner Seribler zu gejchweigen. Auch dem herrlichen Uhland 
frommt es faum, wenn jedes Neimblättchen von jeinev Hand nun 
umter die Prejje wandern jollte, jo willfommen die verjtändige Auswahl 
unreifer Erjtlinge ift, die uns jüngjt Nägeles Tübinger Gymnajial- 
programm (Uhlands Jugenddichtung 1893) geboten hat. Darum will 
ich aus Kellers Sammlung nur Einiges herausheben. Sie enthält an 
Autographen die beiden durch Strauch publizierten und erläuterten Briefe 
zur vomanijchen Philologie (Anzeiger der Zeitjchrift für deutjches Altertum 
13, 292), das Gedicht „Am [jo] 22. September 1818* (Fränkel 2, 453; 
in einer "beiliegenden Abjchrift auf den Oheim Schmid bezogen) umd 
die erſte vielfach forrigierte Niederjchrift dev Verfe „Um Mitternacht 
auf pfadlos weiten Meere,“ Fränkel 2, 95%), außerdem ein paar 
Einzeldrude ?) und allerlei Kopien Kellers und Hollands, die z. T. 
a neuere Veröffentlichungen ?) entwertet find. 


1) 3. 2 aus „Wenn jedes Licht im Schiff erlofchen iſt“; über „erlofchen“ 
iſt „gelöjcht“ wieder geftrichen. — 3. 3 „glüht“ über „lebt“, vorher „brennt“ 
und nochmals „lebt“ getilgt. — 3. 9 fehlt. — 3. 8 aus „Ja! wenn mir’s 
wahren, hilft duch jede Nacht” ; „jedes“ für „alles.” — — I unter geſtrichenem 
„Ein Licht, das ſtille.“ — Darunter „4. Dec. 54.“ Das kleine Gedicht hat 
Werner eingehend behandelt, Lyrik und Lyriker S. 272. 

2) Bgl. Fränkel 2, 351. Aus dem langatmigen Carmen „Dem Andenken 
unferer umvergeßlichen Friedrike Pfleiderer, gejtorben den 22. Auguft 1812, von 
Ihren Freundinnen“ (Tübingen, Schramm) it die 4. Strophe in den Württem— 
bergifchen Bierteljahrsheften 1887 ©. 7 wiederholt worden. Dev Titel des 
Glückwunſches 2, 454 lautet genaner und vollftändiger: „Zum Antritt des 
75 ten Lebens-Jahres der beiten Mutter, Augufte Feuerlein, von Ihrem Enfel- 
Tochtermann Uhland, den 18. December 1821. Stuttgart, gedruct mit 
Elben'ſchen Schriften, 1821.“ 

>) Zu Fränfels danfenswerter Nachlefe bemerkte ich, daß ©. 398 in dem 
Reimpaar für das Zransparent des Conradiſchen Haujes nah Holland zu leſen 
it: „Du wirſt.“ ©. 402 „In Tannenhain“ 3.3 lies „Matt durchflimmert⸗ 
ſtatt „Matt durchflammet. “ ©. 452 Str. 4, 8 „des Baterlands,” Str. 5, 7f. 
„das“. ©. 489 am Schluß der Improvifation auf „Die fromme Jägerin“ 
Fürftin von Löwenſtein-Wertheim ift „Entweicht,“ wie Fränkel mit Jahn jchreibt, 
gewiß falih: Notter und Holland bieten „Entwijcht,“ auch wird mit Holland 
jtatt „des Revier“ zu jchreiben fein „der Nevier,“ während Notters Lesart „im 
Revier“ wohl eine eigenmächtige Emendation ift. — Etwaigen weiteren Mißper- 
jtändniffen vorzubeugen, jei gleich gejagt, daß im Zweiten Nachtblatt 2, #77 „Don 
Geishaar und Don Malmeel“ feinen „Wormjer Lokalwitzen“ ihr Dajein verdanken, 
jondern aus dem eine Seite früher citierten „Wunderhorn“ ftammen: Arnim (Wer fe 
14, 369) hat „ipitige Spottgedichte‘ zwiſchen Schneider und Müller betitelt „Die 
feindlichen Brüder“ umd die Streitenden luſtig „Don Geißhaar“ und „Don Mahl 
mehl“ benamſet, mit dem Winke: „Der lieben Dummheit muß bemerkt werden, daß 
dies ein Scherz, wenn fie weiß was ein Scherz iſt, fein Schimpf gegen Schiller jei“. 





E. Schmidt, Schwäbiſches. 127 


Bon den Neujahrswünſchen, die Uhland ſeiner kleinen Baſe und 
Hausgenoſſin Luiſe Uhland für ihren Vater reimte, hat Keller ſechs 
durch Dr. von Leube aus Ulm abſchriftlich erhalten, anderswoher 
einen ſiebenten. Einer davon iſt mit einem weiteren gedruckt in den 
Württembergiſchen Vierteljahrsheften 1887, ©. 9. Zwei will ich mit— 
teilen, den früheſten: 

Mein A. B. C. nur bring ich hier, 
Mach Du daraus ein Wünſchchen Dir. 
und einen jpäteren wegen des finnigen Abjchluffes : 
Für jo viel Yiebe, jo viel Güte 
Kann ich nur jchwachen Dank Div weihn, 
Doch jelbjt Geringes, das ich biete, 
ag leicht Dein Vaterherz erfreun. 
Der Baum, der jich von Früchten beuget, 
Iſt nicht allein des Gartners Lohn, 
Ihn freut die erſte Blüthe jchon, 
Die ſich am jungen Bäumchen zeiget. 


Stammbuchverje für Noofchüß, Tübingen 14. September 1806, 
lauten: 


Kennen lernten wir uns und lieben im Frühling des Lebens, 
Bei der Freundjchaft Pokal und bei der Freude Gejang. 

Wie zwei Schmetterling’ auf Einer glänzenden Blume, 
Sp begrüßten wir uns mitten im jchönften Genuß. 

Finden wir wieder uns einjt, wir werden befvemdet uns anſehn; 
Worte der Jugend allein machen ung wieder vertraut. 

Sanf auch im Wejten hinab des Genußes feurige Sonne, 
Freundlich im Dften erhebt jich der Erinnerung Mond. 


Als verjchollen bezeichnet Fränkel ©. 328 die in Karl Wlayers 
Buch 1, 175 von dejjen Bruder Auguft abfällig beurteilten „paar 
Devijen für Zucerbäder.“ Uhland hat dieſe drei Neimpaare aus 
Paris, 13. Detober 1810, an Kerner gejchiet, um eigne oder fremde 
Minnenot und ſüße Lyrik zu ivonifieren, was denn freilich ſchwach 
geraten ijt. ur zur Aufklärung mögen die VBerslein hier mitlaufen:: 


Devijen, für Zucerbäder. 


Wer heilen fann von Yiebesweh, 
Der fomm’ zu mir, bevor ich fterbe! 


* 


128 E. Schmidt, Schwäbifches. 


Ich kenne Zwei, und Eins bin ich, 
Die jchmerzet Yiebe bitterlich. 

* 
Errathen magſt du, wen ich liebe, 
Bon mir erfährjt du's nimmermehr. 


Der jo oft und nicht unnatürlich von elegijchen, „faſt zu kläg— 
lichen“ Stimmungen heimgejuchten jugend wird auch folgendes zarte 
Ineditum angehören: 

Die Neige. 


Stage nicht, warum jo vein 

sch die legte Neige jchlürfe 

Und warum fein Tropfen Wein 

Mir im Glas verfimmern dürfe. 
* 

Frage den, der ſterben ſoll 

Mit dem lebensdurſtgen Auge, 

Ob er nicht noch ganz und voll 

Jeden Stral des Lebens ſauge. 
* 

Darum zähl ich ſo genau 

Jede Perle edler Reben, 

Dieſer ſüße Himmelsthau 

St ein Theil von meinem Yeben. 


Uhlands Spur fand ich auch in W. Buchners ſchönem zwei- 
bändigen Werk, das ums Freiligraths Yeben in Briefen vor Augen 
jtellt und dem tapfern, ehrenfeſten Mann ein windiges Denkmal 
errichtet. Aus Amfterdam, 31. Auguſt 1335, meldet Freiligrath, er 
forrejpondiere nach Noten mit Uhland; „vorgejtern“ habe er einen vier 
Seiten langen Brief erhalten, der Uhland ganz als den innigen tiefen 
Dichter charakterifiere und aus dem er ein paar Worte tiber die Her- 
jtellung des zerblätterten Yiederbuchs altdeutjchen Volksgeſangs citiert, 
während ev jpäter (1, 158) dem Schreiben einen ausjchließlich 
gelehrten Inhalt nachjagt. Frau Ida Freiligrath hatte die große 
Güte, mir das Original aus Yondon zuzuſchicken, mit dev Bemerfung, 
es habe jich nichts Weiteres gefunden, aber diejer eine Brief jei viele 
andere wert. Er führt uns mitten in Uhlands frische Bemühungen 
um das deutjche Volkslied ein (vgl. Uhlands Yeben von jeiner Witwe 
©. 263) und verbindet pexjönliche Wärme. mit jcharfer wiljenjchaft- 
licher Umficht. Ein angeflebter Zettel G. Schwabs meldet die Ab— 
jendung von zwei Exemplaren der Uhlandiſchen Gedichte für Freiligrath 
und jeinen braven Hauswirt. 


E. Schmidt, Schwäbiſches. 129 


Tübingen, d. 10. Aug. 1835. 

Wie ſehr haben Sie, verehrter Herr, durch Ihr freundliches 
Schreiben vom 18. v. M. und deſſen Beilagen mich überraſcht und 
erfreut! Ich konnte nicht hoffen, daß ſchon eine vorläufige Anfrage 
von Schwab mir durch Ihre entgegenkommende Güte ſehr werthe 
Beiträge für meine Liederſtudien einbringen und daß Sie vor aller 
näheren Mittheilung von meiner Seite ſo ganz in den Sinn, in dem 
ich ſuche und ſammle, eingehen würden, wie ſich mir Dieſes durch 
Ihre Zeichen in den Liederbüchern und durch Ihre ſchätzbaren Be— 
merkungen im Briefe kund gibt. Daß ein Dichter, dem in ſeinen 
eigenen Erzeugniſſen ſo reiche Bilder und ſo glänzende Farben zu 
Gebote ſtehn, meiner Liebe zu den alten unſcheinbaren Liedern mit 
Rath und That behülflich iſt, mußte mir doppelt erfreulich und dankens— 
werth ſeyn. 

Allerdings ſteht auch jene alte Liederwelt voller und friſcher 
vor meinem inneren Auge, als ſie in ihrem jetzigen verkümmerten 
Zuſtande ſich darſtellt, und eben das iſt ſchon lange her mein ſtilles 
Trachten, das zerblätterte Liederbuch altdeutſchen Volksgeſanges, jo 
weit es jetzt noch dem Einzelnen möglich iſt, in ſeiner ächten Geſtalt 
herzuſtellen; die Mittel dazu ſammeln ſich freilich nur allmählig an, 
aber auch der kleinere Fund gewinnt an Bedeutung, wenn er einen 
gröſſeren Zuſammenhang ergänzen hilft. 

Neuerlich iſt num, beſonders durch Hoffmanns einſichtige Samm— 
lung altholländiſcher Volkslieder, klar geworden, daß in dieſer Volks 
poeſie manches ſchöne Lied zu finden jey, was einst deutjches Gemein- 
gut war und ich in niederlandijchen [aus holländischen] Aufzeichnungen 
reiner erhalten hat, als im eigentlichen Deutjchland, over dort noc) 
vollftändig vorliegt, während man hier etwa nur noch die Anfänge 
aufweifen fann, und diefer Spur mun weiter nachzugehen, it für den 
Freund jolcher Studien alle Aufforderung vorhanden. Hoffmann bat 
hauptjächlich aus zwei älteren gedruckten Liederbüchern gejchöpft Een 
schoon liedekens boeck 2c. T’Antwerpen, by Jan Roulans, 1544 
(auf der Wolfenbüttler Bibliothef, 221 Lieder enthaltend, von denen, 
da Hoffmann in jtrenger Auswahl überhaupt nur 31 weltl. Yieder gibt, 
doch noch manches wenigftens gejchichtlich merkwürdig jeyn möchte ;) 
jodann: 't dubbelt verbetert Amsterdamse Liedboeck :. 
Amst. J. Jac. Boun...n (ohne Jahrzahl, aber bedeutend jünger als 


1) Henrieus Hoffmann Fallerslebensis, Horae belgieae. Pars II, 
Breslau 1833; ©. VIII f. Verzeichnis feiner Hilfsmittel, darunter das bon Jan 
Roulans verlegte Liederbuch (abgedrudt Horae belgieae 11, 1855) — vgl. 
Uhlands Volkslieder S. 977 — und das im Brief an zweiter Stelle genannte, 
1819 im Befite des Bonner Prof. Radlof. 


Euphorion II. 9 


130 E. Schmidt, Schwähifches. 


jenes, jonft in Radlofs Befige). Auch aus Yejeunes!) Sammlung 
hat Hoffmann mehrere der beſſern Stücke aufgenommen, die Erjterer 
jelbjt, wie Sie bemerfen, meift den blaauwe boekjes zu danfen hatte. 
Merkwürdig iſt aber beſonders noch eine Reihe von Liederanfängen?) 
welche Hoffmann in zwei Handſchriften aus dem 15. Jahrhundert über 
geiſtlichen Liedern, die den Tonweiſen der weltlichen angepaßt waren, 
bemerkt fand. Jene Anfänge gehören theils zu jetzt noch vorhandenen 
Balladen und Liedern, theils aber zu nunmehr verlorenen, nach deren 
Wiederauffindung in anderen älteın Sammlungen oder noch jeßt 
gangbaren Blaubüchlein jie dem Yiebhaber nicht geringes Berlangen 
erregen, 3. B.: 
Als dat wout draecht bloemen, so draecht mijn lief 
scoen haer :c. 
De edele heer van Brunenswijc, die heeft een kint 
ghevangen ꝛc. 
Had ic den slotel van den dach, ic worpse ꝛc. 
Het sat een voghel ende sanc so hoech op eenre 


tinnen zc. u. |. 

Darunter auch: Ic sach mijn here van valkenstein ?) zc., deffen nieder= 
Beutfeh en Tert Sie für mic) abzujchreiben die große Sefälligteit hatten; 
Glojtermeiers Beiträge, aus denen Sie es genommen, waren mir bisher 
unbefannt, Hingegen fand ich es von Ebendemjelben im Deutjchen 
Muſeum, 1785, mitgetheilt; eine alte oberdeutjche Verſion entdeckte ich 
in einer Handjchrift zu St. Gallen. 

Der Nederlandtsche Gedenckcianck?) iſt mir ein will- 


) Le Jeune, Letterkundig Oversigt en Proeven van de Neder- 
landschen Volkszangen sedert de XVde Eeuw, Te 's Gravenhage 1828, 
mit wiederholtem Vermerk: uit een blaawboekje; Volksbüchlein, gemäß der 
Bibliothöque bleue benannt. 

2) Die beiden Handjchriften geiftlicher Yieder befpricht Hoffmann im erften 
Teil der Horae belgiene 1830 ©. 110. Uhland entnimmt die folgenden Lieder- 
anfänge aus dem Berzeichnis 2, S2—84 und citiert folche vorgejegte Anfänge 
weltlicher Lieder mehrfach in den Anmerkungen (Schriften, Band 4). Had ie 
den slotel: Schriften 4, 77; Boltslieder ©. 17 

3) Zu der auch von Goethe für Herder im Elfaß aufgezeichneten Ballade 
vom Herrn dv. SR Cloftermeiers, des Archivars in Freiligrathbs Heimat, 
Drud Hoffman 2 ‚ 142) und lofalge] chichtlicher Auslegung u. ſ. w.: Schriften 4, 
— Reiffericheid, Weftfälif che Boltslieder ©. 141). „Beiträge zur Kenntniß 
des Fürftenthums Lippe“ 1816. 

*) Nederlandtsche Gedenck-Clanck. Kortelick openbarende de 
voornaemste geschiedenissen van de seventhien Neder-Landsche Pro- 
vintien, 't sedert den aenvang der Inlandsche beroerten ende troublen, 
tot den Jare 1625. Verciert met verscheydene aerdige figuerlicke platen, 
ende Stichtelijke Rimen ende Liedekens.. . gestelt op Musyck-noten . . 
Door Adrianum Valerium. Tot Haerlem . . 1626. Quer 4°. SHiftorifche 
Erzählung, Texte, Weifen. Dem Berliner Eremplar fehlen die Platten. 


E. Schmidt, Schwäbiſches. 131 


fommner Erwerb. Stehen auch die hiftorifchen Lieder nicht in der 
erften Neihe derjenigen, denen ich nachjtrebe, jo verjäume ich doch auch 
fie nicht und es ift mir jehr anziehend, die patriotiichen Gejänge der 
alten Niederlande hier mit dem ganzen nationalen Gepräge von Bildern 
und Melodien beifammen zu finden; auch die fleine Monographie über 
Wilhelmus van Nassouwe!) ift mir interefjant, die Weiſe dieſes 
Liedes war auch in Deutjchland viel gejungen und das Yied jelbjt 
ift hoch- und niederdeutfch vorhanden. Aus dem gleichen Kreiſe bejiße 
ich ein leider nicht ganz volljtändiges Yied in niederdeutjcher Mundart 
auf den Tod der Grafen Egmont und Horn,?) darin die Strophe: 

Des von Egmunden schön Gemal 

van Tranen nettede eren Sal, 

mit klag dat Leid ded enden, 

Och hörde vp de Nachtigal, 

tho singen in dem grönen Dal, 

de Maen und Sünn ded blenden. 

Ein entjprechendes holland. Yied jcheint auch nicht in dem 
Nieu Geusen Lieden Boecxken 1581 vorzufommen, da Hoff— 
mann der legtgenannten Sammlung gedentt, ohne ein Yied von Egmont 
in der jeinigen zu geben. 

Thirsis Minnewit) muß ein beliebtes Buch gewejen jeyn; ich 


!) Wilhelmus van Nassouwe Ben ick van duitschen bloet; das 
berühmte Lied, Gedenck-Clanck ©. 46, aus dem weiter umten von Uhland an— 
geführten Genjenliederbüchlein übergegangen in die Horae belgicae 2, 96; 
Böhme Nr. 410. R. 9. van Sumeren, Over het Volkslied Wilhelmus van 
Nassouwe met eene Bijdrage door P. A. Brugmans, Utrecht 1534. Golte 
nennt miv als neuefte Studie: F. van Duyſe, 't Wilhelmus, im Nederl. 
Museum 1891 f.) — Auf Grund der jehweizeriichen Contrafaktur des 17. Jahr— 
hunderts „Wilhelm bin ich der Telle Bon Heldes Muth und Blut“ (Arnim 15, 
128; Rochholz, Tell und Geßler ©. 196) parodiert Klopftod: „Klopſtock bin ich, 
der Vorige, Bon Schweizer Treu und Blut“ (Lappenberg ©. 192). 

?) Nach einem fliegenden Blatt: Volkslieder Nr. 555; die im Brief her— 

vorgehobene Strophe ift die 25. und wird von Uhland auch Schriften 4, 149 
als jhöner Beleg für das Einftimmen der Natur citiert. Ich unterlaffe im 
Goethe-Rolleg nicht, die ergreifende Situation? Egmonts Gattin mit ihren Kin- 
dern fußfällig vor Alba — gegenfätlich zu verwerten, und vergleiche anderjeits 
Klärchens „Leibſtück“ „Die Trommel gerühret“ mit der weitverbreiteten, mannig- 
fach variierten Strophe „Wär ich ein Knab geboren Wie ich ein Mägdleiu bin, 
Wollt lernen Trommel jhlagen Dem Kaijer um fein Geld“ (3. B. Toblev 1, 40 
und 2, 108, Meinert S. 201, Böhme ©. 177 f.). 

®) Thirsis Minnewit. Bestaande in een versameling der moyste 

Minne-Zangen en Voysen, eine dreiteilige mehr aus amoureus-galanten Poeſien 
denn aus Volfsliedern beftehende Sammlung des 17. Jahrhunderts, in Amjterdam 
öfters mit oder ohne Jahreszahl aufgelegt (vgl. auch Scheltema, Nederlandsche 
Liederen 1885, ©. 398), in Uhlands Anmerkungen wiederholt nad) Druden von 
1750 ımd 1752 citiert. 1 (1725, Kal. Bibl. Zf. 8034), 110 Anke van Trara, 
überſetzt; 3 (1726), 132—160 ein langes Alerandrinergedicht Hero en Leander. 


9* 


132 E. Schmidt, Schwäbifches. 


traf davon Finzlich in Mainz eine andre, zu Deventer erfchienene 
Ausgabe und extrahirte mir Mehreres daraus; erwünſcht ift es mir 
nun, dasjelbe durch die Freundlichkeit Ihres Hausherren ganz zu erhalten. 
Es jind darin, vermuthlich der Melodien wegen, doch noch verjchiedene 
gute und alte Lieder aufgenommen und jedenfalls it es von Intereſſe, 
den Zuftand der Liederpoefie, wie fie im Volk in einer bejtimmten 
Periode gangbar ijt, fennen zu lernen. Sm Hoorns Lied-Boekje!) 
jtieß ich auf ein wumderliches Yied, das mir immer wieder begegnet, 
auch im Thirſis etwas variivend, Ik voer al over de Rhijn; es iſt 
in den holland. Berfionen gejunfen, in einem deutjchen Drucke aus 
der Mitte des 16. Jahrhunderts lautet es phantaftiicher. Das Yied 
auf Prins Hendrik ?) ijt eine willfommme Ergänzung der patriotijchen 
Klänge. 

LeJeunes Sammlung ließ ich mir gleich kommen, als ich von 
ihrem Erſcheinen hörte, das Exemplar, welches Sie mir beſorgt haben, 
kann ich aber gleichwohl gut anwenden. Die Mißverſtändniſſe gehören 
bei den Herausgebern von Volksliedern nicht eben zu den Ausnahmen, 
man lernt zufrieden ſeyn, wenn nur immer auch, wie es hier der 
Fall iſt, einiges Beſſere mit zu Tage gefördert wird. 

Nehmen Sie nun, verehrter Herr, für die ganze erfreuliche 
Sendung meinen innigen Dank und ſagen Sie ſolchen auch Ihrem 
Herrn Hauswirthe, der einen ihm perſönlich Unbekannten ſo angenehm 
beſchenkt hat. Möge mir es gelingen, für die alten Lieder bald etwas 
zu leiſten, wobei Diejenigen, welche mich in Erforſchung derſelben 
gefällig unterſtützen, ihre Bemühungen nicht erfolglos aufgewandt finden. 

Mittelſt beifolgender Anweifung (25 f. xh.) bitte ich Sie Die 
Anfaufspreije des Gedenck-Clancks und der LeJeune'ſchen Sammlung 
mit bemerften 8 f. holl. zu bevichtigten. Da Sie mir Hoffnung geben, 
eine Partie blaawe boekjes zu erhalten, auch der Preis der van 
Somerenjchen Schrift noch nicht notirt war, jo habe ich die Anweifung 
etwas uber obigen Betrag erſtreckt. Sollte ſich Ihnen Gelegenheit 
Darbieten, ohne zu viele Bemühung von Ihrer Seite noch Weiteres 
für meine von Ihnen jo wohl verjtandene Zwecke, (auch bis zum 


!) *t Nieuw Groot Hoorns Lied-Boekje, Bestaande in veel Stig- 
tige en Vermakelyke Bruylofts Liedekens, Te Hoorn o. %., jehr undeut- 
licher Sedezdruck Reinier Benfelmanns, wenig echte Bolkslieder enthaltend. 
Uhland verweist darauf Schriften 4, 242 in feiner Beſprechung des Liedes Jk 
voer al over de Rhijn. Es fteht dort ©. 240. Thirsis Minnewit 2 (1726), 
76 Ik voer al over Zee. Bgl. auch Hoffmann 2, 76. 

?) Hoorns Lied-Boekje ©. 113: Vive la bon Prins Hendrik. 
Friedrich Heinrich von Oranien, 1625—1647 Statthalter der Niederlande. (Bolte 
jagt mir, daß Lieder auf ihn im dem von H. %. van Lummel, Utrecht 1874, 
herausgegebenen Geuzenlied-boek jtehen.) 


E. Schmidt, Schwähifches. 133 


doppelten Belaufe der diegmaligen Anweiſung,) anzufaufen, jo werde 
ich Bi erhaltene Nachricht den Betrag jehr dankbar anweiſen. 

Den nun bald erſcheinenden Muſenalmanach) für 1836. hoffen 
wir mit Beiträgen von Ihnen ausgejtattet zu finden. Mir ftand 
diegmal nichts zu Gebote, was ich hätte beitragen fünnen. Dagegen 
bitte ich Sie, die erſt fürzlich fertig gewordene neue Auflage meiner 
Lieder freundlich aufzunehmen. 

Mit der aufrichtigjten Hochachtung Ihr ganz exrgebener 
L. Uhland. 

Sollten meine Gedichte dem Briefe nicht gleich beigelegt werden 
fönnen, jo werden fie durch andere Gelegenheit nachfolgen. Die 
Bejorgung gejchieht von Stuttgart aus durch Schwabs Gefälligfeit. 


rau Freiligrath jchreibt miv: „Da F. bald darauf Amſterdam 
verließ und nach Soeſt zurückkehrte, hatte es natürlich auch ein Ende 
mit den Nachforſchungen nach niederländiſchen Volksliedern. Als wir 
in St. Goar lebten, fuhr Uhland, der ſeine Nachforſchungen perſönlich 
in Holland fortſetzte, auf dem Dampfſchiff vorüber. %. mit feinem 
Salfenaugen erfannte ihn vom Ufer und ſchwenkte den Hut. Er er- 
wähnt dieje ferne Begegnung in jeinem Flecken am Rhein“ (Gejammelte 
Dichtungen 1. Auflage 3, 18). 1840 iſt er Uhland in der jchwäbijchen 
Heimat begegnet, als er den neulich von TIheobald Kerner gejchilderten 
Bejuch in Weinsberg abgeftattet hatte. Und an Uhlands fünfundfiebzigitem 
Geburtstage 1862, dem legten, jchon durch tödtliche Krankheit ver- 
düfterten, wollte der Vondoner Flüchtling nicht unter den Gratulanten 
fehlen. Er jandte dem alten Gafte des Wirtes wundermild eine 
danfbare Huldigung der englijchen Apfelbäume, eines jeiner veinften 
und innigjten Gedichte; wie man denn nur mit jchroffer Ungerechtigkeit 
Freiligraths Poeſie bloß nach den von ihm jelbjt vajch abgethanen 
Neimen aus Victor Hugos orientalijcher Schule in Baufch und Bogen 
beurteilen Fann, doch gejchieht es noch Heute. Diejen duftigen Dichter- 
grüßen „Aus der englifchen Apfelblüthe“ (Gejammelte Dichtungen 
5. Auflage 2, 256, 1. Auflage 4, 25) fügte Freiligrath die mir 
durch eine Stellerfche Stopie befannten Worte bei: „Wenig, und noch 
dazu vderjpätet, aber aus vollem warmem Herzen! Nehmen Sie es 
mit Nachjicht auf, theurer, hochverehrter Mann! Alles Heil und aller 
Segen über Sie! Für immer in Liebe und Treue Ihr F. Freiligrath.“ 
AS er die Strophen einem deutjchen Freund mitteilte, nannte ex das 
„bejcheidene Scherflein“ „Eleine Blumen, Eleine Blätter“: „Was jollen 

1) Am Chamiſſo⸗Schwabſchen Muſenalmanach, war Freiligrath lebhaft 


beteiligt. Wie er ſich 1836 in dem durch Heine zwiſchen den Herausgebern ent— 
brannten Zwiſt verhielt, iſt bei Buchner zu leſen. 


134 Miscellen. 


zuleßt all die großen, volltönenden Worte? Die Apfelbäume in meinem 
Hausgarten und ringsum in den Garten der Nachbarn blühten eben 
herrlich am 26. April. Da trugen fie mir denn ihren Glückwunſch 
auf“ (Buchner 2, 342). So oft Uhlands „Einfehr“ angejtimmt wind, 
joll diefer herzliche und ſinnreiche Nachhall miterklingen: 

O Leuchtender Aprillentag, 

Maitag, der fich verfrühte! 

Und wo das Auge jchweifen mag, 

Da jieht es Apfelblüthe! 

Und wie überall in Uhlands wiljenjchaftlichen Gefilden, iſt uns 

auch dies Mal auf gelehrte Bücher und Papiere ein erquicender 
Blütenregen gefallen. 


3u Goethes Gespräch über Deutjche Literatur. 


Goethe beabfichtigte der ftrengen Erziehungsſchrift Friedrichs des Großen 
über die deutſche Literatur eine Gegenfchrift entgegenzufesen und zwar in Form 
eines Geſprächs in einem Wirtshaufe zu Frankfurt, „wo ein Deutfcher und 
Franzoſe fih über des Königs Schrift beſprechen“ (Suphan, Friedrichs des Großen 
Schrift Ueber die deutſche Literatur ©. 57). Die Form befremdet bei Goethe, 
der folche abwägende Dialogen in Fragen, die ihm ans Herz gingen, mie geliebt 
bat: „Des thätigen Manns Behagen jei Parteilichkeit!“ dachte ev mit feinem 
Prometheus. Er hat die Kampfgeſpräche wohl im Drama, nie als jelbftändige 
Form geliebt und auch jenen Wettkampf in Sprihwörtern mit dem Bater 
(Weimariihe Ausgabe 28, 321) hat er erſt jpät der Deffentlichfeit preisgegeben. 
Bon Plato urteilt ev: „Was er fih im Einzelnen an irdischen Wiffen zugeeignet, 
ihmilzt, ja man kann jagen, verdampft in feier Methode, in jenem Vortrag“ 
Farbenlehre, Hiſtoriſcher Teil, Weimarifche Ausgabe II 3, 141) und auch aus 
einem Urteil über Solger (Geſpräche mit Edermann 1, 215) tönt Mißbehagen 
an der Form des Platonifchen Dialogs heraus. Daher glücte ihm felbft die 
Einkleidung nicht: „das Ganze hat mir nicht genug gethan,“ urteilt Herder über 
den Entwinf (Suphan a. a. DO.) „und die Einfaffung nicht gefallen. Er mills 
Franzöfiich überjegen laffen, und jo herausgeben, wo es fi aber nicht aus- 
nehmen wird.“ Vielleicht brachte ein fremdes Borbild Goethe auf den wenig 
glüdlichen Einfall. Wenige Jahre früher, 1778, hatte Yichtenberg im feinem 
Kampf gegen die Phyfiognomifer die gleiche Einkleidung gewählt. „Bor einigen 
Tagen ging ih, eben um tela aufzulefen, in ein Kaffeehaus” (Bermifchte 
Schriften 4 95 f.). Er läßt nun verjchiedene Säfte über eine Entgegnung 
Ziummermanns disputieren. „Hierauf las ein ſchwärzlicher Franzos Ihre Noten. 
‚Oh le joli Scholiaste!' jagte ev. „Que «des Hottentots parmi vous!‘ und 
warf das Mufeum auf den Tiih. "Das ift zu hart für deinen Klienten, dachte 
ih, et parmi Vous, ſagte ih, und fo ging der Franzos weg.“ Auch hier alfo 
literariſches Streitgefpräh im Wirtshaus, auch hier am Schluß der Franzoje 
abgeführt. — Der Mitarbeiter an Yavaters Phyfiognomif hat Lichtenbergs heftige 
Angriffe fiher mit Eifer gelefen und als ev nun aus Abwehr anderer Streit- 
ichriften, noch unficher, eine Form juchte, bot die des berühmten Hiftorifers ſich 
aus Nahahmung an. R.- M, Meyer. 


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AT or un 


Mecenfionen und Referate. 


Alt Th. Bom harakfteriitiich Schönen. Ein Beitrag zur Löſung der Frage des 
fünftlevifchen Individualismus. Mannheim. J. Bensheimer. 1893. 

Die vorliegende Schrift kann als Beweismittel für den paradoren 

Satz dienen, daß unter Umftänden auch eine nicht ganz vollitändige Be— 
herrſchung der Gefhichte einer Wiffenfchaft ihre Vorteile hat. Solch mangel- 
bafte Kenntnis deſſen, was bisher geletitet wurde, veranlagt nämlich zumerlen 
eine abermalige Beichäftigung mit Problemen, die in der Sauptjache ihre 
Löſung bereits gefunden haben, und wenn nun Derjenige, welcher neuerdings 
und vollfommen jelbftändig an die Fragen hevantritt, ein klarer, tüchtiger, 
zur Bewältigung feiner Aufgabe im übrigen genügend vorbereiteter Kopf 
it, fo kann es ſich wohl ereignen, daß, ob er auch nichts wejentlich und 
fundamental Neues biete, doch mancherlet brauchbare Geſichtspunkte auf- 
geitellt und einzelne Seiten des Gegenitandes beſſer als von feinen Vor— 
gängern beleuchtet werden. Aber noch in anderer Weiſe wird die Wiſſenſchaft 
dabei gefördert. Sehen wir, daß mehrere Bearbeiter der Frage unabhängig 
von einander und auf teilweife getrennten Wegen zu ein und demfelben 
Ziele gelangen, jo muß dies unfere Ueberzeugung, day die Antwort, welche 
fo von verfchtedenen Seiten übereinſtimmend dargeboten wurde, auch wirklich 
die richtige Sei, in hohem Maße befräftigen und etwa in uns ſich vegende 
Zweifel niederſchlagen, wofern diefelben nur dem fogenannten „Gefühl“ ent- 
ipringen, d. h. nicht auf klare und beftimmte Erkenntniſſe zurückgeführt 
werden können, nicht aus ernſten, ſchwerwiegenden Gründen hervorwachſen. 
Die Sicherheit unſerer Vorſtellungen wird alſo befeſtigt, der Grad der Ver 
läßlichkeit, den wir beſtimmten Einſichten zuſchreiben, erhöht. Damit ſoll 
ſelbſtverſtändlich weder der Unwert der Wiſſenſchaftsgeſchichte behauptet 
noch die Vernachläſſigung der vorhandenen Literatur irgend eines Gebietes 
empfohlen werden: im großen Ganzen und für die Geſamtkultur dev Willen- 
ichaften find ja die itberwiegenden Vorteile einer guten Ueberſicht über alle 
von den älteren Fachgenoſſen gewonnenen Hauptergebniſſe jo einleuchtend, 


» 


136 Alt TH, Vom charakteriſtiſch Schönen. 


dal jene eben bezeichneten Momente dagegen faum in Betracht fommen 
können; — die letteren jollen es mim verftändlich machen, wie jelbft eine 
Eigenschaft, die nach ihren direchfehnittlichen Folgen zweifellos einen Mangel 
in der Ausrüſtung des gelebrten Arbeiters vorstellt, dann und wann un— 
ichädlich zu bleiben, ja geradeswegs zum guten auszufchlagen vermag. Und 
ein derartiger Seltener Ausnahmsfall Scheint eben bezüglich der Altichen 
Schrift vorzuliegen, — vorausgefett nämlich, daß der Eindruck jelbitändiger 
Ideengewinnung, welchen diefelbe unleugbar bervorbringt, nicht täuscht und 
daß der Verfaffer nicht doch etwa, im Gegenſatze zu feiner ſonſtigen Art, 
auf die Uebereinitimmung von ihm entwicelter Ansichten mit den Lehren 
befannter Aeſthetiker aufmerkſam zu machen, gerade bei den Haupt und 
Hrundgedanfen feiner Abhandlung die Duelle verichweigt, welcher er diefe 
Gedanken entnommen bat. 

In der That würde Alt ferne Arbeit vielleicht nicht veröffentlicht 
haben, wenn er gewußt hätte, das feine Ausführungen nichts find als die 
Darlegung und Begründung eines Princips, welches ſchon Zimmermann 
in klaſſiſcher Weife formuliert bat, ja daß feine wichtigiten Säte bereits 
durch Hutcheſons Aufftellung der „relativen Schönheit“ vorweggenonmen 
ericheinen. Und doch wäre es in mancher Hinſicht zu bedauern, wenn diefe 
kleine Schrift nicht publiziert worden wäre. Sie erörtert nämlich das große 
Hutcheſon-Zimmermannſche Brincip in fo klarer, Faßlicher Weise, fie bringt 
lo qute Beiſpiele der Bewährung desfelben im Bereiche der Kunſt, wie in 
demjenigen der äſthetiſchen Naturanſchauung, fte unterfucht auch ſeine Trag- 
weite und die Konſequenzen, welche fich aus jeiner Geltung für die Beurteilung 
gewiſſer Kunſtrichtungen unſerer Zeit ergeben, mit folcher Bejonnenheit und 
Unbefangenbeit, day mancher nicht fachmänniſche Leſer dadurch nicht bloß 
in Grundlehren der Aeſthetik eingeführt, Sondern auch über brennende Tages- 
fragen in aller Kürze vortrefflich orientiert werden dürfte. 

Alt nimmt für feine Unterfuchung den Ausgang vom Wideritreite, 
in dem ich das „Eharaftertitiiche“ mit dem „Schönen“ befindet, wenn das 
Yesstere als das Gattungsmähtge, der Normalidee Entfprechende, gleichſam 
den Durchſchnitt oder das arithmetiſche Meittel aller einzelnen Individuen 
Borftellende aufgefaßt wird. Nun aber gefällt, zumal in der Kunst, auch 
das Individuelle, das die Schranken der Gattungsnorm Ducchbrechende, ja 
die bildende Kunſt der Neuzeit hat bewiefen, „daß gerade dem Individuellen 
in der Erſcheinung ein höchſter äfthetiicher Wert zufomme.“ Sehr vichtig 
wird von Alt hervorgehoben, day diefe zunehmende Würdigung des individuell 
Eharafteriftifchen mit dem Streben der neueren Künstler nach unverfälichter 
Naturnachahmung Sand in Hand ging; aber doch behauptet ev im Anschluß 
an Viſcher und v. Hartmann nicht minder richtig, dak die Nachahmung als 
folche den Neiz des Individuellen nicht erflären könne. Auch in der ſub— 
jeftiven Seite des äſthetiſchen Verbaltens, für welches der Gegenftand, wie 


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Alt Th., Vom harakteriftiih Schönen. 137 


der Verfaſſer mit v. Hartmann oder vielmehr denjenigen Nefthetifern, deren 
Beſtimmungen diefer ſich angeeignet hat, ſagt, „bloße Erſcheinung“, „äfthetifcher 
Schein“ iſt oder welches, etwas exakter zu veden, ſich als ein rein fontemplatives, 
das Objekt unmittelbar erfafiendes und im Genuß der Anschauung befriedigtes 
darstellt, — auch in diefer fubjeftiven Seite des äfthetiichen Verhaltens kann 
jener Reiz nicht begründet fein, weil nach Alts einleuchtender Bemerkung 
die älthetifche Betrachtung das Häfliche To qut wie das Schöne wahrnimmt, 
Schönfein nnd Objekt-äſthetiſcherAuffaſſung-ſein alfo gewiß nicht dasselbe 
it. Daß die Konſtruktionen der metapbyitichen Yehre vom Schönen das 
Geheimnis nicht entjchletern fünnen, ist den gefunden Sinne des Berfaffers 
vollends klar, und fo zieht er es denn vor, fich „auf die eigenen Füße einer 
empiriſchen und pſychologiſchen Aeſthetik“ zu ftellen. 

Ber den unbeftreitbar vorhandenen, wenn auch oft gegenfäßlichen 
Beziehungen zwischen dem Jndtviduellen und dem gattungsmähigen Schönen 
ſucht er vor allen über diefes letstere ins Flare zu fommen und daber gewinnt 
er num fein erſtes Sauptergebnis. Selbit das gattungsmäßige, vom Netz 
des Individuellen unberührte Schöne Joll nicht, over wenigiteng nicht zunächſt, 
der Gattungsmäßigkeit im engeren Sinne, nicht dem Umstande, daß es das 
Normale oder die Durchſchnittsform bezeichnet, Sondern vor allem feiner 
Zweckmäßigkeit den äſthetiſchen Wert verdanken. Die Schönheit der 
Drganismen wäre darnach gewiffermaßen der Ausdruck ihrer unbewußt 
erfannten, injtinftiv gefühlten Zweckmäßigkeit. Das iſt der wunde Punkt 
in den Ausführungen des Verfaffers. ES fcheint, als wenn er fich hier 
doch von der metaphyſiſchen Aeſthetik, Tpectell derjenigen v. Hartmanns, 
einigermaßen babe beeinfluffen laflen, und jedenfalls wird man zugeben, daß, 
wenn auch die organische Schönheit noch etwas anderes als genaues 
Zulammenfallen mit dem Oattungsdurchichnitte bedeutet, diejes andere mit 
der einfachen Formel: „dent Gattungszwede entiprechen“ um fo weniger 
erichöpfend ausgedrückt werden fann, je mißlicher es um der Erkenntnis der 
„Sattungszwece” jelber beftellt it. Die Unterfchtede der einzelnen Arten 
von Naturformen in Bezug auf Schönheit, die zweifellos anzuerkennende 
Häßlichkeit gewiſſer Gattungen, die auch dadurch nicht gänzlich befeitigt wird, 
daß diefe Arten unter dent Geſichtspunkte des Typiſchen oder Charaftertitiichen, 
wie der Berfaifer an ſpäterer Stelle vortrefflich zeigt, äſthetiſchen Neiz 
gewinnen können, — diefe verfchtedene äſthetiſche Digmität der unter einander 
verglichenen Gattungen, während doch nach teleologticher Ansicht jede Lebens 
form im gleichem Maße ihrem Zwecke entipricht, würde bei einer folchen 
Betrachtungsweife ſich ſchwerlich veritehen lafjen. Ein Beweis aber für die 
Identität der Schönheit der organischen Bildungen und ihrer Zweckmäßigkeit, 
welcher darin gipfelt, daß Schiller die ruhende organische Schönheit als die 
architektoniſche bezeichnet hat und daß nun in der Architektur nach Semper 
die Zweckmäßigkeit thatfächlich über die Schönheit der Formen entjcheidet, 


138 Alt TH, Vom charakteriſtiſch Schönen, 


iſt wirklich kaum ernst zu nehmen, da die Vorausfegungen, auf welchen er 
ruht, eritens, dag Schillers bildliche Bezeichnung nicht nur abfolut zutreffend 
fer, ſondern auch alle Seiten des Gegenstandes beleuchte und daß zweitens 
un der Aeithetif der Baukunſt gar feine anderen als Zweckmäßigkeitsrückſichten 
in Frage fommen, wohl beide gleich weit von axiomatiſcher Steherheit 
entfernt fcheinen. Und diefer Beweis iſt nach des Verfaſſers Geftändnis 
„der einzige”, der überhaupt „geführt werden kann“! Indeß ſchlägt fich 
Alt Freilich durch diefe Foentififatton von DOrganismen-Schönheit und Zweck— 
mäßigfeit auf bequemite Art die Brücde zur Anerkennung individueller 
Schönheit. Die einfache Erwägung, daß den Individuen ebenfo beftinmte 
Zwecke gefegt fein fünnen wie den Gattungen, macht dann ja auch eine Art 
Schönheit genugſam begreiflich, welche den Individuen zufommt, ohne daß 
diefelben bloß den allgemeinen Arttypus offenbaren, bloße Verkörperungen 
ihres Gattungsweſens find. 

Diefe Anficht von dem „materiellen“ (d. h. im Sinne des Verfaffers 
wohl jo viel als objektiven) Weſen der organtichen Schönheit erſchließt num 
Alt, indem er auf die fubjeftive Seite, d. b. die pſychologiſchen Vorgänge 
bei der Auffaffung folcher Schönheit reflektiert, auch das Verſtändnis für 
das eigentlich Charakteriſtiſche. So wenigitens verhält es fich nach feiner 
Daritellung, während in Wirklichkeit vielmehr ſeine glückliche Erkenntnis 
der pfychologischen Gründe oder Bedingungen des MWohlaefallens am 
Eharafteriitiichen mitgewirkt haben dürfte, ihn zu jener einfeitigen Conception 
von der Schönheit der Gattungen zu verleiten. Im Falle diefer letteren 
Schönheit vergleichen wir „zwischen einer vorber in uns vorhandenen zweck 
lichen Vorftellung und ihrer Verwirklichung, fer es in einem Naturgegenitand 
oder jet e8 in einem Kunftwerf“, und tft es die „vollfommtene Ueberein 
ftimmung des angefchauten Objefts mit diejer VBorftellung“, was die „volle 
äfthetifche Befriedigung erzielt“. ine folche Uebereinſtimmung bezeichnet 
Alt als „äfthetiiche Wahrheit“, die ſomit „die Wahrheit der einer Erſcheinung 
zugrunde liegenden Vorftellung, aber nicht die Wahrheit der Erfcheinung 
eines Naturobjekts“ iſt; eine folche Hebereimitimmung macht auch das Weſen 
des Charafteriftifchen aus. Wo wir das im vorhinein von uns gehegte 
Bıld einer Sache in der Fünftlerifchen Darftellung oder der wirklichen 
Erſcheinung diefer Sache bewährt finden, da erproben wir nämlich den 
Heiz der charafteristiichen Schönheit. Sp etwa läßt ſich mit wenig Worten 
der Kern der Ausführungen des Verfaffers wiedergeben und es gereicht der 
Faſſung, welche das Princip des Charakteriſtiſchen ber Alt und Früher ſchon 
bei Zimmermann gefunden bat, zu beionderem Vorteile, fowie es freilich 
auch mit logischer Notwendigkeit aus den Wefen des Hutcheſonſchen Princips 
bervorflieit, daß dasſelbe keineswegs bloß auf die Region der bewußten 
Nachbildung beichränft wird. An einem hübſchen, finnig gewählten Beifpiele 
zeigt die Schrift, wie vielmehr Derjenige, welcher äfthetifch ſchauen gelernt 





Alt Th., Vom harakteriftiih Schönen. 139 


hat, d. h. welcher die Dinge al3 Erfcheinungen gewiffer Typen oder Feen 
aufzufaffen versteht, in der Natur und im Leben nicht minder als in der 
Kunſt fich an der bunteften Mannigfaltigkeit charakteriftiicher Züge und 
Gebilde erfreuen fann. Auf diefe Werfe aber erhält das Princip eine 
ungleich größere Bedeutung und erflärt viel zahlveichere Phänomene des 
üfthetifchen Lebens als ein ausschließlich auf den Kunſtgenuß zugefchnittenes 
Nahahmungsprineip. Das Fechner „Vorschule“ das Wroblem der 
charakteriitiichen Schönheit fait nur als die Frage nach den pſychologiſchen 
Gründen unferer Freude an der Nachahmung behandelt hat, Scheint mix 
einer der ſchwächſten Punkte im diefer klaſſiſchen, für die ganze moderne 
Aeſthetik Tonft grundlegenden Unternehmung. Hier tft Zimmermann, deffen 
Unterfuchungen auch jet noch nicht bloß nach der biftorifchen Seite hin die 
vollite Berückſichtigung verdienen, Fechner umftreitig überlegen und man 
muß es mit Freude begrüßen, daß Alt, wie es Scheint, ohne von feinem 
Vorgänger zu willen, zu der vichtigeren, weil einen weiteren Ausblick 
gewährenden Bofttion des Wiener Aeſthetikers zurückgekehrt iſt. 

Wer das Princip des Charakteriſtiſchen einmal gewonnen und in fo 
glücklicher Art wie der Berfaffer formuliert hat, dem löſen fich die Fragen 
nach dem Werte des Individuellen in der Kunſt, nach dem Verhältniſſe 
des Charafteriftifchen zum vem oder eigentlich Schönen und nach der Be 
vechtigung des jogenannten „Naturalismus“ ganz von felbft. Daß das 
Eharafteriitiiche mit dem Individuellen feineswegs zufammenfällt, macht 
ichon der Umstand einleuchtend, daß wir auch befeitigte Vorftellungen von 
Sattungen haben, mit denen allein wir häufig eine individuelle Form, die 
uns als folche ganz neu, daher auch mit einem etwaigen Bilde von ihr 
nicht zu vergleichen tft, zufammenbalten müffen, welche wir aber auch ſonſt 
oft genug als den uns vorjchwebenden Typus in der Einzelerfcheinung 
ausgeprägt finden möchten, und wirflich iſt nach des Verfaſſers zutreffender 
Darlegung das fogenannte „Typische“ nichts anderes als diefes gattungs— 
mäßig Eharafteriftische. Wollen wir aber ein beftimmtes, uns wohlbefanntes 
Individuum dargestellt willen, dann müſſen wir freilich auch die befonderen, 
unterfcheidenden Züge eben diefes Individuums in feiner Fünftlerischen 
Wiedergabe verlangen. Da ferner jene Art von Uebereinſtimmung zwischen 
Idee und Erſcheinung, in welcher das Charafteriftifche liegt, ein äfthetiich 
reizvolles, ſtets unſer Gefallen wecendes Berhältnis ift, fo muß das 
Charafteriitiiche felber unter allen Umständen als Schönes im weiteren 
Sinne anerfannt werden. Handelt e8 ſich jedoch um charafteriftiiche Aus 
prägung an ſich, d. b. nach anderen Rückſichten und ohne Vergleichung mit 
einem Ur- oder Vorbilde häßlicher Formen, fo begreift man leicht, wie jene 
zcharakteriſtiſche Schönheit in Konflift mit den Bedingungen des übrigen 
Schönen,Svon welchen der Berfaffer neben dem angeblich die Gattungs- 
zwede Exrfüllenden noch das vein finnlich Schöne der Farben und Formen 


140 Alt TH, Vom darakteriftiih Schönen. 


bervorbebt, geraten fanın. Maßgebend für die charafteriitiiche Schönheit 
eines Gegenjtandes iſt eben nur das Vorhandensein der gleichartigen, überein- 
ſtimmenden DVorftellung vom Objekte im uns, feineswegs irgend welche 
an ſich wohlaefällige Eigenſchaft des Dinges oder gar eine Summe 
objeftiver Merkmale. Es fommt alfo immer — dem Sinne des Princips 
gemäß — nur auf unfere Idee an: Hat diefe eine Gattung zum Gegen- 
ftande, fo erfreut ımS das „Typische“ als „charakteriſtiſch“, bezieht fte ſich 
auf ein Individuum, fo fordern wir die individuelle Eigentümlichkeit und 
Beionderbeit, iſt ihr Objeft an und für ſich häflich, fo Fühlen wir uns nur 
äfthetiich befriedigt, wenn die Erſcheinung, vor der wir jtehen, auch diefe 
Häßlichkeit treu und unvermindert wiederipiegelt. Und weil es ſich jo verhält, 
weil Eharafteriitif nicht Zufanmentreffen eines Gegenſtandes mit einem 
anderen, unbekannten Objektiven, fondern lediglich Uebereinitimmung mit 
unferer ſozuſagen vorgefagten Idee don ihm jelber bedeutet, hat der Ver— 
faſſer, indem er konſequent an den Forderungen des Brincips feithält, auch 
leichte Mühe, in den Grundfäten des modernen Naturalismus das Wahre 
von dem Falfchen und Uebertriebenen zu ſcheiden. Unfere Ideen von Natur- 
objeften find aus der Natur felbit geichöpft: — daraus ergiebt fich Tchon, 
daß ein Teil der Ansprüche des Naturalismus berechtigt fein muß; aber 
fir unfere VBorftellung von dem „wefentlichen Charakter“ ivgend eines Dings 
it nicht der zufällige Anblick enticheidend, welchen uns dasfelbe in diefem 
oder jenen Zeitpunfte gewährt, vielmehr kann ein folcher augenblidlicher 
Eindruck dem Bilde, welches jih auf Grund zahlreicher anderer Wahr- 
nehmungen des Dings und Begegnungen mit demfelben in ung erzeugt hat, 
vecht jchlecht entiprechen, alfo den „Charakter“ der Sache recht dürftig und 
mangelhaft ausdrüden: — dies beweist hinlänglich die Verfehrtheit des 
extremen, mit geiftlojen Kopien fich begnügenden Naturalismus, welcher 
den Zauber, den das Erfaſſen charakteriitifcher Schönheit auf das empfäng- 
(iche Gemüt ausübt, in feinen tiefiten, innerſten Weſen verfennt und aus 
unrichtig gedeuteten Empfindungen eine falfche Theorie macht, der zuliebe 
er nun die Gefühle felber verleugnet, der Stimme feines eigenen äfthetifchen 
Gewiſſens Trotz bietet. — Sp würden, auf ihren bündigſten Ausdrud 
gebracht, die Thefen lauten, welche der Verfafler in dem größeren, von den 
Stonfequenzen des Princips handelnden Abfchnitte feiner Schrift verficht; 
die hier kurz ſkizzierten VBerhältniffe erörtert er von ©. 16 bis zum Schluffe 
ſo gefchieft und umfichtig, daß man nicht ohne Vergnügen feinen Ausführungen 
folgen fann. 

Der hauptſächlichſte Mangel des Schriftehens, obfchon wir demfelben, 
wie gelagt, vielleicht infoferne Dank wifjen, al3 ohne ihn die Altfche Arbeit 
möglicherweife gar nicht erfchtenen wäre, tit das Fehlen eines Bewußtſeins 
von Dem, was bereits Frühere in derjelben Nichtung gedacht und aus- 
gefprochen haben. . Darum. möge mir zum Schluffe eine kurze Gefchichte 





Alt Th, Vom charakteriſtiſch Schönen. 141 


de3 Princips vom Charakteriitiich- Schönen geftattet werden. Die hohe 
Wichtigkeit eben dieſes Princips, von dem man faft mit demfelben Rechte, 
mit welchem Fechner dies vom Aſſociationsprincip behauptet hat, jagen 
fann, daß an ihn die halbe Aeſthetik hänge, dürfte den in der Aufgabe de3 
NeferatS allerdings nicht mehr eingeichloffenen hiſtoriſchen Exkurs vecht- 
fertigen, ſowie andererſeits dieſe geichichtlichen Nachweiſungen vielleicht 
wieder geeignet ſein werden, die außerordentliche Bedeutung des in Rede 
ſtehenden Grundſatzes noch klarer und überzeugender hervortreten zu laſſen. 
Daß Ariſtoteles das Wohlgefallen an charakteriſtiſcher Darſtellung 

nicht bloß kannte, ſondern dasſelbe auch ſchon zu erklären verſuchte, indem 
er es als eine Art intellektueller Luſt auffaßte, nämlich aus der Freude an 
dem im Erraten der Intentionen des Künſtlers bethätigten eigenen Scharffinn 
ableitete, ift Jeden geläufig, der ſich mit Gefchiehte der ariechtichen Aeſthetik 
beichäftigt hat. Die Einengung des Begriffes auf die Sphäre bewußt— 
Eünftlerifcher Nachbildung aber und die noch größere Specialifierung, welche 
die eben bezeichnete Auslegung des Phänomens, wie fie vom Stagtriten 
unternommen wurde, unvermeidlich mit fich bringt, beweifen aufs Karfte, 
daß fich der ariftotelifche Gedanfe und das moderne Princip des Charaf- 
teriftifchen nicht deefen, — abgejehen davon, daß auch die Unziulänglichkeit 
der Hypotheſe des ariechiichen Denkers ſofort ftcehtbar wird, wenn man 
erwägt, daß das Wohlgefallen um jo größer, je gelungener die Nachahmung, 
ein je geringerer Scharffinn alfo zum Nätjellöfen, zum Erraten der fünjt- 
(erifchen Abjicht erfordert ift. — Begreiflichevweile fonnte es nicht fehlen, 
daß auch nach Aristoteles in dem mächtigen Zeitraume bis auf Hutchefon, 
wenigitens jo lange die griechiſchxömiſche Kultur blühte, und dann wieder 
in den neueren Jahrhunderten, die ſich aus der mittelalterlichen Geiſtesenge 
befreit hatten, die Sumittheortie, namentlich die Lehre von den Wirkungen, 
welche die Poeſie und die bildenden Künſte bezweden, an das Princip des 
Charakteriſtiſchen zu öfteren Malen heranitreifte. Alles, was Batteur aus 
Horaz zufammtengelejen, um den römiſchen Dichter als Vertreter des Nach- 
ahmungsprincips erfcheinen zur lafien, tit ein ebenſo guter oder noch beiferer 
Beleg dafiir, das Horaz den Wert der Charafteriftif zur ſchätzen gewußt 
bat, und wenn, um jogleich 1700 Jahre zur überfpringen, Boileau jagt: 

„Il n’est point de serpent ni de monstre odieux 

qui, par l’art imite, ne puisse plaire aux yeux. 

D’un pinceau delicat l’artifice agreable 

du plus affreux objet fait un objet aimable,“ 
jo verrät dies abermals, nicht minder als der Sat: 

„A ces petits defauts marques dans sa peinture 

l’esprit avec plaisir reconnait la nature,“ 
ein volles Verftändnis dev Schönheit zeugenden, ja das Häßliche felber in 
Schönes umwandelnden Kraft, welche der charafteriitiichen Darftellung 


142 Alt TH, Vom charakteriſtiſch Schönen. 


innewohnt. Aber der eigentliche Entdeder des Princips bleibt Hutcheſon, 
da er nicht bloß auf dasjelbe anfpielt und es gleichjam praftifch verwertet, 
ohne ſich von feiner Natur ernftere Nechenichaft zu geben, jondern es in 
ywifienschaftlicher Neinheit und Strenge heraushebt. In dem 1720 erjchienenen 
berühmten Buche: „Inquiry of the origin of our ideas of beauty and 
virtue* unterfcheidet der englische Philoſoph die „relative“, auf der Nehnlich- 
feit mit einem Vor- oder Mufterbilde beruhende Schönheit fo ſcharf als 
nur möglich von der „abjoluten“ und betont es mit dem größten Nachdrude, 
daß für die erjtere Art der Schönheit gar nicht die äfthetiiche Beſchaffenheit 
des Vorbildes jelber, jondern ausschlieglih nur der Grad der Ueberein— 
ftimmung, welchen das Nachbild mit diefem Vorbilde gewahren läßt, 
bejtimmend und ausfchlaggebend iſt. So kann nach Hutchefons Auseinander- 
ſetzung ein an ſich reizlofer, ja widriger Gegenstand — Hutcheſon führt u. a. 
die häßlichſten Züge des Alters in einem guten Gemälde als Beifpiel an —, 
in dem er einem Meufterbilde entipricht, mit welchem er bewußt oder unbewußt 
zufammengebalten wird, zur Duelle äſthetiſchen Wohlgefalleng werden. 

Etwa3 Tpäter hat ein anderer brittiicher Neithetifer, Aliſon, einen 
Begriff von „relativer Schönheit” ausgebildet. Auch in diefem Begriffe iſt 
das Charakteritiiche teilwerfe enthalten, wiewohl er mit demjenigen der 
„relativen Schönheit“ bei Hutchefon nicht durchwegs zufammenfällt, da er 
nach feiner ſpecifiſchen Faſſung vielmehr eimerjeits noch andere Gattungen 
des äſthetiſch Gefallenden in ich schließt, den Neiz des im engften Sinne 
Zweckmäßigen bezeichnet und auch jene „artifiziellen“ oder „Konventions— 
Schönheiten” umfafjen kann, die Andre im „Essai sur le beau“ (1741) 
und nachher (1784) von den Deutichen J. Eb. König, dem (1785) Gäng 
folgte, al3 eigentümliche Formen des äſthetiſch Wirkſamen kennen gelehrt 
haben, und da es andererjeitS auch wieder fraglich bleibt oder zum Mindeſten 
nicht auf den eriten Blick klar iſt, ob unter Aliſons relative Schönheit, 
welche nicht jowohl wie der Hutcheſonſche Begriff die Uebereinitimmung 
eines Gegenjtandes mit einem im Geiſte bereit liegenden Vorbilde, als 
vielmehr das aus Rückſichten des „Zweds“, der „Schicklichkeit“ und „Nützlich— 
feit“ entipringende Wohlgefallen ausdrückt, die Thatfachen charafteriftifcher 
Naturſchönheit ebenfo ungezwungen zu fubjumieren find als die Freude an 
Kunſtwerken, die eine Nachbildung jelber fich zum Zwecke gefett haben. 
Indeß, wie dem auch ſein möge, jedenfall8 hat ein Dritter von den berühmten 
Aeithetifern Englands das Princip des Charakteriftifchen gleich Hutcheſon 
im Wesentlichen erfaßt und gefennzeichnet, nämlich Burke; zwar nicht, wie 
Fechner irrtümlich annahm, al3 der Erſte — denn Hutchefons „Inquiry“ 
erichten 37 Jahre vor Burkes „A philosophical inquiry in to the origin 
of our ideas of the sublime and beautiful“ —, auch nicht fo rein wie 
jein Borgänger und auch nicht bloß in der Stelle des 16. Abichnittes des 
eriten Buches, auf welche Fechner verwies, jondern zum Teile ſchon in der 





Alt Th., Vom harakteriftiih Schönen. 143 


Einleitung feines vielgenannten Werkes, die durch einzelne Erörterungen 
ein ziemlich klares Bewußtfein von der Bedeutung diefes Princips Fund- 
zugeben ſcheint. So fünnte man fait jagen, dat Dasjenige, was Alt wie 
völlig neu hinſtellt, bereits der englischen Aeftpetif des vorigen Jahrhunderts 
in der Hauptjache geläufig war. Die fraglichen Verhältniſſe find ja auch) 
fo einfach und unverkennbar zugleich, daß nur ein Mangel an Tiefe oder 
die Sucht, die Erſcheinungen durch Anwendung allzu abjtrafter Begriffe, 
wie des Diderotichen „Beziehungs”- Begriffes, in ungeböriger Art zu uni— 
fizieren, bei den Franzoſen, das Eingefponnenfein in die Begriffswelt der 
Wolfſchen Biycehologie und Metaphyſik, das ausschließliche Operteren mit 
den unfruchtbaren Ideen der finnlichen Vollkommenheit und des Zuſammen— 
jeins von Mannigfaltigfeit und Einheit als der Bedingung diefer Voll- 
kommenheit auf Seite des Objekts aber bei den Deutichen das Vorüber— 
gehen an jenen ſonnenklaren Verhältniſſen verjchuldete. 

Eine bevauerliche Berwirrung und Verdunfelung der Sachlage brachte 
Kants Lehre von der anhängenden Schönhert mit ſich, fo wertvoll die dies— 
bezüglichen Aufitellungen des Königsberger Philoſophen in anderer Hinficht 
fein mochten: denn bier war das Kharafteriftifche nicht einfach unbeachtet 
gelafien, jondern es war vecht wohl bemerkt, aber einfeitig nur im ferner 
jefundären Nolle aufgezeigt, num als negatives, den Spielraum der Be- 
währungen freier Schönheit läſtig einfchränfendes, nicht als pofitives, 
fchöpferifches, ſelber die veichite Fülle äftbetifcher Werte hervorbringendes 
Princip erfaßt worden. Alt, welcher in der „anhängenden Schönheit“ ferne 
Schönheit der Gattungszweckmäßigkeit wiederfinden möchte, mißverftebt eben 
Sant nicht weniger, als dies Fechner thut, der in der „anhängenden Schönheit“ 
einfach die aſſoziativen Faktoren des äſthetiſchen Eindrucdes erblickt. Und 
wenn der große Urheber der Bernunftkritif darın fehlging, daß für ihn 
gewiffermaßen nur die veine, d. b. nicht den Forderungen des Charakteriſtiſchen 
gehorchende Schönheit eriftierte, das Kharafteriftifche dagegen bloß als 
Hemmmis oder Schranfe diefer reinen Schönheit galt, die ohne den Zwang 
typischer Ausprägung Sich viel freier und allfeitiger würde ergehen können, 
fo darf man umgekehrt der nachfantischen ſpekulativen Nefthetif den Vor— 
wurf machen, daß fie, ſoweit ihre Begriffstaflungen den feften Boden nicht 
gänzlich verloren, überhaupt nur das Charafteriitiich Schöne im Auge hatte, 
weil die Verwirklichung der Idee, worauf jte ihrer platonifterenden Grund— 
tendenz entiprechend alle Schönheit zurückführte, offenbar nur dort einen 
Sinn ergab, d. h. noch einen anderen, befferen Sinn als den der platonifchen 
Erklärung einer Sache durch ihren Allgemeinbegriff oder Nanten, wo es 
lich um charakteriſtiſche Typengeſtaltung handelte. te tief die Schelling 
Hegeliche Yehre vom Schönen in Wahrheit mit dem Princip des Charak— 
teriftiichen zufammenbing, wie dieſes Princip ſozuſagen die ganze veale und 
pofitive Grundlage ihrer Inftigen SKonftruftionen ausmachte und wie m 


144 Alt TH, Vom darakteriftiih Schöner. 


ihren bedentenditen Bertretern wentgftens eine Ahnung diejes Verhältniſſes 
immerhin vorhanden war, das erhellt am beiten aus dem merkwürdigen 
Mißverſtändniſſe, dem Viſcher anheimftel, als er in fernen „Kritiſchen 
Hängen“, in jener Auseinanderjegung mit den Serbartianern, wozu ihm 
feine Autofritit Beranlafiung bot, Zimmermann triumphierend den ſchönen 
Mohrenkopf, den der öfterreichtiche Philoſoph unter den Berfpielen charat- 
teriſtiſcher Schönheit genannt hatte, al3 ein vermeintliches Zugeitändnis an 
die Hegel Viſcherſche Grundauffaffung entgegenhielt. So legte der Meifter 
der ſpekulativen Aeſthetik unbewußt Zeugnis dafür ab, daß er den Kern 
diefer Aefthetif in der Anſchauung vom Charakteriſtiſchen als dem innerften 
Weſen aller Schönheit ſah! 

Aber gerade die Erhebung des Princips der Charakteriſtik zum 
älthetiichen Univerfalprincip, die Unterordnung jeder Art des äjfthetiich 
Neizvollen unter ein Verhältnis, das thatfächlich bloß bei ganz beftimmten 
Formen der Wohlgefälligfeit zutrifft, mußte von den fchlimmiten, ja 
geradezu verheerenden Folgen für die wilienschaftlich-philojophiiche Aeſthetik 
jein. Ber Schopenhauer, wo vermöge der Hareren Gedanfenhaltung die 
Identität des Schönen und Typifchen im allgemeinen, d. h. für die über- 
wiegende Mehrzahl der Fälle noch deutlicher zu Tage trat, veritattete 
wenigitens die auf Kant, auf die Beftimmung der Intereſſeloſigkeit, zurück 
weifende Borftellung von den fubjeftiven Bedingungen des äfthetischen Ber- 
haltens die Annahme äſthetiſcher Neize, welche nicht einfach daraus ent- 
Ipringen, daß charaftertitifche Züge geſchaut werden, und verhütete es, daß 
alle und jede Schönheit, auch die elementar=finnlicher Art und diejenige 
beveutungslofer Formverhältniſſe, in Typenerfcheinung umgeſtempelt wurde. 
Den Hegelianern und den Anhängern Schellingg war ber ihrem auch in 
der Aeſthetik durchgeführten Objeftiwismus dieſer Ausweg, den ärgſten 
Verzerrungen der geſund-natürlichen Auffaſſung zu entgehen, abgeichnitten. 
Yeitete jih aber aus dem „Erſcheinen der Idee“ alles Schöne ohne Unter 
jchted her, damı mußte diefe Beziehung notwendig jo verſchwommen und 
unklar werden, daß ſie zu gar nichts mehr, auch nicht einmal mehr zur 
Erläuterung jener charakteriſtiſchen Schönheiten, bei welchen fie mit Grund 
zu behaupten und im wirklich verftändlicher Weiſe vorzuftellen war, taugte. 
Solcherart fonnte es ſchließlich nicht ausbleiben, daß von den Aeſthetikern 
der Hegelichen Schule das Princip des Charakteriſtiſchen auch in feinen 
dentlichjten, gleichſam greifbarften Manifeftationen überjehen wurde, wofür 
es wohl faum ein intereffanteres und ſignifikanteres Beiſpiel gibt als 
Schaslers Yehre von unadäguaten Verbindungen zwischen Form und Farbe, 
d. h. von einer äfthetiichen Unvereinbarfeit zwischen gewiffen Formen und 
gewiſſen Farben, eine Lehre, welche durch den Hinweis auf die Wider- 
wärtigfeit eines fchönen, aber „in himmelblauem oder ſaftgrünem Ton“ 
gefärbten Gefichtes begründet wird! Einen Erklärungsgrund fo ver- 





Alt Th. Vom charakteriſtiſch Schönen. 145 


allgemeinern, daß ihm ſeine ſpecifiſche Differenz, ſein eigentümliches Weſen 
geraubt wird, heißt ihn eben gänzlich aus dem Geſichte verlieren! Um alſo 
die ſchon bei Hutcheſon gereifte, aber dann durch mehr als ein Jahrhundert 
abhanden gekommene Einſicht wiederzugewinnen, mußte man vor Allem 
auch in der Aeſthetik ſich von der ſpekulativen Tradition losmachen. Das 
war in der Herbartſchen Schule der Fall. Mit der Aufſtellung einer 
Mehrzahl von Principien äſthetiſcher Wohlgefälligkeit ging Griepenkerl 
voran, und obſchon ſich unter den von dieſem ſcharfen Kopfe namhaft 
gemachten, Schönheit-begründenden Beziehungen das Charakteriſtiſche noch 
nicht befand, war damit doch der Weg betreten, deſſen Verfolgung Zimmer- 
mann die Zurücderoberung der fo fruchtbaren Hutchefonfchen Erkenntnis für 
die MWiflenfchaft vom Schönen ermöglichte. Zimmermann, der Wieder- 
entdecker des Princips in der neueren Aefthetif, hat aber auch gezeigt, dat 
dasjelbe nur dann einen Wert hat, wenn feine Anwendung auf bejtimmte 
Fälle äfthetifcher Wirkſamkeit eingefchränft wird: mit dem Mohrenkopf, der 
ja doch nur in gewiſſer Hinſicht Schön, in anderer geradezu häßlich iſt, deffen 
bejondere Art von Schönheit alfo gewiß nicht den Schlüffel zum Verſtändniſſe 
alles Schönen überhaupt bieten kann, hat er die fpefulative Yehre nicht bloß 
nicht beftätigt, jondern gründlich und endgültig widerlegt. 

Es iſt recht wohl möglich, daß eine piychologifche Zergliederung aller 
der Thatjachen, welche in dem Rahmen des Hutchefon - Zimmermannfchen 
Princips eingefchlofjen find, zur Erkenntnis noch weiterer Unterfchtede führen, 
dag man 3. B. in dem Neize der fünftlerifchen Nachbildung noch andere 
Faktoren thätig finden wird als in dem Wohlgefallen, welches eine ihren 
Typus charafteriftiich ausprägende und zur Schau tragende Naturbildung 
einflößt: der Affeft der Bewunderung, auf welchen Veron alle äfthetifchen 
Freuden zurücdführen will, mag im erjteren Falle als Bewunderung der 
künſtleriſchen Gefchieflichfeit wirklich ins Spiel kommen — das wichtige, 
noch fast gar nicht gewürdigte Princip der Schwierigfeitsüberwindung wiirde 
teilweife damit zufammenhängen, — und noch in anderer Weiſe mag „our 
sympathy with the master minds“, von der fehon James Douglas ſprach, 
fih im Kunftgenuffe bewähren, indem nämlich das bloße geistige Zufammen- 
treffen mit den Ideen und Abfichten des Künstlers uns bereits, wie Bain 
andeutet, eine Art ſympathiſcher Luft verfchafft; aber, wenn dem auch 
wirklich jo ift, wenn fich die äfthetifche Schätung als eine nach ihren 
pſychologiſchen Elementen zum Teil verfchtedene darstellt, je nachdem fie ſich 
auf gelungene, charakteriſche Runftnachbildungen oder auf Naturgegenftände 
von charafteriftiichen Gepräge richtet, fo bleibt das Princip des Charaf 
teriftifchen felbit doch immer die Grundlage, von welcher ſämtliche, in diejer 
Nichtung etwa fünftig anzuftellende Unterfuchungen werden ausgeben müflen. 


Graz. Hugo Spitzer. 


Euphorion II. 10 


146 Brentano F., Das Schlechte als Gegenftand dichteriſcher Darftellung. 


Brentano $, Das Schlechte als Gegenftand dichteriicher Darftellung. Vortrag. 
Leipzig. Dunder & Humblot. 1892. 

Die vorliegende Schrift des befannten Wiener Philofophen bejchäftigt ſich 
mit der Erklärung einer alten Schwierigkeit, die man füglih ein äfthetifches 
Baradoron nennen darf. Der BVerfaffer geht von einen Satze aus, der wohl 
feinen Widerſpruch zu befürchten hat, nämlich, daß es der Zweck der Kunſt jei, 
wertvolle Vorftellungen in uns zu erweden. Nun zeigt jedoch ein Blick auf die 
Meifterwerfe der Weltliteratur, daß die Tragödie den Borftellungen des Schlechten 
und Minderwertigen im der Darftellung menfchlicher Berirrungen und menſch— 
hen Unglücs breiten Raum gewährt, während man doch erwarten follte, daß 
fie als die höchſte Gattung dichterifcher Erzeugniffe Borftellungen von ganz be— 
jonderem Werte zum Inhalt haben werde. 

Der Berfaffer jucht nun zu zeigen, daß der Dichter des Trauerjpiels, 
wenn er ums unverſchuldete Leiden, Verbrechen und Aehnliches vorführt, hiezu 
in mehr als einer Hinficht berechtigt erjcheint. 

Zunächſt vom Gefichtspunfte des Gegenftandes. Der Wert der Bor- 
jtellung wächſt mit dem Wert des Gegenftandes. Unter den verjchiedenen Gegen- 
jtänden, welche die Kunſt darzuftellen vermag, gilt die Weltentwidlung in der 
Gefchichte dem Berfaffer als der erhabenfte. Ihr Träger, der Menfch, fein 
Charakter und jein Schiefal werden der Kunft den würdigften Vorwurf bieten 
und zwar ganz bejonders die heroifchen Charaktere und ihr Gejchid. 

Soll nun diefe Darftellung nicht der Anfchaulichkeit entbehren, jo muß 
fie eine gewiſſe poetifche Naturtreue befiten, ohne welche dem Ddichterifchen Werk 
alles wahre Leben fehlen würde. Der Dichter wird demnach feine Helden nicht 
bloß im ihrer Größe, fondern auch in ihrer Schwäche, alſo auch ihre Berirrungen 
und Mängel zur Schildern haben. Da nun die Thaten umd Leiden der Menfchen 
faft niemals in einem vollfommen gerechten Berhältnifje zu einander ftehen und 
unter den menschlichen Charaftertypen an Zahl jene überwiegen, denen irgend 
ein Fehler, 3. B. eine übermächtige Leidenschaft ihr eigentümliches Gepräge ver- 
feiht, jo erjcheint dem Berfafjer jowohl die Vorführung von unverfchuldetem 
Leiden, als auch die von unvollfommenen Charakteren vom Gefichtspunft des 
Gegenſtandes aus gerechtfertigt. 

Ein weiterer Umftand, der hier in Betracht fommt, ift die Empfänglichkeit 
des Zufchauers. Das Leiden gewinnt in höherem Maße unfere Teilnahme, als 
das Glüd, es bringt uns den unnahbaren Helden menjchlich näher und ver- 
ringert jo den Abjtand, der zwifchen diefem und dem gewöhnlichen Zuſchauer 
bejteht. Endlich erfordert auch der bedeutende Umfang des dramatifhen Kunſt— 
werfes, um das Intereſſe lebendig zu erhalten, jene Wechfelfälle der Lage, wie 
fie die Tragödie zeigt. 

Im Verlaufe feiner intereffanten Darlegungen findet der Verfaſſer auch 


Gelegenheit, einige wichtige Begriffe der Aeſthetik zu erläutern: von befonderent. 


Werte fcheint mir die Beftimmung der Begriffe Sative und Humor zu fein; 
während der Satirifer gewiffe Abweichungen von normativen Gejeten fich zum 
Gegenjtande wählt und dadurd die Regel ſelbſt anjchaulich macht, ftellt uns der 
Humorift nach der Auffafjung des DVerfaffers das Walten eines Naturgefetes 
vor Augen. Der Erftere rügt unjere Fehler als folche, der Letstere läßt fie als 
etwas Natürliches und darum auch Berzeihliches erjcheinen. 

Ber dem knapp bemeffenen Umfange der vorliegenden Schrift bleibt 
manches unerörtert, was der Leſer von fo berufener Seite beſprochen zu finden 
wünſchte, alles Wejentliche ift jedoch mit überzeugender Klarheit ausgeführt, jo 
daß es undankbar wäre, mit dem Spender einer ſolchen Gabe rechten zu wollen. 

Prag. Emil Arleth. 


Neue Sagenfammlungen. 147 


Neue Sagenjammlungen. 





1. Knoop D., Sagen und Erzählungen aus der Provinz Poſen. (Sonder- 
Verdffentlichungen der hiftorischen Gefellfchaft Für die Provinz 
Poſen II.) Boten. Eigentum der Gefellichaft. 1893. 

2. Haujer Ch. Sagen aus dem Paznaun und deifen Kachbarichaft. Inns— 
brud, Verlag der Wagnerichen Univerfitätsbirchhandlung 1894. 

3. Meiche A., Sagenbuch der ſächſiſchen Schweiz. Yeipzig. Verlag von 
Bernhard Franke. 1894. 

4. A. NR. (Sreifrau A. von Neihlin-Meldegg), Negensburger Volks— 
fagen für Jung und Alt erzählt. Regensburg. Verlag von 
W. Wumderling. 1894. 

1) Unter diefen im Inhalt, wie in der Art der Bearbeitung To ehr 
verschiedenen Sagenfanımlungen nimmt die Nusgabe von Knoop an Umfang 
und an Fülle des gebotenen neuen Stoffes die erite Stelle ein. Die Poſener 
Sammlung bereichert den bisher befannten Beitand deuticher Sagen umſo— 
mehr mit vielen eigenartigen Stücden, als in diefer Landſchaft die Deutfchen 
in ihren volfstüimlichen Weberlieferungen von den Bolen überaus ftarf beein- 
flußt wurden. An den Grenzen von Ländern und Stämmen wandern die 
Fäden der Bolfspoefte unansgejett hinüber und herüber. Gar bei den 
Deutschen in Poſen, die in geringer Anzahl mit und unter den Polen leben, 
weist der Sagenfchaß, wie wir aus der vorliegenden Sammlung evieben, 
viel mehr ſlaviſches Gut auf, als etwa bei den Deutschen in Böhmen, die 
in befonderen Gebieten, durch eine ganz Scharfe Sprachgrenze getrennt, fait 
unvermengt neben den Tſchechen leben. Außer den Sagen polnischer 
Abſtammung haben die Poſener Deutfchen auch Erzählungen, die ſie aus 
der Heimat mitgebracht und allmählig auf Dertlichfeiten des neuen Wohn“ 
fißes iibertragen haben (Stoffe, die wir in der norddeutjchen namentlich in 
der pommeriſchen VBolfsdichtung häufig wiederfinden), ferner Sagen, die 
unter ihnen erſt in der neuen Heimat, meist durch geſchichtliche Ereigniſſe 
angeregt, entitanden find (z.B. über die Leiden der evangelischen Kirche im 
polnischen ande), endlich Märchen und abergläubiiche Anschauungen, die 
Deutſchen und Slaven von altersher gemeinfam zufommen, 3. B. der Hexen 
wahn. Knoop bat auferden mehrere nur in polmifchen Kreiſen evzäblte 
Sagen aufgenonmen. Es wäre meiner Ansicht nach befjer gewefen, wenn 
er diefe in einen befonderen Anhang verwiefen hätte, denn es iſt bei vielen 
einzelnen Stücken nicht deutlich zu erſehen, ob fte aus deutſchen oder polniſchen 
Streifen jtammen, und wir fönnen darum nicht einen genau begrenzten 
- Ueberblit gewinnen über daS was in der vorliegenden Sammlung dem 
deutſchen Bolfe in Poſen zugehört. Die überwiegende Mehrzahl der Sagen 

102 


148 Neue Sagenfammlungen. 


erzäblt Knoop nach mündlichen Berichten, nur die gefchichtlichen und einige 
hebräiſche Erzählungen hat er Chroniken, neueren gedrucdten Mitteilungen 
und einigen jüdischen Quellen entnommen. Ein Feſtkalender und kurze 
Andeutungen iiber Sitten und Bräuche find beigegeben. In den Anmerkungen 
iſt die ſlaviſche Volkskunde hauptjächlich berückſichtigt. ©. 349 weiſt Knoop 
auf die auffallende Uebereinftimmung ın Bedeutung und Namen zwifchen 
dem polnischen skrzat und dem althochdeutfchen serat hin. Sch füge dem 
binzu, daß der Berggeiſt Skratelj bei den Slovenen des Triglavgebietes, 
namentlich bei den Sennern und Jägern noch heute in großen Anfehen ftebt. 
Der Flohname „Schratter” in Fiſcharts Flöhhaz V. 1335 hängt wohl aud 
damit zuſammen. 

2) Hauser gibt uns den Sagenſchatz aus dem Paznaun, einem an, 
Vorarlberg grenzenden, Tiroler Thale. Sein Büchlein ift gedacht als eine 
Ergänzung zu den jcehönen und veichhaltigen Sammlungen Bonbuns und 
der Brüder Zingerle. Wie unerſchöpflich die Dichtungen der Volfsfeele 
find, erjehen wir daraus, daß aus einem einzigen Thale fo viele Nachträge 
möglih waren. Hauſer, der jelbft im Paznaun zu Haufe tft, hat die 
Geſchichten von befreundeten und verwandten Gewährsleuten gehört. Es 
find fagenhafte Ereigniffe, die vorgeblich von den Erzählern felbft oder doch 
von erſt fürzlich verjtorbenen Perfonen miterlebt wurden. Haufer gibt die 
Sagen genau nach den Mitteilungen des Volfes (die eingeftrenten Redens— 
arten, Sprüche u. f. w. in der Mundart), davum find ſie durch einen ganz 
bejonderen Neiz von friſcher Unmittelbarfeit und volkstümlicher Anfchaulich- 
feit ausgezeichnet. Daß ſie meist uralt find und nur von den Erzählern auf 
heimische Dertlichfeiten und auf Zeitgenofjen übertragen wurden, beivrt nicht 
die aus Haufers Sammlung deutlich jprechende Thatjache, daß diefe Sagen- 
gebilde für das Volk noch eine ganz gegenwärtige Bedeutung haben. Die 
eigenartigen Yebensperhältnifie der Gebirgswelt, vor allem die Almwirtſchaft, 
bilden den Hintergrund der Paznauner Sagen, die im wefentlichen nur neue 
Barianten zu den von den Brüdern Zingerle mitgeteilten allgemein tirolifchen 
Erzählungen bilden. Neu ift Nr. 74 „Der Geliebte am Kammerfeniter“, 
wodurch zum erſten Male das Lenorenmotiv auch für Tirol belegt erjcheint.!) 
Diefes Stüc hat auf dem weiten Weg aus der Fremde alles Beiwerk fallen 
gelafien und gibt nur ganz fnappen. Bericht. Die typischen Worte des 
Freiers Fehlen aber auch hier nicht. Der Geliebte erfcheint am Kammer— 
fenster des (fich nach ihm fehnenden) Mädchens, weckt es und ruft: 

Ach, wie Scheint der Mond fo hell, 

Ach, wie reiten die Toten jo jchnell! 

„Schätzeli“ fürchteft du dich nichts ? 
ALS ſie „Nein“ erwidert, zerreißt er fie, 


1) Das Voltslied vom toten Freier aus der Gegend von Meran (Erks Liederhort? 
Nr, 197°) hat zum Xenovenftoff nur ſehr (oje Beziehungen, 


Neue Sagenſammlungen. 149 


Bei diefer Gelegenheit möchte ich auf einige in neuerer Zeit befannt 
gewordene, aber bisher nicht beachtete Faſſungen des Lenorenftoffes auf- 
merfiam machen. Die drei nachfolgenden Sagen aus dem von Schlefiern 
bewohnten Teil des nordöitlichen Böhmens drude ich, da fie kurz find, ganz 
ab. Sie find mitgeteilt von Fiedler in der Zeitfcehrift Niefengebirge 10 
(1890), 19: 


Ein Mädchen bittet um einen Liebhaber. 


Ein Mädchen betete, Gott möge ihm einen Mann zuführen, dabei 
hatte e3 die Gewohnheit, jo oft es an dem Friedhof vorüber ging zur fingen: 
Der Monda feheint gehelle, 
Die Toten reiten ſchnelle, 


Die Toten laufen bei Mondenfcein, 
Sie find feines Menſchen Freund. 


Heute mußte das Mädchen gerade wieder am Friedhofe vorüber und 
wieder fang es das Totenlied zu den Leichenfteinen hinüber. Da kam 
plöglih ein rothaariger und rotbärtigr Mann auf die Sängerin zu 
und rief: 

Wärfte ne tſchwecha (zwiſchen) Stohl on Eiſn ganga, 
Sp hätt ich dich zereffa on gefanga, 
Un 's wär dir dei Senga verganga. 


Zugleich gab er dem Mädchen eine fchallende Ohrfeige und flog unter 
Braufen und Heulen des Sturmes davon. Das Mädchen ftand zitternd 
zwischen den Wagengeleifen, dem „Stahl und Eiſen“. 

(Mündlih von Wernersdorf bei Starfftadt.) 


Der tote Geliebte. 
Ein Mädchen hatte einen Geliebten, welcher in den Krieg ziehen 
mußte, aus welchem er nicht mehr zurüdfehrte.e Da rief einitmal das 
Mädchen: 


Der Monda fcheint gehalle, 
Die Toten reiten fchnalle ! 


Da erfehten der Liebhaber, nahm das Mädchen auf das Roß und 


ritt fort; man hat von diefer nichts mehr gefehen. 
(Mündlih von Starfftadt.) 


Der Totenritt. 
Ein Mädchen hatte den Liebiten im Kriege verloren. Da Hagte es: 
„Ach, wenn nur mein Liebfter bald käme und mich holte und wäre es in 
die Hölle!” Das kam ihm teuer zu Stehen. Eines Abends erfchten der 
verjtorbene Bräutigam und nahm die Geliebte aufs Roß. Da ſprach ſie: 
„Der Mond fcheint fo heil“ und der Reiter antwortete: „Die Toten reiten 


150 Neue Sagenfammlungen. 


Ichnell.” Dem Mädchen ſchauerte. Ste ritten über Feld, bis fie auf einen 
aroßen Kirchhof kamen. Dafelbit angelangt nahm es der Neiter mit ins 
Grab. Das Mädchen war verloren. 

(Mündlich von Klein-Boromiß.) 


Unbeachtet blieben bisher auch zwer Faſſungen aus Stärnten, die Valen— 
tin Pogatſchnigg in der Zeitichrift Karinthia 63 (Jahrgang 1873) ©. 24—27 
mitgeteilt bat. Ste fommen den von Erih Schmidt!) zergliederten ober- 
und niederöfterreichtiicehen Faffungen jehr nahe. In der eriten Sage aus 
der Gegend von Timenit verlangt das Mädchen (Annamiedl ift ihr Name) 
von ihrem Geltebten, einem Dffizier, daß er nach fteben Jahren, ob tot oder 
(ebendig um ſie komme. Er fällt im Kriege. Nach fieben Jahren holt er 
fie nachts auf einem Schimmel und veitet mit ihr „über jteben Pfarren 
weit.“ Unterwegs fpricht der Neiter: „Dev Mond, der fcheint jo hell, die 
Toten veiten Schnell; Diendle fürchteft dir dich?“ Ste antwortet: „Wie 
ſoll ich mich fürchten, biſt ja du bei mir, Herzallerliebiter mein.” Da er 
das dritte Mal fragt, befällt fie ein „Grauſen“. Mit einem Sat ſpringt 
das la über die Kirchhofsmauer, Roß und Reiter verfchwinden in einen 
Grabe. Das Mädchen reift fich gewaltfam (08, kommt nach langer Wanderung 
heim, erfranft und I Die zweite Faſſung aus dem Roſenthal weicht 
nur am Schluffe ab: Das Meädchen fchwingt ſich an der Friedhofsthür 
weit vom Pferde weg, fo daß ſie innerhalb der Traufe des nächiten Haufes 
miederfällt. Dort hat der Tote feine Gewalt mehr über fie. Dann Fehrt 
ſie heim, lebt aber nur mehr wenige Tage. 

Bogatichnigg erwähnt, daß diefe Sagen noch in — Vierziger Jahren 
von Deutſchen und Slowenen in Kärnten in Balladenform geſungen wurden. 
Die deutſche Ballade bat ſich nur in Gottſchee erhalten (Erich Schmidt, 
225 f.; in meiner Sammlung Wr. 54); die ſloweniſche in Krain. Die lettere 
wurde veröffentlicht von Valjavee, Narodne pripovjesti u Varazdinu i 
okoliei?, Agram, 1890 (Einleitung ©. IV f.). Sie beiteht aus 28 drei— 
zeiligen Strophen und bat folgenden Inhalt: Ein Mädchen bindet im 
arten einen Strauß und ruft ihrem fernen Geliebten zu: „Db tot oder 
lebendig, fomm um den Strauß.“ In der Nacht kommt er zu Pferde und 
nimmt das Mädchen mit Sich. Auf dem Nitt fragt er: „Fürchteſt du dich? 
Der Mond jcheint hell, die Toten reiten ſchnell.“ Ste erwidert: „Mie foll 
ich mich fürchten, Du biit ja bei mir. Der Mond und die Sterne leuchten, 
um uns die Zeit zu verkürzen.“ Diefes Zwiegefpräch wiederholt ſich dreimal. 
Sie reiten immer fehneller dem Friedhof zu. Er legt ſich ins Grab, während 
fie am Grabe ſtirbt. 


1) In den Charakteriſtiken“ 1219 —229, 237—242 gibt E. Schmidt einen reichhaltigen 
Ueberblick iiber die Verbreitung des Lenorenftoffes, wozu ich oben einen Heinen Nachtrag Tiefere. 
Vol. unten ©. 203, 


ne I 11ää at 


Alte und neue Piteraturgefchichten. 151 


Die jüngst von Wilibald Müller (Beiträge zur Volkskunde der 
Deutfchen in Mähren, ©. 56 f.) mitgeteilte Yenorenfage iſt ein wörtlicher 
Abdruf aus Vernalefen, Mythen und Bräuche des. Volfes in Defterreich, 
©. 80 f. 

3) Meiches Sagenbuch umfaßt unter dem Namen „ſächſiſche Schweiz“ 
das Gebiet von der böhmischen Grenze bis an die Flüſſe Gottleuba und 
Weſenitz, alfo etwa das früher fo benannte „Meiner Hochland“. In acht 
Abterlungen folgen einander Geichlechts- und Dämonenjagen, Gefpenfter-, 
Teufels, Zauber, Schat-, Gefchiehtliche und Etymologiiche Sagen. Sie 
find mit einer Einleitung, fnappen Anmerkungen und einem Anhang (Spridh- 
wörter, Kinderlieder, Necdereien, Aberglauben) verfehen. Sie find zum Teil 
nach älteren Druden, zum Teil nach dem Volksmund mitgeteilt und man 
fann fich billig wundern, daß in diefem von Fremden überfchwenmten 
Gebiete noch fo viel volfstiimliche Ueberlieferungen zur finden waren. S. 81 
jagt Meiche, daß in Fatholischen Gegenden die zwölf Apoftel, Maria und 
Joſef oder Johannes der Täufer den Namen der vierzehn Nothelfer führen. 
Das ift nicht richtig. Die vierzehn Nothelfer find vielmehr: Achatus, 
Blaſius, Chriftophorus, Cyriakus, Dionyſius der Areopagit, Egidius, 
Erasmus, Euftachtus, Georg der Märtyrer, Pantaleon, Bitus, Barbara, 
Katharina und Margaretha. 

4) Die „Regensburger Volksſagen“ find von ganz anderer Art und 
verfolgen ganz andere Zwecke als die bisher beiprochenen drei Sammlungen. 
Sie find nicht Mitteilungen nach dem Volksmund, fondern freie Umdichtungen 
und Bearbeitungen befannter älterer Quellen, die in einem Berzeichnis 
gewiſſenhaft angegeben werden. Die Verfafferin erzählt in liebenswürdiger 
und unterhaltender Weife „Für Jung und Alt“ durchwegs Negensburger 
Drtsfagen. Die Wahrzeichen, Baulichfeiten, Statuten, von denen die Rede 
ift, find in guten Nachbildungen dem hübſch ausgeftatteten Büchlein bei- 
gegeben, das natürlich einen wiſſenſchaftlichen Wert nicht beanspruchen kann. 

Prag. A. Hauffen. 


Alte und neue Literaturgeſchichten. 





1. Hettner H., Literaturgeſchichte des achtzehnten Jahrhunderts. In drei 
Teilen. Dritter Teil: Die deutſche Literatur im achtzehnten 
Sahrhundert. Vierte verbefferte Auflage. Braunschweig. Friedrich 
Vieweg und Sohn. 1893. 

Erftes Buch. Vom weftfälifchen Frieden bis "zur Thronbeiteigung 

Friedrichs des Großen. 1648—1740. 7 M. 

Zweites Buch. Das Zeitalter Friedrich! des Großen. 10 A. 


152 Alte und neue Piteraturgefchichten. 


2, Wadernagel W. Geſchichte der deutfchen Literatur. Ein Handbuch. 
Zweite Auflage, neu bearbeitet und zu Ende geführt von Ernſt 
Martin. 2. Band. Bierte (Schluß-) Lieferung. Neunzehntes 
Sahrhundert. Basel. Benno Schwabe, Schweighauferifche Verlags— 
buchhandlung. 1894. 3.20 AM. 

3. Koch M., Gefchiehte der deutfchen Literatur (Sammlung Göfchen) 
Stuttgart. ©. J. Göſchenſche Verlagshandlung 1893. 80 A. 

4. Wychgram J— Hilfsbuch für den Unterricht in der deutichen Literatur- 
geichiehte. Zweite Auflage (Velhagen und Klafings Sammlung 
deuticher Schulausgaben. 56. Lieferung.) Bielefeld und Leipzig. 
Velhagen und Klafing. 189. 1.25 M. 

5. Hüppe B., Geichichte der deutichen Nationalliteratir. Zum Gebraudhe 
an Gymnaſien und anderen höheren Lehranitalten, fowie zum 
Privat = Unterricht. Vierte verbefferte Auflage, beforgt von 
U. Frauzem. Paderborn. Ferdinand Schöningh. 

6. Lemmermeyer F., Kurzes Repetitorium der deutfchen Literaturgeichichte. 
Zum Gebrauche für Lehrer und Lernende. 1. Teil. Bon der 
Vorzeit bi3 zum Ausgang des 13. Jahrhunderts. Nach den 
Quellen und nach den Schriften von J. und W. Grimm, Ladh- 
mann, Holtzmann, Saupt, Gervinus, Koberſtein, Wadernagel, 
Vilmar, Müllenhoff, Gödefe, Scherer, Zarnde, Bartih, Heinzel, 
Pfeiffer u. A. (Breitenfteind Repetitorien Nr. 63). Leipzig und 
Wien. M. Breitenfteins Verlags-Buchhandlung. 1.10 «A 

1) Aus Gottfried Kellers Briefwechfel weiß man jest, wie freudig 
der Dichter das Erjcheinen von Hettners Lıiteraturgefchichte begrüßte. Scherers 
fleine Schriften 2,66 rufen uns aber auch die Bedenken wieder ins Gedächtnis, 
die von fachmänniſcher Seite gegen das Werk geäußert wurden; konnte 

Scherer doch jogar einen Nücdfchritt gegen Gervinus fonftatieren. Und 

der Begründer der preußischen Jahrbücher, deffen alänzende Stritifen und 

herrliche Auffäge leider noch immer nicht gefammelt vorliegen, fam 
in feiner Beiprehung des MWerfes zu dem Schluffe, daß die Methode 

Literaturgefchichte zur Schreiben bei uns noch nicht gefunden ſei. Trotzdem 

bürgerte fich das Werk in Deutichland raſch ein und iſt heute ein populäres 

Buch. Die auh von Haym und Scherer anerfannten Vorzüge des 

Strebens nach klarer und faßlicher Uebersicht, der wohlgegliederten Anord- 

nung, der lichtvollen Sonderung und Gruppierung des Stoffes trugen den 

Sieg über die willenschaftlichen Mängel davon. Das meiste aber that wohl 

die innere Wärme und Anteilnahme an der Sache. Das Buch ift aus 

begeifterter Seele gejchrieben und hat allenthalben Begeifterung erwedt. 

Wir haben es hier nur mit der neuen Bearbeitung zu thun, die den berufenen 

Händen D. Harnads anvertraut iſt. Die Borrede betont die Schwierigkeit 

der Aufgabe. Durch die Beitimmung de3 Berfaffers fer fie dahin 


wo 


Alte und neue Literaturgefchichten. 153 


begrenzt gewefen, daß nur Ergebniffe neuerer Forſchung in das möglichit 
unveränderte Werk einzufügen wären. „Freilich konnte diefe Einfügung 
nieht in fo äuferlicher Art gefchehen, daß ein Widerfpruch zwiſchen dem 
Alten und dent Neuen eingetreten wäre. Und ſchlimm ftünde es um die 
Forschung, wenn fie bei fortfchreitender Unterfuchung der Thatfachen nicht 
auch manches berichtigte uud geflärte Urteil erzielt hätte, das nicht unbeachtet 
bleiben durfte. Im Ganzen habe ich mehr für meine Aufgabe gehalten, 
das Buch in den eigentlich literarhiſtoriſchen Partien, die ihm in erfter Linie 
die jelbitändige Stellung in der Wiffenfchaft fichern, mehr dem heutigen 
Stande derfelben anzırpaffen, al3 in den zahlreichen darüber hinausgreifenden 
Abſchnitten, welche verwandte geistige Bewegungen charakterifteren, den Hinter— 
grund und die Gefamtitimmung fchaffen, und im denen die individitellen 
Eonceptionen und Urteile des Verfaſſers den Grundton bilden müſſen.“ 

Der Nachprüfende kann beftätigen, daß Harnack feine Aufgabe mit 
großem Geſchick und ficherem Takt gelöft habe. Er hat des PVerfaffers 
Eigenart überall gewahrt. Mit pietätvoller Schonung griff er nur dort 
ein, wo es unbedingt nötig war, 3. B. findet fich 1, 175 ff. ein Einfchub 
über Günthers Aufnahme bei feinen Zeitgenoffen und ein weiterer über die 
geiftliche Poefte um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts, wogegen ich 
eine Erwähnung des Sperontes an geeignetem Drte vermiffe. Größere 
oder Kleinere Berichtigungen find mir aufgefallen bei Chriftian Reuter 
1, 153 ff. bet Schnabel 300, Haller 317, Hagedorn 319 (in der 3. Auflage 
1, 356 hieß e3: „nach dem Vorbild Prior und Lafontaines”; jeßt richtiger: 
„nach dem Vorbilde Lafontaines, Priors und Anderer”); der Paſſus über 
%. E. Schlegel 2, 82, Pyra 89, Gleim 99, Kleiſt 103; der Zufat über 
Hebel 301, befonders notwendig und wichtig bei Wieland 424. Ber Windel- 
mann mußten die biographifchen Bartıen teilmeife umgearbeitet und gefürzt 
werden 369; bei Leffing war vieles zu thun. Oft wirkt der Bearbeiter nur 
duch 'einen leifen Zufat verändernd und umbildend ein: 1°, 356 hieß es, 
„Hagedorn war der wirffamite Verfiimdiger jener horazifchen oder, wie man 
zu rühmen pflegt, fofratifchen Lebensweisheit, welche ein ehr beitimmender 
Grundzug für die Charakfterbifdung des achtzehnten Jahrhunderts wurde; 
1%, 319 beginnt der Relativſatz: „deren altfluge Heiterkeit ein 2.“ Ganz 
ohne Widerfprüche zwischen altem und neuem Text geht es nicht ab, wenn 
ich folche auch felten bemerft habe. 1%, 315 ift der Abfat über Hallers 
berühmteftes Gedicht „Die Alpen“ aus der alten Auflage (1°, 352) 
unverändert beibehalten. S. 316 folgt dann ein einfchränfender Zufaß: 
„Hallers Gedichte erfchienen zuerst 1732 unter dem Titel ‚Verfuch 
Schweizerifcher Gedichte‘. Schon nach zwer Jahren erfchten eine vermehrte 
Ausgabe, die auch die viel gerühmten, öfters einzeln abgedrudten ‚Alpen‘ 
enthielt. Man thut Haller Unrecht, wenn man diefe zum Teil troden 
lehrhafte, zum [Teil lohenfteinifch ſchwülſtige Dichtung für fein Haupt— 


154 Alte und neue Literaturgeichichten. 


werk hält. Seine ſchönſten Gedichte entftammen feinen perfönlichen Er- 
lebniſſen.“ > 

Die ältere Literatur iſt mit großer Sorgfalt durch die neuere erfett 
worden, 3. B. die literariſche Korreſpondenz Nochows, die früher nach der 
alten Ausgabe von 1799 cıtiert war, jeßt nach der neuen von Jonas 1885. 
Danzel wird nicht mehr „der trefflichite Biograph Leſſings“, Sondern nur 
der „treffliche Biograph des jugendlichen Leſſing“ genannt, an feine Stelle 
rückt Erich Schmidt vor, an die Stelle der Yachmannfchen Ausgabe, foweit fte 
erichtenen tit, die Munckerſche. Die Citate find revidiert und vervollitändigt, 
3. B. das früher weggelaffene engliiche Eitat im Briefe Windelmanns 
jetst eingefügt 2%, 383; auch notwendige Erläuterungen zu Citaten finden 
fich, 3. B.' bet Herrn Nolten 2%, 370 der Zuſatz: „Oeneralfuperintendent 
der Altmark“. Wie aut fih Harnads Zufäße in den alten Text aud) 
ftiltftifch einfügen, zeigt fich 3. B. an folgender Stelle 2°, 93: „Der Gipfel 
und Abſchluß diefer pſychologiſchen Aeithetif der Deutſchen iſt Kants Kritik 
der Urteilsfraft“; jetst 2%, 84: „Das Kernſtück diefer pſychologiſchen Aefthetif 
der Deutschen ift Kants Kritif der Urterlskraft; ihre ſchönſten Blüten die 
Ideen, zur welchen Schiller durch Kant erwect wurde.” — Berdienit und 
Bedeutung des Hettnerfchen Buches find dem Bearbeiter nach der Vorrede 
am meilten an den zahlreichen Stellen deutlich geworden, die er ändern 
direkte, weil herrſchende Irrtümer in ihnen befämpft wurden, die heutzutage 
nicht mehr herrſchen. Daß fie & nicht mehr thun, dazır habe Hettners 
Piteraturrgefchichte entjcheidend mitgewirkt. Ebenfo fehlen Anspielungen, die 
nicht mehr actuell find. Won zahlveichen ähnlichen Stellen ſeien hier Zwei 
hervorgehoben. 1°, 335 beißt es von der Inſel Felfenburg: „Noch immer 
pflegt man an diefem vergefienen Buch mit fpottender Vornehmheit oder 
achtlofer Gleichgültigkeit vorüberzugehen; die wenigiten haben e3 gelefen.“ 
Diefer Sat fehlt 1%, 299. — 2, 424 las man: „Es tft eine fehr leidige 
Unfitte neuerer frömmelnder Gefchiehtichreiber, daß fie bei ihren Helden 
immer ſogleich nach dem Stempel der Chrüitlichkett fragen und von dem 
Ergebnis diefer Prüfung ihr Gefamturteil abhängig machen. Hier . bei 
Winkelmann aber tft diefe Frage berechtigt.“ Dagegen 2*, 384: „Nicht 
vorübergehen fann man endlich, um Windelmann zu charafterifieren, an 
der Frage nach feiner religiöſen Ueberzeugung.“ — Regelmäßig eingefügt 
find die Daten über das Erjcheinen wichtigerer Werke (nicht ganz den That- 
fachen entiprechend bei Hagedorn 2, 320); die Verwerfungen dagegen oft 
geftrichen, was in der Vorrede gerechtfertigt wird. Der Drud iſt ſehr ſorg— 
fältig; nur 2*, 120 Steht ein ſinnſtörender“ Druckfehler: „Predigt“ ftatt 
„Beriode“. Das Werk wird fih" in" der neuen Geſtalt gewiß "viele neue 
Freunde erwerben. 

2) Mit der "vorliegenden "Lieferung führt Martın das- vorzügliche 
Handbuch Wadernagel3, dem_er in der aufopferndften Weiſe viele Jahre 





Alte und neue Piteraturgefehichten. 155 


hindurch feine große Mühe und Sorgfalt gewidmet hat, nach langer Warte- 
zeit zu Ende. Die erſte Lieferung des 2. Bandes in der neuen Auflage 
erfchten 1885. Don der zweiten an, die 1889 veröffentlicht wurde und das 
17. Sahrhundert umfaßt, war er auf felbjtändige Bearbeitung angewieſen, 
da ihm, abgejehen von der allgemeinen Einleitung zum 17. Jahrhundert, 
nur ein Kollegienheft Wackernagels vorlag, das für die jpätere Literatur 
nicht ausreichen konnte. Wir haben e8 hier nur mit dem neuen Bearbeiter 
und nur mit dem 19. Jahrhundert zu thun. Die Schwierigfeit der Be- 
handlung der neueren Zeit und diefes Zeitraumes inSbejondere wird von 
Martın felbit im Vorworte betont. Cr hätte auch den Mangel aller Vor- 
arbeiten für diejes Schlußbeft hervorheben fünnen; denn was fich Literatur- 
gefchichte des 19. Jahrhunderts nennt, iſt (den trefflichen Fortſetzer 
Bilmars ausgenommen) entweder unbrauchbar oder veicht über die 
Mitte des Jahrhunderts nicht hinaus. Martin aber macht daber nicht 
Halt, fondern geht bis zum Jahre 1870 vorwärts. Er teilt die behandelte 
Zeit in drei Abfchnitte: vom Anfang des Jahrhunderts bis zu Goethes 
Tod; von 1832—1848; von da bis zur Einheit Deutichlands. Dem 
wird man im allgemeinen zuſtimmen dürfen. Zwar bildet der Anfang des 
Sahrhunderts kaum einen merfbaren Einfchnitt in der Geſchichte unferer 
Literatur. Eher noch wird das Jahr 1805 als Grenzitein anzufegen jein, 
wo Schiller den Größen der alten Yıiteratur, den Gleim, Klopſtock, Herder, 
Kant ins Grab nachfolgt. Den eigentlichen Beginn der neuen Zeit bildet 
aber das Jahr 1815, das ja politisch längst als Scheidepunft anerkannt ift. 
Das halbe Menichenalter von den Befreiungsfriegen bis zur Jultvevolution, 
bis zu Hegels und Goethes Tod zeigt gewiß eine eigene Signatur, die es 
von den vorausliegenden und den nächitfolgenden drei Yuftren abhebt. 
Aber der ſchärfere Abſchnitt Fällt erjt ins Jahr 1848, wie ſchon Prutz in 
jeinev für uns Nachlebende jehr wertvollen „Geſchichte der Literatur der 
Gegenwart“ richtig erfannte und bevedt ausführte. Von da ab ändern fich 
die ſocialen Borausfegungen der Literatur. Die alten Zeitfchriften gehen ein 
oder verlieren ihre Bedeutung; die Almanache verfehwinden; die politischen 
Zeitungen verfcehlingen alles Intereſſe. Die Zeit der leifen, ftillen Poeſie, 
der Dichtung um ihrer felbit willen, it vorbei. Die Lyrik verfriecht fich 
vor der aufitrebenden Proſa. Neue künſtleriſche Principien gewinnen die 
Oberhand. Mit dem Jahre 1848 endet das große Jahrhundert der deutſchen 
Dichtung und Philoſophie, das die Klaſſiker und die Romantiker in ſich 
ſchließt, das von Klopſtock bis Heine, von Leſſing bis Grillparzer, von Kant 
bis Schopenhauer reicht. Künftige Zeiten werden das noch viel ſtärker 
fühlen als wir, denen das Unterſcheidende und Trennende der einzelnen 
Gruppen und Schulen noch greller in die Augen tritt als das Einigende 
und allen Gemeinſame. Hält man an dieſem Grenzpunkt 1848—1850 feſt, 
lo löſen ſich manche Schwierigkeiten in der Anordnung leichter; ein Dichter 


156 Alte und neue Piteraturgefchichten. 


wie Nedwis, der bei Martin in den $ 177 unter die politischen Lyriker 
des Vormärz geraten tt, ſchlöſſe fich zwanglofer feinen Altersgenoſſen in 
$ 180 an; nur wäre die Dichtung von 1850—70 ſchärfer und richtiger zu 
charafteriiieren, als dies von Martin gefchieht: „vom Humor beherrjcht, mit 
Vorliebe hiſtoriſchen oder provinziellen Stoffen gewidmet“. Daß das 
Jahr 1870 vorläufig als ein Grenzjahr anzufehen jet, darin ftimme ich 
mit Martin überein; auch darin, daß über die Gegenwart zu urteilen nicht 
Sache der Literaturgefchiehte fer, S. 544. Ich meine vielmehr, daß die 
Schranfen zwischen Literaturgefchicehte und Literaturkfritif, die man jeßt jo 
gerne ganz einreißen möchte, wie die zwischen Gefchichtswiffenichaft und 
Bublieiftif, nicht hoch genug aufgerichtet werden können, was nicht aus— 
ſchließt, daß der Hiſtoriker und Literarhiftoriiter feine geichulten Kräfte 
zugleich aufs allereifrigfte in den Dienft der Gegenwart ſtelle. An der 
Literatur der Gegenwart kann aber eben nur Kritik geübt werden; eine 
rein gefchichtliche Betrachtung im Fluß befindlichen Lebens und Streben 
iſt unmöglich. 

Martin verfucht nun, das 19. Jahrhundert nach derfelben fir die 
früheren Zeiten bewährten Methode zu behandeln und trachtet nach der 
Erfaſſung des gefamten geistigen Lebens von einem Hauptgeſichtspunkte aus. 
Läßt ſich aber ſchon die Charakteristik früherer, weit einfacherer und Flarerer 
Perioden nicht ohne Zwang duch ein einziges Schlagwort wie dag der 
Aufklärung 2c. bezeichnen, fo laffen fich noch weniger die taufendfachen foctalen, 
politifchen, religiöſen, philofophifchen und Fünftleriichen Wandlungen und 
Entwicklungen des jchnelllebiaften aller bisherigen Jahrhunderte in den 
einen Grundzug des Strebens nach Bildung zufammenziehen, fo wichtig 
dieſes Element für diefen Zeitraum auch fein mag. Man halte nır einmal 
Euckens Buch über die „Grumdbegriffe der Gegenwart“ mit der Ueberfülle 
der fich drängenden Anſchauungen dagegen, um die Nermlichfeit diefes einen 
Schlagwortes rechtdeutlich zu erkennen. Jedenfalls ift der gewählte Stand- 
punft für den Befchauer nicht hoch genug gelegen, um ihn das weite 
Gebiet in überfichtlicher Gliederung überblicken zu laſſen, und die Einteilungs- 
gründe für die Gruppierung des mafjenhaften Stoffes mußten daher anders- 
woher geholt werden. Für die romantische Schule $ 166 umd die jüngeren 
Romantifer $ 167 war da nicht Fehlzugehen; letzteren wäre aber wohl Eichen- 
dorf aus $ 174 anzureihen geweſen; und zwanglos hätte fi um den Nord- 
fternbund und den grünen Almanach, von dem Martin S. 631 nur einen 
Jahrgang kennt, ein dritter romantischer Kreis mit Varnhagen, Chamiffo ꝛc. 
gruppieren laffen, während bet Chamiſſo andererfeitS auch feine terzia 
maniera, die realiſtiſch wuchtige Tendenzpoefte nicht ſcharf genug von feiner 
früheren romantischen und feiner mittleren am ausführlichiten behandelten 
Periode gefondert ift. Das Kennwort „Bhantaftifches Drama“ in 8 168 
ſcheint? mir für Kleiſt, Werner, Klingemann (!) und Oehlenſchläger höchft 


Alte und neue Literaturgefchichteit. 157 


einseitig gewählt, Kleiſt überhaupt viel zu wenig gewitrdigt. $ 169 „Batriotifche 
Schriften und Lieder“ war nicht zu verfehlen. $ 170 umfaßt die erzählende 
Dihtung nach den Freiheitsfriegen in Verſen und in Profa, 8 171 die 
Bühnendichtung derjelben Zeit; da aber trot diefer Einterlung nach Gattungen 
die biographiiche Manier feitgehalten, die Thätigfeit eines Dichters immer 
an einer Stelle erichöpfend behandelt wird, jo fommt Immermanns 
Dramatif jo wenig wie ferne Bühnenleitung (Fellners Buch wird gar nicht 
eittert!) zu Necht, und die Anfänge von W. Aleris fehlen an der richtigen 
Stelle in S 170 ebenfo wie in S 171 die Anfänge Bauernfelds, deilen 
romantische Periode infolge deſſen ganz unberüdfichtigt bleibt. Hoffmann 
ift jo einfeitig wie Kleiſt charakterisiert. Der Meifter realtitiicher Dar- 
ftellung, dem die Gegenwart jo viel verdankt, tritt ganz zurück hinter dem 
franfhaften Phantaſten. Die „Brinzeifin Brambilla” war in emer fo 
allgemeinen Darftellung vielleicht zu entbehren, der „Artushof“ ift ſchwer zu 
vermiffen, „Des Betters Edfeniter”“ aber unerläßlich. Von einem Wachstum, 
einer Entwicklung iſt bei diefem Dichter ſowenig wie bei anderen die Rede. 
Die Lyrik diefer Zeit wird in den drei 88 172—174 abgehandelt. Glücklich 
ftellt Martin Rückert und Platen als fränftiche Dichter der ſchwäbiſchen 
Dichterichule gegenüber; Eichendort, W. Müller, Reini, Kopiſch, Chamiſſo, 
Gaudy und Heine faßt 8 174 als norddeutiche Lyriker zufammen. Warum 
fteht aber dann Annette von Droſte-Hülshoff (von deren epiichen Gedichten 
wir ebenfowenig wie von der Judenbuche hören) jo vereinzelt in 8 172, 
warum werden dann die Seidl, Vogl (in der Inhaltsübersicht Fälfchlich 
Bogel), Ebert, denen Leitner hätte angereiht werden müſſen, nicht als 
Deiterreicher abgefondert? Kine konſequent durchgeführte Gruppierung 
nach Provinzen, wie fie $ 177 für die politifche Lyrik der Dreifiger und 
Vierziger Jahre wieder aufnimmt: Defterreicher, Norddeutſche, Rheiniſche 
Schule, wäre Fein übler Verſuch. 5 178 handelt über das Drama, $ 179 
über die Projaerzählung von 1830—1850. Ber Hebbel Fein Wort von feinen 
lyriſchen Gedichten, wie ſchon früher bei Grillparzer nur das Gedicht auf 
Nadegfy Erwähnung findet; Mofenthal fand Unterfchlupf, Niſſel fehlt. 
Moſen fteht zwiichen Halm (deſſen Erzählungen wir vergebens fuchen) und 
D. Yudwig faum am richtigen Platz. Letsteren unter dem Schlagwort der 
weicheren Auffaſſung der Krafttragödie gegenüberzuftellen, halte ich für 
verfehlt, Yudwigs Größe ift nicht gemitigend gewürdigt. Spätere Yiteratur- 
geichichten werden in diefem Zufammenhang G. Kellers dramatifche Be- 
ſtrebungen nicht außer Acht laffen dürfen. Banernfeld nach Benedir zu 
bejprechen ift unhiſtoriſch. In dem Abfchnitt Profaerzählung wird ein Anfat 
zur Gruppierung nach Stoffen gemacht: hiftorifcher Roman, literarhiſtoriſcher 
Roman, geographifcher Roman, focialer Roman, Dorfgeſchichte, jüdisches 
Kleinleben, Soldatenleben, Naturfchilderung, Sittenmalerei. Aber diejes 
Schema tritt in der Jnhaltsüberficht deutlicher hervor als im Text felbft, 


158 Alte und neue Literaturgefchichten. 


wo man Fopfichüttelnd Stifter zwiichen Hadländer und Bogumil Golg 
eingeſchachtelt ſieht. Es Klingt wie Parodie auf Scherers in der Literatur- 
geichichte jtark hervortretende Vorliebe für fontraftierende Parallelen, wenn 
es ©. 677 heißt: „Während Hadländer einen feden gelegentlich rückſichts— 
(ofen Yebensmut verherrlichte, fand die ftille, entfagende Befcheidung einen 
"obredner an Adalbert Stifter u. ſ. w.“ Armer Stifter! Und wie wirft 
Du charakteriſiert: „Stifter verbindet die Kleinmalerei der Natur, die er 
in den wechlelnden Jahreszeiten und Witterungen (!) jorgfältig beobachtete 
und dichteriſch nachbildete, mit Erzählungen, die ſich meiſt auf Kinder und 
Greiſe beziehen.“ Dieſe ftoffliche Gruppierung wird auch wieder dadurd) 
geitört, daß der Frauenroman mitten drinnen abgehandelt wird. S 180, 
der die Dichtung von 1850— 70 zufammenfaßt, iſt den oben angedeuteten Ge— 
fahren der hiſtoriſchen Betrachtung zeitlich naheitehender ‘Perioden nicht 
entgangen. Die große Knappheit ſchadet weniger al3 die große Buntheit; 
dennoch hätte Leuthold nicht mit 3 Zeilen abgethban werden follen, hätte 
deffen Bentheitlean Erwähnung verdient (über Leutholds Ueberſetzungen vgl. 
©. 662, 27). Drama; Lokalpoſſe; Lyrik; Dialeftdichtung; Noman umd 
Novelle: Frauen, landſchaftlicher Roman, Zeitroman, Soldatenroman, 
Kulturhiſtoriſche Novelle, Hiſtoriſcher Roman der Gelehrten folgen auf- 
einander. Dazwischen tft vom Münchener Dichterfreis die Nede, ohne daß 
dies gehörig ausgenutt wäre (vgl. unten ©. 160). Sollten fich nicht noch 
andere Literaturcentren auffinden lafien? Die SS 175 ımd 181 über die 
wiſſenſchaftliche Proſa erfegen die Darftellung der Gefchichte der Wiffen- 
ichaften, welche nach Scherers Forderung in die Literaturgeſchichte einbezogen 
werden muß. Ueber die nationale Beredſamkeit finden ſich Schon Früher 
$ 165 einige zurüchaltende Worte. Dem deutichen Volke eine höhere Ent- 
wicklung der Redekunſt und Ueberredungskvaft für alle Zukunft abzufprechen 
würde ich mich nicht getrauen. Der Behauptung, daß die Neden des Fürsten 
Bısmard mehr als Aeuferungen feines Genies, denn durch formelle, zur 
Nachahmung geeignete Vorzüge gewirkt hätten, mehr biftorische als Literarische 
Bedeutung befäßen, wird von mancher Seite widerjprochen werden. 

Diefer rasche Heberblid, in dem nur das MWichtigfte geftreift werden 
fonnte, dürfte die Vorzüge und Schwächen der Darftellung dennoch zur 
Genüge erfennen lafien. Wollen wir auch gerne zugeben, was die Borvede 
betont, daß es fchwer, wenn nicht überhaupt nur bis zu einem gewiſſen 
Maße möglich fer, eine jelbitändige Kenntnis der gefamten neueren Literatur 
zu erlangen, jo glauben wir aber von dem Hiſtoriker diefer neueren Literatur 
eine um fo tiefere und gründlichere Kenntnis der HSaupterjcheinungen, eine, 
um fo fchärfere Erfaffung der inneren Beziehungen zwifchen diefen, eine 
um fo anfchaulichere Charakteriftit im Ganzen und int Einzelnen verlangen 
zu müflen. Für das 19. Jahrhundert liegt dieſe danfbare Aufgabe noch 
ungelöjt da. 


Alte und neue Literaturgeſchichten. 159 


Ich füge noch einige Einzelheiten hinzu, die fich vorwiegend auf die 
Anmerkungen beziehen. Die Literatur ift ſehr umfichtig ausgewählt und 
zufammengeftellt; wenn ich trotdem an manchen Stellen gerade die ent- 
ſcheidenden Auffäge und Bücher vermiffe (wobei ich allerneueftes bei Seite 
laſſe), fo hängt das mit der Mangelbaftigkeit unfver bibliographifchen Hilfs— 
mittel zufammen. ©. 542, 9 fehlt M. Brühls Gefchichte der Katholischen 
Literaturd Deutſchlands. Leipzig 1854. — ©. 544, 13 fehlt Hebbels ame. 
— ©. 546 „Das umfangreiche epische Gedicht wurde [im 19. Jahrhundert] 
felten und kaum jemals mit weitreichendem Erfolge verfucht.“ Und Yingg, 
Jordan, Scheffel, Hamerling, Wolff, Weber? Ebenda ift der Einfluß der 
jpanifchen Dichtung viel zu wenig betont. — ©. 547, 25 fehlt Nehorn, Der 
deutſche Roman, Köln und Yeipzig 1890. — ©. 548 3. 4 hätte der Name 
Görres nicht Fehlen dürfen. — ©. 554, 16 fehlt Hayms entfcheidender Auf- 
fat iiber Caroline in den Preußischen Jahrbüchern, Band 28. — ©. 554 ff. 
hätten die neueren Ueberfeger angereiht werden müſſen: Kannegießer, Donner, 
Stord, Gildemeifter ꝛc. — ©. 560, 55 fehlt Diltheys Aufſatz über Novalis, 
Preußiſche Jahrbücher 15, 596 und die wichtige Necenfion der „Nachleje“ 
ebenda 31, 562. — ©. 584, 4 fehlt der grumdlegende Artikel über 
Gent von Haym bei Erih und Gruber. — ©. 59, 16 wird Hofmanns 
Erzählung „Die Bergwerfe von Falun“ mit Hebels Behandlung desjelben 
Stoffes verglichen, die Schrift von G. Friedmann, die Bearbeitungen der 
Gefchichte von dem Bergmann von Falun, Berlin 1887, aber nicht citiert. 
— ©. 604, 26 ift die von mir beforgte 5. Auflage der Grillparzeriichen 
Werfe als von Minor herrührend angeführt. — ©. 605 Grillparzers „Eſther“ 
fam nicht exit aus feinem Nachlaß ans Licht, fondern wurde bereits 1863 
von Kuh in feinem „Dichterbuch aus Defterreich” mitgeteilt. — ©. 608 hätte 
Fiſchers Aufſatz „Klaſſiker und Romantiker in Schwaben“ herangezogen 
werden müſſen. — S. 638 ff. fehlt die epochemachende Charakteriſtik 
Schopenhauers von Haym, Preußiſche Jahrbüchen 14, 240; ©. 647, 6 
diejenige Varnhagens von demſelben, ebenda 11, 444. — ©. 655, 41 Bon 
Sultan Schmidts „Gefchichte der deutfchen Literatur“ find bis 1890 vier 
Bände in der Ausgabe letter Hand erfchtenen. — Warum iſt ©. 657 
Hedrihs Name verfchwiegen? — ©. 661, 23 fehlt Goedekes Geibelbiographie. 
— ©. 665, 8 lies: Kulke Statt: Kulka. — ©. 668, 14 fehlt Halms Brief- 
wechjel mit End. — ©. 672 fehlt die Literatur über Sealsfield. — 
©. 675 fehlen ©. Keller Auffäte über Gotthelf. — ©. 676 Bon Dttilie 
Wildermuth gibt e8 Lebenserinnerungen. — ©. 677, 23 fehlen die neueren 
Ausgaben Stifters wie die Aufſätze über ihn feit Kuhs Monographie, 
3.B. von Bratranef, Janſſen, Weitbrecht. — ©. 683, 14 Leutholds Gedichte 
find in den fpäteren Auflagen vielfach vermehrt. Bächtolds Lebensabriß 
iſt nicht erwähnt; die Monographie von Ernft liegt in 2. Auflage vor. — 
©. 683, 16 Bon Bodenftedts „Erinnerungen“ gibt3 noch einen dritten- 


160 Alte und neue Literaturgefchichten. 


Band. — ©. 683, 17 Schad3 Gefammelte Werke find bis auf 8 Bände 
angewachfen und liegen in 2. Auflage vor. — ©. 687 fehlt die liebevolle 
Würdigung Storms durch Erich Schmidt, Eharafteriftifen ©. 437. 

3) Kochs Handbuch in der von den Berleger jo umfichtig geleiteten 
Sammlung Göfchen, durch buchhändlerifches Bedürfnis veranlaßt, ift infofern 
ein technisches Meifterftücd, als darın wirklich der Verſuch gemacht ift, die 
Geſchichte der deutschen Literatur auf den engiten Naum zufammenzudrängen, 
d. b. nicht bloß Namen und Zahlen nach Art der verbreiteten Kompendien 
zu geben, fondern diefe mit Charafteriftifen, wenn auch in der allerfnappften 
Form, zu verbinden. Für die ältere Zeit ziemlich unfelbftändig, tritt Koch 
dort wo er feiten Boden unter den Füßen fühlt, ficher, ja oft zu ficher auf. 
Er faßt von ©. 1—76 die ältefte Zeit und das Mittelalter, von ©. 78—158 
Reformation und Renaiſſance zufammen und räumt fat die Hälfte, von 
S. 159—270, dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, von Klopſtock 
bis auf die Gegenwart ein. Dem 19. Jahrhundert widmet er darin, anders 
als Martin, nach der Betrachtung der erſten romantiichen Schule zwei 
große, äußerlich wohlgegliederte Kapitel: Die Herrſchaft der Romantif: 
a) Patriotiſche Dichtung; b) Der alte Goethe; ce) Nach den Befreiungs- 
friegen; d) Die ſchwäbiſchen Dichter; e) Dramatiker; Bon Goethes Tod 


bis zu den Bayreuther Feftfpielen: a) Das junge Deutfchland; 


b) Politische Lyriker; c) Die Teilnehmer am Münchener Dichterbuch , 
d) Drama und Theater; e) Der Naturalismus. Die Feuerfäule des 
Sahres 1848 hat für ihm nicht hell genug geflammt. Den Münchenerkreis 
Ichließt er befjer als Martin an Seibel an und gruppiert ihn um das von 
Seibel 1862 herausgegebene (von Martin nur beiläufig ©. 662, 27 er- 
wähnte) Münchener Diehterbuch, dem Paul Heyfe zwanzig Jahre fpäter ein 
neues zur Seite ftellte. Martins Grenzjahr 1870 muß hier dem Jahr 1876, 
dem Beginn der Bayreuther Feitipiele, weichen. Ausdrücklich heißt es 
©. 270: „Was Wagner mit Lehre und That wollte und 1876 erreichte, ent- 
Ipricht auf künſtleriſchem Gebiete dem durch Bismard und die deutjchen Waffen 
1870 auf politiichem Gebiete errungenen.” Als fanatiſcher Wagnerianer 
hält der Berfaffer Richard Wagner, in deſſen Apotheofe der vorletste Abfchnitt 
gipfelt, für den größten deutſchen Dichter, für den unfere mittelalterliche 
Literatur die Stoffe gleichſam aufgeitapelt und dem unfere Klaſſiker den 
Weg bereitet haben. Er erinnert bet Wolframs Barzifal ©. 33 an Wagners 
Neudichtung; er fchließt den kurzen Abfat über Gottfried von Straßburg 
S. 35 mit einem Hinweis auf die neuhochdeutiche Bearbeitung des Stoffes: 
„unter feinen vielen mit Sans Sachs anhebenden Dramatifierungen ragt 
die fittlich vertiefende und tragisch läuternde Nendichtung, die Nichard Wagner 
mit „Zriftan und Iſolde“ wie mit dem „Sängerfrieg auf der Wartburg“, 
„Xohengrin“ und „Parſifal“ durchgeführt hat, alles überragend vor”; er 
nennt den „Ring des Nibelungen“ ©. 40 „das gewaltigite deutiche National- 


Alte und neue Literaturgefchichten. 161 


drama”, ©. 271 „das höchſte nationale Kunftwerf” ; er verfäumt es 
©. 60 nicht, bei der Erwähnung Puſchmanns und Wagenſeils darauf hinzu- 
weilen, daß Wagner auf der Grundlage ihrer Darftellungen in feinen 
Metiterfingern „ein jo wunderbar lebenswahres Kulturbild aus deutſchem 
Bürgerleben gedichtet habe” und wiederholt diefelben Worte ©. 271: „das 
wunderbare Kulturbild deutichen Lebens und künſtleriſcher Mifchung von 
Ernit und Humor” ; ex ſchließt die Charafteriftif de8 Dramatıfers Schiller 
©. 208 mit den Worten: „Innerhalb der von ihm geſteckten Grenzen bat 
fich die deutiche Tragödie im wefentlichen bis heute bewegt. Selbſt die in 
Richard Wagners Mufifdramen vollzogene neue Gejtaltung der Tragödie 
bat Schiller bereits in einem Briefe an Goethe, 29. Dezember 1797, geahnt 
und gefordert”; er nennt Grillparzer ©. 241 „den größten deutjchen 
Dramatiker nah Schiller und vor N. Wagner“. So jcheint diefes Buch 
überhaupt zu Ehren Wagners verfaßt zu ſein und man wundert jich, warum 
Koch nicht die vollen Stonjequenzen aus jeiner Ueberzengung gezogen und 
die Entwidlung der Yiteratur wenigitens in der neueren Zeit darnad) 
gegliedert hat. Wie die Dinge jest liegen, gerät die traditionelle, von ihm 
beibehaltene Einterlung mit den Refultaten, die fich in überraſchender Weife 
aus ihr ergeben, in Wideripruch. — Die legte Seite des Buches iſt der Zeit 
feit 1876, dent Naturalismus gewidmet. Bleibtreu, Conrad, Hart, Suder- 
mann, Hauptmann, Fulda, Voß, Noberts, Hartleben und Kretzer werden 
mit mehr oder weniger Necht genannt. Wenn Koch aber fortfährt: „Ob 
fie u. a. wie Detlev v. Lilteneron, Wolfgang Kirchbach („Waiblinger“), 
W. Arent, Marie dv. Ebner-Efchenbach den Anfang einer lebensvollen Kunft- 
entwicklung oder nur den Niedergang der alten anzeigen, läßt fich heute noch 
nicht enticheiden“, jo müſſen wir uns billig wundern, wie die erprobte 
Meiiterin deutjcher Proſa, die abgeflärte Sechzigerin, unter den vingenden, 
gährenden Nachwuchs, wie Saul unter die Propheten fommt. 

Auch im Einzelnen geht es nicht ohne Gewaltfamfeiten und gekünſtelte 
Einſchachtelungen ab. Dat Namler gelegentlich der von ihm und Leſſing 
beranitalteten Ausgabe Yogaus untergeiteckt wird, mag man fich noch gefallen 
lafien. Daß aber Gefners Idyllendichtung an derfelben Stelle gewifier- 
maßen nur durch das Nadelöhr der miglungenen Ramleriſchen Berfifizierung, 
die in der Gefchichte der Nationalliteratur faum etwas zu thun bat, in 
das Himmelreich diefes Kompendiums eingeht, Stellt den regelmäßigen gefchicht 
lichen Entwiclungsgang auf den Stopf. Sucht man Alerander von Sumboldt, 
fo findet man ihn als Anhängfel an der fir die Nationalliteratur gleich 
gültigen Reiſebeſchreibung Chamiſſos in lebensaefährlicher Stellung baumeln! 
„Als Botaniker machte er 1815 —18 eine Reife um die Melt, deren an 
ſpruchslos gefällige Beichreibung der deutichen Reiſelitteratur ein Muſter 
gab, freilich nicht vergleichbar den großen Werfen, in denen Alerander von 
Humboldt die Ergebnifje feiner naturwiffenschaftlichen Studien, „Kosmos“ 

Eupborion II, 11 


162 Alte und neue Literaturgeſchichten. 


begonnen 1834, in klaſſiſchen Schilderungen zur Bildung dev Nation auf- 
jtellte“. Und Foriter findet man nur darum in dem Buche nicht, weil fich 
gerade nichts darbot, was flein genug gewejen wäre, um jeine Aufſätze nicht 
damit vergleichen zu fünnen. Dft wird Nebenjächliches zur Hauptjache 
gemacht, das Wichtige zurücdgedrängt oder verjchtwiegen; oft wird durch die 
übergroße Knappheit Verwirrung geichaffen. ©. 253 fi. „Die Ottaverimen 
von Linggs Epos ‚Die Völkerwanderung‘ 1865/68 können durch einzelne 
lyriſche Schönheiten nicht den Fehlariff im Stoff und Mangel an epiſchem 
Vermögen ausgleichen. Die ‚Gedichte: des Schweizers Heinrich Leuthold 
find dagegen erſt 1878, ein Jahr vor dem im Irrſinn erfolgten Tode des 
Dichters der an Kleiſt erinnernden epiſchen ‚Bentheftlea‘ gefammelt worden.“ 
Dagegen! Man erwartet eine Charafteriftif Leutholds. Man erfährt aber 
das fir den Zuſammenhang wertloje Datum feiner Gedichtiammlung (das 
noch dazu falſch tft, denn die erite Ausgabe erichten 1879); man erfährt, 
daß feine Pentheſilea an Kleiſt erinnere, was doch nur für den darin 
behandelten Sagenſtoff und nicht für die Art der Behandlung richtig und daher 
eigentlich felbitveritändlich ift, und der Uneingeweihte gerät leicht in Zweifel, 
ob nicht gar von zwei verjchtedenen Dichtern die Nede tft, wie ©. 120 ein 
tücifches Komma den Ernit Schwabe von der Heyde in zwer Perfönlich- 
feiten zerfehnitten hat. Dagegen hätte eine jcehärfere Interpunftion vielleicht 
in die folgende Zufammenftellung ©. 177 größere Klarheit bringen fünnen: 
„Und derjelbe Wieland hat das romantische Epos Arioſts in den frei 
geitalteten Stangen von „Idris und Zenide“, 1768, „des neuen Amadıs“, 
„Dberon“, 1780, in „Geron der Adelich“, 1777, Stoffe der mittelalterlichen 
höfiſchen Erzählungsfunft, an die ferne gejchmeidige Vers- und Reim— 
gewandtheit erinnert, in die neue deutſche Dichtung eingeführt.“ — Ueber— 
flüſſig it der Zuſatz: ©. 5 die Schreibenden Poeten des 18. Jahr: 
hunderts. Fir fchädlich halte ich in einem für die weiteiten Kreiſe bejtimniten 
Buche die wenn auch nur beiläufige Erwähnung eines Dichters wie Job. 
Pöhnl, defien Machwerfe wohl fein ernftbhafter Yiterarhiftorifer fir Ernft 
nehmen kann. 

4 und 5 find befannte und geſchätzte Schulbücher. Sie haben manches 
mit einander gemeinfam, fie berühren fich in der Anordnung des Stoffes, 
fie führen beide die Yiteratur bis auf die Gegenwart fort, Hüppes Fort 
jeßer mit größerer Entſchiedenheit, indem er mit Heftigfeit gegen die neuefte 
Literatur Stellung nimmt, während Wychgram doch um ein halbes Menfchen- 
alter zuricbleibt. Beide weiſen gleiche Lücken auf, es fehlt im 17. Jahr— 
hundert Reuter-Schelmufsky, im 18. Schröder, im 19. Raimund. Innerhalb 
der ſauber abgeſteckten Grenzen der ſechs Klaſſiker fühlen fich beide verhältnis- 
mäßig wohl, verlieren aber dort, wo die Schulausgaben und Slommentare 
fie ım Stiche laſſen, fogleich die Nichtung. Der Bielefelder Yiterarhiftorifer 
bat für Jemen 5 36, in welchem er Schillers und Goethes ‚Zeitgenofjen 


Z———— m — 


Alte und neue Literaturgefchichten. 165 


behandelt, feine andere Ueberfchrift zur Sand als „Nachträgliches“ : der Pader— 
borner beginnt einen verwandten Abſchnitt „Idyllen- und jonitige Dichter“ 
mit der banaufischen Wendung: „Wie e8 zu geſchehen pflegt, wenn die Luſt 
zum Dichten groß und verbreitet tit, fiel man um diefe Zeit auf die ver- 
ſchiedenſten Gattungen der Poeſie.“ Beide urteilen ſcharf über Heine ab, 
beide ftellen Grillparzer ſehr hoch; der eine nennt ihn den größten Dramatiker 
nach Schiller, der andere den bedentenditen Dramatiker der ganzen neueren 
Zeit; aber die Würdigung dev einzelnen Dramen will bet Wycharam zu 
diefer Anficht nicht ftimmmen und Hüppes Fortieger wideripricht fich exit vecht, 
wenn er ein paar Seiten jpäter den 8 19 „Dejterreichifche Dichter“ mit den 
(aus einer alten Auflage ftanımenden?) Worten anhebt: „Dejterreich, einſt 
dag liederreiche genannt, noch jeßt die Heimat eines reichen Volksgeſanges, 
war während der neueren Entwidelung unferer Literatur hauptlächlich nur 
durch Nachahmer der Klopſtockſchen, Leſſingſchen und Wielandichen Be- 
ftrebungen und duch Dichter zweiten Ranges vertreten. Seit 1830 aber 
zeigte fich ein ungemein veges Streben.” Hüppes Buch nämlich iſt bereits 
durch mehrere Hände gegangen; die dritte Auflage war von Lindemann ımd 
Wernefe bearbeitet worden, an der vierten war neben Frauzem noch ein 
Ungenannter beteiligt. 

Wychgram ſchließt fich in der Periodeneinteilung und auch im Text 
öfters an Scherer an (©. 8, 46), das 16. und 17. Jahrhundert iſt Sehr 
farg bedacht; am ſchwächſten iſt wohl der 8 24 „Proſaiſche Erzählungen“ 
mit gänzlich ungenügenden Bemerfungen über die Volfsbücher. Irreführend 
iſt es wenn der Göttinger Dichterbund vor Leifing behandelt wird; HE 
wäre durch eine einfache Umstellung der 88 30, 31, 32 und 33 leicht abzu 
helfen. Sonſt fielen mir wenige Berfeben auf. ©. 137 iſt fälſchlich von 
einer zweimaligen Yeitung des Burgtheaters durch Laube die Nede. 

Hüppe-Frauzem macht höhere Anfprüche als Wychgram, gibt auch 
reichlichere, aber ungleichmäßige Literaturangaben. Munders Klopſtock, Elfters 
Heimeausgabe, Bredermanns Sammlung von Goethes Gefprächen, die neuere 
Literatur über Goethes Taſſo, Weltrihs Schiller durften nach der Anlage 
des Ganzen nicht Fehlen; auch Druckfehler finden fich in diefen Angaben: 
©. 215 Franke ftatt Frankl, Faulhämmer ſtatt Fäulhammer. Im Ganzen 
wohl geordnet, weist das Buch doch einige veriprengte Flüchtlinge auf, wie 
Geritenberg ©. 167 an falfcher Stelle fteht, und es Fehlt nicht an fonder 
baren, ja drolligen Zufammenftellungen, 3. B. wenn das Weltfind Seine zu 
feiner Befjerung in die unmittelbare Nähe von Byrfer, Fröhlich, Krum 
macher und Elifabeth Kulmann gerüct wird. . 

Dies hängt zugleich mit dem ausgefprochen katholiſchen Charakter 
des Paderborner Werkchens zufammen. Im Hinblick auf andere ähnliche 
Lehrbücher ift die gemäßigte Gefinnung anzuerfennen, die ſich in der hoben 
Wertſchätzung unferer Klaſſiker und fonft äußert. Auch das wird man 

= 


164 Krauſe G., Gottſched und Flottiwell. 


ihm zu Gute halten, daß Brentano als der größte romantiſche Dichter 
gefeiert wird, und in die Verehrung der Drofte und Webers wird man ohne 
Zögern mit einſtimmen. Bedenklicher aber tft es, daß neben ven anerkannten 
Führern und den zweifellos Begabten ein ganzer Heerbann unbekannter und 
unbegabter katholischer Dichter aufgeboten wird, die nun gleichwertig mit 
den andern in Neih und Glied ftehen und ihre unfrenwilligen Kameraden 
in den Augen der Lernenden herabſetzen müfjen. Hier wäre eine kritiſche 
Auswahl im Interefie der Wahrheit und Gerechtigfeit dringend zu empfehlen. 

6) Yemmermeyers Nepertorium trägt den Stempel feiner Unfelbit- 
jtändigfeit Schon auf dem Titel in der Lifte der angeführten Quellenſchriften 
zur Schau, wenn auch der eigentliche und einzige Gewährsmann fich viel- 
leicht unter dem angehängten „u. A.“ verbirgt. Denn man bat wohl mit 
echt vermutet, daß bier ein altes umd veraltetes Stollegienheft zu Grunde 
liege. Lehrer und Lernende ſeien gleichmäßig vor dem Gebrauch gewarnt. 


Prag. Auguſt Sauer. 


Krauſe G., Gottſched und Flottwell, die Begründer der Deutſchen Geſellſchaft 
in Königsberg. Feſtſchrift zur Erinnerung an das 150jährige Be— 
ſtehen der Königlichen Deutſchen Geſellſchaft zu | in Preußen. 
Leipzig. Berlag von Dunder & Humblot. 1893. 6 


Ueber Gottfhed und fein Verhältnis zu feinem Zeitalter hat fich die 
Literaturgefchichte ein beftimmtes Urteil gebildet, das durch die vorliegende Schrift 
nicht verändert wird. Dem Berfaffer tft es vielmehr gelungen, durch Ausbeutung 
neuer Quellen das bisherige Bild Gotticheds in einzelnen Zügen zu verdeutlichen. 
Seine Anhänglichfeit am die oftpreußiiche Heimat offen zu befennen, verbietet 
Gottſcheden das Bündnis Sachſens mit Defterreih. Nur den intimften Freundes- 
briefen vertraut er jeine Gefühle an, bezeugt fie offen im dankbarer Verehrung 
für die Königsberger Univerfität und deren Stifter, den Herzog Albrecht, und 
macht ebenfo wenig Hehl aus jeinem „Erbhaß“ gegen die franzöfifche Nation. 
Das Verhältnis, im dem er zu feinem Königsberger Freunde Flottwell fteht, 
oder beffer, im das diefer fich zu ihm ftellt, ift nur eine lehrreiche Parallele zu 
den Knappendienften, die Magijter Schwabe und Genoſſen Gottfcheden in Leipzig 
leifteten. Der neue Fall erhält jedoch etwas Nührendes, wenn wir den Königs- 
berger Schildträger vor. umferen Augen die Rolle des Ejels in der Fabel vom 
kranken Löwen getreulich bis am fein Lebensende jpielen jehen. 

Der Profeffor der Beredfamfeit Coeleftin Chriftian Flottwell (1711—1756) 
habilitierte ji im Jahre 1735 troß des Einfpruches der pietiſtiſchen Partei als 
Anhänger Wolfs an der Albertina und jchloß fich dem befannten Kanzelvedner 
und Profefjor Quandt enge an. Krauſe hat mit wenigen jeharfen Strichen die 
betreffenden Zuftände zu Anfang des vorigen Jahrhunderts umriffen und Die 
am Kampfe beteiligten "Berf vjönlichkeiten vorzüglich chavakterifiert. Die erſten zwei 
Abjchnitte feiner Schrift find dadurch zu einem wertvollen kulturhiſtoriſchen Bei- 
trage geworden, für den dem Berfaffer um fo mehr Danf gebührt, al$ er es 
verjtand, aus dev Mafje aktenmäßigen Materials eine bejcheidene Auswahl zu 
treffen, die ohne Aufdringlichfeit würdig orientiert. In gleicher Weife macht 
ung der Neft der Darftellung mit der Gründung und Einrichtung der Deutjchen 
Sejellihaft in Königsberg während der erften zwei Jahrzehnte ihres Beftandes 
befannt. Das Inſtitut iſt gleichjam eine Filiale des Literaturkönigs im Leipzig, 


Kraufe G., Gottſched und Flottwell. 165 


in der bloß ſtreng nach Vorſchrift verwäſſerte Wiſſenſchaft und Poeſie gebraut 
und verzapft wird. Ein einziger Band von 590 Seiten „geſammelter Schriften“ 
ward von Vereinswegen dem Drucke übergeben. Glücklicherweiſe brachten es 
innere Verhältniſſe der Geſellſchaft mit ſich, daß Deutſchland von einer weiteren 
Publikation dieſer Art verſchont blieb. Denn ſchon eine Auswahl der Titel von 
Themen, die im Laufe der Jahre dort bearbeitet und vorgetragen wurden, und 
geringfügige Proben der poetiſchen Leiſtungen machen jeden Wunſch nach mehr 
erſterben. (Vgl. Ellingers Neudruck: Nicolais Briefe über den itzigen Zuſtand der 
ſchönen Wiſſenſchaften S. 97.) Die Beziehung zu Gottſched iſt das allein wertvolle. 
Wie Flottwell ganz im Geiſte ſeines Patrons für die „gereinigte Bühne“ wirkt, 
welchen Einfluß er auf die Schönemannſche Truppe (1744—1745 in Königsberg) 
nimmt, das ſetzt Krauſe hübſch auseinander und begleitet feine Darlegung mit aus- 
führlichen Anmerkungen. Um fo auffallender ift es jedoch, daß er die Wirkſamkeit 
Adermanns in Königsberg (1753—1756) mit wenigen Worten abthut, wiewohl 
es gerade von Intereſſe wäre, zu erfahren, ob und wie Flottwell zu dem neuerungs— 
ſüchtigen Theaterdireftor Stellung nahm. Gewiſſe Aufmerkfamfeit in der Gegen- 
wart verdient das gleichfalls von Gottſched inspirierte Borhaben Flottwells, die 
Mitglieder feiner Gejellichaft zu gemeinfamer Arbeit an einem vollftändigen 
Deutſchen Wörterbuche zu begeiftern. „Ein Werk, worin alle Wörter einer 
Sprade erzählet, erläutert und derſelben rechter Gebrauch beſtimmet iſt, nenne ich 
ein Wörterbuch. Ich fordre in einem Wörterbuch eine vollſtändige Ord— 
nung aller nach Sa des Alphabets einer Sprache zugeeigneten Wörter, 
doch fo, daß die Grundmwörter den erften Platz behalten, die ich Wurgeln nennen 
will: daß die daher geleiteten Wörter dabey in gehöriger Ordnung angemerfet 
werden, damit dem lefer der begrif eines jeden Wortes leichter gemachet werde, 
ja daß der Wit des leſers zur Erlernung der Sprache dadurd gejchärfet werde.“ 
So läßt ſich Flottwell in einer Ansprache an die Gefellfhaft im Jahre 1743 
verniehmen. Ueber die Wirkung feiner Worte ift bei Kraufe (©. 60 ff.) aus 
den Situngsprotofollen ausführlih gehandelt. (Vgl. auch darüber Nicolais 
Kritik in Ellingers Neudrud a. a. O.) 

Den weitaus größeren Raum unferes Buches nimmt die Veröffentlichung 
der im der Zeit von 1736—1756 zwischen Gottfched und Flottwell gemechfelten 
Briefe ein. Von den 17 Briefen des erfteren ift bloß der letzte ſchon gedruckt 
gemefen (Zeitfchrift für deutfche Philologie 24, 202 ff.). Flottwells Berichte nad) 
Leipzig, die nur in Auswahl und bruchftüdweife vorgelegt werden, find ganz 
neu. Dieje Korrefpondenz ift es eigentlich, die fo recht im einzelnen einen Ein— 
bi in Gottjched den Menfchen gewährt. Sie trägt namentlich dazu bei, den 
als Tyrannen verjchrieenen Literaturdiftator als zärtlichen Sohn und Dingebungs- 
vollen Freund, als aufrichtigen Patrioten und für die Sache begeifterten Forſcher 
vor der Welt zu rehabilitieven. Daß er e3 auch verftand, gegen literariſche 
Gegner maßvoll und dennoch ſelbſtbewußt aufzutreten, beweiſt fein Benehmen 
gegen den Königsberger Rivalen Flottwells, den Profeffjor der Dichtkunſt Johann 
George Bod (©. 170 ff., dazu Anmerkung ©. 271 ff.). — Der verbindende 
Zert und die begleitenden Anmerkungen erleichtern das Eindringen in die nicht 
immer Klaren Anfpielungen der Briefe, denen Kraufe aufs genaueſte nachging. 
Auch dort, wo eine Löſung nicht zu finden war, haben feine Vermutungen 
Anſpruch auf Wahricheinlichkeit. 


Im ganzen macht das Buch einen erfveulihen Eindrud, auch binfichtlich 
der Darftellung und jorgfältigen Ausftattung, und kann zum Mufter aufgeftellt 
werden dafür, wie Specialunterfuchungen, einem weiteren Wiffensgebiete dienftlich, 
nicht des Intereſſes an ihnen ſelbſt bar zu fein brauchen. Ein Vorwurf jedod) 
darf dem Berfaffer nicht erjpart bleiben. Sei es, daß er zu viel Rückſicht auf 


166 Jenny von der Often, Luiſe Dorothee Herzogin von Sachfen-Gotha. 


die Bequemlichkeit des Leſers nahm, fei es, daR er deſſen Gedächtniskraft zu 


wenig zutraute — wie anders jollen die zahlreichen Wiederholungen im Text, 
in den Briefen md Anmerkungen erklärt werden? — So 3.2. ift auf den 


Seiten 71, 114, 214 und 248 das gleiche über Gotticheds Fragment eines 
Heldengedichtes ‚Ottotar, oder das erfiegte Preußen“ gejagt, auf Seite 186 ift 
einer Anmerkung die Briefftelle, die ſechs Blätter weiter regelveht zum Abdrud 
fommt, in extenso eimverleibt. Solche Fälle find nicht jelten und waren um 
jo eher zu umgehen, als ein forgfältig gearbeitetes Negifter den Gebrauch des 
Buches erleichtert. — Sun! Schluſſe noch einige Einzelheiten: Auffällig ift die 
jtändige Bezeihmung der Gattin Gottfheds als „Frau Profefjor“, wiewohl ſchon 
Flottwells Gebrauch der richtigen Form „Profefforin” (S. 184, 197, 200 und 
jo immer) den Berfaffer hätte belehren müfjfen. — Was Schröder in feinem 
Buche „Vom papierenen Stil“ über das Pronomen „derſelbe“ jagt, ift beim 
Berfaffer ungehört verhallt. — Kraufe jchreibt durchgehends „Schönäich“; ic) 
finde für dieſe —— weder bei Krauſe eine Erklärung, noch anderswo einen 
Anhaltspunkt. Oder ſollte die Schreibung in einer einzigen Briefſtelle (Gottſched 
an Flottwell, 3. Mai 1752, ©. 247) die Beranlaffung dazu gegeben haben ? — 
Das ſchöne Wort „Teelzagen“ im Sinne von „ſich hinjchleppen, vegetieren“ ge- 
braucht, das in einem Briefe Gottfheds (©. 188) vorfömmt, bedurfte feiner 
Seltenheit wegen einer Erläuterung. Gottſched übernahm es aus dem platt— 
— „ſeeltagen“ worauf eine Stelle in dem „Volleingeſchanckten Tintenfäßl“ 
jchließen läßt (©. 273). Vergleiche Frifchbier, Preußiſches Wörterbuch, IT. Teil, 
(1885), der das Wort mit „in den legten Zügen liegen“ erklärt. — Statt 
„Flottwell bekleidete bis zu feinem den... . erfolgenden Tode” (©. 3) er- 
wartet man das PBarticipium Perfectt. — Für „Raft nehmen“ (©. 11) richtig 
„KRaft Halten“. — „Er..... unterzog die eingelieferten Arbeiten feiner 
Correctur“ weist in dem Gebrauche des Poſſeſſiv-Pronomens eine Art Pleonas- 
mus auf oder klingt mindejtens ungebräuchlic. 


Berlin. Richard Rofenbaum. 


Jenny von der Dften, Luife Dorothee Herzogin von — Gotha 1732-1767. 
Mit Benutzung archivaliſchen Materials. Mit ſechs Bildniſſen. Leipzig. 
Druck und Verlag von Breitkopf und Häntel. 1393. 

Die Heldin diefes Buches hat eine forgfältige und eingehende Monographie 
entfchieden verdient. Luiſe Dorothee von Sachfen-Gotha jpielt in ihren Be— 
ziehungen zur politifchen wie zur fultuvellen und literariſchen Gefchichte ihrer Zeit 
eine zwar wefentlich paffive, aber trotzdem ungemein anziehende Nolle, zu welcher 
ihre anmutige Perjönlichkeit und ihre ungewöhnlich hohe geiftige Bildung fie in 
gleihem Maße befähigten. Als Freundin des großen Friedrich und hervor- 
vagende Gönnerin Boltaives ift fie demm auch zur Unfterblichfett eingegangen. 
Ihr Bild jorgfältig und getreu wiederzugeben hat fich die Verfafferin des Buches 
mit Eifer und Gewiffenhaftigfeit bemüht. Neiches Material boten die Staats- 
archive zu Gotha, Berlin und Dresden und die Bibliothefen zu Gotha und 
Leipzig; Diefes mit dem bereits befannten zufammengetragen und dadurch unferer 
Kenntnis von Luiſe u, einen feften und ficheren Boden gegeben zu haben, 
ift ein entfchiedenes Berdienft der Verfaſſerin. Darüber hinaus kann fich mein 
Lob allerdings nicht erftreden: die Gabe, das tote Material zu beleben, zwiſchen 
den Zeilen der Briefe zu leſen und uns die handelnden Perſonen mit wirklicher 
Lebendigkeit vor Augen zu führen, befitst fie nicht, umd die Verſuche, Menjchen 
und Ereigniffe aus der Zeit und den ln heraus verjtändlich zu machen, 
find jelten und dürftig. Der größte Teil des Buches befteht in bloßem Abdrud 
von Briefwechjelm der Herzogin, namentlich denen mit Friedrich II, und Voltaire, 


Forfter G. Ausgewählte Heine Schriften. 167 


die teils im geichichtlicher Neihenfolge, teils nach verfchiedenen Geſichtspunkten 
geordnet find, Meberfichtlichfeit aber Schmerzlich vermiffen laffen. Selbſt das Bild 
Luiſe Dorotheens muß fich der Leer erjt jelbjt aufbauen, die Verfafferin giebt 
es nicht. So drudt fie ©. 15 ein Urteil Hans von Thümmels über die Herzogin 
ab, welches deren VBorzügen durchaus gerecht wird, fie aber auch „stolz, herrich- 
füchtig, veizbar, launig“ nennt; mandes in ihrem Leben und ihren Briefen 
ſcheint dies zu beftätigen, manches widerjpricht ihm entichieden. Es war Sache 
der Berfafferin, das Für und Wider abzumägen und die Ausfage eines jo 
glaubwürdigen Zeugen entweder zur widerlegen oder zu bejtätigen; eine bloße 
Wiedergabe von Thatfachen und zeitgenöffiichen Aussprüchen ift noch feine 
Biographie. — Ganz mißglüct ift die Charafteriftif des Grafen Gotter; in der 
Schilderung von der Oſtens wird niemand den gewandten Diplomaten und 
üppigen Lebemann wiedererkennen; desgleichen iſt der närriſche Obermarjchall 
von Studnit, obwohl er für würdig geachtet wird, dem Lefer im Bilde vor- 
geführt zu werden, im Terte entfchieden zu frz gekommen. Manches jchätens- 
werte Neue bringt der Abjchnitt über die Frau von Buchwald, die Charafteriftif 
bietet aber auch hier wenig. Ueberhaupt ift Klarheit und Sicherheit im Urteil 
dasjenige, was dem Buche vor allem mangelt. 

Wenn die Verfafferin das Werk ihrem Großvater, einem hochverdienten 
Gothaifchen Staatsmanne widmet, jo erfüllt fie damit gewiß eine ſchöne Pflicht 
der Pietät. Warum aber die Widmung in lateinischer Sprache abgefaßt fein 
muß, jehe ich nicht ein. Man follte doch annehmen, daß wir endlich über diefen 
Selehrtenzopf hinaus wären, der gar feinen Sinn hat und höchftens dazu dienen 
kann, Mergernis zu erregen. Uebrigens ift das Latein nicht einmal tadellos. 

Die dem Buche beigegebenen Bildniffe find mit Geſchmack ausgewählt 
und bortrefflich wiedergegeben. 

Leipzig. Rudolf Schlößer. 


Forfter Georg, Ausgewählte Heine Schriften. Herausgegeben von A. Yeit- 
mann (Dentjche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, 
begründet von B. Seuffert, fortgeführt von A. Sauer, Heft 46/47). 
Stuttgart. ©. J. Göſchenſche Berlagshandlung. 1894. 3 A 

Bon den Schriften G. Forſters find nur die „Anfichten vom Nieder- 
rhein“ immer gelefen worden, die denn durch neuere Einzelausgaben leicht 
auch dem größeren Bublifum zugänglich find. Alles andere dagegen, 
was Forster gefchrieben hat — und das ift fehr viel — wurde feit der 

Geſamtausgabe von Gervinus, alfo feit den Vierziger Jahren nicht mehr 

gedrucdt und läuft bereits Gefahr, verichollen zu werden. Daß Albert Yeit- 

mann, der fich viel mit Forster befchäftigt hat, dem wir die Mitteilung einer 
großen Zahl von Briefen von und an Forster verdanken, nun ausgewählte 

Schriften desjelben herausgibt, wird deshalb von vielen freudig begrüßt 

werden. Den Inhalt des vorliegenden Bändchens bilden folgende Stüde: 

„Ein Blick in das Ganze der Natım“ (1781), „Noch etwas über die 

Menfchenrafien“ (1786), „Ueber Yedereien“ (1788), „Fragment eines Briefes 

an einen deutschen Schriftiteller iiber Schillers Götter Griechenlands“ (1788), 

„Leitfaden zu einer fünftigen Geſchichte der Menschheit“ (1789), „Ueber 

Brojelytenmacherei“ (1789), „Die Kunst und das. Zeitalter“ (1789), „Ueber 


168 Forfter &., Ausgewählte Heine Schriften. 


Lofale und allgemeine Bildung“ (1791). Nur die erfte und die letzte ‘Periode 
der ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit Foriters find alfo nicht vertreten: jene da 
er in England an der Seite feines Vaters Neifebeichreibungen überfette, 
diefe da er fich ganz der Politif in die Arme geworfen hatte. Das Brief- 
fragment über die Götter Griechenlands iſt vor Kurzem erit im „Archiv 
fiir neuere Sprachen” abgedruckt worden, der Auffat über lofale und all- 
gemeine Bildung erfcheint zum eriten Mal wieder ſeit dem Driginalabdrud 
in „Denen Deutichen Muſeum“: alle andern Stücde find auch in der Aus— 
gabe von Gervinus — vielfach verftiimmelt freilich — enthalten. 

Der „Bli in das Ganze der Natur“ ftamımt aus der Zeit, da Foriter 
als Yehrer der Naturgefchiehte anı Karolinum in Kafiel thätig war. In 
den „Kleinen Schriften” Forſters, die 1794 von Yudwig Ferdinand Huber 
herausgegeben wurden, trägt dieſer Aufſatz die zweite Ueberfchrift „Einleitung 
zu Anfangsgründen der Tiergefchichte”. „Die Unterfuchung des Tier- 
veiches . . . iſt zum Geſchäfte diefer Stunde beftimmt“ heißt es auf einem 
der erjten Blätter derjelben. Leitzmann vermutet deshalb mit Necht, daß 
uns hier der einzige erhaltene Neft aus Forfters Kaſſeler Kollegienheften 
vorliegt: über Anfangsgründe der Tiergeichichte las Forster nach dem Vor— 
(efungsverzeichnis des Karolinums vom Winter 1781/82 bis zum Sommer 
1783 jedes Semefters. Damit wäre etwa der Herbſt 1781 als Entſtehungs— 
zeit gegeben: ein Hinweis auf ein Buch Campers, das erit 1782 erfchten, 
mag eine jpätere Nandbemerfung fein. 

Forſter lebte damals in dem Kreis von Anfchauungen und Empfin- 
dungen, den Hamann zuerft inmitten des vationaliftifchen Zeitalter ge- 
zogen, der dann die Jacobi, Claudius, Stolberg, ja einige Zeit felbft den 
jungen Goethe in fich aufgenommen batte. Die Begriffe „eifriger Christ“ 
und „wahrer Menfch” find ihm noch diefelben; wie Stolberg in den 
„Jamben“, wie einſt Herder ın der Flugſchrift „An Prediger“ Flagt er über 
die aufgeflärten Geiftlichen, die „unwiſſender feren im Geiſte der heiligen 
Bücher, abgewendeter von Gott und dem Heiland al3 die armen Neger, welche, 
nichts beſſer erfennend, ihren Fetiſch anbeten,“ ihre Philofophie iſt ihm 
„feinen Kreuzer wert“, denn fie fer „nicht um ein Saar breit von der 
Philoſophie der Encyelopädisten verschteden.“ Der Name Voltaire schließt 
fir ihn alles Unheilige und Frevelhafte des Zeitalter ein, aber auch 
Rouſſeau, meint ex, hat die Wahrheit nicht erkannt, nur bisweilen geahnet, 
jo wie Einer, „der die verſteckte Stedinadel fucht und in den Augenblid, wo 
man ihm fagt, daß er ganz nahe dabei tft, wieder Meilen weit davon läuft“. 
Die humanen Menschen, wie fie Leſſing will, die feine Christen fein follen, 
fondern nur Menschen, Menſchen ohne Vorurteile feheinen ıhm auf dem 
Wege zur Wahrheit fich die Mittel fie zu finden abzufchneiden. Zu viel 
glauben hält er für lange nicht jo gefährlich al3 zu wenig glauben. Noch 
1783 jchließt er einen Brief an Johannes von Müller mit den Worten; 





Forfter G., Ausgewählte Kleine Schriften. 169 


„Das glaube ich aber, daß ich es alles werde vermögen durch den, der ung 
mächtig macht, Jeſum Chriſtum!“ 

Der „Blid in das Ganze der Natur“ trägt deutlich die Spuren 
diefer religiöfen Grundftimmung Forfters in jenen Jahren. Auf die Fragen 
„Bas ift die Natur? Was it Gott?“ will er nicht eingehen, ex überläft 
fie den ſpekulativen Metaphyſikern, aber in der Betrachtung der Schöpfung 
findet ev „die dringendite VBeranlaffung zur ebrfurchtspollften Anbetung, 
zur feurigſten Dankbarkeit, zur Findlichiten Gegenliebe (Gottes).” Was 
immer die Natur auch fer — „Wirfung oder wirkende Kraft“ — fie bleibt 
ihm allezeit „die erite unmittelbare Dffenbarung Gottes an einen jeden 
unter ung,“ ev citiert das Wort Buffons: „ſie ift ein offenes Buch, in 
welchem wir lefen al3 in einem Exemplar oder Abdrud der Gottheit”. Das 
Unbegreifliche in der Schöpfung — in dem Sreislauf der Geftirne fo gut 
wie im der Zeugung und Entwicklung von Pflanze und Tier — tft ihm 
„Borbereitung unferes Geiites zu Wundern anderer Art, zum Glauben an 
jene nachfolgenden Dffenbarungen, welche das Heil des Menfchengefchlechtes 
näher betrafen und die Hoffnungen der Vorwelt erfüllten.“ Den Haupt— 
vorzug des Menſchen vor den anderen Gefchöpfen erblickt er darın, daß er 
alleın „Beſchauer der Werke Gottes, Zeuge feiner Wunder” fein Fünne: 
„indem der Menſch die Natur, den Vorhof des Thrones göttlicher Herrlichkeit 
betrachtet und ermißt, erhebt er fich ftufenweife zum inmwendigen Sit der 
Allmaht und Allgegenwart. An einer fpäteren Stelle wiederholt er „der 
Menich fer die Krone der Schöpfung“, ex fer zur „Anbetung des Schöpfers 
gemacht.“ 

Wir bemerfen, wie wenig originell Forfter im Ausdrud feiner 
religiöfen Auffafiung des Weltganzen hier iſt. Diefe Gedanken, ja diefe 
Wendungen, waren in der deutfchen Literatur von Haller bis Klopſtock jo 
oft verwendet worden, in Frankreich hatte ihnen Buffon eine Haffifche Form 
gegeben. Da iſt nicht3 von der urſprünglichen Fülle und Kraft, die aus 
Hamanns Aphorismen über Schöpfung und Gottheit Äpricht, nichts von 
der Seher-Begeifterung der „Nelteften Urkunde”, nicht von der ergreifenden 
Innigkeit der Claudius und Yung - Stilling, es find eigentlich doch nur 
Gemeinpläte im ftiliftisch Schön gerumdete Phraſen gebracht: gewiß, fie waren 
der Ausdruck innerer Ueberzeugung, aber neu waren fie nicht. 

Wir fünnen aber auch nicht zugeben, daß, wie Leitzmann meint, in 
diefem Aufſatz „die klare Auffaffung des Weltganzen, feiner mannigfachen 
Kräfte und feines Zufammenhanges noch durchaus gehindert erfcheint durch 
die Feſſeln des veligiöfen Glaubens und feiner Weltanfehauung, mit der 
die Forderungen und Refultate der Naturforfehung auf alle Fälle in Einklang 
gebracht werden follen“. So wenig wie der Glaube der Hamann, Jacobi, 
Claudius, Herder und aller diefer religiöfen Stürmer und Dränger war 
der Forſters ein ſtreng orthodorer, an dem Buchſtaben der, Meberlieferung 


170 Forfter &., Ausgewählte Kleine Schriften. 


lebender; dadurch unterichteden fich ja dieſe Neueren von den alten 
Drtbodoren, daß fte ſich an den Getit der Offenbarung bielten, nicht an 
die Worte, dadurch von den rationaliſtiſchen Theologen, daß fie e8 für ein 
müffiges Beginnen hielten und auch gar nicht den Verſuch machen wollten, 
Dffenbarung und Naturwiſſenſchaft zu vereinigen. Man erinnere fich nur, 
wie Herder die modernen Bibelerflärer abfertigte: „Laſſet die Phyſiker 
ſpinnen umd die Metaphyſiker träumen; warım aber ihre Gefpinnfte vor 
diefer Pforte, die uns nicht ehrwirrdig genug fein follte. Vielmehr, wollen 
fie ſich dahin anfchmiegen, Ausleger Gottes, bedenkt, daß es nicht Euer Sei, 
was ihr ausleget ..... daß es der albernfte Reſt Scholaftifcher Zeiten 
fei, allen eigenen Lehren zumider Theoſophien zu dulden, die den Mort- 
verstand wegnehmen, allen Zuſammenhang verwirren, die heilige Stimme 
Gottes aus Morgenlande zum dumpfen Katbederton unferer Schulen hinab- 
ftimmen . . . .“ Wir können aber auch nicht finden, daß Foriters „Auf: 
faffung des Weltganzen, feine manntgfachen Kräfte und feines Zuſammen— 
hangs“, ſpäter, al3 in feinem Denken jene „Revolution“ vor ſich gegangen 
war, deren er fich im Frühjahr 1789 in einem Briefe an Jacobis Schwefter 
rühmte, wejentlich eine andere geworden tt, als damals, da er noch in den 
Banden religtöfer Schwärmerei, wie er es jelber nannte, lag. Wenn er 
fich darın änderte, jo tft dies der Zunahme feiner Erfahrung und jenes 
Wiſſens, aber nicht der Befreiung vom religibſen Glauben zuzuschreiben. 
Zu eimer matertaliftiich- mechanischen Welt- und Naturauffafiung hat ſich 
Forfter aber überhaupt nie befennen wollen: er ſah immer ein großes 
Geheimnis noch hinter den Gefegen, die der menschliche Geist erforfchen 
und in Formeln zu bringen vermag. „Was tft Zeugung“ fragte er noch 
1789. „Das konnte ich in der Naturgefchichte noch nie begreifen, denn ich 
fam immer an den Punkt, wo das Endliche mit dem Unendlichen, das 
Zeitliche mit dem Ewigen, das Unfichtbare, Unbegreifliche mit dem Aus- 
gedehnten — wie joll ich jagen! — angrenzt oder zufammenläuft oder fich 
fcheidet. Nur Eines wer ich, wo der Gert iſt, da iſt Freiheit, je mehr 
wir des Lebens in uns haben, deito freier find wir.“ Und zwei Jahre 
fpäter äußert er fich über Religion noch ganz in einer Weiſe, die auch 
Hamann und Claudius befriedigt haben würde: „Ich kenne feine Weisheit“, 
fchreibt er nach dem Tode feiner Yieblingstochter an den Schwiegervater, 
„d. 1. fein vernünftiges Raiſonnement, welches mir den Gedanfen an eine 
Wiedervereimigung mit meinem Kinde nehmen, aber auch feine, die ihn mir 
geben kann;“ unter Religion versteht er immer noch, wie einit Herder oder 
der junge Goethe „lebendige ftärfende Kraft, unverdientes Geſchenk, Gnaden- 
lohn dem, den fie überfam und der fie faſſen konnte.“ Andererfeit3 finden 
wir in dem „Blick in das Ganze der Natur“ ſchon alle jene Elemente, die 
ihn zu einem Vorläufer Merander von Humboldts machen: die verfchteden- 
artigſten Ericheinungen der Natur — Himmelsförper und ihre ‚Bewegung, 





Forfter G., Ausgewählte Kleine Schriften. 171 


Reränderung der Körper durch die Wärme, Einfluß der Himmelskörper auf 
das Meer, auf Luft und Erde, der Sreislauf des Lebens auf der Erde, 
Tod, Verweſung und Neubildung, die Entwicklung des Menschen endlich 
an den primitivften Zuftänden zur Höhe welthiſtoriſcher Kultur — dies 
Alles wird in äußere und innere, materielle und geiſtige Beziehung gefet. 

In stilistische Beziehung konstatiert Leitzmann mit Necht eine ftarfe 
Abhängigfeit Forfters von Buffon, auf die, wenn wir nicht iwren, noch nicht 
bingewiefen worden it. Ich möchte befonders die häufige Anwendung von 
ſchmückenden Berwörtern dort, wo das einfache Subitantiv vollfommen 
ausreichend wäre, auf diefes Muſter zuritdführen: wenn er von Herden 
fprechen will, fo fagt ev „büpfende Herden“, die Wieſen find „Lachende 
Wiefen“, die Weiden „fette Weiden“. Aber Leitzmann hätte noch mehr 
fagen können: er bat nicht bemerkt, daß ein Teil des Aufſatzes geradezu 
eine Ueberſetzung, eine ziemlich genaue Ueberſetzung eines Abfchnittes von 
Buffons Histoire naturelle ift (Considerations generales; l’empire -de 
l’homme sur la nature). Die Stelle ift zu lang, um fie hier in ihrer 
ganzen Ausdehnung der franzöftichen Borlage entgegenzufegen, man vergleiche 
aber nur folgende Bruchſtücke: 


Forſter Ceitzmann ©. 22 F.): 
„gur Anbetung des Schöpfers ge 
macht, gebietet er über alle Geichöpfe; 
als Bafall des Himmels und König 
der Erde, veredelt, bevölkert und 
bereichert er fie; er zwingt die leben- 
den Gefchöpfe zur Ordnung, Unter- 
würfigfeit und Eintracht; ex jelbit 
(sie) verfchönert die Natur; er banet, 
erweitert und verfeinert fie. Er 
vottet Difteln und Dornen aus, 
pflanzt Weinftöcde und Roſen an 
ihre Stätte. Dort liegt ein wüſter 
Erdftrich, eine traurige von Menschen 
ie bewohnte Gegend, deren Höhen 
mit dichten Schwarzen Wäldern über: 
zogen find. Bäume ohne Ninde, 
ohne Wipfel, gekrümmt, oder vor 
Alter hinfällig und zerbrochen ; andere 
in noch weit qrößrer Zahl, an ihrem 
Fuße hingeftreeft, um auf bereit3 ver- 
faulten Solzhaufen zu modern, — 
‚ eritiden und vergraben die Keime, 
die Schon im Begriff waren, hervor— 





Buffon (Histoire naturelle Dri- 
ginal-Duartausgabe vol. XTI (1764) 
p. XI f,): „Fait pour adorer 
le Createur, il commande à toutes 
les ereatures; vassal du Ciel, roi 
de la Terre, il l’ennoblit, la peuple 
et l’enrichit; il etablit entre les êtres 
vivans l’ordre, la subordination, 
l’harmonie; il embellit la Nature 
möme, il la eultive, Fétend et la 
polit; en &lague le chardon et la 
ronce, y multiplie le raisin et la 
rose. Voyez ces plages desertes, 
ces tristes contr&ees où l’homme n’a 


jamais resid&; couvertes on plutöt 


herissees de bois €pais et noirs 
dans toutes les parties &levees, 
des arbres eeorce et sans 
cime, courbes, rompus, tombans de 


sans 


vetuste, d’autres en plus grand nom- 
bre, gissant au pied des premiers 
pour pourrir sur des monceaux dejä 
pourris etouffent, ensevelissent les 


germes prets A Eclore. La Nature 


172 Forfter G., Ausgewählte Kleine Schriften. 


zubrechen. Die Natur, die fonft 


itberall fo jugendlich glänzt, ſcheint 


bier ſchon abgelebt; die Erde, mit den 
Trümmern ihrer eigenen Produkte 
belastet, trägt Schutthaufen, anftatt 
des blumigen Grüns, und abgelebte 
Bäume, die mit Schmarogerpflanzen, 
Moojen und Schwänmen, den un— 
reinen Früchten der Fäulnis, beladen 
find. In allen niedrigen Teilen 
diefer Gegend ſtockt todtes Waſſer, 
weil es weder Abflug noch Nichtung 
erhält; 


qui par-tout ailleurs brille par sa 
jeunesse, paroit ici dans sa décré— 
pitude; la terre surchargee par le 
poids, surmontee par les debris 
de ses productions, n’offre au lieu 
d’une verdure florissante, qu’un 
espace encombre, traverse de vieux 
arbres charges de plantes parasites, 
de lichens, d’agarics, fruits impurs 
de la corruption: dans toutes les 
parties basses, des eaux mortes et 
eroupissantes faute d’etre con- 
duites et dirigees. 


Und fo fort über zwei Dftavfeiten in wörtlicher Uebereinftimmung. 
Der Schluß der entlehnten Stelle lautet: 


Diefe Zeiten, wo der Menich | 


fein Cigentum verliert, die Jahr— 
hunderte der Barbarei, da alles zu 
Grunde geht, werden immer durch 
Kriege vorbereitet und bringen in 
ihrem Gefolge Hungersnot und Ent- 
völferung. Der Mensch, der nichts 
vermag, als durch feine Anzahl, der 
ohne Vereinigung mit andern feine 
Stärfe befist, und nur duch den 
Frieden glüclich lebt, — der Menjch 
iſt unfinnig genug, zu feinem Unglüd 
die Waffen zu ergreifen, ſich jeinen 
Untergang zu erfämpfen. Gereizt von 
unerfättlicher Begierde, und geblendet 
von dem noch unerjättlicheren Ehr— 
geiz, entjagt er den Empfindungen der 
Menschheit, gebraucht alle jeine Kräfte 
gegen Sich ſelbſt, ſucht ſich gegenseitig zu 
zerſtören, und zerſtört fich in der That. 
Wenn nun die Tage des Mordens 
und Blutvergießens vorüber find, und 
der Dunst von Ehre zerflattert ift, 
fo fteht er mit traurigen Bliden die 
Erde vermwititet, die Künſte begraben, 
die Völker geſchwächt und zerftreuet, 
fein eignes Glüd zu Grunde gerichtet 
und feine wirkliche Macht zeritört. 





Ces temps oü l’'homme perd 
son domaine, ces sieeles de barbarie 
pendant lesquels tout p£rit, sont 
toujours prepares par la guerre, et 
arrivent avec la disette et la de- 
population. L’homme qui ne peut 
que par le nombre, qui n’est fort que 
par sa reunion, qui n’est heureux 
que par la paix, a la fureur de 
sarmer pour son malheur et de 
combattre pour sa ruine: exeite 
par linsatiable avidite, aveugl& par 
l’ambition encore plus insatiable, 
il renonce aux sentimens d’hu- 
manite, tourne toutes ses forces 
contre lui-m&me, cherche & s’entre- 
detruire, se detruit en effet; et 
apres ces jours de sang et de 
carnage, lorsque la fumée de la 
gloire s’est dissipee, il voit d’un 
oil triste la terre devastee, les arts 
ensevelis, les nations dispersees, 
les peuples affoiblis, son propre 
bonheur ruin& et sa puissanee reelle 
aneantie. 


Forfter G., Ausgewählte Kleine Schriftert. 173 


Forster hat bekanntlich eine Zeit lang an der von Martin unvollendet 
gelaffenen Ueberſetzung von Buffons Naturgefchichte gearbeitet, doch 
brachte er nur (im Sabre 1780) den 6. Band auf den Büchermarft, die 
folgenden lieferte B. Eh. Dtto (Siehe Strieder, Grundrig einer heiftichen 
Selehrtengefchichte 4, 150).!) Jedenfalls lag ihm 1781 die Beichäftigung 
mit Buffon fehr nahe. 

Auch Später hat fich übrigens Forster von der pathetifchen Dar- 
ftellungsweife Buffons nicht völlig emancipiert, fobald er Scenen des 
Naturlebens jchilderte. Doch mag Sich der Einfluß von Bernavdin de 
&t. Pierre hinzugefellt haben: diefer iſt wärmer, weicher, fentimentaler al3 
Buffon, er hat ja auch auf den Stil des jungen Alerander von Humboldt 
eingewirft. In Schilderungen Forſters, wie die von St. Jago oder der 
Kofospalme (Schriften 5, 250 „Nemintiscenzen“) finden fich manche Anflänge 
an die Schreibart des Verfaffers von Paul et Virginie, die idylliſche Scene 
auf Dtahaiti aber, betitelt „Gaſtfreundſchaft“, ift ganz und gar Bernardin 
de St. Pierre (die „Schöne Imirva!”).?) 

Wir heben aus dem übrigen Inhalt der Leitzmannſchen Ausgabe 
nur noch die beiden letten Stücke hervor; fie find fehr lehrreich für die 
Beziehungen Forfters zu Schiller.) Der Aufſatz „Die unit und das 
Beitalter” ift im 9. Band von Schillers Thalia (1789) erjchtenen. Es iſt 
ung auch ein Urteil Schillers über denfelben erhalten, an das Leitzmann 
erinnert (Schiller an Huber 13. Januar 1790). Der Gedanfengang darın 
it etwa folgender: Die ſchönſte Blüte des Lebens iſt die Kunſt, ber den 
alten Griechen hat fie ſich am herrlichiten entfaltet. Unermeßlich iſt der 
Abſtand zwiſchen antiker und moderner Kunst. Hiefür hat man längit nach 
Erklärungen gefucht, glaubte jie in den klimatiſchen VBerhältniffen unferer 
Kulturländer gefunden, in jener finitern Schwärmerei, die „aus Furcht vor 
dem Mißbrauch fich von allen Naturbeitimmungen losfagen und aus 
Menschen finn= und jeelenlofe Mafchinen ſchaffen möchte” (2?) und endlich 
in dem weltlichen Defpotismus der neueren Zeiten. Er jelbit findet den 
bornehmften Grund wo anders. „Der Menſch ift höchſter Gegenstand der 
jchönheitbildenden Kunst; eben im Griechenland erſchien aber der Menſch 
in der vollendetiten Geſtalt. Ferner war die Kunſt dort etwas Urſprüng— 
liches, nicht aus dem Verſtande, fondern einem Naturtrieb Hervorgehendeg, 
dem Künstler offenbarte fich die Yebensfraft dev Schöpfung. Aus der Kunſt 

1) In dem von Forfter itberfegten 6. Band Buffons, der die Naubtiere vom Tiger big 
Be beine enthält, findet ſich obige Stelle nicht; ſie wäre da auch nicht am Platze geweſen, wie 
ie ſich ja in der franzöſiſchen Originalausgabe auch erſt im 12. Band findet. 

2) „Paul et Virginie* ſerſchien allerdings erſt 1787 und die Reminiscenzen ſcheinen mir 
älteren Datums, aber Yorfter fannte ohne Zweifel auch die älteren Schriften St. Pierres, Die 
„Voyage aux isles de France et de Bourbon* (1772 erjcjienen, deutjche Neberjegung von 
9. 4. S. Reichard 1773) und die „Etudes de la nature“, die in den erjten Achtziger Jahren 
herausfamen. [Die Reminiscenzen find nad) Yeigmanns Mitteilung während dev Weltreife 1772—75 
oder jehr furze Zeit darauf gejchrieben]. 


i 3) Ueber die außeren Beziehungen der beiden hat befanntlic, Yeigmann ſelbſt im Archiv 
flv nenere Sprachen 88, 140 gehandelt. 


174 Forſter G., Ausgewählte kleine Schriften. 


aber entwicelte ſich die Wiffenfchaft, indem man über jene nachzudenken 
begann. Je weiter num die Menfchen in der begrifflichen Erkenntnis fort 
Schritten, deito mehr mußten fie an äfthetifcher Empfänglichfeit verlieren. 
Die neuere Kunſt hat vor allem den großen Nachteil, daß ihr die Wiffen- 
ichaft überall zuvor geeilt war; die Künſtler follten von der Theorie lernen. 
In zweiter Linie läßt Forſter allerdings auch jene Gründe gelten, die — wie 
er jagt — bereitS andere für die Decadenz der ſchönſten Künſte bei den 
neueren Nationen gegeben haben: rauhes Klima, Staatsverfaffung, Religion. 
Die letzte wirkte bejonders in den mittleren Zeiten: „Im Schönften und 
Beiten alles Sichtbaren, in der menschlichen Form, deren erhabenite Reize 
die griechische Kunſt den Göttern verlieh, in idealiſchen Berhältniffen, die 
den Glauben an mehr als menschliche Bollfommenbheiten verfiegelten, ſah 
und empfand man den gegenwärtigen Gott; in den unentwidelten Gliedern 
des Säugling, in der Dual des gefolterten Dulders bleibt die Daritellung 
des Göttlichen ein unauflösbares Problem.“ Jetzt allerdings habe der 
Vernunftbegriff die finnlichen Symbole verdrängt, damit ift aber auch die 
„meugeborene Kunft“ in die Sphäre der Dienftbarfeit hinabgeitoßen worden. 
Dennoch ftreben viele den steilen Pfad zum Künſtlerruhm hinan. Ihnen 
bleibt fein anderer Weg als durch das Thor der Wiffenfchaft. „Nach 
taujend erlernten Negeln wählen fte ihren Gegenftand, ordnen Stellungen 
und Figuren, charafterifieren die Affeften, und oft gelingt es ihnen, durch 
treue Nachahmung der Natur eine Täuſchung zu bewirken, die dem grumd- 
gelehrten Kenner einen falten Lobſpruch abgewinnt.”“ Aber „die Balme der 
Simplieität“, die der Grieche errang, bleibt den Modernen verfagt: „Die 
jchönen Stunden des unbefangenen Genuſſes find auf ewig entflohen.“ 

In diefen Ausführungen wird man jofort an Schiller erinnert: Kein 
Gedanke darin, der nicht in den „Göttern Griechenlands“ und in den 
„Künſtlern“ jchon ausgefprochen worden wäre. Jene erjchtenen im März 
beit 1788 des Wielandichen Merkur, diefe im Märzheft 1789; jene haben 
Forſter fehon 1788 zu einem Sendichreiben an Stolberg veranlaft, dieſe 
find ihm wohl ohne Zweifel auch bereits befannt geweſen, als ex feinen 
Aufſatz ſchrieb. 

Oder vielleicht doch nicht? Der Gedanke, der den Hauptabſchnitt der 
Forſterſchen Ausführung beſeelt: Die Kunſt hat dem Menſchen die Wiſſen— 
ſchaft gegeben, dieſe iſt aus jener hervorgegangen, findet ſich in den Göttern 
Griechenlands noch nicht, in den Künſtlern wird er in den mannigfachiten 
Wendungen variiert: „Nur durch das Miorgenthor des Schönen drangſt Du 
in der Erkenntnis Land“ und „Lang eh’ die Werfen ihren Ausſpruch wagen, 
(öft eine Ilias des Schickſals Rätſelfragen der jugendlichen Borwelt auf“ ꝛc. 
Aber die Schlußwendung der „Künſtler“ fehlt ebenfo wie die unbefchränfte 
Anerkennung des inneren Wertes moderner Kultur, die in dem Eingang 
des Schillerfchen Gedichtes liegt. Weder das „Wie ſchön, o Menjch, mit 


Fürft R., Auguſt Gottlieb Meißner. 175 


Deinem Palmenzweige, ftebit Du an das Jahrhunderts Neige“ bat eine 
Analogie in dem Foriterichen Aufſatz noch die berühmte Strophe: „Wenn 
auf des Denfers freigegebnen Bahnen“ ꝛc. und das: „Mit euch, des Frühlings 
eriter Pflanze, begann die jeelenbildende Natur, mit euch, dem freudigen 
Erntekranze ſchließt die vollendende Natur.“ Schiller eröffnet eine Perſpektive, 
die Forſtern noch verſchloſſen tit, ex ſieht ein zweites höheres Blütenalter 
des Lebens in der Zukunft, wenn „die Wiſſenſchaft, der Schönheit zugereifet, 
zum Kunſtwerk wird geadelt jein“, Forſter entläßt uns mit einer entſagungs— 
vollen Neflerion. Deshalb ſpendete denn auch Schiller dem Aufſatz nur 
bedingtes Lob, er jah darin eine Geringſchätzung der modernen Kunft, der 
modernen Zeiten. „Mit Forſtern hätt ich beinahe Luft, eine Lanze zu 
brechen und die unterdrückte Partei der neuen Kunſt gegen ihn zu nehmen“, 
heißt es in jenem Brief an Huber .. . . „sch muß im Ernite geitehen, daß 
ich nicht ganz feiner Meinung bin, und ich finde ihn an manchen Orten 
durch Herderiſche Ideen zur ſehr bingeriffen.“ Man erinnert fih, daß in 
Herders „Ideen“ gleichfall3 das hellfte Licht auf die Zeiten des Hafftschen 
Sriechentumes gefallen war, alles Nachfolgende dagegen im Schatten lag. 

Dagegen jceheint mir der Aufſatz „Ueber lokale und allgemeine 
Bıldung“ (zuevit im Neuen Deutſchen Muſeum IV, Juni 1791, erſchienen) 
unter dem Einfluß der optimtitischen Wendung, die Schillers Anſicht von 
dent Entwidlungsgang der menschlichen Sırltur im Laufe des Jahres 1789 
genommen hat, zu jtehen. Arch den Gedanken Schillers, daß einer voll- 
fommen vernunftmäßigen Ausbildung der menschlichen Geſellſchaft eine 
vollfommene äfthetiiche Bildung vorausgehen müſſe, hat Forſter hier auf- 
genommen und zwar mit ausdrüdlichem Hinweis auf den Dichter. Aber 
benrerfenswert tft, dag Schiller ſowohl die Idee eines fteten Fortſchritts des 
Menſchengeſchlechts, als auch die von der notwendigen Priorität äſthetiſcher 
Bildung vor politifcher Umgeitaltung in ausführlicher profatscher Daritellung 
erſt viel jpäter entwicelt hat, als es Forfter bier thut. 

Wien. Eugen Öuglta. 


Fürſt R. August Gottlieb Meißner. Eine Darftellung feines Lebens und 
jeiner Schriften mit Quellenunterfuchungen. Stuttgart, ©. J. 
Göſchenſche Verlagshandluna 1894. 

Eine fait zu freigebige Behandlung einer verichollenen Größe! Doc 
ift bei allem Fleiße, den der Verfaffer auf feinen Gegenitand verwendet, 
das Auguſt Sauer gewidmete Buch nicht darauf angelegt, Meiner als einen 
unverdient Vergeſſenen übermäßig zu erheben, im Gegenteil det es die 
mannigfachen Flecken in feinem Bilde unbarmberzig auf. In fieben Ab 
ſchnitten (Biographie, Nomane und Biographien, Kleine Brofaerzählungen, 
Dramratifches, Fabeln, Gedichte, Sprache) berichtigt Fürst mancherlei irrige 
Angaben, die bisher über Meiſſner gemacht wurden, ganz beionders ſolche 


176 Fürft R., Auguſt Gottfried Meißner. 


der „Nofofobilder”. Als neue Quellen hat fich Fürft außer den Kolleftaneen 
Meißners mit großem Eifer namentlih eine Anzahl Briefe Meißners zus 
gänglich gemacht. Unter diefen befinden fich auch 8 in den Jahren 1779—81 
an Dora Stod gerichtete, aus denen ein bisher völlig unbefanntes Liebes— 
verhältnis zwischen ihr und Meißner hervorgeht. Gern möchte man willen, 
wohin die „herrlichen“ Briefe Doras (©. 16) gerieten, in die Meißner nur 
feinem intimjten Freund Einblik gewährte. Urlichs: Charlotte v. Schiller 
und ihre Freunde 3, 1—31 bringt nur Briefe vom Fahre 1792 an, und 
das biefige Körner-Muſeum beſitzt trot der liebevollen Bemühungen feines 
Begründers und Direktors, Herrn HofratS Dr. Peſchel, nur einige wenige 
Briefe von der Hand der fo fehreibluftigen Dora. 

Die große Verehrung, die Meiner jelbit für feinen Landsmann 
Leifing begte, mag Fürft veranlaßt haben, von der ſtarken Einwirkung 
Leilingicher Tendenz und Manier auf Meißner zu fprechen (©. 98). 
Natürlich Stellt er ihn durchaus nicht neben Leſſing, meint aber doch, die 
Liebe zu ihm habe Meifnern endlich den rechten Weg gewiefen. Seine 
Darftellung zeigt aber, daß auf Meißner fo ziemlich alles wirkte, was es 
zu feiner Zeit an literarischer Größe gab, am meisten Wieland und Gottſched, 
fo fehr er auch gegen beide eiferte.) Was Leſſing bedeutet, nämlich den 
Durchbruch zu einer ausgefprochenen Eigenart und Urfprünglichkeit, hat 
Meißner überhaupt nicht in fich erlebt, er war nie etwas Anderes als 
Efleftifer, den, zumal in fpäteren Jahren, faum etwas anderes regierte als 
der „Nuten“. 

Wenn die Wahl des Stoffes zur „Familie Frink“ den jungen Meißner 
„im tollen Jahre 1779” als Stürmer und Dränger ericheinen läßt, jo hat 
im übrigen diefer Noman nicht viel mit dev Art der Kraftgenies gemein, 
und in der lüfternen, finnlichen Darftellung des Gefchlechtlichen zeigt er fich 
Schlimmer denn Wieland, den er 1778 fir einen ganz unfittlichen Autor 
erklärte. In Einzelheiten zeigt diefes Werk auch die Einwirkung der Emilia 
Galotti, und Einzelheiten find es auch nur, in denen Meiner in jeinen 
übrigen Werfen mit Leffing übereinjtimmt. (©. 146, 211). 

Zu dem „echt Leffingichen Bilde“, das Fürſt ©. 31 in einer Strophe 
Meißners (1783) findet, will ich noch die folgende Stelle aus „Scilla und 
Minos“ (1784, Skizzen 6°, 326) fügen: „Und böte Jupiter mir in feiner 
rechten Hand eine lange glücliche Herrſchaft, Jugendkraft im greifen Alter, 
Erneuerung jeder Wonne des Lebens an, befchränfte aber alle diefe Güter 
durch eine notwendige Freundfchaft mit Minos; legt er in feine Linke 
dagegen Nach’ und Tod für den nächiten Augenblid: bei den Unfterblichen, 
ich verfehmähte jene Rechte, ich erfaufte diefe Rache gern durch meinen Tod.“ 





1) Auch Gottſched erneuerte ältere deutfche Dichtwerfe (zu S. 303). Meißner verfuhr 
dabei troß aller Verficherungen von Genauigkeit recht unphilologifc, wie z. B. ein Vergleich) des 
von ihm im Deutjchen Muſeum 1778 (Fürft ©. 303) abgedruckten Gedichte mit dem in Dresden 
befindlichen Original zeigt. 


Fürft R., Auguft Gottlieb Meißner. 177 


Ferner finde ich eine Nehnlichfeit zwifchen Philotas und Kiaſas 
11jährigem Sohn, der in Mleranders Gefangenfchaft geraten ift, aber weder 
jelbit darum zagt, noch von feiner Mutter Gramı die Freiheit erwartet. 
Abgeiehen von folchen Achnlichkeiten zeigt fich wirklicher Einfluß Leſſings 
nur in Meißners Yabeln. In der Pflege der äſopiſchen Fabel fuchte er 
den Vorſchriften Leſſings gerecht zur werden, wie die von Fürſt eingehend 
nachgewiejenen Veränderungen angeben, die Meiner an feinen Quellen 
vornahm. Dhne erjichtlichen Grund freilich iſt er auf Gellert fchlecht zu 
iprechen (©. 94). Dabet zeigt aber das Geſpräch „Ueber das Sprechen 
toter Sprachen“ einen merkwürdigen Anklang an das befannte von Friedrich 
dem Großen mut Sellert geführte. — Bezüglich der nach Sadı gearbeiteten 
Stücke, als deren Quelle Fürſt die Ueberfegung des Dlearius vom Jahre 
1654 vermutet, wäre noch zu unterjuchen, wie ſich Meiner zu J. ©. 
Schummels: Schah Sadis perjisches Nofenthal nebit Loemans Fabeln, 
Wittenberg 1775, verhält. Fürſt erwähnt diefe mir leider nicht zugängliche 
Bearbeitung nicht. — Was Harsdörffer betrifft (©. 258), To kannte Meißner 
auch deſſen Geiprechipiele und beutete fie aus, 3. B. Skizzen 4°, 294. 
Manche der Anwendungen, die Meipner jelbit feinen Fabeln mitgibt, find 
fehr geiucht, 3. B. wenn er „die geitürzte Eiche” auf den Nachlaf und 
Nachhall eines Leſſing gegenüber dem eines Sfriblers deutet, oder wenn 
er mit „Zaunfönig und Adler“ die Lejer des Meſſias treffen will und am 
Schluſſe der Fabel „Die Nachtigall” ruft: „Nachahmer Werthers, ſeid ihr 
Goethe?“ Wo bleibt da der allgemeine Charakter der Fabel? Freilich 
bietet auch für diefe Art von Fabeldeutung ſchon Leſſing einige Betipiele, 
dem er eben auf diefem Gebiete in allen Stüden folat. 

Im übrigen gilt Meißner von jeher als ein Nachahmer Wielands. 
Aber auch mit ihm bat er nur äußerliche Aehnlichkeiten S. 148 f.) Unum— 
wunden jtellt Fürſt die ganze untergeordnete Art Meißners vor Augen, wenn 
er den Dicher Wieland dem Kompilator Meißner gegenüberjest. Meißners 
Lebensthätigfeit bejtand darin, von allen Seiten her Stoffe zufammenzu- 
tragen und jeinen Leſern mundgerecht zu machen. Auch Hierin Liegt ein 
Verdienit, und man wirde es bereitwillig anerkennen, wenn Meißner ſich 
nicht ein viel größeres angemaßt und ein Streben zur Schau getragen hätte, 
dem jeine Befähtgung die Krönung verjagte. Zum Dichter machte ihn nicht 
einmal die Liebe — feine Liebeslyrik bewegt ſich durchaus in den überlieferten 
Geleiſen (©. 287 F.). Recht bezeichnend fir den Salonmenſchen Meißner 
iſt es, day er mit jenem „Trinklied“ das alte Gaudeamus verfeinern will 
(über letzteres vgl. Seufferts Vierteljahrſchrift 1,248 ff. Deutſche Literatur 
zeitung 1892, Nr. 15, Sp. 512 FF). — Was die dramatischen Jugendarbeiten 
Meißners anlangt, fo it ſein jelbjtändiges Werk Johann von Schwaben 
etwas kurz behandelt, namentlich werden die Nachwirkungen auf Schiller 

(I. Roethe in den Forſchungen zur deutjchen Philologie, Feitgabe für Hilde- 
Euphorion II. 12 


178 Fürft R., Auguft Gottlieb Meißner. 


brand ©. 276 f., 231), Dörne, d. i. Zernede (f. Goedefe, Grundriß $ 324, 
TIT) und Neumeifter (Gersdorfs Nepertorium 29, 88 F.) nicht berührt. 
Bezüglich der Sophonisbe iſt noch auf M. Hochs Zufäße zu Feits Pro- 
gramm in der Zeitjcehrift für vergleichende Yiteraturgefchichte 1887—88 (Nene 
Folge Bd. 1) ©. 471 ff. zu verweilen. Außerdem vgl. zu Lohenſtein Willner: 
Lohenitein als Dramatiker, Dirſchau 1888; zu Fr. Nöber die Blätter für 
literarische Unterhaltung 1884, ©. 615 und die Voſſiſche Zeitung 1884, 
Wr. 323, Beilage 1. Zu den Dperetten Meißners wäre auf die betreffenden 
Zuwlammenftellungen in Niemanns Dpernbhandbuch hinzuweiſen. 

Seine eigentliche Berühmtheit erlangte Meißner auf dem Gebiete 
der Heinen Brofaerzählung, welche Voltaire und Marmontel angebaut hatten. 
Wenn ſie in Deutfchland auch nicht, wie Fürſt meint, ſeit 1775 Engel ein- 
geführt bat, jo mag diejer doch beitimmend für Meißner geworden fein; 
der „Philoſoph für die Welt“ lieg ihn faum 2 Jahre ruhen. Schon 1770 
war ın Breslau eine „Auswahl fleiner Nomane und Erzählungen” erfchienen, 
welche die beten in den einzelnen Zeitfchriften enthaltenen deutschen Novellen 
vereinigte. Ja Ueberjegungen kleiner Romane aus dem Franzöſiſchen hatte 
ſchon 1755 ob. Fr. Gellius veröffentlicht, ebenderjelbe 1760 Briefe, Geſpräche, 
Gefchichten und Fabeln aus dem Englifchen; von ihm wurden auch Arnauds 
Erzählungen (Fürſt ©. 188 ff. 196 ff.) übertragen, vgl. Goedefe 8 224, 31, 
was Übrigens auch nach Meiner noch geſchah, fo von ſeiten Murſinnas 
1792, ſ. Goedeke 8 279, 14. Der im Jahre 1740 zu Schönberg in der 
Dberlaufis geborene Gottfried Rudolph Wiedmer, Acciſe-Sekretär zu 
Breslau, veröffentlichte 1768 den „Angenehmen Zeitvertreib beim Kaffee in 
moraliichen und witigen Grzählungen aus dem Franzöſiſchen“, ferner 
„Angenehme morgenländiiche Erzählungen fceherzhafter und tragiſcher Be— 
gebenheiten aus dem Franzöſiſchen“, und „Beluftigungen für das ſchöne 
Geſchlecht in moralischen Erzählungen“, 1776 aber „Kleine Leftüren.“ 
Fürſt gibt einen Weberblie über. diefe Gattung und ihre Hauptvertreter, 
wie er überhaupt jeden Abſchnitt mit einer allgemeinen Einleitung eröffnet. 
Mit Unrecht Freilich zieht er Bert Webers (Leonhard Wächters) Sagen der 
Borzeit (nicht Sagen und Märchen der Vorzeit) in diefen Kreis. Die zwei 
eriten Bände diefer Sagen enthalten auf zufammen. 900 Seiten jechs 
Erzählungen, die jpäteren Bände von je über 600 Seiten je eine (vgl. meine 
Daritellung der „Ritter und Räuberromane“ Halle, Niemeyer, 1894 ©. 27.) 
Auch tragen fie nicht den Charakter der Skizzen u. ſ. w. an ſich. Zwiſchen 
„Skizzen“ und „Erzählungen und Dialogen“ macht Fürft mit Necht feinen 
Unterichted. Danfenswert iſt die überfichtlihe Zufammenftellung aller 
diefer Stüde nach Zeit und Drt des Erfcheinens. Sie legt den Wunjch 
nach einer ähnlichen Ueberficht über Meißners Schriften überhaupt nahe. 
Außerdem gruppiert Fürſt die Erzählungen forgfältig dem Stoffe nach 
und geht, wie überhaupt bei allen Erzeugniſſen Meißners auf ihre 





Fürft R., Auguſt Gottlieb Meißner. 179 


Quellen ein. In diefen Quellenunterſuchungen liegt geradezu der Haupt- 
wert des Buches. 


Dabei jtellt fich denn freilich heraus, das Meißner fo gut wie nichts 
jelbjtändig erzeugt hat, und Meißners eigenen Quellenangaben ſchenkt Fürſt 
nur bedingtes Vertrauen (©. 199, 205, 341 Anmerkung 14, vgl. 12). Mitunter 
it er da allzu mißtrauifch. Für die befannteite Erzählung Meißners 
„Deutihes Schauspiel zu Venedig“ mag wohl mündliche Weberlieferung 
Duelle fein. Gegen eine Erneuerung Friſchlins (©. 202) fprechen außer 
dem unverfänglichen Eindruck der Nachſchrift Meißners die Abweichungen 
und Einzelheiten wie die Einfleidung, die er dem Stücke gab, überhaupt 
die ganze Daritellungsweife. Zuzugeben ift allerdings, daß Meißner, wo er 
von feinen Quellen jpricht, manchmal vecht Jonderbare Zufälle aufdedt, fo 
Sfizzen 17854, Band 4, Vorrede. 


Sn der Vermittlung der Quellen aber liegt der Hauptwert von 
Meigners Schriftitellerei. Die verhältnismäßige Leichtigkeit feiner Erzählungs- 
weile fann die große Beliebtheit jeiner Skizzen zum Teil erflären. Sicherlich 
war aber, was Fürſt micht genug bervorhebt, daber ſehr wirkſam die Wahl 
der Stoffe. Sie feſſeln meist Schon an fih. ES find merfwürdige, zu 
mannigfachen Betrachtungen anregende Vorkommniſſe aus der Geschichte 
oder dem gewöhnlichen Yeben. Mehr als einmal behandelt ev „die fonder- 
bare Verkettung menschlicher Schietfale, und wie jo oft Glück in Unglück, 
Unglüd in Glück fich verwandeln kann“ (Stodichilling). Auch verfucht er 
fich nicht nur „je zuweilen“ an Baradoren (Vorwort zu den Erzählungen 
und Dialogen II). Das Gegenteil hiervon fprechen ſchon viele Ueberfchriften 
jeinev Erzählungen aus, ın denen das Wort fonderbar vorfommt oder ein 
onderbarer Gedanke ausgedrüct iſt. Viele Erzählungen bezweden den 
Erweis auffälliger Behauptungen, fo 3. B. die Einkleidung der Erzählung 
„Der Stodichilling“, der Brief der Lais (Skizzen 4°, 301) und namentlich 
die Kriminalgeſchichten, in denen er zeigen will, „wie fehnell, wie unmerflich 
zugleich oft diejenige That in Fehler und Lafter übergeht, die als Tugend 
oder wenigitens als fchuldlofe Empfindung begann“ (Skizzen 13,5; val. 1, 
130 u. ö.); in den letten Geſtändniſſen verimteilter Verbrecher erfennt er 
jeit 1778 danfbare Motive fiir den Pfychologen (val. hierüber auch E. Kraus 
in der Bohemia vom 22. September 1889 Nr. 262 Beilage; Fürft ©. 186). 

Solche Dinge reizten ja auch die Kunſt der Dramatiker: iſt es doch 
tragisch, wenn eine edle Natur im Vollgefühle ihres Nechtes eine wirkliche 
Schuld auf fich lädt. Auf diefer Linie treffen wir auf die Verbrecher aus 
verlorener Ehre u. j. w. Ganz befonders fühlte ſich die Phantaſie eines 
Ehr. 9. Spieß zur Behandlung folcher und ähnlicher Gedanken veranlaft, 
fiehe mein oben angeführtes Buch ©. 55. Wenn fi) Meißner gegen einen 
Vergleich feiner Kriminalgeſchichten mit den faſt immer fabelhaften Geschichten 

12* 


* 


180 Fürſt R., Auguft Gottlieb Meißner. 


von Lips Tulltan u. ſ. w. mit Necht wehrt, fo ftehen feine Erzählungen 
bod über den mit Gräßlichkeiten angefüllten Spießens, mit dem ihn übrigens 
nicht nur Berlagsinterefien (Fürſt ©. 58, 62) verbanden, fondern auch eine 
bis zum Tode reichende Freundſchaft. Daß aber die Beifpiele zu dem 
Aufſatz iiber Träume und Viſionen, der in der Tabelle ©. 165 fehlt und 
außer in Meißners Werfen 11, 294 auch mit einem Nachtrag Spießens in 
deiien Kleinen Erzählungen und Gefchichten, ‘Prag 1804, 3, 159 ff. wieder 
abgedrudt iſt, in dasſelbe Gebiet gehören wie Spießens Selbitmörder- 
biographien, iſt nicht vichtig; dieſe gehören nicht zu der Gattung, die ſchon 
Cicero mit feiner Schrift de divinatione anbahnte. Wenn Meißner in 
der Gattung, deren Urheber er ift, wie in vielen anderen Erzählungen nicht 
zurückſchreckte vor ſittlich recht verfänglichen Stoffen und Auftritten, die er 
gewöhnlih bis hart an die Grenze des Anftändigen führt, um dann abzu- 
brechen etwa mit den Worten: „Hier wird Forterzählen Schwer und jchlüpfrig“ 
— ſo wußte er wohl, warum er dies that, und er hätte nicht nötig gehabt, 
den Neigungen feiner Lefer auch noch auf dem eigentlichen Gebiete feines 
Freundes Spieß entgegen zu fommen, dem des Wunderbaren. Trotz feiner 
fonjtigen Aufklärung iteht ev unter dem Eindrucde merfwirdiger Träume 
und Viſionen (Duartalichrift 5, 120), und er fpendet Spießens Traum- 
geſchichten Beifall, ja berichtet jelbit über einen „Bejuch nach dem Tode“, 
ohne ihm vationaliitiich zu Leibe zu geben, wie es ein Vierteljahrhundert 
jpäter der Schrift Karl Wötzels: „Meiner Gattin wirkliche Erſcheinung 
nach ihrem Tode“ von einer ganzen Reihe von Schriftitellern geichah, 
vgl. Neue Allgemeine Deutſche Bibliothef 95, 237; 103, 113—128; Stein- 
becks Deutſcher Patriot 1805, 2, 168 ff.; Wielands Werfe (Hempel) 32, 
425 ff. Ja Selbit ein Vertreter der Näuber- und Schauerromantif, der 
Erfurter Privatdocent Ferd. Kaj. Arnold erklärte die wunderbaren Vorgänge 
jeiner Erzählung: „Amalie Balbi. Eine wunderbare Bifton, die ich felbit 
gehabt habe“ nach den Gefegen der Piychologie. 

Der meist pannende Inhalt der Skizzen verhalf diefer Gattung zu 
beionderer Aufnahme, und Meißner fand eine große Menge Nachahmer, 
deren Fürſt nur wenige anführt. Viele knüpfen ſchon mit ihren Titeln an 
Meißner an; jo befonders deutlich die „Nachgeahmten Meißnerſchen Skizzen“, 
von N. S. C. E. J. A. 1. Bändchen. Frankfurt und Leipzig 1796, 378 ©. 
Der Mecenfent in der Neuen Allgemeinen Deutjchen Bibliothef 30, 502 
wünſcht dem Berfaifer „eine genauere Befanntichaft mit befjeren Schrift- 
jtellern als fein Vorbild Herr Meißner ift.“ In den Bahnen Meißner 
bewegt ſich mit vielen feiner Werfe Aloys Wilhelm Schreiber, j. Goedefe 
Grundriß 8 262, 5, 19. Bol. ebenda Bulpius 8 279, 11, 15; Dura) 
s 279, 24, 1; Schumann $ 279, 43, 4 und 43a. Sophie La Noche $ 224, 
38, 5, 11, 12; Fülleborn $ 224, 107; Lafontaine $ 277, 21; v. Wallenvodt 
$ 277, 16, 2,17; N. v. Goldftein $ 295, III, 1,...4. Herner führe ich noch 


Fürft R., Auguft Gottlieb Meißner. 181 


an: Skizzen aus der Feen- und Geifterwelt. Leipzig 1791. Skizzen und 
Scenen für Nomanschreiber und Schaufpieldichter. Altenburg 1791. Schluß 
der Vorrede: „Mein löblicher Zweck war alfo, der größten Not eines Finger- 
dichters, der Erfindung des Plans und der Verwicklung abzuhelfen.” — 
Natürliche Dinge in einer Sammlung von Erzählungen, Sfizzen und Dia- 
flogen. Nichts mehr und nichts weniger als Noman. Leipzig 1793. Der u. a, 
darin enthaltenen Erzählung mit dem echt Meißnerſchen Titel: „Unmöglich 
und doch möglich“ Liegt das Schaufpiel 2. dv. Hubers: Die offene Fehde 
(Mannheim 1788) zu Grunde. — Sfizzen, Erzählungen und Schwänfe, 
Berlin 1813, von Christoph Wilhelm Meißner, der auch Scenen aus der 
wirklichen Welt, Berlin 1811, erfcheinen ließ. — Romantische Erzählungen 
und Skizzen. Wahrheit und Dichtung. St. Gallen 1790—93. II. Verfaſſer: 
Foh. Melchior Armbrufter. — Romantiſche Skizzen. Altona und Peipzig 
1797 und 1808. — Romantische Gemälde und Scenen der Vorwelt. Franf- 
furt 1794. — Kleine vomantifche Gemälde. Weifenfel3 und Leipzig 1795 
und 1811. Romantische Gemälde von K. A. Buchhols. Berlin 1804. Der- 
felbe Karl Aug. Buchholt (1785—1843) berührt fich auch in feinen „hiſtoriſch— 
romantischen Skizzen aus Nom und Griechenland“, Berlin 1804, mit Meißner. 
Auch G. Ehriftoph Kellner ging nad Meißners Vorbild ins Altertum zurück 
mit den Goedeke 8 224, 108, 5—7 genannten Schriften. Andere Titel 
wie Bagatellen romantischen Inhalts, Wien 1797, laſſen Anfchluß an 
Anton Wall vermuten. Auch ohne äußerlich die Nachfolge Meifiners zu 
fennzeichnen, gehören doch zu der von ihm hauptfächlich vertretenen Gattung: 
NRofamundens Feierſtunden. In Erzählungen, Heinen Nomanen und 
Gedichten. Bupdiffin und Leipzig 1798. Widmung: Roſamunden zur 
Erinnerung an ihren Fremd K. 8.) Inhalt: 1. Der blinde Bettler. 
Novelle nach dem Franzöfifchen. 2. Der Erfat. Gegenftüd zu 1. 3. Maria 
Prögen oder die Geschichte meines ehelichen Lebens. 8. Ausfchweifungen der 
Eiferfucht. Buchitäblich wahr. 10. Fldefonfe und Papillon, nach dem Zauber— 
voman des Grafen Caylus. Die übrigen Nummern find „Kleine Beiträge zur 
Yebensweisheit“, beftehend in Gedichten u. |. w. darunter ©. 145: Die Kindes- 
mörderin. — Novellen zur angenehmen Unterhaltung. Weißenfels 1797. 
304 ©. 7 meist mit P—n unterzeichnete Erzählungen: Don Alonſo und 
Elvira (Entführungsgefchichte). Die drey ſchweren Mächte. Der Deferteur. 
Wipprecht mühte nicht Wipprecht ſeyn. Veit und Barbara. Nach dem 
8. Buch des Ovid. (Bol. Meißners: Scilla und Minos). Rudolph der 
Yette, Graf von der Wart. — Seine Gefchichten und Nomane oder 
Liebenswürdige Scenen des häuslichen und bürgerlichen Lebens, als Mittel 
zur Vertreibung der Hausſcheue und der bürgerlichen Unzufriedenheit. Aus 
den Archive unferer Tage und der Vorzeit. Erfurt 1798—1802. 4 Bände. 
Inhalt I: Julie und Louis. Cmigrantengefchichte. — Nicolaus Roubioni. 
Gefchichte eines Böfewichts, eines Jefuitenlaienbruders, der eine Zeit lang 


182 Fürft R., Auguft Gottlieb Meißner. 


die Schredensrolle eines Königs von Paraguay ſpielt. — Franziska de 
Leveillard; eine durch Unterichlagungen von Briefen zur zweiten Vermählung 
verleitete Frau läßt Sich begraben, um dadurch zu entfommen. Primroſe, 
Nittergefchiehte aus dem Franzöſiſchen GParis 1797). — IH: Oberförſter 
May. Sechs Kapitel nach den ſechs aufgegebenen Worten Grab, Glüd, 
Freund, Feind, edle That, Feuer. — Marianne oder der Schat im Raben— 
jtein. Ein Scharfrichter läßt nach einer Sinrichtung feine Handſchuhe am 
Rabeniteine liegen; die Tochter des Wirts holt fie und findet einen Mantel— 
ſack mit Koſtbarkeiten. — Ferdinand und Amalie. Auch der größte Wüſtling 
fann zur Vernunft gebracht werden durch eine kluge Frau: anitatt einer 
Bırhlerin läßt Ste ſich von ihm umarmen. — Wilhelm Gutmanır oder die 
NRäuberböble. Der Prediger Gutmann wird don feinem eigenen Bruder 
überfallen; vgl. Meißners „Räuberſchenke“. — III: Karl von Kiesmar, 
oder Liebe ohne Genuß (eines jungen Windbentel3 zu einer verheirateten 
Frau von Stande); Ehe ohne Eiferfucht (zwifchen Frau und Gatten) ; 
Trennung ohne Thränen (des von ihr beichämten Liebhabers). — Eine 
Biographie aus dem Monde. — Karl von Kiesmar erſchien auch für ſich 
Hohenzollern (Erfurt) 1800. Ein kleines Heftchen mit dem Titel: „Liebe 
und Genuß. Sfizze eines größeren wahrhaften Romans. Venedig 1802“ 
ichildert offenbar unter Einfluß Heinſes das allmälige Anwachſen der Liebe 
bis zum finnlichen Genuß. — Auswahl Feiner Liebesgeſchichten in fittlichen 
Erzählungen aus dentichen Zeitichriften. Berlin und Yeipzig 1799 240 ©, 


Inhalt: Stärke des Vorurteil. — Glück aus Unglüc (erweiſt, wie nahe 
Leichtfinn dem Verbrechen Liegt). — Gefährliche Probe (einer geliebten 


Perſon werden alle möglichen Brüfungen auferlegt). — Die von Fürſt ©. 207 
erwähnte Scenenfolge „Der Hundsſattler“ it von J. D. E. Bornſchein, 
ſ. Goedefe $ 279, 35, 35; die Dramatıfterung von Cuenna und Vivonne: 
Die Nahe, Hamburg 1799, vührt von Schmieder her (Dramatiſche Beiträge 
fiir die deutsche Bühne, 1. Band) und erichten in neuer Ausgabe unter den 
Titel: „Die Nächer”, Yeipzig 1812. Vgl. jest Goedeke $ 265, 10, 7 (nach - 
Abſchluß von Fürſts Buch erichtenen). 

In demselben Jahre 1778, in welchem die erite Sammlung Skizzen 
herausfam, erjchtenen zu Erfurt die „Eommernächte philofophiichen und 
moralischen Inhalts in Dialogen und Erzählungen“. Ihr Verfaffer, der 
Brivatgelehrte Heinrich Christoph Friedrich Knoll zu Langenſalza (1752— 1786) 
veröffentlichte außerdem: Das Gaftmahl oder der Weiſe, eine philofophifche 
Scene (Wermar 1781), ſowie die Philoſophie in anmuthigem Gewande. 


1) Außer in Meißners Erzählung von der Tante, die die Stelle ihrer Nichte vertritt, 
wird dasſelbe Motiv verwendet in der langobardijchen Geſchichte Roſimunde im „Magazin ſchrecklicher 
Ereigniffe und fürchterlicher Gedichten Nr. 2, jedenfalls von Kernndörffer”. gl. mein Bud) 
©. 84. Die Heldin fejjelt den Yiebhaber ihres Mädchens Edda an ſich, inden fie deren Stelle 
einnimmt. Am Morgen ertennt Yothar zunächſt mit Schreden feinen Irrtum, ähnlich der Herzogin 
von Eleveland in „Marlboroughs Yugendfünde,“ 





Fürft R., Auguſt Gottlieb Meißner. 183 


Reval und Leipzig 1781.9 Dieſe Schriften unterſcheiden ſich von den ſonſt 
gleichartigen Meißners durch einen wahrhaft ſittlichen Ernſt, an deſſen 
Stelle bei Meißner eine laxe Moral ſich ergeht (ſ. Fürſt ©. 185). So 
fann man die Erzählung „Aeſchines und Cimon, oder die Reife auf den 
Ida“ nach den Worten des Verfaffers „als einen Beitrag zu den Ber- 
fpielen von der Schädlichkeit dev Wolluft anſehen“. Cimon geht an diefer 
zu Grunde, troßdem er einen Streich jugendlichen Leichtſinns bereute: er 
hatte ein junges Mädchen in Troja unter der Maske eines Gottes ich 
gefügig gemacht. Knoll „ſuchte durch eine der Neigung zu verliebten Scenen 
ichmeichelnde Erzählung die Leſer unverhofft auf das zu führen, was ihnen 
fehrreich werden jollte, und alfo zu machen, daß fie unter einem führen 
Behikel eine nütliche Arzney verjchludten, die fie nicht darinen gefucht 
hatten“ (S. 122). Bon folchen Abfichten it Meiner weit entfernt. Das 
wird ja der Anziehungskraft feiner Erzählungen zu gute gefommen fein: 
Knolls gutgemeinte anmutige Philoſophie hatte feine Erfolge aufzuweiſen, 
wie Meißners pifante Stoffe. Zwar macht Meißner öfters eine allgemeine 
Bemerkung, manche Berfon ftellt eine weile Betrachtung an; da unterbricht 
ste oder er ich gewöhnlich fehr bald: „Hut! bald hätte ich mich in moraliſches 
Geſchwätz vertieft!” u. ä. Gleichwohl verfällt er oft in ein feinen Berfonen 
unangemeſſenes Philoſophieren, jo wenn er den jugendlichen Abdallah, einen 
„tumben knecht“, jeitenlang mut ſich vernünftel oder die heißblütige Cuenna 
mit fircchterlicher Breite vor Ruyter fich aussprechen läßt. Doch bemüht ex 
fih fonft, langweilige Schilderungen durch eine Art Aufdeckung feiner Karten 
zu verfüßen: „Sarafterfchilderung am unvechten Orte tft ein böfes Ding 
für Leſer und für Autor — doch einige Worte von Nanslebens Karakter 
fönnen hier unmöglich am unrechten Orte Stehen” (Skizzen 3%, 168). Auf 
diefes Kunftmittel Meißners hätte Fürft ©. 187 aufmerkſam machen fönnen. 
Meißner weiſt auch dann gern auf die von ihm befolgten Kunſtregeln hin, 
wenn ex jein Unvermögen zu wirklicher Schilderung verdeden will, 3. B. 
Sfizzen 7, 180. Diefem Kofettieren mit Borfehriften der Kritik entipricht 
die auch von modernen Größen des Kultur-Romans beliebte Gepflogenheit, 
in Anmerkungen auf die gelehrte Grundlage einzelner Motive hinzuweiſen. 
Meiner thut dies nicht nur in feinen größeren Arbeiten, fondern auch in 
den Sfizzen, 3. B. am Ende des Dialogs Scipio und Allucius. Sa, im 
Texte ſelbſt beruft er fich auf Stellen in Rouffeaus und andern Schriften, 
3. B. Skizzen 7°, 93, und obwohl er fie als befannt bezeichnet, fett ev doch 
noch eine Anmerkung darunter. Nur beziiglich der Teichoffopie, die in 
„Minos und Scilla“ enthalten ift, begiebt er fich eines Hinweiſes auf 
Homer. Sonft geberdet er fih mit der Eitelfeit und Kleinlichkeit eines 
Gelehrten als ein Vertreter hiftorifcher Forfchung, ganz beionders im 


1) Bgl. Die anmuthige Philofophie in einer wahrhaften, obwohl verdedten Liebese und 
Heldengeſchichte. Bon Friedr. Erdmann von Glaubitz. Frankfurt und Leipzig. 1713, 


184 Fürſt R. Auguft Gottlieb Meiner. 


Alkibiades. Und doch erwerit er ſich lediglich als em Kompilator, der mit 
Eifer allerhand gelehrte Notizen!) ins Breite zog, daber aber weder um die 
pivchologiiche Begründung und innere PVerfnüpfung der einzelnen That- 
ſachen fonderlich bemüht war, noch mit Fritifcher Genauigkeit verfuhr. Wie 
willkürlich und unangemeffen tft es z. B., wenn er die Worte fpartanifcher 
Heldenmütter einer atheniſchen Setäre in den Mund legt. (Alcibiades, 
2. Auflage 1785, 2, 82). Ja der gelehrte Foricher und jpätere Gymnaſial— 
diveftor Meißner läßt ich, abgejehen von feiner Auffaſſung des Altertums, 
in Kleinigkeiten oft vecht fonderbare Berftöße zu Ichulden fomımen, 3. B. wenn 
er in der Sfizze Scipio eine Schlaht ber Tieimmum erwähnt oder von 
einem puniſchen Schreden fpricht (fo im der zweiten und dritten Auflage 
10, 321; dem gegenüber ©. 324 ein Sühnopfer von Puniſchem Blute; an 
einen Drudfehler iſt faum zu denken, da die zweite Auflage forgfältiger 
forrigtert zu ſein Scheint: ©. 327 bat die 3. Auflage „vorloren“ ſtatt „ver- 
loven“, wie es in der 2. richtig heißt.) Em Glück für Meißner, daß die 
Kenntnis, die ferne Leer vom Altertum hatten, dev Begeiſterung nicht ent- 
ſprach, die fie dem Alcibiades entgegenbrachten. Wie urteilslos erjcheint 
uns heute das überichwängliche Yob, welches der Prinz de Yigne dem Werfe 
ſpendete, ſ. A. Meißners Nofofobilder ©. 155. Die Begründung dieſes Ber- 
falls aus dem Standpunkte der damaligen Bildung vermißt man bei Fürft. 
Für die Gegenwart freilich iſt der Alcibiades nicht etwa deshalb ungenieß— 
bar, weil die Kenntnis der klaſſiſchen Welt allgemeiner und tiefer geworden 
wäre. Wenn übrigens Fürſt S. 152 jagt, der Alcibiades habe „den 
Schlenfert, Cramer, Fehler Titel, Form und Aufbau Leihen müſſen“, jo 
mag dies richtig ſein bezüglich Fehlers, deifen Nomane freilich, wie Goedefe 
nit Recht urteilt, ihre Muſter durch reicheren Inhalt übertrafen. Schlenfert3 
Romane haben außer dem Dialog nichts mit dem Alcibiades gemein. Ins 
Elaffiiche Altertum begab er ſich nur mit feinem Schaufpiel: Agathon und 
Pſyche 1750, das fich aber an Wieland anjchlieft. Sonit bewegt er fich 
im Mittelalter wie die Nitterdramen der Zeit. Aus ihnen entnehmen die 
Berfafler von Nittergefehichten auch die Form. Letzteres gilt insbeſondere 
von Cramer, auf den alleın das Entleihen des Titels paßt. In der Bor- 
vede zum „Deutichen Alcibiades“ vom Jahre 1790 ©. 12 ſichert er Sich 
gegen den Vorwurf der Nachahmung des griechiſchen oder des Meißnerſchen 
Aleibiades. „Ich las eben damals, als die Welt diefen Albert von Norden- 
ſchild bewunderte, die Gefchichte der Helden Griechenlands, und alſo auch 


1) Aus Meißners Vorliebe für das Anekdotiſche erklärt fi) wohl aud die Aeußerung in 
der 1. Auflage der Skizzen, aud nad) Heinje und Wieland fei noch eine reiche Nachlefe für eine 
erneute Darftellung Ariftipps übrig geblieben. Und dabei waren 1776 zwei Werfe über die Lais 
erjchienen, die man Heinje zujchrieb, Goedete $ 230, 13 a. E. Der Ariftipp, der einige Jahre nad) 
den Skizzen erjchienen Meißners Wunfcd nicht entiprad), war jedenfalls der von Karl Müchler 
(Berlin 1781), dem großen Anekdotenjäger, der aud) „Novellen, Skizzen und Anekdoten” unter dem 
Namen Klio herausgab (1825), desgleihen Kriminalgejchichten. (Ein Beitrag zur Erfahrungss 
jeelenfunde. , Berlin 1828), 5 


Fürft R., Auguft Gottlieb Meißner. 185 


die des Alcibiades, fand Aehnlichkert zwifchen dem Deutjchen und Griechen, 
und unbefiimmert, inwiefern fte getroffen oder nicht getroffen fei, lieb ich 
jenen Gedanken noch jest.” Mag man diefer Verficherung glauben oder 
nicht, jedenfalls follte der Titel Käufer anloden : aber diefer deutſche Alcibiades 
bat mit feinem griechiſchen Namensvetter höchjtens das gemein, daß Sich 
alle. Weiber in ihn verlieben und ſich ihm preisgeben, und daß ihm alles 
in der Welt gelingt, daneben freilich auch den Mangel, daß nicht entwicelt 
und anfchaulich gemacht wird, wie das eigentlich zugeht. Natürlich tritt 
diefer Mangel bei Cramer noch ftärker hervor: fein Held iſt ein Menſch 
von höchſt liebenswürdigen, unwiderſtehlichen Eigenschaften, voller Geift und 
Kraft; als folcher mu er ja Glück haben. Wenn aber außerdem noch 
Altes und Neues in Sitten, Anſchauungen, Namen u. |. w. bunt durch— 
einander gewürfelt wird, fo muß Meißner erit vecht vor einem Vergleich 
mit Cramer geichütt werden. Man leſe nur Cramerſche Namen wie: 
Drafo und Hardi, Prinz Heftor und Yandgraf von Holm, Theſſalo, Herr 
Brambier, Graf Hut, Brinzeffin Riſa und PBalesfa, Städte und Yänder 
Nordia, Nemſi, Stofa, Almeitria). 


Auf einen andern Cramer dagegen möchte ich aufmerkſam machen, 
der die Richtung Meißners und Fehlers verfolgt: Friedrich Matthias 
Gottfried Cramer, geb. am 5. Nov. 1779 (Raßmann: Pantheon ©. 55 
hat 1780) zu Quedlinburg, Pfarrersfohn, Doktor der Philoſophie und 
Auditeur in Berlin, ſpäter Steuerinfpeftor in Halberitadt, wo ev am 
13. (14.) Aug. 1836 ſtarb, verfaßte außer vielen biftorifchen Schriften 
„Eudomenes“, Eine griechifche Erzählung in 2 Büchern. Berlin 1803 
(vol. Neue Allgemeine Deutſche Bibliothef 386, 358). Auch ein Trauer— 
ſpiel Themiftofles in 3 Aufzügen lieg er (Quedlinburg 1804) erfcheinen. 


Daß Meifner auch den Theſeus in ähnlicher Weife wie den Alcibrades 
zu behandeln im Sinne hatte, bezeichnete ex felbit als einen „flüchtigen 
Gedanken“ (Skizzen 5, 1792, ©. 3. Vielleicht fam ex davon ab, weil der 
Gegenstand zu wenig von dem hatte, was man jest „aktuelles Intereſſe“ 
nennt. Zum Spartafus 1792 mochte ihn die eigene Zeit angeregt haben; 
was ihn dagegen abgefehen von feinen Dutellenftudien zum Epaminondas 
und Cäſar leitete, ift auch bei Fürst nicht exrfichtlich. Wenn er wegen der 
zulett angeführten Arbeiten mit Schiller im einem Atem genannt wurde, 
fo teilt er mit ihm auch die Neigung fir Darftellung „merkwürdiger 
Rebellionen“. Zum Studium der Geichichte des Mafantello (1784) regte 
ihn möglicherweise Fiesko an, der auch in der Bianca Capello Spuren 
hinterlaſſen hatte Fürſt ©. 119). ©. 337 fehlt der Hinweis auf die Oper 
von Reinhold Keiſer, Hamburg 1706, mit dem Texte von Feind, ferner 
auf das „Driginaltrauerfpiel in 5 Aufziigen Mafaniello von Neapel“, 
Berlin 1789, von 9. 3. E. Albrecht (Goedefe $ 279, 1, 15), auf das im 


186 Fürft R., Auguſt Gottlieb Meißner. 


wildeiten Grabbeichen Genteftil verfaßte Trauerfpiel von Alerander Fiſcher 
(Reipzig 1839, ſ. Gersdorfs Nepertorium 22, 466 f.), und auf die „biftorische 
Novelle“ Der Fiſchhändler von Neapel von Franz Lubojagfy, Grimma 1811 
(Gersdorfs Nepertoriun 31, 380). Das Mafaniello auch der Held der 
„Stummen von Portict” iſt, fette Fürſt wohl als befannt voraus, ebenso 
die merkwürdige Thatfache, daß die erſte Aufführung diefer Oper in Brüffel 
1830 das Zeichen gab fir den Ausbruch der Revolution, die zur Trennung 
Hollands von Belgien führte. So wirkte die Gefchichte auf die Kunft und 
diefe wieder auf die Wirklichkeit. 


Auf Grund ſehr eingehender Forichungen über Meißners „Telbitändige 
archivariiche Studien“ kommt Fürft bezüglich der Bianca Capello Meißners 
zu dem Schluffe, daß wir in ihr nur eine geſchickte und genaue Ueberſetzung 
eines in franzöſiſcher und italienischer Sprache 1776 erſchienenen Werkes 
von Sanfeverino vor uns haben, eine Thatfache, die ſchon 1789 von 
Siebenkees feitgeftellt wurde. In dem Originalwerfe ift ſogar ſchon mitunter 
der Dialog verwendet. Meißner nahm alfo 1780 fehon das Verdienit ge- 
lehrter Forſchung in Anfpruch, wo ev noch nichts anderes als Ueberjeter war 
Fürſt S.129). Die nach Meiner gearbeitete Sodenfche Bianca (Fürft ©. 132) 
erichten 1802, wie Goedefe richtig angiebt. Wenn die Allgemeine Piteratur- 
Zeitung 1787, 1, 97 die Bianca neben der Emilia Galotti al3 Vorbilder 
fir Schwierige Charaktere empfiehlt, fo finden wir eine Verfehmelzung beider 
in dem „tragiichen Gemälde in 5 Aufzügen“, welches unter dem Namen 
Bianca bei Meißner in Leipzig 1800 umd mit den Zuſatz: „ein Seitenſtück 
zu Leſſings Emilie Galotti” bei Sommer in Leipzig 1802 erſchien. Em 
55 Seiten langer Vorbericht ergeht fich im Lobe Leifings und fucht den 
gegen die Emilie erhobenen Tadel zu entkräften. Die darauffolgende, 
jämmerliche, von Webertreibungen, Widerfprüchen und Tollheiten ftroßende 
Bearbeitung des Stoffes der Bianca-Emilte verfogt moralifierende Zwede. 
Noch verweise ich auf Nellftabs Bianca (Schriften, Leipzig 1844, 11, 
147— 281), die aber zum Kreiſe der feindlichen Brüder gehört: Bianca 
Montaldi wird von zwei Nittern geliebt, Pedro von den Eltern, Yudovico 
von Bianca erhört. Bor der Hochzeit fommt es zu Tage, daß beide Brüder 
find; Bianca trinft den von Yudovico für feinen Nebenbuhler bereiteten 
Siftbecher. 


Fürſt befpricht trot feines Nachweiſes Meißners Bianca nicht unter 
den Ueberſetzungen, die er unlogiſch den bürgerlichen und hiſtoriſchen Romanen 
gleichordnet; über den Begriff hiſtoriſcher Roman läßt fich bezüglich des 
Alcıbiades ftreiten, Gottſchall (Nord und Süd 1832) bezeichnete ihn als 
archäologischen Roman, ebenfo die Feßlerſchen. Wer tft der von Fürft 
©. 100 unter den Verfaſſer hiſtoriſcher Romane genannte Schmieder ? 
etwa. der „Karlsruher privilegterte Straßenräuber“ Chriftian ottlieb 


Fürſt R. Auguſt Gottlieb Meißner. 187 


Schmieder? Die Zuſammenſtellungen im Regiſter laſſen dies vermuten.) 
Da geſchähe dem Buchhändler und Nachdrucker zu viel Ehre. Sollte 
Heinrich Gottlieb Schmieder gemeint ſein? Zwar verzeichnet Goedeke 
g 265, 10 nur Schauſpiele; doch verfaßte Schmieder auch die dialogiſierte 
Geſchichte „Das Erdbeben in Meſſina“, Halle 1786, ferner die „Scenen 
aus der Geſchichte Heinrichs IV. von Caſtilien“ unter dem Titel „Der 
ichwache König“ Gotha 1786—88. III; auch eine Weberjegung aus dem 
Franzöfiichen: „Die Heldin der Vendée“ Altona 1801 (vgl. mein Bud 
©. 74). Eine ähnliche Unklarheit befteht bezüglich des ©. 100 genannten 
Albrecht. Das Negifter nennt für diefe Stelle K. G. Albrecht. Das 
wäre Karl Gottlob Albrecht (Goedefe 8 279, 96), der aber für hiftorifche 
Romane nicht in Betracht kommt. Jedenfalls meint Fürſt den Ham— 
burger Arzt und Bielfchreiber oh. Friedr. Ernſt Albrecht, der zwischen 
1792—1815 auch al3 Buchhändler in Prag lebte (wohl derielbe, den Fürſt 
©. 55 erwähnt als Verleger de3 Apollo) und 1789 das Trauerfpiel 
Mafaniello ſchrieb. Db feine „Geſchichte“: Liebe tft ein wunderlich Ding, 
oder Geschichte der Familie Frank, Hamburg 1751 (u. d. T. Schweiterliebe 
und Bekehrung. Geichiehte der Familie Frank, Yeipzig 1796—98. II.) etwas 
gemein hat mit Meißners bürgerlichem Noman: Gefchichte der Familie 
Frinf, kann ich nicht fagen, möchte aber eine Anlehnung vermuten. (Fürſt 
übergeht auch das Verhältnis, in welchem das als Fortſetzung von Meißners 
Familie Frinf bezeichnete Werk: Leben Frints des Sohnes — Kopenhagen 
und Leipzig 1787 — von Karl Heinrich Krögen zu Meifners Familie Frink 
ſteht. Albrecht war ja sehr unfelbitändig ; mit feinen „Neuen Biographien 
der Selbftmörder“ lehnte er fih an Ehr. 9. Spieß an, den Freund Meißners; 
die „Familie Eboli“ geht auf Schillers Don Carlos zurüd ; nach Cramers 
KRäuber-Roman: „Der Domſchütz und feine Gefellen“ arbeitete ev ein 
Schauſpiel u. f. w. Er fanır alfo jehr wohl an Meißner angefnüpft haben. 
Doch möchte ich dies nicht gerade betveffs der „hiſtoriſchen“ Nomane jagen, 
die vielmehr unter dem Zeichen Cramer-Spieß stehen. 

Albrecht ift zugleich ein Zeuge gegen die Behauptung Fürits, daß 
die Kunstform des dialogifchen Halbromans zeitlich und räumlich beſchränkt 
geblieben jet (S. 101). Albrecht gehört nicht zu dem „Sreife junger 
ſächſiſcher Nomanfchreiber”, welche diefe Gattung befonders pflegten; eher 
nehört er zu den Stürmern; er fehrieb 1782 einen Fauft, und das 
Werk, wodurch er „berühmt“ wurde, die Yauretta Pifana, iſt Rouſſeau— 
Icher Abfunft. In der Vorrede dazu ſpricht er ſich über die auch in 
feinen fpäteren Werfen gepflegte dialogische Form aus: „Sch finde, daß 
man dadurch, dag man die Perfonen vedend und zugleich handelnd ein- 


1) Aud) wenn Fürft ©. 37 fchreibt: „N. Beders Novellen find im Engelſchen Parabelftil 
geſchrieben und erinnern an die Erzählungen von Schulz und Genoſſen“, befindet man fid im 
Dunkeln. Diejer Schulz wird nur an dieſer Stelle genannt; gemeint ift wohl I. Chr. Fr. Schulz, 
deſſen Kleine Romane 1788—90 erſchienen. 


188 Fürft R., Auguſt Gottlieb Meißner. 


führt, in Anfehung des natürlichen Schwungs der Sprade, in Anfehung 
der Daritellung der Charaktere gewinnt, finde, daß dem Lefer Handlung 
intereffanter iſt, als Erzählung, und endlich finde ich mehr Vergnügen bei 
diefer Art von Arbeit.“ Vollends ein Norddeuticher war der Profeffor 
v. Bazfo in Königsberg, der in vielen feiner Ritter- und Gefpenftergefchichten 
den Dialog verwendete. Er wollte übrigens etwas Beileres liefern als 
gewöhnliche Nitterromane: dazır glaubte er fich durch das Studium der 
alten Urkunden befähigt. Auch war ibm Boccaz Muſter für die Form 
der in eine Nahmenerzählung eingelegten Einzelerzählung, wie er in der 
Vorrede zum „Ehrentiſch“ ſelbſt ſagt. In Danzig erfchtenen 1797 „Dialogi- 
fterte Gemälde, dramatiich gezeichnet von ©. G.“, d. i. ficherlih Sigmund 
Grüner, der Direktor einer Schaufpielergeiellichaft in Yiv- und Efthland 
war und 1807 in Wien ftarb. So liefen ſich noch viele derartige Er— 
zeugniffe anführen (namentlich aus Goedefe $ 279), die gegen eine Be- 
fchränfung der dialogischen Gattung auf Sachen und auf die Zeit Meiner 
jprechen. Thilo übrigens, den Fürst in diefem Zuſammenhange nennt, jchrieb 
feine „Emilie Sommer“ in Briefen, und Hafe leugnete die Verfafierichaft 
des „Guſtav Aldermann“ 1779 ab. In Wielands Diogenes, deſſen Ein- 
flug auf Meißner Fürſt annimmt, machen, wie Wieland jelbft im Zufat 
zum Vorbericht der Ausgabe von 1795 jagt, „die eigentlichen Gefpräche den 
wenigften Teil de8 Ganzen aus.“ (1780 erſchienen feine „Dialogen“ und 
1803 „Erzählungen und Dialogen“; ob Wieland Kenntnis von den Meißner— 
Ichen hatte?) Im Jahre 1760, wo Wielands Arafpes erichien, gab Gellius 
die „Briefe, Gefpräche, Gefchichte und Fabeln aus dem Englischen“ heraus, 
und außer dem Einfluffe des NRitterdramas möchte ich für die auf einmal 
auftretende Gattung der dialogiſierten Romane auch die Einwirkung der 
Richardſonſchen Romane in Briefen annehmen. Denn vom Briefwechfel 
unterscheidet fich der Dialog nur durch die Merkmale, welche die Entfernung 
der Beteiligten von einander hervorruft. Auch in der galanten Lyrik wurde 
der Brief richtig als ein Stü aus einem Dialoge aufgefaßt, vgl. v. Wald- 
berg: Die galante Lyrik ©. 128. In Wächters „Sagen der Vorzeit“ 
erfcheinen außer den Gefprächen auch Briefe, in denen man aber auch nicht 
bloß erzählt, fondern auch Gefpräche wiedergiebt. ES wäre eine danfens- 
werte Arbeit, wenn jemand die Verwendung der Gefprähsform von Hans 
Sachs, bez. von Ulrich von Hutten an nachwiefe. Welche Wandlung zeigt 
da nicht ſchon der Blick auf die Modegattung der reformatorifchen Polemik, 
auf die zahlreichen „Geſpräche im Reiche der Toten“ (4. B. von"Ehriftoph 
Gottlieb Richter, Niirnberg 1757—63), auf die dialogiichen Salbromane, 
auf die Geſpräche bei Leffing, deifen ganze Schreibweife eigentlich auf dem 
Geſpräch beruht, auf die Neigung des jungen Goethe, fih in Gedanken 
einer antwortenden und Fragenden Perſon gegenüber zu ftellen. 

Wohl um ſein Buch7 nicht noch mehr. anfchwellen zu laſſen, faßt fi 


Fürſt R., Auguſt Gottlieb Meißner. 189 


Fürſt in dem ſiebenten, der Sprache Meißners gewidmeten Abſchnitt ziemlich 
kurz. Daß Meißner „beſonders in ſeinen jungen Jahren unter dem Ein— 
fluſſe der Schule Herders geſtanden ſei und ſeine Schriften eine Fülle von 
Berührungspunkten mit ihnen haben“, halte ich nicht für erwieſen trotz 
aller Borliebe Meißners für die Ellipfe, die Elifion und die Inverſion. 
(Ueber lettere verſprach Meißner in dev Vorrede zu den Skizzen 1792, 
S. IV eine eigene Abhandlung — ob fte in fernen Stolleftaneen zu finden 
wäre?) Sp wenig Meißners Stil Herderſche Dunkelheit zeigt, jo wenig 
iſt auch feine Schreibweife fraftgental. Weit Necht findet Franz Horn: Die 
Boefie und Beredfamfeit der Deutfchen, Berlin 1824, 3, 434, Teinen Stil 
pretiös: Schon der junge Meißner zeigt viel rhetoriſches Pathos nach Art 
eines Schülers der deflamierenden Franzoſen. Franzöſiſch iſt inSbejondere 
die Nachitellung der Adjektiva und Barticipia, 3. B. ım Scipio (Skizzen 10°, 
321): „Sch ſah auf einen Stein einen Mann figen, verhüllt fein Angelicht, 
von Blut gefärbt, oder gebadet vielmehr jein Gewand.” Franzöſiſch oder 
mindeitens gekünſtelt ift das Pathos, welches zu folgender Inverſion führte: 
„gu kämpfen, jo lang das Vaterland fteht, zu wagen fir einen Staat, der 
noch erhaltbar ift, Gut und Blut und Leben, das iſt des Bürgers Pflicht, 
und erfüllt haben wir diefe!” Solche Säte find fchwerlich Herderiſch; 
noch weniger aber künſtlich auf dem Papier gebaute Perioden, wie Sie 
Meißner oft vecht unangemefjen feinen Perſonen in den Mund legt, 
3. B. (1784) der in größte Erregung verfegten Mutter Behringers: „Das 
Mädchen, das felbit in meinem Zorn mich Iiebt und achtet, daS meiner 
Willfür jelbit deinen Umgang aufopfern will; Friedericke, die ich für 
deine Verführerin, wenigftens für ein Hindernis auf dem Wege der Tugend 
hielt und in der ich nicht num deine wärmfte, ſondern auch deine wahr- 
bafteite Freundin finde, ja dies Mädchen verdient dich nicht allein, Ste 
überfteigt dich auch noch am Werte taufendfältig.“ (Skizzen 7°, 179.) 
Diefen finnftlichen, hochtrabenden Stil hat Meißner nicht von den Stürmern 
gelernt, jondern von den Franzoſen, mögen fie nun Nouffeau oder Voltaire 
heißen. Und wie Meißner in fernen Yiebestiedern ſich von der galanten 
Lyrik des 17. Jahrhunderts abhängig zeigt, fo legt feine Proſa Spuren 
eines veralteten Stils an den Tag in der Fülle und Gedunſenheit, insbeſondere 
in der Ueppigkeit der Beiworte, die ihm von den Kritikern jo oft vorgeworfen 
wurde. Die Schule Gotticheds legte ihm aber einen Zaum an, Wieland 
lernte er bald bewundern, und jo war feine Schreibweise wenn auch vhetorisch 
und blühend, doch veritändlich — das mag Voß zu dem Vergleich des Stiles 
Meißners mit dem Leſſings veranlaßt haben, mit defien Sprache die feine 
ſonſt nur landichaftliche Eigenheiten im einzelnen Ausdrücden und Formen 
gemein bat. Auf diefem Gebiete hätte Fürft noch manches hervorheben 
fünnen, namentlich volkstümliche und ältere Ausdrüce und Wendungen, wie 
am mittlern Senfter jtehen, Skizzen 11 (1796), 194, fich verplempern 7°, 129, 


190 Schultheiß F. G., Friedrich Ludwig Jahn. 


Sträußermädchen, die ein Dbolus erfauft 4°, 321; verfiimmert = unter 
Arreſt 10 (1788), 345 u. ſ. w. Daß Meißner das Wort Behörde aus dem 
Kanzleiſtil in die „beifere Schreibart” zu übernehmen empfiehlt, darın trifft 
er mit andern Zeitgenofjen zufammen, f. Heynes Wörterbuch. 

Desjelben vernünftigen Purismus, den Fürſt an Meißner lobt, 
befleißigt Fürst ſelbſt fich auch. Freilich iſt trotzdem feine Sprache nicht 
ganz rein: man merft zu deutlich den Defterreicher, namentlich am Gebrauch 
des Perfekts in der Erzählung: 1776 iſt Meiner in Dresden eingetroffen, 
er ift in Briefwechfel, in Beziehung zu N. geftanden, auch ©. ıft ihm nahe 
geitanden u. ſ. w. left man überall, und oft läuft man Gefahr, an eine 
Beziehung auf die Gegenwart zu denfen, jo ©. 50: Meißner hat Originalien 
beigefteutert, die fpäter neuerlich. verwertet worden find. Sit der Zeiten— 
wechjel ©. 77 beabfichtigt: Fulda war Sit... und iſt beherricht gewejen? 
Zu rügen iſt auch der durchgehende Gebrauch des unbeitimmten Artikels 
beim Prädifatsadjeftiv: die Erzählungen machten feinen Namen zu einem 
populären. Die Freundschaft mit R. iſt eine warme und dauernde 
gewefen = war warm und dauernd. Die Zahl der Bücher feines Verlags 
ift eine große, eine minimale, der Abſchied war ein äußerst herzlicher, fein 
Auskommen ſcheint ein erträgliches gewefen zu fein ©. 84. ©. 187 1ft der 
Dialog ein befonders überwuchernder. ©. 2: Freilich war diefer fast doch 
nur ein in feiner ganzen Nichtung gegebener, nicht allzu tief gehender und 
bat ıhn nicht gehindert. ©. 41: fein Einfluß war lange ein dominierender 
u. ſ. w. u. ſ. w. Berechtigt kann ich diefe Art nur finden in Fällen wie: 
der Eindrud muß ein zweifelhafter gewefen jein S. 3. 

Zu den ©. XVI verzeichneten Drudfehlern fommen noch viele andere, 
die zwar augenfällig Sind, aber auch als „Keine Verſtöße“ Feine Gnade 
verdienen. jo 216 Sophantsbe, 52 pflog es Verhandlungen, 55 das ihm 
gefördert hat, SO zum Entgeld, 154 entailtig, 205 frei empfundene Erzählungen. 
Nicht zu den Drudfehlern find zu rechnen: S. 63: die Ueberjegungen des 
Spartafus, des Epaminondas, des Julius Cäfar; ©. 78: ebenfowenig wie 
je zuvor; ©. 146: ES liegt fein Anlaß vor, dag Meißner den Entwurf 
Leffings nicht gefannt haben follte; ©. 9: Winflers Vorgeſetzter, ſtatt 
Meißners. Die Benutung der Anmerkungen tft nicht bequem gemacht, da 
für jeden Abſchnitt eine neue Zählung beginnt, über dem Texte aber die 
fortlaufende Bezeichnung der Abfchnitte Fehlt. 

Dresden. Karl Müller Fraureutb. 


Schultheiß F. ©. Friedrid Ludwig Jahn. Sein Leben und feine Bedeutung. 
Preisgefrönte Arbeit. (Geifteshelden. — Führende Geifter. — Heraus— 
gegeben von A. Bettelheim. Siebenter Band.) Berlin. Ernſt 
Hoffmann. 1894. M. 2.40. 

Bon dem Berfaffer, der fich durch feine „Geſchichte des deutſchen National 
gefühls* (1. Band, München 1895) und jüngjt durch feine eingehend unter— 


Schultheiß F. ©., Friedrih Ludwig Jahn. 191 


richtenden Auffäte über das „Deutſchtum in Ungarn“ (Münchener Allgemeine 
Zeitung, Beilage-Nummer 114—117) in weiteren Streifen vorteilhaft befannt 
gemacht hat, ließ es ſich erwarten, daß er auch die vorliegende Arbeit mit 


. tüchtigen Kenntniffen und warmem Anteil an dem Helden durchgeführt habe. 


Der „Zurnvater“ gehört zu jenen Erjcheinungen, deren Wirken je nach der 
Parteien Gunft und Haß ganz verfchieden aufgefaßt und geſchildert wird. 
Während man auf den zahlreichen deutjchen Turnfeſten bis zum Ueberdruß Jahn— 
Feſtreden voll Fritiklofer VBerhimmelung hören kann, hat (ganz abgejehen von den 
mißgünftigen Urteilen undeutjcher Schriftſteller) unter anderen der ſo ſubjektive, 
nationale Geſchichtſchreiber Treitſchke in ſeiner temperamentvollen „Deutſchen 
Geſchichte“ (2, 3844395) Jahn und deſſen Schüler geradezu als lächerliche 
Figuren hingeſtellt, weil * perſönlich das oft aufdringlich biderbe und unfeine 
Gebaren damaliger und heutiger Turner zuwider iſt. Schultheiß hingegen gibt 
uns eine durchweg gerechte Würdigung von Jahns Weſen und Streben. Er 
verkennt nicht deſſen lückenhafte Bildung, deſſen wunderliche Einfälle und Ueber— 
treibungen, die jugendliche Selbſtüberſchätzung und geſpreizte Wichtigthuerei der 
erſten Turner, aber er findet zu Jahns Verteidigung die treffliche Formel: 
„Ohne Leidenſchaft, ohne Ginfeitigkeit wird nichts Neues“. Die kernhafte 
Tüchtigkeit Jahns, fein bemerfenswerter Anteil an der Erhebung Deutſchlands 
in dei Befreinngskriegen, an der Gründung der Lützowiſchen Freiſchaar und der 
Burſchenſchaft, fein Berdienft um die Nachwelt durch die Einführung der Turn- 
funft werden, wie billig, hervorgehoben und gerühmt. Für den Literarhiftoriker 
fommt befonders die feine Analyſe der wichtigften Schriften Jahns in Betracht. 
Sp wird im 4. Kapitel die Gedankenwelt des Buches „Deutiches Volkstum“ Klar 
herausgearbeitet und erläutert und unter anderem gezeigt, wie Jahns Begriff 
vom Bolfstum im Keime die Wiſſenſchaft der Völferpfychologie, der Volkskunde 
enthält. An der Sprade Jahns tadelt Schultheig die Gefchmadlofigfeit und 
Willkür in Shrullenhaften Neubildungen und rühmt hingegen die fnappe, ſchwung— 
bafte Rethorif. Ein fnapper Abriß von der Entwicklung der deutfhen Turn— 
funjt bis auf unfere Tage herab befchließt das liebenswürdige Bud). 

Die Jahn-Biographie von Heinrih Pröhle (Berlin 1855, 2, Auflage 
Berlin 1872) ift lange vergriffen und wohl auch veraltet. Karl Euler hat als- 
dann (Stuttgart 1881) das ältere Werk vielfach ergänzt und berichtigt und 
zugleih im der Abficht es zu erjeten, ganze Abjchnitte daraus wörtlich über- 
nommen. Gegenüber diefer umfänglicen Biographie hat das Bud von Schul- 
theiß den Vorzug der bündigen, ſchönen Darftellung, die ein überfichtliches Gefamt- 
bild von Jahns Wirken gibt und bei aller Begeifterung doch ohne blinde PBartei- 
nahme dem Turnvater nur die Stelle einräumt, die ihm im der Kulturgefchichte 
des deutjchen Volkes gebührt. Wir begreifen darum leicht, daß dem Verfaffer 
von einem Preisgericht, dem unter anderen aud Anton E. Schönbad a 
der zweite Preis von 1500 Marf zuerkannt worden ift. A. 





Aachtrag. 

Zu Band 1, S. 647: Einen inhaltlich unbedeutenden Brief Humboldts 
an Nicolovius aus dem Anfang des Jahres 1823 (es handelt ſich um ein merk— 
würdiges Danziger Meßgewand mit arabiſcher Inſchrift) hat Haym überſehen; 
er ſteht gedruckt Aus den Papieren Theodors von Schön 5, 164. 

A. Leitzmann. 


Bibliographie. 


1. Beitfdriften. 
Jahresbericht über die Erjcheinungen auf dem Gebiete dev germanifchen 
Philologie herausgegeben von der Gejellihaft für deutſche Philologie in 
Berlin. 15. Jahrgang 189. 2. Abteilung. 

X. Schullerus A., Wittſtock O., (Bolte 3.), Mythologie und Bolfs- 
kunde. Nr. 30—104 Sagenforfhung (Stoffgeihichte); 105—197 Aberglaube; 
225-271 Volkslied; 272—284 Volksſchauſpiel; 285—301 Sprichwörter und 
Sprüche; 302—319 Volkswitz. 

XV. Bolte J. Das 16. Jahrhundert. 

XVII. Seelmann W., Niederdeutih. Nr. 21—22 Literaturgefchichte ; 
23—38 Mittelmiederdeutihe Dichtung; 39 —45 Mittelmiederdeutiche Profa; 46 —53 
Neuniederdeutſche Literatur. 

XVII. Bremer O., Frieſiſch. 20, 21, 24—27, 30, 31 Neuweſtfrieſiſch. 
3la—43 Nordfriefiich. 

XX. Raifer, Yatein. 42—87 Humaniftenzeit. 

XXI. Geſchichte der germanischen Philologie. 6—31 Biographie; 32— 42 
Bibliographie. 

Iahresbericyte für neuere deutsche Piteraturgefchichte Band 3 (Fahr 1892) 
1. Abteilung. 

(Schmidt E.] Dr. Siegfried Szamatolsfi, Nefrolog. 

I. Allgemeiner Teil. 1. Szamatolsfi ©., Literaturgefhichte. (Wird 
nachgeliefert.) 

2. Golther W., Geſchichte der deutjchen Philologie. 

3. Kochendörffer K., Schrift und Buchweſen. 

4. Steinhaufen G., Kulturgefhichte. Darin auch Volkskunde. 

5. Goldſcheider P., Die Literatur in der Schule. 

6. Wunderlih H., Geſchichte der neuhochdeutſchen Schriftſprache. Wirft 
eine Reihe neuer Probleme auf. 

7. Heusler A., Metrif. 

8. Bolte J., Stoffgeihichte. Bolte will in diefem neueingefügten Abjchnitt 
von ſtoffgeſchichtlichen Arbeiten alles dasjenige verzeichnen, was die deutjche 
Literatur des 16.—19. Jahrhunderts angeht und ihr Verftändnis fördert, ſoweit 





1) Ich wiederhole aus dem erjten Bande, daß es der Zweck diefer Bibliographie ift 
die Leſer der Zeitjchrift über die für fie wertvollen und wichtigen neuen Erjcheinungen raſch zu 
orientieren. Es ift daher jede Vollftändigkeit ausgeſchloſſen, Unmwefentliches von vornherein auss 
gejchieden. Recenſionen find nur dann aufgenonmen, wenn jie die Sache entjchieden jürdern und 
neue Behauptungen auch bemweifen. An abgelegenen Orten Gedrucdtes ift ausfiihrlicher mwidergegeben 
als das allgemein Zugängliche, urkundliche Weitteilungen find forgfältiger gebucht als darjtellende 
Artikel. — Soll Übrigens diefe Abteilung der Zeitſchrift weiterhin Beſtand Haben, jo müßte ic) 
dabei durch die Fachgenoſſen viel reichlicher unterftügt werden, als dies bisher der Fall ift. Ins— 
bejondere find mir Aufjäge und Mitteilungen in Zagesblättern jo qut wie unzugänglid. Ich bitte 
daher die Herren Autoren und Berleger abermald um möglichſt ra ſche Zuſendung 
der einjhlägigen Bücher, Differtationen, Programme, Sonderabzüge und 
Zeitungen, weil nur im diefen Falle eine genügende Berichterjtattung erfolgen EZ 

. Sauer, 





RE — 


Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 193 


es nicht Shen an einer andern Stelle der Jahresberichte Unterkunft gefunden hat, 
umd greift diesmal auch auf Erſcheinungen früherer Jahre zurück. 

9. Reimann H., Mufikgefhichte. „Zum erjten Male erjcheint in den 
Sahresberichten die Mufikliteratur als ein befonderes Ganze für fich, und es 
galt daher, ihr Gebiet... . . abzugrenzen. Nicht bevüchiichtigt find . . . felbit- 
verftändlich alle rein mufiftheoretifchen Schriften, alfo das ganze Gebiet der formalen 
Technik der Muſik: die Harmonif, Kompofitions- und Formenlehre, die muſikaliſche 
Rhythmik und die ihr verwandten Disciplinen, desgleichen alles, was die Theorie 
der Inftrumentalmufit im einzelmen wie im ganzen betrifft. In den Bordergrumd 
trat dagegen Alles, was zur hiftorifheliterarifhen Seite der Mufit 
gehört: die Muſikäſthetik, die mufifgeichichtliche Literatur, Gefamt- und Einzel- 
Darftellungen, bhijtorifcehe Arbeiten über einzelne muftkalifche Formen, und vor 
allem die Werke über Mufifer und Komponiften, ihre eigenen Schriften 
und ihre Briefwechjel. Der größte Nahdrud wurde naturgemäß auf die Oper 
und das Lied gelegt, im denen Dichtkunſt und Muſik jo innig miteinander 
fich vereinen.“ Wir begrüßen dieſen neuen vorzüglich gearbeiteten Abſchnitt der 
Jahresberichte auf das freudigite. 

10. Kehrbach K., Geſchichte des Unterrichts- und Erziehungsmweiens. Auch 
Kehrbach bringt methodifche Erörterungen vor über die Bolljtändigfeit, die er jpäter 
noch zu vermehren gedenft, und über die Art der Behandlung. 

II. Bom Anfang des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. 

1. Reiferfheid A., Allgemeines. Wünſcht eine Unterfuhung der Wirkung, 
die Opitens metrijcher Reformverſuch auf die zeitgenöffifchen Dichter geübt. 

2. Waldberg M. Freiherr v., Lyrik. „Es wäre eine erfreuliche 
Nebenwirkung der Jahresberichte, wenn fie durch ihre häufigen Hinweiſe auf die 
größere oder geringere wiſſenſchaftliche Ertragsfähigfeit einzelner Literaturgebiete 
auch vegulierend auf die Wahl der zu behandelnden wifjenjchaftlichen Probleme 
gewirft hätten. Die befcheidenen Ergebniffe unferes Berichtsjahres in der Er- 
forfhung der Lyrik des 17. umd beginnenden 18. Jahrhunderts würde ſich dann 
nicht nur aus dem mwechjelnden Neigungen der Forſcher oder einem zufälligen 
Mangel an Intereſſe für diefe Dichtung, ſondern auch aus der an diefer Stelle 
wiederholt betonten dürftigen Fünftlerifchen Bedeutung diefer Yiteraturgattung 
ergeben. Allerdings find dabei auch Aufgaben, die eine Löſung verdienten, zu 
furz gefommen. So vor allem die Herftellung einer Bibliographie der in jo 
zahlreichen Einzeldruden und fliegenden Blättern zerftreuten oder in den Widmungs- 
Blättern vieler Werke verzettelten Kaſualdichtungen jener Zeit. Gar manche 
biftorifch beachtenswerte, aber heute unbefannte Erfheinung des am künſtleriſchen 
Sndividualitäten jo armen 17. Jahrhunderts würde durch Sammlung und 
Ordnung ihrer zwar für den Tag gefchriebenen, aber nicht ohne fichere Hoffnung 
auf dauernden Nachruhm verfaßten Gelegenheitspoefien zu neuem Leben evjtehen, 
und mehr als einmal ließe fich aus Fragmenten einer früheren poetifchen Eriftenz 
das Gejamtbild einer fünftlerifchen Perfönlichkeit rekonſtruieren und für die Literatur— 
u wieder gewinnen.“ Berlangt Monographieen für Opit, Simon Dad), 
Zeſen. 

3. Reifferſcheid A., Epos. 

4. Bolte J. Drama. 

5. Michels V., Didaktik. Konſtatiert eine langſame Steigerung von 
Arbeiten über dieſes Gebiet, bedauert aber den Mangel an zuſammenfaſſenden 
Betrachtungen. 

IV. Bon der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. 

1. Allgemeines. la. Stern A., Piteraturgefchichte. 

1b. Bhilippfon, M., Politiſche Gefchichte. Neu eingeführter Abſchnitt. 

Euphorion II. 13 


194 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


le. Munder M., Memoiren und Briefwechjel. (Wird nachgeliefert.) 

ld. Stern W., Die deutſche Literatur md das Ausland. Neu. 

le. Roethe G., Allgemeines. 1891. (Schluß.) 

Jahresbericht über die Fortichritte der Haffischen Altertumswiſſenſchaft 
22. Jahrgang Heft 1— 

Nekrologe: Schönaih, Yudwig Wilhelm Haſper, geb. am 13. Auguft 
1525, geft. am 12. September 1890. Auch Arbeiten über Goethe. Schulausgabe 
des Fauft. Lateiniſche Ueberjegung des Laokoon. 

Otto Frid, geb. am 21. März 1832, geft. am 15. Januar 1892. ©. 28. 
Schriften-Berzeichnis. 11. Pädagogische Schriften. 

Zimpel 9., Sriedrih Fredde, geb. am 25. März 1837, geft. anı 
23. Februar 1892. 

Lehnerdt M, Georg Boigt, geb. am 5. April 1827, geft. am 
18. Auguft 1891. 'S. 63. Ver rzeichnis der Publifationen G. Voigts in chrono— 
logijcher Folge. 

Crampe R., Arthur Richter, geb. am 19. Januar 1857, geft. am 
3. Februar 1892. 

Weinhold (Grimma), Kurt Bernhardi, geb. den 20. Dftober 1847, 
geft. den 17. Dftober 1892. 

Stählin O., Friedrih Mezger, geb. am 17. März 1832, gejt. am 
23. Januar 1895. Der Weberjetser Pindars. Berzeihnis der veröffentlichten 
Schriften umd Abhandlungen Fr. Mezgers ©. 84. 

Hintner B., Dr. Karl Friedrih Burkhard, geb. am 2. Sept. 1524, 
geft. am 19. Februar 1893. 

Anzeiger für deutiches Altertum und deutjche Literatur Band 20. 

Heft 3. Brandl A., 2%. Fränfel: Shafefpeare und das Tagelied. 
Weift im Gegenjaß zu Freäntel die Beziehungen zu Chaucer und der älteren 
englifchen Lyrik nad. 

Michels V., Neindell: Doctor Wenzelslaus Lind von Colditz. Weijt die 
Fehler in der Grundanffafiung nad. 

Waniek G., Schüddefopfs Ausgabe der Briefe und der Gedichte von 
J. N. Götz. Mit textkritiſchen Ausjtellungen. 

Jacoby D., Heinemann: Goethes Mutter. ©. 275 wird der Gebraud) 
des Wortes „proftituieven“ in Goethes Jugenddichtungen und in den Briefen der 
Fran Nat verfolgt. 

Köster A., Wolffs Blätter aus dem Werther-Rreis. 

Schmidt E., Strehlte: Paralipomena zu Goethes Fauft und Wörterbuch 
zu Goethes Fauſt. Mit wertvollen Ergänzungen zum Text der Weimarifchen 
Ausgabe und mit einer jelbjtändigen großartigen Skizze eines Wörterbuchs zum 
Fauſt. 
Meyer R. M., Leitzmann: Briefe und Tagebücher Georg Forſters. 
Hoenig B., Bolte: Mucedorus überjegt von Tied. 

Heft 4. Heyne M., Die revidierte Yutherbibel. Berurteilt die 
Sprade darin. — 

Werner R. M., Strack: Goethes Leipziger Liederbuch. Sorgfältig 
nachprüfend und ergänzend. 

Köſter A., Kern: Torquato Taſſo. Die Auffaſſung und die innere 
Entſtehungsgeſchichte des Dramas wird durch ande methodisch höchſt wertvolle 
Unterfuchungen weit über Kern und Fiſcher hinaus gefördert. 

Elſter E., Minor: Schiller 1. Il. Eingehende Würdigung des Buches. 
Beim Don Carlos verteidigt Elfter feine älteren Anfichten über die allmäligen 
Verſchiebungen von Schillers Plan gegen Minor und Kettner und ergänzt die 


Sud Sy — 


u: 


a EN TE ET EEE ee A A ae we 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 195 


Entjtehungsgefchichte der großen Scene zwifchen Carlos und der Eboli durch den 
Nachweis von dem Einfluß des Wielandiihen Oberon (11. Gejang.), trägt 
aber ©. 408 jelbjt nach, daß dieſe Beziehungen ſchon von Borberger nachgemiejen 
worden find. 

Meißner R., Ein Brief Jacob Grimms. An den Amtsaffeffor E. W. 
Heine zu Hannover, .. Göttingen 15. April 1830. Betrifft die Nechtsalter- 
tümer. 

Zeitſchrift für deutſche Philologie Band 27. 

Heft 2. Sprenger R., Zu Mar von Schenfendorfs Gedichten. Ver— 
gleicht den Text von N. Hagens Ausgabe (Stuttgart 1862) mit dem Poetiſchen 
Nachlaß 1832. 

Sprenger R., Zum Till Eulenspiegel. Belanglos. 

Neihel R., Kleine Nachträge zum deutichen Wörterbud. Aus dem 
Buche: „Catholiſcher Gefhicht-Spiegel”, das ift: Hiſtoriſcher Auszug aller Begeben- 
heiten Altes und Neuen Teftamentes . . . Anfangs in fransöfiiher Sprach 
bejchrieben durch Herrn de Royaumont Priorn von Sombreval. Anjetzo aber in 
die Hochteutſche reinlich überbracht duch M. K. Sultzbach, Verlegts Georg 
Chriftoph Weber, Buchhändler in Nürnberg 1732; der Ueberſetzer war wol 
Auguftinereremit, der Sprache nad ficher dem bayrifchen Stamme angehörend. 

Heft 3. Spenge: R., Zum NRedentiner Oſterſpiel. 

Haufen A., Die Quellen von Fiſcharts Ehezuchtbüchlein. Liefert 
im einzelnen die Nachweiſe zu den im 3. Bande ſeiner Fiichartausgabe gemachten 
Angaben. I. Einleitung. — 1. Frölichs Ueberſetzung des Stobäus. — 
IH. Konrad Gesners Naturgeſchichten. — IV. Die NE Sprid)- 
wörterfammlung. ©. 341 Anmerkung: Ueber den Frauenſpiegel von Hans 
Thanner von Dreſen, Wien 1553. — V. Tobias Stimmers Zeichnungen 
und Alciatis Embleme. 

Kopp A., Gedichte von Günther und Sperontes im Volksgeſang. 
Weiſt zahlveihe Drude einzelner Lieder von beiden Dichtern nad. Verfolgt 
insbefondere 11 Gedichte Günthers in ihrer Berbreitung. ©. 356 f. Zuſammen— 
ftellung der Literatur über das Gaudeamus. Hinweis auf eimen von den 
Forſchern bisher überſehenen Aufjag von W. Tappert in der Allgemeinen deutſchen 
Mufil-Zeitung 1878 5, 325 ff., 333 ff. — ©. 363 ff. über Hauffs Neiterlted 

Pawel J., Boies ungedrudter Briefwechfel mit Gleim. ©. 359: Der 
größte Teil von Boies anſehnlichem Briefnachlaffe ift Dis zur Zeit moch nicht 
veröffentliht . . . Die reichjte Fundgrube der Boieſchen Briefwechiel befindet ſich 
im Haufe der Boiefchen Familie zu Kiel. — 1. Boie an Gleim, Flensburg, 
5. Dezember 1767. Langer und wichtiger Brief über feinen Aufenthalt in 
Braunfhmweig und Hamburg. An michtigften der Berfehr mit Leſſing, 
von dem Urteile über des Prinzen Friedrich Ueberfegung der Miß Sara, 
über Scultetus, über Klopſtocks Hermannsſchlacht, Gerſtenbergs 
Ugolino, über Klok, über Boies Monimia, Sturzens Julie und Clodius’ 
Medon mitgeteilt werden. Außerdem ſei hervorgehoben die Erwähnung des 
Schlaftrunks, des Trauerjpiels Arabella und des Luftipiels Die neue 
Matrone von Ephejus. Zahlreiche andere Literaten erwähnt; ausführlicher 
über Jeruſalem, den Prediger Alberti in Hamburg, Duſch, Yoewen, Sturz, 
Bajedow, Gerftenberg, Klopftod. Won beiden letzteren überſendet ev Gedichte. 
Ueber das Hamburger Theater, die Schauſpielerin Schulze. Ueber den 
Journaliſten Wittenberg. — 2. Gleim an Boie, Da ech 22. ee 1769. 


Ueber Thomjen, $. ©. Kacobi. — 3. Boie an Gleim, Berlin, 51. Dezember 
1769. Ueber viele Berliner, befonders Ramler. Sehr scharf über den Leipziger 
Muſenalmanach, „den erfuetifchen Straßenräuber“. — 4. Bote an Gleim, 


13* 


196 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Berlin, 14. Januar 1770. Mittwochsgejellfhaft. Meil. Ramler. — 5. Boie 
an Gleim, Göttingen, 18. April 1770. Mltorfer. Ueber den Streit Klotz— 
Jacobi. Perjönliches. Klage über den Zuftand der deutjchen Literatur. 
Monimia. Proben der franzöfifchen Kritif aus den Annales typographiques 
über Uz, über Gleims Nomanzen. Bruchftüde einer Ode von Thomfen an 
Klopftod. Wegen einiger Beiträge zum Muſenalmanach. — 6. Bote an Gleim, 
Göttingen, 24. Mai 1770. War 14 Tage bei Gotter und mit Diefem bei 
Wieland in Erfurt. Geſpräche mit diefem über Necenfionen. Ueber die Beiträge 
zur Geheimen Gefhichte des menſchlichen Berftandes und Herzens. 
Combabus. Ueber Dorat, über Arnauds Fayel. Die Meßneuigfeiten. Ueber 
Gleims Beiträge zum Mufenalmanad. Ueber Thomfen, von dem ein Gedicht 
mitgeteilt wird. Ueber Michaelis’ Necenfionen. Ueberſetzungen von Gotter. 
TIheutomal, ein Drama in recitativifchen Verſen von unbefanntem Berfaffer. 
Ueber Gleims Oden nah dem Horaz. 

Sprenger R., Zu Friedrih Hebbels Trauerjpiel Agnes Bernauer. 
Parallelen aus dv. d. Hagens „Geſamtabenteuer“ und Kleifts Michael Kohlhaas. 

Dünter H., Umfangreiche Recenfton der vorletsten Lieferung der Weimarifchen 
Goethe- Ausgabe mit zahlreihen Nachträgen und Berihtigungen. 

Hauffen A., Kalikut. Weift nad), daß man im 16. Jahrhundert darumter 
DOftindien und jpäter auch Weftindien verftanden habe. 

Beiträge zur Gejchichte der deutſchen Sprade und Literatur Band 19 
Heft 1 umd 2. 

Streinz F., Der Meiftergefang in Mähren. I. Allgemeine Verbreitung 
des Meiftergefangs in Mähren. Die Abhandlung muß fi) auf die Iglauer 
Singſchule bejchränten. — I. Die Handjchriften. — IM. Hilfsſchriften. — 
IV. Die Grundbedingungen für das Entftehen einer Singihule in Iglau. 
Einzelne Schulen bis zur Gründung des Vereins. — V. Gejchichte der Iglauer 
Sängerzumft von ihrer Gründung (1571) bis in das erfte Jahrzehnt des 17. Jahr— 


Humderts. — VI. Die zweite Periode des Iglauer Meifterfingervereins. — 
VII. Namensverzeihnis der Iglauer Meifterfinger. — VII. Die Weifen der 
Iglauer Meifter. — IX. Die Gedichte unferer Meifterfinger. — Grundtypen 


meifterfingerifher Gedichte: 1. Schulfunft. 2. Anfänge und Beichlüffe. 
3. Figuren. 4. Verſchiedene Bibelftellen in Beziehung zu einander. 5. Paraphraſe 
einzelmer biblifcher Kapitel. 6. Klaglieder. — Beilagen I-XXX. Beifpiele 
für die aufgeftellten Typen, meift aus der Wolff - Bauttnerfchen Handichrift. 
XXXI—XXXIL Schulordnungn. — ©. 255 Negifter zur Wolff 
Bauttnerifhen Handſchrift 8. I. Die Stoffe. I. Die Weifen. III. Die 
Dichter. IV. VBerzeihnis der Lieder nach ihren Anfängen. 

Lumtzer B., Die Yeibiger Mundart. Leibitz in der Zips bei Kesmarf. 
Anhang. Tertproben: a) Kinderreime und Kinderlieder. b) Spottreime und 
Spottlieder. c) Auszählvers. d) Heilfpruch gegen Wunden. e) Feldmark— 
bejchreibung. 

Zeitſchrift für vergleichende Yiteraturgeichichte. Neue Folge Band 7 
Heft 5 und 6. 

Steinhaufen G., Die Anfänge des franzöſiſchen Literatur- und Kultur- 
einfluffes in Deutjchland im neuerer Zeit ©. 351. Der franzöfifche Einfluß 
datiere nicht erjt von 1648 und ſei weder durch den Calvinismus noch durch 
Karl V. bewirkt, vielmehr fei auf die Reifen und befonders (wie in der Zeit des 
Minneſangs) auf die in Frankreich zuerſt fertige Ausbildung eines beftimmten 
Yebens und Bildungsideals hinzumeifen. Nachweiſe aus dem 15. Jahr— 
hundert (Georg v. Ehingen, Yeo v. Rozmital) ©. 352. Neifefucht feit dem 
16. Jahrhundert ©. 355. Deutfhe Gelehrte in Paris: Neudlin, Roth 


Bibliographie. 1. Zeitichriften. 197 


bon Rottwich, Joh. Sturm, Sleidanus ©. 355. Grenzgebiete, franzöftfch-deutiche 
Sprachführer von 1514 und 1515 ©. 357. Politiſche Einflüfje; Diplomatie 
©. 358. „Noch um 1536 fchrieben die deutfchen Fürften und Städte lateinijch 
oder deutſch an den franzöfiichen Hof. Die Agenten, die Franz I. fandte, mußten, 
um ihren Zwec zu erreichen, deutſch verftehen. Erſt in der Mitte des Jahr— 
hundertS begann man faft durchweg franzöfiih an die Franzofen zu fchreiben, 
viele Näte waren jeßt fprachfertig geworden, und oft die Fürften auch . 
Friedrich III. von der Pfalz forrefpondierte Schon franzöfiih mit andern deutichen 
Fürſten“ ©. 359. Einwanderung reformierter Flüchtlinge aus Frank— 
reich: Sprachlehrer S. 360. Ausländerei: Fiſchart, Agricola, Beheim, Dürer u. A. 
©. 361 f. (italieniſcher Einfluß an deutſchen Höfen ©. 364; Einfluß des Kalvinismus 
©. 364). Allmähliches Anfteigen des franzöfifchen Einfluffes ©. 366 f. 
(der pfälzische und andere Höfe ©. 367 f., der Adel ©. 370, der foziale Wandel 
begünftigt den Einfluß Ddiefer Faktoren: „Neue Welt“ bei Fiſchart u. AU. ©. 372, 
Bürgertum ©. 373, Fremdwörter; feit etwa 1580 Klagen über die franzöfierende 
Spradhbewegung zc.) Einfluß auf die Literatur: Roman, Amadis, Fiſchart 
als Vermittler, „Frankreichiiche geſenglein“, Palmen S. 371 f. Ueberſetzungen 
©. 376. Spradlehren ©. 377. — Um 1600 ift der franzöfiiche Einfluß voll- 
—— durchgedrungen; 1670—1730 Höhepunkt ©. 380. Rückblick; günſtige 
Wirkungen: Leibniz, Thomaſius S. 381. 

Biedermann W. Freiherr v, Goethe und das Schrifttum Chinas 
©. 383 f. Der Kampf Goethes gegen gefünftelte Formen (Satyros, Natürliche 
Tochter, Widerftand gegen Gelehrtendüntel und feichte Aufklärung) jcheint mit 
jenem langjährigen Intereſſe an chinefiichem Schrifttum in Widerſpruch zu 
jtehen. — Goethes Tagebud, 10. Januar 1781 „DO Duen Duang!“ erläutert 
©. 355. Die angebliche hinefifche Quelle des „Elpenor“ ©. 385. — Goethe 
und Schiller über chineſiſche Literatur: pantheiſtiſche Gedanken aus chineſiſchen 
Büchern in des Erasmus ——— „Neupoliertem Geſchicht-, Kunſt- und Sittenſpiegel 
ausländiſcher Völker“ „Sinica“ von 1813; Einfluß auf die Ehren— 
erweiſungen in der ——— Provinz“ der „Wauderjahre? 24 ©. 389. — 
Chineſiſche Lektüre 1827 und ihr Einfluß: „Chinefifh-deutiche Jahres- und 
Tageszeiten” ©. 391. Nachweis der von Goethe benutzten chinefischen Dichtung 
©. 392 und des 1796 und 1815 erwähnten Nomans ©. 394: der „Mann 
von fünfzig Jahren“ davon abhängig ©. 396 (Berhältnis zu Kotzebues 
„Mann von vierzig Jahren“ ©. 396, Titel DS „Nußbraunen Mädchens“ 
399 Anmerkung), Rüdblid ©. 400. 

Dreier K, Hans Sahs und Boccaccio I ©. 402f. Nachweis von 
Entlehnungen aus Boccaz de elaris mulieribus — Hans Sachſens Beleſen— 
heit im Anfang ſeiner dichteriſchen Laufbahn S. 406, irrige Autoren-Nennungen 
des Hans Sachs S. 411). Anhangsweis über fein Meifterlied „Der Bapft mit 
dem Kind“ ©. 415. 

Bechftein R, Hans Sadhs-Literatur im letzten Luſtrum ©. 417 f. 
I. Bibliographie. — Allgemeines. Analyfe bezüglicher Auffäse von K. Drefcher, 
M. Koh, M. Rachel, J. Sahr, R. Sprenger. — II. Ausgaben. Sammlungen. 
Ernenerungen ©. 428: ausführlich über Ad. v. Keller und E. Götze; anhangsweis 

g fleinere Unternehmungen. — III. Darftellungen. Populäre Betrachtungen 
. 437: befonders R. Genée und W. Kawerau analyfiert. 

Neue Mitteilungen. Goetze E, Hans Sachſens Gemerf- Büchlein 
©. 439. Dem trefflichen Herausgeber ift ein wichtiger Fund geglüdt: er hat in 
Weimar ein Buch aufgefunden, in dem Hans Sachs über die Singichule vom 
1. September 1555 bis Ende 1561 Bud) geführt hat. „Bisher nahm man an, 
die Meifterfinger hätten bei ihren VBerfammlungen ihre eigenen Dichtungen vor— 





198 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


getragen. Vielleicht ift das auch früher der Fall gewejen, aus dem Gemerk— 
Büchlein br Hans Sachs jedoch erjehen wir, daß fie während diefer Zeit faſt 
allein Meiftergefänge von ihm wählten“ ©. 444, „Wir ſehen, daß die } wifchen- 
räume nicht immer, wie jonft gejagt wird, drei Wochen dauerten“ ©. 446. 
Verhältnis zwifchen Singſchule und Tprateraufführung 446 f. 

Bolte Ser Märchen- und Schwankſtoffe im deutjchen 2 Meiſterliede S. 449. 
Stoffkreis des Meiſterliedes, Quellen und Entlehnungen im Allgemeinen. — 
Meiſterſingeriſche Quellen von Grimmſchen Märchen S. 450, von Erzählungen 
des Schwankbuches S. 451; Mitteilung von Meiſterliedern, märchen- oder ſchwank— 
artigen Inhalts mit reichen ne) ee ©. 452 f. 

Reinhardſtöttner K. v., J. Paulis „Schimpf und Ernſt“ ©. 475: 
die Geſchichte vom Schneekinde Fi — lutheriſchen Prediger Kaſpar Brunmylleus 
1558. 

Vermiſchtes. Strauß A—., Die deutſche Literatur in —— ©. 475. 
— von bulgariſchen ucberſebungen deutſcher Gedichte. „Das Lied von 
der Glocke iſt bislang das einzige Werk deutſcher Literatur, das in Bulgarien 
allgemein verbreitet iſt, und es wäre nicht im geringſten zu wundern, wenn die 
fahrenden Sänger der Bulgaren dies Lied demnächſt auch den niederen Ständen 
vortragen.“ Bon Bürgers „Lenore“ habe derjelbe Autor eine Ueberſetzung 
mit Likeraturnachweiſen, die zum Teil Neues brächten, geliefert. Der größte bul- 
garifche Dichter, Vaſov, überfeiste Heine. 

Prem ©. M., Ein Befuh von Frig v. Stein bei Uz ©. 477: 15. Oft. 
1791 bejuchte Goethes Liebling dem alten Dichter, den er liebevoll harakterifiert. 

Beiprehungen: Jiriczek DO. 2, über Werke zur englifchen Volkskunde 
S. 479. — Ullrich H., über Anſchütz: Boccaccio-Novelle vom Falken ©. 480: 


Recenſent bringt zahlreiche Nachträge und Berihtigungen. — Yandau M., über 


Schofield: The seventh Novel of the seventh day in the decameron: 
deutiche Chroniken, das Gedicht „Vrouwen stetigkeit“ herangezogen ©. 482. 
— Tille A., über Osborn Teufelliteratur des XVI. Fahrhunderts: 
tadelt, dal es dem Berfaffer „mehr auf das anzufommen fcheine, einen Ueberblick 
über die vorhandenen Teufelbücher zu geben, als jie als Glieder in der Kette der 


Weltanſchauungsentwicklung zu betrachten.“ ©. 483. — Fränkel L, über M. 
Ewert: Die Fabel „Der Rabe und der a ©. 484. Ueberſicht über neuere 
Literatur zur Tierfage und Tierfabel. Wirkungen des Aeſop nah Strauchs 


Steinhöwel. Nachträge betveffend Ulrich Boner, Hagedorn, Burfard Waldis, 
J. F. Niederer u. U. — Fritze L., über Jacob: Indian Fairy Tales ©. 490. 


Nachrichten. 492. Tille berichtigt ſeine Fauſt-Notiz Vierteljahr— 
ſchrift für een 5, 159/40. — Franzöftiche Werfe über allgemeine 
und Deutsche Literatur un angezeigt. R. M. Meyer. 


Zeitschrift für den deutſchen Unterricht Jahrgang 8. 

Heft 8. Heide G. Schillers Wallenjtein und die hiſtoriſche Forſchung. 

Walze D. $., Eine literarifche Enquete. Ueber die von Franzos hevaus- 
gegebenen Gutachten: Die Suggeftion und die Dichtung. 

Schultz F., Spurius Icilius, ein Chavafterbid nah Guſtav Freytags 
Fabiern. 

Heft 9. Bechſtein R., Die Luzerner Mundart und die neuhochdeutſche 
Schriftſprache. 

Becker Th., Leſſings Laokoon und die Kleinode in Reineke Fuchs. 

Menges H., Der Name des Haushahns in der Schriftſprache und im 
Elſäſſiſchen. 

Scheich R., Einige Bemerkungen zur Schulausgabe von Grillparzers 
„König Ottokars Glück und Ende.“ 


a Are 


Bibliographie. 1. Zeitichriften. 199 


Kugler, Schweizeriiches Soldatenlied. 

Rubin F., Einem einen Bären aufbinden. 

Haaſe 8. E., Das Beſprechen der Krankheiten. 

Mayr ©., Kinderpredigt. 

Englert A., Zu den niederdeutfchen Rätſeln, Zeitichrift 7, 688 ff. 

Hildebrand R., Noch einmal der Tropfen am Eimer. 

Unbefcheid H., Anzeigen aus der Schillerliteratur 1895— 9. 

Heft 10. und 11. Wolff E., Gottjched im Kampf um die Aufklärung. 
1. Bom Geiſt der Zeit. 2. Gottjcheds Syſtem. 3. Gottſcheds agitatorifche 
Stellung in den philojophiich-theologiichen Zeitfämpfen. Zeile einer umfangreichen 
Monographie, die vielfach auf handjchriftlichem Material beruht. 

Heft 10. Hildebrand R., Zur Logik des Sprachgeiftes. 

Menges H., Tautologien. 

Grimm 2, Wie die einzelnen Fächer des Deutfchunterrichts dem Aufſatze 
in der Volksſchule dienſtbar gemacht werden fünnen. 

Englert A., Zu Schillers „Jungfrau von Orleans“, Prolog: 
4. Auftritt. Bergleicht den Scheidegruß des Hirten Daphnis im der evjten Idylle 
des Theofrit. 

Flygare N., Zum Spruche: „In Sacfen, Wo die Mädchen auf den 
Bäumen wachen. Stellt diefe Nedensart mit dem Märchen vom Schlaraffen— 
lande zuſammen. 

Kugler, Zu Schillers Kampf mit dem Drachen. 

Koh M., Nachtrag zu Klopftods „Xehrling der Griechen.“ Ueber 
D. Hamanns Programm. Vgl. Euphorion 1, 427. 

Heft 11. Hoffmaun-Krayer E., Zum Accent und Sprachrhythmus. 

Glöde D., Neinhold Bechſtein F. 

yon O. Zu Hans Sachſens vierhunderjährigem Geburtstage. 

Böttiher ©., Zum Lutherliede „Ein fefte Burg.“ Zu Zeitſchrift 7 
165 ff. Gegen Bechjteins Auffafjung des dritten Verſes der erſten Strophe. 

Zeitſchrift für deutſche Sprache Jahrgang 8. 
Heft 4 und 5. Sanders D., Unter römischen Himmel. Noman von 


Konrad Telman. — Der Marjchallitab. Roman von WB. Schultevom Brühl. 
Heft 4. Friedberg E., Ueber Edelfteine und Perlen. Vortrag. 
Sanders D., Ein Hühnerhund wird zu kaufen gefucht. — Falſcher Ge- 

brauch eines Particips. — Leber das Wort „abfetsen“. — Zur Stellung im 

Satze. — Ein Spaziergang im Speffart von 9. Uhrberg. 


Landau A., Ein Brief an den Herausgeber. 

Heft 5 und 6. Goethe bei Napoleon in Erfurt am 2. Oktober 1808. 
Aus Goethes eigenen Aufzeichnungen. 

Heft 5. Sanders D., Eine englifche und eine franzöfifche Schulausgabe 
von Schillers Jungfrau von Orleans. 

Schrader H., Karnidel hat angefangen. 

Heft 6. Schrader H., Einem den Daumen halten, drücken. 

Stümde 9., Goethes Heidenröslein. Neferivende Zufammenftellung. 

Sanders D., Zwei kurze fprachliche Bemerkungen zu DO. Bähr's Auf- 
jats: „Das Ergebnis der Börſenenquete.“ Ein Auffaß von Karl Blind. Aus 
der N. F. Preffe abgedrudt, das Heinedenkmal betreffend. — Rothwälſch. 

Bauer W., Borfe = Borkenkäfer? 

Heft 7 und 8. Klahre R., Der Erlkönig. 

Heft 7. Sanders D., Zu Wilhelm Hauffs „Wirtshaus im Speffart.“ 
— Heran- oder hinantreten? — Defterreichiiche Heeresſprache. Profeffor 
Buchheims Ausgabe von Halms Grijeldis im 11. Bande der Germain 








200 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Classies in der Clarendon Press Series. — Zur Weidmannsſprache. — 
Aus einem Briefe an den Herrn Gutsbefiter U. v. W. . . . bei Koblenz. — 
Aus einem Briefe des Herrn Alfred Bauer in Paris an den Herausgeber und defjen 
Antwort. — Sein oder Nichtfein. Roman von Robert Schweicdel. 

Andrä R., Beobachtungen am Fremdwort. 

Schrader H., Etwas über den grünen Klee loben. 

Heft 8. Schrader H., Das Roth in fprachlichen Bildern und Gleichniffen. 

Mertens F., Kleine Nachträge zu früheren Auffäten. 

Sanders D., Zu einem Auffate von Eugen Zabel. 

NR. Nojenbaum. 
Wimenfchaftliche Beihefte zur Zeitichrift des allgemeinen deutfchen 
Sprachvereins Heft 7. 

Grimmelshauſens Schrift „Pralerei und Gepräng mit dem teutjchen 
Michel“ (1673) mit Anmerkungen herausgegeben von F. Khull. 

«ermania, A Monthly Magazine for the Study of the German 
Language and Literatur Bd. 6 Wr. 5. 

Mozart auf der Reife nach Prag. (Continuation.) Novel by E. Mö- 
rike. With notes and vocabulary. 

German Script. Faesimile of Holtei’s Handwriting. 

Alemannin Jahrgang 22 Heft 2. 

Meyer E. H., Badische Volfsfunde. 

Kluge F., Tagmwahlen und Segen aus einer Freiburger Handjchrift 
des 16. Kahrhunderts. 

Joachimſohn P., Zur ftädtifchen und Hlöfterlihen Geſchichtſchreibung 
Angsburgs im fünfzehnten Jahrhundert. 

Bolte J., Schs Meifterlieder Georg Hagers. I. Sauft Franciscus 
und janft Petrus. In der Lilgenweiß Hank Bogel. 22. September 1588. 
Il. Em new Lied don denen, fo im Brediger Klofter das Crocadii jo weislich 
gefangen haben, in des nerischen Kafpers thon. — 3. Sommerluft in dev Buchen- 
flinge 1588. — 4. Nürnbergs Umgebung 1595. — 5. Was man auf der Gaffen 
zur verfaufen zu Nürnberg ausfchreit, In der abentewer weiß Hans Folzen. — 
6. Ein Bullied, fo ih Georg Hager meinem dritten weib Anna, da fie noch 
mei Bulfchaft war, gemacht hab. 16. Februar 1614. 

Pfaff F., Zur Volkskunde. 

Mitteilungen aus dein Literaturarchive in Berlin 1894. 

Briefe aus B. ©. Niebuhrs Nachlaß 1. Auguft Boedh au B. G. Nie- 
buhr. I. Berlin, 15. Oftober 1817. II. Berlin, 24. Oftober 1826. Ueber 
Hegel und die Gründung der Berliner Jahrbücher der Literatur. — Johann 
Albrecht Friedrich Eihhorn an B. ©. Niebuhr, Schweidnit, den 28. Auguft 
1813. Ueber feinen Aufenthalt bei der Armee. — Wilhelm von Humboldt 
an B. ©. Niebuhr. I. Tegel, 8. Juli 1820. Ueber feine Sprachſtudien. 
II. Berlin, 285. März 1827. Ueber die Umarbeitung von Niebuhrs römiſcher 
Geſchichte. Wichtige allgemeinere Aeußerungen über die Art gelehrter Arbeiten 
befonders der Deutjchen. Weber die Brahmanenphilofophie. Stein. — Friedrich 
Wilhelm Joſeph Schelling an B. G. Niebuhr. München, 27. Auguft 1812. 
Ueber Schellings „Allgemeine Zeitichrift von Deutichen für Deutſche“. — Friedrich 
Schleiermader an B. ©. Niebuhr, Berlin, 28. März 1819. Ueber Henriette 
Herk; wichtige Aeußerung über F. 9. Jacobi bei deffen Tod. Ueber das Elend 
der öffentlihen Zuftände. „Lachen jo lange man fann, warten fo lange man 
muß, reden foviel man darf, aber fich ärgern niemals, das feheint die höchite 
Weisheit zu fein.“ — Friedrich Reopold Graf Stolberg an B. G. Niebuhr. 
I. Sondermühlen, Mai 1817. Lehnt die Teilnahme an der von Fatholifcher Seite 


ix 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 201 


geplante Reviſion der Lutherſchen Bibelüberfegung, jo warın ev dieſen, Plan auch 
begrüßt, ab. II. Sondermühlen, 20. März 1819. Ueber feinen jungen Schüß- 
fing Brinthofmanı, über dem nichts näheres befannt ift. Ein anderer Schüts- 
fing von ihm: Joſef Wolf. Weffenberg. Bibelüberfeßung. Ueber dem Geift der 
Zeit und die neue Literatur. Perfönlihes — Ludwig Tied an B. ©. Niebuhr. 
I. Zibingen, 5. April 1813. Mit einer Bücherfendung. Chaucer. Sackhetti. 
Der jpanifche Eid. Eine Thefeide von einem Unbekannten. Shakeſpeare. John— 
john. II. Zibingen, 6. Dezember 1813. Ueber englifche Bücher. 
Chronik des Wiener Goethe-Vereins Jahrgang I Nr. 6—12. 

8. W. [Karl Weinhold], Das Goethe-Feſt auf dem Brenner 1894, den 
28. Auguit. 

Schröer 8. J., Abſchiedswort des Nedakteurs. 

Literaturblatt für germanifhe und romanische Philologie 1894 Wr. 

eb K., Beiprehung von Lismanns theatergefchichtlichen Forſ oe 

Band 2 Bolemifiert gegen Werners Gruppierung der Don Juan-Be— 
————— in Band 3, wünſcht eine eingehendere Behandlung der Einflüſſe des 
Sefuitendramas auf Gryphius; weiſt nad, daß Hans Sachs für feinen 
Fortunat von dem Volksbuch ein Eremplar der Augsburger Tertfamilie, wahr- 
icheinlich die Ausgabe von 1530 benutt habe; hält den Schreiber des Caffeler 
Fortunatusdrama nur für den Abfchreiber, nicht für den Verfaſſer; weiſt nach, 
daß die Zmeifampfjcene in „Ariodante und Ginevra“ fi am den Zwei— 
fampf Edgars und Edmunds im Lear anlehnt umd fcheint Diefe Beziehung 
für die hronologische Feitfeßung dev deutichen Stüce verwerten zu wollen. 

Aeuphilologiſches Gentralblatt Jahrgang 8 Nr. 9 

Rademacher, Das deutſche Volkslied. 

Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. 

Band 92 Heft 2 Nachtrag. Tobler A., Diez-Neliquien. I. Que des- 
cansada vida, Ode von Luis de Yeon, überjegt von Fr. D., gewidmet dem 
vertrauteften Kenner des ſpaniſchen Dichters F. H. Nleufh], als Freundesgruß 
am Rector-Wahltage 1. Auguſt 1873. Stammt aber aus weit früherer Zeit. 
— NH. Diego Hurtado de Mendoza an eine Dame, die ein Sonett von ihm 
verlangt hatte. — III. Ueberjetgung von Bernarts von Ventadorn Lo rossinhols 
s’esbaudeia. — IV. Ueberfegung aus Raynouards Choix 3, 88. — V. Ueber- 
jesung von Piftoletas Lied Ar agues — mil marcx de fin argen. — 
VI. Italiäniſche Bolfslieder überjett von F. D. 1. Die ſchöne Marie. 2. Der 
Fiſ her. 3. Abſchied von der Geliebten. —— 4. Der Geliebten Schlummer. 
Sicilianifch. 

Sitzungen der Berliner Gefellfchaft für das Studium der neueren Spraden. 
5. September und 8. Oftober 1893. Buchholt, Ueber Voltscharakterzeihnung in 
Bolksanefdoten und Märchen. — 28. November und 19. Dezember 1893. 
Zupita, Ueber die Quellen der „Abenteuer und Schwänke“ Rudolf Baumbachs. 
— 19. Dezember. Herz zfeld, Ueber William Taylor aus Norwid. Taylor über- 
jeßte aus dem Deutſchen ins Engliſche und war der Verfaſſer der erſten deutſchen 
Literaturgeſchichte in engliſcher Sprache. 

Band 93 Heft J. Leitzmann A., Ungedruckte Briefe Georg Forſters. 
IV. An Chriſtian Gottlob Heyne. 3) 1790—1792. Nr. 93—142. Ueber 
jeine Arbeit an den „Anſichten“ (über deren Necenfion in den Göttinger Ge— 
lehrten Anzeigen Nr. 106), an der Ueberſetzung der Sacontala (vgl. beſonders 
Nr. 108), über ausgeführte und geplante Recenſionen; über Mainzer und 
Göttinger Univerfitätsverpältiffe; auch Politisches bejonders Nr. 131; Ergänzung 
des GBriefwechſel 2, 117 abgedrudten) Briefes vom 21. Januar 1792. — Wr. 96. 
Plan, Burkes Buch über die franzöfifche Revolution zu überſetzen. — Nr. 100. 








202 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Empfehlungsbrief für einen Baron von Silverhjelm aus Schweden, der einige 
Stüde aus Herders Zerftreuten Blättern ins Schwedische überfetste habe. — 


Nr. 101. Beziehungen zu Banquier Willemer. — Nr. 105. Barth. — 
Nr. 106. Meyer (von Bramftedt?). — Wr. 113. Friederife Brun zu 


Beſuch. — Nr. 119. Charakteriſtik Schloſſers und feines Haufes. Vergleich 
mit Jacobis. Jr. 135. Charafteriftit des Frankfurter Seniors Dr. Huf- 
nagel. — Ueber Karoline Böhmer. — Nr. 141. Herder. — Der lebte 
Brief ift vom 11. Xbr. 1792. „In den Tagen, wo Forjter fich offen und that- 
kräftig zur franzöftfchen Partei bekannte, löfte fich jamt den Beziehungen zu feinen 
anderen deutjchen Freunden auch das langjährige innige Verhältnis zu Heyne; unfere 
letzte Nummer dürfte der letzte Brief fein, den er überhaupt am Heyne jchrieb. 
Eine Ausgabe erichütternder, bisher gänzlich unbekannter Dokumente über 
Forjters Leben während feiner letten vierzehn Monate bereite ich vor; auf grund 
ihrer erſt wird es auch möglich fein, zu vollem Verſtändnis und hiſtoriſchem 
Urteil über diefe Dinge zu gelangen.“ — Nachtrag von 5 nenaufgefundenen Briefen 
an Heyne. 3a. Caffel, 15. Januar 1781. — 9a. Cajfel, 9. Junt 1782. — 
17a. Caffel, 10. November 1783. — 19a. Caffel, 18. März 1754. — 25a. Frag- 
ment. Wilma, Mat 1785. 


Engliſche Studien Band 20 Heft 1. 

Hoffmann D., Studien zu Merander Montgomerie. Ein wenig befanuter 
ſchottiſcher Dichter des 16. Jahrhunderts. 

Koeppel E., Kleine Beiträge zur englifchen Piteraturgefhichte. 1. Gowers 
franzöfifche Balladen und Chaucer. — 2. Chaucers Aneliva. — 3. The Mis- 
fortunes of Arthur und Shakespeare. — 4. The First Part of Jeronimo 
und Shakespeare. 

Bericht über den 6. Neuphilologentag zu Karlsruhe am 15., 16. und 








17. Mai 189. Stengel, Zu Friedrih Diez’ Gedächtnis. — Sarrazin, 
Neues von und über Victor Hugo. — Meyer E. H., Badiſche Volkskunde. 


Zeitſchrift für franzöfiiche Sprache und Literatur Band 16 Heft 5. 
Slaufer Ch., Benjamin ConftantS „Adolphe* I. Teil. 1. Ueberblid über 
die Literatur der franzöfifchen Schweiz vor Benjamin Konftant. 2. Die neue 
Heloife, Werther, Obermann, Rene. — 2. Zeil. 1. Benjamin Conftant und 
Frau von Charriere. 2. Benjamin Conftant und Frau von Stael. — 
3. Adolphe und Ellenore. 
Revue (des langues romanes IV. Serie VII. 
Müntz E., Quelques points de vue sur la litterature italienne 
du XVlIe sieele. 
Revue d’histoire litteraire de la France I, 3. 
A. D., Addition A l’historique de la fable de La Fontaine ‚Le 
corbeau et le renard‘. 
Revue de metrique et de versification 1, 1. 
Flamini F., Sulle origini della Laude, dell’ Ottava e del Ser- 
ventese in Italia. 
Publications of the modern language association of America IX. 
1. Smith K. F., An historical study of the Werwolf in lite- 
rature. 
2. Price Th. R., King Lear: a study of Shakespeares dramatie 
method. 
Rennert H. A., Lope de Vega’s Comedia Sin Secreto No Ay 
Amor. 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 203 


Ardyin für jlaviihe Philologie Band 16 Heft 3 und 4. 
Brüdner A., Zu den Gesta Romanorum. Neferat über eine ruſſiſche 
Arbeit von Ptaszycki. Petersburg 1893. 
Jagié B., Materialien zur Geſchichte der flavifchen Philologie 11. 
P. J. Safaxiks Briefe nach Karlowitz an den Metropoliten Stanfovie und den 
Patriarchen Rajadic. Nr. 511. 1847—1853. 
Indogermanifce Forſchungen Band 4. 
Schiſchmaänov J. D., Dev Kenorenftoff in der bulgarischen Bolfspoefie. 
Skizze einev ausführlicheren Arbeit, die im Sbornik des bulgarifchen Unterrichts- 
minifteriums evjcheinen ſoll. Neichhaltige Literaturzufammenftellung; auch eine 
ruffiiche Arbeit von Sozonovie „Bürgers Lenore und die ihr verwandten Sujets 
in der europäiſchen und ruſſiſchen Bolkspoefie" Warſchau 1893 ift erwähnt. 





Zeitſchrift für die öfterreihiihen Gymnafien Jahrgang 45. 

Heft 8/9. Bauer F., Sieben Gedichte Goethes, nach ihrem Gedanken— 
gange erläutert I. Der Wanderer. — Gefang der Geifter über den Waffern. 
Betont die Lautmalerei. — Prometheus. 

Minor J., Zur Necenfion des Bürgerifhen „Hohen Liedes“ von 
W. Schlegel (vgl. Euphorion 1, 661). Den erften Druck diefer Recenfion hat 
Bernays nachgewiefen. 

Heft 10. Tomanet K., Die Präpofitionen in Grillparzers Profa. 
Die Unterfuhung gelangt zu demſelben Nefultat wie die Euphorion 1, 850 
verzeichneten „Studien zur Syntar in Grillparzers Profa“ desfelben Verfaſſers: 
daß die zahlreichen Auffälligkeiten im Gebrauche dev Präpofitionen bei Grill- 
parzer in feinem Streben nad möglichiter Kürze, ſowie im Dialekte und im der 
Umgangsſprache wurzeln. 

Shih R, Zum Deutfhunterriht in der V. und VI. Gymmaftal- 
Kaffe. 

Oefterreichifche Mittelſchule Jahrgang >. 

©. 222. Scheih R., Zur Erklärung einzelner Stellen in Grillparzers 
Dramen. Bemerkungen zu Vichtenhelds Schulausgaben. I. Die Ahnfrau, 
1. Aufzug, 288 ff., 493 ff, Blende = Niſche wie Gaftfreund 305; 4. Aufzug, 
22 ff., 132 ff. — U. Sappho, 1. Aufzug, 155 fj.; 5. Aufzug, 40 fi. — 
III. Das goldene Vließ: Die Argonauten, 2. Aufzug, 193 ff.; 3. Aufzug, 
286 ff. Platons Sympofion als Duelle nachgewiefen; Medea, 4 Aufzug, 
27 fi. — IV. Der Traum ein Leben, 2. Aufzug, 15 ff., 54 ff., 88 ft., 
98 ff.; 3. Aufzug, 66 ff., 414 fi. 

Menue Jahrbücher für Philologie und Pädagogit Band 150. 

Heft 7. Hoenig B., ©. A. Bürgers Nachtfeier dev Benus und Schillers 
Triumph der Liebe in ihrem Verhältniffe zu dem lateinifchen Pervigilium Veneris 
(Schluß). 2. Schillers Triumph der Liebe und die Vergleihung mit dem 
Bürgerfhen Gedichte. 

Lattmann %., 9. D. Müller. Ein Nefrolog. 

/ Heft 8 und 9. Müller Georg, Die preußifche Nation an der Univerfität 
Yeipzig. Beilage. Brief des Johannes Cohläus an den herzoglich ſächſiſchen 
Canzler Simon Piftoris, Meißen, 18. September 1536. 

Heft 9. Immiſch O., Die Akademie Platons und die modernen Mfademien. 

Mitteilungen der Comenius-Gefellihaft Jahrgang 2 Nr. 6 und 7. 

Baehring B., Zur Erinnerung an Dr. Jakob Frohſchammer, weil. 
ord. Profeffor der Philofophie in München. 

Lorenz Kellners Stellung zu Comenius. 2. Kellner, geftorben zu Trier 
15. Auguft 1892. 


204 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Monatshefte dev Comenius-Geſellſchaft Band 2. 

Heft 6 und 7. Keller L., Die böhmiſchen Brüder und ihre Vorläufer. 
(Auch im den „Vorträgen und Auffäsen aus der Comenius-Geſellſchaft“ Jahr— 
gang 2 Stüd 3.) 

Elliſſen O. A., Friedrih Albert Lange als Philofoph und Pädagog. 

Heft 8. Kawerau W., Die Anfänge der Universität Halle Mit 
Ergänzungen zu Schraders Bud). 

Steig R., Zu Herders Schriften. Zur Ueberlieferung der Borlefung 
„Ueber die menschliche Unfterblicpteit.‘ Nah Abſchluß Des 16. Bandes 
der Suphanfchen Ausgabe fand ſich in der Berliner Königlichen Bibliothek Die 
Neinjchrift diefer Borlefung vor; deren Abweichungen vom Druck der Zerftreuten 
Blätter teilt Steig hier mit. — 2. Zu dem Geſpräch „Iduna, oder der Apfel 
der Verjüngung.“ Eine Analyſe der drei Unterredungen erweift, daß die einzelnen 
Teile mangelhaft vedigiert find, daß wahrjcheinlich von der zweiten Unterredung 
eine ſpätere Redaktion vorliegt als von der dritten. — 3. „Nah Ponce de 
Leon.” Eme Behr: nicht befanmte, von der Ueberſetzung in den Adreftea 
(Sämtlihe Werfe 23, 516) ſtark abweichende Nachbildung eines Gedichtes bon 
Bonce de Yeon: „Nach dem Spaniſchen: Quando contemplo el Cielo“ aus 
dem Vaterländifchen Mufeum 1810, Heft 5, ©. 595. — 4. Herder und Germing. 
In dem Heidelberger Taſcheubuch 1810, 1811 und 1812 ftehen mehrere Gedichte 
Herders. Davon fehlen bis jett im den Werfen die Verſe „An Gerning, Weimar 
1802.“ Die Befanntichaft Herders mit Gerning reicht darnach bis zum Jahre 1792 
zurüd; der im den „Blättern zur Erinnerung an die Feier der Enthüllung des 
Soetbe- -Monuments zu Frankfurt am Main, am 22. Oktober 1544 veröffent- 
lichte undatierte Entſchuldigungs- und Abſchiedsbrief Herders an Gerning iſt 
darnach ins Jahr 1802 zu feßen. 

Bahlmann P., Bemerkungen der Fürftin von Galligin und Bernhard 
Overbergs zu einer Abhandlung des Abbe Marie über Kindererziehung. Abbe 
Marie, ein in Hamm lebender franzöfiicher Emigrant, hatte diefe Abhandlung dem 
Freiherrn von Yandsberg-Belen auf deſſen Wunſch 1796 überfandt. 

Mitteilungen der Geſellſchaft für deutſche Erziehungs- und Schulgefchichte 
Sahrgang 4 Heft 1. Nachtrag zu Euphorion 1, 439. 

Grillnberger D., Eine Disziplinarordnung für Burfiten. 

Wehrmann M., Die Schule zu Stargard in Pommern unter dem Rektor 
Thomas Neddemer (1604— 1618). 

Heiniſch H, Ausgaben der Stadt Negensburg für ihr Gymnasium 
Poötieum in den Jahren 1613—1647. 

Brümmer F., Zur Schulgefehichte der Stadt Nauen (Provinz Branden— 
burg). 

Holftein, Zwei Shaun nes zur Hebung des Fädagogiums zu Ilfeld 
und des hannöverſchen höheren Schulmwejens aus dem Fahre 1770. 


Süddeutſche Blätter für höhere Unterrichtsanftalten IT 5. 
Golther W., Wiederbelebung altgermanifcher Sage. 
Zeitfchrift für die Neform der höheren Schulen Jahrgang 6 Nr. 3. 
Oblert A., Ueber die Aufgaben des deutſchen Unterrichts in der Schule 
der Zukunft. 
Zeitſchrift für Turnen und Jugendſpiele Jahrgang 3 Nr. 10. 
Pawel, Das Urteil eines öſterreichiſchen Arztes aus dem Jahre 1794 über 
Guts Muths' Gymnaſtik für die Jugend. 
Monatsſchrift für das Turnweſen Jahrgang 13 Heft 10. 
Waßmannsdorff K., Ein Urteil der Freunde Jahns Auguft Zeune, 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 205 


Otto Schulz und R. Gieſebrecht über Fr. 8. Jahn vom Frühjahr 1819. 
Mit einem turngeſchichtlichen Anhange. 
Praris der katholiſchen Volksſchule Jahrgang 3 Nr. 15. 
Welche Bedeutung hat die 1. Scene in Schillers Tell? 
Oeſterreichiſcher Schulbote Jahrgang 44 Nr. 9 und 10. 
Franke Ih., Unterrichtliche Verwendung der volfstümlichen Redensarten. 
Vhiloſophiſches Zahrbuch (auf Beranlafjung der Görres-Geſellſchaft) 
J 


Schirotzky, Zu Kants Schrift: „Die Religion innerhalb der Grenzen 
der bloßen Vernunft.“ 

Vhiloſophiſche Monatshefte Band 30 Heft 58. 

Vorländer K., Ethifcher Rigorismus und fittliche Schönheit. Mit befonderer 
Berücfihtigung von Kant und Schiller. 1. Schillers Verhältnis zu Kant in 
feiner geſchichtlichen Entwidlung. 2. Die methodiiche Berechtigung des ethifchen 
Rigorismus. 

Vierteljahrsſchrift für wiſſenſchaftliche Philoſophie Jahrgang 18 Heft 3. 

Marty A., Ueber ſubjektloſe Sätze und das Verhältnis der Grammatik 
zu Logik und Pſychologie. Vierter Artikel.) 

Mind 1894 Heft 10. | 

Bosanquet B., On the Nature of aesthetie emotion. 

Taggart Me., Time and the Hegelian Dialectie, 
The Monist Band 4 Heft 3. 

Williams H., Kant’s doctrine of the schemata. 
The Philosophical Review. 

Band 2 Heft 6, Band 3 Heft 1-3. Adickes E., German Kantian 
bibliography. 

Band 3 Heft 1. Harris W. T., Kants third antinomy. 

Band 3 Heft 3. Wilde N., Kants relation to utilitarianism. 

Revue de Metaphysique et de Morale Band 2. 
Heft 1 und 3. Noel G., La logique de Hegel. L’id&ealisme absolu 
et la logique speculative. La science de l’ötre. 
Revue N£o-Scolastique Band 1 Heft 1 und 2. 
Verriest G., Des bases physiologiques de la parole rythmee. 
Rivista Italiana di Filosofia Jahrgang 9 Band 1. 
Heft 1. Piazzi A., Scuole e questioni pedagogiche in Germania. 
Heft 3. d’Ereole P., C. L. Michelet e l’Hegelianismo. 
Zeitſchrift für den evangelijchen Religionsunterricht Jahrgang 6 Heft 1. 

Sprenger, Zu deutſchen geiftlichen Liedern. 

Evangeliſches Monatsblatt für deutiche Erziehung in Schule, Haus 
umd Kirche Jahrgang 14 Nr. 4 und 5. 

Löbell, Mephijtopheles Merck. Bekämpft diefe Parallele und weiſt glücklich 

den pofitiven Gehalt in Merds Weſen und Schriften auf. 
Zeitſchrift für Theologie und Kirche Jahrgang 4 Heft 3—5. 

Grünberg, Speners Bemühungen um die Reform des theologischen 
Studiums, 

Kirchliche Monatsſchrift Jahrgang 13 Heft 10. 

Mirbt K., Die theologiſche Fakultät der Friedrichs-Univerſität zu Halle, 
Ein Rückblick auf die zweihundertjährige Wirkſamkeit. 

Neue kirchliche Zeitſchrift Band 5. 

Heft 8. Petri E., Das Album des Vichtenberger Konvents auf der 
Kirchenbibliothef zu Zellerfeld. 

Heft 9. Jehle, Das Regiſter der durchgeſehenen Yutherbibel, 


206 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Zeitſchrift für Kicchengefchichte Band 15 Heft 2 

Brieger Th., Yuther-Studien. I. Das Ergebnis der Altenburger Ver— 
bandlungen mit Karl von Miltit und Luthers Entwidelung in den erſten 
Monaten des Jahres 1919. 

Reuſch H., Archivalifche Beiträge zur Geſchichte des Jeſuitenordens. 
IV—IX. 

Deutsche Zeitſchrift für ee Band 4 Heft 2 

Sehling E., Die Oftfriefifche (jogen. Lüneburgiſche) Kirchenordnung von 
1535. Eingeleitet und zum erſtenmale herausgegeben. 

Societe de lhistoire du protestantisme francais 1894, 15 juin. 

Gauthier E., Le catechisme de Geneve, de Jean Calvin; son 
origine et la date de sa composition (in der Woche vom 20. bis 27. Nov. 
1541). 

Studien und Mitteilungen aus dem Benedictiner- ımd dem Ciftercienfer- 
Orden Jahrgang 15 Heft 3 

Hammerle A. J., Ein Beitrag zur Geichichte der ehemaligen Salzburger 
Benedictiner- Univerfität (Fortfegung). VIII. DD. Comites et Baronis 
Studiosi. 1659 —1730. 

Hafner O., Negeften zur Geſchichte des ſchwäbiſchen Klojters Hirſan 
(Fortjegung). Sechfter Abjchnitt. Reorganifation und zweite Blütezeit des Klofters 
Hirfau bis zu feiner proteftantichen Neformation. (1428—1534.) 

Vierteljahrsſchrift für Mufitwilfenichaft Jahrgang 10, 3. Vierteljahr. 

Held K., Das Kreuzfantorat zu Dresden. Nach arhivaliichen Quellen 
bearbeitet. Gejchichte diefer Inſtitution und ihrer einzelmen Vertreter vom 16. Jahr— 
hundert bis auf die Gegenwart. Einige Cantoren waren auch Dichter, jo M. 
Samuel Rüling, Kaiſerlich gekrönter Poet (1612—1615) ©. 288 ff. 

Monntshefte für Mufitgefchichte Jahrgang 26 Nr. 7—9. 

Eitner R., Das alte deutſche mehrftimmige Yied und feine Meifter. (Fort— 
jegung und Schluß.) Wolfgang Grefinger, Yazarıs Spengler, Georg oder ‚Jörg 
DBlandmüller, Kaſpar Bohemus (Ezeys oder Zeis), Georg Forfter (geft. 1968), 
Johann Leonhard von Langenaw (Longenaw), Yorenz Lemlin, Georg oder Gregor 
Peſch (Peſchin, Peſthin, a Georg Boſch oder Botſch, Rupert Unterholter, 
Leonhardt Heydenhamer (Heidenheimer), — Heintz, Niklas Piltz, Hans 
Teuglin, Georg Vogel huber, Stephan Zyrler (Birler, Zierlerus), Jobſt oder 
Jodocus vom Brant der Jüngere, G. oder Johann Müller, Kaſpar Othmayr 
(Othmair, Othmar), Oswalt Reytter oder Reuter, Le onhard Paminger, Hans 
Voit, Paul Rephun oder Rebhun (dev Dichter), Ludwig Senfl Sirt Dietrich, 
Arnold von SE — Die Reviſion der mitgeteilten Terte hat J. Bolte beforgt. 

Nr. 8. Diftel Th, Hymnus mit Ode an den Kurfürften Friedrich 
August III. zu Sachen. Bon Chriftian Gotthelf Lommatſch. Vgl. Euphorion 
‚467. 

Beilage zu Nr. 7— 10: Zwickauer Mufiffatalog, Bogen 19 — 18. 
Theoretifche Werke. Imcerti autores. 

Zeitschrift für bildende Kunſt Neue Folge. — 

Sahrgang 5 Heft 11 und 12. Lehmann E., Goethes Bildniffe und die 
BZarndefhe Sammlung. Met zahlreichen Reproduktionen. 

Heft 12. Hermann und Otto Baiſch. 

Jahrgang 6 Heft 1 und 2. Berlepſch H. E. v., Gottfried Keller 
als Maler. 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 207 


Gentralblatt für Bibliothefsweien Jahrgang 11. 

Heft 7. Joachimſohn P., Aus der Bibliothef Sigismund Goſſembrots 
(Schluß). 

Noth F. W. E., Heinrih Kalteifen ord. Praedieatorum. In der 
Bibliothef des Gymnafiums zu Coblenz befinden fih 10 Handſchriften aus 
dem Nachlaffe des am 2 Dftober 1465 im Predigerklofter daſelbſt verjtorbenen 
Theologen, deren Inhalt Roth angibt. Sie harren der mijjenjchaftlichen Aus— 
nutzung. 

koeft 8 und 9. Nentwig, Die mittelalterlichen Handſchriften und die 
Wiegendrucke in der Stadtbibliothek zu Hildesheim. 

Roth F. W. E., Die Gelehrtenfamilie Lorichius aus Hadamar. Bio— 
graphiſch⸗ bibliographiiche Mitteilung. — Der Hauptfahe nah ein genaues 
Schriftenverzeihnis für die 4 Gelehrten Gerhard, Reinhard, Johann und Georg 
Lorich. 

Horn E., Zur Orthographie von U und V, I und J. Eine hiſtoriſch— 
typographiſche Erörterung. 

Wyß A., Beſprechung von Schnorrs Erasmus Alberus. Nimmt an, 
daß der Zweig der Familie Alber oder Aleber, dem Erasmus angehört, aus 
Friedeberg ſtamme und von dort nah Frankfurt a. M. übergeſiedelt ſei; er 
jchenkt der Wittenberger Matrifel, wonach Erasmus aus Frankfurt war, Glauben 
amd verlangt Nachforichungen im Frankfurter Stadtarhiv. Andre Fleinere 
Ergänzungen. 


An DIERUfen aus dem Buchhandel 1894. 

1. Werke ımd Schriften von Dr. Heinrih Hoffmann (Hoffmann- 
ne "Seh. Sanitätsrat, Frankfurt a. M.) BVerfaffer des Strumelpeter 
7 20. September 189. 

Mr. 9. Werke und Schriften von Dr. Neinhold Bechftein, ordent— 
lichem Profeſſor für deutſche Sprache und Yiteratin an der Univerſität Roftod. 
75. Oftober 1894. 

Kr. 15. M. W., Zum fünfzigjährigen Gefhäftsjubiläum der Firma 
Eduard Hölzel in Olmüß und Wien. (15. Oftober 1844—1984.) Aus dem 
Mährifchen Tagblatt vom 10. Dftober 1894. U. a. Notizen über das Ol— 
müter Tagblatt „Die Neue get. 

Kr. 29,30,32. Braun J. Hans Sadhs-Literatur. Zum 400 jährigen 
Geburtsjubiläum des Hans Sachs zufammengeftellt. 1. Literatur über Hans 
Sad. 

Nr. 31. Werke und Schriften von Geh. Nat Dr. Ernft Eurtius, 
ord. Profeffor für klaſſiſche Archäologie an der Univerfität Berlin, geboren am 
2. September 1814, zum außerordentlichen Profeſſor an der Univerfität Berlin 
ernannt am 6. November 1844. 

Kr. 39. Zur Entwidelungsgefhichte des Hamburgiſchen Zeitungs- 
wejens. Aus den „Mitteilungen aus der Innung des Hamburgiichen Buch— 
druder-Prinzipal-Bereins“ Nr. 75 vom 1. November 1894; Beilage zum Journal 
für Buchdruderfunft. Betrifft die erfte von Johann Meyer feit dem Jahre 
1616 in Hamburg herausgegebene Zeitung. 


Sitzungsberichte der philoſophiſch-philologiſchen und der hiſtoriſchen Claſſe 
der k. b. Akademie der Wiſſenſchaften zu München 1894 Heft 2. 
Ehrift v., Nefrologe: Rudolf Schöll, Hermann Sauppe. 
Cornelius v., Nefrologe: Wilhelm von Lübke, Auguſt von Kluckhohn, 
Hermann Baumgarten, Georg Daniel Teutſch, Richard Nöpell, Georg 
von Wyß. 


208 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Carrierre M., Fichtes Geiſtesentwicklung in den Reden über die Be— 
ſtimmung des Gelehrten. Jena 1794, Erlangen 1805, Berlin 1811. 
Nachrichten von der Königl. Sejellichaft der Wiffenichaften zu Göttingen. 
Philologiſch-hiſtoriſche Klaſſe 1894 Nr. 2. 
Meyer Wilhelm, Melanchthons Borlefung über Eiceros Officia 1555. 
(VBorgelegt in der Situng vom 9. März 1894). Melanchthon als Docent. — 


Melanchthons Bortrag. — Nahichriften von Melanchthous Vorträgen und deren 
Abdrud. — ©. 151: „Einft hat es jehr viele ſolcher Nachſchriften meland- 


thonischer VBorlefungen in Deutichland, Böhmen und Ungarn gegeben, heute find 
nur wenige bekannt, doc wird einige Aufmerjamfeit manche zu Tage bringen; 
namenloje Stücde laffen fich bei dem perjünlichen Charakter von Melandhthons 
Aeußerungen mitunter leicht bejtimmen.“ In Göttingen fand Meyer 2 folche 
Nachſchriften, 1) eine Nachſchrift feiner Vorlefungen über Ciceros Offieia, 2) eine 
Nachſchrift der Poitille. Am wichtigften find die in feine VBorlefungen einge 
jtreuten Kernſprüche, Sprühmörter und Gejhichten. Betont die Bedeutung der 
Sammlung des Joh. Manlius Locorum communium collectanea 1563. 
©. 153: „Eine zeitgemäße Sammlung der Kernfprücde und Geſchichten aus 
Melanchthons Vorleſungen wäre die ſchönſte Gabe, welche zum Gedächtnis jeines 
pierhundertjährigen Geburtstages dem deutſchen Bolfe dargebracht werden kann.“ 
Entwidelt die dabei zu befolgenden Grundjäte. — Die Handirift in Göttingen 
Codex Luneb. 99 und die gedrucdten Prolegomena. Die Bejchaffenheit dieſer 
Nachſchrift. Inhalt der Handſchrift. Die gedrudten Prolegomena geben nicht 
den vollftändigen Inhalt eines ſyſtematiſchen Kollegs über Ethik, jondern fie find 
nur zufällige und einzelne Ausführungen einiger wichtigen Punkte der Ethik, 
hervorgerufen und an einander gereiht nach einem rein äußerlichen Anlaß, nad 
dem Wortlaute von Ciceros Buch de officiis. — Zeit dieſer Vorlefung. Es 
war ein eimftündiges Kolleg, das durch 15 Monate, vom 21. Mai 1555 bis 
über den Juli 1557 hinaus gelefen wurde. — Anhang der Handjchrift: In 
Ethicen Aristotelis. — Auszüge aus dieſen Borlefungen Melanchthons. Me— 
lanchthon über Cicero. Melanchthon und jeine Umgebung. Wittenberger Ber- 
hältniſſe. Künftler, Dichter, Gelehrte der Zeit: Dürer, Pleninger, Cordus, 
Hegendorphius, Erasmus, Capnion, Eobanus, Hermodorus, Luther, Bernhard 
Ziegler, Cordatus, Oſiander, Seb. Frand, Johannes Campanus, Servet, Ca- 


niſius, Eccius. — Völker, Länder, Städte. — Stände. Fürſten und Hofleben. 
Geistliche und Juriſten. — Kaiſer, Könige, Fürſten, Edelleute, Geiſtliche (zum 
Teil Scherze). Aus dem täglichen Leben. — Eine Fabel, einzelne Ausſprüche 


und Ausdrücde. 
Göttingifche aelehrte Anzeigen 1594 Nr. 8. 

Minor J., Necenfion von Strad: Goethes he Liederbuch mit 
Ergänzungen zu Minors früheren Unterfuchungen über denfelben ——— 
Der Schluß der Recenſion berührt ſich mit Minors Ausführungen Euphorion 1,22 ff. 
und 489 ff. 

Sitzungsberichte der königlich preußiichen Akademie der Wiſſenſchaften 
zu Berlin XXIII 5. Juli 1894. 

Weinhold K., Mitteilungen über 8. Lahmann. Aus Lachmanns Briefen 
an feinen Jugendfreund Clemens Auguft Karl Klenze 1820—1833, für Lach— 
manns menjchlihe Entwidlung von größter Bedeutung. ©. 654 ift Reinhard 
Bunfen erwähnt. — ©. 655 Litat aus einem Lied von 8. Thorbede — 
S. 656 eine jonderbare Redensart: „ich möchte es [das Herz] auch nicht jo zu 
Loche bringen, daß es von der Eitelfeit überfchattet kuſchen müßte“ mit der 
Anmerkung des Herausgebers: „Bedeutet wohl, in ein Verſteck oder eine Höhle 
bringen, daß es darin einjchliefe.“ — ©. 660 ff. Ueber Schleiermacher. Das 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 209 


Spiel mit Schleiermachers Namen, an dem Lachmann Anftoß nimmt: „er mache 
Schleier”, liebten hen die Nomantifer. — ©. 664 fi. Ausfichten auf eine An— 
jtellung in Braunſchweig. — ©. 665 fi. Ueber die Königsberger Zeit. — 
©. 668 Ueber die Ausfichten im Jahre 1823 nach Berlin zu fommen. — 
©. 672 f. v. d. Hagens Ernennung zerftört feine Hoffnungen und raubt ihm 
die Faſſung. — ©. 675 Neue Berfuche, um nach Berlin verjetst zur werden. — 
©. 677 Drei Briefe an Niebuhr, 30. März 1827; 21. März 1829; 20. Juli 
1829. — ©. 678 und 680 über Buttmann. — ©. 686 f. An Simrod, 
18. Oftober 1835. Dankt ihm für den „lieben Wieland“, Simrods Bearbeitung, 
die ihm ungemein gefalle. „Unſer einer hat nur dabei zu überwinden, daß er 
über das Gefühl der Nahahmung einer älteren Periode der Poeſie hinwegkommt: 
man fommt aber auch darüber weg, weil die Behandlung doc ſehr eigentümlich 
und einem heutigen Leſer anſprechend ift. Anfangs fonnte ich mir die mordijche 
Mythologie mit dem Ton des 13. Jahrhunderts nicht zufammenreimen: aber mit 
der Zeit geht das auch, da das Mythologiſche jo ſchön phantaftisch iſt.“ Auch 
Bekker habe an dem Gedicht große Freude. 


Abhandlungen der philologiich-hiftoriichen Klaffe der Königl. Sächftichen 
Sejellichaft der Wiſſenſchaft Band 14 Wr. 6. 

Heinze M., Vorlefungen Kants über Metaphyſik aus drei Semeftern. 
I. Aeußeres über die Manuffripte. II. Die Vorlefungen aus der zweiten Hälfte 
der fiebziger Jahre. III. Die wahrjcheinlich aus dem Winter 1790/91 ftanımende 
Borlefung. IV. Die Borlefung aus dem Anfang der neunziger Jahre. Beilagen: 
I. Prolegomena aus dem Hamburger und dem erjten Königsberger Manuffript. 
II. Begriff von Raum und Zeit aus dem Hamburger, erjten Königsberger umd 
erften Yeipziger Manuffript. III. Psychologia rationalis aus dem zweiten 
Leipziger Manuffript. IV. Psychologia rationalis aus dem zweiten Königs— 
berger Manuffript. V. Theologia naturalis aus dem zweiten Königsberger 
Manuffript. 

Anzeiger des germanischen Nationalmufeums 1894 Nr. 4. (Mitteilungen 
aus dem germanifchen Nationalmufeum 1894 Bogen X.) 

Böſch H., Ein märkiſcher Familienſchmuck aus dem Anfange des 17. Jahr— 
hunderts. 

Schmidt R., Noch einmal Hans Sachs als Kapitalift. Dr. med. Heinrich 
Wolff, welcher das Haus zum roten Hahn feit 1556 bejaß, löfte nach acht Jahren 
(1564) den Gatterzins ab, indem er an Hans Sachs die Summe von 600 Gulden 
zahlte. Die Urkunde darüber wird mitgeteilt. 

Katalog der Holzjtöde vom XV.—XVIN. Jahrhundert Bogen 3—6. 

Berichte des Freien Deutſchen Hochftiftes zu Frankfurt am Main. Neue 
Folge Band 10 Heft 3/4. 

Stengel, Ueber Friedrih Diez. Mit Benugung von Briefen. Anhang. 
Vorrede zu „Altipanifche Nomanzen. Ueberſetzt von Friedrich Diez. Frank 
furt a./M. 1818." 

Nehorn Fr., W. von Humboldts Aufſätze über den Unterfchied der 
Gejchlechter und ihr Einfluß auf die Lyrik Schillers. 

Koh M., Neuere Goethe und Scillerliteratur IX. ©. 469 wird 
Wallenfteins Lager V. 750 verglichen mit Napoleons Worten (6. Mai 1796) 
in einem Briefe an das Direktorium: „Plus vous m’enverrez d’hommes, et 
plus je les nourrirai faeilement“. — ©. 470 wird im Anſchluß an Noethes 
Abhandlung über den Tell (vgl. Euphorion 1, 470) verlangt, daß nun in 
gleicher Weife die Iyrifch=epifche Telldihtung (Kavater, Friß Stolberg, 
2. Meifter u. f. w.) im Hinblid auf Schillers Drama gefichtet werden folle, und 
Euphorion II. 14 


210 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


wird auf Ehr. v. Stolbergs Chorgefänge zu einem Schaufpiel Wilhelm Tell 
hingemiejen. 

Ziegert M., Goldfhmieds „Yandprediger“ im Deutfchland. Stellt 
ältere und neuere deutſche Ueberſetzungen und Urteile zufammen. 








Zeitfchrift des Vereins für Volkskunde Jahrgang 4 Heft 4. 

Prato St., Zwei Epiſoden aus zwei tibetaniſchen Novellen. ©. 347 f.: 
zu der Geichichte von den Merkmalen des Pferdes, die W. Hauff nad 
Boltaire benutzt. 

Felberg H. F., Die Zahlen im dänischen Brauch und Bolfsglauben 
©. 374 f. 

Fränkel 2., Altes und Neues zur Melufinenjage ©. 387 f., Hinweiſe 
auf Goethe (Werther, Der neue Baris), Uhland, El. Brentano, Grill- 
parzer. 

Herrmann A., Der volfstümliche Ralenderglaube in Ungarn ©. 392. 

Davidsjon O., Zwei Erinnerungen an den Handel der Hamburger mit 
Island ©. 408 f. 

Sartori P., Der Schuh im Bolfsglauben S. 412 f.: Hinweis auf Heines 
angebliden Traum im Buch über 2. Börne ©. 427. 

Amalfi ©, Eine türkische Erzählung im einem italienifchen Schwante 
©. 428: die Gefchichte von dem Pfarrer, der einen Eſel auf dem Friedhof begräbt. 

Bolte J., Zwei Flugblätter von den jieben Schwaben ©. 450: die 
Hafenjagd, Die den Kern von Aurbahers Boltsbüchlein bildet, jtammt aus 
einem Gedicht des Hans Sachs, das ſchon vorher Arnim und Brentano, 
noch früher die Schwankbücher fich angeeignet haben. Auch Sprichwörter 
und Dialeftdichtungen haben ſich des Stoffes bemächtigt. — Zahlreiche Belege. 

Englert A., Das Lied vom Pater Guardian ©. 437. 

Kleine Mitteilungen ©. 441: Sage vom Nibelungenland. — Zahl- 
bezeichnungen und Rechtsleben. — Paſſionsſpiele in Krain ©. 4435 feit 1598 
in Laibach, jpäter auch in andern krainiſchen Städten Baffionsipiele in lateinischer 
und deutjcher Sprade; 1782 von Kaifer Joſef Il. verboten. s Volks— 
ſchauſpiel zu Englmar ©. 443; das im Bayeriſchen Wald belegene Pfarrdorf 
führt jährlih im Anſchluß an das Fronleichnamsfeit die Legende des hl. Englmar 
auf. — Teufelsfagen aus Oberfärnthen ©. 445. — Sagen und Gebräude 
des 17. Jahrhunderts aus der Schweiz. — Aus der Gegend von Saufal in 
Unterjteiermart. — Aus der windifhen Steiermart. — Schlefiihe Sagen. — 
Löſung des Zungenbandes. — Nachrichten. 

Bücheranzeigen ©. 460 f. — Beiträge zur Anthropologie, Ethnologie 
und Urgeihichte von Tyrol ©. 461: auch zu Tiernamen und tirolifhen 
Sagen. — Unter dem Namen „Grimm Library“ erfcheint eine englifche 
Sammlung von Materialien und Arbeiten zur Volkskunde ©. 463. — Hein, B., 
Die geographifche Verbreitung der Totenbretter. — „Bayerns Mundarten.“ — 
„Unfer Vogtland“, Monatsjchrift. — Nabert, Die Bedrängnis des Deutjchtums 
in Oefterreih-Ungarn. — Merkbuch Altertümer aufzugraben und aufzubewahren. 

NR. M. Meyer. 
Am Ar-Quell Monatsihrift für Volkkunde Band 5 Heft 7—11. 

Feilberg 9. F., Wie fih Volkmärchen verbreiten. 

Schweinburg- Eibenſchiß S., Zur Volkkunde der Juden Böhmens. 

Haaſe K. E., Kinderjpiele aus Greußen in Thüringen. 

Schell D., Einige Bemerkungen über den „Mond“ im heutigen Glauben 
des bergiſchen Volles 

Popp K., Volkglaube im niederöſterreichiſchen Waldviertel. 








— — — 
= — — — 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 211 


Pot A. H., Mitteilungen aus dem bremifchen Volkleben. 

Haas A., Das Kind im Glauben umd Brauch der Pommern. 

Treichel 4, Zungenübungen aus Preußen. 

Fränfel L., Die älteſte Niederfchrift deutfher Volkmärchen. 

Frahm — Holſteiniſche Kinderſpiele. 

Schell O., Baſtlöſereime. Eine Umfrage. Beitrag von Kunze. 

Krauß S., Geheime Sprachweiſen. Eine Umfrage. 

Kröning F., In des Gartens dunkler Yaube. 

Berkowicz M., Reime galiziſcher Judenkinder. 

Feilberg H. F., Warum gehen Spukgeiſter kopflos um? Eine Umfrage. 
Beiträge von Kaindl und Sprenger. 

Höfler M., Teufel-Namen. 

Haas W., Drei alte Rechtbräuche von der Inſel Rügen. 

Fränkel 2 Beiträge zur Kyffhäuſerſage von Kaiſer Friedrich. 

Robinſon S Zum Volkglauben der Juden Galiziens. 

Asmus, Biblifhe Rätſel aus Pommern. 

Dörfler A. F., Volklied der Ofener Schwaben. 

Englert A., Alte Sprüche. 

Then H., Helgoländer Sagen. 

Merfner H, Zwei politifche. Volflieder. 

Sprenger R., Zu den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm. 

Haafe 8. E., Spridwörter aus der Grafichaft Hohnftein. 

Treihel A., Rartenjpiel- und Yosglaube aus Weftpreußen. 

Maäatyas L., Zu dem Lieder „ES famen drei Diebe aus.“ 

Zeitſchrift für Ethnologie Jahrgang 26 Heft 5 

Virchow R., Ueber Finland im 19. Jahrhundert ©. 256. 

Schulenburg W. v., Volkskundliche Mitteilungen S. 306. 

R. M. Meyer. 
Zeitſchrift für Kulturgeſchichte Neue Folge Band 2 Heft 1. 

Krones F. v., Karl v. Zierotin und fein Tagebuch) vom Jahre 1591 
©. 1. Bierotin, aus jenem mähriſchen Adelsgefchlechte, defjen Namen der des 
Helden von Grillparzers „Ahnfrau“ nachgebildet ift, jtand in Beziehungen zu 
Grynäus und Beza (S. 3), wurde der Schwager Wallenfteins (©. 5) und 
hinterließ als Denkmal feiner langjährigen politifchen Thätigfeit und feiner 
manichfachen Intereſſen ein Kulturhiftorifch wichtiges Tagebuh (©. 8 f.) Er 
tritt in Dresden zu dem Humaniften Yeunclarius in Beziehungen (©. 21), be- 
ſucht Die Fürftenjchule zu Zerbſt (S. 22) und jchildert die Zuftände in nord— 
deutihen Städten (Lüneburg, Stade). 

Biedermann K., Die Fauftfage nah ihrer Fulturgejchichtlichen Be— 
deutung ©. 31. Der Aufjat geht von der antifen Anfchauung der Hybris aus, 
zieht deshalb Goethes Iphigenie (©. 33) zum Vergleich heran und bringt ohne 
Benugung neuen Materials oder Kritif des alten Betrachtungen über die Ent- 
widelung der Fauftlegende (Borgänger — Reformationszeit — Marlow 
— Leſſing — Goethe). 

Liebe G., Zur Gejchichte der Uniform in Deutfchland ©. 51. (Hinweis 
auf Leibnitz ©. 58.) 

Nieder O., Totenbretter im bayerifhen Walde ©. 59. Die Totenbretter 
gehören zu den Trägern der „eprigrammatifchen Bolfspoefie” (©. 61); 
in der Regel werden freilich nur trodene Formeln aufgefegt (©. 78). — Hin— 
weis auf Rank Aus dem Böhmerwald (S. 69 Anmerkung 37). 

Miscellen ©. 80: Biedermann K., (Weimarifches Straßenmejen; Stevb- 
 lichfeitsziffern aus Leipzig 1684—1783). 


14* 


212 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Mitteilungen und Notizen ©. 85 (Die Lehrer und die Kultur— 
geichichte). 

Neue Zeitſchriftenaufſätze ©. 86. 

re ©. 89: Grupp G.: Kulturgefhichte des Mittelalters 
(©. Liebe tadelt die RE) ultvamontare Haltung, die ſich z. B. an ©. Freytag 
vergreift ©. MW). — J. Janſſen: Gefchichte des deutſchen Volkes Band VI 
(Steinhaufen mürbigt bejonders die literarhiftorischen Partien des gelehrten Tendenz- 
werfes). — R. Pappritz: Ulrich v. Hutten (nach H. Detmer wertlos). — Sdart: 
Nieberfächfifdhe Sprachdenkmäler; Niederdeutiche Sprichwörter (nah R. M. Meyer 
wertlos). — NR. Crampe: Philopatris (von Dobſchütz). R. M. Meyer. 

Germania. Illuſtrierte Monatsſchrift für Kunde der deutſchen Vorzeit 
und Kulturgefhichte Jahrgang 1. 

Nr. 1 und 2. Meyer Ehr., Die Fugger. 

Seid! A., Der Rhein in der Kultur und Kriegsgejchichte. 

Nr. 2. Arnold F., Glaubensfämpfe an deutichen Höfen des 16. Yahr- 
hunderts. 

Henne am Rhyn O., Der Aberglaube in der deutſchen Kulturgeſchichte. 

Hiſtoriſches Jahrbuch Band 15 Heft 3. 

Falk F., Der mittelrheinifche Freundeskreis des Heinrih von Yangen- 
jtein. Beiträge zur Kenntnis folgender Berfönlichkeiten: Abt Jakob von Eber- 
bach, Der Eberbadher Mönch Peter, Eberhard von Ippelbrunn, Kämmerer 
Johann von Eberftein, Edard von Ders, Der Domprobit Konrad von Geln- 
hausen. 

Paulus N., Wolfgang Mayer. Ein bayerifcher Cifterzienferabt des 
16. Jahrhunderts. Geboren zu Oberdorfbah in Niederbayern 18. Dftober 1469, 
geſt. 1544. Dichter und Hifterifer. ©. 575 Ergänzung zu Defeles Artikel 
Lorenz Hohmart in der Allgemeinen Deutſchen Biographie. 

Zum Mahnjchreiben Fexreris an Luther (vgl. Euphorion 1, 450). 
Berbefferungen und Nachmweife. 

Hifterifche Zeitschrift. Neue Folge Band 37. (Der ganzen Reihe 
73. Band.) 

Heft 2. Aeußerungen des Kriegsminifters v. Roon über die Berufung 
des Herrn v. Bismard in das Minifterium 1862. Mitgeteilt von D. Perthes. 
Aus Briefen Noons an Profeffjor Clemens Perthes in Bonn, Gaſtein, 
27. Zuli 1864; Berlin, 16. Dezember 1864. 

Heft 3. Gebhardt B., Wilhelm v. Humboldt über die ſpaniſchen 
Cortes. Während der Zeit feiner Wiener Gefandtfchaft fügte Humboldt einigemale 
jeinen amtlichen Berichten Auszüge aus jpanifchen Zeitungen über die Cortes bei 
und knüpfte daran fehr intereffante Darlegungen. Aus den Berichten von 
17. Februar und 6. Mai 1811 werden feine Beobachtungen über die Cortes mitgeteilt. 

Unterfuchungen zur deutſchen Staats- und NRechtsgefchichte Heft 47. 

Hande E., Bodin. Eine Studie über den Begriff der Souverainetät. 

Revue Historique Dix-neuvieme annee. Tome einquante-sixieme 1. 

Depping G., Madame, mere du regent, et sa tante l’electrice 

Sophie de Hanovre. Nouvelles lettres de la Princesse Palatine (Suite) II. 
Annales de l’Est 1894 juillet. 

Bleicher G., Une page de l’histoire scientifique et litteraire de 
l’Alsace; les societes seientifiques et litteraires avant et apres l’annexion; 
suite et fin. 

Geſchichtsblätter des deutihen Hugenotten-VBereins Jahrgang 4 Heft 1 
und 2. 
Bonin D., Die Waldenfer-Kolonie Rohrbach, Wembach und Hahn. 








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Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 213 


Zeitſchrift des deutſchen Paläftina-Bereins Band 17 Heft 3. 
Röhricht R., Die Jerufalemfahrt des Heinrich v. Zedlit (1493). Fortfegung. 
Altpreußiſche Monatsſchrift. Neue Folge. Band 31 Heft 3 und 4. 

Kalweit P., Ein fürftliches Yeichenbegängnis im 17. Jahrhundert zu 
Königsberg 1. Pr. Ein Beitrag zur preußifchen Kirchengefchichte. Aftenmäßige 
Darftellung des Berhältniffes von Lutheranern und Neformierten im damaligen 
Herzogtum Preußen zu einander, welches bei Gelegenheit des Yeichenbegängniffes 
des brandenburgifchen Rurfürften Georg Wilhelm im Jahre 1640 befonders 
deutlih zu Tage tritt. — Der Gegenfaß, den die Anmerkung ©. 217 zwifchen 
Ableiben und Ableben finden will, ift nach dem Grimmiſchen Wörterbuch 
unzutreffend. 

Treihel A, VBolfstümlihes aus der Pflanzenwelt, befonders für 
Weftpreußen. IX. Stützt fi nicht blos auf die gedrudte Literatur, fondern 
auch auf zahlreiche mündliche und jchriftliche Mitteilungen. 

Lohmeyer K., Eine Liedfompofition aus dem 17. Jahrhundert und 
ihr gleichzeitiger Kritiker. Heinrich Albert legt der Oberften Univerfitäts- als 
Cenjurbehörde in einem ex Musaeo meo vom 4. Januar 1535 datierten Schreiben 
eine Kompofition des Liedes: „Glückſelig ift der Mann“ von dem Organiften der 
Königsberger reformierten Gemeinde Michael Weyda vor, weift deren grobe 
Fehler im Einzelnen nach, gibt feiner Entrüftung über die Veröffentlichung jolcher 
Machwerke im draftiichen Worten Ausdruck und verlangt, daß die Cenſur auch 
auf muſikaliſche Erſcheinungen ausgedehnt werde. 

Alt-Mien Jahrgang 3 Nr. 8. 

Priſching R., Ferdinand Raimund und 9. Ch. Anderfen. (Zur 
Erimmerung an Anderjens Sterbetag 4. Auguft 1875.) Anderſens Märchen- 
fomödie „Mehr als Perlen und Gold“, eine freie Bearbeitung nad Raimunds 
Diamant des Geifterfönigs und nah „Tauſend umd eine Nacht“ wird 
charakterisiert. 

Mitteilungen des Vereins für Gefchichte von Annaberg und Umgegend 
IV. Jahrbuch für 1893—1894. 

Vorträge: Grohmann, Ein Bild der Hörigfeit im oberen Erzgebirge zur 

Zeit Sofephs II. (im Anſchluſſe an ein Erbregifter von Schönfeld bei Annaberg 





aus dem Fahre 1775). — 26. Dftober 1895. Nöfelmüller, Ueber den letzten 
Herenprozeß in Annaberg, der gegen die Eva Clifabeth Hennig aus Annaberg 
im den Jahren 1712—1722 geführt wurde. — 22. Februar 1894. Scherffig, 


Ueber Friedrich Mykonius (vgl. Annaberger Wochenblatt 1894 Nr. 47). — 
15. März 1594. Göpfert, Ueber Annaberger Familiennamen. 

Wildenhahn J., Das Teftament des [Bergamtsverwejers] Marcus Röling 
in Annaberg vom 21. April 1581 nah der im Befite der K. Realgymnaſial— 
bibliothek befindlichen Urſchrift. Mit Erläuterung. (VBerfürzte Wiedergabe eines 
am 5. Mai 1892 gehaltenen Vortrags. 

Blanckmeiſter F., Aus dem Briefwechjel Gottfried Arnolds. 1. Arnold 
an den Röhrsdorfer Paftor J. G. Klimper, Dresden, 29. März 1693 mit allerlet 
Nenigkeiten aus der theologischen Welt. Neudrud aus Löfchers „Fortgefeßter 
Sammlung von Alten und Neuen theologifchen Sachen,“ 1737. 2—7. Brief- 
wechjel zwifchen Arnold und Herzog Moris Wilhelm von Sachjen- Zeit, deſſen 
theologifcher Berater Arnold eine Zeitlang war, aus den Jahren 1704—1710. 

Forſchungen zur Kultur- und PLiteraturgefchichte Bayerns, herausgegeben 
von K. dv. Neinhardftöttner. Zweites Buch. München und Peipzig 1594. 
G. Franzicher Verlag, Joſ. Not. 


214 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Neinhardftöttner K. v., Volksſchriftſteller der Gegenreformation 
in Altbayern. Klagen über die herrſchenden Mißbräuche des Klerus und der 
alten Kirche vor der Reformation: Hanns Schwalb 1521. ©. 50 die Fefuiten: 
Georg Scherer (1539— 1605) und Konrad Better (gejtorben 1622). ©. 51 
Katholische Verleger und Druder: „Eine Geihichte diefer Buchdruder, Die gleich- 
mäßig von den Fatholifchen Schriftitellern al3 Verleger gewählt wurden, wäre der er- 
Ihöpfendfte Nachweis der regen literarifchen Produktion jener fampfluftigen Zeit." — 
Polemiſche Literatur: Petrus Hanfonius. ©. 53 „Die Darftellung der Bolfs- 
literatur der Gegenreformation in Bayern wäre eine der lohnendften Arbeiten, 
die freifih nur Nefultat langjähriger Forſchung fein könnte, einer Forſchung, die 
ſowohl nach literarifchem, als bejonders ſprachgeſchichtlichem Gefichtspunfte hin 
bedeutende Ergebniffe zu Tage fördern würde”; denn auch die Gegner Yuthers 
fchreiben jetst deutjch, Johannes Cohläus, Johann Faber (Fabri) von Heil- 
bronn, um auf das Volk wirfen zu können, ebenfo Wolfgang Sedelins. 
©. 54 ff. Katholiſche Gefangbüder: Adam Walaſſer. Umdichtungen einzelner 
Teile der Bibel: Magdalena Heymarin, Joachim Meichel. Bolkstümliche 
Dialoge: Adam Walaffer. Ueberſetzung zweier polnischer Gejpräche des Martin 
Eromer von Johann Baptift Fiedler. K. W. Platz, Kaſpar Frand, Ehriftoph 
Pflaumers. Johannes Sijfelfelders Nova Paschalia erſcheinen gleichzeitig 
in deutjcher und lateinischer Sprache 1629. Matthias Kraz, Konrad Vetter 
(1589), Jakob Keller. — Kaſpar Schatger (geft. 1527) entfaltet in den letzten 
4 Jahren feines Lebens eine reiche polemifhe Thätigfeit. Deffen Kampf mit 
Fohann Schwarzenberg, Andreas Oſiander und Antonius Zymmerman. — 
Sohann Locher aus München, Anhänger der Reformation in Zwidau. — Der 
Auguftinerpriovr Dr. Wolfgang Cäppelmair (geft. 1546); der Jeſuit Konrad 
Better; der Franzisfaner Johannes Nas, der Jeſuit Laurentius Forer, Wolfgang 
Kyriander, Adam Walaſſer. ©. 84 wird ein eingehendes Bild der Bolfs- 
literatur der Gegenreformation in Altbayern und als BVorbedingung dazu 
die Durchforſchung der Kirchengefchichte, ferner eine eingehende, einzelne Stämme 
zunächft berücfichtigende Gefchichte der Kanzelberedfamfeit verlangt. Umfaſſende 
Charafteriftit des Aegidius Albertinus. 

Günther ©., Johann Ed als Geograph. 

Schmidt F., Eine unfreimillige Reife fürftlicher Kinder. Schilderung der 
Reife der vier älteften Söhne des Kurfürften Mar Emanuel$ von Bayern von 
München nad Klagenfurt im Frühjahr 1706. 

Du Moulin Edart R., Bayerifhe Zuftände und die franzöfifhe Propa— 
ganda im Fahre 1796. Nach den Berichten der franzöftichen Geheimagenten. 
Auch die geiftigen und religiöfen Zuftände werden gefchildert; Stadt und Land, 
der Hof umd die Staatsmänner, die Gefandten der fremden Mächte. ©. 200 
Babo, ©. 201 f. Weftenrieder. 

Reinhardftöttner K. v., Münchener Zeitungspolemif gegen Boltaire im 
Sabre 1769. Die Churbaierifchen Intelligenzblätter für das Jahr 1769 enthalten 
ein „Schreiben an den Herrn v. Voltaire von einem Baier“ gegen eine Stelle 
in Voltaires L’homme aux quarante écus. 

Reinhardftöttner K. v., Bayern und feine Hauptftadt im Lichte von Reije- 
ihilderungen und fremden Kundgebungen. Eine veihe Zufammenftellung als 
Ergänzung ähnlicher Mitteilungen Stieves im Jahrbud für Münchener Gejchichte 

13 fi. 


Beiträge zur bayerifhen Kirchengeſchichte Band 1 Heft 1. 
Kolde Th, Andreas Althamer, der Humanift und Reformator 
1. Abteilung. 
Stieve F., Zur Gefchichte dev Concordienformel, 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 215 


Sperl A., Aktenftüce zur oberpfälzifchen Kicchengefchichte. 

Rieder D., Kichengefchichtliches in den Zeitfchriften der hiftorifchen Vereine 
in Bayern. 

Schriften des Vereins für die Gefchichte Berlins Heft 31. 

Holte F., Die Berolinenfien des Peter Hafftiz. 

Clauswitz P., Kritifche Neberficht über die Literatur zur Geſchichte Berlins, 
Archiv des hiftorischen Vereins de8 Kantons Bern Band 14 Heft 2. 

Diesbah M. v., Hans von der Grubens Neife- und Pilgerbuch 
14355 — 1467. „Die waldfahrt gethan zu dem heiligen Grab durch herr Ludwigen 
von Diesbach, rittern, und feinen Diener Hanf von der Gruben. Gefchrieben 
durch den obgenandten Hanf von der Gruben. 1538. 

Stridler J., Alten zur Gefchichte des Oberländer Aufruhrs im Früh— 
jahr 1799° (Schluß). 

Mitteilungen des DBereines für Gefchichte der Deutfchen in Böhmen 
Jahrgang 33 Nr. 1. 

Neubauer %., Ueber Egerländer Tauf- und Heiligen-Namen. Auch 

einige Spott- und Gebetverfe werden mitgeteilt. 
Ersgebiras-Zeitung Jahrgang 15. 

Kr. 710. Nowak W., Zur Gefchichte und Sage der Königlichen Stadt 
Kaaden (Fortſetzung und Schluß.) 

Urban M., Königswarter Sagenſchatz. (Fortſetzung.) 

Nr. 9, 10. Wilhelm %., Das Goethehäuschen und die Ruine Wolfitein 
am Wolfsberge bei Tſchernoſchin. Zur Erinnerung an Goethes Befteigung des 
Wolfsherges wurde am 5. Auguft 1894 dafelbft ein Häuschen eröffnet. Die 
Feftfeier wird bejchrieben. Die angezweifelte Richtigfeit der Thatfache wird auf 
Grund von Zeugenausfagen neuerdings zu ftüten gefucht. 

Giehener Studien auf dem Gebiete der Gefchichte VI. 

Bernbeck K., Die Denkwürdigkeiten dev Markgräfin Friederike Sophie 
Wilhelmine von Bayreuth ımd die englifch = preußische Heiratsverhandlung 
von 1750. Mit einem Vorwort von W. Onden. 

Zeitſchrift des Vereins für Hamburgiſche Geſchichte Band 9 Heft 3 
(Schlußheft). 

Amſinck C., Die erſten hamburgiſchen Aſſecuranz-Compagnien und der 
Actienhandel im Jahre 1720. ©. 471 f. Anſchauliche Schilderung der Aufregung 
und des Treibens jener Tage in gleichzeitigen hamburgiſchen Gedichten. 
©. 491 f. Anfpielungen auf den Actienhandel in gleichzeitigen Hochzeits— 
gedichten. In einer „Taffel-Muſic“ (April 1720) ftreiten fih Venus und 
Mercur über die Errungenschaften der Lawſchen Mifftffippi-Compagnie: 

Venus: Miffifippt ift mir befandt 

Es ift der Erocodillen Vaterlandt. 
Mercur: Miffifippi foll bald auf Erden 
Ein ander Paradieß, und och was jchöneres werden. 
Es treten zwei Europamüde mit den Namen „Malcontento“ und „Furioſo“ 
auf, welche auf die Frage der Venus erwidern: „Wir wollen auch nah Niffifippi 
ziehen.“ — Auch an mancherlei Spottgedichten fehlte es nicht. 

Rüdiger O., Verfuh einer Zunftbildung unter den Schulhaltern 
im St. Jacobikirchſpiele um 1700. Ein Beitrag zur Gefchichte des Ham— 
burgiſchen Privatichulwefens. „Bon dem Stifter diefer Schulhalterzunft, 
Carſten Thode,... ift viel bekannt und ficherlih noch mehr aus feinen 
Schriften und andern Quellen zu erforſchen.“ Neudrud dev „WVereinbahrung der 
Schulmeifter in St. Jacobi Kirchſpiel“ (Hamburg 1706). 


216 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Nathanfen W., Zweiter Nachtrag zu dem Verzeichnis der auf den Brand 
des Jahres 1842 bezüglichen Abbildungen und Pläne. 

Gaedechens E. F., Der Herrenftall und die NReiten-Diener. 

Herasıs M., Hamburger Studenten auf deutfhen und ausländifchen 
Hohihulen in dem Zeitraume von 1290—1650. Notiz über den Berfaffer des 
Artifels Mar Heraeus (geb. 8. Mai 1866, geftorben 11. Ditober 1893). 1924 
Studenten werden verzeichnet. Die Matrifeln von 18 Umiverfitäten find ercerpiert. 
Eine ftatiftifche Tabelle ift beigegeben. 

Wagner F., Zur Gefchichte der Jefuiten-Miffion in Altona. Abdrud 
einer Nelation von 22. April 1603 über die Notwendigkeit der Unterftütung der 
von den Jeſuiten in Altona errichteten Niederlaffung durch die Curie. 


Archiv für vaterländifche Gejchichte und Topographie. Herausgegeben von 
dem Gefchichtvereine für Kärnten. Jahrgang 17. 
Schroll B., Geichichte des Benedictiner-Stiftes Milftat in Kärnten. 
Aufgelöft 14. Mai 1469. 
Starzer A., Negeften zur Kirhengefhichte Kärntens. Geſammelt aus 
römiſchen Archiven. 


Hohenzollerifche Forſchungen III, 1. Halbband. 
Quellen zur Gefhichte der Stadt Hof: 2) Jacob Schlemmers Ge- 
ihichte der Belagerung der Stadt Hof. 
Berliner Hofleben während der evften Negierungsjahre Friedrich des 
Großen. 
Der NRothenburger Bürgermeifter 9. Toppler. 
Germann W., Karl Freiherr dv. Stein zum Altenftein 1. 


Archiv des Bereins für die Geihichte des Herzogtum Lauenburg Band 4 
Heft 2. 

Bertheau, Die Borgefchichte der Lauenburgiſchen Kirhenordnung. 

Dührjen W., Lowenburgiſcher peinlicher Proceß und Urgicht des dafelbit 
gefänglich ſitzenden Amtjchreibers von Bergersdorf 1603. 

Hellwig, Aftenftücke zur Chronik des Domhofes bei Nateburg. (Bgl. 
Band 4 Heft 1©. 28 ff.) 1. Des Orgelmachers Jacob Scherer Bertrag mit 
dem Domkapitel zu Rateburg Anno 1551. — 2. Schreiben des Domorganiften 
Franz Bentem an den Adminiftrator des Stifts Ratzeburg, Chriftoffer, Herzog 
zu Meklenburg 1554. Mahnfchreiben des Adminiftrators an Franz Bentem. — 
3. Ehevertrag zwifchen dem Domherrn Ernft Bünſow und Jungfrau Elija- 
beth Eifelinus, Tochter des Arztes Heinrich Cifelinus und Entelin des Ratze— 
burgifchen Stifts-General-Superintendenten Nicolaus Petraeus. — 4. Pri- 
vilegium des erften Druders in Nateburg Nicolaus Niffen Anno 1669. 

W. D., Hieronymus Schulze (1534—1591, lauenburgifcher Kanzler). 

Iahr-Buch der Gefellichaft für lothringiſche Gefchichte und Altertumskunde 
Sahrgang 5 (2. Hälfte). 

Grimme Fr., Wolfgang Musculus. Bortrag, gehalten in der Sitzung 
vom 23. Januar 1894.  Biographifche Darftelung und Würdigung des 
Dichters. Spricht ihm die beiden zweifelhaften Lieder: „Chrifte, der du bift 
Tag und Licht“ und „Der Herre ift mein trewer Hirt“ ab. Abdruc diefer ud der 
echten Lieder nah Wadernagel. 

Thiriot ©, Recherches sur l’ordre des Dominicains & Metz II. 
Le „Relogement“ des Benedietins de St. Arnould dans le convent des 
Dominicains de Metz. ©. 142 eine Satire; La pie et le corbeau aus 
dem Jahre 1727, 


m — nn — — 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 217 


Bester M, Die hevrfchaftlihen Nechte in der Herrfchaft Forbach vom 
Jahre 1709. 

Poirier J. F., Notes de Messire Claude Le Jont, eur& de Pour- 
noy-la- Grasse reeueillies des registres paroissiaux (1709—1734). 


Gerfdjidts- Blätter für Stadt und Land Magdeburg Jahrgang 29 
1 


Tollin, Hugenottifcher Hausbefis (Schluß). Abſchnitt 2: Hugenotti- 
iher Hausbefit jeit 1735—1785. — Abſchnitt 3: Hugenottifcher Hausbefit in 
den letsten hundert Jahren, 1785 bis heute, und innere Ausftattung dev Huge- 
nottenhäufer. ©. 38: Innere Ausftattung der Magdeburger Franzofenhäufer 
(Sitte und Mode). ©. 43: Die Lifte der franzöſiſchen Hausbefiser in Magdeburg. 

Hertel G., Das Brüderſchaftsbuch der Brüderihaft Corporis Chrifti zu 
Staßfurt. 

Dittmar M., Aus dem Tagebuche des Fürften Chriftian des Jüngeren 
von Anhalt- Bernburg. Nufzeihnungen, die Zerftörung Magdeburgs, die 
Unterredung des Fürften Chriftian mit dem Adminiftrator Chriftian Wilhelm 
von Brandenburg [in Wien am 7/17 Auguft 1634] und den Entſatz Magde— 
burgs durch Pappenheim betreffend. Mitgeteilt und mit Erläuterungen verfehen. 

„Werbung Hertoges Albrecht von Friedlandt an Jungfrau Magdeburg, 
Dero abihlägige antwordt undt corber, refolpirt d(en) 18. Septembr. Anno 
1629. In jeim aygnem thon.“ M. Aubenfohn teilt diefes von R. Köhler im 
Arhiv für Literaturgefhichte 1, 228 ff. nach einer fchlechten Weimarer Abſchrift 
publizierte hiftorische Gedicht nach der Aufzeihnung in dem Nicolaus Ritters— 
haus gehörigen Berliner Eremplar von Martin Opitens Teutſchen Poemata 
(Straßburg 1629, vgl. Euphorien 1, 58 ff.) mit, verfieht es mit reichhaltigen 
Anmerkungen und vermutet Rittershauſen jelbft als den Berfaffer. 

Kawerau W., Joachim Greff in Magdeburg. Ausgezeichnete Ana— 
lyſe und Hiftorifche Würdigung der beiden während feines Magdeburger Aufent- 


Heft 


haltes erfchienenen Dramen Greffs, des „Spiels von dem Patriarchen Jakob und 


feinen zwölf Söhnen“ (Magdeburg 1534) und der gereimten Aululariaüberfegung 
(Magdeburg 1535). Der Anteil Georg Majors an dem erfteren Drama wird 
als jehr geringfügig nachgewiefen. Kamerau verfolgt auch die Nachwirkung des 
Greffiſchen Stüdes auf die fpäteren Joſephdramen und beſpricht ausführlicher 
das davon umabhängige Magdeburger Stüd des Joſeph Goeze „Tragico- 
Comoedia von dem Heiligen Patriarchen Joſeph“ (1612). 

Aotisen-Blatt der biftoriich-ftatiftifchen Sektion der k. k. mährifchen 
Gejellihaft zur Beförderung der Landwirtjchaft, der Natur- und Landes- 
funde 1895. 

Kr. 2. Welzl H., Beiträge zu einer Mufifgefhichte Brünns. Notizen 
771: 

Kr. 3, 4, 10—12. Grolig M., Bilder zur Rechts- und Sitten— 
gefhichte der Stadt Mährifh-Trübau im 16. und 17. Jahrhundert. 

Nr. 3. d'Elvert Chr. R., Das Entftehen der Gefangvereine im Defter- 
reich, inSbefondere Mähren und Defterreichiich-Schlefien. 

Welzl H., Vorträge und Vorlefungen in Brünn. Im Laufe des 19. Jahr— 
bunderts. 

Kr. 5—9. V’Elvert Chr. R., Der Regular -Elerus in Mähren und 
Oeſterreichiſch-Schleſien. 

Nr. 12. Klement C., Beiträge zur Kenntnis des Schulweſens in der 
f. Stadt Mähr.Neuſtadt im 18. Jahrhundert. 

Mansfelder Blätter, Mitteilungen des Vereins für Geſchichte und 
Altertümer der. Grafichaft Mansfeld zu Eisleben Jahrgang 8. 


218 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Größler H., Die älteren Urkunden der Stadt Hettftedt im Mansfelder 
Gebirgskreiſe bis 1574. 

Poppe G., Graf Hans Eruſt von Mansfeld-Heldrungen (1530— 1572) 
und die Gemeinde zu Bretleben. 

Poppe ©., Die tolle Gräfin. Ein Kulturbild aus dem 18. Jahrhundert. 
Anna Hedwig von Geufau, geb. Gräfin Hahn. 

Blümel E., Generalfeldmarſchall Ernft Albrecht von Eberftein. Erinne- 
rungsblatt an einen Helden des Mansfelder Landes. 

Blümel E., Gottfried Auguft Bürger. Ein Gedenfblatt zum 8. Juni 1894. 

Poppe G., Kriegserlebniffe eines Heygendorfer Einwohners in den 
Sahren 1806—13. Aus einer Chronif von Heydendorf des Chriftian Gottlieb 
König, 1794 in Ziegelvoda geboren, Gaftwirtes in Heygendorf bei Artern. 

Strümpfel E., Denfwürdigfeiten des Pfarrers Heinrich Schmalwaſſer 
weiland zu Wolferode und Polleben. Einzeihnungen auf den Innenſeiten der 
Holzdedel eines im Jahre 1979 gedructen Concordienbuches über die Jahre 
1550— 1586. 

Trippenbah M., Der Streit um die Patronatsgerechtfame in der Graf- 
ſchaft Falfenftein a. Harz. Bericht des geiftlichen Sentors Paſtor Mallinus 
im Kirchenbuche von Danferode aus dem Jahre 1692. 

Größler H., Die Befiter des Geburtshaufes des Erfinders der Buchdrud- 
Schnellpreſſe Friedrich Gottlob König zu Eisleben. 

Trippenbach, Pansfelder Glockeninſchriften. 

Kulckmann, Volkstümliches aus Eisleben. 1) Kirſchkernketten. 2) Was 
die Glocken Eislebens läuten. 

Totenfhau des Vereins: Bl., Poftjefretär H. Ludwig Kreidner 1840 
bis 1895, Dichter in Mansfelder Mundart. 

Mitteilungen des Bereins für Geichichte der Stadt Meißen Band 3 
Heft 4 (Schluß). 

Markus P., Meißen während der Napoleonifchen Kriege (Fortiegung). 
Aus Fleiſchhauers Kriegsjournal. Kriegsereigniffe vom Jahre 1813. 

Looſe W., Die älteren Meißner Zunftordnungen. 2. Die Schneider. 
A. Ordnung der Schneiderinnung vom Jahre 1490. — B. Herzog Georg zu 
Sachſen erneuert und beftätigt vorftehende Ordnung am 13. Juni 1520 mit 
folgendem Zuſatze. — O. Ordnung der Schneidergeſellen vom 29. Juni 1501. 

Nitzſche H., Geſchichte des Volksſchulweſens der Stadt Meißen. 1. Bon 
der Neformation bis zur Gründung der Bürgerjchule 1800. — 2. Bon der 
Einrichtung der Bürgerfchule bis zur Neorganifation der ſtädtiſchen Schulen 
1800—1836. — 3. Von der Neorganifation bis zu der durh das Schulgejet 
von 1873 veranlaßten meiteren Ausgeftaltung 1836—1874. — 4. Das Volf3- 
ichulwefen der Stadt Meißen im den letzten zwanzig Jahren 1874—1894. — 
Beilage: Berzeihnis der Lehrer an den Volis chulen der Stadt Meißen. Von 
1800 - 1894. 

Looſe W., Afraniſches. 1. Das Landgut des Johann Rivius. 
Kaufurkunden aus den Jahren 1549—1553. — 2. Nede des Caspar Peucer 
an die Schüler. Eine Schlußrede, welche Peucer als Inſpektor der Fürften- 
fchulen nach einer en Viſitation in üblicher Weife an die Schüler 
richtete. Vor 1571. 3. Abjchiedsrede Des Hiob Magdeburg. Bei feiner 
Amtsentjegung 1569. — 4. Ein Thunichtgut. Ein Föftliher Mahn- und Ver— 
weisbrief des Oberhofrichters Heinrich von Einfiedel an feinen in der Fürſten— 
ichule ftudierenden Neffen Hans von Bonidau, 12. Juli 1569, und der Be— 
richt des Georg Fabricius an den Schulverwalter Johann Fauſt über 
Ponidaus Wegbleiben aus dev Schule, 15. Juli 1969, 





Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 219 


Markus P., Pebensläufe verdienter Meißner. 3. Superintendent Chriſtoph 
Haymann (1709 — 1783) war von Oſtern 1738 — 1748 Lehrer und Seel— 
forger in Pforta. Er hatte nicht nur Berührungen mit den Pietiften, jondern 
auch mit den Methodiften. Eine nach feinem Tode erjchienene von unbefanntem 
Berfaffer herrührende Biographie.von ihm, die teilweife auf feinen Tagebüchern 
fußt („Blumen auf das Grab eines Rechtſchaffenen“. Meißen ohne Yahres- 
zahl) berichtet über fein Verhältnis zu Klopftod: „ALS derſelbige bei feinem 
damaligen Schüler, nur genannten hochberühmten Klopftode, einen außerordent- 
lichen Hang zur epifhen Dichtkunft gewahr ward und jelbiger bald an dieſem, 
bald ar jenem Gegenftand feine vorzüglichen Talente auszubilden fuchte, viet ihm 
einftmal fein treuer Lehrer, er follte Doch lieber den Helden aus Juda recht 
würdig zu beſingen ſuchen, welchem herrlichen Rat nachhero Klopſtock mit einer 
ſo ausnehmenden Stärke gefolget iſt.“ Markus ſucht die Richtigkeit dieſer An— 
gabe zu erhärten und weiſt Haymann eine wichtige Stelle in Klopſtocks Ent— 
wicklungsgange zu. ©. 20 wird das DVerzeihnis der bekannten Schriften Hay— 
manns ergänzt. — 4. Leicht A., Der Stadtichreiber Georg Gotthelf Weld 
(1669 — 1754) und Freiherr Carl Wolfgang Marimilian von Weld, 
Kreisamtmann zu Meißen (1743—1809). 


Zahrbücher des Bereins für meflenburgifche Geſchichte und Altertums— 
kunde. Jahrgang 59. 

v. Schultz, Die Verpfändung meklenburgiſcher Aemter unter Herzog 
Karl Leopold und deren Reluition. 

Stieda W., Die Schiffergeſellſchaft in Roſtock. S. 103 Schilderung 
eines Feſtes „Zur Nachricht aufgezeichnet, wie es anno 1780 den 10. Februar 
bey dem großen Faßlabend gehalten worden“ — Beilagen. 

Koppmann K., Dr. Johann Kittel, Profeſſor der Theologie und Super— 
intendent zu Roſtock 1561—1563. 

Meyenn F. v., Ein Rechnungsbuch des Kloſters Dobbertin. 1491 -1800. 
Verzeichnis der Priorinnen zu Dobbertin 1491—1560. 

Berustorff A. Graf v., Zur Geſchichte von Ankershagen. 

Stuhr Fr., Verzeichnis der Pfarrer im Lande Stargard 1496 

Meyenn J. v., Kurze Chronik des Kloſters Rühn während der Admini— 
ſtration der Prinzeſ fin Sophie Agnes, Tochter des Herzogs Adolf Friedrich 1. 
von Meklenburg. Von — 1693. 

Meyenn F. v., Die große Jammerklage und abgeſchorner Bocksbart. 
Hiſtoriſches Spottlied auf den ſchwediſchen Feldmarſchall Grafen Stenbock 
aus dem Jahre 1713. 

Auszug aus dem zweiten Bericht des Herrn Woſſidlo-Waren über die 
Sammlung meklenburgiſcher Volksüberlieferungen (Gedrudt im der 
Roftoder Zeitung 1894 Nr. 116, erſte Beilage). 

Groth, Meklenburgiſche Literatur Juli 1893 bis Juli 1894. Darin 
Abſchnitt III: Literatur, ſprachliche Altertümer. Sagen und Gebräuche. Buch— 
druck und Zeitungsweſen. Bibliotheken. VII. Biographie. 

Zeitſchrift des Münchner Altertums-Vereins. Neue Folge VI. 
Böhm, Hero und Leander. 
mn der Hiftorifchen Geſellſchaft für den Netediftrift zu Bromberg 


Baumert H., Mitteilungen aus der Bibliothek des chemaligen Bern- 
hardiner-Klofters in Bromberg. Berzeichnis der nad dem Drudorte, dem 
Druder und dem Fahre ihres Erjcheinens geordneten älteften Drucke bis zum 
Jahre 1530, 


2320 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Derhandlungen des Hiftorifchen Vereines für Niederbayern Band 30. 
Denk J., Die Einführumg des exereitium Augustanae confessionis 
in der Grafihaft Ortenburg und die daraus entftandene Irrung. Nach ge 
druckten und ungedruckten Quellen bearbeitet. I. Albrechts V. Negierungsantritt. 
Die Forderungen der weltlichen Stände auf den Landtagen der Jahre 1553, 
1556 und 1563. — 11. Förmlicher Uebertritt des Grafen J. v. Ortenburg zur 
Augsb. Ronfeffion. — MI. Einziehung der Schlöffer und Landgüter des Grafen. 
— IV. Entftehung einer „Verſchwörung“. — V. Der Prozeß gegen die Freunde 
des Grafen. — VI. Der Prozeß gegen Graf Joachim allein. — VII. Ueber das 
Beftehen einer geheimen Berbindung 1) zwiſchen J. dv. Ortenburg und Wilh. 
v. Grumbach 2) Beftand zwiſchem Joachim und dem öfterreichifchen Adel eine 
Verbindung ? 3) Unterhielt Graf Joachim ein Bündnis mit bayerijchen Land— 
ſaſſen? 

Scharrer F. S., Neuere Geſchichte des Schloſſes Moos. Fortſetzung 
von Band 25—29 der Verhandlungen. IV. Graf Kaſpar J. (1757—1767). — 
V. Graf Raipar II. (1767—1836). — VI. Marimilian Graf von Preyfing 
(1760—1836). Viele kulturhiſtoriſch wertvolle Notizen. 

Ow A. Freiherr v., Urkunden-Regeſten aus dem Schlofardive zu Hai- 
ming an der Salzach. 1330—1643. 

Mathes J., Adelsfamilien in Marklfofen und Poxau, ein Beitrag 
zur Geſchichte der BVilsthaljchlöffer. 

Kalcher A., Bilsbiburger Stadt und Marftrechte. 1323—1660. 

Niederlanfiker Mitteilungen. Zeitichrift dev Niederlaufiter Gefellichaft 
für Anthropologie und Altertumsfunde Herausgegeben im Auftrage 
des Vorftandes. 3. Band. Guben 1894. Heft 5—8. 

Jentſch H, Aus J. G. Stephanis Sammelwerf über 500 gelehrte 
Gubener 1. 

Kupfa P., Die Mundart des Kreifes Guben. 

Beiträge zu Gejchichte des Niederrheins Band 8. 

Bechem H., Gejchichte der lauretanifchen Kapelle in Düſſeldorf-Bilk. 

Wachter, Correfpondenz der Stadt Düffeldorf mit dem Prinzen Friedrich 
von Preußen, betr. deſſen Nückkehr nach Düffeldorf (18485—1855). Aus den 
Akten der Stadt Düfjeldorf mitgeteilt. 

Rch., Bericht des Hofgärtuers M. F. Weyhe an die Furfürftlihe Schul- 
fommiffton in Düffeldorf über Einführung der Obftbaumzucht bei Schulanftalten 
(1805). 

Annalen des biftorischen Vereins für den Niederrhein, insbejondere die 
alte Erzdiözeſe Köln. 

Heft 57. 2. Abteilung (Schluß). Das Gräfiid von Mirbachſche 
Archiv zu Harff. Urkunden und Akten zur Gejchichte rheinifcher und nieder— 
ländischer Gebiete. Im Auftrage des Grafen Ernſt von Mirbach-Harff be- 
arbeitet von 2. Korth. Zweiter Band 1431—1599. (Berzeihnis der Orts- 
und Perfonennamen). 

Heft 58. Schroeder %., Die Chronik des Johannes Turd. 

Pauls E., Zur Geihichte der Burggrafen und Freiherren v. Hammerſtein. 

Below G. v., Ein Bürgermeifter-Schmauß in Köln. Notiz aus einem 
Briefe von Hermann Sudermann an feinen „Schwager“ Heinrih Barß, ge 
nannt Dlichsleger. Köln, 2. Juli 1541. 

Hüffer H., Aus dem Briefwechjel Alerander Kaufmanns. Nachtrag 
zu Annalen 56, 202; in dem ausgedehnten jorgfältig geordneten Briefmechjel 
Alerander Kaufmanns ließe fih manche wertvolle Notiz für das literarische 
Leben der letzten Jahrzehnte finden. Der Brief Freiligraths vom 


— — — — — 


Bibliographie. 1. Zeitfchriftent. i 221 


21. Oftober 1849 (Buchner 2, 226) ift nicht an die Weidmanſche Buchhandlung 
in Berlin, jondern an Mlerander Kaufmann gerichtet. — J. B. Rouſſeau 
wendet fih am 17. Januar 1865 aus dem Spital in Köln an Naumann mit 
der Bitte um Beiträge für eine zu veröffentlichende Zeitjchrift „Die Berg- 
fapelle“ umd um Ueberreichung eines Bittgefuches an den Fürften von Löwen— 
ftein-Werthftein, worin feine journaliftifchen VBerdienfte und Pläne erwähnt 
werden. 

Heft 59. 1. Das Stadtarchiv zu Andernach. a) Urkunden zu Andernach), 
b) Urkunden des Klofters Namedy, ce) Miscellanea, d) Akten. — 2. Das Stadt- 
archiv zu Duisburg. — 3. Das Stadtarhiv zu Yinz. a) Urkumdenabteilung, 
b) Aftenabteilung. 

Mittheilungen des Nordböhmifhen Erfurfions-Klubs Jahrgang 17. 
Heft 2. Lahmer R., Buhdrud im Niederlande. Neueſte Zeit. 
Haudeck J., Mufikalifcher Brief. Muſikaliſches aus Leipa jeit dent 

16. Fahrhundert. 

Heft 3. Kögler R., Naimund Klaus. Eine Lebensjkizze. K. M. R. Klaus, 
geboren am 15. Oktober 1812 in Böhmisch Kamnitz, geitorben am 10. Dezember 
1838, war troß feines frühen Todes ein fehr fruchtbarer Schriftiteller, defjen 
Novellen zum Teil unter den Namen anderer Autoren (8. W. Koh, Haber- 
manı, Told), jowie unter den Pfendonymen Karl Mundis, Lukas in 
Tolds „Fortuna,“ jpäter in Medaus „Erinnerungen“ und jonft erichienen. 
Sämtliche Erzählungen der „Fortuna“ vom Jahre 1836 jollen Klaus zum 
Berfaffer haben. Weitere Nahforfhungen und Meitterlungen wären erwünfcht. 

Klaus R., Der Sänger auf der Klippe. Ballade. Wien, im Januar 1835. 
Wo zuerſt veröffentlicht? 

Meiche A., Der Schats im Set. Joachimsberge bei Lobendau. „Dieje 
Sage ift von einem alten Hielgersdorfer Yehrer ſchon vor mehreren Jahrzehnten 
drudfertig gemacht, aber bisher noch nicht benützt worden.“ 

Tille J., Sagen aus Niemes. 

Aus den Nachrichten. „Zu Neuwald bei Proihwit wurde vor hundert 
Sahren in Scheunen des Ortes, fowie auch in Schänfen der Nachbardörfer ein 
ähnliches Paſſionsſpiel aufgeführt, wie in Hörig oder in Oberammergan. 
Der Text desjelben ift jedoch bis auf einige Bruchjtüde verloren gegangen.“ 
(Aus der Neihenberger Zeitung vom 29. April 1894.) 

Verhandlungen des hiftoriichen Vereins von Oberpfalz und Negensburg. 

46. Band der gejamten Berhandlungen und 38. Band der neuen Folge. 

Lauter Th., Der Kölnische Vergleich von 1692. Ein Beitrag zur Gejchichte 
des Simultameum im Herzogtum Sulzbad. 

Aus dem Jahresbericht. Bortrag von Wild (25. Februar 1893) über 
Aberglaube und Zauberei mit befonderer Nüdfiht auf die Oberpfalz. 

Hermann Freiherr von Reitzenſtein (Mefrolog). Lofalhiftorifer. 

Zeitſchrift für die Gejchichte Des DOberrheins. Neue Folge Band 9 (der 

ganzen Neihe 48. Band). 

Heft 3. Kautſch K., Die Handſchriften von Ulrich Richentals Chronik 

des Konſtanzer Konzils. 

Witte H, Ein Stedbrief aus dem fünfzehnten Jahrhundert (28. Mat 1439). 

Weech 5. v., Studierende in Dillingen 1599. 

Jacob 8., zu Matthias und afpar Bernegger. Ergänzungen zu 
Büngers Bud. 

Elſäſſiſche Gejchichtsliteratur der Fahre 1892 und 1893. Unter Mitwirkung 
bon Ernſt Marckwald, zufammengeftellt von H. Witte. Eine ausgezeichnet gearbeitete 
Spezialbibliographie, von der Abſchnitt VIII. Biographie Schriften, XII. Lite— 


222 2 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


ratur- und Gelehrtengefchichte, Archive und Bibliothefen, Buchdrud und XIV. Volks— 
funde, Sage als für uns befonders wichtig hervorgehoben feien. 

Schindler H., Arhivalien aus Orten des Amtsbezirks Achern. 

Pfaff F., Archivalien aus Orten des Amtsbezirts Breiſach. 

Fecht K. G., Archivalien aus Orten des Amtsbezirts Durlad). 

Maurer H., Arhivalien aus Orten des Amtsbezirts Emmendingen. 

Lei A., Achivalien aus Orten des Amtsbezirts Kehl. 

Heft 4 Weech F. d., Beiträge zur Gefchichte der badischen Landtage 
von 1819—1845 mitgeteilt und eingeleitet. — 1. Ueber die badifche Stände- 
verfammlung von 1819. Fragment eines Zeitungsartifels. Bon Ludwig Winter. 
War für die Allgemeine Zeitung beftimmt, wurde aber umterdrüct. — 2. Ueber 
Beränderungen in den VBerwaltungsformen. Denkſchrift Seiner Königl. Hoheit dem 
Großherzog Yudwig vorgelegt von Ludiwig Winter. Karlsruhe, 12. Februar 1820. 
— 3. Ueber die Deffentlichfeit der ftändifchen Verhandlungen. Denkſchrift von 
Ludwig Winter. Baden, den 18. Auguft 1824. — 4. Ueber Ausübung eines 
Einflußes der Regierung auf die Wahlen. Gutachten von Ludwig Winter. 1830. — 
5. Ueber die Verhandlungen des Landtags von 1831. Denkſchrift von Staats- 
minifter Freiheren von Türdheim. — 6. Neflerionen über die Wahlfreiheit bei 
der Wahl landftändifcher Deputierter. Bon Karl Ehriftian Freiherrn dv. Berd- 
heim. 1840. — 7. Ueber das auf dem gegenwärtigen Landtag (1845) den 
Ständen gegemüber zu beobadhtende Syſtem. Denkſchrift von Staatsminifter 
von Böckh. 10. Dezember 1845. 

Lenz M., Apentins Berufung nah Straßburg. Mitteilungen über 
die Berufung Aventins nah Straßburg aus dem Briefwechjel des Augsburger Stadt- 
arztes, Gereon Sailer an Martin Bucer, woraus hervorgeht, daß Sailer 
die Berhandlungen Bucers mit Aventin im Fahre 1531 vermittelte. Der Brief 
des Beatus Nhenanus an Bucer, in welchem von der Berufung Aventins an 
die Schule in Straßburg die Rede ift, wird auf. den 8. Dezember 1531 firtert. — 
©. 630 Anmerkung 1: Andere Berihtigungen zu dem Briefwechjel des Beatus 
Nhenanus. Der Brief Pirdheimers an Nhenanus 20. November 1529 
(S. 378 der Ausgabe) wird gegen M. Herrmann für diefes Jahr ficher in Anſpruch 
genommen; der Brief Aventins an Rhenanus (368) den die Herausgeber in das 
Jahr 1526 gejetst haben, gehört ins Jahr 1531 oder 1532 (1. Juni). 

Meifter A., Ein Verſuch der Stadt Straßburg um Aufnahme in den 
eidgenöſſiſchen Bund 1584—86. Das Bündnis Straßburgs mit Zürich umd 
Bern 1588. 

Schaefer K., Die Baufunft des 16. Jahrhunderts in Freiburg. 

Weiß, Ein Brief aus dem Feldlager vor Neuß 1475. 

Egelhaaf G., Die jog. Straßburgerlegende vom Jahr 1552. Polemit 
gegen Holländer. 

Emlein 3. F., Arhivalien aus Orten des Amtsbezirks Schopfheim. 

Holzmann W., Arhivalien aus Orten des Amtsbezirks Eberbach. 

Wagner K., Archivalien aus Orten des Amtsbezirks Wertheim. 

Schappader L., Ardhivalien aus Orten des Amtsbezirks Meßkirch. 

Damal E., Archivalien aus Orten des Amtsbezivts Wolfach. 

Pfaff F., Archivalien aus Orten des Amtsbeziris Freiburg. 

Maier A. F., Archivalien aus Orten des Amtsbezirts Schwetingen. 

Jahrbuch für die Geichichte des Herzogtums Oldenburg 2. Band. 

Neime vom Oldenburger Wunderhorn. 

Iahrbud; der Gejellichaft für die Geichichte des Proteftantismus in Defterreich 
Jahrgang 15 Heft 2. 





Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 223 


Löſche G., Die evangelifchen Kirchenordnungen Defterreihs. Die Kirchen- 
ordnung vom Joahimsthal in Böhmen, 1551. (Schluß.) 

Schatmayr, E, Beiträge zur Geichichte des Proteftantismus in Iſtrien 
und Trieft. Il. Prozeffe wegen Luthertums. 

Weigel H., Die Durchführung der Gegenreformation in Fugau im 
Fahre 1696. Nach den Akten im Pfarrarhiv zu Spremberg. Vorwort. Nach— 
wort und Anmerkungen von Scheuffler. 

Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen i. B. 10. Jahresſchrift 
auf die Jahre 1893/9. 

Raab E. v., Negeften zur Orts und Familiengeſchichte des Vogtlandes. 
1. Band. 1350—1485. Gejammelt und herausgegeben. 

Zeitſchrift der hiftorischen Gejellichaft für die Provinz Poſen Jahrgang 9 
Heft 2. 

Aenmwächter H., Das ältefte proteftantifche Kirchenbuch der Stadt Poſen. 
Bon 1596 bis über das Jahr 1611 hinausreichend. 

Warſchauer A., Eine Denkſchrift des Meinifters Friedrih Wilhelm von der 
Schulenburg-KRehnert über Südpreußen. Bon 24. November 1801 datiert 

Warſchauer A., Erinnerungen an Richard Roepell, Bortrag, gehalten in 
der zur Erinnerung an Richard Roepell abgehaltenen Situng vom 6. Januar 1894. 

Hockenbeck H., Herenbrände in Wongrowitz. 

Gedike A., Die märkiſche Dichterin Anna Luiſe Karſch, geborene Dürbach, 
„Die Karſchin“ in der Provinz Poſen. Nach einem Vortrage, gehalten in der 
Sitzung der hiſtoriſchen Geſellſchaft zu Poſen am 12. Dezember 1893. 

Haßencamp R., Ein Briefwechſel zwiſchen der Fürſtin Eliſabeth Czatoryska 
und einem franzöſiſchen Dichter des 18. Jahrhunderts. Ein Brief der Fürſtin 
an Jacques Delille, den Verfaſſer der landſchaftlichen Dichtung „Les 
Jardins“ und Delilles Antwort, wahrſcheinlich aus dem Jahre 1785. In Kopien 
vorgefunden im Nachlaß der Frau von La Roche. Sehr charakteriſtiſch für 
die Sentimentalitätsperiode Europas. 

Prümers R., Ein Brief Gneiſenaus vom 19. Juni 1831. An den 
Geheimen-Rath und Hofpoftmeifter Schneider zu Berlin. Ueber die Abjperrungs- 
Maßregeln gegen die Cholera. 

Beutlinger Geſchichtsblätter Mitteilungsblatt des Sülhgauer Alter- 
tumsvereins Jahrgang 5 Nr. 4 

Schön Th, Geſchichte der Juden in Reutlingen. (Schluf.) 

Schmidt, „Somaringer Statutenbüchlein de anno 1559." (Schluf.) 

Schön Th., Die Reutlinger Patrizier- und Bürgergefchledhter bis zur 
Reformation. (Fortiegung.) 437 Kelmer — 469 Klömer. 

Rheiniſche Geſchichtsblätter, Zeitichrift für Gefhichte, Sprache und 
Altertümer des Mittel- und Niederrheins Jahrgang 1 Heft 1. 

Pick K., Aachener Sitten und Bräuche in älterer Zeit. 

Franck %, Mundart und Bolksüberlieferung. 

Joerres P., Ortsnamen mit „Weſt“ oder „Wüſt“. 

Das Rieſengebirge in Wort und Bild. Fächblatt für die Geſamtkunde 
des Niejengebivges umd der angrenzenden Gebiete. Jahrgang 14 
Heft 1 und 2. | 

St. Georg. (Sagengefchichtlich.) 

Knothe F., Voltsdichtung und Kinderjpiele im nordöſtlichen Deutſch-Böhmen. 
Fortſetzung.) 

Einundſiebzigſter Jahresbericht der Schleſiſchen Geſellſchaft für vater— 
ländiſche Kultur. 

Nekrologe: Domherr Dr. Franz Lorinſer (Auszug aus A. Meer; Dom— 


224 Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 


herr Dr. Franz Lorinfer. Schlefiiches Paftoralblatt 15. Jahrgang Nr. 5-11 
vgl. Euphorion 1, 834). — Wrofeffor Dr. Rihard Roepell. — Profeffor 
Dr. Julius Schüd. 

Jahrbuch für Schweizerifche Gefchichte Band 19. 

Tobler L., Altſchweizeriſche Volksfeſte. Zwei Vorträge. 

Fäh F. Die Glaubensbewegung in der Landvogtei Sargans 1. Teil 
1522 - 1526. 

Anzeiger für Schweizeriſche Geſchichte Jahrgang 25 (Neue Folge). 

Nr. 3. Tobler G., Der Liederdichter Mathis Zollner. dird von 
1458—1507 oder 1508 in Bern nachgewieſen. Vielleicht gehört ihm außer den 
drei bekannten Liedern noch ein viertes über den Mühlhaufer Krieg von 1468, 
Liliencron 1, 550. 

Hiftorifche Literatur, die Schweiz betreffend. 1893. I. Schriften ſchweizeriſcher 
Vereine und Gejellfchaften. 

Beilage. Inventar des Spitalarhivs in St. Gallen. 

Leder E., Inventar des Stadtarhivs Altitätten. — Inventar des Stadt- 
arhivs Wil. — Inventar des Bürgerarhivs Rapperswil. 

Nr. 4. Stridler J., Zwinglis Gutachten über ein Bündnis mit 
evangelifchen Reichsſtädten. 1527? 1529? Hält an dem Datum 1529 gegen 
Eicher feſt und jucht feine Anſicht durch neue Gründe zu ftüßen. 

F. J. Politifches und religiöfes Teftament des Chroniften Bartholomeus 
Anhorn 1611. Ueber Bartholomeus Anhorn, defjen Leben und Wirkſamkeit in kurzen 
Zügen im Borwort zur Moorjchen Ausgabe von Bartholomeus Anhorns Püntner 
Aufruhr im Jahre 1607 gejchildert ift, beſitzt die bündneriſche Kantonsbibliothef 
eine wertvolle Autobiographie, deren DVBeröffentlihung von fundiger Seite in 
Angriff genommen worden ift. 

Brandftetter J. 2., Bruder Fritſchi. Der Name Fatichin beruht wahr- 
ſcheinlich auf einen Leſefehler J. A. F. Balthaſars. 

F. J., Schauſpielaufführung in Chur. Nach dem Ratsprotokoll 
ſpielten zu Laetare 1541 etliche Bürger zu Chur ein Spil: „den richen man mit 
dem Cazaro“. 

Hiftorifche Literatur, die Schweiz betreffend 1893 (Fortfegung und Schluß). 
II. Schweizerifche und kantonale Geſchichte. — III. Kirchengeſchichte. — IV. Schul- 
und Gelehrtengeſchichte. — V. Rechtsgeſchichte. — VI. Literaturgefhichte. — 
VII. Kunſtgeſchichte. — VIII. Münz- und Wappenfunde. 

Anzeiger für jchweizerifche Altertumskunde Jahrgang XXVII. 

Jr. 1. Jecklin Fr., Kultur und Kunftgefchichtliches aus den Churer 
Ratsaften. 

Kr. 2. Schweizer P., Joſ. Murers Bittfchrift an den Zürder Nat 
1574. (Nachtrag zu dem Artikel über Murers Plan der Stadt Zürich in Wer. 4 
des Jahrganges 1893.) 

Beilage: Statiftif jchmweizerifcher Kunftdenfmäler Bogen 5—12. Kanton 
Solothurn. 

Korreſpondenzblatt des Vereins für fiebenbürgifche Landeskunde 7/8. 

Wagner %., Zur Volfsfunde aus Draas. 

Archiu des el für ſiebenbürgiſche Landeskunde. Neue Folge. Band 
26 Heft 1. 

Teutſch G. D., Abriß der Geihichte Stebenbürgens (Fortjegung). 

Seraphin F. — Ein Kronſtädter lateiniſch-deutſches Gloſſar aus dem 
15. Jahrhundert. 

Keintzel G., Lautlehre der Mundarten von Biſtritz und Sächſiſch-Regen. 


a 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 235 


Mit Berüdfichtigung abweichender Yautverhältniffe in den ſächſiſchen Ortsdialeften 
der Umgebung. 
Beiträge zur Kunde ſteiermärkiſcher Gefhichtsquellen Jahrgang 26. 

Loſerth J., Kleine fteiermärfiihe Nefrologien und nefrologifche Notizen. 
Nr. X. enthält auch Notizen aus dem 16. Jahrhundert. 

Mell A, Zum windiihen Bauernaufftande des Jahres 1573. Verzeich— 
nis der zur Dämpfung des Aufftandes der Landſchaft aufgelaufenen Koften. 
Bericht der Mufterfommiffäre Erasmus von Saurau und Ferdinand Rindicheid. 

Lang F. d. P., Snformationsbuch eines fteirtichen Yandpfarrers vor 150 
Jahren. Aus Stallhofen bei Voitsberg. 

Gubo A., Aus den Natsprotofollen der Stadt Cilli. III. 1760—1763. 
©. 93 f. Kirche und Unterricht. 

Mel A., Aus dem Herrichafts- und Yandgerichts- Protofolle von Groß- 
lobming. 17. Jahrhundert. 

Mitteilungen des hiftorischen Vereines für Steiermark Heft 42. 

Ilwof F., Erzherzog Johann und Dr. Lorenz Chryjanth Edler 
dv. Beft. Mit Briefen des Erzherzogs. 24 Briefe an den Botaniker v. Veſt 
aus den Jahren 1810—1833 vorwiegend botanischen Inhalts. Die Unterichrift 
Johann Frölich in Nr. 3 ift natürlich ſcherzhaft gemeint. 

Loferth J. Wiedertäufer in Steiermark. ©. 131 Auszug aus dem 
Glaubensbefenntnifje des 1534 hingerichteten Daniel Kropf. Auch „vier hrift- 
liche Lieder die er gemacht“ werden erwähnt. ©. 134 über Hans Donner, 
den Dichter des Liedes „Ich dank Div, lieber Herr, mein Gott." — Mit aften- 
mäßigen Beilagen. 

Melt A., Die jogenannten Schützenhöfe und Schütenlehen in Steiermarf. 
Verſchwinden mit dem Ende des 16. Jahrhunderts. 

Wichner P. J., Zwei Burgen und drei Edelfie im der oberen Steier- 
mark. SHiftorifche Skizze. 1. Teil. Stredau. Schloß Thalhof. 

Yang F. d. P., Das Familienbuh Stegmunds von Herberftein in 
einer Handjchrift der Vaticaniſchen Bibliothef in Rom. Abſchrift. Wahrjchein- 
ih aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. 

Wichner P. J., Bemerkungen zu Bartich’ „Wappen-Buch.“ (1566—1567.) 
Beichreibung des Admonter Eremplars. 

Leyfert ©., Notizen zur Gejchichte ſteiriſcher Burgen. 

Beilagen. Gedenkbuch des hiftoriichen Bereines für Steiermark. Il— 
wof F., Joſef Edler von Scheiger. Geb. 2. Februar 1801 zu Wien, geft. 
6. Mai 1886 in Graz. Dichter und Altertumsforjcher. S. 247 Berzeihnis von 
Scheigers in Drud erjchienenen Arbeiten. 

Luſchin dv. Ebengreuth A., Ueberficht der in den periodischen Schriften 
des hiſtoriſchen Bereines für Steiermark bis einfchließlih 1592 veröffentlichten 
Aufſätze ferner der hiſtoriſchen oder die Steiermark betreffenden Artikel in der 
Steiermärfifchen Zeitichrift:. Graz 1894. Verlag des hiftorifchen Vereins für 
Steiermarf. 

Menue Mitteilungen aus dem Gebiet hiftorifch-antiquariicher Forihungen. 
Im Namen des Thüringischsfächfischen Bereines für Erforfchung des vater- 
ländifchen Altertums und Erhaltung jeiner Denfmale Band 18 (Der 
zweiten Hälfte Schlußheft). 

Hertberg ©., Die Stadt und Univerfität Halle a. ©. im Jahre 179. 
1. Aeußeres Ausfehen der Stadt Halle und der Nebenftädte. 2. Die Bes 
völferung. Berfafjung der Stadt. Juſtizweſen. Woftamt. Acciſe. Steuer— 
faffe. Geiftlichkeit. 3. Handel und Gewerbe. Befatung. Bürgermiliz, Schüten- 
gejellfchaften. Yaufhard. Yafontaine 4 Geiftiges Leben. Gymnaſium. Die 


Euphorion II. 15 


226 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


ASrandejchen Stiftungen. Niemeyer. 5. Die Univerfität. 6. Profefforenieben. 
Loge. Studentenleben. 7. Skizze der Umftände die es am "io Juli 1794 zu 
einer großen öffentlichen Säfularfeier nicht haben kommen lafjen. Derivate Feier. 

Liebe G., Eine Neiferehnung aus dem Jahre 1518. Die Reife ging 
von Schleufingen über Köln, Mainz und Paris nach dem Wallfahrtsort Mont 
St. Michel an der Küfte der Normandie. Der vornehme Herr, der mit einem 
Gefolge von 4 Perſonen reifte, ift vermutlih der Graf Wilhelm IV von 
Henneberg. 

Bersffentlichungen des Altertums-Bereins zu Torgau Jahrgang T. 

Trintftiisenordnung vom 80. Januar 1579. 

Bericht über eine „Gaſterey auf der Trinkſtuben“ vom 29. bis 31. Mai 1599. 

Ethnologiſche Mitteilungen aus Ungarn Band 3 Heft I—10. 

Fuchs K., Eine alte Befhwörungsformel. 

Mätyas L., Aus dem Bolfsglauben der Schwaben von Colymar, 
Szent- van und Hidegfüt. 

Berfenyi G., Deutſche Bolfslieder aus der Körmöczbanyaer Gegend. 

61., 62., 63., 64. Iahresberidyt des Vogtländiſchen Altertumsforjchenden 
Vereins zu Hohenlauben und 13., 14., 15., 16., 17. Jahresbericht des 
Geſchichts- und altertumsforichenden Bereins zu Schleiz. 

Eijel R., Ueber die Entftehung der Sage vom unterivdiichen Gange. 

Vorträge im Hohenlauben. Schubert, Eine Korreipondenz zwijchen zwei 
Liebenden vor 150 Jahren. — Schubert, Ueber die wahre Eröffnung der Jenaiſchen 
Chriftnahtstragüödie. — Neupert, Ueber den Aberglauben, welcher den 
Bögeln übernatürliche Kräfte andichtet. — Blechſchmidt H., Ueber die Prozejfierung 
der Häretifer in Böhmen unter Karl VI. (1711—1716). — Knoch, Ueber aber- 
gläubijche Sitten und Gebräuche in dortiger Gegend vor, bei und nach der Geburt 
eines Kindes. — v. Strauch, Ueber Wilhelm Hey. — Meißner, Ueber Nicolaus 
Schmidt, den gelehrten Bauer in Rothemader (geb. 1606). — Schaub, Ueber 
den Urjprung des Herenglaubens. — Blechſchmidt, Ueber die ſchlafenden 
Helden in der deutjchen Volksſage. 

62. Jahresbericht. Vorträge: Schneider, Ueber die Finger im Namen, 
Spridwort und Spiel. — Schubert, Ueber die Rollwagenbüdlein. — 
Meißner, Ueber Ueberrefte des germanifchen Heidentums im Aberglauben unferes 
Boltes. — Schubert, Ueber den Dichter Karl von Holtei. — Lotter, Ueber die 
Entjtehung des Herenglaubens. 

63. Jahresbericht. Vorträge: Schneider, Ueber den Bolfsglauben in der 
Adventszeit. — Dietrich, 1. Ueber die Befhwerden und Unbilden beim Keifen im vorigen 
Sahrhundert. 2. Ueber das im Schwarzathale jpielende Märchen vom Flußgold. 
— Bollvath, Ueber den Frohntanz in Langenberg. — Burgemeifter, Aufzeihnugen 
über den Aberglauben von Kinderwärterinnen, von Müttern und Ammen. — 
Ueber das ländliche nein des Erzgebirges im 16. Jahrhundert. — 
Dietrich, Ueber den Aberglauben, der fih an die nad Johannes dem Täufer 
benannten Blumen und Kräuter auſchließt — Vollrath, Ueber J. A. Comenius. 
— Dietrich, Ueber Guſtav Schwab. — v. Strauch, Ueber den Dr. med. Karl 
Georg Neumann, einen geborenen Geraer, den Dichter des Studentenliedes 
„Vom hoh'n Olymp herab,“ das derjelbe im Jahre 1793 in Jena verfaßt haben joll. 

64. Jahresbericht. Vorträge: Bratfifch, Ueber das Fohannisfeft und die 
Bolksfitte der Johannisfeier. — Schneider, Ueber das Volksſchulweſen Sachſens 
im 18. Jahrhundert. — Dietrich, Ueber das Kegelſpiel als religiöfe Sitte. — 
Venus, Ueber die Gefhichte und den Sagenfhat Thüringens. — Blechſchmidt, 
Ueber Hölderlin. 

Borträge in Schleiz: Franz, Ueber Volkskrankheiten im Bogtlande im 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 327 


16. Jahrhundert. — Hartenftein, Ueber die Entftehung der Kräuterbücher. — 
Münch, Ueber den Durhzug der vertriebenen Salzburger Emigranten durch 
Schleiz im Juli 1732 (nad einem im dortigen Ratsarchive befindlichen Aften- 
ſtücke). — Schmidt, Ueber verloren gegangene reußiſche Manufcripte (Schleizer 
Chronik des Caspar Sagittarius um 1687, Schleizer Chronifenfalender von 
1712— 25.) 

Wiürttemberailcd Franken. Neue Folge. V. Beilage zu den Württem- 
bergiichen Bierteljahrsheften für Yandesgefchichte vom hiſtoriſchen Berein 
für Württemb. Franken. 

Kerler, Urkundlihes zur Geſchichte des Prämonftratenferinnenklofters 
Schäftersheim 1155—1437. 

Hartmann, Johannes Drändorf, ein Borfämpfer für Weinsbergs 
Recht 1425. 1. Zur gefchichtlichen Orientierung: Weinsbergs Lage um 1425. — 
2. Weinsbergs Borfämpfer und Anwalt gegen den kirchlichen Bann. — 3. Urkunden: 
Die 3 Weinsberger Briefe Drändorfs. 

Kolb, Der Haller Bildhauer Yeonhard Kern. . 

Hartmann, Lofalgefhichtliche Kleinigkeiten. Fortfegung. (cf. Württemb. 
Franken IV, 49 f.) 6. Der mittelalterlihe Judeneid. Drei Formeln von 1413, 
1451 und aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. — 7. Weifersheimer Gold- 
jhmiede- Ordnung von 1593. — 8. Die große Wafferflut vom 29. September 
1732. — 9. Inſtruktion für den Bettelvogt zu Weifersheim 1681. — 10. Zur 
Geihichte der Ausübung des Collaturrechts. 

Mitteilungen der Antiquarifchen Geſellſchaft (dev Geſellſchaft für vater-- 
ländifche Altertümer) in Zürih LVIII. 

Zeller-Werdmüller H., Zürderifhe Burgen I. A—L. 


Deutſche Rundſchau 1894. 
Auguſt. Pfleiderer, Der deutſche Volkscharakter im Spiegel der Religion. 
Aus den Tagebüchern Th. v. Bernhardis. 
September. Paulſen F., Die deutſche Univerſität als Unterrichts— 
anftalt und als Werkſtätte der wiſſeuſchaftlichen Forſchung. 

Milhhöfer A., Ernft Curtius. Zum achtzigiten Geburtstage (2. September 
1894). 

Curtius Friedrich, Ueber den politifchen Konflitt in Shafefpeares 
Coriolan. 

Oktober. Billroth TH, Wer ift muſikaliſch? Nachgelaſſene Schrift. 
Herausgegeben von E. Hanslid. Zwei Kapitel einer unvollendeten größeren Arbeit. 
I. Ueber den Rhythmus als ein wefentliches mit unferem Organismus innig 
verbundenes Element des Mufikalifchen. II. Ueber die Beziehungen von Tonhöhe, 
Tonklang und Tonſtärke zu unferem Organismus. 

Brandis E. G., Briefe von Ernſt Morig Arndt aus den Frankfurter 
Parlament. An Chriftian Auguft Brandis, Profefjor der Philofophie in Bonn. 
Herrliche Briefe voll von ficherem Vertrauen auf Deutfchlands hohen Beruf und 
zufünftige Größe, wie von wütenden Worten über feine Verderber und Verblender. 
1. 17. Juni 1848. Erſter Ueberblid, Charafteriftif der Linken. Ueber das 
Kaiſertum. — 2. Ende Juni 1848. Charafteriftif einzelner hervorragender 
Mitglieder des Parlaments. — 3. 27. Heumonds 1848. Prophezeihung Bismards. 
— 4. 13.—14. Weinmonds 1848. Weber die deutjche Einheit. Klagt wie jchon 
früher, daß er feines hohen Alters wegen nicht eingreifen könne, einem jüngeren 
den Platz verfige. — 5. Sonntag, den 29. des Weinmonds 1848. Hauptjächlich 
über Oeſterreichs Stellung in Deutfchland. Charakteriſtik der Defterreicher. 


15* 


228 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


2 


Ueber Friedrich Wilhelm IV. Ueber Bethmann-Hollweg, Bunſen. — 6. 19. des 
Windmonds 1848. — 7. 22. des Frühlingsmonds 1849. 

November. Schmidt E., Hans Sachs. Ein Gedenkblatt. . . .. „Goethe, 
Wieland und ein poetiſch reichbegabter Bilderſtürmer beugen ſich vor dem alten 
Meiſterſinger, deſſen Name faſt zum Geſpött geworden war, als vor einem Dichter 
erſter Größe! Nach dieſem Konzilium wagt man kaum ein dämpfendes Wörtchen, 
aber auch an Feſttagen ſoll nicht allein die eifernde Begeiſterung auftreten.“ . 
„etwa dritthalbhundert Meeifterlieder . . . deren umgefüge Maſſe wohl nie anders 
als in Proben und Ueberfichten gedruct werden fann.“ . . . „Ein würdiges Bud) 
freilih, das gut fundiert und lesbar wäre, bleibt noch zu erwarten, aber wir 
wiſſen, wer es jchreiben kann und fehreiben wird.“ 

Suphan B., Zum zehnten November. „Schillers Todtenfeyer.“ Ein 
dramatifcher Entwurf Goethes. I. Epilog zur Glode und Plan einer größeren 
Dichtung zu Schillers Gedächtnis; Aufzeihnungen dazu in Goethes Nachlaß. Il. 
Inhalt und Gang der Dichtung. — Die in Band 16 der Weimarifchen Ausgabe 
(vgl. Euphorion 1, 346) veröffentlichten Aufzeichnungen werden durch ein dort 
überfehenes Blatt aus Zelters Nachlaß ergänzt; die Geichichte des Planes wird 
dargelegt und die Dichtung jelbjt in glüdlicher und feinfinniger Weife, ſoweit 
als es möglich tft, vefonftrutert. 

Aus den Tagebüchern Theodor von Bernhardis. Nach dem Tode Frede- 
riks VII. von Dänemark. 

Frau von Bronfart und Bayreuth: Brief der Frau von Bronfart an 
Hauslick mit Berichtigung einer Stelle in deſſen Lebenserinnerungen. 

Nord und Sid 1594. 

September. Brandes G., Das Buch Hiob. Autoriſierte Ueberſetzung 
von A. Neuftädter. 

Braſch M., Der Begründer der Völferpfychologie. ine Studie zu 
Moritz Lazarus’ 70. Geburtstag. 


Kaliſcher A. Chr., Philofophen und Aftronomen des 17. Jahrhunderts 


und Die ethifche Seite der Muſik. 

Gebhard B., Kurd von Schlözer als Gejchichtsichreiber. 

Dftober. Manz G., Michael Beerumd Eduardo. Schenk (ungedrudte Briefe 
Beers). Aus den Materialien für eine Biographie Beers. Nur Teile des Brief- 
wechſels find erhalten; Zeugniſſe eines innigen, mit den Jahren zunehmenden 
Freundfchaftsbündniffes, für Beers Entwidelung fehr wichtig. — 1. Bonn, 
14. September 1827. Ueberſendet einen Brief Goethes an d'Alton über den 
Befuh König Yudwigs I. von Bayern bei Goethe, damit er zur Kenntnis 
des Königs gelange. — 2. Düffeldorf, 24/29. Dftober 1827. Ueber denfelben Brief, 
den er auf d'Altons Wunſch, der Klätſchereien befürchtete, in einem verlorenen 
Briefe zurücverlangt hatte. — Ueber feine Bekanntſchaft mit Immermann 
und deſſen Trauerſpiel in Tyrol. — Ueber feinen Struenjee. — 14. No— 
vember 1827. Struenfee. Ueber fein Gedicht auf das Siebengebirge am Rhein 
(Werfe 387). Ueber den Plan der Aufführung des Paria in München. Uns 
günftig über Spontini. — Frankfurt, 8. Januar 1828. Struenfee. Plant einen 
Kaiſer Albrecht. Theaterangelegenheiten. Plan einer rajchen Aufführung des 
Struenfe. — Berlin, 21. Juni 1828. Heine Klenze Blaten. — 
Spaa, 19. Auguft 1828. Ueber die Widmung des Struenfee an König Ludwig. 
— Paris, 23. Juli 1831. München, 23. Dezember 1832. Der erfte Du— 
brief. Klagt über Abnahme feiner poetifchen Begeifterung. Ueber die Umarbeitung 
des Struenfee. Ueber Schenks Krone von Cypern, Jmmermanns 
Merlin. — Münden, 4 Februar 1833. Ueber die Umarbeitung des Struenjee, 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 229 


Ueber die Aufführung von Raupachs Iſidor und Olga. Verfehr mit 
Platen. Ueber deffen Bolenlieder. 

November. Keiper W., Zwei Geniebriefe aus der Schweiz vom Jahre 1775. 
1. Graf Friedrich Leopold Stolberg an Gerftenberg. Lauſanne, 16. Of- 
tober 1775. Ausführlihe und wichtige Schilderung der ganzen Reife. Ham— 
burg. Frankfurt (Goethe). Karlsruhe (Herzogin Luiſe). ). Straßburg (Lenz). Rhein— 
fall. „Ueber drei hohe Felſen ſtürzt 100 Fuß hoch und 75 breit der Rhein mit der 
Stimme Gottes, mit undenklicher Schnelle, mit weit umhersprigenden Tropfen, bedeckt 
mit weißem Schaum, den zumeilen ftürzende grüne Wellen unterbrechen, in das 
hallende Thal. Ich verglich, da ich ihn anſah, dein Seelenfhwung der lyriſchen 
Poefie mit dieſer lebendigen die Seele hinreigenden Bewegung, und einen Augen— 
bli€ lang piguit poetam esse“. Zürih (Lavater). Zellen- Kapelle. Am 
Wallenftädter See („hier machte ich den Gejang, Der Felſenſtrom“). Marſch— 
lins (Salis), Genf (Zimmermann, Boltaire), Bern (Haller). „Mich hat die 
Schweiz zur Bollendung meines Fr eiheitsgefangs und zu manchen fleineren 


Gedichten begeiftert . . . . Homer ift unfer beftändiger Begleiter geweſen, oft die 
FJlias auf dem Sclachtfelde und die Odyſſee in Alpenhütten. — 2. Graf 


Chriftian an Gerftenberg. Schleswig, den 21. Januar 1776. Schilderung 
der Nüdreife von Laufanne an. Zürih (Kavater, Miller, Kapyfer). Ulm. 
Weimar (Goethe, Wieland, der Hof). Deſſau (Bajedomw). Potsdam. Berlin 
(übertrieben ungünftige Schilderung der gejellihaftlichen Berhältniffe, Claudius). 
Kiel (Cramer). 

Kohut A., Wilhelm Müller. Eine biographifch-fritiihe Studie. 

Deutſche Revue 159. 
Auguſt—November. Poſchinger H. v., Fürſt Bismard und die Parla— 


mentarier (Fortfegung). Karl Auguſt Schneegans. — Dr. Ludwig Bam— 
berger. — Graf Fred Franckenberg. — Dr. Joh. Nep. Sepp. — Ernſt 
von Eynern. — Franz Peter Neichersperger — X. Lohren. — Adolf Woermann. 


Poſchinger H. v., Erinnerungen aus dem Leben von Hans Viktor 
v. Unruh. 

Auguft— September. Kinkel Johanna, Erinnerungsblätter (Fortſetzung 
und Schluß). Während des Kriegsgerichtes weilt ſie in Raſtatt, es gelingt ihr 
aber nicht, Kinkel bei der Rückfahrt ins Gefängniß zu ſehen. In Baden-Baden 
hört ſie von verſchiedenen Seiten, daß Kinkel nicht zum Tode, ſondern zu lebens— 
länglicher Feſtungsſtrafe veruntbeilt jet. Bon Berlin aus wird ihr nahegelegt 
ein entehrendes Guadengeſuch einzureichen. Man ſucht ſie zur Löſung ihrer 
Ehe zu bewegen. Sie nn die Geigichte ihrer erjten Verhetratung und ihres 
Befanntwerdens mit Kinfel. Sie entjchließt ſich zu ihren Kindern zurückzukehren, 
erzwingt aber vorher eine letzte Unterredung mit Kinkel im Kerker. Das erſte 
Urteil wird wegen eines Formfehlers caſſiert. Schließt die ergreifenden Blätter 
am Ende des Jahres in bangen Zweifeln. 

Auguft. Bulthaupt H., Theater und Gejellichaft. 

September. Waſielewski W. 3. v., Felir Mendelsjohn-Bartholdy 
und Robert Schumann. Eine künſtleriſche Parallele mit Einflehtung perſön— 
licher Erinnerungen. 

Dftober. Voß Richard, Etwas von dem Uxbild meiner „Alexandra. 
Plaudereien über eine alltägliche Liebesgejchichte. 

Förfter W., Ueber das Zuſammenwirken von Befjel, Ende und Alerander 
von Humboldt. Nede, gehalten in der Aula der Univerfität zu Berlin am 
3. Auguft 1894. 

November. Litzmann B., Was bedeutet Schiller für die Literatur der 
Gegenwart. Born dem Herausgeber der Zeitfchrift aufgefordert, über die in ge 


230 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


wiffen reifen zum guten Ton gehörende Herabſetzung Schillers auf Koften 
Goethes, in der deutfchen Revue ein Fräftiges, aufflärendes Wort zu jagen, 
veröffentlicht Litzmann „einige Gedanfenreihen,“ mit denen er im vergangenen 
Winter eine Vorlefung über die Dramen Schillers eingeleitet hat. Der Aufjat 
gipfelt in dem heftigen Kampfe gegen einzelne Uebertreibungen bei dem philo- 
logiſchen Betrieb der deutſchen Literaturgefchichte, fieht aber im Uebrigen jene 
Zeit der Herabſetzung Schillers bereitS als vergangen an. Wem ©. 197 be- 
hauptet wird, Minors Schillerbiographie gehe im ihren Anfängen auf An— 
regungen Scherers und jeines Kreiſes zurüd, jo ift dabei überjehen, daß die 
Anregungen dazu — wenn überhaupt von einer einzelnen Perfönlichfeit und einem 
ba rat Kreis — in weit früherer Zeit von Karl Tomaſcheck, dem Verfaſſer 
des Buches „Schiller und die Wiffenfchaft“ ausgegangen find. 

Bock A., Goethe und Profeffor Hoepfner. Eine anfprechende zuſammen— 
faffende Darftellung der Beziehungen beider Männer auf Grund der befannten 
Quellen. 

Deutfhe Revue über das gefamte nationale Leben der Gegenwart. 
Suhaltsverzeihnis vom VII. Jahrgang (1882) bis XIX. Jahrgang (1594 März). 
Breslau, Trewendt. 

Preufifche Jahrbücher 1894. 

Auguft. Boretsih C., Vom deutſchen Volfslied. 

Cajus, Die Akademie zu Münfter und ihr fatholifcher Charafter. 

Philippi A., Neufprachlicher Unterricht. 

Kühnemann A., Herder, Kant, Goethe. 

September. Harnad O., Ueber neue Goetheſche Sprüde Würdigung 
der im elften Bande der naturwiffenschaftlichen Schriften der Weimarer Ausgabe 
gedructen neuen Sprüche und Kommentar dazır. 

DOftober. Schmidt A., Nibelungenfage und Nibelungend ihtungen. 
Berührt auch neuere Dichtungen. 

Strauch Ph., Die Bibliothek des literarifchen Vereins in Stuttgart. Nennt 
außer den Euphorion 1, 233 verzeichneten Plänen des Vereins noch folgende: 
De praeelaris mulieribus (1473), die erſte vollftändige deutſche Weberjegung 
des Terenz (1499), Profaerzählung von den Haimonsfindern (16. Jahr: 
hundert); die Sartengefellicaft von Jakob Frey 1556. 

Weltermanns Illuſtrierte deutſche Monatshefte 1894. 

September. Wechsler E., Wilhelm Hauff. Eine Titerarifche Studie 
(Nachgelafferre Arbeit). 

Edftein E., Eigennanten. 

Dftober, November. Geiger L., Bom alten Shadow. I. Schadow und 
Goethe. (Mit zehn umgedrudten Briefen Goethes.) Benutt Aften des Staats- 
archivs, ſowie Böttigers Nachlaß. Skizziert die Beziehungen Goethes und Schadows 
bis zur Errichtung des Blücherdenkmals 1816 und drudt dann 10 Briefe Goethes 
ab, welche Schadow in feinem Bud „Runftwerfe und Kunftanfichten“ Berlin 1849 
nicht veröffentlicht Hatte und welche durch die Erben G. Schadows vor einiger 
Zeit in der Königlichen National-Galerie zu Berlin deponiert wurden. Die Briefe 
drehen fich hauptfählih um das Blücherdenfmal und um andere Kunftgegenftände, 
Medaillen, Zeihnungen zc. und find auch wichtig für Goethes Beziehungen zu 
Berlin. Das Verhältnis geht von anfänglicher Kühle und Steifheit zu herzlicher 
Anerkennung und Wärme über. 1. Weimar, 25. Oftober 1815. — 2. Weimar, 
28. März 1816. Ueber die Transparentgemälde, welche der Maler Kolbe 
Goethes Gediht „Hans Sachſens poetifhe Sendung“ gewidmet hatte. — 
2. Weimar, 28. März 1816. Beftätigt die Echtheit eines für Schadom veranftalteten 
Abguſſes von Taſſos Todtenmaske. Empfiehlt Seraſſis Leben des Torquato 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 231 


Taſſo. — 9. a 2. Sum 1816. — 4 Weimar, 10. Juli 1816. — 
5. Weimar, Dezember 1816. Ueber das am 27. und 28. Dezember 
gedichtete Rünftleriieh „gu erfinden, zu beſchließen“ äußert fih der Schluß des 
(vielleicht einige Tage vorher diktierten?, Briefes noch zweifelnd: „Kann ich zu 
dem diesjährigen Künftlerfefte nichts Teiftent, jo — ich künftig etwas.“ — 
6. Jena, 16. Januar 1818. — 7. Weimar, März 1818 — 8. Jena, 
21. Juni 1818. Empfiehlt Seebeck. — 9. Be ır März 1819. Begleit- 
brief zur Ueberſendung eines Abgufjes der Medaille von Michelangelo („das 
wirklich ſchätzbare Kunſtwerk des Leo von Arezzo zum Andenken unſeres plaſtiſchen 
Urältervaters“). Blücher. Elginifhe Marmore. — 10. Weimar, 27. Oftober 1819. 
MWarmer umd herzlicher Brief nach der Enthüllung der Blücherftature bei der gleich- 
zeitigen Genefung des Künftlers von ſchwerer Krankheit. Schöne Worte über ihr 
Zuſammenwirken. — Dem Aufjate find zwei Porträts von Schadow und feiner 
zweiten Gattin, fowie eine Neproduftion der Federzeihnung des Profeffors Kolb 
u Goethes oben erwähnten Gericht beigegeben. — II. Shadow und Böttiger. 

Shadow an Böttiger. 18. Januar 1504. Weber die Teilnahme an einem von 
Böttiger zu gründenden Kunfblatt. Erzählt eine Duellgefchichte, Die Kotzebue 
mit dem Fürften Hatfeld hatte. Bedauert, daß Böttiger den Auf nah Berlin 
nicht angenommen habe: „Gedicke todt, Engel todt, Nicolai halbtodt, 
Zöllner halbtodt, Jeniſch halbtodt. Che miseria!“ "Seine Bewunderung 
Wielands. Sein nahes Verhältnis zu Kobebue, in deffen Freimütigen 
er ſchrieb. Geiger weift drei Aufſätze Schadews im Freimütigen nah und teilt 
aus einem (2. Juni 1803 Nummer 87 „Rımftnachrichten“) den Paſſus über 
Shadows Wieland-Büfte mit: über die große Verehrung für Wieland; eine 
Charafteriftif von Wielands Kopf; ein Stih gegen Goethe am Schluß [der 
Drudfehler Aßmannſtädt war zu verbefferu]. Geiger verfolgt nun die Beziehungen 
Schadows zu Koßebue und teilt aus einem Briefe Kotebues an ihn, 27. Sep— 
tember 1811, eine bemerfenswerte Stelle mit. Ueber die Tragödie Inno— 
centia von Levezow. Aus dem jonftigen Briefwechfel ift wenig literarisches 
hervorgehoben: 4, Februar 1812 eine Bemerfung über Genz als Sefretär der 
Akademie der bildenden Künfte. 27. Februar 1818 ſchimpft er über die deutjchen 
Gelehrten. — 30. März 1807 Charafteriftift der Berliner Prediger Hanjtein 
und Ribbed. — 5. Januar 1808 über Johannes Müller. 17. Februar 1808 
über eine bei Sander in Berlin erſchienene Schrift: „Galerie preußifcher 
Charaktere.“ — 1. Februar 1814 gibt er Böttiger einen Kommentar zu feinen 
politiichen Karrikaturen. Meiſt — der Briefwechſel Kunſtſachen. 

November. Gumprecht D., Hans — Bülow. 

Pawel J., Zu Wielands Mceſte. Nach einem noch ungedruckten Briefe 
Wielands. un Profeffor Anton don Klein in Mannheim, Weimar 20. September 
1774. Ueber die Aufhebung des Jeſuitenordens. Ueber Kleins „Entwurf“. 
Ueber die in Mannheim geplante Aufführung feiner Alcejte. Vergleich mit der 
Gluckiſchen: „Auch dieſe letztere iſt, beſonders was die Muſik betrift, ein göttliches 
Werk wie Sie wiſſen. Aber meines Schweizers Compoſition der teutſchen 
Alceſte iſt und bleibt doch das Schönſte was wir bisher noch in dieſer Art gehört 
haben.“ Alles käme aber auf die Ausführung an, für die er wie für die Koſtüme 
Winke giebt. Ueber Dalbergs Muſikverſtändnis. Ueber die Weimariſche Dar— 
ſtellerin der Alceſte, Mad. Koch. 

Neue deutliche Rundſchau. Freie Bühne 1894. September, Oftober. 

Die D., Form und Charakter (Zmwifchen den Künften, 5. und 6. Fort- 
jeßung. 3. Kapitel. Schluß.) 

om Fels sum Meer Jahrgang 19 Heft 1. 

Schönaich G., Ein Brief Richard Wagners. Facfimile, An Julius 





232 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Fröbel, Puzern 11. April 1866. Schöner, wichtiger Brief über König Ludwig 

von Bayern, von der Pfordten und die bayerische Politit. „Diejes Eine wird 

mir immer klarer, — mit Deutjchlands Wiedergeburt und Gedeihen fteht und 

fällt das Ideal meiner Kunſt: nur im jenem kann dieſes gedeihen! —“ 
Heimaarten 1594. 

September. Neiterer R., Kleine Teufeleien aus den Alpen. 

Nojegger P., Nah der Heine-Hetze. Eine Erinnerung. 

Dftober. Hamerling Robert, Solang’ die Ströme wandern. Als un- 
gedruct mitgeteilt. Wie Roſegger felbjt im nächſten Heft bevichtigt, iſt es nicht 
von Hamerling, fordern aus Ferchers von der Steinwand „Gräfin Seelenbraud“, 
lag aber in einer Abjchrift Hamerlings vor. 

[Rofjegger.] Am Tage der goldenen Freiheit. Ein Kapitel aus der 
Selbftbiographie von Hans Malſer. 

Bernalefen Th., Betrus. J. Petrus als Schlüffelmannm. II. Petrus als 
Apoftel. III. Petrus als Wanderer. Petrus, ein Bauer und der Tod. Sagen— 
geichichtliche Studien. 

Nofjegger Peter, Das K in meinem Namen. 

November. Kaiſer K. Aus dem Volfsmunde Kinderreime, Sprüceln, 
Trutz-, Scherz und Schelmenliedchen aus Niederöfterreih. (Menue Folge.) Ge- 
jammelt und mitgeteilt. 

Krauß F., Sitten und Bräuche des Lungaues. 

OeſterreichAngariſche Revue Jahrgang 9 Band 6 Heft 4 und 5. 

Ganſer A., Robert Hamerlings Atomiſtik des Willens. 

Angariſche Revue Jahrgang 14 Heft 5—7. 

Joſika-Denkfeier der Kisfaludy-Gefellihaft. Am 5. Mai 1894. ©. 360 
Abdruck dreier Gedichte, „welche die tranernde Witwe Baron Nikolaus Jöſikas 
1865, im ZTodesjahre ihres Gemahls, in ihrem Familienheim zu Aßod in deut- 
iher Sprache gedichtet hat“. 

Bayer J., Franz Kazinczys Hamlet-NUeberſetzung. Kazinczy überjette in 
jeinem „Ausländiichen Theater“ 1790 Clavigo, Miß Sara Sampjon und 
Hamlet nah der Schröderijchen Bearbeitung ing Ungarische, ohne die letztere 
Duelle zu nennen. Macbeth, giebt er an, wolle er nah Bürger überjegen. 
1814 wollte er den Hamlet noch einmal nah Schlegel in Jamben übertragen. — 
©. 366 ift von geplanten Ueberſetzungen Schillerifher Stüde die Rede. 

Schweizeriſche Rundſchau 4 Wir. 7. 

Hirzel L., Heinrich Zſchokke. (Zur Feier der Enthüllung feines Denk— 
mals in Aaxau.) 

Waldmann F., Lavaters Briefe an die ruſſiſche Gropfürftin und 
KRaiferin Maria Feodorowna. 

Ernft A. W., Heinrich Leuthold als Ueberſetzer. (Schluß.) 

Nuova Anthologia 51, 10. 

Medin A., La caduta e la morte di Napoleone nelle poesia con- 
temporanea. 

Deutſche Worte 1594 Dftober. 

Achelis Th, Ueber die Auffaffung des Naturzuftandes im borigen 
Jahrhundert. 

Das zwanzigſte Jahrhundert Jahrgang 5 Heft 1. 

Ein judengegneriiher und deshalb „wahnfinniger” Hochſchullehrer Eine 
Erinnerung an Fr. Zöllner. 

Freie Bildunas-Blätter 1594 November. 
Urban M., Goethe im Schloſſe Hartenberg umd in der Stadt Falkenau. 





Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 233 


Chriftlicde Akademie XIX, 7 und 8. 

Ein öfterreichiiher Volksſchauſpieldichter (Anzengruber). 

Der Ryffhäuſer Jahrgang 8. Auguſt und September. 

Luther Martin, Bon den Juden und ihren Lügen. 

Der Ratholik 3. Folge. 

9. Band Juni. Paulus N., Gerhard Yorichius, ein Convertit des 16. 
Sahrhunderts. 

10. Band Juli—September. Stöckl, Streiflihter auf die Herbartſche 
Pädagogik. 

10. Band Juli. Gab J., Zur Mainzer Biihofswahl vom Jahre 1514. 

Falk F., Der Wormjer Domjcolafter Dr. D. Maud. 

Dftober. Linjenmayer A., Nikolaus v. Yüttich, ein Neimprediger am 
Ende des Mittelalters. 

Dopulär-wilenfchaftlidde Mlonntsbläatter zur Belehrung über das 

Sudenthum Jahrgang 14 Wr. 11. 

Heilbronn ©., Yuther und Juden (Schluß). 

Vene Bahnen V, >. 

Knilling R., Die Grundfäße der ftiliftiichen Entwidelungstheorie. 

Aus deutſchen Bergen Jahrgang 9 Heft 7 und 8. 

Taubmann %. A., Der Biberfteiner Ende. Eine Diemwinfage. 

Paſche J., Nitter Hans vom Sperlingftein. Nach einer alten Sage. 
(Gedicht.) 

Aus deutſcher Brut. Fliegende Blätter für Geift und Gemüt. Zugleich 
Archiv für literarhiftoriihe Quellenkunde. Herausgegeben in Berbindung mit 
namhaften Autoren von G. A. Müller. Jahrgang 1 9er. Lumd 2. Frankfurt a. M. 
Knauer. 4 M. 

Fald P. Th., Die Jerzembskyſche Abſchrift der „Sejenheimer Lieder“ 
des Dichters Lenz und die Echtheit und Chronologie der „Sefenheimer Lieder“ 
(von Goethe umd Lenz) nah Bielſchowsky. Auf Grund des Jerzembskyſchen 
Lenz-Nachlaſſes kritiſch beleuchtet. 

Böhmens deutſche Poeſie und Kunſt Jahrgang 4. 

Heft 6—8. Emanuel Hirſch (Teutſchenruſt). Mein Lebensgang. 

Maurer J., P. Dr. Hieron. Anton Jarifh F (Komotau). 1818 -1890. 

Heft I—12. Rudolf Freiherr von Gottesheim (Auffig). Selbitbiographie. 
Berfehr mit Weilen, Laube, Friedrich Kaiſer, Anton Yanger, Hamerling, 
Rofegger. Bei Grillparzer wurde er nicht vorgelaffen. 

Dr. Eduard Maria Schranfa (Smichow). Selbjtbiographie. 

K., Polizeivat Franz Iſidor Proſchko F. 1816—1891. 

Proſchko F. J. Gedichte. 

Gundling J. Die letzte Königskrönung in Prag. Aus deſſen noch 
unveröffentlichtem Nachlaß. 

Richter K. Th., Der Wildſchütz. Gedicht. 

Schmelkes, G., Epigramme. 

Deutſche Dichtung. 

Band 16 Nr. 9, 10, 11, 12 [R. E. FranzosJ. Ernſt Schulze und 
Adelheid Tychſen. Nach den ungedrucdten Tagebüchern, Gedichten und Briefen 
Schulzes IX— XII (Schluß). Auch Briefe an die Gräfinen Julie und Augufte 
von Egloffftein. 

Nr. 9, 10. Die Gefchichte des Erftlingswerts: Voß R., Meine Erftlinge. 
— Wolff J. Mein Erftling: Till Eulenspiegel redivivus. — Baumbach R., 
Mein Erſtlingswerk: „Zlatorog.“ 

Ar. 10—11, Referat: Metriſche Uebertragungen, 


234 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Nr. 12. Bunte Reihe. Ungedructe Briefe und Gedichte. A. 2. Karſchin, 
Ein Glückwunſchbrief in Neimen 18. April 1778. — Klopftod an E. H. Hemmerde, 
Kopenhagen 23. September 1755. Vorſchläge zu den Kupfern für Gefang 6—10 
des Mefftas in der neuen Ausgabe 1755. — Schubart an feine Gattin, Hohen- 
asperg, 30. Auguſt 1785. Ueber die Veranftaltung feiner Gedichtausgabe und 
deren Erträgnis. — Lavater au Bensler [Benzler], 27. Auguft 1788. Ein 
bedeutjamer Brief über jeinen Kampf mit Nicolai und feine Stellung zum 
Magnetismus. Bejonders wichtig die Stelle: „Ich weiß, daß fein Sterblicher 
ganz ehrlich fein kann, und jeder eine Portion vom Kupfer des Eigenfinns zum 
Golde jeiner Wahrheitsliche haben muß, aber wer mehr hat, als der Conventions— 
fuß geftattet, ift ein Falſchmünzer.“ V. W. Neubed an den Verleger feiner 
Dichtung „Der Geſundbrunnen,“ Steinau, 12. April 1817 über die Ausgabe 
legter Hand. — W. dv. Humboldt an den Amtsvat Meyer in Hadmersleben, 
Berlin, 28. März 1834 über den Tod feiner Gattin. — U. v. Humboldt aus 
Paris eirca 1820 mit Ueberjendung mehrerer jeiner Shcheitein. „Mögen meine 
neueren Arbeiten mir Ihre Liebe erhalten und vermehren. Ich bin an Schrift 
ftellergefühl vuhmfüchtiger als vor 20 Fahren. Der BVerjtand macht niemanden 
flug.” — Baharias Werner, Stammbucblatt („Ordnung Des Heils“) 
und Brief an Deinhardftein, Wien, 11. Mai 1816. Beides fehr charak- 
teriftiih. — E. Th. A. Hoffmann an einen Mufifverleger, Berlin, 27. Sep- 
tember 1807 über mehrere feiner Kompoſitionen. 

Band 17 Heft 1, 3, 4& Die Gefchichte des Erſtlingswerks. Spiel- 
bagen %., Wie die „Problematifhen Naturen“ entitanden. — Schubin 
Dffip, Mein Roman» „Ehre*. — Ebner-Eſchenbach Marie, Meine Lehr- 
jahre. — Franzos K. C, Mein Erſtlingswerk: „Die Juden von Barnow“. — 
Heyfe P., Meine Erftlingswerfe. — Schlußwort des Herausgebers. 

Heft 1. Mörike E, Gedichte (Ungedrucdter Nachlaß). Mitgeteilt von 
N. Krauß. I. Im Freien. „Dürfte als Nachklang der Liebe zu jener geheimnis- 
vollen Fremden aufzufaffen fein, die Mörike unter dem Namen Peregrina 
befungen bat, und demgemäß in das Jahr 1824 fallen.“ II. Lied eines 
Mädchens (Bift du, goldner Frühling). Scheint auh aus den Tübinger 
Univerfitätsjahren (1823 — 1526) zu ftammen. III. An Luife (Iſt's möglich, 
ferne von der Süßen). Iſt in die Zeit zu feten, da der Dichter mit Luife Rau 
verlobt war (1829— 1830). 

Briefe von und an Goethe. —— eines Briefes von Goethe an 
F. Moſengeil, mitgeteilt in einem Briefe Moſengeils vom 19. September 1820. 
Bezieht ſich, was dem Herausgeber entging, auf den verbindenden Tert zu Beet— 
hovens Egmontmuſik und iſt wahrſcheinlich ſchon 1826 im Geſellſchafter 
abgedruckt, vgl. Goedeke 31, 676. — Mathäus Stegmayer am Goethe. 
Wien, 20. July 1808. Mahnbrief wegen rückſtändigen Theaterhonorars. — 
Strafrapport des Theaters, Weimar, 26. Januar 1809, vom Wöchner Genaft 
entworfen und von Goethe entjchieden. — Undatiertes belanglofes Billet von Goethe 
an Karl Auguft. — Billet von Goethe wegen einer Sendung an Pyrfer, Weimar, 
2. Dezember 1831. — Dttilie v. Goethe au Bauernfed, Wien, um 1840. 
Begleitblatt zu einem liegen gebliebenen Brief von ihr, in welchem ein Urteil 
über ein neues Stück Bauernfelds enthalten war. 

K. E. Franzos, Ein Gedicht Grillparzers. Franzos hält an der Echtheit 
des mehrfach von ihm publizierten Gedichtes: „Löſche die Lampe“ gegen Sauer, 
der es (Grillparzers Werfe 1°, 123) für unecht erklärte, feſt und beruft ſich auf 
die Zuſtimmung von Laube und Weilen. A. J. W eltner habe das Gedicht von 
den Schweitern Fröhlich empfangen. Die Widerlegung wird der nächte Band 
des Jahrbuches der Grillparzer-Sefellfchaftzbringen. 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 235 


Heft 2 [Franzos K. E.]. Ein Belenntnis. Clara Bauer (Karl Detlef) 
an Guſtav Kühne 1868 mit dem Geftändniffe, daß fie zu ihrer Schriftitellevei 
fein anderes Motiv getrieben habe „als auf etwas weniger mühſamem Wege, 
wie auf dem des Stundengebens, Geld zu verdienen, ohne Honorar würde ich 
feine Zeile fchreiben.“ 

Heft 3. Werder K. Gedichte. (Ungedruckter Nachlaß.) 

Ungedructe Briefe von Bismard. 

Aus Laubes Jugend. Laube an Ludwig Storch, Breslau, 20. April 1831 
über feine Stellung zu der Leipziger Zeitfchrift: „Unfer Planet“. — Laube 
an Heinrih König, Leipzig, 5. November 1840. 

F.. Dichter-Feſte. 

Heft 4 Jakob Grimm über Eduard Mörike. Das fhöne Schreiben 
(Berlin, 26. Juli 1847), in dem Grimm dem Komite der Tiedge- Stiftung 
Mörikes „Idylle vom Bodenfee” für den Preis empfiehlt. 

Deutſche Dramaturgie Band 1. 

Heft 1, 2. Kirchbach W., Alte und „moderne“ Dramaturgie. 

Heft 1. Köberle G., Ueber die „moderne” Bühne und die Dramatiker 
der Gegenwart. 

Marterfteig M., Ueber den Stil der Bühne. 

Valentin B., Kunft und Routine. 

Heft 2. Lier 2, Zum Jubiläum des Hans Sads. 

Blätter für literarifche Unterhaltung 1894. 

Nr. 32. Waldmüller R., Prinzeffin Amalie von Sadjen. Zum 
10. Auguft 1894. : 

Nr. 37, 38. Necker M., Ueber Literaturgefchichte. 

Nr. 44. Friedrich R, Hans Sachs. Zum 5. November 189. 

Die Grensboten Jahrgang 53. 

Nr. 38, 39. Heinrih Heine, Noch ein Beitrag zu dem Streit um 
fein Denkmal. 

Nr. 40, 4. Düfel F., Jägerlatein. Behandelt auch die Quellengeſchichte 
einzelner Abenteuer des Münchhauſen u. a. 

Nr. 42. Wuſtmann ©., Bachs Grab. 

Nr. 44. Bhilippi A., Vom Werte der deutschen Literaturgefchichte. 

Das Magazin für Literatur 1894. 

Nr. 26. Karpeles G., Zwei Briefe von Friedrih Hebbel. An Guftav Kühne. 
1) Hamburg 29. Juli 1840 betrifft die als Brotarbeit für den Hamburger Buch— 
händler Berendfohn von Hebbel verfaßten und unter dem Namen Dr. J. F. Franz 
veröffentlichten Furzgefaßten Gefhichten des dreißigjährigen Krieges und 
der Jungfrau von Orleans, deren Autorſchaft er öffentlich nicht gerne ein- 
geftehen will; ferner fein Verhältnis zu Gutzkow. — 2) Wien, 15. Mai 1862 
mit den Nibelungen. Eine Art Widerruf der Borrede zur Maria Mag- 
dalena. 

Werder Karl, Gedichte. Aus dem von Otto Gildemeifter herausgegebenen 
Nachlaßband: „Gedichte von Karl Werder.“ 

Nr. 40. Heilborn E., Zu Wilhelm Müllers 100jährigem Geburtstag 
(geb. am 7. Oktober 1794). 

Nr. 42, Hartleben D. E., Ein Goethe-Brevier. Vorrede zu dem Buche 
„Soethe-Brevier. Goethes Leben in feinen Gedichten“ von O. E. Hartleben. 

Poppenberg F., Aus Otto Ludwigs Frühzeit. Ueber die drei Jugend— 
novellen des Dichters. „Aus einem alten Schulmeifterleben“ erinnert durch 
eine gewiffe altfränfifche Gewundenheit noh an Jean Paul, verrät aber bereits 


236 Bibliographie. 1. Zeitschriften. 


den künftigen Realiften der Dorfgeichichte. Die „Geſchichte von den drei 
Wünſchen“ zeigt Otto Yudwig als Nomantiter, als Nachahmer Hoffmanns, 
was ſich bis auf örtliche Antlänge nachweisen läßt. „Maria“ zeigt den Ein- 
fluß Heinrich von Kleifts und behandelt dasjelbe Motiv, wie die Marquiſe 
von d. 
Mr. 44. R. M. Meyer, J. Nover: Die Fauftfage „Daß Goethe den 
Bornamen „Johann“ für Fauſt micht ebenfo gut hätte poetifch machen können, 
wie „Heinvich“, möcht ich bezweifeln, aber ev verband mit dem Namen von Chrifti 
Lieblingsjünger wohl eine zu fanfte, harmonische Borftellung ; der Titan durfte 
nicht den gleichen Namen führen, wie der muntere Seifenfieder.” 

Nr. 45. Nietzſche F., Ungedrudte Gedichte. An die Freundſchaft (1882); 

Bereinfamt (1884); Venedig (1888). 
Die Gegenwart 1594. 

Nr. 26. Geiger L., Goethe als Erotifer. 

9. 32. Bentert A, Charles Berrault und unfere Bolfsmärden. 

Nr. 36. Geiger L., Die Wahrheit über Charlotte Stieglit. Mit einem 
ungedructen Brief. Theodor Mundt an 9. Stiegliß, Berlin, 21. April 
18355. Ein ſehr wichtiger und merfwürdiger Brief über die Herausgabe des 
Buches „Charlotte Stieglitz“. Der volle Gegenſatz zwiſchen Mundt und Stieglitz 
tritt zu Tage. Mundt beklagt ſich bitter und hart über Stieglit” „Bemerkungen“ 
zum erſten Theil des Werkes, über dejfen Wortbruch, über die Anmaßung, mit 
welcher er das Manuſcript umgeftaltete und verunſtaltete, Stellen auskratzte u. ſ. w. 
Er betrachtet die Gemeinschaft in Bezug auf Die Herausgabe des ns 
Wertes als aufgelöft und ftellt Bedingungen, die er für unannehmbar hält. Das 
Berhältnis Charlottens zu Stiegliß wird im eim neues Licht gerückt; man erfährt 
zwar Wahrheit über fie, aber wohl nicht die ganze Wahrheit. Pierfons Buch 
über Kühne hat Geiger nicht herangezogen. 

Kr. 40. Berger W., Wie ein Roman entjteht. 

Bonz A, J. V. Scheffel, feine Frau umd jeine Verleger. Berichtigung 
einiger Angaben in. Nr. 38 der Gegenwart. 

Die Nation Jahrgang 12. 

Wr. 1. Poppenberg F., Wilhelm Müller. Zum Hundertjährigen 
Geburtstage. 

Kr. 5.  Heilborn E. Hans Sachs. Zu feinem vierhundertjährigen 
Geburtstage. 

Die Zukunft Jahrgang 3. 

Nr. 5. Nietzſche F., Die Philojophie im BES Zeitalter der Griechen. 

Kr. 6. Tille A., Nietzſche als Ethiter der Entwicelung. 

Nr. 8.. Aus der Zeit Friedrich Wilhelms des Vierten. Auszüge aus 
Briefen des Präfidenten des Konftitutionellen Vereins für die Nheinlande A. v. Ma— 
rées an den General Baron v. Forſtner. I. Die Ausftellung des „Heiligen 
Rockes“. Elberfeld, 12. März 1845. II. Das Gefchrei nah Reichsſtänden. 
April 1845. 

Die Familie Band 3. 

Heft 2. Zur Gefchichte der Mäpdchenerziehbung im 18. Jahrhundert (Schluß). 

Ottilie Wildermuth über die Frauen-Schriftjtellerei. Ein Brief an 
Robert Prutz. 

Heft 3. Keidel E., U. G. Eberhard. 

Die Mutterliebe in der deutſchen Sage. 

Allgemeine evangeliſch-lutheriſche Kirchenzeitung 159. 

Nr. 33. Anhalts Bekenntnißſtand 1570—1606, 








Bibliographie. 1. Zeitichriften. 237 


Nr. 34—36. Bon Goethes Fauſt zum Evangelium des Johannes. 
Nr. 45. Zum 400 jährigen Geburtstage des Dichters Hans Sachs. 
Proteſtantiſche Birchenzeitung 159. 

Nr. 33—42. Fiſcher M., Schleiermacher umd die firchliche Gegenwart. 

Wr. 385—4. Bock F., Die religiöfe Bolfsliteratur der evangelifchen 
Kirche Deutjchlands. 

Schrattenthals Frauen-Zeitung Jahrgang 1 Nr. 22, 23. 

Unfere Briefmappe (2. Fortfegung), Marie von Hanftein an Karl 
Weiß-Schrattenthal 12. Jänner 1879. 21. Juli 1879. — A. Raßmann an 
Marie von Hanjtein 1. Dezember 1880. 

Schrattenthals Rundſchau Jahrgang 2. 

Kr. 1,2. Hit Luiſe, Die Freundin eines großen Mannes. Schads 
Hreundin Hedwig Dragendorff. 

Nr. 1. Weiß - Schrattenthal, Unſere Briefmappe.  Briefwechfel mit 
M. vd. Hanftein (4. Fortfegung). Auch ein Brief von Felir Dahn an deren 
Schweſter, 12. Jänner 1886. 

Kr. 4. Horn-Grüna Flora, In Goethes Heimftätte. WPlauderei. 

Alluſtrierke Zeitung Wr. 2679. 3. November 1894. 

Gg. Hd. Ein neues Portrait des Hans Sachs. Eine Medaille oder 
vielmehr nur ein jchlichter Bleiabjchlag einer folchen in dem königlichen Münz- 
fabinet in München. Sie wird dem Wenzel Jamnitzer zugeſchrieben und ftellt 
den Meifter im höchſten Alter dar. 

Beiheft zum Militär-Wochenblatt 1894 Nr. 9 und 10. 
Des Herzogs Friedrih Wilhelm von Braunfchweig Zug durch Nord- 
dentjchland im Jahre 1809. 
Der Sammler Jahrgang XVI Wr. 1. 
Brendide H., Einige Stammbücher aus dem 18. Jahrhundert. 
Internationale Literaturberichte 1594 Wr. 27. 
Knortz K., Schiller in Amerika. 
Deutſche Literaturseitung Wr. 40. 

Grünberg P:, Natzmer: Die Jugend Zinzendorfs. Lehrreiche Beiprechung. 
Bergleih der verjchiedenen Auffaffungen. 

Der Theatercourier. Hannover 1894 Nr. 33. 

Iſolani E, Herzogin Amalie von Sadfjen, eine fürftlihe Bühnen- 
dichterin. 

Belondere Beilage des Staats-Anzeigers für Württemberg 1894 Nr. 13. 

J. H., Baraceljus und Hohenheim. 

Krauß K., Hermann Kurz. Bortrag, gehalten im November 1893. 

Trautenauer Wochenblatt 5. November 1894. 

B., Zur Hans Sadhs- Feier. 

Beilage sur Bohemin 1594. 

Kr. 304. Ehlen Dttilie, Kaifer Karl VII. und Katharina Elifabeth 
Tertor. (Betrahtungen zur Erzählung einer Epifode aus dem Leben von 
Goethes Mutter.) 

Nr. 805. Hauffen A., Zur Erimmerung an Haus Sads. 

Deutſche Wacht. Dresden 1894 Nr. 210. 

Sauer W., Sakuntala, Goethe und Schiller. Einflüffe der Sakuntala auf 

Goethes Fauftprolog und Schillers Alpenjäger. 
Wiſſenſchaftliche Beilage dev Yeipziger Zeitung 1894. 

Kr. 54, 95, 104, 115. Haarhaus J. R., Auf Goethes Spuren im 
Süden. Neifefkizzen. 7. Venedig umd venezianiiche Kunftwerfe. — 8. Muſik 
und Theater in Venedig. — 9. Das Lido und Chioggia. — 10. Ferrara, 


238 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Nr. A. Braſch M., Zum Jubiläum der Univerfität. Halle Eine 
hiſtoriſche Studie. 

Wr. 92. Anna Löhn-Siegel, Aus meinem Tagebuch) vom Dresdener 
Hoftheater. Anfang der el Jahre. 

Nr. . Eine Dichterin im ſächſiſchen Königshauſe. Zum 10. Auguſt 1894. 

Nr. 101. Johann Gottfried von Herder. Zum 25. Auguſt. 

Höber E., Aus dem Leben Hoffmanns von Yallersleben. 

Kr. 103. Roft R., Efhof und Leſſing. 

Nr. 116. Die Bibel im Volfsmunde. Eine fpraclihe Studie von 
einem Theologen. 

Nr. 120. Fränkel 8, Der Dichter der Mürllerlieder. Zu jeinem 
100. Geburtstag. 

Nr. 125. Kellner H. C., Zur Frage des deutſchen Natjonalhymnus. 

Nr. 130. Tille A., Das Neformationsjubiläum von 1617. 

Nr. 1351. Meyer P., Bufendorf. 

Nr. 132. Hans Sads. 1494 — 5. November — 189. 

Kr. 135. Bed M., Martinstag. 

Nr. 136. Müller €, Loosbräuche unter der Kinderwelt. 

Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1894. 

Beilage-Nummer 108, 109. Wünſche A., Baumbahs Abenteuer und 
Schwänfe und ihre Onellen. 

Wr. 167. Fulda L., An Kuno Fiſcher. 

Lorm H., Betty Baoli Nachruf). 

Nr. 168. Meyer dv. Walded, Kuno Fiſcher 

Kr. 182. Nietſche F., Homer und die fla if he Philologie. 

Jr. 202 —204. Wünfche U., Der Sagentfreis vom geprellten Teufel 
als Baumeifter. 

Nr. 211, 212. Ruepprecht Chr., Mitteilungen über die Handſchriften⸗ 
Sammlung der Kgl. Univerſitätsbibliothek in München. 

Nr. 215. Kawerau W., Eſther-Dramen. 

Nr. 219, 220. Bettelheim A., Aus den Denkwürdigkeiten von Joſeph 
Korner. Auszüge aus einer umfangreichen Selbſtbiographie von Franz Niſſels 
Vater, dem Schauſpieler Korner, die uns mit deſſen höchſt merkwürdigen aben— 
teuerlichen Jugendleben bekannt machen. Nach Korners Aufzeichnungen hätte 
ſein Vater, Niſſels Großvater, Zauber- oder Volksſtücke für die Theater in der 
Leopoldſtadt und Joſephſtadt geſchrieben, die ſich bis jetzt nicht auffinden ließen. 
Korners erſtes Engagement war in Wiener Neuſtadt bei Direktor Scherzer, von 
dem ein abſchreckendes Charakterbild entworfen wird. Die weiteren Aufzeichnungen 
geben tragikomiſche Darſtellungen des wüſten Treibens grotesker Schmieren— 
Direktoren in Oeſterreich-Ungarn; bringen gute ſachliche Aufſchlüſſe über die 
Bühnen von Innsbruck, Prag, Nürnberg, Graz, Linz, Bamberg und das Wiener 
Burgtheater; manche gute Charakteriſtik ſeiner Chefs, zumal von Holbein, Hof— 
rat Raymond und dem jungen Laube; auch das eine und andere Porträt ſeiner 
großen Collegen, Anſchütz, La Roche ꝛc.: „durchweg leſenswerte Mitteilungen, die 
im Grillparzer-Jahrbuch oder in Litzmanns ‚Theatergeſchichtlichen Forichungen‘ 
eingehendere Wiedergabe verdienen und lohnen“ Sie jollen mit Niſſels ge- 
jammten Nachlaß der Wiener Stadtbibliotbef übergeben werden. 

Nr. 227. Golther W., Gerard Gleys Berdienjte um den „Heliand.“ 

Nr. 229. Sadger J., Ibſens Gejpenfter. 

Nr. 236. W. Henfe, Bewegungsmotiv und NReftauration des Laokoon. 

Kr. 237—239. Sander %., Apollonios von Tyana, der heidnijche 
Meſſias. 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 239 


Wr. 230. bm. [Bettelheim A.]). Rudolf Baldet (Wagner), Nefrolog und 
Charafteriftit des ausgezeichneten öſterreichiſchen Theaterreferenten und Feuille— 
toniften. „In jeinem Nachlaß müfjen fih umfangreihde Sammlungen finden, 
Kataloge aller Autobiographien, infoweit die feinem vaftlofen Spürfinn zugänglich 


— ——— Die nächſten Kameraden ſollten es ſich angelegen ſein laſſen, 
eine Auswahl der weſentlichen kleineren Schriften Valdecks in Buchform heraus— 
zugeben. . . . Sonſt wäre es eine Ehrenpflicht der Stadt Wien, den literariſchen 


Nachlaß dieſes Klaſſikers unter den Wiener Kritikern zu hüten und zu heben.“ 

Nr. 240, 241. Berlepſch 9. E. v., Gottfried Keller als Maler. 

Nr. 241, 242. Henke W., literarif ſche Miscellen. 

Nr. 243. Geiger Neue Sammlung von Goethes Briefen. Ein 
offenes Wort über Buchmaderei. Gegen die bei Pfau in Leipzig erjcheinende 
Ausgabe. 

N. 252. Bod A., Goethe und Fürft Nadzimwill. 

Nr. 253, 254. Kluge F., Spradhreinheit und Sprachreinigung geſchichtlich 
betrachtet. 

Bayerifcher Kurier 1894 Wr. 189 und 190. 

Türd H., Meine Erfahrungen mit Kuno Fijcher. 

Norddeniſche Allgemeine Zeitung. Abendausgabe. 1894 Nr. 257. 

Troſt K., Euphorion, Zeitſchrift für Literaturgeſchichte. 

Aeue Ereie Vreſſe 1894 Nr. 10758. 5. Auguft Morgenblatt. 

Franzos K. E., Bauernfeld und Grillparzer. Franzos ffizziert den 
Inhalt eines Gejprähs mit Bauernfeld aus dem Spätherbit 1576 über Grill- 
parzer, bejonders über die lyriſchen Gedichte, die Dramen, die Beziehung zu 
Kathi; dann ein zweites Gejpräh aus dem Sommer 18577 über Bauernfelds 
Feuilleton in der Neuen Freien Preſſe, 6. Januar 1877, „Verkehr mit Grill- 
parzer”, deſſen geplante Fortſetzung über Katharina Fröhlid auf deren 
Einjehreiten unterblieben jei. Katharinas Brief an Bauernfeld, Wien, 9. Januar 
1877, worin fie ihn bittet, mit der Veröffentlichung feiner Mitteilungen über fie 
bis nach ihrem und ihrer Schweftern Tod zu warten, wird abgedrudt; die 
darauffolgende Unterredung Bauernfelds mit Katharina nach dejjen Erzählung 
wiedergegeben. 

19. Oktober. Oskar v.Nedwiß in Defterreih. Briefe der Erzherzogin 
Sophie umd des Erzherzogs Mar an Redwitz. 

Roſtocker Zeitung 1594 Nr. 272. 
Zwei Briefe Fritz Neuters am feine Luiſe 1851—1854. Aus der 
Magdeburger Zeitung abgedrudt. 
Voſſiſche Zeitung 1594. 
Jr. 320. Ein Brief von Fri Reuter und feiner Luiſe. 
Bote für Zivol und Vorarlberg 1894 Nr. 255, 254. 

Prem ©. M., Zum Hans Sabs- Jubiläum. Hält an Hans Sage ens 
Anweſenheit in Tirol gegen E. Götze feſt und ſucht tiroliſche Lokalitäten im deſſen 
Werken nachzuweiſen. „Nach der Tradition hat Sachs im heutigen Gerichts— 
gebäude in Schwaz gewohnt; über eine dort entdeckte intereſſante Verewigung 
ſeiner Poeſie werden wir demnächſt von anderer Seite hören.“ 

Weimariſche Zeitung 1894. 

Nr. 252. Hans Sachs. Bon C. M. W. (Wielands Aufſatz aus dem 
Aprilheft des deutſchen Merkur 1776). 

Nr. 253. — n. Hans Sads 1. 

Wiener Zeitung 1894, 4. November. 

Minor $., Hans Sad. Bortrag, gehalten zum vierhundertjährigen 

Jubiläum dev Geburt des Hans Sachs. 


240 Bibliographie. 2. Bücher, 


2. Büder.!) 
Literaturgeſchichte. Bibliographie. Poetik, Sammelwerke. 


Scherer, W., Geſchichte der deutſchen Literatur. 7. Auflage. Berlin. Weid- 
mannjche Buchhandlung. 10 M 

Vilmar A. F. C., Geſchichte der deutschen Nationalliteratur. 24. Auflage. Mit 
einem Anhang: „Die deutiche Nationalliteratuv vom Tode Goethes bis zur 
Gegenwart von A. Stern. Marburg, Elwert. 7 M. 

Stern A., Die deutſche Nationalliteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart. 
3. neubearbeitete und vermehrte Auflage. Marburg i. H., Elmert. 1.50 

Inhalt: Vorwort. — Einleitung. — Das junge Deutichland und die 
politische Lyrik. — Nachwirkungen der Haffischen und romantischen Ueberlieferung. 
— Die Erhebung gegen die Herrichaft der Tendenzpoefie. — Der poetijche 
Realismus. Neue Kämpfe. Das Ende des Jahrhunderts. 

Wolfan R., Gejchichte der deutichen Literatur in Böhmen bis zum Ausgange 
des 16. Jahrhunderts. Prag, Haafe. 20 4 

Subalt: 1. Entwidlung des Deutihtums in Böhmen. — 2. Schulweſen. 
— 3. Humanismus. — 4. Höfiihe Dichtung. — 5. Das 14. und 15. Yahr- 
hundert. — 6. Das 16. Jahrhundert. 

Grünbaum M., Die jüpdifch- deutfche Literatur in Deutjchland, Polen und 
Amerifa (Aus: Winter und Wünfche, Die jüdifche Literatur feit Abſchluß des 
Kanons) Trier, Sigmund Mayer. 1.50 M. 

Shmidlin L. R., Die fatholifchtheologische und kirchliche Piteratur des Bistums 
Bajel vom Jahre 1750 bis zum Sabre 1893. 1. Heft. (Bibliographie der 
ſchweizeriſchen Landeskunde Fascikel V, 10 e 1.) Bern, Wyß. 3 AM 

Wedddigen F. 9. O. Geſchichte der Einwirkungen der deutjchen Literatur auf 
die Literaturen der übrigen europäifchen Kulturvölker der Neuzeit. 2. (Zitel-) 
ee Leipzig, Wigand 1895. 2 M. 

Das Buch) hätte nicht ohne ftarfe Umarbeitung oder Ergänzung ausgegeben 
werden Dürfen. Das Borwort der erſten Auflage enthielt den Sat: „Wir 
find überzeugt, daß bei einer neuen Auflage noch hier und da die beffernde 
und nachtragende Hand erforderlich fein wird.“ Trotzdem ift der neuen Ausgabe 
nichts hinzugefügt als ein neues Borwort, in dem Süpfles Bud) wenigſtens 
erwähnt wird, während die Arbeiten von Herford, Meisner, Yarinelli, der 
Briefwechjel Goethes mit Carlyle, die neueren Bände des Goethesssahrbuches 
und die Zeitjchrift für vergleichende Literaturgefchichte, um nur das Wichtigfte 
hervorzuheben, ignoriert werden. Das jchwierige Thema harrt des geeigneten 
Bearbeiters. 

Lohmann, P., Pantheon deuticher Dichter. 14. Auflage. Leipzig, Jod. 4 M. 

Katſcher, L., Friedensjtimmen. Eine Anthologie. Eingeleitet von K. F. Meyer 
und Berta dv. Suttner. Leipzig, Hoppe. 6 M. 

Tetzner, Deutiche Gefchichte in Liedern deutſcher Dichter. 1. Teil. Bon Pytheas 
bis Luther. 2. Teil. Bon Ferdinand II. bis Wilhelm II. (Univerfal-Bibliothef 
Nr. 3278— 3283). Leipzig, Reclam. 1.20 M. 

Grotthuß J. E., Freiherr v., Das baltische Dichterbuch. Eine Auswahl 
deutſcher Dichtungen aus den baltiichen Provinzen Rußlands, mit einer literar- 
hiftorifchen Einleitung und biographifch-kritiichen Studien. 2. Auflage. Neval, 
Kluge. 6 M. 





1) Die neueingeführten Weberichriften ſollen die Ueberficht erleichtern, bedeuten aber nicht 
ein jtarr fejtzuhaltendes Schema; vielmehr wahre id) mir auch für die Zufunft die Freiheit, nad) 
dem jeweiligen Bedürfnis neue Abjchnitte zu bilden oder mehrere Gruppen zujammenzufaffen. Wo 
die Jahreszahl fehlt, ijt 1894 zu ergänzen, A. Sauer. 








Bibliographie. 2. Bücher. 241 


Büchmann G., Geflügelte Worte. Der Citatenſchatz des deutichen Volkes. Nach 
des Verfaffers Tode fortgejegt von W. NRobert-tornow. 18. Auflage. Berlin, 
Haude & Spener. 

Hilty E., Leſen und Reden. Frauenfeld, Huber 1895. 2.40 AM. 

Inhalt: Ueber das Lejen. Urjprünglich ein Vortrag in einem Jünglings- 
verein. — Dffene Geheimniffe der Redekunſt. Urſprünglich ein afademijcher 
Bortrag, zuerjt gedruckt in dem 2. Bande des „politifchen Jahrbuchs der 
ſchweizeriſchen Eidgenofjenjchaft“ 1887. 

Weigand W., Das Elend der Kritif. München, Franz 1895. 2.40 M 

Wyzewa Th. de, En Allemagne. L'art et les moeurs. Paris, Perrin 
& Co. 3.50 Fr. 

Reich E., Die bürgerliche Kunſt und die befitlofen Volksklaſſen. Zweite ver- 
mehrte Auflage. Leipzig, Friedrih. 2 4. 

Chevalier L., Zur PBoetif der Ballade III. Dreizehnter Fahresbericht des 
f. k. Staats-Obergymnaftums in Prag-Neuſtadt. 1894. 

Nachdem Chevalier in den beiden erſten Teilen feiner Abhandlung (in den 
Programmen derjelben Anftalt 1891 und 1892) mit bisher umerreichter Sach— 
kenntnis und Belefenheit meifterhafte Charafteriftifen der deutſchen Balladen- 
dichter bis auf die menefte Zeit und eine Zufammenftellung der äfthetifchen 
Theorien über diefe Dichtungsgattung gegeben hat, geht er jetst zu feiner eigenen 
Definition und Einteilung der Balladendihtung vorwärts. Die Ballade ift 
darnac „jene, häufig als Kleinepik bezeichnete Dichtungsart, welche als Miſchung 
des Handlungs- und Stimmungsbildes in fnappem Rahmen bald nad Art 
der Volksballade, aus der fie urjprünglich hervorgegangen, naturaliftifceh, bald 
in veicherer, idealjhöner, aber immer concentrierter Entfaltung Geftalten und 
Charaktere nad) mannigfachen Nichtungen ihres ganzen Gemütes und Geiftes- 
lebens, in ihrer Beziehung und im Konflifte mit der Außenwelt, mythifchen 
Weſen, dem Menſchen und dem Gejfamtleben, in der Form gern im dramatisch 
bewegter Weife und mit Anwendung fprachlich muſikaliſcher Elemente Fünftlerifch 
darjtellt. Er unterjcheidet darnach die volfstümliche und die Kunftballade; 
ferner die Iyrifche, epiſche und dramatiſche Ballade, von denen die erfteren 
wieder feinfinnig in Unterabteilungen gegliedert werden. Ein viertes Programm 
wird die für die Poëtik grumdlegenden Unterfuchungen zu Ende führen. 

Thiel P. %., Naturifche Briefe gegen die moderne Dichtung an einen Naturifchen. 
Berlin, Bibliographiſches Bureau. 189. 1.380 4 

U. T. Ueber die „jogenannte* moderne Richtung in den Künften (unter befonderer 
Berücfihtigung dev Dichtkunft, Muſik und Schaufpielfunft). Winke für junge 
Künftler, Kunſt- und Literaturfreunde. Hamburg, Laeisz. 14 

Allgemeines hiſtoriſches Porträtwerf. Neue Ausgabe, nad Beitaltern 
geordnet. Eine Sammlung von über 600 Porträts der berühmten Perjonen 
aller Nationen von etwa 1300 bis etwa 1840, nach Auswahl von W. v. Seidlit, 
mit biographifchen Daten von H. A. Lier und H. Tillmann. Phototypien 
nad den beften gleichzeitigen Originalen. Lieferung 13—19. II. Abteilung: 
Das Zeitalter des 30jährigen Krieges (1600—1670). München, Berlags- 
anftalt für Kunft und Wiffenfchaft a LM 

Allgemeine deutfche Biographie. 186. Lieferung. (Band 38 Lieferung 1) 
Thienemann— TIhulemeyer. 

E3 jeien hervorgehoben: J. ©. Thierbach, Arhäolog und Schulmamı 
1736— 1782. Handjchriftliches über ihn, namentlich ein Auszug feines Brief- 
wechjels mit Fr. Nicolai im der Gubener Gymnaſialbibliothek (Jentſch.) — 
B. Thierſch (Pſeudonym: Th. Reiſch) Schulmann und Verfaffer des Preufßen- 
liedes 1793—1855 (Pröhle). — Friedrich Thierſch, berühmter Philolog, 

Euphorion IL. 16 


242 Bibliographie. 2. Bücher. 


Pädagog und Philhellene 1784—1860 (Baumeifter). — H. W. J. Thierfch, 
TIheolog 1817—1885 (W. Freiherr dv. Pehmann). — J. O. Thief, Theolog 
und Schriftſteller 1762—1810 (Bertheau). — F. G. Thilo, Roman- und 
Dramendichter 1749—1825 (M. Mendheim). — G. W. M. Thilo, Pädagog 
1802— 1570 (9. Fechner). — J. 8. Th. Thilo, evangelifcher Theologe 
1794— 1853 (Tſchackert). — Valentin Thilo, zwei Dichter geiftlicher Lieder, 
Bater und Sohn, 1579— 1620; 1607— 1662 (I. u.). — Thiloninus Philym- 
nus (Thilemann Conradi), Humanift zu Anfang des 16. Jahrhunderts (J. 
Bolte). — Kaſpar Tholde, heffifcher Theologe ca. 1520—1582 (B. Beh). — 
34. ©. Tholud, Theolog 1799—1877 (©. Frank). — Johannes Thomä, 
Juriſt 1624—1679 (A. Schumann) — Johannes Thomae, reformirter 
Katechet, Prediger und Schulmann 1604—1672 (Cuno). — Marcus Thomä, 
Schwärmer ca. 1521 (Tſchackert). — Nicolaus Thomä, evangelifcher Theo— 
loge der Reformationszeit, geb. 1492 (Ney). — Thomas (Chrön), Fürft- 
biihof von Laibach 1560—1630 (Th. Elze). — Thomas von Imbroich, 
Buchdrucker 1533—1558 (2. Keller). — Thomas, ein deutſcher Buchdrucer 
in Sevilla am Ende des 15. Jahrhunderts mit vollem Namen Thomas 
Glockner; zugleich Mitteilungen über feine Genofjen Paul von Köln, Johannes 
Pegnizer und Magnus Herbit (8. Steiff). — Thomas Septemcaftrenfis, 
Buchdruder aus Hermannftadt in Siebenbürgen, der 1472 in Verbindung mit 
Joh. Wurjter aus Kempten in Mantua thätig war (K. Steiff), — Adolf 
Thomas, Prediger an der Nicolaikirche in Berlin 1812—1891 (M. Sydow). 
— Chr. 2. Thomas, ſächſiſcher Schulmann und pädagogischer Schriftiteller 
1815— 1875 (Georg Müller). — J. G. Chr. Thomas, Frankfurter Senator, 
Hiftoriter 1785—1838; deſſen zweite Gattin Nofette Staedel geb. Willemer 
1782—1845 (R. Jung). — Chriftian Thomafius, hervorragender Förderer 
der deutjchen Kultur, dem Face nah Furift 1655—1728 (E. Landsberg). — 
Gottfried Thomafius, lutheriſcher Theologe 1802 — 1875 (Tichadert). — 
Hieronymus Thomaſius (Thomae, Thomas), Dichter und Juriſt des 
17. Jahrhunderts (Roethe). — Jakob Thomajius (Thomas), hervorragender 
Philofopp und Schulmann des 17. Kahrhunderts 1622—1684 (R. Sachſe). 
Jakob Thoming (Thomingus), ſächſiſcher Nechtsgelehrter, geſt. 1576 (v. Eijen- 
hart). — Chr. N. Th. H. Thomjen, gelehrter Theolog 1803— 1872 (Tarftens). 
— J. H. Thomfen, Dichter 1749— 1777 (Earftens). — Thomas Thorild, 
Profeffor der Philofophie in Greifswald, 1759—1808 (Hädermann). — Th. 
v. Thrämer, hervorragender Pädagog, Sprachforfcher und Kämpfer. für 
evangelifches Deutſchtum 1809—1859 (E. Thrämer). — ©. Thudichum, 
Philologe 1794—1873 (F. Ihudihum). — H. ©. v. Thulemeyer (Thule 
mar), Hiftorifer und Nechtsgelehrter geft. 1714 (DO. Krauste). 


Rümelin G., Reden und Auffäge. Dritte Folge. Nebft Profeffor Chr. Sigwarts 
Gedächtnisrede auf Guftan Rümelin. Freiburg i. B. und Leipzig, Mohr. 6 M. 
Inhalt: Gedächtnisrede. — I. Reden: Ueber die Temperamente. 1881. 
König Friedrich von Württemberg und feine Beziehungen zur Yandesuniverfität. 
1882. Die Entftehungsgefhichte der Tübinger Univerfitätsverfafjung. 1883. 
Ueber die Lehre vom Gewiſſen. 1884. Ueber die Arten und Stufen der 
Intelligenz. 1885. Ueber die Berechtigung der Fremdwörter. 1886. Ueber 
die neuere deutſche Proja. 1887. Ueber den Begriff der Gejellfchaft und 
einer Gejellfchaftsiehre. 1888. Ueber den Zufall. 1889. — I. Auffäte: 
Juſtinus Kerner. 1862. Der württembergiiche Volkscharakter. 1863. 1864. 


Ullrich Titus, Kritifche Aufſätze über Kunſt, Literatur und Theater. Berlin, 
Gaertner. 450 A. 


— 


Bibliographie. 2. Bücher. 243 


Ernft A. W., Literariſche Charakterbilder. Ein Buch für die deutfche Familie. 
Mit zehn Bildniffen. Hamburg, Kloß. 1895. 4 M 

Inhalt: Körner. Chamifjo. 9. vd. Kleift. Leſſing. Goethe. Schiller. 
Uhland. Lenau. Reuter. Gerof. 

Ziel €., Literarifche Reliefs. Dichterporträte. Erſte bis dritte Reihe. Neue (Titel-) 
Auflage. Bierte Reihe. Leipzig, Wartig. 1895. à 2.50 M. 

Aus dem Inhalt: Erfte Reihe: — Püdler-Musfau. — Alexis. — Böttcher. 
— Hartmann. — Frit Reuter. — Lingg als Lyriker. — Kinkel. — Hamer- 
ling. — Keller als Lyrifer. — Geibel. 

Zweite Reihe: Freiligrath. — Scheffe. — Schad. — ©. Freytag. — 
K. Stieler. 

Dritte Reihe: A. Meißner. — ©. Keller als Erzähler. — Jordan. — 
Leuthold. — PVierrodt. — Anhang: Sn der literarifhen Sonntagsgejellichaft 
„Zunnel“ zu Berlin. — Gaudy. 

Dierte Reihe: A. Dulk. — K. Groth. — F. Gregoropius. — 2%. Pfau. 
— F. Bodenftedt. 

Sintenis %., Literarifche Anfichten in Vorträgen. 9. Sudermann. — 9. Seidel. 
— Bret Harte. — Mark Twain. — €. Bellamy. Jurjew, Karow. 2 A. 
Stern A., Studien zur Literatur der Gegenwart. Mit neunzehn Porträts 

nah Originalaufnahmen. Dresden, Eiche. 1895. 10.50 A. 

Inhalt: Friedrich Hebbel. — Guftav Freytag. — Friedrich Bodenftedt. 
— Theodor Storm. — Gottfried Keller. — Theodor Fontane. — Joſef Viktor 
Scheffel. — Rudolf Baumbad und Heinricd Seidel. — Ernft von Wildenbrud. 
— P. 8. Nofegger. — Hermann Sudermann und Gerhart Hauptmann. — 
Henrik Ibſen. — Mfons Daudet. — Leo Graf Tolſtoi. — Viktor Rydberg 
und Karl Graf Snoilsky. — Walter Bejant. 

Nüttenauer B., Zeitiges und Streitiges. Ein literarifches Skizzenbuch, Heidel- 
berg, Weiß. 1895. 3.20. AM 

Aus dem Inhalt: Wilhelm Jenſen. — Ferdinand von Saar. — Drei 
Kampf-Romane (Wilbrandt — Heyfe — Hopfen). — Mar Nordau, eine 
Poſaune des Gerichts. — Deutiche Hiebe (Wilhelm Jordan). — Bismard und 
feine Zeit — Bauvenargues. — Franzöfifh und Deutſch (Paul Bourget). — 
Theater und Literatur (Sudermanın — Hauptmann). 

Bolfelt J., Aefthetifche Zeitfragen. München, Bed. 1895. 4.50 M. 


Inhalt: I. Kunft und Moral. — 1. Kunft und Naturnahahmung. — 
Il. Die Kunſt als Schöpferin einer zweiten Welt. — IV. Die Stile in der 
Kunft. — V. Der Naturalismus. — VI. Die gegenwärtige Aufgabe der 
Aeſthetik. 


Leirner DO. v., Aeſthetiſche Studien für die Frauenwelt. 5. Auflage. Berlin, 
Trenfel. 5.50 4 

Menih E., Der neue Kurs. Literatur, Theater, Kunſt, Journalismus der 
Gegenwart. Neue Folge von Neuland, Menfchen und Bücher der modernen 
Welt. Stuttgart, Levy und Müller. 5.50 A 

Hörmann 2, Biographifch-kritifche Beiträge zur öſterreichiſchen Dialeftliteratur. 
Dresden, geipzig und Wien, PBierfon. 189. 1 .M 

Inhalt: Der Vater der öfterreihifchen Dialeftdihtung. (P. Maurus 

Lindemayr). — Franz Stelzhamer. — Ein Sängerftreit. Bee — 
und K. A. Kaltenbrunner.) — Loſenſtein und fein Sänger. (Anton Schoſſer). 
Der Fink von Mattjee. (Auguft Radnitzky). — Die Perle der flicberöftetreidifeher: 
Dialeftdihtung. (Joſef Miffons „Da Naz“). — Bon drei neuen Dialekt- 
dichtern. (Hans Grasberger, Hans Fraungruber, Moriz Schadek.) — Anhang: 
Wie das Bolf dichtet. 


16* 


244 Bibliographie. 2. Bücher. 


OGefchichte der Wilfenfchaften. Gelehrtengeſchichte. 

Kiefewetter 8, Die Geheinmiffenschaften. Zweiter Teil der Gefchichte des 
neueren Offultismus. Leipzig, Friedrich. ° 16 M 

Stengel E. Private und amtliche Beziehungen der Brüder Grimm zu Heffen. 
Eine Sammlung von Briefen und Aftenftücden als Feitfchrift zum Hundertiten 
Geburtstag Wilhelm Grimms, den 24. Februar 1886 zufammengeftellt und 
erläutert. Zweite (Titel-)Ausgabe 2 Bände. Marburg, Elwert. 189. 4 M. 

Behrens D., Friedrih Diez. Feftrede, zur Feier v. Diez’ 100ftem Geburtstage 
gehalten. Mit l Porträt und bisher noch nicht veröffentlichtem biographifchen 
Material. Gießen, Mündhow. 1 M. 

Hashagen %., „Befiehl dem HErrn deine Wege“, Nede am Sarge des weil. 
Prof. Dr. Reinhold Bechftein den 9. Dftober 1894. Noftod, Stiller. 30 9. 

Ausgewählte Briefe von ımd an Chr. A. Lobeck und K. Lehrs, nebſt Tagebuch- 
notizen. Herausgegeben von A. Ludwich. 1802— 1878. 2 Teile. (Publikation 
des Bereins für die Geſchichte von Oſt- und Weft- Preußen.) Leipzig, 
Dunder & Humblot. 16 M. 

Gregorovius F., Briefe an den Staatsfetretär Hermann v. Thile. Heraus— 
gegeben von H. v. Petersdorff. Berlin, Paetel. 6 4 

Yagarde A. de, Paul de Yagarde. Erinnerungen aus feinem Leben, zufammen- 
geftellt. Göttingen, Dieterih. 2 4 

Unger J. Adolf Erner, Nachruf. Wien, Höher, 40 X. 


Hiftoriographie. Politifche und Kultur- Gefchichte. 

Wyß ©. v., Gefchichte dev Hiftoriographie in der Schweiz. Herausgegeben dur) 
die allgemeine gefchichtforjchende Gefellfchaft der Schweiz. 1. Lieferung. Zürich, 
Fäſi & Beer. 1.60 4 

Joachimſohn P., Zur ftädtifchen und klöſterlichen Gefchichtichreibung Augsburgs 
im 15. Jahrhundert. Bonn, Hanftein. 1.50 4 Bol. oben ©. 200. 

Ludwig Th, Die Konftanzer Gejchichtichreibung bis zum 18. Jahrhundert. 
Straßburg i./E., Trübner. 6 4%. 

— recht K., Deutſche Geſchichte. Berlin, Gaertner. 1. Band, 2. Auflage. 

6 NM. — 4. Band. 6 M 

Lindner Th., Gefchichte des Deutfchen Volkes. Zwei Bände. Stuttgart, Cotta. 
10 .M. 

Stade 2, Deutſche Geſchichte. In Berbindung mit Anderen. 6. Auflage, 
2 Bände. Bielefeld, Velhagen & Klafing. 25 M 

Ranke L. v., Deutſche Gejhichte im Zeitalter der Neformation. 6 Bände, 
7. Auflage (Sämtliche Werke, 3. Gejfamtausgabe, Band 1—6). Xeipzig, 
Dunder & Humblot. 30 M. 

Bibliothek deutſcher Geſchichte. Herausgegeben von H. v. Dal ELSE TE 
Lieferung 77. Stuttgart, Cotta. 1 

Inhalt: Zwiedined-Südenhorft K. v., Deutſche Gef chichte im Zeitraum der 
Gründung des preußischen Königtums XVI. Schluß. Vorrede. 

Bolz B., Gefhichte Deutichlands im 19. Jahrhundert vom Lumeviller Frieden 
bis zum Tode Kaifer Wilhelms I. 2. (Titel-)Auflage. Mit 24 VBollbildern. 
Leipzig, Spamer. 6 M. 

Treitſchke 9. v., Deutſche Gejchichte im Neunzehnten Jahrhundert. Fünfter 
Teil. Bis zur März "Revolution (Staatengefchichte der neueſten Zeit, Band 28). 
Leipzig, Hirzel. 10 M 

Inhalt: Fünftes Buch. König Friedrich Wilhelm der Vierte 1840— 1848. 
1. Die frohen Tage der Erwartung. — 2. Die Kriegsgefahr. — 3. Enttäufhung 





Bibliographie. 2. Bücher. 245 


und Verwirrung. — 4. Die Parteiung in der Kirche. — 5. Realismus in 
Kunft und Wiffenfchaft: die politifche Poefie; Noman und Drama; die bildenden 
Künſte; Hiftorifer und Politiker; Die En Naturwiffenichaft. — 6. Wachstum 


und Siehtum der SH — Polen und Schleswig-Holſtein. — 
8. Der Vereinigte Landtag. — 9. Der —— des Deutſchen Bundes. — 
10. Vorboten der — Revolution. — Beilagen: XXVI. Zur 


Geſchichte der Burſchenſchaft. Zu Band 2, 555 f. — XXVII. Denkwürdig— 
feiten des Prinzen Emil von Heſſen. Zu Band 3, 63; 5, 561. — XXVIM. Die 
Ermordung des Studenten Leifing. Zu Band 4, 606. — XXXI. Das Märchen 
vom Flüchtling Heine. Zu Band 5, 379. — XXXI. Liſt an König Friedrich 
Wilhelm. London, 31. Juli 1846. Zu Band 5, 482. — XXXV. Kühne 
an Bodelfhwingh. Berlin, 3. April 1847. Zu Band 5, 614. 

Hottenroth %., Handbuch der deutſchen Tracht. 1 Halbband. Stuttgart, 
Weile. 16 M 

Boos H., Gefchichte der Freimaurerei. Ein Beitrag zur Kulturgefhichte Aarau, 
Sauerländer. DM. 

Zwiedined-Südenhorft 9. d., Geſchichte und Gejchichten neuerer Zeit. Banı- 
berg, Buchner. 

Der Berfaffer legt in dem anmutigen Dank und Widmungsbrief ar 
jeine Frau dar, wie er die Erfahrung gemacht, „daß man Gejchichte 
jchreiben fann, indem man Gefchichten erzählt, daß ſich auch die verwickeltſten 
Probleme der hiftorifchen Kritif jedem Gebildeten zur Beurteilung vorlegen 
lafjen, wenn man es evnftlich darauf anlegt, alles Meberflüffige zu verſchweigen 
und das Notwendige ſo zu ſagen, wie es verſtanden werden kann.“ Von 
dieſem Geſichtspunkte aus wollen die hier vereinigten Aufſätze beurteilt werden: 
1. Die venetianiſche Inquiſition. — 2. Eine Hochzeitsreiſe nach Spanien (1598). 
— 3. Des Freiherrn Adam von Herberflein Geſandtſchaftsreiſe — Conſtan⸗ 
tinopel (1608 - 1609). — 4. Die Unglüdstage von Mantua (1630). 5. Neue 
Ergebniſſe der Wallenſtein-Forſchung (1650—1634). — 6. Sa — die 
Fronde (1649— 1651). — 7. Die Geſchichte der Prinzeſſin von Ahlden (Ende 
des 17. Jahrhunderts). — 8. Die Sa der Söhne Mar Emanuels von 
Bayern in Defterreih (1706—1715). 9. Caglioftro in Straßburg (1780 bis 
1785). — 10. Ein Raiferhufar. Erinnerungen an das öfterreichiiche Soldaten— 
leben zu Ende des 18. Jahrhunderts. 

Pierſon W., Preußiſche Gefchichte. 6. vermehrte und verbefferte Auflage. 
2 Bände. —— Paetel. 10 M 

Haſſell W. v., Das Kurfürftentum Hannover vom Bafeler Frieden bis zur 
preußiſchen Occupation im Jahre 1806. Nach archivaliſchen und handſchrift— 
lichen Quellen. Hannover, Carl Meyer. 7.50 M. 

Biermann G., Geſchichte des Herzogtum Teſchen. 2. Auflage. Teſchen, 
Prochaska. 6 M. 

Elſäſſiſche Solsjhrriften. Straßburg, Heiß. 

28. Spach E., Aus meinem Schülerfeben in Buchsweiler. 4. Folge. 

30. Avari E., Aus den Erinnerungen einer Eljäfferin. 

Hubelmann Ch,, Geſchichte der Stadt Bayersdorf und des Schloſſes Scharfeneck. 
Erlangen, Merkel. 1. 

Berger A., Urkunden-Regiſter aus dem alten Biftriter Archive. II. Bon 1491 
bis 1516. en Biftriß. 

Hildenbrand %. J., Quellen zur Gefchichte der Stadt Frankenthal. Mit 
Einleitungen herausgegeben. I. Die erfte und zweite Kapitulation 1962 und 
1573, die Bauordnung 1569 umd die Feftungsverträge von 1620 und 1622. 
Programm. Srantenthal, 


246 Bibliographie. 2. Bücher. 


Koppmann K., Kämmereirechnungen der Stadt Hamburg. Herausgegeben vom 
Verein für hamburgifche Geihichte 7. (Schluß-)Band 1555—1562. Hamburg, 
Gräfe und Sillem. 10 M. 

Hartmann J., Ingolftadt a. D. und fein Name, feine attributiven Bezeichnungen 
und Namensbeziehungen. Kleine Reminiscenz. Programm. Ingolſtadt. 

Pietih P., Beiträge zur Gejhichte der Stadt Kempen in Pojen. 3. Zeil. 
Geſchichte der evangeliichen Gemeinde. I. Programm. Kempen. 

Weftphal, Met vom Beginn des erjten franzöftihen Kaiſerreichs bis zu feiner 
Miedervereinigung mit dem Deutſchen Reich 1804—1871 Geſchichte der Stadt 
Met 3. Teil). Yeipzig, Yang. 3 M. 

Clauß F., Memminger Chronif, umfaffend die Jahre 1826 — 1892, herans- 
gegeben umd erläutert von F. Döperlein. Memmingen, Hartnig. 6 4 

Gebhardt H., Aus der Gejchichte des Dorfes Moljchleben. Gotha, Schloeß- 
mann. 1.60 M. 

Kaufmann W., Die Entjtehung der Stadt Mühlhaufen und ihre Entwidlung 
zur Neichsitadt. Programm. Mühlhaufen. 

Priem F. P. Gefhichte der Stadt Nürnberg von dem erſten urkundlichen Nach— 
weis ihres Beftehens bis auf die neuefte Zeit. 2. Auflage. Herausgegeben 
von €. Reicke. Mit vielen Illuſtrationen. 19. und 20. Lieferung. Nürnberg, 
Raw. & 40 0. 

Röfel L., Alt-Nürnberg. Geſchichte einer deutjhen Stadt im Zufammenhange 
der deutſchen Neihs- und Volksgeſchichte. Mit einem Titelbild und einem 
biftorifchen Plan der Stadt. 1. Hälfte. Nürnberg, Korn. 3.50 4 

Rappoltjteinifhes Urfundenbud, 759—1500. Quellen zur Gejchichte der 
ehemaligen Herrichaft Rappoltftein im Elfaß. Band 3. 1409— 1442. Heraus- 
gegeben von K. Albrecht. Colmar, Barth. 

Prybila P., Anteil Salzburgs an der Bolfserhebung im “Jahre 1809. Programm. 
Salzburg. 

Lommer F. X. Geſchichte der oberpfälzifchen Grenzjtadt Waldmünchen. II. Innere 
Geichichte. 2. Hälfte A. Programm. Amberg. 

Schlögl F., Wiener Blut. Kleine Kulturbilder aus dem Volksleben der alten 
KRaiferftadt an der Donau. 1. Band (Kollektion Hartleben Jahrgang 3 Band 10). 
Wien, Hartleben. 75 A. 

Priebatſch F. Politifche Korrefpondenz des Kurfürften Albrecht Achilles. 1. Band 
1470— 1474. (Bublifationen aus den k. preußifchen Staatsardhiven. Veranlaßt 
und unterftütt durch die f. Arhiv-Berwaltung. Band 59). Leipzig, Hirzel. 25 A. 

Rofemeier H., Niccold Machiavellis erfte Yegation zum Kaifer Marimilian und 
feine drei Schriften über Deutfchland. Differtation. Kiel. 

Schweinichen Hans v., Merkbuch. Zum erftern Mal herausgegeben von 8. Wutke. 
Berlin, Stargardt. 12 A 

Gebert C. F., Bartholomäus Albrecht, der Nürnberger Münzer und Erzfäufer. 
Berfuh einer Beichreibung feines Lebens und feiner Thätigfeit. Nürnberg, 
Schrag. 2 M. 

Brandenburg E., Die Gefangennahme Herzog Heinrihs v. Braunſchweig durch 
den Schmalfaldifhen Bund (1545). Leipzig, Jod. 1.50 A 

Guba P., Der Kurfürftentag zu Fulda im Jahre 1568. Programm. Dresden. 

Hanſen $., Der Neihtstag zu Regensburg 1576. Der Pacificationstag zu 
Köln 1579. Der Reichstag zu Augsburg 1582. (Nuntiaturberihte aus 
Deutichland, nebft ergänzenden Aftenftüden. 3. Abteilung 1572 — 1585. 
Herausgegeben durch das k. preußifche hiftorifche Inſtitut in Rom und die k. 
preußifche Archiv-Berwaltung.) Berlin, Bath. 25 M 


Bibliographie. 2. Bücher. 247 


Maurer J., Anton Wolfvadt, Fürftbifhof von Wien und Abt des Benediktiner- 
ftiftes Kremsmünfter, Geheimer Rat und Minifter Kaifer Ferdinands II. 
3. (Schluß-)Abteilung. Nach den von A. Hopf zumeift aus archivalifchen 
Quellen gefammelten Materialien ausgearbeitet. 1.20 A 

Preuß, G., Der Friede von Füffen 1745. Differtation. München. 

Kugler F., Gefhichte Friedrichs des Großen. Mit 400 Illuſtrationen, gezeichnet 
von Adolf Menzel. 4. Auflage der billigen Bolksausgabe. Leipzig, Mendels— 
fohn. 6 

PBolitifhe Korrefpondenz Friedrihs des Großen. 21. Band. Berlin, 
Dunder. 15 M. 

Lehmann M., Friedrih dev Große und der Urſprung des Tjährigen Krieges. 
Leipzig, Hirzel. 2.80 M, 

Donalies H., Der Anteil des Sefretärs Weftphalen an den Feldzügen des 
Herzogs Ferdinand von Braunfchweig-tüneburg (1758—1762). Differtation. 
Bonn. 

Bernbed K., Zur Kritik der Denkwürdigfeiten der Markgräfin Friederife Sophie 
Wilhelmine von Bayreuth. Differtation. Gießen. 

DOmpteda L. Freiherr v., Irrfahrten und Abenteuer eines mittelftaatlichen 
Diplomaten. Ein Lebens- und Kulturbild aus den Zeiten um 1800. Leipzig, 
Hirzel. 6.50 M. 

Hamberger J., Die franzöfifhe Imvafion im Fahre 1809 (Fortfegung). 
Programm. Klagenfurt. 

Schimpff ©. v., 1813. Napoleon in Sachſen. Nach des Raifers Korrefpondenz 
bearbeitet. Dresden, Barnih. 6 M. 

Ausgewählte Schriften weiland Seiner Kaiferlihen Hoheit des Erzherzogs 
Carl von Defterreih. Herausgegeben im Auftrage feinev Söhne, der Herren 
Erzherzoge Albreht und Wilhelm. Mit Karten und Plänen. 6 Bände. Wien 
und Leipzig, Braumüller. 1895 —1894. Herausgeber ift der erzherzogliche 
Archivar F. X Malcher. 

Delbrüd H., Das Leben des Feldmarihalls Grafen Neidhardt v. Gneifenau. 
2 Bände. 2. Auflage. Berlin, Walther. 10 M 

Gneijenau Graf N. v., Briefe an Dr. Joh. Blafius Siegling, Profeffor der 
Mathematik in Erfurt. Herausgegeben von A. Pid. (Aus den Mitteilungen 
des DBereins für die Gejchichte und Altertumsfunde von Erfurt.) Erfurt, 
Billaret. 1.60 6 

Petersdorff 9. v., General Johann Adolph Freiherr von Thielmann, ein 
Charafterbild aus der napoleonifchen Zeit. Leipzig, Hirzel. 8 M 

Gabriele v. Bülow, Tochter Wilhelm v. Humboldts. Ein Lebensbild. Aus 
den Yamilienpapieren Wilhelm v. Humboldts und feiner Kinder. 1791—1887. 
4. Auflage. Mit 3 Bildniffen. Berlin, Mittler & Sohn. 10 M 

Arneth A. Ritter v., Anton Ritter v. Schmerling. Epifoden aus feinem Leben. 
1835. 1848—1849. Leipzig, Freytag. 8 M. 

k Ban ... Kapitel aus einem bewegten Leben 1855 —1864. Leipzig, Hirzel. 
3.60 M. 

Voß ©. M. Gräfin v., 69 Jahre am preußifchen Hofe. Aus den Erinnerungen. 
6. Auflage. Leipzig, Dunder & Humblot. 6 A 

Bismard F., Politiiche Reden. Hiftorifch-kritifche Gefamtausgabe. Band 11. 
1855 — 1886. Stuttgart, Cotta. 8 M. 

Fürſt Bismards Anſprachen 1848— 1894. Herausgegeben von H. v. Poſchinger. 
Stuttgart, Deutiche Berlags-Anftalt. 7 A. 

Poihinger H. Nitter v., Fürft Bismard und die Parlamentarier. 2. Band. 
15847— 1879. Breslau, Trewendt. 7.50 M, 


248 Bibliographie. 2. Bücher. 


Blum 9, Fürft Bismard umd feine Zeit. ine Biographie für das deutjche 
BE. 2. Band. 1855—1865. Münden, Bed. 6 M, 

Bülow W. v., Neue Bismard-Erinnerungen. Berlin, Steiniß. 3.50 M. 

Büchner 2, Meine Begegnung mit F. Laſſalle. Nebſt 5 Briefen Yafjalles. 
Berlin, Hertz und Süßenguth. 80 A. 


Ernfthaufen A. E. v., Erimmerungen eines preußifchen Beamten. Bielefeld, 


Belhagen & Klaſing. 8 «M 

Schindler K., Baron Albert v. Seld, ein treuer Königs- und wahrer Volks— 
freund. Ein Pebensbild. Baſel, Jaeger & Kober. 2 M. 

Haſe E. B., Briefe von der Wanderung und aus Paris. Herausgegeben von 
O. Heine. Leipzig, Breitfopf & Härte. 2 M 

Berger (Witten) 2., Der alte Harkort. Ein weftfälifches Yebens- und Zeitbild. 
Mit dem Bildnis Harkorts und Abbildungen feiner Grabftätte und des Harkort— 
Denkmals. 3. Auflage. Yeipzig, Baedeker. 5.50 M. 


Kirchengeſchichte. Theologie. 

Tihadert P., Ungedrudte Briefe zur allgemeinen Neformationsgeichichte. Aus 
Handſchriſten der f. Univerfitätsbibliothet in Göttingen. (Aus den Abhand- 
lungen der Gefellfchaft der Wiffenfchaft in Göttingen.) Göttingen, Dieterich. 
6.40 M 

Müller N., Ueber das deutjch-evangelifche Kirchengebäude im Jahrhundert der 
Reformation. Vortrag. Leipzig, Deichert. 60 A. 

Koehler W., Helfif a Kirhenverfaffung im Zeitalter der Reformation. Gießen, 
Münchow. 1.60 

Burkhardt, O., Sie Einführung der Neformation in den reußiſchen Ländern, 
zuglei ein Beitrag zur Kirchengefchichte diefer Yänder. Leipzig, Werther. 1.6 

Fleiſcher, Mitteilungen aus Faltenfteins firchlicher Vergangenheit. Aus Anlaf 
des jährigen Beitehens unſerer Kreuzfirhe an ihrem Weihetage der Ge— 
meinde dargeboten. Falfenftein, Tiſchendorf. 25 9. 

Geihichte der Pfarreien der Erzdiözefe Köln. Herausgegeben von 8. Th. 
Dumont. Nach den einzelmen Defanaten geordnet. V, 1. Köln, Bachen. 
5.25 M 

Inhalt: Maaßen G. H. Ch., Geſchichte der Pfarreien des Defanats 
Bonn. I. Zeil. 

Zſchokke H., Geichichte des Metropolitan-Kapitels zum hl. Stephan in au 
(nad) Arhivalien). Wien, Konegen. 9 A 

Friedrih J. Johann Adam Möhler, dev Symbolifer. Ein Beitrag zu feifiem 
Leben umd feiner Lehre aus feinen eigenen und anderen ungedructen Papieren. 
Münden, Bed. 2 M. 

Römheld F., Carl Julius Römheld. Eine Lebensbejchreibung. Mit einem 
Bildnis des Entfchlafenen und einigen Beigaben aus defjen literarifcher Hinter- 
laſſenſchaft. Stuttgart, Greiner & Pfeiffer. 1.20 A 

Zum Gedädhtnis des Herrn D. Wilhelm Rogge, Generalfuperintendent und 
Geh. Konfiftorialvat zu Altenburg, geb. den 24. Juni 1839, geft. den 9. Sep- 
tember 1894. Altenburg, Bonde. 60 %. 

Kraus E., Friedrih Meyer, Pfarrer und Rektor der Diafoniffen in Neuen— 
dettelsau. Ein Yebensbild. Gütersloh, Bertelsmann. 4 A 

Kinn M., Pfarrer Kraus dv. Arvenberg. Sein Leben und fein Werf. Einige 
Gedenkzeilen am friichen Grabe des Verewigten. 2. Auflage. Trier, Paulinus— 
Druderei. 40 9 


Bibliographie. 2. Bücher. 249 


Haug 2., Darftellung und Beurteilung der Theologie Ritſchls. Zur Orientierung 
dargeboten. 3. Auflage. Stuttgart, Hundert. 2 M 

Rothe R., Ueberficht der theologischen Ethik. Aus deſſen Handſchrift heraus— 
gegeben von R. Ahrendts. Bremen, Heinfins. 6 M 


Bibliothekswefen. Buchdruck und Buchhandel. 


Clark J. W., Libraries in the mediaeval and renaissance periods. 
London, Macmillan & Co. 2 sh. 6.d. 

Leitſchuh F., Gejchichte der Fgl. Bibliothek zu Bamberg nad der Säfularifation. 
Mit dem Bildniffe J. H. Jäcks. Bamberg, Buchner. 1.4 

Steffenhagen E., Zur Gefchichte der Kieler Umiverfitäts-Bibliothef. Mitteilungen 
und Aftenftüce. I. Eine Berordnung des Herzogs Karl Friedrich. (Aus der 
Zeitfchrift der Geſellſchaft für ſchleswig-holſteiniſch-lauenburgiſche Geſchichte.) 
Kiel, Univerfitätsbuchhandlung. 1% 

Die Handſchriften der großherzoglichen badifchen Hof- und Landes-Bibliothek 
in Karlsruhe. Band Il. Karlsruhe, Groos. 4 -M 

Inhalt: Lamey F., Nomanifche Handihriften. — Längin F., Deutjche 

Handſchriften. 

Kade R., Geſchichte des Freiberger Buchdrucks. (Aus den „Mitteilungen des 
Freiberger Altertumsvereins.““ Freiberg, Gerlah. 2 M 

Markgraf R., Zur Gefchichte der Juden auf den Meffen zu Leipzig von 1664 
bis 1839. Ein Beitrag zur Gefchichte Leipzigs. Differtation. Roſtock. 

Krauß D., Der deutjche Büchermarft 1893. (Beitfragen des chriftlichen Volks— 
lebens. Herausgegeben von E. Freiheren v. Ungern-Sternberg und 9. Dieb. 
Heft 139. Band 19 Heft 3.) Stuttgart, Belfer. 14 


Cheater- und Alufikgefchichte. 


Grethlein K., Allgemeiner deutjcher Theaterfatalog. Ein Handbud aller in 
deutſcher Sprache erjehienenen Bühnenftüde und dramatiſchen Erzeugniffe. 
Münfter i. W., Ruffell, Lieferung 1—11 à 1.20 AM. 

Nah dem Vorwort foll der vorliegende Theaterfatalog ein Berzeihnis 
aller bis zum 1. Mai 1894 im deutſcher Sprache erfchienenen Bühnenftücte und 
dramatifchen Erzeugniffe bilden, mit Ausnahme der nur für Schulen bejtimmten 
Klaffiferausgaben mit Erläuterungen. Er foll drei Abteilungen umfafjen. 
Die erfte Abteilung bringt das Titelverzeichnis, nach Stichworten geordnet mit 
folgenden Angaben: Zahl der Akte oder Aufzüge, Beſetzung (in den meiften 
Fällen), Verleger, Jahreszahl, Seitenzahl und Preis. Die zweite Abteilung 
ſoll ein Autorenregifter bilden, welches das Material nochmals nach Verfaſſern 
ordnet. Als dritte Abteilung joll ein ſyſtematiſches Verzeichnis folgen, das 
die für fpecielle Kreife oder befondere Zwede und Gelegenheiten beftimmten Stüde 
in einheitlicher Weife zufammenftellt. Für die Zuverläfftgkeit und Vollftändigfeit 
der Zufammenftellung biete der Umftand die befte Gewähr, daß alle Angaben von 
den Berlegern ſelbſt kontrolliert wurden. — Das Bud) ift in erjter Reihe für 
den Sortimenter beftimmt, wird aber, folange es an einem Stofflerifon fehlt, 
auch dem Literarhiftorifer gute Dienfte leiften; nur würde diefer neben den letsten 
aud die erjten Drude verzeichnet wünfchen. Daß die Angaben der Verleger 
zu Grunde liegen, hat zur Folge gehabt, daß gegenwärtig vergriffene oder 
bei nicht mehr exiftierenden Firmen erſchienene Werte fehlen; auch fonjt 
ift abjolute Bollftändigkeit nicht erreicht. Ich vermiffe z. B. Grillparzers 
Melufine, — S, 677 hat fich der Drudfehler: Torgquado eingefchlichen, 


250 Bibliographie. 2. Bücher. 


Bulthaupt 9., Dramaturgie des Schaufpiel3 Band 3; Grillparzer, Hebbel, 
Ludwig, Gutzkow, Laube. Bierte Auflage. Oldenburg und Leipzig, Schulze. 

Hodermann R., Gefhichte des Gothaifchen Hoftheaters 1775—1779. Nach 
den Quellen. (Theatergefchichtlihe Forſchungen. Herausgegeben von B. Lit- 
mann IX). Hamburg und Peipzig, Voß. 3.50 M 

[Batfa R.) Aus der Muſik- und Theaterwelt. Beſchreibendes Verzeichnis der 
Autographen-Sammlung Fritz Donebauer in Prag. Prag, Selbitverlag. 

Der funftfinnige Befiger diefer Schönen, reichhaltigen Autographenfammlung 
hat die hier bejchriebenen 1200 Nummern in der kurzen Zeit von 6 Fahren 
durch ſyſtematiſches Sammeln erworben und bringt das Erträgnis feiner 
Bemühungen Johann Strauß zum fünfzigjährigen Künftler- Jubiläum in 
einem vornehm ausgeftatteten Bande dar. Dem Titel entſprechend enthält 
die Sammlung vorwiegend Mufifalifches und Theatralifches: alle großen 
deutſchen Komponiften bis auf die Gegenwart find glänzend vertreten; um zwei 
Theaterdireftoren, um Stiepanef und Deinhardftein, gruppiert fich das meifte 
von dem, was für den Kreis unſerer Zeitfchrift befonderes Intereſſe hat; auf 
die zahlreichen Briefe öfterreichifcher Dramatiker und Wiener Schaufpieler an 
Deinhardftein fei ausdrüdlich hingewiefen. Ich hebe hervor: Von Goethe ein 
Billet an unbekannte Adrefje, Weimar, 7. November 1816. Mitteilungen über 
Goethe in den Briefen von Auguft Eberhard Müller, von Franz Müller, von 
Neihardt. Frau Nat an Unzelmann 22. Januar 1793. Ein Ausschnitt aus 
der Reinfchrift des Wilhelm Tel ©. VIII f. Ein Brief von Zumfteeg an 
Schiller, 26. Dezember 1783. Bettina von Arnim 9. April 1846 über die 

Herausgabe ihres Buches „Clemens Brentanos Frühlingstranz“. Grillparzer 
an Deinhardftein 1838 über die Aufführung von „Traum ein Leben“. Zwei 
Briefe von Ferdinand Raimund an Stiepanef 7. Dezember 1826 und 26. Juni 
1829. Hebbel an Schloenbah 6. März 1855 über feine Stellung in der 
Literaturgefhichte im Berhältnis zu Kleift und Grillparzer. Otto Ludwig an 
unbefannte Adreſſe 30. Januar 1856 über den Plan, den Erbförfter in eine 
Erzählung umzugeftalten. Laube an Marfgraf. Der Komponift Carl Loewe 
an Laube 21. Dezember 1854. Bon Bauernfeld ift ein unbefanntes, wahr- 
jcheinlich für ein Haustheater beftimmtes Stüd: „Das Petersmännden, roman— 
tiich-fomisches Volksmärchen“ verzeichnet, deffen Zufammenhang mit Spieß und 
Hensler zu unterfuchen wäre. — Leider ift im einzelnen, wie dies auch jonft 
in folchen Berzeichniffen üblich ift, nicht angegeben, ob und wo die Autographen 
bereitS gedrudt find. Im übrigen hat der Herausgeber unter ſchwierigen 
äußeren Berhältniffen alles gethan, um den hohen Wert der Sammlung 
und ihre Bedeutung für die Mufik-, Literatur- und Theatergefchichte erfichtlich 
zu machen. 

La Mara, Muſikaliſche Studienköpfe. Band 1. Nomantifer. 7. Auflage Mit 
Portraits. Leipzig, Schmidt und Günther. 3.50 A 

Kregihmar H., Ueber den muſikaliſchen Zeil unferer Agende. Bortrag, auf 
der Meißner Konferenz am 25. Juni 1894. Leipzig, Dörffling und Franke. 50 9. 

Held K., Das Kreuzfantorat zu Dresden. Nah archivalifchen Quellen bearbeitet. 
Leipzig, Breitfopf und Härte. 3.4 Bol. oben ©. 206. 

Elben D., Erinnerungen aus der Geſchichte des Stuttgarter Liederfranzes. 
Stuttgart, Metzler. 1. 

Peifer K., Johann Adam Hiller. Ein Beitrag zur Muſikgeſchichte des 18. Jahr— 
hunderts. Leipzig, Hug. 2.40 M. 

Prohäazta R. Freiherr v., Nobert Franz. (Univerfal-Bibliothef N. 3273/74, 
Mufifer-Biographien 16, Band.) Leipzig, Reclam. 40 2. 





Bibliographie. 2. Bücher. 251 


Inhalt: Vorwort. — 1. Kindheit und erfte Jugend (1815—35). — 
2. Lehrjahre (1835 — 37). — 3. Selbfterfenntnis; Sturm und Drang (1837—42). 
— 4. Liederfrühling. Charafteriftif des Meifters in feinen Werfen (1843). — 
5. Im Rampfe ums Dafein. Für Bach und Händel (1842—72). — 6. Ein 
Firftern in der Mufit (1873 — 85). — 7. Der Tag neigt fi) zu Ende 
(1886— 92). — Verzeichnis der Werke. — Lieder-Berzeihnis. 

Wagner R., La Tetralogie de L’Anneau du Nibelung ‚publiee avee 
l’autorisation spéciale de la Maison B. Schotts Söhne, Editeurs par 
Louis-Pilate de Brinn’ Gaubast et Edmond Barthelemy. Paris, Dentu. 

Suhalt: Avant-Propos, Traduetion, Annotation philologique par 
Louis - Pilate de Brinn’ Gaubast. — Etude critique, Commentaire 
musicographique par Edmond Barthelemy. 

Wille Eliza, Fünfzehn Briefe von Rihard Wagner. Nebſt Erinnerungen und 
Erläuterungen. Berlin, Paetel. 

Spies Hermine. Ein Gedenkbuch für ihre Freunde von ihrer Schwefter. Mit 
einem Vorwort von H. Bulthaupt. 1. und 2. Auflage. Stuttgart, Göfchen. 5-4, 

Eijenberg 2, Johann Strauß. Ein Lebensbild. Leipzig, Breitfopf und 
Härte. LM 

Hanslid E., Aus meinem Leben. 2 Bände. Allgemeiner Verein für deutfche 
Literatur. Berlin, PBaetel. 


Kunſtgeſchichte. 


Clemen P., Die Kunſtdenkmäler der Rheinprovinz, im Auftrage des Provinzial— 
verbandes herausgegeben. 3. Band, 2. Heft. Die Städte Barmen, Elberfeld, 
Remſcheid und die Kreiſe Lennep, Mettmann, Solingen. Düſſeldorf, Schwann. 
5 

Faulwaſſer J., Die St. Jacobi-Kirche in Hamburg. Herausgegeben mit 
Unterſtützung der evangeliſch-lutheriſchen Kirche vom Verein für hamburgiſche 
Geſchichte. Hamburg, Seit. 12 4. 

Knackfuß H., Dürer und Holbein der jüngere. (Aus „Neue Monatshefte des 
Daheim*.) Bielefeld, Belhagen & Klaſing. 2 MA 

Richter Ludwig, Lebenserinnerungen eines deutfhen Malers. Selbftbiographie, 
nebſt Tagebuchniederfchriften und Briefen. Herausgegeben von H. Richter. 
2 Bände. Frankfurt a. M,, Alt. 

1. Lebenserinnerungen mit ergänzenden Nachträgen. — 2. Auszüge aus 
feinen Jugendtagebüchern 1821—1837. 

Schack A. F. Graf v., Meine Gemäldefammlung. 7. Auflage. Nebſt einem 
Anhang, enthaltend ein vollftändiges Verzeichnis der Gemäldefammlung nad 
Nummern. Stuttgart, Cotta. 3 M, 

Allgeyer J., Anfelm Feuerbah. Sein Leben und feine Kunft. Mit einem in 
Kupfer geftochenen Selbftbildnis des Künftlers und 38 Seiten Text-Illuſtratio— 
nen in Autotypie. Bamberg, Buchner. 8 M 


Gefchichte der Philofophie. 

Sudhoff K., Berfuch einer Kritik der Echtheit der Paracelfifhen Schriften. 
1. Zeil. Bibliotheca Paracelsiea. Bejprehung der unter Theophraft von 
Hohenheims Namen 1527—1893 erfchienenen Drudichriften. Berlin, Reimer. 

Sander D., Die Neligionsphilofophie Mofes Mendelsjohns. Differtation. 
Erlangen 1894, 


252 Bihliographie. 2. Bücher. 


Koſack M., Das ungedrudte Kantifche Werk: „Der Uebergang von den meta- 
phyſiſchen Anfangsgründen der Naturmwiffenfchaft zur Phyſik,“ vom Stand- 
punfte der modernen Naturwiffenfchaften aus betrachtet. Differtation. Göttingen. 

Sodeur ©., Vergleihende Darftellung der Staatsidee Kants und Hegels. Er- 
langen. Differtation. 

Carrierre M., Fichtes Geiftesentwiclung in den Reden über die Beftimmung 
des Gelehrten. Jena 1794, Erlangen 1805, Berlin 1811. (Aus den Situngs- 
berichten der königlich bayerischen Akademie dev Wiffenjichaften.) München, 
Franz. 1.20..4 Bal. oben ©. 208. 

Schopenhauers jämtliche Werke in 12 Bänden. Mit Einleitung von R. Steiner. 
4. Band. (Cottafche Bibliothef der Weltliteratur Band 247.) Stuttgart, 
Cotta. 1A 

Bähr K., Gefprädhe und Briefwechfel mit Arthur Schopenhauer. Aus dem 
Nachlaſſe herausgegeben von 2. Schemann. Leipzig, Brodhaus. 2.50 M 

Hüniger 9., Der Philojoph Karl Ehriftian Kraufe als Mathematiker. Eifenberg. 
Programm. 

Krauſe 8. Ch. F., Zur Theorie der Muſik. Aus dem handjchriftlichen Nach— 
laffe des Berfafjers herausgegeben von N. Better. Weimar, Felber. 1.60. 

Krauſe K. Ch. F., Aphorismen zur geſchichtswiſſenſchaftlichen Erdkunde, nebſt 
einer Karte. Aus dem handjchriftlichen Nachlafie des Berfaffers herausgegeben 
von R. Better. Weimar, Felber. 1.60 4. 

Nietzſche F., Werke. 1. Abteilung (in 8 Bänden) 1. und 4.—6. Band. Yeip- 
ziq, Naumann. 36 M. 

1. Die Geburt der Tragödie. 4. Auflage. Unzeitgemäße Betrachtungen. 
1.—4. Stüd. 3. Auflage. Mit Bildnis und Fakſimile. — 4. Morgenröthe. 
Gedanken über die moralifhen Borurtheile. 2. Auflage. — 5. Die fröhliche 
Wiſſenſchaft („la gaya scienza“). 2. Auflage. — 6. Alfo ſprach Zarathuftra. 
Ein Buch für Alle und Keinen. 4. Auflage Mit Bildnis und Fakſimile. 


Pädagogik und Geſchichte des AUnterricdts. 


Handbuch der Erziehungs- und Unterrichtsiehre für höhere Schulen. In Ver: 
bindung mit Arendt, Brods, Brunner 2c. herausgegeben von A. Baumeifter. 
1. Band, 1. Abteilung. München, Bed. 6.50 

Inhalt: Geſchichte der Pädagogik mit befonderer Rückſicht auf das höhere 
Unterrihtswejen von Th. Ziegler. Nebſt allgemeiner Einleitung vom Heraus- 


geber. 
Schiller H., Lehrbuch der Gefchichte er Pädagogik. Für Studierende und 
junge Lehrer höherer Lehranſtalten. 3. Auflage. Leipzig, Reisland. 


Hübſch G. Abriß der Geſchichte der Erziehung und des Unterrichts unter vorzugs— 
weifer Berüchfichtigung des deutſchen Volksſchulweſens. Für den Unterricht an 
Lehrerſeminarien, ſowie zur Wiederholung. 2. Auflage. Bamberg, Buchner. 
1.380 AM. 

Krauſe K. Chr. F., Abhandlungen und Einzelfäte über Erziehung und Unterricht. 
2 Bände. Aus dem handfchriftlichen Nachlaß des Verfaffers, herausgegeben 
von R. Better, Weimar, Felber. 5.50 M. 

Dörpfeld F. W, Geſammelte Schriften. 2. und 3. Band, 2. Hälfte. Gütersloh, 
Bertelsmann. 

II. Zur allgemeinen Didaktik. 1. —— einer Theorie des Lehr— 
plans, zunächſt für Bolfs- und Deittelfchulen. Nebſt dem Ergänzungsaufjate: 
Die. unterrichtlihe Verbindung der fachunterrichtlichen Fächer. 2. Auflage, 
2. Der didaktiihe Materialismus. Eine zeitgefchichtlihe Betrachtung und eine 


| 





Bibliographie. 2. Bücher. 253 


' Buchrecenfion. 3. Auflage. 3.20 .4 — III. Zur Methodik, des Neligions- 
unterrichts. 2. Hälfte. Zwei Worte über Zwed, Anlage und Gebrauch des 
Schriftchens: Enchiridion der biblifchen Gefchichte oder Fragen zum Berftändnis 
und zur Wiederholung derjelben. 4. Auflage. 1.20 00 
Runkwitz C., Pädagogiſche Reden und Abhandlungen. ad) des Berfaffers 
Tode Hevausgegeben von R. Jungandreas. Mit dem Bildnis des Verfaſſers 
und einer biographifchen Skizze. Altenburg, Bonde. 3 M. 
Droefe A., Pädagogische Aufſätze. 2. Band. 3. Auflage. Langenjalza, Schul- 
buchhandlung. 1.50 M 
Dittes F., Schule der Pädagogik. Geſamt-Ausgabe der Piychologie und Logik, 
Erziehungs- und Unterrichtsiehre, Methodif der Volksſchule, Gejchichte der 
Erziehung und des Unterrichts. 5. Auflage. 1. Lieferung. Leipzig, Klint- 
hardt. 40 9. 
Leimbach K. %., An der Abjchiedsjtunde. Mahnworte am deutfche Jünglinge 
in 25 Entlaffjungsveden dargeboten. 2. Auflage. Goslar, Koh. 4 M. 
Sammlung pädagogifher Vorträge. Herausgegeben von W. Meyer - Markaı. 
VII. Band. 5. Heft. Bielefeld, Helmich. 50 9 
Inhalt: Franke Th., Die Entwidlungsgeihichte des fittlihen Gefühls 
und die Pädagogik. 
Klaſſiker der Pädagogik. Herausgegeben von Fröhlich. Langenfalza, Schul- 
buchhandlung. 
> A. H. Niemeyers ausgewählte pädagogijhe Schriften. Herausgegeben 
von J. Meyer. 1. Teil. Einführung in Niemeyers Leben und Lehre, Niemeyers 
„Srundfäte der Erziehung umd des Unterrichts.“ 1. Teil. 2. Auflage. Mit 
Bildnis. 4 M. 
9. Jean Paul. Bearbeitet von K. Fiicher. 1. Teil. Leben und Lehren 
Sean Pauls. Levana, 1. Abteilung. 2. Auflage. 3.30 M. 
Breyer E., Ehriftian Gotthilf Salzmann. Programm. Wiener Neuftadt. 
Welcker H., Frids Anfichten über Piychologie als Grundlage der Didattif. 
Program. Pforzheim. 
Neinede 9., Friedrich Fröbels Leben und Lehre. 1. Band. (Biographie von 
a Die fleineren Keilhauer Schriften. Die „Menfchenerziehung.“ 
(Titel-) Auflage. Berlin, Ochmigfe. 3 M. 
are E., Aus dem Leben eines freien Pädagogen. Leipzig, Bacmeifter. 1.20 M 
A. Schlatters Briefe am ihre ältefte Tochter. Berlin, Buchhandlung der 
Deutſchen LehrersZeitung. 1 
Hempel O, Dr. ©. A. Alir, föniglicher Provinzial- Schulrat und geheimer 
Regierungsrat y. Programm. Groß-Lichterfele. 
Henjel ©, Karl Witt, ein Lehrer umd Freund der Jugend. Berlin, Behr. 5 M 
Knöpfler J., Heinrich Hadel, k. k. Gymmaftal- Direktor, (Eine biographif che 
Skizze.) Programm. Freiftadt. 
Mayer J., Schulrat Dr. Joſef Lukas. Programm. Wiener Neuftadt. 
Panholzer U, Die fatholifchen Erziehungs- und Unterrichts-Anftalten in Oefter- 
veih. Auf Beranlaffung der Leo-Geſellſchaft dargeftellt. Wien, Kirſch. 3.80 .M 
Martens K., Die Fürforge des Erfurter Rates für das Dorfſchulweſen während 
Des dreißigjährigen Krieges. Feitichrift. Erfurt. 
Kaißer B. Gefchichte des Volksſchulweſens in Württemberg. Stuttgart, Noth. 
5. 50 MN. 
Weingart P. M., Statuta vel praecepta scolarxrium. Schüler-Regeln aus 
dem Ende des 15. Jahrhunderts. Programm. Metten. 


254 Bibliographie. 2. Bücher, 


Boffe F., Die Entftehung des herzoglichen Lehrerfeminars zu Braunſchweig und 
jeine Entwidelung von 1751 —1801. Feitihrift zur Einweihung des neuen 
Seminargebäudes am 17. Oftober 1894. Braunfhweig, Wollermann. 2 M. 


Matthias E., Beiträge zur Gefchichte der Nealfchule und des Gymnaftums. 
Feſtſchrift zur Feier des 50jährigen Beftehens der höheren Lehranftalt in Burg. 
Burg, Hopfer. 1.4 

Wittich W., Rückſchau auf die 2djährige Gefchichte des Caffeler Realgymnaſiums. 
Programm. Caſſel. 

Frerihs, Feitrede zur Feier des 5Ojährigen Beftehens des Realgymnaſiums. 
Eifenad. Programm. 

Symbola doetorum Ienensis gymnasii in honorem gymnasii Isenacensis 
colleeta, ed. G. Riehter. Jena, Neuenhahn. 2.50 A 

Darin: Raufh A., Chriftian Thomafius als Gaft in Erhard Weigels 
Schule in Jena. Ein Beitrag zur Gefchichte der Pädagogik im 17. Jahrhundert. 

Zange F., Geſchichte des Erfurter Realgymnaſiums Feſtſchrift. Erfurt. 

Hildenbrand %. %., Die höheren Lehranftalten Franfenthals vor dem 19. Jahr- 
hundert. Programm. Frankenthal. 

Uhlig ©., Zur Ser ihichte des Gymnafiums zu Heidelberg. (Das neue Gebäude 
und feine Einweihung.) Programm. Heidelberg. 

Rummelsberger, Die Lateinſchule Günzburg von 1843/44 bis 1893/9. 
Programm. Günzburg. 

Seit, Mftenftüde zur Gefhichte der früheren lateinifhen Schule zu Itzehoe 
VI. Programm. Itzehoe. 

Brandenberg, Beiträge zur Gefchichte der Elementarfchulen. B. Die evangelifchen 
Elementarfhulen in Köln-Altſtadt. Köln, Tonger. 50 A. 

Metzger W., Gefchichte der Großh. Höheren Bürgerfchule Ladenburg. Feſtſchrift. 
Ladenburg. 

Bericht über die Feier des 300jährigen Beftehens des fünigl. Gymnafiums zu 
Oels i. Schl. am 3. und 4. Oftober 1894, nebft einer kurzen Darftellung 
feiner Gefhichte. Dels, Grüneberger & Co. 1.25 AM. 

Nunze M., Giefebreht 2. und Loewe C., Zur 350 jährigen Gedenkfeier des 
Stettiner Marienftiftsgymnafiums. Berlin, Dunder. 80 X. 

Feitihrift zum 350jährigen Jubiläum des fgl. Marienftifts- Gymnafiums zu 
Stettin. Stettin, Herde und Lebeling. 

Erihjon A., Das theologif che Studienftift Collegium Wilhelmitanum 1544— 1894. 
Zu deſſen 350 jährigen Gedächtnisfeier. Straßburg, Heiß. 3.50 A 

Schmidt K., Geſchichte des n. ö. Yandes-Nealgymnafiums in Waidhofen an der 
Thaya in den erften fünfundzwanzig Jahren feines Beftandes (1870— 94). 
I. Programm. Waidhofen. 

Feftfehrift zur 200jährigen Jubelfeier der vereinigten Friedrichs - Univerfität 
Halle-Wittenberg, dargebracht von der Lateinischen Hauptjchule der Francke'ſchen 
Stiftungen. Halle a. ©., Buchhandlung des Waijenhaufes. 2 M 

Aus dem Inhalt: Schroeder P., Kants Lehre vom Raum. 

Die E., Die deutſche Burjchenfchaft in Heidelberg. Ein Beitrag zur Kultur— 
gefchichte deutjcher Univerfitäten. Mit 13 Abbildungen im Tert und 3 Boll 
bildern. Heidelberg, Petters. 3 A 

Kjöbenhavns Universitets Matrikel. Udgivet af S. Birket-Smith. 
II. Band. 1667—1740. Kopenhagen, Gyldendal. 2 Kronen. 

Finkel und Starzynski, Historya Universytetu Lwowskiego. Lwöw. 

Denifle H., Chartularium universitatis parisiensis. Vol. III. Paris, 
Delalain freres. 30 Fr. 





Bibliographie. 2. Bücher. 255 


EFournier M., Les statuts et privileges des universites frang. II. partie. 
XVI. sieele.e. Tome IV. L’universite de Strasbourg et les academies 
‘ protestantes frang. Fase. I. Gymnase, acad&mie, universit& de Stras- 
bourg p. M. Fournier et Ch. Engel. Paris, Larose. 30 Fr. 

Album Academiae Vitebergensis ab a. Ch. MDII usque ad a. MDCI. 
Volumen seeundum. Sub auspieiis Bibliothecae Universitatis Halen- 
sis ex autographo editum. Halle, Niemeyer. 24 4. 


Die Literatur in der Schule,t) 


Krüger E. A., Deutiche Literaturfunde in Charafterbildern ıumd Abrifjen. Für 
den Unterricht bearbeitet. 4. Auflage. Danzig, Art. 75 9. 

Laas E., Der deutjche Aufſatz in den oberen Gymnaftalflaffen. Theorie und 
Materialien. 2. Abteilung: Materialien. 3. Auflage, beforgt von J. Imel— 
mann. Berlin, Weidmann. 6 M. 

Perktold F., Bemerkungen zum 4. Bande des Lefebuches von Kummer-Stejsfal, 
insbefondere die Dispofitionen der Profaftüce. II. Programm. Oberhollabrunn. 

Sammlung Deutfcher Dihtungen und Projawerfe für den Schulgebraud) heraus- 
gegeben von A. Brunner. Bamberg, Buchner. 

MT. Herders Eid erklärt von A. Edel. 70 X. 

V. Goethes Iphigenie auf Tauris erflärt von M. Hoferer. 50 X. 

VI Schillers Wilhelm Tell, erklärt von J. B. Krallinger. Mit einer 
Karte. 60 A. 

VI. Uhlands Herzog Ernft von Schwaben, erklärt von 2. Bauer. 50 9. 

Freytags Schulausgaben klaſſiſcher Werke für den deutfchen Unterricht. Wien 
und Prag, Tempsty 1894. 1895. 

Herder J. G. v., Der Eid. Gefchichte des Don Ruy Diaz, Grafen von 
Bivar. Nach jpanifhen Nomanzen. Für den Schulgebrauch herausgegeben 
von R. Reichel. 

Goethe W. v., Götz von Berlichingen mit der eifernen Hand. Ein 
u Für den Schulgebrauch heransgegeben von A. Sauer. Mit einem 

ärtchen 

Die Ausgabe ijt nach den für diefe Sammlung aufgeftellten Prinzipien 
gearbeitet. Einleitung und Anmerkungen verwerten die in den „Studien zur 
Goethephilologie“ niedergelegten Ergebniffe und ergänzen fie — nad dem 
jeiner Zeit von Suphan ausgejprochenen Wunſche — durch neue Hinmweife auf 
den Einfluß Moejers. Das Buch von Weißenfels konnte noch nicht bemußt 
werden. ©. 19: Eine vorläufige Zufammenftellung von Dramen, in welchen 
Zigeuner auf der Bühne erfcheinen. 

ED Klaffiter-Ausgaben für den Schulgebraud 4. 5. und 7. Heft. Wien, 
Hölder 

4. Wallenftein. Ein dramatifches Gedicht von Schiller. Herausgegeben 
von J. Pölzl. 3. Auflage. 

5. Fphigenie auf Tauris. Ein Schaufpiel von Goethe. Herausgegeben 
von 3 Pölzl. 3. Auflage. 

Laofoon von Leifing. Herausgegeben von J. Pölzl. 3. Auflage. 
tie Schul-Ausgaben von 9. Schiller und ®. Valentin. Nr. 6/7. Dresden, 
Ehlermann. 1.4. 


—— 1) Die zahlreichen deutſchen Leſebücher und deren neue Auflagen müſſen hier bei Seite 
iben, 


356 Bibliographie. 2. Bücher. 


Laofoon oder Ueber die Grenzen der Malerei und Poefie. Erfter Teil. 
Bon G. E. Ref fing 1766. Herausgegeben von V. Balentin. 
Steher M. R., Erläuterungen zu Schillerd Jungfrau von Orleans. Für den 
Schulgebraud. Leipzig, Uhl. 40 9. 


Sagen- und Stoffgefchichte. Volkstümliches. 


Decker $., Die griechische Helena im Mythos und Epos. Programm. Magdeburg. 

Waſer O., Skylla und Charybdis in der Literatur und Kunft der Griehen und 
Römer. Nythologiſch-archäologiſche Monographie. Zürich, Schultheß. 2 A 

Kampers F., Die tiburtinifche Sibylle des Mittelalters. Exkurs I. zu Kaifer- 
prophetien und KRaiferfagen im Mittelalter. Ein Beitrag zur Gefhichte der 
deutſchen Kaiferidee. Difjertation. München. 

Vetter Th., Wallenſtein in der dramatiſchen Dichtung des Jahrzehnts ſeines 
Todes — Micraelius — Glapthorne — Fulvio Teſti. Frauenfeld, Huber. 2.4, 

Glauſer C., Le Wallenstein de Benjamin Constant. Programm. Auſſig. 

Grotowsky P., Der große Kaiſer im deutſchen Lied. Ein Gedenkbuch für 
Schule und Haus. Neue (Titel-)Ausgabe. Gießen, Krebs. 1.50 M. 

Meyer E. H., Badifche Voltsfunde. Bonn, Hanftein. 1.50 4 Bgl. oben 
©. 200 und 202. 

Richter P. E., Literatur der Landes- und Bolfsfunde des Königreihs Sachſen. 
Herausgegeben durch den Berein für Erdfunde, 2. Nachtrag. Dresden, Huhle. 
30%. 

Grimm J. und Grimm W., Deutfhe Sagen. Ausgewählt md bearbeitet 
von B. Schlegel. Yeipzig, Greßner & Schramm. 60 A. 

Hörmann. v. Schnaderhüpfeln aus den Alpen. 3. Auflage Illuſtriert von 
Ph. Schumacher. Mit Singweijen. Innsbruck, Wagner. 2 AH. 

Aberglaube ımd Sympathie in der Altmark. Bismarf, Bergau. 15 A. 

Gander R., Niederlaufiser Volksjagen, vornehmlid) aus dem Stadt und Land— 
freife Guben gefammelt und zufammengeftellt. Berlin, Deutfche Schriftiteller- 
Genoſſenſchaft. 3 M 

Urban M., As da Haimat. Sammlung deutſcher Volkslieder aus dem oſt— 
fränkiſchen Sprachgebiete. Falkenau a. E., Schwaab und Müller. 

Saintonges J. OG, Sagas Rhenanes ou récuil des plus interessan- 
tes traditions du Rhin, traduites de l’allemand. 5. edition. Wiesbaden, 
Duiel. 2.50 A. 

Bechftein L., Deutiches Märhenbuh (Meyers Volksbücher Nr. 1069—1071). 
Leipzig, Bibliographifches Inſtitut. 30 %. 


Aenhochdentfche Schriftſprache. Mundarten. 

Linnig F., Bilder zur Geſchichte der deutſchen Sprache. 2. (Titel-) Ausgabe. 
Paderborn, Schöningh. 1895. 3 M. 

Blatz F., Neuhochdeutiche Grammatif mit Berüdfichtigung der hiſtoriſchen Ent- 
wicklung der Deutichen Sprade. Dritte, vollftändig neu bearbeitete Auflage 
in 2 Bänden. Karlsruhe, Yang. 12 M. 

Sanders D., Leitfaden zur Grundlage der deutjchen Grammatif. Die Gram— 
matifchen Grundbegriffe; die Nedeteile im allgemeinen und die Pronomia (sie!) 
im bejondern. 2. durchgeſehene Auflage. Weimar, Felber. 1.80 M 

Die Durchſicht hat ſich leider nicht auf den Titel erſtreckt. 

Braun A—., Deutſcher Sprachſchatz. Beiträge zum Unterricht in der hautjegel 

Sprache. Caſſel, Weber und Weidemeyer. 1.4 














Bibliographie. 2. Bücher. 257 


Procyk N, Die wichtigſten Abweichungen des neuhochdeutſchen Confonantismus 
vom mittelhochdeutichen. Programm, Lemberg. 

Brunner A, Schlecht deutih. ine luſtige und lehrreiche Kritif unſerer neu— 
hochdeutſchen Mundunarten. Wien und Leipzig, Eifenftein 1895. 2 AM. 
Fecamp A., De D. G. Morhofio Leibnitii in cognoscendis linguis et 
germanico sermone reformando praecursore, thesim proponebat 
Faeultati litterarum Parisiensi Albertus Fecamp. Montpellier, Grollier 

ere. 

Baut, Ueber die Aufgaben der wiffenfchaftlichen Lexikographie mit befonderer Rück— 
ficht auf das deutjche Wörterbuch. Akademie. München. Vgl. Euphorion 1, 663. 

Grimm J. und W., Deutjches Wörterbuch. Fortgejetst von M. Heyne, R. Hilde- 
brand, M. Lerer, 8. Weigand und E. Wülcker. Neunten Bandes zweite 
Lieferung. Schinden — Schlagen. Bearbeitet unter Leitung von M. Heyne. 
Leipzig, Hirzel. 2 M. 

Des 9. Bandes 3. Lieferung (8), des 12. Bandes 6. Lieferung (V) befinden 
fih im Drud. 

Schweizeriſches Idiotikon. Wörterbuch der fchweizer-deutfchen Sprache. 27. Heft. 
Bearbeitet von F. Staub, %. Tobler, R. Schocd uud A. Bachmann. (3. Band 
Spalte 929—1088.) Frauenfeld, Huber. 

Schmidt B., Der Vokalismus der Siegerländer Mundart. Ein Beitrag zur 
Fränkiſchen Dialeftforfhung. Halle a./S., Niemeyer. 3.60 M 

Sütterlin L., Der Genitiv im Heidelberger Volksmund. Feſtſchrift. Heidelberg. 

Meier J. Halliiche Studentenſprache. Eine Feitgabe zum zweihundertjährigen 
Jubiläum der Univerfität Halle. Halle a./S., Niemeyer. 2.80 4. 

Studentenſprache und Studentenlied in Halle vor hundert Jahren. Neu— 
druc des „Idiotikon“ der Burſchenſprache von 1795 und der „Studenten- 
lieder“ von 1781. Eine Jubiläums-Ausgabe für die Univerfität Halle-Witten- 
berg, dargebracht vom deutjchen Abend in Halle. Halle, Niemeyer, 3.4 

Inhalt: Vorwort von 8. Burdach. — Idiotikon der Burfchenfprache. 
Aus „Bemerkungen eines Akademifers über Halle und deffen Bewohner in 
Briefen. Germanien 1795 von Chriftian Friedrich Bernhard Auguftin. — 
„Studentenlieder. Aus den hinterlafjenen Papieren eines unglüdlichen Philo- 
jophen, Florido genannt, gefammelt und verbejfert von C. W. K. 1781” von 
Kindleben. 

Borchardt W., Die ſprichwörtlichen Redensarten im deutſchen Volksmunde nad 
Sinn und Urſprung erläutert. In gänzlicher Neubearbeitung herausgegeben 
von G. Wuſtmann. Vierte unveränderte Auflage. Leipzig, Brockhaus. 6M 

Schrader H., Der Bilderſchmuck der deutſchen Sprache in Tauſenden volks— 
tümlicher Redensarten. Nach Urſprung und Bedeutung erklärt. Zweite, ver— 
mehrte und verbeſſerte Auflage. Weimar, Felber. 6 M. 

Tobler-Meyer W., Deutſche Familiennamen nach ihrer Entſtehung und 
Bedeutung, mit beſonderer Rückſichtnahme auf Zürich und die Oſtſchweiz. 
Zürich, A. Müller. 4 M 

Tarneller J., Die Hofnamen des Burggrafenamts in Tirol. (Fortſetzung.) 
Programm. Meran. 


15. und 16. Tahrhundert. 

Schorbach K., Studien über das deutſche Volksbuch Lucidarius und feine 
Bearbeitungen in fremden Sprachen. (Quellen und Forſchungen zur Sprach— 
und Kulturgeſchichte der germaniſchen Völker. Herausgegeben von A. Brandl, 
E. Martin, E. Schmidt. Heft 74.) Straßburg i. E, Trübner. 

Euphorion II. 17 


258 Bibliographie. 2. Bücher. 


Bolte F, Die ſchöne Magelone, aus dem franzöfifchen überfegt von Veit Warbed 
1527. Nach der Originalhandfchrift herausgegeben. (Bibliothek älterer deutjcher 
Ueberiegungen. Herausgegeben von A. Sauer. Heft 1.) Weimar, Felber. 3A 

Inhalt: Widmung an M. Bernays. — Einleitung: I. Das franzöfifche 
Original und feine Quellen. II. Die Verbreitung des franzöſiſchen Romans, 
Ill. Beit Warbeds Leben. IV. Die franzöfifche Literatur am kurſächſiſchen 
Hofe. V. Warbeds „Schöne Magelone.“ VI. Die Nachwirkung von Warbeds 
„Schöner Magelone.“ VII. Bibliographie. — Text nach der Handjchrift 
von 1527. — Anhang. Die Abweichungen des erjten Drucdes (1535). 

Froude J. A., Life and letters of Erasmus. London, Longmans & Co. 
15 sh. 

Berger X. E., Die Kulturaufgaben der Reformation. Einleitung in eine Yuther- 
biographie. - Berlin, Ernft Hofmann & Co. 6 M 

Berger A. ©, Martin Luther in Fulturgefchichtlicher Darjtellung. 1. Zeil. 
1483 — 1525 (Geifteshelden — Führende Geifter — Eine Sammlung von 
Biographien. Herausgegeben von A. Bettelheim. Band 16 umd 17. Der 
III. Sammlung 4. und 5. Band). Berlin, E. Hofmann & Co. 4.80 M. 

Michelet J., Oeuvres completes. Edition definitive. Vol. X. M&moires 
de Luther. Paris, Frammarion. 7.50 fr. 

Fey E., Urteile Dr. Martin Luthers über das Papfttum. Aus feinen Schriften 
zufammengetragen. 2. (Titel-)Auflage. Leipzig, Buchhandlung des evangelifchen 
Bundes von C. Braun. 25 X. 

Majunke P., Gefammelte Luther-Schriften. 4 Teile in 1 Band. Mainz, 
Rupferberg. 

Inhalt: 1. Luthers Lebensende. Eine hiftorifche Unterfuhung. 5. Auflage. 
— 2, Die hiftorifche Kritik über Luthers Lebensende. 2. Auflage. — 3. Ein 
letztes Wort an die Yuther-Dichter. Nebſt neuen Nachträgen. 2. Auflage. — 
4. Luthers Teftament am die deutjche Nation. Seine letsten Schriften, feine 
legten Worte und feine fette — That. 2. Auflage. 

Die notwendigften Berbefjerungen der Lutherifchen Bibelüberſetzung. 
2. Auflage. Gütersloh, Bertelsmann. 20 X. 

Staub M., Das Berhältnis der menfhlihen Willensfreiheit zur Gotteslehre 
bei Martin Luther und Huldreich Zwingli. Differtation. Zürich, Yeemanı. 3 

Staehelin R., Huldreich Zwingli. Sein Leben und Wirken, nad) den Quellen 
dargejtellt. 1. Halbband. Bajel, Schwabe. 4.50 M 

Goetze E., Sämtliche Fabeln und Schwänfe von Hans Sachs. In chrono— 
logiſcher Ordnung nad) den Originalen herausgegeben. 2. Band (Neudrucke 
deutjcher Literaturwerfe des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 126—134). 
Halle a. ©., Niemeyer, 5.40 

Sachs H., Ausgewählte Gedichte (Meyers Volksbücher Nr. 1074 und 1075). 
Leipzig, Bibliographifches Inſtitut. 20 9. 

Sachs 9H., Drei Faftnachtipiele: Das heiße Eifen. Das Narrenjchneiden. Der 
tote Mann. (Meyers Volksbücher Nr. 1073). Yeipzig, Bibliographifches In— 
ftitut. 10 X. 

Sachs H., Ein Lobjprud der Stadt Salzburg. Mit einer literaturgefchichtlichen 
Einleitung, Wort- und Saderflärungen herausgegeben von E. Haueis. (Aus 
den Mitteilungen der Gefellfehaft für Salzburger Landeskunde Band 34). 
Wien, Konegen 18%. 1.20 4 

Amerlan F. Hans Sachs. Ein Lebensbild zu feinem 400jährigen Geburts— 
jubiläum. (Aus dem Hans Sachs-Kalender für 1895). Nürnberg, Raw. 20 9. 

Bardadzi F., Hans Sachs. Ein Lebensbild zur 400jährigen Gedenkfeier 
feiner Geburt. (Sammlung gemeinnügiger Vorträge. Herausgegeben vom 





Bibliographie. 2. Bücher. 259 


deutſchen Verein zur Verbreitung gemeinnügiger Kenntniffe in Prag Nr. 193 
und 194) Prag, Haerpfer. 40 A. 

Difjelhoff J., Lebensgeihichte des Nürnberger Schufters und Poeten Hans 
Sachs. Dem deutſchen Volke erzählt. 3. Auflage (Schriften des fächftichen 
Bolksjchriften-Verlags Jahrgang 4 Heft 2). Yeipzig, Sächſiſcher Volksſchriften— 
Berlag. 75 A. 

James A W., Die ftarfen Praeterita in den Werfen von Hans Sachs. Differ- 
tation. München. 

Goetze E., Hans Sachs. Feſtrede bei der am 5. November 1894 von der 
Stadt Nürnberg im Rathausfaale veranftalteten Feier. Nürnberg, Raw. 
Hans Sachs-Forſchungen. Feitichrift zur vierhundertften Geburtsfeier des 
Dichters. Im Auftrage der Stadt Nürnberg herausgegeben von A. L. Stiefel. 

Nürnberg, Raw. 1894. 

Inhalt: Weinhold K., Vorwort. — Michels B., Hans Sachs und 
Niclas Praun. 1. Eine Borrede von Hans Sachs. 2. Niclas Praun. 
3. Der podragifhe Traum. 4. Kopf und Barett. — Stiefel A. %., Ueber die 
Quellen der Fabeln, Märchen und Schwänfe des Hans Sachs. — Goetze E., 
Die Handihriften des Hans Sachs. — Dreier &., Die Spruchbücher des 
Hans Sachs und die erjte Folivausgabe I. — Wunderlih H., Hans Sachs 
und das Nibelungendrama. — Golther W., Hans Sachs und der Chronift 
Albert Kranz. — Mummenhoff E., Die Singihulordnung vom Jahre 
1616/35 und die Singftätten der Nürnberger Meifterfinger. — Keinz %., 
Hans Sadhjens Zeitgenoffen und Nachfolger im Meiftergefang. Verzeichnis 
der bis jett befannten Meifterfinger des 16. Jahrhunderts. — M. ©,, 
„Die Engelhut“, ein Schwanf des Hans Sachs und feine Duelle. — 
Schweiger Ch., Sprichwörter und jprihwörtliche Redensarten bei 9. Sachs. — 
Martin E., Die Meiftergefänge von Adam Puſchmann und das Straßburger 
Münfter. — Hampe Th., Ueber Hans Sadjens Schüler Ambrofius Defter- 
reicher. — Herrmann M., Stichreim und Dreireim bei Hans Sachs und 
anderen Dramatifern des 15. und 16. Jahrhunderts. Nebft einer Unterfuchung 
über die Entftehung des Hans Sachſiſchen Tertes. 

Feftihrift zur Hans Sachs-Feier, gewidmet vom Herausgeber und Verleger 
der Zeitfchrift für vergleichende Literaturgefchichte. Weimar, Felber. 1.50 «A, 

Hartmann N., Deutſche Meifterlieder- Handiehriften in Ungarn. Ein Beitrag 
zur Gefchichte des Meiftergefanges. Feſtgabe zum Hans Sachs - Jubiläum 
5. November 1894. München, Kaifer. 1894. 2.40 M 

Suhalt: Einleitung. — Singer, Lieder und Töne. — Beilage: Lieder- 
Texte und Aktenſtücke der Nürnberger Singſchule. 

Hans Sachs in Weimar. Gedrudte Urkunden zum 400. Geburtstage des 
Dichters aufs neue herausgegeben von B. Suphan. Weimar, Böhlau. 

Inhalt: Goethe, Erklärung eines alten Holzjchnittes, darftellend Hans 
Sachſens poetifhe Sendung, herausgegeben von J. Wahl. — Wieland, 
Zugabe einiger Lebensumftände Hans Sachſens (im Aprilheft des Teutſchen 
Merkur 1776, vgl. oben ©. 239). — Bertud, Frage an das teutſche Publifum 
über die Erhaltung der poetifchen Werke des alten teutfchen Meifterfängers 
Hans Sahjens (mit Wielands Erklärung im Maiheft des Teutſchen Merkur 
1778), herausgegeben von A. Leitzmann. — Leffing und Herder, zwei 
Briefe, herausgegeben von F. Heitmüller. Leffings Brief an Herder, 10. Januar 
1779 und Herders Aufjag aus der 5. Sammlung der Zerftreuten Blätter 1793. — 
Goethe, Schlußverfe zu Hans Sachſens poetifher Sendung bei Anlaß der 
Berliner Aufführung von Deinhardfteins „Hans Sachs“. — Die Anregung zu 
diefer gemeinfamen Gabe der Gelehrten des Goethe» und Schiller-Arhivs gab 


17° 


260 Bibliographie. 2. Bücher. 


Suphan, der die Auswahl traf, die Einleitung und das letste Stüd hinzu- 
fügte und das Schriftchen dem Andenken Reinhold Köhlers, des Weimarifchen 
Herausgebers der Hans Sachſiſchen Dialoge, widmete. 

Hans Sahs-Ausftellung der kgl. Hof» und Staatsbibliothef 31. Dftober bis 
15. November 1894. Zum 400. Geburtstag des Nürnbergifchen Dichters 
(geb. 5. November 1494, geft. 19. Januar 1576). Zweite verbefferte und 
vermehrte Auflage. Münden, Bruckmannſche Buchdruderei. 

Inhalt: I. Hans Sachſens Leben. Nürnberg im 15. und 16. Jahr— 
hundert. Porträts des Hans Sachs. — II. Die Dichtungen des Hans Sad. 
1. Hans Sachs als Meifterfänger. — 2. Der Volfsdichter. Hans Sachs und 


die Reformation. — 3. Alte und neue Gejamtausgaben und Sammlungen 
von Hans Sachſens Werfen. — III. Die Bibliothef des Hans Sads. — 


IV. Hans Sachs im Andenken der Nachwelt. 

Hans Sachs-Feier, 4 November 1894. Wien, Berlag des Hans Sachs— 
Comités. 

Inhalt: Streintz F., Bildnis Hans Sachſens aus dem Jahre 1615. — 

Ein bisher unbekanntes Lied von Hans Sachs aus der Zeit der erſten Be— 
lagerung Wiens dur die Türfen (1529). Mitgeteilt von E. Haueis. „Ein 
lob des redlihen Kriegvold in der Düerdifchen pelegerung der Stat Wien. 
In dem thon: „Es Fam ein alter Schweizer gangen.“ 


Könnede, Zur Feier des 5. November 1894, des 400. Geburtstages von 
Hans Sads. (Aus „Könnedes Bilderatlas zur Geſchichte der deutſchen 
Nationalliteratur”.) 2. Auflage. Marburg, Elmert. 60 X. 

Hans Sachs, von ihm umd über ihn. Zum 5. November 1894. 438. anti— 
quarifcher Anzeiger von %. Baer & Co. Frankfurt a. M. 

Hans Sahs-Nalender für das Jahr 1895. Nürnberg, Raw. 50 %. 

Hiftorifher Feitzug zur Erinnerungsfeier an den 400jährigen Geburtstag des 
Nürnberger Meifterfängers und Bolfsdihters Hans Sachs am 5. November 
1894 zu Nürnberg. Nürnberg, Raw. 1 M 

Neihenfolge der Feftlichkeiten zur 400 jährigen Geburtstagsfeier unferes Nürn- 
berger Dichters Hans Sachs am 4. und 5. November 1894. Nürnberg, 
Raw. 15 X. 

Genée R., Hans Sachs. Ein Nürnberger Feit-Schaufpiel zur Feier feines 
400. Geburtstages. 1. Prolog und Faftnachtipiel des Hans Sachs. 2. Der 
junge Meifter. Lebensbild von Gende. Nürnberg, Raw. 80 %. 

Genee R., Hans Sachs. Ein Feitipiel zur Feier feines 400. Geburtstages 
(5. November). In zwei Abteilungen. Mit einem Nachipiel: „Der Krämers- 
forb“ von Hans Sachs. Berlin, Entid. 80 X. 

Greif M., Hans Sachs. PVaterländifches Schaufpiel. 2. Taufend. Leipzig, 
Amelang. 1 0 

Gutjahr E. A. und Geißler F. A., Hans Sachs in Leipzig. Feitipiel. (Muſik 
von F. Th. Curſch-Bühren. Op. 116.) Tert und Regiebuch. Yeipzig, Pöſchel 
und Trepte. 75 A. 

Gutjahr E A., Erläuterungen zu Franz Theodor Curfch - Bührens Feſtſpiel 
(Op. 116) „Hans Sachs in Leipzig.“ Leipzig, Pöſchel und Trepte. 50 5. 

Hermann E., Hans Sachſens Herbitglüd. Dramatifche Scene. Lahr, Schauen- 
burg. 30 X. 

Feſtſchrift zur 25Ojährigen Jubelfeier des Pegnefifchen Blumenordens, gegründet 
in Nürnberg am 16. Dftober 1644. Herausgegeben im Auftrage des Ordens 
von Th. Biſchoff und A. Schmidt. Nürnberg, Schrag 8 M 





Bibliographie. 2. Bücher. 261 


Musculus Andras, Bom Hofenteufel (1555). Herausgegeben von M. Osborn 
(Neudruce deutſcher Literaturwerfe des XVI und XVII Sahrhunderts. 
Nr. 125). Halle, Niemeyer. 60 9. 

Hermann Nikolaus, Die Sonntags - Evangelia (1561). Herausgegeben von 
N. Wolfan. Mit dem Bilde Nik. Hermans. (Bibliothet deutſcher Schrift- 
ftelfer aus Böhmen. Herausgegeben im Auftrage der Gefellfchaft zur Förderung 
deutſcher Wiſſenſchaft, Kunft und Literatur in Böhmen. Band 2). Prag, 
Tempsty. 189. 2 M. 

Inhalt: Einleitung. — Text der Sonntagsevangelia. — Anhang: 
1. Textkritiſches. — 2. Verbreitung der Lieder. — Regifter der Versanfänge. 








17, Sahrhundert. 


Auguft Hermann Frandes Großer Auffat, herausgegeben von W. Fries. 
Feſtſchrift zum zweihundertjährigen Jubiläum der Umiverfität Halle. Halle a/©., 
Buchhandlung des Waifenhaufes. 2 M 

Stein U. (H. Nietfhmann), Auguft Hermann Frande Zeit und Lebensbild 
aus der Periode des deutjchen Pietismus. 3. Auflage (Deutiche Geſchichts— 
und Lebensbilder, 3. Band), Halle, Buchhandlung des Waifenhaufes. 3.60 MM 

Cochem P. M. v., Myrrhengarten. Enthaltend die notwendigften Gebete eines 
fathol. Chriften, insbefondere zur Verehrung des bittern Leidens Jeſu Chriſti. 
Neu herausgegeben von einem Priefter des Kapuziner- Ordens. Dülmen, 
Laumann. 135 M 

Arndt J., 6 Bücher vom wahren Chriftentum, nebft deffen Paradies-Gärtlein. 
Mit der Lebensbejchreibung des el. Mannes, nebjt jeinem Bildnis und 
57 Sinnbildern. Neue Stereotyp-Ausgabe. 14. Abdrud. Stuttgart, Steintopf. 

Nandbemerfungen zum Monzambano. (Berfaffung des deutjchen Reiches.) 
Zur Erinnerung an Samuel v. Pufendorf. (Geft. den 26. Oktober 1694.) 
Berlin, Puttkammer & Mühlbredt. 1% 


18. Jahrhundert. 


Bion U., Beiträge zur Kenntnis des Lebens und der Schriften des Dichters 
Fr. Carl Caſimir von Creuz. I. II. Differtation. München. 

Meinhold F. L., Hagedorns Gedanken von fittliher und geiftiger Bildung. 
Differtation. Leipzig, Gräfe. 1% 

Sellert Ch. F., Ausgewählte Fabeln und Erzählungen. Leipzig, Greßner & 
Schramm. 60 9. 
Pawel %., Johann Wilhelm Ludwig Gleim, der Freund und der Dichter der 
Fugend. Aus handjchriftlichen Quellen dargeftellt. I. Programm. Wien. 
Briefwechfel zwifchen Gleim und Heinfe. Herausgegeben von K. Schüddetopf. 
Erjte Hälfte (Duellenfchriften zur neueren deutjchen Literatur- und Geiſtes— 
geichichte, herausgegeben von A. Yeitmann, Band 2). Weimar, Felber. 

Enthält die Briefe von 1770—1775. Der zweite Band wird zu Oſtern 

folgen und im Anhange die Heinfefchen Gedichte bringen, welche zu dem 
Briefwechjel in Beziehung ftehen. 

Hübler %., Milton und Klopſtock, mit befonderer Berücfichtigung des „Paradise 
lost“ und des „Meffias“ (Fortfegung). Programm, Neichenberg. 

Röfiger %., Ueber Klopftods Naturbefchreibung. Feſtſchrift. Heidelberg. 

Dünser H., Leifings Nathan der Weife, erläutert. Vierte, neu durchgeſehene 
und vermehrte Auflage (Erläuterungen zu den deutschen Klaſſikern, 34. ud 
35. Bändchen). Yeipzig, Wartig. 2 M. 


262 Bibliographie. 2. Bücher. 


Mieland Ch. M., Oberon (Cottafche Volfsbibliothef, Band 99). Stuttgart, 
Cotta. 50 A. 

Niederegger ©. J., Johann B. Premlechner und feine Lucubrationes. ine 
Studie zur Citeratungef ihichte aus den Zeiten Maria Iherefias. Programm, 
Kalksburg. 

G. A. Bürgers Werke, herausgegeben von Eduard Griſebach. Mit einer 
biographiſchen Einleitung und bibliographiſchem Anhang. Fünfte, vermehrte 
und verbeſſerte Auflage. Berlin, Grote. 2 M, 

Voß J. H., Yuife und Idyllen (Cottafche Volksbibliothef 98. Band). Stuttgart, 
Cotta. 50 . 

Voß J. H. Luife. Ein ländliches Gedicht in drei Idyllen. Leipzig, Fiedler. 1.20 0 

Kühnemann E., Herders Leben. Mit einem Bildnis in Photogravüre. München, 
Bed. 189. 6.50 A 

Düntzer H., Herders Eid, erläutert. Dritte, neu durchgeſehene und vermehrte 
Auflage. (Erläuterungen zu den deutſchen Klaffikern, Band 22). Leipzig, 
Wartig. 1A 

Dünter H., Goethes Stammbäume. Eine genealogifche Darftellung. Gotha, 
Berthes. 3 M. 

Weißenfels R., Goethe im Sturm und Drang. Erfter Band. Halle, Nie 
meyer. 10 M. 

Inhalt: I. Goethe in Frankfurt 1749—1765. — U. Goethe in Leipzig 
1765— 1768. — III. Goethe in Frankfurt 1768—1770. — IV. Goethe in 
Straßburg 1770—1771. 1. Leben und Eindrüde 2. Das Wefen des Straß- 
burger Goethe: Gefamtbild. — V. Götz von Berliingen. 1. Entftehung. — 

Inhalt und allgemeiner Charakter des Dramas, verglichen mit Götzens 
Lebensbefchreibung und in Zufammenhang gebracht mit der Stimmung des 
Sturmes und Dranges. — 3. Die einzelnen Sturm- und Drangtendenzen im 
„Götz“. — 4. Erlebtes umd literariſche Einflüffe. — 5. Umarbeitung und 
Wirfung. 

Schulte ©., Der junge Goethe. Ein Bild feiner inneren Entwidlung (1749 bis 
1775). Halle a. ©., Kaemmerer. 9% 

Müller ©. A., Führer durch Sefenheim und Umgebung. Ein Wegweifer für 
die Freunde der Goethefhen Idylle. Selbtverlag. 80 A. 

Sinzheimer ©., Goethe und Byron. München. Differtation. 

Goethes fämtlihe Werfe in 36 Bänden mit Einleitungen von K. Goedefe. 
Band 18 und 19. Stuttgart, Cotta. à 1.10 4 

Goethes Werke. Siebzehnter und achtzehnter Teil. Wahrheit und Dichtuug. 
Erfter und zweiter Teil. Herausgegeben von H. Dünter (Kürſchners Deutfche 
National-Literatur, Bandausgabe 208). Stuttgart, Umion. 2.50 

Goethe, Ausgewählte Werfe in 3 Bänden. Leipzig, Knaur. 10 4 

Goethe=-Brevier. Goethes Leben in feinen De herausgegeben von 
O. €. Hartleben. München, Adermanı. 1895. 4 M. 

Düntzer H., Goethe Göß von Berlichingen, erläutert. Fünfte, neu durchgeſehene 
und vermehrte Auflage (Erläuterungen zu den Deutfchen Klaffifern Band 11). 
Leipzig, Wartig. 1.4 

Dünger H., Goethes Iphigenie auf Tauris, erläutert. Sechſte, neu durch— 
gefehene und vermehrte Auflage (Erläuterungen zu den deutſchen Klaſſikern 
Band 14). Leipzig, Wartig. 14 

Goethe W. v., Egmont, Trauerfpiel. (Allgemeine Volks-Bibliothek Nr. 30, 31). 
Neufalza, Ofer. 20 A. 

Goethe W. v., Hermann und Dorothea (Allgemeine Volksbibliothek Nr. 32). 
Neufalza, Oeſer. 10 9. 





Bibliographie. 2. Bücher. 263 


Goethes Briefe an Frau vd. Stein nebſt dem Tagebuh aus Italien. Mit 
Einleitung von K. Heinemann. 2. Band (Cottafche Bibliothek der Weltliteratur 
246. Band). Stuttgart, Cotta. 1.4 

Goethes Briefe. Mit Einleitungen und erflävenden Anmerkungen herausgegeben 
von A. Voigt. Lieferung 1. Leipzig, Pfau. 50 X. 

Komplett in ca. 50 Lieferungen, in 5 Bänden. 

Goethes Gejprähe. Herausgeber W. Freiherr v. Biedermanı. Neue Sub— 

jfription. Probe- Lieferung. Leipzig, F. W. dv. Biedermann. 1% 
Erjeheint in 45 Lieferungen. Der Tert des befannten Werkes ift unverändert 
eblieben. 

Siehoff H., Schillers Gedichte, erläutert und auf ihre Beranlaffungen, Quellen 
und Borbilder zurücgeführt, nebſt Variantenfammlung. 7. (Titel-)Auflage. 
3 Teile in 2 Bänden. Stuttgart, Franckh. 7 M. 

Schiller F., Wallenftein, ein Trauerjpiel. Edited with introduction, english 
notes and an appendix by R. Breul. Edited for the syndies of the 
university press. Cambridge, At the university press. 

Schiller Fr. v., Geſchichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der 
jpanifchen Regierung. (Meyers Volksbücher Nr. 1064— 1068). Leipzig, 
Bibliographifches Inſtitut. 50 9. 

Leitzmann W., Tagebuch Wilhelm von Humboldts von feiner Reife nach Nord- 
deutſchland im Jahre 1796. (Duellenfchriften zur neueren deutjchen Literatur- 
und Geiftesgefchichte Band 3). Weimar, yelber. 

Inhalt: Reife nach Stettin, Stralfund, Rügen, Noftod, Kübel und Hamburg. 

Knigge A. Frhr. v., Ueber den Umgang mit Menſchen. Nach der 9. Original- 
Ausgabe. Mit einem Sachregifter (Bibliothef der Gejamtliteratur des In— 
und Auslandes Nr. S00— 803). Halle, Hendel. 1 M 

Müller-Fraureuth C., Die Nitter- und Näuberromane in Beitrag zur 
Bildungsgeihichte des Deutschen Volkes. Halle a./S., Nieineyer. 


19, Sahrhundert. 


Wernly R., Vater Heinvih Zſchokke. Ein Lebens- und Charafterbild. Feſt— 
ihrift auf den Tag der Enthüllung feines Denfmals in Aarau. Herausgegeben 
im Auftrag des Denkmal-Komites. Aarau, Sauerländer. 

Inhalt: Eingang. I. Lern und Lehrjahree — 1. Wanderjahre. — 
III. Sturm- und Drangjahre. — IV. Arbeits- und Stilleben. — V. Auf 
der Höhe. — VI. Leiden und Leuchten. — VII. Feierabend. Anhang: Zur 
Gefchichte des Denkmals. (NR. ©.) 

Eine warmberzige Volks- und Feſtſchrift, welche der feierlichen Veranlaſſung 
entiprehend den Ton etwas hoch greift. Die vielfeitige Thätigfeit des vaftlofen 
Mannes wird in trefflicher Gliederung vorgeführt. Der Verfaſſer ſucht dem 
Staats- und Volksmann ebenfo wie dem Dichter und SFournaliften, dem 
Hiftorifer wie dem Nomanfchriftteller gerecht zu werden. Den höchſten Preis 
aber — morin wir ihm nicht folgen können — will er dem Erbauungsſchrift— 
jteller zuerkannt wiſſen: im der Berherrlihung der Stunden der Andacht 
gipfelt die Kleine Schrift, der eine gute Abbildung des wohlgelungenen Denf- 
mals beigegeben ift. 

Graf E., Maienzug, Zichoffedentmal-Weihe, Erneuerung des Glodenftuhles unſrer 
Stadtkirche. 3 feftliche Akte, der Gemeinde ins religiöfe Licht gerückt. Predigt. 

Aarau, Sauerländer. 30 X. 
Zſchokke H., Addrich im Moos. Erzählung. Aarau, Sauerländer. 90 9. 
Zſchokke H., Alamontade, Erzählung. Aarau, Sauerländer. 75 A. 





264 Bibliographie. 2. Bücher. 


Zſchokke H., Der Flühtling im Jura. Erzählung. Aarau, Sauerländer. 50 A. 

Zſchokke H., Der Freihof von Aarau. Erzählung. Aarau, Sauerländer. 90 I. 

Pichler K., Ausgewählte Erzählungen. Herausgegeben von A. Petersporf. 
4 Bände. Berlin, Gnadenfed & Co. 10 4 

Hebel J. P., Alemannifche Gedichte. Für Freunde ländlicher Natur und Sitten. 
Neue Gevidierte Bolfsausgabe 4 Auflage. Aarau, Sauerländer. 1M 

Hebel J. P., Allemannifhe Gedichte für Freunde (ändt iher Natur und Sitten 
im — Original-Text. Mit Bildern nach Zeichnungen von L. Richter. 
3. Auflage. Leipzig, Wigand. 4 M. 

Cervantes Saavedra M. de, Leben und Thaten des ſcharfſinnigen Edlen Don 
Quixote v. la Manche, uͤberfebt von 2. Tieck. 2 Bände, 7. Auflage. Hamburg, 
Berlagsanftalt und Druderei, A.-6. 3 M. 

Geiger 2, Karoline von Sünderode und ihre Freunde. Mit dem Porträt der 


Dichterin. Deutſche Berlags-Anftalt. Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien. 189. 
3 M 





Inhalt: Angabe der Quellen. — Karolinens Jugend. — Berhältnis 
zu F. R. von Savigny. — Savignys Briefe. — Liſette Nees von Eſenbeck, 
geb. von Mettingh. — Karoline als Dichterin. Clemens Brentano. — 


Brentanos Briefe. — Brief der Karoline an Clemens. — Bettina Brentano. 
— Bettinens Briefe. — Karoline und Creuzer. — Bruch des Berhältniffes. — 
Karolinens Tod. — Würdigung durch die Zeitgenoffen und Grabſchrift. 

Chamifjo A. v., Peter Schlemihl. Illuſtriert von H. Looſchen. (Illuſtrierte 
Elzevier-Ausgaben, Band 1.) Yeipzig, Seemann. 2 M 

Fouque %. Baron de la Motte, Sintram und feine Gefährten. Eine nordifche 
Erzählung nah A. Dürer. (Titel-Nusgabe des VII. Bandes der ausgewählten 
Werfe.) Braunfchweig, Schwetſchke. 2 4 

Dehlenfhläger A., König Helge Eine Nordlands-Sage. Deutſch von Gott- 
fried v. Leinburg. 3 Teile. 7. umgearbeitete Auflage. Leipzig 1895. 8.75 M. 

E. M. Arndts Werke. 4. Band. Leipzig, Pfau. 3 M 

Inhalt: Gedichte. Vollftändige Sammlung. Mit Anmerkungen heraus— 

gegeben von H. Meisner. 2. Teil. 

Eihendorff 3. Freiberr v., Gedichte. Miniaturausgabe. 15. Auflage. Leipzig, 
Amelang. 

Ellinger ©. € T. A. Hoffmann. Sein Leben und feine Werke. Hamburg 
und Leipzig, Boß. 5 M 

Soft W., Phantaften im Bremer Ratskeller. Illuſtriert von A. Niemeyer. 

(Sluftrierte Elzevier-Ausgaben, Band 3.) Leipzig, Seemann. 2 

Firdof jis Königsbuh (Schahname) überjetst von Friedrich Nücdert. Aus dem 
Nachlaß herausgegeben von E. A. Bayer. Sage XV—XIX. Gedrucdt mit 
Unterſtützung dev Deutſchen Morgenländiichen Gejellfchaft. Berlin, Reimer. 8 M. 

Es ift jehr erfreulich, daß die ins Stoden geratene Ausgabe von Rückerts 

Firdoſi-Ueberſetzung Dank der Opfermwilligfeit des Verlegers und der Unter- 
ſtützung der Deutſchen Morgenländiſchen Geſellſchaft nunmehr fortgeſetzt und 
wohl zu Ende geführt wird. Alle einſichtigen Beurteiler des erſten Bandes 
begrüßten das Werk auf I wärmfte. Der Herausgeber ftellt am Ende des 
Bandes eime Reihe dieſer Beiprehungen zuſammen und fügt einen Auszug 
aus Paul Horns Artikel über den Grafen Schad als Orientaliften (Beilage 
zur Allgemeinen Zeitung 18594 Nr. 159) hinzu. Auch der vorliegende zweite 
Band (Sage XV Sijawuſch; XVI Kei Chosros Heimholung aus Turan nad) 
Jran; XVII Ferod oder Kei Chosros erjter Krieg gegen Afrafiab; XVIH Kamus 
von Kaſchan; XIX Roſtem und der Chafan von Tſchin) weift bei aller Un— 
fertigfeit dev Meberjegung und troß mancher Härten und Ungelenfheiten. alle 


ne 








Bibliographie. 2. Bücher. 265 


Borzüge der Nüdertfhen Sprad- und Bersgewandtheit in fo hohem Grade 
auf, daß man dem Herausgeber für feine mühe- umd entfagungsvolle Thätigkeit 
nicht herzlich genug danken fan. Die Anordnung ift diefelbe, wie beim erjten 
Band; auf jede Sage folgen Anmerkungen Rückerts; die zahlreichen Zufätse 
und Berihtigungen am Schluffe des Bandes erklären ſich durch die Befchaffenheit 
der ſchwer lesbaren Handjchriften. 3 

Betz L. P., Heine in Frankreich. ine literarhiftorifhe Unterfuhung. Zürich, 
Albert Müller. 189%. 8 M. 

Inhalt: Einleitung. 1. Das Milieu. — 2. H. Heime im Lichte der 
franzöfifhen Kritit. — 3. Heines Kenntnis der franzöfifchen Sprache. — 
4. Heines franzöfifche Ueberfeger. — 5. 9. Heines Einfluß. — Anhang: 
Nachträge. Bibliographie. 

Grotthuß J. €. Frhr. v., Heinrich Heine als deutfcher Lyriker. ine literarische 
Ketzerei. (Zeitfragen des hriftlichen Volkslebens. Herausgegeben von E. Frhrn. 
dv. Ungern-Sternberg und 9. Diet, Heft 141.) Stuttgart, Belfer. 60 H. 

Heine H., Die Harzreife. Illuſtriert von 2. Stiller (Illuſtrierte Elzevier-Aus- 
gaben, Band 2). Leipzig, Scemann. 2 M 

Immermann K., Der Oberhof. Aus „Münchhaufen.“ Leipzig, Fiedler. 2% 

Lange E., Franz Grillparzer. Sein Leben, Dichten umd Denken. Gütersloh, 
Bertelsmann. 2.40 M 

Angeregt durch die Ehlermannifche Preisausichreibung, unternahm es ein 
begeifterter Verehrer des öfterreichifchen Dichters, eine Biographie Grillparzers 
zu jchreiben, die ſich nicht „an die engere Grillparzergemeinde” wenden will, 
„Sondern an alle, die literariſche Bildung und literarifches Intereſſe haben.“ 
Sein Bud fetst daher Feine nähere Bekanntſchaft mit dem Gegenftand voraus, 
will aber andrerjeits nur im guten Sinne volfstümlich fein. Im Gegenjat 
zu ihren VBorgängerinnen fucht diefe Biographie ihre Berechtigung darin, daß 
fie ihren Lefern den ganzen Grillparzer verftändlich und lieb machen möchte; 
nicht bloß den Dramatifer und den Menjchen, nicht bloß den Erzähler will 
Lange behandeln, jondern auch dem Lyriker und vor allem dem Denker und 
Aefthetifer will er gerecht werden. Diefen in der Vorrede ausgefprochenen 
Zweck hat das liebenswürdige und anſpruchsloſe Buch wirklich erreicht. Der 
Verfaffer verzichtet darauf, den ganzen Entwidelungsgang des Dichters zur 
Darftellung zu bringen und die einzelnen Perioden desjelben ſcharf von einander 
abzugrenzen. Er begnügt fich damit, fnappe Schilderungen der Yebensereigniffe, 
ausführlichere Analyfen und äfthetifche Würdigungen der einzelnen Dramen 
vorzulegen und feinem Lefer die Schönheit, Fülle und Tiefe diefer Dichtungen 
ahnen zu laffen, damit diefer felbft zu eigenem Genuße an fie herantrete. Er 
fennt und benutst die Yiteratur über Grillparzer joweit fie nicht allzu abgelegen 
ift (von neueren Arbeiten ift ihm leider Sauers Necenfion des Schweringichen 
Buches im Anzeiger für Deutfches Altertum, ſowie deffen Auffat in den 
Symbolae Pragenses entgangen), folgt aber feinen Gewährsmännern nicht 
blindlings nad. Am bedentendften zeigt fich der Fortſchritt gegenüber früheren 
Darftellungen in der Wertfhägung und Berwertung von Grillparzers Lyrik; 
ja Lange hat diefes wenig befarnnte Gebiet zuerſt für weitere Kreiſe erfchloffen 
(Rizys Grillparzer-Album ift ja eines der feltenften und Koftbarjten Bücher der 
neueren Zeit) und auf vieles, woran man bisher achtloS vorübergegangen war, 
zuerjt öffentlich hingewiefen. Für eine zweite Auflage empfiehlt fich eine gemaue 
Reviſion: ©. 6 lies Enzersdorf ftatt: Enzendorf; ©. 9, 62, 63 Altmütter 
ftatt: Altmüller; S. 10, 11 Seilern ftatt: Millern; ©. 54 Matheus Collin 
ftatt: Mathias; ©. 56, 57 Zawiſch ftatt: Zawitſch; ©. 97 Zanga ftatt: Zampa; 
©. 76 Marie Daffingers Mädchenname lautet vollftändig: Smolenit Edle von 


266 Bibliographie. 2. Bücher. 


Smolt; ©. 93 Mit Karl von Hügel, der fih auf den Wunſch Königs Ludwig II. 
von Bayern am der Vollendung der Eſther verfucht haben ſoll, ift Karl 
von Heigel gemeint, deſſen Verſuch gedrudt ift: „Ejther, Drama in fünf 
Aufzügen von Grillparzer und K. Heigel. München 1877 Kgl. Hof und 
Univerfitätsbuchdrucerei von Dr. C. Wolf & Sohn.“ 

Niſſel F., Dramatiihe Werke. Zweite Folge. Inhalt: Die Jakobiten. Der 
Königsrihter. Dido. Die Zauberin am Stein. Stuttgart, Cotta. 5 M, 
Leimbach E., Emanuel Geibels Leben, Werke und Bedeutung für das Ddeutjche 
Bolf. Zweite jehr vermehrte und neubearbeitete Auflage von M. Trippen— 

bad. Mit acht Slluftvationen. Wolfenbüttel, Zwißler. 5 A 
Darin ein bibliographifcher Anhang, der auch in Sonderabdrud erfchienen 


ift: Ausgaben der Schriften Geibels. — Inhaltsverzeichnis der „Geſammelten 
Werte” Geibels. — Verzeichnis der felbftändigen Bücher über Geibel und her- 
borragenderer Aufjäge aus Büchern und Zeitungen. — Nachmeifung von 
zerftweuten Gedichten Geibels, die weder in den Einzelausgaben, noch in den 
„Sejammelten Werfen” enthalten find. — Literatur über Geibels Bater. — 
Berzeihnis hervorragenderer Porträts von E. Geibel. — Trippenbad hat 


eine Sammlung von Geibels Briefen angelegt, die er fpäter einem vielleicht 
zu gründenden Geibelarchive in Lübeck oder dem Goethe - Schiller - Archive in 
Weimar zuzumenden gedenkt. 

Hammer Julius, Schau um Dich und ſchau in Did. Dichtungen. (Meyers 
Volksbücher Nr. 1072.) Leipzig, Bibliographifches Inſtitut. 10 9 

Scherenberg E., Gedichte. Gefamt-Ausgabe. 5. Auflage. Leipzig, Keil. 6 WM 

Storm Th, Gedichte. 10. Auflage. Berlin, Gebr. Paetel. 189. 450 M. 

Seibt F., Wrifcher Nachlaß. Herausgegeben und eingeleitet von E. N. Ceibt. 
Dresden, Heinrih. 1 A 

B. Auerbahs Schriften. Neue Ausgabe. 14 Band: Schwarzwälder Dorf- 
gefhichten. 6. Band. Stuttgart, Cotta. 1 6 

Biernatzky J. Chr., Die Hallig, oder die Schiffbrüdigen auf dem Eiland in 
der Nordjee. Eine Erzählung. Leipzig, Greßner & Schramm. 60 9 

Galen Th., Der Irre von St. James. Aus dem Retfetagebuche eines Arztes. 
2.— 4. Band. (Die beften Romane der Weltliteratur. Neue Ausgaben. 
4. Serie. 5. — 7. Band.) Tejhen, Prochaska. à 50 9 

Gotthelf J., Ausgewählte Werke. Illuſtrierte Prachtausgabe. Nach dem 
Driginal- Terte neu herausgegeben von O. Sutermeifter. Vorwort von 
K. Schent. Mit 200 Flluftrationen von A. Anker, H. Bachmann, W. Bigier. 
1. Lieferung. München, Rupprecht. 1.20 4 

Jacoby A., Ida Gräfin Hahn-Hahn. Novelliftiiches Lebensbild. Mainz, 
Kirchheim. 3% 

Holtei K.v., Die Bagabunden. Roman. 8. Auflage. Breslau, Trewendt. LM 

Mügge Th., Tänzerin und Gräfin. Roman. Leipzig, Greßner & Schramm. 3.4 

Mügge Th., Verloren und gefunden. Roman. Leipzig, Greßner & Schramm. 2:4. 

Mügge Th, Die Erbin. Roman. Leipzig, Greßner & Schramm. 2 M 

Reich M., Ausgewählte Werke. Herausgegeben von R. Fürf. Mit Portrait. 
(Bibliothet Deutjcher Schriftiteller aus Böhmen. Herausgegeben im Auftrage 
der Gefellfchaft zur Förderung deutjcher Wiffenjchaft, Kunſt und Literatur in 
Böhmen. Band 1.) Prag, Tempsty. 1894. 2 M. 

Inhalt: Zur Einführung der Sammlung. — Biographiiche Einleitung. — 
Gedichte: Weſen und Heimat; Spekulation; Politiiches; Epigramme und 
Satiren. — Novellen. — Nachtſtücke. — Humoresfen. — Anmerkungen. 

Spindler, Der Baftard. Eine deutsche Sittengefchichte aus dem Zeitalter Kaifer 
Rudolfs Il, 1, Band (Roman- und Erzählungsihat für das deutſche Haus, 





PBihliographie. 2. Bücher. 267 


Sammlung der beften Romane, Novellen und Erzählungen 1. Band 1. Heft). 
Stuttgart, Malcomes. 30 9. 

Stifter A., Erzählungen. Gefammelt und dem Nachlaffe entnommen. Heraus— 
gegeben von J. Aprent. 4. Auflage. Leipzig, Amelang. 6 

G. Kellers Gefammelte Werke. 6. Band. Züricher Novellen. 15. Auflage. — 
7. Band. Das Sinngedicht. Novellen. Sieben Legenden. 14. Auflage. 
Berlin, Hertz. 23 M 

Bender H., Luife von Francois (Sammlung gemeinverftändlicher wiſſenſchaft— 
licher Vorträge, begründet von R. Virchow und Fr. v. Holtendorff, heraus- 
gegeben von R. Virchow und W. Wattenbach. Neue Folge. Neunte Serie. 
Heft 208). Hamburg, Berlagsanftalt und Druderei A.„G. 80 X. 

Francois. v., Die lette Reckenburgerin. Roman. 6. Auflage. 2 Teile in 
1 Bande. Berlin, Sanfe. 4 M. 

Putlitz Elifabeth zu (geb. Gräfin Königsmard), Guftav zu Putlik. Ein Lebens- 
bild. Aus Briefen zufammengeftellt und ergänzt. Erfter Teil. Mit einem 
Porträt und einer Anficht. Berlin, Dunder. 5 M 

Juſtinus O., Häuslicher Bilderbogen. (Aus dem literarifchen Nachlaffe). Bres- 
lau, Schlefifche Buchdruderei. 4 M 

Dahn Felir, Erinnerungen. Viertes Bud. Würzburg — Sedan — Königsberg. 
(1863—1888.) 1. Abteilung (1863—1!70). Mit zwei Karten. Leipzig, 
Breitfopf und Härtel. 10 A. 

Seidel H., Von Perlin nad) Berlin. Aus meinem Leben. (Gefammelte Schriften 
13. Band). Leipzig, Liebeskind. 3 M 

Mahn P., Gerhart Hauptmann und der moderne Nealismus. Berlin, Neu- 
meifter. 1.4 

Kiehne H., Die deutfchen Lyrifer der Gegenwart. Eine Sammlung mit Quellen- 
angaben und literariſch-kritiſchem Begleitwort. 1. Band. Nordhaufen. Selbit- 
verlag. 2 M. 

Die Gefhichte des Erftlingswerfs. Selbſtbiographiſche Aufſätze von Rudolf 
Baumbadh, Felir Dahn, Georg Ebers, Marie v. Ebner-Eſchenbach, Ernſt 
Edftein, Theodor Fontane, Karl Emil Franzos, Ludwig Fulda, Paul Heyſe, 
Hans Hopfen, Wilhelm Jenſen, Hermann Lingg, Conrad Ferdinand Meyer, 
Oſſip Schubin, Friedrih Spielhagen, Hermann Sudermann, Richard Voß, 
Ernft Wichert, Julius Wolff. Eingeleitet von Karl Emil Franzos. Mit den 
Sugendbildniffen der Dichter. Leipzig, Tite. 6 

Zahlreiche autobiographifche Mitteilungen von Dichtern und Gelehrten 
find auf äußere Anregungen zurüdzuführen, wie fie z.B. von den Berfaffern 
der Schriftftellerlerica ausgehen; auch Herausgeber von Almanachen und Zeit 
ſchriften haben fich ſchon öfters veranlaßt gefühlt, die Schöpferifchen Geifter zur 
Ausſprache über ihr Leben und ihre Produktion aufzufordern. P. A. Klar, 
der Herausgeber der Libuſſa, regte auf diefe Weije die Selbftbiographien von 
Joſef Führich und Wenzel Tomafchet an und brachte Stifter und Herlosjohn dahin, 
daß fie wertvolle Materialien zu ihrer Lebensgeſchichte darboten, welche dann 
allerdings von anderen redigiert wurden. In der „Gegenwart“ wurde 1876/77 
ein ähnlicher Verſuch gemacht, dem wir 3. B. eine autobiographiiche Auf- 
zeichnung Gottfried Kellers verdanken. Inſofern ift alfo der Gedanfe des 
Herausgebers der Deutſchen Dichtung, in welcher die einzelnen Aufſätze der 
vorliegenden Sammlung zuerft erfchienen, feineswegs neu. Neu aber ift die 
Frageftellung. Nicht über ihr ganzes Leben follten die Dichter berichten, 
jondern die Geſchichte ihres Erftlingswerfes eingehend darlegen. Das hatte 
zunächft nun allerdings die Folge, daß fich viele der Gefragten über diefes 
„vieldeutige“ Wort ausließen und fo von der Hauptfache abgelenkt wurden. 


268 Bibliographie. 2. Bücher. 


Die verfchiedenften Meinungen darüber tummeln fi biev herum. Hopfen 
erflärt, daß ein Erftlingswerf nimmer etwas anderes fei, „als eben das allererfte 
Wert oder Werfchen, das eine Poetennatur fir und fertig aus fich heraus— 
gebiert“ (S. 145), Wichert dagegen: „Ein Erftlingsmwerf ift jelten ein erjtes 
Werk. Meift war ihm eine Neihe von Berfuchen vorangegangen, die nicht zu 
einem befriedigenden Abſchluß gelangten” (S. 87); Spielhagen behauptet: 
„Eines wahren Dichters Erſtlingswerk wird immer eine Beichte fein“ (©. 36), 
Paul Heyſe dagegen: in den meiſten Fällen ſind „Erſtlingswerke wenigſtens 
der Form nach nicht reine Eingebungen der eigenften Dichternatur, fondern, 
wenn fie überhaupt einen fünftigen Meifter ankündigen, Zeugniffe einer löblich 
abjolvierten Lehrzeit, die noch ein wenig nach der Schule ſchmecken und neben 
Selbjterlebtem, das fich bedeutiam hervorthut, Anerzogenes und Anempfundenes 
genug enthalten, um noch nicht für voll genommen zu werden“ (©. 54). Der 
geiftreiche und mwitige Ludwig Fulda fpielt mit dem Worte und verlegt das 
Erftlingswerf als das erjte Werk, welches nicht nur das Publifum, jondern 
auch den Autor vollends zufriedenitelle, launig in die Zukunft, während Franzos 
jelbjt Furz und bündig jagt: „Die Gejchichte meines erften Buches ift zugleich 
die Gefchichte meiner Jugend“ und daher diefe frifchweg erzählt. Die Ge- 
ihichte ihrer Jugend oder wenigitens ihrer ee Anfänge erzählen num 
faft alle hier verjammelten Autoren und darin liegt der hohe Wert des Buches 
für den Literarhiftorifer und nicht bloß für den im der zweiten Hälfte des 
20. Jahrhunderts, den der Herausgeber ſpöttiſch gegen feine Literarhiftorifchen 
Zeitgenoffen ausfpielt. Die Bedeutung der Yiteratur der Gegenwart wird 
fih allerdings in der Zufumft weit beffer beurteilen laffen, als wir Mit- 
lebenden e8 vermögen. Aber daß bedeutende DVertreter der  Dichterifchen 
Produktion der Gegenwart in der bier a Auswahl fehlen, ift uns 
ebenſo flar wie die große Ungleichwertigfeit unter den ausgewählten Dichtern. 
Wenn der Herausgeber meint: fo bedeutend wie die kleinen Hainbundleute, 
über die heute dicke Bücher erſcheinen, find alle, Die hier zu den Leſern ſprechen 
(nur fich jelbft bringt er in einem fofetten Zufat zum Opfer), jo zeugt dies 
von jehr geringem biftorifchen Verſtändniſſe. Der Schöpfer des deutjchen 
Homer und feine liederreichen Freunde haben umnvertilgbare Spuren in der 
Entwicklungsgeſchichte des deutſchen Geiſteslebens zurückgelaſſen und für immer 
bleiben ſie von dem Lichte beſtrahlt, das von dem auffteigenden Geſtirn Goethes 
und der nach ihm benannten u auf fie ausging. Hier ſonnen 
fi aber im Glanze echter und großer Dichternaturen eine Neihe fingerfertiger, 
nur don dem vafehwechfeinden Wind der Mode emporgetragener Pſeudopoeten, 
bon denen jchon eine nahe Zukunft nicht einmal mehr den Namen fennen 
wird. Aber auch deren Gelbjtbildniffe find uns als Beiträge zu ihrer 
Charafteriftif jehr willfonmen. Denn nicht nur was fie von ihrem Schaffen 
erzählen, jondern auch die Art und Weife, in der fie es thun, iſt für jeden 
einzelmen unter ihnen bezeichnend. Und am bez — wohl die Selbſt— 
einfhäßung, Die der einz le vornimmt, wie 3. 8 Dahn fich als einen Dichter 
dritten Ranges hinſtellt und Frau von Ebner die Erzählung ihres jugendlichen 
Ningens und Strebens mit dem vührenden Befonntniffe ſchließt: „In meiner 
Jugend war ich überzeugt, — müſſe eine große Dichterin werden und jetzt iſt 
mein Herz von Glück und Dank erfüllt, wenn es mir gelingt, eine lesbare 
Geſchichte niederzuſchreiben“ (S. 83). — Auf die einzelnen Beiträge kann hier 
nicht weiter eingegangen werden. Nur das eine ſei noch hervorgehoben, daß 
nicht bloß die gegenwärtig lebenden Generationen von Schriftſtellern in 
dem Buche charakteriſiert, ſondern auch zahlreiche ältere Dichter des Jahr— 
hunderts vielfach in helle Beleuchtung gerückt werden, namentlich Geibel und 


Nachrichten. 369 


der um ihn gruppierte Münchener Dichterfreis. — Das Buch ift prachtvoll 
ausgeftattet und ſchön gedrudt; für eine neue Auflage empfiehlt fich eine beffere 
Correftur (S. 104 lies Scheffner ftatt Schaffner, ©. 124 Prantl ftatt Prante, 
©. 186 wahrjcheinlich 1857 ftatt 1837). Die beigegebenen Bilder find nicht 
alle Jugendbildniſſe, auch nicht alle gleichmäßig gut geraten, der Mehrzahl 
nad) aber ausgezeichnete Neproduftionen authentiicher Vorlagen. Dem innerlic) 
und äußerlich „modernen“, höchſt anvegenden und lefenswerten Buche wird 
der verdiente Erfolg nicht verjagt bleiben. 


Nadridten. 


Entfpreend den von E. Goetze herausgegebenen Sämtlichen Fabeln und 
Schwänfen von Hans Sachs wird von E. Goete und E. Dreſcher gemeinfam 
eine Ausgabe dev Meiftergejänge De Hans Sachs, joweit diefe Fabel- uud 
Schwankſtoffe behandeln, ebenfalls für die Haller Neudrucke vorbereitet. 

Guſtav Kettner in Pforta gibt Schillers Dramatiihden Nachlaß in 
zwei Bänden neu heraus (Weimar, Böhlau). 

Zur Erfüllung wiederholt geäußerter Wünſche wird die Goethe- Geſell— 
ſchaft vom künftigen Jahre ab den Feſtvortrag der Generalverſammlung in 
dem Goethe-Jahrbuch abdrucken laſſen, jo daß bier, und mit thunlichſter 
Beichleumigung, zuerjt die Veröffentlihung erfolgt. Weil aber die General-Ver- 
jammlung in der Pfingitzeit tattzufinden pflegt, wird fünftig das Goethe-Jahr— 
buch in der Negel nicht vor Ende Juni erſcheinen können. 

Die Comenius-Geſellſchaft in Münſter hat für 1895 zwei Preisaufgaben 
ausgeſchrieben: die erſte fordert eine Darſtellung des „Unterrichtes in der Sitten— 
lehre nach Comenius“, die zweite hat „Das Schulweſen der böhmiſchen Brüder 
bis zur Auflöſung der Brüderſchule in Liſſa“ zum Gegenſtand. Die erſte Arbeit 
iſt bis zum 31. Auguſt, die zweite bis zum 31. Dezember bei dem Borfitenden 
der Gejellichaft, Archiv- Nat Dr. Keller in Dnfter (Weftphalen) einzureichen. 

Bon dem am 29. Oftober 1594 zu —— ig geſtorbenen Profeſſor Rudolf 
Hildebrand liegt uns durch die Güte ſeiner Hinterbliebenen der Anfang eines 
wenige Wochen vor ſeinem Tode begonnenen, aber nicht vollendeten Aufſatzes 
vor, der für umfere Zeitjchrift beſtimmt war: „Zum ſchottiſchen Edward“. 
Ich ſetze den Eingang hieher: „Der ſchottiſche Edward, in Herders Ueberſetzung 
aus Percys Reliques of ancient english poetry bei ums befannt, ift ein 
wahres Wertftüd unferer Literatur geworden, auch Schon in Die mufikalifche Welt 
aufgenommen durch Löwes Kompofition, und feidet doch an einem Verfehen der 
Ueberjegung, wodurh Wejen und Kern des Gedichts getroffen worden. Das 
Gedicht bejteht mur aus Rede und Gegenvede, in ftrengfter Form aufgebaut, ohne 
eine Spur von fogenannter Erpofition oder vorhergehender jachlicher Erläuterung, 
die doch eigentlich vecht nötig wäre. Alles fol ſich aus den Reden felbit erklären.“ 
ES folgt dann eine forgjam abwägende Bergleihung der Weberjegung Herders 
mit dem fchottifchen O viginal, D die aber eben dort abbricht, wo Hildebrands eigene 
Erklärung beginnen follte. In dankbarem und wehmütigem Gedenfen dürfen wir 
den umvollendeten Aufſatz als einen Beweis feiner wohlwollenden Gefinmung für 
unfere Zeitjchrift anfehen. Eine ausführlichere Charakteriftit des unvergeßlichen 
Mannes wird eines unferer nächiten Hefte enthalten. 


270 Nachrichten. 


Berichtigung. 


Zu Band 1, ©. 788 Der Brief Rabeners an Gleim iſt bereits ge— 
druckt im Literariſchen Konverſationsblatt 1823 Nr. 30 unter anderen „Mit— 
teilungen aus Gleim's literariſchem Archive,“ vermutlich durch Körte. Ohne 
auf rein orthographiſche Abweichungen einzugehen, verbeſſere ich nach dem Origi— 
nale folgende Leſefehler: 789, 5 lies „nahe“, 6 „Bodmern“, 9 „Geſchmacke“, 
14 „er“, 15 „Errathen“, 16 „noch“, 26 „Spiſſers“, 40 mich] „meinen Creyß“ 
„guug“ 41 „andern“ „umfehn“, 790, 3 „größers“ 5 „einem“ 7 „geichehn“ 
14 „Erulante“. Gleims Belanntjchaft mit dem Leipziger Dichterkreije datiert 
von feiner Reife nach Leipzig im Frühling 1750 her, vgl. Schnorrs Archiv 4, 9, 
Körte, Gleims Leben ©. 57. Mit Namlers Ueberjegungen aus dem Horaz 
find die Uebertragungen in Proja gemeint, welche die Berliner „Eritiichen Nach» 
richten“ von 1750 brachten; fie haben mit der poetifchen Ueberfegung von 1769 
nichtS gemein. 





E. Schüddefopf. 
Oben ©. 152 und 164 lies: Lemmermayer. 


Im Manufkript abgefchloffen am 24. November, im Sat am 13. Dezember 1894, 





Drud don Lorenz Ellwanger, vorm. Th. Burger, Bahreuth. 


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Dus Drama der Jeſuiten. 
Eine theatergefchichtliche Skizze. 


Von Baul Bahlmann in Münfter i. W. 

Studenten und Schüler waren jchon früh an der Seite und 
unter Leitung ihrer Lehrer jchaufpielerifch thätig: bereits der be- 
vühmte Gerhoh, welcher von 1109 — 1124 Scholajtifer an der 
Ulrichsſchule in Augsburg war, klagt ſich in feinen jpäteren Jahren 
an, daß er als Borjtand diefer Schule und Lehrer der Jugend 
theatralifche Spiele angeordnet und überhaupt der Jugend einen 
großen Spielraum gelafjen habe.!) Urſprünglich mag fich die 
Beteiligung derjelben wohl hauptjächlich auf das religiöje Drama 
(Drama sacrum) erjtrecft haben, das ja einen Teil des Gottes- 
dienjtes bildete, jpäter Hingegen find es zumeiſt die Stücke des 
Plautus und Terenz, die zur Darjtellung gelangten und die Sprach- 
gewandtheit fürdern jollten. Jedoch vielfache Bedenken hinfichtlich 
der Keuſchheit dieſer antiken Klaſſiker (zumal des Plautus), denen 
man einen entfittlichenden Einfluß auf die lefende und darjtellende 
Jugend zujchrieb, führten bald wieder zum Verlaſſen der alten 
Driginale und zur Entjtehung der lateinischen Schulfomödie,?) der 


1) Patrologiae eursus completus ed. J. P. Migne. Series latina. 
Tom. 194. Lutetiae Paris. 1855, Sp. 891. 

2) O. Frande, Terenz und die lateiniſche Schulfomödie in Deutjchland. 
Weimar 1877, ©. 55. — Schon gegen Ende des 10. Jahrhunderts hatte die 
SGandersheimer Nonne Hrotspitha, um den Anftoß erregenden Terenz zu ver— 
drängen, jechs deſſen Stil nahahmende (freilich nur für die Lektüre beftimmte) 
Legendendramen verfaßt, die Conrad Celtes zuerjt gedrudt herausgab (Norun- 
- bergae 1501) und Ottomar Pilz neuerdings ins Deutſche überfette (Univerfal- 
Bibliothef Nr. 2491 und 2492). 

Euphorion IL, 18 


272 P. Bahlmann, Das Drama der Feſuiten. 


zahlreiche) bedeutende Schulmänner und Geiſtliche zu hohem An— 
ſehen verhalfen. Als aber die Aufführungen auch weiteren Kreiſen 
zugänglich wurden, konnte man ſich nicht mehr lediglich auf latei— 
niſche Stücke beſchränken: 

Denn weil das Stück lateiniſch wird verhandelt, 

So murren, die die Sprache nicht verſtehn, 

Belfern die Weiber, lärmen Mägd' und Knechte, 

Wurſtmacher, Fleiſcher, Schmied' und andere Zünfte, 

Und fordern laut in ihrer Sprach' ein Stück.?) 
Wan jchiekte deshalb den Stücken oder wohl auch den einzelnen 
Akten?) für die Ungelehrten verjtändliche Inhaltsangaben voraus, 
denen dann UWeberjegungen und Originaldramen in der Yandes- 
jprache folgten.*) 

Diefe Aufführungen gaben nicht nur den Schülern Gelegen- 
heit, lateinijch oder doch dffentlich zu Sprechen und fich äußere 
Gewandtheit und Tournure anzueignen, jondern hoben auch das 
Anſehen und die Beliebtheit der Schulen, denen fie gleichzeitig zur 
Berbreitung Firchlicher Lehren und Anfchauungen dienten.’) Des- 
halb zog auch der Jeſuitenorden, der befanntlich) einen Hauptteil 


') Vgl. P. Bahlmanı, Die lateimifchen Dramen von Wimphelings 
Stylpho (148) bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Münſter 1893. 

) Nifodemus Frijchlin, Helvetiogermani. Argentorati 1589, VBorrede. 

) Einen deutfhen Prolog vor jedem Akte hat des Wiener Abtes Bene- 
diftus Chelidonius 1515 gedrudtes Spiel „Voluptatis cum Virtute discep- 
tatio.“ 

) Der erfte Schulmann, der ein humaniftifches Drama in deutjcher Sprache 
verfaßte, war Sirt Bird (Hiftory von der... fwwuwen Sufanna. Baſel 1532). 

) Es jchreibt z.B. Magifter Georg Major (1502—1574) am 5. April 1543 
an Georg Helt, er wiffe, daß in Niederdeutichland, wo die Predigt des Evan- 
geliums verboten jei, duch Schaufpiele viele mit der evangelifchen Lehre befannt 
geworden und für fie gewonnen feien (9. Holftein, Die Neformation im Spiegel- 
bilde der dramatiſchen Yitteratur des 16. Jahrhunderts. Halle 1886, ©. 24). — 
Später betont auch der Jeſuit Foh. Schmidt (1693 —1762) in feiner Historia 
Societatis Jesu provineiae Bohemiae III (1754) ©. 287, daß die Auf- 
führungen zur Befeftigung des Glaubens umd der Tugend dienen, indem fie 
nicht allein ſelbſt Atatholiten Hevanziehen und unterhalten, ſondern auch durch 
die darin dargeftellten Ideen viele zum Glauben Bringen. 





P. Bahlmanı, Das Drama der ejuiten. 273 


widmete, die theatralifchen Vorjtellungen von vornherein in den 
Bereich der Schulübungen Hinein und ließ ihnen bis zu jeiner 
Aufhebung (1773) die eifrigjte Pflege angedeihen. 

In der endgültigen Studienordnung der Jefuiten, dev Ratio 
studiorum vom Jahre 1599, wird bejtimmt: 

Der Gegenjtand der Tragddien und Komödien, die jedoch 
nur lateinijch jein und jehr jelten aufgeführt werden jollen, jei 
ein heiliger und frommer; auch dürfen nur lateinische und an- 
jtändige Zwiſchenſpiele vorkommen; weibliche Rollen und Trachten 
ind ganz verboten.!) Der Lehrer kann bisweilen eine kurze dra- 
matijche Aufgabe, 3. B. eine Efloga, eine einzelne Scene oder einen 
Dialog, von jeinen Schülern jtatt des Argumente ausarbeiten 
lajjen, um nachher die bejte Arbeit ohne allen theatralijchen Schmuck 
in der Schule aufzuführen, wobei er die Nollen unter die Schüler 
verteilt.?) 

Dieje Borjchriften wurden auch in den Privatfomddien der 
einzelnen Stlajjen (Declamationes) gewijjenhaft befolgt, in den 
öffentlichen aber immer mehr außer acht gelajjen. Wohl am 
längjten wurde hier dem Gebot, die Aufführungen nur in latei- 
nijcher Sprache zu veranjtalten, nachgefommen. Die Fejuiten, 
bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts ſogar vorzügliche Lateiner, 
legten jtets auf dieſe Sprache das Hauptgewicht, und troßdem die- 
jelbe der Menge ganz unverjtändlich war, erzielten ſie doch durch 


!) Ratio studiorum et Institutiones scholastieae Societatis Jesu 
coll. aG. M. Pachtler. Tom. II. Berlin 1887, ©. 272: Tragoediarum 
et comoediarum, quas nonnisi latinas ac rarissimas esse oportet, argu- 
inentum sacrum sit ac pium, neque quiequam actibus interponatur, 
quod non latinum sit et decorum; nee persona ulla muliebris vel 
habitus introducatur (Regula Reetoris 13). — Die einfchlägigen Beftim- 
mungen der erſten 1586 als Manujfript gedrudten Gejetworlage der Ratio 
studiorum fieh ebenda ©. 176. 

?) Pacıtler S. 412: Poterit interdum Magister brevem aliquam 
actionem, eelogae sc., scenae dialogive diseipulis argumenti loco im- 
ponere, ut illa deinde in schola, distributis inter ipsos partibus, sine 
ullo tamen scenico ornatu, exhibeatur, quae omnium optime conseripta 
sit (Regula Professoris Rhetorieae 19). 


18* 


274 P. Bahlmann, Das Drama der Feuiten. 


die Pracht der Dekorationen und Koſtüme, durch die rauschende 
Muſik und die eingelegten Tänze, durch das zahlreiche Perſonal 
wie durch die Wahl der Dramenftoffe, worauf wir jpäter noch 
zurücfommen, auch bei dem Volke gewaltige Erfolge. So berichtet 
3. B. ein jejuitifches Gedenfbuch über die erſte Aufführung der 
Schüler des Prager Sejuitenfollegiums im Februar 15601): „Zu 
diefer Vorſtellung hat fich eine große Maſſe aller Stände ein- 
gefunden, jo daß allgemein behauptet wurde, fein derartiges Spiel 
habe jich bisher einer jolchen Theilnahme von Seiten des Bubli- 
fums rühmen fönnen, denn es jeien bei acht bis zehn taujend 
Menjchen, zum größten Theile Brager (alfo auch Leute vom Lande), 
herbeigefommen. Das Stück jelbjt war aus dem gejellfchaftlichen 
Leben genommen. Die Jeſuiten jehilderten die Fehler und Die 
Sünden der Menjchen mit wahrer Virtuofität und brachten fie in 
wirklicher Teufelsgejtalt auf die Bühne. Bejonders war die welt- 
liche Eitelfeit, die Liüderlichfeit und Niedertracht des damaligen 
Lebens mit jo treffenden und lebhaften Farben gezeichnet, daß die 
Zuſeher davon mächtig ergriffen wınden. Als die Teufel zum 
erjtenmale auftraten, ängjtigten ſich gar viele Leute und manche 
zitterten vor Furcht, andere jedoch, die muthiger waren, viefen aus 
vollem Halſe: Seht, wie uns die Jeſuiten durch gemalte Teufel 
jchreefen wollen, nicht wifjend, daß fie dereinſt jelbjt von wirklichen 
gefrejjen werden! — Schließlich wurde es jedoch wieder jtille und 
das ausgezeichnete Spiel hat die Yeute jo animirt, daß der Applaus 
und die ſtürmiſchen Zurufe fein Ende nehmen wollten. Das Stüc 
mußte auf allgemeines Berlangen vier Tage nach einander wieder: 
holt werden und am fünften wurde es in dem größten Hofe des 
Prager Schlojjes in Gegenwart des Erzherzogs Ferdinand, ſowie 
der höchjten Würdenträger und jämmtlicher Sofleute aufgeführt, 
die an dieſer BVorftellung ein ungemeines Gefallen fanden. In 
diefem Jahre war ein Deutjcher, Namens Hoffer,?) Rektor des 
Stollegiums. Dieſer überjeßte die Komödie in das Deutjche, und 


!) Gejpielt wurde die Comoedia Euripi, ein Schaufpiel über den Kampf 
des Körpers mit dem Geiſte. 
2) Paul Hoffaeus, 1524—1608, 


| 





P. Bahlmann, Das Drama der efuiten. 275 


jo oft fie num aufgeführt wurde, erfreute ſie ich ſtets eines 
jtürmifchen Beifalls.““ Aehnliche Berichte über den günjtigen 
Erfolg veranjtalteter Komödienſpiele finden jich äußerſt zahlreich 
in den Aufzeichnungen ſämtlicher Ordensfollegien; der hier iwieder- 
gegebene Brager Bericht jedoch iſt der erjte, der eines deutſchen 
Sejuitendramas Erwähnung thut.?) Auch nach Erlaß der Ratio 
studiorum brachten — joweit befannt — zuerjt wieder die Prager 
Jeſuiten am 6. Dezember 1627 ein deutsches Stück, die „Triumphir— 
liche Tragödie von Kaiſer Konjtantio Magno jambt feinen zween 
von ihme gefrönten Söhnen" auf die Bühne?) Im allgemeinen 
aber laſſen fich noch in den nächjten Jahrzehnten Darjtellungen 
in deutjcher Sprache nur verhältnismäßig jelten nachweiſen; erſt 
jeit dem Ende des 17. Jahrhunderts begegnen fie uns häufiger, 
ohne jedoch jo jehr überhand zu nehmen, wie viele es glauben. *) 
Nur in den Zwijchenjpielen (ſieh unten), die allewdings auch „nur 
lateiniſch“ jein follten, fand die Volksſprache fait regelmäßig An— 
wendung, was wohl auch der Grund dafür jein dürfte, daß über 
ihren Inhalt Angaben in den meijten Synopjen fehlen. 

Am wenigſten beachteten die Jefuiten die Bejtimmung, Dramen 
nur jelten aufzuführen. Sie wollten nicht nur ihre Schüler 
„tehen, gehen und reden“ lehren, nicht nur diejen ſowie allenfalls 
deren Eltern umd ihren Gönnern Unterhaltung verjchaffen, fie 
wollten auch das, was jie der Jugend beigebracht, öffentlich zeigen 
umd durch die Schaubühne ihrem Orden neue Freunde geivinnen, 

1) Sieh 2. Blaß, Das Theater und Drama in Böhmen. Prag 1877, 
©. 26. — Bgl. Joa. Sehmidl, Historia Soc. Jesu Provinciae Bohemiae. 
Pars I. Pragae 1747, pag. 146 f. 

2) Die Prager Jeſuiten führten auch am 12. Oftober 1567 das erjte 
böhmijhe Drama „St. Wenzeslaus, Der Märtyrer“ auf (Schmid! 1, 229; 
Blaß ©. 28). 

8) Blaß ©. 45. 

9 Der Erjefuit Cornova ſpricht im feiner Schrift „Die Jeſuiten als 
Gymnaſiallehrer (Prag 1804)“ nur von Dramen in lateiniſchen Verſen. Auch 
befiehlt 3. B. eine Luzerner Ratsverordnung vom Jahre 1768 den Jeſuiten, ihre 
Komödien von jegt an im deutſcher Sprache aufführen zu lajien, Damit „die 
Jugend im ihrer eigenen Mutteriprach deſto bejjer unterrichtet werde.“ 


276 P. Bahlmanı, Das Drama der Sefuiten. 
ihm bejonders die große Maſſe des Wolfes geneigt machen. Des— 
halb bejchränften fich die Aufführungen, jo jehr auch gegen deren 
Ueberhandnehmen ab und zu eingejchritten wurde,“ gar bald nicht 
mehr auf die Darjtellungen am Beginn oder Schluffe des Schul- 
jahres,?) die der feierlichen Musteilung der Prämien, der „goldenen 
oder Ehren-Bücher", vorausgingen, und vereinzelte Spiele zu Ehren 
hoher Perſonen, jondern auch bei Befuchen wie an Geburts oder 
Namenstagen vornehmer Gönner, zur Gedenkfeier irgendivie be— 
merfensiverter Creignijje, jelbjt an den kirchlichen Feitzeiten zu 
Dftern und Weihnachten mußten die Zöglinge ihre theatralifchen 
Künſte produzieren; jogar in benachbarten Ortſchaften wurden 
mitunter fürmliche Gajtjpiele gegeben.?) 

Gegen das Verbot weiblicher Rollen hatte bereits die 
zur Bezeichnung etwa wiünjchenswerter Aenderungen der Ratio 
studiorum eingejegte Kommiſſion der oberdeutjchen Ordensprovinz 
1602 den Einwand erhoben, daß dejjen jtrenge Durchführung 
weder im weltlichen noch in geijtlichen Stücken möglich jet, worauf 


1) Vgl. z. B. die Verordnungen dom Jahre 1585 und 1586 (Braum 
Geſchichte des k. Huskies zu Branmsberg. Programm. Braunsberg 1865, 
©. 49). 
2) Die Hauptferten dauerten: 
in der oberrheinifchen — v. 29. Sept. bis 1. Nov. (Schulgebräuche v. J. 
1664: Prantl 3, 1890, 399 f.), 
in Dev oberdeutjchen ——— vom 8. Sept. bis 18. Okt. (Schulgebräuche v. J. 
1693: Prantl 3, 406), 
in der niederrheinifchen Provinz vom 29. Sept. bis 3. Nov. (Schulgebräuche v. 3. 
1704: Brantl 3, 413). 
Mitunter erfolgte die Austeilung der Prämien auch zu Beginn des neuen Schul- 
jahres, jo 3. B. 1654 in Hildesheim, woſelbſt ſich die Darfteller der Komödie 
bereits Mitte Oftober zur Emübung eingefunden hatten; fieh 3. G. Müller, 
Beiträge zur Gefchichte des Gymnasium Josephinum. (Programm.) Hildes— 
heim 1868, ©. 20. 
>) Die Iglauer Jeſuitenſchüler z. B. ſpielten 1665 in Bolna, jpäter auch 
in Deutſchbrod (ſieh J. Wallner, Geſchichte des Gymnaſiums zu Jglau [Programm] 
Teil 3, Iglau 1884, S. 12 und 13). Das Theaterſpielen wurde dort, wie 
die Litterae annuae 1657 hervorheben, in allen Klaſſen mit ſolchem Eifer be— 


— 


_/ 


trieben, daß „jede im Stande geweſen, jederzeit auf Verlangen eine dramatiſche 


Borjtellung zu geben“, 





P. Bahlmann, Das Drama der Jefuiten. 277 


der General Claudius Aquaviva (1581—1615) im Fahre 1603 
erwiderte: „Wir haben jchon früher in jener Provinz dahin 
Diepens erteilt, daß die Einführung gejtattet jein joll, wenn fie 
möglichjt jelten und in geringem Maße gejchieht, und die Perſonen, 
welche vorgeführt werden, ernjt und fittfam find.“ ') Ein folches 
Zugejtändnis ſcheint den anderen Provinzen zwar nicht gemacht 
zu fein,?) doch find auch dort weibliche Rollen nichts Außer: 
gewöhnliches.?) 

Die Stoffe der Stücke wurden meilt dem Alten und 
Neuen Tejtamente, den Heiligenlegenden, den Martyrologien oder 
den Ordensannalen, oft auch dem Sagenfreife und der Gejchichte 
der Heimat oder gar fremder Yänder, nur jelten dagegen dem 
täglichen Leben entnommen. Im Sejuitenfolleg zu Augsburg 
3. B. wurden im 17. Sahrhundert nach den auf der dortigen 
Stadtbibliothek in jeltener PVollzähligkeit vorhandenen gedruckten 
PBeriochen anfangs September aufgeführt): 1614 Der H. Nice- 
phorus und Sapricius, 1617 Die 9. Hiltegard, 1618 Der 9. Vitus, 
1619 Der König Antiocdus, 1621 Der Hohepriefter Heli, 1622 Die 
Befehrung Loiolae, 1623 Barmberzigfeit, 1626 Die H. Hermene- 
gild, 1627 Der Gothenfünig Theodoricus, 1629 Der Japaner Titus, 
1650 Abjalon, 1636 Der H. Wenceslaus, 1637 Humiliabitur und 
Exaltabitur, 1638 Die beiden Japoniſchen Märtyrer, 1639 Die 
Tyrannei der unmäßigen Liebe, 1640 Undank, 1642 oh. Caly- 
bita, 1645 Bürgjchaft des egyptiichen Abts Daniel für Culogius, 
1644 Der H. Heinrich, 1645 Der 9. Wenceslaus, 1646 Beijpiel 

1) Bachtler 2, 488. 

2) In den Schulgebräuchen der oberrheinifchen Provinz vom Jahre 1664 
(jieh unten) werden weibliche Rollen ausdrüdlich verboten. 

3) Henricus Goedefen, Nektor des Hildesheimer Andreaneums, behauptet 
1608: „Es fein noch nicht 12 Jahr verlauffen, das alhie zu Hildesheimb die 
Feſuiter auff ihrem großen Schul-Auditorio Nonnenkleider undt Meßgewandt, 
ja eine gante Weihung im zweien Comoedien eingefuhret.“ (8. Th. Gaedertz, 
Arhivalifche Nachrichten über die Theaterzuftände von Hildesheim, Lübeck, Lüne— 
burg. Bremen 1888, ©. 12 und 14.) 

) E. Weller, Annalen der poetifhen National-Pitteratur der Deutjchen 
im 16. amd 17. Jahrhundert, Band 2. Freiburg i. B. 1864, ©. 289. 


278 P. Bahlmann, Das Drama der Sejuiten. 
der Freundichaft an David und Jonathan, 1647 Siegzeichen der 
Unjchuld, 1649 Clodoaldus, 1650 Die Auferwedung Yazari, 
1651 Die Nechnerin (Lucas 19), 1652 Aman, 1653 Die fünf 
Ehr- und Siegjäulen Daniels, 1654 Kosmas und Damian, 1655 
Der 9. Titus, 1656 Zwei Barabeln, 1657 Die gottliebende Seele 
Bhilothea, 1658 Kafjanus, 1659 Petrus und Paulus, 1660 Die 
Herzenjchule, 1661 Der evangelijche Samen, 1662 Der Burgunder: 
König Sigismund, 1663 Die liebe Unfchuld, 1664 Ungarns Sieg 
unter Yudwig J. 1665 Der gehorjfame Abraham, 1666 David als 
Busjpiegel, 1667 Die von Moſe geſtrafte Hartnädigfeit, 1668 
Ezechias, 1669 TIheobaldus und Gontarus, 1670 Bancratius, 
1671 David als Spiegel der Sanftmuth, 1672 Aman, 1673 Die 
Obſorg Gottes über den König Alphonjus von Congi, 1676 Der 
verlorne Sohn, 1678 Nugbarkeit der Heiligenbilder, 1679 Liebs— 
Streit zweier Brüder, 1680 Das fieghafte H. Kreuzzeichen, 1681 
Emmanuel, 1682 Hermenegildus, 1685 Charietta, 1686 Emmanuel, 
1687 Mathias Corvinus, 1688 Die Errettung Baquevills durch 
den 9. Sultanus, 1689 Sigismund, 1690 Celſus und Julianus, 
1691 Weltjpiel der göttlichen Weisheit, 1692 Bartharitus, 1693 
Bethulias Nettung durch Judith, 1694 Kaiſer Julian, 1695 Galli- 
cani Webertritt, 1696 Der Japanische Kaiſer Nobunanga, 1697 
Rudolphs I. belohnter Gottesdienft, 1698 Konradins Tod umd 
1699 Gerechtigkeit Merovei. Am beliebtejten waren jolche Stoffe, 
welche zur Berteidigung oder Verherrlichung des Fatholijchen 
Slaubens und feiner Befenner dienten; Angriffe gegen Anders— 
gläubige aber wurden — wie alljeitig anerkannt wird — geflifjent- 
lich vermieden, ja die Namen der Neformatoren in der Regel 
nicht einmal genannt. Ganz vereinzelt und gerade ihrer Selten: 
heit halber um jo mehr beachtet blieben Vorgänge wie die, deren 
Folgen eine alte Zeitung!) alfo jchildert: „An nechjt abgewichenen 

1) Zwo Newe Zeitung. Die Erſte, Wie die Jeſuiten ein Comoedi zu 
Molgheim agivt und gehalten und Herrn Doctorem Lutherum dur einen 
Teuffel zerreiffen wöllen: aber der vechte erichrödliche Teuffel ift fommen umd 
hat ein Jeſuiten in ſtucken zerriſſen . . . Erſtlich gedruct zu Baſel durch Ludwig 
König im 1614. Jahr. 4 Bll, 40 (Stadtbibliothef Breslau). 








P. Bahlmann, Das Drama der Jefuiten. 279 


Julio difes 1614. Jahrs haben die Jeſuiter zu Moltzheim ein 
Comoedi agirt unnd gehalten, darinn fingirt und geticht, gleich 
wie Herr Doctor Yutherus jelig auff Erden grofjen Streit allent- 
halben in der Welt angericht, Fürſten und Herrn zuſammen gehetzt, 
degwegen dann er ewig verdampt jey und in der Hell fiße: aljo 
hab er in der Hell noch fein Ruh und lafje die Teufel mit feiner 
Heligion nit zu friden, richte allerley Uneinigfeiten und Auffruhren 
an, deßwegen dann ihn die Teuffel nicht dulden können oder 
wöllen, viel weniger jolt er auff Erd geduldet werden. Haben 
deßwegen ein Gericht von Teuffeln bejegt, darinn 12 teufelische 
Apojtel verordnet, unter welchen auch Yutherus an Judas Iſecarioth 
jtat gejejjen, und nach gehaltener Anklag und gegebenem Urtel der 
eilffte den zwölfften Yutherum in ſtuck zerreiſſen jollen (als jolte 
mans auff Erden allen Yutherifchen alfo machen), welcher arme 
Luther dann unter den Stleidern mit Ingeweid und Därmen voller 
Blut gefüllt geweſen. Als nu der eilffte Teuffel den Yuther jebund 
zerreijjen twöllen, jo fompt mit groſſem gejchrey der dreizehende 
erſchreckliche Teuffel herbey und greifft mit grofjem Grimm den- 
jenigen an, jo den Luther zerreiſſen jollen, und zerreijt denjelben 
in angejicht deß Volcks zu jtucken, daß ihm das Herb umd In— 
geweid vor die Füß gfallen, welchs mit groſſem Schrecken, Zittern 
und Zagen von dem umbjtehenden Volck augenjcheinlich gſehen: 
hernach alsbald von der Obrigkeit nachzufagen bey Yeibs und 
Yebens Straff verboten, aber doch durch etliche Nicodemos ge- 
offenbart worden. Daß aber die Hijtori wahr jey, iſt ſie von 
glaubwirdigen Perſonen in unterjchidliche vorneme Ort gejchriben 
worden. — Alſo vor etlich Jahren haben fie ein Comedi zu Coſtnitz 
gehalten und den Johan Huffen nochmahln verbrenen wollen: aber 
wie ein groſſer Brandjchad darauf entjtanden, iſt meniglich be- 
wußt. Deßgleichen zu Wien vor acht Jahren haben die Jeſuiter 
den Luther auch einmal verbrennen wöllen; es hat aber der ge- 
rechte Gott auch dißmal fein gerecht unjträfflich Urtel jehen lafjen 
und Durch den Luther ihr gantzes hochköſtliches, ja fürjtliches Coleg 
in Brand gejteeft etc.“ 

Troß der von den Jeſuiten gewählten Stoffe aber waren 


280 P. Bahlmanı, Das Drama der Fefuiter. 


ihre Dramen nicht etiva durchweg ernjt oder jteif: jelbjt in Stücken 
biblijchen Inhalts kamen nicht nur heitere Geſänge und Tänze vor, 
jondern auch 3. B. wenn leichtfertige Sünglinge vor ihrer Beſſe— 
rung dargejtellt wurden — jtürmifche Scenen voll Luſt und Ueber— 
mut, was jchon die häufig wiederkehrende Bezeichnung „Comico- 
tragoedia“ zum Ausdruck bringt. Vielfach wurde dem komischen 
Element auch durch luſtige Zwiſchenſpiele Rechnung getragen, welche 
die vorher vielleicht bis zu Thränen gerührten Zujchauer wieder 
aufheitern jollten. Ueberhaupt waren die Väter in der Anwendung 
komiſcher Motive nicht ſpröder als die Verfaſſer der fomijchen Zwifchen- 
jpiele in den Myſterien oder die Spanier, welche den Graziofo, 
etwa als „Penſiero“, auch im getjtlichen Drama auftreten ließen. 

bunte Reihe typischer Komdpdiengejtalten vom Sklaven und 
—— der jüngeren attiſchen Komödie bis zu den derben Ge— 
ſellen des deutſchen Faſtnachtsſpieles begegnet uns auch im Jeſuiten— 
drama wieder.) Die Ausſchreitungen aber, die ab und zu ſtatt— 
fanden, wurden von den Ordensoberen feinesivegs gebilligt: „Den 
Dramen, Komödien und Tragddien, welche ab und zu an ver- 
jchtedenen Orten von unferen Schülern aufgeführt werden, joll zu- 
weilen, um das Gelächter der Zufchauer zu erregen, vieles bei- 
gemischt werden, was mehr Mimen und Bofjenreißern als gottes- 
fürchtigen Mönnern geziemt; in Zukunft wird dafür zu jorgen 
jein, daß nichts Aehnliches gejchehe" lautet ein Monitum vom 
20. September 1631.?) Wie viel den Oberen an würdigen Dar- 
jtellungen gelegen war, zeigen u. a. auch die Schulgebräuche der 
oberrheinifchen Provinz vom Jahre 1664, twelche befagen >): „Nichts 
joll auf die Bühne gebracht werden, was nicht jorgfältig geprüft ift. 
Deshalb ſoll a) die Inhaltsangabe (argumentum) dem P. Neftor 
eingereicht werden, damit er fich mit feinen Beratern darüber 
bejpricht, ımd die Studienpräfetten jollen die Ausführung der 
Handlung lefen und entjcheiden, ob fie öffentlich aufgeführt werden 





1) J. Zeidler, Die Schaufpielthätigkeit dev Schüler und Studenten Wiens 


— 


(18. Gymnaſial-Programm Oberhollabrunn 1888) S. 34. 
>) Archiv für Geſchichte des deutſchen Buchhandels 6, 164. 


) Consuetudines inferiorum elassium, 7. (Pachtler, 3, 397 F.). 








een 





ID 


P. Bablmanı, Das Drama der eluiten. >28] 
und die ganze Akademie teilnehmen kann; b) bevor ein jolches 
Stück aber öffentlich aufgeführt wird, joll dies einige Tage vorher 
privatim vor dem P. Rektor und jeinen Beratern gejchehen, damit 
verbejjert twird, was zu verbejjern iſt. Sorgfältig jollen zumal 
die Zwijchenjpiele geprüft und feine Perſon in Frauengewand ein— 
geführt werden, überhaupt Yächerliches und Bofjenhaftes von unjeren 
Theatern fernbleiben. Arch die Dramen und Deklamationen, welche 
die Lehrer in den Klaſſen zur Hebung vornehmen,!) jollen von den 
P.P. Präfekten durchgejehen werden, und die Vehrer ſich in deren 
Ausarbeitung und Aufführung leiten laſſen und nur vom Präfekten 
vorgejchriebene Bücher benugen." ?) 
Antife Dramen wurden von den Jeſuiten nur in der erjten 
Zeit ihrer Bühnenthätigfeit aufgeführt,?) und auch jpäter felbjt 
von Ordensangehörigen gejchriebene Stücfe nur jelten wiederholt 
oder an mehreren Anjtalten dargejtellt. In der Regel waren die 
Lehrer der Rhetorik und Poetik, die das Stück zur Aufführung 
brachten, auch die Verfaſſer. Nach welchen Grundſätzen fie dabei 
verfuhren, lehren verjchiedene Schriften vun Ordensmitgliedern, von 
denen wir, ohne jedoch näher darauf einzugehen, hier anführen: 
Palaestra eloquentiae ligatae dramatica. Pars III. 
Nova editio priori [1657] longe correctior. Autore R. P. 
Jacobo Masenioe Soc. Jesu. Coloniae Agr., Joa. Busaeus, 1664 
(8%. Pauliniſche Bibliothek Münſter), pag. 1— 129. 
Lib. 1. De materia ac forma Dramatum. — Lih. 2. 
De implicationibus Dramatum. 


!) Bei derartigen Dramen gaben die Yehrer vielfach nur den Inhalt und 
Gang des Stüdes an und überließen die Bildung des Wortlauts den Schülern 
(vgl. oben ©. 275). 

”) gl. auch Memoriale 1655: Die Lehrer, welche die Aufführung 
abgeſchmackter oder nicht ſtreng firtlicher und frivoler Stücke geſtatten, und der 
Schulpräfekt, durch deſſen Sorgloſigkeit ſolches geſchieht, ſollen mit publica 
poenitentia belegt werden (Bram, Geſchichte des Kgl. Gymnaſiums zu Brauns 
berg Programm 1865] ©. 49). 

) So jpielten 3. B. die Wiener Jefuitenzöglinge im Jahre 1554 eine 
Komödie des Euripides (F. B. v. Buchholtz, Gejchichte dev Negierung Ferdi 
nands I, Band 8. Wien 1838, ©. 188). 


282 P. Bahlmann, Das Drama der Yefuiten. 


Magistris scholarum inferiorum Societatis Jesu de ratione 
discendi et docendi ex Decreto Congregat. Generalis XIV. 
Auctore Josepho Juventio Soc. Jesu. Francofurtin, Thomas 
Fritsch, 1706 (8°. Hof-Bibliothef München, Gymnafial-Bibliothef 
Nünjtereifel), pag. 6T—TD. 

Cap. 3. De Poemate Dramatico. — Cap. 4. De Tra- 
goedia. — Cap. 5. De Comoedia. — Cap. 6. De Mimis, 
Choreis et aliis rebus ejusmodi, quae dramatieis fabulis 
inseruntur. 

Bol. 8. v. Neinhardftöttiier im Jahrbuch für Münchener Ge- 
ichichte, 3 (Bamberg 1889), 146 f. 

Bibliotheca Rhetorum praecepta et exempla complectens, 
quae ad poeticam facultatem pertinent, discipulis pariter ac 
magistris perutilis. Auctore P. Gab. Franc. Le Jay, Societatis 
Jesu. Pars II. Parisiis, Greg. Dupuis, 1725 (4°. Hof-Bibliothef 


Mimchen), pag. 521— 579: Liber de choreis dramaticis. 





Cap. 1. De Origine et Antiquitate Chorearum. — 
Cap. 2. De Definitione ae Natura Choreae. — Cap. 3. 
De Materia seu de Argumento Choreae. — Cap. 4. De 
Forma Choreae. — Cap. 5. De Tripliei Allegoriae Genere 
quod suam Choreae formam constituit. — Cap. 6. Quibus 
rebus adjuvetur imitatio quae ad Choreae naturam maxime 
pertinet. — Cap. 7. An Chorea Dramatica Cantum aut 
Declamationem sibi adjungi postulet. 
Vgl. E. Boysse, Le theatre des Jesuites. Paris 1880 
pag. 3T—D7. 
Institutiones poeticae ad usum Collegiorum Societatis 
Jesu. Auctore Josepho Juvencio, ejusdem Societatis Rhetorices 
Professore. Coloniae Agrippinae, Wilh. Metternich, 1726 (8°. 


Pauliniſche Bibliothef Münjter), pag. 55—84: De Dramate. 


Dap. 1. Definitio Poematis Dramatici. — Cap. 2. De 
Materia Poematis Dramatiei. — Cap. 3. De Forma Poematis 
Dramatici. — Cap. 4. De Partibus Poematis Dramatiei. 
— Cap. 5. De Choro in Dramate. — Cap. 6. De Sceenico 
Apparatu. — Cap. 7. Definitio Tragoediae. — Cap. 8. 
De Materia Tragoediae. — Cap. 9. De Forma Tragoediae. 


— Cap. 10. De Fine Tragoediae. — Cap. 11° Praeceptorum 
usus in scribenda Tragoedia. — Cap. 12. De Comoedia. 





P. Bahlmann, Das Drama der Jeſuiten. 283 


Dissertatio de Actione scenica, cum figuris eandem 
explicantibus, et observationibus quibusdam de arte comica. 
Auctore P. Francisco Lang Societatis Jesu. Accesserunt ima- 
gines symbolicae pro exhibitione & vestitu theatrali. Sumptibus 
Joan. Andreae de la Haye, Bibliopolae Academici Ingolstadii. 
Monachii, Typis Mariae Magdalenae Riedlin viduae, 1727. 
154 Seiten 8°. (HofF-Bibliothef München.) 

s$ 1. Quid sit Actio scenica, et de ejus praestantia. — 
$ 2. An ad Actionem requiratur Ars, vel sola Natura 
suffieiat? — $ 3. Quibus e Prineipiis petenda sit Actio 
scenica, et quae partes corporis potissimum ad illam bene 
sint instruendae. — $ 4 De Plantis & Pedibus. — 8 5. 
De Genibus, Lumbis, Genuflexione et Sessione. — S$ 6. 
De Brachiis, Cubitis et Manibus. — $ 7. Quomodo reliqua 
Actionis membra, oculi praeeipue et caput juxta perfec- 
tionem artis sint dirigenda? — $ 8. De aliis quibusdam 
observationibus Actionis scenicae, et potissimum cirea 
Affectus. — $ 9. Appendix quorumdam, quae praeter 
superius dieta quoad motum corporis observanda occurrunt. 
— $ 10. De Pronuntiatione. — $ 11. De Adjumentis ad 
Poesin scenicam et Artem dramaticam. — $ 12. De Arte 
scenica, ac primum de Dialogo. — $ 13. De Dramate in 
genere. — $ 14. De Comoedia et Tragoedia. — $ 19. 
De Unitate temporis ae loci. — $ 16. De Exhibitionibus 
scenieis. — pag. 107—154: Imagines symbolicae adaptatae 
‘xhibitioni & Vestitui theatrali.!) 

Bol. v. Reinhardftöttner ©. 61 f. 


Das Dichten eines Schaufpiels wurde jogar als Prüfſtein 
für die Befähigung eines Magifters ?) betrachtet. „Kaum glauben 

1) Angefertigt nah: Speculum imaginum veritatis oceultae, ex- 
hibens Symbola, Emblemata, Hieroglyphica, Aenigmata, omni tam 
materiae quam formae varietate exemplis simul ac praeceptis illu- 
stratum . . . Authore R. P. Jacobo Masen e Soc. Jesu. Coloniae Ubio- 
rum, sumpt. Joh. Ant. Kinchii, 1650. 3°. (Baulinifche Bibliothet, Münſter.) 

?) Magistri hießen diejenigen jungen Ovdensleute, welche nach Vollendung 
ihrer Gymnafialftudien und des philofophiichen Kurſus als Lehrer an einem 
Gymnaſium wirkten, bis fie nach Verlauf einiger Jahre zum Studium dev 
Theologie berufen wurden, 


284 P. Bahlmanı, Das Drama der Feſuiten. 


jollte man es" — jchreibt Kornova,!) der dem Orden bis zu deijen 


Auflöfung angehörte — „daß es unter den Jeſuiten, ſelbſt unter 
ihren Obern — Männer gab, welche den ganzen Werth eines 


Profejjors der niedern Schulen nach dem Schaufpiele beurtheilten, 
das er mit jeinen Schülern aufführte. Und was das jchlimmite 
dabey war, jo bejtimmte ihr Urtheil nicht etwa ein guter Plan, 
eine treffende Schilderung der Karaftere, ein pafjender reinlateini- 
cher Dialog, was alles von den Talenten des Verfafjers einen 
vortheilhaften Begriff hätte erivecfen können — Nein! ... Der 
Anzug der jpielenden Perſonen, die Deforazion, Theaterverände- 
rungen, Majchinerien, Tänze und etwa ein allegorijches Borjpiel 
gaben den Ausschlag." Dieſe Neuerung läßt auch die Stücke 
jelbjt in feinem guten Lichte erjcheinen und ijt deshalb jchon 
wiederholt als Bejtätigung der vernichtenden Kritik verjchiedener 
geitgenofjen, u. a. Buchers,?) angezogen worden, der gegen Schau- 
jpiele eifert, „wo es Sand regnet, daß die Leute vor Staub er- 
jticken möchten, wo Drachen, Teufeln und Höllengejpenjter zwijchen 
flammenden Feuerrädern paradiren, wo Henfer Köpfe wegjchlagen 
und allenthalben Leichen exjcheinen, . . . . wo man bellt, nicht 
Ipricht, wo Schtweigergarden griechifche Könige in ihren Gezelten 
bewwachen, wo Unfug für Kunſt und Wunderbares, prächtig gejtiefte 
Stleiver für Sentiments, geſchmückte Säbel und Federbüjche für 
wahre Dekorationen gelten müſſen, . . . . in welchen Trompeten 
und Paucken Eindruck, Belagerungen uud Schlachten Unterhaltung, 
und Dolche und Gift den Fall der Schlußcortine (des VBorhangs) 
hervorbringen mußten." Doch darf man nicht außer acht lafjen, 
daß ich alle derartigen Urteile nur auf die dramatijchen Arbeiten 
der Jeſuiten im 18. Sahrhundert beziehen, deren Fünjtlevijcher 

1) Ign. Cornova, Die Jeſuiten als Gymnaſiallehrer. Prag 1804, 
©. 116 f. — Ebenda ©. 110 klagt Cornova auch über „die jchulmeifterifch 
despotifchen schriftlichen Ausstellungen, die fih mancher Präfeft oft nur aus 
Verdruß erlaubte, daß der junge Mann etwas bejjeres gelernt habe, als den 
Bombaft der Avancini und den Unſinn der Kolczawa. 

?) (Ant. Bucher), Beyträge zu einer Schul- und Erziehungs-Gejchichte 


— 


in Baiern. München 1778, ©. 59 f. 





P. Bahlmann, Das Drama der Jeſuiten. 285 


Wert thatfächlich nicht hoch anzujchlagen war, während ihren 
Leitungen im 16. und 17. Jahrhundert niemand, ohne ungerecht 
zu jein, jeine Anerkennung verjagen fann.t) 

Bolljtändige Dramenterte, meijt in lateiniſchen? Berjen 
gejchrieben, find mehrfach, wenn auch verhältnismäßig nicht gerade 
häufig gedruckt worden; jo u. a. die Stüce von Fr. Benci (1542 
bis 1594), Youis da Cruz (1545 bis 1604), Bern. Stephont (1560 
bis 1620), Jac. Bidermann (1578 bis 1659), ie. Cauſſin (1585 
bis 1651), Dion. Petau (1583 bis 1652), Youis Cellot (1588 bis 
1658), Joſ. Simeons (1595 bis 1671),?) 3. B. Giattini (1601 bis 
1672), Sac. Balde (1605 bis 1668), Jac. Maſen (1606 bis 1681), 
ie. Avancinus (1612 bis 1686), Mart. du Cygne (1619 bis 
1669), Ch. de la Rue (1645 bis 1725), Fr. Noel (1651 bis 1729), 
Karl Stolezawa (1656 bis 1717), Baul Aler (1656 bis 1727), 
Gabr. Fr. Ye Jay (1657 bis 1734), Ch. Porée (1675 bis 1741), 
3. 9. Carpani (1685 bis 1762), Ant. Claus (1691 bis 1754), 
Fr. Meumayr (1697 bis 1775), Ign. Weitenauer (1709 bis 1785) 
und Andr. Friz (1711 bis 1790). Weit mehr finden fich dan 
der Vorjchrift, daß „die öffentlichen Aufführungen und alles, was 
in und außer dem Stolleg von Ordensmitgliedern gejchrieben wird, 
wie Dialoge, Reden, Verſe u. dgl., in ein Buch eingetragen werden 
jollen,"*) hHandjchriftlich noch in Bibliothefen und Archiven vor. 
gu den meisten Aufführungen aber jcheinen jeit dem Ende des 
16. „Sahrhunderts?) gedruckte Programme, Synopjen oder 





1) Bol. die Ausführungen v. Reinhardftöttners ©. 58 f., 69—65, 105 f. 

) In deutscher Sprache Haben wir — abgejehen von fjpäteren Ueber— 
jegungen und Andr. Brunners „Dramata sacra, Saltburg 1684 (Hof- 
Bibliothef, München)“, Die nicht hierher gehören — in mehr als 60 Bibliotheken 
nur einige Singjpiele gedruct vorgefunden. 

) Simeons’ Tragödien find eingehend befprochen von J. Zeidler, Studien 
umd Beiträge zur Gefchichte der Jeſuitenkomödie und des Klofterdramas. 1. 
(Theatergejchichtliche Forihungen IV.) Hamburg und Leipzig 1891, ©. 34—119. 

*) Regula Rectoris 16 (Pachtler 2, 272). 

°) Sieh u. a. E. Weller im Serapeum 25, 1864, ©. 176 und v. Rein— 
hardſtöttner S. 108 und 145, Anmerkung 34. — Nach Cornova (S. 105) mußte 
die Synopfis gedruckt werden, 


286 PB. Bahlmann, Das Drama der efuiten. 


Periochen genannt, verteilt worden zu jein, auf denen der Titel, 
die Fabel (Argumentum) und der Gang der Handlung verzeichnet, 
jehr oft auch außer den Spendern der Prämien (Praemiatores, 
Brabeutae) die Darjteller mit ihren Rollen, die Komponiſten des 
mufifalifchen Teiles und die Ordner der Tänze, fajt nie aber die 
Verfaſſer namhaft gemacht, und höchjtens die eingelegten Reim- 
jtücte ganz wiedergegeben find. Als Probe teilen wir nachjtehend 
eine Synopje mit, die wegen des dafelbjt wohl zum erjten Male 
dramatisch behandelten Stoffes bejondere Beachtung verdient. 


Bocoldus rei Hircantac) 
Das iſt: 

Johann Bocold, der gecrönte und nachmahls auff die alte Gaiß 
gejegte Schneider von Yeyden, König dev Wider-Täuffer zu Minfter. 
In einem Faßnacht-Spihl 
vorgeſtellet 
von dem Hoch-Fürſtlichen Collegio Hieronymi in Dillingen 
den 18. und 19. Hornung. Anno M. PCCXXI. 

Cum Facultate Superiorum. ?) 


Argumentum°):". ... ex Cornel. Hazart p. 3. Hise Ee- 
clesiast. *) 

Die Spihlende Perfohnen?): 7 Salii regi. — 8 Salii in 
choro primo. — Alphonsus et Normandonus, zwey verjtelt- 
Holländiiche Officier. — Bocoldus, der König. — Langstrattius, 
der Geheimb-Schreiber, welcher die Stadt verrathet. — Touscosor, 
Prophet der Widertäuffer. — Nivardus, ein verftelt-Holländijcher 
Dfftcier oder Spion. — Hilvers, ein neuer Prophet. — Moriander, 


stöniglicher Tiſch-Rath. — Knippenbroch et Krechting, zwey Hof- 
Miniſtri. — Knipperdolling, Königlicher Hof-Meifter und zugleich 





Scharpffrichter. — Corianus et Poccolinus, die zwey neu-erwöhlte 

Burger-Meiſter. — Menalcas et Dorylas, zwey Bauren. — Cantor, 

bey Sof. — Niclas et Thomas, die zwei abgejeßte Burger-Meifter. 
1) hireus = Bod. 


2) Gedrudt in der Bencardiihen Buch-Truckerey. 4 BU. 4°. (Hof 
Bibltothef, München). — Auf den beiden letten Blättern: Syllabus DD. Con- 
vietorum Collegii S. Hieronymi. Anno 1721. Ordine Scholarum et 
Adventus; am Ende: O. A. M. D. G. 

) Der Wortlaut des lateinischen Arguments und die Namen der Schau- 
jpteler und Sänger find hier nicht abgedrudt. 

*) 1668 in holländifcher Sprache erjchienen. 1701 von P. Udalr. Dirr- 
haimer S. J. ins Deutſche überſetzt. 





P. Bahlmanı, Das Drama der Jeſuiten. 287 


— Petrus, Lucas et Matthias, drey anfjehnliche Burger. — Naso, 
der Königliche Poet. — Fernandus, Bocoldi Yeib-Bage. — Prae- 
fectus Satell., Guardi - Hauptman. — Stipatores oder Guardi- 


Knecht. — Etliche Hauß-Bediente. 

Modulos musicos composuit R. D. Antonius Praelisauer, 
Domüs S. Gregorii Magni Vice-Praefectus & in templo S. ]. 
ad Michaälem Monachii Organaedus; Salios instruxit Nob. & 
Spectatiss. D. Joannes Richard Hujat, Acad. Artis Saltat. 
Magister. 

Personae musicae: Mercurius. — Phaebus oder Apollo, ein 
Borbild deß Biſchoffs. — Pan, ein Vorbild deß Bocold. — Faunus, 
ein Abgejandter deß Pan. — Luna. — Jupiter. — Mydas. — 
2 Fauni. — Epaphus. — Ganymedes. — 2 Filii Deorum. 


Allegorijcher Eingang. 


Die Wald-Götter als Abgejandte deß Pan erlangen durch Bey- 
hülff der jungen Favoriten bey “Jupiter, daß der Steinbod (in dejjen 
GSejtalt fich einjtens Pan verhillet) als König im Thier-Creiß, aller 
Protestation deß Phaebi ohngeachtet, ernennet wird. 


Theil l. 


Se. 1. Wegen vermeinten Abzug der Bijchöfflichen Trouppen wird 
ein nächtlichev Triumph zubereitet und von einem Propheten 
verfündet. 

Sc 2. Welchen Langstrattius hinder das Liecht führet und von 
Ubergab der Stadt mit denen verjtelten Bijchöfflichen Offi- 
cieren handlet. 

Se. 3. Indeſſen findet ſich Bocoldus mit feinem gantzen Hoff auff 
dem Platz ein, die Glückwünſchungen zu empfangen, befommet 
aber an deren Statt wegen Abwejenheit der Burger-Meifter 
eine Naajen, nicht ohne Chagrin und Argwohn feines be- 
vorjtehenden Fahls, welchen ex durch Abjeßung der alten 
und Erwöhlung neuer Burger-Meijter unwiſſend befdrderet, 

Sc. 4. Nivardus aber dem Königlichen Poeten unter einem Rätzlein 
von der Lana Caprina!) andeutet. 

Se. 5. Die in dem Ceremoniel unterrichtete alte Herrn Burger- 
meijter jtojfen auff die neue, und wurden ſchier wegen der 
Praecedentz mit ihnen handgemein, wann nit der König 
jih in das Mittel mit jeinem Außſpruch legete. 





1) Nätfel von der Ziegenwolle. 
Euphorion II. 19 


288 


Se: 
SC. 


Chor. 


Sc. 
Se 


SE; 


SC: 


Se. 


Se 


Sc. 
Sc; 


or 


PB. Bahlmann, Das Drama der SYefuiten. 


Durch welchen verbitteret Niclas mit Nivardo die Burger 
wider den König auffheßet. 
Nivardus wegen jeiner verdecten Ned verdächtig, wird von 
der Wacht auffgefucht: bey Hof aber zur Wahl eines neuen 
Superintendenten an jtatt deß vertribenen Bijchoffs ge— 
jchritten, darbey der H. Cantor und Poet nit wenig be- 
ichäfftiget. 
Pan exweijet jeinem erhöchten Stein-Bod gezimmende Chr, 
darbey er mit Apollo ſich in einen Streitt einlafjet def 
Vorzugs halber, jo ihme auch von Myda zugejprochen wird. 
Theil L. 
Hilvers, ein neu-gebachener Prophet, wird auff dem Weeg 
zur Wahl als ein Spion attrapiert nach Hof gebracht. 
Allwo er fin unjchuldig erkent mit Touscosor in einen 
hißigen Wort-Streitt von dev Lana Caprina gerathet und 
darbey handgreifflich den Sieg- Palm darvon traget. 
Nachdem das Räüätzlein alſo exkläret, juchet Bocold denen 
ichiffrigen SNtöpffen der Malcontenten ein Lindes Pflaſter 
auffzulegen, damit fie dem vorhabenden Triumph nichts in 
den Weeg legen. 
Zu welchen da Knipperdolling mit denen Burgeren, jo 
den König in der Still zu fangen juchen, Anſtalt machet, 
erheben fich Ihro Majeſtet in hoher Berjohn, doch al- 
Incognito, mit Moriander auff den Platz, umb die Ge- 
müther jeinev Vasallen außzujprechen ; diſe jubtile Liſt ihme 
aber mit grober Müntz von 2 Bauren bezahlet wird. 
Auß welcher Gefahr ihne glücklich dev Hof-Staab mit denen 
Officieren in der That errettet und mit bejjerem Nath an 
die Hand gehet, jo aber Langstrattio und jeinen Com- 
ploranten bejjer gelinget. 
Denen neuen Burger-Meiftern indefjen widerfahret in Schmidung 
eines Decret von Nivardo ein arger Poſſen, darvon auc) 
der Herr Cantor jeinen Antheil befommet. 
Moriander übet fich mit denen Stöniglichen Tängeren in einem 
Ballet, darinen auch Ihro Majeſtät jelbjt den Reyhen führen. 
Befinden fich aber grob douchieret von Knipperdolling, als 
welcher mitten durch die Stadt im Königlichen Triumph— 
Wagen daher pranget: diſen da jie als einen Neichsächter 
in Eijen und Band jchlagen lafjen, werden fie beynahe 
jelbft von denen Burgeren gefäßlet, und salvieren jich 
fiimmerlich mit der Flucht. 





P. Bahlmann, Das Drama der Fefniten. 289 


Chor. Apollo gewinnet endlich den Handel bey Jupiter wider den 
Pan und dejjen Steinbod, welcher dann abgejegt, Pan aber 
mit jenem Anhang zur billichen Straff gezogen wird. 


Theil II. 


Sc. 1. Die zwey Propheten werden abermahl gut Freund und ent- 

jcehliejfen fich, mit ihrer Gegenwarth den Triumph zu ziehren, 

Berjtehen aber von denen Hof-Herren, daß der König, wo 

nit gav massacriert, wenigijt verlohren jeye; finden ihn 

doch endlich in ſeiner Retirade, frifchen ihn auch zur Fort— 
jeßung deß Siegs-Gepräng defto leichter auff, weilen Lang- 
strattius, allen Argwohn von ich abzuwenden, die vebellijche 

Burger jambt denen Rädelführern gefänglich einziehen laſſet. 

Solche da er unter dijem Vorwandt auß Befelch deß Königs 

examinieret, bringet er jie auff jein Seiten: und werden 

auch denen übrigen Catholiſchen Gefangenen heimbliche Waffen 
beygebracht. 

Sc. 4 Die Burger-Meiſter indejjen verfügen fich zu denen Stadt— 
Porten, umb die allgemach anrucende Trouppen zu empfangen: 
werden auch jchon die Gefangne herbeygeführet. 

Sc. 5. Wird aber alles durch unverhofite Revolution hindertriben. 
Maſſen da Bocoldus den Knipperdolling als unjchuldig er- 
fennet und dem Triumph beginnet einen Anfang zu machen, 
äuffert fich mit dem bißhero verwirrten Handel die Yilt 
Langstrattii: die Stadt wird von denen Bijchöfflichen über— 
rumplet, der König mit feinem gangen Hof jpöttlich in die 
Gefangenschaft fortgejchleppet, mithin der Schneider auff 
die alte Gaiß gelebt. 


Sc. 


80) 
. 


SE 


os 


Anfänglich erſchienen die Synopjen nur in lateinischer Sprache; 
jpäter aber bediente man ſich entweder der Landesiprache allein, 
oder fügte dem lateinischen Texte ein oder zwei!) Weberjegungen 
bei. Nur lateinisch gejchriebene Synopjen lafjen mit Sicherheit 
auf eine lateinische Aufführung jchliegen; daß aber nicht auch 
jeder durchweg deutjchen Synopje ein deutſches Spiel entſprechen 
muß, beweilt 3. B. folgendes, in der Kölner Stadtbibliothef be- 
findliche derartige Programm: „Brutus. Ein Trauerjpiel . . . . 


1) 3. B. in Machen öfters eine deutſche und franzöfifche Ueberſetzung. — 
Synopſen nur in deutfcher und franzöfifcher Sprache erſchienen z. B. zu Bruntrut 
1720, 1721, 1722 und zu Freiburg in der Schweiz 1721. 

19* 


290 PB. Bahlmann, Das Drama der Feſuiten. 


in lateinijcher Sprach vorgejtellt von der fünften Schule bey 
den P. P. der Gejellfchaft Jeſu zu Trier, den 25. und 26. des 
Herbjitmonats 1771." Auch der gleichfalls zuerſt von Weller 
(©. 175) aufgejtellten Behauptung, daß bei zwei auf den Synopjen 
angegebenen Aufführungstagen nur ein Tag dem lateinischen Spiel 
gewidmet war, möchten wir nicht bedingungslos beipflichten: fejt 
jteht nur, daß in jolchen Fällen vielfach die erjte Aufführung für 
das Ordenshaus und die Studierenden, die ziveite für das Publikum 
bejtimmt war. Häufig follten wohl nur die deutjchen Inhalts— 
berichte der Menge der nicht gelehrten Zujchauer das Berjtändnis 
lateinischer Stücke erleichtern. 

Der Aufbau der Stüde war in der Negel folgender: 
Zuerſt kam ein Prolog, in dem die Zujchauer begrüßt und um 
Nachjicht mit den Schwächen der gut gemeinten Darjtellung ge- 
beten wurden. Die Handlung jelbjt zerfiel meijt in drei oder fünf 
Akte mit nur jelten gleicher Scenenzahl; dieſe Teilung war rein 
außerlich, lediglich bedingt durch das Gehen und Kommen der 
Handelnden und den Wechjel des Schauplages. Dem erjten oder 
häufig auch jedem Akte!) ging ein Vorſpiel (Proludium oder 
Prolusio) voran, das deſſen Inhalt allegorijch veranfchaulichte und 
vielfach mit Gejang oder Tanz verbunden war. Den Beſchluß 
der einzelnen Afte bildete ein Chorgejang, das Ende des Ganzen 
ein Epilog, der die Moral aus der vorgeführten Handlung zog 
und fich bei den Zujchauern für das gejchenkte Gehör bedanfte. 
Die beliebig eingejchobenen Zwiſchenſpiele (Interludia, vgl. oben 
©. 275 und 280 f.) behandelten entweder den Stoff des eigentlichen 
Dramas in anderer, hauptfächlich komiſcher Form oder jtanden mit 
diefem in gar feinem Zufammenhange. 

Die Einübung gejchah, nachdem der Studienpräfeft die 
Aufführung genehmigt, unter Aufficht und Leitung der Lehrer, die 
ich in den. Mußejtunden überhaupt häufig in den munteren Kreis 
der Knaben mijchten und an ihren Spielen beteiligten. Die oft 
bedeutenden und jchwierigen Rollen erforderten zahlreiche und lang- 


ı) Nur in Scenen find jehr wenige Stücde geteilt. 





P. Bahlmann, Das Drama der Zefuiten. 29] 


dauernde Proben, welche neben den anderiweitigen Vorbereitungen 
(Bejchaffung der Koſtüme u. ſ. w.) viel Zeit in Anfpruch nahmen 
und die Schüler von ernjter Arbeit ablenften. Dieſer nicht zu 
leugnende Nachteil, den aber durchaus nicht etiva nur die Dar- 
jtellungen der Sejuiten im Gefolge hatten, war auch der Haupt- 
grund, daß in Dejterreich die Schulfomödien durch die Eaijerliche 
Berordnung vom 19. Dezember 1768 abgejchafft wurden.!) 

Die Darjteller waren meiſt Schüler der fünften Stlaffe 
(Rhetorica), jeltener der vier übrigen Klaſſen und des Tyrociniums 
(der Borjchule), welche hauptjächlich die Tänzer und Statiſten 
jtellten. Die Zahl der Mitjpielenden, die mitunter jogar Ver— 
wirrung und Unklarheit in die Handlung trug, war durchweg eine 
hohe;?) troßdem aber konnten jelbit auf schlechter bejuchten An— 
jtalten nicht alle Schüler mit einer Rolle bedacht werden. Ge— 
wöhnlich erhielten die Kinder vermögender Eltern den Borzug: 
„se unparteiifcher” — jagt der Exjeſuit Cornova (©. 119—122) — 
„ein Lehrer in andern Kückjichten war, um jo weniger fonnte ex 
das in der Auswahl feiner Eleinen Schaufpieler immer fein. Die 
Ertheilung einer Rolle war freilich von jeiner Seite eine unit; 
aber allgemein betrachtete man fie gar nicht als einen jener Vor— 
züge, durch welche gemeiniglich der literärifche Fortgang belohnt 
wurde. Warum hätte der Lehrer angejehenen Eltern, die fich 
gern bejcheiden liegen, daß ihre Söhne, was Schulprämien md 
dergleichen betraf, ärmeren Mitjchülern, die aber bejjere Studenten 
waren, nachjtehen müßten, den Troſt verjagen jollen, den ihnen 
jo eine Theaterrolle gewährte? Und hat er ihn auch immer ver- 





1) In Preußen beftimmte 8 5 der Erneuerten Berordnung wegen der 
jtudierenden Jugend auf Schulen und Umniverfitäten vom 30. September 1718: 
„Die Comödien und actus dramatiei, dadurch nur Koſten verurſachet und Die 
Gemüter vereitelt werden, follen in Schulen gänzlich abgefchaffet ſeyn, dagegen 
aber die Jugend zum öftern peroriren auf andre Art angehalten werden.“ — 
Val. 2. v. Nönne, Das Unterrichtsweien des Preußiſchen Staates. Berlin 1855, 
©. 61. 

2) Bgl. z.B. Joh. Kelle, Die Jeſuiten-Gymnaſien in Defterreich. Prag 1573, 
S. 93 f. — Auf Aachener Synopfen find verzeichnet im Jahre 1692: 221 Dar- 
jteller, im Jahre 1720; 148 Darfteller. 


292 P. Bahlmann, Das Drama der Jejuiten. 


jagen können? Hatten die Obern jelbjt nicht manchmal Urjache 
zu Aufmerkjamfeiten fir ein gegen den Orden freundjchaftlich ge- 
jinntes Haus? War es ein Verbrechen, den Reichern durch dieſe 
fleine Gunft fir die Vorzüge einigermaßen jchadlos zu Halten, die 
er dem Aermern gern gönnte? . . . Hiezu Fam noch, daß mit der 
Uebernahme jo einer Rolle manchmal Koſten — etwa zu der 
Kleidung — verbunden waren, die der Arme durchaus nicht be= 
jtreiten konnte.“ 

Da nämlich dem Orden durch die Aufführungen feine Aus— 
gaben erwachjen durften, mußten vermögende Gönner!) und Die 
mitipielenden Schüler die oft nicht unbedeutenden Koſten tragen, 
welche die reichen Stojftüme und Deforationen jowie die 
erforderlichen Maſchinerien?) verimjachten. Eine Aufführung 
verfchlang nicht jelten mehr als 200 Athle., ein 1654 in Wien 
gejpieltes Stück jogar 4000 Gulden (Neinharditöttner ©. 149). 
Was wurde aber auch zuweilen an „Pomp und Pracht” geleiftet, 
was alles den Augen zum „Schauen und Staunen" geboten! 
Als Kaiſer Leopold I. 1660 zur feierlichen Huldigung nach Graz 
fan, gaben die Jeſuiten „Eujtach und Placidus“. Zuerſt erſcheint 
der Genius von Dejterreich auf einem Triumphwagen in den 
Lüften. Er jteigt zur Erde hinab und zieht als Jäger in Die 
Berge und Wälder. Da erfennen ihn die Untertanen jeiner 
Länder und huldigen ihm. Der Genius der Steiermark fährt nun 
einher, nimmt ihn in feinen Wagen und führt ihn in die jteirifchen 
Berge. Adler fliegen durch die Lüfte, Strauße (!) und andere 
Ihiere beleben die Wälder. Diana mit ihrem Gefolge bewill- 
fommt den Genius. Im Schaufpiele jelbjt gerät Euftachs Schuß: 
geijt in einen furchtbaren Kampf mit den Furien und hölliſchen 
Seijtern, die durch die Yuft daher geflogen kommen. Sie werden 
endlich befiegt, jtürzen aus der Luft zu Boden und werden von 


1) Diejelben beftritten vielfah auch die gefamten Koften und be Bi 
und bewirteten außerdem noch die Darfteller. 

?) Ein Verzeichnis der bei einem Wiener Fefuitendrama vom Fahre 1659 
porfommenden Mafchinerien ſieh J. E. Schlager, Wiener Skizzen aus dem 
Mittelalter. Neue Folge. Wien 1839, ©. 236—238,. 


P. Bahlmanı, Das Drama der Feluiten. 293 


den Drachen der göttlichen Rache erjchnappt und verfchlungen. 
Dann erjcheint wieder ein Schwan auf den Fluten. Als Sinn— 
bild des drohenden Unglücs jteigen greuliche Meeresgötter aus den 
Tiefen derjelben. Da erjchrieft der Schwan, jpreitet die Flügel und 
erhebt ſich in die Luft. Zephyre geleiten ihn über die Fluten hin in 
die Region der Wolfen. Endlich naht auch der Hirjch mit dem Kreuze, 
Eujtachs Geſchick wendet fich zum Glücke. Zum Schluffe ſchwebt 
eine Lorbeerkrone, von Genien getragen, durch die Luft. Unter diejen 
zieht, von Adlern gezogen, Dejterreichs Genius einher und empfängt 
den Lorbeerfranz unter Triumphgeſang der Bölfer.!) 

Seit der: Mitte des 17. Jahrhunderts, als die von Anfang 
an eingewwobenen Chöre nicht mehr genügten, wurde auch die 
Muſik in größerem Maßjtabe unter Leitung von Organijten und 
Sapellmeijtern zu Hülfe genommen. Nicht nur find die Geſänge 
durch Verteilung an zahlveiche Glieder des Chors kunſtvoller ver: 
Ichlungen, jondern es werden viele Geſänge geradezu als Arien 
und Necitative bezeichnet, mitunter jogar vollftändige Singipiele, 
Opern, gegeben. Häufig mögen alte geeignete Melodien angeivendet 
jein, vielfach aber auch ift — wie die Bermerfe auf den Synopjen ?) 
und die noch vorhandenen Voten zu manchen Stücken beweijen — 
die Mufif eigens fomponiert worden. Die Infjtrumental- 
Begleitung, welche auch für die mit Borliebe vorgeführten 
Tänze unentbehrlich war, bejorgte ein größtenteils nur aus dem 
Streichquartette bejtehendes Orchejter, das zuweilen durch Hörner, 
Oboen, Flöten und Fagotte verjtärkt wurde. ?) 


ı) Rich. Peinlich, Gefchichte des Gymmaftums in Graz. 2. (Programm des 
1. Staats-Gymnaſiums) Graz 1870, ©. 59; vgl. auch ebenda ©. 12 ff. die 
Schilderung des 1617 zu Ehren Ferdinands IT. aufgeführten Stückes. 

°) 3. B. in Wien 1677: Musicam composuit Joannes Casparus 
Kerll (Schlager ©. 240). Aehnliche Angaben finden ſich auf zahlreichen Synopfen 
befonders des 18. Jahrhunderts; ſieh oben S. 287. — Eine Aachener Synopfe 
bom Jahre 1733 enthält unter dem deutjchen Text der Gefänge dem Vermerk: 
Latinam Musicam Scena dabit. 

2) Vgl. A. Wiſſowa im Jahresbericht des Kal. kath. Gymnaſiums zu 
Breslau 1861 ©. 20; Weller S. 175; J. B. Trenkle im Freiburger Diözefans 
Archiv 2, 172, 


294 P. Stötzner, Ein gefchriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 


Nachdem wir noch bemerft, daß die Bühne meijt in der 
Aula des SKollegs oder in einen anderen geräumigen Saale 
(3. B. des Nathaufes), anfangs auch wohl bei großen Mafjen- 
vorjtellungen und geeignetev Witterung im Stollegienhofe oder auf 
dem Marktplatz errichtet war, glauben wir unjere Zufammenjtellung 
iiber das Drama des Ordens beſchließen zu dürfen, der nicht nur 
in den jchweren Zeiten des Dreißigjährigen Strieges Sinn und 
Lujt für das Schauspiel wach erhalten und vielen jpäteren Drama- 
tifern willfommene Stoffe geliefert,t) jondern in feiner dramatijchen 
Slanzperiode durch einzelne Mitglieder, wie L. da Cruz, 3. Bider- 
mann, N. Cauffin, 3. Mafen auch auf protejtantifche deutjche 
Schaufpieldichter, wie Andr. Gryphius (16161664), Zach. Lund 
(1608— 1667), Sigm. von Birken (1626—1681) bejtimmend ein- 
gewirkt hat.?) 


Ein geſchriebenes Liederbuch des 
ſechjehnten Jahrhunderts, 


Bon Baul Stötzner in Zwidan. 


Die Zwickauer Bibliothef, die an Handjchriften und Drucken 
aus dem 16. Jahrhundert veiche und jeltene Schäße birgt, galt jeit 
Ludwig Uhlands abjprechendem Urteile fin unbedeutend in Bezug auf 
Bolfsliederfammlungen. Woran es gelegen haben mag, daß der eifrige 
Forſcher von den Yiederjchägen, die zu Ende des 18. und zu Anfang 
des 19. Jahrhunderts als ein foftbarer Beſitz der Zwickauer Bibliothef 
gerühmt werden, nichts mehr vorfand, ift heute jchwerlich noch fejt- 
zuftellen; ſicher iſt nur, daß die genannte Bibliothek auch gegemwärtig 
noch eine schöne Muftfalienfammlung aus dem 16. und 17. Jahr— 
hundert beißt, in der die befannten Bolfsliederbücher des Reforma— 
tionszeitalters, DBergreihen, Gafjenhauerlein und Neiterliedlein, die 
Sind, Forſter und Dtt und andere vertreten find. Erſt in aller- 

!) v. Neinhardftöttier ©. 66 und 69. 


°) J. Bolte in der Zeitihrift der hiſtoriſchen Gefellichaft für die Provinz 
‚Pofen 3, 231. 





P. Stötzner, Ein gefchriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 295 


neuester Zeit ift man daran gegangen, diefe Schäße zu jichten, und 
es ift vorauszufehen, daß der Statalog der Miufifalien, den jest Muſik— 
direftor N. Bollhardt als Beilage zu den Mionatsheften fin Muſik— 
gejchichte veröffentlicht, nicht nur dem Muſikhiſtoriker, jondern auch den 
Forjchern auf dem Gebiete des deutjchen Bolfsliedes manches Intereſſante 
bieten wird. Eines der wertvolliten Yiederbiücher der Bibliothek, Die 
lange Zeit verloren geglaubten Bergreihen von 1531 und 1533, iſt 
bereits durch die von Kohn Meier veranftaltete Ausgabe (Neudrucke 
deutjcher Yiteraturwerfe Nr. 99— 100, Halle 1892) befannt gemacht 
worden; manches andere, jo vor allem die jeltenen Gafjenhawerlein 
(Frankfurt 1535), harıt noch der Veröffentlichung. Neben Drucken 
findet fich aber unter den Zwickauer Mufifalien auch viel Hanpdjchrift- 
liches ; nimmt darunter die firchliche Miufif den weitaus größten Raum 
ein, jo finden fich doch auch weltliche Yieder, vor allem eine Yieder- 
handjchrift aus dem legten Drittel des 16. Jahrhunderts, die meines 
Wiffens noch feine Beachtung gefunden hat, mir aber doch derjelben 
wert erjcheint. 

Dieſe Yiederhandjchrift, von der im folgenden das nähere mit- 
geteilt werden joll, ift auf der Zwickauer NRatjchulbibliothet im Muſi— 
falienfchranfe in der Mappe Nr. 103 aufbewahrt. Sie ift auf grauem 
Bapier in Querquart niedergejchrieben und enthalt lauter vier- und 
fünfftimmige Geſänge; von den Stimmen iſt aber nur der Tenor 
erhalten und fiir die fünfjtimmigen Yieder die fünfte Stimme (vagans), 
die übrigen find verloren. Jenes Tenorheft nun iſt an ein gedrucktes 
Singebuch derjelben Stimme angeheftet worden, nämlich an das 1. Buch 
von Antonio Scandellos canzoni Napoletane a IIII voci, das in 
Nürnberg 1566 erjchienen ift. Hierauf aljo folgt zunächſt auf 37 Blättern 
eine Sammlung von 54 vier- und fünfjtimmigen Yiedern, meijt mit 
deutjchen weltlichen Texten verjehen. Nur Nr. 33— 55, jowie Nr. 41 
haben italienifche, die beiden allerlegten Stompofitionen aber lateinijche 
Texte; Nr. 46 und 48—52 find mit deutjchen geiftlichen Texten 
verjehen. Blatt 37P umd die zwei folgenden Blätter find unbejchrieben, 
dann beginnt mit neuer Zählung (1—29) eine Sammlung lateinijcher 
Geſänge geiftlichen Charakters. Sämtliche Yieder jcheinen von einer 
Hand gejchrieben zu fein; von anderer Hand jtammen nur die beiden 
legten Nummern der erſten Abteilung (Nr. 53 und 54) her. Bon 
einem dritten Schreiber endlich ift eine Bemerkung gejchrieben, die 
unter Nr. 54 ſteht; es wird davon noch weiter unten die Nede jein. 
Zu Anfang der Lieder ift meift die Art des Satzes und der Name 
des Tonjegers angegeben, auf dem oberen und unteren ande der 
Seiten find häufig deutiche oder lateinische VBerje angeführt, deren Sinn 
zum Inhalte dev dort jtehenden Lieder paßt; ähnliches berichtet J. Bolte 





296 P. Stötzner, Ein gejcehriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 


vom Viederbuche der Herzogin Amalia von Cleve (Zeitjchrift für 
deutjche Bhilologie 22, 399). Das ganze Heft hat einen Bergament- 
umjchlag, der mit altertiimlicher geiftlicher Mufif bemalt iſt. Er trägt 
auf der Innenſeite mit Tinte gejchrieben die Bezeichnung TENOR 
und zweimal die Buchſtaben MENR. Die bereits erwähnte Vagans- 
jtimme iſt in gleicher Wetfe von derjelben Hand gejchrieben, wie die 
meijten Yieder des Tenorheftes. 


ir wenden uns num zum Inhalte der Handjchrift. Zunächſt 
jei bemerkt, daß eingehendere Betrachtung nur den deutjchen weltlichen 
Viedern zu Teil werden ſoll; die übrigen Bejtandteile dev Sammlung 
fommen nur in Betracht, joweit fie zur Beſtimmung der Zeit von 
Bedeutung jind. Die Handjchrift enthält folgende Yieder: 


. So will ih friſch vnd frölich fein. 
. Mitt Lieb bin ich vinbfangen. 
Bon deinetiwegen bin ich hie. 
. Ach hertigs Hert, mein jchmerg. 
. sch weiß mir ei fejtes gebawet hauß. 
. Schein vnß, du liebe Sonne. 
. Ah Gott, wen foll ich klagen. 
. Es woldt ein Jeger jagen. 
. Jram, ich verhoff in kurtzer Zeit. 
. Es flog ein Klein Waldtvögelein. 
. sch ftundt am einem Morgen. 
2. Ich joldt einmal ſpatziren gan. 
. Ach Edles Bildt, biß nicht jo wildt. 
. Elendt ich vieff vnd feuff jo tieff. 
15. Sant ſehr betrübt ift mir mein hertz. 
. Sant jehr betrübt ift miv mein ber. 
. Es ging ein Meder meyen. 
18. Den liebften bulen, den ich hab, thutt. 
19. Ah Edler Rebenfafft. 
20. Brih nicht an mir mein Zuvorficht. 
21. Leſtu miv nichts zur leßte. 
22. Ich bett mir fürgenommen. 
25. Recht inniglich ic) mir erweldt. 
24. Ah Gott, in meinem bergen. 
25. Her Edle Frucht, mitt ehr vnd Zucht. 
26. Im Meyen hortt man die hane frehen. 
27. Ich Ihwing mein Horn ins Jammerthall. 
28. Den liebjten Buben, den ich hab, der leidt. 
29. Man jagt woll in dem Meyen. 
see. pars: Nu biß mir Gottwillfommen. 
30. Ad Medlein fein, möcht es gefein. 
31. Großlieb hat mich vmbfangen. 
32. Ein Medtlein jagt mir freundtlich zu. 
36. Der Wein, der ſchmeckt mir alfo wolf. 
sec. p.: Das glaub ich gern, ich armes weib. 
tert. p.: O weib, es ift ein altes jprichwortt. 


we 


IHR 


TE 
OB ge>JloXo 


— 
U 09 


—— 
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P. Stötzner, Ein gefehriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 297 


37. Sit feiner bie, der jpricht zu mir. 
sec. p.: Mich durſt jo jehr, ſchenk dapffer ein. 
38. Das mir Niemandts holdt tt. 
39. Schon bin ich nicht, mein höchſter Hortt. 
40. Die brinlein, die da flieſſen. 
42, Kein lieb ohn leidt mag mir nicht. 
43. Den jchönften bulen, den ich hab, den hat. 
44. Itzt gehts am ein jcheiden. 
45. Wie ſchön blütt vnß der Meye. 
47. Wolauff, gutt gefell, von binnen. 

Trink- und Yiebeslieder bilden den Inhalt unjerer Sammlung 
wie der meijten anderen aus jener Zeit, mögen fie nun gejchrieben oder 
gedruct fein. Yeider ift aber von den meijten Yiedern nur die exjte 
Strophe gegeben, wie dies meiſt in den Stimmbüchern der Fall war. 
Wie ift aber die Sammlung zu Stande gefommen, woher jtammen 
die Yieder darin? 

ch glaube von vornherein in Abrede jtellen zu fünnen, daß 
man e3 hier einfach mit der Abfchrift eines gedruckten Yiederheftes zu 
thun hat. Man wird vielmehr eine ganze Reihe von gedruckten Samm- 
(ungen berücfjichtigen müfjen, aus denen unjere Handjchrift zufammen- 
gejchrieben ijt. So find die erſten jieben Yieder, jowie die Nummern 28, 
29, 31, 32 und 42 aus des Scandello neuen und luſtigen Yiedlein 
(Dresden 1570) entlehnt; bei den legten drei ift jedoch in der Hand— 
jchrift der Name des Komponiſten nicht genannt. uch die Nummern 34, 
35, 41, 48—50, die feine weltlichen deutjchen Texte haben, tragen 
jeinen Namen. Die Lieder S—12, 39 und 40 find von Ivo de 
Bento fomponiert; die erjten fünf jtammen aus dejjen, „newen Teutjchen 
Yiedlein, mit Fünff ftimmen, welche ganz lieblich zu jingen, vnd auff 
allerley Inſtrumenten zu gebrauchen“ (München 1569), die beiden 
legten aus den 1570 in München exfchienenen „newen Teutſchen 
Liedern, mit viern-, fünff vnd ſechs jtimmen“ desjelben Tonjebers. 
13, 18 und 36—38 tragen an der Spitze den Namen Chriftian 
Hollandus; jie dinften wohl der einzigen von ihm befannten Yieder 
jammlung entnommen jein, die 1570 in München hevausfam: Neuere 
teutiche geiftliche und weltliche Yiedlein, mit vier, fünff, jechs, jiben 
vnd acht Stimmen!). 14 und 19 jcheinen bejonderer Art zu ſein: 
jie tragen an der Spiße den Namen des Niederländers Jac. Clemens 
non Papa. Der ift ja als Verfaſſer geiftlicher Mufitwerfe auch in 
Deutjchland wohlbefannt, al3 Komponist deutjcher Yieder dürfte er ſich 
jedoch jchwerlich nachweijen laſſen. Nun findet ex fich aber bei Eitner 
(Bibliographie der Mufif-Sammelwerfe des 16. und 17. Jahrhunderts) 








') Siehe Gerber, meues hiftor.-biogr. Lexikon dev Tonkünftler, und 
Beder, die Tonwerke des 16. und 17. Jahrhunderts. 


298 P. Stötzner, Ein gejchriebenes Liederbuch Des 16. Jahrhunderts. 


unter den Tonjegern einer franzöfiichen Yiederfammlung genannt: 
l’vnciesme livre, contenant vingt et neuf chansons amoureuses 
etc. Anvers 1549; ex iſt in diefer Sammlung mit 8 Stompofitionen 
vertreten, während er ſonſt nur noch einmal als der Verfaſſer eines 
einzigen Yiedes erwahnt wird (Eitnev 1549r) Wir greifen daher 
wohl jchwerlich fehl, wenn wir jagen, daß die zwei Kompoſitionen 
Yr. 14 und 19 dem genannten Sammelwerfe entnommen und mit 
deutjchen Texten verjehen worden jind. Daß derartiges auch fonft 
gejchah, beweilt der folgende bei Goedefe 2, 42 angeführte Titel: 
„Blum vnd Außbund Allerhand Außerlefener Weltlicher, Yüchtiger 
Yieder vnd Nheymen . . . jo wol auf Frantzöſiſchen, als Hoch- 
vd Nieder-Teutjchen Gejang- vnd Yiederbüchlein zufammen gezogen... . 
Deventer 1602.” Das 15. Yied iſt aus des Jac. Meilandus „newen 
auperlejenen Teutſchen Yiedlein“, Nürnberg 1569 entnommen. Nicht 
möglich dagegen ift es mir gewejen, für die Nummern 16, 30, 43-—47 
die Herkunft zu ermitteln. Sie find von George Otto in Mufik 
gejeßt, der jeit dem Jahre 1588 Stapellmeijter in Kajjel war. Gerber 
a. a. D. nennt ihn nur als den Verfaſſer geijtlicher Kompofitionen, 
ebenfo Eitner in der Allgemeinen Deutjchen Biographie. Vielleicht hat 
man es hier mit noch ungedrucdten Yiedern dieſes ITonjegers zu thun. 
- Doch diefe Frage wird jpäter im Zuſammenhange mit der nach dem 
Alter der Handjchrift erörtert werden. Das 20. und 21. Lied hat 
Matth. le Maiftre gejeßt; vermutlich jind fie aus deſſen Samm- 
lung „©eiftliche vnd weltliche Teutſche Gejeng mit Bier vnd Fünff 
Stimmen, Wittenberg, 1566“, entnommen. Es bleiben nur noch 
er. 17 jowie 22—27 übrig; bei diejen ift der Tonjeger nicht genannt. 
Bei dem erjten diefer Lieder ift bemerft: ex Italico, die übrigen find 
ohne jede Angabe. Die Texte von Wr. 22, 26 und 27 finden ſich 
zwar jchon in älteren Yiederfammlungen ; joweit ich diefe habe vergleichen 
können, hat man es aber in der Hanpdjchrift mit neuen Kompofitionen 
zu thun. 

Während wir bezüglich dev Melodien unver Lieder meiſt jolche 
fanden, die um das Jahr 1570 im Druck erjchienen jind, jteht es 
mit den Texten unſrer Sammlung ganz anders. Sie lafjen fich in 
zwei Gruppen einteilen. Zunächſt treten uns Lieder entgegen, die fich 
während des ganzen 16. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreut haben 
müffen, jo oft find fie fomponiert und gedruckt worden. Hierher 
gehören: 3. „Von deinetwegen bin ich hie“, das fich jchon in den 
Bergreihen von 1536 und 1537 (Ausgabe von John Meier Nr. 47) 
findet. Die Handjchrift giebt leider, wie jchon bemerft, von den meijten 
Liedern nur die erſte Strophe; auch hier ift dies der Fall, doch ijt 
unten auf den Nand noch folgende Schlußftrophe gejchrieben worden: 


P. Stötsner, Ein gejchriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 299 


Der Vnß dieß Liedtlein Newe fang, 
jo woll gefungen hatt, 

Daß haben gethan Studenten 
Zue Leypzigk In der Stadt. 
Sie habens jo woll gefungen 

beim frifchen Külen mein, 

Dabey da ift gejeßen 

Einß Doctor Töchterlein. 

In den Bergreihen heißt es fir „Studenten“: zwen bauer; 
für „Yeipzig“: reybergf; fir „Doctorß“: wirtin. In Mittlers 
deutjchen Bolfsliedern (Frankfurt a. M. 1865) Wr. 662 fteht das 
nämliche Yied ; da find aber jtatt der beiden erſten Yesarten gejeßt: 
„zwen veuter“ und „Grimme“. Der Umjtand, daß drei jächjiiche 
Städte, Yeipzig, Grimma und Freiberg, genannt jind, beweift wohl, 
daß das Yied gerade in dieſen Gegenden jehr beliebt gewejen jein 
muß; daß es lange Zeit hindurch gejungen worden ift, geht aus den 
Duellenverzeichnijjen hervor, die Uhland und Mittler zu dieſem Yiede 
geben. 

Kr. 4. „Ach hergigs berg, mein ſchmertz“ findet fich bereits in 
Fincks Liederbuch von 1536 und noch in dem „Ertract aus Val. 
Haußgmanns 5 Theilen der teutjchen weltlichen Yieder“ von 1603. Co 
fommt Wr. 7, wenn auch mit Abweichungen, jchon in den Reuter— 
liedlin (1535), Nr. 8 in den Gafjenhawerlin (1535) vor, ebendajelbjt 
auch Nr. 11 und 21. Das lebtere Lied ijt weiter nichts als Die 
zweite Strophe des allbefannten : Entlaubet ift dev walde (Uhland 1,68). 
Kr. 22 und 40 find ebenfalls jchon in dieſer Sammlung enthalten, 
Jr. 14 in den „65 teutjchen Liedern“ (Straßburg 1536), Wr. 32, 37 
und 47 in Forſters Sammlungen von 1539 und 1540, Nr. 26 in 
Otts Liederbuch (1533), Nr. 31 in den älteften Bergreihen (1531) 
und Nr. 39 in Fincks Yiederbuch (1536); auch Nr. 27 fommt nach 
Uhlands Angaben bereits 1544 gedruckt vor. Endlich gehören hierher 
noch Ver. 18, 28 und 43, Trinklieder, die unter jich eng verwandt 
ind. Sch gebe zunächjt die Texte und jtelle den von Wr. 28 als 
den volljtändigjten voran: 


Den liebſten Buben, den ich hab, 

Der leidt beim Wirdt im feller, 

Er hatt ein holgerns Röcklein an, 

Er heit der Muscateller. 

Er hatt mich nechten trunden gemacht, 
Vnd frölich heutt den ganteu tag, 
Gott geb ihm heutt ein gutte nacht. 
Bon dieſem Bulen, den ich mein, 

Will ich dir baldt eins bringen, 

Es ift der allerbefte mein, 


300 P. Stötzner, Ein geichriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 


Macht mich luftig zu fingen. 
Friſcht miv das blutt vnd gibt freien matt, 
Als durch jein Krafft ond eigenjchafft, 
Nun grüß dich Gott, mein Nebenjafft! 
Nr. 43: Den fhönften Bulen, den ich hab, 
Den hat der wirbt im feller, 
Er hat ein rod mit reiffen an, 
Er bringt mi) vmb die heller. 
Das macht, er hat mir leider wol gefcehmedt, 
Je mehr ich trind, ie mehr ich magf, 
Wolt Got, wer ich bei Dir! 
Nr. 18: Den liebften Bulen, den ich hab, 
Thutt aus der Nebe entjpringen, 
Er hat ein höltzern Röcklein an, 
Macht mich luſtig u. f. w., wie Strophe 2 von Nr. 28. 
Wir haben es hier mit einem Yiede zu thun, das in älterer 
und jüngerer Faſſung vorliegt. Die ältere giebt Uhland in den Volks— 
liedern unter Ar. 214 A; fie geht auf Forſters frifche Yiedlein (1540) 
zurück, und muß damals jchon viel befannt gewejen jein, denn das 
betreffende Yied ift ein Quodlibet, eine im 16. Jahrhundert jehr beliebte 
Mufifgattung; zu jolchen Yiedern fonnte man aber nur allgemein be- 
fannte Yiederanfünge verwenden. Die Formen des Yiedes dagegen, 
die uns in der Danpdjchrift begegnen, find ſpäteren Urſprungs; Nr. 18 
fommt, jo viel ich jehe, zuerſt 1570 gedrudt vor in der jchon er— 
wähnten Sammlung des Chriſtian Hollandus, Wr. 28 in der auch 
ſchon genannten des Scandellus aus dem nämlichen Jahre, und Nr. 43 
iſt wohl überhaupt noch nicht in Druc gelangt. 
So fommen wir zu der zweiten Gattung von Yiedern, die erjt 
im legten Drittel des 16. Jahrhunderts in den Sammlungen auftauchen. 
Wir unterjcheiden hier jolche, die aus gedruckten Büchern entnommen 
find, und folche, von denen fich überhaupt fein Druck nachweijen läßt. 
Zu erjteren gehören folgende Nummern: 1, 2, 5, 6, 29, 42, die jich 
in Scandellus’ „newen vnd luſtigen Weltlichen deudjchen Yiedlein“, 1570, 
zuexjt finden; 9, 10 und 12 in vo de Bentos oben genannten Samm- 
ungen; 13, 36 und 38 bei Chr. Hollandus; 15 und 16, die denjelben 
Text haben, in ‘ac. Meilandus Yiedern; bei Ar. 20 fteht zu ver- 
muten, daß es zuerſt in le Maiſtre „geiftliche und weltliche Gejeng“ 
(1566) gedruct worden ift, und Wr. 45 dürfte nach den Duellen- 
angaben, die Uhland zu diefem Yiede macht, etwa derjelben Zeit ent- 
ſtammen. So zeigt jich denn, daß dieje als neuere bezeichneten Lieder 
jümtlich in den Jahren von 1566—1570 zum erſtenmal gedruckt 
worden jind. | 
Es bleiben nun noch die Lieder Nr. 17, 19, 23, 24, 25, 30 
und 44 übrig, von denen fich bisher fein Druck nachweifen oder ver- 


P. Stößner, Ein gefchriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 301 


muten läßt. Es mag mir daher geftattet jein, deren Texte im Anhange 
zu veröffentlichen. Finden ich unter diejen Yiedern auch nicht gerade 
hervorragende Blüten des Volfsgejanges, jo empfiehlt es ſich doch, fie 
befannt zu machen, um weitere Vergleichung und etwaige Nachweije 
über jonftiges Vorfommen derjelben zu ermöglichen. Es ſei auch 
gleich hiev bemerkt, daß ſich in dieſen Yiedern etliche ſchwer zu leſende 
und andere offenbar verderbte Stellen finden. 
Bon diejen Liedern entbehren 23—25 jeder näheren Angabe, 

19 trägt den Komponiftenamen des Klemens non Papa; bei 17 ift 
Ex Italico hinzugejchrieben, das heißt wohl, die Melodie ift einem 
italienijchen Yiederhefte entnommen. 30 und 44 endlich find von Georg 
Dtto der oben jchon erwähnt wurde, in Muſik gejegt. Dtto ift um 
die Mitte des 16. Jahrhunderts zu Torgau geboren, 1564 in Schul- 
pforta aufgenommen worden; ev war aljo 1570 etwa ein Zwanzig— 
jähriger. Es ift weiter von ihm befannt, daß er jich 1580 um eine 
Stapellmeijteritelle in Dresden vergeblich bewarb und ſpäter Stapellmeifter 
in Cajjel war. Daß weltliche Yiederfompofitionen von ihm gedruckt 
nicht vorliegen, jagten wir jchon oben. — Das leßte Yied unferer 
Handjchrift, Nr. 54, iſt ein lateiniſches Abjchiedslied mit folgendem 
Texte: 

Veni, novena turba psaltriarum, 

Melosque pange barbitonque pulsa! 

Conviva liberalis laetieia fruatur, 

Ut, eum necesse sit, redire malit. 


Darunter ift von jpäterer Hand bemerft: In memoriam Christoph. 
Nackij, cum ex ilustrji Academia Lipsiensj discederet, scribebat 
haec Mattheus Neander Coldicensis, tunc temporis Cantor in 
Borna. Ueber Chr. Nackius habe ich nichts ausfindig machen fünnen, 
über M. Neander aus Colditz in Sachjen läßt fich aber folgendes 
jagen: Neander (Neumann) aus Coldig iſt 1563 in Schulpforta auf- 
genommen worden; 1575 ilt er nach dem Dorfe Zöpen bei Borna 
als Pfarrer berufen worden umd dort 1605 geftorben. Das Kantorat 
zu Borna muß er aljo vor 1575 befleidet haben; ex ift jedenfalls 
unmittelbar vom Kantor zum Pfarrer befördert worden, wie dies bei 
jeinem Vorgänger in Zöpen, oh. Yankijch, feitfteht. (Siehe Sachjens 
Slirchengalerie 6, 74.) 

Aus dem angeführten ergiebt ich, dag Otto und Neander in 
Porta zufammen geſeſſen haben; unſere Liederhandichrift aber kann 
nach den oben gemachten Bemerkungen über deren früher jchon gedruckte 
Beitandteile nicht vor 1570 niedergejchrieben fein. Die Bemerkung 
hinter Nr. 54 hingegen zeigt, daß Neander dies legte Yied der Samm- 
lung jpäteftens 1575 gejchrieben haben muß. Was erhellt nun hievans ? 


302 P. Stötmer, Ein gejchriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 


Zunächſt erklärt jich jo das Vorkommen der jonft nicht nach- 
weisbaren Kompofitionen Dttos. Er und Neander haben zufammen 
in Pforta gejejlen, vielleicht auch jpäter in Yeipzig ftudiert. So haben 
wir in Dttos Yiedern jedenfalls Jugendkompoſitionen zu erblicken, die 
der Freund dem Freunde mitteilte. Daß fie in Yeipzig jtudierten, 
iſt zwar nicht ausdrücklich bezeugt; flv Neander aber, der aus Yeipzigs 
Nähe jtammte, jpäter in derjelben Gegend Kantor und Paſtor war, 
der einem Freunde beim Verlaſſen der Leipziger Hochjchule ein Abjchieds- 
lied widmete, ift das wohl als jelbjtverjtändlich anzufehen, für den 
anderen ijt es aus ähnlichen Gründen nicht unwahrfcheinlih. Es folgt 
aber weiter hieraus, daß unjer Liederbuch aus einem Kreiſe von Yeipziger 
Studenten jtammt, dem Made und Neander angehörten, der leßtere, 
bis er als Kantor nach Borna berufen wurde. Man wird jedenfalls 
an wenig Orten jo leicht wie in Yeipzig die neuejten Erjcheinungen des 
Buchhandels damals erhalten haben; jo erklärt jich, daß dem Yieder- 
buche, das, wie gejagt, bis zum Jahre 1575 niedergejchrieben fein 
muß, jo viele Yieder angehören, die erſt 1569 und 1570 im Drude 
erichtenen. Auch die oben zu Nr. 3 mitgeteilte Yesart des Schluß- 


verjes weilt uns auf Yeipziger Studentenfreije hin. Wir dürfen aljo 


wohl die Zwickauer Handjchrift als eine Art Studentenliederbuch an— 
jehen. 

Jüngſt hat 9. Pröhle in einem Auffage über das Gejelljchafts- 
lied (Wejtermanns Mionatshefte 1893) die Behauptung aufgejtellt, daß 
für die erjte Hälfte des 17. Jahrhunderts Yeipzig als Hauptſitz des— 
jelben anzujehen jei, die Zeit des Dreißigjährigen Strieges, „da dieſe 
Zeit von den Univerjitätsjtudien und der jchriftjtellerijchen Ihätigfeit 
der ſächſiſchen Dichter Baul Fleming und Gottfried Finfelthaus, auf 
welche es hier anfommt, ausgefüllt wird“. Wir jehen aber, daß auch 
ichon in der Zeit vorher, im legten Drittel des 16. Jahrhunderts zu 
Yeipzig ein reges Sangesleben geherrjicht hat: unſer Zwicauer Yieder- 
buch jcheint mir ein deutlicher Beweis dafür zu jein. 


Sch gebe nun die Texte der Yieder, die nach meinen Urteil 
überhaupt noch nicht gedruct find, mit möglichjter Genauigkeit. 


Wr. 17. ES ging ein Meder Meyen, 
woll vber die grüne heidt, 
was trud er auff fein Rüden 
ein eifen vnd das war breitt, 
damitt wolt er abmeien 
die Blümlein auff breiter heidt. 


P. Stötzner, Ein gefchriebenes Liederbuch des 16. Jahrhunderts. 


Ss Ile): 


Nr. 23. 


Nr. 24, 


Nr. 25. 


Euphorion II. 


Vnd auff der heyden 

Da fam ein ſchön Freulein, 
Das war gant woll gefleidt, 
Ey meder wiltu Meyen 

So zeug mit mir anheim, 
Ich wil divs woll belohnen, 
Ich bleib nicht gerir allein. 


Ah Edler Nebenjafit, 

wie wünſch ic) mir jo offt 

dein liebliche Kraft, 

die mich erquicken thut, 

macht mir frölichen mutt, 

Vnd frifht mir mein bludt, 

ich bin dir ſehr holdt 

für das fielber vnd für das Note goldt, 
du machft frölih Jederman, 

der deiner tugendt Recht kan. 


Trinck nicht fo viel, 

bald maß vnd Biel, 

der fich dein freut, Fan nicht traurig fein 
durch deinen jchein, 

Mic dünkt wanı ich dich erblid 

daß ich mich frölicher jchic. 

Dein lieber wein, 

bin ih dir feindt 

fo jterb ich heint 

Vnd der, der dich verfleindt. 


Recht inniglich ich mir erweldt 
alhie auff diefer Erden 

Ein Edle Frucht, die mir gefeldt, 
Vnd auch zw teil joll werden. 

in diefer Beitt mir freudt viel geitt, 
mitt ihr freundtlich zw Reden, 

Die Edtle blum, die grünet ſchön, 
Gott, laß mitt freuden leben. 


Ach Gott in meinem hertzen 

trag ich brinnende ſchmertzen, 

Tag vd nacht hab ich fein Rhu, 

Gott weiß woll weßmwegen ich ſolches thu. 


Her Edle frucht mitt ehr vnd zucht 
thuftu mich hardt befvenden, 

In lieb vnd trew wirdt ftetig Nem, 
die lieb viel bedenden. 


Bon bergen grundt tzu diefer ftundt 
haft mir mein hertz bejeffen 

darumb ich bitt gar heftiglic) 

du mwolft mein nicht vergeffen. 


503 


304 B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 


Wr. 30. Ach Medlein fein, möcht es geſein, 
im Büchten wird im Ehren 
das wer meint will heimlich md still 
vnß beide zuſammen fehren. 
Grüß Di Gott frü und jpatt, 
du haft mein her befeifen 
mitt gleicher lieb dich tu mir füg, 
jo wendt von miv mein fehmersten. 
Hirmitt bewar dich Gott, 
Ade, tzu gutter machtt. 


Nr. 44. Itzt gehts an ein jcheiden 
deß freiwet fich mein Sin, 
Ich ſchwing mid) Vber die heyden 
Es muß gefcheiden jet, 
der waldt der ift mic worden 
die Jungfrau iſt mie worden ſchön, 
Ade ich fahr dahin, Ade ich fahr dahin. 


Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 
Zum 19. März 189. 


Mitgeteilt von Bernhard Seuffert in Graz. 





„Todte Freunde, ſeyd gegrüßt!“ jchliegt Klopſtock die Ode 
„Erinnerung“, die er „an Ebert nach ſeinem Tode“ richtete. — 

Ich lege zur Erinnerung an den Todten, der vor hundert Jahren 
ſeine Freunde verließ, zwei Briefe vor. Wir grüßen Johann Arnold 
Ebert nicht als wahrhaft ſchöpferiſchen Geiſt noch als poetiſchen Genius. 
Aber wir gedenken ſeiner Verdienſte um die Verbreitung der engliſchen 
Literatur, die der Verfeinerung und Vertiefung der deutſchen Poeſie 
nützlich war. Und wir gedenken ſeiner als Freundes Klopſtocks und 
Leſſings. Mit jenem einigte ihn das Schwanken zwiſchen hochfliegender 
Empfindſamkeit und irdiſchfröhlicher Anakreontik; in ſtärkere Gegenſätze 
als Klopſtock ward er gezogen von Young und Hagedorn, die doch auch 
auf jenen, vielleicht gerade durch Ebert, wirkten. An dichteriſchem 
Vermögen ſtand er weit hinter dem größeren Freunde zurück; aber 
doch war er ihm der Liebſte, mit dem allein die übrigen Leipziger 
Genoſſen zu überleben Klopſtocks Zukunftsphantaſie ſich wiederholt 
ausmalte. Mit Leſſing) verband ihn die weitreichende literariſche 





1) Eberts Einfluß auf Leſſing ſchätzt Richard M. Meyer, Vierteljahr— 
ſchrift für Literaturgeſchichte 3, 311, höher ein als Erich Schmidt, Leſſing 2, 280. 


B. Seiffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 305 


Bildung, durch die er jchon feinen jtudentifchen Brüdern überlegen war ; 
und es zeigt Klarheit des Urteils, Verjtändnis fir Kraft und Schärfe, 
daß er dem Heimatlojen in Wolfenbüttel die Stätte bereitete. Was 
Leſſing an Ramler jchäßte, die Feinfühligfeit in metriſchen und jprach- 
lichen Dingen, bejaß auch Ebert in hervorragendem Grade; auch ex 
drängte jeinen Nat auf, ohne ſich aber zu jo jelbjtgefälliger Verbeſſerung 
der Dichtungen anderer hinveißen zu lajjen, wie der durch jtarfes Yob 
verblendete Berliner Freund. 

Gerade dieje Neigung machte Ebert auch zugänglich fin Wielands 
formale Kunſt. Mit ihm teilte ev überdies die Bewunderung der 
Engländer und der Griechen. Und Eberts Fähigkeit, Wielands Werke 
zu verehren, ijt ebenjo wie die Ihatfraft mit der er für Leſſing den 
Boden ebnete, ein Zeugnis, daß er troß andauernder Verbindung mit 
dem Jugendfreunde fein einfeitiger Klopſtockianer war. 

Einft war er gar dem Stlopftocjchwärmer Wieland zu frivol 
gewejen (Archiv für Yiteraturgejchichte 13, 488). Bald aber taujchten 
jie die Rollen. 1753 fam ein Brief Eberts den Züricher Freunden zu 
Hilfe, Wieland „in dem Guten zu jtärfen“; das hieß in diejem Falle 
zu verhindern, daß Wieland den Rückzug aus der Fehde mit Uz und 
der Anafreontif öffentlich antrete (Sauer, Deutjche Yiteraturdenfmale 
33, LVI; Hirzel, Wieland und Künzli ©. 132). Eberts Brief lieh 
Wieland feinen Zweifel übrig, daß, wenn ex jeine friechende Abbitte — 
jo nannten die Züricher die vecht vernünftige Erklärung —, daß, wenn 
er diefe Abbitte gethan, er es auch mit den vechtjchaffenen Deutjchen 
verdorben hätte. Solche Aeußerung jeßt voraus, daß Ebert von dem 
Vorhaben Wielands unterrichtet war, wenn der Brief nicht etwa nur im 
allgemeinen die jeraphijche Nichtung billigte und jein Inhalt nicht erſt 
von den eifrigen Seeljorgern des fallenden Engels auf dejjen neueſte 
jündige Anwandlung angewendet wurde. Diesmal aljv ließ fich Wieland 
noch „in dem Guten jtärfen“ ; er zog die Erklärung zurüc vor der Welt. 
In fich aber beharrte ex bei ihr und fein naher und fein ferner Freund 
fonnte hindern, daß er aus den Sphären zur Erde jtieg. 

Eberts Brief war vielleicht an Wieland jelbjt gerichtet ; wenigjtens 
bejaß diejer im Herbſte desjelben Jahres eine Zujchrift des Braun- 
ſchweiger Profeſſors, aus der ex Iſelin einen Auszug mitteilte mit dem 
jtolzen Bemerfen: „Es ift angenehm ruhmwürdigen Yeuten zu gefallen.“ 
Archiv für Literaturgejchichte 13, 190).!) Wie lange die Beziehung 
nachhielt, weiß ich nicht zu jagen. Wielands „Cyrus“, nach dem 


 ') Vielleicht ftammt die Verbindung aus der Zeit, da Wieland ans 
Carolinum ftrebte. Iſt der Brief Archiv für Literaturgefchichte 12, 605 an 
Ebert gerichtet ? Ich mage feine neue Vermutung, da ich hiev ſchon einmal 
irreging. 


20* 


306 B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Ebert. 


Muſter des von Ebert überjegten „Yeonidas“ eingerichtet, hat fie zu— 
nächjt enger fnüpfen fünnen. Daß auch Ebert dann wie die Schweizer 
an Wieland irre geworden jein jollte, fällt mir ſchwer zu glauben, 
immerhin jtand ev vielleicht damals noch zu jehr im Banne Klopſtocks, 
um den Dichter der „Komiſchen Erzählungen“ lieben zu können; ja 
dies ijt deswegen nicht unmwahrjcheinlich, weil er in jeiner „Epijtel an 
Herin Conrad Arnold Schmid 1772 im May,“ in der er jeine Stellung 
zu den lebenden Dichtern bejpricht, Wielands Namen nicht nennt. 

Erſt zu der Zeit, da Ebert fin Klopſtocks „Gelehrtenrepublik“ 
(nach) Munders Vermutung, Klopſtock ©. 446) beijtenerte, jchidte er 
dem dom Haupt-Aldermann angegriffenen Wieland einen Beitrag zum 
„Zeutjchen Merkur“: einen offenen Brief, der das Programm der 
Zeitſchrift dahin erweitern jollte, daß Gelehrte darin jederzeit die Fehler, 
die ihnen in ihren Schriften entwijcht jeien, jobald ſie diejelben entdecdten, 
anzeigen und verbeſſern könnten. Die Zufchrift ift pedantijch, wie der 
Herr Profeſſor des Garolinums nun eben war. tert bringt Ver— 
bejjerungen zu jeinen Ueberjegungen der Youngſchen Sativen und Nacht- 
gedanfen vor, deren drei durch Leſſings Hinweis auf die Fehler veranlaßt 
jeien; fündigt jeine Ueberjegung des „verbefjerten und vermehrten 
Leonidas“ an!) und teilt mit, daß dejjen Dichter ein neues Helden— 
gedicht „Athenais“ vollendet habe. (Teutjcher Merkur 1773 2, 87 ff.)?) 
Der Brief nimmt auf die Perſon des Adreſſaten feine Nückjicht, beweijt 
aljo für eine private Verbindung nichts. Doch bleibt ev auch jo ein 
Zeugnis für die unparteiische Stellung Eberts, der fich wenige Monate 
vor dem KHochgericht, das in Göttingen von den Klopſtockſchwärmern 
über Wieland gehalten wurde, mit einer Zufchrift an den Herausgeber 
des „Merfurs“ zu wenden frei genug war. 

Damals oder jpäter muß jich ein Briefverkehr zwiſchen beiden 
angejponnen haben. Suchte Ebert nach Leſſings Tod einen Erjag in 
Wieland? Sein Brief vom 20. Juni 1783 (Drviginal in der fgl. 
öffentlichen Bibliothek in Dresden) jeßt voraus, daß der Schreiber 
längere Zeit Antwort auf eine Wielandijche Zuſchrift ſchuldig jet. 
Ebert beginnt mit dem Bekenntniſſe, einer der fauljten lebenden Brief- 
jchreiber zu jein. Er habe jchon immer wieder jchreiben wollen, wie 
jehr er Wieland achte und danfe. „Noch jtärfer wurde die Verjuchung, 

1) Erichien 1778. 

?) Ebert macht auch auf einen Carton in der Bodiſchen Ausgabe von 
Klopftods Oden aufmerffam, über den ih in Munder-Pamwels Ausgabe der 
Oden nichts finde. Ebert citiert die Seite 245. Mir liegt nur ein Nachdruck der 
1771er Ausgabe vor: Oden / Hamburg 1771. / Bey Johann Joachim Chriftoph 
Bode. 228 ©. El. 8°, weßhalb ich die Stelle nicht ficher bezeichnen kann; fie 
wird aber in der 3. Strophe der „Kunſt Tialfs“ zu fuchen fein. 


— — 


B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 307 


als ich vor einiger Zeit Ihren wahrhaftig Goldnen Spiegel, (für 
welchen Ihnen billig, wie einem wahren menjchenfveundlichen Helden, 
alle vernünftigen Fürjten und Staaten Ehrenjäulen jegen jollten,) 
unjerer regierenden Herzogin und der Prinzeſſin Augufte, Schweiter 
des Herzogs, vorlas, — oder, richtiger zu reden, vorhielt. Das 
Vergnügen, womit ich diejes that, war eben jo groß, als das, womit 
ich das vortreffliche Werk zum erſtenmahle las; ja, noch größer.“ Dann 
habe er die Gejchichte der Könige von Schejchtan auch jeiner Frau 
und einigen andern gejchmadvollen Freundinnen vorgelejen, darunter 
den drei Töchtern Jeruſalems; das jei eigentlich noch mehr Genuß 
gewejen, weil dieje die Straft des Ausdrudes bejjer erfaßten als dic 
vornehmen Frauen, „ obgleich Sie, theuerjter Herr Hofrath, diejen zuerjt 
durch Ihre Schriften einen höhern Begriff von ihrer Mutterfprache 
und einen Gejchmac an derjelben beygebracht und Sich dadurch ſowohl 
um jene ımd alle ihre Anbeter oder Höflinge, als um dieje, höchſt 
verdient gemacht haben; ein Berdienit, das nun auch jchon andern 
ähnlichen, oder auch wohl geringern Schriftjtellern zu Statten kömmt, 
und wodurch Sie jchon allein auf die Yitteratur der ganzen deutjchen 
Nachwelt, auf den Gejchmad und die ganze Denfungsart der Großen 
und aller Derer, die von ihnen abhängen, und ee auch der Autoren 
jelbjt, einen mächtigen Einfluß haben werden. — Der goldne Spiegel 
machte der Herzogin jo viel Luſt, auch den Agathon zu lejen, daß 
fie, ob ich ihr gleich die Schwierigfeiten ihres Unternehmens zeigte, 
und mich exrbot, ihn nach dem Bejchlufje des erſtern, ih jelbjt vor- 
zulejen, doch nicht die Zeit erwarten fonnte.“ Die Herzogin habe den 
Roman verjchlungen. Er werde ihn aber noch vorlejen, wenn die 
Vorlefung des Oberon vorbei jei. Auch der Herzog fenne den Goldenen 
Spiegel. 

Ebert jpricht jein Bedauern aus, Wieland nicht perjünlich zu 
fennen. Leider werde er, wenn Wieland im Auguſt mit der Herzogin- 
Witwe, wie ev höre, nach Braunfchweig kommen werde, verreift jein. 
Aber da von Werther und Herder von der Neife nichts wüßten, jo 
jei das Gerücht wohl nicht wahr. Er müfje Wieland noch vor jeinem 
Tode fennen lernen. 

Der Ton des ganzen Briefes ift wie der Inhalt jehr höflich 
und verehrungsvoll. Wir finden den durch jeine Vorleſekunſt berühmten, 
in allen gejelligen Streifen beliebten Brofejjor als Verbreiter Wielandijcher 
Schriften. Es klingt faft, als ob ex ein Verſäumnis nachholen wolle. 
Reben „Dberon“, der gerade noch als Nenigfeit gelten mochte, werden 
viel ältere Brojawerfe zur Bewunderung hevvorgezogen. Und es ijt 
ſehr charakteriftiich fir Ebert, daß er noch mehr Wert auf die Vor 


trefflichfeit dev Sprache als auf den Inhalt legt. Wielands Kunſt, Die 


308 B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 


Sprache zu meiſtern, hatte ex eben auch in der Geburtstagsepiftel für 
jeine grau, gewiß jchon unter dem Eindrucke der Wirkung ſeines Vor— 
leſens, gerühmt. Den Anknüpfungspunkt, ſich darüber in dem Gedicht 
„Der 18. May 1783“ (Epiſteln und vermiſchte Gedichte 1789 1, 163 
ff.) zu äußern, gab ihm Wielands zweiter Brief an einen jungen Dichter; 
darin war die Tauglichkeit der deutjchen Sprache zu dichterifchen Zwecken 
gegen die der englijchen, franzöſiſchen, italienischen Sprachen herab— 
gejeßt (Teutjcher Merkur 1782 4, 63 F.). Ebert, nicht beirrt durch 
Wielands Bemerkung, daß er die „Vorwürfe eines ibertriebenen und 
den Ausländern mit Hecht lächerlichen Batriotismus“ nicht jcheue, ruft 
entrüftet aus: „OD Sind’ und Schande!” Das deutiche Hochgefühl 
war in dem Stlopftocfreunde nicht erſtickt worden durch die hingebende 
Beſchäftigung mit fremdländiſchen Schriften. Die deutſche Sprache, 
ſagt er, ſei doch Wielanden vor Tauſenden gewogen, er ſei außer 
Kuͤpſlok ihre jchönfte Strone „Weil ihren Ruhm und ihr Gebiet Sie 
auch durch ihn erweitert jieht. Durch ihn von ihrem Werth belehret, 
Merft nun das Ausland auf, und höret Sie ſchon mit Wohlgefallen 
an: Ja jelbjt der deutjche Ged, den Wahn Und Borurtheil bisher 
bethöret, Wird jchon zu ihr befehret, Daß ex ohn' Ekel leſen kann, 
Was jonjt fein zartes Ohr empöret; Und endlich hoch und theuer 
jchwöret, Daß jein melodijcher Gejang, Frey in des Sylbenmaßes 
Zwang, Und tanzend in des Reimes Stetten, Yeicht, wie der leichtjten 
Proje Gang, Und jeiner Proſe ſüßer Klang, Harmoniſch fait wie jein 
Sejang, Der Grazien und Amoretten Und Muſen Mutterjprache jey; 
Ja daß (und darauf will ex wetten!) och niemals die Kolifi- 
jchetten, Die Schatullidfen, Dindonetten, In einer ſüßen Melodey Und 
angenehmen Zändeley Bon Hejperillis [= italienische], Gallinetten 
[= frangöfische], — Hellenis [= griechifche Sprache] jelbjt, — gejpielet 
hätten.“ Die Stelle ift ein Seitenftüc zu dem mitgeteilten Briefe, 
beweilt, daß auch der „Amadis“ von Ebert bewundert wurde, und 
enthält eine jehr zutreffende Stennzeichnung von Wielands Stil, ſowie 
ein neues willfommenes Zeugnis der Wirkung Wielandifcher Dichtung. 
Möglich, daß die Epijtel eine der „Stleinigfeiten“ war, die Ebert jeinem 
Briefe beigefügt hat. 

Die erhoffte Freude, Wieland fennen zu leınen, ward ihm zu 
teil; Ebert fam nach Weimar.!) Ein reger Briefwechjel jchloß ſich 
auch daran nicht. Der zweite Brief Eberts an Wieland, dejjen Wort- 
laut Zr fenne, beginnt wieder mit der OSB EN des Schweigens. 








1) Schiller, Braunſchweigs ſchöne Literatur ©. 73 fagt, Ebert habe die 
— Anna Amalia „von Zeit zu Zeit auf — ——— in Weimar 
beſucht“. Er ſcheint aber nach dem Briefe von 1794 nur einmal nad Weimar 
gekommen zu fein, 


B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 309 


Er lautet nach der im Germanijchen National-Muſeum in Nürnberg 
aufbewahrten Handjchrift: 


Braunſchweig, 23. September 1794. 


„Ich fchreibe zwar eben jo ungern Briefe, als — Sie, mein theuerfter 
Herr Hofrath; denn Diefes Geftändnig habe ich aus Ihrem eignen Munde ge- 
hört; wiewohl dies große Beyfpiel feitden mein Gewiffen eben nicht jehr beruhigt 
hat. Was Ihre Abneigung völlig vechtfertigen kann, das kann die meinige nicht 
entjchuldigen. Einem Manne, der den erhabnen Beruf hat, an das ganze 
Publicum zu jchreiben, einem Wieland, einem Klopjtod, — denn auch Diefer 
gehört zu dem größten Nichtichreibern, Die ich Feine, ja ich zweifle nicht, daß er 
Sie ſelbſt hierin weit übertreffe; — ſolchen, ſage ich, muß man nicht zumuthen, 
daß fie ihre koſtbare Zeit, Die fie der Welt ſchuldig find, mit Brieffehreiben an 
einzelne Menſchen verſchwenden. Indeſſen giebt es Doch Fälle, in welchen auch 
der trägſte Briefſchreiber und der fleißigſte Schriftſteller es ſich zur Pflicht machen 
können, wenn ſie Gelegenheit haben, jemanden damit einen Liebesdienſt zu er— 
weiſen. In dieſem Falle befinde ich mich itzt. Der Hr. Dr. Fiſcher, ein 
Aztt hat mich .. . recht dringend gebeten, ihm, wanıı ev... 
nach Jena gienge . . . .. einen Brief an Sie mitzugeben, der ihm wenigſtens zu 
einem guten Vorwande dienen könnte, Sie, bey ſeiner Durchreiſe durch Weimar, 
perſönlich kennen zu — und Ihuen ſeine aufrichtige Verehrung zu bezeugen.“ 


Be. Er habe aus Dienftfertigkeit dem guten Manne jeine Bitte nicht ab- 
gejchlagen, zumal er jo bejcheiden fei, Wieland nur jehen zı wollen. 

„Damit würde ich mich nun freplich nicht begnügen, und auch, — Dauk 
ſey es Ihrer gütigen Freundſchaft, — nicht begnügen dürfen, wenn ich noch 


Einmahl in meinem Leben ſo glücklich ſeyn könnte, als ich in jenen unvergeß— 
lichen Tagen zu Weimar war. Aber dieſes zu hoffen, oder auch nur zu 
wünſchen, ſcheint mir in dieſem meinem faſt zweyundſiebzigjährigen Alter nicht 
bloß unbeſcheiden, ſondern unverſchämt zu ſeyn. Ich will mich alſo gern damit 
begnügen, und der Vorſehung dafür danken, daß ich Einmahl ſo glücklich geweſen 
bin; daß ich mich noch immer mit meiner guten Frau jenes Genuſſes wieder 
erinnern, — und wenigſtens in gheen Schriften noch mit Ihrem Geifte umgehen 
kann, umd mich dabey freuen darf, dar ich ihren vortrefflichen Berfaffer, den ich 
bordem, wann ich fie las, jo fehnlich zu kennen wünſchte, nun wirklich ferne, 
umd jogar jeiner Achtung und Liebe gewürdigt werde. Auch damit will id — 
oder richtiger zu veden, muß ich zufrieden jeyn, daß ich fie bloß in der leisten 

Duodez- Ausgabe von 1784—S7') lefen kann; (es verfteht fich, daß ich alle Die 
darin nicht begriffuen Werke, wie auch einige, die vorher ſchon im größerm 
Formate und jauberer gedruckt waren, auch befite;) und ich danke dem Himmel, 
daß meine alten Augen noch im Stande find, eins meiner liebjten — 
das auch in dieſem Jahre wieder unſer Reiſegefährt geweſen ift, zu leſen. Da 
ich aber nicht weiß, wie lange ſie es noch, wenigſtens ohne Hülfe einer Brille, 
ſeyn werden, jo kann ich nicht läugnen, daß ich jo, wie die meiften meiner andern 
claffifhen Autoren, auch meinen Wieland gar zu gern in größerer Schrift 
haben möchte. Noch mehr aber wünſchte ich, meinem Geſchmack, als meinen 
Augen, zu Liebe feine Werke noch in der Correctheit lefen zu können, die jene 
letste Hand ihnen zu geben vermag. Ich würde daher nicht haben unterlaffen 


ı) Wielands auserlefene Gedichte. Leipzig, Weidmann 1751 — 1787. 
1 DBde,, mit fehr Kleinen Lettern im Tafchenformat gedrudt. 


310 B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 


können, wenigſtens auf die dritte von den drey letzten Ausgaben zu ſubſcribiren;) 
(hat ſich doch eine Fürftin, die ich ferne, aber doch Feine von denen, die hier 
jind, nicht geſchämt, Ddiefe zu wählen;) wenn mich nicht eben das Alter, welches 
mir in Einer Betrahtung dazu rieth, im einer andern davon abgeichredt hätte. 
Denn wie wenige Theile kann ich wahrjcheinlicher Weife davon zu erleben hoffen ? 
Sch will alfo den jüßen Genuß diefer Ausgaben meinen jüngern Zeitgenoffen 
und unfern Nachkommen herzlich gönnen, und mich umeigennüßig freuen, daß 
der Himmel Ihnen, theuerfter Freund, Leben und Kräfte genug gefchenft hat, 
fie ihnen zu liefern. Sollte ich aber jo glüclich jeyn, noch einen oder den andern 
Theil davon zu jehen, jo würde ich mir diefe von denen, Die fie Gefäßen, aus- 
bitten, um Ihre VBerbefjerungen, die mir gewiß alle jehr merfwürdig jeyn würden, 
in meinen Ausgaben jorgfältig anzumerken. Zu jolchen rechne ich auch die von 
ein paar kleinen projodifchen Amvichtigkeiten, die Shnen im Feuer Ihrer Be- 
geifterung entwifcht find; die, wer gleich nicht Ihnen, doch Andern jchaden, 
und befonders im einem jo gelehrten, mit den Griechen jo vertrauten md ver- 
wandten Dichter ein gefährliches Beyſpiel werden können. So erinnere ich mich 
für Abydus = Abydus, für Diotima= Diötima, für Hyperion = 
Hyperion gefunden zu haben. ch weis wohl, dar ähnliche Fehler in den 
Namen Sphigenia, Alerändria, worin die vorlette Sylbe wegen des griechi- 
ihen Diphthongs S bey den Alten lang ift, durch langen Gebraud oder viel— 
mehr Mißbrauch faft feine Fehler mehr find, und daß Shafefpeare auch ein- 
mahl Hyperion jagt.?) Allen mit ſolchen Autoritäten werden Sie jene wohl 
nicht vertheidigen wollen. — 

Daß fie zwey von Ihren Schwiegerfühnen durch den Tod verlohren 
baben,?) hat uns jehr gedauert. Gott erhalte Ihnen und der Welt den noch 
übrig gebliebenen vortrefflihen Reinhold defto länger! ob es Ihnen glei auch 
bat empfindlich Eyn müſſen, ihn aus Ihrer Nachbarſchaft zu verlieren. Doch 
hoffe ich, daß Sie nun Ihre lieben Kinder einmahl in Kiel werden beſuchen 
wollen, und bey der Gelegenheit auch uns hier nicht vorbeygehen werden. Welch 
eine Freude würde das für uns ſeyn! Wenn Sie ſie aber mir noch gönnen 
wollen, ſo muß es freylich bald geſchehen. — Die Doctorin Reimarus, eine 
herrliche Frau, ſchreibt mir d. 20. September unter andern: „In 14 Tagen 
ſind Reinholds hier. Sie wiſſen auch, was der Mann werth iſt, und wie lieb 
man ihn haben muß. Warum find Sie nicht unter uns?“ — Allerdings 
wären wir herzlich gern auch mit da, wär’ es auch nur, um mit dem böfen 
lieben Mann vecht tüchtig zu ſchmählen, daß er, unſerer Abrede zuwider, auf 
ſeiner Reiſe, (die damahls noch weiter, nämlich bis Kopenhagen, gehen folkte,) 
bey uns nicht vorgefprochen hat, da wir ums doch auf diefen Beſuch fo lange 
und jo jehr gefreut hatten. — Empfehlen Sie uns dem freundichaftlichen An— 
denten des guten Wejens,?) dem wir, nächſt der Borjehung, die Erhaltung 
Ihres Lebens, Ihrer Heiterkeit und häustichen Glückſeligkeit, folglih auch jelbit 
die neue Ausgabe hrer Werke zu danken haben; — und dem gnädigen An— 


1) Im Dezemberhefte des Neuen Teutſchen Merkur 1793 hatte Göfchen 
die vier Ausgaben der Werke Wielands zur Prämumeration ee die 
von 1794 an erjchienen. Ebert nimmt nur auf die billigfte der drei Octav— 
ausgaben, die fogenannte „wohlfeile Ausgabe ohne Kupfer” Rückſicht. 

?) Achnliche Ausstellungen macht Ebert gegen Ramler, Vierteljahrſchrift 
für Literaturgeſchichte 4, 243. 

8) Schorcht und Liebeskind. 

Vgl. Keil, Wieland und Reinhold S. 325. 
Wielands Gattin iſt gemeint. 


4 


— 


5 


B. Seuffert, Zwei Briefe Johann Arnold Eberts. 311 


denken der erhabnen Olympia,!) die ji jo jehr darauf verſteht, ſelbſt glücklich 
zu ſeyn, und alles um ſich her glücklich zu machen, wie wir Gottlob aus eigner 
Erfahrung wiſſen; — und lieben Sie ferner den Ihrigen, 

A. Ebert.“ 


In einer Anmerkung iſt beigefügt, daß Dr. Fiſcher, der den 
Brief überbringen ſollte, erſt in einigen Wochen reiſen werde: „So 
lange kann ich nun meinen Brief, den ich nicht bloß für ihn, ob er 
gleich dazu Anlaß gegeben hat, ſondern auch für mich, geſchrieben habe, 
unmöglich warten lafjen.“ ?) 

Der Brief ijt chavafteriftiicher für Ebert als der erjte hier mit- 
geteilte und darum wollte ich nur die Ausführungen über Fiſchers 
Lebenslauf hier weglajjen. Eberts breite Umftändlichfeit — er wurde 
von Freunden als Yatitudinarius geneckt — tritt vecht deutlich zu Tage. 
Und SKorreftheit zeigt jich auch Hier als der Stern jeiner Kunſt und 
jeines Kunſturteils. Wieland, jelbjt als ein Anhänger Boileaus aufs 
Storrefte erpicht, hat denn auch den „Hypérion“ in dem Gedicht 
„Dlympia“ (Auserlefene Gedichte 1784, 1, 83) —— wie ein 
Vergleich mit der Ausgabe letzter Hand (fl. 80 Velin 9, 157) ergibt; 
freilich ift die Stelle jo jtarf verandert, daß man die Befeitigung der 
von Ebert beanftandeten Accentuierung faum als einzige Urjache der 
Umgejtaltung annehmen möchte; doch ijt Eberts Brief als Anlaß der 
Korrektur von Böttiger bezeugt (Viterarijche Zuftände und Zeitgenofjen 
1, 156). Ueber die beiden andern Worte jagt Böttiger nichts. Und 
die anjtößige Diotima blieb denn auch zweimal unberührt jo, wie fie 
in demjelben exjten Bande der Auserlefenen Gedichte (1784 1, 128. 
190) fich fand. — 

Wenigſtens an einer Stelle in Wielands Werfen wirkte Ebert 
über jeinen Tod hinaus. Damit jei dies Erinnerungsblatt gejchlofjen ; 
Karl Schüddefopf wird ein bejjeres Denkmal jeßen. 


k Herzogin Anna Amalia. 
Fiſcher hatte laut einem in Dresden erhaltenen Briefe vom 29, Dez. 1793 
an Wieland einen Beitrag zum Merkur gefendet; ex fcheint aber nicht aufgenommen 
worden zu fein. 


312 R. Steig, Ueber den Göttingiſchen Muſen-Almanach für das Jahr 1803, 


Ueber den Göttingifchen 
Alnfen-Almanud fir das Jahr 1803, 


Bon Neinhold Steig in Berlin. 


Es ijt befannt, dag Sophie Mereau den Göttingijchen Muſen— 
Almanach für das Jahr 1803 herausgegeben hat. Bon den Gedichten, 
die er enthält, tragt ein Teil volle Namensunterjchrift, die fibrigen 
jind mit Chiffern unterzeichnet. Karl Nedlichs „Berjuch eines Chiffern- 
lexifons“ kommt für diefen Jahrgang nicht in Betracht. Denn da 
dies Bändchen aus der langen Neihe der zulegt von Reinhard bejorgten 
Göttingiſchen Mujen-Almanache, als für fich allein beftehend, heraus— 
tritt, ließ Redlich es für feine Unterfuchungen abſichtlich bei Seite. 
Die Autorjchaft der Beiträge des Jahrgangs 1803 bleibt alſo jetzt 
noch fejtzujtellen. Es wird ich zeigen, daß die Dichter zwei verjchiedenen 
Gruppen angehören, die nur loje ſich berühren: in deren Mitte Sophie 
Mereau jelbjt und der noch jugendliche Mediziner Auguſt Winfelmann 
jtehen. 

Die erfte Gruppe weiſt — außer Sophie Mereau — eine 
Anzahl wohlbefannter Namen auf. Friedrich Majer, dev Miythologe, 
der jeit der Jenaer Studentenzeit mit Sophie Mereau freundſchaftlich 
verkehrte. Karl Stille, eigentlich Demme, Generaljuperintendent in 
Sophiens Geburtsſtadt Altenburg, neben ihr auch ſchon 1797 an W. 
G. Beckers „Erholungen“ beteiligt Bernhard Bermehren, Docent in 
Jena und jelbjt Herausgeber des Jenaiſchen Almanachs, zu dem Sophie 
auch beigetragen hat. Ihre ältere Schweiter Henriette Schubart, als 
Zagesjchriftjtellerin und Ueberjegerin jchottijcher Balladen nicht un- 
befannt. Amalie von Imhoff, die Sophie Mereau die Yegende vom 
Eliſabethbrunnen überließ, worüber Amaliens Yeben von Frau Henriette 
von Bilfing, ©. 53, Aufſchluß giebt. Frau Charlotte von Ahlefeld, 
geborene von Seebach. Und der Weimarifche Kanzler Friedrich von 
Müller. 

Die Teilnahme der beiden leßtgenannten Perſonen ift freilich 
erjt noch zu erweiſen. Sch beginne mit dem Kanzler von Müller. 
Der Almanach enthält nämlich vier Gedichte von einem Friedrich 
Müller. Goedeke und Graf York erklärten diefen Friedrich Miller für 


R. Steig, Ueber den Göttingiſchen Muſen-Almanach für das Jahr 1803. 313 


identijch mit dem Maler Müller, eine Anficht, die Seuffert in ſeinem 
„Maler Müller“ (©. 92) ſchon mit Necht ablehnte. Wer ſich — nach 
©. 184 des Almanachs — im jahre 1799 jelbjt noch einen Jüngling 
nennt, kann unmöglich der damals fünfzig Jahre alte Maler Müller 
jein. Es fragt jich aber, ob in den Gedichten diejes Friedrich Müller 
Momente aufzufinden find, die zur pofitiven Feitjtellung jeiner Per— 
jönlichfeit führen fünnen. Die Entjcheidung liegt bei den beiden 
Sratulationsgedichten auf S. 182 ff. des Almanachs, deren Ueber- 
ichriften lauten „1. Erinnerung. An Henriette. Den 6. Julius, 
1799“ und „2. Bergefjenheit. An Henriette. Den 6. Julius, 1802.“ 
Der 6. Juli (1773) aber ift der Geburtstag der Freiin Henriette 
von Egloffitein, vermählten Gräfin Egloffjtein und jpäteren Frau von 
Beaulieu-Marconnay. Auf deren väterlichem Gut in Franken war 
1779 Friedrich Müller, der nachmalige Kanzler, geboren und auf- 
gewachſen; Henriette und Müller bewahrten jich die Freundſchaft durch 
das Leben. Am Ende des Jahrhunderts jtudierte ex im Göttingen. Von 
hier, vom „Yeine-Strande“, wie es in dem erjten der Gedichte Heißt, 
jandte er, der „Jüngling“, ihr 1799 nach Weimar feinen Geburtstags- 
gruß als eine poetische „Erinnerung“ an die Tage der Kindheit und die 
Zeit, wo er ihr nahe war. Im Jahre 1801 ging er dann jelber 
nach Weimar als Negierungsbeamter, und jo fonnte er ihr zum 
6. Juli 1802 als einer in Weimar Anwejenden jeine Wünjche 
ausiprechen, daß ihr „Vergeſſenheit“ alles dejjen werden möge, was 
das Yeben — während der erjten Ehe — ihr Schweres aufgelegt: 

D du! die in des Yebens Dämmerungen, 

Zu uns aus jchön’ver Heimath ber gefandt . . 

D ſenk auch du des Lebens finftre Looje 

Auf ewig heute in der Fluthen Schooße — — 
Kein Zweifel alſo, daß Kanzler Müller und Henriette von Egloffitein 
die Perſönlichkeiten der beiden Gedichte find. Und jo enthalten dieje 
poetijchen Grüße, die eines tieferen Gefühles nicht entbehren, einen 
Beitrag zu der Jugendgeſchichte zweier ausgezeichneter Menjchen des 
engeren Goethe-Kreiſes. Henriette kannte natürlich Sophie Mereau, 
die damals, 1802, in Weimar wohnte und jelbjt zur Gejellfchaft der 
Frau von Stein Zutritt hatte. Aus ihren Händen wird Sophie, 
gewiß mit Müllers Einverjtändnis, die Gedichte für den Almanach 
empfangen haben. 

Mit diefen Damen verkehrte damals Charlotte von Ahlefeld. 

Bei Weimar geboren, hatte Charlotte von Seebach in jugendlichen 
Alter den holjteinijchen Gutsbejiger von Ahlefeld geheiratet, war aber 
unglüdlich geworden und lebte getrennt von ihm. Während eines 
vorübergehenden Aufenthaltes in Weimar, 1802 bis 1803, lehnte ſie 


314 N. Steig, Ueber den Göttingifchen Mufen-Almanac für das Jahr 1803. 


jich vertraut an Sophie Mereau an, die in ähnlicher Yage wie fie 
jelber war. Eine früh in ihr vorhandene Neigung zur Schriftitellerei 
jteigerte ich allmählich zu einer Art berufsmäßiger Bethätigung: fie 
hat — jtets anonym oder pfeudonym — eine lange Reihe von 
Nomanen, Erzählungen, gefannten und ungefannten Aufjägen gejchrieben. 
Ihre kleineren Gedichte faßte fie, doch ohne Vollftändigfeit zu erreichen, 
als „Gedichte von Natalie“ (Berlin 1808) zuſammen und gab jie, 
nur umnbeträchtlich vermehrt, 1826 zu Weimar als „Gedichte von der 
Berfafjferin der Erna, Felicitas, u. j. w.“ neu heraus. Sie find das 
Erzeugnis einer weichen, jentimentalen Stimmung, in Goethes oder 
Schillers Form gedrückt. Schmerz um den ihr fremd gewordenen Gatten, 
den fie noch immer glühend liebt, Herrjcht unter den Motiven vor. Bei 
Natur und Freundſchaft jucht ſie Deilung für ihr wundes Herz. Bon 
den an Freundinnen gerichteten Gedichten deute ich wenigitens zwei: 
„Die Noje im November. An Sophie B.“ und „Der Frühlingstag. 
Sophiens Schatten gewidmet“, ©. 124 und 140 der Ausgabe von 
1808, auf Sophie Mereau (Brentano), die „einem Frühlingstage 
lächelnd glich“, mit „tiefer nnigfeit und Güte“ die ftummen Schmerzen 
mit empfand, und nun jo früh (jeit 1806) im Grabe ruhe. Dieje 
Frau von Ahlefeld jah aljo 1502 Sophiens Almanach entjtehen: ihre 
Teilnahme an demjelben würde, falls fie hier oder auch anderswo 
hervorträte, als etwas Selbjtverjtändliches zu gelten haben. 

Nun steht im Almanach), ©. 99, ein vierftrophiges Gedicht mit 
der Ueberſchrift „Unter dem Yaubdach zweyer neben einander gewachjener 
Weidenbäume,“ unterzeichnet: Charlotte v. P. Zwei in Eintracht 
dicht verjchlungene Weidenbäume erwecen der Dichterin „Erinnerungen 
von eimem ſüßen, jchnell entfloh'nen Traum.“ So fejt habe auch ſie 
die Yiebe einft „mit dem ewig heiß geliebten Mann“ verbunden: 

Vorüber jchweben mir die frohen Scene, 
Genußreich einft, für dieß verwaiſte Herz, 
Bergangenheit — Div weih’ ich meine Thränen, 
Div gab ih Alles, nur nicht meinen Schmerz ! 
ie tagt für mich der Zukunft lichterz; Morgen, 
In Dämmerung verblich fein lieblich Roth, 
Der Hoffnung Stern bleibt ewig mir verborgen, 
Und mei Gefühl ift für die Freude todt! 


Das Gedicht deckt jich, wie man empfindet, in Stimmung und Gedanfen 
mit denen dev Frau von Ahlefeld ; das Berhältnis zu dem atten 
macht auch bier den inhalt aus. Desgleichen jtimmt die Form 
nach Bers- und Strophenzahl (16 umd 4), Fünffügigem Jambenbau 
und Wechjel von weiblichem und jtumpfem Neim. Die Sprache der 
beiden hier ausgehobenen Strophen hat zwar wenig Eigenartiges, doc) 








R. Steig, Ueber den Göttingiſchen Mufen-Almanad fir das Jahr 1803. 315 


bieten fich aus den „Gedichten“ (1508) ein paar merfwirdige Barallelen 
dar. Man vergleiche zu „der Hoffnung Stern“ die Verje 
19. Seitdem traten meiner Hoffnung Sterne 

In des Kummers finftre Nacht zurück. 


©. 27. .. durd graue Nebelwolfen blinfet 
Der Stern der Hoffnung matt in meinen Schmerz. 


0) 


S. 58. . . dem der Hoffnung goldnes Sterngefunfel 
In unerreihbar weite Ferne flieht. 
©. 71. Doch mit der Freiheit nicht entwich 


Der Hoffnung heller Stern. 


©. 116. rs ein Phantom, was mir entzückend blinfet 
Als Stern der Ahbndung dort in fremder Luft? 


Ebenſo erſcheint das Bild der „entfliehenden Träume“ in den Gedichten 
©. 28, 30, 99, 110, da3 Wort „verbleichen“ auch ©. 34, 38, 57, 
82, 84, 104; ich darf des Ausfchreibens der Stellen überhoben jein. 
Bon der Unterjchrift des Gedichtes im Almanach pafjen Vorname und 
Adelstitel auf feine andre Dame aus Sophiens damaliger Befannt- 
ichaft, als auf Frau Charlotte von Ahlefeld, und das „PB“ wäre 
auch Hier wieder pjeudonym gewählt. Mix gilt die Autorfchaft der 
Frau von Ahlefeld ſowohl für diejes wie für die jechs anderen, ebenfo 
unterzeichneten Gedichte des Almanachs als jicher. 

Dieje Meinung bejtätigt ſich miv auch von einer andren Seite. 
Im zweiten Bändchen des von Sophie Mereau 1802 herausgegebenen 
Sammelwerfes „Kalathiskos“ exjcheinen am Schlufje gleichfalls vier mit 
„Charlotte v. P.“ gezeichnete Stüce, ein projaijches und drei poetijche. 
Die Stimmung ift durchaus wieder die der Gedichte der Frau von Ahle- 
feld. Der in Proſa verfaßte „Feyerabend“ (Kalathiskos 2,209) verweift 
im Orundgedanfen und in wörtlichen Gleichflängen auf ihr Gedicht „an 
meinen Yieblingsbaum“ (1808, ©. 109). Noch greifbarer ift die Aehn— 
lichkeit dev Gedanken und der Worte, 3. D. das gemeinfame „faſſe Muth“, 
zwijchen der „Hoffnung“ (Kalathiskos 2,250) und der „Erſcheinung“ 
(1808, ©. 14). Auch dieje vier Stücde eigne ich Frau von Ahlefeld zu, 
und betrachte jie mit ihren Beiträgen zum Almanach als Zeichen ihrer 
1802 mit Sophie Mereau gejchlojjenen Freundſchaft. 

Dagegen jcheint die Beteiligung zweier anderen Autoren feine un— 
mittelbare, auf perjünlicher Verbindung mit dev Herausgeberin beruhende, 
gewejen zu jein. L. Thilo (©. 128, 175) ift offenbar derjelbe Thilo, aus 
Dejjau, der ſchon 1799 zufammen mit dev Mereau und Imhoff in Schillers 
Mufen-Almanach aufgetreten war. Dem Jena-Weimariſchen Kreiſe muß 
auch, wegen jeines Gedichtes über „Tieffurth“ (Göttingijcher Almanach 
©. 133), U. Miller zugehören. Vielleicht war ex jener Miller aus Leipzig, 


316 N. Steig, Ueber den Göttingischen Muſen-Almanach für das Jahr 1808, 


der noch 1799 Schiller Gedichte einjandte (Kalender ©. 46, 79), die aber 
gleich denen Y. Thilos (Calender ©. 78, 95; Urlichs' Briefe an Schiller 
S. 321) feine Berwendung fanden. Ich denfe, daß Sophie Mereau die 
Gedichte A. Millers und L. Thilos unmittelbar aus Schillers Handen, 
mit dem jie damals oft zujammenfam, für ihren Almanach em- 
pfangen habe. 

Sophie Mereau jelber hat jechs Gedichten des Almanachs ihre 
Kamensunterjchrift zugefeßt. Dieje Zahl muß, bei insgejamt neunzig 
Gedichten des Bäandchens, für die Herausgeberin jehr gering erjcheinen. 
Denn derartige Unternehmungen hatten neben der ideellen doch auch 
eine materielle Seite; und der Herausgeberin wäre nur ein unbeträcht- 
lichev Honorargewinn zugefallen, wenn fie fich wirklich auf dieje jechs 
Gedichte bejchränft hätte. Wir dürfen deshalb ihre Autorjchaft von 
vornherein auch bei einem Teil der mit Ehiffern gezeichneten Gedichte 
annehmen, Es fommt aljo darauf an, ihr anonymes Eigentum durch 
Unterjuchung auszumitteln. Im allgemeinen fünnen wir uns aus dem 
erjten, 1800 erjchienenen Bande ihrer Gedichtsjammlung ein Gefühl 
für die Eigenart ihrer Fleineven Boejien bilden. Beſonders aber 
fallen ihre von mir im jiebenten Stapitel von „Achim von Arnim 
und Clemens Brentano” veröffentlichten Yieder ins Gewicht, weil 
jte nicht viel jpäter, als die des Almanachs, entjtanden find. Ein 
Borteil war mir auch mein langer Umgang mit ungedructen Blättern 
ihrer Sand. 

Zunächſt ift Sophie Wiereau das „M“ unterfertigte „Sonnett“ 
(S. 65) und das „Lied“ (©. 72) zuzumeilen: das Lied Hat den 
Neim- und Wortklang anderer ihrer Gedichte, wie z. B. in „Arnim 
und Brentano“ ©. 91, das Sonnett zeigt Sophie als Schillers nach— 
ahmende Schülerin. Das Zeichen „M“ Hat im Text auch „das 
Vogelſchießen“ (©. 33), deſſen muntere, pointierte Ausdrucdsweile 
Sophie nicht übel ſtünde; das Vogeljchießen war eine von ihr oft 
bejuchte Luſtbarkeit bei Jena. Indeſſen ift im Ynhalts- Verzeichnis 
„das Bogeljchiegen“ unter der Chiffer „M—“ aufgezählt, zugleich 
mit einem zweiten längeren Gedichte „Yina an den Geift“ (©. 79), 
ein scheinbar umnbedeutendes Verſehen, das aber auf eine gemeinjame 
Herkunft der mit „M“ und „M—“ gezeichneten Gedichte ſchließen 
läßt. Die Strophen „Yina an den Geiſt“ fünnen aber, nicht bloß 
der Form, jondern auch der Tendenz nach, nur von einer Frau 
gedichtet fein, und zwar von einer Frau, die an die fittliche Gleich- 
berechtigung der beiden Gejchlechter glaubt, und doch die Liebende 
Hingabe des Weibes an den Mann mit einer alle Grundſätze durch— 
brechenden Entjchiedenheit verlangt. So dachte und handelte ja auch) 
Sophie Mereau; es fommt hinzu, daß die Orthographie von „bethete“ 


R. Steig, Ueber den Göttingiſchen Muſen-Almanach für das Jahr 18059. 311 


und die nterpunftion nach „ach“ oder „o“ in Mitten eines fortgehenden 
Sabes, wie ©. 84 

Drauf jagt ih: „o! vermweile 

Noch einen Augenblick“ x. 


mit den Schreibgewohnheiten Sophiens, wie jie jich in ihren hand- 
ichriftlichen Blättern zeigen, durchaus übereinſtimmt. Dieſe beiden 
Merkmale treffen auch für das mit „F“ gezeichnete „Gebeth“ (©. 41) 
zu, das jo deutlich das Gepräge Mereaufcher Dichtung trägt, daß es 
eines Hinweiſes auf die Aehnlichkeit des Stlanges in „Arnim und 
Brentano“ ©. 89, 91 faum bedarf. Damit jind auch die übrigen drei 
unter „F“ zufanmmengeftelten Gedichte für Sophie Mereau gefichert, 
was eine Betrachtung ihres Inhalts mit derjelben Notwendigkeit ergiebt. 
Zwei Gedichte mit dev Chiffer „Weit“: „An den Schlaf. Nach Mei— 
bom“ (S. 101) und „Die Nahmen. Beym Anblic der Schiffe im 
Hafen von D**“ (©. 121) fünnen ihr gleichfalls angehören. 

Dagegen jchreibe ich das mit „J-“ gezeichnete zo 
im Frühling“ (©. 42) mit Beftimmtheit Sophie Mereau zu. Mich 
bewegt dazu namentlich auch der Schluß des Gedichtes 


Und alle fügen Hoffnungen und Träume .. 
Berfinfen fterbend in dev Trennung Grabe! 


mit welchem man den Ausgang des Yiedes in „Arnim und Brentano“ 
©. 81 vergleiche 

finfen fterbend vor ihr nieder 

Frühlingsdüfte, füres Wähnen. 


Es folgen zwei Gedichte, mit „Julius“ unterzeichnet: „Pura“ (©. 66) 
und „Die Bettlerin“ (©. 135). Jenes, nach emem alten Yiede des 
Hans Büchler, hat etwas Herderifches in der Färbung der Sprache; 
das Gedicht von der Bettlerin, die um den treulojen Geliebten trauert, 
halt fich in dem von Sophie gern betretenen Stoffbezirt. Der Name 
„Julius“ ift gewiß als Chiffer aufzufaſſen, und nichts jteht im Wege, 
die beiden Stücke Sophie Mereau zuzumeifen. Cie hat auch die 
„Sehnjucht“ (©. 98), die „U—“ gezeichnet it, gedichtet: wiederum 
Ipricht eine Frau darin; das Zurücgleiten des ( Strophenſchluſſes zum 
Strophenanfang, wie c8 hier durchgeführt iſt, entjpricht einer Eigen- 
tümlichfeit Sophiens. 

Unter den bisher auf Sophie Mereau gedeuteten Zeichen tritt 
wenigjtens bei „Julius“ und „I—“, bei „M’ und „M—“ eine 
nicht auf Zufall beruhende Aehnlichkeit hervor. „M“ und „M—“ 
lehnen fich natürlich an „Mereau“ an, wie die ferner im Almanach 
fir acht Gedichte verwandten Zeichen „S“ und „S—“ auf den 


318 R. Steig, Ueber den Göttingifchen Mufen-Almanad für das Jahr 1803. 


Vornamen Sophie hinzuweiſen jcheinen. Dieſe Gedichte jind, bis auf 
des Sonett „Die Gottheit“ (S. 63), leichte in Diftichen gefleidete 
Gedanken, die allein zur Füllung leerer Seiten dienen. Aber gerade 
in der — wieder von einer Frau gedichteten — „ottheit” verrät 
jich Sophiens Art; auch der einfilbige Gebrauch von „find't“ hat in 
ihren Gedichten, 3. B. „Arnim und Brentano“ ©. 88, jeinesgleichen. 
Als Gedichte einer Frau, wie namentlich aus dem „Beſuch“ (©. 107) 
hervorgeht, stellen ich auch jechs durch einen bloßen Strich „—“ 
gekennzeichnete Stücde dar, mit einer Ausnahme wieder Diftichen 
und fleine Lückenbüßer; alles ſpricht dafür, daß auch diefe ſechs Gedichte 
Eigentum Sophiens find. 

Es ergeben fich aljo, die nicht ganz ficheren Stücke mitgerechnet, 
im ganzen 34 längere oder kürzere Gedichte für Sophie Merean. 
Diefe Summe stellt, auch vaumlich überjchlagen, ein jchiefliches Ver— 
hältnis für die mitthätige Teilnahme der Herausgeberin des Almanaches 
dar. Da man aber in Almanachen gern den Schein einer größeren 
Mannigfaltigkeit erregte, begreift es fich, daß Sophie neben ihrer 
Namensunterjchrift eine Anzahl Chiffern wählte. Aus demfelben 
Grunde jind auch die Beiträge des der Zahl der Gedichte nach ihr 
am nächjten fommenden Poeten Auguſt Winfelmann verjchieden unter- 
zeichnet. Seinen Anteil fejtzuftellen, leiften uns erhaltene Papiere 
(teils noch im Nachlaß Achims von Arnim, teils durch Varnhagen auf 
die Stönigliche Bibliothef Berlin gefommen) erwünſchte Hilfe. Dieje 
Papiere gewähren zugleich einen Einblick in die Entjtehungsgejchichte 
des Almanachs. 

Auguft Winfelmann, der Neffe des Dichters Yeifewiß, aus 
Braunſchweig, jtudierte am Ende des vorigen Jahrhunderts in Jena. 
Obwohl Mediziner und Naturwiljenjchaftler von Fach, war er doch 
allgemein-Literarijchen Snterefjen zugewandt. Seine erjten dichterijchen 
Verfuche gab er unter dem Zeichen „A“ in das 1800 erſchienene 
Journal „Memnon“ feines Yandsmannes und Jugendfreundes Auguft 
Klingemann. Er zählte in Jena zu den jüngeren Bekannten der Frau 
Sophie Mereau. ch glaube, daß er für ihren Salathisfos, in dem 
auch ein anonymes Fragment über Wilhelm Meifter von Clemens 
Brentano jteht, das „W— e“ gezeichnete Gedicht (2,49) geliefert hat. 
Es wäre alsdann dies „W—e“ für „W—n“ verdruct, gerade wie 
im Godwi (2,450) für ein faljches „A. W — ne“ vielmehr „AU. W—ın“ 
zu jegen iſt; und wer einmal Winfelmanns höchft undeutliche Hand- 
jchrift gejehen hat, wird fich über jolchen Setzer-Irrtum nicht ver- 
wundern. In Jena jchloß er auch mit Brentano und Saviguy, mit 
Arnim 1801 in Göttingen Freundfchaft. ine Reihe von Briefen, 
die die jungen Männer mit einander wechjelten, jind durch Arnims 


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N. Steig, Ueber den Göttingifchen Mufen-Almanah für das Jahr 1803. -319 


Fürſorge, der kurz nach Winfelmanns Tode 1806 in Braunfchweig 
war, erhalten. Winkelmann hat mehrere Phyſik und Medizin behandelnde 
Sachjchriften veröffentlicht, die leicht zugänglich find. Dagegen wäre 
jeine literarijche Thätigfeit als eine ganz neue hinzuftellen. Hand— 
jchriftliches Material jteht genügend zu Gebote und könnte leicht ver- 
mehrt werden; jeine gedruckten Berjuche aber jcheinen faſt verjchollen 
zu jein. Es wollte meinen Bemühungen bisher nicht gelingen, jeine 
(wahrscheinlich anonyme) Armenliteratur, etwa 1802, zu der möglicher- 
weije auch Clemens Brentano beigejteuert hat, und die (wahrſcheinlich 
auch anonyme) Gedichtsjammlung „Vergigmeinnicht“, 1806, aufzufinden ; 
auch Boutermefß Veſta enthält Beiträge von ihm. Er trug jich als 
junger Mann mit großen Plänen, die jich nicht erfüllten. Kurze Zeit 
war er Docent in Göttingen, dann Arzt und Brofefjor in Braun— 
ſchweig. Zwiſchen praftijcher und geijtiger Ihätigfeit ſich zerreibend, 
jtarb er bereits 1806, jechsundzwanzig Jahre alt.!) 

Winfelmann verkehrte zu Göttingen im Haufe des Buchhändlers 
Heinrich Dieterich. Bon diefem beauftragt, jchrieb er am 30. April 1802 
aus Braunfchweig an Sophie Mereau: „Mein Freund, der Buchhändler 
Dieterich in Göttingen, hat lange den befannten Göttingijchen Muſen— 
almanac) von Reinhard herausgeben lajjen, jetzt fich mit dieſem aus— 
einandergejegt und wünfcht jehr, diefem Unternehmen wieder aufzuhelfen. 
Er hat mir aufgetragen, Sie zu bitten, die Redaktion dieſes Almanachs, 
der vierzehn Galenderbogen in dem kleinen, Ihnen befannten Formate 
beträgt, für fünfzig Yonisdor zu übernehmen. — Für drei oder vier 
Bogen Habe ich Ihnen an Kleinen Gedichten, und eine Sammlung 
fleiner Elegien anzubieten; Sie fünnten leicht von Herder und einigen 
andern befannten Männern, von ihvem Freunde Fr. Schlegel Fleine 
Beiträge befommen, und einige meiner Freunde würden jich glüclich 
fühlen, Ihnen ihre Verſuche anbieten zu fünnen.“ 

Sophie Mereau, die jchon vorher am Göttingifchen Noman- 
Kalender beteiligt gewejen war, ging auf den Vorjchlag Dieterichs ein. 
Ihre Antworten fennen wir nicht. ES war ihr aber natürlich nicht 
möglich, die von Winfelmann angebotenen Beiträge abzulehnen. “Diejer 
wieder, der in engen Berhältnijjen lebte, benußte die Gelegenheit, ſich 
einige Einnahmen zu verjchaffen. Er jchrieb ihr am 26. Juni 1802: 
„sch Schicke Ihnen jo viel Gedichte fiir den Almanach, damit Sie eine 
dejto erträglichere Auswahl treffen fünnen. Sie wifjen, wie fich meine 
Eitelfeit zu meinen Verſen verhält — was Sie nicht gebrauchen fünnen, 
jenden Sie mir zurück — manches möchte vielleicht einige Exiſtenz 
durch Veränderungen befommen, um die ich Sie bitten möchte. Doch 

1) Die gewöhnliche Angabe, dag Winkelmann 1810 geftorben fei, ift ivrig. 

Eupborion II. 21 


320 R. Steig, Meber den Göttingifchen Muſen-Almanach für das Jahr 1803. 


würden Sie mich jehr verbinden, das Gedicht meines Freundes Eigener 
umd von mir den Eliſabethsbrunnen und Franz von Sicingen auf- 
zunehmen, welche die Freundfchaft mir wert) macht. Sagen Sie mit, 
ob Sie noch viel Manufeript nöthig haben — ob Ihnen auch über- 
jete Yieder der Minnefinger gefällig find.“ Später jandte Winfel- 
manı eine neue Yieferung Gedichte: „ES ift mir lieb, noch dieſe Beiträge 
erhalten zu haben, da bejonvders die Fabeln und Epigramme zu einer 
Abwechjelung beitragen fünnten, Die das Publicum an diefem Almanache 
gewohnt ift.“ Sophie möchte fich von VBermehren einige Berje aus- 
bitten, die ev noch bei ihm liegen habe:!) „ob ich gleich glaube, Sie 
werden die mit Nienzi unterzeichneten heftigen Terzinen nicht gebrauchen 
fünnen. — Meine Herameter jind gewöhnlich jehr ſchlecht; die, welche 
Sie aufnehmen, haben Sie wohl die Güte zu corrigiren.“ 

Herder und Friedrich Schlegel haben nun freilich nicht zum 
Almanache beigetragen. Minnelieder fehlen ebenfalls. Von „G. Eigener“ 
enthält das Bändchen ein Gedicht: Die Dreh-Orgel eines Emigrirten 
(©. 69); es iſt augenfällig, daß Gebhard Eigner, Winkelmanns 
Jugendfreund von der Schule in Braunſchweig her, ſpüter auch Ober— 
bibliothekar in Wolfenbüttel, der Verfaſſer iſt. Auch „C. Bernoulli“ 
mit vier Gedichten — wie ich ſicher glaube, der Naturhiſtoriker 
Chriſtoph Bernoulli, der wie Winkelmann 1801 in Göttingen ſtudirte — 
gehört dem Kreiſe dieſer jungen Männer an; ſeine beiden Gedichte „an 
die Nacht” und „an Luna“ haben auch naturphiloſophiſchen Inhalt. 
Winkelmanns Unterſchrift trägt der „Eliſabethobrunnen“ (©. 145) und 
„Franz von Sickingen“ (©. 161) nebjt jechs — Gedichten. Franz 
von Sickingen hat den Vermerk „An Friedrich von **; es iſt Friedrich 
von Hardenberg (Novalis) gemeint, den Binfelmann in Jena fennen 
gelernt hatte; als der Geliebte, mit dem ex den Elijabethsbrunnen bejucht, 
mag Friedrich Schlegel zu verjtehen jein, an den auch noch Handjchrift- 
liche Verſe Winkelmanns vorhanden ſind. Mit „Rienzi“ gezeichnet 
erſcheint S. 189 die Sonettenfolge „Die Herbſtreiſe“: wie ein Jüng— 
ling, heimgekehrt, aus verſchmähter Liebe in den Kampf für die Frei— 
heit zieht. Die brieflich erwähnten Elegien, Fabeln und Epigramme 
Winkelmanns wären alſo unter den mit Chiffern verſehenen Beiträgen 
zu ſuchen. 

Nun hat ſich von den an Sophie Mereau überſandten Rein— 
ſchriften Winkelmanns ein einzelnes Blatt mit ſieben kleineren Gedichten 
erhalten: 


1) In dem Jenaiſchen Muſen-Almanach für das Jahr 1803, heraus— 
gegeben von Bernhard Vermehren, finden ſich ſechs Gedichte Winkelmanns. Ich 
vermute, daß ihm außerdem, nach dem unten S. 321 zu Sagenden, vier kleinere 
Reimereien angehören, die mit „NR“ gezeichnet find. 


R. Steig, Ueber den Göttingijehen Mufen-Alnanad für das Jahr 1803. 321 


1. Grabſchrift — abgedruckt im Almanach) ©. 177, unter- 
ichrieben „Winkelmann.“ Im erſten Hexameter ift „o Wanderer“ 
von Sophiens Hand in „o Wandrer“ geändert; den Hexameter Des 
letzten Diftichons hatte Winfelmann jo gebildet — es ijt von einem 
treuen Hund die Rede — 

Liegt bei dem Sterbenden hin und leckt ihm die zitteunden Hände, 
woraus Sophie Mereau machte 
Legt zu dem Sterbenden fih und leckt die zitternden Hände. 
Mignon — unverändert im Almanach ©. 48, unterzeichnet „R.“ 
. Salläpfel — umerämdert ©. 71, unterzeichnet „N.“ 

4. Nean Paul. 
Krank ſei jedes Gefühl, das deine Dichtung erfreuet? — 
Welch’ ein Liebliher Ruhm Labung des Kranken zu IR 


SUR) 
: 


5. Novalis Nachahmer — unverändert ©. 176, unterzeichnet 
„R“; doch ift 3. 2 „drohn“ ſinnſtörender Druckfehler fiir die hand— 
jchriftliche Form „drohe.“ 
Dich vergleich ich der Eiche! Die einſt den ſiegenden Helden 
Reichte die Kränze, doch jetzt giebt ſie den Säuen die an 


7. Die Antifen in Paris — im Almanad) ©. 27, unter- 
zeichnet „NR“; 3. 2 ift „verbarg“ Druckfehler für die Handjchriftliche 
Form „verberg”; 3. 4 Hat der Drud „dieſes entweihende Volk“ 
an Stelle der handjchriftlichen Faſſung „diejes verächtliche Volk.“ 

Bon diefen Poeſien Winfelmanns hat Sophie Mereau den 
„Jean Paul“ und „die Politif“ nicht aufgenommen, was niemand 
ihr verargen wird. Es ergiebt jich aber aus der handjchriftlichen Auf- 
jtellung, daß „R“ ein jelbjtgewähltes Zeichen Winfelmanns ift, dem 
aljo jämtliche Stücke mit diejer Chiffer, jechs an der Zahl, angehören. 
Einen Schritt weiter führen briefliche Hinweifungen Clemens Brentanos. 

Brentano waren, infolge feines Aufenthalts in Jena-Weimar und 
dann, Sommer 1801, in Göttingen, jämtliche Dichter und Dichte- 
vinnen des Almanachs perjünlich befannt. Mit Winkelmann unter- 
hielt ev auch nach jeinem Fortgang von Göttingen einen emfigen 
Verkehr. Im Auguft 1802 fam Winfelmann nach Marburg, wo 
Clemens damals bei Saviguy wohnte, Courier geritten: in der Tajche 
eine Menge Gedichte für den Göttingifchen Mufen - Almanach. Cle— 
mens war aljo über alle Verhältniffe genau unterrichtet. Am 5. Ja— 
nuar 1803, als er das fertige Bändchen gelejen hatte, jchrieb ev aus 
Marburg ein wenig jpöttifh an Winfelmann: „Dein Gedicht an die 
Papiermühle gefällt miv am bejten. Es iſt mix vecht lieb, daß 
21* 


322 N. Steig, Ueber den Göttingifhen Muſen-Almanach für das Jahr 1803. 


meine nicht drin ftehen. Die Drehorgel lautet zu Stiechenmäßig, 
objchon äußerſt gedreht und georgelt, doch wie Orgeln angenehm, aber 
die Engellieder find immer jo abgedrojchen als abgedreht.“ Und bald 
darauf ausführlicher: „Der Göttinger Almanach enthält Gott jei Danf 
nichts von mir. Sage um Gotteswillen, wie fonnteft Du die unkeuſche 
Gräfin im jeidenen Bette jo blamiven, ein gar nicht herrliches Gedicht 
auf jie zu machen. Unter meinen Volfsliedern jteht eins, überjchrieben 
aus die beeden Antons: O heiſa nur luſtig, die Gräfin ift 
mein.‘ Savigny meint, das jei Noberts Baudeville, als ex die Gräfin 
im Simmel findet. Dein Gedicht die Bapiermühle it das beſte 
hier, und unter Deinen Gedichten, außer den vortrefflichen Liedern, 
die uns von Rienzi bevorjtehen. Bernhard wäre beſſer Gärtner 
geblieben als Abſchied zu nehmen ꝛc.“ 

Die „Papiermühle bey Weende“ (©. 36) hat Winfelmanns 
Namen, ſie ahmt im Eingang den Spaziergang Schillers nach, preilt 
die Dichter des Hains und feiert Yeifewig, den Dichter des Julius 
von Tarent. Die Nomanze von der Gräfin (©. 138), der im jeidenen 
Bette fchlafend das Bild ihres früheren Geliebten Robert erſcheint, 
gehört zu den mit „AR“ gezeichneten Gedichten. Von „Nienzi“ war 
bereits die Nede; der jugendliche Winkelmann wählte als glühender 
sreiheitsichwärmer den Namen des römiſchen Tribunen für feine 
politijchen Terzinen. Die Bemerfung Brentanos, daß „Bernhard 
bejjev Gärtner geblieben wäre als Abfchied zu nehmen“, deutet 
auf die beiden Gedichte „Der Gärtner“ (©. 75) und „Der Abjchied“ 
(S. 178), mit „Bernhawd“ unterzeichnet; daß Winfelnann ihr Ber- 
faſſer ift, bejtätigt jich durch innere Merkmale. Mit Borliebe jpricht 
er in jeinen Gedichten von der „jchönen Brujt“ oder dem „jchönen 
Buſen“ der Geliebten, die er feiert; man vergleiche im Almanach 
©. 49, 100, 139, 140. So gelangt auch der Gärtner zulegt glücklich 
zu dem „Buſen“ einer Freundin, im Abjchied ruht Winfelmanns 
Genius jtill an dem „blühenden Buſen“ der ihm entrifjenen Geliebten ; 
beide Gedichte jind Nachahmungen Schillers. Die Anfpielung auf die 
„Engellieder“ paßt allein auf das, wie im Memnon, mit „A“ unter- 
jchriebene Gedicht „Die lm“ (©. 55), wo auch der Ausdruck vor- 
fommt: „wie gute Engel gehen“ ; der Inhalt deckt fich mit dem des Ab- 
jchieds, der Schmerz um die gejtorbene Geliebte jolle jich in die Uebung 
des von ihr gewollten Guten löſen. Dasjelbe Zeichen trägt auch das 
Gedicht „Schwarzburg“, in dem er (©. 118) unter den ihm voran- 
gegangenen Lieben wieder Friedrich (von Hardenberg) erwähnt. Es gehörte 
eigentlich in eine Gejamtbetrachtung Winfelmanns, um auszujprechen und 
durchzuführen, daß ihm hier überall al3 „Geliebte“ die 1800 zu Oßmann— 
ſtädt bei Wieland verjtorbene Sophie Brentano vorgejchtwebt habe. 


nn —— ————— — ——— 


N. Steig, Ueber den Göttingiſchen Muſen-Almanach für das Jahr 1803. 323 


Alfo im Almanach fir 1803 gehören Auguft Winkelmann auch 
ale mit, VA, NR, Rienzi und Bernhard gezeichneten Gedichte an: in 
Summa 19 Stücke. Sie nehmen, die ſeiner Freunde zugerechnet, 
über 40 von den ca. 200 Seiten des Almanaches ein. Mit dieſem 
Teilverhältnis mag es zuſammenhängen, daß ſchließlich am 16. De— 
zember 1802 nur ein Honorar von vierzig Louisdor an Sophie Mereau 
abgejchiett wurde. Außerdem erhielt ſie ein in Seide gebundenes und 
zwölf gewöhnliche Exemplare. 

Sp wäre für ſämtliche Zeichen des Almanachs eine Löſung 
verjucht und gefunden. Es ergiebt jich das Nejultat, daß eigentliche 
Chiffern nur von Sophie Mereau und Winkelmann, nicht auch von den 
übrigen Beiträgern, verwendet worden find. Irrig iſt die Angabe bei 
Schindel (1, 124), daß Philippine Engelhard beigejteuert habe. Bon 
Clemens Brentano. befinden jich, mach feinen eigenen Worten, auch 
feine Gedichte im Almanach. Winfelmann jcheint, in feinem Auftrage 
vielleicht, Einiges von ihm angeboten zu haben ; am 3. Dezember 1802 
ſprach er der Herausgeberin über das Fehlen Brentanojcher Beiträge 
jeine Berwunderung aus: „Aber warum haben Sie des Klemens 
jchöne Yieder nicht abdrucken laſſen? Es ift doch feine Berwechje- 
lung jeiner poetischen Wahrheit mit jeiner unpoetiſchen Ummwahrheit ?“ 
Dadurch) wird aber Grifebachs im „Goethe'ſchen Zeitalter“ (1891, 
©. 112) geäußerte Meinung widerlegt, daß die „interejjante Nomanze“ 
auf ©. 79 unter der Chiffer „M—“, die den alten poetijchen Namen 
Brentanos „Maria“ bedeute, von diefem gedichtet jei: die Nomanze 
ift, wie wir jahen, Sophie Mereaus Eigentum. Sicherlich wäre Bren- 
tano gern mit einigen Gedichten vertreten gewejen. ber zwijchen ihm 
und Sophie bejtand damals eine jcharfe Berftimmung, deren Löſung 
nicht vorauszujehen war. Die dennoch bald darauf ſich anbahnende 
Verföhnung führte noch im Jahre 1803 zur Ehe. Sophiens neue 
Pflichten als Hausfrau und gejchäftliche Schwierigkeiten Dieterichs ließen 
jie nicht zur Weiterführung u Almanaches fommen. Der Jahrgang 

1505 enthält alſo ihre legte Sammlung kleinerer Gedichte. 


324 DO. Harnad, Zu Goethes Löwenſtuhl. 


Zu Goethes Löwenſtuhl. 


Bon Dtto Harnad in Nom. 


Einer jener Stoffe, die Goethe lang in jich gehegt hat, bis 
erſt nach mehreren Verjuchen die Gejtaltung gelang, war der „vom 
vertriebenen und zurückfehrenden Grafen,“ welcher in der allbefannten 
Ballade zur Darftellung gebracht ift. Schon im Dftober 1813 war 
der größte Teil diejer Dichtung vollendet; aber die zwei noch fehlenden 
Strophen fanden jich erjt im Dezember 1816 ein. Daneben gingen 
Berjuche den Stoff zu einem umfajjenderen, breiter ausgeführten Werf 
zu geftalten, umd zwar unter dem Namen des „Löwenſtuhls“. Zu 
zwei verjchiedenen Malen erwähnen die Tagebücher diefe Arbeit: zu- 
nächſt am 28. Dftober 1813, unmittelbar vor der dreitägigen Be- 
jchäftigung mit der Ballade, ſodann am 28. und 29. Juli und 
1, Augujt 1814. Dem entjpricht, daß fich auch zwei verfchiedene 
Entwürfe zu Ddiefer dramatischen Dichtung gefunden haben; beide jind 
im zwölften Bande der Weimarifchen Ausgabe (©. 294—299 und 
300— 307) nebjt den Yesarten (©. 421— 426) veröffentlicht worden. 

Karl Redlich, der Herausgeber beider Fragmente, Hat in der 
eseitjchrift der Nedaftoren der Weimarer Ausgabe ihnen einen Aufſatz 
gewidmet, der ſich indeß mehr mit dem erſten Entwurf bejchäftigt ; 
über den zweiten möchte ich hiev einiges jeinen Bemerfungen hinzu— 
fügen. 

Während der erjte Entwurf auf eine Operndichtung abzielte und 
jic) damit in die lange Neihe einfügt, die von den erſten Weimarer 
Jahren bis zum Abjchluffe von Goethes Theaterleitung veicht, zeigt 
der zweite deutlich ausgeprägt den Typus, den ſich Goethe im Alter 
fiir feine dramatifche Dichtung gejchaffen hatte. Ausführlich habe ich 
diefen Typus in dem Aufjage über „Pandora“ charakterifiert, welcher 
1893 im Juliheft der „Preußiſchen Jahrbücher“ erjchienen ijt.!) Er 
tritt zuerjt in dem Vorſpiel von 1807 auf und gewinnt feine volle 





) Als ich diefen Aufjat jchrieb, war mir ſowohl der „Löwenſtuhl“, als 
auch Redlichs Abhandlung darüber noch unbefannt, 





O. Harnad, Zu Goethes Löwenftuhl. 325 


Ausbildung in der Pandora und in Epimenides Erwachen; ev jpielt 
endlich auch in den zweiten Teil des Fauſt noch hinein; der „Löwen— 
ſtuhl“ iſt ein neues, jehr interefjantes Beijpiel. Das Charakteriftifche 
für diejen ift die Vereinigung von Elementen der griechifchen Tragödie 
mit denen der modernen Dper, — der Wechjel „eines in durchgehen- 
dem Versmaß gehaltenen Dialogs mit Iyrijchen Strophen verjchiedener 
Art, die aber nicht etwa einem Chor, jondern den handelnden Per— 
jonen jelbjt in den Mund gelegt werden.“ Ich kann Redlich nicht 
beiftimmen, wenn er (©. 23 der Feitjchrift) meint, es habe jich darum 
gehandelt, „gleichjam eine Oper ohne Muſik zu Schaffen, d. h. die Opern— 
mufif zu exjegen durch rhythmiſchen Wohlklang von der bunteſten Man— 
nichfaltigfeit“ ; denn wir wiſſen aus Goethes und Zelters Briefwechſel, 
daß der Yeßtere längere Zeit hindurch von Goethe ernftlich um Kom— 
pofitionen zur Pandora angegangen worden tft, und Daher dürfen wir 
annehmen, daß auch die Iyrischen Partien des Löwenſtuhls zu mufifali- 
ſcher Kompofition bejtimmt waren. Dagegen hat Nedlich richtig be- 
merkt, daß gereimte Verſe, die in der Lyrik der Bandora jo häufig 
jind, hier gänzlich fehlen. 

- Die durchgehende Form des Dialogs zeichnet fich in allen der 
genannten Dichtungen durch Schwere und Gewicht aus; der jechsfüßige 
wie der fünffüßige Jambus find in den Dienft einer Sprache gejtellt, 
welche in Wortwahl und Sabbau nach dem Wuchtigen und Maffigen 
jtrebt. So beginnt Epimenides mit den Worten: 

Uralten Waldes majeftätifche Kronen, 

Schroffglatter Felfenwände Spiegelflächen 

Im Schein der Abendfonne zu betrachten — 

Erreget Geift und Herz zu der Natur 

Erhabnen Gipfeln, ja zu Gott hinan. 
Und der Anfang des Löwenſtuhls lautet: 

Der großen Riegelſchlöſſer mächtige Bändiger, 

Die ehrnen Schlüffel, händiget ſogleich mir ein, 

Nachdem ihr dieſer Pforten frachendes Gewicht 

Auf feinen voftenden Angeln kräftig umgewandt. 
Um jo mehr fallt aber bei diejer Gleichheit des Stils, die Abweichung 
in dem Bersmaße, das Schwanfen zwijchen dem fünf- und dem jechs- 
füßigen Jambus auf. Uxjprünglich hatte Goethe in dem Borjpiel 
wie in der Pandora den Trimeter als Grundmaß der neuen dramatijchen 
Form gewählt. Im Epimenides wich ev davon ab, um in dem Löwen— 
ftuhl wieder zu ihm zurückzukehren. 

Dieſe leßtere Beſtimmung exheifcht inde noch eine Nechtfertigung, 

nämlich den Beweis, daß der zweite Entwurf des Yöwenftuhls that- 
jächlich ſpäter als der Epimenides anzufegen jei, Wie jchon oben an- 


326 D. Harnad, Zu Goethes Löwenſtuhl. 


geführt, ijt in Goethes Tagebüchern zweimal von dem Yöwenjtuhl die 
Mede: 1813 und 1814. Nedlich (Weimarer Ausgabe 12, 421) 
läßt nun in dem leßteren Jahre den erjten Entwurf, in der Dpern- 
form, entjtanden jein, wobei es dann unklar bleibt, wann der zweite 
entjtanden wäre. Mir jcheint es aber feinem Zweifel zu unterliegen, 
daß auf den erjten Entwurf die Tagebuchaufzeichnung vom 28. Df- 
tobev 1813 zu beziehen ift, während im Juli und Auguft 1814 der 
zweite Entwurf angelegt wurde. Damals war Goethe durch die im 
Mai und Juni durchgeführte Arbeit am „Epimenides“ wieder auf die 
Bandoraform (wenn wir fie jo nennen Dürfen) geführt worden, und 
jo fonnte ihm leicht dev Gedanfe kommen, auch den immer noch in 
ihm webenden Stoff des Löwenſtuhls in diejer Form zur Darjtellung 
zu bringen. Wenn er jich aber gleichzeitig entjchloß, hier noch mehr 
als im Epimenides das antife Element vorwiegen zu laſſen, durch die 
Wiederaufnahme des Trimeters, durch Die Neimlofigfeit der lyriſchen 
Bartien, jo mochte jein furz vorher (vom 8.—16. uni) gepflogener 
Verfehr mit Friedrich Auguſt Wolf darauf eingewirft haben, um jo 


mehr als ev mit dieſem, nach Ausſage des Tagebuchs, „übers al 


Iheater, bejonders das griechijche“ verhandelt hatte. 

In ihrer Behandlung jtehen die Irimeter, wie wir ſie hier 
finden, in dev Mitte zwijchen der früheren Art Goethes, jie in ein- 
fach iambiſchen Rhythmus zu bauen, und feiner jpäteren, die von den 
qriechijchen Dichtern geübten Freiheiten wenigjtens teilweiſe nachzu— 
ahmen; es finden jich Anapäjte, jedoch nur jelten.!) Nein in Ana— 
päjten und zwar in vierfüßigen find die vier Schlußverje des Entwurfs 
gehalten, die uns zu den lyriſchen Partien überleiten. Dieſe, joweit 
jie vorliegen, find einfach trochäiſch; es war aber Abwechslung für jie 
geplant, wie die metrijchen Berjuche (S. 425) in Trimetern, Trochaen, 
Anapäften und Choriamben erkennen laſſen. In dieſen Verſuchen iſt 
beſonders auf eine Feinheit Gewicht gelegt; in den Senkungen der 
iambiſchen und trochäiſchen Verſe ſchwerer und leichter betonte Silben 
abwechſeln zu laſſen, z. B. 

Iſt's ein Ernſtkampf dieſer EN 

Soll's ein Spiel fen? Wunder ift’s 
Eine Ausnahme follte jedoch die antifen Versmaße ee die 
Erzählung vom Yöwenftuhl jelber jollte in Eddas Rhythmen (S. 307) 
gehalten jein. Yieder der Edda fannte Goethe jchon jeit Herders Volks— 
Liedern, umd neuerdings war jein Intereſſe durch Wilhelm Grimm wieder 
auf jie gelenkt worden (vgl. N. Steig, Goethe und die Brüder Grimm 





1) Bergleihe meinen Aufſatz „Ueber den Gebrauch des Trimeters bei 
Goethe“, Bierteljahrichrift für Literaturgejchichte, Band 5 


TE — 


O. Harnad, Zu Goethes Löwenſtuhl. 327 


74— 82); doch fonnten jeine Vorjtellungen von dem altnordijchen 
Versbau nur ſehr ungenügende fein. So ijt denn auch das Fragment 
einer Ausführung (©. 423) von ganz willfürlicher Form: 


Feder Genofje, jeglicher Fremde 

Flüchtet fich her vor dem Zorne des Herren. 
Mitten im Haufe, mitten in der Burg, 
Wo er herrſcht' unumſchränkt, 

Setzte den Stuhl, den Freiſtuhl, 

Hier der gerechte, 

Hier der beſonnene Fürſt. 


Was die dramatiſche Handlung betrifft, ſo iſt in unſerem Entwurf 
(wie ſchon in der Oper) dadurch das Intereſſe des Moments geſteigert, 
dadurch der Moment prägnanter gemacht, daß der Graf, der nunmehrige 
Beſitzer des Schloſſes, erſt im Augenblick, da die Handlung beginnt, von 
dieſem Beſitz nimmt, das ſeit der Vertreibung des urſprünglichen Beſitzers 
leer geſtanden hat und nun durch Königliche Gunſt dem neuen Beſitzer 
zufällt. Es iſt das Höchſte von dramatiſcher Concentration damit erreicht, 
daß dem Uſurpator augenblicklich der rechtmäßige Eigentümer auf dem Fuß 
folgt und der Alte, der ſo lange Zeit es ertragen hat, fern vom Erbe 
ſeiner Väter zu weilen, nicht länger ſich enthalten kann zurückzukehren, 
ſobald er es im Beſitz des Andern ſieht. Es ſcheint daher, daß die 
Handlung nach dieſem Entwurfe in ununterbrochener Folge hätte ſpielen 
ſollen, jo daß auch eine etwaige Afteinteilung t) nicht zeitliche Einſchnitte 
in dev Handlung bedeutet haben würde. 

Die erjten Auftritte jollten fich durchaus mit dem Einzug des 
neuen Herrn bejchäftigen ; die Situation, die ſich hier ergiebt, zwiſchen 
dem Grafen und dem alten Burgvoigt, der während des langen Inter— 
regnums das Schloß verwaltet hat, zeigt merkwürdige Aehnlichkeit mit 
dem Eingang der Helena. Speciell das Motiv, wie die alte Schaffnerin 
Phorkyas tro& Anerkennung ihrer Berdienfte in ihre Schranken zurüc- 
gewiejen wird, wiederholt fich hiev zwifchen Graf und Burgvoigt. Auch 
erklärt ſich dieſe Uebereinſtimmung ſehr natürlich. Goethe, der ſich wieder 
zur antikiſierenden Dramatik wandte, mag ſehr wohl ſeine eigene Helena— 
Dichtung von 1800 herangezogen haben, die nun längſt ſchon mit ſamt 
den andern Fortſetzungen des Fauſt ruhte, und mag durch ſie auf dieſes 
Motiv wieder geführt worden ſein. Auch manche perſönliche Empfindung 
gegenüber fürſtlicher Willkür, die Goethe beſonders in den Theater— 


1) Die Weimarer Ausgabe fett in Klammern über den Entwurf „Erſter 
Att“; die Berehtigung dazu ſcheint mir fraglich. 


328 DO. Harnad, Zu Goethes Löwenftubl. 


angelegenheiten zu erfahren hatte, durfte in den Verſen zum Ausdruck 
fommen: 

Fürwahr, ein jo Durchbrachtes Leben machte Doch 

Des Danks der Schomumg wert ein graues Haupt. 


Und was die Gräfin anführt, um den alten Voigt wieder zu beruhigen, 
fonnte der Dichter jich ahnlich jelbjt zugerufen haben: 

Wer bift dir denn? daß du mit ihm zu vechten waglt, 

Ihm, der euch alle nähret, aufrecht hält und ſchützt! 

Und wenn ihr im dem Burgen den bequemen Tag 

Aus wohldurdruhter Nächte Hand empfangt, 

Im Felde fih Gefahren fühnlich bloßgeftellt 

Und jo im Rate jorgenvolle Zeit vollbracht. 


Kehrte doch der Herzog eben damals aus „dem Felde,“ von der 
Belagerung Antwerpens zurück! — 

Die Urſache des gräflichen Zorns erfahren wir gleichfalls aus 
dem ermahnenden Zureden der Gräfin, und werden dadurch auf das 
Hauptthema geführt. Es iſt die Zulaſſung des alten Bettlers in den 
Burghof, welche des Grafen auf Prunk und Reichtum gerichteten Sinn 
verletzt hat. In wenigen reſignierten Zeilen läßt auch die Gräfin 
erkennen, daß das Gemüt ihres Gatten ſich ausſchließlich zur Schätzung 
des „Geldes,“ der „Habe“ gewandt hat. Aus dem Vorwurf des 
Grafen, daß der Voigt ſchon „wiederholt Verbotnes“ ſich erlaubt habe, 
möchte man zunächſt ſchließen, daß der Alte ſich ſchon längere Zeit 
in der Burg aufgehalten habe und der Graf überraſcht ſei, trotz vor— 
ausgeſandter Verbote doch eine ſolche Ungehörigkeit anzutreffen. Allein 
aus dem Späteren ergiebt ſich, daß der Greis die Burg noch gar 
nicht betreten, blos im Burghof gewartet hat, in der Hoffnung, auch 
das Innere beſchauen zu dürfen. Die Verbote des Grafen müſſen 
raſch auf einander gefolgt ſein, haben aber von Seiten des Voigts 
nicht ſofortige Ausführung gefunden. Während dies nun geſchehen, 
aber zugleich nach der milden Weiſung der Gräfin Speiſe und Trank 
dem Alten mitgegeben werden ſoll, gelingt es dieſem durch ſein Märchen— 
Erzählen zuerſt die Kinder, dann die Mutter zu bewegen, daß man 
ihn dennoch einläßt. Der ſpätere Zorn des Grafen iſt alſo viel mehr 
motiviert als in der Ballade. 

Mit dem Eintritt des Alten wird die Aufmerkſamkeit auf den 
Löwenſtuhl gelenkt, der aus der Ballade bekanntlich ganz verſchwunden 
iſt. Der Alte weigert ſich auf ihm zu ſitzen, er beugt ſein Knie davor, 
und erläutert Geſchichte und Bedeutung in „Edda's Rhythmen,“ die 
wir ſchon anführten. Worin ſollte aber die dramatiſche Bedeutung 
des Löwenſtuhls beſtehen? In dem nun raſch abbrechenden Fragment 





_ 


D. Harnad, Zu Goethes Löwenſtuhl. 329 


findet jich feine Andeutung. Doch nach der Feierlichkeit, mit welcher 
er eingeführt und exponiert ift, nach der Benennung, die ev dem ganzen 
Entwurf gegeben hat, müjjen wir annehmen, daß feine Bedeutung eine 
entjcheidende ift. Ohnehin kann die Yöfung, welche die Ballade giebt, 
unmöglich für unjern Entwinf herbeigezogen werden. Wohl erzählt 
auch bier der Greis die Gejchichte der Familie, wohl wird er auch 
hier im Augenblick des Abjchieds von den Grafen überraſcht und mit 
härtefter Strafe bedroht; aber unmöglich kann ev nun in Kraft eines 
geheimen Königlichen Befehles dem Grafen als der Mächtigere, als der 
vechtmäßige Beſitzer gegenüber treten, da ja diejer jelbjt erſt unmittelbar 
vorher auf Grund Stöniglicher Verleihung in die Burg eingezogen ift; 
unmöglich ijt ein Ihrommwechjel zu denfen, dev zwijchen dieſen beiden 
Königlichen Akten eingetreten wäre. 

Aller Wahrjcheinlichfeit nach jollte eine wunderbare Löſung des 
Konfliktes erfolgen, und eine jolche, die von dem Yöwenftuhl ausging. 
Auf eine jolche deutet auch der Schluß des Dpernentwinfs. Dort 
leſen wir (©. 299): „Eine Rüftung jteigt empor und redet ein. Tritt 
herunter. Endeckung und Entwicelung. Die Rüſtungen werden lebendig.“ 
Wie aber in unjerem Entwurf die Löſung zu denfen jei, dariiber find 
nun Vermutungen möglich. Jedenfalls — jobald jich der Greis auf 
den Löwenſtuhl flüchtete, war ex vechtlich vor dem Zorn des Grafen 
jicher. Taſtete dieſer ihn dennoch an, jo laßt jich jehr wohl denken, 
daß eine überirdiſche Befräftigung der Deiligfeit des Stuhls erfolgte, 
welche den Angreifer bejchämte und niederbeugte, dem Verfolgten aber 
die Wahrheit jeiner Worte und das Recht jeiner Sache jiegend bezeugte. 

Der „Löwenſtuhl“ ift ein neues erläuterndes Beijpiel zu Goethes 
eigenem Gejtändnis, daß er ich zur Vollendung eines dramatijchen 
Werfes nicht mehr entjchliegen fünne, weil ihm die unmittelbare 
Anregung durch ein jeinem Schaffensdrang entjprechendes Theater fehle. 
Der eignen Bühne war er eben, obgleich er noch ihr oberjter Leiter 
war, jchon entfremdet, jie war ihm durch widrige Berhältnifje zur 
feidigen Laſt geworden; fin fie arbeitete er nicht. Was dagegen von 
Berlin aus von ihm erbeten wurde, führte er mit Eifer und Hingebung 
aus; jo den Epimenides mit ftaunenswerter Najchheit, jo noch 1821 
den umfangreichen, dramatijchen Prolog. Dem „Löwenftuhl“ fehlte 
ein derartiger Anſporn, und er blieb Liegen, wie die Pandora, wie die 
Tragddie aus der Karolingerzeit, und jo vieles andere. 


330 C. A. 9. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groſſe. 


Eruſt Indwia Groſſe. 


Bon EA. 9. Burkhardt n Weimar. 


Unter den Dichtern im nordweſtlichen Deutjchland Hat wohl feiner 
eine jo verhältnigmäßig frühe Windigung erfahren als Ernſt Ludwig 
Groſſe. Aber auch Feiner ift durch widerwärtige Berhältnifje in ſeinem 
Entwiclungsgange jo gejtört worden als er, der unter harten Kämpfen 
von früher Jugend an als junger Mann den jchwerjten Prüfungen erlag 
und fern von der deutſchen Heimat faſt vergeſſen, untergegangen it. 

Wir wijjen bis jegt von jeinem Entwicelungsgange wenig, und 
von jeinen Yebensumftänden ift nach Goedefe (Grundriß 31, 9038) 
nichts befannt geworden, obwohl Groſſe ſchon früh durch einige feiner 
Gedichte die Aufmerkſamkeit der literariſchen Kreiſe auf jich zog, nach- 
dem Müllner im Morgenblatte von 1821 (Nr. 82—91) den jungen 
1Sjährigen Sänger warm empfohlen hatte. Müllners Aufforderung 
zur materiellen Unterftüßung Grofjes hatte zwar gewünjchten Erfolg, 
indeß konnte dieſe nicht dem eigentlichen Zwede, jeiner Durchbildung, 
zugewandt werden, jondern mußte für lange Zeit auf Verhältniſſe 
Anwendung finden, die Groſſe als Schüler jelbjt gejchaffen hatte, 
und die jein ganzes Yeben nachteilig beeinflußten. Er hat in einer 
Selbjtbiographie, die ich vor Kurzem aufgefunden habe, diejen Jugend— 
fehler unummwunden befannt, und diejfen mit feltener jugendlicher Kraft 
in jeinen Wirkungen abzufchwächen verjucht, ohne daß es ihm gelang, 
die nachteiligen Wirkungen jeiner Verirrung für jein übriges Yeben zu 
paralyfieren. 

Diefe bis zum 20. Jahre reichende Selbjtbiographie gab die 
Anregung, die Yebensverhältnifje Groſſes zu erforichen. Ich gebe das 
Wefentlichjte zur Ergänzung dieſes Selbjtbefenntnifjes. (Siehe Anhang.) 

Ludwig Ernſt Groſſe wurde am 2. Auguſt 18021) als Sohn 
eines Gerichtsdieners, „früheren Yehrers“, zu Mühlhaufen in Thüringen 
geboren. Der Bater hatte ihn zur Erlernung des Schneiderhandwerfes 
bejtimmt, allein andere Neigungen und die unglüclichen Berhältnijje 
des Baterhaufes, dem der begabte Junge gern den Rücken wandte, 
veranlaßten ihn fich dem Militärftande zu widmen. Ex betrieb zunächit 


) Goedefe kennt nur 1503 als Geburtsjahr. 


C. A. H. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groffe. 331 


in Hanau das Studium der Mathematif, um als Artillerift zu dienen, 
fam aber auf Zureden in das Haus jeines in Hannover lebenden 
Se. re „ der ihm zu jeiner Ausbildung auf dem Lyceum 
dajelbjt freie Wohnung und den nötigen Unterhalt in ſeiner Familie 
gewährte. Obwohl Grojje, dem der Yyceumspirektor Kirchhof ein vor— 
zügliches Zeugnis über „jeine wiljenschaftliche Befähigung und ſonſtigen 
guten Sitten und Beanlagung“ ausſtellte, ) fich hätte heimijch fühlen 
fünnen, übten die troſtloſen Verhältniſſe des Hauſes, in dem er ſich 
vollſtändig vergeſſen hatte, einen ſolchen Einfluß, daß er im Februar 1821 
dem Lyceum unverweilt den Rücken kehren und gleichzeitig auch das 
gaſtliche Haus für immer aufgeben mußte. 

Im Bewußtſein ſeiner ſchweren Verantwortung, aber auch im 
Vertrauen auf ſeine dichteriſche Kraft beſchloß Groſſe ſich Goethen 
zu entdecken. Nachdem er in 14 Tagen ſeine erſte größere Dichtung, 
das Trauerſpiel „Bertha“, das verloren gegangen iſt, vollendet hatte, 
erreichte er im Anfang Februar 1521 Weimar und bat in dem folgenden 
an Goethe gerichteten Briefe um Aupdienz, Hilfe und Nettung. 


Weimar den 6ten Februar 1821?) 


Wenn die Größe des Namens, am den ich jchreibe mich zitternd macht, 
und es nicht wagen läßt, ſogleich perjönlich zu erſcheinen; jo hat der Geift der 
Liebe in den Schriften Em. Ercellenz mich mit beinahe väterlihem Zutrauen zu 
Ihnen erfüllt. Sch habe mich erfühnet, Ihnen ein Trauerſpiel zu widmen, 
und zur Durchfiht vorzulegen. Ich würde diefen Schritt nicht gethan haben, 
indem meine Anfichten von der Höhe der Kunſt zu groß find, wenn mich nicht 
die Nothwendigfeit dazu zwänge. — Ich bin achtzehn Jahr alt, verlor meine 
Mutter, und wurde nach mancherlei Schiefalen zu Hannover von meinem Onkel 
aufgenommen, wo ich bis jetzt die Schule befuche. Dort lernte ich ein Mädchen 
fennen, das in mir den kleinen Funken wecte und anblies. Sch liebte fie unaus— 
ſprechlich — vergaß mich, — und ſie wurde, bei unglücklichen Verhältnißen, — 
— Gattin. In dieſem Drange der äußern Verhältniße ſchrieb ich das Heine 

Werkchen, in dem mein Leben ımd Seyn enthalten iſt, und baute auf Sie, „den 
Kenner der Höhen und Tiefen,“ meine Rettung. Durch keinen andern, ich ſage 
es mit einem gewißen Stolze, iſt ſie möglich, und ich bin auf immer verloren, 
wenn ich in Ihren Augen der Hülfe unwerth erſcheine, da ich gänzlich ohne 
Vermögen bin, und die unglücklichſten Berhältnige mich bedrängen. Mein äußeres 
Leben anlangend habe ich einige Attefte eingelegt. 

In der äußerſten Bewegung von Furcht und Hoffnung, innigfter Freude, 
Sie zufehen, und ängftliher Beklommenheit, den Hochverehrten des Baterlandes 
zu jehen; erwarte ich die Erlaubniß, bei Ew. Ercellenz vorgelafjen zu werden. 

Em. Ercellenz 
innigft Ergebener 
E. 2. Groſſe. 


) Zeugnis vom 11. Januar 1820. 
2) Nach dem Orginal im Goethearchiv und von Herrn Profeffor Suphan 
freundlichſt überlaffen. 


332 C. A. H. Burkhardt, Ernft Ludwig. Groffe. 


Das Unerwartete trat ein. Am Morgen des 8. Februar ließ 
Goethe den Bittenden abweijen.!) Der Sekretär Sträuter händigte ihm 
einige Youisdors Neijegeld mit beiten Wünſchen Goethes ein, vermittelte 
aber die Befanntjchaft des Rates Froriep, der ihn an 
Wagner in Yeipzig empfahl. Auch $ Oberfoniftorialpräfident Peucer, 
der jedoch durch Müllners Empfehlung eine nur oberflächliche Kenntnis 
von der traurigen Lage Groſſes erhalten hatte, riet zur Fortſetzung 
des Studiums in Yeipzig. Schon am 28. Februar fehrte Groſſe 
nach Weimar zurüd, um am Herde des edlen Menjchenfreundes 
‚sohannes Falk auf Adolf Wagners und PBrofejjor Yindners Empfehlung 
nicht allein troftreicher Worte, jondern auch eines thatfräftigen Ein— 
greifens in jeine troftlofen Verhältniſſe gewiß zu fein, nachdem Groſſe 
mit rückhaltloſer Offenheit jeine Vergangenheit mündlich gejchildert und 
dieje in einem Schriftjtücde in die Hände Falks ne hatte. 
„uf jeden Fall werden Sie raten und helfen“, jchrieb?) Wagner 
an Falk. „Der Junge, der nicht ganz ohne ift, ift wieder das Produkt 
eines verfaulten Hausregiments, ja zweier, denn in jeines Baters, 
wie in des Mädchens Haufe ging es heidnifch der. Da muß nun 
die arme Seele gejtellt werden, damit fie bejjer gehen lernt.“ Und 
Lindner?) fügte Hinzu, „das iſt nun der 11. Fall diejer Art. Groſſe 
mag Ihnen jelbjt erzählen, wie es mit ihm ſteht.“ Was bedeutete 
dieje Ziffer gegenüber den vettenden Thaten Falks, der jeit Begründung 
jeinev „Sejellichaft dev Freunde in der Not“ bereits nach Tauſenden 
vechnete, denen zu vaten und zu helfen war. „Goethe, Müllner und 
Peucer, meinte Falk, find alle vecht vornehme Gevattern, und doch 
zweifele ich, daß das Kind von ihnen aus der Taufe gehoben werden 
wird.“ 

Auf Betrieb Falks ging Groſſe direft nach Göttingen, wo er 
jich dem juriſtiſchen Studium widmen und durch eine praftijche wiljen- 
jchaftliche Bildung den Grund zu jeiner Eriftenz legen ſollte. Aber 
wo jollte ex die nötigen Mittel für fich und die Erkohrene finden, die 
ſich aus dem elterlichen Hauſe geflüchtet, ungekannt fern von Hannover 
kümmerlich ihr Daſein friſtete. Nur durch Poeſie, die Groſſe „als 
heiliges Gottgeſchenk“ anſah, glaubte er ſich den nötigen Unterhalt 
verichaffen zu fünnen. In ihr jah er das Mittel, jeine Studien zu 
vollenden, um, wie ex jchrieb als „brauchbarer Mann im Leben Ehre, 
Glück und Frieden, durch priefterliche Weihe die fünftige Che zu 
befejtigen.“ 


1) Gedicht Groſſes (ungedrudt). 
2) Brief vom 23. Februar 1821. 
3) Wagners Brief vom 23. Februar. 


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C. A. 9. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groffe. 333 


Nach jeiner Ankunft in Göttingen und abwechjelnd in Hannover 
und Altengottern hatte ex ſich mit der Fertigſtellung feines befannten 
Trauerjpiels „Gordo“ befaßt, das der Buchhändler Hahn in Hannover, 
Danf der Anregung Müllners in Verlag nahm. Am 7. Dftober wurde 
es buchhändlerijch verjandt. Auch in der äußeren Anordnung!) befundet 
das Stück die Nachahmung Goethes, namentlich des Fauſt, wie es 
denn, ob mit Genehmigung — laßt ich nicht fejtjtellen, — diejem 
und Sean Paul gewidinet war. 

Schon in Hannover hatte fich Groſſe hohe fürdernde Gönner 
erworben. Sein Jugendfreund Wilhelm Hahn hatte wefentlich Die 
Uebernahme des Gordo bei jeinem Water unterjtüst, und bejonders 
hatte Groſſe in Eckermann einen treuen wohlvollenden Freund gefunden, 
mit dem ev auch jpäter auf der Univerjität Göttingen das innige 
Verhältnis fortjegte. Eckermann teilte mit ihm fogar feine färglich 
zugemefjenen Studienmittel; ev war jtetS der in Alles Eingeweihte, 
der feinen Weg umverjucht ließ, um die drücdenden Nahrungsjorgen 
Groſſes und jeiner Braut, die inzwifchen Mutter geworden war, abzu- 
wenden. eben Eckermann wirkte das freundliche Verhältnis, in dem 
Srojje zu dem Sohne des Minifters von Arnswald jtand, in hohem 
Make günftig. Neben der materiellen Unterſtützung, die er von diejer 
Seite erhielt, war es wohl diefem hohen Einfluß zu danfen, daß 
Groſſes Stück zur Aufführung in Hannover bejtimmt war, die aber 
bis in den September wegen verjpäteter Ankunft des Königs ver- 
jchoben werden mußte.?) Hier war es, wo Groſſe nochmals Goethen 
durch Meberjendung des „Gordo“ jich zu nähern juchte, indem ev den 
folgenden für die Denfungsweije des jungen Dichters charafteriftijchen 
Brief an Goethe richtete, der jedes weitere Eingehen auf Groſſes 
Anfichten überflüffig exjcheinen läßt. 


Hannover den 24ten Dftober 1822 °) 


Em. Ercellenz werden ſich vielleicht des wandernden Dichterjünglings 
erinnern, der damals im der Verirrung feines Herzens Ihnen fo ftörend und 
beijhwerlich wurde. Jetzt im gleichen Falle glaube ich jedoch um fo eher Ver— 
zeihung hoffen zu dürfen; da nur meine treue innige Liebe es waget, dem 
erhabenen väterlichen Auge dieſe erjten Blüten jugendlichen Strebens ſchüchtern 
vorzulegen. 








1) eben einer Widmung an die Berlobte, enthält das Stüd eine Anjprache 
des Dichters, der feine Arbeit motiviert, ein Vorſpiel umd einen Epilog. An der 
Spite fteht die Widmung „an die erhabenen ımd innig geliebten Lehrer Goethe 
und Sean Paul“. 

>) In Hannover war der Aufführungstag nicht feitzuftellen. 

») Ebenfalls freundlihft vom Goethe- und Schiller-Arhiv durch Herrn 
Profeffor Suphans Vermittelung zur Beröffentlihung mir überlaffen. 


334 C. A. H. Burkhardt, Ernft Ludwig Groffe. 


Ew. Ercellenz jtellten in einem der Hefte für Kunſt und Altertum die 
Behauptung auf, daß ein wahrhaft Fünftlerifches Talent in drangvollen Berhält- 
nißen gerade erſt als haltbares Gold erprobt werden könne; und in dieſer 
Beziehung dürft’ ich ohne zu erröthen, für mein individuelles Streben vielleicht 
etwas mehr hoffen als der Tag giebt, umd der Modegeichmad für bewunderte 
Augenblide auf dem Markte der Zeit ausftellt. 

Ich habe ausgeharret anderthalb ſchmachvolle Jahre ohne Glüd, ohne 
Theilmahme, ohne irgend eine Aufmunterung, blos in dem Bewußtjeyn eigener 
Kraft, ftrebend nad) einem würdig großen Ziele in dem jchönen Vertrauen, daß 
fich alfo für mein ferneres Leben irgend ein feſter Augenpunft erreichen laßen 
müffe, der Thätigkeit und Wirkungstrieb ordne, und meinem Geſchicke die erfreu- 
liche Wendung zu fortfchreitender Bildung ertheile. Da war feiner, der das 
Begonnene fortzuführen ermumterte! Da war feiner, der fih des Bollendeten 
erfreute ! 

Eine Kar aufgefaßte Idee, eine große Anficht, eine herporftechende Seite 
des menschlichen Lebens heiter, Schön und wahr im wollendeter Form, erwachſen 
aus der Eigenthümlichkeit des inneren Geiftes, auszufprechen, joll, dünkt mich, 
die höchſte Aufgabe eines jeden Kunſtwerks jeyn. Daß ich dieſe höchſte An— 
forderung der Kunft im Borliegendem nicht in jeder Hinficht befriedigen Fonnte, 
liegt in meiner verkümmerten Yage, in dev äußeren Freiheit, die mir mangelte, 
in dem jpröden abftoßenden Stoffe, dev mich drückte; nicht aber in dem Talente, 
das hier gefchaffen. Der triviale Kritifer wird fich ftoßen an einzelnen Reimen, 
Berfen, Ausjprühen und Sentenzen. Will man jedoch dem Geifte, der das 
Ganze beherricht, dem höheren Sinne aus dem es entjprungen, unparteiiſch nach- 
gehen; jo wage ich es wohl mit einem jeden dev Neueren ſeit Schillers Heimgang 
in die Schranfen zu treten. 

Müßte ih von dem Werfe nicht vieles ja vielleicht Alles hoffen; jo hätte 
ih es wohl mur, weit entfernt von allem Eigendünfel einer eingebildeten Voll— 
endung, als poetifches Ererzitium betrachten, und wie das erfte dem Publikum 
verjehliegen mögen. In diefem Sinne wage ich die fühne Bitte, ob Em. Erxcellenz 
fich nicht vielleicht geneigt fühlen follten, einige Gedanken in irgend einem Blatte 
über das Geleiftete niederzulegen, und jo das Publifum auf dern rechten Augen— 
punkt zu ftellen, aus dem es betrachtet werden muß. Ich wiederhole dieje Bitte 
indem ich im Geifte die Richtung und den Stand unferer nenern Pitteratur über- 
denfe, und die Männer mir vorführe, die in dem Reiche der Mufen den Dik— 
tatorenftab ſchwingen, 3. B. einen Müller. 

Möchten Em. Excellenz das Streben eines Jünglings, der nur in Poefie 
das Glüc, die Bedingung feines Daſeyns findet, begünftigen, und mit väterlicher 
Milde das ſchwache Zeichen innigfter Liebe aufnehmen wollen, die es wagt auch 
das minder Vollendete mit dem erhabenen Namen des größten Mannes des 
deutſchen Baterlandes auszuſchmücken! 

Mit hochklopfendem Herzen ſehe ich einem huldreichen Schreiben von 
Em. Ercellenz, unter der Adreffe Hahnſche Hofbuchhandlung Hannover, entgegen, 
das im wenigen Zeilen mir den Lohn für fo viele ſchmachvolle Fahre, für ein 
oft verfanntes unterdrüctes mühfeeliges- Streben reichen möge. 


Ew. Ercellenz 


Dankbarunterthänigſter 
Ernſt Groſſe 


Stud. jur: 





E. A. H. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groffe. 335 


Wir wiſſen nicht, welche Stellung Goethe auf dieje Inſinnation 
einnahm. Wahrjcheinlich verhielt ev jich teilnahmlos, da Grojje nie wieder 
den Verſuch machte, jich Weimar, gejchweige dem Dichter zu nähern, 
der erſt ſein Borbild war, den er jpäter aber volljtändig desavouierte. 

Nunmehr wandte jich Grofje der Univerjität Göttingen wieder 
zu. Wahrend Mutter und Kind in jtiller Verborgenheit noch bei 
Hannover in einem abgelegenen Garten lebten, lag ex jeinen Studien 
in Göttingen ob, wohin er mit einer Barjchaft von nur 5 Thalern 
gegangen war; unermüdlich zeigte er ſich thätig, um jich und den 
Seinen den nötigen Unterhalt zu bejchaffen, immer belebte ihn fein 
fejtes Vertrauen auf jeinen allmächtigen Gott, dev ihn, wie ex 
damals jchrieb, jo wunderbar geleitet hatte. „Hier lebe ich nun jo, 
daß ic) am Abend nicht weiß, wo ich am Morgen etwas hernehmen 
ſoll.“ Kaum in das Studium eingetreten, trieb es ihn mächtig fort, 
da die Verhältniſſe gebieterijch die anderweitige Unterbringung der 
Seinen forderten. Hier war es wieder der biedere Freund Eckermann, 
der ich für Mutter und Sind zur Aufnahme in Weimar in einem 
langen Schreiben (vom 21. Auguft) verwandte, mit dem er fich 
ein ſchönes Denkmal fiir jeine treue, opferfreudige Geſinnung gejeßt 
hat. Wahrjcheinlich it es ihm und dem trefflichen Falk zu ver- 
danfen, daß die Großherzogin Yuife den Flüchtigen ein Aſyl in 
Weimar bereitete, nachdem ich eine adliche Dame von Baumbach diejer 
Angelegenheit bejonderS angenommen hatte. Hier verlieren fich für 
lange Zeit die Spuren der Öeretteten, von der wir erjt nach 10 Jahren 
Kunde erhalten und deren einziger Wunfch noch erfüllt wurde, mit 
ihrem Geliebten durch priefterlichen Segen auf immer verbunden zu 
werden. 

Im November!) 1822 wandte jich Groſſe von Göttingen zur 
Sortjegung jeiner juriſtiſchen Studien nach Leipzig. Es iſt wahr- 
icheinlich, daß ihn feines Freundes Heinrich Stieglig Schickſal dahin 
trieb, der wegen einer unjchuldigen politichen Nede von der Univerfität 
Göttingen entfernt wurde. 

In Yeipzig ſchloſſen jich Stieglig und Grofje eng aneinander. Im 
Frühjahr 1823 veröffentlichten jie gemeinfam ihre Gedichtiammlung,?) 
die bejonders der griechiiche Freiheitsfampf veranlagt hatte, den ſie 
mit dem Erlös zu unterjtügen juchten, um den allfeitigen Beftrebungen 
des jungen Deutjchland gerecht zu werden. Im Herbſt unternahmen 
fie eine Meife durch Franfen, Schwaben, und die Nheingegenden, 

ı) Die Ermatrifel datiert vom 6. November. 

2) Gedichte von Heinrich Stieglis und Ernſt Grofje. Herausgegeben zum 
Beften der Griechen. Leipzig 1823, 256 ©. 8. 
Eupborion II. 22 


336 C. A. H. Burkhardt, Ernft Ludwig Groffe. 


befuchten Sean Paul in Bayreuth, Uhland in Stuttgart und Voß 
in Heidelberg, bei denen ihre dichterijchen Yeiltungen warme Anerkennung 
fanden. In Kaſſel trennten fich die Reiſenden, Groſſe ging nach 
Hannover, Stieglig reifte über Weimar, wo er durch Eckermann auch 
Eingang bei Goethe fand. Groſſe und Stieglik fanden ich dann 
wieder in Yeipz ig und obwohl das Berhaltnis Beider bald erfaltete, 
erfannte Stiegliß in hohem Maße Grojjes Einfluß auf feine dichterifchen 
Yeiftungen damals wie auch jpäter noch an.) 

ach beendetem Studium promovierte Groſſe 1823 oder 1824?) 
in der philofophijchen Fakultät zu Yeipzig und hielt jich dort als 
„Schriftiteller” auf; jiedelte dann (1825?) nach Dresden über, wo 
er ebenfalls von literarischen Arbeiten lebte, indem ex namentlich für 
die Augsburger Zeitung jchrieb; ging 1830?) nach Augsburg, nachdem 
ihn Gotta zum Redakteur des vormaligen „Snlandes“ bejtimmt hatte. 
Dejonders befchäftigte ihn in Augsburg und abwechjelnd in München 
die Herausgabe der Werfe Wejtenrieders, bis er dann als Redakteur 
der Bayeriſchen Blätter, mit dem Beiblatt „der Bock“ und ſeit Juli 1830 
mit dem in Kempten erſchienenen Ergänzungsblatte „Die Sana 
Chronik“, allmählig in den Verfafjungsfämpfen der bayerijchen Kammer 
eine der Regierung mißliebige Thätigfeit begann, die zur Unterdrücung 
der el: Chronik“ führte. Als Redakteur der am 10. Auguſt 1830 
Iijtierten „Bayerischen Chronik“ wurde er endlich, BL. ex mehrfach 
zu Gelditrafen verinteilt worden war, am 15. Dftober 1830 wegen 
unbefugter Bejchäftigung mit auswärtiger Politif aus Bayern aus- 
gewiejen. 

War bisher gegen Groſſes Thätigfeit weiter nichts einzuwenden, 
als daß er bei Behandlung politiicher Stoffe durch Weberjpanntheiten 
umillfürlich über die Grenzen der Bejonnenheit und jeiner Befugnifje 
oft Hinausgegangen war, jo jah ſich die bayerijche Negierung zu 
jchärferen Maßregeln veranlaßt, nachdem er am 30. Dftober München 
mit dem württembergiſchen Grenzorte Iſny vertaufcht und dort vielfach 
durch jeine literarische Thätigfeit Nergernis erregt hatte Denn jein 
(1830 ohne Drudort) hevausgegebener „Offener Brief eines 


) Vergl. über das Verhältnis beider: 2. Curtze, Heinrich Stieglig. Eine 
Selbftbiographie Gotha 1865, namentlich die Stellen auf Seite 58, 69, 66, 73, 
404, 408—409, auch die Briefe von Heinrich Stieglit an jeine Braut Charlotte 
von Louis Curtze. Yeipz ig 1859, 2 Bände. Es ift nicht ausgejchloffen, daß 
iiber Groffes Aufenthalt in Yeipz 3% ſich noch eingehendere Nachrichten aus der 
Hinterlaffenichaft von Stieglit, die Oberlehrer Profeffjor Waldſchmidt in Corbach 
befitst, erbringen laſſen. 

2) Das genauere Datum war in Leipzig nicht fejtzuftellent. 

) Die Duelle für das Folgende find die Akten des Appellgerichts für 
den Iſarkreis und für Oberbayern. 


C. A. H. Burkhardt, Ernft Ludwig Groffe. 337 


Braunſchweiger Bürgergardiften“, fewner ein „Zweiter Brief 
eines Braunjchweiger Bürgergardiften an das PBraun- 
jchweiger Volk“ (Braunfchweig 1830); endlich „Der Aufruf 
eines jchlejijchen Yandwehrmannes an feine jchlefifchen 
und preußijchen Kameraden“ (Kempten auf Grofjes Koſten 
gedruckt) veranlaßten zunächſt die Stonfisfation dieſer Schriften 
(2. April 1831). Später am 29. Auguft 1833 wurde er vom 
Affiiengericht zu Yandau infolge diefer Schriften und wegen der 
Neden und Druejchriften, die ev am 1. Juni 1832 im Wintshaufe 
zu Jahn im Rheinkreiſe gehalten, bezüglich zur Verteilung gebracht 
hatte, wegen Berbrechens der erfolglojen Aufreizung dev Einwohner 
des Königreich (zur Bewaffnung gegen die Königl. Autorität), in 
Contumaciam auf 10 Jahre verwiejen, wobei ihm die ſtaatsbürgerlichen 
Nechte entzogen und er in die Koſten verurteilt wurde. Zu diefer 
Berurteilung hatten auch ein Aufjaß „Der deutſche Mai“, „Der 
Yiberale im Weſtrich vom 27. Mai 1832“ umd fein „Aufruf 
an Aheinbayern in Deutjchland zum Schuße der bedrängten 
Preſſe“ beigetragen, während er wegen einer beim Hambacher Feſte 
gehaltenen Rede und eines am 30. Mai 1832 zu Neuftadt veröffent- 
lichten Aufrufes zur Bürgerbewaffnung lediglich wegen anerfannter 
Yücenhaftigfeit der franzöſiſchen Gejeßgebung freigejprochen wurde, 
obwohl die Rede die gröbjten Schmähungen gegen die Negenten enthalten 
haben jollte. 

Weitere belajtende Momente waren jchon während jeines 
Münchener Aufenthaltes eingetreten. Er hatte am 8. November gegen 
das Ausweilungsdefret vom 11. Dftober 1831 vemonftriert, da ex 
„eine Gontrafignatur der verantwortlichen Minifter in diefem nicht 
fand“, und obwohl ihm gejtattet wurde (8. Dez. 1831), bis Ende 
des “Jahres in Miinchen fich aufzuhalten, nahm er gegen die Bayerifche 
Negierung aufs Neue eine aggrejjive Stellung ein, indem ev eine 
Broſchüre „Lebewohl! Abjchied des franfen Dichters von 
Bayern“ erjcheinen und am 29. Dezember in der bayerifchen Kammer 
zur Verteilung bringen ließ. Nach ihrer Beichlagnahme wurde Grojje 
am 24. Januar 1832 wegen Majeftätsbeleidigung angeklagt, am 
26. Januar verhaftet, nach zweimonatlichem Gefängnis aber gegen 
200 Gulden Kaution entlajjen. Da aber am 30. Mat zur Anzeige 
gebracht wurde, daß Grofje nach furzem Aufenthalte in Augsburg zu 
einem dauernden Bleiben in Pirmaſens ſich anfchiefte, wurde ex zun 
Stellung in München veranlaßt. Dieſer Aufforderung kam Groſſe 
ebenjowenig nach, als fich den Gerichten in Württemberg zu jtellen, 
‚da er mit einem feiner Gejinnungsgenofjen, dem Dr. Piſtor, ich 
nach Frankreich gefliichtet hatte. Ninmmehr ward in München das 


22* 


338 E. A. H. Burkhardt, Ernft Ludwig Groffe. 


Sontumazialverfahren eingeleitet, das auch zweimal im Moniteur 
universel (299 und 338 vom Jahre 1832) befannt gemacht wurde, 
während eine dritte Borladung Groſſes in diejer Zeitung nicht bewerf- 
jtelligt werden fonnte, da einige andere „journale die Verfolgung Grojjes 
mit „abjchredender ‚Deftigfeit“ rügten. Das Gericht bejtellte am 
9. März 1833 den Kgl. Advofaten H. Preſſitzer zu deſſen Ver— 
teidiger, und am 19. Oktober 1833 wurden der Drucker des „Lebe— 
wohl“ Volkhart in Augsburg wegen Majeſtätsbeleidigung als Mit— 
urheber des „Lebewohl“, Piſtor und Groſſe wegen Verbrechens des 
nächſten Verſuchs des Hochverrats durch Druck und Verbreitung des 
von Piſtor verfaßten „Bürger-Katechismus für ganz Deutſchland“ und 
wegen Realkonkurſus mit dem Verbrechen der Majeſtätsbeleidigung 
zweiten Grades durch Verbreitung von Groſſes Gedicht, zu geſchärftem 
4jährigem Suchthaufe,t) öffentlicher Abbitte vor dem Bilde Sr. A— 
des Königs, ſowie in bie Koſten verunteilt. 

So weit meine Forjchungen reichen, hat Groſſe fich dauernd 
den über ihn verhängten Strafen durch die Flucht entzogen und ijt 
niemals meines Wilfens nach Deutjchland zurücgefehrtt. Das legte 
Vebenszeichen, das er von fich gab, fam aus Yondon, von wo aus er 
jich in der „Anferlaterne“ mit dem in öffentlichen Blättern jtecfbrieflich 
Verfolgten identijch erklärte. 

Auch über das Schickſal feiner in München zurücgelafjenen Frau 
mit 4 Kindern liegen Nachrichten nicht vor. Bei Grojjes trefflichen 
Eigenschaften als Gatte und Bater, bei dem innigen Verhältnis, das 
beide Gatten unter jchweren Schiejalsjchlägen, unter peinlicher ot, 
die jich bis zu den größten Entbehrungen jteigerte, ſtets aufrecht zu 
erhalten verjtanden, läßt ih annehmen, daß er bis zum legten 
Hauche jeines Yebens, in treuer Hingabe an die Seinen ausharrte 
und ihnen auch in der Fremde ein Gatte und Bater blieb, als der er 
jich von dem Tage jeiner Verirrung an dauernd gezeigt hatte. 

Dies ſchöne eheliche Berhältnis befunden die Ausjagen jeines 
Arztes, der während des prozefjualijchen Verfahrens in München bezeugen 
fonnte, daß lediglich Fehlgeichlagene Hoffnungen, die auf den Erfolg 
der Werfe von Weſtenrieder ſich gründeten, die Exiſtenz der Familie 
vollſtändig in Frage ſtellten. Die Familie lebte ſtets in denſelben 
ärmlichen Verhältniſſen; in ihrer Einrichtung, Kleidung und Koſt zeigte 
ſich ihre Hilfsbedürftigkeit, die aber die gegenſeitige Opferfreudigkeit 
und Liebe nicht im Entfernteſten beeinträchtigen fonnte. Sparten ſich 


1) Mit dem Zuſatz, daß er in dieſen vier Jahren zur Zeit des begangenen 
Verbrechens alljährlih in einem einfamen finfteren Kerker auf 3 Tage abwechjelnd 
bei Waſſer und Brot, eingefperrt werden ſolle. Die Koften des Berfahrens wurden 
jedoch bei notorifcher Mittellofigkeit vom Staate getragen. 





E. A. H. Burkhardt, Ernjt Ludwig Groffe. 339 


doch Mutter und Kinder vom Munde ab, was dem Gatten und Vater 
neue Stärfung zu feinen Arbeiten bringen fonnte, wie denn auch. fejt- 
gejtellt wurde, daß die Kinder nur auf Stroh unmittelbar auf dem 
Zimmerboden zu jchlafen pflegten. 

Aus Groſſes gejamten Ddichterijchen Yeiftungen und projaijchen 
Arbeiten, injoweit jie gedruckt und vereinzelt im Manuſkript auf 
uns gefommen jind, läßt jich jein ungemein leichtes Produzieren fejt- 
jtellen. Diele feiner Gedichte bis zu der Zeit, wo er in die politifchen 
Wirren eingriff, zeugen von einer tief veligidfen Geſinnung, von nie 
wanfendem Bertrauen auf die Borjehung, von jeiner unbegrenzten Yiebe 
zu den Schöpfungen der Natur, vor der er in Bewunderung aufgeht, 
die ihn fortgejegt zum dichterifchen Empfinden und Dffenbaren jeiner 
Gefühle veranlapt. Je mehr er jich in das politiiche Yeben vertieft, 
deſto exeentrijcher und aggrejjiver gejtalten jich feine Produkte, denen 
Tiefe der Gedanken und Formgewandtheit an vielen Stellen nicht 
abzujprechen it. Daß ihrer viele gejuchten Anlaß zur Anklage auf 
Yandesverrat und Majejtätsbeleidvigung gaben, fann in der Zeit und 
in den Berhältniffen, unter denen das junge Deutjchland tritt und 
litt, nicht befremden. Groſſe war nach unfern heutigen Anfchauungen 
nicht allein ein bayerijcher, jondern auch ein deutjcher Patriot, deſſen 
phantaftijches und excentriſches Wejen freilich in eine krankhafte Neiz- 
barfeit jich umjeßte, die in damaliger Zeit zu der berechtigten Eigen- 
tümlichfeit Vieler gehörte, die in die politischen Kämpfe fiir die frei- 
heitliche Entwicelung des deutjchen Baterlandes eintraten.!) 


Heberficht der Kiterarifhen Arbeiten Groſſes. 
I. Fünf Gedichte im Meorgenblatt von 1821. Nr. 82, 91. 

II. Ungedructe Gedichte: 1) Gedicht auf die Abweifung vor Goethes Thür 
8. Februar 1821 (im Oktober niedergejchrieben). Anfang: „Aus dem 
Ihlanfen Wipfel junger Buchen ꝛc.“ Ein früheres: „Menfchheit“ betitelt 
entjtand in Weimar. Anfang: „Ach wer zählet meine Schmerzen.“ 2) „An 
Lina“ (bei jeinem Scheiden von ihr in Weimar). 3) „An Falk?“ Anfang: 
„Bei dem großen Weltgejchäfte.“ 4) „Am 18. Oktober” (eines der erften 
politijchen Lieder). Anfang: „Du meine Mufe, die ſchon lange.“ 5) „Muth.“ 
Anfang: „Durch Schiejalsbraufen.“ 6) „Nachtgebet.” Anfang: „Taufend, 
aber taujend Sterne.“ 7) „Das Lied der deutihen Jungfrau.“ Anfang: 
„Die Böglein fingen im Walde.“ 8) „Eduards Yied zur Zither.” Anfang: 
„Mein Bater ift ftorben.“ 

III. Das Trauerjpiel: Bertha (ungedruckt und verloren gegangen). 


) Aus der Flugſchrift „Lebewohl“ wurden allein 11 Punkte heraus— 
gegriffen, auf denen die Anklage gegen Groſſe fußte. Intereſſant iſt dieſen 
Anſchuldigungen gegenüber Grofjes geſchickte Verteidigung, auf die wir natürlich 
hiev nicht eingehen können. Jedenfalls war ev bejjer, als fein politischer Ruf. 


340 C. A. 9. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groſſe. 


IV. Das Trauerſpiel Graf Gordo. Hannover 1822. Geſprochen anerkennend 
von Th. Hell in der Abendzeitung 1822. ZBegipeiier; dagegen abfällig 
im der Rips iger Literaturzeitung 1523, Nr. 269, Seite 2148.) 

V. Gedichte von Ernſt Stoffe und Heinvich Stieglit, Yeipzig 1823. Groſſe 
batte in diefer Sammlung 11 Griechenlieder und 45 Gedichte vermifchten 
Inhalts veröffentlicht. Das Gediht ©. 217 „Eins und Alles“ beichloß 
die Selbtbiographie und das Gedicht ©. 215 „Wunder über Wunder“ 
(1821) liegt im Manuffript im abweichender Form vor. 

VI. Offner Brief eines Braunſchweiger Bürgergardiften 1830 ſieh oben ©. 336/37. 
VII. Zweiter Brief eines Braunſchweiger Bürgergardiften 1850 fieh oben ©. 337. 
VIII. Aufruf eines jchlefiichen Yandwehrmannes 2c. 1830 ſieh oben ©. 337. 

IX. Lorenz dv. Weſtenrieders ſämmtliche Werke. Herausgegeben von Dr. E. Groſſe. 
Kempten 1831 ff. mit Einleitung von Groſſe. 

X. „Lebewohl.“ Abjchied des kranken Dichters von Bayern 1531. Enthalten: 
An den Sreiherrn v. Cloſen. Wiegenlied für meine jüngjte Tochter und 
Epiftel eines aus Bayern Verbannten an feine in München zurückgelaffene 
Gattin. Drei Lieder aus der Verbannung mit humoriftifchen und ernit- 
haften Anmerfungen v. Dr. E. Grofje vorm. Nedacteur zc. 2c. Augsb. 1831. 
8° 44 Seiten. 

XI. Cholera Preservativ oder wie machen die Staaten Nevolutionaire (1831?) 

XII. Sendichreiben an den König: Wer? und weßhalb hat man mich aus 
Bayern verbannt. (1831). 

XIII. Groſſe, Dr. &., politiihe Schriften oder wie viel Uhr iſt's im Neiche Gottes 
umd in dev Weltgefchichte. 12 Bändchen. 16%. Augsburg 1832. 

XIV. Der deutſche May, der Liberale im Weftrih vom 27. Mai 1832 fieh 
oben ©. 337. 

XV. Aufruf au Rheinbayern x. ſieh oben ©. 337. 

Bemerkung: Die politiſchen Schriften Groſſes ſind jetzt ſehr ſelten, da 
ſie konfisciert wurden. Einiges iſt auf der Hof- und Staatsbibliothef i in München 
und im Privatbefit des Bibliothekars Dr. Th. Rueß in Augsburg, 





Anhang. 


Bruchſtück aus meinem Keben. 
(Selbjtbiographie Grofjes bis zum 20. Jahre). 


Was ih mir aus den früheren Jahren entfine, ijt D dies, daß ich ſchon 
als Knabe äußerſt veizbar für jedes Neue, Ungewöhnliche in dem Streben nad 
dem ſchnell Vorgefaßten alles Andre vergaß und fo voll im Ganzen an Kenntniffen 
hinter den ruhigern, bedächtigern Mitſchülern zurüchlieb, wenn ich an natür— 
lichen Gaben und in Einzelnem dieſelben übertraf. In meinem 14. Jahre mußte 
ich den Tod einer innig geliebten, ſorgenden Mutter ertragen und zwar in Ab- 
wejenheit meines Vaters ohne irgend einen tröftenden Freund oder Berwandten. 
Bon diejev Zeit an war ich mir ganz ſelbſt überlaffen und entging nur durch 
ein zartes moraliſches Gefühl den mannichfachen : Berführungen, die mir in böſem 
Umgang auf mancherlei Weiſe Droheten. Mein Vater, ein offener Kopf, bieder, 
tven und von dem bejten Herzen, Durch in Tangen Jahren erworbene Schul- 


fenntnifje zu vielem brauchbar, ift einer von denen, die in dem Gefühle zu etwas 


Beſſerem, doch nie zur Deutlichkeit im Leben gelangen. Unzufrieden in einem 
engern Beruf, weiß ev denfelben durch höhere Thätigkeit nicht zu erweitern 
und macht ſich Durch Stolz gegen Vorgeſetzte, die er vielleicht zu überfehen glaubt, 


2) Das Manufeript tft nicht von Grofjes Hand, 


C. A. H. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groſſe. 341 


ſeine Tage unerträglich. So lange meine Mutter, eine Hausfrau und Gattin, 
wie ſie ſeyn ſollte, durch längere Leiden zu einer weiten, aber unbewußten Anſicht 
des Lebens gelangt, durch ihre Sanftimuh und Milde denſelben leitete, war 
Frieden und häusliches Glück in unſrer Mitte. Nach deren Tode aber mit einer 
jungen gutherzigen aber beſchränkten, dann mit einer Perſon von niedrigſter 
Habſucht und falſchem Charakter verheiratet, hat er ſich dem Trinken ergeben. 

Drey bange Jahre verlebte ich [tn] dieſen für em junges Gemüth höchſt 
gefährlichen Umgebungen und war oft Zeuge von ſolchen ſinnreizenden, Herz 
und Gefühl zerſtörenden Auftritten, daß ich bey deren Erinnerung der ewigen 
Liebe nicht genug danken kann, die mich unverſehrt erhalten hat. Die Unmöglich— 
keit des einzigen glühenden Wunſches meines Herzens, mich den Wiſſenſchaften 
zu weihen, ſah ich vor mir. Aus Unmuth entſchloſſen, Soldat zu werden, er— 
hielt auf wunderbare Weiſe mein Leben eine plötzliche Wendung. Vor meiner 
Abreiſe nach Berlin beſuchte ich meinen Onkel unweit Göttingen und traf daſelbſt 
einen Sohn ſeines Bruders, der in Hannoverſchen Dienſten Artillerie-Lieutenant 
iſt. Dieſer wußte mich durch viele Gründe von meiner Entſchließung abzubringen 
und mit Empfehlungsſchreiben wurde ich zu dem Onkel nach Hannover geſchickt. 
Rein an Leib und Seele, trat ich in meinem 17. Lebensjahre in das Haus 
meiner mütterlichen V Verwandtichaft. Das zweite ——— kannte ich nur dem 
äußern nach, denn bis jett hatte ich auch Mit d den entferntejten Umgang mit 
einen Franenzimmer gehabt. Eine unbejchveibliche Aenaftlichkeit überfiel mic) 
bei dem Anblid eines blühenden Mädchens und eine bremmende Röthe überflog 
mein Gejicht. Ja als ich einjt von einer Dame von ungefähr um etwas befragt 
wurde, war ich in meiner Beftürzung nicht im Stande, ein Wort über die Zunge 
zu bringen. Doch erwarb ich mir bald durch mein offenes jugendliches heiteres 
Betragen das Wohlwollen des Onfels und die Liebe der Tante und ihrer älteften 
Tochter. Ihr Umgang wirkte gleich vortheilhaft .auf Herz und Verſtand und 
über mein Weſen floß ein jo behagliches, freudiges Gefühl, als ich nie em— 
pfunden hatte. 

Aber meine Jugend follte hier eingehen in eine reiche ernfte Schule, 
bildend umd begründend für die ganze Weite des Lebens. Ich bemerkte im 
Stillen, daß Mutter und Tochter ein tief nagender Kummer miederdrücte und 
bald wurde ich in Dinge eingeweiht, die mich mit Schrecken und Erftaunen er— 
füllen mußten. Der Vater ein weit umfchauender fcharfer Geiſt, Falt und ftolz, 
glühend für äußere Ehre, ausgerüftet mit jeltenen Kenntniſſen feines Faches, ift 
einer der Unglüclichen, die mit fich jelbjt und der Welt zerfallen allein gehen 
den öden Weg ihres erjtorbenen Lebens. Die Mutter eine — herzliche 
innige Frau, einzige Tochter in häuslicher Zurückgezogenheit glücklicher Aeltern, 
hatte als Mädchen in einem mehrjährigen Brautſtande ſeltene Treue und die 
reiuſte Liebe bewährt. Die erſten Fahre ihrer Ehe waren reich an Freuden 
und Glüd. Der Bater — ſich zur Zeit der weſtphäliſchen Herrſchaft 
durch innern Werth ſehr bald empor und baute Pläne für eine ganz volle 
Zukunft höchſter Ehre. Obgleich er nach den Zeugniſſen aller als rechtſchaffener 
Mann handelte, ſo waren ihm doch, beſonders unter dem Adel viele Feinde er— 
wachen, jo daß er bey der Umwandlung des Landes in ein Königreich durd) 
Kabale gänzlich zurücgefetst wurde. Nun war aller Frieden dahin, jedes Band, 
welches Natur und Liebe geknüpft, zerriffen. Vater, Gattin und Kinder ftanden 
einander feindfelig und haffend gegenüber. Dev ältefte Sohn, Artillerie-Lieute— 
nant, gevieth, fi) vom 14. Jahre an ganz jelbft überlaffen, im ein wildes Leben 
und drücdende Schulden. Ein zweiter Sohn fih an den Vater anfchließend, 
ward jo ganz defjen Ebenbild, falt und unempfindlich für jede zartere Regung, 
düfter und entjchlofjen, giebt ihm, was den Leib erfreut les und fein ab- 


542 E. A. 9. Burkhardt, Ernſt Ludwig Groſſe. 


gemefjenes Streben ift nur in Bezug auf höchſte Bequemlichkeit. (sie!) Die ältefte 
Tochter, zart vom tiefften Gefühl und unbeſchreiblicher Sanftheit, hatte jedes 
Leid mit dem geliebten Mutterher rzen getheilt und war ſo zu einer se innern 
Ausbildung gelangt, die in ihrer Bewußtlofigkeit und einigen (sie!) Natürlichkeit 
ungemein anzog. Sie war klein aber zierlich gebaut, auf dem nicht vegelmäßigen 
aber geiftreichen Geficht lag eine undeutliche Milde und aus ihren Haren himmel- 
blauen Augen ſprach Die Unſchuld ihrer Eindlichen Seele. Bon dem Vater ges 
haft, in den Trümmern erftorbener Liebe lebend, hatte fie einen gewiſſen Wider- 
willen gegen Männer gefaßt, mehrere glänz ende Parthien, unter anderm mit 
einem Obriſtlieutenant ausgeihlagen und war ihrem Umgange fern geblieben. 
Ihr ausprudspoller Geſang erregte in mir aufs Neue jenen Trieb, die Gefühle 
meines Herzens ausz zufprechen in Klang und Keim. Schon in meinem 14. Jahre 
batte ich bei Gelegenheit meiner, als jehriftliche Uebung erzielten Lebensbeſchreibung 
ein Gedicht beigefügt, welches den ganzen Beifall des Lehrers, ſowie die nun 
öfteren Verſuche erhielt. Später jedoch, als ich mich ausſchließlich dem Studieren 
der Mathematik hingab, wurde durch deſſen Ernſt der poetiſche Keim erſtickt. 
Jetzt kam eine Fülle von Poeſien zum Vorſchein, deren Mittheilung mich ihrem 
Herzen immer näher brachte. 

Plötzlich verfiel ſie in eine Nervenkrankheit und litt an öfteren krampf— 
haften Zufällen. Allein Troſt findend in dem Gedanken einer waltenden Vor— 
ſehung, ſchwärmeriſch für Religion und Tugend, unterhielt ſie ſich oft ſtunden— 
lang mit mir über Gott, Unſterblichkeit und Beſtimmung, die höchſten und 
heiligſten Gegenſtände für Geiſt und Herz. Da erglänzte ihr reines ſanftes 
Auge und ſchien ſich immer mehr zu öffnen und Raum zu geben dem Drange 
der unausſprechlichen Gefühle. Ihre Wangen umflog eine leiſe Röthe und die 
ſtille Dulderin wirkte ſo gewaltig auf mich gegen die öfteren zweifelnden Aeuße— 
rungen des Vaters, daß Religion und Glauben unerſchütterlich in mir befeſtigt 
wurden. Nach und nach fühlte ich mein ganzes Weſen wie verändert. Ihr 
Umgang war mir ſchon nothwendig geworden, von meinen Mitſchülern hingegen 
hatte ich mich gänzlich abgeſondert. Daß aber eine ſtille Neigung in meinem 
Herzen Wurzel gefaßt, davon hatte ich nicht die mindeſte Ahnung, obgleich ich 
einmal gegen die vermeinte Freundin äußerte, ich würde mich glücklich ſchätzen, 
wenn ich einſt ein Mädchen von ihren Charakter als Gattin finden würde. 
Eines Abends als ich noch jpät arbeitete, trat ängjtlich eine der Hausmädchen 
im mein Zimmer, meldete, daß der Zuftand der Kranken fich plötzlich verſchlimmert 
und bat mich, da Die — Ki zu Bett jey, zu ihre hinüber zu kommen. 
Erſchrocken eilte ich a Das Yager der guten Kiranfen. Ihr Zuftand ergriff mic 
aufs Innerſte. Krampfhaft zucten alle Glieder, aber auf ihrem Geficht lag der 
jtille Ausdruck des gottergebenen Yeidens. Ich fette mich mit dem Stuhle zu 
ihrem Haupte, den Arm auf das Sopha legend, die Mädchen ſchlummern ein, 
die Stunde jchlägt, in der meine Mutter zu den Seeligen eingegangen und Pina 
drücdt den Brautkuß auf meine Lippen. Ewig mein! md ich liege todtenbleic) 
in ihren Armen. So ohne Yaut und Wort kam der Morgen heran und ich ging 
mit zitterndem Kuſſe von der wunderbar Berlobten. Ich ſah und hörte den 
ganzen Morgen michts von den, was um mich vorging. Zitternd und zagend 
trat ich in das Haus. Der ganze Hergang ſchien mir ein Fiebertraum und ich 
fürchtete das ſchreckenvolle kalte Erwachen. Ich fand die Geliebte ſehr heiter und 
vergnügt bey der Mutter. Bebend erwartete ich den Augenblick ihrer Ent— 
fernung. Sie ging und wir lagen uns in den Armen, heilige Liebe und ewige 
Irene gelobend. 

Die folgende Zeit war für mich ein fortdauernder, bewuftlofer Taumel 

der Freude und des Entzüdens. Ich war raſend in meiner Liebe und hatte feinen 


C. A. H. Burkhardt, Ernſt Ludwig Grojie. 343 


andern Gedanken als nur ſie. Ich fühlte eine wunderbare Kraft ſich in mir 
entwickeln, und Gefühl auf Gefühl ſtrömte aus in einer Fülle verworrener Bilder. 
Da kam Goethes Lebensbeſchreibung mir zur Hand. Sie hat bleibenden Eindruck 
in mir feſtgeſtellt. Seine Lieder waren mir wie aus dem Herzen geſchrieben und 
von nun an hing ich treu und innig an der ewigen Lehrerin Natur. 

Es entſchwand ein unausſprechlich reiches ſeeliges Jahr, das dem (?) Stöße 
gegeben für meine ganze Lebensthätigkeit. Nur eine einzige, aber deſto furcht— 
barere Erfahrung war mir vorbehalten. Oft drückte ſich ein mir unerklärbarer 
Schmerz aus auf dem Geſicht der Geliebten. Thränen traten unwillkürlich in ihr 
Auge, Mer ſchien Furchtbares auf der Zunge zurückzuhalten. Einſt fiel ie weinend 
mir um den Hals und ſchluchzte: Nein, Du Gleliebler mußt Alles mit mir theilen! 
Furchtbar drang das Wort in mein Ohr, daß eine Sinmenliebe zu ihr der 
Grund des ee Hafjes jey. Kaltes Eis des Erſtaunens überfror meine 
Sinne bei de x grauenvollen Erzählung und viele Wochen lang war mein Gefühl 
wie erftorben in diefer Erinnerung. Die Geliebte war im 17. Jahre bey einer 
äußeren Bruftentzündung bis zum Tode frank gewefen. Der Bater hatte fie in 
der langen Schredenszeit nicht ein einzig Mal bejucht. Nach der Wiedergenefung 
ſchenkte er feine Neigung derjelben in dem Grade, daß ſie den ganzen Tag auf 
jeinem Zimmer zubringen mußte. Zur Brunnenzeit veifte er mit ihr nach 
Pyrmont, überhäufte ſie mit Geſchenken, die Mutter aber nach Der Zurückkunft 
vernachläffigend, daß Fremden die allzu große Aufmerkſamkeit für die Tochter 
nicht entgangen war, Blicke und Worte, ja ſogar Aeußerungen der Eiferjucht 
machten dieſen die Verirrung jo Kar, daß fie durch furchtbare Gejchichten von 
den Vätern verführter Töchter der jugendlichen Unſchuld Linas eine Ahnung von 
ihrer Schredenslage zu geben juchten. Sie fträubte ſich nun bejtändig, um ihn 
zu ſeyn und mußte fih der Mutter entdecken. Seit diefer Zeit ward fie vom 
Vater unverſöhnlich gehaßt. 

Wir ſelbſt ſchloſſen uns von Tag zu Tag enger an einander und ver— 
gaßen die Außenwelt in dem Glücke unſrer Liebe. Unſre Herzen fühlten gleich, 
unſre Seelen ſchienen in einander zu fließen. 

Fetzt kehrte der älteſte Bruder tm das väterliche Haus zurück, und wir 
hatten Urſache genug, unſre Liebe vor ihm zu verbergen, wußten deßhalb ſpät 
des Abends unſre Zuſammenkünften— zu veranſtalten. Dies wurde dadurch leicht, 
daß das Familienzimmer dem meinigen gegenüber lag, und Lina genug Vorwand 
auffinden konnte, allerley Beſchäftigungen wegen länger aufzubleiben, als die 
übrigen Kinder. 

Die Mutter, welche Anfangs ſehr gegen unſere zu frühe Verbindung 
eiferte, dieſelbe jedoch, als ſie wohl einſah, daß ſie alles Glück der geliebten 
Tochter zertrümmern würde, billigte, mochte den wahren Grund ſolchen Vor— 
gebens gewiß bemerken. Allein ſicher gemacht durch die frühere Standhaftigkeit 
der Geliebten bei vielfach gelegten — der Verführung, baute ſie zu feſt 
auf die Sicherheit ihrer Tugend und — nicht an die Gefahren jugendlich 
glühender Liebe. Wir legten uns oft ſelbſt die Frage vor, ob dieſe nächtlichen 
Zuſammenkünfte erlaubt ſeyen, wußten D diejelben aber durch die Sicherheit unſrer 
Gefinnungen und neue Gelübde ewig heiliger Liebe zu beſchwichtigen. Eines 
Abends fand ich Pina eingeſchlummert auf dem Sopha. Ich ſetzte mich zu ihr. 
Sie war INES heiter und ich eben aus einer muntern Geſellſchaft zurück 
gekehrt, vom Weingenuß erhitzt, ausgelaſſener als ſonſt. Wir waren überglüclich 
un unſerer Liebe, vergaßen Gegenwart, Zukunft ums jelbft und der — 
Augenblick kam, der ums beide nahe zuführte dem Abgrunde des Verderbens, 
aber auffchliegend den Sinn des Lebens, den Glauben befeftigte, die Liebe ge- 
läutert, und das Herz erweitert hat zu Reinheit und Sitte, 


344 Miscellen. 


Meme Pina iſt nach dem Ausdrucd Falls mein Lebensſchiff geword den, ſie 
wird mich durchführen, die manichfachen Stürme des Lebens in den Hafen häus- 
liher Ruhe eines ftillen Friedens in Liebe und Hoffnung. 

Dur fie bin ich —— meinen Jahren; im meiner Liebe tft mir 
klar geworden das Weſen des Menſchen und immer reiner, heitrer und freier 
ſchwebt mein Blick über Leben und Welt: 


Weißt Du, was es heißt zu lieben Du begreifſt die große Mahnung 

Eine Seele fromm und treu Höchſter Liebe, höchſten Strebens 

Iſt es Dir ins Herz geſchrieben Haft in That und Liebe Ahnung 

Was das Menjchen Leben ev. Ewger Liebe, ewgen Lebens. 
Miscellen. 


Daveſon und Leſſing. 


Im letzten Kapitel meiner Biographie habe ich des jüdiſchen Kunſthändlers, 
der an Leſſings Sterbelager geſtanden, etwas ausführlicher als bisher geſchehen 
war gedacht und auch einige anekdotenhafte Aufzeichnungen benutzt, die der un— 
ſtete Mann 1804 unter dem Namen eines Profeſſor Lange im „Freimüthigen“ 
dargeboten hat. Später erst iſt mir durch Wattenbach der „Genius der Zeit“ 
jeines Großpaters Hennings zugänglich geworden, darin umter andern — 
auch einer politiſch aufkläreriſchen Umdichtung des Liedes „Freut euch des Lebens“: 
„Freiheit, ihr Brüder, iſt unſer höchſtes Gut“ (9, 82), im Aprilheft 1796 (7, 519) 
ein Kleiner Aufſatz „Ueber Yefings Denkmal“, hervorgerufen durch Großmanns 
Agitation. Daveſon-Lange wünjcht einen fchliehten Stein mit dem Namen, denn 
das wahre Denkmal je die Sollten Er wünſcht ferner eine Sammlung 
ausgefuchter Anekdoten und „Züge“, da Karl Gotthelfs Darjtellung unbefriedigend 
jetz „Mit zu harter Hand wühlt der Verfaſſer gleichfam in dem Eingemeide 
Leſſings.“ Dann führt ex fort: 

„Ber Lelfingen bat handel gejehen, wird wiſſen, wie jehr jein Nahme 
dadurch ner würde, wenn man fein Betragen im den —— Vor⸗ 
fällen des Lebens genau beſchreiben, wenn man ihm in den verfchiedenen Ver— 
hältniffen als Menſch, als Bürger, als Bater, als Gemal, Sohn, Bruder und 
Freund ſchildern wollte. Als Gelehrter ift ev allgemein verehrt; als Menſch war 
er aber nicht ganz bekannt, und folglich nicht wie er es verdiente geliebt. 

„Ich habe das Glück gehabt, mehrere Jahre hindurch Leifings vertrauteſte 
Freundſchaft zu genieffen. Er war mein Freund, mein Lehrer, mein Be— 
ihüßer. Selbſt in der letzten Periode ſeines Lebens, wo Kränklichkeit und der 
nur zu bekante Streit mit Götzen, ihn für das geſellige Leben ſo untauglich 
machten, daß er ſich dem Umgange ſeiner meiſten Freunde faſt gänzlich entzog, 
blieb mir ſein innigſtes Vertrauen. Ich beſitze noch eine beträchtliche Sammlung 
von Briefen von ſeiner Hand, die noch völlig unbekannt ſind, und meiſt in den 
Jahren von 1776 bis 1780 — Jahre von ſo äußerſter Wichtigkeit in der 
Lebensgeſchichte Leſſings! — geſchrieben wurden. Ich wartete ihn in ſeiner 
Krankheit, und war Einer von den Wenigen, die Leſſing in den lezten Tagen 
ſeines Lebens um ſich ſehen wollte. Und — ſoll ich noch mehr ſagen? — 
Leſſing ftarb in meine Arme [jo]! 


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liscellen. 345 


„In Anſehung dieſes leztern Umftandes, kann ich mich auf das Zeugniß 
jeinev noch lebenden Aerzte, und mehrer Berfonen in Braunſchweig und Wolfen- 
büttel berufen. 

„Es läßt ſich alfo wohl mit einigen [jo] Grumd vermuthen, daß ich in 
der Neihe von Jahren, da ich das Glük einer ſolchen Freundſchaft genoß, 
manche Züge gefammlet haben muß, deren Bekanntmachung ein großes Licht 
über Leifings Leben, und feinen moralischen Karakter verbreiten würde Ich 
befite vielleicht einen größern Schaz von Anekdoten, als man bisher von dem 
Berftorbenen gelefen hat; Anekdoten, die alle aus dem Munde u, fommen, 
und um jo wichtiger find, da er fe zur Bildung jeiner Kinder, aus der feühern 
Geſchichte feines Lebens gewählt hat. 

„Dan muß Peifing in dem Zirkel feiner Familie und einiger vertrauten 
Freunde gefehen haben. Man muß ihn gehört haben, wenn ex über Wahrheit 
— Tugend und Menſchenwohl ſprach. Dan muß ihn gehört haben, wenn 
ſein Herz in Dankbarkeit für empfangene Güte, in Bewunderung großer Talente, 
und erhabener, wohlthätiger Handlungen, oder in Beratung gegen dornehme 
Lafter und Hofſchwänke überftrömte. Man muß die Würme gefühlt haben, 
womit er den glüflichen Freund warıte, belehrte; den Unglüflichen tröftete, be- 
ſchüzte. Es war hier, wo man den Schöpfer des Tellheims, des Odoardo's, des 
Nathans in feiner Schöpfung jehen und bewundern forte.“ 

Bisher habe er beſcheiden gewartet, doch werde der zuverläffige Beitrag 
nie zu jpät fommen. Trotz der Nelly und manchen leeren Phraſen iſt 
das Verſiegen dieſer O elle und der Verluft der Briefe ſehr bedauerlich. 

Da es ſich hier um Brauuſchweig handelt, ſei mir ein Wort in eigener 
Sache erlaubt. D. v. Heinemann, Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel, 
2. Aufl. 1894, bekämpft Stahr als einzigen Stimmführer der Ye Ningferigung, 
und das Citerariiche Eentralblatt Ver. 51 erklärt beifällig: „Die Schärfe des 
Ausdruds gegenüber dem legendenhaften Darftellungen der [lies: eines!) Bio— 
graphen im Punkte der Behandlung Yeifings Durch den Erbprinzen und das 
Braunſchweigiſche Haus wird mar berechtigt und begreiflich finden.“ Berechtigt 
umd begreiflich wohl auch, daß gegen diefen faljhen Plural ein Biograph ſich 
verwahrt, dev volle Unpanrteilichfeit angeftrebt, in den Anmerkungen Stahra 
„Zerrbild“ abgelehnt hat und, wenn ev fein befonderes Lob dafür begehrt, doch 
nicht ſtillſchweigend in einen allgemeinen Tadel verwicelt werden möchte. 


Berlin. Erich Schmidt 


Die erjte Nathanaufführung. 


Chodowieckt jchreibt aus Berlin den 11. Mai 17855 an die Gräfin Solms- 
Laubach, die Borftellung ſei wie erwartet ausgefallen und Herr Dübbelin gar 
nicht der Man, dergleichen zu leiften: „Sein hochtrabender Anſtand, ſeine 
affectirte Declamation ſchickten fich bejfer zum Sultan, wenn Leſſings — 
nicht einen beſſern Charakter hätte, oder zum Patriacch — der Tempelberr, der 
Alhafi und der Kloſter Bruder waren am Beſten vorgeſtellt. Drey mahl wurde 
das Stück hinter einander vorgeſtellt, aber das dritte mahl war das Hauß ganz 
leer, und wohl zu bemerken, kein einziger Jude zugegen.“ In einem undatierten 
älteren Briefe heißt es, Döbbelin ſei „ein feifter, ſchwülſtiger, aufgeblajener 
Dragoner- Imeeoigcıer von dem fih miemand einen Nathan geipielt denken 
önne. W. v. Dettingen hat mir diefe Stellen mitgeteilt. 


346 Miscellen. 


Daß Madame Mecour die Daja, nicht Die Necha dargeftellt have, tft 


ſchon von mir „gelagt worden. Im Gothaifchen Theaterfalender auf 1796 heißt 
es ©. 294: „In den letttern Jahren ihres Lebens jpielte fie komiſche Mütter, 
affeftivte Damen und andere darin einfchlagende Karrifaturen mit dem aus- 
gezeichnetiten Beyfall. Auch legte Be als Daja im Nathan dem Werfen noch eine 
dortrefliche Probe von ihrer Kunſt Verſe zu vezitiven ab.“ 


Berlin. Erid Schmidt 


Die fünf Goethe-driefe an Salzmann aus der 
Straßburger Beit. 


Im vorjährigen Ofterprogramm des Johanneums zu Hamburg (Nochmals 
die „Sejchichte in. Sejenheim". Hamburg 1894) habe ich verjucht, über die 
Beziehungen des jungen Goethe zu dem Pfarrhauſe von Sejenheim  ficheren 
Auffhluß zu erlangen, indem ich Die Darjtellung des jpäteren Goethe i 
Dichtung und Wahrheit einmal ganz beifeite jegte und nur Die unmittelbaren 
Zeugniſſe (Gedichte, Briefe) reden ließ. Das für mich überrafchende Ergebnis 
war, Daß die im Dichtung und Wahrheit gegebene Darjtellung in noch viel 
höherem Grade, als bisher angenommen wurde, ein Werk der frei fchaffenden 
Phantafie ift und mit dev gefchichtlichen Wirklichkeit wenig mehr als die Wahr- 
beit der Dargeftellten Charaktere gemeinſam bat. Unter jenen unmittelbaren 
Zeugniffen nehmen nun die fünf Briefe an Salzmann eine hervorragende Stelle 
ei. —— ihrer Benutzung iſt aber die Feſtſtellung ihrer richtigen Reihen— 
folge und Datierung. In der oben erwähnten Abhandlung bin ich den Beweis 
für die von mir befolgte Reihenfolge noch ſchuldig geblieben und möchte ihn daher 
im Folgenden führen. Ich habe mich darin im ganzen an die von A. Baier 
(Das Heidenröslein 1877) vorgeſchlagene und von H. Düntzer angenommene An— 
ordnung angeſchloſſen. Die Weimariſche Goethe-Ausgabe (Abteilung IV, Band 1, 
Jr. 73—-77), nach welcher im folgenden citiert wird, bringt Die Briefe, freilich 
mit dev Bemerkung, daß ihre Chronologie umficher jei, noch im der Anordnung, 
wie fie Eh. M. Engelhardt zuerft 1838 herausgegeben hatte, indem er ſich „io 
viel möglich nach chronologiſcher Wahrjcpeinlichkeit“ richtete. Baiers Gründe 
für eine Neuordnung find weſentlich innere Gründe, und dieſe gehen immer 
nur auf eine größere oder geringere Wahrjcheinlichkeit. Indeſſen enthält einer 
der Briefe einen bisher noch nicht ausgenußten Sat, aus dem fich für feine 
Anordnung auch dev Äußere Beweis nahezu mit Sicherheit führen läßt. 

Die Briefe wollen wir nach der alten Neihenfolge als Nr. I—V zählen 
und benennen. Daß Wr. I—IV aus Seſenheim gejchrieben find, wird von 
niemand beftritten, Nr. V Dagegen wird von dev Weimariichen Ausgabe nad 
Düngers und Baiers Borgang mit dem VBermerf „Straßburg, Sommer 1771" 
verjehen. Diejen letteren Brief müfjfen wir daher von den übrigen vorläufig 
trennen und geſondert behandeln. 

Ueber die vier erſten Briefe ſteht zunächſt Folgendes feſt. 

1. Die Briefe find durch Botenbeftellung befördert. Wöchentlich einmal 
(wie noch heute auf dem Lande in der Nähe der Stadt häufig üblich) ging 
“eine Botenfraun von Sefenheim nad dem etwa 7 Stunden entfernten Straßburg 


(©. 2361 16, 3-23; 1 . Was fie von dort mitbringen joll, muß reis ' 


Miscellen. 347 


tags früh beim Sädler Schöll unter den Gemwerbslauben abgegeben werden, 
Der kurze Brief Nr. IV ift datiert „Mittewoch Nachts“ d. h. jpät abends: er 
ift noch im der legten Stunde gejchrieben, um anderen Morgens der Bötin nach 
Straßburg mitgegeben zu werden. Diefe machte alſo mit ihrem Tragkorb 
(©. 261 1: „die Trägerin”) den Weg zur Stadt am Donnerſtag — wohl von 
Drufenheim an mit Benußung der Pot —, blieb die Nacht in der Stadt und 
fehrte Freitags auf demfelben Wege nad Sejenheim zurück. Wir dürfen dem— 
nach das „Mittwoch Nachts” als Datumsbezeihnung auf alle vier Briefe aus- 
dehnen. 

; 2. Die vier Briefe machen den Eindruck, daß fie in Benußung diefer 
regelmäßigen Gelegenheit wöchentliche Berichte an den Straßburger Freund und 
Mentor find, in denen der junge Goethe nach feiner Art Rechenſchaft giebt von 
jeinem äußeren und inneren Zuftand. 

3. Goethe ift in Sejenheim zu Beſuch. 

Wollten wir nun die jeßige Mr. I auch der Zeit nach als erften Brief 
gelten laffen, jo müßten wir diefem Befuch eine jehr lange Dauer, von mindeftens 
acht Wochen, geben. Denm hier jteht (©. 255 23), daß der Schreiber jeit der 
Trennung vom Empfänger „+ Wochen älter“ geworden jei. Aber gerade diefer 
Umftand macht die. bisherige Ordnung verdächtig. 

Wir finden in den Briefen zwei beftimmte Zeitangaben: jene „A Wochen“ 
in Nr. I umd den „Pfingftmontag“ im Wr. III (©. 262 ı). Hiernach ift Ver. III 
früheftens in der Woche nah Pfingiten gefchrieben. Pfingiten fiel 1771 auf 
den 19. und 20. Mai. ES fiele alfo Ver. III auf Mittwoch den 22. Mai, Nr. II 
auf Mittwoch den 15. Mai, Ver. I auf Mittwoch den 8. Mat; und da Goethe 
bei Abfaffung von Ver. I ſchon vier Wochen in Sefenheim ift, jo wäre er in 
der ſechſten Woche vor Pfingjten, d. i. in der Woche nach Oſtern, nach Sejenheim 
gefommen. Sein Bejuch fiele dann unter dem Gefichtspumft eines, wenn auch 
verjpäteten, Dfterbefuches. 

Nun fteht in Nr. I der bisher nicht gemügend beachtete Sat: „Die 
garjtigen Winde von Abend raſcheln in den Nebblättern vorm Fenſter.“ Die 
der Dorfjtraße und der Kirche zugewendete Wejtjeite des Haufes war mit einem 
Weinftod bewachjen, und deſſen Blätter waren zur Zeit des Briefes bereits jo 
weit entwidelt, daß der hindurchfaufende Weftwind darin „raſcheln“ konnte. Am 
Mittelrhein nimmt man an, daß im einem normalen guten Jahrgang die Neben 
am 15. Mai fo weit entwicelt fein jollen, daß man ihr Grün über den Strom 
ihimmern ſieht. Wer aber dieſen leichten fliegenden Schimmer in den fonft noch 
grauen Bergen einmal gejehen hat, der weiß, daß derjelbe eine noch ſehr zarte 
Entwidelung der jungen Rebſchößlinge bedeutet, bei der die Blätter erſt fich zu 
entfalten begimmen, wo fie noch nicht !/, ihres jpäteren Umfanges haben und mit 
ihren Stielen jo weich und biegfam find, daß ein heftiger Wind fie wohl abreißen, 
aber fein Geräufch mit ihnen verurjachen kann. Hier dagegen werden voll ent- 
widelte, auf ihren langen Stielen beveitS hart gewordene Blätter vorausgejeßt. 
Das ift, jelbft unter den günftigften Jahresverhältnifien, um den 8. Mat nicht 
möglich, das ift auch bei jorgfältig gepflegten Spalierwein erft im Lauf der erjten 
Hälfte Juni zu erwarten. Hat aljo Goethe beim Schreiben von Nr. I die Weit- 
winde im dem Nebblättern vor feinem Fenfter „rajcheln“ gehört, jo folgt mit 
völliger Gewißheit, daß der Brief im die erſte Hälfte des Juni fallen muß, mithin, 
da Wr. III ja ſchon am 22. Mai gefchrieben ift, von den 4 Briefen der erſte 
nicht ſein kann. Wir müfjen aljo nach Anhaltspunkten für eine anderweitige 
Anordnung der Briefe fuchen. 
| Ein ſolcher ift nur in Nr. III gegeben. Dieſer Brief ift nach unſerer 
borlänfigen Annahme am Mittwoch den 22. Mai gejcehrieben; Nr. III und IV 


348 Miscellen. 


gehören aber zeitlich zufammen, d. h. fie ftellen zwei auf einander folgende 
Wochenberichte dar. Der Beweis liegt in der „Schachtel mit 2 Pfunden gutem 
Zuckerbäckerweſen“ (S. 261 18). Goethe beftellt diefe in Nr. III und dankt 
für deren Bejorgung („fürs Zuderdings”) in Nr. IV. Der „Mittewoch“, an 
dem Nr. IV gejchrieben wurde, wäre alfo dev Mittwoch der zweiten Woche nach 
Pfingften, der 29. Mat.1771. 

Nun ift da der Brief Nr. I, gejchrieben in der eriten Hälfte des Juni, 
alfo jedenfalls nach III amd IV. Er muß ferner von dem nächft vorhergehenden 
Briefe einen Abftand von mindeftens einer Woche haben. Alſo fällt ev früheftens 
8 Tage nah Wr. IV, das wäre auf Mittwoch der dritten Woche nach Pfinaften, 
den d. Juni 1771. Beim Schreiben ift Goethe bereits vier Wochen am Plate; 
er wäre alfo, wenn man die bier Wochen genau rechnet, am Mittwoch dei 
8. Mat hinausgefommen. Der Ausdrud „vier Wochen“ behält aber auch jein 
echt, wenn wir den für Befuche auf dem Land wahrjcheinlicheren Sonnabend 
als Ankunftstag vorausfjegen. Sein Beſuch im Pfarrhaufe hätte dann am Sonn— 
abend den 11. Mai oder 8 Tage vor Pfingften begonnen. Auf alle Fälle kenn— 
zeichnet er ſich dadurch nicht mehr als Oſter-, jondern als Pfingftbefud. 

Dann muß man fi) aber die weitere Frage vorlegen, was natürlicher 
ift: daß Goethe, der Student, einen Pfingftbefuch auf dem Lande ſchon 8 Tage 
vor dem Feſte begann, oder daß er damit bis zum Feſte felbjt wartete? Ohne 
allen Zweifel das letstere! Einmal konnte Goethe dabei den Schluß der Vor- 
(efungen mitnehmen, dev wohl am Freitag vor Pfingften (den 17. Mat) erfolgte; 
auf der anderen Seite pflegt auf dem Dorfe die Woche vor dem großem Feſten 
von Arbeiten erfüllt zu fein, die Haus und Garten für das Felt im Bereitjchaft 
ſetzen ſollen. Da fommt auch der Tiebjte Gaft ftörend. Dafür ift denn am 
Feſte jelbft alles Kar zum Empfang der Gäfte, und je mehr ihrer fommen, defto 
bejier. Stellt man fich demnach in diefer Frage auf Die Seite des Natürlichen, 
jo muß man jagen: Goethe hat jeinen Pfingftbefuch am Sonnabend vor Pfingften, 
den 18. Mai, begonnen umd der 4 Wochen jpäter gejchriebene Brief Nr. I fällt 
auf Mittwoch den 12. Juni. Diejes Datum fommt mit den im Winde rafchelnden 
Kebblättern vorm Fenſter auf befte überein. Die Nebblätter haben ihre volle 
Entwidelung foeben erhalten; das Raſcheln des Windes in ihnen, das man fi) 
ja nicht als ein fehr lautes Geräufch vorftellen darf, ift noch etwas Neues und 
wird als Zeichen der Jahreszeit noch empfunden umd angemerkt, etwa wie der 
erſte Schatten der Bäume oder das zarte Grün der Buchen. 

Das Datum des Briefes Nr. I (12. Juni 1771) dürfen wie nunmehr 
als den erſten feften Punkt unferer Unterfuchung betrachten. Von hier aus 
beftimmt fich zunächſt die Stelle für den Brief Nr. II. In beiden Briefen 
handelt es fich um die verzögerte Nüdreife. In Mer. I fühlt der Schreiber zwar 
die Notwendigkeit der endlichen Abreife, aber ex kann den beftimmten Entſchluß 
dazu micht finden; im Nr. II dagegen hat er für feine Perfon den rechten Ent- 
ihluß zwar gefaßt, ev hat ihm nur bis jetst gegen die (betrübten) Geftchter 
um ihn herum nicht durchzuführen vermodht. Das ift ein entfchiedener Fortſchritt 
in der Sache, der einen Fortichritt in der Zeit bedeutet. Daß ferner die Abreife 
jetst wirklich in greifbare Nähe gerückt ift, beweifen die Worte: „Machen Sie fid) 
auf ein abenteuerlih Nagout Keflerionen, Empfindungen, die man unter dem 
allgemeinen Titel Grillen eigentlicher begreifen könnte, gefaßt.“ (S. 260 1821.) 
Denn diefe Neflerionen oder Grillen find Die Ergebniffe feines Nachdenkens über 
Leben und Menfchen, wie es fih in Sefenheim weitergebildet hat. Er will fie 
dem Freunde mündlich vortragen, und diefer mündliche Vortrag fteht in jo 
naher Sicht, daß jener fich ſchon darauf „gefaßt machen“ foll. Bei der unerwartet 
verlängerten Abwefenheit find ihm aber einftweilen die Geldmittel ausgegangen. 


Miscellen. . 349 


Die Worte, im denen ev fih Erſatz erbittet, deuten ebenfalls auf nahe bevor- 
jtehende Rückkunft: „Wenn Sie mich bald wiederfehen wollen, ſchicken Sie mir 
einen Wechiel, mich auszulöfen.“ Der Freund möge die gewünjchten Louisdor 
der Ueberbringerin mit zurückgeben, ev wünſcht das Geld alfjo umgehend zu 
erhalten, er hat es eilig mit dem Neifegeld. Daraus ergiebt fich nicht nur, daß 
Jr. II hinter Nr. I einzuftellen ift, jondern auch, daß es der lete Brief vor 
der wirklichen Rückkunft nach Straßburg war. Die zeitliche Entfernung von 
Nr. I iſt wieder auf eine Woche, das Datum alfo auf Mittwoch den 19. Juni 
anzufegen. Die Rüdkunft wird den Sonntag darauf (den 23. Juni) erfolgt 
fein, nachdem ex Freitags vorher das erbetene Geld erhalten hatte. 


Sp bejtätigt fih uns die von Baier aufgeftellte Ordnung der Briefe: 
Nr. III, IV, I, Il. Wenn wir aber die als wahrjcheinlich gefundenen Data, 
nämlich den 23. und 29. Mai, den 12. und 19. Juni, muftern, jo ftellt jich 
uns eine Lücke dar: es fehlt der Bericht aus der dritten Woche, welcher auf 
Mittwoch den 5. Juni, zwifchen Nr. IV und I, fallen müßte. Che wir Ddiejer 
Frage näher treten, wollen wir uns mit dem Briefe Nr. V beichäftigen. 


An diefem Briefe wird zunächſt das blaue Papier, auf das er gefchrieben 
ift, und das zufolge feiner urjprünglichen Beſtimmung bejonders geeignet jei, 
dem Empfänger vom Abjender die Berficherung feiner Liebe zu bringen, interefjant. 
Der erfte Herausgeber identifizierte es mit dem Papier, in welches das „Zucker— 
dings“ eingepadt war. Goethe hätte das Konfeft in Mr. III bejtellt, in Ver. IV 
für die Bejorgung gedanft und Nr. V in Ermangelung befjeven Papieres auf 
das blaue Umhüllungspapier gejchrieben. So ergäbe ſich die Neihenfolge III, 
IV, V, ımd Nr. V würde als dritter Wochenbericht in die Lücke treten, die wir 
joeben entdedten. Indeſſen — der Brief vernichtet fich an dieſer Stelle durch 
jeinen Inhalt jelbit. Zwar daß Goethe nach einer in Sejenheim oder Umgebung 
durchſchwärmten Nacht im moralichen Katenjammer den plötzlichen Entſchluß 
der Rückkehr zu feinen Straßburger Pflichten gefaßt und den ſchönen Vorſatz 
nach einem gejunden Schlafe am anderen Morgen vergeffen hätte und da geblieben 
wäre, hätte nichts Auffallendes. Aber man bedenfe: abends um 9 Uhr Fündigt 
er von Seſenheim aus dem Freunde feine auf „morgen um 7 Uhr“ fejtgejette 
und zu Pferde zurückzulegende Nücreife an. Der Brief ſoll doch durch die Boten- 
frau gehen. Aber wie? Wenn Goethe nun am Donnerstag früh um 7 Uhr 
von Sejenheim wegreitet, dann wird er ja etwa um 10 Uhr jchon in Straß- 
burg jein umd kann den Freund fpäteftens zu Tiſch begrüßen? Und während 
deß fommt fein Brief im Tragkorb der Botenfrau langjam der Stadt zugereift, 
um am Abend dem Freunde beftellt zur werden umd ihm zu jagen, wie dem 
Schreiber, den er Mittags gejehen, geftern zu Mute gewejen? Unmöglich! 
Goethe würde durch Die bloße Ankündigung etwas in fih Abgeihmadtes und 
Widerfinniges gethan haben. Faſſen wir nun den Wortlaut des Briefes genauer 
ins Auge, jo müffen wir ums jagen, daß er fich viel eher wie ein Abjchieds- 
al3 wie ein Ankündigungsbrief lieſt. „Leben Sie vergnügt, bis ich Ste wieder 
ſehe“ — mit diefen Worten nimmt man Abjchied, und zwar für eine längere 
Beit. Das Pferd, das anderen morgens 7 Uhr gefattelt jein wird, hat aljo die 
Beſtimmung, feinen Neiter von dem Empfänger zu entfernen. Wohin? Darüber 
iſt Diefer offenbar jchon orientiert; ung verrät es der Satz: „In meiner Seele 
iſt's nicht ganz heiter; ich bin zu fehr wachend, als daß ich nicht fühlen jollte, 
daß ich nach Schatten greife.“ Denn diefer Sat wird ganz allgemein umd mit 
Recht auf fein Liebesverhältnis zu Friederike gedeutet. Wenn er aljo fortfährt: 
„Und doch — morgen früh 7 Uhr ift das Pferd gefattelt und dann Adieu!“ 
jo kann das nur heißen: Und Doch will ich morgen früh nach Seſenheim hinaus— 


350 Miscellen. 


veiten! Die Ortsangabe „Straßburg“, welche die Weimarifche Ausgabe dem 
Briefe hinzufügt, iſt alfo gewiß richtig. 

Nun deutet aber Dünger den beabfichtigten Ritt auf den legten Befuch, 
den Goethe in Sefenheim machte, das „Adieu!“ auf den Abjchied von Friederike, 
den er dort auf immer zu nehmen gedenfe. Ich kann die Zuftimmung, die 
Dünter damit gefunden hat, doch nicht teilen. Die „Schatten“, nach denen der 
Schreiber zu greifen ſich bewußt ift, Elingen an den Mythus von Jrion an, der 
nach Hera greift und ein Wolfengebild in Händen hält. Der Sat bejagt aljo, 
daß der Schreiber aus feinem Liebestraum erwacht ſei und an die Entwidelung 
desjelben zu einer wejenhaften, bleibenden Berbindung nicht mehr glaube. Um 
die Mitte Auguft, wohin der Brief nah Dünters Deutung doch gehören würde, 
war das aber für Salzmann eine alte Wahrheit, und ihre bildlih verhülfte 
Anfündigung müßte höchlich befremden. Dünter jelbft beſchränkt dieſen letten 
Beſuch auf einen einzigen Tag, aber wenn wir ihn auch nah Dichtung und 
Wahrheit auf 2—3 Tage ausdehnen wollten, jo würde jelbft dieſe furze Dauer 
mit der Situation unſeres Driefes in Widerftreit geraten. Das Adieu, das er 
am Schluſſe dem Freunde zuruft (jede andere Deutung thut der Logik Gewalt 
an) blickt auf eine beabfichtigte längere Abwefenheit hinaus. Dieje oben ſchon 
ausgejprochene Bermutung wird zur Gemwißheit Durch die im Briefe erwähnte 
Unordnung und Leere der umgebenden Stube. Dieje Leere wird dem Schreiber 
zum Sinnbild für den fagenjämmerlichen Zuftand feines eigenen Kopfes. Wie 
er in jeinev Stube fein ordentliches Stüd Papier mehr auftreiben kann, jo findet 
er in feinem Gehirn fein weiteres Abſchiedswort als die alte Berficherung feiner 
Liebe. Der wüfte und leere Zuftand der Stube aber — woher follte er jonft am 
Borabend der Abreije rühren als vom Einpaden? Diejes offenbar umfängliche 
Einpaden aber erinnert jogleich wieder an den „tüchtigen Mantelſack“, den ex in 
Dichtung und Wahrheit auf die Diligence pacte, als Friederike ihn „auf längere 
Zeit“ eingeladen. Kein Zweifel: Goethe nimmt hier Abjchied für einen längeren 
Beſuch in Sefenheim, für den er fich foeben durch Einpacden eines hinreichenden 
Borrats an Kleidern und Büchern ausgerüftet hat. Diefe Situation unferes 
Briefes enthält num den weiteren Fingerzeig für die wahrjcheinliche Zeitbeftimmung 
desjelben. Wir wifjen nur von Einem Befuch, der von vorn herein auf eine 
8—14 tägige Dauer beabfichtigt war, und das ift eben der Pfingftbefuch 1771, 
der ums bier bejchäftigt. Geſetzt aber auch, es jei eine ähnliche Situation ſchon 
früher einmal dageweſen — denn warum folltte ex nicht z. B. um Oſtern ſchon 
einmal auf 8 Tage nach Sejenheim haben gehen wollen? — jo würde doch der 
Sats über jein Erwachen aus dem Liebestraum auf Feine frühere Zeit paffen; 
denn noch Anfang Mai jtand feine Liebe im herrlichften Blütenſchmuck, wie ung 
das jpäter „Mailied“ überfchriebene Gedicht bezeugt. Dagegen verrät hier ſchon 
gleich der erjte aus Sefenheim nah Pfingften gejchriebene Brief (Nr. II, 
S. 261 14; 262 10-15) eine Stimmung, die völlig mit der in Nr. V aus- 
gejprochenen übereinkommt; diejelbe Stimmung äußert fih in den folgenden drei 
Briefen immer deutliher und umverhohlener (S. 263 4-8; 258 s; 259 15 bis 
260 17), ja alle dieſe Aeußerungen find in Wahrheit nur Variationen des in Nr. V 
angejchlagenen Grundthemas. Das muß aber zu dem Schluffe führen, daß die 
Reife, für die der Schreiber in Nr. V gerüftet erſcheint, feine andere ift als eben 
der Pfingitbefuh, von dem wir jene vier Briefe vor uns haben. Einige Er- 
wägungen nebenfächlicher Art unterftügen dieſen Schluß. Den wüften Zuftand 
feines Kopfes führt der Schreiber auf die vorher durchſchwärmte Nacht zurüd, 
und diejes Schwärmen deutet fich völlig ungezwungen auf eine Abjchiedsfneipe der 
Freunde — wir haben es ja mit Studenten zu thun — vor ihrem Auseinander- 
gehen zum Genuß der Pfingftferien. Mit dem nächtlichen Schwärmen fteht der 





Miscellen. 351 


(von- Straßburg nach Seſenheim mitgebrachte, S. 261 8-10) üble Geſundheits— 
zuſtand Goethes ſo viel und ſo wenig im Widerſpruch, wie mit dem raſenden 
Tanzen am darauffolgenden Pfingſtmontag (Nr. III). Man könnte vielmehr in 
jenem wie in diefem fchon ein Symptom für das innere Unbehagen des erwachenden 
Liebhabers erbliden. Und jo wäre es in der Ordnung, wenn diefes Unbehagen 
fih in der übernädhtigen Stimmung des folgenden Tages zum erjten Mal zum 
Haren Wort losränge, wenn nicht für ihn jelbft, Doch für den Freund. Auf 
diefe Weife bliebe der Brief Nr. V ungetrennt von den übrigen, mit denen er 
durch Die gleiche innere Stimmung zujammengehalten wird; nur tritt er als 
erfter vor ihre Reihe, und fein Datum wäre, da Goethe doch nicht wohl auf den 
Bormittag des erften Pfingfttages ins Pfarrhaus hinausreiten fonnte, Freitag 
den 17. Mai 1771. 

Bon hier aus wenden wir ung wieder zurüd zu der Lücke in den Wochen- 
berichten. Sollte Goethe wirklich einen Botentag verſäumt haben? Möglich wäre 
es ja, aber es ijt wenig wahrjcheinlih. Die Bemerkung in Wr. II: „Sie fchreiben 
mir doch, da find Sie fo gut und ftecken fie (die Louisdor) in den Brief“, jetzt 
auf Seiten Salzmanns die regelmäßige Benugung der Botengelegenheit voraus. 
Auch die Annahme, daß ein Brief verloren gegangen, wäre Doch erit ftatthaft, 
wenn fein Erflärungsverfuch mehr übrig bliebe. Zu einem folchen verhilft uns 
aber, was Wr. V uns gelehrt hat. Goethe ritt nach Sefenheim, um dort einen 
längeren Aufenthalt zu nehmen. So lang freilich, wie er nachher geworden 
ift, war er nicht beabfichtigt (S. 260 26). Wir werden nicht fehl gehen, wenn 
wir Goethes anfängliche Abficht auf die Dauer der Pfingjtferien im einer kleinen 
Erweiterung, doch jo daß es im mefentlichen auf einen Ferien-Aufenthalt hinaus- 
fam, erftreden, aljo auf 8—14 Tage. Innerhalb dieſer vorgefehenen Frift hat 
er gewiß nicht an Schreiben gedacht. Erſt als gegen Ende derjelben feine Gefund- 
heit noch nicht wieder ins Gleiche gefommen war und er fich zu erheblich längerem 
Bleiben entſchloß, da fühlte er das Bedürfnis, den Freund von dem veränderten 
Programm in Kenntnis zu jegen und für die weitere Dauer feiner Abmejenheit 
(„va ic Sie jo lang nicht jehen werde“) mit ihm in regelmäßigen Briefverfehr 
zu treten. Dies ift die gleich zu Anfang Kar ausgejprochene Beranlaffung des 
erften Briefes (Nr. III), in dem er denm auch gleichzeitig den Freund über die 
zu benutende Berfehrsgelegenheit unterrichtet (S. 261 16, 23—26). Diefer erfte 
Brief ift demnach nicht während, fondern erft nach Ablauf der erjten Woche nad 
Pfingften, aljo am Meittwoch der zweiten Woche, d. i. am 29. Mai, geichrieben 
worden. Ein unterftüßender Nebenbeweis dafür ift der Ausdruck „Pfingftmontags“ 
(itatt: am Pfingitmontage) und gleich darauf das Vlusguamperfeftum „der Herr 
Amtsihulz .. hatte feinen Saal hergegeben“. Beide Ausdrucksweiſen klingen 
natürlicher, wenn damit nicht auf den vorgeftrigen Tag, fondern auf eine fernere 
Vergangenheit zurücgeblidt wird. Iſt aber damit das Anfangsdatum des 
ganzen Briefwechſels fejtgeftellt, jo reihen fich Die vier Briefe aus Sefenheim 
lüdenlos an einander. 

Für alle fünf Briefe erhalten wir demnach die Reihenfolge: Nr. V, III, 
IV, I, I1; die Daten find: Freitag den 17. Mai und Mittwoch je den 29. Mai, 
den 5., 12., 19. Juni 1771; der erſte Brief ift noch in Straßburg, die übrigen 
bier find aus Sejenheim gejchrieben. Hiermit find zugleich die in meiner er— 
wähnten Abhandlung auf ©. 22 vermuteten Daten in einem Punkte bevichtigt. 


Hamburg. Adolf Mep. 


Euphorion II. 23 


352 Miscellen. 


Zu Goues „Majuren". 


Bon den Mitgliedern der Sa Kronprinzen- Tafel, die in Goués 
ſchnurrigem Drama „Maſuren oder der junge Werther“ (Frankfurt und 
Leipzig 1775) unter ihrer ritterlichen Verkleidung auftreten, haben ſich bis jetzt 
nur wenige — worunter allerdings die wichtigften — ermittelt laffen. Durch 
Zufall bin ich im der Yage, Die Maske eines der bisher unbekannten „Ritter“ 
lüften zu können: im Gotters Nachlaß, den feine Enkelin Frau von Zeh geb. 
Schelling in Gotha bewahrt, findet fich ein Brief von von Schleiniß an den 
Dichter, datiert von Berlin, 18. März 1777, worin ſich der Schreiber unzwei— 
deutig als den Nitter Reinald zu erkennen giebt. In Bezug auf Weilar 
beißt es: „Die Begebenheiten, welche fh in ımferer Haupt Burg an der Lahn 
zugetvagen werden fie theils vom Ritter Collincourt mündlich theils durch Ihre 
Correipondenz mit Liſuart erfahren haben. — — — Unſer Ganz ift jegt Buben 
Zuchtmeifter im der Academie militaire” u. j. w. Wer Collincourt ift, der 
jonft nirgends erwähnt wird, weiß ich "nicht; bei Liſuart au Keftner, Gotters 
Haupt-Korreipondenten in Weßlar zu denken, verwehrt der Umftand, daß Keſtner 
1777 längft nicht mehr in Wetlar weilte. Der kurbrandenburgiſche Sekretär 
Ganz it bereits aus Götz' „Geliebten Schatten“ (Fakfimile Nr. 22b) als 
„Ritter Wunibald“ bekannt. In „Maſuren“ tritt keiner der drei „Ritter“ auf. 

Die Entdeckung, daß Schleinitz der „Reinald“ Goués iſt, hat wohl nur 
den Wert, daß ſie lehrt, nicht in allen Perſonen, die in „Maſuren“ größere 
Rollen ſpielen, ſeien wichtige Mitglieder der Rittertafel zu ſuchen. 


Leipzig. Rudolf Schlößer. 


Goethe ein großer Nehmer.!“ 


Unter dieſer Aufſchrift hat einer der feinſten, ſcharfſinnigſten und zugleich 
vorſichtigſten Kenner deutſcher Sprache und Bildung, dem wir alle ſo viel 
verdanken, ein paar Fälle beſprochen, wo Goethe ſich Wendungen anderer deutſchen 
Dichter angeeignet haben ſoll. Freilich war er weit entfernt, den auf ein wahr— 
baftes Nichts ſich gründenden Vorwurf des faſt kindiſch eiferfüchtigen alten 
Klopſtock zu billigen, der Schöpfer von „Hermann und Dorothea“, deſſen Quelle 
er glücklicherweiſe nicht ahnte, ſei (das hinzugefügte „vielleicht nur zuweilen“ 
mildert nicht, es verſtärkt die Anklage) „ein gewaltiger Nehmer“: aber die Auf— 
ſchrift iſt wenn auch am Ende das Beiwort großer wegfällt und die Bezeich— 
nung nur als nicht ungegründet aufrecht erhalten wird, doch bei der ſchleichenden 
Sucht, Entlehnungen aufzuſpüren, die ſchon zum Plagiaturwahnſinn geworden, 
um ſo verführeriſcher, als der Schild eines ſolchen Namens ſie deckt, und man 
wird vom Entdeckungseifer ſich getrieben fühlen, die Waidtaſche mit ähnlicher 
Beute zu füllen, dieſes Kapitel immer reichlicher auszuſtatten ſuchen. Da mag 
es denn geſtattet ſein, auch einmal gegen einen mit Recht ſo verehrten Mann 
wie Rudolf Hildebrand beſcheidenen ſachlichen Einſpruch zu erheben. 

Schon Waniek hatte in Goethes „Zueignung“ vor den Werfen (jett 
unmittelbar vor den Gedichten) Anklänge an Immanuel Jakob Pyras für feine 
Zeit wertvollen „Tempel der wahren Dichtung“ gefunden, der zum Teil Popes 


1) Diejer Aufja war noc bei Hildebrands Lebzeiten gejchrieben und angenommen worden. 
Der Herausgeber, 


Miscellen. 353 


„The Temple of Fame* nachgebildet ift. Die in reimloſen Alerandrinern einher- 
Ichreitende Dichtung erſchien zuerjt in einer wenig verbreiteten Gratulationsjchrift. 
Aber der darin übertrieben gefeierte Paftor Lange Leſſingiſchen Andenkens legte 
es in Goethes Geburtsjahr, fünf Jahre nah Pyras Tod, wieder auf in der 
zweiten Auflage der „Freundſchaftlichen Lieder“ zwifchen ihm und ſeinem Lob- 
preifer. Mit Leſſings Zermalmung des Yaublinger Paſtors und Dichters im 
Fahre 1754 waren die „Freundſchaftlichen Lieder“ fait ganz abgethan, ja jchon 
durch neuere ähnliche Tändeleten erſetzt, und kaum dürfte Goethe fie unter den 
vaterländifchen Dichtern gefunden haben, die im der Bücherfammlung feines allen 
veimlojen Gedichten feindlichen Baters ftanden. Es war nicht zu verwundern, 
daß Wanieks Aufftellung, eines Der gefühlteften Lieder Goethes ſei von Pyra 
beeinflußt, Starken Widerſtand erregte. Auch Hildebrand fträubte fih anfangs 
dagegen, aber bei jpäterer Pejung des Pyraſchen Gedichtes ſchien ihm die Ent- 
lehnung unleugbar. 


Pyras Schilderung der falſchen Dichtung lautet (Deutjche Literatur— 
denkmale des 18. und 19. Jahrhunderts 22, 88): 


Die in dem eitlen Schmuck unechter Steine prahlte, 
Das dünn gewebte Zeug des weiten Kleides ſchwohl 
In tanjend Falten auf. Mit übermalten ofen 
War ihr Geficht geſchmückt. Die Glieder jehienen ftark, 
Doh war es lauter Schwulſt und ein verftelltes Weſen. 


Goethes Göttin der Wahrheit greift mit der einen Hand (doch wohl 
mit der rechten) im die dichten NMebelftreifen, die vor ihr weichen, und man fieht 
fie num den reinften Schleier halten, der fich dann ausdehnt, vechts und links 
ihren Körper umgiebt. 


Er floß um fie und Shwoll in taujend Falten. 


„Da ift Doch das Denten an em zufälliges Uebereinftimmen zu Ende“, meint 
Hildebrand. Mit Goethe möchten wir bitten: „Nicht fo geichwind !“ 

Seltjam wäre es doch, wenn der Dichter feine Befchreibung des Nebel- 
jchleiers, der eine Geftalt der Wahrheit umfließt, von Pyras buhlexiſchem Pute 
der falſchen Dichtung hergenommen hätte. Das fünnte er nur abfichtlich 
gethan haben; ich jche aber nur cine mögliche Abficht, die des Spottes auf 
den dor vierzig Jahren geftorbenen Dichter, diefer aber liegt dem erhabenen 
Ernfte unferer „Zueignung“ doch zu fern. Und fehen wir näher zu, jo fagen 
die nur in dem Schwellen und Aufſchwellen ſich umterjcheidenden Worte 
etwas ganz verjchiedenes. Die falſche Dichtung fteht vor einem der beiden 
Wege und die Beichreibung bezeichnet nicht eine jeßt eingetretene Veränderung, 
jondern den But und die Meidung, worin fie dort fich zeigt. Das Kleid der 
efallfüchtigen Buhlerin war in Falken aufgefhwollen; die Falten waren genähte 
Kalbeln, Kraufen, zu denen das dünne Zeug beſonders geeignet ift. Bet Goethe 
iſt nicht von einem Kleide die Nede, fondern von einem aus dem zuſammen— 
gedrückten Nebel entftandenen Schleier, der fich dann ausdehnt und die Geftalt 
umbüllt, indem er auf beiden Seiten in veichen natürlichen Falten frei nieder- 
fließt. Das Schwellen ift eben fo wenig eigentlich zu fallen, wie daß der 
Schleier aus Morgenduft und Sonnenglanz gewebt war. Die äußere Aehnlichkeit 
wird dadurch erhöht, daß zufällig an beiden Stellen der nicht bloß der Dichtung 
eigene Gebrauh von taufend zur Bezeichnung einer großen Anzahl fteht. 
Unfer Beifpiel ift ein Beleg, wie derjelbe Ausdrud in abweichendem Sinne ge- 
braucht werden kann, umd wie zufällig zwei Dichter wörtlich übereinftimmen 
fünnen, was freilich am fich nicht zu verwundern ift. 


23* 


354 Miscellen. 


Herrſcht hier der Zufall, jo fommt uns dieſer glüdlih darin zu ftatten, 
daß er uns don der Urjprünglichkeit der Erfindung Goethes den unzmweideutigften 
Beweis erhalten hat. Wenn Pyra feine wahre, — Dichtung mühſam durch 
unanſchauliche Beſchreibung künſtlich aufgeputzt bat, (ein perlenweifes Kleid fließt 
von ihren Schultern, fie ift prächtig, groß und wie fie fich den Engeln zeigt, trägt 
eine Harfe und es fehlt nicht an allegorifchen Begleiterinnen), jo ſchöpft Goethe 
alles aus lebendiger Anfhauung und der ihm aufgegangenen Idee. Aus einem 
Briefe an Frau don Stein wiffen wir, wann und wo er diefe Idee gefaßt. 
Am 12. Dezember 1785 jchreibt er von Jena aus: „Die Tage find ſehr ſchön; 
wie der Nebel fiel, dachte ih an den Anfang meines Gedichts („Gebeimmiffe“, 
die urjprünglich mit der „Zueignung“ begannen). Die dee dazu habe ich hier 
im Thal gefunden.“ Da er den Plan zu den „Geheimniffen“ ſchon im 
Auguft 1784 gefaßt hatte, bereits am 8. den Anfang an Herder fchicte, muß 
ihm die Idee an einem der Schönen Sommermorgen vom 25. und 26. Juli oder 
vom 1. und 2. Auguft gefommen fein. Dieje kann nur gewejen fein, die 
Wahrheit ſei ihm erjchtenen, als der Nebel von den Sonnenftrahlen durchbrochen 
wurde, und fie habe ihm den aus Morgenduft und Sonnenklarheit gebildeten 
Schleier der Dichtung verliehen. Die zu Jena ihn damals ergreifende Erfcheinung 
der aus Nebeln hervorftrahlenden Sonne ſchwebte ihm noch lange vor: er benutste 
fie zu der 1797 begonnenen Elegie „Euphroſyne“ beim Nahen der vom Schatten- 
führer Hermes geleiteten Seele der eben hingeſchiedenen Chriftiane Becker, und 
noch 1810 hieß es im luftigen „Ergo bibamus“ vom Tage: 


Er führet die Freude durchs offene Thor, 
ES glänzen die Wolfen, es theilt fich der Flor, 
Da jchwebt uns ein Bildchen, ein güttliches, vor. 


Aus dem Keime der ihm im Jena aufgegangenen Idee ift der prächtige Baum 
der „Zueignung“ erwachlen, zu dem der Dichter, der in den vorhergehenden 
Sahren jo leuchtende Proben großartiger Ddichterifchen Erfindung gegeben hatte, 
nicht bei Pyra eine ärmliche Anleihe der taufend gejchwollenen Falten zu machen 
und eben fo wenig aus deſſen totem Allegorien-Conglomerate dichterifche Diamanten 
herauszuflauben brauchte. 

Denn Hildebrand, der einmal die Benutzung des Pyraifchen „Tempels“, 
wenn auch Goethe das gemeine Bild vom Tempel verfhmäht hat, für unleugbar 
hielt, will auch andere Entlehnungen im der „Zueignung“ finden, felbft in der 
Erſcheinung der Wahrheit. Damit ftellt ev des ältern Dichters Einführung der 
heiligen Poeſie zufammen, als er nachts in feinem Zimmer Davids Palmen fang 
(Deutjche Piteraturdentmale 22, 86): 


Gleih ward auf einmal alles hell, 
Die Wände zittertem; jchnell ftand vor meinen Augen 
Ein göttlih Schönes Bild in vollem Lichte da. 


Was konnte Goethe daraus nehmen, das nicht anſchaulicher vor feinem Geijte 
jhmebte? Wie ganz eigen ift gegen dieſe Stümperei Goethes Geift und Herz 
athmendes Leben? Soll etwa aus dem in „vollem Licht da ftehenden göttlich) 
— Bilde“ Goethe „ein göttlich Weib“ genommen haben, das „mit den 
Wolken hergetragen,“ vor ſeinen Augen hinſchwebt, ihn anſieht und verweilend 
ſchweben bleibt? Dies und die herrliche Anrede ſtehen in ſchneidenſtem Gegenſatze 
zum ärmlichen Flickwerk des ſteifen Allegorikers. Ja, auch im weiteren Fort 
gange der Pyraiſchen Erzählung jollen ſich Aehnlichkeiten mit Goethes „Zueignung“ 
finden. Aber was hat die „in Wolfen eingehüllte“ Kluft, die an das Thor der 
Hölle hinabreicht, mit dem Nebel zu thun, woraus die Wahrheit hervorttitt, 





Miscellen. 355 


was das Wiederaufleben des vor Schreden bewußtlofen, von der heiligen Dichtung 
über die Shauderhafte Kluft im ihr Neich getragenen Pyra mit dem Auffchlagen 
der Augen des no vor dem Erſcheinen der Göttin von dem vor ihr her— 
gehenden Glanze Geblendeten, wo kaum ein paar gangbare Worte gleich ſind? 
Und daß die Gottesfurcht, die Natur und die Armut Langes Schultern und 
Haupt mit einem weißen Schleier bedecken, die heilige Dichtung ihn durch einen 
Kranz zu ihrem Dichter weiht, wird mit dem wunderbaren von der Wahrheit 
verliehenen Schleier als B sorbild zufammengeftellt. Pyras verhüllender Schleier 
ift lächerlich, der Kranz ein uralter Kohn des Dichters, während Goethes Zauber- 
jchleter jo neu wie bezeichnend verwandt ijt. 


Ueberzeugt von der Entlehnung aus Pyras „Tempel“ hatte Hildebrand 
ſich augenblicklich bejtimmen lafjen, auch den urfprünglihen Schluß einer ganz 
eigentlichen Sturm- und Drangdichtung, der Ode „An Schwager Kronos“, aus 
einem neuen Dichter, und zwar aus einem noch lebenden herzuleiten, aus dem 
Jeſuiten und oſſianiſchen Barden Denis. Da Hildebrand ſelbſt dieſe Nach— 
ahmung aufgegeben, ſo könnten wir uns einfach dabei beruhigen: aber wer ver— 
bürgt uns, daß nicht ein anderer wieder darauf zurückkommt? Die „Klage über 
Gellerts Tod“ (um dieſe handelt es ſich) galt zur Zeit für das Erhabenſte, was 
der Heimgang des allverehrten Dichters und Weiſen unter ſo vielen Blümeleien 
von Dichterſtümpern hervorgerufen, aber ſie war echt bardiſch und am wenigſten 
in Gellerts Sinne. Als Sined-Denis den Blick zum Winterhimmel erhebt 
Gellerts Todestag war der 13. Dezember), erblickt er dort „den ſatten Lebensgaſt 
[conviva satur des Horaz] unter den Barden der VBorwelt“, worauf „ein 
großes Erftehen von allen Wolfenfiten dem Lehrer der Jugend, dem Sitten— 
verbefferer, dem Feßler der Herzen, dem holden, menjchenfreundlichen Weifen“. 
Aus ihren Umarmungen fieht der Selige lächelnd herab und ſchaut fih auf 
Erden in feinen Gefängen verewigt, ja Deutjchland vom Auslande gejegnet, 
weil der Himmel ihm einen Gellert geſchenkt. Das ift freilich echt Macpherjon- 
oſſianiſch, ja es liegt eigentlich der Schluß des ſiebenten Gejanges von „Temora“ 
zu Grunde, den Goethe aus dem Gacelifchen 1771 überjett hatte. Herder 
nahm dieſe Hebertragung 1779 in die „Volkslieder“ auf. Oſſian ruft dort drei 
alte Barden Selmas au, daß fie in ihm den Geift des Gejanges erweden, und 
er fragt fie, im welcher Wolfenhalle fie ruhen, ob fie, in Morgennebel gehüllt, 
da, wo die Sonne tönend hervorbricht, die Schattenharfe rühren. Goethe, dem 
der Bardenfchwindel widerwärtig war, joll num durch Die Stelle von Denis zum 
Wunſche veranlaßt worden fein, der Orkus möge durch den Ton des Hornes 
und das rafjelnde Einfahren ins Thor erfahren, daß ein Fürft ankomme und 
Bhrunien bon ihren Siten ſich die Gewaltigen lüften“ (ein launiger Ausdrud). 
Das einzige, worin Goethe mit Denis übereinftimmt, ift das Aufftehen vom 
Site, um den Ankfommenden zu ehren. Warum joll aber Goethe dies vom 
Pater Denis genommen haben, den er in dem Stimm umd Drang, wovon dieſe 
Ode zeugt, nicht für einen wahren Dichter gehalten haben wird? Die Anzeige in 
den „Frankfurter gelehrten Anzeigen“, die Goethe in jeine Werfe aufgenommen, 
iſt nicht von ihm. Freilich scheint eine Dichteritelle Goethe zu dieſem launigen 
Schluffe angeregt zu haben, aber eine antike. Im homerifchen Hymnus auf 
Apollo zittern die Götter, wenn der Ferntreffer ſich dem Hauſe des Zeus naht; 
ſobald er dieſes betritt, fliegen alle von ihren Sitzen auf; erſt wenn die Mutter 
Leto Bogen und Köcher ihm von der Schulter genommen und aufgehängt hat, 
jegen fie fich wieder. Diefer Zug muß Goethe beluftigt und fich ihm eingeprägt 
haben. Schon 1773 wird ev die homerifchen Hymnen gelejen haben; auch das 
wenige, was wir vom homerifchen „Margites“ wiffen, war ihm befannt. Den 
erſten Teil jenes Hymnus hat ev 1795 überfegt und drucken laffen. Wie treffend 


356 Miscellen. 


ijt jene Stelle von ihm verwandt worden, wenn er ſich hiev im Orkus als Fürft 
ehren laffen will! Später ſchien ibm dies zu ſtudentenhaft und er erjeßte es 
durch eine andere antike Auſpielung: er fafite den Pluto als Hausherren, dejjen 
Säfte die Toten find. In der „Iphigenie“ will Oreft mit Schweſter und Freund 
„zu Plutos Thron, um als neue Gäſte den Wirt zu grüßen“. In den „Fröſchen“ 
des Arijtophanes bewirtet Pluton die Scheidenden. Auch dachte Goethe wohl an 
des Horaz domus — Plutonia. In „Götter, Helden und Wieland“ ruft 
Pluto „inwendig“ dem lärmenden Herkules zu, ex ſolle draußen Ruhe halten. 


„N Klopſtocks Wort von Nehmen ijt nicht ohne“, jchließt Hildebrand. Aber 
in dem Sinne, wie diefer das Wort nehmen faßte und im dem man es ber- 
jtehben muß, it es entſchieden unwahr. Ein gewaltiger Nehmer, bemerkt der 
Dichter des „Meiftas“, jet Goethe beim Götz geweſen. Er deutet an, daß er 
den Ton der Zeit nur da getroffen, wo die Yebensbejchreibung ihn gegängelt 
babe; Die neuen Perſonen, Die er eingeführt, ſprächen nicht, wie fie im den 
damaligen Zeiten bätten jprechen follen. Nach der Art feiner Aeußerung wäre 
das Beſte im Schauspiel aus der Lebenshejhreibung genommen. Klopſtock hatte 
fih gewundert, als er jpäter im „Götz“ ganze Stellen, welche der Ritter felbft 
gejchrieben, wörtlich wiederfand, umd bet der Mißgunft, mit welcher er damals 
den großen Dichter anſah, bildete er fich ein, alle Perſonen der Lebensbefhreibung 
jprächen bei Goethe gerade fo wie in diefer. Wir brauchen nicht zu jagen, daß 
Dies Das gerade Gegenteil der offenen Wahrheit und an fi) undenkbar ift. 
Goethe hat den richtigen Ton, oft wunderbar, getroffen, nicht den von dei 
Leuten der Zeit gefprochenen, jondern denjenigen, der ihrem Charakter und den 
Verhältniſſen gemäß ift. Hätte Klopftod wirflih und mit Ernſt Schaufpiel und 
Lebensbeſchreibung verglichen, jo würde ihm die Meifterichaft des Dichters nicht 
allein im Ton, fondern auch in der Umgeftaltung der Handlung, in der 
Chavakteriftif der Haupt- wie der Nebenperjfonen umd im der ganzen dDramatijchen 
Yeitung unmöglich entgangen fein. Was muß Herder, an dei Klopſtock dieſe 
gewiffenloje Verurteilung richtete, empfunden haben! Wozu Klopjtod in dieſer 
Beziehung fähig war, zeigt fein Briefwechjel mit Böttiger über „Hermann und 
Dorothea“. Von Goethe als großem Nehmer führt Klopſtock weiter nichts an 
als ſeinen Verdacht, jener habe vieles, was er gegen Newton über die Farben 
geſchrieben, aus einer ‚Schrift Marats genommen. Daß diejer Verdacht ganz 
fehl ging, weiß jeder,. der fi) mit Goethes durchaus jelbftändigen Farbenunter- 
ſuchungen abgegeben hat. Wäre derjenige ein Nehmer, der irgend etwas von 
andern entlehnt, auch wenn ev es durchaus eigentümlich benutzt, welch ein ge- 
waltiger Nehmer wäre Klopſtock jelbt, ja fogar der Größte der Großen, Shafejpeare, 
der den fremdejten überlieferten Stoff m jein Fleiſch und Blut verwandelte. 
Klopſtock hätte fich faft mit größerem Nechte wie auf „Götz“ auf „Clavigo“ 
berufen können. Auch bier hat Goethe ganze große Stellen aus dem dramatiſch 
belebten Berichte von Beaumarchais genommen, aber wie jehr er trotdem ſich 
auch bier der jchaffenden Dichterkraft bewußt war, zeigt die ein paar Monate 
jpätere Aeußerung an Jacobi, wo er Clavigo mit lebhafter Freude als jeine 
Schöpfung in Anfpruch nimmt, ja das kritiſche Meſſer herausfordert, Die bloß 
überjetsten Stellen vom Ganzen abzutrennen, ohne es zu zerfleifchen, ohne eine 
tötlihe Wunde der Struktur, der Lebensorganifation zu verjegen. Wie hier das 
Ganze troß Dev ſtarken Beruugung des Memoires eine friiche, Tebenswarme 
Schöpfung fei, hat neuerd dings wieder Erich Schmidt entwidelt. Wenn Goethe 
jeinen Singipielen zum großen Teile vorhandene Stüde zu Grunde legte, jo 
machte er fie Durch ihre freie Umgeftaltung zu feinem Eigentume. Im höchſten 
Grade war dies bei der „Iphigenie“ der Fall. Aus den vömifhen Triumviren 
der Liebe hat er ſich manches feelenhaft angeeignet, es mit feinem eigenen Leben 





Miscellen. 357 


fo innig verſchmolzen, daß feine Elegten uns bezaubern, für ewige Zeiten prechende 
Bilder gefühltefter finnlicher Liebe geworden. Hier von einem Nehmer im ſchlimmen 
Sinne zu reden, was dazu dem Sprachgebrauche zumider ift, ſcheint uns das 
bitterfte Unrecht. Goethe war fein Nehmer, er war ein Macher, im Sinne des 
griehifchen zomrjs, ein Schöpfer. Aus dem „Hiob“ das „Borjpiel im Himmel“ 
zu gewinnen, war ein Triumph feiner wunderbaren Geftaltungstraft. Einzelne 
Ausdrüde, Gedanken, Wendungen fich frei anzueignen, ift der Dichter von jeher 
berechtigt gewefen. Sa, was wäre alle Bildung, wenn wir nichts von andern 
hernähmen; fie hängt ja, wie die Sprache, von bejtändigem Annehmen und 
MWeiterbilden ab. Wirkt nicht Homer durch das ganze geiftige und fittliche Leben 
der Hellenen fort? Noch furz vor feinem Tode erklärte Goethe bejcheiden, in 
feinen Werken zeige fich nichts als die Fähigkeit und Neigung, zu ſehen und zu 
hören, zu umterjcheiden und zu wählen, und das Gefehene und Gehörte mit 
einigem Geift zu beleben und mit einiger Gejchieklichkeit wiederzufpiegeln. Mag 
man immer das, was Goethe von andern fich angeeignet, nachzumeifen fuchen, 
er hat nichts genommen, um es als fein Eigentum auszugeben, fondern es frei 
zur feinem dichterifchen Zwecke verwertet. Nicht auf Diefe Einzehrheiten kommt es 
an, ſondern auf das geiftige Band ımd das innere Leben. Goethe ift Fein großer 
Nehmer, ev war ein großartiger und reicher Schöpfer. 
Köln, Heinrich Düntzer. 


Zu Heinrich von Kleiſts Briefen. 


Heinrich von Kleift ift uns im feinen perjönlichen Berhältniffen wie in 
jeiner literariſchen Erſcheinung fo jehr ein Rätſel, daß es einen großen Reiz hat, 
auch noch jo zarte Fäden zu entdecken, Die ihn mit andern Perfünlichkeiten ver- 
binden. Hier ein Kleiner Beitrag. 

Als Kleift in Frankfurt ftudierte, war einer feiner Lieblingslehrer der 
Profeſſor der Naturwiſſenſchaften Chr. E. Wünſch. Diefer ungewöhnlich begabte 
Mann wäre felber einer biographiihen Darftellung wert. In feinem Lebens- 
gange, dem Aufſteigen aus den miederften Verhältniffen erinnert ev an Jung— 
Stilling. Herftammend aus einer armen Weberfamilie in Hohenftein im ſächſiſchen 
Erzgebirge, verlebte er eine harte, entbehrungsreiche, arbeitspolle Jugend und 
balf früh ſchon in der Weberei mit. Wie Jung lebte auch er feine frühen Jahre 
im Kreiſe pietiftifch angehauchter Heiner Leute und war von früher Jugend an 
auf die Ergründung veligiöfer Fragen und Zweifel gerichtet. Wie Jung ftets 
auf ein ımmittelbares Eingreifen der Vorſehung in feine Schicfale, wenn fie ſich 
kritisch geftalten, baut, fo auch Wünſch: das zeigt ſchon der Titel feiner unten 
angeführten Selbjtbiographie. Während aber Jung in dem gemütlichen Aufgehen 
in Gottes Willen feinen Frieden fand, regte fih frühe in Wünſch der Trieb, 
die Bernunft in religiöfen Dingen mitreden zu laffen, ja ſogar fie als faft einzige 
Inſtanz gelten zu laſſen, und er wurde fo fchließlich zu einem Aufklärer erften 
Ranges, dem man den landläufigen Vorwurf der Seichtheit nicht ganz eriparen 
fan. Zeuge ift fein anonym erfchienenes Buch „Hörus oder aſtrognoſtiſches 
Endurteil über die Offenbarung ©. Johannis“ („Ebenezer, im Verlage Des 
Bernunfthaufes“ 1783), welches jeiner Zeit Aufjehen erregte, wie die Bemerkung 
eines Anonymus im der Berliniſchen Monatsjchrift 1784, 4, 331 beweift, der 
von elenden Reifebefchreibern jpricht, welche fich glauben „ein Anfehen geben zu 
‚können, wenn fie zuperfichtlich, und Doch oft falfch genug jagen: der . . ift der 
Verfaffer des Horus, der. . der Berfaffer der Briefe u. j. mw.“ Ob Goethe 


>58 Miscellen. 


mit ſeiner unten angeführten Anſpielung auf die Apokalypſe den Horus im 
Sinne hat? Wäünſch war allerdings durch heuchleriſch-zelotiſche Vertreter der 
Orthodoxie, welche ſeine Jugenderziehung leiteten, durch Beobachtung der Lächer— 
lichkeiten der Herrnhuter — vgl. ſeine ergötzlichen Schilderungen eines Herrnhuter— 
conventikels in feiner Selbſtbiographie ©. 85 f. — zu dieſem Ertrem getrieben. 
Er machte die ganze Stufenleiter feiner Weberzunft durch: Lehrjahre, Gefellenzeit, 
San GR Meifterichaft, ja jogar das Herumvagieren als Haufierer mit der 
Yajt auf dem Nücen. Dabei vegte jich frühe in ihm der Wiffensdurft, dem er 
aber nur verjtohlen und bei mangelnden Mitteln nur ſchwach befriedigen fonnte. 

Güpner, einer der wunderbarſten Autodidakten, jelber Webermeifter in 
Hohenſtein, führte ihn in die mathematischen Wiffenfchaften ein (über Güpner ſieh 
den Aufjat von Wünſch „Denkmal eines mathematischen Leinewebers“ in der Ber- 
liniſchen Monatsſchrift 1784, 356—578). Ein abenteuerliher Plan der Aus- 
wanderumg nad Oftindien führt dem Meittellofen nach Leipzig; wie Jung in 
Straßburg findet ev von Fall zu Fall weitere wunderbare Hülfe, feine Gejchid- 
lichkeit im Anfertigen von Planetarien gelegentlich des Erjcheinens eines Kometen 
ichafft ihm Gelder und Ruf: er ftudiert Medizin in Leipzig, und wir finden ihn 
endlich im Frankfurt als Profeſſor und Lehrer Kleiſts. Goethe erregte ſich 
gelegentlich jeiner zyarbenlehre jehr über nat Buch „Verſuche und Beobacht— 
ungen über die ‚Farben des Lichts“ (1792). Weil Wünſch dort ftatt Newtons 
7 Farben nur 3 einfache Farben gelten lich, veripottete ihn Goethe in dem 
Xenion Wr. 175: 


Neueſte Farbentheorie von Wünſch: 


Gelbroth und grün macht das Gelbe, grün und violblau das Blaue! 
So wird aus Gurkenſalat wirklich der Eſſig erzeugt! 


Vgl. Goethes Werke Hempel 36, 530: „Hier haben wir unſern guten Wünſch 
wieder und ſeinen Eſſig, der aus Gurkenſalat erzeugt wird.“ An Schiller 
ſchrieb Goethe betreffend dieſe Controverſe den 13. Januar 1798: „Wünſch 
bringt eine Hypotheſe vor, die toller iſt als ein Kapitel aus der Apokalypſe u. j. w.“ 
jieh oben. Dieſe umd andere Nachweiſe zu finden im der neuen Xenienausgabe 
von E Schmidt und B. Suphan, Schriften der Goethegefellichaft 8, 1893 
zu Nr. 800. 

Yen das Leben diejes Mannes intereiftiert, der leje ſein Bud: „Biographie 
meiner Jugend, oder der durch den Komet von 1769 in einen Profeffor ver- 
wandelte Webermeifter. Auch eine Betätigung des Glaubens, daß Gottes 
Vorſehung über die Menjchen waltet.“ Von feinen jpäteren Arbeiten führe ich 
nur die der allgemeinen Aufklärung dienenden Werfe an: „KRosmologijche Unter- 
haltungen für die Jugend“, 3 Bände Leipzig 1778—1780 und „Unterhaltungen 
über den Menſchen⸗ 2 Teile Leipzig 1796—8, 2. Auflage. 

Wie wir aus Kleifts Briefen erſehen, "liebte letterev es, als er noch die 
Univerfität bejuchte, aus der Schule zu ſchwatzen: die Faum gehörten Vorträge 
jeiner Lehrer ehren zu Nut und Frommen jeiner Braut in Unterweifungen an 
diefe wieder. Ich möchte nun eine Filiation zweier Stellen Kleiftifcher Briefe an 
jeine Braut von Wünfchens Vorlefungen her annehmen. 

1) Anno 1500 jchreibt Kleift unter dem 16. November an Wilhelmine 
(Biedermann ©. 118 ff.) einen Brief, in welchem er darlegt, wie weiſe Lehren 
man aus der Beobadjtung der Natur jchöpfen könne. Dann ſpricht er von 
zufälligen Entdedungen duch Beobahtung der Natur. Zuerft von Newtons 
großer Entdedung: „Man erzählt von Newton, es fer ihm, als er einft unter 
einer Allee von Fruchtbäumen ſpazieren ging, ein Apfel von einem Zweige vor 





Miscellen. 359 


die Füße gefallen“ u. f. f Damm von Galilei und dem Kronleuchter in Der 
Kirche, von Pilatre und dem Rauch der Eſſe (Luftichiff), von Columbus und 
dem anſchwemmenden Holz u. a. Dazu vgl. man nun die Ausführungen von 
Wünſch in „Unterhaltungen über den Menjchen“ 1, 43 f. (die ſchon im den 
„tosmologiichen Unterhaltungen“ fait ebenſo ftehn 5, 16 f.): „Betrachtet man 
num den Gang, welchen die menschliche Vernunft in Erfindung müslicher Künfte 
und Wifjenfchaften genommen hat, etwas aufmerfiamer, jo kann man fich über 
die ——— Wirkungen derſelben gar nicht genug verwundern. Archimedes 
durfte nur, wie die — von ihm erzählet, wahrnehmen, daß er ſein Gewicht 
größtenteils verlor, oder daß das Waſſer ſeinen Körper emporhob, als er einſt 
ins Bad ſtieg: und auf einmal entſtand in ſeinem Verſtande eine neue Wiſſen— 
ſchaft .. die Hydroſtatik . . Newton .. ſah nur einen Apfel von einem hohen 
Baume fallen, umter welchem er lag und fich feinen Gedanfen überlieh, als das 
große Licht, welches er faft über alle Wiffenfchaft verbreitet hat, fich wie der Blitz 
durch feine Seele ergoß . . .“ Folgen Guttenberg und Fuſt; dann: „Vielen 
Menjchen, vorzüglich aber Dichter und Bhilofophen, fahren auch ohne merkliche 
Beranlafjung zuweilen ganze Reihen neuer Ideen durch die Seele und ftellen ſich 
ihnen auf einmal als Grundz züge herrlicher Bilder und neuer Lehren dar, die ſie 
dann fogleich erhafchen und weiter ausbilden, denn ſonſt verſchwinden fie plötzlich 
wieder. Wahrjcheinlich entdeckte Kepler auf diefe Weiſe die Geſetze der Bewegung 
der Wandelfterne, Dörfel, ein Pandgeiftlicher in Sachen, den Yauf der Kometen, 
Leibnit den Weg zur Erfindung einer Menge mathematischer Yehren, Kant feine 
Grundlehren der neueren Philoſophie u. ſ. w.“ Man ſieht an der Behaglichkeit 
der Ausführung, daß diefer Gedanke ein Stecfenpferd Wünſchens war. Ob er 
ihn nicht auch im feinen Borlefungen den Hörern zum Beten gab? 

2), In einem andern Briefe von 22. März 18501 (Biedermanı ©. 164), 
wo Kleiſt von feiner unheilvollen Beichäftigung mit Kant jpricht umd von ſeinem 
zerftörten Olauben an die allmähliche Zunahme unferer Erkenntnis, jagt er! 
„sh hatte jchon als Knabe, mich dünkt am Rhein durch eine Schrift von 
Wieland, !) mir den Gedanken angeeignet, daß Die Vervollfommung der Zweck 
der Schöpfung wäre Sch glaubte, dag wir einjt nach dem Tode von der Stufe 
der Vervollfommmung, die wir auf dieſem Sterne erreichten, auf einem andern 
weiter fortjchreiten würden, und daß wir den Schaß von Wahrheiten, den wir 
bier fammelten, auch dort einft brauchen fünnten. Aus diefen Gedanken bildete 
ſich ſo nach und nach eine eigene Religion und das Beſtreben, nie auf einen 
Augenblick hienieden ſtill zu ſtehen und immer und unaufhörlich einem höhern 
Grad von Bildung entgegenzuſchreiten, ward bald das einzige Princip meiner 
Thätigkeit. Bildung ſchien mir das einzige Ziel, das des Beſtrebens, Wahrheit 
der einzige Reichtum, der des Beſitzes würdig iſt.“ Hier verweiſt Kleiſt ſelber 
auf Wieland als Quelle des Gedankens, und die Idee, daß auf den Sternen 
Geiſter wohnen, iſt auch ſonſt verbreitet, ſieh Hallers Gedicht über den Urſprung 
des Uebels III, 197/8 und Kant im der allgemeinen Naturgeſchichte und Theorie 
des Himmels II. Zeil Anhang (von den Bewohnern der Geftirne) = Werfe 8, 378. 
Bal. Hirzel Haller, Einleitung S. CXXXV. Immerhin aber ift es möglich, 
daß auch dieſe Gedanken durch Wünſch erſt vecht in Kleiſt gefeftigt wurden. 
Wünſch jchreibt nämlich in den „Eosmologifchen Unterhaltungen“ 1, 502 f.: 
„Schrift und Natur des Menfchen überzeugen uns von der ewigen Dauer und 
Unfterblichkeit unſeres Geiſtes: ja die legtere giebt ums jogar ſelbſt jtärkere 
Beweisgründe diefer großen Wahrheit an die Hand, als die Welt glaubt; fie ift 
im Stande, uns weit bündiger davon zu überzeugen als der ganze gedanfenleere 


1) Er meint wohl Wielands Gedicht „Die Natur der Dinge”, Bud) IV, Stanze 493 ff. 


360 discellen. 


Wortkram vieler sn bon dem Gegenteil . . . Gott hat die Seele 
nicht gejchaffen, um den Körper zu beleben; er gab vielmehr der Seele einen 
Körper, Damit fie durch die ſinnlichen Werkzeuge eine Menge erhabener Begriffe 
aus feinen herrlichen Werfen der Welt, wie aus einer unverſäugbaren himmlischen 
Duelle, ſchöpfen mögte, welche ihre Nahrung find und die fie in Ewigfeit nicht 
wieder verlieren farm, wenn auch gleich der Körper mit der Zeit zerftört wird. 
Solche Kenntniffe . . werden fich jenjeit des Grabes, wenn wir nicht mehr ver- 
mittelit der iwwdifchen Banden des Körpers. . . [gefeffelt find], ohne allen Zweifel 
noch viel weiter ausbreiten ımd erhöhen, maßen wir alsdanı von Sphären zu 
Sphären uns emporſchwingen und unſern Geift unaufhörlich mit neuen anfchauenden 
Kenntniffen der gütigen Gottheit umd feiner erhabenen Werfe fättigen werden; 
von Haller jagt [fiche oben]: 

Die Sterne find vielleiht ein Sit; verflärter Geiſter, 

Wie hier das Yafter herrſcht, ift dort die Tugend Meifter. & 

Für wirkliche Abhängigfeit von Wünſch fpricht, daß Kleiſt in dem letzt— 
genannten Briefe, ein paar Seiten fpäter, Wünſchens Bud jeiner Braut — 
indem er ſchreibt S. 125: „Aber die beſte Anleitung, Dich im Selbſtdenken zi 
üben, mögte doch wohl ein — Buch ſein, etwa Wünſchs —— 
(weltbürgerliche) Unterhaltungen, das ih Div gefchenft habe u. f. m.“ 


Charlottenburg. Berthold Schulze. 


Zacharias Werner als Erzieher. 


Als Zacharias Werner die „Söhne des Thals“ gejchrieben hatte, juchte er 
mit heißem Bemühen, die Bundesideen, die er als dramatiſcher Prediger in 
Diefem Werk verfündete, nun auch als praftiicher Neformator zu verwirklichen. 
„Eine Bepiniere des Heiligen von Fräftigen, möglichjt gefunden und unverdorbenen 
Menſchen“!) wollte ev gründen. Es gelang ihm auch in Königsberg eine Feine 
JFüngerſchar um fich zu verfammeln, der unter andern der von ihm bejungene 
Rafael Bock angehörte. Als Werner danı nah Warjchau verjegt wurde, ging 
ſein Profelgtenwerben weiter. Er wird auf den Berliner Kreis Varnhagens und 
Chamiffos aufmerffam, bier glaubt er feine Leute voll Empfänglichfeit und En— 
thuftasmus zu finden. — Er jchreibt einem begeifterten Aufja über den von 
ihnen perausgegebenen Mufenalmanad) auf das Jahr 1804; dieſe Anzeige, die 
meines Wiffens nie gedrudt worden ift, befindet ſich handjchriftlih auf Der 
Kgl. Bibliothek zu Berlin. Sroßmeifterlich begrüßt er die Jünglinge: 

„Der Bund, dem fich diefe Freunde widmen, ift zwar noch Sekte, aber 
der Freund des Schönen, d. h. des verfinnlichten, vermenschlichten Göttliche, 
darf die Hoffnung nicht verlieren dieſe Sekte einft zur Kirche erhoben zu jehn, 
und es muß ihm erfreulich fein, Neophyten zu erbliden, die einjt des Prieſter— 
tums nicht unmert jein werden.“ 

Auch brieflih tritt ev dem reife näher, bekannt ift das verftiegene 
Schreiben an Chamiffo (Dünter, Zwei Bekehrte ©. 72), unbekannt und ungedrudt 
dagegen ein fragmentarifcher Brief an V Barnhagen, der nie abgeſchickt worden ift. 
Der Adreſſat erhielt ihn jpäter 1506 im Berlin perfönli vom Schreiber aus- 
gehändigt. Er befindet ſich gleichfalls auf der Berliner Bibliothek. 

Das für Werner jehr harakteriftiiche Schriftftüd, das feine ganze verwirrte 
und dumpfe Gefühlswelt auf das Anfchaulichite vefleftiert, lautet folgendermaßen : 


) An Schefiner. Blätter für Titerarische Unterhaltung 1831, S. 1173, val. aud) Gejell- 
ſchafter 1837, S. 66. Werners „Lebensabriß“ von Hitig, ©. 4) ff. 


EEE 


Miscellen. 361 


Berlin, Sommer 1806. !) 
Mein lieber guter VBarnhagen! 

Ich beantworte Ihren lieben Brief den Tag darauf, als ich ihn erhalten, 
in einem gewiffen heterogenen Gefchäfte, Sie können alfo jehen, wie viel er und 
insbejondere fein Gegenftand uns werth ift. Ich muß geftehen, Ihre und Ihrer 
Mitverbundenen Liebe zu mir freut mich ehr, und habe des gar fein Hchl, daß 
fie mich hauptjächlich deshalb freut, weil ich ficherlih wünfche, dem was mir 
ewige heilige Wahrheit ift, Profelyten d. h. Leute zu erwerben, die nicht ſowohl 
unter meiner Leitung, als mit mir Hand in Hand das Heilige lenten, üben und 
predigen. Daß dieſe Leute Jünglinge find ift gut, ja im einer Zeit faſt not— 
wendig, wo die Gemeinheit (d. h. die Entfernung vom Heiligen) fih in den 
Gemütern der meiften bejahrteren Menfchen faft petrificirt hat, alfo weniger von 
einzelnen Menfchen, als vom Weltgeifte durch Herbeyrufung tragiſcher Welt- 
ihidjale zu vertilgen find, Die das Volk indem fie dem Egoism, feine letzten 
Stüten rauben, gewaltfam nötigen, fih nach einem fefteren Anker, nämlich nad) 
einem im Unendlihen und Ewigen wurzelmden umzufehen. 

Bey Fünglingen find diefe gewaltfamen Impulſe deshalb weniger nötig, 
weil fie aus dem Morgentraume der Kindheit eben zum frifchen Leben erwacht 
find, und noch mehrere Anklänge der Nacht, nähmlich der ewigen Unendlichkeit, 
aus der fie hervorgegangen, in ihrem Innern wiederklingen. Ich liebe alfo, wie 
das Juwel des Schönen überhaupt diefen reinen Diamant, in dem fich Die 
Gottheit am klarſten jpiegelt, ich Tiebe, jage ich, auch das Gold der Jugend, in 
dem er eingefaßt ift. Jünglinge, Jungfrauen, Kinder find mir immer jehr 
heilig und meine Meifter und Lehrer gewejen, jo daß ich felbft in der Wildheit, 
(dem erwachenden Drange zum ewigen Leben) die Göttlichteit verehrt habe und 
noch verehre, wie wohl ich überzeugt bin, daß fich auch Die Wildheit in Frieden, 
wie alle Gährung in Klarheit auflöfen müffe.?) Wollen Sie und ihre Genoffen 
mit ihrer Jugendkraft und Schönheit, alfo bloß mich belehren, jo würde ich 
das mit vielem Danke unbedenkflih annehmen, und jo viel ich fünnte benützen. 
Jetzt aber, wollen Sie von mir, wo nicht belehrt, jo Doch geleitet werden, oder 
geregelt und da bin ich noch nicht im Neinen, ob ich und wie ich's mit ihnen 
anfangen foll ? > 

Ob ichs mit Ihnen anfangen jol? (Mit Ihnen und Ihren Genofjen). 
Was ic von mir mit Recht halte, werden Sie, da Sie meinen Brief an Adalbert 
gelejen, wijjen; es ift bier nicht won alberner Demut die Nede, jondern vom 
Selbjtbewußtjein einer bejchräntten Kraft. Gott kann mich ſtark machen, wenn 
es ihm nach feinem unerforihlihen Ratſchlüſſen gefällt; aber für jett bin ich 
noch ein zerbrodhenes Rohr und ein nur glimmender Tocht, ih bin um mich 
deutlich auszudrüden, mehr ein gutes und vielleicht ein genialifches Weib als ein 
fraftvoller Mann, °) noch mehr gejagt, ich bins immer gewefen, und da das Weib 





1) Bon Varnhagen hinzugefügt. 

2) Dieje Stelle erinnert am das Palladium der „Söhne des Thals“, jene geheimnisvolle 
Zrube, die den „Tod, die Kraft, die Gärung und den Frieden“ enthält, d. h. nad) Werners Selbſt— 
interpretation (Blätter jür literarifce Unterhaltung 1834, ©. 170) die Belege zu der ganzen Weiss 
heit des Ordens, „der aus Ertötung des Eigenwillens die göttliche Kraft in ung zu erzeugen beftimmt 
ift, jo wie aus Erjtarrung des Materiellen (Tod) das Leben wieder neu in der Gärung (Berwefung) 
und aus ihr die Beihwichtigung der ftreitenden Kräfte (Friede) entiteht.“ 

.. 9) Dad Hermaphroditifche jpielt überhaupt in der Romantik eine große Nolle. Sie 
vertündete ja die „höchſte Vollendung in der Verſchmelzung des männlichen und weiblichen Wejens.“ 
Gens ſchreibt an die Rahel: „Sie find ein unendlich producivendes, ich bin ein unendlich 
empfangendes Wejen. Sie find ein großer Mann, ic) das erſte aller Weiber, die je gelebt haben.“ 
(Wien, 4. Dftober 1803. Schriften von Gent 1, 113). Friedrid Schlegel erzählt in der 
Fucinde“, in der „dithyrambiſchen Phantafie über die ſchönſte Situation“, wie Julius und feine 
Geliebte die „Rollen vertaufchen und mit Findlicher Luft wetteifern, wer das andere täufchender 
nachäffen kann, ob Dir da die fchonende Heftigkeit des Mannes bejjer nelingt, oder mir die 


362 Miscellen. 


allerdings in einem vorzüglichen Sinne Priefterin ift, und die Beftimmung bat, 
die Flamme des Altars zu entzünden, jo kann ich das auch Gottlob noch recht 
gut in einem umd andern, aber ich zweifle jehr, ob ich (jo gern ich es möchte) 
als eim männlicher Meifter werde einen Tempel bauen, oder auch nur den 
Grundriß dazu werde aß fünmen. Die Zeit muß das lehren und bald. 
Mein Gebet ift nur, Daß ich bis dahin nicht durch Liebe zum Einzelnen 
(die mich als ein tauſend— geftaltiger Proteus in ihren heiligiten und gemeinften 
Formen jtetS verjucht hat und der ich faft zu Schwach bin zu widerftehn), daß 
die Liebe zum Einzelnen, jage ich umd ihre Begleiterin, die in meinem Innern 
raſende Wildheit (Die mit meiner äußeren jchafartigen Erſcheinung einen faft 
burlesten Contraft bildet) mich nicht von Der Liebe zum Ganzen (d. h. vom 
Ziele) ablenken oder gar vor der Zeit verzehren möge. Sie jehen ich bin auf- 
vihtig und das ift feine Tugend, ſondern nur eine löbliche Gewöhnung, wie wohl 
Su, in jo ferne fie von der Wahrhaftigkeit unzertrennlich ift, die Baſis aller 
Vergöttlihung. Wer übrigens nicht einmal aufrichtig ift, der jollte fihs wohl 
nicht unterftehn, den Namen der Religion auch nur zu nennen. 
So viel über mih! — Was Sie anbetrifft, jo wäre es trivial, wenn ich 
Ihnen bemerklih machen wollte, daß junge Leute, aus der oben erwähnten 
Urſache ihre Anfichten mit zunehmenden Jahren ändern, daß fie das, was fie 
heute als heilige Wahrheit ergreifen, morgen oft bey zunehmender Reife als 
Erfenntnis, oder auch Leichtfinn fahren laſſen. Beydes kann auch bey Ihnen 
allerfeits, die Sie jeßt das Ihnen Gutjcheinende redlich lieben, allerdings einjt 
der Fall fein. Das jchredt mich aber nicht, um jo weniger, als ich überhaupt 
feine Meifterjchaft über Sie noch) irgend Jemand anmaße (?) als ich bey Ihnen 
wie bey Allen, der Gottheit, für deren Wert zu würken, ih mich jehr fühn 
(vielleicht zu frech) unter ftanden, ohnehin freyen Spielraum laſſen muß, und 
endlich, weil ich aus meinem eigenen Beifpiel überzeugt bin, daß die im einem 
jungen Gemüt eingewurzelte Liebe zum heiligen und auch bey den gräßlichen 
Um= und Entjtellungen ihrer Form (welchen man fich freylich nicht überlaffen, 
jondern die man mit frommer Scheu zu fliehen ſuchen muß) daß fie, jage ich 
ihr inneres Weſen doch nicht verlichrt, und ſolches nach langem unruhigen 
Schlummer, in einem guten veingeborenen Gemüt, durch Gottes Gnade doch 
wieder erwacht. — Auch die erbärmlichen Betrachtungen ftören mich nicht, daß 
man mit jungen Leuten ein gewagtes Spiel treiben, ihnen dur Gefühle 
ſchädlich werden, fih wenn man ſich mit Ihnen einließe, compromittieren — 
(die deutiche Sprache hat für diefen albernen Begriff fein Wort) — fünne, denn 
wenn Sie fih im der Saale baden und dem Erjaufen nahe find, und der 
Hallore oder auch ein ungeübter Schwimmer Ihnen, um Sie zu retten, [nach- 
jpringt,) jo ift nur ſein guter Wille die Handlung und deren Wert wird nicht 
dur den Zufall bejtimmter, ob er Sie, ben | jeiner jonft löblichen Abficht, noch 
tiefer hineinftürzt, oder von shnen, indem Sie fih an ihm anklammern mit 
in den — herabgezogen wird, er that was ſeines Amtes iſt. 

Die Hauptſchwierigkeit unſeres gegenſeitigen Verhältniſſes liegt nicht in 
allen dieſen Umſtänden, ſie liegt darin, daß wir uns zuvörderſt (was jetzt zumahl 
ſehr ſchwer iſt) darüber verſtändigen, was wir eigentlich wollen. 

Ich jage, es ift zumabl jett ſchwer, weil eben jetzt, anjtatt daß jonft nur 
die unheilige Gemeinheit einen vom Leibe abführte, der ein frommes Gemüt wohl 
widerftehn kann mit Gott! — jeßt außer dieſer Gemeinheit, fih auch noch ein 





anziehende Hingebung des Weiber.” (Lucinde, Reklamſcher Neudrud ©. 11). — Bei Novalis 
heißts: „Der Mann ijt gewiffermaßen auch Weib, jowie das Weib Mann.” (Fragmente IL. 
Moraliiche Anfihten). Es ift ja aud) die Zeit der jtarken rauen und der ſchwachen Männer, die 
Zeit der Stael, der Caroline, die Zeit des weichen Novalis, des müden Wacenroder, 





Miscellen. 363 


heiliger Egoismus zu zeigen begonnen hat, d. h. es erſcheinen Menfchen, welche 
das Heilige aus reiner Abficht, wünfchen, wollen und ahnden, es aber nicht 
beiten, da fie bey aller Klarheit der Ideen, doch in dem Egoismus ihres 
Gefühls, wie eine Spinne in ihrem eigenen Netze verflochten find. Da ich Sie 
nicht genauer kenne, kann ich mich darüber auch für jetst nicht deutlicher erklären; 
nur foviel! Wie ich unter allen neueren Heiligen nur den heiligen Novalis für 
wahrhaft heilig anerfenne, jo kenne ich auch feinen anderen Weg zur Heiligung, 
als den in Novalis Zögling zu Sais, von dem poetifchen Schüler ausgejprochen, 
den des Gefühls. 

Sch weiß nicht, ob die größte Tiefe in der größten Klarheit liegt, aber 
das bin ich überzeugt, daß man vor der Hand, in Gott nur glühn, nicht 
ihn Kar anfhaun kann.!) 


Hier bricht das Schreiben ab. Barnhagen fügte in feinen zierlichen 
Schriftzügen die Anmerkung hinzu: „Yon Zacharias Werner, 1506 in Berlin 
mir eingehändigt.“ 

Berlin. Felix Poppenberg. 


Die Quelle von Rüderts „Chidher." 





Singer hat am Schluß einer Bejprehung meiner Schrift über die Sage 
vom ewigen Juden (1893) auf „die Aehnlichkeit der Schweizer Sagen (über 
Ahasverus) mit dem Rückertſchen Gedicht von Chidher“ hingewiefen, die ſchon 
Götzinger aufgefallen ſei; „wenn er aber meint,“ jagt Singer, „daß Rückert 
„„atürlich““ eine orientalifche Quelle gehabt habe, jo jpricht ev wohl nur eine 
nahe liegende Vermutung aus, da er font eine genauere Angabe gemacht hätte: 
troßdem ich in verfchiedenen Korancommentaren (zur 18. Sure), in SHerbelots 
Bibliotheque orientale, bei Ethé Aleranders Zug zum Lebensquell (Situngs- 
berichte der k. bayrischen Akademie 1871) nachjuchte und außerdem die Hilfe be— 
freundeter Orientaliften in Anſpruch nahm, ift es mir nicht gelungen, die Quelle 
aufzufinden. Es wäre der Mühe wert, dem näher nachzugehen.“ (Zeitſchrift 
für deutfches Alterthum 38, 1894, 198.) 

Diefe Duelle wäre unjchwer zu finden gewejen, wenn der Necenfent einen 
Blid auf das Berzeihnis der Rückertſchen Schriften bei Goedefe geworfen hätte, 
der (Grumdriß 31, 281) unter Nr. 41 erwähnt, daß der erjte Abdruck des 
Gedihts im „Morgenblatt“ 1824 Nr. 35 die Ueberfchrift trägt: „Kazwinis 
Parabel vom Kreislauf der irdiſchen Dinge (Chifer, der ewig junge, ſprach)“. 
Kazwini?), „der Plinius der Orientalen“, geboren zu Kazwin in Perſien, Kadi 
von Wafit und el-Hilla (in Irak, dem alten Babylonien), welche Stelle er un— 
freiwillig aufgeben mußte, jpäter in Damaskus, geftorben im Jahre 682 der 
Hedſchra (1283), ift der DVerfaffer einer im arabifher Sprache gejchriebenen 
Kosmographie unter dem Titel: „Buch von den Wundern der Natır und den 
Seltenheiten der gejchaffenen Dinge,“ die aus zwei Teilen bejteht, von denen der 
erjte, im Jahre 661 (1263) gejchrieben, eine Schilderung der überirdifchen und 
irdiſchen Dinge enthält, nämlich einen Abriß der Aftronomie, der meteorologiichen 
Erſcheinungen und eine Naturgefchichte dev drei Reiche bietet, während der zweite 
die wichtigiten Länder und Städte aufzählt. Am Schluß der erften Abteilung 





1) Aljo, nad) der Terminologie der Myſtiker, ſeraphiniſch nicht cherubiniſch. 

2) Die hiftorifchen Angaben, jowie die Notizen iiber den Inhalt des Werkes find F. Wüſten— 
feld3 Gelbjtanzeige feiner Ausgabe des Kazwini, Band 2, Göttingen 1848, in den „Göttingijchen 
gelehrten Anzeigen” 1848, Stüd 35/36 vom 2. März entnommen. 


364 Miscellen. 


des erſten Hauptteils findet ſich nun folgende Erzähluna, die bei Silvefter de 
Sacy (Chrestomathie arabe, Paris 1806, 3, im arabiſchen 
Original und einer franzöfifchen Ueberſetzung von A. 2. Chezy mitgeteilt ift. 
Ich laſſe letztere folgen: 

„Je passai un jour, dit Khidhr, par une ville tres-grande, extra- 
ordinairement peuplee. Savez-vous quand a été fondee cette ville, 
demandai-je A un de ses habitans? Oh! me repondit-il, c'est iei une 
grande ville!) Nous ignorons depuis quand elle existe, et nos ancötres 
etoient A ce sujet dans la m&me ignorance que nous. Cing cents ans 
apres, passant par le m&me lieu, je n’apercus plus une seule trace de 
cette ville; et je demandai A un paysan qui ramassoit de l’herbe sur 
son ancien emplacement, depuis quand elle avoit été detruite. Quelie 
question me faites-vous done la? me dit-il, cette terre n’a jamais été 
autre quelle est en ce moment. Autrefois, lui dis-je, n’existoit-il pas 
ici une ville superbe? Jamais nous ne l’avons vue, me repondit-il, 
et jamais nos peres ne nous en ont parle. Comme j’y revins eing 
cents ans après, je trouvai une mer à sa place, et japergus sur ses 
bords une compagnie de p@cheurs, auxquels je demandai depuis quand 
cette terre étoit couverte par la mer. Un homme coınme vous, me 
repondirent-ils, devroit-il faire une pareille question? cet endroit a 
toujours été ce qu'il est. Quoi done, leur dis-je, cette mer n’etoit-elle 
pas aneiennement la terre ferme? Nous n’en avons pas de connois- 
sance, me dirent-ils, et nous n’en avons jamais entendu parler A nos 
peres. J’y retournai encore cinq cents ans apres, la mer avoit disparu: 
je demandai à un homme qui etoit seul en cet endroit, depuis quand 
ce changement avoit eu lieu, et il me fit la m@me r&eponse que j’avois 
recue precedemment. Enfin, y retournant de nouveau apres un pareil 
laps de temps, jy retrouvai une ville tlorissante, plus peuplee et plus 
riche en beaux bätimens que celle que Jy avois vue la premiere fois; 
et quand je m’informai de son origine à ses habitans, ils me repon- 
dirent: Elle se perdans Yantiquite; nous ignorons depuis quand elle 
existe, et nos peres etoient A cet egard dans la meme ignorance que 
nous.“ 

Wie man ficht, weicht Rückert von feiner Quelle, die ihm ohne Zweifel 
in dem Abdruck de Sacys vorlag, nur in Kleinigkeiten ab. Ueber das Fort— 
(eben der Legende von Chidher, „der belebenden Naturfraft,“ bet den heutigen 
DOrientalen umd feine Fpentificiernng mit dem Propheten Elias jei auf eine 
Abhandlung von 2%. Einsler in SJerufalem in der „Zeitjcehrift des deutſchen 
Paläſtina-Vereins“ (Band 17, 1894, Heftl und 2) hingewieſen. 


Elbing. Leonhard Neubau. 


1) Der Herausgeber [Silvefter de Sach] glaubt an diefer Stelle eine kleine Texte 
Änderung vornehmen und demnach ftatt fort grande überjesen zu müſſen: fort aneienne. 


| 


Recenfionen und Referate. 


Bieſe A., Die Philoſophie des Metaphorischen. In Grundlinien dargeftellt. 
Hamburg und Leipzig. Leopold Voß. 1895. 5 M. 

Der Titel diefes Buches und das Buch jelbjt würden ganz unver— 
ftändlich fein, wenn man fich nicht vergegenwärtigte, daß eine große Anzahl 
jener Tropen, die wir als Metaphern bezeichnen, feineswegs aus beliebigen 
Bergleihungen bejteht, bei denen irgend ein Gegenſtand vermöge feiner 
Aehnlichkeit oder teilwerfen Uebereinftimmung mit eimem andern zum 
Charakteriſtik diejes zweiten Gegenſtandes verwendet wird, ſondern viel 
mehr Bilder ganz beſtimmten Inhaltes umfaßt, Vergleiche, welche Lebloſes 
durch Lebendiges, Unbejeeltes durch Seelifches, die augermenschliche Natur 
oder Stücke derjelben durch Züge des. Menſchendaſeins darjtellen. Und 
neben den Metaphern diefer Art ſtehen viele andere, welche ſcheinbar in 
umgekehrter Nichtung das Innerliche durch äußere, materielle Geſchehniſſe 
ausdrüden: alle Bezeichnungen, welche die Sprache für Vorgänge des 
geistigen Yebens enthält, find, wie ſchon Locke gewußt hat, im Grunde jolche 
Metaphern; ſieht man aber näher zu — die Beiſpiele aus Bieſes zweitem 
Kapitel: „Das Metaphoriſche in der Sprache” find in diefer Hinficht ſehr 
lehrreich —, fo überzeugt man ſich bald, das die Thätigfeiten, deren Bild 
die Sprache wohl ſchon ſehr frühe für die wichtigiten, allgemeinften und 
zugleich ſchärfſtumſchriebenen Bewußtieinsregungen ſetzt, wie „Fallen“, „bes 
greifen“, „lich vorftellen“, zwar finnliche, körperliche, aber doch fait aus— 
nahmslos zunächit Thätigfeiten des Menfchen, Handlungen befeelter, wollender 
Weſen find, daß man alfo auch hier über die Sphäre des Anthropomor- 
phismus nicht hinauskömmt. Die Bilder dagegen, welche Eigenschaften von 
Körpern überhaupt: „eeftigfeit“, „Wärme“, Herbheit“, „Lauterkeit“ zur 
Bezeichnung geiftiger Zustände benützen, ſcheinen vielfach einer fpäteren und 
höheren Entwickelungsſtufe anzugehören und fich auf weniger Allgemeines 
zu beziehen. 

So bildet denn in der That jene Hineindichtung des Menſchen in 


die Welt, deren Bedeutung die moderne Wiffenfchaft vor Allem durch Ludwig 


Feuerbach kennen gelernt und welche aus dem der ſtrengen, ehernen Natur— 


366 Bieſe A., Die Philoſophie des Metapborifchen. 


gefeglichfeit gehorchenden Weltall ein Neich von freithätigen, nah Willkür 
jchaltenden, gleichlam Tpielenden Geiſtern macht, den vornehmften Gegen- 
ſtand des Bieſeſchen Buches. Und fo wird es denn auch begreiflich, wie 
der Verfaſſer nicht nur die Stellung, welche das Metaphorische in der Find- 
lichen Phantasie, im Mythus und in der Neligton einnimmt, aufzuzeigen, 
nicht nur den Gebrauch, der von Metaphern in der alten und der neuen 
Philoſophie gemacht wurde, darzuthun bemüht tft, fondern wie ex, nachdem 
er gerade noch an einzelnen Schriftitellern das Verderbliche des Spielens 
mit Metaphern vortrefflich beleuchtet hat, am Schluffe feines Werkes gleich- 
wohl jelber dazu gelangen fann, dem Metaphoriſchen fogar in der Bhilofophie 
alles Ernſtes das Wort zu veden. Von feinem Standpunkte heißt das eben 
nichts anderes als: die MWelterflärung bedarf der Borftellung einer Einheit 
bon Geiftigem und Körperlichem, fte bedarf der Annahme geistiger Mächte 
in oder über den Naturerſcheinungen, und weil in jener Vorftellung, in 
diefer Annahme das Weſen dev Metapher Liegt, bedarf fie auch des Meta- 
phoriſchen. Nur ber folcher Auffaſſung erhält fein Verfahren einen gewifien 
Sinn. Daß aber dieje Auffaſſung wirklich die feine, daß ihm „Metapher“ 
nichts iſt als Ausdruck der Naturbejeelung, der begrifflichen Verſchmelzung 
von Innerem und Aeußerem, Gert und Körper, daß ihm daher alle übrigen 
Metaphern außer den antbropomorphifierenden oder Geiſtesvorgänge durch 
Slörperthätigfeiten bezeichnenden ftrenge genommen gar nicht als rechte und 
wahre Metaphern gelten, das wird er ja felbit zu wiederholen nicht müde, 
wenn er auch manchmal jenen Grundſatz zu verleugnen und es nicht Wort 
haben zu wollen fcheint, was er jo häufig und nachdrüclich behauptete. 
Indeſſen, auch bei Berüchichtigung des den Verfaſſer zu ſtatten 
fommenden Umistandes, day er, wo immer er von Metaphern Spricht, nur die 
Ergänzuna des phyſiſchen Weltbildes durch die Jdeen geistiger Geſtaltungs— 
und Beweaungsfräfte im Auge hat, kann man e3 ftch doch nicht verhehlen, daß 
jeine philofophiiche Apologte der Metapher einen Mangel an Folgerichtigfeit 
in ich birgt. Zum Begriff der Metapher wie jedes Tropus gehört ja vor 
allem, daß der Tropus feine ſtreng ſachgemäße, adäquate, den Gegenftand 
in jeiner veinen und vollen Wahrheit erfafiende Beftimmung tft, und es 
liegt alfo ein fait handgreiflicher Widerfpruch darin, zu lehren, die uneigent— 
liche Bezeichnung des Dinges fer doch wieder der Ausdruck feines eigentlichen 
Weſens, das Bild der Sache doch wieder die Sache jelbit. In Biefes 
Stellungnahme prägt ſich aber offenbar nur fein haltlofes Schwanfen 
zwischen der beſſeren Erfenntnis, daß die vielgeftaltigen Arten der Natur- 
perjonififattion poetische Umformungen objeftiver Thatſachen find, und der 
Scheu aus, ſich in der eigenen Weltanficht alles und jedes Anthropomor: 
phismus zu entledigen. Die Vermenſchlichung des Als it Dichtung, 
Phantaſieſchöpfung: — dies anerkennt er eben damit, daß er fie al3 „Metapher“ 
bezeichnet — gelegentlich nennt ev die animiftische Auffaffung geradezu eine 


Biefe A., Die Philofophie des Metaphorifchen. 367 


„Umgeſtaltung“ der Welt oder auch wohl eine Folge der „Unmöglichkeit, 
von dem Bildlichen der Anſchauung, von der ſtets gefchäftigen Farbenmiſchung 
der Phantafie abzuſehen“ —; allein er hebt daS Zugeſtändnis fogleich wieder 
auf, indem er fir diefe Metapher, diefe phantaitiiche Umbildung der Wirk- 
lichkeit das Necht fordert, auch im Bereiche des reinen, theoretifchen Erkennens 
dauernd ihren Platz zu behaupten. So nimmt ev mit der einen Sand 
zurüd, was ev mit der anderen gegeben, widerruft er in einem Athem, was 
ev kaum exit eingeräumt hat. Es leidet feinen Zweifel: Feuerbach war in 
diefem Stücde viel klarer und konſequenter als fein die Forſchungen der 
„Theogonie“ fortfegender und ergänzender Nachfolger. Dem großen Schöpfer 
des deutſchen Bofitivismus ſchien die Einficht in das Weſen des welt- 
befeelenden Mythus als eines Ergebniffes freier Phantaſiethätigkeit auch 
ein Beweis dafür, dag man fein Necht habe, dem Inhalte des Mythus eine 
im ftrengeren Sinne veritandene objektive Realität zuzufchreiben. Ja, 
Feuerbach ging vielleicht ſogar etwas weiter als billig; er nahm — darauf 
hat jchon Ueberweg aufmerfiam gemacht — den pſychologiſchen Urfprung der 
Mythen, ihr Hervorguellen aus der Bhantafie mit gar zu großer Zuverficht 
fir ein Zeugnis, daß es den mythiſchen Ideen an objeftiver Wahrheit 
mangele, während die Möglichkeit, daß die Imagination zufällig, gleichlam 
aufs Gerathewohl das Wichtige getroffen hätte, indem ihre frei getalteten 
und nur von Gemütsbedürfnifien abhängigen Borftellungsgebilde hinterher 
ſeltſamer Weife auch durch eine müchterne, verftandesmäßige Ergründung 
der in den Naturerſcheinungen waltenden Kräfte gerechtfertigt würden, bei 
aller Unmwahrfcheinlichkeit einer folchen Sügung, a priori doch nicht gänzlich 
und unbedingt auszujchliegen war. 

Scheint aber die „Bhilojophie des Metaphoriſchen“ bedenklich, ſo— 
weit fie die philojophiiche Wahrheit der Metaphern verteidigt, alfo gewiſſer— 
maßen jelber eine metaphorische und dabei deilen ungeachtet ächte, d. b. nur 
durch die Grenzen des Erfennens überhaupt befchränfte, im übrigen die 
tiefiten fir uns erreichbaren Einfichten aufichließende, die Dinge fo unver- 
fälſcht, als es dem Menjchen eben möglich iſt, offenbarende Bhilofophie, 
mithin Fiktion und Erkenntnis, Diehtung und Wahrheit zugleich fein will, 
jo hat fie um jo größeren Wert als eine einfache pſychologiſche Unterfuchung 
über den Umfang des Gebietes, innerhalb deſſen perfonifizterende Metaphern 
zur Anwendung fommen. Bet diefer Unterfuchung darf fich wohl auch die 
apologetiiche Tendenz des Verfaffers an vielen Orten ungehemmt entfalten ; 
denn überall dort, wo nicht mehr Enthüllung der reinen Wahrheit als 
Zweck ericheint, braucht natürlich auch das Lob der Metapher: durch Feine 
Wahrheitsrücichten gedämpft und herabgeftimmt zu werden: daß die Poeſie 
eben jenen Anthropomorphismen, jenen Projektionen des menschlichen Weſens 
nach außen, vor welchen fich die Philoſophie als vor einer der unheilvolliten 
Verirrungen fo ſehr hüten muß, die in der wiſſenſchaftlichen Weltbetrachtung 

Eupborion II. 24 


368 Biefe A., Die Philofophie des Metaphorifchen. 


ichon fo ſchlimmen Schaden geitiftet haben, viele ihrer größten und zarteften 
Reize verdankt, it eine fajt Jedermann geläufige Thatfache. Darum liegt 
der Schwerpunkt des Buches von Bieſe in jenen Abfehnitten, welche die 
Metapher in der Kunst, zumal in der Poeſie erörtern: will man das wirf- 
liche Verdienst des Verfaſſers nicht unterichäßen, jo muß man ſich vor allem 
mit dieſen Abſchnitten befannt machen. 

Allerdings geht Bieſe auch hier vielfach mit recht ſchwacher Logik zu 
Werke. Daß er die Stimmung, in welche uns ein Landſchaftsgemälde verſetzt, 
ohne Weiteres als metaphoriſch behandelt, iſt ſchon etwas gewagt und nicht 
ganz einwurfsfrei, obgleich hier wenigſtens das ſprachliche Gewand, in das wir 
den Eindruck mit Vorliebe Fleiden, injoferne den metaphorischen Charakter 
an ſich bat, als wir jagen, die Stimmung liege in der Yandichaft, und 
dadurch einen Gefühlszuſtand, welcher vom Kunftwerfe im uns erweckt 
wird, unbewußt objeftiwirend im dieſes Kunſtwerk hineinlegen. Noch fühner 
erſcheint es jedenfalls, dar Biefe zum „Metaphortichen“ auch alle Ideen 
feelifeher Innerlichfeit vechnet, welche durch plaitiiche oder maleriiche Dar- 
jtellungen lebendiger, bewußtjeinsbegabter Weſen hervorgerufen werden, durch 
Kunſterzeugniſſe alfo, die an fich freilich todte, lebloje Gebilde: Stüde von 
Stein, Metall, Farbenüberzogene Yeinwand, mit Kreide- oder Kohlenftrichen 
bedecktes Papier find, aber den Ausdruck ſeeliſchen Yebens doch zum eigent- 
lichen, unmittelbaren Vorwurf oder Gegenftande haben. Eine Idee aber, 
welche ſich deshalb unweigerlich an die künſtleriſche Daritellung heftet, weil 
ihr Inhalt zum Wefen des dargeftellten Objektes gehört, gewiſſermaßen 
einen Beitandteil desselben ausmacht, dürfte man, — fo jcheint es, — wohl 
ichwerlich den metaphorifchen Uebertragungen einzuordnen beveehtigt fein. 
Und felbft das iſt noch nicht das Schlimmfte. Die typiiche, das allgemeine 
in einer Einzelgeftalt vorführende Darftellung erklärt Biefe um eben diejes 
Verhältniſſes willen firzweg fir „Metapher“, indem die Art oder Gattung 
metaphortieh durch das Individuum ausgedrückt würde! Fa, ſogar den 
„Geiſt“ des Zeitalters und der Kunſtrichtung, welcher fich in einer fünft- 
leriſchen Schöpfung Ipiegelt oder, wenn man will, „ausdrüct“, zählt ex 
nicht nur in Nückficht auf diefe Bezeichnung den Metaphern bei, wie er 
das mit gutem Grund thun fünnte, fondern er Stellt die hier in Betracht 
fommenden Voritellungen felber jkrırpellos ganz auf eine Stufe mit den 
phantaſtiſchen Berfonificationen oder Vermenſchlichungen der ımbelebten 
Natur, mit jenen „Ausdrucke des Geiſtigen“, bei welchen wirklich metapho- 
riſch Seele mittelit dev Einbildungsfraft in das Seelenloje hineingetvagen 
wird, — nicht wahrnehmend, daß die Sprache bier zwei völlig verfchiedenen 
Vorgängen diefelben Benennungen beilegt, daß im eriteren Falle nichts 
weniger als ein imaginatives Erfüllen des Gegenftandes, d. h. des Kunſt— 
werfs jelbit mit bewußtem, innerlichem Yeben plaßareift, daß vielmehr nur 
der Verſtand es tit, welcher aus Eigenschaften der Kunſtwerke auf gewifie 


Biefe A., Die Philoſophie des Metaphoriichen. 369 


geiſtige Befonderbeiten ihrer Schöpfer ſicherere oder weniger fichere Schlüſſe 
zieht! 

Indeſſen enthält troßalledem der fünfte Abſchnitt, wie gejagt, viel 
Gutes. Dad 3. DB. die Auffaſſung der Architekturerzeugniſſe großenteils 
„metaphoriſch“ im Sinne des Verfaffers tft, wird kaum Jemand bezweifeln, 
der Hettners „Vorſchule der bildenden Kunſt der Alten“ oder Lotzes 
meisterhafte äfthetifche Schriften Kennt, und alles nach diefer Nichtung von 
Biefe Beigebrachte ıft in der That vollfommen richtig, Nicht minder 
gelungen erjcheint jein Nachweis, daß der Eindruck der mufifalifchen Kunſt— 
werfe eine metaphorifche Umdentung erfährt, das ins Beſondere, ähnlich 
der früher erwähnten Kennzeichnung von Stimmungen „im“ Gemälden, die 
ſprachliche Schilderung dev Wirkung muſikaliſcher Compofitionen, alſo 
— man verzeihe das Wortſpiel! — der Ausdrud des Eindrudes meist 
ganz und gar metaphorifch it, und vollends fiir die Poeſie wird es dem 
Verfaſſer jelbitveritändlich ein Leichtes, die Bedeutung feines Princips dar- 
zulegen. Billige der heutige Geſchmack auch nicht mehr jene mythologi— 
firende Art, im welcher fich noch die Dichter des vorigen Jahrhunderts 
gefielen, die an Stelle von Naturbildern geradezu die Bilder menschlicher 
Berfönlichfeiten fett umd wober jomit das Metaphoriſche in feiner greif— 
bariten, ſinnenfälligſten, um nicht zu jagen: plumpften Geftalt auftritt, fo 
fehlt e8 doch auch in der modernen Poeſie, welche die Natur unmittelbarer 
zu Worte kommen läßt und deren Erſcheinungen umentitellter darbietet, 
nicht an dem mannigfachſten feineren Anthropomorphismen. Die Beispiele, 
durch welche der Verfaſſer, ins Beſondere ein ausgezeichneter Kenner der 
Alten, diefes Verhältnis belegt, würden eine noch beſſere Wirkung thun, 
wenn fie etwas forgfältiger geordnet wären, wenn nicht die Fälle eigent- 
licher Naturperfonificattion und diejenigen einer Darſtellung geistiger Zu— 
ftände und Erlebniſſe durch Körperliches, trotzdem day Bieſe diefe beiden 
Formen metaphorischer Berfehmelzung von Aeußerem und Innerem gefondert 
befprechen will, ziemlich wire durcheinanderliefen, jo daß, Was im die eine 
Nubrif gehört, im der anderen untergebracht erjcheint. Es iſt das eine 
Nachläffigkeit in der Einreihung der Berfpiele und Facten, die ſich Übrigens 
nicht auf diefen Abſchnitt beichränft, Sondern leider durch das ganze Buch 
hindurch gebt. 

Mit der Hinweiſung auf das Capitel über die Kunſt und auf die 
an hübſchen und anvegenden Ausführungen gleichfalls nicht armen eviten 
drei Abjchnitte, worin der Verfaſſer das Metaphoriſche in dev Findlichen 
Phantafie, der Sprache und dem Mythus darſtellt, dürften jene Partieen 
der Arbeit bezeichnet fein, welche zweifellos anı meisten Anerkennung ver: 
dienen. Schwer dagegen hält es, fich mit dem fechiten und längiten, „das 
- Metaphoriiche in der Philoſophie“ behandelnden Eapitel auch nur einiger- 
maßen zu befreimden. Hier macht ftlh der philoſophiſche Dilettantismus 

24* 


370 Biefe A., Die Philofophie des Metaphorifchen. 


Bieſes in der empfindlichiten Weiſe fühlbar; hier wimmelt es von bedenf 
lichen, balbwahren, ja auch wohl gänzlich falichen Sätzen, und fait überall, 
mit Ausnahme etwa der Daritellung Platos, Kants und einiger Nenefter, 
vernuißt man die Spuren griindlicher Befanntichaft mit den Schriften der 
Denfer jelbft oder, wo diefe nicht mehr vorhanden find, doch mit den erften 
Quellen; faſt überall empfängt man den Eindrud, daß der Verfaſſer, wie 
er es übrigens bezüglich der alten Philofophie mit rühmenswerter Offenheit 
jelber angiebt, ausschließlich oder doch vorwiegend aus zweiter und dritter 
Hand ſchöpfe. Daß ich neben vielem Schiefen und Hinfenden auch geift- 
veiche, wirklich zutreffende Bemerkungen, ſchöne und richtige Entwidelungen 
finden — ganz vorzüglich iſt 3. B. die Kritik der Leibnitzſchen Monaden— 
(ehre! — und daß Bieſe nicht nur fozufagen philofophiichen Geſchmack hat, 
welchen er namentlich in der verdienten Hochſchätzung Fechners und Lotzes 
bewährt, fondern auch durch die entichiedene Ablehnung der hohlen Geift- 
reicheleten des Rembrandt Buches, die rückſichtsloſe Verurteilung der Nietz— 
ſche-Narrheit und vieles Andere ferne edle, ernste, aller Srivolität abholde 
Geſinnung bekundet, bietet für die Menge des Mißlungenen in dem philo- 
ſophiegeſchichtlichen Abſchnitt feine ausreichende Entſchädigung. 

Vor allem iſt es die Unbeſtimmtheit ſeiner eigenen Faſſung vom 
Begriffe des „Metaphoriſchen“, woran ſein Unternehmen, die Metaphern 
oder bildlichen Gedankenwendungen in der Philoſophie ans Licht zu ziehen, 
fcheitert. Dann und wann zwar wird man ihm gerne zuitimmen, wenn 
er fogar in den Konceptionen klarer und nüchterner Denker verſteckte Anthro- 
pomorphismen findet — auf die unbewußte Berfonification der „Nealen“ 
durch Herbart 3. B. hat vor ihm Stumpf bereits glüclich bingewiefen —; 
aber bei Bieſe wird jchlieglich, indem er zwijchen dem populären und dem 
wiſſenſchaftlichen Begriffe, ſowie zwifchen dem Begriffe ſelbſt und deſſen aus 
Gründen, die ſchon Marmontel bezeichnete, nothiwendigerweife unzuläng- 
lichem, methaphoriſchem Ausdrude nicht genügend unterjcheidet, alles zur 
Metapher; er erklärt „Straft“ und „Materie“ für Metaphern, was fie ja 
gewiß ihrer Iprachlichen Herkunft nach und in der rohen, unkritiſchen Vor— 
ſtellungsform, aber ficherlich nicht für den über ihre Bedeutung und Trag- 
weite klar gewordenen Denfer find; ev behauptet von den Atomen Demo- 
frits, day ihnen „die Eigenschaften des eleatischen Seins metaphoriſch geliehen 
werden” ; ja, ex gebt Jo weit, die große Einficht des Kriticismus, wornach 
die materielle Welt unferer Anſchauung nicht die unverfchleierte Wirklichkeit 
der Dinge an fich, fondern bloße Erſcheinung — Biefe jagt: „Gleichnis“ — 
it, zu einem Beweife fir das die ganze Philoſophie beberrichende Meta- 
phortiche oder Denken in Metaphern zur ſtempeln, und er bemerft nicht, daß, 
jelbit wenn man fir Kants „Erſcheinung“ ohne Weiteres das Wort 
„Gleichnis“ ſetzen dürfte, es doch immer noch zweierlei bliebe, das Borhanden- 
fein eines Gleichniſſes feitzuitellen und felber ein Gleichnis zu bilden. 





Biefe A., Die Philofophie des Metaphoriſchen. 371 


Derlei Mißgriffe entipringen zum Teile Freilich aus jenem verhäng- 
nisvollen Grundwiderſpruche in der Bieſeſchen Schrift, welcher Schon oben 
beleuchtet wırrde. Die metaphorische Auffaſſung ſoll die höchſte philoſophiſche 
Betrachtungsweiſe fein, zu der wir überhaupt gelangen können, und dennoch 
erjchernt fie uns als metaphoriſch, muß es alfo ein Erfennen geben, welches 
noch höher itebt, da wir von jeinen Nichterjtuhle aus die Mängel jener 
erfteren Auffaffung zu überichauen, das Weltbild, das ſie uns Liefert, als 
ein ungenaues, verzerrtes zu beurteilen im Stande jind. Das läßt Sich 
Ichlechterdings nicht zufammenreimen. So gerät der Verfaſſer fort und 
fort in den ärgerlichiten Widerſpruch mit ſich felbit, wenn er einerfeits 
behauptet, daß, gleichwie die „Grenzlinien“ zwifchen dent. eigentlich ſinn— 
gerechten und dem bildlichen Wort „durchaus fließende” find, wir auch im 
unferem Denken das Metaphortiche und das Sachgemäße, „Glauben und 
Willen“ nicht zu jcheiden vermögen, und wenn er andererjeits gleichwohl 
eine Aufdefung des Metaphorifchen in Sprache, Neligion, Kunſt und 
Bhilofophie zum Gegenftande feiner Unterfuchungen macht. Alles tt, fo 
(ehrt ex, zufolge der „Leiblich-getitigen“, „geiſtig leiblichen“, „geiſt-leiblichen“, 
„pſychiſch-phyſiſchen“, „phyſiſch-pſychiſchen“, „Leiblich-feelifchen“, und wie die 
Adjectiva zum Ausdrud ferner moniſtiſchen Ueberzeugung, in deren Variation 
Biefe unerichöpflich ift, noch lauten mögen, kurz: zufolge der einheitlichen 
Natur oder Organiſation des Menſchenweſens „Metapher“, und doch macht 
er ſich felbit daran, die einzelnen Metaphern in den verschiedenen Sphären 
geistiger Produktion zu entdecken und herauszufuchen! Heißt das nicht etwas 
unternehmen, von deſſen Unmöglichkeit man fchon zu Beginne der Unter: 
nehmung überzeugt it?! Heißt das nicht Sich Telber Lügen itrafen oder 
in vätbjelhafter Blindheit das Verdammungsirteil über das eigene Werk 
fällen ? ! 

Sodann gilt Biefe die Anerkennung irgendwelcher Grenzen des Willens 
von vorneherein ſchon al3 Einräumung des Nechtes an die metaphortfche 
d. h. anthropomorphiftische Auffaffungsart, das unvollftändige Weltbild in 
ihrem Siune zu ergänzen, und als Zugeftändnis der Unanfechtbarfeit einer 
metaphorischen Philoſophie. Aller damit macht er Sich einer doppelten 
GErichleihung Ichuldig. Fürs Erite braucht ja, wenn auch das von der 
Wiſſenſchaft gezeichnete Weltbild nur ein Fragment oder richtiger eine Skizze 
vorstellt, darıtm lange noch nicht jede beliebige Ausmalung der Skizze ohne 
Weiteres zuläffig zu fern, und zweitens Scheint es heute nichts weniger als 
zweifellos feititehend, daß das Gefchäft einer derartigen Ausmalung über 
haupt, in was immer für einer Weife fie erfolge, zum Amte dev Philoſophie 
gehört. Mit dem gelegentlichen Ausfpruche, es gebe „fein geſchloſſenes 
metaphyſiſches Syſtem“ ohne Poeſie, ohne Metaphern, „alle fosmologiiche 
Metaphyſik“ bleibe durch und durch metaphorisch, mag Bieſe vielleicht Necht 
haben, zumal, wenn das Wort „Metapher“ hier nicht in dem engeren Sinne 


372 Biefe A., Die Philofophie des Metaphorifchen. 


der anthropomorphiſtiſchen oder, wie er fte zu nennen pflegt, „anthropocen- 
triſchen“ Auffaffung, fondern in der hergebrachten, weiteren Bedeutung ge- 
nommen wird. Jedoch braucht ev nur Riehls prächtigen Vortrag: „Ueber 
wiſſenſchaftliche und michtwilienichaftliche Philoſophie“ zu lefen oder Wundts 
„Syſtem der Philoſophie“ anzuſehen, welches das Beiſpiel für die Lehre, 
die thatfächliche Durchführung der jett herrſchenden methodischen Grund- 
ſätze giebt, um ſich zu überzeugen, daß die Philofophte der Gegenwart längit 
nicht mehr Anspruch erhebt, ſolche geſchloſſene Weltſyſteme zu conftrunven, 
die fein Dunkel, feine Ungewißheit fennen, in denen ſich für jedes Problem 


die vollfommen erichöpfende Löfung bereit findet. Und endlich — darauf 
muß man immer wieder zurückkommen —: wenn ſchon die „anthropocen- 


triſche“ Anſchauungsweiſe fich auch in der Philoſophie als unvermeidlich 
erweiſen follte, dann dürfte fie nicht mehr „metaphoriich“ heißen: eine 
Dichtung, deren Inhalt als nacte Wahrheit erfannt worden, hat eben damit 
aufgehört, Diehtung im Sinne des Gegenſatzes zur Wahrheit zu fein. 

Sp wird der Werth der „Philoſophie des Metaphorifchen“ durch 
die umgenügende philoſophiſche Fachbildung Bieſes und die hiemit wohl 
zuſammenhängende Verſchwommenheit feiner Brincipien erheblich gemindert. 
Namentlich das jechite Kapitel geitattet 8 nicht, das dem Buche im Ganzen 
jenes beinahe uneingeſchränkte Yob geipendet wiirde, auf welches frühere, 
hiſtoriſche und ästhetische Schriften des Verfaſſers Anipruch hatten. Die 
Entfernung diefer ganzen Partie erſcheint daher als das erite Erfordernis 
fir eine gründliche Berbefferung der Arbeit. Es ıjt freilich fein geringes 
Dpfer, das Bieje hiemit zugemuthet wind; denn, wie er im dent zus 
ſammenfaſſenden Schlugcapitel äußert, betrachtet er jelber gerade diefen, 
auch dem Umfange nach weitaus ftärkiten, mehr als die Hälfte des ganzen 
Werkes füllenden philofopbiegefchiehtlichen Abfchnitt als die eigentliche Aus— 
führung feines Themas, zu der ſich die früheren Kapitel gleichſam nur als 
Borbereitung oder Einlertung verbalten. Deſſenungeachtet bleibt nichts übrig 
als die Ausmerzung dieſes Teiles in feiner gegemvärtigen Geſtalt, will der 
Verfaſſer jene Schrift aus einen vecht mangelhaften und ungrimdlichen Com— 
pendium der Philoſophiegeſchichte mit ein Baar vorausgeichieften wertvolleren 
Abhandlungen zu einem Buche machen, das wenn jchon nicht feinem Titel, 
jo doch feiner Absicht und feiner Aufgabe wirklich entipricht. Zum Min- 
dejten müßte der Abjchnitt eine beträchtliche Verkürzung erfahren, wie fte 
jich ganz von jelber ergiebt, jobald die Begriffe ſchärfer und ftrenger gefaßt 
werden. Denn eben nur dadurch, daß Bieſe jede Bethätigung der Sub- 
jectivität im Erkennen, alſo jede Anwendung der aprioriſchen Anſchauungs— 
formen auf die Gegenſtände der Wahrnehmung, jede Auffaſſung der Er— 
Icheinungen gemäß der fpecifiichen Energie der Sinnesorgane, jede Sub- 
jumption der Anfchauungen unter die logischen Gefege für metaphoriſch 
ausgiebt und mit der wirklich metaphorifchen PBerfontfication der Natur— 


Biefe A., Die Vhilofophie des Metaphorijchen. 373 


erſcheinungen durchaus in einen Topf wirft, ja daß er, wie Schon bemerft, 
fogar feinen Anftand nimmt, die Aufdeckung des fubjectiven Erfenntnis- 
factors von Seite des Kriticismus gleichfalls diefen Vertretungen der meta- 
phorischen Denkweiſe beizugefellen, — dadurch allein wird es ihm möglich, 
die ganze Geichichte der Philoſophie in feinen Buche abzuhandeln. Aber 
ein Rind oder, um nicht in Hyperbeln zu veden, ein nur halbwegs philo- 
ſophiſch gefcehulter Kopf begreift ohne Weiteres, day es micht dasselbe ift, 
ob der Menſch vermöge feiner ımabänderlichen Natur Luftſchwingungen 
als Tone, Aetherwellen als Farben, chemische Neize als Geſchmäcke und 
Gerüche wahrnimmt und außerdem die ſinnlich modificirten Eindrücke den 
Normen des Denkens unterwirft, demnach das Material der Erfahrung 
logisch verarbeitet oder ob er ſich jelber mittelit dev Phantaſie als ganze, 
befeelte und freitbätige Perſönlichkeit in die Erſcheinungen hineindichtet und 
auf diefe Weiſe die Auffaffung der Naturvorgänge thatfächlich zu einer 
Rette von Metaphern macht. Stellt man Sich auf den Bieſeſchen Con- 
fuſions-Standpunkt, dann iſt es don vorneherein jo gewiß, daß es Feine 
andere als „metaphoriſche“ Philoſophie geben kann, als es gewiß iſt, daß 
der Menſch nicht über ſeinen Schatten ſpringen oder nicht ſich ſelber davon— 
laufen kann. Aber dann iſt auch alle Nachweiſung von einzelnem Meta— 
phoriſchem in der Philoſophie überflüſſig, ja unmöglich und hätte ſich der 
Verfaſſer die ganze, große, auf dieſe Nachweiſung verwendete Mühe eriparen 
jollen. 

Will uns alfo Biefe eine in jeder Sinficht gelungene Arbeit ſchenken — 
und vielleicht bietet ihm eine zweite Auflage des immerhin in manchem 
Einzelnen verdienstlichen Bırches dazu Gelegenheit —, jo wird er zu der 
Begriffsfaſſung, von der er ſelbſt ausgegangen it, zurückkehren und un— 
wandelbar an derfelben feithalten müflen. Dann wird man ihm zwar noch 
immer ferne Bhilofophie des Metaphoriichen, aber wentgitens eine ſchätzens— 
werte Unterfuchung über die anthropomorphoftrende und perſonificirende 
Vhantafie danfen. Troß der Yerflofienheit und Unklarheit, die ftch in dem 
vorliegenden Buche jo ftörend kundgiebt, trot der ſchielenden, dämmerigen 
oder, um einen don Verfaſſer jelbit mit Vorliebe gebrauchten vecht guten 
Ausdruck zu benutzen, ſchillernden Begriffe, durch welche die „Philoſophie 
des Metaphoriſchen“ im ihrem dermaligen Anſehen verunſtaltet wird, möchte 
ich es nicht verreden, ob Bieſe nicht doch das Zeug zu einer wirklich und 
vollſtändig befriedigenden Löſung ſeiner Aufgabe habe. Wer aber immer 
an die Erforſchung der vielverzweigten Phänomene des animiſtiſchen und 
anthropomorphiſtiſchen Vorſtellens herantritt, der wird mehrere ganz um 
erläßliche Vorausſetzungen erfüllen müſſen. Vor allem wird er durch gründ 
liche Beſchäftigung mit den Werfen der Häupter unſerer wiſſenſchaftlichen 
Philoſophie, durch ftets erneutes Studium der Schriften von Niehl, Wundt, 
B. Erdmann ꝛc. feine philoſophiſche Bildung zu vertiefen und fich dadurch 


374 Bieſe A., Die Philofopbie des Metaphorifchen. 


vor ſchweren Irrtümern, ins Bejondere vor dem Mißverſtändniſſe zu ſchützen 
baben, als wenn die durch den Kriticismus nachgewieiene Subjectivität 
gewiſſer Anſchauungsformen jede Weltanficht, die phantaftischefte und die 
vationellite, als ungefähr gleichwertig, ja die eritere um ihrer größeren 
äſthetiſchen Reize willen wohl gar als die vorzüglichere ericheinen laſſe. 
Denn — nebenbei bemerft! — die Vertaufchung des willenfchaftlichen Maß— 
itabes mit dent äſthetiſchen, die Schätung der philofophiichen Lehren unter 
dem Gefichtspunfte des mehr oder minder „Deden“, mehr oder minder 
„Reizvollen“ iſt es wohl m erſter Linie, was die vielen verkehrten und 
anachrontitischen Urteile bei Bieſe verfchuldet. Der „Philoſoph des Anthro- 
pomorpbiitiichen“ wird allo zuwörderit lernen müſſen, die Ansprüche der 
Schönheit von denjenigen dev Wahrheit zu feheiden, der Poeſie und Kunſt 
zu geben, was der Poeſie und Kunſt, der Philoſophie und Wiſſenſchaft, 
was der Philoſophie und Wiſſenſchaft iſt. Er wird dann einfehen, das 
ein umnbedingtes Abfprechen über Comte oder ein Schelten auf die natur- 
wiſſenſchaftliche Denkweiſe troß aller Schwächen des franzöſiſchen Poſitivis— 
mus und troß aller Lücken, welche die Betrachtung der Welt vom Stand» 
punkte des Naturwiſſenſchafters noch unausgefüllt läßt, ebenſo thöricht iſt 
wie hingegen 3. D. Diefes Kampf wider die äfthetiichen Naturaliiten und 
Nationaltiten, wider die Albernbeit und lederne Geſchmäckloſigkeit der Bruch— 
mann, Sosnosky und Conforten rühmlich und lobenswert. Und um die 
Richtſchnur Für die Verfolgung ſeines eigentlichen Gegenftandes, für die 
Durchführung des „anthropocentrischen Princips“ nicht zu verlieren, wird 
es Sich empfehlen, daß ev den Denker Sich zum Muſter nehme, der diejes 
Prineip entdeckt bat, daß er ſich mit den Schriften Feuerbachs, in welchen 
die Bedeutung der anthropocentrischen Betrachtungsweife wenigitens inner— 
halb des religiöſen Gebietes in eier fiir alle Zeiten klaſſiſchen Weiſe dar- 
gelegt tit, auf das Innigſte vertraut mache. Yır der genialen Bilderfülle 
Feuerbachs dürfte ihm auch das Verſtändnis des Unterjchtedes zwischen 
berechtigtem, bewußt metaphoriſchem Ausdruck und gefährlicher, anthro- 
pomorphiſtiſcher Entſtellung des Weltbildes aufgehen und die Einſicht in 
die Nothwendigkeit von Grenzen ſich erſchließen, welche der Bethätigung 


der Phantaſie im Bereiche der Weltanſchauung zu ſtecken ſind. Auch, daß— 


es fehlerhaft iſt, nach Bieſes Art, das „Metaphoriſche“ im Mythus und 
dasjenige in der Religion zu trennen und jedes für ſich geſondert darzu— 
ſtellen, weil ja eine Religion eben dadurch, daß ſie ſich des Metaphoriſchen, 
Anthropomorphiſtiſchen ihrer Ideen nicht bewußt wird und den Trug der 
Imagination nicht durchſchaut, das mythiſche Gepräge erhält, in dem Augen— 
blicke aber, da ſie Mythus zu ſein aufhört, ſich auch ſchon von den Feſſeln 
des unbewußt und zwingend Metaphoriſchen befreit haben muß, wird ihm 
hoffentlich aus der „Theogonie“ und den unſterblichen Heidelberger Vor— 
leſungen klar werden. Durch das Studium dieſer Werke wird er wohl zur 


ne en 


Bieſe A., Die Philoſophie des Metaphoriſchen. 375 


Erkenntnis kommen, daß die Entgegenſetzung von Mythus und Religion 
allerdings ihren guten Grund und ihre volle Berechtigung hat, aber nur 
unter der Vorausſetzung, daß man den Begriff der Religion nicht mit 
demjenigen der Superſtition vermenge, daß man auch die von dem be— 
deutendſten Moral- und Socialphiloſophen unſerer Zeit, Friedrich Jodl, 
zum Schluſſe ſeiner berühmten „Geſchichte der Ethik“ ſo ſchön gekenn— 
zeichnete Menſchheitsreligion, welche vorläufig für Bieſe gar nicht exiſtirt, 
als die höchſte und geläutertſte Form des religiöſen Bewußtſeins mit in 
Rückſicht ziehe. Endlich aber wird Jeder, der ein Buch über die animiſti 
ſche Phantaſie in ihren mannigfachen Erſcheinungsformen ſchreibt, gut thun, 
ſich einer größeren logiſchen Sorgfalt zu befleißigen, als ſie bei Bieſe an— 
zutreffen iſt. Der Mangel ſolcher Sorgfalt berührt nicht nur in dem 
philoſophiegeſchichtlichen Abſchnitt peinlich, ſondern zieht ſich, wie ſchon geſagt, 
Aergernis erregend durch die ganze Arbeit. In allen Capiteln laſſen ſich 
zahlreiche unpaſſende Beiſpiele entdecken, — Fälle, wo nach Aufſtellung 
und Unterſcheidung mehrerer Beziehungen Thatſachen, in welchen ganz offen- 
fundig eine diefer Beziehungen zu Tage tritt, einer anderen ſubſumirt 
werden, wo alfo die Dinge nicht an ihrem vichtigen Orte Stehen. Ebenſo 
wird oft, wie 3. B. im vierten Capitel bei Vergleichung des Entwidelungs 
ganges der Neligton der Polyneſier und des althellentichen Seelencults, 
eine Identität behauptet, die man auf Grund der vom Verfaſſer ſelbſt 
gegebenen Darftellung unmöglich herausfinden fann. Ein fo ſchleuderiſches 
Berfahren aber beeinträchtigt natürlich auch den guten Geſamteindruck, 
welchen einzelne Abfchnitte des Diefeichen Buches fraglos hervorbringen. 
Damit wären nicht allem die logtichen Mängel der vorliegenden 
Arbeit in der Hauptfache angegeben, fondern auch die Mittel bezeichnet, 
durch welche denfelben einigermaßen abgeholfen werden fünnte. Nur eine 
principielle Bemerkung glaube ich fchlieglich noch vorbringen zu müſſen und 
damit fomme ich auf ein Verhältms zuricd, das ich ſchon mehrmals in 
diefen Zeilen angedeutet. Selbit wenn die Ausführungen des Berfaifers 
vom Anfang bis zu Ende vollfommen richtig wären, wenn Alles, was er 
als metaphoriſch hinſtellt, wirklich zu den Metaphern gehörte und den 
Charakter des Tropus in einer jeden Zweifel befeitigenden Art am ich trüge, 
jo würde der Titel feines Buches doch willkürlich und ungenau gewählt 
bleiben: denn einen wie großen Naum die anthropomorphiftiichen, Getites- 
vegungen in Körperliches hineintragenden und umgekehrt durch Naturdinge 
geiftige Zuftände und Eigenschaften ausdrückenden Bilder im Gefamtgebtete 
der Metaphern auch einnehmen, eine wie hervorragende Nolle fie unter 
Ihresgleichen, d. h. unter den nächjtverwandten Tropen fpielen mögen, — 
Biefe behauptet doch felber nicht und kann füglich nicht behaupten, daß es 
außer ihnen gar feine weiteren Metaphern giebt, daß nicht auch häufig 
Körperliches durch Körperliches, Geiftiges durch anderes Geiftige meta 


—] 


6 Hausrat A., Martin Luthers Romfahrt. 


.. 
ww 


phorisch bezeichnet wird. Man braucht aber nur beifpielsweife das zehnte 
Gapitel: „La Metapkore“ in Du Marsais’ noch immer nicht ganz ver- 
alteten Buche „Des tropes“ zu lefen, um gewahr zu werden, wie groß die 
Anzahl diejer von Biefe völlig außer Acht gelaſſenen Metaphern eigentlich 
it. Was der geiftreiche Franzoſe, der verdienftvolle Mitarbeiter an Dide- 
rots und D’Alemberts Encyflopädie, auf den kaum 22 Zeiten jenes Capitels 
ausführt, tft in der That eine viel unbefangenere, allfeitigere, erichöpfendere 
und gerade wegen der Eigenschaften, in denen Bieſe vielleicht einen Mangel 
an Tiefe finden wird, nämlich wegen der Klarheit und Verſtandesmäßigkeit 
der Ideen auch tiefere, weil der Wahrbeit beſſer entiprechende „Philoſophie 
des Meetapboriichen” als das aanze, im Verhältnis dazu jo umfängliche 
Werk des modernen Autors. 

Gegenüber den gedanflichen Schwächen von Bieſes Schrift Fallen 
Ungenanigfeiten des Ausdruds und einzelne mehr äußerlich-thatlächliche 
Irrtümer wenig ins Gewicht, objchon ſich auch nach diefer Nichtung Manches 
verbeiiern ließe. Ob man 3. B. das „Inſekten und Tiere” auf ©. 150 
noch hingehen laſſen darf, ericheint fraglich; jedenfall aber iſt es unftatt- 
baft, die Berfe aus dem Heineſchen „Frau Sorge”: „An meinem Bett in 
der Winternacht“ ꝛc., welche Bieje noch dazu falich citmt, Storm in den 
Mund zu legen; denn ſelbſt wenn, was mir nicht erinnerkich, in einer 
Dichtung Storms dieſe Verſe ſich fänden, jo wiirde es fich doch offenbar 
nur um ein Citat oder allenfalls eine unbewußte Reminiscenz an da3 fehr 
befannte Stück aus den Heineſchen „Romancero” handeln. 


Graz. Hugo Spitzer. 


Hausrath A, Martin Luthers Romfahrt. Nach einem gleichzeitigen Pilger- 
buche erläutert. Berlin. Grote 1594. 


Obgleich der Romreiſe in Luthers Entwicklung bei weitem nicht die Be— 
deutung zukommt, die ihr der alternde Reformator in begreiflicher Selbſttäuſchung 
beilegte, ſo bildet ſie doch immerhin eine ſo bemerkenswerte Epiſode in Luthers 
Leben, daß man dankbar dafür ſein wird, wenn einmal alle die mehr oder weniger 
bekannten Stellen aus Luthers Schriften, die mittelbar oder unmittelbar zur 
Aufhellung dieſes Lebensabſchnittes verwandt werden können, aneinandergereiht, 
geſichtet und auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft werden. Das iſt in dem vor— 
— Buche geſchehen, und der verehrte Verfaſſer hat die in Betracht fommen- 
den Fragen mit jo viel Umficht und Gejchmad behandelt, daß man jeiner Dar- 
ftellung überall mit Vergnügen folgt. Hausrath hält ſich nicht lange bei den 
Borfragen auf: er orientiert, im Wejentlichen auf Grumd von Koldes Forſchungen, 
über die Streitigkeiten im Auguftinerorden, die zu der Neife $ Deranlaffung gaben, 
und nimmt im Zuſammenhange damit zu der. chronologiſchen Frage Stellung, 
wobei er ich der wohl jett jo gut wie allgemein angenommenen Anficht an— 
ſchließt (Dftober 1511 big Februar 1512); nach diefen Präliminarien verfolgt 
er Puthers Neiferoute. Dieje läßt ſich auf dem Hinwege wenigftens mit ziemlicher 
Sicherheit feftftellen; Luther führte fein Weg über Bayern, die Schweiz umd die 
Yombardei; im Italien zog ev über Mailand und Bologna, berührte dann höchſt 


Hausrath A., Martin Luthers Romfahrt. alt 


wahrjcheinlich, nachdem ev den Appenin überjchritten, Florenz (recht annehmbar 
it Hausraths Bermutung, dag Luthers Erfranfung an der Malaria nicht nach 
Bologna, ſondern nach Florenz zu verlegen ſei) und gelangte dann über Siena 
nach Rom. Dem Aufenthalt in Rom ſelbſt iſt ſelbſtverſtändlich der Hauptabſchnitt 
in Hausraths Buche gewidmet; von der Rückreiſe wiſſen wir wenig: ſie führte 
aller Wahrſcheinlichkeit nach über Padua und Innsbruck; der Eindruck, den die 
Wanderung durch die winterlichen Al penlandſchaften auf Luther vielleicht aus— 
geübt hat, findet in ſeinen Schriften wenigſtens keinen Widerhall. 

Für die Leſer dieſer Zeitſchrift kommen hauptſächlich zwei Punkte im 
Betracht. Hausrath glaubt nachweiſen zu können, daß manche Aeußerungen des 
Reformators über Erfahrungen ſeiner Romreiſe nicht a auf den un— 
mittelbaren Eindrud deſſen, was er gejehen, ſondern daneben auch auf eime 
literarifche Quelle zurüdzuführen find. Auf Eu der bekannten mittelalterlichen 
lateinischen Bejchreibung Noms, dev mirabilia Romae, die vor allem zu dem 
Zwecke abgefaßt waren, den Pilgern die nötigen Anweiſungen über die wichtigften 
Gnadenorte zu geben, war im ausgehenden Mittelalter eine ganze Yiteratur 
von deutjchen Pilgerbüchern für die Beſuchung Noms entitanden. Hausrath 
bejchreibt zwei Ddiefer Drude und führt eine Neihe von Stellen aus einer un— 
datierten, aber mit Sicherheit den letten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts zu- 
zumeifenden Ausgabe au, die fih in merfwürdiger Weiſe mit einzelnen Er- 
zählungen Luthers decen. Daraus wird der Schluß gezogen, daß Luther eines 
diefer Bücher oder jedenfalls ein nah verwandtes bei jeiner Romreiſe benutzt 
haben müffe. — Einzelne der von Hausrath angeführten Parallelen können nun 
gewiß auf Zufall beruhen, namentlich jcheint mic die Konſtruktion ©. 69 f. 
zweifelhaft, bei anderen aller DER (gl. namentlich ©. 42 f., ©. 46 und 49) 
ift die Uebereinſiimmung fo ftark, daß man geneigt ſein wird, den don dem Ver— 
fajfer angenommenen Zufammenhang zuzugeben. Allerdings müßte die Ausgabe 
des Buches, das Luther aller Wahrjcheinlichfeit bei feiner Reiſe bemütte, exit 
noch fejtgeftellt werden. Daß es das von Hausvath angeführte deutsche Pilger- 
buch nicht war, gejtebt Hausrath jelbft zu, indem er auf einzelne Stellen hin- 
weist, im denen ich Luthers Berichte mehr mit den Angaben der Mirabilia 
Romae als mit den aus ihnen hervorgegangenen deutjchen Schriften decken. 
Das von Luther bemütste Exemplar wäre alfo noch zu ſuchen, aber ficher ift es, 
daß das im der vorliegenden Schrift zu Grunde gelegte Buch ihm jehr nahe 
geftanden haben muß. Man wird es daher gewiß nicht als ein zu fühnes Ver— 
fahren bezeichnen, wenn Hausvath die Angaben des Pilgerbuches und Die Aeuße 
rungen Luthers durch einander zu ergänzen und da, wo beſtimmte Berichte 
Luthers fehlen, das Dunkel durch Die aus der Bergleihung zwischen Luthers 
Erzählungen und dem Hinweiſen des Pilgerbuches gewonnenen Nefultate aufzu- 
hellen ſucht. 

Die zweite Frage ift die, ob ſich Einwirkungen der Romreiſe auf Yuthers 
literarische Thätigkeit nachmweijen lafien. Auch dieſe Frage ift bejahend zu be— 
antworten. Am hübjcheften ift von den dabei in Betracht fommenden Stellen 
das von Hausrath ©. 55 behandelte Stüd aus Luthers Schrift vom Papfttum 
zu Nom. Es ijt höchft charakteriſtiſch, wie dem alten Reformator in ſeinem 
Fagcinm plötzlich Erinnerungen aus ſeiner Romreiſe lebendig werden und wie 
er ſie nun benützt, um ſeinen Verwünſchungen die draſtiſchte Einkleidung zu geben. 
Außerdem je man noch ©. 14 j. Yun der hübjche Vergleih mit Luthers 
Gedanken —— der Jagd in der Nähe der Wartburg beſonders hervorzu— 
heben ift), ©. 52 f., ©. 72 f. 

Der freilich Ida oft hervorgehobene Gegenſatz zwijchen der humaniſtiſchen 
Auffaffung des klaſſiſchen Altertums und dem vein-theologifchen Standpunkt 


ITS  Tichadert P., Ungedruckte Briefe zur allgemeinen Keformationsgefchichte. 


Luthers kommt naturgemäß auch in der vorliegenden Studie wiederholt zum 
Ausdruck; die meisten dev angeführten Beifpiele find allerdings wohl jedem 
Freunde der deutſchen Literatur im Zeitalter dev Reformation vertraut. Wenn 
Luther fih auch vorübergehend nicht ganz dem gewaltigen Eindrud der Größe 
des klaſſiſchen Altertums entziehen kann (vgl. ©. 34), jo ift doch im Allgemeinen 
jeine Stellung eine feindliche; die Werfe des Altertums find ihm Scöpfungen 
der Abgötter, mit denen Chriftus endgiltig aufgeräumt hat (vgl. ©. 42 ff., 
©. 66). So hat er auch in Florenz feine Augen fir die Herrlichkeit der 
Menaiffance; was ihn anzieht, find Die vortrefflichen geiftlichen Wohlfahrts- 
Einrichtungen, die Spitäler und Findelhäufer (©. 24 f.). 

Im Einzelnen ift noch hervorzuheben: ©. 15. Mit feinem Sprachver- 
jtändis fühlt Luther beim Hören die Vorzüge einzelner deutſcher Mundarten 
heraus, wie denn die jeharfe Beobadhtungsgabe des Reformators auch ſonſt auf- 
fällt (vgl. ©. 20—22). ©. 25 f. das Geſpräch über die Hohenftanfenzeit, das 
er in Siena mit anhört, gibt uns eimen deutlichen Beweis, wie lebendig die 
Erinnerungen an die Stauffenzeit damals noch in Italien waren. ©. 40 ff. 
Päpftin Johanna. ©. 67. Mit einem gewiffen ingrimmigen Behagen evzählt 
der Neformator von der Zerftörung Noms durch die Germanen. — Die Er- 
gebniffe der Nomfahrt hat Hausrath ©. 76 fi. kurz und gut zufammengefaßt. 
Eine unmittelbare Eimwirfung hat die Romreiſe auf Yuther nicht ausgeübt; ev 
ift eben fo gläubig heimgefommen wie er hingegangen. Andererſeits hat er 
gewiß im den Klöftern, in denen er Herberge nahm, von zahlreichen Mißbräuchen 
gehört und diefe auch unmittelbar vor fich gefehen, und es ift nicht anzunehmen, 
daß ſolche Eindrücke jpurlos an ihm vorübergegangen wären. Indeſſen alle 
diefe Erfahrungen haben zunächſt ſeinen Geift nicht entjcheidend beeinflußt; fie 
wachten aber wieder auf und wurden von Luther in ihrer Tragfähigkeit erkannt, 
als ev mit dem alten Kirchenweſen definitiv zu brechen begann. 

Berlin. Georg Ellinger. 


Tihadert P., Ungedrudte Briefe zur allgemeinen NReformationsgefchichte. 
Aus Handjchriften der Kal. Univerfitäts-Bibliothet in Göttingen. 
Göttingen, Dieterih 1894. (Abdrud aus Band 40 der Abhandlungen 
der Kgl. Gejellihaft dev Wiffenfchaften in Göttingen.) 6.40 M 

Der vornehmlich durch feine großen Berdienfte um die Reformations- 
geihichte des Herzogtums Preußen rühmlich bekannte Göttinger Kirchenhiftoriker 
bietet hiev 25 Briefe dar, zu deren Erklärung und Ausnutzung alles Wünfchens- 
werte gejchehen tft. 

Um nur allgemeiner befannte Namen anzuführen, finden ſich unter den 
Berfaffern: Luther, Melanchthon (menigitens in einem Collectivbrief), Amsdorf, 
Bugenhagen, Krußiger, Eber, Juftus Jonas, Oſiander, die Humaniften Eob. 
Heß und Stigel; unter den Adreffaten: M. Chemnitz, Fund, die Nürnberger 
Batrizier Baumgärtner und Tucher, der Juriſt Scheurl. 

Die meiste Frucht heimft die Göttinger, Nürnberger und Würzburger 
Neformationsgejchichte ein. 

Nr. 7 giebt einen nicht unwichtigen Einblid „in den letsten Grund des nicht 
bloß theologiſch, jondern vielmehr kirchlich wichtigen Streites um die Abfolution, 
der nicht nur in Nürnberg, jondern weit darüber hinaus, die Geifter befchäftigte.“ 

In Nr. 10 richtet Beit Dietrich, Prediger an St. Sebaldus, an Chr. Scheunl, 
der Dietrichs Bezeihnung der Papſtkirche als stabulum poreorum mit der der 
evangelifchen als stabulum meretrieum vergolten hatte, die Ermahnung, Hand 
umd Zunge von Chrifte und feinem Worte weg zu halten, jonft werde er ihn 
als einen Feind Ehrifti und der Kirche für ercommuniciert anjehen. 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum 1. 379 


In Nr. 19 jagt Joachim Mörlin dem jungen Hofprediger J. Fund, 
auf eine hochfahrende Bußmahnung hin, gründlich jeine Meinung, „wie man 
etwa einen ungezogenen Knaben abitraft.” 

Das Erzerpt Wr. 23 berichtet über die Häupter der Schwendfeldianer in 
Nürnberg. 

Bei den ſchwankenden Angaben über Funds VBerwandtichaftsverhältnis 
zu Ofiander fei darauf hingewieſen, daß Tſchackert feititellt, daß Jener allerdings 
der Schwiegerfohn des letzteren war, doc erſt nach jeinem Tode, indem ev Agnes 
Dfiander, die in feiner zweiten Ehe zurüdgelaffene Witwe A. Aurifabers, des 
Profeffors und Leibarztes des Herzogs, heiratete. 

Wir können von ſolchen Publikationen gar nicht genug bekommen; nicht 
nur, weil im Allgemeinen die gehaltreichjten Quellen zur Gejchichte des geiftigen 
Lebens die Briefe literarifcher Perjönlichkeiten find, jondern, weil insbeſondere 
in den Briefen der Neformatoren und ihrer Anhänger deutlicher als in ihren 
Werfen die geiftige Atmosphäre ſich kundgibt, die dur die neuen Strömungen 
ſich bildete. 


Wien. Georg Loeſche. 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum L 


Hans Sahs-Forihungen. Feitichrift zur vierhundertften Geburtsfeier des 
Dichters. Im Auftrage der Stadt Nürnberg herausgegeben von W. 
2. Stiefel. Nürnberg 189. Im Kommiffionsperlag der Joh. Phil. 
Rawſchen Buchhandlung. 7 A. 

Der vierhunmdertjährige Geburtstag des Hans Sachs hat, wie voraus— 
zufehen war, eine ganze Reihe neuer Hans-Sadfiana ans Tageslicht gebracht; 
populäre Biographien, Erinnerungs- und Gedenktblätter in illuftrierten und nicht 
illuftrierten Zeitjchriften, Feutlletons, deren Gefamtertrag nicht ganz im Ber- 
hältnis zur Maße des Gebotenen jteht, und die zeigen, daß das Studium des 
Hans Sachs vielfach bedenklich dem Dilettantismus anheimgefallen it, daneben 
aber auch Schöne Materialfammlungen, Neudrude und glüdlihe Funde. 

Unter den Jubiläumsſchriften fteht vornan im Intereſſe die umfangreiche 
Feftfchrift, Die der Nürnberger Magiftrat pietätvoll dem Andenken feines treuen, 
berühmten Bürgers gewidmet, und welcher der Rawſche Berlag mit Verftändnis 
und Gefhmad ein würdiges Kleid gegeben hat. Es werden uns außer einem 
den Inhalt bloß vefapitulierenden Vorwort Weinholds dreizehn Abhandlungen 
geboten (vgl. oben ©. 259), aber trogdem die vorgelegten Arbeiten fih von den 
berfchiedenften Seiten her dem Leben und Wirken des Gefeierten zu nähern 
juchen, ift der Gejamteindrucd der Feſtſchrift ein enttäufchender. Gerade bier, 
wo es fih nicht um eine Sammeljchrift zu Ehren eines Lebenden, fondern um 
Ehrung und Würdigung einer biftorischen Perfönlichkeit handelt, wo man nicht 
für, jondern über denjenigen zu handeln hat, deffen Name den Titel ziert, ver- 
mißt man ungern eine aus dem Bollen fehöpfende Arbeit, die den Gewinn der 
neuen Forſchungen verwertend, das Bild des Gefeierten plaftifch vor uns hinftelle. 
So aber haben die Mitarbeiter, vielleicht weil ein Wunſch unausgeiprochen blieb, . 
oder Zeit der Ausführung mangelte, eine Neihe felbjtändiger Aufjäte gefpendet, 
bon denen zwar die meijten bewußt in die Tiefe ftrebend, neue Nefultate zu fördern 
juchen, von denen aber auch einige fi) nur in der Breite bewegen oder an einer 
ftillen Oberfläche ruhſam verweilen, 


380 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 


Ich erlaube mir, vorn der gegebenen Reihenfolge der Arbeiten im der Feſt— 
ſchrift abzuweichen und zuerſt die an letter Stelle ftehende Abhandlung Herrmanns 
zur Beſprechung zu bringen; Ton und Reſultate dort ſind zum Teil bedenklicher 
Natur, ſo daß eine möglichſt raſche Widerlegung derſelben geboten erſcheint. 

Herrmann handelt über „Stichreim und Dreireim bei Hans Sachs und 
anderen Dramatikern des 15. und 16. Jahrhunderts. Nebſt einer Unterſuchung 
über die Entſtehung des Hans Sachſiſchen Textes.“ Ich muß zunächſt bedauern, 
daß Herrmann im Gegenſatz zu den übrigen Mitarbeitern es nicht über fich 
vermochte, den Ton feiner Abhandlung auf den Ton einer Feſtſchrift zu ſtimmen; 
er hat es vielmehr für nötig befunden, im feiner Hans Sachsforſchung durchaus 
herausfordernd aufzutreten. Aber nicht einmal das äußere Recht ift in dieſem 
Falle gewahrt, denn feine Abhandlung hält — zunächſt in ihrem erften Teile — 
nicht, was fie zu bieten verfpricht, md da, wo Herrmann „in allgemein methodo- 
logiicher Hinficht einigen Nuten“ ftiften will, finden wir gerade methodologische 
Fehler, die uns bei Herrmanns font fehr exakter Arbeitsweife doppelt befremden 
mußten. 

Um zu möglichit geficherten Nefultaten über den Stichreim und Dreireim 
bei Hans Sachs zu gelangen, tft e$ nötig — was auch Herrmann will — von 
der urjprünglichjten Form der einzelnen Dramen auszugehen. Als diefe urjprüng- 
liche Form wäre von vornherein wohl der Tert der Spruchbücher (5) zu er- 
fennen, Herrmann aber fommt auf Grund von Angaben des Generalregifters 
(GR) zu dem Schluß, Hans Sachs habe bei Aufftellung des ER nicht S, jondern 
ältere hronologifch geordnete Dramenfonzepte (= e) benutzt, man erfenne dies u. a. 
am der geringeren Verszahl der einzelnen Dramen, welche GR häufig gegen S 
zeige; jene Dramenkonzepte jtellten alfo die ältefte Fallung, die Dramen mit 
einer größeren Verszahl in S dagegen ſchon eine Erweiterung dar. Zur Grumd- 
lage einer eraften Unterfuchung jeien darım nur die Dramen zu machen, bei 
denen die Berszahl in 5 (wohlgemerkt die Berszahl des Tertes, nicht der je- 
weiligen Sonderregifter) mit @A? übereinftimme Ich prüfe Herrmanns Voraus— 
jegung, ob GR wirtlih Reſte eines älteren Bejtandes der Hans Sachſiſchen 
Dramatik bietet. Wir werden finden, daß Herrmann durch eine Weihe über- 
hafteter Schlußfolgerungen, ja jogar direkter Irrungen zu jeiner Behauptung 
gelangt iſt. 

Welches find nun Herrmanns Gründe für feine Annahme von e und für 
die Behauptung, das Dramenvegifter gehe nicht auf S zurüd.!) Herrmanı 
weist zunächit darauf hin, daß bei den dramatischen Werfen in GR, im Gegenfaß 
zu den Spruchgedichten, die Seitenzahlen aus S nicht angemerkt ferien. Als Beweis 
will allerdings Herrmann diefen Umftand jelbjt nicht angefehen wifjen, auch be- 
vücfichtige man, daß in GR bei den Comedien und Tragedien die Angabe der 
Seitenzahl durch Angabe der Aktzahl erjett wird. Ferner findet Herrmann es 
auffallend, daß in GZ2 eine Anzahl von Stüden (aus S 7: „Die drey jtudenten“, 
„Der podenlos pfaffenfad,“ 5 8: „Neichstags dewtſchlands,“ „ver ſchalkhaftig 
pawrenknecht“) fich finde, „die uns nicht bekannt find und wohl auch niemals 
im 5 geftanden haben“. Diefes „wohl auch niemals“, mit dem auch jpäter noch 
öfters operiert wird, iſt durch nichts begründet; wir Dürfen vorfichtigerweife nur 


1) In der Wiedergabe einer Stelle der Vorrede zu Hans Sachſens Dramenregifter aus 
GR find Herrmann verjchiedene z. T. bedenkliche Lesirrtümer untergelaufen; Herrmann lieſt (S. 412): 
„aber in den Spilen ganz die hinter zal die zal der veimen in Dem gedicht,“ es heißt „zaig [ohne 
Punkt auf dem 1] die hinter zal”; was Herrmann Lieft, gibt gar feinen Sinn. Ferner hat Herr- 
mann 3. 10 „abdeilung“ ftatt „abdailung”; 3. 19 „in dem Dail“ ftatt „in idem Dail“; 3. 20: 
„wy man“ ftatt „wo man“; 3. 21 „des gedicht“ ftatt „Das gedicht” 2c. Wenn Herrmann Genees 
— 7* Leſungen — wenn auch mit Recht — ſo ſcharf verurteilt, muß er ſich vor gleichen 
Fehlern doppelt hüten. 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 381 


jagen, daß diefe Stüde, weil auch micht in A übergegangen, uns mit dem ver- 
lorenen S 7 und 8 zunächſt ebenfalls verloren ſind.) Auch den Folgerungen, 
die Herrmann aus der Verfchiedenheit der Titelangaben in GR und den Spruch- 
büchern zieht, kann ich mich nicht anjchliegen, hier leidet die Unterfuchung an 
der höchſt bedenklichen Unflarheit, daß der Text der Spruchbüder und das 
jeweilige Sonderregifter nicht Scharf genug von eimander getrennt werden. Auf 
die Titelangaben des GR ift weiter unten noch näher einzugehen, es wird fich 
zeigen, daß der Tert der Spruchbücher (= 5) und das Specialvegifter jedes 
Sprudbuches (= SnR) zunächſt ganz jelbftändig für GR in Betracht fommen. 
Wenn Herrmann anführt Sr „Zwaier philofophi disputacio, ob peſer hayraten 
jey oder ledig zw pleiben ainem weijen mann“ und im Gegenfaß hierzu GR: 
„thalles mit jolone dispütacien,“ jo hätte ev auch den Wortlaut von 89 2 bei- 
fügen jollen: „thales und jolon vom weiber nemen“. Dies hätte viel cher auf 
das wahre Verhältnis geführt. Auch von Hans Sachs ſelbſt herrührende An- 
gaben im S über die Berszahlen, — 3. B. am Schluffe dev Dramenterte, die ver- 
ſchiedenlich jelbjtändigen Wert haben, find bei Herrmann umnberüdfichtigt geblieben. 
Desgleichen ift es auch verfehlt, aus dem äußerlichen Umftand, daß „die Blätter 
des Sonderregifters in S 5 nicht mit paginiert, fondern nachträglich eingeheftet 
find, im Gegenfat zu dem im die Seitenzählung hineingezogenen Negifter über 
51-5" (=G5R) ganz allgemein für die Sonderregifter der erften Bände auf 
Abfaffung nach dem älteren Gefamtregifter zu Schließen. Wir werden fehen wie 
es hiermit ſteht. 

Was num die Differenz der Berszahlen in S und GR angeht, worauf 
Herrmann mit Recht bejonderes Gewicht legt, jo beruhen Herrmanns Angaben 
— zunächſt für die erte Hälfte der Spruchbücher — auf umrichtiger Beobachtung 
der thatſächlichen Verhältniffe und bejtätigen fich zum größten Teile nicht. So 
gibt für das Faftnachtipiel „ver dot mon“ 5 nicht, wie Herrmann (©. 414) 
ſchreibt, 336 Verſe an, fondern es jteht am Schluſſe des Faftnachtipieles S 9 
Bl. 46: „a. s. 1554 am 11 tag januarj 330 vers.“ Die Zahl 330 zeigt 
ferner auh SIR (Sonderregifter des neunten Spruchbuches) und GR, während 
S in Wirklichkeit 336 Verſe enthält. Man muß alfo hier annehmen, daß Hans 
Sachs, wie auch fonft nicht gerade felten, fich verzählte und jpäter Die irrige 
Angabe in FR einfach herübernahm; „erfahrt Des Ulyſſes“ S 1387 (nad) 
meiner Zählung, nicht wie Herrmann 1388), am Schluß der Comedi fteht DI. 
222b: „a. s. 1555 am 20 tag februarj 1378 vers.“ Hier liegt, wenn fein 
Zählfehler, doch ficher wieder eine von den häufigen Zahlenverjegungen, ein 
Schreibfehler, vor, GL notiert hiev auch wieder 1375 Berfe, SIR hat 1370. 
Bei Herrmanns dritten Beifpiel „Agathocles und Clinias“, wo Herrmann für 
S 567, für GR 478 Verſe notiert, ergibt die Auszählung für S 469, am 
Schlufje des Tertes 59 Bl. 262 fteht: „a. s. 1555 474," daraus fpäter forri- 
giert 568 (nicht 567). Die Zahl 474 hat au SIR, ER dann 478. Der 
Unterfchied von 94 Berjen (474 + 94 — 568) erklärt fih dadurch, daß Hans 
Sachs in 59 DL. 266 hier noch 94 Verſe nachgetragen hat, und dieſen Nach- 
trag, der zugleich zwei neue Perfonen, Fronftainer und Sophia, aufweift, in der 
Verszahl am Schluffe der Tragödie (568 aus 474) und in dev Zahl der Per- 
jonen (7 ſtatt 5) forrigierend im Texte von SI zum Ausdrude bringt. Die 


1) Es läßt fid) eine für die Annahme, die fraglichen Stücke hätten doch in S7 und 8 
geftanden, jehr beachtenswerte Thatſache anführen. BL. 122 f. des GR jteht Hand Sachs' Bücher— 
ſammlung verzeichnet (abgedrudt durd) Goedete, Schnorrs Archiv für Yiteraturgeichichte 7, 1 ff.). 
Dort heißt es unter S; „Sprud) puech das 7 meiner gedicht heit 38”, „Sprud) pued) das 8 meiner 
gedicht heit 66.” ine Nadyzählung in GR ergibt unter Einrechnung obiger 4 Faftnachtipiele für 
S 7 genau 38, für S 8 nur 625 hiernad) wären in S 8 ebenfo wie in S 4, 5,6, 9 2c, in GR 
einige Gedichte ausgelaſſen (fiehe ſpäter). 


382 Schriften zum Hans Sahs-Fubiläum J. 


vermehrte Berszahl aber ift nicht mehr in SIR und GR übergegangen, wohl 
weil jener Nachtrag erſt nach der Abfaffung jener beiden Negifter in S ein- 
getragen ward. 

Und wie fteht es mit Hermanns Behauptung, daß GR gewöhnlich bei 
Abweihungen in der Berszahl von 5 die fleinere Ziffer zeige, und woraus 
Herrmann jchließt, daß e das Original repräfentiere umd S bereits eine Um— 
geftaltung? Ich habe für die erite Hälfte der Spruchbücher jo ziemlich die ent- 
gegengeſetzte Beobadhtung gemacht wie Herrmann, 3. B. „Gismunda“ S5R 
500, @5.R (Gejamtregifter der erften fünf Spruchbücher) 472, GR 500, 
S (nad Auszählung) 473 (?); „Die zwen prueder aus plauto“ (Menaechmi), 
S (der Text) 614, S6 R 614, GER 700; „Socafta" S 699, 86 R 700, fpäter 
korrigiert in 704, GR 704; „ram armuet und fraw glueck“ S 436, SIR 434, 
GR 456; „Hiob“ 8715 (?), S6 R 686 (korrigiert aus 1000), FR 700. Fa 
jelbft Die ſcheinbare piece de resistance in Herrmanns Ausführungen jehen 
wir ftürzen, nämlich folgenden Schluß: Das „gericht Salomonis“ weife in S 706, 
in A (= Folivausgabe von 1558—1579), 720 Berje auf, und zwar feien jechs 
Berje aus S in A nicht vorhanden, dagegen zwanzig Berje neu hinzugefommen. 
Da nun GR bier 700 Verſe notiere (706 — 6 = 700), jo zeige es einen 
früheren status als S. Hier gibt num eine nähere Prüfung das überrafchende 
Reſultat, daß S nur 704, A nur 718 Berje enthält (die furze Zeile „Sa, Ya,“ 
die in Sin eine fcenarifche Anmerkung einbezogen ift, auch für A nicht gerechnet). 
Die — alſo unrihtige — Angabe 700 Berfe hat auch S6R in MUeberein- 
ftimmung mit GR. Das einzige Beifpiel in der ganzen erften Hälfte der Spruch— 
bücher, wo GR allein wirflih unter die Angaben von S herabfteigt — jeien 
diefe num duch Auszählung der Verje oder durch die Sonderregifter oder durch 
bejondere Angaben am Schluffe der Dramen gewonnen — ift die „Rofimunda”, 
S (Auszählung) 816, am Schluß BI. 245: „anno salutis 1555 am 10 tag 
augufti 816 vers,“ 59 RR 816, GR 814, und hieraus wird man bei der geringen 
Differenz und den zahlreichen gegemüberftehenden Beifpielen einen Schluß auf 
eine bei GR benutte Dramenkonceptfammlung, wie es Herrmann thut, nicht 
ziehen Dürfen. 

Auch die Berichiedenheit der Titel in S und GR ſcheinen mir durchaus 
nicht das zu beweifen, was Herrmann damit beweifen will, man braudt nur 
anzunehmen, daß Hans Sachs bei Anlage des FA — ſchon wegen der Angabe 
der Aktzahl feiner Dramen, die er ja in ER aufnahm — auch feine Terte in S 
wieder ein wenig anſah, um fich auf Titelvariationen von vornherein gefaßt zu 
machen. Und etwa aus dem Umftande, daß beim Faftnachtipiel „vom jchwangeren 
Bauern“ S5R „der ſchwanger Kalandrin” hat, während GR und A beide 
den Titel „der ſchwanger pawer“ aufweifen, auch für A eine Benüßung jener 
verlorenen Dramenjammlung herleiten zu wollen, erjcheint mir wieder zu weit 
gegangen. Der Titel „der ſchwanger Kalandrin“ in S5R (= G5R) paßt über- 
haupt nicht, da in dem Faftnachtipiel dieſer Name gar nicht erjcheint, ſondern 
durch das mehr charakterifierende, deutſche Kargas erjett ift. Der Name Kalandrin 
im Negifter ift nur eine Erinnerung an die benüßte Calandrinonovelle des 
Boccaccio, GR hat den Titel richtig geftellt. Und überhaupt! im Jahre 1560 
noch eine völlige Konceptfammlung der Hans Sadhfifhen Dramen, die auch) zu 
den Aufführungen hatte herhalten müſſen, zerleſen, zerſpielt, die älteften Stücke 
über 40 Jahre alt, und jo chronologisch georonet, daß Hans Sachs eine Tragödie 
(„Pura“) „ihrer Lage in der Konceptfammlung gemäß mitten unter die Tragödien 
aus 5 13 ftellte”, während fie erft in 5 74 erjcheint?! Aber „Pura“ fteht gar 
nicht „mitten“ unter den Stüden aus S 13, jondern ift das letzte von ihnen 
und macht zugleich den Schluß einer Seite; oben an der neuen Seite (FR Bl. 778) 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 383 


fteht die Zahl 14, jo hatte Hans Sachs wohl die Nummern der Spruchbücher 
nach den Titeln aufgefchrieben und fo den unten am der andern Seite ftehenden, 
durch eine Blattummendung von dem übrigen getrennten Titel überjehen. 

In Anbetracht der herausfordernden Sicherheit, mit der Hermann hier 
jeine Ausführungen vorträgt, und der fonftigen eraften Arbeitsweife Herrmanns 
habe ich mich bei diefem negativen Teile meiner Ausführungen länger, als es fonft 
gejchehen wäre, aufgehalten. Ich glaube gezeigt zu haben, daß gerade die wichtigften 
von Herrmanns Schlüffen auf ungenügenden Beobachtungen beruhen. Es ſei mir 
geftattet, im folgenden auf Grumd einer erneuten Prüfung eigene Nefultate vorzulegen. 
Ich habe einjtweilen das Material zugrunde gelegt, was von den erſten zehn Bänden 
der Hans Sachſiſchen Gedichte noch vorhanden ift, alfo 5 4,5,6,9, 10. Ich bemerfe 
num ausdrüdlich, daß bei der DVergleihung Der Regifter nicht immer alles wie 
ein Rechenexempel aufgehen kann, daß man vielmehr, wie die vom mir aufgestellten 
Negifter und weitere Zählungen zeigen, auch mit Irrtümern unſeres Dichters 
rechnen muß, die manchmal die Kontrole erichweren, es ift in ſolchen Fällen nur 
die Frage, ob wir mit der Annahme einer vollftändigen „KRonceptiammlung“ 
ivgendiwie weiterfomment. 

Wir haben im allgemeinen fünf verichiedene Stellen, denen wir Angaben 
über Berszahl oder Titel entnehmen können, erſtens den Text in den Spruch— 
büchern jelbjt (= S), zweitens die Sonderregijter (= SnR), drittens für die erften 
fünf Bände das ältere Geſamtregiſter (= G5R), viertens bei den jpäteren Sprud)- 
büchern ziemlich regelmäßig eine Aırgabe der Verszahl am Ende des Stücdes (— Se) 
und fünftens die Angaben des jpäteren Gejamtregifters (= GR). Dieſe ver- 
jchiedenen Stellen find bei Herrmann nicht auseinandergehalten, er hat nur die 
Unterfheidung S und GR, und Dies trägt nicht wenig zur Verwirrung feiner 
Nejultate bei. Ich prüfe zunächit, in welchem Verhältnis SER md SSR zu 
G5R, und diejes wieder zu GR ftehen. Weil Herrmann die Dramen von den 
übrigen Spruchgedichten getrennt hat — für das Negifter der letzterem gejteht ex 
Entitehung aus S für GR zu — behandle ich fie auch hier gejondert. 

S4 bietet feine Tragödien und Komödien, nur vier Faftnachtipiele. Zu— 
nächſt jtimmen nun Titel und Reihenfolge in SER und G5SR ganz genau 
überein, auch mit S ftimmen die Titel mit Ausnahme des dritten: S4R „Der 
hewchler und ware freunt“, 5 RR „Der hewchler und war freunt mit 3 perſon“, 
581.140: „Ein faſnacht jpil mit dreyen perjonen der hewchler, der jung man 
vnd der alt amice vnd haift der hewchler“. Für die Berszahlen find angegeben 
„pachen holen“: S4R 584, G@5.R 5348, S (nad Auszählung) 354, GR 384; 
„fünf ellenden wandrer“ S4 R 326, G5 R 5326, 8 328%), GR 326; „hewchler“ 
S4R3>W=G5R=S=GER; „purger, pauer und edelman“ S4R 324, 
G5R 324, S 326. In zwei Fällen alſo, im denen die Verszahl der Negifter 
von der wirklichen in ‚S abweicht, ftimmen S4Z2 und 5 R zufammen gegen S. 
Es ergeben alfo Titel und Verszahlen einen genauen Zuſammenhang zwiſchen 
beiden, und diefe Thatiahe wird Durch Die Negifter der übrigen Spruchgedichte 
nur noch beftätigt werden; nur weit 5 ZR gegen SIR noch die Angabe der 
Perjonenzahl in den Dramen auf. Welches war nun das frühere? ft wirklich, 
wie Herrmann mit einem unbaltbaren Schluß zu erweiſen jucht, auch S4AR jpäter 
wie@G5R entftanden? Faßt man die natürlichjte Möglichkeit ins Auge, jo hat 
der Dichter nah Abſchluß feines S4 im Jahre 1539 fein 54 RR angefertigt und 
dies, weil die Paginierung mit der Neinfchrift von SL durchgeführt war, uns 
paginiert vorgeheftet, S 4 AR wäre alfo vor G@ 5 R entftanden. Hierauf führt auch 

1) Goeke in der Ausgabe der Faftnadhtipiele Hat für die „5 wanderer“ 348 Berfe, er druckt 
en Nachtrag von 20 Berfen Hinzu, der aud) in A abgedrudt iſt, der hier aber nod) nicht 


Euphorion II. 25 


384 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 


die Differenz „pachen holen” SIR—= 85384, @5 R 348. Eine Differenz don 
36 Berjen durch Verzählen ift, wenn man nicht das Ueberichlagen einer ganzen 
Seite annehmen will, ſchwer, durch Verſchreiben, da bloß die Ziffern umgeſtellt 
ſind, leicht möglich, und wir haben ſolchen Irrtum jchon öfters bei Hans Sachs 
getroffen. Die Angabe der Perfonenzahl in G 5 Zr ift dann aus dem Tert von S 
nachgeholt. 

Noch deutlicher tritt das angedeutete Berhältnis von SIR und G5R 
bei den übrigen Spruchgedichten hervor. Ich zeige Dies an dem Abjchnitt 
„poetifch, fittlich, Frey und gemaine ſpruech“ in SLR. 


Das Negifter beginnt: 


1. Zon der dugent vnd fchad der lafter . . 2. 2.2. ii 
2. Die geplent geregtifeit [am griht] . . . . . . 10 
3. Die gemartert (vnd G5H) gefangen — cereee 195 
4. Die holtſelig fraw ainikeit . . es 
5. Das muetent heer der klainen dieb ua: 8 
6. Des pabjtes aderpaw . . — 66 
7. Der clagent waltprueder dber alle ftent — 2.0208 
8. Der clagent ernholt ober den adl vnd un (heat 

vber fürften vnd adel @G5R) . . —8 
9. Der thurnier ſpruch [von allen urniren ea lol) 
10. Der guelden ejel Apuleo . . . N 
11. Dem demwfel wil die hel zu eng werben, Alle SrnBR 
12. Das helpad auf die hel gmaht . . . . . . . 180 
13. Comparacz eins veichen fargen es @5R) am jan. 48 
14. Gelt guet und po$ . . . a 
15. Waltpruner nit Dentrengele „7 9 
16. Der Fuenftlichft werdmon . . RES 
17. Des veindz zum mucz ge (zu @ 5R) ) prauchen | 
18. Der hercz "perkerer aller Abe Var rar? Fee: SASE NE 
19. Die Yafter fucht [zu vertreiben] arczuy . . 
20. Die plintheit der lafter . . er SE RER a5 BD) 
21. Die welt geficht nit pey dem licht nr ET 
22. ——— lachet nit pein [nicht pey den] lewten Ts 
23. Was der mensch fur ein thier fy. . . . 157 
24. Das ergeft glit am menfchen die zung V3 ER) 
25. ar drey fchentlichen Haffer . . . ESTER DD 
26. Die hemler . . NN ARBEIT —— 6 
27. Zorn mit ſeiner vngeſtalt ERTEILT NS 
28. Arczney wider die hoffart . . RESTE 666 
29. Dreyerley fcheden der drundenheit . ET 38 
30. Die injel Bachi [von der dDrundenhait| . . 114 
31. Die neun (neunerlay @5 R) DE im (in dem 

G5R) etanber.e® 35 
32. Ob ein mweifer man heiraten ſo RR Be ca 
33. Ein Eurcze Difchgueht . . » . 000.000. 024 
34. Drey frag ariftippi . . EEE NT Rat 
35. Drey ſprüch focrati vom veichtum — SERE NT 
36. Der kandel gieſer ſpruch. N 236 
37. Der [haidenjchen] vomif schen kaiſer pegrepmus Pr SEO 
38. Die mueftrung zw Nurnberg . . 5 


39. Kung Ferdinandi (08 Eu [5205 einreiten m 
Kirbrg . . - 17 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 385 


40. Kaifer KRaroli des 5 (Des Kaiſers GF5 RP) einreiten 


meh. Te Et 
41. Der "inginefhaft ſcharmueczel vor ofen Ne —3 
42. Thiraniſche that des türcken vor peſt (wien G5 — a DER 
43. Der ungludhaft Sharmueczel vor pet . 239 


Die Auslaffungen von F5R find in edige, die Aenderungen und 
Zufäte in runde Klammern gejest, jene find nicht ummejentlich, dieſe be- 
deutungslos. Der ganze Abjchnitt iſt nun in @5 RR in mehrere fleinere zerlegt. 
Der erjte Teil umfaßt die Nummern 1—12 mit Auslafjung von 6, 9, 10 und 
ericheint als „Boetiſch ſpruch im 4 puech“. Der nächfte Abſchnitt in G5R 
enthält unter dem Titel „Gemain frey ſpruech des 4 puechs“ die Nummern von 
13—31, aus dem vorhergehenden Zeile iſt Nr. 9 beigezogen, welches an der 
Spitze jteht. Die Neihenfolge ift genau Die — nur find ausgelaſſen 20—22, 
26—30. In dem dritten Teile „Gemengt allerley jpruech im 4 puech“ erſcheint 
aus der erjten Serie Nr. 6, aus der zweiten 20, 21 und 26—30, alle zugleich 
auch im der Neihenfolge von S4Z, und das Regiſter fährt fort mit Nr. 32 
> 40 ohne Auslafjung, nur 39 und 40 umgeftellt. Jetzt bleiben nur noch 10, 
22, 41—43. Der folgende Abſchnitt „Hiltori im dem virden puech“ gibt zumächft 
Nr. 22, dann 41—45, doch 42 und 43 umgeftellt, dann folgt die Neihe der 
auh in S4R als „Hiftori“ aufgeführten Dichtungen und zulett, ebenfalls 
vorher überjehen, Nr. 10. Man ficht ohne weiteres, die Reihenfolge von 5. R 
erklärt ſich ausſchließlich aus SLR. Halten wir hierzu noch den Umſtand, 
daß @5R verſchiedene Fehler aufweiſt, welche gerade in einer Abſchrift leicht 
entftehen (S4MR „pachen holen“ 384, G@5R 34855 S4R „plintheit der 
lajter” 153, @ 5R fälihlih 155; SUR „zwen römer" 229, G5R 224, 
verlefen durch die Aehnlichkeit von 9 md 4 bei Hans Sachs; SAR „tod 
und franih” 115, @G5R fälſchlich 155, SZ R „ergeit glit“ 173, @ 5. fälſchlich 
137), aus denen ich das negative Reſultat ergibt, daß SLR aus 65N nicht ab— 
gejchrieben fein kann, jo denke ich, ih eriwiejen, daß bei den vorhandenen direkten 
Beziehungen von S4R und F5R das Sonderregifter von SL die Vorlage 
für dem entfprechenden Teil in @5 2 gewefen fein muß. Für die vier Fait- 
nachtjpiele ward dann die Angabe der Perfonenzahl aus S nachgeholt. 

Und S5 R? Wir bemerken hier zunächſt im Gegenſatz zu S 47 genau 
die gleichen, kürzeren Abteilungen wie in @ 5 R, auch die —— Anordnung, 
nur die „gaiſtlich ſpruech“ find an den Anfang gerückt. Die Titel weiſen nur 
hie und da einige Unterſchiede von einander auf, zeigen dagegen zuſammen oft 
bedeutende Abmweihungen von 5 35. B. S5R „Amerige mit feiner dochter 
Fıolanta mit 13 perjon“, EF5R „Amerigo mit feiner dochter violanta mit 
13 perjon“, S „Ein comedi zw fpilen mit 13 perfon“ (folgt deren Aufzählung 
und aunabe der Aktzahl); 5 „Der ermort lorenczo”, 5 R „Der ermort 
lorenczo“, 5 „Ein tragedi mit 6 [daraus forrigiert 7) perfon zw jpilen“ (folgt 
Angabe der Perfonen und Aktzahl); S5R „2meis hauffen der irrigen welt“, 
G5R ‚„Amais hauffen der ivrigen welt’, S 8. 50 „Der ameis hauffen‘; 
S5R „Der dot zucdt das ftuellin‘, GF5R „Der dot zudt das ftuellein‘, 
5 Bl. 22 „Sn menschen hochitem a Aus rwe So ſchleicht der pitter dot 
herzwe“; S5R „Des walfiſch natur“, G5 R „Der walfiſch natur, S Bl. 78 
„der walfiſch⸗ S5R ,„Brutus mit den 2 ſunen“, 5 R „Brwtus mit 
fein zwayen fünen‘, S Bl. 62 „Brutus der gevecht vömer mit fein zwayeu 
ſuenen“ 2. Wir erfennen alfo wieder einen engen Zufammenhang zwiſchen 
S5R und G5R. Da wo S5R und @5R von einander abweichen, finden 
wir jowohl Fälle, in denen S5R, als auch foldhe, in denen @5R mehr 
mit S übereinftimmt, ad 1: G5R „Das jchedlich gros thier der krieg“ mit 


25* 


386 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 


unrichtiger Blattzahl 228, S Bl. 248 „Das jchedlich gros und ftard thier der 
plutig Krieg“, während S5R die ziveite Hälfte des Titels aufgenommen ‚dat 
mit dev richtigen Blattzahl „Das plutig thier der Krieg“ 248; ad 2: G5R 
„Der gütter warumb der mensch nimer alt werd“, S BI. 4 „Ein geſprech 
zwijchen den göttern warumb die menjchen nimer alt werden“, S5R „Der 
götter — menſchlichen kurczen leben“; beim „urtail aridis x.” hat G5R 
richtig Bl. 213, 855 R 215; bei Dreyerley pueler 2.” G5SR 3. 79, S5R 
Bl. 29, — beginnt das' Gedicht Bl. 80. Während alſo bei den anderen 
Beifpielen für die Priorität von SLR oder von G5R nichts zu erichließen 
war, und wir nur joviel jehen, daß bei Anlage eines jeden der beiden Negifter 
auch der Tert von ‚S gelegentlich eingejehen wurde, jo jcheint das letzte Beifpiel 
auf die Priorität von 5. R bhinzumeifen; die Angabe Bl. 79 ftatt 80 war 
dann ein Irrtum, aus diefem entfprang dann der Schreibfehler BL. 29 in SSR, 
der aus SO nicht zu erklären ift. Nach gleicher Richtung weist der Umstand, 
daß aus den „Gemengt ſpruech“ von F5R drei Gedichte herausgenommen 
und — bier ohne Berüdfichtigung richtiger Neihenfolge — am Schluß der 
„Hiltorj” in S5R untergebracht find, alfo (das Herübergenommene ift ein— 
gerüdt): 


das urtail paridis mit peraubung helene. . . . 215 (ftatt 213) 
Zerftörung der ftat Troya re a6 

freuntichaft agathoch und Elinia . » 2 243 
ſchlacht der herzogen von Clve . . . . 12 
Des faifers zug in Jrandrid . . . . 106 

Gefendnus herzog hainrihs von praunfhdw. . . 159 


Die Unterbringung der Drei Gedichte bei den „Hiftorj“ ift entjchieden richtiger 
und jcheint ſomit Ne ſultat einer ſpäteren Erwägung zu ſein. Am ſchwerſten für 
die Priorität von G5M aber wiegen die beiden st G5_R „ermort 
lorenczo 6 perfon“, S5RT; G5SR „Sismunda” 472 Berfe, S5R 500. 
Sm Tert von 8 ftand erft 6, daraus ift dann jpäter 7 gemacht, 8 find in der 
That mit dem Herold fieben Perfonen.!) Zur „Gismunda“ findet fih Bl. 274 a 
ein Nachtrag von 30 Berfen, diefer ergibt zu den 472 Verſen des G@5 R (nad) 
meiner Zählung hat der Tert 473) 502 Berfe (505). In der Angabe 500 in 
S5R ſoll aber jedenfalls der Nachtrag von 30 Berfen darinfteden, die Angabe 
ift ungenau (oder Borliebe für ganz runde Zahlen? vergleiche weiter unten), 
Ich Schließe aus all diefen Anzeichen, daß S5R nah F5R unter gelegent- 
licher iehung des Textes don N gearbeitet wurde, und in der That ift 
auh 5 5 (das fünfte Spruchbuch), weil es eben beide Regifter im ſich vereinigt, 
= einz ine bei dem eine folche Annahme ohne einen zeitlihen Zwang für die 
Vollendung der früheren ee: möglich ift. 

Wir treten jetzt an die Unterfuhung der Entjtehung von FR heran und 
hören zunächſt, was der Dichter ſelbſt hierüber GR BL. 75b jagt: „Anno 
salutis 1560 am 12 tag Juli hab ih Hans Sachs fuer quet angeſ jehen, meine 
gepumdene gedichte als Comedj, tragedj, ipil, geiprech, ſpruech, Fabel und ſchwenck 
aus meinen 14 puechern auch in regiſter zv ſtelen ... und hab alſo die vir— 
zehen puecher meiner ſpruech durchſuechet und darin gefunden von allerley und 
mancherley gedichten 1069 ftued, wie wol ich nit alle jtued, jo ich gedicht hab, 
in dieſe meine puecher eingejchrieben hab, jonderlich, jo etwan furcz vnd vnan— 
jehenlich geweſt, der junft noch vil ain grofere fum geweſen weren, dergleichen hab 


S Bl. 193: Ein tragedi mit 6 [corrigirt 7] perjon zw fpilen, nemlich Antoni, Bap— 
tifta, Ymbeof, all drey geprueder, Lifabeta, iv ſchweſter, ancilla ein mait, lorenco ein knecht und der 
erenholt hat 5 ateus.“ 





Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum TI. 387 


ih auch mit alle gedicht, jo ich in den gemelten 14 puechern gefchrieben hab, in 
dis regifter eingeleibet, urſach etliche gedicht hab hernach etwan mit der zeit ver— 
endert vnd lenger gemacht, hab ich die kurczeren unterlaffen herein in dis vegifter 
zw pringen, ſunder die lengeren ...“ Diefe Stelle gibt pofitivere Angaben 
als die von Herrmann ©. 412 angeführte. Wir erjehen aus ihr — vorbehaltlich 
der Beftätigung durch die folgende Unterfuhung —, 1) daß Hans Sachs jelbft 
feinen Unterjchied macht zwijchen den Liſten der Dramen umd denen der übrigen 
Gedichte, 2) die S enthalten nicht alle Gedichte des Hans Sachs, zumal nicht 
die „kurzen, unanſehnlichen“, 3) zur Anlage des GAR bat der Dichter feine 14 
Spruchbücher „durchſucht“, aber 4) nicht alle Gedichte in das GR eingetragen, 
von den im berfchiedenen Faſſungen vorhandenen erjcheinen nur die längeren. 
Für die nicht dramatifchen Gedichte gibt Herrmann zu, daß fie „ohne jede Frage 
nach den handſchriftlichen Spruchbüchern“ gefertigt jeien, wenn er aber behauptet, 
GR enthielte „überall die richtigen numerischen Hinweife auf die Seite“ in 8, 
„überall beinahe vollftändige Uebereinftimmung der Titel mit den Ueberfehriften, 
die 5 den einzelnen Dichtungen zuteilt“, jo ift hier infolge zu raſcher Prüfung 
des vorhandenen Materials ein Unterfchied gegenüber dem Dramenvegifter in 
einer Neihe von Fällen durch Herrmann evft gejchaffen worden. Da Herrmann 
unter S den Tert des Spruchbuchs verfteht, jo ift feine obige Angabe unrichtig, 
denn GR ftimmt oft mit dem Sonderregifter gegen dieſen Text überein, und Text 
und Sonderregifter unter der Bezeihnung S zufammenzufaffen, geht wieder nicht, 
da beide oft verjchiedene Titel zeigen, wobei GR auch öfters zu dem Texte 5 
gegen das Sonderregifter ftimmt. Man fehe: SLR „Die gfenfnus der gotlichen 
warheit” (= G5R), S Bl. 195 „Disputacion zw regenspurg 1541“; GR Bl. 87 
„Disputacion zw vegenspurg 1541“; S4 RR „Ein vergleihung eins criften einer 
ofen“ (G5R zw einer), S Bl. 176 „Dreyerley art eier vofen vergleicht einem 
friften“, GR „Dreyerley art einer vofen“; S4R „ardwon und unſchueld“ 
(=G5R), 54 „Ob das jprihwort war jey, thiw vecht fuercht dich darpey“, 
GR „Ob das jpruehwort war ſey, thw recht fuercht“; ebenſo das umgekehrte 
Berhältnis SLR zu GR gegen S: S4R „Strafi gottes vber die hurerey 
iſrael“, G5R „Itraff gottes vber die hurerey, SL „Die hurerey“, GR „Staff 
gottes oder der hurerey yſrahel“; SLR „Iheodorus gros vngluüueck vnd glued“, 
G5R „ZIheodorus gros unglueck vnd glueck der lieb“, S 4 „Der jung Theodorus, 
der jeins herren dochter peſchlieff vnd zum galgem verurteilt wart“, FR „Theo— 
dory gros vnglueck vnd glueck“; 5422 „raw Beritola gros geferlifeit‘ (= G 5 R), 
54 „Die verjadt edel fram Beritola zwen ſuen vnd iven herren verlor und 
nah vil umnglueds alle wider fand“, GAR „fraw Beritola groje geferlifeit‘‘; 
S4+R „Der ritter jant jorg vait Durch den ofen“, F5R „Der ritter fant 
jorg vait im offen“, 54 „Der ritter jant jorg, den der pfarrer zu drofafelt 
verprennet“, GA „Der riter jant jorg vait durch den kachelofen; S4R „Gelt 
guet ımd poes“ (= G5R), S4 „Das gelt guet umd jchedlich‘‘, GE „Gelt 
guet und pös“; SLR „Die lafter jucht zw vertreiben arczney“, G5R „Der 
laſter ſuecht arczney“, 54 „Die lafterfuecht‘, GM „Lafterfuecht zw vertreiben‘ ꝛc. 
Man fieht, die Angabe Herrmanns von der „beinahe völligen Uebereinjtimmung‘ 
von S umd GR bei den nicht dramatischen Gedichten ift zunächft für S 4 unhaltbar, 
wir finden vielmehr hier eine ganze Neihe von Abweichungen in den Titeln, wie 
fie Herrmann bei den Dramen gefunden hat, und wir werden uns die Lehre aus 
diefen Beispielen ziehen, daß wir bei den Titelvergleihungen im Dramenvegifter' 
zunächit etwas weitherziger als Herrmann verfahren müffen. Für die nicht dra— 
matifchen Gedichte zeigen obige Beispiele zur Evidenz einen direkten Zuſammen— 
hang zwiſchen S4 ZA und FA, — das ältere Gefamtregifter erſcheint nicht heran— 
gezogen —, und da SL, wie oben gezeigt ward, vor @ 5 Zr entjtand, jo ijt aljo 


38 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 


0 6) 


der die Spruchdichtungen betveffende Teil von SL im GR in erſter Linie nach 
S4R gearbeitet, zum andern Teil aber, wie die erften Beifpiele zeigten, mad) den 
Titeln im Texte jelbft. Hans Sachs hat alfo hier, genau wie ev jelbft angibt, fein 
N„durchſucht“. 


Und die dramatiſchen Dichtungen? In 84 haben wir nur die vier Faſt— 
nachtſpiele „pachen holen“, „D ellenden wanderer“, „hewchler und war freunt“, 
„purger, pauer, edelman“. Auch hier ergibt ſich kein Anhaltspunkt — die Be- 
nugung des ja auch im einem fpäteren Spruchbuch befindlihen F5R. Es 
jtimmmt, wie ſchon früher angeführt, 62 genau mit den Versangaben von sS4R 
nämlich 384, 326, 390, 324, während thatſächlich S beim zweiten und vierten 
Spiel 328 und 396 Berfe hat. Die Titel ſtimmen in S4R und GR eben- 
fall$ genau überein bis auf den vierten; hier hat S4R, (G5R), und S „ein 
purger pauer und edelman“, GR jedoch „der dolpen friez“. Aber gegen die in 
den Spruchgedichten bemertten Titelabweichungen und gegen die Uebereinſtimmung 
der Verszahlen in SLR und G gehalten, beweiſt dieſe eine Abweichung für 
Herrmann ſicherlich nichts, und wenn Hans Sachs feinen Text in SL nach— 
lug, um die in SLR fehlende, im GR aber angegebene Perſonenzahl des 
Spieles feſtzuſtellen, ſo konnte er ohne weiteres auf den Namen „dolpen fricz‘ 
fommen, der ja der Name des einen Bauern im Stüde ift. 


Bon den in F 4 verzeichneten Gedichten fehlen nun in @R 16: 


60 B. Der guelden efel apılo . . . Bl. 16 

62 Ein furgze Vishzueht . » » . . 247 

60 = frag ariftippi . . . 154 1008.811 81.171 1557 

62 Drey ſpruch jocrati vom reichtum . 177 130 818 31.232 1559 
6) Y MR 715857 

60 Die fuenen weiber zw ago . . . 12 Ken S = = = a 

62 Die nadat kunigin aus libia. . . 18 

60 Das getrew weib Gamma . . . 14 

62 Acteon wart zw eim hirihen. . . 17 

60 Aragnes wart zw einer ſpinnen. . 18 

60 Der frum furft hemgus . . . . .72 14 812 3. 375 1598 

(124?) 

60 Der vergift falven fof. . . . 112 S 8 I. 510 (nad) 

62 Kaijer otto mit jeim virgetrewen weib 114 GR) 

62 Drey frag aines jophiften.. . . 47 

60 Prueder zwifel mit dem folen hailtum 109 124 812 31. 379 1558 

60 Die zwen petrogen pueler . . . 111 206 813 31. 16 1559 

62 Der koch mit den Kani . .- . . 115 130 13 31. 202 1559 


Dagegen find doppelt aufgeführt: 
gaiftlich ſpruech: 


Die gemartert theologia . . . 24 (unter: poeten ſpruchweis) 
Die gefencknus der gotlichen (unter „Gemüſcht materj“ als „Dis— 
warheit . . 193 putacion zu vegenspurg 1541“) 
Der leczt pfalm david ausgelegt 248 (unter den „pejchlues‘) 
hiſtorien: 


Solon der weis mit ſeinem ſun. 2285 (unter „Gemüſcht materj“ mit 
gleichem Titel) 
Auf dieſe Weiſe erſcheinen für S4 in @R 100 — 16 + 4 = 88 Nummern, 








wieder, daß in ER eine Reihe von Gedichten aus 55 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 


389 


Bei Betrachtung des 55 betreffenden Teiles von FR finden wir zunächſt 


in 55 enthaltenen: 


94 
28 
30 
62 
62 
62 
62 
62 
62 
250 


328 
200 
200 

64 


106 


In 86 find jogar von 107 Gedichten 31 ausgelaffen, 
„Violanta“ (nah S6R 


Der krieg und fieg kunig jofaphat. 

Pfeiffer und Tautenjchlagerin 

Die zway liebhabende mit dent dot 

Drey frag biantis . ST, 

Der ritter mit dem falcen 

Der romer petrus mit feiner lieb— 
haberin . — 

Der dot romuli. . 

Der cleglich dot pirami und hisbes 

Der farg abt . . ; 

Die geſchweczig rockenſtueben 


Doppelt aufgezählt ſind: 


Die zwo verprenten junckfraw im 
niderlandt — 


Der amashauffen 
Die ſtark gewonheit 


Geſprech glueck mit armuet 


er dot jeronimus und ſein herczliebe 
Der dot jeronimus und ſein herczlieb 


Des kaiſer karls zug in franckreich 


158 


106 


fehlt, diesmal 10 bei 108 


Nochmals: 


100 3. 5 15 Bl. 308 1559 


(als „gaiftl. ſpr.“ und „gemüſcht 
materj“) 

(als „poeten ſpruchweis“ und 
„gemüſchter materj‘‘) 
(als „poet. ſpruchw.“ und „gem. 
mat.“) 

(als „Geſprech“ und „poet. 
ſpruchw.“) 

(als „hiſtorj“ und „gem. materj“ 
als „Jeronimus und ſilveſtra 
ſtarben vor lieb“ 94) 

(als „hiſtorj“ und „gem. mat.“ 
als „Der zueg in franckreich kaiſer 
karl anno 1544“ BI. 107). 


Sp erfcheinen in GR als zu 5 5 gehörig 108 — 1) +6 = 104 Titel. 


700, 


nad) 5 702 Berfe), 


ſchrift m S5 in @R überging, dann folgen: 


62 
52 
62 
62 
62 
62 


66 
50 
62 
60 
80 


64 
62 


62 


Das pilt der waren freundtichaft . 

Gonftellation der gütter . : 

Das haus des ſchnöden neides . 

Die kurcz tabula Cebetis . 

Die verjagt fraw warheit 

Sieben pos aigenfchaft pofer gefel- 
aber. 

Clagred der gerechtikait ueber gewalt 

Das criſtlich leidentherez . 2 

Fama das fterdeft auf erden 

Etlich kurcze ler aus Efopus 

Kunig aus Denmard kam durch ain 
heren umb . ee 

Zwen ritter aus purgunden 

Der arczet mit ſeiner ſtieffmutter 


Lucrecia die kewſch römerin. 


45 
51 
52 
126 
132 


133 
292 
297 
306 

39 


8 
42 
86 

119 


von den Drameı Die 


die Schon nach der Nieder: 
908. S 13 BI. 300 1559 
S 881.50 (nad) GR) 

90 8073258173012 21559 
130 S’713. 31: 205° 1559 
124 Ss 13 Bl. 6 1558 
120 Si BASIERT 
124 Ss 13 31. 343° 1559 


390 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum 1. 


62 Künig artarerıy ungerathen fürn . 240 170 S 10 Bl. 106 


62 Humulffus der getrew femerling . . 245 
62 Kunig Coloris aus Norwegen vn— 
gluclicher fampf . . 246 


62 Kaiſer aurelianus der hoffertigim pad 247 
62 Der pawer mit dem himel, hel und ejel 5 


78 Der pueler mit der rothen thuerr. . 16 
62 Urfprung des erjten münds . . 38 180 Ss 13 31. 195 1559 
64 Die 15 Eriften und 15 duerden auf 

dem meer. . 40 
62 Die zwen pachanten im dotten kercker 51 124 S 12 Bl. 377 1558 
62 Der furez naffendanzg . . .» . . 121 
62 Der Trieg mit dem winter. . . . 124 
60 Die zwen gefattern mit dem zen . 242 
62 Die ſpin mit dem ziperlein . . 244 
62 Dreyer frawen klag ueber ire haus- 

De ee N 2 rt Ss 9381. 196 1555 
62,7. Der. guet montag... 8. 225005100 S 13 3l. 309 1559 
62 Die drey frolihen dd 252 124 S 12 31. 332 1558 


Doppelt aufgezeichnet ift unter Faba: „Fabel die haſen fachen den jeger“ 292 
und unter den „ſchwenken“: „haſen fangen den jeger praten in“, ſo daß der auf 
IS bezügliche Teil von ER 107 — 31 + 1 = 77 Nummern aufweiſt Aus SI 
fehlen num fünf Nummern in GR, zunächft „Titus und Gifipus”, dieſes ſchon 
nah S 5 in @R gebucht, dann 


76 NRinaldus der peraubt fauffman . . . . ...19 
62 Altrewſſ mit dem geiczigen purger . . . . 274 
72 Bura ein jundfraw ond martin. . . 8 
34 Fabel mit den frofeh von ruemery . “ . . 1% 


Ran, — find nicht vorhanden, es ſtehen alſo unter SI in 
GR6 Aus Ss 70 — um glei) Alles zu erledigen — fehlt 
in GR nur ein Gedicht „profiant und umplats 100 v.“, jo daß bier 30 — 149 
Titel verzeichnet ſtehen. Ich habe nun aus meinen Notizen die Gedichte feſtzu— 
jtellen gejucht, die thatfächlih in fpäteren Spruchbüchern wiedererjcheinen und 
dann von dieſer jpäteren Stelle aus in GR gebucht werden. Wenn nun aud das 
eine oder andere Gedicht noch vielleicht nachzutragen ift, jo fann man doch er- 
kennen, daß nicht alle der Ausgelaffenen am den fpäteren Stellen erſcheinen. 
Bei einigen mag dies auf Rechnung ihrer „Unanſehnlichkeit“ kommen, fie mögen 
überhaupt übergangen ſein, eine große Anzahl aber wurde wohl erweitert, wir 
finden dieſe Erweiterungen aber nicht in den ſpäteren Spruchbüchern, ſondern in 
Einzeldrucken oder im der Folio, von der bei Abfaſſung des GR ſchon zwei 
Bände durch Hans Sachs vollendet waren.) Es würde hier zu weit führen zu 
unterfuchen, ob Hans Sachs die genannten Gedichte mit Rückſicht auf dieſe 
Drudlegung im 2 ungebucht gelaffen, und ob man eine eventuelle Regiftrie- 
rung diefer Dichtungen entweder in einem Regiſter über jeine Einzeldrude — das 
natürlich Dramen und ee umfaßt hätte — oder in dem Negifter der 
Folio zu erbliden hätte. Diefen Beobachtungen entſprechend mindert ſich natür— 
auch der jelbjtändige Wert des 7 für die Forihung. 








1) Das GR wird am 12, Juli 1560 begonnen (Vorrede zum GR), die Borrede des Hans 
Sachs zum 2. Foliobande ift vom 9. Februar 1560 datiert, das erſte für den 2. Folioband bee 
immte Gedicht hat das Datum 16, Febr. 1558 (Feitichrift ©. 245), 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum J. 391 


Wie der S4 betreffende Teil von ER, fo geht auh 55 in ER unter 
Nichtbenugung von G5R auf SSR zurüd. Wir können dies zumächit aus 
der Reihenfolge der Dichtungen ar verjchiedenen Stellen entnehmen, denn wenn 
GR fih in erjter Linie auch nach den fortlaufenden Nummern der Seiten in S 
ordnet, jo ift Doch die richtige Folge auch mehrfach ——— und ſtimmt dann 
nicht zu G5R, ſondern zu S5R gegen GöR, z. B.: 


S5R: Gotter vom menſchlichen leben 41 GR: 41 G5R: 4 
REED -amels ar. LAT TE LT DIE En, 9 
Gieennpsatmee Ba Barrel 

oder Hiſtori: 

8:5: Der, dot jeronimf. 240 +. 1198 GR: 3 GSER:233 
Dterumteiiichrroniidars. lat nn. 22 13a) lt 
Siiessnanennindense 1103 el. ee 
Thimon (!) und Re, RL. 205 
Urtail paridis . . 21 SIEH I Mr a 2a) 
SerNDrUng. 66 are — 
Agatocles mo. Chmias ... .. 243m 243 rn 243 
Schlacht des Herzogs von Clve 122... 2.2.2200 — 
Kanfersr zueg in Frantreih. ..106 .. 2... 2062. 9 
Gefendnus herzog hainrich . 159 159 159 


Ferner jtimmt GR zu S5 2 gegen G 5 Ri in De Imgabe — Verezahl 
der „Trag. Gismunda“ G 5 472, S5 R 500, GR 500. (5 473? + Nachtrag von 
30 8.) Dieje Thatjache widerlegt auch wiederum direft Hermanns Behauptung, 
GR(e) repräſentire das Original gegenüber S. Auch bei den Titeln finden wir zunächft 
bei den nicht dramatischen Gedichten das nämliche Verhältnis wie bei 5° 4, teilweife 
zeigen fie deutliche Provenienz aus 55 2%, teilweife aus den Titeln im Tert von 8, 
was wiederum das —— der Bücher beſtätigt; die hierher gehörigen Bei— 
ſpiele wurden ſchon früher (S. 385) mitangeführt. Wir bemerken ferner, daß Hans 
Sachs auch bei den Spruchgedichten feineswegs immer feine Titel peinlich genau aus 
S oder den Somderregiftern herübernimmt, umd dürfen dieſe Thatſache daher um 
jo mehr auch bei dem Dramenvegifter verwerten, als die dreifache Angabe über 
Perfonenzahl, Verszahl und die jtatt der Blattzahl geſetzte Aktzahl Aenderungen 
und zumal Rinzungen in der Wiedergabe des Gr beſonders nahe legt. So 
fönnen wir es meines Erachtens ganz ruhig hinnehmen, wenn wir leſen 
S5R: 586 ‚„Amerigo mit ale dochter fiolanta mit 13 perl. . .“ 175, dagegen 


GR „Die violanta ... .! 13...“ 586 oder S'5.R 810 „Die gedultig 
margreffin er mit ig perſon .... 217, GR „Srilelda die gedultig . 

Be. 1), 810“ oder auch 55 22 500 ‚Sismonda Ne fürjtin mit 10 per- 
Dei le, GR „Oismunda mit quisgarbo — 10) 2 500. 
Wichtiger find Abweichungen in pofitiven Angaben, außer Di schon ©. 382 be- 
ſprochenen S5.R 314 „Der ſchwanger Kalandrin mit 5 
GR „Der jhwanger pawer.....5...“ 314, die fih als eine Richtigftellung 


in GL darftellt, find jedoch folche zwiſchen S5R und GR mit vorhanden. 
Auch bei S6 PR beobachten wir, wie aus den a eier unterſtützt 
durch den Text von S, GR zufanmengeftellt ward. Abgejehen davon, daß 
z. B. bei den Spruchgedichten in verjchiedenen Fällen GZ2 in ungenauen DBlatt- 
Baneı mit 56 22 übereinftimmt (S6R „Fabel die haſen fachen den jeger“ 292, 
GR 292, $ dagegen 294; S6R „das hais eyſſen“ 133, GR 135, 8 131), 
ruht Die "Reihenfolge des Abſchnittes „mancherley art gemüfchter matery‘ ganz 








1) 213 als Blattangabe ijt richtig. 


392 Schriften zum Hans Sadhs- Jubiläum T. 


auf der Anlage von 6, wie wir ähnliches jchon bi 5 Rum S4R 
beobachteten. Es folgen ſich in S6 7% „poetrey gedicht“, „höfflich frey und gemain 
ſpruech“, „Hiftorj‘. Nun hat Hans Sachs im GR recht häufig die Dichtungen 
unter andere Abjchnitte untergebracht, jo ließ ev an der entjprechenden Stelle in 
GR im erſtgenannten Abſchnitt aus: „menſchlich hercz ainer muel  geleich 
Bl. 125%, im zweiten „drey ler agefilay 4, „ein gancz gereimpte karten 6“, 
„zeitregifter 3 „Der Shönpart Spruch 65%, „Neun ſtück pringen armut 117% 
„dreyerley harat 137“, „lobſpruch ſalczpurg 140“, zu dieſen kommen noch 
fünf Gedichte aus den „hiſtorj“ in So R. Sämtliche Gedichte find dann unter 
Störung der fortlaufenden Zahlenfolge (mit einer einzigen, zweifellos auf einem 
Abſchriftsirrtum beruhender Umftellung zweier aufeinanderfolgenden Nummern 
„dreyerlei hairat 137, „neun ſtuck 117°) genau in der Reihenfolge eingetragen, 
wie fte fich aus den verjchiedenen Gruppen von S6 2 zufammenjeten : 


GR: Des menschen hercz ainer muel geleih 125 (S6R: poetrey geb.) 


Drey fer agefilay des kunigs . . . 4 (86R: gemain ſpruech) 
Ein gancz gereimpte farten. . . . 6 

Zeitregifter der zwelff monat . . . 82 

Der Ihonpartiprueh .. 212 vun r265 

Dreyerlay hatrat . . 6 

I ſtueck pringen entlich armuͤet ll 

Lobſpruch der ftat jalzpng . . . 140 

Band zwiſchen ajar und vliſi. . . 122 (Siftorj) 
Die zwen Funchchen treum . . . . 908 

Vfifes am wilden feigenpaum . . . 304 

Blijessauf Denziinsern 6 

Dlifes mit den werbern . . . . . 8307 


Bergleiche auch Kleinere Hebereinftinmmungen 56 2 „Das intherim‘, S BL. 96 
„Der Interim‘, GR „Das ynterim“ ꝛc. Die Einfiht in S verraten Titel wie: 
S6R „Die verloren jundfvam‘, GR ak verloren jundfram Agneſa a: 8:6 1 
„Drey framwen mit dem porten‘, GR „Drey frawen funden ainen potten⸗ 2c. 

Die Titel I dramatischen Dichtungen weifen ebenfalls einige Ver— 
änderungen auf, 3. B. S6.R „Der gedultig job mit 19 perſonen“, S „Ein 
comedi des job mit 19 perjonen zw jpielen und hat 5 actus“, GR „Hiob der 
geauliigbe a. 99.721195.7% 27 10097 ‚aber jelal Abweichungen wie S6R 
„Die zween prucder aus plauto mit 10 perſonen“, Ss „Ein comedi des weit 
peruempten poeten plauto im — hat 5 actus mit 10 perſon“, GR „Die 


zwen pruteder lueczen ..... OR: ‚10 700° wer S6R „Der fauffimann mit 
den alten weibern mit 5 perſ.“, 5 „Em faftnacht ſpil mit fuenff perjonen 
zw jpilen, GR — fauffman Ei dem. Deufel ... . 2 ...,.5 822° Taten 


fih durch erneute Eimfihtnahme in den Text erklären. Titelverfchiedenheiten 
beweifen in der Beichränftheit, in 2 fie biev noch auftreten, nichts ohme Die 
Stütze pofitiverer Angaben, wie der VBerszahlen zc. 

Bon den fünfzehn Dramen in S 6 ftimmen nun zunächſt in zehn 
Fällen die Angaben der Verszahlen in S6R mit denen in GR: „Geſchöpff 
und val ade“ S6 1000, S 8. 117 „anno salutis 1548 am 17 Octobris 
bat 1000 vers”, GR 1000; „von dem veichen jterbenden man’ S6 MR 1284, 
S Bl. 180 suma 1284 vers, GR (unter den „Zragedj“ angeführt) 1984: 
„Jacob und Eſau“ S6 2 660, S ohne Angabe, GR 660; „Circe mit Ulife‘‘, 
S6R 714, GR 714; „Enthaubtung Johannis“ 468, GR 468; „Naffen- 
tancz‘ 330, GR 330; „ſechs Kempfer“ S6R 742, GR 742; „unſchuldig fram 
genura“ 700, GR 700; „Gericht Salomonis“ 700, GR 700, „Kauffman mit 


| 


Schriften zum Hans Sacdhs- Jubiläum T. 393 


den alten weiben“ 322, FF? 322. Kür die vier leßten Gedichte ift aber folgendes 
zu bemerfen: Der „Kauffman 2c.‘ bietet im Text von S in Wirklichkeit 324, 
das „gericht Salomonis“ 704 Berje. Es war jchon ober gezeigt, daß der au 
dieſes Drama geknüpfte Schluß Herrmanns im fich zufammenfiel, und wir jetst 
die Angabe 700 in 56 G als Zählfehler des Dichters — oder ungefähre Angabe 
in ganz runden Zahlen ? — betrachten — und jetzt erkennen wir, daß die 
zweimalige Uebereinftimmung von GAR und S6R gegen S und noch dazu in 
unvichtigen Angaben auf Herübernahme aus S6 FR hinweift. Ferner: Die Nech⸗ 
Kempffer“ zeigen im Text S nur 726 ſtatt 742, die „Genura“ 686 ſtatt 700 
Verſen. Aber es find am Ende von Sé verſchiedene Dramennachträge ein— 
geſchrieben, und zwar zu „Genura“ 14 Verſe, zu den „ſechs Kempffer“ 16, der 
Kunigin von Franckreich“ 57, „zwei brüder nad Plauto“ 72, „Jocaſta“ 4, 
nohmals „Kunigin von Franckreich“ 46. Nun gibt aber die Verszahl von S + 
der des Nachtrags bei „Senura‘ (686 + 14 = 700) umd den „sechs Kempffern‘ 
(726 + 16 = 742) ganz richtig die Berszahl von S6R= GER (700 und 742), 
und wir jchließen noch weiter, daß jene beiden Nachträge in 56 vor der Abfaſſung 
von S6R md ER entftanden find. 

Wirklich in @R von S6 R und S abweichende Bersangaben treffen wir 
in Fällen, bei denen von Fall zu Fall Verſchiedenes zu bemerken iſt; von jett 
au müſſen wir auch die bei manchen Dramen am Schluffe des Textes in 5 
ſtehende Angabe über die Verszahl in die jeweilige Betrachtung einbeziehen (= Se; 
fiche ©. 383). Es haben „Königin aus Frankreich“: 856 22 13 perjonen 756 3 Berfe, 
5 81. 189: „Ein comedi mit 10 perfonen zw jpilen genent die Küngin auß 
franckreich vnd hat S actus vnd 700 vers‘, am Schluß BL. 202: „a. s. 1549 
am 12 tag Decembris“, dann mit blafjerer, augenfcheinlich jpäterer Tinte: 
802 (Berje), FF 13 perfonen, 765. Eine Auszählung in S ergibt 698 Berfe, 
hierzu nun der erſte Nachtrag von 57 Verſen (oder wurden die Reimpaare ge- 
zählt 29 = 55 Berfe?) gezählt gibt 755 (56 R 756). Wir dürfen aber wohl 
getroft annehmen, daß die Zahl 756 in S6R auch bier, wie in früheren 
Fällen S + Nachtrag darftellen fol, jo daß auch dieſer dritte Nachtrag älter 
wäre als GR; die Zahl 765 aus 756 in GR halte ich wieder für einen Der 


befannten Schreibfehler. Der zweite — an fechiter Stelle ftehende — Nachtrag 
zur „Königin aus Frankreich““ von 46 Verſen hat in den Regiftern feine Ver- 
wendung mehr gefunden, — ift aljo jedenfall3 jünger als diefe, nur am Schluffe 


des Textes in 5 (fieh oben) ftand die ſpäter zugejchriebene Notiz 802, und 
756 + 46 gibt 0 Die Angabe der höheren Berfonenzahl (13 in 868 
und G gegen H) ift durch den Nachtrag bedingt. 

Für die „Jocaſta“ verzeihnet S6R 704, GR TO, S am Schluß 
Bl. 289: „a. s. 1550 am 19 aprilis juma 704.“ Zumächit ſcheinen dieſe Zahlen 
eine willkommene Stütze für Herrmann zu bieten, aber genauere Betrachtung 
lehrt, daß zuerſt in S6 Ze und in S wie in GR 700 ſtand, und erſt nachträg 
ih mit der uns jchon befannten blafjeren Tinte aus der Null eine Vier gemacht 
wurde. Der Nachtrag zu „Jocaſta“ erfcheint aljo jünger wie die Negifter. 

Die ermeiterte Faſſim der „Violanta“, (S6 700, nad Auszählung 
5 702 gegen 586 Berſe in F5), die aus S 6 natürlich in S6 überging, iſt 
in @R nicht nochmals gebucht worden. 


Ferner: Hiob S6 MR 686 (korrigiert aus 1000), S am Schluß ohne 
Angabe, nah Auszählung in S 715, ohne Nachtrag in S, GA 700, „Zwen 
prueder (Menachmi)“ S6 FR 614, S nad Auszählung 614, ohne Angabe am 
Schluß, Nachtrag von 72 Verſen, ER 700. Bei diefen beiden Dramen liegen 
- zweifellos Irrtümer unferes Dichters vor. Die Korrektur 686 beim „Hiob“, foll 


nz 


fiherlich den direft darumterftehenden „zwei prueder“ gelten, denn 614-472 giebt 


394 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum T. 


686, Hans Sachs hat jB um eime Zeile givrt, dadurd war dann natürlich 
auch) der „Hiob“, falſch korrigiert; die Thatſache der Korrektur aber würde zeigen, 
daß auch der vierte Nachtrag in Sé, der zu den „zwei pruedern“, älter iſt als ER, 
alfo nur die beiden legten (Socafta und der zweite zur Kumigin aus Frankreich) 
jünger. Die Angabe 700 fowohl für „Hiob“, als auch für die „zwei prueder“ 
entspricht auch nicht den Thatſachen, jedenfalls joll aber in der Angabe 700 
für Die „zwei prueder“ der Nachtrag der 72 Berfe aus 5 eingerechnet fein. 

Vielleicht find die Nachträge durch Auf fführungen veranlaßt; es wäre wohl 
zu prüfen, ob die chronologiſchen Anhaltspunkte, die wir durch dieſe Annahme für 
die Aufführung Da Sacdfifher Dramen gewännen, etwa durch andere Angaben 
geftüßt würden. Wenn nun die bisherigen Unterfuhungen etwas bemeifen, fo 
ift es Die — von Herrmanns Angaben für S4L5 und 65 GR hat 
hier nirgends eine wirklich ſelbſtändige Angabe, die als Niederjchlag einer früheren 
Faſſung betrachtet werden müßte. 

57 und 8 find verloren, wir treten daher direft an die Betrahtung von 
S9 und 10 heran. Zweifellos ift Herrmann von diefen Spruchbüchern aus zu 
feinen Anſchauungen gefommen, aus ihnen ftammen auch vorwiegend feine Bei— 
jpiele. Die Titel der Spruchdidhtungen in @FR bieten nun wieder weitgehende 
Uebereinftimmungen mit SI R%, auch ftimmen beide Negifter wieder im einigen 
unrichtigen DBlattangaben zufammen. SIR „ſieben alter“ Bl. 180, GR 180, 
5185; SIR „Deep ſchwenck Divgenj“ 269, S 263, GR 269,1) doch auch S 
macht ich a geltend SIR „pritichen gſang zu ainem kuning jtued“, 
S „Der pritjhen gſang zu ainem kunigs mal eingang“, GR „pritſ chen gſang zu 
ainem kungsmal“, bei den Dramen SIR „Der plint meiner“, 5 „.. . der 
plint mejner mit dem pfarer und jeim weib“, GR „Der plint meiner mit dem 
pfafen“; S9R „Der dot mon“, S „... der dot mon“, GR (aus dem Inhalt 
ergänzt) „Der dot mon wur lebentig“, in einem alle haben wir gleichjam eine 
Berbindung von SIR und S „Thales vnd jolon vom weiber nemen“, S „... 
zwaier philofophi Difputacio ob peſer hayraten etc.“, GR „Thalles mit folone 
difputacion.“ 

Von den 24 dramatiſchen Dichtungen in 5 9 paffieren zunächſt 14 ganz ohne 
Bemerkung: die „Comedi Camillus mit dem falfchen ſchulmaiſter“ (FR „Der 
falſch ſchulmaiſter“), die Tragedien „Clitemeſtra“, „Alceftis“, Die Faſtnachtſpiele 
„Ewlenſpigel mit der felerin“, „voßdieb zu füenfing“, „wainet hüntlein“, „alt 
pueler“, „wunderlich mender etc.“, „los man“, „platzen mit eprecher pauern“, 
„ſant petter mit feinen freunden“, „plint meiner“, „dot im ſtock“, „thales und 
jolon.“ Hier ftimmen 892, die Angabe am Schluffe der Dihtung = Se ımd 
GR völlig überein. Der auf 728 Verſe erweiterte „Titus und Giſippus“ ift, 
wie früher Die „Violanta“ nicht nochmals in Gr gebucht. 

In andern Fällen ſtimmt GR aud zu SIR und Se, in denen Die 
wirkliche Berszahl von dieſen Haus Sachfiigen Angaben abweicht, „Der dot 
mon“ SIR 330, Ne 330, GR 330, wirkliche Verszahl (5) 336; „armut und 
glück“ SYR 434, Se 434, GR 434, 5 436, ein en von 20 Berjen ift 
ungezählt geblieben, ja GR stimmt auch zu den Schlußangaben in S, wenn dieſe 
von SIR abweichen. „Irfart Uliſi“ 592 1370, Se 1378, GR 1378, nad) 
Auszählung 1387; „Dev fremers korb“ SI 328, Se 326, GR 326, nad 
Auszählung in S richtig 328. Ferner „Achilles mit Bolixena“ SIR 1158 
(1080 + einem Nachtrage von 78 Berjen), Se 1080, GA 1158, der Nachtrag 
it alfo auch in GR mitgerechnet, während ein folder von 156 Ber rſen bei der 
Perſanes“ in GI nicht gerechnet iſt. 


1) Auch finden wir im SIR wieder die betannte Verwechslung der Zahlen, „Magelona“ 
hat in S 408 Berfe, nad) SI K 480, 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum I. 395 


Bei der „Perſanes“ haben wir überhaupt Schwierigkeiten. Der Titel in S 
lautete zuerſt Bl. 46 „Ein comedi mit 5 perjonen perjanes die Finiglin] veit 
ariftotilem hat 5 actus.” Am Schluß ftand „956 vers.‘ Der Nachtrag Bl. 298 
beftand aus Neden der zwei Trabanten Driton und Craton. Diefe beiden find 
dann am Schluffe des Perfonenverzeichniffes in S als ſechſte und fiebente Perſon 
nachgetragen, die 5 (bei der Perjonenangabe) ift in eine 7 korrigiert, ferner — 
und diefe Korrektur halte ich für jünger als die vorige — iſt in der Berszahl 556 
aus der erjten 5 ebenfalls eine 7 gemacht, die zweite Zahl ift durchftrichen und 
durch eine 1 erfetst, die 6 ift ftehen geblieben, alfo 716 jtatt 556. SIR hat 716 
und „7 perf.,’ GR „B (acte) ... 72... . 556" Die Angabe von GR ift am 
unbraudbarften, zuerft ift die Anzahl der Akte unrichtig (3 ftatt 5), dann zeigt 
es die infolge des Nachtrags vermehrte Perjonenzahl, während der nämliche 
Nachtrag bei der Berszahl nicht berüdjichtigt if. Da nun, wie die Perſonen— 
zahl 7 zeigt, GR den Nachtrag zu „Perſanes“ Kennt, jo gehen jeine Angaben 
auch auf 5 zurüd, und der Zwitterzuftand, den es bietet, wird am beften Durch 
die Annahme erklärt, daß Hans Sachs zuerſt bloß die zwei Perſonen zujchrieb, 
jo daß thatfächlich eine Zeitlang in S „7 perſon“ und am Schluß „556 Vers‘ 
ftand, und daß diefe Angabe erjt jpäter nah SIR, welches den Nachtrag ſchon 
verwertet hatte (doch nicht ganz richtig verwertet, dem 556 + 156 = 712) 
geändert wurde. 

Auch bei „Agatocks und Clinia“ finden fich infolge eines nicht mit- 
gerechneten Nachtrags von 94 Verſen Korrekturen. In S jteht „Ein tragedi 


mit 5 [eorrigirt in 7] perfonen ... drey actus“, am Schluß (Se) 474 korrigiert 
in 568 (474 + 94 = 568). Eine Auszählung ergibt aber nur 469 Berje. 
GR hat „3 (acdte)...5... 478% Auch hier die Korrekturen find zweifellos 


erft fpäter vorgenommen, die Angabe 478 im GR bleibt unerklärt. Wir 
erhalten nun für die vier Nachträge in SI das Gejamtrefultat, daß die beiden 
erſten „„Perſanes“ 156, „Achilles und Polixena“ 75) fih ſchon von Anfang au 
in den Regiftern SIR und GR bemertbar machen, die beiden letzten dagegen 
(„Armut und glüd 20, „Agatocles und Clinia“ 94) gar nicht oder nur Durch 
(ipätere) Korrekturen, ich jchließe alfo daß dieſe letztgenannten überhaupt jünger 
fd als SIR und ER. 

Es bleiben noch zwei Dramen „Kebsweib des leviten“ und „Rofimunda‘. 
Kebsweib: SIR „732... 13 perl.“, S (nah Auszählung) 712 (?) „. . - 
ren... ..5.actus", amı Schluß „132 vurs'n@R „D perl . 27 Diack. 22. 
474 vers". Die Versangabe in SIR ift aljo von der Notiz am Schluß des 
Dramas abgenommen, die Negiftrierung in GR ift ganz falich, fie erklärt ſich 
aber aus SIR; direft vor dem „Kebsweib“ fteht nämlih in SYR „Iraq. 
Agatockes und Clinia“, die thatfächlih 5 (erft jpäter Forrigiert in 7) Perſonen 
und 474 Verſe aufweift. Hans Sachs ift hier eine Zeile zu hoch gefommen, 
diefe Irrung zeigt aber hier wieder die Anlage von GR nah SIR. Ich 
weife noch darauf hin, daß FR auch bei dem Faftnachtipiel „Ihales mit Solone“ 
bei richtiger Verszahl eine faliche Angabe der Perjonenzahl hat, nämlich 5 ftatt 3, 
SIR und S haben richtig 3. 

Für „Roſimunda“ notiert 59 RR 816 Verſe, S (nach Auszählung) 816, 
Se 816, GR 814. Dies ift das einzige Beifpiel, daß Gr allein eine 
geringere Angabe hat. Aber man wird hierauf nichts ftügen können, nachdem 
wir jahen, daß es gerade gegen Spruchbuch und Sonderregifter verichiedene fehler- 
hafte Angaben hat, die ihm bis hierher nur eine jefundäre Stellung unter den 
Regiftern ammeifen. 

Dagegen ergeben fi) möglicherweife andere PVerhältniffe bei 5/0, das 
bom 1. Oftober 1555 — 30. September 1556 gefchrieben wurde, alfo im einer 


396 Schwart R., Efther im deutichen und neulateiniichen Drama. 


Zeit, in dev wir der Abfafjung des 677 (1560) Schon ziemlich nahe gefommen 
find. Hier die Möglichkeit eines fremden Einfluffes ins Auge zu faſſen, beftimmt 
mich die immerhin bemerkenswerte Thatſache, daß im der Behandlung der Titel 
von S/0 in@R in der That ein früher in dieſer Weife nicht bemerfter Unter- 
ichied zwijchen den Spruchgedichten umd den Dramen bejteht. Während die 
Titel der Spruchgedichte in GI faft ganz genau mit dem Notierungen in S 70 R 
übereinftimmen, zeigen- die Dramen oft ganz bedeutende Abweihungen (3. B. 
SIR „Pamphiles der jung marſchalk“, GR „Des marſchalks jun‘ etc.). Die 
endgültige Erwägung behalte ic) mir jedoch bis nad Einſicht in die mir jetst 
noch nicht zugängliden 5 11— 14 vor. 

Ueber die aus dieſen Spruchbüchern fich ergebenden Nefultate will ich in 
der Fortſetzung dieſer Beſprechung ganz furz berichten. ebenfalls aber haben die 
porhergegangen Unterjuchungen gezeigt, daß eine „Unterfuchung über die Entftehung 
des Hans-Sachſiſchen Textes‘, wie Herrmann fie geben will, ſich auf einer anderen 
Grundlage aufbauen muß, als ſie Herrmann fich bisher gefchaffen hat. Die obigen 
Ergebniffe ändern und bereichern natürlich auch das Dramen-Berzeichnis, von 
welhem Herrmanı für jeine Reimunterſuchungen ausgeht; hierüber, ſowie über 
die Frage, im wie weit die angedeutete Vermehrung des Materials auch jene 
Neimunterfuchungen trifft, wird ebenfalls in der Fortſetzung diefer Beſprechung 
gehandelt werde. 

Münſter i. W. Karl Dreſcher. 


Schwartz R., Eſther im deutſchen und neulateiniſchen Drama des Reformations— 
zeitalters. Eine literarhiftoriiche Unterfuchung. Oldenburg und Leipzig, 
Schulze (1894). 4 M. 


Die vorliegende Arbeit ift ein neuer höchſt wertvoller Beitrag zur Stoff- 
gefchichte % der dramatiſchen Literatur des 16. Jahrhunderts. Der Autor ſcheidet 
— große Gruppen. Den Ausgangspunkt der einen bilden Hans Sachs und 

Voith, den der zweiten Naogeorgs Hamannus. In einem dritten Abſchnitte 
——— jeugen zahlreichen Dramen — — die kein Abhängigkeits— 
verhältnis zeigen. Mehr als dreißig Either-D Dramen find hier genau bejprochen 
und charakterifiert. Auch ein Berzeihnis der Aufführungen bietet wenig Anlaß 
zu Nachträgen. 1608 fpielten die Jeſuiten eine Ejther in Graz an zwei Tagen 
vor dreitaufend Zufchauern (Undecim Lustra Universitatis Graeeensis Lustr. 
IV, V, p. 64. Peinlich, Gejchichte des Grazer Gymnaſiums, Programm von 
1870, ©. 7). Ueber Ejther- Dramen in Rußland bringt Weffelofsty: Deutjche 
Einflüffe auf das alte ruffiihe Theater (S. 20, 35) interefjante Notizen. Mit 
Murer fteht wahrjheinlih ein um 1560 gefpieltes ladinifches Ejther-Drama in 
Zufammenhang (Flugi: Zeitſchrift für romanische Philologie 2,520). Die Ejther 
der englifchen Komödianten ericheint auch auf dem Weimarer Spielverzeichniffe 
(Meiffner: Jahrbuch der deutſchen Shakefpeare-Gefellichaft 19, 152). Auf außer 
deutſche Bearbeitungen einzugehen, hat DVerfaffer vermieden. Darin liegt ein 
Mangel des Buches, den ſchon ©. Singer in der Sonntagsbeilage des „Bund“ 
Nr. 32 ©. 255 f. hervorgehoben. Der Berfaffer hat die Frage nicht aufgeworfen, 
ob nicht Hans Sachs und Voith ein älteres Ejther-Spiel, das vielleicht mit der 
Darftelfung im Mistere du vieil testament in irgend einem Zufammenhange 
fand, bemütst haben Fünnten. Zu einem ficheren Reſultate gelangen wir nicht. 
Denn Reden der eßgierigen Diener find ebenfo wenig bemweifend, wie die Zu— 
rüſtung dev Tafel, die Singer anführt. Wichtiger Scheint die von Singer eben- 
falls Schon angezogene Nede Efthers vor dem König bei Sachs: 

O König, großmächtig und herrlich, 
Dein Ad und Kron ift mir zu ehrlich 


Schwartz R., Efther im deutſchen und neulateinifchen Drama. 397 


Dein Gnad und Gunst ıft mie zu hoch 
Dein Würd zu groß; aber jedoch 
Ergib ih mich zu Eigen dir: 

Dein guter Wille geſcheh an mir. 


Im Mistere beißt es an entiprechender Stelle (ed. Rothſchild 6, 45458 ff.): 


Humble de coeur, parfaicte obeissance, 
A toy me rens, prince de grand pouoir 
Moy indigne à la magnificence, 

D’en approcher se n'est pas ton voulloir. 


Erwähnenswert wäre folgender Zujaß, der fih in beiden Bearbeitungen des 
9. Sachs findet: Hamann fleht Hejter um Mitleid an, fie erwidert (Stuttgarter 
Literarifcher Verein 102 ©. 127, 173 ©. 121): 


Dein untrew die kumb uber dich! 
Dir gſcheh nach deiner übelthat! 
Dein hoffart dich verführet hat. 


Die Bibel (Ejther 7, 7, 8) gibt feine Antwort Efthers, wohl aber fpricht fie im 
Mistere (V. 47800 f.): 


Te souver moy? Tu me mes en danseier. 
oO 
Te impetrer grace, et si tu quiers ma mort. 
8 7 


Bei Voith fehlt eine derartige Antwort. Für ihn ſcheint mir auch eine Bekannt— 
ſchaft mit dem franzöſiſchen Spiele ſehr zweifelhaft. Singer führt dafür die 
vierte Scene des erſten Aktes an, die ganz ähnlich wie im Mistere Erzählungs— 
bericht in Handlung umſetze. Aber die Uebereinſtimmung ift zu gering, um nicht 
Selbjtändigkeit möglich ericheinen zu lafjen. Die furze italienifhe Rappresen- 
tazione della regina Ester (Ancona, Rappresentazioni 1, 129—166) er— 
giebt feine merflichen Berührungspunfte mit deutſchen Spielen. 

Da Eingers Beiprehung den Fachgenoſſen ſchwer zugänglich ift, hebe 
ih noch einige Bemerkungen heraus. Der Name Sylnang (©. 267) muß un— 
bedingt Sylvanus heißen (offenbar mit Abkürzung gefchrieben). Die handichrift- 
lihe Kopie des Berner Spiels in der Berner Stadtbibliothek, die Schwart nicht 
zu datieren wagt (S. 64), gehört nach einer im jelben Hefte befindlichen von 
derfelben Hand gefertigten Abjcehrift in das Jahr 1790, Nicht die Kantons- 
bibliothek, jondern die Stadtbibliothef von Zürich verwahrt den Drud des Ejther- 
Spiels von Voith aus dem Jahre 1537 (©. 13 Anmerkung). Das Titelblatt 
unterjcheidet fih von dem, bei Holftein (Literarifcher Verein 170, 132) erwähnten 
Zwidauer Eremplare, in der Holzihnittumrahmung, fowie durch einzelne un— 
bedeutende Abweichungen im Tert. Der Fehler, den Schwark (©. 17 An— 
merfung) anführt, ift hiev vermieden. Nicht beiftimmen kann ih Schwart, wen 
er (S. 172) die Anficht ausjpricht, man habe es in der Efther der englifchen 
Komddianten mit einem auf deutfcher Tradition beruhenden Stüde zu thun. 
Auch abgejehen von dem Zwifchenfpiele, das ſchon durch dem befannten Wort— 
Ipiel mit König und Königin (Schwars ©. 178, Tittmann ©. 42) feinen Ur- 
ſprung nicht verleugnet, find auch im ernften Teile zu viele englifhe Wendungen, 
als daß fie fih mit der gezwungenen Erklärung von Schwarg, die Anglicismen feien 
erjt durch Benutzung des Stückes vor feiner Drudlegung eingedrungen, vecht- 
fertigen ließen (vgl. Creizenachs Einleitung zu feiner Ausgabe, die Schwark nicht 
berüdfichtigt, ©. LII). Nur ganz beiläufig kommt Schwartz (S. 261) auf Grill 
parzers Fragment zu ſprechen. Wenn ev fagt: „Die moralifche Fleckenloſigkeit 


398 Eloeffer A., Die ältefte deutſche Ueberſetzung Molierefcher Luſtſpiele. 


Ejthers . . . würde dem im der weiteren Entwidlung des Dramas unvermeid— 
lichen Intriguenſpiel unbedingt zum Opfer gefallen fein,“ vertritt ev eine Auf- 
faffung, der Baron Berger in feinen Dramaturgifchen Borlefungen mit vollem 
Nechte widerjprochen (vgl. meine Ausführungen im Euphorion 1, 655 f.). 


Wien. Alerander von Weilen. 


Eloeſſer A., Die ältefte deutſche Ueberſetzung Molierefcher Luſtſpiele. (Berliner 
Beiträge zur germaniſchen und vomanifchen Philologie. Germanijche 
Abteilung Ver. 3). Berlin 189, C. Vogts Verlag. — 1.80 M. 


Bielleiht angeregt durch Boltes vorzüglichen Aufjas über „Moliere- 
Ueberjetungen im 17. Jahrhunderte” im 82. Bande von Herrigs Archiv hat es 
Eloeffer unternommen, die ältefte dieſer Ueberjetsungen, Die 1670 erjchienene 
„Schaubühne Englifher und Frantzöſiſcher Comödianten“, umd deren Berfaffer 
zu havakterifieren. An dieſe jchließt Die große Ueberſetzung „Derer Komödien 
des Herrn von Moliere, kgl. franzöfiihem Komödianten ohne Hoffnung feines- 
gleichen,“ erichienen 1694 bei Tauber in Nürnberg, von der Bolte annimmt, fie 
jei nah Mufter der Terenz-Ueberfegung von 1692 vornehmlich Schulzweden 
gewidmet; dieſelbe Firma gab ein Jahr jpäter den „Histrio-Gallieus, Comieo- 
Satyrieus“ heraus. Der Berfaffer diefer dreibändigen Ueberjegung ſpricht mit 
Geringihätung vom der „ungerathenen Art“ jeines Vorgängers, wählt aber 
diefelben dreizehn Stücke Miolieres zur Berdeutfhung, ändert nah Bolte „den 
Ausdruck hier und da in möglichitem Anſchluß ans Original“ und benützt vielfach 
die Heberfegung von 1670. Im Jahre 1696 erſchien ein vierter Teil. — Die 
Ueberſetzung „Des Herrn v. Moliere Scherg- und Ernfthaffte Komödien, Auf 
vieler Berlangen wieder aufs neue zum drittenmal ins Teutfche überſetzt“ Nürn- 
berg und Altdorf 1721, nennt DBolte eine Neuauflage des Histrio-Gallieus. 
Eine weitere Auflage erichien 1740, und 1752 famen bei Herold in Hamburg 
„Des Herrn Moliere ſämtliche Yuftipiele. Nach einer freyen und forgfältigen Über— 
ſetzung,“ heraus; wieder jpricht die Vorrede verächtlich won den „drei elenden 
und umdeutjchen Ueberjegungen im vorigen Jahrhundert.“ Außerdem wurden 
wiederholt einzelne der Stüde Molieres („L’amour peintre“, „le Sieilien“, „le 
mariage force“ u. a.) ins Deutjche überjett. Dies fei zur Orientierung an die 
Spitze geftellt. | 

Eloeffer hat, wie erwähnt, die ältefte Ueberſetzung feiner Unterfuhung 
zu Grunde gelegt. Der erjte Abjchnitt feines jehr gut gearbeiteten Buches 
bringt eine in funzen, Fräftigen Streichen entworfene Skizze der deutſchen Bühne 
des 17. Fahrhunderts, des Gegenfates zwiſchen Dichtern und Schaufpielern, 
des Eindringens fremder Truppen und Bühnenftüde nad Deutjchland. Die 
Aenderungen, die deutſche Bearbeiter an den Stüden vornehmen, werfen interef- 
jante Streiflihter auf die Gefhmadsrichtung beider Volksſtämme zu jener Zeit. 
Der befannte Belten ift der erfte, der franzöfiihe Tragödien — zunächft jene 
Corneilles — dauernd in feinen Spielplan einfügt. Nafcher war die Komödie 
eingedrungen. Die Eingangs erwähnte „Schaubühne,“ die ſich direct an die 
Sammlungen der engliihen Komödianten anſchließt, enthält u. a. bereits fünf Stüde 
Molieres. („L’amour medeecin“, „les precieuses“, „Sganarelle“, “l’avare,* 
„Georges Dandin“). Der Ueberſetzer (Eloeffer nimmt mehrere an) ift nicht befannt; 
wie Eloeffer nachweift, wurden mit viel Geſchick jene Stüde Molieres ausgewählt, 
die dem durch engliiche Truppen beeinflußten Zeitgefhmad am beften entſprachen. 
Stoffgeschichtlich verdient der Nachweis Beachtung, daß Molieres „Dandin“ mit 
Hans Sachs „Weib im Brunnen“ aus einer Quelle, einer Novelle des Boccacio, 
geſchöpft ift, ein Stoff, der ſich auch ſonſt noch bei Deutſchen, Italienern, Eng- 


Eloeffer A., Die ältefte deutſche Ueberſetzung Moliéèreſcher Luftipiele. 399 


(ändern und Spaniern findet. Eloeſſer nimmt fich der felten genannten umd bis 
auf Zarnde ftetS gering gefchätzten Ueberjegung warm an und legt den Vorteil 
dar, der im einer „wirklichen, wörtlichen Ueberſetzung“ mit „fiherem Text,“ der 
erften ihrer Art, liegt. Wie er in den folgenden Abfätzen zu beweifen fucht, ift 
aber, vom richtigen Standpunkte betrachtet, die Ueberſetzung am fich nicht jchlecht, 
der Ueberfeger nicht untüchtig, ja er ragt in Bezug auf Sprachgefühl und Be- 
herrfhung beider Sprachen über die Mehrzahl feiner Zeit und Berufsgenoffen 
hervor. Eloeſſer hat jehr prägnante Gefihtspunfte zur Charafteriftit des Ueber- 
jeters gefunden. Namentlich der Abjchnitt „Syntaktiſches“ ift jehr fein gegliedert 
und ift in feinen Ergebniffen noch lehrreicher, als die Beſprechung dev einzelnen 
Stüde. Befonders intereffant ſcheint es mir, feftzuftellen, in wie weit diefe älteſte 
Ueberſetzung deutlich nachwirkt, wo fie von den jüngeren übertroffen wird und 
wo dieſe Rs ihr zurücbleiben. In Eloeſſers Aufgabe lag das ja zunächit 
nicht; und jo mag denn diefer Punkt ergänzt werden. Zur Verfügung ftand 
mir die Ueberfegung von a (A) die von den Stüden, die Eloefjer zur Unter- 
juchung herangezogen hat, „"amour medeein“, „les precieuses“, „Georges 
Dandin“ und „lavare* enthält, der 1. und 2. Band der Ueberſetzung von 
1721 (B; Band 3 und 4 fehlte mir leider) mit „l’amour medecin* und „les 
precieuses“ und die von 1745 (C), welche „lamour medeecin“, „les 
precieuses“ und „Sganarelle* bringt. 


Syntaktiſch findet ſich im dev älteſten Weberjegung (S) manche von 
anfehnliher Sprachbeherrſchung Feinheit, die dann auf hundert Jahre 
hinaus wieder verloren ging. Das „c'est que“, „est-ce que“, „voilä ce qui“ 
u. ſ. w. wird vom Berfaffer glücklich umfchrieben und nur in Fällen pathetifcher 
Anrede u. dgl. wörtlich wiedergegeben: „Wie mein Vater ſeyt ihrs, der ſich zu 
jolhen jhändlihen Sachen gebrauchen läßt?“ Darin folgen ihm Die jpäteven 
Ueberſetzer jo ziemlich, nicht aber, wenn ev franzöſiſche Nelativfäte auflöst und 
umd fie größerer Ungebundenheit zuliebe dem Hauptſatze coordiniert. „Voilà 
ma fille, qui prend l’air“ wird jehr paffend „Sihe, da ift meine Tochter, und 
ihöpfet friſche Luft“ wiedergegeben; A, B, C fprechen übereinftimmend von der 
„Tochter, welche friſche Luft Schöpfer.“ Ein andermal jcheint auch ihnen der 
Relativjats ſtörend und fie juchen ihn los zu werden: „Je n’avais qu’une 
seule femme, qui est morte“ überſetzt 5 mit: „Sch habe nur eine einige 
Frau gehabt, und die ift nun tot“; A und B: „Sch hatte nur eine einige Frau 
die ift (mir) geftorben“, C: „Sch hatte nur eine Frau; nun ift fie todt“. 
Achnlich verhält es fich mit dev Auflöfung won Participien. „Votre fille toute 
saisie des paroles est mont&e* heißt bei S: „Eure Tochter ift ganz beftürket 
von den Worten, und ift hinaufgeloffen“; B ift an diefer Stelle in dem Be— 
jtreben zu beffern wire geworden: („Eure Tochter ift gantz befeffen von den 
Neden... . . ift fie hinaufgeloffen“) und erſt C coordiniert wirffam: „Sie 
gieng geſchwind hinauf“. „Levant les yeux au ciel: Non, a-t-elle dit“ 
überſetzt S: „Da bat fie die "Augen — und geſagt“; A und B: „Die 
Augen aufhebend hat fie gejagt“; und erſt 0: „Da hub fie die Hände gen 
Himmel: Nein, jagte fie”. Das franzöftiche que wird häufig durch Konftruftionen 
erjeßt, die im Deutjchen geläufiger find: „Crois tu, que je n’ai pas bien 
prevu — — que je ne susse pas“... S: „Meynet ihr, ich habe nicht alles 
wohl zuvor gefehen . . . .? Mehnet ihr, ich kenne nicht?“ Dagegen A, B 
und C: „daß ich nicht gefehen, daß ich nicht wiſſe (kenne)“. „Je vois bien, que 
e’est un Amilcar“. S umd B: „Ich fehe wohl, er ift ein Amilcar“, A und 
Bthhrer..... ift“. „Hippocrate dit, que ces sortes de maladies 
ne se terminent ...... “ 8: Hippofrates jagt ja, diefe Sorte ...... 
endigen exit“, A, B und 0: „daß dergleichen Krankheiten fich erſt endigen“. 


Euphorion II. 26 


400 Elveffer A., Die ältefte deutſche Ueberſetzung Moliéreſcher Luſtſpiele. 


In der Infinitivbehandlung ſtimmen die vier Ueberſetzungen in einem Punkte 
überein; die bloßen Infinitive nach „ſehen“, „hören“, „lehren“ gehen durch. 
Der zweite Infinitiv beim Vergleiche findet ſich auch in A („ich will mich eher 
entleiben, als einen jolchen Mann freyen.”) Der unabhängige franzöfifche In— 
finitiv in der vhetorischen Frage: „Was? Der Lieb: .. Gehör geben md... 
antworten ?* „Ich eine ‚Junge Perfon lieben ?* findet ſich nur in 8: A ſetzt 
im erjten Falle ein „zu“ ein, im zweiten ein „ich jollte“ vor. Andererſeits 
pflegt 8, um die perfünliche Bez ziehung ftärfer zu betonen, den abſoluten Jufinitiv 
zu umfchreiben: „Endurer un tel affront !® „Aber daß ihr Euch ſchlagen 
laßt!“ A und B: „Ihr laßt Euch alſo ſchlagen?“ 6: „Was? Sich dergeſtalt 
ſchlagen zu laſſen?“ oder: „Traiter comme cela un marquis!“ 8: „Soll 
man einen Marquis alfo tractieren!“ A, B um Cr: „Einen Marquis alfo zu 
tractieren.” („Einem .. . . zu begegnen !“) Der Infinitiv mit „ohne zu“ der 
dem Verfaffer von 5 fremd ift, fommt auch bei A nicht vor: „je n’y rentre 
point, sans y trouver quelque chagrin“, S: „und fo offt ich darein fomme, 
finde ich neue Urfach’, traurig zu fein“, A: „und gehe ich feinmal hinein, daß 
ich nicht einigen Verdruf darinn finde I" Bei der Ueberjeßung von „je m’en 
vais“ mit dem Infinitiv coordiniert S dem volfsthünmlichen Gebrauche ent— 
jprechend, während A fi wörtlicher ans Original hält: „je m’en vais l’ap- 
prendre sur l’'heure & ses parents“, S: „ich will alfobald hingehen, und es 
ihren Eltern jagen“, A: „ih muß ftehenden Fußes hingehen, mid... . zu be- 
flagen“. Der optativifche oder imperativifche Infinitiv wird bei Sgeſchickt durch 
andere Verbalconftructionen exjett, während die übrigen Ueber rſetzungen ihn gleich- 
falls mit dem Infinitiv wiedergeben: „dis, que je les prie de venir“, 
S: „lage, ich bäte fie höchlich, fie wollen doch kommen“, A: „daß ich fie gantz 
inftändig bitte, alfogleich hierherzufommen“. „Messieurs, je vous supplie de 
eonsulter de, la bonne maniere“, nn Herren, ich bitte Euch, ihre wollet 
auffs bejte rathihlagen“, Aumd Bi! „..:.. auf das befte Nath zu halten“ 
[„rath zu Schlagen“) und erft Cr „. . .. daß fie fi aufs beſte beratfchlagen 
mögen“. Der Infinitiv in attributiver Bedeutung wird nie nachgeahmt, fondern 
in einen Nelativfat verwandelt; das ſucht auh A nachzuahmen: „voila une 
sotte gu d’etre si noire*, $: „das ift eine närrifche Nacht, die jo Dunkel 
it“, * daß ſie ſo finſter worden iſt“. Die Auflöſung des Infinitivs 
in Stebenfäe kommt in allen Ueber rſetzungen dor, aber nicht ausnahmslos: „il a 
la mine de danser proprement“, 8: „&s scheint, als ſollte ev wol tangen“, 
aber A: „Die Geberden in dantzen find geſchicklich“ und C verfucht eine Ueber- 
jegung, die gewandt und wörtlich fein foll, aber feins von beiden ift: „Seine 
Miene verjpricht einen ſchönen Tänzer“. — Oder: „pour remplir les vides 
de notre assemblee“, 8: „ob ihr unfere läre Berfammlung umb etwas aus— 
füllen wolltet“, A und B: „unfere ſchwache VBerfammlung zu verftärfen“, C: „um 
das Leere umferer Gejellihaft auszufüllen“. Gewiffe Zufäte und Erweiterungen 
im Zufammenhang der Rede fprechen in der That für ein fprachliches Feingefühl, 
das den jpäteren Ueberfegern mangelt. Der Umgangston wird gleichzeitig 
lebendiger und der Sprache angemefjener, wenn Harpagons „je te donne au 
seigneur Anselme* mit „di aber will ih dem Herru Anjelm geben“; aud) 
A jagt: „Was Di betrifft, jo gebe ich Dich dem Herrn Anfelm“. Oper: 
„L’ oppression de ma fille augmente“, S: „die Schwachheit meiner Tochter 
nimmt immer zu“, A und B „nimmt überhand“ („zu“) erſt Cr „die Beängiti= 
gung wird immer ftärfer“. „Ce que vous avez — S: „was ihr end— 
Lich bejchloffen habt.“ A, B, C: „was ihr bejchloffen habt“ („fie beſchloſſen 
haben“). Mascarille verſpricht den Preziöſen „je veux 5 chez vous 
une academie de beaux esprits;* in S wird jehr gejchieft „eine vechte Aca— 


Edle ll = > 


Eloeffer A., Die ältefte deutiche ueberſetzung Molierefcher Luſtſpiele. 401 


demie“, in A, B und C bleibt „eine Academie“. Beſonders intereſſant werden 
dieſe Zufaͤtze in den Anreden, wenn aus „Ah Valèére!“ „Mein liebſter Valère!“ 
oder gar das berühmte „Vous l’avez voulu Georges Dandin!“ zu „Du 
bafts jo haben wollen, Du armer Georg!“ (A: „Georg Dandein !“) Das 
Beftreben, fich der dauſchen Umgangsſprache anzugliedern, macht auch die Titel 
umſtändlicher und höflicher: „Mesdames“ heißt bei A, B und C „Meine 
Dames“ („Damen“), bei S aber: „Meine hochgeehrten Damen“. Der „gentil- 
homme“, in A und B ein „Edelmann“, in C ein „Cavalter“, iſt in S em 
„Bicegraf“. Dafür geht aber auch S in der Etifette zu weit: Die zwei angeblichen 
Kriegsfameraden jprechen einander mit „der Herr Vicegraf“ ar. („Te souviens 
tu, vicomte ?*) A und B: „Erinnert Du Dih Burggraf?“ 06: „Erinnerft Du 
Dich noch wohl Vicomte?“ — Schimpfworte und Derbheiten finden fih in S, 
4A, B in ziemlich gleicher Qualität. Erft C mildert einigermaßen. Gorgibus 
jpricht feine preziöfen Töchter hiev mit dem verhältnismäßig harmlojen: „Ach 
ihr lüderlichen Meten! ihr michtswürdigen Dinger!“ an, während die älteren 
Ueberfegungen aus den „coquines* die ſchmachvollſten Schimpfwörter gemacht 
haben. Aus dem Schimpfwortvorrate der Engliſchen Komödianten findet 
fih namentlich der „Bärenhäuter“ in S, A und B für „eoquin“ und „pendard“. 
A bat zudem eine befondere Vorliebe für die Zufammenfetungen mit „Balgen“. 
Einzelne volfstümliche Wendungen, die 5 wohl gelungen find, gehen in Die 
anderen Meberfegungen über. „Vous ne m’aviez pas dit, que les coups 
en seraient aussi“, 8, A und B: „ihr habt mir nicht gefagt, daß es auch 
Schläge (dabei) regnen jolle (wird)“, eine für den entlarvten Lakai jehr wohl 
paſſende Redensart, die C unnötig in „daR Die Schläge auch dabei fein jollen“, 
abſchwächt. Dder: „on le veut tromper tout doucement“, S: „man will 
ihn fein allgemach über den Tölpel werffen!“ A: „gant jachte über den 
Dölpel werffen“. Andere derartige Wendungen gehen verloren: „mon mari 
ronfle*, 8: „Mein Mann ſchnaupfft wie ein Bar“, A: „Mein Mann ſchnarcht, wie 
ſichs gehört“. Oder die einzelnen eg ſchwanken: „Voilä le marquisat 
et le vicomte en bas“, 5: „Nun liegt unſere Marggraff chafft uud Vice-Grafſchafft 
im Dreck“, 4: „da liegt die Marggrafſchafft und Burggrafſchafft darnieder“, 
mſoth0 „da liegt nun das Marquiſat und die Bicegrafichafft“. 
Manchmal wird auch diveft eine Berfeinerung vorgenommen: „eela ne sent 
point la pedanterie*, S: „das ftinft nicht nach Pedanterey“, A, B und 0: 
„riechet mach Feiner Schulfuchferei“, („nah dem Schulfuchje”). Wenn S aus 
„Monsieur un tel ecrivit hier... . A mademoiselle* einen „Galant“ 
macht, der „einer Liebſten zugefchrieben hat“, jo folgen die andern nicht: — 
und B jagen „der und der Herr“, „die umd die Jungfer“, Cr „Ein gewiffer 
Herr“, „eine gewiſſe Dame“. Sagen aber die unverſchämten Töchter des Gorgibus 
von ihrem Bater: „ich ſchäme mich feiner“, („jen suis en confusion de lui“) 
jo ahmen A und C diefe unnütze Verftärfung nad, nur B jagt beffer: „ich 
bin jeinetwegen gant verwirret“. Shat überhaupt Neigung zu draftifchen Aus— 
drüden: „un petit brin d’amitie* wird mit „ein Liebes-Küſſgen“ wiedergegeben, 
A jagt „ein Kleines Bliclein der Freundichaft“ ; oder „se font eux mömes ce, 
qu 'ils sont“, S: „machen fich jelbft zu Hanreyen“, A: „die Dreänner bringen 
mit ihrem groffen Lermen erſt ſelbſt zu Wege, was fie find“. Im Gebrauche 
von Fremdwörtern zeigt fi bei 5 eine ftärfere Abhängigfeit vom Originale: 
„proced& irregulier“, $: „unvegulierte Procedur“, A: „ungereimtes Verfahren“, 
B: „ungefhidtes“, C: „unvegelmäßiges Berfahren“. Dagegen bleibt „Bifite“ 
auch bei A und B, erft C macht einen „Beſuch“ daraus. Bon den Kleinen 
Irrtümern, die auf lüdenhafte Bildung des Verfaffers von S jchließen laffen, Haben 
fih die anderen Weberfeer fern gehalten. Der fatale „Caballinifche Brummen“, 


26* 


402 Eloeffer A., Die ältefte deutjche Ueberſetzung Moliéèreſcher Luftipiele. 


aus dem Ovid „herausgefiſcht“ haben joll, ift in den übrigen Weberjegungen 
glücklich vermieden. Ebenſo wird aus den Dünften „Asinos* in d, B und & 
richtig „atmos“ („athmos“). Der Ueberjegungsfehler: „es ift meiner Ehre 
daran gelegen“ („J’en suis pour mon honneur“) ift in Ct) verbefjert: „Nun 
habe ich meine Ehre eingebüßt“. Auch der große lapsus, der die „precieuses“ 
in S entjtellt, ift glüdlih ausgemerzt, aber nicht ganz überwunden worden: 
„e’est lA savoir le fin des choses, le grand fin, le fin du fin“ S: „das 
heißt das Ende aller Sachen, das groffe Ende, das Ende aller Ende wiſſen“; 
4: „das heißt das feinfte aller Sachen wiffen, das gröffefte Feinfte, das Feinfte 
aller Feinften“. B dagegen kommt überrafchenderweife, wieder auf das „Ende 
aller Sachen, das groſſe End’, das End’ aller End“ und erſt C’ jagt: „das Heißt 
das Feine in einer Sache verftehen, das hohe Feine, Die Feinheit des Feinen. 
Mit Geſchick iſt manche etwas gefchraubte Phrafe in S, die der Unficherheit des 
Ueberjegers entjtamımt, jchon in A verbefjert werden; 3. B. „vous avez l’audace, 
d’aller sur nos brisées“ S: „ihr jeid jo keck, daß ihr uns die Schuh aus- 
treten dörfft“; die letzte Phrafe überfegen A, B und C ganz vorzüglich mit 
„ins Gehege gehen.“ 

Eine Fortfegung von Eloeffers Unterfuchungen der einzelnen Stüde 
dient zur Vervollftändigung des gewonnenen Bildes: Am intereffanteften geftalten 
fih die „precieuses ridieules.“ (S: „die föftliche Lächerlichkeit“, A: „pie 
lächerlichen Einbildnerinnen“, B: „der lächerlihe Hochmuth zweier Bürgers- 
töchter”, Cr „die romanmäßig witigen Frauenzimmer”.) Die Anfpielungen auf 
Ludwig XIV., den Hof und die Parifer Berhältnifie, die S ängftlih ausmerzte, 
ließ Schon A und mit ihm B und C ruhig ftehen; — nur die „comediens de 
l’hötel de Bourgogne“ werden, vermuthlic der größeren Berftändlichkeit zu 
ftebe, verfchieden wiedergegeben: Sr „der große“, A: „der foenigliche“, B: „der 
vornehme Comödiant“, Cr „die Bande des Pantalon“. Der Ton ift überall 
gleih grob: der Vater will die Töchter „ins Klofter ſtoſſen“ und ſpricht ihnen 
vom „Beyichlaff.“ Beachtung verdient auch die Verdeutſchung des Wortes 
„preeieuse.* S umd A zeigen da am meijten Sprachſinn; ſie überjegen es, 
ihrem Titel entiprechend, die eine durch „köſtlich,“ die andere durch „einbildiſch.“ 
B jagt jehr weitjchweifig „anfehnlih machen und ſchätzbar jtellen,“ C jpricht 
nicht übel von „gezwungenem Wie“. Eben jo wenig wie ‚S erfennt einer der 
Nachfolger in dem „bel esprit“. „bel air“, „beau monde“ einen geprägten, 
alfo einheitlich wiederzugebenden terminus. 4A ſpricht von „aufgewachten,“ von 
„munteren“, von „beiten Köpfen“ und „luftigen Kautzen“, B gleichfalls, über- 
jetst wohl auch „e’est sans doute un bel esprit“ mit „das tft der rechte" C 
nennt die „beaux esprits“ „luftige Caraftere”, „witige Köpfe“, „Euge Köpfe“, 
„Tumreiche Köpfe“. „Le centre du bel esprit“ wird demnach bald „der Mittel- 
puntt der Lieblichkeit, Klugheit und der Galanterie“ oder „Luſtbarkeit“ (A und 
B), bald „des guten Geſchmackes, des Wites und der Galanterie“ (C'), „esprit“ 
wird mit „jubtiler Geift“ (5), „Verftand“ (A und B), „Wit“ (0) wiedergegeben, 
„esprit comme un demon“ mit „ein Teufels gefhmwinder Kopf“ (5), „Berjtand 
wie ein Lucifer“ (A), „Geiſt wie ein Teuffel“ (ZB und C), „une furieuse 
depense en esprit“ wird zu „erichrödtichen Kopffs unfoften“ (8) „unftnnigen 
Ausgaben von Berftand“ (A), „er macht feinem Kopf unſinnig viel zu jchaffen“ 
(B), „ex geht erſtaunlich verfchwenderifch mit dem Wit um“ (C). „Beau monde“ 
überfegt IS mit „jubtile Welt“. Das affektierte Gedicht des Mascarille wird 
erft in C ordentlich pointiert. A fett zum Schluffe einmal den Ausruf „DO 
Diebin!“ B läßt ihn, wie S, wieder ganz weg und erſt C wird Dem bier 


1) „Sganarelle” fehlt in A und B. 


nn nn 


Eloeſſer A., Die ältefte deutſche Ueberſetzung Molierefcher Yuftipiele. 4053 


maligen „au voleur!* des franzöfifchen, Durch das „Ein Dieb! ein Dieb! 

ein Dieb! ein Dieb!“ gerecht. In Dev Ueberſetzung der überjpannten Redens— 

arten der Preziöfen fan S das Berdienft in Anſpruch nehmen, Muſter und 

Vorbild abgegeben zu haben; der Spiegel wird auch in A und B ein „Rath— 

geber der Hierlichteit“ („conseiller des gräces“) genannt, exit C macht ihn 

zum „geheimen Schönheitsvath,“ die Magd wird, wie in S, fo in A, B und C 

gewarnt, den Spiegel zu „verumveinigen“ („salir“) und zwar „durch Mittheilung 
des Angefihts Bildniſſes,“ in S und © („par la communication de votre 

image“), durch „Hineinſchauen“ im A umd » Ein Fortfchritt zeigt fich im der 
Ueberjetsung der antithetifchen Wendungen, wie fie die Preziöfen lieben: „furieu- 

sement bien,“ „terriblement bon* überſetzt S ziemlich blaß mit „vortrefflich 

wohl,“ „ungewöhnlich jchön,“ A und 5 ſchon viel bejjer mit „unſinnig exrpicht,“ 

„unerhört gut,“ „ungeheuerlich jchön,“ C „mit abjcheulich eingenommen, “„erſchreck— 

ich ſchön,“ „abſcheulich ſchön.“ Die Spielerausdrücke „pie, repie, caput,“ die 

unüberſetzt ſtehen läßt, hat erſt &verdeutſcht: „fie werden allen galanten 
Herren im Paris Sechziger und Neunziger machen, und nicht cher aufhören, bis 

fie Capot find.” In der Komödie: „L’amour medeein* (5 bis B: „Amor 
der Arzt,“ C: „die Liebe ein Arzt”) ift eine jtärfere Nachwirkung von ‚S unver— 
kennbar; das Vorfpiel, das die drei Künste zur Unterhaltung des Königs vereint, 
haben alle Ueberſetzungen, in Uebereimftimmung mit S, ausgelajien. Ebenſo find 
die „entſetzlichen Verſe“ des Schlußchores wörtlich !) in A und B übergegangen, 
erſt Gerſetzt fie durch gefälligere. Auch die gemütlichen, kleinbürgerlichen Geſpräche 
des Sganarelle, die S jo wohl gelungen find, wurden mit kaum nennenswerten 
Aenderungen von den übrigen Weberjeßungen aufgenommen. Dagegen haben 
A und DB die Neimereien des Quackſalbers, die S Durch Proja erfeßte, in Verſen 

wiedergegeben, aber in jo plumpen, daß C weislich wieder zur Proſa griff. Den 
großen Schnitzer, der S umterlaufen ift, haben die anderen glücklich vermieden: 
„Car c’est une affaire, qui partage tout notre corps“ überfett 5 jo miß- 

verftändlich als möglich „denn es iſt eim Ding, welches unſern ganten Leib 
theilet“, A umfchreibt verſtändig „eine verſäumte Förmlichkeit bringt der gantzen 
Mediciniſchen Gemeinde einen merklichen Nachtheil“, B ebenfo, wobei aber ein 
offenbarer Satsfehler aus „Nachtheil” „Gewinn“ geniacht bat. ‘ jagt: „eine 
Nachläffigteit im der Methode bringt dem ganzem Corpori Medicorum den 
größten Nachtheil“. — L’avare („der Geitzige“) konnte ich nur mit A vergleichen. 

Die Vergleihung dieſes Stückes bietet deshalb Intereſſe, da der „Ger izige“ in Ss, 
wie Eloejfer ſcharf nachweift, von einem weit ungeſchickteren, nachläſſigeren und 

willfürlicheren Autor gearbeitet ift, als die übrigen Stüde Die „agierenden 
Perſonen“ („Personnages“) in S wurden in A wieder im Die üblichen „ipielenden 
Perſonen“ verwandelt. „Amant, Amante“ wurde zu „Liebjter, Liebſte“, Die 

„femme d’intrigue“, die 5 im Deutichen nicht auszudrücden wußte, („Froſine, 

ein . .*) gibt A mit „ein verichlagenes Weibsbild“ toieder. Die beiden wichtigften 

Momente, daß —— Balere die Eliſe aus dem Waſſer gerettet und daß er 

fich bei Harpagon als Diener vermiethet, hat I ımachtiam ausgelafien; A führt 

jie wieder an. Von den auf Unkenntnis des Franzöfiichen beruhenden Fehlern 

des S hat A einzelne glücklich vermieden, andere aber doch mit übernommen. 
So hat A das offenbare Mißverſtändnis in der Ueberjeßung von „Mais par 

quelle raison lui faire un mistere de votre amour“ — „aber wie fünntet 

ihr ihm das Geheimnis eurer Liebe zu verftehen geben 2“ getilgt; das „J’apprehends 

votre sagesse“ wortgetreuer und finngemäßer mit „ich fürchte eure Klugheit“ 

(8: „ic weiß, daß Dur gar Klug bit“) wiedergegeben. Dafür blieb aber „balai“ 

1) A jet „ſind“ ſtatt „seyn“, „darum“ ftatt „drumb“, „auch ums“ jtatt „uns auch“; 

B ſcheidet ji) von A nur düurch „ſeynd“ ſtatt „sind“, 


404 Eloeſſer A., Die Ältefte deutſche Ueberſetzung Molierejcher Luſtſpiele. 


„Blasbalg“ (ftatt „Bejen“) „rente* „Brautſchatz“ u. f. w. Auch wurden „Die 
Floskeln franzöfifcher Galanterie” genau jo weitſchweifig, unverftändig und ges 
drechjelt wiedergegeben, wie in S. Hier ift eine jehr ftarke, bis zum Wörtlichen 
gehende Einwirkung.) — Aus dem „Georges Dandin“ (S: „Georg Dandin 
oder der verwirrte Ehemann”, A: „Georg Dandein oder der bejhämte Ehe— 
mann“), den ich gleichfalls nur mit A vergleichen konnte, will ich nur einzelie 
prägnante Punkte herausheben. Die derbe aus den Leben gejchöpfte Sprache, 
die Eloeffer an 5 lobt, wird auch in A feitgehalten, die populären Flüche, wie 
„Bob Fink!“ „O Blu!“ „O Blumhers!" „Fikerment!“ „Beym Gifft!“ 
„Schlapperment!* finden fih jehr häufig auch im Munde der Edeldame. Die 
Scheltreden Dandins find von ungemeiner Roheit. Einzelne wohlgebildete Phrafen, 
wie „reinen Mund“ („bouche cousue*) „gute Prügelfuppe“ („bon coups de 
bätons“), hinter die Sache fommen“ („eclaireir l’affaire*) ſcheint A aus ‚S über- 
nommen zu haben. Hingegen find manche Fehler verbeffert: „gentilhomme cam- 
pagnard“ hat S fälfchlich mit „Edelmann aus Champanien“ überfetst, A aber richtig 
den „Landedelmann“ erkannt. Manche Pointe hat A beſſer verftanden: „Si vous 
avez à dire du mal votre mari, dep@chez-vous“ jagt die Zofe zu Angelique. 
S hat diefe Verhöhnung nicht vecht verjtanden und jagt: „Frau, wenn ihr etwas 
von eurem Mann zu jagen habt, jo macht gejchwind fort“. A erfaßt den Sinn: 
„Madam, wenn fie was fchlimmes von ihrem Mann zu jagen hat, jo dumme 
fie ſich, denn es iſt ſpat.“ Ebenſo im Geſpräche Elitandres und Yubins über 
die dunkle Nacht und in der Klage Dandins, feine Frau werde doch nicht „jo 
boßhafft“ jein („si malicieuse“, S: „jo voller Teuffel“) fich zu erjtechen. Den 
Schluß bringt A nad) dem Originale. Während in S Dandin vorjchlägt, die 
Frau zu erfäufen, jagt Ai „..... jo kann einer nicht befjer thun, als ſich 
in das Waffer ftürgen, aber mit dem Kopff voran.“?) 

Aus ſolchen Unterfuchungen ergeben ſich folgende Punkte mit Deutlichkeit: 
Daß die einzelnen Ueberſetzer, freilich mit wechjelndem Glüd, an ihren Arbeiten 
gefeilt umd ſich keineswegs begnügt haben, ihre Vorgänger, die fie in ihren Vor— 
reden hart. mitzunehmen lieben, einfach abzujchreiben. Namentlih Tann man 
nicht mit Bolte die Ueberjegung von 1721 (B) als eine Neuauflage „der bisher 
gedrudten vier Bände“ anfehen. 2 ift an manchen Stellen ein Fortfchritt 
gegenüber A, wiederholt greift e8 aber, mit Umgehung von A, auf S zurüd. 
Der Einfluß von 5 reicht nicht über B hinaus. Er ift in den verfchiedenen 
Stücken verſchieden; am bedeutendften jcheint er mir im „Avare“ und „Georges“. 
Ob von den einzelnen Ueberfegungen jede einen oder mehrere Verfaffer hat, kann 
ich nicht entjcheiden; bei A wäre ich geneigt, an mehrere zu glauben. — 

Vielleicht erfreut fih in der Folge auch eine der jpäteren Ueberſetzungen 
einer jo eingehenden und gejhmacdvollen Charakteriftif, wie fie für F Elveffers 
Buch bietet, das zum Schluffe im einem Abjchnitte „Nachwirfungen“ noch manche 
ſtoffgeſchichtlich ſehr intereſſante Einzelheit bringt, und in einem Anhang. die . 
Berstunft des Ueberſetzers fennzeichnet; vielleicht auch, daß die neugegründete 
„Bibliothek älterer deutſcher Ueberjegungen“ einmal eins diefer für deutſche 
Geiftesarbeit nicht unweſentlichen Stücde in kritiſcher Ausgabe veröffentlicht. 


Prag. Nudolf Fürft. 





1) Ein Beifpiel für viele: „Mon coeur, pour sa defense, a tout votre merite appuyé 
du secours d’une reconnaisance, oü le ciel m’engage envers vous“. S: „Mein Hertz 
bat zu feiner Verthätigung all eure Meriten auf den Benftand einer Erkendnuß, durd) welche mid) 
der Himmel mit eud) verbunden hat, geftüget”. Az „Mein Her hat zu feiner VBertheidigung all 
euren Berdienft auf den Beyſtand einer Erfenntnus, wodurch mid, dev Himmel gegen eud) verbunden 
geftittet”. 

2) Den „Cocu imaginaire*, dev mir nur in € vorliegt, will ich nicht näher hevanziehen, 


Müller G. A., Urkundliche Forihungen zu Goethes Sejenheimer Fdylle. 405 


Müller G. X., Urkundliche Forſchungen zu Goethes Sejenheimer Idylle und 
Friederifens Jugendgejchichte. Auf Grund des Sefenheimer Gemeinde- 
archivs. Mit einer Forrigierten Kopie und einer Wiedergabe des 
Falckſchen Friederifenportraits, jowie fünf Beigaben. Bühl (Baden), 
Drud und Berlag der Aktiengefellihaft Konfordia. 1894. 3.50 M 


Die Druderihwärze von des Berfaffers „Sefenheim wie es iſt“ ift kaum 
troden, und ſchon ift er mit einer zweiten Schrift über denfelben Gegenftand auf 
dem Plan. Galt die erfte den Hauptperfonen des Sejenheimer Idylls, jo ver- 
jucht er diesmal auf 84 Seiten Text mit fünf Beilagen ımd einem Nachtrag 
die nebenfächlihen Perfonen, Orte und Ereigniffe zu „eruieren“. Seine Haupt- 
quelle ift das Sefenheimer Gemeindearchiv, das ſchon Yucius und Froitheim 
benutt haben, das er aber geradezu ausjchreibt und dabei auch den von jenen 
beifeite geworfenen Schutt wieder ankarrt. Wir erhalten, ohne daß neue Schlüffe 
daraus gezogen würden, die vollftändige Lifte der Mitfonfirmandinnen Friederifens 
und die vollftändige chronologiſche Lifte aller Taufpatenfchaften der Familie Brion; 
wir erfahren, daß der Schulmeifter, der mit Goethe das Haus vermaß, Mochel 
hieß; Daß Goethes „Barbier“ wirklich der von Weill-Froitheim als Autorität 
erwähnte Schöpflin war, daß der nachgerade berühmt gewordene „alte Greſſian“ 
(reetius Kreß) möglicherweife Goethes fünftelnder „Nachbar“ gemefen fein Könnte 
und dgl.; die weitverzweigte Brionjche Verwandtſchaft wird ums genau nach 
Geburts-, Sterbe- und fonftigen Daten vorgeführt u. ſ. w. Auf alles dies ift 
offenbar viel Fleiß verwendet; aber man fragt fich angefichts diefes Wuſtes von 
Notizen: cui bono? Hätte uns der Verfaſſer aus feinen Materialien ein an— 
ihauliches Bild von dem Leben der Familie Briom mit den Eingefeffenen ihrer 
Pfarrgemeinde, mit ihren auswärtigen Berwandten und Freunden aufgebaut, fo 
würden wir ihm dafür Dank wiffen. Die Goethejche Erzählung kann an Relief 
nur gewinnen, wenn auch auf ihren Hintergrund et volleves Licht fällt. Dffen- 
bar hat dem Berfaffer jo etwas vorgejchwebt, ev nimmt öfter den Anlauf zu 
zufammenfaffender Darjtellung. Aber obwohl ev Berfaffer mehrerer Dramen und 
aljo jelbjt Dichter ift, jo will fich) Doch unter feinen Händen nichts runden; Die 
Nede bleibt ihm entweder im myſtiſchen Schwurlfte ſtecken oder er bringt es über 
jentimentale Schnörkel zu den fahlen Archivnotizen nicht hinaus. Welchen Wert 
hat es 3. B., wenn in einem Abjchnitt ſämtliche „Feſte, Hochzeiten und Kindstaufen 
(sie) zu Goethes Zeiten“ aufgeführt werden, um an jeden Fall die Vermutung 
oder zweifelnde Frage anzufnüpfen, ob wohl Goethe dabei geweſen jei? Wo der 
Berfaffer allgemeine Ergebniffe verarbeitet, fteht ev im dDurchgängiger Abhängigkeit, 
meift von Froitzheim; wo zwiichen zwei Autoritäten Meinungsverſchiedenheit 
herrſcht, da bleibt er gewiß umentjchieden am Kreuzwege ftehen, weil er zu höflich 
it, um Dem einen oder dem andern zu widerfprechen, 3. B. bei der Streitfrage 
über den Berfaffer von „Ach biſt Du fort“, ©. 45 5. Ein glüdliher Fund ift 
der Nachweis, daß der von Schweppenhäufer bis von Loeper feftgehaltene Georg 
Klein wirklich exriftiert hat, aber nicht in Drufenheim, ſondern als Kronenwirt in 
Dengolsheim, das zur Pfarrei Sefenheim gehörte. Anſtatt aber mit unglaublicher 
Weitjchweifigkeit daraus den unfruchtbaren Schluß zu ziehen, daß die Erinnerung 
an dieſen Georg Klein Goethe zur Wahl des Namens „George“ für feinen 
Drufenheimer Wirtsfohn veranlaßt habe, hätte er ſich mit dem jo nahe liegenden 
Schluß begnügen follen, daß umgekehrt Goethes „George“ in Schweppenhäufers 
Kopfe die Berwechjelung mit jenem Georg Klein angerichtet habe. Als hiſtoriſcher 
Beleg für die Tauffuchengefchichte ift der letztere jedenfalls endgültig abgethan. 
Einen weiteren triftigen Einwand gegen den Stadtbefuch der Brionſchen Damen 
in Straßburg bringt der Verfaffer auf ©. 53 bei, indem er auf die Thatfache 
hinweift, daß Friederike und ihre ältere Schwefter im Juni 1772 mit Salzmanı 


406 Geiger L., Karoline von Günderode umd ihre Fremde. 


noch nicht perfönlich befammt waren (Brief von Lenz vom 10. Juni 1772). — 
Dagegen ift der Verſuch, das Falckſche angebliche Friederifenbildnis zu retten, 
als mißlungen anzufehen; dasjelbe wird weder durch die breite Wiederholung 
alles deſſen, was Fald (doch mit negativem Ergebnis) ſchon gejagt hat, noch 
durch die von M. Feurer mit demfelben vorgenommene „Korrektur“ annehmbarer 
gemacht. Die Legende von Friederifens Fall it jelbftverftändlih auch in dieſes 
Buch wieder verwoben; je öfter jo etwas wiederholt wird, um jo mehr bleibt 
davon hängen. Selbſt Froitheims lächerliche Motivierung des ſpäteren Beſuchs 
Goethes in Sefenheim eignet fi der Berfaffer an (©. 86). Ueber den Unwert 
der dritten Beilage „Friederitens Elfäffer Lieder“ giebt ſich der Berfaffer glüclicher- 
weife jelber feiner Täufhung hin. Dagegen thut ex fih was rechts zu gut auf 
die ungeheure Pfiffigfeit, mit der er in der fünften Beilage den Dichter Hebel 
für die Friederikenlegende zu fruftifizieren weiß Die Sache ift wirklich fo gerieben, 
daß man erft nach wiederholten Leſen dahinter kommt. 

Herr Müller läßt Goethe im Jahr 1779 „gen der Schweiz“ ziehen, das 
mag dem Dichter noch zugut gehalten werden; auffallend ift ſchon, daß der 
Literarbiftorifer „Rindstaufen“ nicht nur im eigenen, fondern auch in Goethiſchem 
Texte jchreibt; geradezu befremden aber muß, wenn der Herr Doktor „Rekonva— 
lescens“ (©. 43), „Neminiszens“ (©. 67) und „Reminiscenfen“ (lette Seite) 
jhreibt. Danach wird auch der Ausdrud: „fie bezeugten der Xehrerfamilie die 
Ehre der Patenſchaft“ (S. 16) nicht auf Zufall beruhen. Der Barbier Schöpflin, 
dem Herr Müller eine „verhältnismäßig nicht jo dürftige” Bildung zuerfennt, 
unterzeichnete Hundert Jahre früher im umgefehrter Orthographie einen Sterbe- 
aft „al3 Zeig” (©. 27). 


Hamburg. Adolf Met. 


Geiger L., Naroline von Günderode und ıhre Freunde. Mit einem Porträt 
der Diehterim. Deutſche Verlags: Anftalt. Stuttgart, Leipzig, 
Berlin, Wien. 1895. 3.50 M. 

Das vorliegende Buch verdankt feine Entſtehung einem „äußeren“ 
Umſtande (©. 2). Geiger erhielt wgendwo in Frankfurt eine Anzahl neuer 
Briefe an de Dichterin Karoline von Günderode. Er verwertete das 
Material auch im der Werfe, daß er ein Buch, mäßigen Umfangs, über die 
„Günderode und ihre Freunde“ verfaßte, Wir bejiten, wie allgemein befannt, 
Bettinens Werfe über fie und — andersgeartet — die umfaſſende Mono- 
graphie von Schwark bei Erſch und Gruber, die, nur felten irrend, mit 
gründender Sorgfalt die gefamten Yebens- und Freundſchaftsbeziehungen 
dev Günderode darlegt; feitdem ift einiges binzugefommen. Wer an diefen 
Leiſtungen mist, was Geiger bietet, wird mit mir jagen: gegenüber dem 
ftrömenden Reichtum jener Werfe iſt Geigers Buch ein armes Buch. Denn 
auch die neuen Briefe, die er publiziert, fchließen uns feinesiwegs neue, 
bisher nicht gefannte Beziehungen in dem Leben der Günderode oder ihrer 
Freunde auf. Die menschliche wie Literarhiitoriiche Betrachtung und Ver— 
wertung diefer Briefe war eigentlich die einzige jelbitändige Arbeit, die 
Geiger zu verrichten hatte. Ste tft übel ausgefallen, Sch gehe den Wegen 
Geigers nad. 


Geiger 2, Karoline von Günderode und ihre Fremde. 407 


Nach biographiichen Angaben über die Günderode empfangen wir 
einen „Freilich in erfter Linie nicht fir Karolinens Weſen bedeutiamen“ 
Brief ihrer Großmutter (©. 8), „um den Kriegsfuß erfennen zu laſſen, 
auf dem die alte Dame mit der Orthographie ſtand!“ Der „Kriegsfuß“ 
aber ift für den, der die Schreibgewohnheiten jener Zeit und die mund- 
artliche Färbung des Ausdrucks veriteht, gar nicht vorhanden. Es folgen als 
„Literarische Bildung“ der Günderode erſt allgemeine, dann wörtliche Aus— 
züge aus Schwark (bi3 ©. 11), und jett jtehen wir an den Punkte, wo 
die Wege der Günderode mit denen Savignys Sich treffen. Aber hier, wo 
zuerst die eigne Arbeit Geigers einzufesen bat, geht auch (©. 12) die Ver- 
wirrung los. Er fennt nämlich nicht die 1890 gedrudten Dofumente über 
Savignys ſächſiſche Studienveife mit den eingehenden Bemerkungen, die 
ihnen Adolf Stoll beigegeben bat. Nach diefen Dokumenten muß die 
„Literarische Bildung” der Günderode zur Zeit ihrer eriten Bekanntſchaft 
mit Savigny, Juni und Juli 1799, alS von diefem mitbeſtimmt erſcheinen, 
auch er lieſt Sean Paul, Herder, Goethe. Damals richtete er, ein Zeichen, 
daß die neunzehnjährige Karoline auf den zwanzigjährigen Jüngling einen 
tiefen Eindruck hinterlaſſen hatte, eine Anfrage an feinen Freund Ereuzer über 
die Berhältniffe der Ara von Günderode in Hanau. In diefen Zuſammen— 
hang gehört alfo der evite, Fat feierlich gefchriebene Brief Savignys (©. 16), 
der demnach in den Juli 1799 zu jegen iſt. Weiter dürfen wir nicht vor- 


wärts gehen: denn Ende Juli trat Saviany feine bis Auguſt 1800 währende 


ſächſiſche Studienreife an. Diefe Neife hat Savigny, was Geiger natürlich 
nicht bemerkte, in einem feiner jpäteren Briefe (S. 30, 31) in dem Sinn. 
Er erzählt der Günderode fcherzend von einer Quetſchung feines Armes 
beim Schließen des Kutſchenſchlages, als gerade „jemand“ einsteigen wollte: 
er ſei bald nach jener Geſchichte nach Sachſen gereist; die Nerzte aber 
hätten gemeint, ev müſſe jteh wohl „verbrannt“ haben. Natürlich iſt „jemand“ 
die Günderode, und die Geschichte gehört in die Zeit feiner eriten Neigung 
zu ihr, ebenfo wie die briefliche Erinnerung an einzelne Gegenstände und 
an die gemeinfame Leftiive des Klavigo oder Hermann und Dorvotheas. 
Auf ©. 12 Sagt Geiger: „Savigny .. lebte in feinen Kindheits- und 
Sünglingsjabren in. . Frankfurt, vielfach auf dem... Trages. Er war 
in Frankfurt mit der Familie Brentano, befonders mit Clemens, eng- 
befreundet. 1795—1800 ftudierte er ın Jena md Marburg.” Kaum em 
Wort ıft richtig. Savigny ſtudierte nämlich, mit dev Unterbrechung eines 
Jahres (Winter 1796 auf 1797 in Göttingen, Sommer 1797 auf dem 
Trages) von Ditern 1795 bis Juli 1799 in Marburg. Dann unternahm 
er, wie gejagt, feine Neife an die drei ſächſiſchen Univerjitäten. Mit der 
Familie Brentano war er bis dahin weder befannt noch aar befreundet. 


. Sondern die Bekanntschaft Saviguys mit Clemens knüpfte ſich erſt im 


August 1799 zu Jena, kurz nachdem ev Sophie von Yaroche und ihre 


408 Heiger 2, Karoline won Giünderode und ihre Freunde. 


Enkelin Sophie Brentano bei Wieland in Oßmannſtädt kennen gelernt 
hatte; 1800 wurde Savigny wie andere Freunde von Clemens in feine 
Frankfurter Familie eingeführt, und im Frühjahr 1801 zeigen fich die 
eriten, fait noch fchenen Anzeichen der auffeimenden Liebe zwiſchen Savigny 
und Gundel Brentano. AU das liegt gedruckt vor! Zwiſchen Savignys 
Neigung zur Günderode und der zu jeiner fpäteren Frau liegen alfo 
zwer Jahre enticheidender Entwidelung für ihn, und falſch iſt Geigers 
Sabs auf ©. 12: „Man (!) darf wohl annehmen, dat Savigny ſchon 
damals Juli 1799] feine Blicke auf feine fünftige Frau gelenft hatte und 
aus diefem Grunde dem Mädchen Feine Aufmerkſamkeit ſchenkte, das ꝛc.“, 
eine Meinung, die auch den vagen, unsicheren und unbeitimmten Aus— 
führungen auf ©. 15 den Grundton giebt, und die, wenn fte richtig wäre, 
Savignys Charakter ungünftig treffen müßte. Savigny hat die Günderode 
vorher wahrhaft geliebt, das wiſſen wir ſchon lange; ich verweise vor allen, 
da es in dem Buche fehlt, auf einen Brief Meuſebachs an Haupt (bei 
Wendeler ©. 404) mit Beziehung auf feine Darftellung des Konflikts 
zwijchen Bettina und der Günderode in der Hallifchen Allgemeinen Literatur- 
Zeitung 1835, ©. 308—311. Saviany hat fich ſchmerzlich feiner Zeit von 
diefer Liebe frei gemacht; ex felber ift eS ja, der (©. 31) der Günderode 
gegenüber feine eigenen Leiden denen des jungen Werther an die Seite ftellt. 

Der — alſo in den Juli 1799 zu datterende — Brief Savigny's, 


voll tiefen Liebesgefühls fir die Günderode, ſteht für fich ganz allein, - 


und er iſt nicht, wie Geiger e8 ich denkt, die „Einleitung der Klorrefpondenz“ ; 
eine einheitliche Storreipondenz bat überhaupt micht zwischen der Günderode 
und Savigny exiitiert. Erſt nach einem Zeitraum von vier Jahren, als 
Savigny und Gundel ih ſchon einander feit angehörten, liegen zwölf 
weitere Freundſchaftsbriefe Savignys an die Günderode vor, von 1803 
bis 1806. Sie erjcheinen aus einem natürlichen und aus einem Fünftlichen 
Grunde meiſt zufammenhanglos: denn zwischen fie ſchlang ſich als die 
Hauptiache ein fteter perfönlicher Verkehr, und andererfeits jind Clemens’ 
und Bettinas Briefe, die zum Teil in den Lücken ftehen müßten, von Geiger 
im Intereſſe der Stapitelbildung, aber zum Schaden des allgememen und — 
feines eigenen Verſtändniſſes abgetrennt worden. Von Savignys zwölf 
Briefen find nun neun datiert, oder jo gut wie datiert, da Savignys Ver- 
mäblung (17. April 1804) und feine Reiſen bis Ende September 1805 eine 
Srrtumsmöglichfeit beinahe aufheben. Wie ſtehts aber mit den übrigen? 
die Geiger — Sehr bezeichnend! — uns „in der Ordnung, die er für die 
richtige hält“ (©. 15), vorführt. 

Zunächſt der Brief auf S. 29, über den Geiger die Datierung 
„März 18047)“ fett, ohne in den „Erläuterungen“ auch nur den Verſuch 
einer Begründung zu machen. Der Brief ſtammt aber aus Marburg, 
da Eingangs von Studenten, als mit welchen Saviguy umgehe, die Nede 


Geiger L., Karoline von Günderode und ihre Freunde. 409 


iſt. Inhaltlich aber werden wir nicht in die Zeit kurz vor der Verehelichung, 
fondern in eine frühere Zeit verwiefen, die rückwärts wegen der Anrede 
„Sünderddchen” (©. 19) durch den Juli 1803 begrenzt wird. Der Brief 
muß in die — nach Geigers Anja freie — Zeit vom Juli bis Dezember 
1803 fallen, weil Savigny erſt noch ein freundichaftliches Verhältnis der 
Günderode zu fich und feiner Braut herzuſtellen ſucht — von feinem Braut- 
ſtand fpricht er verhüllend al3 von „gewiſſen Dingen, wie billig“ oder von 
„gewiſſen Urjachen“ ; und weil andererjeitS vom Dezember 1803 ab (S. 23) 
die Freundſchaft diefer drei Menſchen als eine geficherte und feſtbegründete 
uns erjcheint. Die Datierung des Briefes alfo iſt: Marburg, Herbit 1803. — 
Herner die drei „Irages, 6. Juni“ — „Trages, Donnerstag” — „Trages 
den 13. Juli” von Savigny datierten Briefe, deren leßtere die gemeinfame 
„Anfrage wegen Meigenhaufen“ al3 zufammengehörig ausweiſt. Geiger 
verlegt jie in das Jahr 1804 und — trifft damit wirklich das Wichtige. 
Aber er bat fein Zutrauen zur ſich jelber, und darum „erläutert“ ev auf 
©. 41: „Diefe Datierung iſt allerdings nur für den Fall richtig, day 
Savigny nicht unmittelbar nach dev Hochzeit feine große Neife antrat; da er 
aber erſt am 2. Dezember in Barıs eintraf und vorher nur in fleinen 
deutihen Städten Studien machte, fann man (!) dafür ganz wohl die 
vier Monate August bis November einjchliehlich in Anſchlag 
bringen.” Hier fängt ſich Geiger in feinen eigenen Widerfprüchen. Denn am 
Anfang desjelben Kapitels (©. 12) hatte ev gefchrieben: „Am 17. April 1804 
heiratete er . Kumigunde Brentano, und trat bald nach der Ehe eine große 
Studienreiſe nach Italien und Frankreich an, die ihn etwa 18 Monate, 
bis September 1805, von der Heimat fern hielt.“ Man rechne nur im 
beiden Angaben Geigers der Zeit und Sache nad, um ihrer Unvereinbarkeit 
inne zu werden! Und daber lag die Datierung der Briefe mehr als einfach: 
Juli 1805 war Savigny in Barıs, Jult 1806 in Nürnberg (Arnim und Brentano 
©. 180), alfo bleibt für die Briefe vom Trages, da fie aus dem Eheitande 
geichrieben find, einzig und allein der Juli 1804 übrig; es folgt daraus, daß 
Savigny noch den vollen Frühling 1504 mit feiner jungen Frau auf dem Trages 
verlebt hat. Was Geiger dann noch S. 42 F. im Allgemeinen iiber die Briefe 
Savignys jagt, entbehrt gleichfall3 der Gründlichkeit. Ohne fie „wiſſe man ()) 
nicht viel aus feiner Frühzeit“ — in Wahrheit wiſſen wir wenigſtens fo viel von 
ihm und über ihn, wie 3.3. bei den Brüdern Grimm, nur muß „man“ Freilich 
willen, was zu wiſſen tft. Widerfprochen muß auch der Betrachtung Geigers 
über die Anvede in den Briefen werden (S. 43), „man (!) werde bei der 
leichten Entzimdlichfeit der Nomantifer nicht eben gleich von einem „Ber- 
hältnis“ [Savignys zur Günderode] Sprechen und den schnellen. (!) Ueber— 
gang von „Fräulein“ zu „Gunderödchen“, von diefer Bezeichnung ‚zu 
„Freund“, endlich vom „Sie“ zum „Du“ anſtößig finden wollen.“ Die 
Sache liegt vielmehr einfach jo: 1799 Ächreibt Saviguy zum erjten Male 


410 Geiger L., Karoline von Günderode und ihre Freunde, 


förmlich und feierlich an das „Fräulein von Günderode“; nach vier Jahren 
(chnell ?) vedet ex fie weniger förmlich „Sie“ an; auf ihre Bitte nennt er 
fie, wie im ihrem Kreiſe üblich, „Günderödchen“, womit dann die gleich- 
Itellend anerfennende, aber auch das Gefühl der Liebe verfagende Bezeich- 
nung „Freund“ wechjelt; erſt nach der Verheiratung herrſcht zwischen 
Savigny, feiner Frau und der Günderode das reinfreundschaftliche „Dur“, 
Das iſt eine natürliche Entwidelung ohne jeden Anftoß. Nach ©. 43 Soll 
Savigny „in feinen Briefen ſich nur mit der Fran, nicht mit der Dichterin 
beichäftigen, von der legteren fcheine er wenig gewußt oder nicht viel ge- 
halten zu haben.” Als ob die Notizzufälligfeit diefer Briefe beweiſend 
wäre, und nicht die gefamten lebendigen Umgangsverhältnifie in Betracht 
genommen werden nrüßten, die einer jolchen Anficht wideritreiten! Außer- 
dem Spricht auch der Brief auf ©. 28 (Februar 1804), was Geiger nicht 
gemerft haben muß, von ihrem poetischen Talent, das fie ja ihren nächiten 
Bekannten bis dahın verborgen hatte. Ebenfo äußerlich und bloß notizen- 
daft it das anläßlich einer Nenferung Savignys ©. 43 über Brentanos 
und Arnims PVerbältms zu Schiller Gefagte; diefe Frage muß, wer fie 
anrührt, hauptiächlih aus den Werfen heraus in Angriff nehmen; aber 
Geigers Bertrautheit mit denfelben bat uns in diefem Punkte feinen Dienft 
erwieſen. 

Es folgt ein Abſchnitt über Liſette von Mettingh, die Frau des 
Naturforſchers und ſpäteren radikalen Politikers Nees von Eſenbeck, welche 
ſich — der Leſer erſieht nicht leicht, aus welchem Grunde — der wärmſten 
Sympathien des Verfaſſers zu erfreuen hat. Er erklärt ſie für die „wich— 
tigſte“ unter den Freundinnen der Günderode, und ſo müſſen wir ihre 
mäßigen Briefe und mehr als mäßige Dichterei als Neuigkeiten mit in 
den Kauf nehmen. In das Weſen dieſer Briefe iſt Geiger wieder nicht 
eingedrungen; er bemerkt nicht einmal, daß ſie zum größten Teil von der 
noch unverheirateten Liſette geſchrieben ſind. Der erſte undatierte 
Brief auf S. 45 ſoll nach Geiger ein Zeugnis für ihre glückliche Ehe mit 
ihren Manne ſein — und doch beweiſen die Schlußzeilen (©. 46, 3. 10, 11), 
Nees vate ihr an, ſie folle ſich beizeiten von der Täuschung ihrer Liebe zu 
ihm, dem „Geliebten“, überzeugen und Lieber ganz ſich von ihm trennen, 
da er doch immer ſchwach und Franf jet — daß der Brief vor der Ehe 
gejehrieben ift. Der Brief auf ©. 46 aus Franffıurt, 5. April 1804, als 
Nees und Yifette „noch gar nicht aufgeboten” (3. 23) waren, erwähnt 
Liſettens Schon genannte Poeterei vom Klausner, und Geiger belehrt uns 
=. 49, dal Sogar ſchon nach einem Früheren Briefe „ihr Mann“ beinahe 
auch über die Geſchichte geweint habe; außerdem müſſen Geigers Ein- 
führungsworte (©. 46), das Schreiben „Führe beſſer als ausführliche 
Schilderungen weſſen? in den Kreis und in die Gefinnungen ein, in denen 
Staroline lebte," aus Verſehen an ihren Blat gerathen fein, da von „Kreis“ 


Geiger L., Karoline von Günderode umd ihre Freunde. 411 


und „Gejinnungen Karolinens“ feine Spur darın zu finden tft. Ein 
andrer Brief (©. 53—64) „muß“ „trot feiner Länge“ mitgeteilt werden, 
„weil... weil“ — und nun folgt ein achtzeiligev Begründungsjag, der nichts- 
fagend iſt und das Entjcheidende nicht ausfpricht. Geiger ſetzt darüber ein 
unficheres „Sickershauſen den 17. April 1805 2)“ ; was daran etwa ungewiſſe 
Leſung oder bloße Vermutung fer, erfährt man nicht. So läht Sich mit 
Sicherheit nur jagen, daß der Brief aus der Ehezeit Yıfettens und nad 
dem ihr noch nicht befannt gewordenen Druc der „Poetiſchen Fragmente‘ 
Rarolinens, worauf fih (S. 64) die Bitte um den „Mohammed, haupt— 
Jächlich der beigefügten [richtiger: vorgefügten) Gedichte wegen” bezieht, 
geſchrieben iſt. Er jet voraus, daß ſich Liſette Nees — alfo auch fie! 
vol. ©. 117 — über die Gedichte der Günderode brieflich zu Suſanne 
von Heyden nicht günstig geäußert hatte; von der Günderode deshalb zur 
Rede gejtellt, entichuldigt und verteidigt fich die Mees in diefem überlangen 
Briefe. Was fie jagt, fee ich nun in Zuſammenhang mit der Necenfion 
„der Gedichte und Phantasien“ in der Jenaiſchen Yiteratur-Zeitung Ir. 161, 
9, Juli 1804, die Schwart zuerit aufgefunden und abgedrudt hat. Geiger be- 
nut fie (S. 77) bei anderer Gelegenheit, ohne Schwart zu nennen. Aus 
Goethes Briefen an Eichjtädt (Biedermann ©. 87; Weimariſche Ausgabe IV, 17, 
131) erfahren wir, dag im April 1804 Nees, damals alfo Yılettens Bräutiganı, 
nicht Mann, der Jenaiſchen Yıiteraturzeitung „Brief und Necenfion nebit 
dazu gehörigen Gedichten” jandte, daß Goethe ſie fir brauchbar erklärte 
und demgemäß ihr Abdruck bewirkt wurde. Cine eingehende Prüfung hätte 
zu der Einficht führen müſſen, dag aus Yilettens Brief an die Günderode, 
diefe Recenſion redet, da die Gedanfenführung beider in frappanter Weiſe 
gleich tit; wie z. B. eine Vergleichung deifen darthut, was in dem Briefe 
(©. 58, 59) und ın der Necenfton (Sp. 52) über das Weſen jedes Kunft- 
werfs und die anzuratende Lektüre der „Meiſter der älteften und neueiten, 
romantischen Poeſie“ bemerkt wird. Diefe Wahrnehmung und die breit 
vefleftierende Sprache der Recenſion laſſen auf Lilette als Verfaſſerin 
Ichliegen, nicht — wie Geiger „vielleicht“ will — auf Nees, der eine 
Icharfe, furzgehaltene Sprache jchreibt ; ich glaube auch, daß die Ehiffer der 
Jenaiſchen Necenfion, **L, auf den Vornamen Lifette deutet. Wenn Geiger 
©. 79 angiebt, daß die Jenaiſche Necenfion der „Boetifchen Fragmente“ 
im wejentlichen die Wiedergabe eines Neesichen Briefes über den Mahomed 
lei, jo Fehlt uns, da der Brief Geiger „zur Mitteilung nicht geeignet“ ſchien 
(©. 66), die Möglichkeit dev Kontrole; auffällig aber bleibt, daß ein Brief, der 
lolch ein umverfängliches Nefultat ergäbe, ın feinem bewerienden Teile nicht 
drucbar fein fol. Aber über die thatlächlichen Entjtehungsverbältnifie des 
Mahomed weis Geiger nicht Befcheid. Denn nach ©. 68 foll derfelbe 
„Zuſammen mit anderen Dramen“ im Jahre ‚1806 erjchtenen fein. Beides 
it falich, aber beides — ohne Quellenangabe — unfontroliert und mißver 


412 Geiger 2., Karoline von Günderode und ihre Freunde. 


ftanden („dramatiich”) aus Friedrich Götz' biographiicher Einleitung zu 
den von ihm geſammelten Dichtungen der Günderode (1857) ausgeschrieben. 
Geiger kann alfo das Original der „Poetiſchen Fragmente” (1805) niemals 
jelbft in der Hand gehabt Haben, ebenſowenig wie die „Gedichte und Phantaſien“ 
(1804); ex hat allein Götz benußt, und jo find ihm die ferneren Beziehungen, 
die fich fiir die Briefe aus der individuellen Befchaffenheit der ihnen gleich- 
zeitigen Driginaldrude ergeben, verhüllt geblieben; fo erklärt fich auch die 
höchſt Tonderbare Bemerkung zu Anfang des Buches, die Originale der 
Berliner Bibliothek ſeien ſeit längerer Zeit verftellt oder verloren — und 
doch find dafelbit die Poetiſchen Fragmente in der bibliotheca Varnhagen 
vorhanden! Und weil ferner bei Götz der „Nikator“ der Gimpderode fehlt, 
fehlt er natürlich auch bei Geiger (©. 68), obgleich er längſt im Goedefe 
verzeichnet ſteht. Weber diejenigen Seiten, auf denen Geiger nun Karolinens 
Diehtungen „würdigt,“ gleite ich für jest Fo ſchnell als möglich hinüber und 
gelange zu Clemens Brentano. 

Nah S. 82 „wußte man (!) von feinem Verhältnis zu Karoline 
bisher nichts weiter, als was in Bettinas Günderode und Frühlings- 
franz befannt geworden iſt.“ Vier Seiten Abdruck aus diefen Werfen 
geben aber die tröftliche Beruhigung, das Bettina alles wefentliche gefagt 
hat. Trotzdem wiederholt Geiger ©. 87 jeinen Ausfpruch von „diefer vecht 
undollfommenen Senntnis“, natürlich müſſen dann die Briefe, die er felber 
bringt, „doppelt willfommen“ — „ungemein erfreulich” — „überaus charaf- 
teriſtiſch“ ſein. Diefe Art der Schaufelnden Beurteilung zu Gunft und Lob 
des eignen Materials kehrt in dem Buche immer wieder. Prüfen wir, zu 
welcher Vollkommenheit des Wiffens über Brentano und die Günderode 
Geiger durchgedrungen tft. 

55 find fünf Briefe von Clemens, die Geiger in einer Reihe von 
„Ende Mar 1804” bis „Ende 1805” anfett, und von denen ev ©. 88 den 
eriten als „Vorläufer einer großen Auseinanderſetzung“, den zweiten als ein 
„wunderbares Bekenntnis von Clemens’ Auffaſſung der Schriftitellerei“ u. ſ. w. 
preift. Alles aus dem Grunde falfh. Er hat nicht erfannt, daß die fünf 
Briefe in zwei, zeitlich wie inhaltlich, ganz verfchtedene Gruppen zerfallen. 
Sch beginne mit der legteren. Im Frühling 1804 ſahen fich Clemens und 
die Günderode, nach längerer Unterbrechung ihres früheren Verfehrs, auf 
dem Trages wieder. Abgefehen von einigen verlorenen Zeilen, iſt Clemens’ 
Brief vom 2. Juni 1804 (S. 92—100) in Wirklichfeit der zuerst ge 
fehriebene, und zwar (©. 98) vierzehn Tage nach der Niederfunft feiner 
Frau, d. 1. zur Ende Mai 1804, weshalb das untergejeste Datum des 
2. Juni — wie in hundert ähnlichen Fällen — den Tag der Abjendung, 
den Poſttag, bezeichnet. Seinen Brief fchloß Clemens, was Geiger nad) 
©. 163 („ein“ Brief) wieder nicht bemerkt hat, einem Schreiben an Bettina 
bei, und diefe befürderte ihn mit den ©. 142 abgedruckten Begleitzeilen an 


Geiger 2., Karoline von Günderode und ihre Freunde. 413 


die Günderode, die Clemens am 10. Junt 1804 (S. 115) antwortete. Dies 
it nun (vgl. ©. 116, 3.6, 8 und 10) die „jungfräuliche, Strenge und liebe- 
volle Antwort” S. 89), die Clemens „zu einem zweiten Briefe“ ver- 
pflichtete. Alſo kann diefer zweite Brief (S. 89) nicht nach: Geiger Ber 
mutung vom „Ende Mat 1804” fein, jondern er Fällt vielmehr kurz nad 
der Mitte des Juni 1504, von wo aus es auch in der That — vergleiche 
‚Arnim und Brentano ©. 108 — „ohngefähr vier Wochen“ (©. 91) bis 
Elemens’ Ankunft in Frankfurt war. Auf diefe zwei Briefe des Clemens 
und den einen der Günderode folgt mehrfaches Wiederfehn, auch auf dem 
Trages bei der Rückkehr Savignys; da dies lestere Wiederjehn, wie ein 
noch frisches, in dem letten Briefe Clemens’ (S. 112) erwähnt wird, jo tit 
genauer, als bei Geiger, der „Dftober 1805 zu datieren. 

In die Korreſpondenzlücke zwiichen Juni 1804 und Dftober 1805 hat 
num Geiger die beiden anderen, durch Anrede, Ton, Gefühl und Phantaſie 
grumdverjchiedenen Briefe — nach ferner Annahme aus „Heidelberg 1805 — 
hineingeitellt. In den „Erläuterungen“ findet fich Fein Wort über feine 
Gründe, aber ich will fie aufdeden! Er bringt nämlich den einen der 
Briefe, ©. 108 ff., ın Verbindung mit einem Schreiben Liſettens an die 
—— 119), das im Original den „23. Mai“ datiert iſt und von Geiger 
in das Jahr 1805 verlegt wird. Nun aber iſt dieſe Verbindung gar nicht 
vorhanden, und außerdem iſt das Jahr „1805“ falſch angeſetzt. Der Brief 
ging nach dem Trages (3. 11): bier aber weilte die Günderode bei dem 
neuvermäblten Baare den Mat 1804, nicht 1805! Liſette fpricht ſich ferner 
am Schluffe über Brentanos Luſtſpiel „Bonce de Leon“ als eine Literarifche 
Nenigfeit aus: der Ponce erſchien aber zur Oſtermeſſe 1804! Freilich 
Geiger muß den Ponce nie mit Augen geſehen haben; ev jagt an allen 
Stellen (S. 116, 120, 121) hartnäckig „Ponce da Leon”; ©. 121, 3. 11 
giebt er fogar über diefen Ponce da Yeon ein — Freilich äußerſt ſchüch— 
ternes — Urteil ab. Liſettens Brief gehört natürlich in das Jahr 1804, 
und damit ſtürzt Geigers ganze Kombination in ihr Nichts zuſammen. 
Iſt übrigens das — originale Tagesdatum „23.“ Mai richtig, ſo 
muß der von Liſette . 119, 3. 16) erwähnte Brief Clemens' an die 
Günderode mit den für His verlorenen Zeilen (S. 92, 3. T identisch fein. 

Was iſt aber pofitiv mit den beiden Briefen Brentanos anzufangen? 
Wie die örtliche Schilderung auf S. 101 darthut, find fie in Marburg 
(alfo nicht in Heidelberg!), und z. B. nad ©. 105, 109 im Frühling 
gejchrieben. In beiden nicht der Schatten einer Hindeutung darauf, dat 
Clemens fchon verheiratet fe. Welcher in Marburg verlebte Frühling 
fommt für die Datierung in Betracht? Der vom Jahre 1804, deffen 
verjönlichen und brieflichen Verkehr wir genau kennen, nicht! Der vom 
Jahre 1803, den Clemens in Frankfurt, Jena und Weimar verlebte, auch 
nicht! Der vom Jahre 1801, den er mit Arnim in Göttingen verlebte, 


414 Geiger L., Karoline von Günderode umd ihre Freunde. 


gleichfalls nicht! ES bleibt einzig und allein der Frühling des Jahres 1802 
übrig, als Arnim zum erſten Male in Srankfurt Bettina und die Günderode 
ſah, und Bettina im Frühlingskranz (z. B. ©. 153) ihren Bruder mit feiner 
Liebe zur Günderode nedt. Die beiden Briefe find für uns alfo Dofumente 
jener früheren FSreundichaftsperiode, deren Stocden Clemens in den Juni— 
briefen 1804 an die Günderode mehrmals beflagt. Ich Füge aus diefer 
früheren Zeit noch ein paar neue Momente hinzu. Am 15. November 1800 
bittet ſich die Günderode zur Lektüre brieflich den Memnon aus; Schwart 
gebt bier in feiner Erklärung des Memnon irre; gemeint ift dag 1800 aus 
dem Jenaiſchen Freundeskreiſe Savignys und Brentanos hervorgegangene 
poetische Journal Memnon, in das auch Clemens einzelne Gedichte gegeben 
hatte; und nun denfe man daran, das Savigny und Clemens ım Herbſt 1800 
nach Frankfurt zuricgefehrt waren! Zweitens: wie Schwart druckt auch 
Geiger aus der Götzſchen Sammlung vom Jahre 1857 in feiner „Würdigung“ 
Karolinens als Schriftitellerin (©. 73) das Gedicht „An Clemens“ ab. 
Ber Götz jteht aber nicht, dar es aus Bettinens „Günderode“ (©. 140) 
ſtammt, und wie es von ihr eingeführt wird; und jo zeigen Geiger Ein- 
(eitungsworte, daß ex feine Ahnung von der Bedeutung desjelben hat. Das 
Hedicht iit nämlich an Clemens Brentano gerichtet, und mu im Sommer 
1803 entitanden fein. Denn die vierte Strophe — „Geiſterwelt“, „Becher“, 
„Chor“ — iſt ein aewolltes Anflingen an das Lied „Der Jäger und der 
Hirt“, das Brentano aus Weimar 1803 (Frühlingskranz S. 355) an Bettina 
ichiefte, die gerade damals lebhaft mit der Günderode umging. In dem 
Gedicht „An Clemens“ zeigt Sich, wie (ebenda ©. 270) fein Hauch ſie kaum 
berührt und ſie atmet, als wenn ſie aufblühen wollte in edlere Begriffe 
und Ichönere Handlungen. Und wenn Bettina (Günderode ©. 145) das 
Gedicht an Clemens nah Marburg geſchickt hat, jo kann dies nur im 
September 1803 Arnim und Brentano ©. 86) geweien jein. Was endlich 
Brentano ſpäter felbit über feine freundichaftliche Liebe zur Günderode der 
Frau von Sudow erzählt und mitgeteilt hat, ıft überhaupt nicht zu Geigers 
Kenntnis gefommen. 

Alſo mit Geigers „vollfonmeneren” Kenntnis diefer Dinge iſt 88 
Wind. Welcher Sprache aber erfühnt er Sich über jene beiden Frühbriefe 
Brentanos, in dem Wahn, fie gehörten nach Heidelberg in feine Ehezeit! 
Der eine (S. 88) ſei „verwirrt, dunkel, in balbtoller Sprache ausgeführt“, 
in dem anderen komme „Elemens’ wolliiitige, gewaltfam ſinnliche Natur 
zum Ausdruck“.) Mean mag diefe Briefe beurteilen wie man wolle — au 
phyſiſche Wollüſtigkeit iſt nicht zu denken; ich verweiſe zu diefer Brief- 
diehtung von dem „Türen heiligen Yiebeswerf”, das „Mondnacht und 

1) Dunkel blieb für Geiger freilich die Sprache, das zeigen die Fehler feiner Wieder- 
gabe, die doch eine ſinngemäße jein will. 3. B. ©. 105 ijt zu fchreiben „Momente? gibt e8.. 


Momente? Berftehft" und S. 100 „Jugend“ anftatt „Tugend“. — ©. 112, 3 10 beſſre „vor“ 
anjtatt „von“ 


nn 


Geiger L., Karoline von Ginderode und ihre Freunde, 415 


Frühling” vor feinen Augen zu vollbringen ſich nicht geicheut hätten, und 
deffen glühe Nachwirkung dem Dichter — ohne gememen Anflug — beim 
Schreiben des Briefes noch duch die Seele zudt, ich verweise dazu auf 
einen feiner Briefe an Arnim (Arnim und Brentano ©. 174), wie er dichtet, 
daß „ſich ein heiliger, milder Gewitterregen mit wollüftigem Murren der 
Götter, die im Ungeftüm der Matluft ihren Becher umgeftoßen, auf die 
blühenden Gärten vor feiner Kammer ſenke“. Käme mir etwas darauf an: 
ich könnte leicht aus den Gedichten der Günderode den Gegenfchlag führen. 
Geiger aber, weil er den Charakter Brentanos nicht veritehen kann, ſpricht, 
immer auf Grund diefer Briefe, ©. 4 von Clemens’ „widriger mit Krank— 
haftigfeit verwandten Yüfternheit“, und gar ©. 88 moralifiert ev: „Es tt 
faum zu faifen, daß ein verheirateter Mann, der im Beſitz einer 
angebeteten Frau fich glüdlich fühlte, einen derartigen Brief an ein 
junges, unbejcholtenes Mädchen . . zu Jchreiben wagte“. Dagegen find 
Geigerſche Ausdrücde, wie Clemens „ſchände“ ſich (S. 114), fer „unaufrichtig“ 
(&. 117), Bettinens Daritellung fer „brüsf und roh“ und anderes — ſämtliche 
grade jo umberechtigt wie die obigen! — das reine Sinderjpiel. ES gehört 
dies lediglich nur zur Sennzeichnung des Buches im allgemeinen, denn an 
fih bat «3 feine Bedeutung heut. Wir wiffen, daß und warum eime be- 
ſtimmte Nichtung von Anfang an bis heute ähnlich über Brentano und 
die Seinigen geiprochen hat. ES war dies ſicher nicht zum Schaden der 
Brentanos: um fo fchärfer bob fich ihre dichterische Perfönlichkeit von aller 
Gemeinſchaft mit diefer Geiftesrichtung ab. Man leſe, was foeben Treitjchke 
in feinen herrlichen fünften Bande von Bettina jagt. 

Und nun ftehen wir auch vor Geigers Spezialfapitel über Bettina. 
Auch nicht ein einziger uns neu fördernder Gedanke findet ſich darın. Alles 
aus Bettinens Werfen, den Arbeiten von Schwarg, von mir ır. a. äußerlich 
zufammengerafft. Die Entlehnung des Einzelnen iſt nicht immer leicht zu 
erfennen; überhaupt iſt die Art, wie und wer und was citiert oder nicht 
eitiert oder nicht vollitändig cittert wird, imı höchften Grade bemerkenswert. 
3. B. Herman Grimm, der doch über Bettinens Briefwechiel zuerit im 
Allgemeinen das Richtige gelagt hat, wird nicht erwähnt; wohl aber Yoepers 
Publifation, in der doch nır Grimms Material für feine Arbeit irr 
thümlich als exaktes und vollftändiges abgedrudt iſt. Eine Yeiftung wie 
die Biographie Diel-Streitens, aus der ftillfehweigend (2, 538), aber mit 
eigenmächtigev Deteriorierung des Urteils, auf ©. 126 eine Briefitelle 
Clemens’ abgedruckt wird, erfährt feine Erwähnung! Wäre Geiger mit dem 
Material, das wir jet haben, wirklich vertraut, jo hätte ev etwas ganz 
anderes über Bettinens „Günderode“ erichliegen können: 3. DB. daß der 
iegine Anfang des Buches in den Mat 1806, ©. 47 in das Jahr 1803, 
©. 87 in das Jahr 1804 u. |. w. u. ſ. w. gehört. Auch mit dem Frühlings- 
franz weiß er nicht Beſcheid, er wundert fich nämlich ©. 163, daß ev darin 

Euphorion II. 97 


416 Geiger L., Karoline von Günderode und ihre Freunde. 


nicht einen Brief Clemens’ aus dem Jahre 1804 findet — er weiß eben 
nicht, daß unfer Frühlingsfranz nur bis in den Spätherbft 1803 reicht, 
und day fein zweiter Teil nie erjchtenen ift! 

Gegenüber der Mafie von Briefen, die Bettina in ihrer „Günderode“ 
veröffentlicht oder benutzt hat, bedeuten die vier ihr feiner Zeit nicht zurück 
gegebenen, die Geiger jest abdrudt, herzlich wenig. Unter fich ftehen fie in 
feinem Zuſammenhang. Site enthalten fein Moment, das micht fonft in 
Bettinens Aeußerungen über die Freundin zu finden wäre — ein Triumph 
für die erinnerungskräftige Geftaltung deilen, was aus Bettinens Händen 
fam. Auf die Datierung der vier Briefe iſt aber wieder nicht die gehörige 
Sorgfalt verwendet. Der erite näntlich (©. 142) iſt genauer nach Offenbach 
(S. 146, die Großmutter!) und zwar furz vor den 10. Junt 1804 (nacı 
S. 92, 142, 115!) zu jeßen; was auf ©. 161 „erläutert“ wird, beruht auf 
Verkennung des enticheidenden Zuſammenhangs. Dann fäme der dritte Brief 
bei Geiger (S. 153), nicht aus dent „Serbit 1805“, ſondern furz vor dem 
29, November 1805; Geiger hat nicht einmal gemerkt, daß das von Savigny 
in einer furzen Nachichrift zu Bettinens Briefe der Günderode versprochene 
ausführliche Schreiben (©. 158) mit dem Briefe Savignys vom 29. No— 
vember 1805 (©. 36) identisch tft. Dann vielleicht erſt wegen der jchon 
beginnenden Freundichaftslöfung der bei Geiger (©. 148) zu zweit gejtellte 
Brief; Geigers Anfat „Sommer 1804“ wegen der von ihm angenommenen 
Beziehung „mehrerer (!) Recenfionen von Goethe über jegige Dichter“ (©. 164 
3. 1 „der“)) auf Goethes Voß-Recenſion vom April 1804, was gar nicht 
paßt, iſt unhaltbar. Dann der vierte Brief (©. 159), der nach dem Brief- 
wechfel mit einem Kinde ©. 67 wohl der lette an die Günderode gewefen tft. 
Die „Erläuterungen“ enthalten zum Teil Dinge, die „gewiß“ oder „ganz 
gewiß“ — To heißt es nämlich fast immer, wenn etwas ungewiß tft — nicht 
richtig find. Wir erfahren da, daß die Günderode an Goethes Jugend nach 
den Erzählungen der Frau Nat — aber doch an Goethe? — fein Intereſſe 
gehabt haben ſoll. Auf ©. 167 druckt Geiger noch nachträglich aus meinem 
„Arnim und Brentano“ Stellen über die Günderode ab; die dritte davon — 
übrigens von Geiger unter Fortlaffung der entfcheidenden Nebenglieder in 
einem irreführenden Wortlaut gegeben — Toll beweifen, daß „Arnim 1808 
geneigt jei, Brentano als einen der Liebhaber der Günderode hinzuftellen“; 
fte ift in Wahrheit aber ironiſch gemeint und befagt fo ungefähr das Gegenteil. 

Es folgt bet Geiger das Slapitel über Creuzer. Viktor Hehn hat 
einmal ergreifend von unſrer Kulturentwicklung gefprochen, wie fie fich in 
Gewinn und Berluft vollziehe, und fein deuticher Zorn galt denen, die uns 
immer ohne Not unfre Verluſte nach- und vorrvechnen, die Freude an dem, 
was wir pofitiv bejiten, uns vergällend. Ueber dem furchtbaren Berhängnifie, 
das in Creuzers und Karolinens Leben eingriff, ſchwebt fein Geheimnis. 
Diefe beiden genialen, ſich geiitesverwandt fühlenden Menſchen liebten ich. 





Geiger 2., Karoline von Giünderode und ihre Freunde. 417 
’ 7 


Staroline frei und zur Selbjtaufopferung bereit; Ereuzer im höheren Sinne 
dem Leben und ferner ehrwirrdigen, aber viele Jahre älteren Frau verpflichtet. 
Beide klammern fih an den Gedanken einer Bereinigung; die Unmöglichkeit 
der Vereinigung läßt fie immer neue Möglichkeiten erfinnen und verlieren; 
fast tötliche Krankheit des Einen und freigewählter Tod der Anderen nimmt 
ihnen die unfelige Bürde diefes Verhängniſſes ab; all ihre Freunde, voran 
ein Savigny und Arnim, haben dem Ueberlebenden wie der Toten Treue 
bewahrt und — edelmütige Schonung. Ich proteftiere vor der Deffentlichfeit 
dagegen, daß Geiger all das befannte, zum Teil längit invalidierte Roh— 
material abdruckend, diefe jchmerzliche Begebenheit fo behandeln und breit 
treten dürfe, wie er e8 thbut — ohne daß auch nur ein einziges Intereſſe 
geiftigen Wertes in Frage käme. Sch proteitiere dagegen, daß Geiger 
— in der miflingenden Form, die Worte fcheinbar anderen in den Mund 
zu legen — über Creuzer jagen dürfe (©. 165): „den meiiten Zeitgenofjen 
galt der häfliche, fpäter infolge mancher Aeuperlichkeiten abjonderliche, um 
niht zu Sagen (N), lächerlihe Mann als der Typus eines deutichen 
Brofefjors“; daß Creuzer nach Geiger (©. 180) die „Luſt am bequemen 
bürgerlichen Leben . . . der Verpflichtung, die er mit Worten oder Thaten (!?) 
einer Unschuldigen gegenüber eingegangen war”, vorgezogen babe; daß er fich 
(©. 166) „geradezu eines Betrugs“ ſchuldig gemacht, da er (©. 185) „immer- 
hin einen Treubruch gegen die Geliebte” begangen habe. Wo Geiger dagegen 
pofitiv über Creuzer fprechen müßte, erflärt er (©. 168), daß über „fein 
von 1810 bis 1812 erjchtenenes, 1819 bis 1821 völlig umgearbeitetes” Haupt- 
werf und jeine Bedeutung „bier ein Urteil nicht verjucht werden könne.“ 
Die dürftige chronologische Notiz! umd wie ſchrieb einit Scherer doch? 
„ir fennen diefe öde Recenſentenphraſe“! 

Im Einzelnen wieder Oberflächlichfeit und Mangel an wahrer Kenntnis. 
Geiger Schreibt S. 170 nach einer älteren Ereuzer-Biographie, daß der Brief- 
wechjel zwiichen Karoline und Creuzer verbrannt worden ſei — und weil; 
nicht, daß diefe Angabe 1890 von Adolf Stoll öffentlich bevichtigt worden 
it; Creuzers Briefe find erhalten.) Weber den „Beginn der Befanntichaft“ 
it Geiger, wie oben bei Savigny, jo auch bei Ereuzer ſich nicht im Klaren; 
die Vermutung, Daub babe fie herbeigeführt, giebt ihm Gelegenheit, ein für 
uns ganz inhaltlofes Blatt (©. 171) abzudruden und ohne jede Wahrfchein- 
lichkeit an deifen Frau Sophie zu fnüpfen; wie aber, wenn mit der „Sophie“ 
des Briefes die Schwefter der Frau von Barfhaus, Sophie von Yeonhardi, 
vermählte Frau von Schmerfeld, gemeint iſt? an die beiden Sophie Brentano 
überhaupt nur zır denfen, ift ungereimt. Ueber die „Anknüpfung des Yiebes- 


1) Die Briefe find kürzlich an die Heidelbergiiche Bibliothek als an die Stätte, die Ereuzers 
Undenten pietätvoll pflegen werde, gekommen. Wie ich höre, hat Geiger, von anderer Seite auf 
jeine falſche Angabe hingewieſen, nachträglich in einer Nummer der Frankfurter Zeitung, die ic) 
nicht Fenne, eine Berichtigung negeben. 


277 


418 Geiger L., Karoline von Günderode und ihre Freunde, 


verhältniffes“ (©. 172) ſeien wir „durch unfre Quellen“ nicht unterrichtet 
— als ob dergleichen mit äußerlichem Material belegbar wäre! Und feine 
eignen „Quellen“ trübt fich Geiger noch dazu. Zwei, übrigens nichtsfagende, 
Blättchen der Lifette, die Ereuzer und die Günderode betreffen (S. 173), das 
eine datiert „Siefershaufen, 3. April“, follen beide aus dem Jahre 1804 fein; 
Geiger brauchte aber bloß Seite 46 feines Buches aufzufchlagen, um fich zu 
informieren, daß anfangs April 1804 Liſette unverheiratet in Frankfurt, 
und nicht bei ihrem Fünftigen Gatten in Sieershaufen, war; es iſt natürlich 
beim eriten 1805 zu befjern, während das zweite, das „gewiß Ipäter“ fein 
jol, wegen des noch bejtehenden Verkehrs mit Clemens und der Erwähnung 
der Gedichte notwendig in das Jahr 1804 gehört. Am 24. Februar 1806 
(©. 173) foll Lifette Nees Ereuzer ihren Danf für die von diefem erhaltene 
Ueberfegung der Fiametta von Sophie Brentano (Mereau) ausgedrücdt haben 
— und dabei Schloß Arnim erit im Juni 1806 den PVerlagsfontraft mit 
Reimer Arnim und Brentano ©. 182) und erjchten das Buch erſt längere 
Zeit nach dem Tode der Sophie Brentano! — ein pafiendes Seitenſtück 
zum „Ponce da Leon“! Geiger muß alfo das Datum des Briefes, der 
vielleicht gar nicht an Creuzer, ſondern an Clemens gerichtet war, falſch 
gelefen oder falich ergänzt haben. Bei einem anderen Briefe (©. 176) bemerkt 
Geiger nicht, daß die darın erwähnte Sophie die Frau Creuzers iſt. 
Die Kenntnis, daß Creuzers Frau Sophie hieß, iſt aber der Schlüffel zum 
Berjtändms der großen Darjtellung im Briefwechjel mit einem Kinde, wo 
Bettina (3. Auflage ©. 66) erzählt, wie Greuzer bei einem Beſuche in 
Marburg in ihrer Gegenwart ein Fleines Kind auf den Schoß nahm und 
3 fragte: „wie heist du?” — „„Sophie.““ — „Nun, du jollit, jo lange 
ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb mir einen Kuß!“ — und wie 
Bettina darauf zornig das Kind ihm fortgerifien habe. ES it dies die Art, 
wie Bettina — mit edlem Takt und edler Wahrheitsliebe zugleich — 
die Dinge berührte, die te nicht umgeben fonnte. Dergleichen jucht man 
in Geigers Buche natürlich vergebens. Was er ©. 191 über Bettinens 
Mitteilungen an Goethe aus einer Aneinanderfchtebung längft vor ihm 
bemerfter Notizen als „Reſultat“ erſchließt und behauptet, it falſch; ich 
babe gleichzeitige Berichte aus dem Brentanofchen Kreiſe an Goethe, die 
feiner Zeit öffentlich befannt werden jollen. Und nun der das ganze Werf 
frönende Schluß des Buches! Da druckt Geiger die allbefannte Erinnerung 
Arnims an die Günderode ab, und jagt dazu: „In feiner Gefchichte (I) 
„Iſabellas‘ fehilderte Arnim eine Nheinfahrt ꝛc.“ Die Stelle fteht aber gar 
nicht in der Iſabella, fondern am Schluß der Anekdote Melück Maria 
Blainville. Geigers faliche Angabe ft durch fortgeſetzte Verſchlechterung 
— der Zufaß „Geſchichte“ kommt allein auf feine Nechnung! — aus Moriz 
Earrieres Buch über „Achim von Arnim und die Romantik ꝛc.“ (1841, 
©. 42) geflofien; der Text bei Geiger ıft bis auf die Verfe, wie eine Ver— 


Litzmann B., Das deutiche Drama in den fit. Bewegungen der Gegenwart. 419 


aleichung lehrt, aus Schwartz (S. 190) entnommen. Geiger hat alfo weder 
das Driginal Arnims (1812, 223) noch den Neudruck in den Werfen 
(1, 237) überhaupt nur in der Hand gehabt. 

Das Buch Hat auch ein nicht gelungenes Portrait der Günderode: 
natürlich nach dem jehr ſchönen Titelbilde in Götz' Sammlung, was nirgends 
in dem Buche gefagt wird. 

Sch schließe mit einer Erklärung im eigner Angelegenheit. Geiger 
jagt ©. 130: „dar ihm von den Herausgebern des Arnimſchen Nachlafies 
troß böflichitev Anfragen jede Auskunft verweigert oder nur nach vorber- 
gehender Zenſur feines Manuſkripts im Aussicht geitellt worden fer.“ ch 
erkläre hiermit, daß ich den Wunsch nach „vorhergehender Zenfur feines 
Manuffripts“ weder in mir empfunden noch in gend einer Form ihm 
angedeutet over ausgeiprochen habe. 

Berlin. Weinhold Steig. 


— 
— 
ne. 
— 
— ⸗ 


Litzmann B., Das deutſche Drama im den literariſchen Bewegungen der 


Gegenwart. Vorleſungen, gehalten an der Univerſität Bonn. 
Hamburg und Leipzig, Leopold Voß, 189%. 4 M. 


Beim Erſcheinen diefes Werfes (im Frühjahr 1894) gab es unter 
den Schriftgelehrten ein allgemeines Schütteln des Kopfes. Der befannte 
Verfaſſer, dejien gelehrte und arimdliche Studien bis dahın dev Theater- 
und Piteraturgefchichte des vorigen Jahrhunderts zugewandt geivefen waren, 
hatte der literarischen Forſchung unvermutet ein Gebiet erjchlofien, deſſen 
öffentliche Beachtung in gelehrt-germamitischen Streifen durchaus verpönt 
ſchien. Wenn auch die Zeiten jener Yiteraturbiftorifer, welche unter Goethes 
Tod einen dien Strich machten und alles Nachgoethiſche aus ihrer Wiffen- 
ſchaft vornehm ausichloifen, ſchon längit vorüber waren, jo batte bis jett 
doch noch feiner daran gedacht, fünftlerifche Fragen und Probleme der 
Gegenwart zum Gegenjtand afademtjcher Vorlefungen zu machen. Und 
in der That, es war ein fühner Gedanfe des Verfaſſers, ein Experiment, 
deſſen Gelingen feineswegs gefichert erichten. Ein ungleich kühnerer Gedanke 
freilich war es, diefe urfprünglich für Studenten beſtimmten Vorleſungen 
drucken zu lafien und unverändert dem „auditorium maximum“ vorzulegen. 
Was dort vollauf genügte, konnte ſich bier leicht als nicht ausveichend er— 
werfen. Und obwohl der äußere Erfolg dem Verfaſſer Necht gegeben bat — 
e5 liegt längit die 2. Auflage vor —, hat diefes Schütteln des Kopfes unter 
den Kumdigen doch nicht ganz aufhören wollen. Wir werden ſpäter ſehen, 
in wie weit dasſelbe berechtigt fein mag. 

Indeſſen, die Bedeutung des Litzmannſchen Buches, das nichts weiter 
als anregen und Studenten und allen denen, „welche unabhängig von theo- 
retiſchen Schrullen, ernftlich bemüht find, fich zur Klärung und Berftändigung 


420 Litzmann B., Das deutsche Drama in den lit. Bewegungen der Gegenwart. 


iiber alte und neue Kunſtideale durchzuarbeiten“, ein Wegweiser fein will. 
liegt nicht darin, wie es geſchrieben wurde, ſondern darin, daß es gefchrieben 
wurde. Dieſes — ich möchte jagen fenilletonartige — Buch Fam wirklich 
einem Bedürfnis der breiten Maſſe der Gebildeten entgegen (in der Negel 
behaupten das nur die. Verleger) und allein deshalb jchon iſt es auch exrtitenz- 
berechtigt. Der Umstand ferner, daß es ein deutſcher Brofeffor ift, der hier 
mit vedlichem Bemühen und veinem Herzen ernitlich beitrebt tft, das Gold 
der vielgeſchmähten neueſten Literatur zu prüfen ımd echtes von unechten 
zur jcheiden, Fcheint mir der winnschenswerten Verbreitung des Buches nicht 
eben hinderlich gewelen zu fein. Im allgemeinen, kann man jagen, hat er 
ziemlich viel Gold gefunden. Dar er hinwiderum manchen Edelitein achtlos 
bei Seite warf, manchen andern gar nicht fand, kann man beflagen, aber 
verjtehen und entſchuldigen. Sein Urteil ſoll anregen, er will feine 
(ganz jubjeftive) Meinung jagen, nicht mit dogmatischer Intoleranz einen 
alleın jeligmachenden Glauben verfünden; ev weiß, daß er wren fann und 
irren wird. „Es iſt ſehr möglich, daß ich, von innerer Sympathie oder 
Antipathie geleitet, hier überichäte, dort unterichäße; die Tragweite eines 
literartichen Ereigniſſes zu hoch oder zu niedrig anſchlage“ (©. 3 }.). So 
fpricht mu ein Mann, der wohl freudigen Mut hat, aber der Grenzen und 
Schwierigfeiten ferner Aufgabe ſich durchaus bewußt iſt. So iſt es ein 
durchaus ſubjektives Buch geworden, aber es hat ein Mann gejchrieben, 
der lieben und haſſen kann, der den Mut feiner Meinung bat. Das bringt 
eine Friſche und Leichtigkeit in Darftellung und Sprache, die nicht ſelten 
— von dem begeistert behandelten Gegenſtand emporgehoben — eine kräftige 
dichteriſche Sinnlichkeit ausftrönt. Daß dem Verfaſſer dabei biswerlen ein 
ichtefes oder abgeſchmacktes Bild mit unterläuft, will ich ihm bei Dielen Vor— 
zügen gern zu Gute halten. Vereinzelte grammatifalifche Kühnheiten bat 
ev bei der 2. Auflage gewiß befeitigt. 

Ueber den Inhalt, dev — wenn nicht Durch eigne Lektüre — durch 
die zahlreichen Kritiken bekannt geworden tt, kann ich mich kürzer fallen. 
Die Einleitung giebt einen vaschen Ueberblick über die belanglofe Yiteratur 
des Jahrzehnts nach dem großen Kriege — Patriotiſche Lyrik, Heldenlied, 
Roman (Freitag, Ebers, Spielbagen), Drama Lindau, Hugo Lubliner, 
Moser, L'Arronge), bei welcher Gelegenheit auch das Fiasko verschiedener 
Preisausjchreiben und das traurige Schickſal, das über den Schillerpreis 
waltet, geitreift wird —, welcher der Verfaſſer nicht eben viel Rühmliches 
nachzufagen weit. Nichard Wagners Bedentung für das Muſikdrama wird 
kurz gewürdigt md im breiterer Ausführung Auftreten und Erfolg der 
„Meininger” gerühmt, deren Gaitipiele leider ſchon jett der Geſchichte 
angehören, wie Litzmann mit Necht beflagt. Die Parallele aber, die er in 
den Beftrebungen Richard Wagners und der Meininger fieht (©. 50 }.), halte 
ich Für geſucht und verfehlt. Der erſtere jtrebte doch noch etwas ganz 


Litzmann B., Das deutfche Drama in den lit. Bewegungen der Gegenwart. 421 


anderes an als eine „Zuſammenfaſſung aller fünftleviich zur Verfügung 
itehenden Mittel“. 

Die nächiten vierundfünfzig Seiten find Wildenbruch gewidmet, 
während Ibſen ſich mit ſechzehn begnügen muß. Schon hieraus erfennt 
man, wem der Verfaſſer den Kranz veicht — Wildenbruch iſt fein erflärter 
Liebling. Nach einer ausführlichen Betrachtung feiner Lyrik, die zwar nicht 
in ein Buch über das deutiche Drama gehört, aber nach den reichlich ab 
gedruckten Proben mit Necht von Litzmann Fehr bochgeitellt wird, werden in 
der 7. VBorlefung „Die Karolinger“, die auch ich ſchätze, in der 8. „Chriſtoph 
Marlow“, den ich nicht ſchätze, einer begeiſtert 613 in kleinſte Details ein— 
gehenden Analyfe unterworfen. Die „preußifchen Dramen“ (Menonit, 
Väter und Söhne) werden kürzer, aber mit derielben jubelnden Hingabe 
nachgezeichnet; die „brandenburgiichen Hiſtorien“ (Quitzows, Generalfeld- 
oberft, Der neue Herr) dagegen jelbit von Litzmann abgelehnt. Es kann 
nicht in meiner Abſicht liegen, dasjenige, was ich dent Verfaſſer an ferner 
Begeiiterung für den Freund verüble, hier herauszuftellen, indejjen, wenn 
man bis hierher (©. 113) gelefen bat, fragt man ſich verwundert: Wo 
bleibt denn Anzengruber? Es hieße denn doch den Beariff des „deutſchen“ 
Dramas zu eng und pedantıfch falten, wenn man ihn nur für die Werfe 
der innerhalb der geographiichen Grenzen des heutigen Deutfchland geborenen 
Dichter gelten laſſen wollte. Aber das will auch Litzmann nicht, denn fern 
Wildenbruch it ja in Beiruth geboren. Ein deuticher Dichter iſt vielmehr 
derjenige, der feine Werke im deutscher Sprache jchreibt. So kommt 
denn Anzengruber in Litzmanns Buch vom neuen deutjchen Drama gar 
nicht vor? Nein.... Bardon — es iſt ja ein „Alphabetiſches Namens— 
verzeichnis“ da... . Anzengruber ©. 28. Ich ſchlage diefe bemerfenswerte 
Stelle nach und fehe, dat Anzengruber einmal nut zwei andern Dichtern 
zugleich des Schillerpreifes für würdig erachtet wırvde. Bon feinen Dramen, 
die mindestens ebenſo „lebensfähig“ als diejenigen des Herrn von Wilden- 
bruch fich erwiefen haben und ihre Lebenskraft bis in eine ferne Zukunft 
jich bewahren werden, erfahre ich nichts. Das ift eine unbegreifliche Unter 
lafiungsfünde, die man dem Verfaſſer nicht verzeihen wird. 

Es folgt eine hiftorifche Betrachtung über literarische Nevolutionen 
und ſodann eins der beiten Capitel des ganzen Buches über die Bewegung 
der als international bezeichneten „Moderne“ — der Präger des Wortes, 
Hermann Bahr, hätte aber genannt werden müſſen —, in welchem 
Litzmann in feiner frifehen blühenden Sprache fiir die Berechtigung derfelben 
energifeh eintritt, fie al3 eine gelunde Neaftion auf den frauenhaften Ein 
fluß in der Literatur umd die ftilifierte Umwahrbeit der voraufgegangenen 
Epochen jchildernd. 

Um jo mehr enttäuschen die nächſten Ibſen, „dem großen und 
jtarten Talent“ (!), gewidmeten Seiten, Sch habe ſchon oben gejagt, daß 


422 Litzmann B., Das deutiche Drama in den lit. Bewegungen dev Gegenwart. 


man Ibſen auf 16 Seiten nicht gerecht werden fan, und obwohl er fein 
Deutscher, ſondern ein Ausländer tft, hätte er breit und wuchtig behandelt 
werden müſſen, denn ohne ihn iſt das neuere deutſche Drama undenkbar. 
Man mag über den vielumftrittenen Schluß der „Nora“ — zumal wenn man 
eine Frau-iſt — denken wie man will, man mag gegen den „Baumetfter 
Solneß“ das einwenden, was Litzmann einwendet, und noch mehr — 
aber daß er derjenige tft, dem unſere moderne Bühne die enticheidenditen 
und glücflichiten Anregungen verdankt, wird fein Einfichtiger in Abrede 
itellen wollen! Wir stehen auf Ibſens ausladenden Schultern, nicht auf 
den Schmächtigen Wildenbruchs, der auf die neueite, verbeigungsvolle Dramatik 
in Deutfehland in feiner Werfe Einfluß gewonnen bat, jondern vielmehr 
diefe auf fich hat rückwirken laſſen müſſen („Saubenlerche‘). Mit der An- 
erfennung feiner Bedentung, feines gewaltigen, aber „undentichen“ Einfluſſes 
allein iſt hier nichts gethan. Hier hätte entwidelt und zergliedert, hier die 
Unterftrömungen im bewegten, breitwogenden Strome unferer neuen Kunſt 
gezeigt werden mitfen. Die 54 Seiten, die Wildenbruch geopfert werden, 
hätten ihm gebührt, auch wenn man allenfalls mit dem Verfaſſer den Sat 
unterichreibt, daß (die auch von ihm ſonſt ſehr wertgeichätte) „Nora“ undeutſch 
und fein Bein von unferm Bein nnd fein Fleisch von unferm Fleisch ſei 
— was übrigens von der „ran vom Meere“ und „Hedda Gabler” in 
noch weit höheren Grade der Fall it. Sa, man kann mit dent Neferenten 
der Meinung Sein, das Ibhſens faſt beifptellofer Einfluß auf unſer Theater 
bereits ſeit einigen Nahren durch unfere eigene Dichtung ſtark zurückgedrängt 
jei, day wir fogar heute ſchon manches fünnen, was jener nordiſche Niefe 
nicht Fonnte und niemals fünnen wird — umfer Lehrer und Meifter iſt und 
bleibt er doch umd alles, was wir können, haben wir von ihm gelernt. 

Auch Gerhard Hauptmann, mut dem tech die beiden nächiten Bor 
leſungen beſchäftigen, Hat — das giebt auch Litzmann natürlich zu — „wie 
Alle, Ibſen feinen Tribut entrichtet“ in feinen zwei eriten Schaufpielen, die 
einer vortvefflichen, von klarem fachlichen Urteil diktierten Analyje unter- 
zogen werden. „Einſame Menschen“ bedeuten „einen weitern entjchtedenen 
Fortichritt“ des Diehters, „Die Weber“ „Scheinbar wieder einen Schritt 
rückwärts“, während der „College Crampton“ „neben den drei großen Dramen 
ernftlich nicht ins Gewicht Fällt“. Alles in allem: Hauptmann it ihm, 
wenn nicht der Mann der Zukunft, jo doch „Einer, der von jedem, der ſich 
mit der deutſchen Dichtung dev Gegenwart ernitlich beichäftigt, Beachtung 
und Neipeft beanspruchen darf“. (©. 192.) 

Ein letztes Capitel it noch Hermann Sudermann gewidmet. 
Auch ihm bringt der Verfafler ein großes ernſtes Intereſſe entgegen, auch 
ihm enthält er feinen Beifall nicht vor. Während er die „Ehre“ keineswegs 
für ein gutes Stück hält und in einer feinen Analyfe von „Sodoms Ende“ 
zu dem Ergebnis fommt, daß diefes Stück erſt für den zufünftigen Schreiber 


Bericht über neuere literarhiftorische Arbeiten in polniſcher Spradie. 423 


„der Sittengeichichte unferer Zeit“ eine gewichtige Rolle ſpielen werde, reicht 
er die Krone des Poeten doch erſt dem genialen Verfaffer der „Heimat“, 
der „das tiefe Problem, von allen Zufälligfeiten und Kleinigkeiten losgelöſt, 
in fo edler Fünftleriicher Form zu geitalten gewußt“ bat, dar fein Werf 
dadurch wirft, „wie ein großes Kunſtwerk wirken ſoll“. Ich ſtimme dem 
aus voller Seele bei. 

Ein etwas problematischer Ausblick auf die Zukunft unſerer Yıteratur, 
an Grottewiß’ ebenſo problematische „Enquéête“ anknüpfend, ſchließt das 
Werk ab. Ich ſage, ſchon zu breit geworden, nichts mehr darüber. Obwohl 
noch mancher treffende Gedanfe darin niedergelegt it, würde ich ihn gern 
vermiffen und dafür lieber ein paar weitere Dichter, 3. B. Fulda und 
Mar Halbe, noch mit „behandelt“ eben. 

Aber auch in der vorliegenden Öeftalt, wird man das Buch gern 
jelbft lefen wollen. Sein Wert, ich betone es nochmals, liegt nicht in feinen 
Urtetlen, die ihrer Natur nach auch nicht anders alS (mehr oder weniger) 
jubjeftiv fein können, Sondern m dem von reichem Erfolg gefrönten Streben, 
au eignem Nachdenken über de Probleme, die unſerer Zeit charakteriſtiſch 
find, anzuregen und anzuleiten. Und das weiß ich, feiner wird es aus der 
Hand legen, ohne tiefgebendite Anregungen empfangen zu haben, ohne wort- 
(08 beizuftimmen, obne lebhaft zu wiverfprechen. Das iſt denn doch für ein 
Buch diefer Art gewiß ein gutes Zeugnis, ein Beweis dafiir, daß es eine 
jelbftändige Seele hat, dan es lebt und wirft. Em Buch, das nicht zu 
philologtichen Arbeiten „benützt“, Sondern geleſen ſein will. Da babe ich 
ihm wohl ein großes Yob geipendet ? 

Weimar. 0 Herdinand Sertmäüller. 


Bericht über neuere literarbiftorifche Arbeiten 
in polnijcher Sprade. 





1. Sellenta C. Das allgemeinmenfchliche Jdeal in der gleichzeitigen Poeſie 
(Ideal wszeehludzki w poezyi spölezesnej). Band 1. Krakau, 
Sebethner & Comp. 1894. 

Saft gleichzeitig mit dem Werke Zdziechowsfis „Byron und je 
Zeitalter“, worin deſſen in Zeitjchriften zerſtreuten Aufſätze über Byron ver- 
einigt wurden, erſchien die vorliegende Arbeit Jellentas, die in ihren erſten 
Band denfelben Gegenstand, wenn auch von einem anderen Standpunkte 
behandelt. Diejen jtellt der Verfaſſer in der Borrede feit, indem er zugleich 
an Taine, Hennequin ablehnend Kritik übt. — Der Titel verbeiit jedoch 
mehr als die Arbeit wenigitens in ihrem erſten Bande leiſtet. Das allgemein- 
menschliche Ideal fucht der Verfaſſer nur bei jenen Dichtern, die nıit dem Ber 
mögen ausgeitattet find, den ganzen Kammer der Menichheit nachzuempfinden 
und Proteſt gegen deren Unterdrücder erheben. Das Herz diefer Dichter, 


424 Bericht über neuere literarhiſtoriſche Arbeiten in polnischer Sprache. 


die dont Verfaſſer Prometbeiiten genannt werden, kann als der Mittelpunkt 
der Menschheit gelten, da jte, wenn jte auch nur ihre eigenen Empfindungen 
auszufprechen fcheinen, doch al3 Anwälte der ganzen Menschheit auftreten. 
Als ſolche find fie gezwungen, einen unausgeſetzten Kampf gegen jene böſen 
Mächte zu führen, die ihren Sit in dev Menfchenbruft aufgefchlagen und 
all das berrichende Ungemach auf das Menſchengeſchlecht geitürzt haben. 
Wenn gleich die Syuren diefes Beſtrebens in der antiken Boefte nicht zu 
verfennen find, eigentlich geltend Fonnte es fich erit im 19. Jahrhundert 
machen, nachden der aufitrebende Individualismus feinen Öipfelpunft 
erreicht, der Kritizismus, der philoſophiſche Humanismus und die Genuß— 
ſucht dev breiteren Maſſen ſich bemächtigt hatten. Zu denjenigen Dichtern, 
die dieſem Streben durch ihre poetischen Werfe Ausdruck geben, zählt der 
Berfaffer Goethe, Byron, Shelley, Heine, Ackermann, Hamerling, Ibſen, 
Lipiner u. a. Er weist auf die allen gemeinſamen Figuren bin, auf die 
Hauft, Kan, Manfred, Abasverns, Mepbiitopheles, Lucifer, Merlin— 
Homunculus, die als Nepräfentanten der Menschheit aus einer Hand in 
die andere geben. Er weist auf ihr gemeinſames Lebensztel hin, das Böſe 
vor Aller Augen zu enthüllen, es bloszuftellen und zu befämpfen. Doc 
unterſcheidet er von diefer Nichtung jene Poeſie, die ev philoſophiſch nennt 
und deven Iräger er m Sully Prudhomme, Yeconte de Lisle, Swinburne, 
Vrchlicky, Carducci Steht, Ferner die Poeſie des Weltfchmerzes, Muſſet, 
Leopardi, Lenau, Paludan-Müller, Lermontow, Puſchkin, Malczewski, 
Slowacki. Als den charakteriſtiſchen Zug an den Prometheiſten hebt er 
ihren kecken herausfordernden Ton, ihren beißenden Spott und den Adler— 
flug ihrer Phantaſie hervor. Nach der Charakteriſtik dieſer poetiſchen 
Richtungen, in welchen ſich nach ſeiner Anſicht die Zukunftspoeſie bewegen 
wird, geht der Verfaſſer zur Analyſe einzelner Prometheiſten über. Anſtatt 
aber mit Goethe ihre Reihe zu eröffnen oder, was wohl beſſer geweſen 
wäre, mit Rouſſeau, macht er den Anfang mit Byron, den er als den 
Bahnbrecher dieſer Richtung betrachtet. Indem er ſein Charakterbild ent— 
wirft, ohne etwa neue Details beizubringen, ſucht er nachzuweiſen, unter 
welchen inneren und äußeren Einflüſſen ſich dieſer krankhafte Charakter 
entwickeln konnte. Wenn er auch ſeine Eitelkeit, Leidenſchaftlichkeit, ſeine 
NervenMeberreizung, ſein Affektieren von Kälte und Kraft nicht in Abrede 
ſtellt, ſo nimmt er ihn doch gegen die in England üblichen Beſchuldigungen 
und Verdächtigungen in Schutz. An ſeinen Werken weiſt er nach, wie all— 
mählich die prometheiſche Idee zur Geltung gelangte. Vom revolutionären 
Streben ausgehend, von dem Bewußtſein ſeiner Kraft getragen, fand 
Byron im himmelſtürmenden Titanismus ſein eigentliches Gebiet. Manfred 
iſt das erſte Werk, in dem dieſer zutage tritt. Aber auch dieſer aus Fauſtiſchen 
Elementen zuſammengeſetzte Held bildet nur eine Uebergangsſtufe zum Kain. 
Noch dämpft ſein Ich Intereſſen allgemeiner Natur, wenn ſie auch bereits 


Bericht über neuere Titerarhiftorifche Arbeiten in polniicher Sprache. 425 


in Don Juan, Beppo, Marino Falteri, Sardanapal und in feiner Ode an 
Napoleon jtärfer oder jchwächer betont werden. Zum eigentlichen Vor— 
fämpfer der Menschheit ſchwingt ſich Byron erit im Kain auf. In ihm 
offenbart dev Dichter die ganze Tragik des Menfchengeichlechtes, das, oft von 
erhabeniten Gedanfen getragen, fie in Schmuß und Stot des alltäglichen 
Lebens herabzerrt. Doch weit entfernt vom fonjequenten Peſſimismus gibt 
Kain fern ideales Streben troß feiner Martern und Qualen nicht auf. Er 
fämpft auf Leben und Tod mit jener Macht, der ſein Körper erliegt, fein 
Geiſt aber nicht gehorchen kann. Denfelben Kampf veranschaulicht auch 
Byrons Myſterium „Simmel und Erde”. Die von Byron angeitimmte Klage 
über den Jammer der Menichheit fand Widerhall nicht nur in der Poeſie 
fondern auch im Leben. Das allgemeinmenjchliche Ideal gieng vasch feiner 
Bollfommenheit entgegen, die es ın Shelley fand. Während Byron der 
landläufigen Schurkerei die Yarve vom Antlis vis, Tuchte dagegen Shelley 
die Meenjchheit gegen Ste zu ſchützen. Auch Shelleys Beftreben wurzelt 
tief in den revolutionären Strömungen feiner Zeit, wovon jene Beatrir 
Cenci, Laon und Cytne, der Aufruhr des Islams zeugen. Ar Shelleys 
Dichtungen und feinem Leben zeigt der Verfaſſer wie nach und nach fein 
apoftolisches Beitreben, die ganze Menſchheit zu umfaſſen und mut feinem 
Blute von allen Uebeln zu erlöfen, über ſein vevolutionäres die Oberhand 
gewinne. Dies tritt am klarſten in jenem befreiten Prometheus zutage. 
Hier führt ev uns im zwei Höllen ein. In einer windet fich die ganze 
Menfchheit vor Schmerzen, in der anderen der Erlöfer derfelben. In der 
eriten jehen wir alltägliche Schmerzen, in der letteren die ewige Jagd nad 
Idealen, den ımerfättlichen Durſt nach Willen und Erfenntnis. Mehr als 
diefe peinigen Prometheus aber die Bilder des künftigen Menſchenjammers. 
Allınählich verliert Sich die Boette Shelleys im Bantheismus. Der Dichter 
jelbjt befommt Seherkraft. Intereſſant fünnte der Vergleich Shelleys mut 
Schiller fein, den bier der Verfaſſer zwar verfucht aber nur ganz flüchtig 
behandelt. Er hebt die Aehnlichkeit der Schillerſchen Räuber mit Shelleys 
Aufruhr des Islams, des Wilhelm Tell mit Hellas, von Kabale und Liebe 
und Don Carlos mit Cenci und Roſalinde und Helene hervor. Die Itorfche 
Ethik in Schillers Nefignation ſcheint ihm an Shelleys Dde an die politische 
Größe und an den Tod, ebenfo die Briefe Julius und Raphaels an Julian 
und Maddalo von Shelley anzuflingen. Auch der Vergleich Shelleys mit 


Novalis und Kraſinski wurde nicht durchgeführt. So wie er daftebt, knüpft 


er ſich nur an Aeußerlichkeiten. Die beiden prometheiſchen Typen der mehr 
individuelle San und der evangeliiche Shelleys pflanzen Sich bis in die 
Gegenwart fort. Neben diefen unterſcheidet der Verfaſſer eine Dichterichar, 
die mit alltäglichem Streben Schwermut parte, wie Yamartine und Lenau. 
Gegen die Aufrichtigfeit ihres Zweifels erhebt er jedoch Bedenken. Die 
Stopfhängerer und das revolutionäre Stürmen ſtempeln noch feinen Dichter 


426 Bericht über nenere literarhiſtoriſche Arbeiten in polnischer Sprache. 


zum Prometheiden. Deshalb übergeht der Verfaſſer die iibrigen Dichter 
und Schriftiteller diefes Jahrhunderts, die diefe Züge unverkennbar an Sich 
tragen und entdeckt erit an Leopardi und an Louiſe Ackermann das Kains— 
zeichen des Prometheismus. Der ftete Begleiter Leopardis war fein 
Peſſimismus, der ihm jedoch jeden perfönlichen Schmerz in ein philoſophiſches 
Problem von allgememem Intereſſe verwandelte. Sem Peſſimismus ver 
zichtete auf jede Hoffnung. Dagegen gab der Peſſimismus Louiſe Acker— 
manns den Glauben an de gute Wendung des Menſchenloſes nicht voll- 
ſtändig auf. Auch ſie kämpft im Namen der hart bedrängten Menschheit, 
doch begt fie den Gedanken an das verlorene Glück als die koſtbarſte Reliquie 
und ſieht die Liebe als die einzige Duelle der Kraft und der Freude an. 
Mit Louiſe Acdermann it der Verfaſſer bei den Diehtern der Gegenwart 
angelangt. Doc die Analyie derjelben wird fir die folgenden Bände der 
Arbeit aufgefpart. 

Seine Arbeit jchlieft der Verfasfer mit dem Hinweiſe auf die Werfe 
der Borzeit wie die göttliche Komödie, das verlorene Paradies, den Meſſias, 
die auch die ganze Menſchheit zu ihrem Gegenftand gewählt haben. Dann 
wendet ev fich zu Goethe, ohne anderer Dichter, die auch ähnliche Be- 
jtrebungen an den Tag legten, gedacht zu haben. Als das einzige Gedicht 
Goethes, das die ganze Menſchheit zum Helden hat, nennt der Verfaſſer 
Fauſt, der ihm jedoch trot feinem Zweifel, troß feinen Klagen über die 
Schwäche, troß feiner Ueberfättigung feinen Idealismus nicht verleugnen 
kann. Deshalb erſcheint ihm Fauft veraltet, und ev ſtellt Manfred über 
ihn, inden er nachzuweiſen fucht, wie der beifende Spott, die alles zer- 
legende Analyfe des Mepbiitopheles mehr auf die Zeit eingewirft hat als 
Fauſt. Aus der Zufammtenitellung mit Byron aeht Goethe bei dem Ver— 
faſſer beftegt hervor. Bald wirft ev ibm feine Kälte und Steifheit vor, 
bald steht er in Fauſt nichts als einen gelehrten Grübler. Es iſt über- 
flüſſig, dieſe Vorwürfe zu widerlegen. Sie fennzeichnen nur den Stand- 
punft des Berfaflers, der, dom Peſſimismus angehaucht, nur in einer 
peſſimiſtiſchen Poeſie die Zukunft Sieht. Die Tendenz, fozial oder ethiſch 
an die Spitze jeder Dichtung geitellt, fol nach der Ansicht des Verfaſſers 
dem Werke erit Wert verleihen. Wenn auch die Bedeutung feiner Arbeit 
durch den dadurch von vornherem verrücten Standpunkt herabgejett erſcheint, 
wenn der Verfafier auch nichts weniger als glitclich feinen Ausgangspunft 
gewählt bat, jo enthält doch die Arbeit viele gelungene Stellen, die für die 
literariſchen Forichungen nicht ohne Intereſſe find. 


2, Spafowicz W. Schiller und Goethe im denfwürdigen Jahrzehnt ihrer 
Freundſchaft. (Schiller i Goethe w pamietnem dziesiecioleeiu 

ich przyjaäni. Kraj. 1894.) 
Die polnifche Wochenschrift Kraj bringt einen intereffanten Aufſatz 


Bericht über neuere literarhiſtoriſche Arbeiten in polnischer Sprade. 427 


über Schillers und Goethes Freundschaft aus der Feder des verjtorbenen Spa- 
fowicz, eines der berühmtesten Sachwalter und geweſenen Univerfitätsprofeflors 
in Petersburg. Der Wert der Arbeit beruht nicht jo ſehr auf der felbftändigen 
Unterfuchung als vielmehr auf einer geiftvollen Auffaſſung und Ausbeutung 
der Unterfuchungen. Der Urſprung der Arbeit iſt rein ſubjektiv. Der 
Anblid des Goetheſchen Haufes in Weimar ruft in dem Berfaffer die Er- 
innerung an Goethe hervor, der Anblid der Büſte Schillers ftellt das Bild 
Schillers Kar vor feine Augen. Das Berhältms beider Dichter fcheint 
ihm von Nitjchel falſch aufgefaßt worden zu fein, da Schiller gar nicht 
fo proteftionell von Goethe behandelt werden durfte, wie es der Künſtler 
zum Ausdruck gebracht hat. Davon zeugt zur Genüge die Gefchichte feiner 
Verbindung mit Goethe, die der Verfaffer mit der Schillerfchen Recenſion 
des Egmont beginnt. An der Hand des Briefwechjels beider Dichter wert 
der Verfaſſer nach, wie fie das Band der Freundichaft tros dem Unterjchted 
der Charaktere und der dichterifchen Begabung immer enger aneinander 
fnüpfte. Er verfolgt die beiden Dichter bei ihrer Arbeit, indem er uns 
die Entitehung der Gedankendichtung Schillers vorführt. Den Einfluß 
Kants auf Schiller hält er jedoch nicht für den mächtigiten, indem er auf 
die Abweichungen Schillers von der Lehre Kants hinweist. Schiller gebt 
mit Sant auseinander, indem er nach einer objektiven Schönheit Furcht, 
während ſie nach Kant nur jubjeftiv war, er verwirft die Einterlung Kants 
in reine und gemischte Schönheit, er beſtimmt die Schönheit als Freiheit 
in der Erfeheinung, welche Formel jedoch dem Verfaſſer zu einjeitig und zu 
eng erjcheint. Doch allmälich gelangt Schiller zur Uebereinitimmung mit 
Kant, indem er den Einflang der Neigung mit der Pflicht als das höchite 
Ideal des Schönen hinftellt. Die Vergleichung der Ergebniffe der äſthetiſchen 
Unterfuchungen Schillers mit Kant nimmt einen großen Naum in der 
Arbeit Spafowicz’ ein. Er weist die Unzulänglichkeitt der Schillerfchen 
Definitionen dem heutigen Stande der Philoſophie gegenüber nach. Ueber: 
haupt ſcheint ihm Schiller fich zu weit verftiegen zu haben, indem ev den 
Künſtler obenan in dem Menſchenleben ftellte. Die Aeithetif Schillers übte 
jedoch den nachhaltigften Einflug auf Goethes und Schillers Produktivität. 
Die damals entitandenen Werfe geht der Verfaſſer einzeln durch, indem ex 
vor allem ihre äfthetiichen Vorzüge und Mängel bervorhebt, da es Tich 
ihm nicht um die biographiichen Einzelheiten fondern um die äfthetiichen 
Ansichten beider Dichter handelt. Er bejchränft fich jedoch dabei nicht auf 
die Werfe felbit, fondern zieht dazır auch den Briefiwechjel beider Dichter 
vornehmlich zu Rate. An Wilhelm Meiſter ftellt ev den Zwieſpalt zwischen 
der poetischen Stimmung und der proſaiſchen Form aus, wodurch der 
Handlung die Kühnheit der Bewegung in dem Maße abgeht, als ihr auch 
die Nüchternheit der proſaiſchen Conception fehlt. An die Betrachtungen 
über Hermann ımd Dorothea reiht der Verfaffer feine Zufammenftellung 


428 Bericht über neuere Literarhiftorifche Arbeiten in polnischer Sprache. 


der Ansichten beider Dichter über das Wefen des Nomans und des Dramas 
an. Unter den übrigen Werfen Goethes aus diefer Zeit bezeichnet der 
Berfaffer die natürliche Tochter als den Uebergang aus der Haffiichen 
Richtung zur ſymboliſchen, inden die Verföhnung der feindlichen Elemente 
im ihr an Taines Origines de la France contemporaine anzuflingen 
jcheint. Bon den Werfen Goethes geht der Verfaſſer zur Betrachtung des 
Wallenftein über, an den er den Mapitab jowohl der Schillerfchen Ab- 
handlungen über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen 
und iiber das Pathetiſche als auch feiner Correfpondenz anlegt. Vorzüglich 
it die Charafteriftif Wallenfteins jelbft, die der Berfafler entwirft. Das 
Lager Scheint ihm nur dazu zu dienen, uns zu zeigen, wie ein folcher Held 
mit einer folchen Geißel dev Völker nichts Historisch Großes auszurichten ver- 
mochte. Er geht von Wallenitein zur Betrachtung der Maria Stuart über, 
die er kurz abfertigt. An der Jungfrau von Orleans betrachtet er als einen 
großen Fehler des Dichters, dag er von dem in der Necenfion des Egmont 
ausgeiprochenen Grundſatz, der Dichter dürfe nie einen biftorischen Helden 
herabfegen, abgewichen fei, da er den naiven Zug an Johanna ganz ab- 
geitreift habe. Auch Wilhelm Tell findet feine Gnade bei dem Verfaſſer, 
der ihn eher epifch bearbeitet wijjen möchte. Seine Bemerkungen über die 
übrigen poettichen Werfe Schillers Tchließt der Berfaffer mit der Betrachtung 
beider Dichter al3 Bürger eines „mikroſkopiſchen Staates“, indem er zugleich 
ihre Bühnenbearbeitungen nennt. — 


3. Zathey 9., Einige Bemerkungen über Goethes Leben (Kilka uwag 
nad Zyeciem Goethego). Programm der Dberrealichule in 

Strafau 189. z 
Der Berfaffer beichäftigt ſich feit längerer Zeit mit Studien über 
Goethe. Davon zeugen jene vecht hübſchen Ueberſetzungen Goetheſcher 
Gedichte im Przeglad Polski (XIII. Jahrgang ©. 393—439), davon zeugen 


auch die vorliegenden Bemerfungen über Goethes Yeben. Die Arbeit jchildert 


mit aller Wärme den Lebens und Bildungsgang Goethes, indem fie in 
dem allergrößten Künſtler einen der edelften Menschen überall zu zeigen 
beftrebt ift. Als die glüdlichiten Ereigniſſe in Goethes Leben hebt ex feine 
italienische Neife und die Freundschaft mit Schiller hervor. „Wenn der 
Dichter Sich in certis fortiter zu benehmen wußte jo benahm ev fich in 
dubiis sapienter.“ Der Verfaſſer beweist mit Beifpielen wie der Dichter 
ungeachtet dev Strenge feines Urteils in äſthetiſchen Dingen ſich immer 
nachlichtig gegen feine Freunde, mitleidig gegen die Leidenden erwieſen habe. 
Sein Verhältnis zum Fürften zeugt für die richtige Auffaſſung der Sreundichaft, 
da er Zartheit mit Aufrichtigkeit zu verbinden wußte. Was man bei Goethe 
als Kälte und Steifheit auslegt, hält der Verfaifer nur für die Zurüd- 
haltung eines Weltmannes, der ſich nicht jedermann in die Arme wirft. 


Nachträge und Berichtigumgen. 429 


Der Verfaffer vermag ihn jedoch vom Kleinmut in patriotifchen Angelegen- 
heiten nicht freizufprechen, wenn er auch feine Apathie eher als einen Haß 
gegen den Krieg gelten laſſen will. Die Leichtfertigfeit in den Herzens- 
angelegenbeiten jcheint ihm überhaupt von der Kälte und vom Egoismus 
des Dichters zu zeugen. Seine Betrachtungen ſchließt der Verfaffer mit 
einigen Bemerkungen über Goethes Menſchenkenntnis, über jeine Bedeutung 
fir die ganze Menfchheit. ES find Neflerionen, die zwar feinen Anspruch 
auf eine zufammenhängende Daritellung erheben fünnen, doch in jeder Zeile 
einen gereiften, für alles Zarte und Feine empfänglichen Manı verraten. — 
Drohobycz. * Witold Barewiecz. 


ANachträge und Berichtigungen. 


Zu Band 1, S. 229. Alfred Roſenbaum in Prag liefert zu Boltes 
Ausgabe des Mucedorus ©. 26 ff. folgende Nachträge: Nr. 5) The Ambitious 
Stepmother . . Rowe. — Die eiferſüchtige Stiefmutter .. (eiferfüchtig wohl 
Schreib- oder Druckfehler für ehrſüchtig.) Die Ueberſetzung iſt nach Meuſel, Ge— 
lehrtes Teutſchland 3, 104 von Fr. Traugott Haſe. — 8) ©. Lillos Werke, über— 
ſetzt von Johann Gottfried Gellius. Vgl. Goedeke?4, 213. — 30) Epieoene 
. . Ben Jonſon. — Die Ueberjetsung Erlangen 1781 ift von Chr. Hein. Schmid. 
Bol. Joerdens 4, 562. Meufel, Lexikon 12, 252. — 66) The Mourning 
Bride . . Congreve. — Nachzutragen: J. E. Schlegels Fragment, Werke 2 (1762), 
569 ff. — 74a) Oroonoko .. Southerne. — Die Ueberfegung Mannheim 1786 
ift von W. 9. dv. Dalberg. Vgl. Goedefe? 5, 367. Eine Bearbeitung nad 
Dalberg: Wien 1789 von Eifenthal (Meufel 2, 187 macht diefen zum Ver— 
fafjev der Mannheimer Ueberjegung) ebenda 336, 116. — 75) The Orphan. . 
Dtway. — Nachzutragen: (Gtfr. Konr. Böttger) Die Waife und das gerettete 
Venedig (fieh zu Nr. 103). Zwei Trauerjpiele aus dem Englischen des Otway. 
Langenjalza 1767. 8. Vgl. Meuſel, Lexikon 1,499. — 89) Sir Courtly Nice... 
Crowne. — Eine Ueberſetzung lieferte auch Chr. Hein. Schmid unter dem Titel: 
Sir Phantaft, oder Es kann nicht jein. Ein Luftipiel aus dem Englifchen des 
Sohn Crown. Bremen 1767. 8. VBgl. Fördens 4, 553. Meufel, Lerifon 12, 250. 
— 103) Venice Preserved .. Otway. — Nachzutragen: (Koh. Jak. Meno 
Balett) Das gerettete Venedig. Ein Trauerfpiel nach dem Englifchen des Otway. 
Baireuth 1794, 8 (fo Meufel, Gelehrtes Teutſchland, 8, 182; Engelmann, Bi- 
bliothef der ſchönen Wiffenfchaften S. 294: 1795). — Guido Jaffieri u. ſ. w. 
(der Titel ftimmt, von geringfügigen Abweichungen abgejehen, mit dem im 
Euphorion angeführten: Grätz 1797) Berlin 1795. 8. Engelmann a. a. O. 

Zu Band 2, ©. 148. In Bezug auf die Zufammenftellung von poln. skrzat 
umd ahd. scrat verweist W. Barewicz auf Grimms Mythologie 1 (1854), 447 f. 

Zu Band 2, ©. 162. Bon dem Negifter, in welchem Forfters Name 
fehlt, im entjcheidenden Augenblid des Suchens im Stich gelaffen, habe ich irr— 
tümlic behauptet, daß man Forfter in Kochs „Geſchichte der deutjchen Literatur“ 
nicht finde. Der Verfaſſer weiſt mich darauf hin, daß ©. 182 feines Buches 
zu leſen ift: „Durch die vier Bücher ‚über die Einfamteit‘, 1784, des. . . ſchweizeriſchen 
Arztes J. ©. Zimmermann, aus den ‚gejellihaftlihen‘ Schriften des als Opfer 
jeines Freiheitsglaubens in Paris 1794 endenden Weltumfeglers Georg Forjter 
geht ein Zug Rouſſeauſcher Kritit gegen das Alte.“ A. Sauer. 


Bibliographie, 


1. Zeitſchriften. 
Zeitſchrift für deutjches Altertum und deutfche Literatur Band 39 Heft 1/2. 

Uhl W., Musfatblüt. Weift einen Büchfenmaher Musfatblüt, der 
mit dem Dichter möglicherweife identifch ift, im den Aufzeihnungen Konrads 
von Weinsberg aus dem Jahre 1437 nad. Wahrſcheinlich ftand ev in Be- 
ziehung zu dem Erzbifchof Dietrih von Mainz (1434—1459). 

Anzeiger für deutjches Altertum und deutjche Literatur Band 21 Heft 1/2. 

Strauch Ph.: M. Herrmann, „Deutihe Schriften des Albrecht von 
Eyb“ und „Albrecht von Eyb umd die Frühzeit des deutfchen Humanismus“. 

Michels B.: Lateiniſche Literaturdenfmäler des XV. und XVI. Sahr- 
hunderts Heft 5—7. Aus diefer lehrreihen und ergiebigen Necenfion hebe ich 
befonders die „vier Hauptgattungen dDramatifcher Formen“ hervor, 
die ©. 95 unterfchieden werden. ©. 98: Der Gebrauch der Bezeihnung Silvae 
für Gedihtfammlungen. ©. 98 f.: Die Sage von der Erſchaffung der 
Roſen wird durch das 17. und 18. Jahrhundert bis zu Klopftod und Voß 
verfolgt. 

Köfter A.: Flohr, Gefhichte des Kunittelverfes; lobt das Buch in literar- 
biftorifcher Hinficht, findet eS aber in Bezug auf das Metrifche ungenügend. 
Die Geſchichte des Knittelverſes fer Feine einheitliche Entwicklung, ſondern zerlege 
fih in drei felbftändige Phaſen: 1. Hans Sachs und feine Tradition, die bis 
nach der Mitte des 17. Jahrhunderts reiht. 2. Eine Epifode, die weder mit 
Hans Sachs noch mit der jpäteren Goethejchen Produktion in urſächlichem Zu— 
jammenhang fteht: Canit und die ftrophifche Verwendung des Knittelverſes, 
die in der Literatur der komiſchen Nomanzen ausmündet. 3. Die gleichzeitig 
einhergehende Entwidlung, die an Hans Sachs anfnüpft und zu Goethe 
hinführt, bei dem fich übrigens zwei dem Wejen nach verjchiedene Traditionen 
nachweiſen liegen. 

Wanief G., Kraufe, Gottfhed und Flottwell. ©. 107 wird Die 
Frage nach dem Herausgeber des deutjhen Aeſop neuerdings aufgeworfen. 
©. 109 wird der Gegenjat zwiſchen Gottfhed und Joh. Georg Bod tiefer 
aufgefaßt als von Kraufe. S. 109f. wird der Nachweis geführt, das nicht der 
Birgilüberfeter Chriftopdp Schwarz aus Negensburg, fondern ein andrer 
Regensburger, nämlich Friedrih Melchior Grimm der Hauptverfaffer der letten 
Bartien des Critiſchen Almanachs und des Tintenfäfjls fei. 

Schüddekopf K., Hellinghaus, Briefe Friedrich Leopolds Stolberg an 
Voß und Keiper, Friedrich Leopold Stolbergs Jugendjahre. Mitteilungen aus 
Briefen Stolbergs an Ebert und Gleim, insbejondere ein ſchöner Brief an 
Ebert, Neuenburg, 20. Oftober 1786 über feine Reife nach Rußland. Nicolay. 
Klinger: über dejien neue Medea. Spalding. Nicolai. Elije von 
der Nede Mendelsjohn, FriedvrigHll. Engel. Hamann. Hippel, 
Lavater. Klopftod. Eim wichtiger Brief an Gleim Eutin, 13. Juli 1796 
über die Kajjandra-Ode. 


Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 431 


Harnad D.: Lorenz, Goethes politifche Lehrjahre. 

Pniower O.: Hehn, Ueber Goethes Herrmann ımd Dorothea. 

Sauer A.: Cichtenheld, Grillparzerftudien. ©. 131 Ueber den Charafter 
der Hero umd die Art ihres Todes. ©. 132 f. Analyfe der G. Heinrich unbe- 
kannt gebliebenen vomanhaften Bearbeitung des Bankfbanftoffes: „Qeithold. 
Ein Fragment, aus der Gejchichte fürftlicher Ye ao > Wien 1782.“ 

Harnad O.: Portig, Schiller. SKonftatiert, daß Portig feine abfällige 
Beurteilung G oeth es hauptfächlich dadurch ſtützt, daß er in dem befannten Brief 
an Schiller vom 1. Dezember 1797 das G. der eriten Ausgabe des Brief- 
wechjels, das ſchon die zweite richtig in Geßler aufgelöft hat, willkürlich auf 
Goethe deutet! 

Beitfchrift für deutſche Philologie Band 27 Heft 4. 

Damköhler E. und W. Creizenad, Zu den ron eruwa in dieſer 
geitfehrift 26, 30—58 und 430. — 1. dautaffe. — 2. Juelein. — 3. geckeln. 
— 4. „Die Ausdrüde robunten und robbinesspiel beziehen fich offenbar auf 
das beliebte Dfterjpiel in welhem Rubin, ein Knecht des Salbenfrämers, 
der Hauptvertreter des komiſchen Elementes ift. 

Pamel J., Boies ungedruckter Briefmwechjel mit Gleim (Fortjegung). 
— 7. Boie an  Sleim, Göttingen, 19. September 1770. Ueber den Amadis, 
über den Mufenalmanac auf 1771. Belanntihaft mit Herder. — 
8. Boie an Gleim, Göttingen, 5. November 1770.. Ueber den Almanad 
Gleims Beiträge dazu. Philaidilis. „Das Stüd an 9. ift allerliebit, 
und ih nehm es mit Bergnügen an. Seyn Sie fiher, daß den Berfaffer 
niemand erfährt; ich habe viele Namen darunter, die feiner weiß als ih. Ich 
weiß wohl, daß jetst Dies der einzige Weg ift, den DVerfaffer eines Stüds zu 
verbergen. Damit er noch ficherer verborgen bleibe, hab ich alle Stücke mit 
verfchiedenen Buchftaben bezeichnet.” Klotzens Necenfion des Almanadıs. 
Ueber „die trefflihe Nahahmung des Catullifhen Sperlings in den 
Neuen Zeitungen.” Klopftod. Boies Nomanze (Mufenalmanad 1771, 
©. 169—175). — 9. Boie an Gleim, Göttingen, 29. November 1770. Klok, 
— 10. Gleim an Boie, Halberftadt, 15. Sanuar 1771. Unvollftändig abgedrudt 
im Literariſchen Konverfationsblatt für 1821 Nr. 275 ©. 1100 und ergänzt bei 
Strodtmann, Briefe an Bürger 1, Nr. 9, hier wegen der von Strodtmann 
borgenommenen Aenderumngen wieder abgedruckt. — 11. Boie an Gleim, Göttingen, 
20. Januar 1771. Ueber Löwens und Käftners Beiträge zum Almanad). 
Ueber die Ausgabe von Gleims Werfen. — 12. Boie an Gleim, Göttingen, 
28. Januar 1771. Unvollftändig abgedrudt im Literarifchen Konverfationsblatt 
Nr. 278 ©. 1112 und ergänzt bei Strodtmann Nr. 11. In dem ergänzten 
Schluß wird ein Produkt J. G. Jacobis erwähnt. — 13. Boie an Gleim, Göt— 
tingen, 18. März 1771. Komverfationsblatt Nr. 287, Strodtmann Nr. 12. In 
einer bisher ungedruckten Stelle werden erwähnt: Klopſtocks kleine Schriften, 
Wielands Amadis, eine Recenſion von Wielands Grazien, Cramer, 
Ehlers, Herder, der neue a u.a. Ein Nachdrucker Hehtel. 
— 14. Boie an Sleim, Göttingen, 1. Mai 1771. Jacobi drängt Gleim zu 
einer Neife nach Göttingen. „Und — gleich die deutſchen Muſen hier noch 
keine Freyſtadt gefunden haben, ſo kann ich Sie doch verſichern, daß Sie hier 
viele warme Freunde und Verehrer haben.“ Lobt Thümmels Inoculation 
der Liebe. Ueber Klopſtocks Oden, die ſchleswigiſchen Literaturbriefe, 
den Hypochondriſten („vielleicht die priginalite Wochenschrift, die wir haben“). 
Sangerhaufen. Kloß. Legt feine Nahahmung des Bernardifden 
Gedichtes an die Roſe bei. — 15. Boie an Gleim, Göttingen, 26. Sep- 
-tember 1771. Ueber den Mufjenalmanah und Gleims Beiträge dazu. 


Euphorion II. 28 


432 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Michaelis,Kretſchmann, Gotter. Beilage: „Das Gewitter“, im Muſen— 
almanach auf 1773 ©. 225 mit wefentlichen Aenderungen erfchienen. — 16. Boie 
an Gleim, Göttingen, 8. November 1771. Ueber ein Gedicht von Denis und 
jonftige Beiträge zum Mufenalmanad. Ueber die Karſchin. Ein Epi- 
gramm Käſtners „An Bajedom“ mitgeteilt. — 17. Boie an Gleim, Göt- 
tingen, 16. November 1771. Ueber eine Sammlung von Gedichten der Karidin. 
„Der Enthufiasmus für fie ift verraucht, und fie hat vieles beigetragen, 
daß er verraucht ift. — 18. Boie an Gleim, Göttingen, 30. Dezember 1771. 
Karſchin. Ueber feinen und den geinsigen ren — 19. Boie au 
Gleim, Göttingen, 11. Oftober 1773. Plan einer Subfkription auf Gleims 
Werfe. Ueber die Subftription auf die Gelchrtenrepublid. Ueber die Wie- 
landiſche Recenfion des Muſenalmanachs im Merkur und die Epigramme gegen 
Wieland in der Hamburgifchen Zeitung. — 20. Boie an Gleim, Göttingen, 
4. September 1775. Ueber Halladat und andere Fleinere Gedichte Gleims. 
Ueber feine Gründe, warum er den Almanach aufgegeben. „Die jungen 
Dichter, Die hier der Zufall verſammlet hatte, find alle zerftreut. Sie werden 
nun in einem erweiterten Gefichtsfreife, unter verſchiedneren Menjchen ſich mehr 
ausbilden, allgemeiner in ihrem Tom werden.” Gerftenberg. Klopftod. 
Das befreite Ratenau von Blum. Borläufige Ankündigung des Deutſchen 
Muſeums. — 21. Boie an Gleim, Hannover, 10. Juli 1778. — 22. Boie 
an Gleim, Hannover, 22. Juni 1779. — 23. Bote an Gleim, Hannover, 
22, November 1779. Ueber die Gedichte der Grafen Storlberg. Ueber Stur- 
zens Tod. Hofft unter deffen Papieren noch Stoff zu einem zweiten Band Schriften 
zu finden. Ueber Bodmers Beiträge zum Muſeum. Sulzers Nachlaß. — 
24. Boie an Gleim, Hannover, 18. Januar 1780. Jacobi. — 25. Boie an 
Gleim, 26. Januar 1780. — 26. Boie an Gleim, Hannover, 21. Februar 1780. 
Ueber Käftners Streit mit Zimmermann Sulzers Nachlaß. Ueber 
Voß und deffen Odyffeeüberfetsung. — 27. Boie an Gleim, Hannover, 
22. Januar 1781. Ueber Weygand — 28. Boie an Gleim, Hannover, 
15. Februar 17851. Bodmer nimmt Anteil am der Opdpffeeüberfeßung. Ueber 
Voſſens Streit mit Nicolai. „Wie ift Friedrich für feine Vernach— 
(äffigung der deutſchen Mufen geftraft, daß er num jo mittelmäßigen Köpfen als 
Moriz öffentlich Beifall bezeugt.” — Nachtrag: Erdmann teilt mit, daß die in 
Kiel lebenden Nachfommen Boies vor einiger Zeit alle Briefe von literarifchem 
Werte der Kgl. Bibliothef in Berlin übergeben haben. 

Necenfionen Meier John: Spaniers Ausgabe von Murners 
Narrenbeſchwörung. Mit Nachträgen und Berichtigungen. Weift darauf 
hin, daß die Auszüge aus den Straßburger Natsprotofollen zu den Dichtungen 
Murners hübſche Jlluftrationen liefern. 


ur „für vergleichende Literaturgefchichte. Nene Folge Band 8 
Heft 1/2. 

Boyle R., Humor und Humore. Antike Kunft typifierend, moderne indibi- 
Sualiiieueno: Bedeutung des Humors für die allumfafjende Sympathie mit der 
Natur ©. Darſtellung des Eindringens des Komiſchen in die Weltliteratur 

S. 4f. — Marrenzeitalter“: Brant, Murner, Hans Sachs, Faſt— 
——— S. 5. Bedeutung des Wortes „Humor“ ©. 6. Englifche Humoriſten 
©. 7f. Sean Baul ©. 23. 

Noettefen H., Nohmals Pentheſilea. Polemifiert gegen Niejahr, Viertel 
jahrſchrift für Literaturgefchichte 6, 506 f. Der „Penthefilea” liegt nach Aoettefen 
ein älterer Plan, dem zufolge Venthefilea von Achill getötet wird, nicht zu 
Grunde. — Ueber Widerfprüche bei Kunftdichtern, mit hübſchen Beifpielen aus 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 433 


Kleift zc., ©. 37 Anmerkung; gegen die literarhiftorifche Ueberjpannung folder 
Widerfprühe ©. 41, Penthefilean und Thusnelda ©. 49 Anmerkung. 

Stern 2. Chr., Die oſſianiſchen Heldenlieder ©. 51f.: Macpherfons 
„gemeine Fälſchung“ und ihre Wirkung dargeftellt und erläutert; über die echte 
gäliſche Volkspoeſie ©. 71. 

Förfter R, Lejfings Anmerkungen zu den Fabeln des Aefop: 
Beröffentlihung eines wichtigen Fundes auf der Breslauer Univerfitätsbibliothek. 
Leſſing hat eine durch Fran Reiske abgefchriebene Handſchrift der Aefopiichen 
Fabeln mit philologifchen und gelegentlich auch äfthetifchen Anmerkungen verfehen, 
die in forgfältigem Abdruck wiedergegeben werden. Vgl. unten Rheiniſches Mufeum. 

Bahlmanın P., Des Petrus Tritonius Versus memoriales: Petrus 
Tritonius aus Briren, vgl. unten ©. 440; Danfverfe, gedrudt 1521. 

Wlislocki 9. v., Tſchuvaſchiſches zur vergleichenden Volfspoefie: eine 
Fuchsfabel, ein Kettenveim und ein Verwandlungsgediht aus Sibirien. 

Koh M., Eine Duelle zu Shakſperes Love’s Labour’s lost. 

Koh M., Zur Entitehungszeit zweier Jauftmonologe: „Wald und 
Höhle” jei, mindeftens teilmeije, 1783/84 entitanden „weil feine andere Zeit 
ung die Stimmung der erjten Monologhälfte, B. 3217 — 39, fo völlig als Goethes 
eigenfte Stimmung und Gemütslage erkennen läßt“ (S. 126); der Terzinen- 
monolog jei mit Henkel (in Schnorrs Archiv 8, 169) 1798 anzufeten, weil er 
die frifchen Eindrüde der dritten Schweizerreife abfpiegele (S. 129). Das Gleichnis 
vom Flammenübermaß wird mit einer Stelle Dantes verglichen (S. 130). 

Beſprechungen: Creizenach W., Ein rufftiches Werk über die Anfänge 
der humaniftifchen Literatur. Analyje eines Buches von Mi. Korelin 
über den ältern italienifchen Humanismus; es ſei „reih an neuen Mitteilungen 
und neuen Beobahtungen“. — Yandau M.: German Classies edited by 
C. A. Buchheim: Halms Grifeldis; ‘Parallelen nachgetragen, auch zu „Zwei 
Seelen und ein Gedanke“. — Leitzmann A: R. Fürft, A. G. Meißner ; 
Referat mit einigen Nachträgen und Berihtigungen. — Felkin R. W.: Büttner, 
Lieder und Gefchichten der Suaheli. 

Kurze Anzeigen: Parmentier J.: Bonafous, H. v. Kleift. — Bibliothef 
älterer deutſcher Ueberſetzungen. — Deutjche Literaturdentmale Heft 49—51. — 
Neudrucke deutjcher Literaturmwerfe Heft 125. — Hallifche Beröffentlihungen über 
Studentenſprache und Studentenlied. Nihard M. Meyer. 


Rheiniſches Muſeum für Philologie. Neue Folge Band 50 Heft 1. 
Förſter R., Leffing und Reisfes zu Aejop. ©. 67 Anmerkung zu 
der Abhandlung über „Romulus und Rimicius.“ Der Coder Sciaffianus 
hat den Namen von Samuel Schaf, deifen Begleiter Gudius war. — Der 
erjte Teil diefer Abhandlung dect fi) mit der Einleitung zur Beröffentlihung 
von Leifings Anmerkungen in der Heitjchrift für vergleichende Literaturgefchichte 
vgl. oben. Die zweite Abhandlung, bezieht fih auf die von Frau Reiske an— 
gefertigte Copie der Coberifchen Abjchrift der Vitae Aesopi. Er meift die 
Abſchrift der Neistia in der von Weftermann 1845 herausgegebenen Handſchrift 
der Breslauer Univerfitätsbibliothef, IV Qu. 44, das apographum Coberianum 
in dem Coder der Kgl. Bibliothek in Dresden Da 10 nach und führt den Beweis, 
daß dieſe Abfchrift nicht, wie Reiske, Leſſing und Spätere nad) dem Stieglitichen 
Auftionsfatalog meinten, aus einem Münchner Coder der Ploı Alsorov ftamme, 
den es nie gegeben hat, jondern direft aus dem Florentiner Coder (Badia Nr. 94). 
Zeitſchrift für den deutjchen Unterricht. 
Sahrgang 8 Heft 12. Won O., Rudolf Hildebrand F. 
Hildebrand R., Wache ftehn und dergl. (Unvollendet.) 


28* 


434 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Wolff E., Gottſched im Kampf um die Aufklärung (Schluß). 4. Die 
Geſellſchaft der Alethophilen. 

Haufenblas A., Der deutſche Unterricht an den preußifchen und an den 
öſterreichiſchen Gymnaſien. Bergleihende Darftellung nach den neuen preußifchen 
Lehrplänen und dem öfterreichiichen Inſtruktionen. 

Menges H., Zu den Volksrätſeln (Zeitihrift 7, 688). 

Hoferer M., Das ift eine andere Art von Krebfen. (Egmont, Lila.) 
Durch verwandte Sprihwörter erläutert. Die Redensart werde gebraucht, wenn 
eine Sache durch eine ganz andere erjetst wird. 

Eickhoff R., Notiz zu Schillers „Gang nah dem Eifenhammer“. 

Littig F., Zu Georg Steinhanfens VBornamenftudien. A. Bornamen bei 
Leſſing. — B. Eigennamen als Gattungsnamen. 

Sped E., Zu zaunen 7, 628. Ein Kinderlied. 

Kunge %., Zur Mumdartenfunde. 

Lyon: Borhardt-Wuftmann, Die jprihwörtlihen Redensarten. Kleine 
Ergänzungen. Wünfcht, daß bei einer neuen Durchſicht auch das Englifche in 
größerem Umfange herangezogen würde. 

Sahrgang 9 Heft 1. Won O., Nudolf Hildebrand. Nefrolog. 

Steinhaujfen G., Galant, Curiös und Politiſch. Drei Schlag- 
und Modeworte des Perrüden-Zeitalters. 

Evers M., Der deutjche Lefeftoff, vorzugsweife in den Oberklaffen höherer 
Schulen. 

Klee G., Kleinigkeiten zu Tieds Schriften. Die in Klees Ausgabe zum 
erjtenmal gedrudte Strophe „Dunkel ift die Zeit geftaltet“ erwies fich als die 
erfte Strophe einer nicht fertig gewordenen Glofje über Goethes „Wanpder- 
lied”; der Entwurf einer zweiten Strophe wird mitgeteilt; ebenſo ein ungedrudtes 
Gelegenheitsgediht wahrſcheinlich aus dem Jahre 1837. Kleine Ergänzungen 
und Berichtigungen zu feiner Ausgabe. 

Stehle B., VBornamenftudien. 

Heft 2. Hampe Th., Die Hans Sachs-Feier in Nürnberg. 

©. 4). Ein Brief Rudolf Hildebrands an einen feiner früheren 
Schüler auf St. Thomae 23. März 1879. Darin der Sat: „Das bloße 
Deutichtum dem leeren Heimatsgefühl gegenüber hat ebenjo gut etwas Ungeſundes 
und Unmwahres, als das bloße Weltbürgertum dem leeren Baterlandsgefühl 
gegenüber." Weitere Mitteilungen aus derjelben Korrefpondenz jollen folgen. 

Henſchke E, Martin Greifs „Hans Sachs“. 

Müller-Frauenftein G., Wilhelm Raabe ein echt deutjcher Dichter. 
Bortrag. 

Glöde O., Kinderreime aus Medlenburg. 


Zeitſchrift für deutſche Sprache Jahrgang 8 Heft 9. 

Sanders D., Aus Goethes Wahrheit und Dihtung. (9. Bud.) 
Mit einer Fülle überflüffiger Bemerkungen. 

Bertin R., Warum? Gegen einige jprachliche Eigentümlichkeiten der 
„Grenzboten“ gerichtet. 

J., Zu einem Auffate: „Unfere Fingerſprache von J. Gillhoff“. 

2. ©., Zur Shwäbifchen und öfterreichifchen Mumdart. 

Sanders D., Kapitel 4 des erften Abjchnittes aus dem im vorigen Heft 
©. 317 (mit dem Drudfehler „Mundarten“ ftatt „Mundunarten”) angezeigten 
Buche: „Schlecht Deutfch 2.” von A. Brunner (als Probe des Ganzen). — 
Die Weidmannsſprache muß rein deutjch fein. 

Schrader H., Komma. 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 435 


Sanders D., Zum wenigjten, wenigftens. — Dereinftig. — Spradliche 
Bemerkungen zu einem Aufſatze von 2. B. — Zu einem Aufſatze von Felix 
Dahn. — Zu einem Roman: Am Altar, von E Werner. — Johann 
Ohlerich. — Die Reife nach Freienwalde. — Die Gefhwifter von Bortopenere — 
Lilienlehre von Wilhelm Jordan. NR. Rojenbaum. 

Zeitſchrift Des allgemeinen deutſchen Sprachvereins Jahrgang 9. 

Kr. 7/8. Sahr %., Zum Gedächtnis Gottfried Auguft Bürgers. 

Nr. 10/11. Kluge F, Spradhreinheit und Spradreiniguug 
gefhichtlich betrachtet. Vortrag. 

Jahrbuch des Bereins für niederdeutiche Sprachforſchung Jahrgang 19. 

Walther Ch., Zur Gefchichte des Volksbuches vom Eulenspiegel. 
Eulenfpiegel3 Vorname. Eulenjpiegels Zuname. Die übrigen Perfonennamen. 
Die Ortsnamen. Die Sprade der Straßburger Ausgaben und die nieder- 
deutjchen Spuren darin. Mißverftändniffe der niederdeutfhen Vorlage. Wort- 
jpiele und Witzreden. Reimverſe. Die Lofalifierung der Hiftorien. Die Grab- 
ſchrift Ulenfpiegels. Die älteften Drude Walther nimmt mindeftens zwei 
niederdeutfhe DOriginalausgaben des Bolfsbuches an, beide vom Ver— 
faffer herrührend, eine von 1483 und eine nach 1490, wahrſcheinlich gegen Ende 
des Jahrhunderts. Diefer folgt bald ein miederdeutfcher Nahdrud 1500, nad 


welchem die Straßburger Ausgabe überjegt ift. — Verlangt Neudruce der 
bisher nicht reproduzierten Ausgaben des Bolfsbuches. — Ber Gelegenheit der 


Berfammlung des Niederdeutichen Sprachvereins zu Braunſchweig um Pfingften 
1892 verfuchte Walther in einem Bortrage den Braunfchweiger Harmen oder 
Herman Bote al8 wahrfcheinlichen Urheber des Volksbuches nachzumeifen, für 
den er zugleich den Kofer und verjchiedene hiſtoriſche Gedichte in Anſpruch nahm. 
Er will die Unterfuhung als Ganzes zum Drud zu bringen. 

Schröder E., Die mittelmiederländifhe Paraphraje des Hohenliedes. 

Bolte J., Warnung vor dem Würfelfpiel. Der Schluß eines in Köln 
während des 15. Jahrhunderts entjtandenen Gedichtes, das Die Verderblichkeit 
des Würfelſpiels jchildert, wird aus einer Darmftädter Handjchrift mitgeteilt und 
einige andere diefes Thema behandelnde Dichtungen zufammengeftellt. 

Sprenger R., Zu mittelmiederdeutfhen Ditern. — Zu Gerhard von 
Minden — Zu Konemann — Zur Marienflage — Zum Sünden 
fall. — Zu Balentin und Namelos. 

Damföhler E., Zu mittelniederdeutfchen Gedichten. Zu Botes Boek van 
veleme rade. Zu Gerhard von Minden. 

Hofmeifter A., Dev Berfaffer der jüngeren Glojfe zum Reinke Voß. 
Begründet feine in der deutſchen Piteraturzeitung 1892 Nr. 13 Sp. 435 —437 
ausgefprochene Anficht, daß Fohannes Freher der Aeltere, der erſte evangelische 
Superintendent von Stralfund, der Verfaffer der Roſtocker Gloffe jei. 

Adam K., Niederdeutihe Hohzeitsgedihte des 17. und 18. Jahr— 
hunderts aus Pommern. Aus der „Vitae Pomeranorum* genannten Sammlung 
der Greifswalder Univerfitäts-Bibliothef vgl. unten ©. 448. Berzeihnis von 
31 Gedichten. Drei davon werden abgedrudt. 

Graffunder P., Mittelniederdeutſche Margareten-Paſſion. 

Graffunder P., Zum Anſelmus. 

Bolte J., Ein Spottgedicht auf die Kölner Advokaten. Aus einer Darm— 
jtädter Handjchrift wird ein unvollftändiges Gedicht Dit is van den sall boeuen, 
das wahrjcheinlich dem Decennium 1460—1470 angehört, abgedruct; verwandte 
Gedichte in der Einleitung dazu beiprochen. 

Bolte J., Treinferorden. De XVIII egendöme der drenekers, Aus 
einem Liederdrude des 16, Jahrhunderts, 


4536 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Korrefpondensblatt des Vereins für niederdeutihe Sprachforſchung 

Sahrgang 1892 Heft 16. 1894. 

Nr. 1. Babude H., Pommerſcher Dialeft um die Mitte des 18. Jahr— 
hunderts. Sprachproben aus „Sophiens Reife“. 

Sprenger N., Niederdeutſch-lateiniſche Sprüche. 

Nr. 2. Glöde DO., Niederdeutiher Fluchpſalm. 

Glöde O. Schnellſprech-Vers aus Medlenburg. 

Peters J., Pekelmütz bei Yauremberg, Scherz.Gedichte 1,349. 

Wr. 3. Techen E., Niederdeutiher Flüchpſalm. 

Glöde D., D& Suchten breken. 

Glide O., Zur Sage vom Wode. 

Sprenger R., Zu Yaurembergs Scherzgedichten 2,369. 

Sprenger R., Zu Neinfe de Vos. 

Nr. 4. Milkau %., Noch einmal dies irae. 

Glöde D., Niederdeutfher Fluchpſalm. 

Lugge G., Die Bohne. Bemerkungen zu der von K. E. H. Krauſe ver- 
öffentlichten Unterfuhung über die Bohne. (Jahrbuch 16, 53). 

Nr. 5. Bremer O., Plattdeutſch in Halle. Ein Kinderlied. Dazu 
R. Sprenger in Ver. 6. 

Nr. 6. Sprenger R., Zu Gerhard v. Minden 102, 62. — Zu 
Reuters Läufchen un Nimels. 1. 

Sandvoß F., Niederdeutihe Sprüche. 

Dirkjen E., Meideriher Sprichwörter. 

Chronik des Wiener Goethe-Bereins Band 9. 

Ar. 1. Bauer F., Hans Sachſens Gejpred: „Die neun gab Muſe 
oder Kunſtgöttin betreffend“ und Goethes „Hans Sachſens poetiiche Sendung.“ 

Kr. 2. Schmerling und Goethe Auszüge aus Arneths Buch über 
Schmerling. 

Kellner L., Goethe in England. Aus einem Vortrage. 

Granichjtaedten E., Goethe und die Schaufpielerei. Aus einem VBortrage. 

Kr. 3. Singer 2, Das junge Deutſchland und Goethe. Bortrag. 

Schipper J., Die Abhandlungen der Goethe-Gefellfchaft zu Mancheſter, 
1886 - 1893. 

Anglia Band 17. Neue Folge Band 5 Heft 2. 

Aronftein Ph., Benjamin Disraelis Leben und dichterifche Werke. I. 

Kieſow K., Die verschiedenen Bearbeitungen der Novelle von der Herzogin 
von Amalfi des Bandello in den Literaturen des XVI. und XVII. Jahr— 
humderts. I, Die Novellenliteratur: 1. Die Faſſung des Bandello. — 2. Die 
Faſſung des Belleforeft. — 3. Die Fafjung des Simon Goulart. — 
4. Die Faſſung William Painters. — 5. Thomas Beard und fonftige 
Erwähnung unferes Stoffes bei englifhen Novelliften jener Zeit. — U. Die 
Dramenliteratur: 1. Zope de Begas comedia famosa del mayordomo de 
la duquesa de Amalfı. — 2. John Webfters duchess of Malfı. 

Andreae A., Zum Drama. Lily und Chaucer. — Frau von Bath. 


Zeitſchrift für die öfterreihiichen Gymnafien Jahrgang 45. 

Heft 11. Bauer F., Sieben Gedihte Goethes, nad ihrem Gedanken— 
gange erläutert. II. Ganymed. — Mignon. — Der König in Thule — 
Anden Mond. 

Walzel DO. F.: Steig, Goethe und die Brüder Grimm. Vermißt die 
Berwertung von Fr. Schlegels Anzeige der „Sammlung deutscher Volkslieder“ 
von der Hagens (neugedrudt in Kürſchners „Deutjcher Nationalliteratur” 143, 361). 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 437 


Heft 12. Weilen A. v.: Fürft, Auguft Gottlieb Meißner Weift in 
jeinev Lyrik Anklänge an Klopftod nad. Erwähnt ungedructe Briefe von 
Meigner in der Wiener Hofbibliothet an Schönfeld, an Reber, an Alringer, 
Prag 20. Oktober 1786 (Meber den Alcibiades). Eingehendere Würdigung 
des „Fohann von Shwaben“. 

Zeitſchrift für das Gymnafialwefen Jahrgang 49 Der neuen Folge 29. 
Jahrgang. Februar— März. 
Kanzow G., Literaturgefhichte oder Lektüre im deutſchen Unterricht ? 
Blätter für das Gymnafial-Schulmeien Band 37 Heft 1. 

Boll Fr., Briefe von Friedrih Aug. Wolf, Heinrih Luden umd 
Hriedrih Jacobs an Alvar Auguftin de Liagıo. Liagno (1782— 
1848) war Bibliothefav an der Kgl. Bibliothek in Berlin und in Beziehungen 
zu Sriedrih Wilhelm IV. als Kronprinzen. ©. 3. Auszüge aus Briefen 
des Kronprinzen an ihn. Zwei Briefe von Wolf, 4. und 11. Februar 1814. 
©. 6: Anmerkung 4, Polemik gegen Erich Schmidts Charakteriftif von Ludens 
Geſpräch mit Goethe über den Fauſt. Fünf Briefe von Luden aus dei 
Jahren 1817 und 1818 über Liagnos Beiträge zur Nemefis und deffen fonftige 
politiſche Schriftitellevei. Yuden vät ihm von einer Ueberfiedelung nad Jena 
ab. Der leßte Brief über feinen Konflift mit Koßebue. — Jacobs an Liagno, 
Gotha, 8. Februar 1819, über die Vorrede zu deffen Buch Repertoire porta- 
tif de l’'histoire et de la litterature des nations Espagnole et Portu- 
gaise (Berlin 1818.) 

Gymnaſium, Jahrgang 12 Nr. 24. 
Widmann, Zur Saderflärung von „Hermann und Dorothea.“ 
—— Zeitſchrift für Realſchulweſen. Neue Folge 2. Band. 
. Heft. 


Falch, Schulreform und Literatur. 

Schultheiß F. G., Julius Großes Bolkvamslied. 

Verhandlungen des Siebenbürgener Lehrertages S. 30—56. 

Schullerus A., Volkstum und volfstümliche Erziehung. 

Aeues Correlpondens- Blatt für die Gelehrten- und Realſchulen 
Wiünrttembergs. Jahrgang 1 Heft 11. 

Zum Andenken an C. W. Baur. 

Vädagogiſches Magazin. Abhandlungen vom Gebiete der Pädagogik 
und ihrer Hilfswiffenichaften. 

Heft 51. Flügel O., Die Neligionsphilojophie in der Schule Herbarts. 

Heft 92. Schulze O., Zur Behandlung deutjcher Gedichte. 

Lehrproben und Lehrgänge aus dev Praris dev Gymmafien md 
Realſchulen Heft 4. 
Minh W., Spradgefühl md Spradunterridt. 
Neue Iahrbiüicher für Philologie und Pädagogit. 

Band 150 Heft 10 und 11. Huther A., Die Pädagogik Herbarts 
umd die neuere Piychologie. 

Band 152 Heft 1. Gilbert W., Kritifche Erörterungen zu Goethes 
Fauſt. Diefe Erörterungen „haben zunächſt den eigentlichen Goetheftudien fern- 
ftehende Lejer im Auge, welchen daran gelegen fein dürfte, aus einer funzen und 
nüchternen Beleuchtung von Grundfragen nach einfachen Gefichtspunkten fich ein 
Urteil über den Grad der Einheitlichfeit des Goetheſchen Fauft.., 
zu bilden.“ 

Gemoll W., Friedrich der Große und Mark Aurel. 


438 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Monatshefte dev Comenius-Gefellichaft. Band 4 Heft 1/2. 

Keller L. Comenius und die Akademien der Naturphilofophen des 17. Jahr— 
hunderts. Erfter Teil. Ueber den Balmenorden. 

Roth F. W. E., Johann Heinrich Alfted (1585 — 1638). Sein Leben 
und feine Schriften. Mit einem Verzeichnis der von ihm verfaßten und heraus- 
gegebenen Schriften. 

Wolfan R., Die Literatur der letten fünfzig Jahre über die Gefchichte 
der böhmischen Brüder. 

©. 66 wird hevvorgehoben, daß die bisherigen Darftellingen des Lebens 
und der Anfichten des Thomafius die wichtigste Seite des Mannes, die 
veligiöfe viel zu jchr zurücktreten laſſen; es wird eine Unterfuchung über jeine 
Beziehungen zu 3. ©. Graevius verlangt. 

Comenins-Blätter für Vollserziehung. Mitteilungen der Comenius- 
Geſellſchaft. 3. Jahrgang 1895 Januar bis Februar. 

Hacdenberg A., Friedrih Wilhelm Dörpfeld zum Gedächtnis. Eines 
Schulmeifters Teftament. 

Katholiſche Schulzeitung für Norddeutihland Jahrgang 11 Nr. 47. 

Hilfenhaus, Ueber den Einfluß Ratkes und der Natihianer auf die 
Entwidlung der deutſchen Volksſchule. 

Der praktifche Schulmann Jahrgang 44 Heft 1. 

Richter A., Rudolf Hildebrand. 

Monntsfchrift für das Turnweſen Jahrgang 14 Heft 1. 

Waßmannsdorff K., Wilhelm Harniſchs Beurteilung von Jahns und 
und Eifelens „Die deutsche Turnkunſt, Berlin 1816.” 

Zeitſchrift für Philojophie und Pädagogik Jahrgang 1 Heft 6. 

Hochegger R., Ueber die Aufgabe des afademifchen Studiums, mit be= 
jonderer Rüdficht auf die Bedürfniffe und Forderungen der Gegenwart. 

Archiv für Gejchichte der Philofophie Band 8. Neue Folge Band 1 

Heft 2. 

Darth P., Zu Hegels und Marx Gefhichtsphilofophie. 

Philofophifche Ulonatshefte Band 30 Heft 9 und 10. 

Kleinenberg D., Das Syſtem der Künfte. Eine äfthetiiche Studie. 

Borländer K., Ethifher Rigorismus und fittlihe Schönheit. Mit be- 
jonderer Berüdfihtigung von Kant umd Schiller. 3. 

Namen- und Sachregifter zu Band 1—50. 

Vierteljahrsfchrift für wiſſenſchaftliche Philologie, Jahrgang 18, 
Hefte 3/4; Jahrgang 19, Heft 1. 
Marty A., Ueber fubjektlofe Sätze und das Berhältnis der Grammatik 
zu Logik und Piychologie (4., 5. und 6. Artikel). 
The Philossophical Review Band 3 Heft 6. 
Dyde S. W., Hegels conception of freedom. 
Abdickes E. German Kantian bibliography X. 
Revue de Metaphysique et de Morale Jahrgang 2 Heft 6. 
No&@l G., La logique de Hegel: La seience de l’essence (Suite). 
Theologiſcher Jahresbericht 13. Band, enthaltend die Literatur des 
Jahres 1895. 2.—4. Abteilung. 

2. Hiftorifche Theologie. Bearbeitet von Lüdemann, Krüger, Böhringer, 
Löſche, Werner, Kohlſchmidt und Furrer. 

3. Syſtematiſche Theologie. Bearbeitet von Baur, Mehlhorn und Marbach. 

4. Praktiſche Theologie und kirchliche Kunſt. Bearbeitet von Bleck, Wol— 
tersdorf, Kind, Dreyer, Haſenclever und Spitta, 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 439 


Kirchliche Monatsſchrift Jahrgang 14 Heft 2. 
Albertz E., Luther Fein deutſcher National-Heiliger, aber ein deutſcher 
Prophet. 
Heft 4 Schmidt, das Volks-Paſſionsſchauſpiel zu Höritz im ſüd— 
lichen Böhmen. 


Zeitfehrift für mwifjenjchaftlihe Theologie Jahrgang 38 Heft 1. 
Kiefer, Ueber Schleiermachers Neligionsbegriff. 
Menue Jahrbücher für deutihe Theologie Band 4 Heft 1. 
Lezius Fr., Der Verfaffer des pſeudocyprianiſchen Tractates de dupliei 
martyrio. Ein Beitrag zur Charafteriftif des Erasmus. 


Zeitfehrift für Kirchengeſchichte Band 15 Heft 3. 

Jacobi F., Das liebreihe Neligionsgefpräch zu Thorn 1645. Mit 
Benutung handſchriftlicher Quellen aus der Danziger Stadtbibliothef und dem 
Thorner Staatsarchive. J. Einberufung und Eröffnung. 

Haußleiter J., Vier Briefe aus der Reformationszeit. I. Urbanus 
Nhegius (18. April 1537) und Wolfgang Musculus (19. April 1537) 
an Luther Gie beziehen fich beide auf die ſchwere Krankheit, die Luther im 
Frühjahr 1537 in Schmaltalden durchzumachen hatte. Namentlich der Anfang 
des erſten Briefes vergegenwärtigt lebhaft Die Sorge der Freunde, jowie ihren 
freudigen Dank für die Wiedergenefung. Urbanus Rhegius fügt Bemerkungen 
hinzu über fein eigenes Befinden, über jene gegenwärtige Thätigteit und über 
eine im Druc befindliche Schrift, zu der er fich eine Vorrede Luthers erbittet. — 
II. Ratebergeran Kafpar Aquila, Superintendenten zu Saalfeld (Hiera- 
polis d. h. wohl Heiligenftadt in Thüringen, 26. April 1556). Wichtiger Brief 
über eine von ihm aus Luther über verfchiedene Fragen zufammengeftellte kurze 
Konfordanz mit Darlegung jeiner Abfichten. Der Brief beweist wie viel troß 
der Arbeiten von Neudeder, Oswald Schmidt ımd Brecher über Natzebergers 
literarifhe Thätigkeit noch zu erfor Io it. — III. Ein Empfehlungsbrief 
Melandhthons für Johannes olf aus Bergzabern. An den Pfalz- 
grafen Wolfgang von 3 — 25. November 1558. 

Otto F., Berichte über die Viſitationen der naſſauiſchen Kirchen des 
Mainzer Sprengels in den Jahren 1548—1550. 

Haupt H., Inquiſition, Aberglauben, Keter und Sekten des Mittelalters 
(einfchlieglih Wiedertäufer). Sehr reichhaltiger Literaturbericht. 


Theologiſche Studien und Kritiken. 

18594. Kolde, Zur Gefchichte der Ordination und Kirchenzucht. 16. Jahr: 
hundert. 

Müller N., Ueber Komad Wimpina. 

Buhwald, Jenaer Lutherfunde. 

Buchwald, Ein noch ungedruckter Brief Luthers an König Chriſtian III. 
bon Dänemark. 14. Januar 1546. Dank für Gejchenfe und Bericht über die 
Scidjale des Herzogs Heinrich von Braunſchweig. 

Burkhardt, Die ältefte Kirchen- und Schulvifitation im öftlichen Thü— 
ringen, 1527. 

Sander F., Friedrich Yüde und Ferdinand Chriftian Baur. 
Zwei Briefe von 1845 und 1846. 

1895 Heft 1. Rietſchel, Luthers Oxdinationsformular in feiner ur— 
ſprünglichen Geftalt. 

Straßburger theolonifche Studien Band 2 Heft 1. 

Sdralek M., Die Straßburger Diöceſanſynoden. 


440 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Römiſche Quartalſchrift für chriſtliche Altertumskunde und für Kirchen— 
geſchichte Band 8 

Heft 1/2. Eubel, Zum päpſtlichen Reſervations- und Proviſionsweſen. 

Pieper, Ein unedirtes Stück aus dem Tagebuch Burchards. 

Heft 3/4. Ehſes, Eine Denkſchrift aus dem Jahre 1530 über Berufung 
eines allgemeinen Concils. 

Studien und Mitteilungen aus dem Benedictiner- und dem Giftercienfer- 
Orden 1894 Jahrgang 15 Heft 4. 

Hammerle A. %., Ein Beitrag zur Gefchichte der ehemaligen Salzburger 
Benedictiner-Universfität. (Schluf.) 

Hafner O., Negeften zur Geichichte des ſchwäbiſchen Klofters Hirſau. 
(Fortfegung.) 1468—1501. 

Melhior, Frauen-Chiemſee. Ein Frauenkloſter nach der Negel des 
hl. Benedict. 

Wichner J., Der Admonter Plaſtiker Joſef Thaddäus Stammel. 
18. Jahrhundert. 

Der Katholik November, Dezember 1894. 3. Folge Band 10. 

Paulus, Mich. Helding, ein Prediger und Biſchof des 16. Jahrhunderts. 

Monatshefte für Muſik-Geſchichte 1895 Jahrgang 27 Nr. 2. 

Waldner Fr., Petrus Tritomnius und das ältefte gedructe katholifche 
Geſangbuch. Tritonius ftammte aus einem tirolifchen Geſchlechte Treibenreif, 
dürfte in Bozen oder Sterzing geboren fein, jtudierte in Padua, lehrte an der 
Domſchule in Brixen, ftand mit Celtes in Verbindung, gab mit diefem die 
Melopoeae oder vierftimmige Harmonie 1507 heraus; wirkte un Bozen, 1521 in 
Schwaz am Sun, überfette 1521 die Schrift „Bon dem Leben und Gelächter 
Democriti”, 1524 des Erasmus „Paraphrafis in das fünft capitel des 
Evangeli Mathäi“ und gab in demſelben Jahr das ältefte Katholische Geſangbuch 
heraus: „Hymmarius.... Gedrudt zu Sygmundsluſt [bei Schwaz] durch 
Joſephn Piernfcheder: in verlegung des Edlı vnnd Veſtn Görgen Stödhls“, 
deſſen Inhalt verzeichnet wird. Wo und wann er fein Leben befchloß, ift bis 
jetzt nicht bekannt. 

Beilage: Zwickauer Muſik-Katalog Bogen 22. 

Zeitſchrift für bildende Kunſt. Neue Folge. Jahrgang 6 Heft 1 und 2. 

Berlepſch H. E. v. Gottfried Keller als Maler. Echluß.) 


Centralblatt für Bibliotheksweſen. 

Jahrgang 11 Heft 12. Haebler K, Deutſche Buchdrucker in Spanien 
und Portugal. 

Jahrgang 12 Heft 1, 2, 3. Kautzſch R., Diebolt Lauber und feine 
Werkſtatt in Hagenau (15. Jahrhundert). Einleitung. Kapitel 1—4. 

Heft 1. Falk F., Das Accipies-Bild in den Wiegendruden. 

Heft 2/3. Schmidt Adolf, Ein Sammelband deutiher Lieder aus 
den Jahre 1529 in der Großherzoglichen Hofbibliothef zu Darmftadt. Be— 
jchreibung der don Wadernagel benutzten Handjchrift und Abdrud der noch 
nicht oder nur im abweichenden Faffungen befannten Lieder. 

Boullieme E., Zur Gefhihte des Trier-Metzer Buhdruds. Nad- 
träge zu Gentralblatt 1857 ©. 241 ff. 

Yauchert F., Zur Cohläus-Bibliographie. Weift eine lateinifche Ueber— 
jetsung (1525) und eine unbekannte deutfche Ausgabe (1526) der Gegenſchrift 
des Cochläus gegen Yuthers Schrift gegen die Bauern nad). 


Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 441 


Beihefte XIV. Reichhart G., Beiträge zur Incunabelnkunde. I. 1. Alpha— 
betifch geordnetes Verzeichnis der Gorreftoren der Buchdrudereien des 15. Jahr— 
hunderts. 2. Topographiſch-chronologiſch geordnetes Berzeichnis der Drudorte 
des 15. Jahrhunderts, mit Angabe der in den einzelnen Jahren vorkommenden 
Buchdruder, Buchhändler und Koftenträger der Incunabeln. 


Nachrichten aus dem Buchhandel. 

1894 Nr. 60. E., Ruffells Geſamtverlags-Katalog des deutſchen 
Buchhandels. Unter dem Titel: „Gejamtverlags-Ratalog des deutichen Buch— 
handels und des mit ihm im direkten Verkehr ftehenden Auslandes“ erjcheint 
bei Adolph Nufjell in Meünfter jeit dem Jahre 1881 ein bibliographiiches Wert 
in 16 vejp. 28 Bänden, das vor wenigen Wochen vollftändig wurde. Es hat 
den Zwed, die Verlagsfataloge der einzelnen Firmen zu erſetzen. Abdruc des 
Vorwortes, das über die geleiftete Aiefenarbeit genaue Auskunft giebt. 

Nr. 68. Braun J., Die Hans Sachs-Ausſtellungen in Nürnberg 
und München. 

Nr. 71. Schriften von Aurelie (Sophie Gräfin Wolf Baudiſſin, 
geb. Kaskel) 7 im Dresden, Dezember 1894. 

1895 Nr. 20. Im Buchhandel erjchienene Werke und Schriften von 
Dr. Mori Carrierre, ord. Profeffor für Aefthetif an der Univerfität München, 
geboren am 5. März 1817 zu Griedel im Großherzogtum Heffen, geftorben am 
19. Januar 1895 in München. 

Nr. 31/32. Schlotfe DO., Yüneburger Illuſtrierte Bibeln. 

Nr. 42. Werke und Schriften von F Dr. Carl Heinrich Ked, 
Symnafialdireftor in Kiel, geboren 20. März 1824 in Schleswig, geftorben 
Februar 1895 in Kiel. 


Briiinaifier gelehrte Anzeigen. 

1894 Nr. 11. Seuffert B.: Reicke, Zu Gottſcheds Lehrjahren 
auf der Königsberger Umiverjität. DBeutet das von Neide zuſammen— 
gebrachte Material insbejondere in Bezug auf Pietſch aus, deffen Poëſtik an 
der Hand zweier Differtationen aus dem Jahre 1718 analyfirt und auf ihre 
Selbftändigfeit oder Abhängigkeit hin geprüft wird. Seuffert findet diefe Dis— 
putationen in manchem Betracht bedeutender als umfänglichere Poetifen vor und 
nah Pietſchs Zeit. Weiterhin wird deffen Einfluß auf Gotticheds Poetik unter— 
jucht. Es ergiebt fih, daß Gottfched Anfichten vorträgt, die auch fein Lehrer 
Pietjch vorgetragen hatte, daß er die wichtige Lehre von der Naturnachahmung 
erſt recht ausgebeutet hat, in der Frage des Zieles der Poeſie hinter feinen Pehrer 
wieder zurückgegangen ift. 

Kamerau W.: Wenzel Linds Werke, hevausgegeben von Reindell. 
Mit Berichtigungen. 

1895 Nr. 1. Seuffert B.: Ehrmanı, Die bardiſche Lyrif im adıt- 
zehnten Jahrhundert. Skizziert die in dem Buche fehlende Vorgeſchichte des 
neuen Bardentums, verlangt die Darftelung der Entwidlung der Barden- 
poefie an der Hand des hronologich geordneten Materials ſowie Beachtung dev 
örtlichen Berfchiedenheit, geht den Urfachen, am denen die Bardenlyrik gefcheitert 
ift, genauer al3 Ehrmann nad und veröffentlicht einen für den Merkur be 
ftimmten ungedrudt gebliebenen Aufjas von Merd, eine Nevifion feiner 
eigenen Recenſion der Klopftodifhen Odenfammlung von 1771 in 
den Frankfurter gelehrten Anzeigen. 

Anzeiger der Akademie der Wiſſenſchaften in Krakau 1895 Nr. 1. 
Fezienicki M., Bericht über die mit der Signatur IV. F 36 verſehene 
Handſchrift der Königlichen und Univerfitätsbibliothef in Breslau vom Jahre 1515, 


442 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


und die darin enthaltenen Schriften. Enthält unbefannte lateinische Dichtungen 
von polnischen, ſchleſiſchen, deutſchen umd italienischen Humaniften. 
Berichte des Freien Deutfchen Hochftiftes zu Frankfurt a. M. Neue 
Folge. Band 11. Jahrgang 1895 Heft 1. 

Balentin B., Die Schnorr-Ausftellung des Freien Deutichen Hoch— 
jtiftes. Vortrag. 

Goeße E., Zur Feier von Goethes Geburtstag. Goethe und Haus 
Sachs. Bortrag. Ergänzt die bisherigen Unterfuchungen in wertvoller Weiſe 
bejonders dadurd, daß er nachweift, wie Goethe Hans Sachſiſche Wörter nach- 
geahmt umd im die ihm genehme Form umgegoffen hat. 

Junker H., Das von Seefat 1762 gemalte Goethefamilienbildnis. 
Mit einer Reproduktion des Bildes im Heliogravure. Erzählt die Gejchichte 
des Bildnifjes, jtellt alle bisherigen Meinungen darüber zufammen und weift 
deſſen Echtheit nad). 

Knörk, F., Die Neihsjturmfahne. 

Mitteilungen der £. £. Central-Kommiſſion zur Erforihung und Erhaltung 
der Kunſt- und hiftoriichen Denfmale. Band 20 Heft 4. 

Pirdmayer F., Hans Conrad Aſper, Bildhauer und Baumeifter. II. 

Mädl, 8. B., Das Grabmal des heiligen Johannes von Nepomuk in 
Prag (Schluß). 


Mitteilungen der dritten (Archiv-) Sektion der k. k. Central-Commiſſion 
zur Erforfhung und Erhaltung der Kunſt- und hiftorifchen Denkmale. 
Band 2. 

Helfert 3. A. Freiherr v., Staatlihes Archivweſen. 1. Allgemeine 
Organiſation. — 2. Archiv-Beſtände. Aufbewahrung. Sicherheit. — 3. Archiv— 
Beamte. — 4. Archiv-Technik. — 5. Zufammenhang und innerer Verband der 
Arhive. — 6. Archiv-Dienft. Benützung und Verwertung der Archivbeftände. 
— 7. Wiffenfchaftlihe Forihung oder Einfichtnahme für andere Zwecke. — 
8. Beröffentlihungen. -— 9. Scartierumng. Der Aufſatz beruht auf Berichten 
über alle europäischen Archive außerhalb Oeſterreichs. 

Mages U. Freiherr v., Bericht über die Anlegung eines hiſtoriſchen 
Gerihts- Archivs für Deutfh- Tyrol im neuen Gerichtsgebäude im 
Innsbruck. Das Archiv befteht gegenwärtig aus mehr als 3000 Bänden, 
einer großen Anzahl Aktenfascikel und einigen Hundert Pergamenturfunden und 
enthält zum größten Teil bisher undurchforſchtes Material. Die veichfte Aus— 
beute und eine Der intereffanteften bot das Bezirksgeriht Sterzing, aus 
welchem in das hiftorifche Archiv aufgenommen wurden: „Sl Bände Berfach- 
bücher aus dem 16. Jahrhundert, beginnend mit dem Jahre 1518; 17 Bände 
Kundſchaftsbücher aus den Jahren 1526—1595, Zeugenausjagen und Erhebungen 
über Kriminal- und Civilfachen enthaltend, ımter andern über den Bauern— 
aufftand, über den Bauernführer Gaismeir und deffen Scharen, über den 
Knappenaufftand, über Sektenweſen, über Heren- und Zauberer- 
Prozeſſe 2c.; 29 Bände Gerichtsbücher, Civil- und Strafurteile aus dieſer Zeit, 
allerlei für die Kultur- und Sittengefchichte intereffante Nachrichten enthaltend.“ 

Schram W., Berichte über das in den Archiven der Stadt Brünn be 
findliche kunſthiſtoriſche Quellen-Material. Enthält auch einige bibliographiiche 
und literariſche Notizen. 

Wuffin, Auszug aus einem der f. k. Centralkommiſſion exftatteten Berichte 
über die Archive von Garften und Gleinf Hervorzuheben wichtiges Material 
für die Gefchichte der Stadt Steyr; eine Partie Originalbriefe aus dem 
Jahre 1626, welche für die Gefchichte des üfterreihifchen Bauernfrieges von 





EEE TE 


Bibliographie. 1. Zeitichriften. 443 


hohem Intereſſe find, das Reformations-Libell des Stiftes Garjten vom 
Fahre 1640 u. a. 

Schram W., Eigenhändige Lebensnachrichten des mähriſchen Malers 
Johann Chriſtoph Handke (1694 — 1772). 

Mayı M., Das k.k. EN ehe Archiv zu Junsbrud. 1. Ueber- 
blick und Vorgeichichte. — 2. Ertradierumgen nad) Alien, Freiburg, Straßburg, 
Münden und fonftige Berlufte, — 3. Der gegenwärtige Beftand. Unter den 
Akten: Nr. LVII Runftfachen des 15.—17. Jahrhunderts; Nr. LVIII Theater- 
Akten. Sie beziehen fih auf das ade Hof- und National 
theater. — 4. Bau, Einrihtung, Ordnung, Benützung, Perſonale und Be- 
dürfniffe des Archivs. — Zuwachs von Ardhivalien 1877—1893. 

Lechner K., Die fürfterzbifhöflihe Bibliothek zu Kremfier. . 
©. 227 Berzeihnis der Handiehriften. Darunter ältere Schulbefte Nr. 35 
und 36 zwei Werfe der Caroline Pichler: „Ferdinand II“ und „Die 
Berggeifter”. 

Die Einrihtung eines Archives bei der k. k. Statthalterei in 
Nieder-Defterreih. Im Anhang die Berichte über den archivalifchen Befit 
der einzelnen Bezirkshauptmannſchaften Niederöfterreichs. 

Helfert J. U. Freiherr v., Aktion des Herrenhaufes der im Neichsrate 
vertretenen Königreiche und Länder in Angelegenheit des jtaatlichen Archivweſens. 
©. 295 f. werden Grillparzers Berdienfte um das Archiowefen in Oefterreich 
hervorgehoben. 

Mell A., Das Landgericht Limberg in Steiermark und deſſen karto— 
graphiſche Darftellung aus dem Jahre 1577. 

Rechenſchafts-Bericht der Geſellſchaft zur Förderung deutſcher Wiffen- 
ſchaft, Kunſt und Literatur in Böhmen 1894. 

S. 8. Die Sammlung der volkstümlichen Ueberlieferungen in 
Deutfhböhmen wird unter Aufficht einer Kommiffion, bejtehend aus den 
Herren 3. V. Grohmann, 3. Lippert, ©. Laube, J. Neuwirth und A. Sauer, 
im me der Gejellihaft von A. Hauffer durchgeführt. 

©. 12. A. Benedict hat die Bergleihung der älteren Bibeldrude mit 
der Wenzelsbibel durchgeführt und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die 
Ueberjegung der Wenzelsbibel eine beſſere und gewandtere jei als die des erften 
Bibeldrudes. 
Mitteilung Wr. III der Gejellihaft zur Förderung deutjcher Wiffenfchaft, 
Kunft und Literatur in Böhmen. 

Hauffen A., Bericht über den bisherigen Fortgang feiner im Auftrag der 
Gejellihaft unternommenen Sammlung der volfstümlichen Ueberlicfe- 
rungen in Deutih- Böhmen. (Januar 189.) ©. 2: Mitteilung zweier 
Seefagen. 

73. Menjahrsbiatt. Herausgegeben von der Gejellichaft zur Beförde- 
rung des Guten und Gemeinnützigen. 1895. 

Fäh %, Johann Rudolf Wettſtein. Eim Zeit und Lebensbild. 

Zur Sätularerinnerung. 2. Teil. 


Zeitſchrift des Bereins für Volkskunde Jahrgang 5 Heft 1. 

Bartels M., — Krankheits-Beſchwörungen. Bringt auch zahlreiche 
deutſche Zauberiprüde, die zur Zeit no umlaufen. — Zum Märden 
bon Rumpelftilsden ©. 31. 

Hartmann M., Schwänfe und Schnurren im islamifchen Orient. Zur 
Fabel vom Milchmädchen ©. 42, ©. 66; zu Grimmſchen Märden, 


444 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


S. 49 Anmerkung 4); zum Urteil des Schemjafa ©. 51, Anmerfung 3), 1); 
zum Märchenkreis vom Bürle (vom großen und fleinen Klaus) ©. 59 An- 
merfung 1). 

Schell O., Abzählreime aus dem Bergifchen. 

Amalfi G., Zwei orientalifhe Epifoden in Voltaires Zadig. 

Rehſener Marie, Die Weber-Zenfe, eine Tiroler Dorffigur nach dem Leben. 
Mitteilungen aus Leben und Charakter einer alten Zirolerin. — Erinnerung 
an tiroliſche Paſſionsſpiele ©. 82; eine Legende vom Kronprinzen 
Rudolf ©. W. 

Lehmann-Filhes M., Einige Beispiele von Heren- und Aderglauben 
aus der Gegend von Arnftadt und Ilmenau. 

Kleine Mitteilungen Zur Bolfsfunde Islands ©. 98 f. Ber 
fleidete Götterbilder ©. 100. Die Fungfer im Bade (Benennung eines Knochens 
am Schweinebraten) ©. 101. Die Hillebille ©. 103. Kinderlied vom Herrn 
von Ninive;z Lied vom Pater Guardian ©. 106. Löſen des BZungenbandes 
©. 107. 

Büchheranzeigen: Natel, Bölferfunde. — Schneller, Beiträge zur Orts- 
namenfunde Tirols. — Werke zur Sagen- und Liederfunde; darımter Erf- 
Böhme Deutfcher Liederhort, von K. Weinhold beſprochen. 

Aus den Situngsprotofollen des Vereins ©. 118: Berlinifche Legenden. 
Totenbretter. 

Zugabe ©. 119: Zur ſüddeutſchen Namensfunde Steirifhe und Salz— 
burger Familiennamen aus dem 13. und 14. Jahrhundert. R. M. Meyer. 

Am Ar-Quell. Monatihrift für Volkkunde. 

Band 5 Heft 12; Band 6 Heft 1. Poft A. H., Mitteilungen aus dem 
Bremifhen Volfleben. 

Haas A., Das Kind in Glaube und Brauch der Pommern. 

Band 5 Heft 12. Feilberg 9. %., Wie fih BVBolfmärchen verbreiten. 

Goldberger Ph., Die wilde Braut. 

Boije of Gennäs C. O., Bienenzauber und Bienenzudt. 

Das Ausbuttern. 

Ofterding R., Zur Kyffhäuſerſage von Kaifer Friedrich. 

Der Mann im Monde. 

Woher fommen die Kinder. 

Band 6 Heft 1. Sartori P., Zählen, Meffen, Wägen. 

Haafe 8. E., Die Wetterpropheten der Grafjchaft Ruppin und Umgegend. 

Zeitſchrift für Rulturgefchichte. Neue (3.) Folge. Band 2 Heft 2 umd 3. 

Nieder O., Totenbretter im bayerifhen Walde (Schluß). Prädikate 
auf den Totenbrettern ©. 98. Volkstümliche Darftellungen des Todes ©. 101. 
Die Toten-Reime ©. 105 f. 

Meyer R. M., Die Anfänge der deutfhen Bolfsfunde Was 
ſchien den älteften Beobachtern an den Germanen charafteriftiih? S. 137 f. 
Die einzelnen Stämme ©. 152 f. Mittelalterlihe Bolfsfunde ©. 155 f. Er- 
wachen des Intereſſes mit Beginn der neueren Zeit: Fiſchart, Musculus, 
Seb. Frank, Moſcheroſch, Grimmelshaufen, Neocorus u. N. 
©. 160—161. Möfer, Herder und Goethe, die Romantif; Annette 
vd. Drofte, Immermann, Auerbach u. A. ©. 161—62. Reiſe— 
beſchreibungen S. 163. Oppoſition: Platen, Gutzkow S. 163. Rückblick. 

Bienemann F., Die Kolonialpolitik des deutſchen Ritterordens. 

Roth F. W. E., Zur Geſchichte der Volksgebräuche und des Volksaber— 
glaubens im Rheingau waährend des 17. Jahrhunderts. Zu Grunde gelegt ift 
zuerft der Bericht des Pfarrers Noll zu Rüdesheim vom Fahre 1601: Lieder 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 445 


der umziehenden Kinder ıdie Bücher von den Glöcknern gejchrieben, vielfach 
geſchmückt, ſtets mit Noten verfehen) S. 1854. — Dann eime Handſchrift aus 
der erften Hälfte des 17. Jahrhunderts: abergläubifhde Sprüche ©. 137 f. 

Steinhanfen G., Profefforen der Kulturgeihichte? G. Freytag gegen- 
über Janſſen gerühmt ©. 196. 

Miller Nichard, Ueber die hHiftorifhen Volkslieder des Dreißig- 
jährigen Krieges ©. 199 f. Der hiſtoriſche Wert ©. 199, der literarifche 
Charakter ©. 200 f. Neigung zur Parodie ©. 201; Hang zum Dramatifchen 
©. 206; die Fulturgefhichtliche Bedeutung ©. 211 f. 

Miscellen: ©. 217 f. Hutter Th., Die Wünfchelruten und Schatz— 
gräber in Böhmen. 

Befprehungen: Geyſo A.v., Sceyfried Schweppermann (E.Döhler). 
— König, Aus zwei Jahrhunderten. Gejchichte der Studentenfchaft und des 
ftudentifchen Korporationsmwefens auf der Umiverfität Halle (Sohn Meier): Yaut- 
hard ©. 233. — Joachim Lange ©. 234. — Heyd E., Heidelberger 
Studentenleben zu Anfang unferes Jahrhunderts (G. Steinhaufen). — Einert E., 
Ein Thüringer Landpfarrer im Dreißigjährigen Kriege (derſelbe). — Geiger %., 
Berlin 1688—1840. 1. Band, 2. Hälfte (derfelbe). — Kleinere Neferate: Zur 
Entwidelung des Verlagsrechts. — Zur Gelegenheitsdihtung des 16.—18. Jahr— 
hunderts. — Chriftliche und jüdiſche Vor- und Zunamen. R. M. Meyer. 


Germania Jahrgang 1. 
Nr. 3 und 4 Henne am Rhyn, Der Aberglaube in der deutfchen 
Kulturgefchichte. 
Schultheiß, Herbergen, Wirtshäufer, Gafthöfe im Wechfel der Jahrhunderte, 
Kr. 3. Seidl, Der Rhein in der Kultur- und Kriegsgeſchichte. 
Nr. 4 Wünſche, Aus dem Sagenfreis vom geprellten Teufel. 


Hiftorifches Jahrbuch Band 15 Heft 4. 

Lager, Raban von Helmftadt und Ulrich von Manderfheid — 
ihr Kampf um das Erzbistum Trier. 

Foftes F. Die „Waldenferbibeln“ und Meifter Johannes Rellach. 
Bon einer berechtigten Polemik gegen Walther ausgehend, analyfiert Joſtes die 
Borrede zu dem Plenarium der Wiener Handichrift 2845 und jucht dann 
mit Glüd und Scharffinn nachzumeifen, daß Johannes Nellah, aus Reſöm 
gebürtig, in einem Klofter dev Diözefe Konftanz heimisch, wahrjcheinlich Domini— 
faner, 1450 während des Yubelfeftes in Nom anmwefend, der Ueberſetzer jener 
Bücher des alten Teftamentes fei, die in einer Nürnberger Handſchrift erhalten 
find, daß die Wolfenbüttler Handfchrift, welche dieſelbe Ueberſetzung enthält, 
nicht wie bisher angenommen um 1400, jondern auch nach 1450 verfaßt jei 
und daß die darin erhaltenen Bücher Moſis gleichfalls von Rellach überfetst feien: 
die gedruckte vorlutherische Bibelüberfegung alfo das Werk von Meifter Johannes 
Rellach fei. „Im Lichte dieſer Thatſache klären fi nun jofort manche bisher 
jehr dunkle Punkte auf. Es fann nicht mehr verwundern, daß die Zahl der 
Handjehriften (auch einzelner Teile) von dieſer Ueberſetzung jo felten find — 
zwifchen Rellachs Thätigkeit und der Erfindung der Druckkunſt liegt eben nur 
eine kurze Spanne Zeit. Der auffällige Mangel an älteren Handjchriften erklärt 
ih einfach daraus, daß es folche nie gegeben hat, und die Drudorte der erjten 
Bibeln, Straßburg, Augsburg, Schweiz Gaſel?) erfcheinen auch nicht mehr 
zufällig; fie liegen der Heimat Rellachs zunächft, die dortigen Druder konnten 
fich fofort des noch neuen Werkes ihres Landsmannes bemäcdtigen.“ Der Einzel- 
Forſchung und Unterfuchung ift durch diefe Abhandlung ein weites Gebiet eröffnet. 
Anlage: Bericht über die Türfenpredigt des Johannes Rellach. 


446 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Paulus N., Ein Fatholifcher Augenzeuge über Yuthers Lebensende. 
Der Brief eines fatholifhen Mansfelder Bürgers über Luthers Lebensende, den 
Cochläus 1548 veröffentlichte, rührt von dem Eislebener Apothefer Johann 
Landau ber, der Selbfterlebtes erzählt, it an deſſen Better Georg Wizel 
gerichtet, dev damals mit Cochläus im Negensburg weilte, und ift noch im Früh— 
jahr 1546 verfaßt. Diefer Zufammenhang war Johann Nas durch Johann 
Landaus Sohn Adam, Profeſſor der Medizin in Ingolſtadt, bekannt, der ſich 
in einem Gelegenheitsgedicht im Jahre 1564 gleichfalls über Luthers Tod äußerte. 
Dieſe Zeugniſſe zuſammen mit den Berichten der proteſtantiſchen Augenzeugen 
widerlegen die erſt gegen Ende des 16. Jahrhunderts entſtandene Legende von 
Luthers Selbſtmord endgiltig. 

Novitätenſchau: S. 911 N. P., Nachträge und Berichtigungen zu Bahl— 
mann, Deutſchlands katholiſche Katechismen bis zum Ende des 16. Jahr— 
hunderts. 

Deutſche Zeitſchrift für Geſchichtswiſſenſchaft Band 11 Heft 2 

Häbler K., Die Finanzdefrete Philipps II. und die Fugger. 

Gruner J. d., Müffling und GOrumer bei Beichaffung eines Fonds 
für die Polizeiverwaltung während der Offupation von Paris im Jahre 1815. 

Zeitſchrift für Literatur und Geſchichte der Staatswifjenfchaften Band 3 
Heft 5/6. 
Nofin H., „Ueber das Necht der Polizei.” Vortrag gehalten im Fahre 1791 
dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IIL) von Karl Gottlieb Sparez. 
Zeitſchrift für Social- und Wirtſchaftsgeſchichte Band 3. 

Heft 1. Lofertd J. Der Kommunismus der Huterifhen, Brüder 
in Mähren im XVI. und XVII. Jahrhundert. I. Die Ausbreitung der wieder- 
täuferischen Kommuniften in Mähren (1526—1626). — II. Die Lehre von der 
Gemeinfchaft. — III. Die Durchführung der Gemeinschaft. 

Heft 2. Rohrſcheidt K. v., Die Aufnahme der Gewerbefreiheit in Preußen. 
2. Hardenbergs Programm. Die Deputierten der Stände. Weitere Schritte 
zur Gewerbefreiheit. 3. Anträge und Gutachten der ftändifchen Deputierten mit 
Nüdfiht auf die Einführung dev Gewerbefreiheit. 4. Proteſte ftädtifcher Behörden 
und einzelner Gewerbe gegen die allgemeine Gemwerbefreiheit und die Aufhebung 
der Gerechtigkeiten. 

Zeitſchrift der Savigny-Stiftung für Nechtsgefhichte Band 15 Heft 2, 
Germaniftiiche Abteilung. 

Brünneck W. v., Zur Gejchichte des fg. Magdeburger Kehnredts. 

Bremer E. P., Dr. Claudius Cantiunculas Gutachten über das 
Nürnberger Stadtrecht. Abdruck diefes Gutachtens aus dem Jahre 1545. 

Revue generale de droit 1894, 5e livr. 

Lefort J., L’enseignement du droit à l’ancienne Universite 

de Strasbourg. 
Bismarck-Inhrbudg Band 1. 

Schüddekopf E., Ein Bismard als Dichter. Bon dem Großvater des 
Fürſten, dem Nittmeifter Karl Alerander von Bismard, mit dem er 
bisher zufammengeworfen wurde, ift zu unterfcheiden der Dichter Adam Auguft 
Heinrih v. Bismard (1739—1815), den Blum und Ramler in die 
Literatur einführten und von dem hier ein Brief an Namler (Rathenaw, 
24. Dezember 1770) und 4 Gedichte mitgeteilt werden. 

Rorrefpondensblatt des Gejamtvereins der deutſchen Geſchichts- und 
Altertumspereine Jahrgang 42 Nr. 12. 

Generalverfammlung des Gefamtvereins der deutſchen Geſchichts- und 

Altertumspereine zu Eiſenach. ©. 138: Beiprehung der Kirchenbuchfrage. 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 447 


©. 145: Fragebogen betreffend die Kirchenbücher. ©. 146: Bericht des Archivrat 
Sello über die Kirchenbücher im Herzogtum Oldenburg. 

Wutke K., Ein Brief König Ferdinands II. über die Niederlage der 
evangelifchen Schweizer bei Zug 1531. An den Bifhof Jakob von Breslau, 
Innsbruck, 28. November 1531. 

Der Geſchichtsfreund. Mitteilungen des hiftorifchen Vereins der fünf 
Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Band 49 

Durrer R., Die Familie von Nappenfteim genannt Mötteli und ihre 
Beziehungen zur Schweiz. Beilagen. Aftenftücde aus dem 15. Jahrhundert. 
Nachträge zu Band 48. 

Eftermann M., Gefhichte der Pfarreien Großdietwil und Grof- 
wangen im Kanton Luzern. — ©. 228: Ein Lied auf die Wallfahrts- 
firhe Werthenftein im Kanton Luzern aus dem Jahre 1635. 

Branditetter J. 2., Literatur der V Orte vom Jahre 1893. (Schriften 
aus den V Orten und über die V Orte) Anhang. Nefrologe aus den fünf 
Orten. 

Geſchichtsblütter des deutſchen Hugenotten-Bereins. IV. Zehnt. Heft 3 
und 4 
Tollin, Die wallonifch- franzöftiche Kolonie in Mannheim. 
Zeitfchrift des deutſchen PBaläftinavereins Band 17 Heft 3/4. 

Nöhriht N., Die Jeruſalemfahrt des Heinrich v. Zedlitz (1493). 
Fortſetzung und Schluß. 

Monatsſchrift zur Geſchichte und Wifjenfchaft des Judentums. Neue 
Folge. Jahrgang 3 Heft 5: 
! Yandsberger 3, Zur Gejchichte dev jüdiſchen Buchdruckerei in Dyhern- 
furth und des jüdischen Buchhandels. 


Zeitſchrift des Aachener Gejchichtsvereins Band 16. 

Below ©. d., Die Streitigkeiten zwiſchen Nachen und Jülich im Jahre 1558. 
Neue Aktenftüce aus dem Düffeldorfer Staatsardhiv. 

Oppenhoff F., Die Beziehungen Friedrich Heinrih Jacobis umd 
jeiner Familie zu Machen. Ueber die Familie Clermont, der Jacobis Frau 
angehörte. ©. 139 ff. Weber eine Schrift feines Schwagers Johann Arnolds 
von Klevmont: „Freymüthige Betrachtungen eines Weltbürgers zum Wohl 
von Aachen“ (1788), welche u. a. von W. dv. Humboldt recenfiert wurde. — 
©. 142 fi. ol im Aachen. — Ueber Friedrich Heinrichs älteften Sohn 
Johann Friedrich Sacobi 

Pauls E, Auszüge aus der Chronif des Aachener Notars Johann 
Adam Weinandts 1716-1726. Kulturhiſtoriſch. 

Altpreußiſche Monatsſchrift Neue Folge Band 31 Heft 5 und 6. 

Stieda L., Zwei Königsberger Gelehrten des XVII. und XVII. Jahr— 
hunderts, die beiden Schreiber (Vater ımd Sohn). Die beiden Biographien 
find aus den Vorarbeiten zu den betreffenden Artikeln dev Allgemeinen Deutjchen 
Biographie erwachſen. I. D. Michael Schreiber, ordentlicher Profeffor der 
Theologie an der Univerfität zu Königsberg (geb. 1662, geft. 1717). — ©. 397 f., 
und ©. 399 1. Gedichte feiner Söhne Sn) Meldior und Johann Friedrid). 
S. 401 ein Gedicht auf den“ Tod des Vaters im Namen dieſer beiden von 
unbefanntem Berfaffer. — ©. 406 ff. Berzeichnis feiner afademifchen Differ- 
tationen (20 Nr.) — ©. 409 fi. Akademiſche Gelegenheitsreden und «Schriften. — 
©. 413 fi. Deutfibe Trauer- umd el (221 Nr.). — ©. 428 ff. Zur 
- Feier von Hochzeiten verfaßte Schriften (19 Nr.) 


Eupborion I. 29 


448 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Treihel A., Bolfstümliches aus der Pflanzenwelt, befonders für Weft- 
preußen. X. (Fortjegung.) 

Frocidh G., Ein Yand-Schul-Katalog vom Jahre 1766. Aus dem Kirch- 
jpiel Georgenburg. 1. Die Schulverfaffung der Yandichulen. — Der Lehrer. — 
Der Unterricht. — Schüler und Eltern. — ©. 482 ff. Die Namen der Schüler. — 
Der Schulbefuh. — Gute Refultate. 

Eure M., Zur -Biographie des |Mathematifers] Rheticus. 

Alt-Wien Monatsichrift für Wiener Art und Sprade. 

Sahrgang 3 Ver. 10—12. Nagl J. W., Deutjche Lehnwörter im Ezechifchen. 

Sahrgang 4 Ver. 1. Borrede und 1. Kapitel aus Gottfried Prehauſers 
Schrift „Träume, Fragmente, Fabeln. Wien 1767. 

Wiener Patrizier. Das Wiener Bürgerhaus Theyer. Aufſchreibungen 
der Frau Maria Theyer. 

Nagl J. W., Die Rolle des Locativs in den Ortsnamen. 

Bampbilus Gengenbach ımd fein Wiener Prognofticon von 1520, 
Abbildung. 

Badiſche Menjahrsblätter, herausgegeben von der badischen hiftorischen 
Kommiſſion. 5. Blatt 1895. 

Gothein E., Bilder aus der Kulturgeſchichte der Pfalz nach dem 
SOjährigen Kriege. 

Baltifcye Studien Jahrgang 44. 

Lange E., Greifswalder Profefjoren in der Sammlung der 
Vitae Pomeranorum. In der Greifswalder Umiverfitätsbibliothef befindet ſich 
unter der Gefamtbezeihnung Vitae Pomeranorum eine Sammlung von 
154 Bänden, vom denen einzelne mehr als hundert jelbftändige eine Schriften 
umfaſſen. allge bejchreibt diejes wertvolle Material von Gelegenheitsjchriften 
und "Gedichten, Difjertationen zc. aus dem 16.—18. Jahrhundert im Allgemeinen 
und betont deſſen Wert für die Gejchichte der Greifswalder Profefforen ins- 
befondere. Beifpielsweije greift ev aus jedem Jahrhundert einen Namen heraus 
und charafterifiert die Schriften, die fih auf Friedrid Nunge (1559—1604), 
dreiunddreißig Nummern, Die ih auf Konrad Tiburtius Rango (1659 bis 
1700) und vierzig Schriften, die fih auf Albrecht Joahim von Krackevitz 
(1674—1732) beziehen. Die Gelegenheitspoefie Diefer drei Jahrhunderte wird 
uns in bezeichnenden Proben vorgeführt. Bekanntere Dichter begegnen ums 
nicht. Anhangsweiſe zeigt er an einigen Gelegenheitsgedichten aus der Zeit nach 
1732 den Einfluß der neuen Haffischen Poeſie. Hier erfcheint der Name: Johann 
Franz von Palthen. — Eine ſyſtematiſche Ausbeutung dieſer reichhaltigen 
Quellen wäre wünſchenswert vgl. oben S. 193 und 435. 

Wehrmann M., Geihichte der Bibliothek des Marienſtifts-Gym— 
naſiums in Stettin. I. Die Bibliothef bis zum Brande von 1677. II. Die 
Bibliothef von 1677— 1805. Bufammenftelung der Bibliothefare. 

Waterftvaat 9., Gef ichichte des Elementarihulwejens in Stettin. 
Erfter Teil. 15351730. Borwort. — I-IM. Geſchichtlicher Weberblid. — 


IV. Herkommen, Vorbildung und Bezeichnung der Lehrer. — V. Beſtallung der 
Lehrer. — VI. Einkommen und beſondere Gerechtſame der Lehrer. — VII. Zünft- 
lerijche Bejtrebungen der Lehrer. — VII. Unterrichtsangeigen. — IX. Yehr- 


zimmer. — X. Schülerzahl. — XI. Unterrichtszeit. — XII. Unterrichtsgegen- 
jtände. — XIII. A Eu uunerkion: Neber den Katechismus des oben 
Micraelius 1640 mit Borrede von J. Fabricius. — Gejangumterricht. — 

XIV. Leſeunterricht. — XV. Schreibunterricht. — Aus einer Anweifung für 
den Schreibunterricht aus dem Prodromus Mysteriorum Naturae des Stettiner 
Arztes Artofophinus 1620. — XVI. Unterriht im Nechnen und Bud)- 


Bibliographie. 1. Zeitichriften. 449 


halten. Mit Proben. — XVI. Zudt. — XVII. Auffiht. — Beilagen. 
A. Schulordnung aus der Pommerſchen Kirchenordnung 1563. — B. Ord— 
nung und Inſtruction, welchergeftalt in den Teutſchen Schulen die Jugend hin— 
führe zue inftituiven. (25. Juli 1623.) — C. Beriht des Georgius 
Trobitzſch über feine Schule. — D. Typus lectionum von Balzer 
Weſſel. — E. Schul-Drdnung, von Johannes Höviſch. — F. Pıntctation 
für die Schulhalter. September 1623. — Gr. Beliebte punctation der fembtlich 
verordneten Buchhalter, wie auch Nechen, Schreib vndt Lejemeifter im alten Stettun. 
14. Dezember 1636. — H. 1. Bolation von $. Neumann 1608. — H. 2. 
Bofation von Johann David Milent 1690. — J. Berzeichnis konzeſſio— 
nierter Schulmeifter von 1573—1728. 

Sahresberiht. Vorträge: Wehrmann, Die Gründung des Stettiner 
Pädagogiums — Waterftraat, Johann Chriſtoph Schinmeyer umd 
feine Bedeutung für das Stettiner Schulmwejen. 

Mitteilungen der hiftorifchen und antiquarifchen Geſellſchaft zu Bafel. 
Neue Folge. Heft 4. 

Facſimile des Planes der Stadt Bafel von Matthäus Merian 1615. 
Nebit Beilage: Die Entwidelung des Basler Stadtbildes bis auf Matthäus 
Merian den Aelteren. 

Zeitfchrift des Bergifchen Gefchichtsvereins Band 30 (Der neuen Folge 
20. Band) Jahrgang 1894. 

Below ©. v., Ueber die militärische Unterftügung des Herzogs von Jülich— 
Cleve durch Franz T. von Frankreich im geldrifchen Erbfolgeftreite. Undatierte 
Aftenjtüce, die aber wahrjcheinlih in das Jahr 1541 zu jeten find. 

Below v. G. und Geh J., Quellen zur Gefchichte der Behörden— 
Drganifation in Jülich-Berg im 16. Jahrhundert. 

Mörath A, Ein Bergiſcher Zolltarif vom Jahre 1639. 

Harleg W., Bericht des Kurkölniſchen Rats Jakob Omphalius vom 
Neihstage zu Speyer (1544). 

Uebereinfunft des Herzogs Adolf von Eleve mit einem Apotheker, welcher 
ſich zu Cleve niederlaffen jol, 6. Mat 1437. Urkunde. 

Spannagel 8., Die Gründung der Leineweberzunft in Elberfeld und 
Barmen im Oftober 1738. 

Wachter F., Briefe Niederrheinifcher Humaniften an Erasmus. (1529 
bis 1536.) Der Papiercoder Nr. 254 unter den Rehdigerſchen Handſchriften 
auf der Stadtbibliothek in Breslau enthält eine jehr große Anzahl von 
DOriginalbriefen an Erasmus. Diele derjelben find ſehr unleſerlich gejchrieben, 
teilweife auch duch den Einband beſchädigt. Im 3. und 4. Hefte feiner Eras- 
miana hat Hovamits mehrere von den Briefen teils auszugsweife und leider 
fehlerhaft mitgeteilt, teils befprochen. Der Herausgeber meint, daß ar eine Ver— 
öffentlihung jämtlicher in der Handjchrift enthaltenen Briefe an Erasmus in 
abjehbarer Zeit wohl nicht zu denken ſei und wählt daher einige aus. 1. Jung— 
herzog Wilhelm von Sülich - Eleve- Berg überjendet Erasmus einen Becher. 
Büderih, 10. November 1529. — 2. Thielmann vam Grade wegen der 
Aufführung jeines Sohnes Bernhard. Köln, 17. Auguft 1530. — 3. Johann 
von Blatten an Erasmus über die Firchliche Lage. Augsburg, 17. Sep- 
tember 1530. — 4. Johann von Campen jchildert die Geſinnung des 
Kardinals von Lüttich gegen Erasmus. Küringen (Couvange), 4. März 1532. 
Nachtrag Frankfurt, 21. März. — 5. Georg Wicel über die religiöfen Ver— 
hältnifje in Deutjchland. Hofft von dem Eingreifen des Erasmus eine Beſſe— 
‚rung md jpricht über ihre Gegner. Bacha, 30. März 1533. — 6. Johannes 
Cäjarius erwartet die Antwort des Erasmus auf eine Schmähjchrift des 

29* 





450 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Stephan Doletus umd fündigt ihm neue Anfechtungen durch die Karthäufer 
an. ln, 29. März 1535 (2) — T. Salob Ompbhalius an Erasınus. 
Touloufe, 9. Februar 1539. 

Küh F., Die Lande Jülich umd Berg während der Belagerung von 
Bonn 1588. — Nachtrag dazu ©. 300. 

Krafit K., Der Kampf des Magiftrats von Elberfeld, der Bürgerjchaft 
von Elberfeld und Barmen umd der fichlichen Konftftorien des Wurppertals gegen 
die Erbauung eines Theaters in Elberfeld. — Mitenftücde über das 
projeftierte bergifche Nationaltheater. 1. Aus dem Weftfäliichen Anzeiger 1806, 
7. März, Artikel aus Elberfeld. 2. Die fünf evangelifchen Gemeinden zu Elber- 
feld und Barmen gegen die Errichtung eines Schaufpielhaufes zu Elberfeld. 
3. Elberfeld, wie es früher zum Theater ftand. (Aus der Nationalzeitung der 
Deutſchen; Maiheft 1806.) 4. An die 635 Bürger zu Elberfeld und Barmen, 
welche mit Vorftellungen gegen die Erbauung eines Schaufpielhaujes bei ihrer 
Negierung eingefommen find. (Ein einzelnes gedrudtes Blatt aus dem Jahre 
1306.) Man nahm aus ökonomischen, fittlichen und Iofalpatriotifchen Gründen 
energiich gegen die von Düffeldorf aus geplante Errichtung einer Filiale des 
dortigen Theaters Stellung. 

Krafft K., Der weſtfäliſche Reformator Gerhard Demifen über feine 
Lebensgeſchichte. Teilt aus der Borrede zu Demifens Schrift „Eyn chriftlifer 
troft, leer ond vormanımge 1551“ die autobiographiichen Stellen verhochdeutſcht 
mit und wünſcht ein vollftändiges Yebensbild desfelben. 

Krafft K., Erzählung des Soefter Paſtors Johannes Mollerus 
über jein Leben bis zum Jahre 1709 aus der (vom 26. November 1709 da— 
tierten) Vorrede zu einer Fleinen Sammlung von Wochenpredigten: „Fatalia 
non sunt alia, die umveränderlicde Provivdent und Fürſehung Gottes“ (Soeft 
ohne Jahresbezeichnung). 

Kraffi K., Einige Lebensumftände von J. C. Henfe zu Duisburg 
[1701— 1780], von ihm jelbft verfaßt. Die Aufzeichnungen reichen bis zum 
Beginne feines Duisburger Amtes, alfo bis etwa 1750. 

Meifter Nikolaus Stocd empfiehlt dem Herzog Adolf von Jülich-Berg 
den Licentiaten Heinrich Clodebof aus Schleften für feinen Hofesdienft. Nürn— 
berg, 22. April 1431. Urkunde. 

Redlich O. R., Zur Gefhichte des Klofters Bödingen im 15. Jahrhundert. 

Verhandlungen der Berliner Geſellſchaft für Anthropologie, Ethnologie 
und Urgejchichte. 

Situng vom 16. Juni 1894 Treichel A., Giebel-Verzierungen aus 
Weft- Preußen. Dazu ein Nachtrag ©. 418. 

Sigung vom 21. Juli 1894. Treihel A., Beiträge zu „Schulzenzeichen 
und Berwandtes“. — Treihel A., Kolleften. — Beden und Uhl von Charbrow, 
Kreis Lauenburg i. P., und ein Armenbrett zu Soeft in Wejtfalen. — 
Treichel A., Bon Quernen. 

Nenjahrsblatt der literariſchen Gefellfehaft in Bern auf das Jahr 1895. 

Greyerz O. d., Beat Ludwig Muralt. Mit Auszügen aus feinen 
Schriften. 

Henjahrsblatt, herausgegeben vom biftorifchen Verein des Kantons Bern 
für. 1895. 

Bloeſch E, Bernhard Friedrich Kuhn, ein bewnifcher Staatsmann 
zur Zeit der Helvetif, 

Schriften des Vereins für Geichichte des Bodenjees und feiner Umgebung. 

Heft 22. Rief F. A, die Gejchichte des Klofters Hofen und der Reichs— 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 451 


ftadt Buchhorn. 2. Teil. Hofen und die Neihsftadt Buchhorn vom Fahre 1572 
an bis heute. 

Lochner v. Hüttenbah, Freiherr M., über Lindauer Schützenweſen. Darin 
auch Scheiben-Inſchriften. Em Gedicht auf die Schütengefellichaft. 

Heft 23. Zeppelin-Ebersberg Graf Eberhard v., Ueber die ferneren Auf: 
gaben und Zwecke des Vereins für Gefchichte des Bodenſees und feiner Um— 
gebung. Rede bei der Feier des 25 jährigen Stiftungsfeftes des Vereins zu 
Friedrihshafen am 17. Juli 1893. „Wie wenig wiffen wir . . . noch immer 
bon dem Yeben jo vieler Männer, die vom Bodan ftammend odev vornehmlich 
hiev wirtend in Politik, Literatur, Kunſt oder anderen Gebieten geiftiger Thätigfeit 
fi hervorgethan haben? Noch immer fehlt es, wenigftens für einen großen 
Teil unferes Bereinsgebietes, ſogar an einem Werzeihnis ihrer Namen und 
ihrer Werfe; es fehlt in gleicher Weife an Berzeichniffen der in unferer Gegend 
nod vorhandenen oder aus ihr ftammenden und anderswo befindlichen Alter 
tümer, KRunftdenfmäler und Geiftesprodufte überhaupt... . Ebenſo wenig 
befitzen wir für dem Bodenfee eine Gefchichte der Sprache, der Kultur (im wei— 
teften Umfang, mithin auch dev Neligion, des Schulmejens u. dal.), des Rechts, 
der Induſtrie, der Landwirtſchaft u. f. mw. Wie viele Gemeinde-, Klofter-, Schloß- 
und jonftige Privat-Archive harren noch der Durhficht und Ordnung, und wie 
mancher Aufjchluß über Die faft überall noch recht lückenhafte Gefchichte einzelner 
Dertlichfeiten mag dort noch zu finden ſein.“ 

Reinwald G., Entftehung und Entwidlung des Vereins für Gefchichte 
des Bodenjees umd feiner Umgebung. Jubiläumsvortrag gehalten zu Friedrichs— 
hafen am 16. Juli 1893. 

Zeppelin auf Ebersberg Graf Eberhard, Geheime Friedensperhandlungen 
in Steeborn und Diepenhofen 1694. 

Mitteilungen des Bereines für Gefchichte der Deutfchen in Böhmen. 
Jahrgang 23. 

Kr. 2 und 3. Gradl H., Deutihe BVolksaufführungen. Beiträge aus 
dem Egerlande zur Gefhichte des Spiels und Theaters. Urkundliche 
oder hronifalifche Mitteilungen aus dem 15. und 17. Jahrhundert. Ich hebe 
hervor: 23. Dreifönigfingen. 24. Dorothea der Schüler. 25. Sommer und 
Winter. 26. Kinderfafhing. 29. Dorothea-Spiel. 35. Schwerttanz. 44. Faſt— 
nachtipiele. 45. Judenſpiel. 46. Paſſionsſpiele. 47. Dfterfpiel. 48. Pfingit- 
fpiel. 49. Fronleihnamsfpiele. 50. Weihnachtsipiel. 51. Der verlorne Sohn 
Adermann) 1537. 52. Suſanna (Rebhun) 1538. 53. Judith (Greff) 
1558. 55. Jakob und feine Söhne (Greff) 1543. 57. Die Hochzeit zu Cana 
(Rebhbun) 1545. 58. Römiſche Hiftorie 1545. 60. Elias und die Witwe 
Keonhart Culmann?) 1549. 61. 67. 68. Henno 1553. 1559. 1560. 
62. Der reihe Mann und der arıne Lazarus (Johannes Krüginger) 
1550. 63. Eunuchus 1551. 64. Die fünf thörichten Jungfrauen 1591. 
65. Adelphi 1553. 66. Ritter Galmi 1557. 

Goehlert B., Anmerkungen über die Scelenbefhreibung im Königreich 
Böheim im Fahre 1768. Berfaßt von dem Gubernialvat Joſef Freiherru 
von Ceschi. 

Mayer W., Ein alter Foliant im Kladrauer Stadtarchive. 

Kr. 3. Rietſch K. Fr., das Stadtbuch von Falkenau (1483—1528). 

Hordicha A., Das Altarblatt der Decanalfiche zu Elbogen aus dem 
Jahre 1579. 

Zwei Herenprozefie zu Braunau. 17. Sahrhundert. 

Sauer A., Einige Bemerkungen zu einer im Beſitze des Vereines befind— 
lichen Autographenfammlung. Die Papiere ftammen aus dem Nachlaß von 


452 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Paul Aloys Klar. Würdigung Klars. Ueberſicht über den Inhalt des von 
ihm herausgegebenen Taſchenbuches Libuſſa (1842—1860). Verzeichnis der 
Briefe. J. Drei Briefe Eberts. 1. Ebert an Klar, Prag, 16. April 1835. 
Ueber Eberts Trauerfpiel Ezeftmir und defjen Aufnahme bei Publitum und 
Kritif. Analyje des (ungedrudten) Ezeftmiv. A Müllers Necenfion im der 
Bohemia. Nittersbergs Antikritif. Müllers „Erklärung“. Eberts „Anzeige“. 

Wolkan R. Zwei geiftlihe Gedichte aus Eger. 16. Jahrhundert. 

Böhmens deutiche Poefie und Kunft Jahrgang 5. 

Heft 1. K., Moriz Hartmann. 

— Ser "Voltsglaube und Volksbrauch in Nordböhmen. 

Zwei Sagen aus dem Adlergebirge. Die Armenſünderſtraße und 
der — Hofereiter oder Heckbereiter. — Der böſe Oberamtmann in Rokitnitz. 

Fundſtellen. Lebensgeſchichtliches über hervorragende Deutſchböhmen. 

Heft 2. Neumann F., Adalbert Stifter, Beitrag zu ſeiner Bio— 
— 

„J. U. Dr. Robert Steinhaufer. 
— E. F., Hochzeitsgebräuche in den Tepler Bergen. Volksbilder. 
Einiges zur Geſchichte des heimiſchen Zeitungsweſens. 
„Brandenburgia‘ 1594. 

Nr. 4. Bericht über die Wanderfahrt nach Bernau (26. Mai 1894) mit 
fultuxhiftorifchen Erklärungen. 

Schulenburg W. v., Bermoft, zur Gefchichte dieſes Wortes. 

Friedel E., Nochmals Goethe und die Marfgrafenfteine. Nachtrag 
zu Jahrgang 1, 242 und 2, 147. Der in den Werfen (Cottafche Ausgabe) 
40, 294 erwähnte gandgrafen ftein ift der große Markgrafenftein bei 
Heiligendamm. 

E. Fr. [E. Friedel]. George Sand und der Tegeler See. Flüchtige 
Erwähnung des Tegeler Sees in la comtesse de Rudolstadt. 

E. Fr. Die „Zwölfen”. Zu Fahrgang 2, 92. 

Nr. 5. Lemke Elifabeth, Zur Bolts-Arzeneitunde „Simpatetiiches Mittel 
wider die Gicht." Nach einer Danziger Aufzeihnung etwa aus dem Ende des 
18. Jahrhunderts. 

Nr. 6. Pniower D., Ein Märker des 17. Jahrhunderts über vorgefchicht: 
liche Urnen. Eine Stelle aus dem Anthropodemus Plutonicus des Prä— 
torius. 

er E., Nochmals „Moabit“ und „vermooft“. 

Jr. 8. Meyer F., Zum zweihundertjährigen Todestage Samuelvon 
Pufendorfs. Bortrag. 

Schulenburg W. v., Vermoſt (vermooſt). 

R. M., Zwei Hohenzo llernſagen. 


Archiv dev „Brandenburgia“ Band 1. 

Galland G., Was eine Brandenburgifche Kurfürjtin an Schmud, Gevät- 
Ihaften u. dgl. befaf,. Holländiſches Notizbuch der Kurfürſtin Louiſe Henriette, 
wahrſcheinlich aus dem Jahre 1649. 

Maltitz E. v., Zur Geſchichte des Ciſtercienſer Jungfrauen-Kloſters ud 
Stifts zum „Heiligen-Grabe“ bei Wilsnack in der Priegnitz. Aus urkundlichen 
Quellen zuſammengeſtellt. 

Schild E., Das brandenburgiſch-preußiſche Feldpredigerweſen in ſeiner 
geſchichtlichen Entwicklung. Vortrag. 

Mielke R., Der Bauernhaus in der Mark. Mit 1 Tafel und 
33 Zertabbildungen. 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 455 


Schwart = Friedenau P., Kivchliches Yeben in einer märfifhen Stadt 
während des fiebzehnten Jahrhunderts. (Königsberg N.-M.) 

Schwars W., Vom Sagenfammeln. Erimmerungen aus meinen 
Wanderungen in den Jahren 1837—1849. Ein Vortrag in der Situng des 
Bereins für Voltsfunde am 26. Januar 1894 gehalten. 

Forſchungen zur Brandenburgifchen und Preußiſchen Geſchichte Band 7, 
zweite Hälfte. 

Kofer R., Eine franzöfiihe Schilderung des preußifchen Heeres von 1748. 
Observations sur le service militaire du roi de Prusse. Remis par le 
marquis de Valory dans les premiers jours de septembre 1748 à 
Versailles. 

Herrmann D., Bon Mollwits bis Chotufig. Ein Beitrag zur Taktik 
Friedrichs des ——— 1. Die Dispoſitionen des Königs vom April bis 
Auguſt 1741. 2. Die Dispofitionen aus dem März 1742. 3. Chotuſitz. 
Erfurs über I Duellenbehandlung im Senevalftabsmwerte. 

Gebhardt B. Wilhelm v. Humboldt umd die Anfänge der preußischen 
Sefandtichaft in Nom. Humboldt wurde als Nachfolger v. Uhdens durch 
Beyme in Vorſchlag gebradt. Das Miniftertum chavakterifiert ihn in dem 
Beriht an den König als für dieſen Poften bejonders paffend (7. Mat 1802) 
„Seborener Unterthpan Ew. Majeftät, im Befit von Landgütern in — 
Staaten, Sohn eines Vaters, der beim verſtorbenen König in Gunſt jtand, 
der proteſtantiſchen Religion erzogen, und von den Grundſätzen einer —— 
Philoſophie erfüllt, iſt er vor dem Blendwerk Roms fiher (A l’abri des prestiges 
de Rome); feine Reifen im Franfveih und Spanien und die Kenntnis der 
Sprache, die ev mit feinen Talenten verbindet, machen ihn des Poftens würdig.“ 
Humboldts Auffaffung von den Pflichten feiner Stellung im Briefe an Haug- 
wit 27. Auguft 1802. Die von Naumer ausgearbeitete Inſtruktion für 
Humboldt wird auszugsweiſe mitgeteilt, und ebenſo Humboldts Anſicht über 
dieſe. Seime Tätigkeit in Rom wird nicht charakterifiert, fondern nur die Ent- 
widlung feiner äu Bern Stellung verfolgt. 

Onden W., Siv Charles Hotham und Friedrih Wilhelm je im Jahre 
1730. Urkundliche Aufjhlüffe aus den Archiven zu London und Wien. I. Die 
Audienzen dom 4. April in Charlottenburg und vom 5. Mai in Potsdam. 
Ein zweiter Aufſatz über den „Sturmlauf wider Grumbfomw“ foll folgen. 

Schwemann A., Freiherr von Heinit als Chef des Salzdepartements 
(1786— 96). Ein Teil der Vorarbeiten der Acta borussiea in Bezug auf die 
preußifche Bergwerts-, Hütten- und Salinenverwaltung des 18. Fahrhunderts. — 


Heinitz' Thätigfeit in Bezug auf das ftaatliche Salzweſen. — Stellung des 
Salzdepartements zur Seehandlungsjocietät. — Heinit’ Thätigkeit in Bezug auf 


die private Salzinduitrie. 

Meinede F., Zur Beurteilung Bernadottes im Herbſtfeldzuge 1813. 
Briefe und Berichte. 

Holte F. jun, Die älteften märfifchen Kantzler und ihre Familien. 
Abbildungen und kurze Lebensſkizzen hauptfächlich auf Grund des Nachlafies des 
Kammergerichtisrates Martin Friedrih Seidel (1621—169) auf der 
königlichen Bibliothef in Berlin. — 1. Heinte dv. Kracht. 1440—1444. — 
2. Friedrich Seffelmann. 1445—1483. — 3. Sigismund Zerer. 1483—1509. — 
4. Sebaftian Stublinger. 1509—1529. — 5. Wolfgang d. Ketwig. 1529 bis 
1540. — 6. Georg vd. Breitenbach 1540. 7. Johann Weinleben. 1541 bis 
1558. ©. 226 f. Ueber Weinlebens Brieftochtet Er ftand mit dem Super- 
Intendenten Cordatus zu Stendal, dem berühmten Gottſchalk (Abdias) 
Prätorius zu Salzwedel, den Profefforen der Hochſchule zu Frankfurt in 


454 Pibliographie. 1. Zeitichriften. 


- Briefwechjel; auch die Umiverfität Wittenberg und einzelne Profefjoren wandten 
fich hilfefuchend im Frühjahr 1547 an ihn. Er trat auch mit den Witten- 
berger Neformatoren in perfönliche Beziehung. 

Petrelli T. J., Alte brandenburgifche Fahnen und Standarten in Schweden. 

Roſer R., Zur Bevölferungsftatiftif des preußiichen Staats von 1740— 1756. 

Immich M., Die Stärke des Findichen Armeeforps bei Maren. 

Friedfänder E, Gedife und Delbrüd. Briefe anläßlich der Wahl 
eines Erziehevs für den Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Jahre 1800. Auf 
Niemeyers umd Gedikes Vorfchlag wınde der Magifter J. F. G. Delbrüd, 
Nektor des Pädagogiums in Magdeburg, berufen, Die neuen Dokumente find 
wertvolle Beiträge zur Charakteriftit Gedikes und Delbrüds, über welch letzteren 
bisher wenig bekannt war. I. Gedife an Minifter Graf v. d. Schulenburg, 
Berlin, 15. Juni 1800. — II. Gedike an Schulenburg, Berlin, 29. Juni 1800. 
Köckritz an Schulenburg, Charlottenburg, 14. Juli 1800. — Angern (Präſident 
der Magdeburger Kammer) an Schulenburg, Magdeburg 18. Juli 1800. — 
Gedike an Schulenburg, Berlin, 25. Juli 1800. 

Breyſig K., Der Große Kurfürſt umd die nationale Idee. Beſprechung 
von Pribrams Franz Paul Freiherr von Yifola- 

Situngsberichte des Vereins für Gefhichte Der Mark Brandenburg. 
13. Dezember 1893. Granier teilte einen bisher ungedrudten Brief Gleims 
an Nicolai vom Jahre 1789 über Friedrich den Großen mit. — Bolte legte 
ein von ihm aufgefundenes märkiſches Drama des 16. Jahrhunderts vor, 
die 1572 ohne Angabe des Drucortes, wahrjcheinlih zu Berlin erfchienene und 
dem furfürftlichen Rate v. Köderitz zu feiner Hochzeit mit der Tochter des 
Kanzlers Lamprecht Diftelmeyer gewidmete Komödie „Davids und Michols 
Heyrath“ von Joh. Tedler. Der aus Bunzlau gebürtige Berfaffer war 
ein Schwager von Andreas Musculus und feit 1569 als Nachfolger von 
Chriftoph Laſius, Superintendent in Cottbus (geft. 1580). Kurze Charakteriſtik 
des Dramas. — Holtse behandelte das in Berlin in den Jahren 1736—37 ge— 
führte Strafverfahren gegen die Brüder Müller wegen Ermordung ihrer Tante, 
der Wittwe Fuchs. Dasjelbe hat nach der allgemeinen, neuerdings von Kofer 
beftrittenen Anficht die Veranlaffung zur Abſchaffung der Folter gegeben. Es 
werden Yieder auf die Hinrichtung der Brüder umd auf den Prediger Wald- 
mann erwähnt — Sitzung vom 10. Januar 1894. Bailleu, Ueber Herzog 
Karl Auguft von Weimar umd Goethe umd deren Beziehungen zum 
Fürftenbund, vgl. Euphorion 1, 666,668. — Situng 9. Mai 1894. Schnaden- 
burg, Ueber die Unzuverläffigkeit der Zeitungsberichte über die Kriegsthaten 
Friedrihs des Großen. — Meinardus, Ueber eine im Sommer 1649 in Cleve— 
Mark verbreitete Schmähſchrift gegen den Kurfürften Friedrih Wilhelm von 
Brandenburg umd einige feiner evjten Näte, namentlih Konrad v. Burgs— 
dorf. Der Berfaffer ift wahrjcheinlich der frühere Rat Joh. v. Dieft. 

Carinthin Jahrgang 34. 

Nr. 1,2. Hann %. ©., Die Tafelgemälde aus der Bituslegende in den 
Sammlungen des Kärntniſchen Gefchichtspereines in Klagenfurt. Werfe der 
Schule Michael Wolgemuts. Eine fumftgefchichtliche Betrachtung. 

Jakſch A. v. Heren umd Zauberer Nach Akten im gräflich Lodron— 
ſchen Herrihaftsardiv in Gmünd. 1. Kunigumd und Gredl. 2. Lucia Nein: 
egger und Hans Trärler. 3. Caſpar Haint. 

Miller Richard, Kleine Beiträge zur altfärntnifchen Ortsnamenkunde 
(Schluß). 6. Debern und Yurnfeld. 

Nr. 1. Seemüller J., Ein Millftättifches Zunftprotofoll. 18. Fahre 
hundert. 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 455 


Nr. 2. Hann F. ©., Sivenendarftellungen auf kärntniſchen Chriftoforus- 
bildern. Beſprochen umd erläutert. 

Franziszi Fr., „Unterm Hüttel ſpielen.“ 

Nr. 36. Waizer R., Biographiiches über Hans Gaffer 

Nr. 34. Laſchitzer ©., Das Baradeisfpiel. Nach zwei Hand- 
ichriften. Nach dev einen aus St. Yeonhard im oberen Yavantthale wurde das 
Stüd in mehreren Orten dafelbft geipielt jo 3. B. in Sciefling. Die zweite 
iſt nach einem Mannfkripte in Knappenberg hergeftellt. Wann in Knappenberg 
das Paradeis-Spiel das letztemal aufgeführt wurde, konnte nicht ermittelt werden, 
jedenfalls aber nicht mehr nach dem Jahre 1862. 

Nr. 3. Hamm F. ©., Ueber bemalte Urkunden im Archive des kärntne— 
rischen Gefchichtsvereins zu Klagenfurt. 

Franziszi Fr, Hirtenlieder aus dem Möllthal. 

Franziszi Fr, Die Nonne Nach dem Diktat einer alten Magd aus 
dem Glanthale mitgeteilt. Bolfsballade, wahrjcheinlich ftarf verändert. 

Nr. 4. Hann F. G. Runftgefhichtliches und Gefchichtliches über Schloß 
Stein bei Oberdrauburg. 

Nr. 6. Egger von Möllwald A., Aus den Mürztagen 1848 in Rlagen- 
furt. Tagebuchſkizzen eines Studierenden am Lyceum in Klagenfurt. Verfaſſer 
des Tagebuches ift der 1882 geftorbene Yerdinand KRohlmayr aus 
Sreifenburg. 

Dresdner Geſchichtsblätter Jahrgang 9. 

Nr. 1. Richter D., Elifa von der Rede im Wonnemonat des Jahres 1790. 
Mitteilungen aus ihrem Tagebuche. Bom 2.— 31. Mai war Elifa in Leipzig 
und Dresden. Das biographifh und literarhiftorifch wichtige Tagebuch dreht ſich 
vorwiegend um ihre Liebe zu den Grafen Geßler. Sonſt werden erwähnt: 
Blankenburg, Nicolai, der alte Forſter, Naumann, die Familie 
Körner, Fritz Stolberg (über ihn auch eine Nachſchrift vom 97. Juni 1823), 
Minifter B urgspdorff (über ihn eine Nachſ ſchrift vom 18. Juni 1823.) Ein 
zweimaliger Ausflug in die ſächſiſche Schweiz. Aelteftes literarifhes Zeugnis 
ie diefen Namen, der — en von Geßler herrührt. — ur einer der ſchauer— 
lichſten Grotten des Vohmerthales las Geßler Schillers „Refignation“ 
bor, woran ſich ein evregter Streit über den Wert diefes Gedichtes anfnüpfte. 

Melter O., Gereimte Selbjtbiographie des Diafonus M. Chriftian 
Richter 1645— 1725. „Accidentale und fatale Yebens-Schidfale*. Jedem Jahr 
wird ein Reimpaar gewidmet. 

Wuttke R., Ein — in Dresden während des 30jährigen Krieges. 

Nr. 2. Michter S D., Der — Dresdens älteſte Begräbuisſtätte. 

Frieſen E. G. M. Frhr. v., Die Frieſen als Hausbeſitzer in Dresden, 

Müller G., Andreas ungen roth, furfürftliher Buchdruder 1578 
bis 1586. Motizen über jein Leben aus einem Briefe Kurfürſts Augufts 
24. April 1578. Nachweis eines Drudes von ihm aus dem Jahre 1583. 

Blanckmeiſter F, Theodor Körners Borfahren. 

Kade R., Das erſte Drespner lutherifhe Geſangbuch 1595. Heraus— 
gegeben von Rogier Michael. Lebensdaten über diefen. 

Richter O., Urſprung der Sachſenhymne. Sie rührt von Georg 
Karl Alerander Richter (1760—1806) her. 

Richter O., Ausreißer im Huffitenkviege 1438. 

Egerer Jahrbuch Kalender für das Egerland und ſeiner Freunde. 
Jahrgang 25. 

Gradl H., Bibliographie des „Egerer Jahrbuches“ ſeit dem erſten Beginne 

ſeines Erſcheincus im Jahre 1871. 


456 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Reichl E, Schiller in Franzensbad, abgedruckt aus der Beilage der 
„Münchner Allgemeinen Zeitung“ Pr. 155 vom 9. Juni 1893. 

Löwl, Die Gründung dev Dreifaltigfeits- Kapelle nächſt Reichersdorf. 
Egerlands-Sage. 

Zeitschrift für die Gefchichte der Altertumstunde Ermlands Jahrgang 

1594. Band 11 Heft 1. Der ganzen Folge 33. Heft. 

Dombrowsti, Der Tugendbund in — Beutet die bereits 
von Voigt benutzten Akten der Brauusberger Kammer des Tugendbundes für 
die lokalen Verhältniſſe aus. ©. 25 ff.: Charakteriſtik mehrerer Zeitungen. — 
Schulweſen. 

Hipler F., Die ermländiſche Biſchofswahl vom Jahre 1549. Abdruck 
einer Denkſchrift RRobelsdorfs: Rerum circa Episcopatum Warmiensem 
gestarum capita a morte Reumi. Joannis Dantisci Episcopi: Anno 1548. 

Hipler F., Andreas Bathory und Pierluigi Baleftrina. 

Röhrich, Das Bündnis des ermländiſchen Domfapitels mit dem preußi- 
ihen Bunde vom 14. Februar 1454. 

Hipler F., Die ermländifchen Studenten auf der Albertina zu Königsberg. 

Bereinsfißungen: 28. März 1894. Hipler legte die Erftlingsarbeit des 
jpätern ermländifchen Bifhofs Stanislaus Hofjius vor, eine Paraphraſe 
des Pjalmes Miserere, gedrudt 1528 in Krakau bei Hievon. Vietor, vollſtändig 
allein erhalten in dem Eremplar der Wiener Hofbibliothet #43 Y 265. (In— 
zwifchen abgedrudt im Ermländiſchen Pajtoralblatt 1894 ©. 67— 71.) — 
17. Dftober 1894. Dittrih verlas eine Reihe von „Mitteilungen aus Teftas 
menten ermländiſcher Geiſtlichen.“ 

JZahrbuch für Geſchichte, Sprache und Literatur Elfaß-Yothringens, heraus— 
gegeben von dem hiſtoriſch-literariſchen Zweigverein des Vogeſen-Clubs Jahr— 
gang 10. 

Ney C. E., Die geſchichtliche Entwicklung der jetzigen Eigentumsverhält— 
niſſe in dem heiligen Forſte bei Hagenau. (Fortſetzung.) 

Schöll Th., Ein ob una Schullehrer und Gefchichtsjchreiber por 
un: Sahren, Johannes Frieſe, geb. 4 September 1741 zu Kaufbeuren; 
1501 — Erſcheinen des 5. und letzten Bandes ſeiner „Straßburger Geſchichte“ 
war er als Lehrer an der Neuen Kirche in Straßburg angeſtellt. 

Sechzehn Briefe Peter Schotts au Geiler von Kayſersberg. 
Deutſch von Bulpinus. Die Briefe ftehen in Petri Schotti Lueubratiuneulae 
ornatissimae, die 1498 Wimpfeling herausgegeben hat. Das Bud) ift qut 
gedrudt, aber der vielen Abkürzungen wegen nicht leicht zu lejen. Einige Briefe 
find gekürzt. Dem letsten Briefe liegt bei „Ein Lied Peter SchottS zur Au— 
rufung Der Patrone „Johannis des Täufers, Johannis des Evangelijten und 
Johannis Chryfoftomi im Namen des Doftors Johannis von Kayfersberg.“ 

Lets K., Zur Gefchichte von Ingweiler. 1. Küferlied des herrichaft- 
lichen yanau - fichtenbergiichen Hoffüfers don Ingweiler. (Aus der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts.) 

Koßmann €. . Adolf Stöber md Guftav — Brief⸗ 
wechſel. 8 Briefe aus der Zeit, da Schwab an der Redaktion des Chamiſſo— 
ſchen Muſenalmanachs teilnahm. Die Briefe drehen ſich daher um den Almanach 
und Stöbers Beiträge zu dieſem. Die übrigen Briefe Schwabs ſind verloren. 
J. Adolf Stöber an Schwab. Metz, 27. Februar 1834. Ueber Uhlands 
Einfluß auf die lyriſche Poeſie Deutfchlands ; befennt fich als Uhlands Schüler; 
plant eine Charakteriftit Uhlands mit franzöfifcher Uebertragung einiger Lieder 
und Nomanzen und will Beides an ein Parifer Piteraturblatt abſchicken. Ueber 
ſeinen Freund Schnetler. Perfünlihes. — II. Adolf Stöber an Schwab. Meß, 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 457 


6. Juni 1834. Verzögerung jenes Planes. Ueber das zunehmende Studium 
der deutjchen Literatur in Frankreich. — III. Adolf Stöber an Schwab. Met, 
14. März 1835. Ueber die 8. Auflage von Uhlands Gedichten und Marmiers 
Aufſatz üher Uhland in der Revue germanique. — IV. Adolf Stöber an 
Schwab. Oberbronn, 2. Juli 1836. Billigt Schwabs Yosfagung vom Muſen— 
almanac wegen der Au Fahne von Deines Bildnis und ſchließt fich dem 
PBrotefte gegen Heime am. — V. Adolf und Auguſt Stöber an — 

„Ich weiß nicht, ob Heines Bildnis richtig getroffen iſt, habe aber darin weiter 
keinen Seelenausdruck, als etwa den der Sinnlichkeit finden können.“ Ueber 
Dr. Schulz in Zürich; über Georg Büchners Tod. Uhlands Sagen— 
forſchungen über Thor ſollen durch Strobel ins Franzöſiſche überſetzt werden. — 
Der Brief Auguſts begleitet die Abſchriften von Goethes Friederiken— 
liedern: „Ich war dieſen Morgen gerade damit beichäftigt, die Ihnen längjt- 
verfprochenen, noch ungedructen Gedichte Goethes, aus Friederikens Nachlaß 
abaujchreiben .al3. 4.2...4.,.% Was die Gedichte von Goethe betrifft, jo habe 
ih fie aus den Driginalien, die im den Händen der in Niederbronn wohnenden 
jüngften Schweiter dev Friederife, mit diplomatischen Genauigkeit abgefchrieben ; 
es find viele Abjchriften Davon verbreitet. Wenn fie diefelben im Morgenblatt 
oder im Muſenalmanach wollen abdrucen, jo nennen fie aber nicht etwa meinen 
Namen, als Mittheiler. Auſſer den 4 mitgetheilten waren noch zwei andere da, 
die aber gedrudt find: Willkommen und Abſchied und Mit einem gemalten 
Band.” — VI. Auguft Stöber an Schwab, 28. Februar 1838. Begleitbrief zum 
Proſpekt der Erwinia; Bitte um Mitarbeit und Bermittlung der Einladung 
an Hermann Kurz Bruchjtüd aus einem Briefe von Jules Yetoublon 
über deſſen Beitrag zum Morgenblatt. Gediht an Guftan Schwab (Spät- 
jahr 1837). — VII. Schwab an Adolf Stöber. Gomaringen, 29. Dezember 1839. — 
VII. Schwab an Adolf Stöber. Stuttgart, 30. Dezember 1845. Ueber fein 
Guſtav-Adolphs-Gedicht. 

Ehrismann H., Julius (Friedrich Emil) Rathgeber. (18331893.) 
Lebensbild eines elſäſſiſchen evangeliſchen Geiſtlichen und Gelehrten. Benutzt 
neben der gedruckten Literatur auch Rathgebers brieflichen Nachlaß, eine AU. 
Seiten umfafjende Autobiographie und Mitteilungen von deffen Witwe, . 147 
bis 164 Berzeihnis der Werfe Nathgebers. 

Kafjel, Zur Bolfsjitte im Eljaß. 1. Das Nummelbrettchen in Min- 
versheim. — 2. Eine Hochzeit in Mietesheim. 

Stehle B., Volfstümliche Fefte, Sitten und Gebräude im Elſaß. 1894. 
Sehr wertvolle an Ort und Stelle vorgenonunene Sammlungen. Auch einzelne 
Yieder ud Sprüde. 

Spiefer J., Miünftertälev Anekdoten. Ein Verſuch, mit Anlehnung au 
die ſchriftdeutſchen Wortbilder lauttreu zu ſchreiben. (Fortſetzung.) 

Martin E und Lienhart H., Zum Wörterbuch der elſäſſiſchen 
Mundarten Proben. I. Elſäſſiſche Redensarten für einzelne oft vorkommende 
Dinge und Begriffe. — II. Zufammenftellung dev beliebten Vornamen und ihrer 
Abkürzungen. 

Volkstrachten in Oberſeebach (Kreis Weißenburg). 

Mitteilungen des Vereins für die Gefhichte und Altertumskunde don 
Erfurt. Heft 16. 

Borträge 1894: 2, Februar. Pid, Ein Zoller Nektor dev Univerfität 
1470. — 25. April. Beyer, Der Erfurter Rat und die Stadtverwaltung im 
Anfang des 16. Jahrhunderts. 

Dergel G., Zur Erinnerung au die U niverſität Erfurt. Vortrag 

Mai 1892, Ueber die Gründung der Umiverfität. 





458 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Pid A, Briefe Neithardts von Gneifenau an Dr. Johann 
Blaſius Siegling, Profeſſor dev Mathematit in Erfurt. Unter den Bei— 
lagen für ung hervorzuheben drei Briefe von Karoline v. Humboldt au 
Siegling 1815 ©. 87, 89, 102; ein Brief Bülows an W.v. Humboldt 1817 
©. 9; ein Gedicht auf den Tod von Sieglings Sohn 1815 ©. 100 ff. 

Dergel G., Urkunden zu Gefchichte des Collegium majus zu Erfurt. 
Ergänzung zu dem im Weiffenborns „Akten Der Univerſität Erfurt“ mitgeteilten 
urkundlichem Material. J. Die Statuten des Collegium majus vom Jahre 1427. — 
II. Vertrag zwiſchen den Collegiaten und Chriftian Ranmemwerf betreffend 
den Bau des Collegiums. 4. Juli 1435. — III. Mietsvertrag betreffend Die 
Häufer zur Arche Noä und zum Eleinen Drachen. 25. November 1483. — 
IV. Zwei Tabulae censuum. — V. Zur Geihichte des Sturms auf das 
Collegium vom Fahre 1510. — Va. Des Hans Safe Bericht über die 
Erſtürmung des Collegs. — VI. Schreiben des Rats an die philofophifche — 
in Sachen der Anſtellung der Collegiaten. 24. Februar 1567. — VII. Ver 
zeichnis der Collegiaten. 1471 -1677. 

Erzgebirgs-Zeitung 159. 

Nr 1.2. Nowak W., Zur Geſchichte und Sage der f. Stadt Kaaden. 
(Fortfeßung.) 

Urban M., Einige ältere egerländer Bolfslieder. 

aus] R., — aus der Duppauer Gegend. 

Nr. 1. Peiter W., Erzgebirgiſche Zähllieder. Echluß.) 

Beiträge zur Gefcikte von Stadt und Stift Effen Heft 15. 

Arens F., Das Wappen des Stiftes Effen. 

Arens 3 Die Siegel und das Wappen der Stadt Eſſen. 

Arens F., Die Verfaſſung des Kaiſerlich-freiweltlichen Stiftes Eſſen feſt— 
geſtellt in dem Landesgrundvergleich vom 14. September 1794 mit einer Ein— 
leitung. 

Grevel W., Das Abteigebäude zu Eſſen und die Reſidenz der Fürſt— 
Aebtiſſinnen. 

Humann G., Die ehemaligen Abteigebäude zu Eſſen. 

Schröder F., Zur Geſchichte Meinas von in mit Benutzung 
von Briefen dieſer Hebtiffin (1489 — 1525) und einer Chronif im Effener 
Stadtarchiv. 

Zeitſchrift des Ferdinandeums für Tivel und Vorarlberg. Dritte Folge 
Heft 38. 

Mayr Michael, Dev Generallandtag der öſterreichiſchen Erbländer zu 
Augsburg (Dezember 1525 bis März; 1526). — ©. 26 — — 
Beilagen: J. Karl V. an die tiroliſche Landſchaft Sevilla, 4. April 1526. — 
II. Zur Biographie Gabriel Salamancas. 

Schneller F., Beiträge zur Geſchichte des Bistums Trient aus dem 
jpäteren Mittelalter. 1. Hälfte. Negeften aus dem f. Staatsarhive zu Rom 
vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis etwa 1520. 

Fiſchnaler C, Die Volksſchauſpiele zu Sterzing im XV. und 
XVI. Sahrhundert. I. Die geiftlihen Spiele. Notizen aus den Sterzinger 
Raittbüchern von 1455. Seit dieſem „Jahre bis 1503 wurden in Sterzing in 
ziemlich vegelmäßiger Folge, meift von 7 zu 7 Jahren Paſſionsſpiele aufgeführt. 
Seit 1503 bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts nicht mehr fo regelmäßig. 
II. Die weltlihen Spiele. Zahlreiche Notizen über Volksſchauſpiele aus den 
Sahren 1527— 1598. 68 bilden fih Spielgejellfhaften, an deren Spite Stoffl 
Schopfer und Birgil Raber ftehen. Neben den einheimischen fpielen Ge— 
jellichaften aus Goſſenſaß und Stilfs. Um die Mitte des Jahrhunderts treten 





Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 459 


die jeweiligen Schulmeifter an ihre Stelle, welche gegen Ausgang des XVI. Jahr- 
hunderts fast ausſchließlich das Gebiet der Bühne beherrichen. 

Maretich v. Niv-Alpon Gedeon Freiherr, Zur Gefchichte Kuffteins. Er— 
weiterung der Befeftigungen Kuffteins im der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 
(1552— 1563). 

Mayı M., Shmähbilder des XVI. Jahrhunderts auf Papſt umd 
Kardinäle. 

Mayr M., Ein Vogelwaider aus dem XVII. Jahrhundert. 

Wiefer F. R. v., Ein Zauberfprud. 

Oeneralverfammlung des Ferdinandeums am 30. Mai 1894. ©. LX ff. 
Bericht über die Vermehrung der Archivalien und Handjehriften: Volksſchau— 
fpiele aus dem Ende des XVII. und dem Anfang des XVII. Jahrhunderts, 
16 Stück nebjt mehreren Fragmenten umd einzelnen Rollen. — Berjchiedene 
Gedichte auf lofen Blättern, zum Zeil von umbefannten VBerfaffern aus dem 
Anfang des Jahrhunderts, ca. 100 Stüd. — 9. v. Gilm, a) Jugendgedicht: 
An den Frühling. b) Gedichte eines Verfchollenen, aus dem Jahre 1844/45. 
Ben. Mayr: Andreas Hofer. Tranerjpiel. — Aus dem literarifchen Nachlafje 
von Joſ. Wildgruber Handichriftliche Gedichte. 

Mitteilungen vom Freiberger Altertumsperein Heft 30. 

Kade R., Gefhichte des Freiberger Buchdrucks durch vier Jahr: 
hunderte, mit den Biographien ſämtlicher Beſitzer der bis 1848 privilegierten, 
jetst Gerlachſchen Buchdruderet. 

Naufchenbadh, Die Fungfrauen-Schule zu Freiberg. 16. Jahrhundert. 
Ein Beitrag zur Gejchichte der deutſchen Mädchenſchulen. 

Zeitſchrift der Gejellihaft für Beförderung der Gefchichts-, Altertums— 
und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden 
LZandfchaften Band 11. 

Neff J., Markgraf Jakob II. von Baden und der Humanift Phil. 
Beroaldus d. J. Des Markgrafen Ehriftoph I. Sohn Jakob jtudierte 1496—95 
in Bologna und bevorzugte ns den dortigen Humaniften befonders den jugend- 
lihen Philippus Beroaldus d. %., der Neffen feines berühmteren Oheims gleichen 
Namens, der feinem fürftlichen Eile die Schrift de felicitate widmete. 

Mayer H., Die Univerſität Freiburg in den Jahren 1848 und 1849. 

Neff J. Karl Hartfelder Dr. phil., Dr. theol., Profeſſor am Groß- 
herzoglichen Gymnaſium zu Heidelberg. (18481893 4) Eine Lebensſkizze. 

Kraus F. X., Die Kapelle im Petershofe zu Freiburg 1. B. 

Riegel, Ein Titularbuch der Familie von Sidingen. (1743.) 

Pfaff F, Georg Pictorius über Bäder des Kaiferftuhls und Schwarz- 
walds bei Freiburg i. B. Mitteilungen aus deſſen Badenfartbüchlein 1560. 
Ueber Georg Pictorins (1500—1569) iſt demmächft eine eingehende Schrift von 
Kürz zu ‚erwarten. 

Kraus F. X., Grabjchriften der letsten Häupter des ©. Blafianer Kon— 
vents in ©. Paul in Kärnten. 

Kraus F. X., Badiſche Literatur 1890— 1893. Gejchichte und Altertüimer. 

Mitteilungen zur vaterländiſchen Gejchichte. Herausgegeben vom Hifto- 
riſchen Berein in St. Gallen. Jahrgang 25 (3. Folge 5. Band) Heft 2. 

Arbenz E., Die Vadianiſche Brieffammlung der Stadtbibliothet St. 
Gallen. II 


Iahrbud; des bijtoriichen Bereins des Kantons Glarus Heft 30. 
Wyß ©. v., Zu den Forfchungen von Schulte über Aeg. Tihudi. 
Die Tſchudiſchen Familien- Urkunden und das Meieramt Glarus. 





460 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Heer ©., Die Antworten der glarnerifchen Neligionsdiener an den hel- 
vetiſchen Minifter Stapfer. 179. 

Heer G., Das glarnerifche Poſtweſen im 18. und 19. Jahrhundert. 

Hanſiſche Geſchichtsblätter Band 7. 

Israël M., Die Inſel „Hiddenſoie“ und das Ciſterzienſerkloſter daſelbſt. 

Koppmann K., Zur Geſchichte dev Univerſität Roſtock. 1. Stiftung 
und Dotation der Univerſität. — 2. Die Vergewaltigung der Univerſität. — 
Anhang. Verhandlungen des Rats zu Roſtock mit der Bürgerſchaft über die 
Frage, wozu der Rat in Betreff der Einrichtung der Univerſität bevollmächtigt 
jein fol. 29. Suli 1419. Auszug aus den Statuten der Univerſität 
Noftod. 1419. — Johann Welder, Kirchherr von St. Nikolai zu Roſtock hinter- 
läßt dem Rat eine Summe als Beihilfe zu der vom Nate jährlich zu leiftenden 
Zahlung für die en 29. März 1420. 

Frensdorff F., Die Hanje zu Ausgang des Mittelalters. Vortrag. 

Zeitſchrift des Farz Vertin⸗ für Geſchichte und Altertumskunde Jahr— 
gang 27. 

Jacobs E. Geſchichtliche Ortsfunde dev Umgegend von Wernigerode, eine 
Ergänzung des Aufjates: Die Bewegung der Bevölkerung von Wernigerode im 
der vorjährigen Feitichrift des Harzvereins für Gefchichte und Altertumskunde, 
befonders der ihm beigegebenen gefchichtlichen Karte der Wernigeröder Stadtflur. 
Anhang. Gefchichtliche Bemerkungen über verjchiedene Holzarten im Wernige— 
vödischen. — Nachtrag ©. 619. 

Danneil F. und Jacobs E., Handwerker, Tagelöhner- und Gefinde- 
ordnung für das Gebiet der Stifte Magdeburg, Halberjtadt, Hildesheim und 
dev Herzogtümer Braunfchmweig und Lüneburg. Bom 26. Juni 1445. 

Meier, Quellen zur Genealogie der braunſchweigiſchen Familie von Kalm. 

Neinede A., Die Schützenbrüderſchaft zu Oſterwieck. 

Elliffen O. A., Einbed im 16. Jahrhundert. 

Domeier 5 Bun Geſchichte des Einbeder Biers. Vortrag. 

Hölſcher U. Goslarihe Feuerordnung vom 10. Februar 1540. 

Jacobs €, Aus dem Rechnungsbuche des Wernigeröder Dechanten und 
biſchöflich Halberftädtiichen amd Hildesheimifchen Offizials zu DBraumjchweig 
Johann Kerfener (1507-1541). ©. 594 Niederdeutihe Sprüde. — 
©. 597 die gegen 15356— 1538 niedergejchriebene Erzählung über fein Zuſammen— 
treffen mit Quther im Jahre 1520. — ©. 599 ff. Kunſtgewerbe. Bauſachen. 
S. 603 ff. Zur Gejchichte des Schrifttums und Bücherweiens im der Grafjchaft 
Wernigerode. Weber Wedego Lok. 

E. 5. [E. Jacobs], Neubau und Einweihung der Kirche zu Stiege, 
15. September 1707 bis 13. September 1711. 

Moſer J., Kleiner Beitrag zur Gefchichte der Quedlinburger Heren- 
prozeife 1. Der Monftre- Prozeß vom Fahre 1559. — 2. Der Nechtsfall 
von 1750. — 3. Schlußwort. Wünſcht eine Gejchichte der Quedlinburger 
Herenprozeffe. 

Mofer %., Herengeichichten aus dem Pfarr-Archive zu Bennungen. II. Nr. D. 

Zeitfchrift des Vereins für hennebergiſche Geſchichte und Landeskunde in 
Schmalkalden Heft 12. 

Schmalkaldia literata, das iſt hiſtoriſche Befchreibung 191 gelehrter 
Leute, welche in der Stadt Schmalkalden und den dahin gehörigen Ortſchaften 
geboren, ſowohl daſelbſt als an anderen Orten das gemeine Beſte im weltlichen 
und geiſtlichen Regiment, wie auch auf Academien und geringeren Schulen be— 
fördert und noch befördern, nach alphabetiſcher Ordnung aufgeſtellt von X. C. 
Geiſthirt (1720). 











Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 461 


Mitteilungen der Gefellichaft für Kieler Stadtgefchichte Heft 12. 

Rodenberg E., Aus dem Kieler Leben im 14. und 15. Jahrhundert. 

Veröffentlichungen der Stabdtbibliotbet in Köln Heft 5 und 6. 

Katalog der Stadtbibliethef in Köln. Abteilung Rh. Gefchichte und 

Landeskunde der Aheinprovinz. 1. Band, bearbeitet von F. Nitter. 
Mitteilungen des Mufcalvereines für Krain Jahrgang 7. 

Nadics P. v., Dev krainiſche Hiftoriograpp Johann Ludwig Schön— 
(eben (geb. 1618, gejt. 1681). Vorwort. Biographifches. Herkunft, Geburt 
und Erziehung ; erfter Aufenthalt i in Wien (1618—1649.) — Präfekt der Schulen 
im Colleeium S. J. in Laibach. (1650—1652). Schönleben als Theater- 
dichter: Haeresis Fulminata, a Me Tyrannus Orientis Haeretieus. — 
Zweiter Aufenthalt in Wien; Docent an der Wiener Umiverfität. (1651 bis 
1653.) — Pfarrer im Neifnits und Erzpriefter in Unterkrain. (1667—1676.) — 


Ruheſtellung in Laibach; Tod (1676 — 1681). — Literarhiftoriiches. Schön- 
leben und die öſterreichiſche Gefchichte im allgemeinen. — Schönleben und die 
frainifche Gejhichte. „Aemona vindicata.* — „Carniolia antiqua et nova.“ 


Schönlebens Borbereitungen zum zweiten Band Ddiefes Werkes. Schünleben als 
Genealog krainiſcher Adelsgefchlechter. — Chronologifche Neihenfolge der im Drucke 
erfchienenen Schriften Schönlebens. Anhang. I. Ein Schreiben Schönlebens 
an den Hofbibliothefar Kaijer Yeopold I. Peter von Lambed, 30. Auguft 1672. — 
II. Die Ausſchreiben Schönlebens an Adel und Geiftlichfeit in Krain um Materiale 
zum zweiten Bande der Carniolia antiqua et nova. — III. Aufruf Schön- 
lebens an den Adel in den öfterreichifchen Erblanden (1680). — IV. Ein Schreiben 
Schönlebens an Abt Albert von St. Paul 16. April 1681. 

Luſchin v. Ebengreutd A, Urban Debelad. Eine Gefchichte aus den 
Studentenleben zu Bologna. — Bericht der Jahrbücher der deutſchen Studenten 
zu Bologna über den Tod des Urban Debelad. 10. März 1640. 

Belar A., Freiherr Sigismund Zois' Briefe mineralogifchen Inhalts. 
1778— 1793. 

Aeues Lanfikifces Magazin Band 70 Heft 2. 

Eitner, Adolf Traugott dv. Gersdorff. (20. März 1744 bis 
16. Juni 1807.) Zum 150jährigen Geburtstage Des Gründers der ober- 
lauſitziſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften. 

Knothe 8 Das Sch alas en auf den Dörfern des Weichbildes Zittau 
bis zum Erlaß des Elementar-Volksſchulgeſetzes von 1835. J. Von den erſten 
Spuren eines Schulunterrichts auf den Dörfern bis zum Erlaß der oberlauſitzi 
ſchen „Schulordnung“ von 1770. 1I. Bon 1770 bis zum Erlaß des Geſetzes 
über „das Elementär-Volksſchulweſen“ von 1835. 

Kade R., Der Kantor Chriſtoph Demant [Demantius) in Zittau. 
(1597 — 1604.) Ein Beitrag zur Schulgefhichte der Lauſitz. Much mit einigen 
Proben der von ihm jelbft verfaßten Texte zu feinen Kompoſitionen. 

Vorträge: 13. Februar 1894 Sulenburg, „Julius Minding, ein 
verichollener deutscher Dichter“. — 13. März 18594 van der Belde, Herzog 
Heinrih Julius von Braunschweig als Förderer der dramatiſchen Kunſt. 

Mitteilungen der Deutſchen Geſellſchaft zur Erforſchung Baterländiicher 
Sprache und Altertümer in Leipzig. Band 9 Heft 1. 

Günther O., Zur Gefchichte des Yeipziger Mufenfrieges im Jahre 
1768. Knüpft an Wittowstis Darftellung des von Goethe im Dichtung umd 
Wahrheit erwähnten Leipziger Studentenaufruhrs im 15. Bande des Goethe 
Jahrbuchs an und gibt eine ausführliche Geſchichte davon hauptſächlich nach 
‚einem gleichzeitigen Manuſkript der Leipziger Univerſitätsbibliothek, das auch die 


462 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


bei diefer Gelegenheit entftandenen Gedichte enthält, und nach Akten im Dres 
dener Staatsardhiv. 

Günther O., Aus Gottſcheds Briefwechſel. Biographiiche Skizze von 
Johann Wilhelm Steimauer (er in Naumburg 1. Juli 1715), dem 
jpäteren franzöfifchen General. In feiner Jugend war er wie fein Bruder 
Johann Ehriftian, der unter dem Namen German an den Beluftigungen 
mitarbeitete, mit Käſtner befreumdet und ein begeifterter Anhänger Gottjcheds, 
mit dem er in Briefwechfel ftand. Steinauer ift der Berfafler des erften Stüdes 
der gegen Steinbach gerichteten „Geſpräche zwifchen Johann Chriftian 
Günthern aus Schlefien in dem Neiche dev Todten und einem Ungenannten 
in dem Reiche der Lebendigen 1739“, durch die er mit J. U. König in Streit 
geriet. Ein weiteres Pasquill auf König gelangte nit zum Drud. Hervor— 
zubeben ift Steinauers Urteil über das Straßburger Deutid 1738 ©. 54 
und die Schilderung feiner Vorträge in Schweighaufen 1739 ©. 58 f. 

Buchwald G., Simon Wilde aus Zwidau. Ein Wittenberger Stu- 
dentenleben zur Zeit der Reformation. 33 Briefe von Simon Wilde an feinen 
Verwandten Stephan Roth in Zwidau aus jeiner Wittenberger Studienzeit 
1540—1543. Simon Wilde (Bildius) ift um 1720 in Zwickau geboren. Pit 
dem Wittenberger Profefior Dr. Stephan Wild, über den eine Anmerkung 
auf ©. 66 einige Notizen zufammenftellt, hat ev nichts zu thun; ev ftudierte feit 
1539/40 Medizin in Wittenberg, wurde 1545 durch Melanchthons Vermitt- 
fung Schulmeifter in Hammelburg bei Schweinfurt, war Anfang 1546 Arzt zu 
Eisleben umd als jolcher bei Luthers Tode zugegen; ftarb als Yeibarzt des 
Herzog Johann —— III. von Sachſen 1560. Bon Einzelheiten ſei nur 


weniges hervorgehoben. ©. 89. Ueber Melanchthons Abreije nach Hagenan 
und Abjchied von Luther; Luthers, Erucigers und Jonas’ Neife nach 
Weimar. — ©. 93. Ueber ein Pariſer EN BRNEERREERTA NL Simon 


Lemnius. ©. 9. Luthers Schrift Wider Hans Worft. ©. 105. Bericht 
über Promotion und Magifterihmaus. ©. 27. Bom Kriege gegen Heinz von 
Wolfenbüttel. 

Mitteilungen dev Pitauifchen literariſchen Geſellſchaft Heft 19 (IV. 1.) 

Knaake E., Neue Beiträge zu einer Lebensbefchreibung Mar von 
Schenfendorfs. Nicht ſehr wichtige Briefe der Eltern. Der Vater ftammte 
aus der Neumark. ©. 12 wird Fouqués Gediht „An Mar v. Schentendorf“ 
(„Manch Scheidelied ift Div erflungen“) nach einer Abjchrift von Schenfendorfs 
Mutter abgedrudt. ©. 16. Stammtafel der Familie v. Schenfendorf. 

Stein, Erinnerungen aus Yitauen in Preußens Unglüdszeit auf Grumd 
firchenurkundlicher Mitteilungen. Beraubung von Kirchen, Einuaruerung x. 

Wolter E., Nomantifch-fagenhafte Motive des litauiſchen Bolfsliedes. 
Knüpft an die Brofehüre des kleinruſſiſchen BEE EN und Piterarhiftorifers 
N. Sumcow in Charfow an: „Bolfslieder über Bergiftung durch Schlangengift. 
Kijev 1894. 

Me nngen des Vereins für Lübeckiſche Gefchichte und Altertumstunde 
Heft 6. 

Nr. 7. 8. Wehrmann E., Beiträge zur Gejchichte Yübeds in den ‚Jahren 
1500— 1810. 8. Franzöftiche Beprüchungen (Fortſetzung und Schluß.) 

Ar. 8. Walther E., Nein, Ipricht Grawert. Deutet den Reimſpruch in 
Seelmanns Ausgabe des Keimbü hleins ©.27 auf Fritz Gramert, 1509 
bis 1533 Mitglied des großen Nates in Pübed, 1538 geftorben. 

Kr. 9. Stiehl E., Die Yübedifchen Stadt- und Feldtrompeter. 

Stiehl C., Lehrbrief eines Lübeckiſchen Stadt- und Feldtrompeters. 

Haſſe B., Bilderverfteigerungen am Ende des 17. und 18. Jahrhunderts. 





Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 463 


Beiträge zur Geſchichte Yübeds in den Jahren 1800—1810. 9. Wohl— 
will A., Karl Friedrih Reinhard in Travemünde. 1804. 

Had E., Fernere urkundliche Nachweife, betreffend den Lübecker Buch— 
händler Paul Knufflod. 

Nr. 10. Stida W., Die Familie Brömfe und das Ende des Bürger- 
meifters Dietrih Brömje. 

Bruns, Das Schidjal des Silbergeräts der Lübecker Bergenfahrer. 

Haſſe P., Ballſpiel im fünfzehnten Jahrhundert. 

Bobe, Zur Lübeckiſchen Muſikgeſchichte. 

Brehmer, Polnifche Socinianer in Lübeck. 1664. 

Brehmer, Bertrag mit einem Thurmdeder. 1537. 

— des Vereins für Lübeckiſche Geſchichte und Altertumskunde 
Band 7. 

Heft 1. Lindſtröm G., Die Rathslinie von Wisby. Bis 1515. 

Virck H., Lübeck und der Schmalkaldiſche Bund im Jahre 1536. Bei— 
lagen. 1. Der Lüneburger Kanzler Johann Forſter an den Kurfürſten 
Johann Friedrich von Sachſen. 27. Juni 1536. 2. Bürgermeiſter und Rat 
der Stadt Lübeck an den Kurfürſten Johann Friedrich von Sachſen und den 
Landgrafen Philipp von Heſſen. 25. September 1536. 

Techen F., Die Grabſteine des Doms zu Lübeck. Abdruck aller In— 
ſchriften. 

Hach E., Zur Geſchichte der großen Orgel in der St. Jakobi-Kirche zu 
Lübeck und des Epitaphiums von Jochim Wulff dafelbft. 

Heft 2. Wehrmann E., Die Lübeckiſchen Yandgüter. I. 

Hoffmann M., Der Lübecker Bürgermeifter Hinrich Rapeſulver. 
Beilage. Sein Teftament vom 14. Februar 1439. 

Lenz 9., Die altſächſiſchen Bauernhäuſer der Umgegend Yübeds. 
Nah den Erhebungen der Kommiſſion zufammengeftellt. ©. 264 Abdrud des 
Fragebogens, auf dejjen Beantwortung die Zufammenftellungen beruhen. 

Wohlwill A., Die Projekte zur Berbefferung des Stednit- Kanals und 
die franzöftichen Annerionen vom Dezember 1810. Ein hiftorifhes Fragment. 

Hasje P., Der Maler Hans von Hemßen und fen Bild vom 
Audienzjaal des Rathaufes. 17. Jahrhundert. 

Jahrbuch für Münchener Geſchichte Jahrgang 5. 

Günther ©., Die beiden Münchener Geometer und Kartographen Tobias 
Boldmar. 

Munder %., Beiträge zur deutſchen Literaturgefchichte aus Münchener 
Handſchriften. 1. Ein Brief Boies umd drei Briefe Klopftods an Johann 
Kajpar von Lippert. Der Brief Boics (19. Auguft 1773) und die beiden 
erjten Briefe Klopftods (Hamburg, 21. DOftober 17753 und 10. Mai 1774) be— 
treffen die Subjtription auf die Gelehrtenrepublif. Klopftod teilt auch 
mit, daß ein Brief von ihm an P. Sterzinger verloren gegangen fei, in 
welchen auch geftanden, „daß das Bud nichts enthalten würde, das die Religion 
beträfe,“ Ueber die Sängerin Mingotti und den Eindrud, den fie einft [in 
Leipzig] als Merope auf ihn gemacht. — Der dritte Brief (Carlsruhe, 24. März 
1775) betrifft die dänische Prachtausgabe des Meſſias. Indem er die Unter- 
ſtützung durch den Kurfürften von Bayern für fich ablehnt, erbittet er dieſe für 
„einige junge deutjche Gelehrte“, von denen er aus guten Gründen glaube, daß 
fie ihrem Baterlande einft Ehre machen würden (wohl die Göttinger Dichter). 
Ein genaues Verzeihnis der überaus zahlreichen und großenteils inhaltlich be- 
deutenden Briefe an Lippert wird Trautmann im nächften Bande des Jahrbuches 
veröffentlichen. — 2. Drei Komödien des Terenz, überfett von Lorenz 

Euphorion II. 30 


464 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Weftenrieder. Charakterifiert die handſchriftlich erhaltene Ueberfegung des 
Selbftpeinigers, des Eumuchus und der Andria aus dem Jahre 1770. 

Braummühl A. v., Ueber eine an der Bibliothek der Univerfität München 
vorhandene Sammlung von $ Driginalbeobachtungen 2c. aus der Zeit der Ent- 
dedung der Sonnenfleden. Aus dem Nachlaß des Jeſuiten P. Joh. Bapt. 
Eyfat, Profeffor der Mathematit in Ingolſtadt 1618—1622; fteht im enger 
Beziehung zu dem Aftronomen und Mathematiker P. Chriftoph Scheiner 
S. J. (1573—1650). 

Muggenthaler L., Der Schulorden der Saleftanerinnen in Bayern von 
1667— 1831. Ein Beitrag zur Gejchichte des höheren weiblichen Unterrichts- 
und Erziehungsmejens. 

Haeutle Ehr., Die Reindlſche Chronit von München von 1403, bezw. 
1580—1756. Dritte Abteilung von 1743—1746. Zum erjten Male heraus- 
gegeben. 

Simonsfeld H., Münchener in der Fremde II. 

Trautmann K., Die franzöfifhen Hoffomdödianten des Aur- 
fürften Mar Emanuel. Nachträge zum 2. Bande des Jahrbuches. 

Jahrbuch der Hiftorischen Gefellichaft für den Negediftrikt zu Bromberg 1895. 

Meyer M., Mitteilungen aus der Gejchichte der Königlichen Negierung 
und des Negierungsbegirtes Bromberg in den Jahren 1815—1820. 

Bumwachsverzeihnis der Bibliothef. Handjhriften Ein Stamme- 
buch aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. — „Anforderung des Schäfers 
Schnabe an pp. Zodolinsty zu Niewerfe bei Pinne. 1763.” — Chronik der 
Stadt Znin. 

Blätter des Vereines für Pandesfunde von Niederöfterreih. Neue Folge. 

Sahrgang 28 Wr. 5—12. 

Wimmer %., Gejchichte der Pfarre St. Agatha zu Hausleiten bis zur 
Didzefanregulierung im Jahre 1783. (Schluß.) IV. Hausleiten von der Gegen- 
reformation bis zur Diözefanregulierung 1783. 

Haas W. NT. zur Landeskunde von Niederöfterreich im Jahre 1893. 

Nagl W., Der Vokalismus unferer Mundart hiſtoriſch beleuchtet. (Fort 
jeßung.) 

Endl F., Geichichte des Klofters St. Bernhard. (Schluß.) 

Starzer A., NRegeften zur Gefchichte der Klöfter Niederöfterreichs, ſowohl 
der aufgehobenen als der noch bejtehenden. 2. Teil (Schluß). 

Negifter zu den Blättern des Bereines für Landeskunde von Nieder- 
öfterreih. Sahrgänge 1881—18855. Mit der Neihenfolge der Aufſätze in den 
Sahren 1881—1890, nah) Autoren und Materien geordnet. 

Der niederöfterreichifche Landesfreund Jahrgang 3 Heft 9. 

Daum, Eine bürgerlihe Familienchronik aus Nieder-Defterreich. 

Zeitfchrift des Hiftorichen Vereins für Niederfachfen Jahrgang 1894. 

Wrede A., Zwei Beiträge zur Gefchichte des Fürftentums Yüneburg im 
Neformationszeitalter. 1. Herzog O Ö ttos Verzicht auf die Regierung des Fürften- 
tums Lüneburg und feine Heirat mit Meta von Campe. Eigenhändiger Bericht 
des Herzogs an den Kanzler Förfter, Juni 1526. — 2. Ein Bericht über die 
religiöfen Berhältniffe in der Stadt Lüneburg aus der erſten Hälfte des Jahres 1590. 
Bon Auguftin von Getelen aus Briefen des Propftes von St. Johann, 
Joh. Eoller zufammengeftellt. 

Kruſch B., Die Entwidelung der Herzogid Braunſchweigiſchen 
— Kanzlei, Hofgericht und Konfiftorium bis zum Jahre 1584. 
(Fortſetzung.) 8 9. Die Neubeftellung des Regiments durch Herzog Julius 
(1568— 1571). — $ 10. Das Regiment der Goldmacher (1571—1574). ©. 89 








Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 465 


Anmerkung: Ueber das bei Rhamm ©. 111 ff. nach einer fchlechten Kopie ab- 
gedrudte Famosgedicht auf den Herzog aus dem Jahre 1573. — 8 11. Das 
Konfiftorium (1568—1584). — $ 12. Das Hofgeriht unter Herzog Julius 
(1568—1584). — $ 13. Die große Kanzletordnung von 1575. 

Uhih O., Die Stadt Hannover im fiebenjährigen Kriege. Bortrag. 
Außer der gedrudten gleichzeitigen Literatur liegen vor allem die Akten des 
Staats- und Stadtarhives zu Hannover und die Chrom von Eberhard, Jürgen 
Abelmann, VBorjteher des Bäceramts der Altjtadt Hannover, zu Grunde. ©. 264 
über das franzöfifhe Theater während Nichelieus zweiten Aufenthalt in 
Hannover. 

Hugo F. d., Nachrichten, betreffend das im Fürftentum Göttingen belegene 
von Hugoſche Nittergut Friedland umd deſſen Befiger. Unter Benugung der 
im Königlichen Staatsardiv zu Hannover beruhenden Lehnsaften zuſammen— 
geftellt. 


Mitteilungen des Nordböhmischen Erkurfions-Clubs Jahrgang 17 Heft 4. 

Jahnel E., Aus dem Außiger Stadtbude 

Katzerowsky W., Die Memorabilienbücher der Stadt Yeitmeriß. 

Tiherney A., Zur St. Kummernis-Legende. 

Meihe A., Bergmannslied Bollitändiger Text des in den Mit- 
teilungen 17, 280 bruchftüchweife mitgeteilten Bergmannsliedes „wie es vor nahezu 
fiebenzig Fahren in Przibram gejungen worden iſt.“ 

Klapper Mirza, Sagen. Darunter eine Kümmernisjage. 

Zinke A., Feuer- und Blutfegen. 

Paudler A. Die Schwörgrube. 

Dreßler F., Aus Hennersdorf bei Wartenberg. 

— hiner E., Schnitzel. II. Darunter eine Zwergſage aus den 
Beiblättern zu „Oſt und Weſt“, 1845 Nr. 116. 

Bendel W. G., Alt— -Ohlis ih umd feine nächfte Umgebung. Berührt auch 
Sagen. 

- Paudler A., Zur Ortsnamenfunde. 
. Petters 8. 8, Gebräuche und Aberglaube in einem Teile des 
Erzgebirges. 


—— Archiv für vaterländiſche Geſchichte Band 48. 

Heft 1. Rambaldi K. Graf v., Geſchichte des Schloſſes Eurasburg und 
ſeiner Beſitzer. 

Krallinger H., Ueber das Volksſchulweſen der Stadt Landsberg am Lech 
von den früheſten Anfängen bis zur Durchführung des Schulzwanges zu Beginn 
des gegenwärtigen er I. Die elementare Privatihule unter obrig- 
feitlicher Beauffihtigung. ©. 89 ff. „Ein vnderrichtung der Kinderzucht” von 
Matthäus SH ffel aus der Mitte des 16. Jahrhunderts; darin eine 
Diſchzucht. Il. Die Landsberger Klofter-Mädchenfchule. III. Die Entftehung 
der öffentlichen Volksſchule. 

Pfund K., Gefchichtlihe Erinnerungen an die Keffelbergftraße 1492— 1892. 

Hager 6 Die Bau= und — des Kloſters Steingaden. 

Heft 2. Fugger Eberhard Graf von, Die alte Wallfahrtskirche zu Vil— 
an Nach einem Bortrage. 

Hager G., Die Bauthätigfeit und Sumftpflege im Kloſter V ſſobrunn und 
die Weffobrunner Stuffatoren. Anhang I. Die Inventare d des Kloſters Weſſo— 
brunn. II. Verzeichnis von Weſſobrunner Maurern und Stukkatoren. 

Krauß G. Ueber eiferne Kirchenglocken Oberbayerns. 

Fürſt M. Hartwig Freimund Bee 1822—1892. Nekrolog. 


30% 


466 Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 


Monatsſchrift des Hiftorischen Bereins von Oberbayern. 

Jahrgang 3 Nr. 11/12. Trautmann K., Die Pfarrfirhe in Sandizell 
und ihre Meifter. (18. Jahrhundert.) 

Nr. 11. Trautmann K., Zwei Alt-Münchener Friedhöfe — der Künftler- 
friedhof bei St. Salvator und der Gottesader bei den Theatinern — und ihre 
Toten. Bortrag. 

Jahrgang 4 Nr. 2. Pfund K., Hans Georg von Herwart, Graf zu 
Hohenburg. Vortrag. 

Halm, Facadenmalereien in Oberammergau, Garmiſch und Mittenwald. 
Bortrag. 

AMTES LERgEn des Oberheffischen Geſchichtsvereins. Neue Folge Band 5, 

Klewitz E. und Ebel 8, Die Gießener Matrifel. Fortſetzung 
jeit 1701. 

Buchner O., Die Anfänge des Buhdruds umd der Cenfur in 
Gießen. Mit Bemubung der After des Umiverfitäts-Archivs. Die Arbeit war 
beim Erjcheinen von Könnedes „Heſſiſchen Buchdruckerbuch“ bereits fertig ges 
drudt. ©. 51 Nachträge daraus. 

Heufer E., Fr. Thom. Chaftels Tagebuch über die friegeriihen Ereigniffe 
in und um Gießen vom 6. Juli bis 18. September 1796. 

Noeschen A., Ein Trauergediht auf den Brand der Stadt Allen- 
dorf a. d. Yumder am 6. Mai 1603. Carmen lugubre a Johanne Riemen- 
schneidero ludi literarii Allendorphensis moderatore. 

Auszüge aus den in den Sitzungen gehaltenen Vorträgen. Klewitz, Die 
ältefte Gießener Matrifel. Die Matrifel von 1608 bis 1611, 1614 und 
1638 wurde aufgefunden und fol in den Mitteilungen veröffentlicht werden. 
1. April 1608 ift eingetragen: Ludolph a Bismarck, eques Marchicus. — 
Ebel, Ueber das Alsfelder Stadtarhiv. — Schilling, Ueber die Gefchichte von 
Alsfeld. — Strad, Ueber eine Alsfelder Dichterin des vorigen Jahrhunderts, 
Sohanne Marie Elijabethe Merk. Vergleiche Euphorion 1, 668. — 
Bock A., Goethe und Profefjor Höpfner in Gießen. Vgl. oben ©. 230. — 
Knab, Mitteilungen aus einem A: Pfarrarhiv. Aus dem Dorf 
Niedermoos. — Lollin, Profeffjor Karl Friedrich Bahrdt in Gießen. — 
Nöbenade, Zur Ge schichte des Wetzlarer Domes. 


Zeitschrift für die Gefchichte Des Oberrheins. Neue Folge Band 10 
Heft 1. (Der ganzen Neihe 49. Band). 

Chrouſt A., Ein Beitrag zur Gefchichte der kurpfälziſchen Finanzen am 
Anfang des 17. Jahrhunderts. 

Holländer A., Hubertus Languetus in Straßburg. (Ein Beitrag zur 
Geſchichte der en u) 

Kunzer O., Oratio de rebus gestis Gaeorgii a Freuntsperg Equitis 
Germani in illius funere habita Mindelhumii. Autore Jo. Gaza. Ver— 
öffentlicht aus einer Handſchrift der Großherzoglichen Gymnaſiumsbibliothek zu 
Konftanz. Gaza ift ein bisher wenig befannter Humanift aus der erſten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts, deſſen eigentliher Name („Schatz“?) unbefannt iſt. Die 
Nachrichten weiſen darauf hin, daß er im Jahre 1530 und 1531 in Tirol 
fih aufhielt. Die Nede ift 1530 an Georg Frundsbergs Sohn Cajpar 
überfandt, alfo wahrjcheinlich erſt damals entftanden. 

Schröder N., Ueberficht über das gedrudte und handichriftlihe Material 
für die Herausgabe der badifchen und elſäſſiſchen Stadtrechte. I. Das nördlide 
Baden umd die benachbarten Gebiete. 

Obſer K., Guftav Adolf von Schweden am Oberrhein im Jahre 1620, 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 467 


Ueberſetzung der betreffenden Partien aus dem gedructen Tagebuch eines Be— 
gleitrs Johann Hand. 

Holländer H., Noch einmal die Straßburger Legende vom Jahr 1522. 
Gegen Egelhaaf. 

Fund H., Ein merfwürdiges Urteil J. ©. Schloffers über Karl 
Friedrih von Baden Aus einem Briefe an Lavater, Emendingen 
8. Oftober 1774, über Lavaters Widmung der phyfiognomifchen Fragmente an 
Karl Friedrich. 

Windelmann, Baumeifter Hans Böringer zu Freiburg. Seine Bewerbung 
um die Werfmeifterftelle zu Straßburg 1583. 

Cartellieri A, Zu Jakob Locher Philomuſus. Mitteilungen über 
deffen Familie nach einer Urkunde vom Jahre 1932. 

Mitteilungen der badifchen hiftorifhen Kommiffion 1895. Nr. 17. Fecht 
8. G. und Fund H., Arhivalien aus Orten des Amtsbezirks Karlsruhe. 

Schappader L., Archivalien aus Orten des Amtsbezirks Meßkirch. 

Weiß IH, Archivalien aus Orten des Amtsbezirks Ettenheim. 

Stöffer B., Arhivalien aus Orten des Amtsbezirks Baden. Nachträge. 

Mitteilungen des Inſtituts für öfterreichiiche Geſchichtsforſchung. 

Band 15 Heft 4. Lechner K., Zur Gründungsgefhichte der öfterreichifchen 
Kriegsmarine. Unter Karl VI. 

Huber A. und Hirn J., Zur Belagerung Wiens durch den Grafen 
Thurn (2.—14. Juni 1619). 

Schlitter H, Anonymes Schreiben aus dem Nachlaffe des Herzogs von 
Reichsſtadt. 

Band 16 Heft 1. Beer A., Zur Sendung Metternichs nad) Paris im 
Jahre 1810. 

Archiv für öſterreichiſche Gefchichte Band 81. Erfte Hälfte. 

Deer A., Studien zur Gejchichte der öfterreichifchen Volkswirtſchaft unter 
Maria Therefia. I. Die öfterreihifche Induſtriepolitik. 

Lofertd J., Der Kommunismus dev mähriſchen Wiedertäufer im 
16. und 17. Jahrhundert. Beiträge zu ihrer Gefchichte, Lehre und BVerfaffung. 
TI. Die Huterſche „Gemeinschaft“ in Mähren von ihrem Entftehen bis zu 
ihrer Bertreibung. 1. Die Parteiungen unter den Taufgefinnten in Mähren 
bon Hubmaiers bis zu Jakob Huters Tode. 2. Fortichritte des Anabaptismus 
in Mähren nah dem Tode Jakob Huters. Der Kampf gegen die „Gemein- 
ſchaft“ und Die zweite große Verfolgung in Mähren. 3. Die Wirkffamfeit Peter 
Niedemanns und Lienhard Lanzenftiels, Peter Walpots umd 
Hänfel Krals. Die glücliche Zeit der Gemeinfchaft und die zweite Eins 
wanderung aus der Schweiz. . Das Ende der glücdlichen Zeit der Wieder- 
täufer in Mähren, die Anfänge der Fatholifchen Reaktion in Nifolsburg und 
die Streitichriften katholiſcher Schriftfteller wider die Huterifche „Gemeinſchaft“ 
(1583 — 1609). ©. 190 Anmerkung: ein „Dialogus oder Geſpräch, jo 
von den befehrten Fatholifchen Burgersfindern zu Nicolspurg in Ankunft des 
wolgebornen Herrn Adams von Dietrichftein anno 1581 gehalten worden“, 


verifiziert. — ©. 192 f. Ein Lied gegen die Wiedertäufer von Johann 
Eysvogel zu Cöln. 1586. — ©. 195 fi. Streitfehriften. 5. Die Vertreibung 
der Wiedertäufer aus Mähren. — II. Leben und Lehre der Wiedertäufer in 


Mähren. 1. Stimmen der Zeitgenoffen über Leben und Wandel der Wieder 
täufer. Weiterbildung ihrer Lehre. Der Kommunismus. 2. Die Lehre von 
der Gemeinjchaft. 3. Die Durchführung der Gemeinschaft. Die Haushaben. 
4. Die Handwerfsordnungen. Der Haushälter. 5. Aus einzelnen Handwerfen, 
6. Die Yandwirtichaft. 7. Die Arzneifunde und die Bäder der Wiedertäufer. 


468 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


8. Die Schulen der mährifchen Wiedertäufer. 9. Der Berfall der Gemeinschaft. — 
Beilagen. 1. Sendbrief Claus Felbingers an die „Gemain“ Gottes in 
Mähren. 1560. 2. Benefh Köhler an Matthäus Binder im Koftl 
über feine Erfolge in der Umgebung von Züri. 12. Auguft 1584. 3. Derfelbe 
an Michael Veldthaler zu Nifolsburg über dasjelbe. 13. Auguft 1584. 
4. Derjelbe an den Wiedertäuferbiihof Clauß Breutel zu der Neumühl über 
dasjelbe. 14. Auguft 1584. 5. Mandat der Züricher gegen die nah Mähren 
ziehenden Wiedertäufer. 30. Dezember 1612. 


Oeſterreichiſches Literaturblatt 1594 Nr. 22. 
Nagl I. W., Zur Hans Sahs- Feier des germaniftifchen Seminars 
in Wien. 


Die Dioskuren, Literarisches Jahrbuch des Erften allgemeinen Beamten- 
Bereines der Defterreihifch-ungarifhen Monarchie. Jahrgang 24. 
Walden B., Betty Paoli. Ein Gedenfblatt. 
Meynert 9, Fauft und Hiob. 
Frankl L. A., Gedichte. (Aus dem Nachlaffe.) 
Khuenberg, Sophie v., Religion und Poeſie. Studie. 
DENT ‚ Zur Erinnerung an Franz Nifjel. 
Groß F., Das Kind in der Weltliteratur. Cine Studie. 


Jahrbuch der Geſellſchaft für die Gefchichte des Proteftantismus in Defter- 
veih Jahrgang 15 Heft 3/4. 

Schmidt Arthur, das Evangelium in Gablonz und Umgebung. I. Ab- 
ſchnitt. Die Gefchichte des Proteftantismus in Gablonz und Umgebung bis 1660. 
1. Die Entjtehung von Gablonz. 2. Das hufitifche Zeitalter. 3. Die Einführung 
der Lehre Luthers. 4. Die Ausrottung des Luthertums. 

Tauberiana. Nah arhivalifhen Erhebungen des Herrn Stadtarchivar 
Uhlivz, mitgeteilt von A. Nicoladoni. Neue Urkunden über Caſpar Tauber. 

Loeſche, Ein ungedrucdtes Gediht von Joh. Major. Humaniftifch- 
evangelijches Stimmungsbild aus Böhmen. Huldigungsgediht an den Schladen- 
walder Bürgermeifter Balentinus Mulcius 24. Januar 1553. 

Scheufler, Der Zug der öfterreichifchen Geiftlichen nad und aus Sachſen. 
VI. Fortſetzung.) 

Unger Th., Ueber eine Wiedertäufer=-Liederhandjchrift des XVII. Jahr— 
hunderts. Fortſetzung. Die Täufer-Lieder, nach Yändern geordnet. Oeſterreich 
unter der Enns. Lied von Chriſtoph Hueter auf den gewaltfamen Tod 
des Schufters Hans Gurtzhaim zu Wien am 27. Juni 1548. — Schwaben. 
Lied auf den Tod des Webers Hans Niffel zu Warthaufen 13. Dezember 1571. 
„In des Jörg Wagners Thon.“ 

Scheichl F., Bilder aus der Zeit der Gegenreformation in Oeſterreich. 
2. Religionsheuchelei. 


Mitteilungen des Vereins für Gefchichte und Landeskunde von Osnabrüd 
Band 19. 

Düring A. v., Gejchichte des Stiftes Börftel. II. Teil. Uebergang des 
Klofters im ein freimeltliches Stift von 1532 bis 1674. 

Fort H., Urkundliche Beiträge zur Lebensgefchichte des Kardinals Eitel 
Sriedrih von Hohenzollern- Sigmaringen, Fürftbifchofs von Osna- 
brüd (geftorben 1625). 

Anlage: Inhaltsverzeichnis und Alphabetifches Sachregifter zu Band I 
bis XVI der Mitteilungen des Vereins für Gefchichte und Landeskunde (Hiftorifchen 
Vereins) von Osnabrüd. II. 





Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 469 


Mitteilungen des Hiſtoriſchen DVBereines der Pfalz Band 18. 

Roth E. W. E., Geſchichte und Bibliographie der Buhdrudereien 
zu Speier im 15. und 16. Jahrhundert. J. Ungenannter Drucker 1471. 
1I. Ungenannter Druder 1472. III. Peter Drach der Aeltere 1477 bis 
1480. IV. Beter Drach der Mittlere 1481—1504. V. Peter Drad 
der Jüngere 1504—1530. Ber den drei letzteren Lebenslauf, Geſchichte des 
Berlages, Berzeihnis aller Druckwerke. VI. Undatierte Drude der Drachſchen 
Druderei 1480—1528. 

Mapyerhofer J., Bon den Kanonifatshöfen des Speierer Domkapitels. 
Ein Beitrag zur Gefhichte der Yöfung der Wohnungsfragen im älterer Zeit. 

Küftner W., Geihichtlihes von Yambsheim aus den Fahren 1740 
bis 1745. Ein Beitrag zur Heimatsfunde, geliefert an der Hand des Lambs— 
heimer Gemeindearchives. 


Blätter für Pommerſche Volkskunde Jahrgang 3 Heft 3 und 4. 

Haas A., Pommerſche Rauchhäuſer. 

Nihtihwerter im Altertumsmuſeum zu Stettin. 

Das Weddelbier. 

Knoop D., Neue Bolfsjagen aus Pommern. 

Schwanf und Streih aus Pommern. 

Brunk A., Bommerihe Volksrätſel. 

Penaſe, Volkstümliches über die Schnecke. 

Pommerſche Flurnamen. — Geſchlechtsſagen. — Märchen. — 
Volksſagen. — Der Bauer im pommerſchen Sprichwort. — Vornamen 
in Pommern. 


Reutlinger Geſchichtsblätter Jahrgang 5. 

Nr. 5/6. Schön Th, Wilhelm Herter von Herteneck. 

Schön Th, Die Reutlinger Patrizier- und Bürgergefchlechter bis zur 
Neformation. Fortjeßung 470. Klutlin — 506. Rozzelinus. 

Kr. 9. Klemm A., Zum Stammbaum der Neutlinger Familie Klemm. 

Steiff, Bon einigen Buhdrudern der Jnkunabelzeit, die wirklich oder 
angeblih aus Reutlingen ftammten, 1. Neues von Günther und Johannes 
Zainer. — 2. Johannes Amerbacd fein Reutlinger. 

Bohnenberger K., Die Namen Keutlingen und Eningen. 

Kr. 6. Giefel J., Die urkundlich beglaubigten Borftände des Klofters 
Mariaberg. 

Sofenhans Th., Zur Reutlinger Geſchlechter- und Pfullinger Klojter- 
Geſchichte. 

Publikationen der Geſellſchaft für rheiniſche Geſchichtskunde IX. 18.—30. 

Lieferung. 

Kölnische oſtler in alter und neuer Zeit. J. J. Merlos, neu bearbeitete 
und erweiterte Nachrichten von dem Leben und den Werken Kölniſcher Künftler. 
Herausgegeben von E. Firmenich-Richartz unter Mitwirkung von H. Keußen. 
Mit zahlreichen bildlichen Beilagen. 18.—30. Lieferung. 

Das Biefengebirge in Wort und Bild Jahrgang 14 Heft 3 und 4. 
Urban M., Uffo Horn in der Tepliger Verfammlung des Jahres 1848. 
Burkert J., Der „Bleichhof“ in Parſchnitz bei Trautenau. 

Braun W., Gefchichtliches über das DOttendorfer Freigut. 

Menjahrsblätter, Herausgegeben von der hiſtoriſchen Kommifften der 

Provinz Sachen. Heft 19. 
Hertzberg G., Die Hiftoriiche Bedeutung des Saalethales. 


470 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Mitteilungen der Gejellihaft für Salzburger Landeskunde Band 34 

Zillner $. V., Der Hausbau im Salzburgifchen. Ein gefchichtlicher 
Umriß. Fortſetzung. 

Pirckmayer F., Die Kataſtrophe zu Tüßling, „am 10. Dezember 1729“ 
im Lichte der Quellen. Bezieht ſich auf die falſchen Nachrichten über den Tod 
des Biſchofs von Chiemſee, Joſef Grafen von Küenburg. 

Theophraſtus Paracelſus. Ein Gedenkblatt. 1) Kurze Biographie 
des Paracelſusforſchers Dr. Franz Hartmann. — 2) Hartmann %., Theophraſtus 
Paracelſus als Myſtiker. Ein Verſuch, die in den Schriften von Theophraftus 
Paracelfus verborgene Myſtik durch das Licht der in den Veden der Inder ent- 
baltenen Weisheitslehren anjchaulic zu machen. 

Pick H., Gebrauch des fog. „Zügen = Glöcleins“ im falzburgifchen Ge— 
birge. 1724. 

: Pirdmayer F., Stod und Aıntstalar. Kleiderordnung aus dem Jahre 1699. 

Aufruf zur Erforfhung und Sammlung typifcher Formen des alten 
lalzburgiſchen Bauernhaufes. 

Zillner F. V., Die falzburgifhen Marktflecken. Eine gefchichtliche 
Studie. 

Schmued L., Zwei Vorträge, gehalten am 26. April 1894. I. Dr. ©. 
U. Rahlbaum an der Univerfität Bafel über „Theophraftus Paraceljus“ 
(23. Dezember 1893). — I. P. Simon Rettenbaders Lyriſche Gedichte 
(im Anschluß an Lehners Ausgabe). 

Haueis E., Ein Lobſpruch der Stadt Salzburg von Hans Sad. 
Mit einer literaturgefchichtlihen Einleitung und Wort- und Sacherflärungen 
herausgegeben. — Anhang. Aus Hartmann Schedels Buch der Chronifa und 
Geſchichten Nürnberg 1494. 

Hutter J., Pinzgauer Ranggelfeite. 

Lehner T., Ode an den heiligen Stifter Rupert von dem Wachstum und 
der Hoheit der Stadt und Kirche Salzburg von P. Simon Nettenbader, 
Benediktiner - Ordenspriefter zu Kremsmünfter. (1634 — 1706.) Nachtrag zu 
der Ausgabe von Nettenbachers Gedichten. Die Ode fällt in das Jahr 1682. 

Wutke E., „Beſuchbriefe“ (fürftliche Höflichkeitsjchreiben) aus dem 16. Jahr— 
hunderte. 

Borträge 1895/94: Dieter H., Die Beziehungen Franz Stelzhamers 
zu jeiner uns benachbarten, engern Heimat und zu Salzburg. — Petter W., 
Feft-Bortrag zur Erinnerung an die 400 jährige Wiederfehr des Geburtstages 
des Theophraftus Paraceljus. 

Nefrologe: k. k. Schulvat Dr. Hermann Pid, em. Direftor des Salz- 
burger Staats-Obergymnaſiums 1824—1894. 

Mitteilungen der ſchleſiſchen Gejellfchaft für Volkskunde Heft 1. 

Kr. 1. 2. Dredsler, Sagen vom Wafjermann aus der Gegend 
von Katſcher. 

Nr. 1. Bogt Fr., Ueber jchlefiihen Volksglauben. 

Kr. 2. Nehring W., Slavifche Niederfchläge im Schleſiſchen Deutſch. 

Kr. 3. Jiriczek O., Seelenglauben und Namengebung. 

Anzeiger für Schweizerische Geſchichte 1894 Nr. 5 md 6. 

Türler H., Tobler ©. und Küchler A., Zu den eidgenöffifchen Abſchieden. 

Burdhardt= Biedermann Th, Bajels erſtes Neformationsmandat. 
Weift gegen Niggenbah das Jahr 1523 (April oder Mai) als das Fahr der 
Beröffentlihung nad. 

Hoppeler R., Ein Bericht über den Angriff der Franken auf Difentis 
am 6. März 1799, 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 471 


Totenſchau ſchweizeriſcher Hiſtoriker. 1893. — Nachträge: 1891. Georg 
Geilfus; 1892. Guſtav Scherrer. 

Beilage: Leder C., Inventar der Stadtarchive Aheinegg, Walenftad, 
des Burgerachivs Uznad). 

Schweizeriſche Rundſchau. 

Jahrgang 4 Heft 12. Mähly J., Der deutſche Hexameter. 

Fahrgang 5 Heft 1. Frey A, “Ein verichollenes Gediht Gottfried 
Kellers. 

Archiv des Vereines für fiebenbürgiiche Landeskunde. Neue Folge Band 26 
Heft 2. 

Teutfh F., Denfrede auf D. Georg Daniel Teutfd. Zur Er- 
öffnung der 46. General verfammlung des Vereins für fiebenbürgifche —— 
kunde (17. und 18. Auguſt 1894). Zahlreiche Briefe von Teutſch an feine 
Frau, an Haltrid, Traujhenfels, Thomas, Wattenbadh u. a. 
benußt. — ©. 330. Brief bon 2. Häußer an Teutſch 6. Juli 1852 über die 
Sachſengeſchichte. — ©. 373. Franz Gebbel an Teutſch 28. Oktober 1866 
über eine geplante ſiebenbürgiſch— deutfche Wochenſchrift. S. 380 f. Mitteilung 
aus einem Brief von Treitſchke 1873. — S. 382. Teutſch an Wattenbach 
über die Verwendung der Mottos in populären Geſchichtswerken: „Sind ſie 
doch, wenn die Wahl eine gelungene iſt, wie die guten Inſchriften an den alten 
Häuſern oder das treue Schild am gaſtlichen Hof, ſie laſſen mindeſtens ahnen, 
was drinnen iſt.“ 

Anhang. Vita (geſchrieben 1863). — II. Denkſchrift der ſächſiſchen 
Landtagsdeputierten in Betreff der Union, 20. Juni 1848. — IV. Verzeichnis 
der bedeutenderen literarischen Arbeiten. 

Angariſche Revue 1594 Jahrgang 14 Heft 9/10. 

Fränkel L., Ein ifolierter Ser. Ueber den en Schriftiteller 
Karl Terzky = Anton Bilney. Bergleihe Suphorion 1, 833. — ©. 552 
ift aus dem Namen Zenker einmal Zanker und das andre Mal Zucker geworden! 

Kunze Situngsberichte: Kisfaludy = Gefellfchaft 31. Januar 1894. Hege- 
düs, „Janus Bannonicus“. Führt das Haupt der ungarijchen Renaiſſance 
in feiner humaniſtiſchen Umgebung vor und charakteriſiert in ihm die Glanz- und 
Schattenfeiten der Humaniften. 

Negifter zu Literarifche Berichte aus Ungarn Band 1—14 (1878 -1881) 
umd aid Revue Jahrgang I— XIII (1882—1894). 

Emelogiie Mitteilungen aus Ungarn Band 3 Heft 11/12. 

Bünker J. R. Heanzifhe Sprichwörter. Sprichwörter der — 
riſchen Deutſchen. 

Parallelen und Bemerkungen zu Stellen in den „Ethnologiſchen Mit— 
teilungen aus Ungarn“. 1. Carſtens H., Beiträge aus Schleswig-Holſtein. 
2. Schell O., Aus Elberfeld. 3. Von Frau v. Finaczy. 4. Treichel A., Aus 
Weftpreußen, 5. Bon M. Höfler. 

Weber ©., Zipfer Beſchwörungsformeln. — Die Wunder und 
Heilkraft des Froiches in der Zips. 

XXXI. Iahres - Bericht des Vorarlberger Muſeum-Vereins über das 
Jahr 1893. 

Bär J. Das Vorarlberger Haus. III. Teil. Das Tanzhaus. (Anhang 
zum Wälderhaus.) 

Ziterarifches Zahrbuch. entrale Organ für die wifjenfchaftlichen, 
literarifchen und künſtleriſchen Intereſſen Weftböhmens. Band 9. 

J Bolte J., Ein Meiſterlied auf Wallenſteins Tod. Zwei Meiſter— 

lieder des Nürnberger Meiſterſängers Heinrich Wolf aus dem Jahre 1635. 


472 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Das erjte auf den Tod Wallenfteins: „Das Blut Batt zu Eger. (24. Februar 
1634.) In der himlifchen Wag Weis M. Almbrofii) Mſetzgeri]j“. Das zweite 
auf „Die Schlacht bei Liegnitz. (1634) In der himliſchen Wider Weiß M. 
Almbroſii] Mletgeri]“. 

Aus Goethes Tagebüchern. Auszüge aus der Weimarifhen Aus— 
gabe 1806—1812. 

Günther ©., Der Kammerbühl. Eine vulfanifche Studie. Mit viel- 
facher Beziehung auf Goethe. 

Sohn A., Ideen zu einem Egerländer Volksſchauſpiel. 

Notizen: Goethe-Denfmal am Wolfsberg. — Der Goethe-Stein bei 
Haslau. 

Weſtdeutſche Zeitſchrift für Gejchichte und Kunft Jahrgang 13 Heft 4. 

Bahlmann, Die Militär-Afademie zu Münfter i. W. Eine Gründung 
Sürftenbergs. 

Zeitſchrift für vaterländiihe Geſchichte und Altertumskunde. Heraus— 
gegeben von dem Verein für Geſchichte und Altertumskunde Weſtfalens. Band 52. 

Tenhagen Fr., Ueber die Vredenſche Sixtus-Sage. 

Ribbeck W., Briefe Rotger Torcks an Ferdinand von Fürſten— 
berg, Biſchof von Paderborn (ſeit 1678 auch Biſchof von Münſter). Es werden 
die literariſchen Stellen aus dem Briefwechſel (1667—1671) mitgeteilt. Johann 
Notger Tord verfuchte fich wie der Biſchof ſelbſt in lateinischen Gedichten, Deren 
einzelne hier abgedrudt werden. ©. 15. Ein humoriftifhes deutſches Lied 
auf die fiegreiche Rückkehr des Fürftbiichofs aus dem Feldzuge von 1672 gegen 
die Holländer ſtammt wohl aus Tords Umgebung. Die lateinifche Klage des von 
Blatter entftellten Mädchens ©. 31 wahrscheinlich von einem gewiffen Keppel. 
— ©. 21. Favoritus an Tord, Rom, 20. Februar 1677. 

Ribbeck W., Die auswärtige Politik Chriftoph Bernhards von Galen, in 
den Fahren 1665 bis 1678 vornehmlich nach den Briefen des Johann Rodger 
Torck an Ferdinand v. Fürftenberg, Bifchof von Paderborn. Mit umfangreichen 
Auszügen aus dem Briefwechjel der Beiden. 

Tibus A., Johann Rodger Tord, Domdehant zu Münfter, Domprobft 
zu Minden und Domfapitular zu Paderborn. Biographie und Charafteriftif. 

Bahlmann P., Newe Zeitung von den erjchrödlihen Wunderzeichen, jo 
erſchinen findt über der Statt Münfter in Wejtphalen den 2. Februarij 159. 
Abdrud des Gedichtes nah dem Exemplar der Wiener Hofbibliothef. 

Finke H., Zur Charakteriftit des Fürftbifchofs Ferdinand von 
Sürftenberg. Abdrud eines Briefes an die römische Konfiftorial-Kongregation 
vom 17. April 1676. 

Hoeynck A., Die Truchſeſſiſchen Religionswirren und die Folge— 
zeit bis 1590 mit bejonderer Nücficht auf das Herzogtum Weftfalen. 1. Zur 
Ueberfiht. — 2. Das BVerhalten des Truchfeß bis zum Arnsberger Landtage 
(10. März 1583.) — 3. Der Arnsberger Landtag. (10—15. März 1583.) 

Heldmann A., Weftfälifhe Studirende zu Erfurt. 1392—1813. 

Hoogemweg, Beitrag zur Beftimmung der Arhidiafonate des vormaligen 
Bistums Minden. Abdrud des Registrum abuntiarum sinodalium de anno 
1525 feria quarta post Dionisii (11. Dftober.) 

Boholz-Afjeburg J. Graf v., Einige Nachrichten über Roms-Capelle. 
Urkunden aus dem 16. und 17. Sahrhundert. 


Richter W., Der Streit um die Paderborner Domprobftei 1585—1590. 


Richter W., Ein Denfmal von Ferdinand von Fürftenberg in Rom. 
Fleige, Aus dem Archiv des Frhrn. von Schorlemer zu Overhagen. 
Rechnungen aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. 


PEN r 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 473 


Schrader, Zur Gefhichte der Ellendenbruderihaft in Warburg. 
Ergänzungshefte I. Liber disseneionum archiepiscopi Coloniensis 
et capituli Paderbornensis. Manuffript des Paderborner Domfcholafters 
Dietrih von Engelsheym. 2. Lieferung. 
Zeitſchrift des weitpreußifchen Gefchichtsvereins Heft 34. 
Blumhoff E., Beiträge zur Geihichte und Entwiclung der weftpreußifchen 
Stände im 15. ——— 
Froehlich %., Zu dem im 19. Heft der Zeitſchrift des weſtpreußiſchen 
Geſchichtsvereins abgedrudten zweiten Sole der Schwetzer Kreisgefchichte. 
Wiener Henjahrs-Alınanady 1595. 
Raimund %., Gedicht („Phöbus lenket Früh die Zügel”). 
Mitteilungen dev Anthropologiichen Gejellihaft in Wien Band 24 (der 
neuen Folge 14. Band) Heft 5 
Heim W., Die geographifche Berbreitung dev Totenbretter. 
AHenjahrsblatt. Herausgegeben von der Stadtbibliothef in Zürich auf 
das Jahr 1895. 
Huch R., Die Wickſche Sammlung von Flugblättern nnd Zeitung s$- 
nahrichten in der Stadtbibliothef Zürich. 
Aenjahrsblatt der Künſtlergeſellſchaft in Zürich für 1895. Der neuen 
Reihenfolge 59. 
Corrodi H., „Erinnerungen an meinen Bater und Bruder” (Salomon 
und Arnold Eorrodi). 
Menjahrsblatt. Herausgegeben von der naturforichenden Gefellichaft in 
Zürih auf das Jahr 1895. 97. 
Pernet $., Hermann v. Helmholtz. 31. Auguft 1821 bis 8. Sep- 
tember 1894. 
Menjahrsblatt auf das Jahr 1895. Zum Beten des Waifenhaufes in 
Zürich von einer Gefellfchaft herausgegeben. 58. Stüd. Als Forts 
jegung der Neujahrsblätter der Chorherrenftube. Nr. 117. 
Georgov. Wyß. 1. Teil. 
95. Menjahrsblatt, herausgegeben von der Hülfsgefellichaft in Zürich 
auf das Jahr 1895. 
Lebensbild des Profeſſor Melchior Ulrich, 1802—189. 
S3. NHenjahrsblatt der allgemeinen Muſikgeſellſchaft in Zürich auf das 
Sahr 189. 
Niggli A., Adolf Jenjen. Ein biographifchskritifcher Eſſay. 
Mitteilungen der antiquarischen Gefellfehaft (der Gefellichaft für vater— 
ländifche Altertiimer) in Zürih Band 23 Heft 7. 
Zeller-Werdmüller 9, Zürcdperifhe Burgen 11. M.—3. 
Mitteilungen des Altertumspereins für Zwidau und Umgegend Heft 4. 
Vorträge: 18. November 1891. Fabian, Ueber Janus Cornarius 
(1500—1558). — Bed, Ueber die Verhältniffe der Zwidauer Schule um die 
Mitte des 17. Jahrhunderts. — 9. Dezember 1891. Buchwald, Aus dem Tage- 
buche eines Zwidauer Landpfarrers (8. H. Richter in Mülfen St. Michael, 
Großvater des Zwickauer Chroniften Dr. Herzog, 1742—1815) zur Zeit der 
deutjchen Befreiungskriege. — v. Mangoldt, Ueber die ältefte Zwickauer Zeit— 
ſchrift vom Jahre 1787, die Zwidauer Wochenſchrift. — 20. Dftober 1892. 
Klotz, Aus den Akten des Zwickauer Konftftoriums. — Yabiarı, Ueber den Juriſten 
Gregorius Haloander (Melter) 1501—1531. — 15. Dezember 1892. Bed, 
Aus alten Briefen. Mitteilungen aus dem Briefmwechjel Chriftian Daums. — 
2. Februar 1895. Fabian, Ueber einen merkwürdigen Kriminalprozeß aus 
Zwickaus Vorzeit. (Erſte Hälfte des 15. Jahrhunderts). — Bed, Ueber Chriftian 


474 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Daum. — Kloß, Ueber ein Verbot, beim Tanze vergoldete Kränze zu tragen, 
vom Jahre 1596. — 14. Dezember 1895. Fabian, Bemerkungen zur Gefchichte 
der Zwicauer Fleiſcherimung — Beck, Ueber eine von Chriſtian Daum 
komponierte Choralweiſe. — 15. Nopember 1594. Leipolt, Ueber den Pfarrbau 
von Culitzſch. — Fabian, Bolksluftbarkeiten in Zwickau im 15.—17. Jahrhundert. 

Bed R., Aus dem Leben Joachim Fellers. Nach handſchriftlichen 
Quellen der Zbickner Ratsſchulbibliothek. Hauptquelle: 454 Briefe des Leip— 
ziger Univerſitätsprofeſſors Joachim Feller an Chriſtian Daum aus den 
Jahren 1656 —1678 und 1687. J. Jugendjahre und Jugendlehrer. Jakob 
Thomaſius, Franckenſtein, Rappolt, Hülſemannu.a. — II. Feller 
und Barth. — II. Haus und Familie. — IV. Zwickau und Daum. — 
V. Ehren und Anerfennungen. — VI. Yeipzig und die Umiverfität. — VII. Studien 
und PBerfonalien. 

Schilling M., Die Bedeutung der Zwickauer Natsfhulbibliothet 
für die politiſche Gefchichte. Zahlreihe Flugichriften des 16. und 17. Jahr— 
hunderts. Auch Gedichte. 

Klo H., Die Zwicauer Annalen des Matthäus Winter. 

Fabian E., Herenprozejje in Zwidau und Umgegend. 

Fabian E., Fahrende Aerzte und Kurpfuſcher in Zwidau und 
Umgegend. 16. Jahrhundert. 


— Rundſchau. 

1594. Dezember. Du Bois-Reymond E., Ueber Neo-Vitalismus, Rede 
zur Feier des Leibnizifchen Jahrestages in der Akademie der Wiffenjchaften zu 
Berlin am 28. Juni 1894 gehalten. (Aus den Situngsberichten der Akademie.) 
©. 389 eine Aeußerung Rückerts über eine Stelle feiner Fir duſi-Ueber— 
ſetzun 

"1895. Sanuar. Krauß R., Eduard Mörike Briefe aus feiner 
Sturm- und Drangperiode (1826—--1834). I—II. 21 Briefe Mörikes aus 
den Fahren 1826 und 1827 an Mährlen (12), an Mutter und Gejchwifter (3), 
an Lotte Späth in Stuttgart (1), an Hartlaub (2), an Friedrih Kauffmann (2), 
an Wilhelm Naft (1). Biographifch wertvoll. Wenig literarifches. 

Grimm 9, Die Brüder Grimm. Erinnerungen. Vorrede zur neuen 
Ausgabe der Kinder- md Hausmärchen. — Auch Aufzeihnungen der 
Brüder felbft find benutt. Vieles zur Entjtehungsgefhichte dev Märchen. 

Februar. ee J., Meine perjönlichen Erinnerungen an Anton 
Rubinſtein. Mit zahlreichen Briefen Nubinfteins. Aufichlußreich für die 
Gefchichte der von Nodenberg für Rubinftein verfaßten Texte zu Feramors, 
Thurm zu Babel, Sulamith und zu der (nicht componierten) Boadicea. 

März Lang W., Aus Karl Friedrih Reinhards Leben. Am Hofe 
König Jeromes (1808 — 1813). 

Nord und Süd 1895. 

Januar. Wünſche A., Der Sagenkreis vom geprellten Teufel im 
Zuſammenhange mit dem hliſtuchen Dogma von der Verſöhnung der erſten 
Jahrhunderte und dem altgermaniſchen Götterglauben. 

Februar. Frank U., Konrad Telmann. 

Horn %. B., Nihard Wagırers Didtung „Die Meifterfinger 
von Nürnberg.“ Ein Nachwort zur Hans Sachs— Feier. Darin wird eine 
Neihe bis jett noch nicht veröffentlichter Briefe aus Wagners gejchäftlichen Ver— 
handlungen (1861 und 1862) im Auszuge wiedergegeben; bejonders für die 
Entftehungsgefchichte dev Meifterfinger wertvoll. 

März. Zimmermann R., Die Infeln der Seligen. Gefchichte einer Idee. 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 475 


Deutſche Revue 189. 

Januar. Poſchinger H. v., Fürſt Bismard und die Parlamentarier. 
Aus dem Kriegstagebuch des Abgeordneten Grafen Fred Frankenberg. — Von 
Nathuſius-Ludom. 

Kobell Luiſe v. Bei Franz Defregger. ©. 67. Ein bisher ungedrucktes 
Gedicht Kobells. 

Februar. März. Poſchinger H. v., Neue Tiſchgeſpräche des Fürſten 
Bismarck. (Aus einem demnächſt erſcheinenden neuen Werke.) 

Bulthaupt H., Anton Rubinſtein. Erinnerungen an den Meiſter und 
feinen „Chriſtus“. Auch mit Benutzung von Briefen Rubinſteins. 

März. Bei Gerhart Hauptmann. Von einem Freunde. 

Reuß E., Unterhaltungen mit Franz Liszt. 

VPreußiſche Jahrbücher 1895. März. 
Aly, Der Soldat im Spiegel der Komödie. 
Weſtermanns Illuſtrierte deutsche Monatshefte. 

1894. Dezember. Geiger L., Vom alten Schadow. III. Arbeit am 
Luther- Denkmal, an den Büften für die Walhalla, an der Büfte Johannes 
von Müllers. Uhden an Böttiger 10. Dezember 1807 über Johannes 
von Müller. 23. April 1811 über Rauch und W. v. Humboldt. 

159. Januar. Eckſtein E., Bom Auslegen. Sfizze. 

Vene deutsche Rundſchau 159. Januar. 

Stirner Mar. Das unwahre Prinzip unferer Erziehung oder der 
Humanismus und Nealismus. Abdrud aus den Beiblättern zu den Nummern 
100, 102, 104 und 109 der „Rheiniſchen Zeitung“ für Politik, Handel und Ge— 
werbe” vom 10., 12., 14. und 19. April 1842. Im einer einleitenden Notiz 
hebt John Henry Maday hervor, daß das Erjcheinen feiner Biographie Stirners 
in Folge der ungemein jchwierigen und kaum zu befchleunigenden Vorarbeiten 
noch im einiger Ferne ftehe, obwohl er die Hoffnung jett wicht mehr hege, auf 
neue und überraichende Quellen zu ftoßen. 

Vom Fels zum leer 1894 Heft 11. 

Griejebadh E., Autobibliographifches. 

Heimgarten. 

1894. Dezember. Krauß F., Sagen und Bräuche des Lungaues. II. 

1895. Januar. Vernaleken Th., Der abenteuerliche Simpliciſſi— 
mus und der Parcival. 

Roſegger P., Mein Verhältnis zur Firma Hartleben. Eine Aufklärung 
und Abwehr. 

1895. Februar. Ertl E., Selbſtanzeigen. Bemerkungen und Vorſchläge 
über literariſche Kritik anläßlich eines neuen Werkes Wilhelm Fiſchers. 
Schlägt Selbſtanzeigen für Werke der ſchönen Literatur in öffentlichen 
Blättern vor, wie es bei wiſſenſchaftlichen Veröffentlichungen ſtellenweiſe Sitte 
geworden iſt. 

Vernaleken Th., Der ſtarke Hans. Ein Volksmärchen in Hieflau 
vor mehr als zwanzig Jahren aufgezeichnet. Ein ſpäter Nachklang der Wie— 
landſage. 

Mein Verhältnis zu A. Hartleben. Hartlebens Entgegnung unter dem 
Titel: „Warum tönt dieſer Mißklang durch die Welt? Eine objektive Dar— 
ſtellung des Verhältniſſes der Firma A. Hartleben zu Herrn Peter Roſegger“ 
mit Roſeggers Randbemerkungen. 

189. März. Reiterer K, Sprüche und Redensarten. In den 
Alpen geſammelt. 


476 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Die Geſellſchaft Jahrgang 10 Heft 12. 

Conrad M. G., Demokratismus und Künftlertum. 

Edardt E., Die moderne Dichtung an den deutſchen Univerfitäten. 

Fuld 2, Aberglaube und Rechtspflege. 

Der Kyffhäuſer Jahrgang 8. Oktober und November. 
Luther Martin, Bon den Juden umd ihren Lügen. (Fortſetzung.) 
Ann Blätter Jahrgang 9 Nr. 5. 

Pröhle H., Die letzten Unterfuchungen gegen die alte Burſchenſchaft. 
(Halle 1843— 1845.) 

Der Beweis des Glaubens Jahrgang 30. Oktober. 

Freybe, Der deutſche Bolfsaberglaube und feine paftorale Be- 
handlung. 

Vopulär - wiſſenſchaftliche Monatsblätter zur Belehrung über 
das Judentum Jahrgang 15 Heft 2. 
Müller Joel, Yeopod Zunz. 
Friedmann A., Zum Andenfen an Ludwig Kompert. 
Neue Bahnen Jahrgang 5 Heft 11. 
Kaften H., Friedrih Wilhelm Dörpfeld. Mit einem Bildniffe Dörpfelds. 
Aus deutlichen Bergen, 

Sahrgang 9 Heft 12. Urban M., Epifoden zur Lofal-Chronif einzelner 
böhmiſcher Städte des Erzgebirges. (Schluß.) 

Jahrgang 10 Heft 2. B. v. 9. Ein Dichter-Ideal. Aus den „Franzens— 
bader-Blättern“ abgedrudt. Ueber Ulrife von Levetzo w. Mit zwei Bildern: 
„Ulrike v. Levetzow mit Mutter und Schwejtern im Jahre 1822 und das letste 
Porträt von Ulrife von Levegow. Mitteilungen über ihre Familienverhältniſſe 
und ihre Beziehung zu Goethe. Sie habe Goethe nur verehrt, nicht geliebt. 

Deutſche Dichtung Band 17. 

Heft 5. Franzos K. E. Bom alten Bauernfeld. Abdrud eines von 
Bauernfeld verfaßten, aber nicht öffentlich angefchlagenen a mit 
der Forderung nach einer proviforifchen Regierung, 17. März 1848. 

Ein Brief Michael Beers. An eimen nicht genannten Wiener Schrift- 
jteller, Neapel, 11. Auguft 1821. Ueber die Aufführung der „Klytemmeftra.“ 

Heft 6. Jugendbriefe von Fürft Hermann Ernft von Pückler - Muskau, 
Auguft Graf von Platen, Julius Mofen und Nikolaus Becker. Püdler an 
Leopold Schefer, Brüffel, 31. März 1814. Kriegsereigniſſe.  Wirtjchafts- 
Aufträge. — Platen an die BVerlagshandlung F. A. Brodhaus, Anspach, 
31. Juli 1822. Ueber Beiträge zur Urania und über den Verlag der Lyriſchen 
Blätter. — Mojfen an einen Kritiker, Dresden, 10. September 1835. Sehr 
Ihön über fein Schaufpiel „Heinrih der Finkler.“ — Beder an eine 
Künftlerin, vermutlid an Charlotte von Hagen, a 7. September 1841. 

Heft 7—11. Franzos 8. E, Franz Nijfel. Nach den Tagebüchern 
und ungedrudten Briefen des Dichters. I— Y. 

Heft 8. F., Heine in Franfreih. Mit einem ungedructen Brief Heines. 
An Kolb, Paris, 2. April 1544. Ueber Beiträge zur allgemeinen Zeitung. 
Ueber die Gräfin d'Agoult. 

Heft 9. Bunte Reihe. Ungedructe Briefe von Friedrich Raupach, Leopold 
Schefer, Ludwig Uhland und Dorothea Schlegel. — Raupach, St. Petersburg 
25. April und 7. Mai 1814. Der ungenannte Adreſſat ift wohl Rochlitz, au 
deſſen „Mitteilungen“ Raupach mitarbeitete. Mit dem Stück iſt alſo entweder 
„Der Traum ein Mährchen“ (Mitteilungen 2. Band 1824) oder „Ad wär’ 
es ſo!“ Aubenbe 3. Band) gemeint. Da die im Brief erwähnte Erzählung 
„Laßt die Todten ruhn“ in der Minerva für 1823 und die gleichfalls 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 477 


erwähnte „Auswahl des Beſten“ aus Röchlitz' Schriften 1821—1822 erſchienen 
ift, jo muß das Datum des Briefes falfh fein. — Leopold Schefer an 
jeine Verleger. Undatiert. Wie die darin erwähnten Novellen zeigen, aus dem 
Sahre 1835 oder 1836. Ueber feine Schriftitellerei, über das Yaienbrevier, 
über die Pflichten des Kinderſchriftſtellers; über Pückler. — Uhland an 
Erwin Schlieben, Tübingen, 23. Juni 1854. Sendet deſſen Gediht Baldırr 
an Cotta. — Dorothea Schlegel an Fouqué, Wien, 15. Sanuar 1814. 
Sit in großer Sorge um Fougue und um ihren Sohn Philipp Veit. 

Kr. 11. Oswaldt J. G., Lyriſche Individualitäten. 

Bunte Reihe. Ungedruckte Briefe von Friedrich Theodor Viſcher und Karl 
Gutzkow. Viſcher an einen jungen Dichter, Zürich, 14. Auguſt 1865. Draſtiſche 
Schilderung feiner Ueberbürdung durch poetiſche Zuſendungen. — Gutfomw an 
Suftizrat Buchner, Weimar, 10. November 1864. Erregtes Schreiben über 
die Schillerftiftung und feine umbehagliche Lage in Weimar. 

Schrattenthals Rundſchau Jahrgang 2. 

Jr. 6. Unjere Briefmappe. (5. Fortſetzung.) Herzog Ernft IT. von 
Sachjen-GCoburg- Gotha an Frau Ada von PBinelli-Trestow (Günther 
von Freiberg), Coburg, 21. April 1860. 

Reproduktion des Dichterdiploms der Sidonia Hedwig Zeune- 
männin. Göttingen, 3. Januar 1738. 

Die Frauen und das Nedwit- Denkmal. 

Kr. 10. Aus hinterlaffenen Papieren. Tagebuchaufzeichnungen von 
Marie v. Hanftein. 

Menue literariſche Blätter Jahrgang 3. Berlin, Eduard Rentzel. 

Kr. 14. Hähnel F., Dichter und Dichterinnen der Gegenwart. Bio— 
graphifche Skizzen. I. Alberta von PButtfamer II. Petri Ketten- 
feier Rofegger. II. Heinrih von Weder. IV. Rihard von 
Meerheimb. (Zum fiebzigiten Geburtstage am 14. Januar 1895.) 

Nr. 1. Buſſe C., Alberta von Puttfamer Eine piychologifche 
Studie. 

Ar. 5. Braufewetter E, Hermann Lingg. Ein Dichterprofil zu 
jeinem 75. Geburtstage. 

Deutſche Dramaturgie Band 1 Heft 3. 

Marterfteig M., Ueber den Stil der Bühne. 2. Die Sprade. 

Valentin V., Kunft und Noutine. 2. 

Kilian E., Ein traditioneller Strih in Goethes „Egmont“, 

Grensboten Jahrgang 54 Nr. 4. 

Heinemann D. d., Hans Sahs und fein Kätschen. Beſchreibung eines 
Hans-Sah3-Bildnifjes von Andreas Herneifen aus dem Anfange des Jahres 
1576 in der Wolfenbütteler Bibliothek. 

Das Magazin für Literatur, 
1894. Nr. 48. Karpeles G., Hebbel contra Hebbel. Druckt die 
Notiz über Hebbel als Berfaffer der beiden populären Gefchichtswerfe (vgl. oben 
©. 235) aus Nr. 126 der Zeitung für die elegante Welt 1840 und die Er- 
klärung der Berlagsbuhhandlung aus Nr. 152 derjelben Zeitfchrift ab. 

Ar. 52. Stirner Mar, Kunſt und Religion. Zuerſt erfchienen im 
Beiblatt zur alten „Rheiniſchen Zeitung“ Nr. 165 vom 14. Juni 1842, unter- 
zeichnet mit dem Namen „Stirner“ umd bier zum erften Male iwiedergedrudt. 
Pour eopie conforme: John Henry Maday. 

Kellen Tony, Die letzten ftraßburger Meifterfänger und die jung- 
elſäſſiſchen Dichter. Charakteriftit der drei Stöber, Vater und Söhne, Daniel 
Dirk’, Alfons Pids, Chriftian Hackenſchmidts. 


478 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Nodnagel E. D., Das naturaliftiiche Melodram. ine äfthetifche An— 
regung. 

1895. Nr. 1. Hecker K., Brammy Willemers letzter Brief. Der Sohn 
des Bankier Willemer, Abraham, fiel 1818 im Duell. Hier wird ein Brief 
von einem Hausfreund Willemers an Hofrat Mieg, Gerbermühle, am 26. Juni 
Nachmittags mitgeteilt, im welchem ein Brief von Savigny an Guaita 
(Berlin 22. Jun) und Brammys pſychologiſch merfwürdiger Abjchiedsbrief an 
jeinen Vater 15. Juni 1818 abgejchrieben find. 

Nr. 5. Stettenheim L., Schillers Demetrius. 

Kerr A., Ethiſch-Dramatiſch. Ueber Grillparzers „Weh den der fügt.“ 

Gegenwart 1594 Nr. 52. e 
Benkert A., Deutſche Mundart im den Oſtſeeprovinzen. 
Die Zukunft Jahrgang 3. 

Nr.9. 12.13. Marees A., Aus der Zeit Friedrich Wilhelms des Bierten. 
III—X. 10. Juni bis 23. November 1845. 

Nr. 10. Nubinftein A., Die geiftlihe Oper. Aus einem Brief, den 
Anton Aubinftein feinem Freunde und Lehrer Nudolf Loewenſtein vor drei 
Fahren jchrieb, hat Fräulein Margarethe Toeppe dieſe Skizze herausgearbeitet. 
Entwicelt den Plan einer geiftlihden Oper, eines biblischen Theaters und 
jfizziert das Scenarium feines „Berlorenen Paradieſes“. 

Die Zeit Jahrgang 1. 
Nr. 7. Jentſch, Sebaftian Brant und fein Narrenſchiff. 
Nr. 8 und 9. Bieſe, Zur Aefthetif des Meeres. 

Die neue Zeit Jahrgang 13. I. Heft 8. 
Mayer, Zwei Briefe von Nodbertus. 

Die Neuzeit 1895. Nr. 1/2. 

Ehrlich E, Goethe und Friederife Brion Ein fritifcher Beitrag 
zur Friederiken-Literatur. 

Hutter Th., Nordböhmiſche Sagen. 

Hutter Th, Die Herenprogeffe. 

Tetzner F., Boll und ganz. 

Neue Revue Jahrgang 5 Nr. 47. 

Levisjohn, Der Politiker Hans Sads. 

Bühne und Leben Jahrgang 3 Nr. 1. 

Iſolani E., Neue dramatiiche Werfe von Theodor Körner. Giebt 
über neue reichhaltige Funde im Dresdner Körner Mufenm Auffhluß und drudt 
ein Feines Dramatifches Bruchſtück ab. 

Der Kunſtwart Jahrgang 8. 

Heft 4/5. Eine Verteidigung der alten Dramaturgie. 

Heft 4. Hans Sad. 

Heft 5. Die Auferftehung des deutſchen Bolfsliedes. 

Die Lyra Jahrgang 18. 

Nr. 3—7. Vom Hans Sachs. Ein Erinnerungsblatt zum 400. Ge— 
burtstag des deutſchen Meifterfingers. 

Nr. 9. Aus Jung-Bauernfelds Tagebühern. Vier Aphorismen. 

Das Land Jahrgang 3 Nr. 6. 

Armenbrot. 1. P. 8. NRofegger, In der Volsſitte der grünen Steier- 

marf. 2. Heinrich Sohnrey, In der hannoverifchen Volksſitte. 
DMeutfich-Forinle Blätter Jahrgang 10 Wir. 336—339. 
Fritz Neuter. 








Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 419 


Deutſcher Merkur Jahrgang 26 Nr. 1. 
Stanislaus Drihovius, Ein polnifcher Priefter des Reformations— 
Sahrhunderts. 
Katholiſche Warte X, 11. 
Wihner, Aus meinem Leber. 
Hifterifch-politifche Blatter. 
Band 114 Heft 4. Ringseis Emilie, Ueber die Einmifhung des Ueber- 
natürlichen im Drama. 
Band 115 Heft 1/2. Eder ©., Ein fatholifcher Nechtsgelehrter des 
16. Sahrhunderts. 
Heft 3. Klopp, Urjprung der Tilly-Sage von Magdeburg. 
Bheinifche Blätter 1594. 
©. 432 ff. und 465 fi. Mühlhaufen A, Rudolf Hildebrand im 
Dienfte der Wiffenichaft und der Schule. 
Aluftrierte Zeitung Wr. 94, Nr. 2684. 
AR, Guſtav Adolf im deutihen Volkslied. 
Globus Jahrgang 67 Heft 3. 
Hoffmann, Zur Volkskunde der Deutfchen in Pennfylvanien. 
Allgemeine Militärgeitung Jahrgang 70 Nr. 59. 
Die Rechtfertigung des Prinzen von Preußen als Armeeführer nach der 
Niederlage bei Kolin auf dem Rückzuge in die Laufit 1757. 
Beiheft zum Militär-Wochenblatt 1894 Heft 11. 
Georg Derfflinger, Bruchftücd feines Lebensbildes. Aus dem Nachlaß 
des E. Fiſcher. 
Internationale Literaturberichte Jahrgang 1. 
Maurer $. E., Johannes Senn. 
Duboc J., Oottfried Auguft Bürger. 
Ein franzöfifches Urteil über Goethes Schweiter Cornelia. 
Noth F. W. E., Adelheid von Stolterfoth. 
Eliſſen H., Die englifhe Goethegefellichaft. 
Deutfche Literaturgeitung 1895. 
Nr. 6. Minor %.: Schüddefopf K, Johann Nikolaus Götz. Ge- 
dichte in urfprünglicher Geftalt. Mit Ergänzungen zur Tertgefchichte. 
Kr. 7. Minor %.: Berthold Auerbah, Dramatiihe Eindrücde. 
Betont den Wert diefer Aufzeichnungen für die Poetif. 
Nr. 8. Deſſoir M.: J. Volkelt, Aefthetifche Zeitfragen. 
Literarifcher Handweifer 1894 Nr. 12. 
Ganter N., P. Suitbert Bäumer O. S. B. +. Ein Gedenfblatt. 


Bohemia. 

1894 Nr. 332, 344 und 1895. Nr. 2, Wolkan R., Die deutſche Literatur 
Böhmens im 17. Jahrhundert. Vorläufiger raſcher Ueberblick. 

1894 Nr. 336. Hans Sachs-Feier der Leſe- und Redehalle deutſcher 
Studenten. Bericht über die Feſtrede von R. Fürſt. 

Neue Bonner Zeitung 1895. 23., 24., 25., 27., 29, 30. und 
31. Januar. 
BWülfing E., Heinrich Seidel. 
Deutſche Zeitung 1895 Nr. 8298, 8299. 

Hink H., Unveröffentlichte Briefe von Emanuel Geibel. Der „Täg- 
lichen Rundihau” entnommen. An den Komponiften Wilhelm Heinefetter. 
I—-I11. 27. November, 15. und 28. Dezember 1869. Ueber feine „Sophonisbe“, — 
- IV. 17. Mai 1870. — V. 28. September 1870. — VI. 1. Sanuar 1871. 


Euphorion II. 31 


480 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Ueber die Zeitereigniffe. — VII. 23. Oftober 1871. Ueber die „Heroldsrufe“ 
und Ueberarbeitungen älterer Sachen. 
Irankfurter Zeitung. 

1894 Nr. 249. Geiger L., Eine Frankfurter Dichterin zur Zeit der 
Romantik. Caroline von Günderode Bgl. oben ©. 417. 

189%. Nr. 45. Schüddekopf R., Aphorismen von Heine In 
Sömmerings Nachlaß auf der Frankfurter Stadtbibliothet befinden ſich wichtige 
Ergänzungen zu Heinjes Werfen aus den Jahren 1779—1803. Neben Tages 
büchern feiner Rücdreife von Rom nach Düffeldorf und jpäterer Wanderungen, 
Studien über die Antifen Staliens, die zum Teil wörtlid in den „Ardin— 
ghello“ übergegangen find; neben mufiktheoretifchen und philoſophiſchen Ab- 
handlungen, Gedanten über die Hauptwerfe Leſſings, Goethes und Schillers, 
die durch ihre eigenartige Kritik frappieren; endlich kürzere Betrachtungen über 
Tagesereigniffe und Perfonen, die durchweg eine originelle Auffaffung und eine 
faft moderne Denkweiſe zeigen. Drei Apereus werden abgedrudt: ein Urteil 
über Friedrich II., etwa 1789 gefchrieben, Gedanken über die Kaiferwahl 
Leopolds II., in Frankfurt am 30. September 1790, und eine Phantafie 
vom Campo Martio, in Nom felbft aufgefett. 

Kölniſche Zeitung 1894, 6. November. 

Dreier K., Feltrede zur Hans Sahs- Feier im Koblenzer Zweig— 

verein des Allgemeinen deutſchen Sprachvereins. 
Wiſſenſchaftliche Beilage der Leipziger Zeitung. 

1894. Nr. 140. 1895. Nr. 7. Haarhaus J. R., Auf Goethes Spuren 
im Süden. 11. Bologna. 12. Bon Bologna bis Perugia. 

1894. Nr. 141. Needon R., Freund Heim. 

Nr. 147. Dietrich R, Guſtav Adolf in Lied und Dihtung. 

Nr. 149. Lilie M., das Lied im Munde des Volkes. 

Nr. 150. Wünſche A., Aus dem Sagenfreife vom geprellten Teufel. 

Nr. 155. Der Märchendichter Muſäus umd fein Garten. 

1895. Nr. 6. Georg Spalatin. Zum Gedächtnis feines 350. Todestages. 

Nr. 8. Schneider F., Die Poefie des Erzgebirges. 

Nr. 9. Bed M., Die Schlange im Kultus und Volfsglauben. 

Zürn E. S., Sagenummobene Bögel. 

Nr. 12. Schurtz H, Handwerker in Mythologie und Sage. 

Nr. 13. Montanus Ph., Gottfried Auguſt Homilius. Ein Ge— 
dächtnisblatt zum 2. Februar. 

Nr. 17. Neuberg A., Friedrich Schleiermacher, ein deutſcher 
Patriot. Zum 12. Februar. 

tr. 18. Braſch M., Moritz Carriere. 
Leipziger Tageblatt Nr. 564. 2. Beilage. 4. November 1894. 

Wünſchmann M., Zur Erinnerung an Rudolf Hildebrand. 

Beilage zur Allgemeinen Zeitung. 

1894. Nr. 259. Goethe und Gerhardt von Reutern. 

Kr. 272. Hieronymus Form, der Philofoph des grumdlofen Opti— 
mismus. 

Nr. 29. Bechmann A. v., Feuerbach und Saviguy. Rede. 

189. Nr. 7. Kluge Fr., Der Philifter. Cine Wortftudie. 

Nr. 8. N., Briefe von Bott, Benfey, Lorenz Diefenbad umd 
Gildemeifter an Lazarus Geiger. 

Nr. 15. Sander %., Apollonios von Tyana und Dion Chryſoſtomos. 

Nr. 22. Werner K., Zur Erinnerung an Charles Sealsfield. 


Bibliographie. 2. Bücher. 481 


Geffcken 9., Wilhelm Arndt Nachruf.) 

Nr. 23. Lewinsty J., Betty Paoli. Rede. 

Nr. 46. Kopp R. L Etwas über Scheffel. Ueber den Berlag des 
Effehard. 

Mene Freie Preſſe 1894 Nr. 10808. 

Gloſſy K., Zur Geſchichte des deutſchen Naturforichertages. Hauptfächlich 
über die Naturforfcher-VBerfammlung in Wien 1832. Mitteilungen aus Briefen 
Sternbergs über Alerander v. Humboldt. 

Politik 1895 Nr. 57. 

F. T. [Ferdinand Tadra], Einige Bemerkungen zu R. Wolkans „Ge- 
ſchichte der deutſchen Literatur in Böhmen bis zum Ausgange des XVI. Jahr- 
hunderts“. Bemängelt die Partie über das Schulwefen mit Anführung nicht 
berücichtigter einjchlägiger Werfe und berichtigt u. a. die Auffaffung eines 
Streitfalles an der Prager Umiverfität im Jahre 1391. 

Schwäbiſcher Merkur 1595 Nr. 47. Abendblatt. 

Zu Euphorion 2, 124 f. wird hervorgehoben, daß der Brief nach feiner 
erſten Beröffentlihung von E. M. im Schwäbifchen Merkur mit Beftimmtheit 
dem Schwaben Niethammer zugejchrieben worden jet, im deſſen Nachlaß er 
fih fand. 

Südöſterreichiſche Pont 1594 Nr. 55. 

Radics P. v., Zum Schiller-Kultus in — Aufführungen einer 
„Maria Stuart“ in Laibach 1662, eines „Wallenftein“ 1787, der 
Schilleriſchen Dramen feit 1791.  Begeiftertes — des ſloveniſchen Schrift 
ſtellers Johann Nep. Primitz über Schiller. Sloveniſche Ueberſetzungen 
Schilleriſcher Werke. 

Tägliche Rundſchau 1894, 2. und 5. Dezember. 

Gillhoff J. Das Geld im Volksmunde. 

Boffifche Zeitung 18394 Nr. 5985. Miorgen-Ausgabe. 

J. [Daniel Jacoby], Zur Erinnerung an Hermann Samuel 
Reimarus. 

Menes Wiener Tagblatt 1894 Wr. 351; Neues a Journal 
1894 Nr. 424, 425; Wiener Pikante Blätter 1895 Wr. 
Ueber eine unechte Autobiographie der ber eje er — 
Aeues Wiener Journal 1895. 1. Januar. 
Drei Briefe Richard Wagners an Joſef Hellmesberger. 
Wiener Zeitung 1895 Nr. 28. 

Prem S. M., Salomon Geßner und die Familie Mozart. Bes 
richtigter Abdruc einer bereits zweimal veröffentlichten Widmung Geßners (Zürich 
3. Wein- Monat 1766) in dem der Familie Mozart überreichten Eremplar 
feiner Schriften. 


2. Büder?). 
Kiteraturgefchichte. Bibliographie. Poetik. Sammelwerke. 
Scherr %., —— Geſchichte der Weltliteratur. 9. Auflage. In 20 Liefe— 
rungen. 1. Lieferung. Stuttgart, Frandh. 80 9. 

Diefe erſte Lieferung iſt aus einzelnen Bogen zuſammengeſtellt, die ver— 
ſchiedenen Teilen des Werkes entnommen find: 1. Buch. Einleitung. 1. Ab— 
ſchnitt. Der Orient; China. 2. Abſchnitt. Hellas und Rom: Vorhomeriſche 

1) Wo die Jahreszahl fehlt, ift 1895 zu ergänzen. 

3lr 


482 Bibliographie. 2. Bücher. 


Zeit. Das Epos. Didaftif. Lyrik. 3. Buch. 1. Abſchnitt. England und 
Nordamerika: Aeltefte Zeit bis auf Edmund Spenfer. Gegenüber der vierten 
Auflage (1873), die ich vergleichen kann, ift dev Tert, von einigen Berichtig- 
ungen abgefehen, wenig verändert worden. Wichtigere Erfurfe find aus den 
Anmerkungen in den Text jelbft aufgenommen, die Literaturnachweiſe dagegen 
in einen Anhang verwiefen. Statt der englifchen Citate aus Chaucer ift jett 
Hertbergs Ueberfetung verwendet. Die Illuſtrationen find erjt eine Beigabe 
neuerer Zeit. Als Proben enthält diefe Lieferung außer den zum Text ge- 
hörigen Abbildungen Titel und Schlußfeite des Schwanfes von Hans Sachs 
„Der Teuffel left feyn Lantzknecht mehr um die Helle faren“, ein Bildnis von 
Cerdantes und zwei Autographen Biltor Hugos aus dem Jahre 1870—1877. 

Koegel R., Gejchichte der deutichen Literatur bis zum Ausgange des Mittel- 
alters. Ergänzungsheft zu Band I. Die altfächfische Genefis. Ein Beitrag 
zur Geſchichte der altdeutjchen Dichtung und Verskunſt. Straßburg, Trübner. 
1.80 AM. 

Hettner H., Literaturgefchichte des 18. Jahrhunderts. (In 3 Zeilen.) 3. Teil. 
Geſchichte der deutjchen Literatur im 18. Jahrhundert. 3. Buch. Das Haffische 
Zeitalter der deutjchen Literatur. 2 Abſchnitte. 4. Auflage. Braunfchweig, 
Vieweg. 18.50 M 

1. Die Sturm- und Drangperiode. — 2. Das Ideal der Humanität. 
(Mit General-Regifter von R. Groffe.) 

Könnede ©., Bilderatlas zur Gefchichte dev deutſchen Nationalliteratur. Eine 
Ergänzung zu jeder deutjchen Literaturgefchichte. Nach den Quellen bearbeitet. 
2. Auflage, enthaltend 2200 Abbildungen und 14 blattgroße Beilagen, wovon 
2 in Heliogravure und 5 in Farbendrucken. 7.—11. Tauſend. (In 11 Liefe- 
rungen.) Lieferung 1—3. Marburg, Elwert. & 2 M 

Das ausgezeichnete Werk, zu deſſen Lob im diefer Zeitfchrift nichts gejagt 
zu werden braucht, hat ſich rafch in die weiteſten Kreife Bahn gebrochen. Die 
neue Auflage weist auf jeder Seite die nachbefjernde und ergänzende Hand 
des fundigen Berfafjers auf, der das Werf um mehr als 500 neue Bilder 
vermehrt, zahlreiche Abbildungen durch genauere oder noch deutlichere Kopien 
erjetst hat, überall noch mehr als früher zu den Originalen vordringt, neue 
Gebiete, wie das des Theaters und der Schaufpielfunft, mit einbezogen hat 
und die modernfte Piteratur mit geſchickter Auswahl berücfichtig. Von den 
bisher vorliegenden Lieferungen umfaßt die erjte als jchönfte Probe Bogen 
34—39, Goethe und Schiller. Neu find hier u. a. ein Bildnis Schlojfers ; 
eine Silhouette von Clodius; zwei eigenhändige Radierungen Goethes aus der 
Leipziger Zeit, eine bisher unbefannte Silhouette der Lotte Buff; zwei bis— 
ber unbefannte Silhouetten Goethes aus der Fugendzeit, jowie Silhouetten 
von Klinger, deſſen Schweiter Agnes, Philipp Chr. Kayjer; ein Bild von | 
Katharina Zimmermann; ein Medaillon der Herzogin Amalie nad) einer Zeich- | 
nung M, ©. Klauers 1785; Heinrich Meyer nah Schmellers Zeichnung; die | 
Zeihnung Coronas für das Titelbild des 8. Bandes der Göfchenfchen Aus— | 
gabe; Goethe nad) Bury 1800, nach Kügelgen 1810; Zelter nad) Begas; \ 
Bilder der Nachkommen Goethes. Einige Bilder der erjten Auflage find aus 
guten Gründen weggelaffen, jo das angebliche Bild von Goethes Jugend— 
freundin Grethen; die Gefichtsmasfe Goethes von Weißer; die Reproduktion 
von Stielers Bildnis 1828; die eine von Schillers humoriſtiſchen Zeichnungen 
„Körner, welcher über den Kant einjchläft”; das Bild der Friederike Defer ift 
jetst in verfleinertem Maßſtab wiedergegeben. Andere Bilder der 1. Auflage 
find durch beſſere erfegt. Bon Fräulein v. Klettenberg ift ftatt des Oel— 
gemäldes von Xeibold das Aquarellbild im Goethemufeum reproduziert; das 





Bibliographie. 2. Bücher. 483 


Goethebild von Kraus ift nicht mehr nach dem Chodowieckiſchen Stich, fondern 
nad dev Bleiftiftzeihnung felbjt wiedergegeben; Gräfin Branconi, früher nad 
einer Handzeihnung von Gabriel Fießinger, jet nach einem weit charafte- 
riſtiſcheren Delbild in der Braunſchweiger Galerie; Chriftiane nicht mehr nad) 
dem befannten umgünftigen Delgemälde von Naabe aus dem Fahre 1800, 
jondern nach Meyers ftilifiertem Aquarell aus dem Jahr 1792 oder 93 und 
nach der Kreidezeihnung von Bury 1800. Statt der Sebbersihen Porzellan- 
taſſe ift jetst deſſen vealiftifch getveue Driginalzeihnung von Goethe aus dem 
Jahre 1826 wiedergegeben. Bon Gottfried Körner war früher der mittel- 
mäßige Stich nad) Graff aufgenommen; jett eine fehr feine Kreidezeihnung 
Fr. E. Wageners aus dem Fahre 1790. Schillers Garten in Jena führt 
uns jett eine Zeihnung Goethes aus dem März 1819 vor, ftatt der von 
Starf aus dem „Jahre 1828. — Aus den älteren Partien der Literaturgefchichte, 
die mit Lieferung 2 anheben, feien als befonders wichtig die Proben von 
ſämtlichen befannten Handſchriften und Handjchriftenbruchftüden des Nibe- 
lungenliedes und der Klage, ja fogar von den einzelnen Händen, die in diefen 
Handjchriften vorkommen, hervorgehoben. 

Kippenberg A., Handbuch der deutfchen Literatur. Die deutfche Dichtung nad) 
ihrer gefhichtlichen Entwidelung in einer Auswahl ihrer vorzüglichften Erzeug- 
niffe vom Anfang bis auf die Gegenwart. 8. Auflage. Hannover, Goedel. 
4 M. 


Breul K., A handy bibliographieal guide to the study of the German 
language and literature for the use of students and teachers of 
German. With two Appendices and full Indexes. London, Hachette 
and Company. — Inhalt: I. Periodieal Publications. — II. Series 
of Essays and Collected Writings. — III. Germanie and German 
Philology. — IV. Language. — V. German Language and Grammar. — 
VI. Dietionaries. — VII. Names. — VIII. Literature. — IX. Theory 
of Poetry. — X. Metre. — XI. German Classics and Annotated 
Editions. — XII. Popular Songs, Ballads, Hymns, Proverbs, Riddles. — 
XIII. Folklore. — XIV. History — History of Culture — Laws — 
Customs — Institutions — Art — Eneyclop&zdias. — XV. The 
Teaching of German. — Appendices. A. List of the most common 
Abbreviations used in Books on German Philology and Literature. 
B. Symbols used in Books on Germanic and German Grammar. — 
Indexes. A. Index of Subjects. B. Index of Authors. 

Diefes Buch ift für den praftifchen Gebrauch englifcher Studenten bejtimmt 
und entjpricht dieſem Zweck durch Einfachheit, Klarheit, Ueberfichtlichkeit und 
Genauigkeit in mufterhafter Weife. Es wählt überall das Befte, Neuefte und 
Brauchbarſte aus, fügt den Titeln knappe Angaben oder Zeichen hinzu, welche den 
Anfänger nicht leicht fehl gehen laffen, dem Fortgefchrittenen willfommene Finger- 
zeige geben. Es bietet mehr und weniger als unfere ähnlichen Handbücher ; 
mehr, indem es nichts voraus feßt und auch das für uns Selbftverftändliche 
verzeichnet und erklärt, weniger, indem es ſcharf das Wefentlichfte und Not- 
mwendigjte aus der Maſſe der Literatur heraushebt, was für dem Lernenden 
gleichfalls einen großen Borzug bedeutet. ES wird daher auch deutjchen 
Studierenden gute Dienfte leiften. Nur damit kann ich mich nicht einverftanden 
erflären, daß Breul Artikel aus Zeitfchriften nicht verzeichnet und aus den 
angeführten Sammelwerten einzelne, beſonders wichtige Bände nicht hervorhebt. 
Diefem Prinzip find nicht bloß die in der VBorrede namhaft gemachten Aufjäte, 
jondern noch eine ganze Reihe andrer zum Opfer gefallen, die ich für brauch» 
barer und umentbehrlicher halte, als manches der verzeichneten Bücher: z. B. 


484 Bibliographie. 2. Bücher. 


R. Hayms grundlegender Auffat „Ueber die Bedeutung des Stils” in Pruß’ 
Literariſchem Taſchenbuch (das übrigens als Ganzes gleichfalls nicht fehlen dürfte) 
1845; E. Schmidts Necenfion von Lehmanns Bud über Lejfings Sprache 
im Anzeiger für deutjches Altertum, Minors Bibliographie und Quellenfunde 
der öfterreichifchen Literaturgefchichte in der Zeitjchrift für Die öfterreichifchen 
Gymnaſien 1886 und desfelben Einleitung in das Drama des 16. Jahrhunderts 
in den Hallenfer Neudruden er. 79/80, Diltheys „Baufteine für eine Poetik“ in 
der Feſtſchrift für Zeller u. a. Hier jollte eine zweite Auflage wenigftens das 
Notwendigfte nachtragen. Was jonftige Ergänzungen betrifft, jo muß man 
fi) den Sab der Borrede gegenwärtig halten: Whoever makes a selection 
of books is liable to be eritieised for admitting certain books and 
omitting others, and it is impossible to please everybody. Nichts 
deſtoweniger wage ich es, einige Auslaffungen zu rügen; Haupts Heine Schriften, 
Koldes Luther, Menzels, Hillebrands und Schröers Literaturgefchichten, Die 
(eteren natürlich nicht ohne einjchränfende Bemerkungen, follten nicht fehlen ; 
wo ſchleſiſche, elſäſſiſche, tiroliſche und ſchweizeriſche Literaturdenkmale verzeichnet 
ſind, müßten auch die Wiener- und Berliner Neudrucke Platz finden. Blumes aus— 
gezeichnete kommentierte Auswahl aus Goethes Gedichten wird gerade dem Au— 
fänger höchſt willkommen ſein. Unter den Anthologieen vermiſſe ich Berns „Deutſche 
Lyrik ſeit Goethes Tod“ in Reclams Univerſalbibliothek, Guſtav Schwabs 
„Muſterſammlung“: „Die deutſche Proſa von Mosheim bis auf unſere Tage“ 
(3 Bände, Stuttgart 1842/43), mehr noch desſelben „Fünf Bücher deutſcher 
Lieder und Gedichte. Bon A. von Haller bin auf die neueſte Zeit,“ deren 
fünfte neu vermehrte Auflage von feinem geringern als von Bernays beforgt 
wurde (Leipzig 1871), am meiften aber Heyjes Novellenſchatz mit feiner Fort» 
jegung, denen in Zukunft auch die bei Grunow in Leipzig erichtenenen Antho— 
logieen, zumal Wuftmanns Sammlung: „Als der Großvater die Groß— 
mutter nahm“, ferner Flathes Deutjche Reden und vielleiht auch ältere 
Legendenfammlungen beizufügen wären. Aber ic) will die weißen Blätter, 
die dem Buche für etwaige Addenda beigefügt find, nicht jetzt ſchon vollichreiben. 
Dafür wird der Fortfchritt der Wiffenjchaft gewiß baldigft jorgen. 

Heinſius W., Allgemeimes Bücher Leriton. 19. Band 1889 bis Ende 1892. 
Herausgegeben von K. Bolhoevener. 20. (Schluß-)Lieferung. Leipzig, Brod- 
haus. 3 M. 

Was ſollh ich lefen? Weihnachtsalmanach 1594. Aeußerungen deutfcher Männer 
und Frauen, eingeleitet von 9. Heiberg, geſammelt und Herausgegeben von 
V. Ottmann. Nebſt eier Rundſchau über Die neueren Erſcheinungen des 
Büchermarktes. Berlin, Pfeiljtüder. 50 %. 

Kürſchner J., Deutfcher Literatur-falender auf das Jahr 1895. 17. Jahrgang. 
Stuttgart, Göjchen. 6.50 M 

Monumenta Historiae Warmiensis. Band VI. III. Abteilung. Bibliotheca 
Warmiensis oder Literaturgefchichte des Bistums Ermlaud, Im Namen des 
hiſtoriſchen Vereins — herausgegeben von F. Hipler. 23. Lieferung. 
Braunsberg 1894, Wichert. 

Verzeichnis der — Univerfitäten jtudierenden Ermländer. — Die folgen- 
den Lieferungen werden nach dem Schluß der hier begonnenen Prussia scho- 
lastiea (von M. Perlbach) das ermländifche Schriftftellerleriton (von F. Hipler) 
bringen und damit den noch fehlenden Band der Bibliotheca Warmiensis 
und dieſe ſelbſt abjchließen. 

Zweiter Literaturbericht für Schleswig-Holftein, Hamburg und Kübel. 1893. 
Erftattet von A. P. Lorenzen. Beilage zur „Heimat“, Monatsſchrift des 


Bibliographie. 2. Bücher. 485 


Vereins zur Pflege dev Natur» und Landeskunde in SchleswigsHolftein, Hanız 
burg und Lübeck. Ver. 9 und 10. Kiel. 1894. 

Waſer 9., Die deutſche Literatur in der Schweiz von Haller bis auf die Gegen— 
wart. Züri, C. M. Ebell. 

Uhlmann=Birterheide und C. Hülter, wejtfälifche Dichtung der Gegenwart. 
Beiträge zur Würdigung weſtfäliſchen Geifteslebens. Mit 7 Dichterporträts 
und zahlreichen Driginal-Beiträgen. Leipzig, Lenz. 3 M. 

Carmina Germanicorum in Latinum convertit E. Reinstorff. Hamburg, 
Herod. 2 M 

Feſtſchrift der literarifchen Gejellfchaft in Köln zum 31. Januar 189. Kölı, 
Schmit. 150 M 

Edart R., Der deutſche Adel in der Literatur. Biographiſch-kritiſche Effays. 
Eingeleitet von DO. v. Uechtritz. Berlin, Stargardt. 4 M 

Die O., Zwifchen den Künften. Beiträge zur modernen Aeſthetik. (Aus „Neue 
deutsche Rundſchau“). Berlin, Fiſcher. 2 4 

Lange 8, Die bewußte Selbfttäufhung als Kern des Fünftlerifchen Genuffes. 
Antrittsporlefung. Leipzig, Veit. 80 A. 

Scherer H., Vergangene und moderne Beziehungen zum Hochgebirge. Augs— 
burg, Yampart. 80 A. 

Allgemeine Deutſche Biographie. 187.— 1%. Lieferung (Band 38 Lieferung 
2—5). Thulemeyr—Tumicius. Leipzig, Dunder und Humblot. 1894. 

Ich hebe nur einige wichtigere Artikel hervor: Moriz Auguftv. Thümmel, 
Dichter, 1738— 1817 ; deffen Bruder Hans Wilhelm und defjen Neffe Auguſt 
Wilhelm. Mit Benutzung von Mitteilungen der Familie v. Thümmel (R. Roſen— 
baum). — Graf Leo Thun-Hohenſtein, öſterreichiſcher Miniſter für Kultus 
und Unterricht, 1311 41888. Der Verfaſſer des umfangreichen Eſſays wurde 
von Perfonen, die Thun jehr nahe ftanden, durch Ueberlaffung von Briefen 
und Drudjchriften, jowie durch wertvolle fehriftliche und mündliche Mitteilungen 
aus ihrer perfünlichen Erinnerung unterſtützt (Frankfurter). — Paul Thymid, 
Operndichter des ausgehenden 17. Jahrhunderts (Roethe.) — Johann 
Ludwig Tied (W. Bernhardi). — Chriftoph Auguft Tiedge (M. Mend- 
heim.) — Eleajar Tiliſch (Tilefius von Tilenau), ſchleſiſcher Dichter und 


Hiftorifer 1560 — 1612 (Roethe). — Jacob Till, Hernhuter Liederdichter 
1713— 1783 (9. U. Lier). — Hans Tyrolff deutſcher Dramatiker des 
16. Jahrhunderts (H. Holftein). — Johannes Titelius, Dramatiker des 


16. Fahrhunderts (Bolte). — Friedrich Julius Tittmann, Piterarhiftorifer 
(Noethe). — Franz Xaver Toldt, Wiener Dramatiker und Novelliſt 1792—1849. 
Mit Benugumg handfchriftliher Stüce. Ueber das Taſchenbuch „Fortuna“ 
vgl. oben ©. 221. (A. von Weilen). — Robert Baron von Toll, 
baltiicher Gejchichtstoricher 1802—1876. Mit Benußung ausführlicher jchrift- 
licher Mitteilungen des ejthländifchen Nitterfchaftsjefretärts Baron Harald 
von Toll (F. Bienemann). — Heinrih Tolle, Schulmann und Dramatiker 
des 17. Jahrhunderts 1629—1679. Die intereffante Biographie beruht auf 
einer Unterfuhung des Cand. Köllner in Hannover (Noethe). — Karl Tomas 
ichef, Gelehrter und Schulmann (Minor). — Franz Tomafelli, öfter 
veihiiher Schaufpieler und Dramatiker 1801—1846. Benutzt handjchriftliche 
Stüde (A. v. Weilen) — Karl $. G. Töpfer, Dramatifer, 1792—1871 
(Ludwig Fränkel). — Joſeph Auguft Graf von Törring, Dramatiker 
(A. Hauffen). — Balthajar Ludwig Tralles, jchlefiiher Arzt und Gelehrter 
1708— 1797 (Max Hippe). — Ernſt Ehriftian Trapp, philanthropifcher 
Pädagog 1745— 1818. Aktenmäßig (PB. Zimmermann). — Johann Heinrich 
von Traunsdorff, Spruchdichter um die Mitte Des 17. Jahrhunderts. 


486 Bibliographie. 2. Bücher. 


(2. Fränkel). — Franz Trautmann 1813—1887. Handſchriftliche Mit- 
teilungen (Brümmer), — Hans Karl Heinrih von Trautzſchen, Dichter 
und ee 1730--1812 (9. A. Pier). — Hermann Trebelius 
(Surwynt), Druder und Dichter des 16. Jahrhunderts ( ©. Bau). — Tredfel, 
deutſche Buchdruderfamilie in Lvon (R. Steiff). — Marr Treiß-Saur- 
wein von Ehrentreiß, Kaiſer Marimilians I. Geheimfchreiber (R. v. Liltencron). 
— Gerhard Trefel, geiftliher Dichter des 17. Jahrhunderts (Roethe). — 
Michael Daniel Treu, Theaterdireftor des 17. Jahrhunderts (H. A. Lier). 
— Gottlieb Samuel Treuer, Hiftorifer und Jurift 1683— 1743 (BP. Zimmer- 
mann). — Wilhelm Treuer, Berfaffer des „Deutſchen Dädalus“ 1660 
(3. Frand). — Hieronymus Treutler, Rechtslehrer 1565—1607 (Mark— 
graf). — Ludwig Georg Treviranıs, veformierter Theologe 1676—1757 
(Euno). — Adam Tribbehomw (Tribbehovius), geiftlicher Dichter 1641— 1687. 
Mit Benußung feiner handſchriftlichen Selbftbiographie (A. Schumann). 
Johannes Tribbechow, geiftlicher Liederdichter 1677 — 1712 (X. China). 
— Daniel Wilhelm Triller, Dichter, Mediciner, Philolog 1695—1782. 
Neichliche Mitteilungen Wanieks (Erich Schmidt, Bagel). — Valentin Triller, 
geiftlicher Liederdichter des 16. Jahrhunderts (J. Zahn). — Karl Bernhard 
Trinius, Arzt, Botaniker und Dichter 1778— 1844 (L. Stieda). — Johannes 
Trithemius, Polyhiftor und Theologe 1462—1516 (Wegele). — Johann 
Ehriftian Trömer, der vadebrechende „Deutjch (oder Deuſch) Francos Jean 
Chretien Toueement“ 18. Jahrhundert (Erih Schmidt). — David Trommer, 
deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts (MWaldberg). — u (Valentin 
Friedland), Schulmann des 16. Jahrhunderts (Meifter). Ritter Edhart 
zum Trübel, volfstüimlicher Laienjchriftiteller Na (G. Knod). 
Ncola us Trübner, deutiher Buchhändler in London 1817 — 1884 
(8. Steiff), — F. K. A. dv. Trützſchler, Staatsmann und Schriftſteller 
1751-1881 (A. Schumann). — Adolf Ignaz Ritter v. Tſchabuſchnigg, 
öſterreichiſcher Politiker und Dichter 1809-1877 (8. Fränkel). — Bincenz 
Bernhard v. Tiharner, Hiftorifer und Ueberſetzer 1728—1778 6löſch). 
— Andreas Tiherning, jchlefifcher Dichter 1611—1659. Eine reichhaltige 
Sammlung der Korrefpondenzen Tſchnernings befindet ſich auf der Stadt- 
bibliothek zu Breslau (M. Hippe). — Sig (Aegidius) Tſchudi, ſchweizeriſcher 
Hiſtoriker 1505—1572 (W. Oechsli). Peter Tuckermann, lutheriſcher 
Theologe 1580—1651 (P. Bimnevmann). — Hermann Tulichius, Schul⸗ 
mann 1486—1540 (Koldewey). — Anton Tunicius, Sprühmwörterfammler 
(2. Fränfel). 

Bamberger L., Gejammelte Schriften. 3. Band. Politiſche Schriften von 
1848— 1868. Berlin, Roſenbaum & Hart. 5 M. 

Bernays M., Zur neueren Literaturgefchichte. (Schriften zur Kritif und 
Literaturgeihichte, 1. Band.) Stuttgart, Göfhen. 9 M 

Inhalt: 1. Bemerkungen zu einigen jüngft befannt gemachten Briefen 

an Goethe. (1895. Ungedrudt.) 1. Die erjte Aufführung des Mahomet. 
2. Barnhagens Briefe. Beziehungen Goethes zu Walter Scott. — I. Der 
frauzöſiſche und der deutjche Mahomet. (1893—1894. Ungedrudt.) Anhang: 
I. Schillers Verſuch einer Ueberſetzung des Britannicus von Racine (1867). 
II. Goethe als Leſer Saint-Simons. — III. Der Briefwechſel zwiſchen Schiller 
und Goethe in der Ausgabe von 1881 (1882). — IV. Die Urfchriften der 
Briefe Schillers an Dalberg (1887). 

Bettelheim A., Deutfche und Franzofen. Biographiihe Gänge, Aufjäge und 
Vorträge. Wien, Peſt, Leipzig, Hartleben. 2.20 fl. 

Inhalt: I. Aus Deutfch-Defterreih. Kronprinz Rudolf. — Marie von 


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Bibliographie. 2. Bücher. 487 


Ebner Eſchenbach. — Zum fechzigften Geburtstag von Ferdinand v. Saar. — 
Zum fünfzigften Geburtstag von P. K. NRofegger. — Richard Kralif: 1. Eine 
neue Theorie der Dichtfunft. 2. Dffener Brief an Fritz Mauthner. 3. „Welt 
Schönheit“: Die Aefthetif eines Künftlers. — Aus den Denfwürdigfeiten von 
Sofeph Korner. — „Ein zweites Leben“ von Franz Niffe. — Nenes von 
Anzengruber: 1. „Brave Leut' vom Grund.“ 2. „Lette Dorfgänge”“ von 
Ludwig Anzengruber. — Joſephine v. Wertheimftein. — II. Aus der deutjchen 
Schweiz. Joſeph Victor Widmann. — Befenntniffe von Stauffer-Bern. — 
III. Aus Schwaben. Zu Ehren von Hermann Kurz. — Berthold Auerbad) 
in Nordftetten. — Der Nachlaß Berthold Auerbahs. — IV. Ein biographiicher 
Roman. Alfred Doves Caracoja. — V. Franzofen. Zolas Kriegsbilder. — 
Guftave Flaubert: 1. Befenntniffe von Guftave Flaubert. 2. Briefe von 
Guftave Flaubert. — Fauſt als Hausvater. — Paul Bourget: 1. Jung— 
franzöfiihe Wandlungen. 2. Ein Kreuzzug Paul Bourgets. — Nachwort. — 
Zufäße. 

Brandes G., Menfchen und Werke. Eſſays. 2. Auflage. Mit einem Gruppen- 
bild in Lichtdruck. Frankfurt a. M., Rütten & Loening. 11 M 

Kludhohn A., Vorträge und Aufſätze. Herausgegeben von K. Th. Heigel & 
U. Wrede. München, Oldenbourg. 6.50 AM. 

Marholm Laura, Wir Frauen und unfere Dichter. Wien und Leipzig, Verlag 
der Wiener Mode. 3.50 M 

Inhalt: Wir Frauen und unfere Dichter. — Gottfried Keller und die 

Frauen. — Paul Heyje als Liebefhilderer. — Henvif Ibſen und das Eultur- 
weib. — Der Priefter der „Reinheit“. (Björnfon.) — Die beiden Weiber- 
haſſer Tolftoi und Strindberg. — Das Weib „fin de siecle“. (Guy de 
Maupafjant.) 

Marholm Laura, Das Buch der Frauen. Zeitpſychologiſche Porträts. Mit 
nr Autotypien nad) Photographien. 2. Auflage. Paris und Leipzig, Langen. 
IM. 


Müllner 2, Literatur» und funftritiiche Studien. Beiträge zur Aeſthetik der 
Dihtkunft und Malerei. Wien umd Leipzig, Braumülter. 2.40 fl. 

Inhalt: Literaturfritifche Studien: Hamerlings Aſpaſia. — Die englifche 
Literatur: Shafefpeare. Lord Byron. — Sacher - Majohs „Vermächtnis 
Kains“. — A. F. v. Schad, Ein halbes Jahrhundert. — A. F. v. Schad, 
Pandora. — Zwei Romane Doftojewsfys: „Arme Leute“. „Junger Nach— 
wuchs“. — F. Th. Viſcher, Auch Einer. — F. Ih. Viſcher, Lyriſche Gänge. — 
Goethe. — Annette v. Drofte-Hülshoff. — Emmy v. Dindlage. — Aus den 
funftkeitifchen Studien: Johann Burgers Kupferftihe. — Johann Leonard 
Raabs Kunftblätter. — Albrecht Dürers Allerheiligenbild. — Peter v. Cor- 
nelius’ Jüngſtes Gericht. 

N ©., Ideal und Leben. Gejammelte Borträge. Gotha, Schloefmann. 
9.80 M. 

Aus dem Inhalt: Das Chriftentum in Leffings Nathan. — Weltichmerz 
und Chriftentum. — Hiob und Fauft, eine Parallele. — Luthers Glaube. 
Saalfeld G. A., Loje Blätter zu Nut und Frommen des Allgemeinen deutjchen 

Sprachvereines herausgegeben. Berlin, W. Ernſt & Sohn. 

Aus dem Inhalt: Ein Wort zuvor! 1. Vom Allgemeimen deutjchen 
Sprachverein. 2. Ein Wort über die volfstümliche Berechtigung unferer 
Spradpereinigung. 3. Unfere Zeitfchrift. 4. VBerdeutihungs-Wörterbud von 
DO. Sarrazin. 5. Wie denkt das Volk über die Sprache. 6. Eine Stimme 
aus Frankreich über den Allgemeinen deutjchen Sprachverein. 7. Daheim. 
8. Eine beherzigenswerte Aeußerung Friedrihs des Großen. 9. Ein Stoß- 


488 Bibliographie. 2. Bücher. 


jeufzer aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. 10. Züge deuticher Sitte und 
Geſinnung. 11. Deutiher Spruch — deutfhe Art. 12. Jakob Grimms 
Antrittsrede „Ueber das Heimweh“. 13. Wie jollen wir unfere Rinder be- 
nennen? Ein Mahnmwort. 14. Weltbürgertum und Baterlandsliebe. 15. Wie 
es gemacht wird! 16. Karl Fromman. 17. Ein Bahnbrecher vor mehr als 
zwei Jahrhunderten. .18. Ein Nätjel von P. Möbius. 22. Eine Erinnerung 
an Seibel. 24. Eine Schenfendorffeier. Ein Koblenzer Erinnerungsblatt. 

Thimm R., Deutfches Geiftesleben. Vorträge. Herausgegeben von jeiner Witwe. 
Mit einer biographiichen Einleitung von J. 9. Zweite Auflage. Berlin, 
Simon. 1894. 

Subalt: Rudolf Thimm, Ein Pebensbild. — Das Epos der Germanen 
und fein Stabreim. — Die Poeſie der Fahrenden. — Die öffentlichen Ver— 
guügungen im Mittelalter. — Hans Sachs. — Ueber Sprade, Naturlaute 
und Gebärdenſprache. — Bürgers Lenore und ihr Verhältnis zur deutſchen 
Volksſage. — Die Brüder Grimm. 


Geſchichte der Willenfchaften. Gelehrtengeſchichte. 


Kürz E ©., Georgius Pictorius v. Billingen, ein Arzt des 16. Jahrhunderts 
und feine Wiffenfchaft. Freiburg i. B. Mohr. 1.50 M 

Meyer P., Samuel PBufendorf. im Beitrag zur Gejchichte feines Lebens. 
Programm. Grimma. 

Hübner R., Jacob Grimm und das deutiche Recht. Mit einem Anhang. 
Ungedrucdte Briefe an Jacob Grimm. Göttingen, Dieterih. 3 -M 

Inhalt: 1. Rechtsſtudium und Staatsdienft. 2. Die erſten deutjch- 
rechtlichen Arbeiten. 3. Die deutſchen Nechtsaltertümer. 4. Die übrigen Bei- 
träge zum deutſchen Recht. 5. Die Weistümer. 6. Allgemeine Anfichten über 
das deutſche Recht. — Anhang. Ungedrucdte Briefe an Jacob Grimm. Aus 
Briefen Chmels. (Mr. 1. St. Florian, 16. Dezember 1831. Nr. 2. Wien, 
30. Juni 1832.) Zwei Briefe Carl Friedrich Eihhorns. (Nr. 3. Göttingen, 
13. September 1815. Wr. 4 Berlin, 28. März 1832.) Aus zwei Briefen 
Falds. (Nr. 5. Kiel, 24. April 1819. Nr. 6. Kiel, 4 Januar 1829.) 
Nr. 7. Briefe E. Th. Gaupps. (Nr. T—15. Breslau, 1829—1837.) Aus 
einem Briefe des Freiheren von Hammerftein-Equord. (Nr. 16. Equord, 
1. Dez. 1828). Aus einem Briefe Karajans. (Nr. 17. Wien, 14. Jänner 1843.) 
Zwei Briefe Klenzes. (Nr. 18, 19. Berlin, 18. Oftober, 5. Dezember 1828.) 
Aus den Briefen des Ritters von Lang. (Nr. 20—31. Ansbach, 1827—1834.) 
Aus den Briefen des Freiheren von Laßberg. (Nr. 32—41. Eppishaufen 
1525— 1830.) Fünf Briefe Michelets. (Nr. 42—46. Paris, 1836— 1837.) 
Ein Brief Mittermaiers. (Nr. 47. 19. März 1829.) Drei Briefe von 
Philipps. (Nr. 48—50. Berlin, 1528—1829.) Bier Briefe des Freiheren 
von Stein. (Nr. 51—54. 1829—1830.) Zwei Briefe Wildas. (Nr. 55—56. 
Halle, 1839— 1842.) 

Ritter E., Le centenaire de Diez. Discours prononcé à la seance 
annuelle de l’Institut genevois suivi de Lettres adressdes à Victor 
Duret par Roumanille. Geneve 1894, Georg & Co. 

Laue M. Ehriftian Gottfried Ehrenberg. Ein Bertreter deutſcher Naturforihung 
im 19. Jahrhundert. 1795 —1876. Nach feinen Keifeberichten, feinem Brief- 
wechjel mit A. v. Humboldt, v. Chamiffo, Darwin, v. Martius u. a., Familien— 
aufzeihnmungen, ſowie anderm handjchriftlihen Material. Berlin, Springer. 
IM. 


Bibliographie. 2. Bücher. 489 


Paſtor L., Johannes Janſſen 1529—1891. Ein Lebensbild, vornehmlich nach 
den umgedructen Briefen und Tagebüchern desjelben entworfen. Mit Janffens 
Bildnis und Schriftprobe. Neue Ausgabe. Freiburg i/B., Herder. 1.60 4 

Teutſch F., Biſchof D. Georg Daniel Teutfh. Herausgegeben vom Ausſchuſſe 
des Vereins für fiebenbürgische Landeskunde. Hermannftadt, Krafft. 80 4. 

Berlit G., Worte der Liebe und Dankbarkeit am Sarge des verehrten Lehrers 
Dr. Rudolf Hildebrand, ord. Profefjors der neueren deutschen Literatur und 
Sprache, gejprochen in der Umiverfitätsficche zu Leipzig am 30. Oktober 1894. 
Als Handjhrift gedruct für Freunde des Heimgegangenen. 

Roſcher W., Geiftlihe Gedanken eines National-Defonomen. Mit dem Bildniffe 
des Berfaffers aus dem Jahre 1895 in Heliogravüre. 1.—9. Taufend. Dresden, 
v. Zahn & Jaenſch. 4 M 

Mitteis 2, Erinnerung an Adolf Erner. Bortrag. Wien, Manz. 1% 

Schmid Ch., Ein Blatt der Erinnerung an Geh. R. Prof. v. Frank. Erlangen, 
Wende. 30 9. 

Bezold W. v., Hermann v. Helmholtz. Gedächtnisrede. Mit 1 Porträt nad 
einem Oelgemälde von F. v. Lenbach. Leipzig, J. A. Barth. 1.50 

Hermann L. und Volkmann P., Hermann v. Helmholtz. Reden. (Aus den 
Schriften der phyſikaliſch-ökonomiſchen Geſellſchaft zu Königsberg.) Königsberg, 
Koh. 80 A. 

Röntgen W. C., Zur Gefchichte dev Phyſik an der Univerſität Würzburg. 
Gelegenheitsfchrift. Würzburg 1894. 


Politifche und Kulturgeſchichte. 


Ranke 8%. v., Weltgefchichte. Text-Ausgabe (in 25 Lieferungen). 1. Lieferung. 
Leipzig, Dunder & Humblot. 1.60 

Stern I, Geichichte Europas jeit den Verträgen von 1815 bis zum Frankfurter 
Frieden von 1871. Erſter Band. Berlin, Herb. 1894. 

Inhalt: Erfte Abteilung. Gefchichte Europas 1815 — 1830. Erſter 
Band: Einleitung. . . . Die Romantif. Romantische Wiſſenſchaft. . . . Ro— 
mantifche Kunſt im Deutfchland . . . Goethe und die Romantik. Ausartung 
der romantiſchen Kunft in Deutſchland. T. A. Hoffmann. Die Schidfjals- 
tragödie. . . — 1. Frankreich. — UI. England. — IL. Oeſterreich. . . . Gens, 
Adam Müller . . . Friedrich Schlegel . . . Cenſur. Wiener Jahrbücher. 
Theater. Raimund. Grillparzer.... — IV. Deutſchland. Die Anfänge des 
deutschen Bundestages. Altſtändiſches Weſen in Norddeutichland. Verfaſſungs— 
fampfe in Süddeutſchland. Preußen. Turner und Burſchenſchaft. — V. Der 
Kongreß von Aachen. — VI. Franfreid. — VII. England. — VIII. Deutjch- 
land. Die Karlsbader Beichlüffe. Nach den Karlsbader Beſchlüſſen. — An— 
hang: I. Metternich an Kaiſer Franz. Vortrag 13. Januar 1818. — II. Aus- 
zug aus einem Bericht des — Geſandten am Bundestag über die ver— 
trauliche Sitzung vom 18. Dezember 1817. — III. Auszug aus Reinhards 
Bericht an Richelien. Frankfurt a. M. 31. Mai 1818. — IV. Schreiben 
Gersdorffs an Stein. Weimar 3. Dezember 1817. — V. Adreſſe der Domi- 
nialbefier im Breslauer Kreis an Friedrich Wilhelm III. Beilage zum Gut- 
achten des niederſchleſiſchen General=- Landichaftsrepräjentanten Friedrich von 
Stein vom 16. September 1817. — VI. Auszug aus Richelieus Schreiben 
an Ludwig XVIII. Aachen 19. November 1818. — VII. Diktat Yudwigs XVIII. 
9. Dezember 1819. — VIII Auszug aus einem Schreiben Metternihs an 
Neffelrode. Wien 28. Februar 1819. — IX. Hardenbergs Berfaffungsentwurf 


490 Bibliographie. 2. Bücher. 


für Preußen vom 3. Mai 1819 in Form eimes Kgl. Kabinetsbefehles. — 
X. Metternich an Kaifer Franz. Vortrag 20. Januar 1820. 

Knötel P., Bilderatlas zur deutſchen Gefchichte, zufammengeftellt und mit er- 
tlärenden Anmerkungen verjehen. Bielefeld, Belhagen & Klafing. 3 0 

Janſſen J. Geſchichte des deutſchen Volkes feit dem Ausgang des Mittelalters. 
8. Band. 1.—12. Auflage. Freiburg i/B., Herder. 7 M 

Inhalt: Kulturzuftände des deutſchen Bolfes jeit dem Ausgang des 
Mittelalters bis zum Beginn des 3Ojährigen Krieges. 4. Bud. Volkswirt— 
ichaftliche, gejellfchaftliche umd religiögsfittliche Zuftände. Hexenweſen und Heren- 
verfolgung bis zum Beginn des 30jährigen Krieges. Ergänzt und heraus- 
gegeben von 2. Paſtor. 

Bibliothek deutjcher Geichichte, herausgegeben von 9. v. Zwiedined-Südenhorft. 
Lieferung 98. Stuttgart, Cotta. 1A 

Inhalt: Heigel 8. Th., Deutſche Geſchichte vom Tode Friedrichs des 
Großen bis zur Sn des alten Reichs II. 

N 9. v., Deutjche Gef ſchichte im 19. Jahrhundert. 1. Teil. — zum 

2. Pariſer Frieden. 5. Auflage. 5. Teil. Bis zur März Revolution. 2. Auflage 

(Staatengeichichte der neueften Zeit. Band 24 und 28). Leipzig, Hirzel. a 10 M 

en 9. d., Die Begründung des — Reiches durch Wilhelm J. 6. und 
Band. 1.4. Auflage. München, Oldenbourg. à 7.50 M 

Btleiderer D., Das deutſche Nationalbewußtfein in Bergangenheit und Gegenz- 
wart. Rede. Berlin, Beder. 75 9. 

Hıftorifhe Unterfuhungen, Ernſt Foerftemann zum 5Ojährigen Doftor- 
Ssubiläum gewidmet von der Hifterifchen Geſellſchaft zu Dresden. Leipzig, 
Teubner. 1894. 

Darin: Müller ©., Johann Erhard Kapp als Profeffor an der Univerfität 
Leipzig (mit Abdrud eines intereffanten BerihtS von Kapp vom 11. Des 
zember 1778 über Academica). — Rachel P., Zur Belagerung von Danzig 

1507 (nad) gleichzeitigen Aufzeihnungen eines ſachfiſchen Reiters). 

Bry Th. de, Emblemata nobilitatis. (Francofurti ad M. 1593.) Stammes 
und Wappenbuc). Mit einem Vorwort über die gejchichtlihe Entwidelung 
der Stammbücher bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, herausgegeben von 
F. Warnede. Berlin, Stargardt. 40 M. 

Bry J. Th. de, Emblemata saeeularia. (Oppenhemii 1611.) Kultur 
geſchichtliches Stamm- und Wappenbuch. Mit einer Einleitung über die 
Stammbücher des 17. Jahrhunderts, herausgegeben von F. Warnede. Berlin, 
Stargardt. 50 M. 

Souvenirs d’Alsace. Correspondance des demoiselles de Beckheim et 
de leurs amis (1789—1846). 2 Bände. Paris, Fiſchbacher. 6 Fr. 

Sranfenberg und Ludwigsdorf E. v., Anhaltifche Fürftenbildniffe. Mit 
Genehmigung Sr. Hoheit des Herzogs herausgegeben. 1. Band. Deffau, 
Kahle. 14 M 

Du Moulin Edart Graf R., Bayern unter dem Miniſterium Montgelas 1799 
bis 1817. 1. Band (1799—1800). Münden, Bed. 8.50 A. 

Paudler A, Ein deutjches Buch aus Böhmen. DOriginalzeihnungen von 
D. Pfennigwerth. Band 2. Mit 30 Abbildungen. Leipa, Künftner. 

Inhalt: 1. Spitsberg und Höllengrund. 2. Neufchloß bei Leipa. 3. Et. 
Barbara und die hl. Kümmernis. ©. 21 Katharinenlied. ©. 26 f. Kümmer— 
nisjagen. 4. Hirnfen und Habftein. 5. Habichtjtein und Hirfchberg. 6. Alt 
Berftein und NeusPerftein. 7. Grünland und Rothland. 8. Auſcha und 
— 9. Pitſchkowitz, Ploſchkowitz und Lewin. 10. Wernſtadt. 11. In 
der Daubaer Schweiz. 12. Polzen und Jungferbach. 13. Niemes und Reich— 





Bibliographie. 2. Bücher. 491 


ftadt. 14. Burg und Berg Böfig. 15. Burgruine Sweretiß. 16. Ruine 
Michelsberg. 17. Der Altftädter Brüdenturm in Prag. 18. Gaftorf. 19. Leit- 
meritz an der Elbe. 

Scharfenort v., Die Pagen am Brandenburgs Preußifchen Hofe 1415—189. 
Beiträge zur Kulturgejchichte des Hofes auf Grund acchivalifher Quellen. 
Mit zwei Abbildungen in Farbendrud. Berlin, Mittler & Sohn. 3.25 M 

Freudenthal A., Aus dem Calenberger Lande. Mit 12 Yluftrationen nad 
Photographien. Bremen, Heinfius. 1.60 

Nehljen R., Dithmarſcher Geichichte nach Onellen und Urkunden. Mit 1 Voll- 
bild, 1 Karte des alten Dithmarjchen und 1 Wappentafel. Hamburg, Verlags— 
anftalt und Drudere. DM. 

Niefe Ch, Aus dänifcher Zeit. Bilder und Skizzen. Geſamt-Ausgabe. 
Leipzig, Grunow. 5.90 % 

Bienemann jun. %., Guſtav Adolf und Livland. Bortrag. (Aus der „Düna- 
Zeitung“.) Niga, Stieda. 80 A. 

Poelchau, Die livländifche Gefchichtsliteratur im Jahre 1893. Riga, Kymmel. 
157 

Matthis G., Bilder aus der une und Dörfergefhichte der Grafjchaft 
Saarwerden (zugleih 2. Band von „Die Leiden der Evangelifchen in der 
Grafichaft Saarwerden“.) Straßburg, Heiß. 3 A. 

Doblhoff %., Beiträge zum Quellenjtudium falzburgifcher Landeskunde nebſt 
Hinweis auf die wichtigsten Quellenwerke. 5. Heft. 

Inhalt: Gastunensia. Aus den Publikationen der k. k. geologifchen 
Keihsanftalt. 1850—1891. Numismatif. 

Heyd W., Bibliographie der württembergifchen Geſchichte. Im Auftrage der 
württembergifchen Kommiffion für Yandesgefchichte bearbeitet. 1. Band. Stutt- 
gart, Kohlhammer. 

Württembergifche Gefchichtsquellen. Im Auftrage der miürttembergijchen 
Kommiffton für Landesgefchichte herausgegeben von D. Schäfer. 2. Band. 
Stuttgart, Kohlhammer. 6 A. 

Die Ehronifen der deutfchen Städte vom 14. bis ins 16. Yahrhundert. 
Auf Beranlafjung Sr. Majeftät des Königs von Bayern herausgegeben durch 
die hiſtoriſche Kommiſſion bei der fünigl. Akademie der Wiffenfchaften. 23. Band. 
Leipzig, Hirzel. 16 M. 

Inhalt: Die Chroniken der ſchwäbiſchen Städte. Augsburg. 4. Band. 


Hübſch G., Das Hochſtift Bamberg und feine Politif unmittelbar vor dem 
erften Einfalle ver Schweden 1631. Unter grumdlegender Berüdfichtigung der 
politifchen Verhältniſſe des fränkischen Kreifes quellenmäßig dargeftellt. Bam— 
berg, Buchner. 2.50 M. 

Geiger 2., Berlin 1688—1840. Geſchichte des geiftigen Lebens der preußifchen 
Haupifabt, Zweiter (Schluß-) Band 1786—1840. Berlin, Gebrüder Paetel. 

15 M. 

Inhalt: T. Niedergang und Entartung 1786—1808. 1. Neue Zuftände. 
2. Dichter und Schriftfteller. 3. Unterricht und Wiffenichaft. 4. Die Romans 
tifer und ihre Gegner. 5. Theater. 6. Gefellichaften umd Clubs. 7. Die 
Sranzofenzeit 1806—1808. — I. ÜBiebergeburt und Befreiung 1508—181D. 
8. Neue Epoche miffenjchaftlichen Lebens. Fichte Wolf. Schleiermacher. 
W. dv. Humboldt. 9. Patriotifche Stimmung 1809. 10. Gründung der Uni- 
verfität. 11. Vor dem Sturme 1810—1812. 12. Die Befreiungsfriege 1813 bis 
1815. — 1. Fünfundzwanzig Friedensjahre 1815—1840. 13. Goethe. 
14. Die Reaction. 15. Die jüngere Nomantit. 16. Literarifches Stillleben. 


492 Bibliographie. 2. Bücher. 


17. Das Theater. 18. Berliner Wis. 19. Erwachen des politifhen Sinns. 
20. Wiffenjchaftliches Leben. 

Rodt E. v., Das alte Bern, nad) Zeichnungen und eigenen Aufnahmen gefammelt. 
Dritte Folge. Bern, Schmid, Frande & Co. 20 M. 

Prentz J., Ensheim vor 60 Jahren. Bilder aus dem binterpfälzifchen Dorf- 
leben. Forbach, Hupfer. 1 

Hartmann V., Zeitgeihichte von Fulda. Gejammelt und verfaßt. Mit dem 
Stadtplan und einer Anficht von Fulda. Fulda, Nehrkorn. 4 M 

Zſchieſche K. L., Halberftadt jonft und jetst mit Berüdfichtigung feiner Umgebung. 
2. Auflage. Mit einer Anfiht und einem Stadtplan von Halberftadt. Halber- 
jtadt, Helm. 2 M. 

Huber A., Geſchichte Hüningens von 1679— 1698. Differtation. Bafel. 1894. 

Danneil F. Beitrag zur Gejchichte des Magdeburgifchen Bauernftandes. 1. Teil: 
Der Kreis Wolmirjtedt. Geſchichtliche Nachrichten über die 57 jegigen und die 
etwa 100 früheren Orte des Rreifes. 1. und 2. Heft. Halle, Kaemmerer & 
Co. &50 X. 

Spannagel &, Minden und Ravensberg unter brandenburgifch = preußifcher 
Herrichaft von 1648— 1719. Hannover, Hahn. 4.50 M. 

Gebhardt H., Aus der Geſchichte des Dorfes Moljchleben. Gotha, Schloeß— 
mann. 1.60 M. 

Schleſinger A., Moorgarten vor und nah 25 Jahren. Mit einem Borworte 
von J. Wichner. Wien, Szelinsfi. 60 %. 

Nambaldi K. Graf v., Die Münchener Straßennamen und ihre Erflärung. 
Ein Beitrag zur Heimatkunde. München, Piloty & Loehle. 3 M 

Zettel 8, Monacenfia. Zeit und Stimmungsbilder aus Alt- und Jung— 
münden. München, Lindauer. 2 AM. 

Schöppe K., Das alte Naumburg. Kulturgefhichtliche Bilder aus den letzten 
70 Fahren. Naumburg, Mar Schmidt. 75 % 

Boldens W., Neumühlen und Oevelgönne Hiſtoriſche Skizzen und Mit- 
teilungen aus dem Archive der Develgönner und Neumühlener Lootſen-Brüder— 
Ichaft von P. Hoppe. Altona, Schlüter. 3 M. 

Alt-Nürnberg. Kulturgefchichtliche Bilder aus Nürnbergs Bergangenheit. 
1. Lieferung. Nürnberg, Heerdegen-Barbed. 4 M. 

Inhalt: Rathaus, Negiment und Nat. 

Nöfel 2, Alt-Nürnberg. Gefchichte einer deutihen Stadt im Zufammenhang 
der deutſchen Reichs- und Volksgeſchichte. Mit einem Titelbild und einem 
hiſtoriſchen Plan der Stadt. 2. Hälfte. Nürnberg, Korn. 3.50 M 

Düning A, Stift und Stadt Quedlinburg im 30 jährigen Kriege. Duedlin- 
burg. 1894. Selbſtverlag. 

Böhmert B., Die Stadt Roßwein von 1834—189%4. Hiſtoriſch, volfswirt- 
ſchaftlich und ftatiftifch dargeftellt. (Eine deutſche Stadt in ihrer wirtſchaftlichen 
und focialen Entwidlung. Ein Beitrag zur Kulturgefchichte.) Aus der Zeit 
ichrift des ſächſiſchen ftatiftiichen Bureaus. Dresden, v. Zahn & Jaenſch. 
1.50 M. 

Kniebe H., Bilder aus Saarbrüdens Vergangenheit. I. Reihe. Saarbrüden, 
Schmidtke. 2.50 M. 

Kalchſchmidt K. Th., Geſchichte des Klofters, der Stadt und des Kirchipiel 
St. Georgen auf dem badiſchen Schwarzwald. Heidelberg, Winter. 9 cA 
Arendt K., Blumenlefe aus der Geſchichte der Burg Vianden und des Naſſau— 

Viandener Grafengefchlechtes. Luremburg, Büd. 6 M 


Bibliographie. 2. Bücher. 493 


Umlauft %., Namenbuch der Stadt Wien. Die Namen der Straßen und 
Gaffen, Pläte und Höfe, Vorftädte und Vororte im alten und neuen Wien, 
erflärt. Wien, Hartleben. 3.60 M 

Ditfurth Th. v., Geichichte des Gejchlehts von Ditfurth. 3. Teil. Chromif. 
Mit 25 Bildniffen, Ahnen- und Stammtafeln. Quedlinburg, Huch. 10 

Turba G., Zur Verhaftung Des Yandgrafen Philipp ven Heſſen 1547. 
Programm. Wien. 1894. 

Haffter E., Georg Jenatſch. Urkundenbuch, enthaltend Exkurſe und Beilagen. 
Chur, Hit. 2 M 

Briefe der Herzogin Elifabeth Charlotte dv. Orleans an ihre frühere Hofmeifterin 
A. K. v. Harling, geb. v. Uffeln, und deren Gemahl, Geh. Nat %. dv. Harling 
zu Hannover. Herausgegeben von E. Bodemann. Hannover, Hahn. 6 MW, 

Secret memoirs of the cowt of Louis XIV. and of the regeney, 
extracted from the German eorrespondence of the Duchess of Orleans. 
London, Nichols & Co. 10 sh. 

Treitſchke H. v., Guſtav Adolf und Deutfchlands Freiheit. Vortrag. Yeipzig, 
Hirzel. 1M. 

Zeißberg H. R. v., Belgien unter der Generalftatthalterichaft Erzherzog Carls 
(1793, 1794.) 3. Teil. (Aus den Situngsberichten der f. Afademie der 
Wiffenjchaften in Wien.) Leipzig, Freytag. 3.80 M. 

Zeißberg H. Nitter v., Erzherzog Carl von Defterreih. Ein Lebensbild, im 
Auftrage feiner Söhne, der Herren Erzherzoge Albrecht und Wilhelm verfaßt. 
1. Band. 2 Hälften. Wien, Braumüller. 20 4. 

Carl v. Defterreich, weil. Erzherzog, religiöfe Betrachtungen. (Aus: „Aus— 
gewählte Schriften.“) Wien, Braumüller. 3 

Hymmen d., Prinz Louis Ferdinand von Preußen. Hiſtoriſch-biographiſche 
Skizze. Mit einem Bildnis und einem Gefechtsplan. Berlin, Eiſenſchmidt. 1.4 

Gabriele v. Bülow, Tochter Wilhelm v. Humboldts. Ein Lebensbild. Aus 
den Familienpapieren Wilhelm v. Humboldts und feiner Kinder. 1791—1887. 
5. Auflage. Mit 3 (Lichtvrud-) Bildniffen. Berlin, Mittler. 10 

Bieling R., Friedrih Händeß. 1797—1838. Ein Zeuge des Herren unter 
Iſrael. Zumeift nach feinen Tagebüchern und Briefen gefhildert. (Schriften 
des Institutum judaicum in Berlin Wr. 20.) Berlin, Evangelijche Bereins- 
Buchhandlung. 75 A. 

Natorp D., B. Chr. Ludwig Natorp, Doktor der Theologie, Oberfonfiftorialvat 
und Bice-Generaljuperintendent zu Münfter. Ein Lebens- und Zeitbild aus 
der Gefchichte des Niederganges und der Wiederaufrihtung Preußens in der 
erften Hälfte diefes Jahrhunderts. Eſſen, Baedeker. 2.40 M. 

Meifter W., Aus den Papieren eines alten Offiziers. Ein Lebensbild Chrijtian 
Kormanns, furfürftlich heſſiſchen Oberften und zeitweilig beauftragten Brigade- 
Kommandeurs, Kommandeurs der Bundes-Artillerie im Schleswig-Holfteinifchen 
Feldzuge 1849. Mit bejonderer Berücfichtigung der weſtphäliſchen Zeit, der 
Feldzüge von 1814 und 1815, fowie des Schleswig-Holfteinischen Feldzuges 
1849 zufammengeftellt von feinem Entel. Hannover, Hahn. 2.40 M 

Berg M. v., Das Geheimfach meines Schreibtifches. Erinnerungen aus dem 
Leben eines alten Neitersmannes. 2. Band. Mit Illuſtrationen von O. Günther- 
Naumburg und 9. Yüders. Bielefeld, Siedhoff. 3 -M. 

Fürft Bismard, Politiſche Reden. Hiftoriich-kritifche Gejamtausgabe, bejorgt 
bon 9. Kohl. 12. Band. 1886—1890. Stuttgart, Cotta. 8 M. 

Fürft Bismards Reden Mit verbindender geichichtlicher Darftellung, 

herausgegeben von Ph. Stein. 1. Band. Der Abgeordnete Otto dv. Bismard- 


494 Bibliographie. 2. Bücher. 


Schönhaufen. 1847—1852. Mit Bismards Bildnis aus der 2. Hälfte der 
Vierziger Jahre. (Univerjal-Bibliothef Ar. 3331— 3340). Leipzig, Neclam. 1.4 

Blum 9, Fürft Bismard und feine Zeit. Eine Biographie für das deutſche 
Bolt. 3. Band. 1863—1867. Münden, Bed. 5 M. 

Kohl H., Bismard-Gedichte des Kladderadatich, mit Erläuterungen herausgegeben. 
Mit vielen Jluftrationen von W. Scholz und ©. Brandt. 1—9. Taufend. 
Berlin, A. Hofmann & Comp. 3 M. 

Johanna v. Puttfammer und Fürft Bismard. Berlin, Harrwit. 75 A. 

Alerejew W., Erinnerungen des ehemaligen ruſſiſchen Spracjlehrers des Fürften 
Dtto dv. Bismard. St. Petersburg, Schmitborff. 50 9. 

Aus dem Leben Th. v. Bernhardis. 4. Teil. Die erften Negierungs- 
jahre König Wilhelms I. Tagebuchblätter aus den Jahren 1860—1863. 
Leipzig, Hirzel. T M 

Feldzugs-Erinnerungen eines Kriegsfreiwilligen der 25. heſſiſchen Diviſion. 
Aus Tagebuchblättern und Briefen zufammengeftellt und herausgegeben von M. 
Augsburg, Neihel. 3 M, 

Nihter E, Im alten Reichstag. Erinnerungen. I. Berlin, Verlag „Fort- 
ſchritt“, A./G. 2 M 

Födransberg 9. Ritter v., 40 Fahre in der öfterreichifchen Armee. Erinnerungen 
eines öſterreichiſchen Offiziers von feinem Eintritte in die Armee bis zur Gegen- 
wart 1854—1894. Aus dem Gedächtniffe erzählt. 2. Band vom Mai 1866 
bis 1894. Dresden, A. Beyer. 4 M. 

Porth W., Denkwürdigfeiten aus dem Leben des k. und k. Feldmarſ chall⸗ 
Lieutenanl Ludwig Freiherr v. Kudriaffsk). Wien, Seidel & Sohn. 5 A. 

Goebel N., Heiteres aus dem Baltenlande. Fugenderinnerungen. Mitau, 
Behre. 150 4 

Dehninger F., Paul Oechninger U. D. M., Mitteilungen aus feinem Leben 
und feinen Briefen. Bafel, Geering. 2 M 

Guſtav Paſſavant Dr. med., geheimer Sanitätsrat. 28. Januar 1815 bis 
28. Auguft 1893. (Bon Mettenheimer, 2. Nehn, Ehlers.) Frankfurt a. M,, 
Zügel. 1.20 4. 

Siemens W. v., Lebenserinnerungen. 4. Auflage. (Wohlfeile Bollsausgabe.) 
Pit dem Bildnis des Verfaffers in Kupferätung. Berlin, Springer. 2 A. 

Viereck L., Wilhelm Krumme. Ein Bild feines Lebens und Wirfens. Braun 
ichweig, Salle. 80 A. 

Obert F., Thereſe Fileli. Umriffe zu dem Lebensbild einer ſächſiſchen Frau. 
Hermannftadt, Krafft. 50 A. 


Kirchengeſchichte. Theologie. 


Schmitt L., Johann Taufen oder der dänische Luther. 1494—1561. Zur 
400 jährigen Feier feiner — (3. Vereinsſchrift der Görresgeſellſchaft für 
1894.) Köln, Bachem. 1894. 2 M. 

Kleinwächter €, Der Meter Reformationsverfuch 1542—1543. I. Differtation. 
Marburg. 1894. 

Sepp F., Neligionsgefchichte von Oberbayern in der Heidenzeit, Periode der 
Reformation und Epoche der Klofteraufhebung. Münden, Huttler. 9 A 
Kolde Th., Andreas Althamer der Humanift und Reformator in Brandenburg- 
Ansbach. (Aus den Beiträgen zur bayerifchen Kirchengefchichte.) Mit einem 
Neudrud feines Katechismus von 1528 und arhivalifchen Beilagen. Erlangen, 

Junge. 2 M 


Bibliographie. 2. Bücher. 495 


Weſtermayer H., Die Brandenburgifch - Nürnbergifhe Kirchenpifitation 1528. 
Differtation. Erlangen. 1894. 

Schauenburg L., Hundert Jahre oldenburgiicher Kirchengefhichte von Hamel- 
mann bis auf Cadovius (1573—1667). Ein Beitrag zur Kirchen- und Kultur— 
gejchichte des 17. Jahrhunderts. 1. Band. Oldenburg, Stalling. 9 AM. 

Schubert H. v., Die Entjtehung der Schleswig - Holfteiniichen Landeskirche. 
Bortrag. (Aus der Zeitfchrift für Gefhichte der Herzogtümer Schleswig- 
Holftein.) Kiel, Univerfitätsbuhhandlung. 1 0 

ne A., Geſchicht des Collegium Germanicum Hungaricum in Ron. 

2 Bände. Freiburg i. B., Herder. 14 M. 

Riedel E., Ratholifches geben in der Marf Brandenburg. Beiträge zur Ge- 
ſchichte der fatholifchen Gemeinde in Brandenburg a. 9. Feſtſchrift zur Feier 
des 50. Fahrestages der Wiederaufftellung eines katholiſchen Prieiters in 
Brandenburg a. 9. Berlin, Germania. 

Rümelin A., Die Neformation in Deffan. Vortrag. Halle, Strien. 60 9. 

Weber B., Zur Reformationsgeſchichte der freien Reichsſtadt Frankfurt a. M. 
Aus dem literariſchen Nachlaſſe. Herausgegeben und ergänzt durch J. Diefen— 
bad. Frankfurt a. M., Foeſſer. 1 M 

Kniel C., Die Benediktiner-Abtei Maria-Laach. Gedenkblätter aus Vergangenheit 
und Gegenwart. 2. Auflage Köln, Bachem. 2.50 M. 

Brandes, Gefhichte der reformierten Gemeinde zu Stadthagen. Aus den Akten 
dargeftelft. Bücdeburg, Frommhold. 30 9. 

Lorenz P., Johann Baptift von NAlbertini. Ein Lebensbild. Differtation. 
Bern. 1894. 

Bornemann W., Mar Hildebrandt, weil. Paftor an St. Jacob. Gedenfblätter. 
Magdeburg, Greuß,. 1.20 M. 

Knapp W., Leben von Ludwig Hofader mit einer Auswahl aus feinen Briefen. 
6. Auflage. (Familienbibliothef Band 13.) Calw und Stuttgart, Vereins- 
buchhandlung. 2 4%. 

Edart Th., Andreas Kremer. Ein Lebensbild aus der Brüdergemeine. Hannover, 
Feeſche. 50 A. 

Jordan D., Aus dem Leben in einem Diafoniffenhaufe. Halle, Strien. 1.50 M 

Dietrih Gla, Nepertorium der katholiſch-theologiſchen Literatur, welche im 
Deutjchland, Defterreih und der Schweiz jeit 1760 bis zur Gegenwart 
erfchienen ift. 1. Band 1. Abteilung. Literatur der theologiſchen Encyclopädie 
und Methodologie, der Eregefe des Alten und Neuen Teftaments und ihrer 
Hilfswiſſenſchaften. Paderborn, Schöningh. 

Tholuck A., Ausgewählte Predigten. Mit einer Einleitung herausgegeben von 
H. Hering. (Die Predigt der Kirche. Klaſſikerbibliothek der chriſtlichen Predigt— 
literatur. Mit einleitenden Monographien. Begründet von G. Leonhardt, 
fortgeführt von W. v. Langsdorff. Band 28.) Leipzig, Fr. Richter. 1.60 4 

Schleiermader %. E., Zur Darftellung des theologiihen Studiums. Zum 
Behuf einleitender Vorlefungen entworfen (Bibliothek der Geſamtliteratur des 
In- und Auslandes Wr. 833, 834). Halle, Hendel. 50 %. 

Tuengerthal M., Philof fophif he umd hriftliche Ethik nah Schleiermadher. 
Differtation. Jena. 1894. 

Haſe 8. v., Handbuch der proteftantiichen Polemik gegen die römiſch-katholiſche 
Kirche. 6. Auflage. Leipzig, Breitfopf & Härte. 12 M. 

Pfleiderer O., Theologie und Geſchichtswiſſenſchaft. Rektoratsrede. Berlin, 
Beder. 75 LU 


Eupborion UI. 32 


496 Bibliographie. 2. Bücher. 


Bibliothekswefen. Buchdruck und Buchhandel. 


Neubaur 2, Katalog der Stadtbibliothet zu Elbing. 2 Bände. Magiftrat der 
Stadt Elbing. 7.50 M 

en zeichnis der Hanbfihriften i im preußifchen Staate. I. Hannover. 3. Göttingen. 

Berlin, Bath. 26 «A 

Holmant E., Die Bibtiotbet des Kneiphöfiihen Stadtgymnafinms zu Königs- 
berg i. Pr., ein Gedenfblatt ihres 2djährigen Beftehens. Königsberg. 1894. 

Alpbabetifhes Berzeihnis der franzöfiichen Literatur in der herzoglichen 
Bibliothek zu Wolfenbüttel. Der Bücher-Verzeichnifie der herzoglichen Biblio- 
thek II. Zeil. Wolfenbüttel, Zwißler. 20 4 

Heinemann DO. v., Die Er- Libris- Sammlung der herzoglichen Bibliothek zu 
Wolfenbüttel. 160 ausgewählte Bücherzeihen des 15.— 19. Jahrhunderts. 
Mit einer Einleitung. Berlin, Stargardt. 

Heißt P., Die Zürcher Büchermarken bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. 
Ein bibliographifcher und bildlicher Nachtrag zu C. Rudolphis und ©. Vögelins 
Arbeiten über Zürcher Druckwerke. Herausgegeben durch die Stiftung von 
Schnyder v. Wartenfee. Zürih, Fäſi & Ber. 7 M. 

Kautzſch R., Diebolt Yauber und feine Werkftatt in Hagenau. (Aus dem 
Eentralblatt für Bibliothefswejen.) Leipzig, Harraffowis. 2 M 

Zur Erinnerung des hundertjährigen Beftehens der Reinſchen Buchhandlung 
in Leipzig 1795 — 169. Feſtſchrift. 

Berlagsperzeihnis von Eduard Trewendt in Breslau. Zum fünfzigjährigen 
Beftehen der Berlagsbuhhandlung 1845—1895. 


Theater- und Auſikgeſchichte. 


Grethlein K., Allgemeiner deutfcher Theaterfatalog. Ein Verzeihnis der im 
Handel befindlichen Bühnenftüde und dramatischen Erzeugniſſe. 12. und 13. 
(Schluß⸗) Lieferung. Münſter i. W., Ruſſell. 1894. à 1.20 

Vgl. oben ©. 249. 

Dlith E., Bademecum dramatifcher Werke, alphabetiſch geordnet, mit Angabe 
der Verleger, Preife und teilweiſer Perfonenangabe. (In 12 Lieferungen.) 
1. Lieferung. Hannover, Yüdemann. 50 A. 

Praftiiches tabellenartiges Verzeihnis nad den Schlagworten der Titel 
geordnet. 

Neuer Theater-Almanadh 1895. Theatergefhichtlihes Jahr- und Adreffen- 
Buch. Herausgegeben von der Genoſſenſchaft deuticher Bühnen - Angehöriger. 
Jahrgang 6. Berlin, Günther & Sohn. 6 M. 

Die Theater Wiens. 3. Heft. Wien, Geſellſchaft für vervielfältigende Kunſt. X 

Inhalt: III. Band, Bayer J., Das neue k. k. Hofburgtheater als Bau— 
werf mit feinen Sfulpturen und Bilderfhmud. 

Regnard A., Etudes d’esthetique scientifique. La renaissance du 
drame lyrique 1600—1876. Paris, Fischbacher. 2 fr. 

Seyfert B., Das mufifalifch-volfstümliche Lied von 1770—1800. Differtation. 
Leipzig. 1894. 

Schütz H., Sämtlide Werke. Herausgegeben von Ph. Spitta. Band XVI. 
Die Palmen Davids nad Cornelius Beders Dichtungen. Leipzig, Breit— 
fopf & Härte. 20 M. 

Seeburg F. v., Joſeph Haydn. Ein Lebensbild. 2. Auflage. Regensburg, 
Puſtet. 2.80 4 


Bibliographie. 2. Bücher. 497 


Schuberts Werke. Erſte kritiſch durchgeſehene Gejfamtausgabe. Serie XX, 
Band I. Lieder und Gefänge. Yeipzig, Breitfopf & Härtel. 7.50 #4 Revifions- 
beriht 3 MH 

Wagner R., Lettres & Auguste Roeckel, traduites par M. Kufferath. 
Leipzig, Breittopf & Härtel. 2 M 

Appia A., La mise en scene du drame Wagnerien. Paris, Chailley. 
1.50 fr. 

Wagner R., Triftan und Iſolde. Textbuch. (In ruffiicher Sprache.) Leipzig, 
Breitfopf & Härtel. 80 %. 

Pfohl 3, Führer durch Richard Wagners deutſche Nationaloper „Die Meifter 
finger von Nürnberg“. Ein Eſſay. Mit Notenbeifpielen, einem Partiturcitate 
und einem alten Meifterfingerliede. 2. Auflage. Leipzig, Neinboth. 1% 

Leeke F., Richard Wagner-Werf. Ein Bildercyflus. DBegleitender Text von 
F. Munder. München, Hanfjtaengl. 45 M, 

Das Rihard Wagner-Mufeum und die Zukunft des Wagnertums. Ein 
Aufruf an die Wagnerianer „Zu neuen Thaten!” 2. Taufend. Leipzig und 
Baden-Baden, Wild. 50 9. 

Woffidlo W., Carl Löwe als Balladenfomponift. Einführung im das DVer- 
ſtändnis umd in den Vortrag Löweſcher Balladen für Löwe-Freunde und folche, 
die es werden wollen. Berlin, Schlefinger. 1 4 

Waldmann W., Robert Franz. Geſpräche aus zehn Jahren. Leipzig, Breit- 
fopf & Härtel. 3 M. 

Pfeiffer Th., Studien bei Hans dv. Bülow. 5. Auflage. Berlin, Luckhard. 3 M 

Hanslid E., Aus meinem Leben. 2 Bände. 3. Auflage. Berlin, Allgemeiner 
Berein für deutjche Literatur. 10 4. 


Kunſtgeſchichte. 


Böttger L., Die Bau- und Kunſtdenkmäler des Regierungs-Bezirks Köslin. 
Herausgegeben von der Gefellfchaft für Pommerjche Geſchichte und Altertums- 
funde. Band II. Heft I. Kreis Stolp. Stettin 1894. 

Keiffenftein E. Th, Die freie Stadt Frankfurt am Main in Bauwerken und 
Straßenbildern. Nach des Künftlers Aquarellen und Zeichnungen aus dem 
ftädtifchen hiſtoriſchen Mufeum und aus Privatbefit. 1. Heft. Frankfurt a. M., 
Sügel. 16 M 

Redlin, Beiträge zur Geſchichte der Marienkirche in Stargard. Im Anftrage 
des Marienfirhbauvereines herausgegeben. 1. Heft. Stargard 1. P., Weber. 

Haasler E, Der Maler Chriftoff Amberger von Augsburg. Differtation. 
Heidelberg. 1894. 

Ilg A., Die Fiiher von Erlach. Mit Förderung des k. k. Miniſteriums für 
Kultus und Unterricht herausgegeben. I. Leben und Werfe oh. Bernd. 
Fiſchers von Erladh, des Vaters. Wien, Konegen. 20 AM. 

Murau K., Wiener Malerinnen. Dresden, Pierfon. 2 M 


Geſchichte der Philofophie und Aefihetik, 


Heym L. M., Darftellung und Kritit der äfthetifchen Anfichten Johann Georg 
Sulzers. Differtation. Leipzig. 1894. 

Candrea G., Der Begriff des Erhabenen bei Burke und Kant. Differtation. 
Straßburg. 1894. 


32* 


498 Bibliographie. 2. Bücher. 


Eisler R., Kritifche Unterfuhung des Begriffes der Weltharmonie und feiner 
Anwendungen bei Leibniz. (Mit dem Leipziger „Krug”-Preife gefrönte Ab- 
handlung.) Berlin, Calvary & Co. 1.20 6 

Eisler R., Die Weiterbildung der Kantſchen Aprioritätsiehre bis zur Gegenwart. 
Ein Beitrag zur Gefhichte der Erfenntnistheorie. Leipzig, W. Friedrid. 1.80 M 

Kühnemann E., Kants und Schiller Begründung der Aefthetif (I. Grundlagen 
der Aefthetit Kants). Habilitationsſchrift. Marburg. 

Fiſcher K., Gefhichte der neueren Philofophie. Neue Gefamtausgabe 6. Band. 
2. Hälfte. Heidelberg, Winter. 12 4 

Inhalt: Friedrih Wilhelm Joſeph Schelling. (1. Bud: Schellings 
Leben und Schriften. 2. Buch: Schellings Lehre) 2. Auflage. 2. Hälfte. 

Turban T., Das Wefen des Chriftentums von Ludwig Feuerbach. Differtation, 
Leipzig. 1894. 

Schopenhauer A., Sämtlide Werke in 12 Bänden. Mit Einleitung von 
N. Steiner. 5. Band (Cottafche Bibliothef der Weltliteratur. 251. Band). 
Stuttgart, Cotta. 1 M 

Schopenhauer A.F., Le Fondement de la morale. Traduit de l’alle- 
mand par A. Burdeau. 5. edition. Paris, Alcan. 

Simon Th, Arthur Schopenhauer nad feinem Charakter und feiner Stellung 
zum Chriftentum (Zeitfragen des chriftlichen VBolfslebens. Herausgegeben von 
E. Freiheren v. Ungern-Sternberg und 9. Dieb. 143. Heft). Stuttgart, 
Belfer. 80 X. 

Schmid S., Schopenhaners Willensmetaphyſik in ihrem Verhältnis zu neueren 
Anfichten über den Willen. Differtation. Leipzig. Ä 

Seydel M., Arthur Schopenhauers Metaphyfift der Muſik. II. ritif von 
Scopenhauers Metaphyſik der Muſik. Differtation. Leipzig. 189. 

Lotze H., Grundzüge der Neligionsphilofophie. Diftate aus den Vorlefungent. 
3. Auflage. Leipzig, Hirzel. 1.70 M 

Caspari D., Hermann Poße in feiner Stellung zu der dur Kant begründeten 
neuejten Gefchichte der Philofophie und die philofophifche Aufgabe der Gegen- 
‚wart. Eine Eritifch-hiftoriicehe Studie. 2. Auflage. Breslau, Trewendt. 4 M. 

Nietzſche F. Werke. 1. Abteilung. 2., 3., 7. und 8. Band. Leipzig. Nau— 
mann. 

2.3. Menfchliches, Allzumenſchliches. Ein Bud) für freie Geifter. 2 Bände. 
4. Auflage. 15 — 7. Jenſeits von Gut und Böſe. 5. Auflage. Zur 
Genealogie der Moral. 4. Auflage. 8.50 — 8. Der Fall Wagner. 
3. Auflage. Göten- Dämmerung. 3. Auflage. Nietzſche contra Wagner. 
Der Antichrift. Gedichte. 8.50 M 

Kreger E., Friedrich Nietzſche. Nach perfönlichen Erinnerungen und aus feinen 
Schriften. Frankfurt a. M., Keffelring. 1.20 4 


Pädagogik und Geſchichte des Unterrichts, 
Lange 8., Lehrmethode und Lehrerperfönlichkeit. Bortrag. Plauen, Neupert. 
50 


Müller («Frauenftein) G. Ueber höheren Mädchenunterricht und über Frauen— 
bildung. 2 Vorträge. Hannover, Oft. 60 9. 
Dörpfeld F. W., Gefammelte Schriften. Gütersloh, Bertelsmann. 
III. Religionsunterricht. 1. Teil. Religiöſes und Religionsunterrichtliches. 
2. Auflage. 2.20 #4. — IV. Nealunterriht. 2. Teil. Die Gefellfchaftsfunde, 
eine notwendige Ergänzung des Gejchihtsunterrichts. Begleitwort zur 4. Auf- 
lage des Nepertoriums der Geſellſchaftskunde. 3. Auflage. 50 9. 





Bibliographie. 2. Bücher. 499 


Pädagogiſche Zeit- und Streitfragen Flugichriften zur Kenntnis der 
pädagogischen Beftrebungen der Gegenwart, herausgegeben von J. Meyer. 
39.—41l. Heft. Wiesbaden, Behrend. 

39. Bergemann F., Zur Klarftellung des Begriffes der Apperzeption. — 
40. 41. Karten 9., Friedrih Wilhelm Dörpfeld. Sein Leben und feine 
Schriften. 

Sammlung pädagogifcher Vorträge. Herausgegeben von W. Meyer-Marfau. 
7. Band, 8. Heft. Bielefeld, Helmih. 50 59. 

Inhalt: Heidemeyer F. W., Die Heimat des Lehrers. — Giefefing E., 
Das Fremdwörterunmeien. Ein Mahnruf an alle Freunde der deutſchen 
Mutteriprade. 

Bibliothek der Fatholifchen Pädagogif. Begründet unter Mitwirfung von 
2. Kellner, Knecht, 9. Nolfus und herausgegeben von %. X. Kunz. Band 7. 
Freiburg i. B., Herder. 

Inhalt: Kardinal Johannes Dominicis Erziehungslehre und die übrigen 
pädagogifchen Leiftungen Italiens im 15. Jahrhundert. — Der Kartäufer 
Nikolaus Kemph und feine Schrift: Ueber das rechte Ziel und die rechte Ord- 
nung des Unterrichts. Ueberſetzt und mit biographiichen Einleitungen verjehen 
von A. Rösler. 

Sammlung der bedeutendften pädagogifhen Schriften aus alter und neuer 
Zeit. Mit Biographien, Erläuterungen und erflärenden Anmerkungen, heraus— 
gegeben von B. Schulz, J. Ganfen, A. Keller. 108. Lieferung. Paderborn, 
Schöningh. 24 X. 

Inhalt: Demeters Grundfäße der Erziehung. Bearbeitet von J. Nießen 4. 

Reber J., Johann Amos Comenius und feine Beziehungen zu den Sprad- 
gejellfchaften. Denkſchrift zur Feier des vierteltaufendjährigen Beſtandes des 
Pegnefifhen Blumenordens zu Nürnberg. Leipzig, Fod. 1.50 M 

Inhalt: 1. Des Comenius Spracdfenntniffe 2. Seine Kenntnis der 
deutfhen Sprade. 3. Des Comenius dichteriiche Arbeiten. 4. Sein Urteil 
über dem deutſchen Bersbau. 5. Die Gründung der Spracgejellichaften. 
6. Der Nürnberger Ratsherr Harsdörfer. 7. Des Comenius Urteil über 
Harsdörffer und den Palmenorden. 8. Comenius, Harsdörffer und Johann 
Balentin Andrei. 9. Des Comenius Briefe an Harsdörffer. 10. Comentus, 
Hefenthaler, Weinheimer und Hainlin. 

Funk ©, Die Pädagogik P. Billaumes. Ein Beitrag zur Geſchichte des 
Philanthropismus. Differtation. Leipzig. 139. 

Morf H., Peltalozzis Berufswahl und Berufslehre. Liegnitz, Seyffarth. 30 9. 

Seyffarth 2. W., Peſtalozzi und Anna Schulthei. Vortrag, gehalten auf der 
Feftverfammlung des Berliner Lehrervereins zur Vorfeier von Peſtalozzis 
150. Geburtstage auf Grund des bisher noch nicht veröffentlichten Brief— 
wechſels zwiſchen Peftalozzi und feiner Braut. Liegnitz, Seyffarth. 50 X. 

Herbart J. %., Allgemeine Pädagogit, aus dem Zweck der Erziehung ab- 
geleitet. Neue billige Ausgabe. Yeipzig, Siegismund & Volkening. 1.20 A 

de Garmo O., Herbart and the Herbartians. London, Heinemann. 5 sh. 

Wendt %., Herbart und Willmann in Bezug auf die Auffaffung der Stellung 
und Bedeutung des Unterrichts im Syſtem der Erziehung. Differtation. 
Sena. 1894. 

Schneiderhan F., Matthäus Cornelius v. Münch, ein ſchwäbiſcher Pädagoge. 
Zugleich ein Beitrag zur Gefchichte des württembergifchen Volksſchulweſens im 
19. Jahrhundert. Schwäbiſch-Gmünd, Roth. 1.25 


500 Bibliographie. 2. Bücher. 


Pobensfragen Aus den Papieren eines Denkers, herausgegeben von Auguft 

Sperl. Münden, Bed. 1594. 3 M 
Nachlefe aus den Papieren des 1862 verftorbenen Neftors des Ansbacher 
Gymnaſiums, Schulvat Dr. Chriftian von Bomhard. 

Hering W., Lebensbild des Seminardireftors Schulvats Heinvih van Senden 
(+ 9. Januar 1894). Herausgegeben vom oſtfrieſiſchen Yehrerverein. (Aus 
„Oſtfrieſ. Schulbl.“) Leer, Wilfens. 70 A. 

Köhnde H. und J. J. Scheel, Gefchichte des Bereins Hamburger Voltsichul- 
lehrer (1873—1894). Hamburg, Fritiche. 1% 

Hollwed J. N., Gefchichte des Volksſchulweſens in der Oberpfalz. Aus den 
Quellen dargeftellt. Mit einem Anhang von Archivalien. Regensburg, 
Habbel. 3 MH 

Spielmann C., Der Unterriht am Gymnaſium Auguſteum zu Idſtein 1569 
bis 1817. Differtation. Bern. 1894. 

Schmit K. Geſchichte des niederöfterreihischen Yandes-Nealgymnafiums in Waid- 
hofen an der Thaya in den erften fünfundzwanzig jahren feines Beftandes. 
(1870— 1894.) I. Programm. Waidhofen. 1894. 

Zimmer %., Das altmärfifhe Seminar. (Geſchichte des Seminars Gardelegen- 
Ofterburg von feiner Gründung im Jahre 1821—1894.) Kurzgefaßte Erinne— 
rungsblätter, feinen ehemaligen Schülern dargereicht. Oſterburg, Danehl. 1.50 4 

Acta rectoralia almae universitatis studii Cracoviensis inde a a. 1469, 
Editionem ceuravit W. Wislocki Tomi I. fasc. 3. Krakau, Bolnijche Ver- 
lags-Gejellfchaft. 3 M 

Dergel G., Das Collegium majus zu Erfurt. Erfurt. 1894. Villaret. 

Mayer H., Geſchichte der Univerfität Freiburg in Baden in der 1. Hälfte des 
19. Jahrhunderts. 3. (Schluß-) Teil. 1830—1852. Bonn, Hanftein. 2.50 % 

Conrad J. Die Statiftit der Univerfität Halle während der 200 Fahre ihres 
Beſtehens. Feſtſchrift. Halle. 1894. 

Hergberg ©., Die Stadt und Umiverfität Halle a. ©. im Jahre 1794. Gelegen— 
heitsfchrift. Halle. 1894. Bgl. oben ©. 225. 

Acta facultatis medieae universitatis Vindobonensis. I. 1399 — 1435. 
Auf Veranlaſſung des medizinischen Doktorenfollegiums aus der Original- 
Handjchrift herausgegeben von K. Schrauf. Feitgabe des Wiener Medizinischen 
Doktorenkollegiums zur 66. Berfammlung deutſcher Naturforjcher und Aerzte. 
Wien. 1894. Verlag des medizinischen Doftorenfollegiums. 





Die Literatur in der Schule. 


Brunner A, Literaturkunde und Literaturgefhichte in der Schule. Sonder— 
abdrud aus der Zeitichrift für Literaturgefhichte „Euphorion“ 1895, Heft 1. 
Bamberg, Buchner. 50 A. 

Abriß der deutfchen National-Piteratur. Nach Brugier zum Gebraud) an höheren 
Unterrichtsanftalten und zur Selbftbelehrung bearbeitet. Freiburg i. B., Herder. 

Kummer K. F. und Stejstal K., Einführung in die Gefchichte der deutſchen 
Literatur. 2. Auflage. (Hilfsbücher für den deutſchen Unterricht. Heraus— 
gegeben von K. Stejsfal. 3. Bändchen) Wien, Manz. 2.40 A 

Sommert 9, Grundzüge der deutſchen Poetik für den Schul- und Selbit- 
unterricht. 5. Auflage. Wien, Bermann & Altmann. 1.60 M 

Volksſchriften. Zum Gebraud in Fortbildungssehulen neu herausgegeben von 
F. Jonas. 1. und 10. Heft. Berlin, Dehmigfe. 

1. Schuß O., Zur Erinnerung an Friedrich den Großen. 2. Aufl. 30 9. 
10. Kleine Schriften von E. M. Arndt, 40 9. 





Bibliographie. 2. Bücher. 501 


Blume 2., Praftiiche Anleitung zu deutſchen Aufjägen Ein Hilfsbuch für 
Gymnaftaften und Schüler verwandter Lehranftalten. Wien, Hölder. 2.80 M 

Heinze H und W. Schröder, Aufgaben aus deutjchen Dramen. 2, und 
3. Bändchen. Leipzig, Engelmann. 

2. Aufgaben aus „die Jungfrau von Orleans“, zufammengeftellt von 
Schröder. 80 9. 

3. Aufgaben aus „Wallenftein” zufammengeftellt won Heinze. 1. 

Sammlung deuticher Dichtungen und Projawerfe für den Schulgebraud, heraus— 
gegeben von A. Brunner. Bamberg, Buchner. 

IX. Leſſings Minna von Barnhelm, erklärt von K. Küffner. 50 9. 

X. Goethes Egmont, erklärt von M. Hoferer. 50 N 

XI. Goethes Götz von Berlichingen, erklärt von H. Steiger. 60 4. 

XII. Ausgewählte Reden (dev Abhandlungen und Reden IT. Teil), erklärt 
von A. Baldi. 60 X. 

Inhalt: J. J. Engel, Lobrede auf den König Friedrich den Großen. — 
Döderlein, Rede zur Erinnerung an die Veröffentlihung der bayerischen 
Staatsperfaffung. — Grillparzer, Rede am Grabe Beethovens. — Geiſſel, 
Feſtrede bei der Einweihung des Domes zu Köln. — Döllinger, Rede zum 
Gedächtnis des Königs Marimilian II. — Fürft Bismard, Nede über die 
Bereinigung von Elſaß-Lothringen mit dem deutſchen Reiche. — Cron, Goethe 
und die Schule. — Graf Eulenburg, Rede zur Einweihung des National- 
denfmals auf dem Niederwalde. 

Freytags Schulausgaben Haffischer Werke für den deutjchen Unterricht. Wien 
und Prag, Tempsty. 

Schiller 5. v., Die Räuber. Ein Schaufpiel. Für den Schulgebraud) 
herausgegeben von R. Scheih. 80 Heller. 

Schiller 5. d., Don Carlos, Infant von Spanien. Ein dramatifches 
Gedicht. Für den Schulgebraud) herausgegeben von D. H. Stoflasfa. 1 Krone. 

Goethes Egmont von F. Bollmer (W. Kuenen und W. Evers, Die deutfchen 
Klaffiker, erläutert und gewürdigt für höhere Lehranftalten, owie zum Selbſt— 
unterricht. 11. Bändchen.) Leipzig, Bredt. 1 0 

Schiller F. v., Wilhelm Tel. Schaufpiel. 5. Auflage. (Gewählte Lektüre 
für Schule und Haus. Herausgegeben von A. Hentichel und K. Linke. Nr. 2.) 
Leipzig, Peter. 

Schiller F. v. Die Jungfrau von Orleans. Eine vomantifche Tragödie. Schul- 
ausgabe, 2. Auflage, beforgt von M. Evers. (Meifterwerfe der deutſchen 
Literatuv in neuer Auswahl und Bearbeitung für höhere Lehranftalten von 
K. Holdermann, 2. Sevin, M. Evers und V. Uellner. Band 7.) Berlin, 
Neuther & — 75 59. 

Hackländer F. W., Der geheime Agent. Luſtſpiel in fünf Aufzügen. Edited 
with an introduetion and notes by E. L. Millner-Barry. Edited for 
the syndies of the university Press. Cambridge. At the university 
Press. 1894. 

Riehl W. H., Die Ganerben, die Gerechtigkeit Gottes. Zwei Gefchichten. Edited 
with notes and a complete vocabulary by H. J. Wolstenholme. Edited 
for the syndies of the university press. Cambridge. At the university 
Press. 


* 
ID 


Bibliographie. 2. Bücher. 


Sagen- und Stoffgefchichte. Volkstümliches. 


Wannenmacher, Die Grifeldisfage auf dev iberijchen Halbinfel. Straßburger 
Differtation. 

Popek A., Der falfche Demetrius in der Dichtung mit bejonderer Berüdfihtigung 
Schillers und feiner Fortfeger. (Fortfegung.) Programm. Yinz. 1894. 
Wisnar J. Das Neujahr. Eine folkloriftiiche Plauderei. Znaim, Fournier & 

Haberler. 60 X. 

Kaufen ., Im Blütenduft und Winterfchnee. Blätter aus dem Kranze deutjcher 
Feftzeiten und Feſtbräuche. Heiligenftadt, Cordier. 3.50 A 

Gruner D., Weitere Beiträge zur Erforfhung volfstümlicher Baumeife. Nebſt 
einer eimleitenden Betrachtung über die Urfachen ihres Verfchwindens in unferen 
Dörfern. Mit 27 Abbildungen nah Original» Zeihnungen des Berfaffers. 
Leipzig, Felir. 1.60 A 

Humanus, L’union fait la force. Berlin, Internationales Berlagsinftitut 
der „Union“. 50 %. 

Darin u. a.: Deutiches Volkslied. 

Household stories from the collection of the Brothers Grimm; from 
the German, by L. Crane, and done into pietures by W. Crane. 
New-York, Macmillan & Co. 1894. 

Grimm J. en W., Sprookjes en vertellingen. Geillustreerd door P. 
Grot Johann. 'sGravenhage, De Gebroeders Van Cleef. 189. 

Grimms Aeventyr. Pragtudgave, illusteret af P. Grot Johann og R. 
Leinweber. Stockholm, R. Stjernholm. 1894. 

Nover %., Deutihe Sagen in ihrer Entjtehung, Fortbildung und poetiſchen 
GSeftaltung (Beliebte deutſche Bolksjagen, 1. Band. Fauft, Till, Eulenfpiegel, 
Der ewige Jude, Wilhelm Tel.) Gießen, Roth. 2.50 AM. 

Beder K., jehs altdeutiche Volkslieder. Im Anſchluß an Liederbücer des 15. 
und 16. Jahrhunderts für Männerchor bearbeitet. Neumied, Heufer. 25 9. 

(Hauffen A.J Fragebogen zur Sammlung der voltstümlichen Ueberlieferungen 
in Deutjch-Böhmen. (2. erweiterte Auflage) Prag, Verlag der Gejellfchaft zur 
Förderung deutſcher Wiffenfchaft, Kunſt und Literatur in Böhmen. 

Voges Th., Sagen aus dem Lande Braunfchweig gefammelt. Mit einer Karte- 
Braunſchweig, Goerit. 4 M. 

Hauffen A., Die deutfhe Spradinjel Gottichee, Geihichte und Mumdart, 
Lebensverhältniffe, Sitten und Gebräuche, Sagen, Märchen und Lieder. Mit 
vier Abbildungen und einer Spracfarte (Duellen und Forfchungen zur 
Geſchichte, Literatur und Sprache Defterreihs und feiner Kronländer. Durch 
die Leo-Gejellichaft herausgegeben von J. Hirn und J. E. Wadernell.) Graz, 
Styria. 8 M 

Inhalt: Vorwort. I. Lage und Beichaffenheit der Spradinfel. II. Ueber 
die Herkunft dev Gotticheer und die Gefchichte der Spradjinfel. III. Die Gott— 
ſcheer Mundart. IV. Lebensverhältniffe, Erwerbsquellen und öffentliche Zuftände. 
V. Tradt und Hausbau. VI. Sitten und Bräuche, Aberglaube und Mythen. 
VI. Märchen, Sagen und Bolkserzählungen. VIII. Volkslieder. — Exkurſe: 
1. Die Vertretung von Niemals im Bolfsliede. 2. Du bift mein, ich bin dein. 
3. Blumen auf Gräbern. — Texte. I. Geiftliche Lieder und Legenden Nr. 1—48. 
II. Balladen und Liebeslieder Nr. 44—101. III. Lieder zu Sitte und Braud), 
Scherz: und Kinderlieder Nr. 102—168. — Erläuterungen und Anmerkungen 
zu den einzelnen Liedern, nebſt gelegentlichen Unterfuhungen zur Stoffgeſchichte. 
— Berzeihnis der Literatur über Gottjchee. Verzeichnis der für die An— 
merfungen bemütten volfsfundlichen Schriften, 











Bibliographie. 2. Bücher. 503 


Egler 2, Mythologie, Sage und Gefchichte der Hohenzollernichen Lande, Sig- 
maringen, Viehner. 2 A. 

Schleicher A., Bolfstümliches aus Sonneberg im Meininger Oberlande. 2. Auf- 
lage. Sonneberg, Albredt. 3 

Lewalter J., Deutiche Volkslieder. In Niederheffen aus dem Munde des 
Bolfes gefammelt, mit einfacher Klavierbegleitung, gejchichtlihen und ver— 
gleihenden Anmerkungen herausgegeben. 5. (Schluß-) Heft. Hamburg, 
Fritzſche. 1A 

Wagner %. A. Freiherr v. (J. Renatus), Fürſt Mittſcherlich im Oberlaufiter 
Sagenfranz. Eine Vorjpiegelung falfcher Thatfachen. Mit 12 Bildern von 
R. Blumenan. Bauten, Hübner. 4 M 

Fuchs J. N. und F. Kieslinger, Volkslieder aus der Steiermark. Ausgewählt 
und herausgegeben. Augsburg, Yampart. 1.50 M 

Holczabef J. W. und A. Winter, Sagen und Gefhichten der Stadt Wien. 
Nach den bejten Quellen bearbeitet. 1. Bändchen. 3. Auflage. Wien, Gräfer. 
1.60 M. 


Wenhocdentfche Schriftſprache. Mundarten. Sletrik. 


Lichtenberger H., Histoire de la langue allemande. Paris, Laisney. 
1 £r. 50'e. 

Gartner Th, Ein neues Büchlein über Sprachrichtigkeit. (A. Heinte, Gut 
deutich.) [Aus den „Bufowiner Nachrichten“.] Czernowitz, Schally. 40 9. 

Boude E., P. Auguftin Dornblüths Observationes. Differtation. München. 

Deutfhes Wörterbud von Jakob Grimm und Wilhelm Grimm. Fortgefett 
von M. Heyne, R. Hildebrand, M. Lerer, K. Weigand und E. Wilder. 
Neunten Bandes dritte Lieferung. Schlagen — Schleier. Bearbeitet unter 
Leitung von M. Heyne. Leipzig, Hirzel. 1894. 

Des IX. Bandes 4. Lieferung (S), XII. Bandes 6. Lieferung (V) befinden 
fih im Drud. 

Gutzeit W. v., Wörterfchat der deutihen Sprache Yivlands. Erſter Teil. 
Gerihtspollzieher — Gejellichaftung. Dritter Teil. Erfte Hälfte. Salzſee bis 
Schindelumlauf. Bierter Teil. Berleiftung — verpetern. Nachträge zu A—S 
und V. Riga, Kymmel. 1894. 2.40 M. 

Schweizerifhes Idiotikon. Wörterbuh der fehmweizerdeutichen Sprade. 
28. Heft. Bearbeitet von %. Staub, 2. Tobler, R. Schoch und A. Bach— 
mann. (3. Band. Sp. 1089—1248.) Frauenfeld, Huber. 2 M. 

Witte H., Das deutſche Sprachgebiet Yothringens und feine Wandelungen von 
der Feititellung der Sprachgrenze bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts. 
(Forihungen zur deutſchen Landes- und Volkskunde, herausgegeben von 
A. Kirchhoff. 8. Band. 6. Heft.) Stuttgart, Engelhorn. 6.50 M. 

Lenz 9. K., Jüdische Eindringlinge im Wörter- und Citatenfchat der deutjchen 
Sprade. Allen Sprachreinigern gewidmet. Münfter, Nuffel. 60 9. 

Kluge F., Deutihe Studentenjprade. Straßburg, Trübner. 2.50 M. 

Bartholomäus W., Berdeutfhungs - Wörterbud. Unter Mitwirkung von 
C. Schmelzer bearbeitet und herausgegeben. Bielefeld, Helmich. 3 A. 

Bordhardt W., Die fprihmwörtlichen Redensarten im deutjchen Volksmunde, 
nad Sinn und Urjprung erläutert. In gänzlicher Neubearbeitung heraus— 
gegeben von G. Wuftmann, 5, Auflage. Leipzig, Brodhaus. 6 M 


504 Bibliographie. 2. Bücher. 


Schrader H., Der Bilderfhmud der deutſchen Sprache in Tauſenden volts- 
tümlicher Nedensarten. Nach Urſprung und Bedeutung erklärt. 3. Auflage. 
Weimar, Felber. 6 M, 

Neinle 8 E., Zur Metrit der Schweizerischen Volks- und Kinderreime. Differ- 
tation. Baſel. 1894. 


16. und 17. Sahrhundert. 


Spanier M., Ueber Murners Narrenbefhwörung und Schelmenzunft. Differ- 
tation. Heidelberg. 1894. 

Beyſchlag W., Das Borfehungsvolle in Luthers Sendung. Bortrag. (Flug— 
jchrift des Berliner Zweigvereins des Evangelifhen Bundes.) Berlin, Rühe. 
10 8. 

Fronius R., Luthers Beziehungen zu Böhmen. I. Luthers Beziehungen zu 
den Utraquiften. (Aus dem Jahrbuch der Gejellihaft für die Geſchichte des 
Proteftantismus in Defterreih.) Czernowitz, Fromus. 75 A. 

Loeſche ©., Johannes Mathefius. Ein Lebens- und Sittenbild aus der Refor— 
mationszeit. 1. Band. Gotha, Perthes. 10 A 

Peritz M., Ein hebräifher Brief Elijah Levitas an Sebaft. Münfter, nach der 
von Letterem im Jahre 1531 beforgten Ausgabe aufs Neue herausgegeben 
und mit einer deutſchen Ueberſetzung und Anmerkungen verjehen. Berlin, 
Mayer & Müller. 80 9. 

Hans Sachs. Eine Auswahl feiner Dichtungen für das Volk und die veifere 
Jugend von R. Staude (Schrocdels Jugendbibliothef. A. Hiftorifche Abteilung 
Kr. 3). Halle, Schroedel. 1.4 

Suphan B., Hans Sachs Humanitätszeit und Gegenwart. Vortrag zur Hans 
Sadhs- Feier in Weimar nebjt zugehörigen Aufiägen. Weimar, Böhlau. 1.4 

Inhalt: Borberiht mit dem Hauptftüd aus Hans Sachſens „Klagred 
der neuen Mufe oder Künft über gant Deutjchland“. — Hans Sachs. Von 
EM. W. Wielands Aufſatz aus dem Aprilheft des deutſchen Merkur 1776. 
Unter diefer Chiffre abgedrudt in der Weimarifchen Zeitung, Sonnabend, den 


27. Oktober 1894 vgl. oben ©. 239. — Hans Sachs. Fortſetzung. Eben— 
dort, Somutag, den 28. Oftober 1894. — Hans Sachs, Humanitätszeit und 
Gegenwart. Bortrag zur Weimarer Hans Sahs- Feier. — Schlußverje bei 


Wiederholung des Bortrags in Jena zur Feier des SOjährigen Jubiläums der 
Nojenvorträge. — Die Hans Sahs-Ausftellung zu Weimar von C. Ruland 
(Weimarifche Zeitung, Sonntag, den 25. November 1894). 

Joß V., Hans Sachs, Sein Leben und dichteriihes Schaffen. Feſtſchrift zur 
Feier des 400. Geburtstages des Dichters. Prag 1894. Verlag der Lefe- 
und Nedehalle. 

Pilius Gregorius Öyraldus, De Poetis nostrorum temporum. Heraus— 
gegeben von K. Wotke. (Lateinifche Literaturdenkmäler des 15. und 16. Jahr— 
hunderts. Herausgegeben von M. Herrmann Nr. 10.) Berlin, Weidmanır. 
1894. 2.40 M. 

Kralif R., Das Volksſchauſpiel von Doktor Fauſt erneuert. Wien, Konegen. 1 fl. 

Michael E, Martin Rindhart als Dramatiker. Differtation. Leipzig. 1894. 

Herrmann R., Schuppes Lehre vom Denken, fritifch beleuchtet. Differtation. 
Greifswald. 1894. 

Cochem M., Erklärung des hl. Meßopfers. Ein Haus- und Gebetbuch. 12. Auf- 
lage, mit einem Anhang von 8 aus dem römischen Meßbuche überjegten Meß— 
gebeten, nebft deren Erklärung. Landshut, Thomann. 1.50 A 








Bibliographie. 2. Bücher. 505 


18. Jahrhundert. 


Wolff E., Gottiheds Stellung im deutſchen Bildungsleben. Erſter Band. Kiel 
umd Leipzig, Lipfius & Fler. 6 

Inhalt: 1. Kapitel. Ueber Gottſcheds Stellung in der Gefchichte der 
deutihen Sprache. — 2. Gottihed im Kampf um die Aufklärung. — Die 
beiden Kapitel erichienen ; ER in der Zeitjchrift für dem deutſchen Unterricht, 
vgl. Euphorion 1, 428, 659; 199. Der zweite Band wird Gotticheds Ein- 
greifen im Die fiteravifche Snhwiklung fowie einen Einfluß auf das Bildungs- 
leben deutſcher Städte und Höfe darftellen, auch eine Würdigung feiner Per- 
jönlichkeit unternehmen. 

Frenzel. O., Ueber Gellerts veligiöfes Wirken. Bauen, F. A. Reichel. 1894. 
1.20 A. 

Gellerts Thätigfeit ift unter dem gegebenen Gefichtspunft eingehend be- 
trachtet, alles was auf fein religiöfes oder, wie man vielfach jagen mußte, 
moralifches Wirken Bezug hat, ift fleißig zufammengeftellt, wobet die — ein— 
gangs wohl ziemlich voltändig verzeichneten — Nefrologe mit Recht befondere 
Berüdfihtigung erfahren haben, ohne daß jedoch aus diejer immerhin einfeitigen 
und faum Neues bietenden Beleuchtung des Mannes der literarhiftoriichen 
Forſchung ein wejentlicher Gewinn erwüchſe. — ©. 67 hätte wohl auch er— 
mwähnt werden dürfen, daß Gellerts Gedichte, vor allem feine geiftlichen Lieder, 
die Lieblingsleftüre von Schillers Mutter waren. Grade das Kapitel von der 
Nachwirkung und Würdigung Gellerts bei der Nachwelt würde ein dankbares 
Thema abgeben für eine Betrachtung, die ſich allerdings nicht auf feine veligiöfe 
Wirkſamkeit zu beſchränken hätte. Hw. 

Genſel W., Johann Friedrich v. Cronegf, ſein Leben und jeine Schriften. 
(Berliner Differtation.) Leipzig, Hinrichs. 1.60 0 

Gotthold Ephraim Leifings fämtliche Schriften. Herausgegeben von Karl 
Lachmann. Dritte, aufs neue durcchgefehene und vermehrte Auflage, bejorgt 
durch Franz Munder. Zehnter Band. Stuttgart, Göfchen. 1894. 450 M. 

Enthält den zweiten Band der Hamburgiſchen Dramaturgie und die Briefe 
antiquarifchen Inhalts, für deren erſten Teil dreierlei verſchieden corrigierte 
Eremplare der Gefamtausgabe verglichen wurden; ferner aus der Hamburgiſchen 
neuen Zeitung die von Nedlih, Borberger und v. Weilen für Lejfing in An— 
jpruch genommene Beſprechung von Ramlers Oden und die furze Notiz über 
das Aıntsjubiläum von Leffings Bater, aus dem Hamburgijchen umpartheiifchen 
Correfpondenten die Beiprehung von Meuſels „Bibliothek des Apollodors“ ; 
endlih das Titelblatt der vor Leſſing teilweije überſetzten „Briefe über die 
Tanzkunſt umd über die Ballette, von Herrn Noverre.e Hamburg und Bre- 
men, 1769. 

Leffing, Minna von Barnhelm. Fluftrirte Elzevier- Ausgabe. Leipzig, Sees 
mann. 2 M. 

Lessing, Minna de Barnhelm, ou le Soldat heureux, comedie. Publiee 
avec une notice, un argument analytique et des notes en francais 
par B. Levy. Paris, Hachette et Cie. 1894. 1 fr. 50 c. 

Leſſing, Emilia Galotti. Ueberfegung ins Ruſſiſche. Petersburg, Lederle. 1894. 

Fragmente des Wolfenbüttelfchen Ungenannten. Heransgegeben von G. €, 
Leffing. 5. Auflage. Berlin, Georg Reimer. 3 AM. 

Stodmeyer K., Matthias Claudius, der Wandsbeder Bote. 2. Auflage. Baſel, 
Jaeger & Kober. 20 9. 

Geride, Zum Gedächtnis Herders. Ein Vortrag, gehalten in der Loge „Friedrich 
zur ernſten Arbeit“ in Jena. Frankfurt a. M., Mahlau & Waldſchmidt. 50 A. 


506 Bibliographie. 2. Bücher. 


Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von 
Sachſen. Weimar, Böhlau. 1894. 

13. Band. Erfte Abteilung. Inhalt: Paläophron und Neoterpe. Neuer 
Schluß. Schluß von Paläophron und Neoterpe. Aufgeführt zum Geburtstag 
der Prinzeifin Marie. — Vorſpiel zur Eröffnung des Weimarifchen Theaters 
am 19. September 1807. — Was wir bringen. Lauchjtädt. Prolog bei 
Wiederholung des Vorfpiels in Weimar. — Was wir bringen. Fortjegung. 
Halle. — Prolog zur Eröffnung des Berliner Theaters im Mai 1821. — 
Finale zu Johann von Paris. — Zu Wallenfteins Lager. — Nachſpiel zu 
Ifflands Hageftolzen. — Theaterreden. — Götz von Berlihingen. Für die 
Bühne bearbeitet. — Die zweite Abteilung von Band 13 wird die Goethiſche 
Theaterbearbeitung von Kotzebues „Schußgeift“ und die Paralipomena und 
Losarten zu den Stüden der erjten Abteilung bringen. 

24. Band. Wilhelm Meifters Wanderjahre. Erſter Teil. Ohne die Lesarten. 

III. Abteilung. 6. Band. Tagebücher 1817—1818. — Agenda. 1817. — 
Anhang. Nachtrag zu III, 2, 314. „1800. Kurzgefaßtes Tagebuch von dem, 
was bey des Herrn Profeffor Gent hieſigem Aufenthalt gejchehen.“ Auf— 
zeichnungen vom 28. November bis zum 10. Dezember 1800, in Schloßbau- 
Akten nachträglih gefunden. — Bearbeiter des Bandes ift F. Heitmüller. 
Die Anmerkungen umd Lesarten find mit Benutung von Aufzeichnungen Heit- 
müllers hergeftellt von 3. Wahle. Redactor: B. Suphan. 

IV. Abteilung. Goethes Briefe. 16. Band. 1802. 1803. Herausgeber: 
E. v. d. Hellen. Redactor: B. Suphan. — Nr. 4460—4800. 

Unter der Preffe: Werke 5. Band 2. — II. Abteilung. 12. Band, — 
III. Abteilung. 7. Band. — 1V. Abteilung. 17. Band. 

Goethes fämtlihe Werke in 36 Bänden. Mit Einleitungen von K. Goedeke. 
20. und 21. Band. Stuttgart, Cotta. a 1.10 4 

Goethes Werke. 17., 18. und 19. Teil. Wahrheit und Dichtung. 1., 2. und 
3. Teil. Herausgegeben von H. Dünter (Deutſche National-Literatur. Hiftorifch- 
kritiiche Ausgabe, herausgegeben von J. Kürfchner. 208. und 209. Band). 
Stuttgart, Union. à 2.50 A 

Goethe, Oeuvres. Traduction nouvelle par J. Porchat. Les Annees de 
voyage de Wilhelm Meister; Entretiens d’emigres allemands; les 
Bonnes Femmes, nouvelle. Paris, Hachette et Cie. 1894. 6 fr. 

Goethe W. v., Götz von Berlidingen. Schaufpiel. Mit 3 Tonbildern und 
11 Abbildungen im Text. Berlin, Literatur-Berein „Minerva“. 50 9. 

Goethe, Die Leiden des jungen Werthers. Diamant-Ausgabe Mit Jlluftrationen 
von %. Skarbina. Berlin, Grote. 2 M. 

Goethe, Werther. Paris, Fayard. 1894. 

Goethe, Ifigenia w Taurydzie, dramat, przelozyl J. Kasprowiez (Bi- 
blioteka powszechna 121). Zloczöw, Zuckerkandl. 

Goethe-Schiller, Klaſſiſche Balladen, Illuſtrierte Elzevier- Ausgabe. Leipzig, 
Seemann. 2 M. 

Goethe W. v., Hermann und Dorothea. Mit 11 Vollbildern. Berlin, Literatur- 
Berein „Minerva“. 50 A. 

Goethe, Le Faust. Traduction metrique par G. Pradez avec le texte 
original en regard et les portraits du poete et du traducteur. Lau- 
sanne, Benda. Paris, Ollendorff. 6 #4 


Goethes Faust; from the German by J. Anster; with introd. by 
H. Morley. New-York, G, Routledge & Sons. 189. 75 c. 





Bibliographie. 2. Bücher. 507 


Goethes Briefe an Frau dv. Stein, nebſt dem Tagebuh aus Stalien. Mit 
Einleitung von K. Heinemann. 3. umd 4. Band. (Cottafche Bibliothef der 
Weltliteratur. 248. und 249. Band). Stuttgart, Cotta. 14 

Müller G. A., Die Nachtigall von Sefenheim. Goethes Frühlingstraum. Ein 
heiter-ernfter Sang vom Rhein. Leipzig, Fiedler. o. J. 450 M 

Ulrike von Levetzow zugeeignet. — Slluftrationen. Straßburg: Goethe 
haus. Das eiferne Männlein. — Sefenheim: Kirche von außen. Die alte 
Pfarricheune Das alte Pfarrhaus. Hügel und Laube Friederifenruh. Der 
Pfarrftuhl. Eingang zur Kirche. Goethe-Eiche mit dem wilden Apfelbaum. 

Sinzheimer ©., Goethe und Byron. Eine Darftellung des perjünlichen umd 
literarifhen Verhältniffes mit befonderer Berüdfichtigung des „Fauſt“ und 
Manfred“. Differtation. Heidelberg. 1894. 

M. H., Der Wiener Goetheverein und feine Denfmal-Gejchichte von 1878—1894. 
Wien, Szelinsti. 50 9 

Anhang. MUeberficht der im „Wiener Goethe-Berein“ gehaltenen Vorträge. 

Schillers fäntliche Werke. Mit 300 Abbildungen deuticher Künſtler. 1.—4. Liefe- 
rung. Berlin, Nagel. & 20 9. 

Schiller, Udvalgte Vaerker oversatte af J. Magnussen med Indled- 
ninger af P. Hansen. 13.—24. Heft. Kjoebenhavn, S. Michaelsen. 
Morceaux choisis de Schiller. Publies avec des notices et des notes 
en frangais par B. Levy. Nouvelle edition. Paris, Hachette et Cie. 

3 fr. 

Schiller F. v., Gedichte. (Allgemeine Boltsbibliothef Nr. 34— 36, 37— 39.) 
Neuſalza, Oeſer a 10 X. 

Schillers Gedichte. Mit Einleitung. Fluftrierte Ausgabe. Berlin, Literatur- 
Verein „Minerva“. 1.50 4 

Sehiller, Marie Stuart. Paris, Gautier. 

Schiller, Marie Stuart, tragedie; Texte allemand, précédé d’une ana- 
lyse literaire de Mme. de Sta&el, et publi& avec des notes explieatives 
par Th. Fix. Nouvelle edition. Paris, Hachette et Cie. 1.50 fr. 

Stiller, Die Jungfrau von Orleans. Schauspiel. Berlin, Literatur» Berein 
„Minerva“. 50 A. 

Schiller, Jeanne d’Are, tragedie; Texte allemand, publi& avec un 
argument analytique, une notice literaire, des éclaircissoments et des 
notes par E. Bailly. 5. edition, revue. Paris, Hachette et Cie. 2.50 fr. 

Schiller, Jeanne d’Are (la Pucelle d’Orl&ans), tragedie romantique. 
Edition classique du texte allemand, avee introduetion et eommen- 
taire par E. Henry. Paris, Belin Freres. 

Schiller, Maid of Orleans, tr. by Anna Swanwick ; with memoir. New 
York, Maemillan & Co. 

Schillers Wilhelm Tel, Schaufpiel. Berlin, Literatur-Berein „Minerva“. 50 4. 

Schiller, William Tell, tr. by Sir Th. Martin. New ed., rev.; with 
memoir. New York, Macmillan & Co. 

Schillers Demetrius. Nach den Handichriften des Goethe- und Schiller-Arhivs 
herausgegeben von G. Kettner (Schriften der Goethe - Gejellihaft. Im Auf- 
trage des Vorſtandes Herausgegeben von B. Suphan. 9. Band.) Weimar, 
Berlag der Goethe-Gefellichaft. 1894. 


Inhalt: Vorwort von B. Suphan. — Einleitung — Deme- 
trius-Fragment. I. Aufzug. — II. Aufzug. — Scenen in Sambor. — 


II. Aufzug. 1. Scene in älterer Faſſung. — Skizzen und Entwürfe: 
Skizzenblätter. Scenar. Entwürfe zu Akt I. Entwürfe zu Akt II. — Vor— 
ftudien: Studienheft. Collectanea. — Lesarten und Anmerkungen. 


508 Bibliographie. 2. Bücher. 


Stein A., Schillers Demetrius- Fragment und feine FYortfegungen (Schluß). 
Programm der Oberrealfhule zu Mühlhauſen i. E. 

Wychgram %., Illuſtrierte Schiller-Biographie. Mit Lichtdruden, zahlreichen 
authentifchen Beilagen und Tertabbildungen, darunter vielen noch nicht ver- 
öffentlichten interefjanten Porträts und Autographen. Erjte Abteilung. Biele- 
feld und Leipzig, Belhagen & Klafing. 2.40 M. 


19. Sahrhundert (alphabetifch). 


Aleris W. (MW. Häring), Der Wermwolf. VBaterländifcher Roman. 2 Teile in 
1 Bande. 6. Auflage. Berlin, Janke. 3 M 
Aleris W. (MW. Häring), Der Roland von Berlin. Baterländifher Roman. 
5. Auflage. Berlin, Janke. 4 M 
Armand (F. A. Strubberg), Ausgewählte Romane 1. Abteilung. 2 Bände. 
(An der Indianergrenze oder treuer Liebe Lohn.) Weimar, Schriftenvertriebs- 
Anftalt. 6 M. 
Arndt E M., Werke. Erfte einheitlihe Ausgabe feiner Hauptjchriften. Mit 
Anmerkungen herausgegeben von H. Meisner. 5. Band. Leipzig, Pfau. 3 
Inhalt: Gedichte. Bollftändige Sammlung. 3. Teil. 
Auerbach B., Schriften. Band 15. Stuttgart, Cotta. 1 cM 
Inhalt: Schwarzwälder Dorfgefhichten. 7. Band. 
Auerbach B., Schwarzwälder Dorfgejchichten. Ueberſetzung ins Ruſſiſche. Peters- 
burg, Lederle. 1894. 
Brentano C., Chronifa eines fahrenden Schülers. Fortgefeßt und vollendet 
von A. dv. der Elbe. 7. Auflage. Heidelberg, Winter. 5 A 
Chamiſſo A. v., Ausgewählte Gedichte. Leipzig, Fiedler. 1.50 A 
Chamijjo A. v., Frauenliebe und Leben. Ein Lieder-Cyclus. Fluftriert von 
E. Klein und R. E. Kepler. Stuttgart, Greiner & Pfeiffer. 6.50 AH 
Chamifjfo A. v., Frauen-Liebe und Leben. Lieder-Kreis. Illuſtriert von 
P. Thumann. 24. Auflage. Leipzig, Tite. 20 M 
Dalberg Therefia Maria Neichsfreiin v., Ein Vergißmeinnicht an ihre Leiden 
und ihre Lieder. Wien, Mayer & Co. 1M 
Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts. Flluftrierte Elzevier-Ausgabe. 
Leipzig, Seemann. 2 M 
Gerhardt D. v. (G. dv. Amyntor), Das Skizzenbucd meines Lebens. 1. Teil 
2. Auflage. Breslau, Schleſiſche Buchdruderei. 
Zaeslin E., Elfi. Eine Tragödie. Nah J. Gotthelf. Bafel, Schwabe. 1.60 «A 
Hackländer F. W., Geillustreerde werken. Leiden, H. W.Sijthoff. 1894. 
Hauff W., Lichtenftein. Eine romantifhe Sage. Leipzig, Knaur. 1. 
Hauff W., Lichtenftein. Eine romantifhe Sage. Leipzig, Fiedler. 2 M 
Hauff W., Phantafien im Bremer Ratskeller. Ein Herbftgefchent für Freunde 
des Weines. Jluftriert von H. Schwaiger. Wien, Geſellſchaft für verviel- 
fältigende Kunſt. 12 4 
Allgemeine Bolfs-Biblivthef. Neufalza, Oefer. 
40, 41. Hauff W., Die Karawane. Märchen. 
42—44. Hauff W., Das Wirtshaus im Speffart. Märchen. 
45, 46. Hauff W., Der Sceif von Aleffandria und feine Sklaven. 
Märden. 
47. Hauff W., Othello. Novelle. 
54. Hauff W., Phantafien im Bremer Ratskeller. Ein Herbftgejchenf 
für Freunde des Weins. 
Hauff W., Märchen. Ueberjegung ins Ruſſiſche. Petersberg, Pawlenkow. 


\ 
4 


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Bibliographie. 2. Bücher. 509 


Gnom, ciekawa bajka, z niemieckiego W. Hauftfa. Teschen, Feitzinger. 

Hauff W., De bedelares van den pont des arts. Arnhem, De Muinck 
& Co..: 1894. 70 e. 

Heine Enrico, Poesie tradotte da G. Chiarini. Bologna, Zanichelli. 
1894. 41. 

Heine Enrico, Dal Viaggio sull’ Harz. (Aus der Harzreise) Tra- 
duzione di C. Ravanelli. Bergamo, Corti e Ronzoni. 1894. 

Heine Enrico, Donne e fanciulle di Shakespeare. Traduzione di 
G. Zippel. Milano, Sonzogno. 189. 25 ec. 

Heine H., valogatott költemenyei. Nemetböl ford. Ivanhoe. Budapest, 
Hornyanszky. 1894. (Ausgewählte Gedichte.) 

Goetze R., 9. Heines Buch der Vieder umd fein Berhältnis zum deutjchen 
Volkslied. Differtation. Halle. 

Herlosk [Herlosfohn], ValdStynova prvnı laska. (Wallenfteins erſte 
Liebe.) 2 Bände. Prag, Hyned. 1894. 

Herrig v, Geſammelte Schriften. 1. und 4. Teil. Berlin, Lucdhardt. 
a 180 

— Ein kirchliches Feſtſpiel, zur Feier des 400jährigen Geburts— 
tages Martin Luthers in Worms gedichtet. 24. Auflage. — 4. Chriſtnacht. 
Ein Weihnachtsipiel für die Volksbühne 2. Auflage. 

Turgenjew, Erinnerung an die Junitage 1848 und ©. Herwegh in Paris. 
Herausgegeben von A. Fiſcher. Berlin, Bath. 50 X. 

Immermann, Der Oberhof. (Aus „Immermann, Münchhaufen“.) Klaſſiker— 
Ausgabe. Illuſtriert von B. Vautier. 5. Auflage Hamburg, Verlags— 
anſtalt, A.«“G. 

Berlepſch H. E. v., Gottfried Keller als Maler. Nach ſeinen Erzählungen, 
ſeinen Briefen und dem künſtleriſchen Nachlaſſe dargeſtellt. Leipzig, Seemann. 
2.79 ⸗ 

Kerner J., Die Seherin von Prevorſt. Eröffnungen über das innere Leben 
des Men nfchen und über das SHereinragen einer Geifterwelt in die unfere. 
Mit einer biographifchen Einleitung von E. du Prel. (Univerfal-Bibliothet 
Nr. 3316— 3320.) Leipzig, Reclam. 1% 

Kleift H. v., Der zerbrodhene Krug. Ein Luftfpiel. Mit 7 Illuſtrationen nad 
A. Menzel. Berlin, Literatur-Berein „Minerva“. 40 9. 

Kleift H. v., Das Käthehen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Romantiſches 
Ritterſchauſpiel. Berlin, Literatur-Verein „Minerva“. 50 X. 

Lewald F., The mask of beauty: a novel; from the German by M.M. 
Pleasants; ill. by F. A. Carter. New York, Rob. Bonner’s Sons. 1894. 

Mügge Th, Touffaint. 6 Bände. (Die beften Nomane der Weltliteratur. 
Neue Ausgaben. 4. Serie. 7.—12. Band.) Tefchen, Prochaska. A 50 9. 

Schulte vom Brühl, Otto Müller. Ein deutfches Dichterleben, dargeftellt aus 
des Dichters Briefen. Stuttgart, Bonz & Comp. 50 

Naaff A. A, Der Sonne zu. (3. jelbftändige Sammlung.) Zweite Auflage. 
Wien 1895/96, „Lyra“Verlag. 

Verdient hier Erwähnung wegen der Vorrede: „Die Stellung und Auf— 
gabe der lyriſchen Dichtung der Gegenwart.“ 

Nathuſius M., Tagebuch eines armen Fräuleins. Leipzig, Fiedler. 1.50 4 

Overhage H. Geiftlicher Blumengarten. Neligiöfe Lieder und Gedichte aus dem 
Nachlaſſe. Herausgegeben von E. Siering. 4. (Schluf-) Band. Frankfurt a. M. 
U. Foeffer. 2.40 

Trura 9. M., Marie Edle v. Pelzeln (Emma Franz). Ein Beitrag zur Literatur- 
gefchichte Orfterreiche. Mit einem — einer Abbildung und drei bisher 


510 Bibliographie. 2. Bücher. 


ungedructen Novellen aus dem literarifchen Nachlafje Marie von Pelzelns. 
Wien, 9. Kirſch. 1.60 M 
Marie von Pelzeln (4. Dezember 1830 bis 25. Juli 1894) war die Enkelin 
der Caroline Pichler und wie Diefe eine fruchtbare Schriftftellerin. Die vor— 
liegende Schrift enthält einen kurzen Abriß ihres Lebens mit eingeſtreuten 
Jugendgedichten; — Stammbaum der Familien Pelzeln, Pichler und Greiner; 
den Adelsbrief ihres Vaters Joſeph Bernhard Pelzel ddo. 15. Jänner 1804; 
ein bibliographifches Verzeichnis ſämtlicher Schriften Marie von Belzelns 
1864 — 1895 (4 Romane und 186 Erzählungen größeren Umfanges) und 
die drei bisher ungedrudten Novellen: „Cavalleria rusticana*, „Die Alte 
vom Walde”, „Nicht alles, was glänzt, ift Gold“. 

Pietſch L., Wie ih Schriftfteller geworden bin. Erinnerungen aus den fechziger 
Sahren. 2. Band. Berlin, Fontane. 1894. 6 A. 

Besson, Platen, Etude biographique et litteraire. Paris, Leroux. 1894. 

Bolfo €, Berentende Menſchen.  Wortraitffizzen, Lebenserinnerungen und 
Novellen. Breslau, Schlefifhe Buchdrudere. 5 AM 

Putlitz E. zu, geb. Gräfin Königsmard, Guſtav zu Putlig. Ein Lebensbild. 
Aus Briefen zufammengeftellt und ergänzt. 2. u. 3. (Schluß-) Teil. Mit 
einem Portrait und einer Anficht. Berlin, AU. Dunder. A5 AM 

Reuter F., Sämtlihe Werte. (Sm 15 Bänden.) Wismar, Hinftorf. ALM 

2., 5. und 10. Teil, 16. Auflage; 4. Teil, 15. Auflage; 9. Teil, 17. Auf- 
lage; 11. und 12. Teil, 12. Auflage; 15. Teil, 5. Auflage. 

Neuter F., Sämtliche Werte, Bollsausgabe in 7 Bänden. 8. Auflage. Wismar, 
Hinftorff. 26 M 

Reuter F. Ut mine Feftungstid. Olle Kamellen II. (Aus der Bolfsausgabe.) 
Wismar, Hinftorff. 2 M 

Neuter F., Dörchläuchting. Olle Kamellen VI. (Aus der Bolfsausgabe.) 
8. Auflage. Wismar, Hinftorff. 2% 

Reuter F., Kompleete proza-en dichtwerken. Geillustreerd. Goedkoope 
uitgave, bewerkt door en onder toezicht van E. Laurillard. Arnhem. 
Nijmegen, Gebr. E. & M. Cohen. 1894. 

Sans 6, Wahrheit und Dichtung in Frit Reuters Werfen. Urbilder befannter 

Reuter⸗ Seftalten. Mit Portraits, Skizzen, Anfichten zc., zum Zeil nad 
Driginalen von Reuters Hand. Wismar, Hinftorff. 3 A 
Riehl W. H., Neligiöfe Studien eines Weltfindes. Stuttgart, Cotta. 1894. 
Enthält auch Autobiographiiches. 

Türf K., Ludwig Robert. Trauerſpiel. Dresden, Pierfon. 1.50 A 

Nuppius D., Gefammelte Erzählungen aus dem deutfchen und deutſch-amerikani— 
ſchen Volksleben. 4. Gefamt-Ausgabe in 5 Bänden. Leipzig, Knaur. 10.4 

Kirn D., Schleiermadher und die Romantik. Bafel, Reich. 80 4. 

Schulze E., Die bezauberte Roſe. Romantiſches Gedicht. Leipzig, Fiedler. 1. 

Sealsfield Ch., Der Legitime und der Nepublifaner. Eine Geſchichte aus dem 
2. amerifanifch-englifchen Kriege. DOsnabrüd, Wehberg. 4 M 

Sommer V., Gedichte. Aus deffen Nachlaß herausgegeben von E. Sommer. 
Frankfurt a./M., Foeſſer. 4 M 

Spindler E., Der Baſtard. Eine deutſche Sittengeſchichte aus dem Zeitalter 
Kaiſer Rudolfs II. 4 Zeile in 2 Bänden. Stuttgart, Malcomes. 3 A 

Spitta E. J. Ph., Pialter und Harfe. Zwei Sammlungen chriftlicher Lieder 
zur häuslichen Erbauung. Reutlingen, Fleifhhauer & Spohn. 2 M 

Stieler K., Ein Winter-Fdyl. 17. Auflage. Stuttgart, Bonz & Co. 4 M 

Storm Th, Immenſee. 41. Auflage. Berlin, Gebrüder Paetel. 3 4 





nn 


Niederländifche Bibliographie. 511 


Storm Th., Geschichten aus der Tonne; ed. with introd. and notes, by 
C. F. Brusie. Boston, Ginn & Co. 
Uhlands Gedichte und Dramen. 2. Band. Illuſtriert von DO. Herrfurth und 
E. Storch (Fluftrierte Klaffifer-Bibliothef Band 8). Berlin, Bong & Co. 4M. 
Volkmann-Leander R. v., Träumereien an franzöfifhen Kaminen. Märchen. 
22. Auflage. Leipzig, Breitfopf & Härte. 3 M 
Weber F. W., Gedichte. 18. Auflage. Paderborn, Schöningh. 4.50 M. 
K. Werders Gedichte. Herausgegeben von DO. Gildemeifter. Berlin, yontane. 4M. 
Wildermuthb D., Gejfammelte Werke. Herausgegeben von ihrer Tochter 
A. Wildermuth. Sluftriert von F. Bergen. Band 9 und 10. Stuttgart, 
Union. à 3 M 
9. Augufte. Beim Lampenliht. Erzählungen. 
10. Perlen aus dem Sande. Erzählungen. 
Zſchokke H., Florette oder die erfte Liebe Heinrich IV. Erzählung. (Bibliothek 
für Alle Ver. 8.) Baſel, Köhler. 15 %. 


3. Bibliographie der im Jahre 1893 in den Niederlanden 
erfdienenen Arbeiten auf dem Gebiete der modernen 
SLiteraturgefdidte. 





er es ıumternehmen will, den Anteil Hollands an der literarhiftorifchen 
Durchforſchung des Mittelalters und der Neuzeit zu bejtimmen, iſt verpflichtet, 
einiges voraufzuſchicken, um die auffallende Stellung dieſes Landes erklärlich zu 
machen. 

Die modernen Sprachen außer der Landesiprache haben es in Holland 
troß aller Bemühungen noch nicht zur verpflichteten akademischen Betreibung 
bringen fünnen. Nur je eine Brofefjur für Deutih, Franzöſiſch, Englifch in 
Groningen dient mehr gelegentlichen perſönlichen als ſtaatlich anerkannten Be- 
dürfniffen. Die Bertreter diefer Sprachen an den Mittelfehulen find mit geringen 
Ausnahmen jenimariftifch gebildete Xehrer, die fi auf privatem Wege die Technik 
einer Sprache und deren hiftorifchen Dependenzien mühlam angeeignet haben. 
Bon diefer Seite ift daher weder Drang noch Mut zu pofitiver Forihung zu 
erwarten. Die erwähnten Profefjoren aber gehören nah Bildung und ſchrift— 
jtelleriicher Wirkung mehr dem Ausland als Holland an, und die übrigen 
germaniſtiſchen und linguiſtiſchen Hochſchullehrer widmen ihre Kraft mehr der 
ſprachlichen als der literariſchen und äſthetiſchen Seite ihrer Wiſſenſchaften. Die 
vergleichende Literaturgeſchichte auf dem Gebiete der indiſchen Literaturen muß 
hier außer Betracht bleiben. So bleiben die Neédérlandici‘, Hier pulſiert in der 
That, zumal in den legten Fahren, Friiches Leben. Das große niederländifche 
Wörterbuch ift endlich in Fluß gefommen, das mittelniederländiſche fehreitet rüſtig 
fort, und eine ganze Schule Jüngerer tummelt ſich munter im den unerſchöpf— 
lichen Schäten von Rembrandts Yand, unterftütt und angejpornt von einer neu 
entflammten vaterländifchen Geichichtsforihung. Aber dieſe junge Wiffenfchaft 
vermied bisher noch allzufehr die Brüden von ihrem Gebiet zur Weltliteratur 
und Kulturgefchichte zu ſchlagen. Schon aus unten folgender Titel-Bibltographie 
fann man leicht jehen, wie wenig fie in die benachbarten Gebiete hinübergreift. 


Euphorion II. 33 


512 Niederländifche Bibliographie. 


Dazu tritt ſpeziell für die deutfche Literatur noch ein anderes: An der 
Geiftesentwidlung, die Deutjchland feit Herders Jugend durchmachte, hat Holland 
nicht teilgenommen. Kein Sturm und Drang, feine neufchaffende Nenaifjance 
wie die unfrer Diosfuren, feine Romantik, feine Umwälzungen auf dem Gebiet der 
jpefulativen Philofophie haben hier an Inhalt und Form der Literatur gerüttelt. 
Der praftifche müchterne Geift des Holländers ift überhaupt der Spekulation, der 
Empfindſamkeit, zumal. allem Pathos, ja faſt jeder hiftorifchen Anempfindung 
abhold. Auch ift er nicht gewöhnt, in der Poeſie Befriedigung für etwaige ernfte 
Bedürfniffe zu finden; feiner eigenen Kothurnliteratur ift er entfremdet, wider— 
willig lehnt er fi auf gegen Neuerungen. Die Bühne aber ift weder im der 
Lage noch Willens, das Verftändnis für unſre Haffifche Kunft zu vermitteln. 
Selbft „Dramaturgen“ find hier der Anficht der Theaterleitungen, daß nur folche 
Stücke bühnenberechtigt find, die das Publifum, wie es ift, anziehen, und daß 
es ein thörichtes Experiment wäre, dieſes zu Shakeſpeare, Schiller, Goethe, 
Leffing, Grillparzer nötigen zu wollen. Es werden daher (bei fajt völligen 
Mangel an eigner Ware) im allgemeinen nur die neueren Zugftüde des Aus— 
landes, die ernften ſowie die leichten, gegeben. Die erfte Geſellſchaft des Landes, 
die in allen größeren Städten ihre Vorftellungen giebt, hat in den beiden letsten 
Spielzeiten 1892/94 von deutfchen Autoren aufgeführt: Brachvogel, Fulda, 
Ganghofer, Hillern, Yauff, Putlit, Nojegger, Sudermann, Voß, Wartenburg, 
vor allem aber Adler, l'Arronge, Blumenthal, Henle, Kadelburg, Mofer, Olden, 
Pohl, Schäfer u. ä. — von Schiller und Leifing je ein Stüd, von Shafejpeare, 
Goethe, Grillparzer feines; Wagner wird von der franzöfifhen Oper in Empfang 
genommen.) Ob vielleicht auch die angedeutete Schulorganifation oder die 
politifhe Entwidlung Hollands zu diefer Verholzung des äfthetifchen Lebens bei- 
getragen hat, gleichviel, das Reſultat bleibt, daß Holland, weit entfernt die zweite 
deutſche Blüteperiode fih zum Fundament feiner Weiterentwidlung zu nehmen, 
ein Fühler Zufchauer bei all dem religiöfen, äfthetifchen und politiichen Ringen, 
welches die deutjche Literatur von 1770 bis 1870 darftellt, geblieben if. Eine 
holländifche Goethegemeinde ift ein Widerfpruh in fih. — Es liegt auf der 
Hand, daß im diefer Ausführung fein Vorwurf liegen kann, ift es doch im 
Intereſſe der Arbeitsteilung, wenn jede Nation ihre eigenen Gaben pflegt. Der 
unbeftechliche gefunde Menfchenverftand, der praftifche Sinn des Holländers, feine 
Unbefanntheit mit allem emballement bejhämen den Deutfchen oft genug, wo 
es fih um Klarheit der Auffafjung, der Darftellung oder des Urteils handelt. 
Ihm bleibt Wahnfinn Wahnfinn, auch wenn er Methode hat. Aber eine Klar— 
legung der holländifchen Berhältniffe war nötig, um den richtigen Gefichtspunft 
für die folgende Zufammenfaffung der Thätigfeit des Landes auf literarhiſtoriſchem 
Gebiete im: Jahre 1893 zu geben. 


Selbftändige Werke, 


Bülbring, Wege und Ziele der englifchen Philologie (Antrittsrede an 
der Univerfität Groningen). — A. J (d. i. K. Alberdingf Thym), J. A. Alber- 
dingk Thijm. Amfterdam. — Groenemwegen, Potgieter. Haarlem. — Mul- 
tatuli, Brieven. VII. VIII. Amfterdam. — 4. Berwey, Inleiding tot 


Vondel. Amfterdam. — Worp, J. Broukhusii ad Petrum Burmanum 
Epistolae. Groningen. — Yeendert, Het middelnederlandsch leerdicht 
Rinelus. Groningen. (Differtation.) — Kern, De limburgsche sermoenen 


III—V. (Bibliotheek van middelnederlandsche letterkunde.) — Wirth, 


1) Die Wagnerjche Mufik freilich — im Konzertfaal — erfreut fih in Amſterdam hervor— 
ragender Pflege. 


Niederländiſche Bibliographie. 513 


Het heilige Kruis en de Denensage te Breda (ebenda.) — Em. de Bom, 
Henrik Ibsen en zijn werk. Gent und Amfterdam. — v. Meurs, Ger- 
mania’s diehtbloemen. 3de druk (Ueberfegungen aus deutſchen Lyriker). — 
E. dv. Wildenbrud, Das edle Blut (Schulausgabe ed. Pofer). Amfterdam. 


Zeitfehriften. 

Tijdschrift voor Nederlandsche taal- en letterkunde XII. Buiten- 
ruſt-Hettema, Over Reynaert. — te Winfel, De spiegel der Sonden 
(Original mittelniederländifh). — Berdam, Een onuitgegeven spreuken- 
verzameling (Der Naturen Bloeme) — van Gelder van den Water, 
Velthem’s Spiegel Historiael. — Worp, Brieven von Huygens aan 
Cats. — 9. tern, De sage van Karel en Elegast bij de Mongolen. — 
Uhlenbed, Volch-Elegast (aus dem Ruffifhen). — van Beerdeghem, 
Houwaert’s Handel der Amoreusheyt. — de Breefe, Houwaerts pla- 
giaat. — Kalff, Een nieuw fragment van den roman van Loghier 
en Malaert. — Poſtma, In hoeverre het type ’Slenderhinke‘ in 
P. Langendijk’s "Zwetser‘ corspronkelijk is. — J. Bolte, Beiträge 
zur Geſchichte der erzählenden Literatur des XVI. Fahrhunderts (nieder- 
ländifche Ueberfegungen von 1. Le chevalier delibere von Olivier de la 
Marche — 2. Buefves de Hantonne.). Zahlreiche Worterflärungen. 

Gids. Byvanck, Bismard. — Kluyver, Quellenunterfuhung zu Merimees 
Novelle La Venus d’Ille. — Byvand, Zain. — Byvanck, De jeugd 
van J. da Costa. — Steinmeß, Vooruitgang in folklore en ethnologie. — 
Warren, Heilige fabels (Jätaka ed. Fausboell). — Rogge, Hugo de 
Groot te Parijs 1621—25. — Polak, Ernest Renan. — v. Hall, Goethes 
Sriederife (Hält Froitzheims Schlüffe nicht für bemweisträftig). — Boekenoogen, 
Onze rijmen (über Kinderreime; auch jelbftändig erſchienen) — Riemsdyk, 
De rijksarchieven. — Boer, Peer Gynt (Ibſen und die norwegische Volks— 
fage). — P. 2. Muller, Scharnhorft. — van Hamel, De fransche tragedie, 

De Nederlandsche Spectator. lhlenbed, Het lied van Altabizcar. — 
Kalff, De bron van Hooft's Granida (Mucedorus).. — Simons, 
Gysbreght van Aeınstel. — Yogeman, Van den thien esels. — Kan, 
Voor Erasmophilen (Erasmiana in einer Wiener Handſchrift). — Molter, 
Prudens van Duyse (Biographie v. Michels 1895). 

Tijdspiegel.e Speyer, Eene Indische 'duizend en een nacht‘. — Slot— 
houwer, Henrik Ibſen. — Domela Nieumenhuis, Berlijn (Anmerkungen 
und Ergänzungen zu Gertruida Carelfen Berlijn). — W. Rofter, Het 
ziekelijke in den aanleg van genieön. — Kielſtra, Bantam en de 
Max Havelaar (Ehrenrettung des General Michiels gegen Multatuli). — 
E. 8. Koſter, Over navolging en overeenkomst in de literatuur. — 


Ncepmafer, Een zwanezang (Hamerlingg Homunculus). — Lucius, 
Nederlandsch Tooneel (ein trauriges Bild). — Slothoumer, Ibseno- 
manie. — Krul, Daniel Jongtys (ca. 1610—1654). — Slothoumwer, 


Hamerling, Ahasveros in het Nederlandsch metrisch bewerkt door 
A. v. Dissel. 

Noord en Zuid XV. Stoctt, lets over doodendansen in Nederland. — 
Kot, Aren-lezing (allerhand literarhiftorifche Einzelheiten zu holländischen 
Dichtern). — Meyer, van Lenneps Legenden. — Rimantus, Dr. Schaep- 


man (al3 Dichter). — XVI. den Hertog, Bijdragen tot de studie van 
Potgieter. — Moraaz, Nog iets over doodendansen. — Groothuis, 
Koetsvelds ’Schetsen uit de pastorij te Mastland‘, — den SHertog, 


De mogelijkheid eener nieuwe poötiek (empirische Poetif auf pſycho— 
337 


514 Niederländiſche Bibliographie. 


(ogijeher Grundlage). — te Winkel, Geschiedenis der Nederlandsche 
Taal. — van Belze, Bijdragen tot de studie van J. v. Lennep. Wort- 
erklärungen. 


Taal en Letteren III. Terwey, Potgieters Liedekens van Bontekoe. — 
Meyer, Da Costa’s Bede. — van den Boſch, Over de Genestet (mehrere 
Artikel). — Kollewijn, De Vorjongingseuur door Staring. 

Nederlandsch Museum. XXXVIH. Gittée, Letterkundig Leven in 
Limburg. — Pée, Daitsche Brieven van Multatuli. — v. Dupje, 
Dr. Johannes Bolt. — Pol de Mont, Beiprehungen von Emil Claar 
Gedichte, Iſolde Kurz Gedichte, Engelb. Albrecht Eecce Homo. 

Dietsche Warande N.R. VI. Bol de Mont, De dichter Albert Möser 
(in ftärkjten Ausdrücden preifend). — Kiedens, Onuitgegeven gedichten 
van het einde — 16de eeuw (1. Mirakel von der durch Juden durchſtochenen 
Hoftie, lofalifiert; 2. geiftliche Lyrik). — Joſtes, Het Nederduitsch Proza 
omtrent 1500. Nieuwe bijzonderheden over de Navolging (Thomas 
A Rempis). — Pol de Mont, Moderne Duitsche Dichters: Karl Stauffer- 
Bern (Brahm), Reinhold Fuchs. 

Nederland. Sterd, Briefwisseling tusschen ten Kate en Alberdingk 


Thijm. — de Candgrave, Fr. Nietzsche en het Socialisme. 

Archief voor Nederlandsche Kerkgeschiedenis IV. Acquoy, De Psalm- 
wijzen der nederlandsch hervormde kerk en hare herziening. — Dufer, 
Eenige onuitgegeven brieven van en aan Gisb. Voetius. — Acauoy, 


Een middelnederlandsch Kerstliedje (Handſchrift in Gent). 

Verslagen en Mededeelingen der Koninklijke Akademie van Weten- 
schappen. Land, Aanteekeningen betreffende het leven van Arnold 
Geulinex. 

Tijdschrift van het Koninklijk Aardrijkskundig Genootschap X. 
Jitema Bos, De Rosstrappe en hare sagen. — Gallee, Nomina 
geographica neerlandica. 

Oud Holland. v. Toorenenbergen, Eene penteekening van Marnix 
van St. Adelgonde. 

Groningsche Volksalmanak. v. Veen, "De menuet en de dominees- 
pruik‘ (ein Pamphlet in Verſen von Betje Wolff, das 1772 richten). — 
Smith, de naam Ouke (in $inderreimen). 

Bijdragen en Madedeöllugen van het Historisch ßenootschap XIV. 
Reisjournaal van F. Coenders van Helpen (1557, enthält Notizen über 
Deutſchland). 

Museum. (Hecenfionen) 1895. Symons, Müllenhoff-Scherer: Denkmäler, 
3. Auflage. — Symons, Edda, überjegt von Hering. — Symons, Kluge: 
Vorgefchichte der Germanen, überjett von Kerı. — Symons, Wilmanns: 
Deutiche Grammatik. — Bülbring, ten Brink: Engliſche Literaturgefchichte. — 
Sranten, T. de Beer: Nathan de wijze. — Frantzen, Bartſch: Deutjche 


Liederdichter, 3. Auflage. — Frantzen, Studien zur Yiteraturgefchichte, 
Bernays gewidmet. — Stoett, Het heilige Kruis ed. Wirth. — Koß— 
mann, Deutſche Literaturdenfmale 40/41, 42. — de Goeje, Stumme: 
Tumififche Märchen. — te Winkel, Kurth: Histoire postique des Mero- 
vingiens. — Worp, Bolte: Die Eingfpiele der engliihen Comödianten. 


Ucberfekungen aus dem Deutſchen. 
Kluge, Voorgeschiedenis van het Germaansch (überſetzt von Kern). — 
9. Heine, Gesprek over „den waren God“ tusschen een rabbi en een 
priester (metrifch). — 


iz as, 








Nachrichten. 515 


Joh. Balt, Het wapen der Peceis. — Barth, De rijtuigveer. — 
Berfow, Eene erfdochter. — %. Dahn, Ughlu; Julianus de afvallige. — 
Ebers, Mijne levensgeschiedenis. — M. Ebner-Eſchenbach, Aphorismen. — 
N. v. Eſchſtruth, Hoflucht; In het narrenpak; Komediespel. — Hartwig, 
Geheimhouding. — Hamerling, Ahasver (metrifh). — Heimburg, Suffertje 
Doeniet; Juftertje Onnut. — Heſſe, Esther. — under, Levens- 
raadselen. — ©. Junghans, Louise Heidlof. — Möllhaufen, De 
talisman. — Philander, Medische sprookjes. — Quandt, De biecht- 
vader der Roboses. Samarow, Aan de oevers van den Ganges; 
Stanislas Krassowsky. — Schreiber, Eva; Realistische studiön van eene 
idealiste. — O. Schubin, Satansmotief; Erika’s droombeeld. — Spitta, 
Luit en harp. — J. Stinde, De liederdiehter. — Sudermann, Het 
Kattenbruggetje. — ®. v. Sutter, Aan de Riviera; Donderdagen bij 
Dr. Helmut; Eva Siebeck. — Weber, De Dertienlinden; Goliath 
(metrifh). — DO. Wilde, Het portrait von Dorian Gray; Salome. 





Im Haag. €. F. Koßmann. 


Nachrichten. 


Von der Geſchichte der Wiſſenſchaften in Deutſchland iſt 
zunächſt die Geſchichte der Geologie von Profeſſor v. Zittel zu erwarten. 
Der Geſchichte der Phyſik widmet ſich Profeſſor Karſten, nach langer Krank— 
heit, von neuem mit Eifer. Die Vollendung der Geſchichte der Rechtswiſſen— 
ſchaften von Profeſſor Landsberg ſteht in einigen Jahren in Ausſicht. 

Von der Allgemeinen Deutſchen Biographie ſollen im nächſten 
Etatsjahr zwei Bände erſcheinen. Die Herausgeber, Kloſterpropſt v. Liliencron 
und Geheim-Rat v. Wegele, halten noch 3 weitere Bände und außerdem 2 Bände 
Nachträge für erforderlid. Ein Namensverzeihnis aller behandelten Perſonen ift 
in Angriff genommen und im vajchen Fortgang begriffen. 

Die weitere Bearbeitung des Buchftaben G für das Grimmiſche 
Wörterbuch it nah Hildebrands Tod Herrn Profeffor 9. Wunderlich in 
Heidelberg übertragen worden. 

Folgende Heidelberger Difjfertationen find teils dem Abſchluß 
nahe, teils in der Umarbeitung weit vorgejchritten. Eine Studie über Nicolai’s 
Roman Sebaldus Nothanfer von R. Schwinger, eine Unterfuchung 
über das deutihe Soldatenftüd jeit Minna von Barnhelm von K. von 
Stodmayer, über „Marivaur in Deutfhland“ von K. Höll und über 
„die Figur der Juden in der dramatiſchen Literatur des 18. Jahr— 
hunderts“ von Herbert Carrington. 

Für die „Bibliothek deutſcher Schriftfteller aus Böhmen“ 
befinden fich in Vorbereitung: ein Band aus dem Nachlaffe Eberts, enthaltend 
die Autobiographie, den Briefwechfel mit Hamerling umd einige Gedichte; 
ferner ein Band, enthaltend eine Auswahl aus Eberts Lyrik, beide heraus- 
gegeben von A. Klaar in Prag; ferner eine Auswahl aus den Werken von 
Uffo Horn, herausgegeben von 2. Chevalier in Prag; endlich eine mehr- 
bändige Auswahl aus den Werten des Mathefius, herausgegeben von ©. Löſche 
in Wien. 

Aus dem Nachlaß Fri Reuters wird Franz Sandvoß (Xanthippus) 
ſechs bis fieben bisher überjehene und noch nicht gedrudte Stücke unter dem Titel 
„Aus Fritz Neuters Frühzeit. Reuter als hochdeutſcher Dichter“ veröffentlichen. 





»16 Nachrichten. 


Ron dem mäbrifchen Dichter Yudwig Goldhann erſcheint eine 
Sammlung ausgewählter Gedichte mit einer VBorrede von Franz Goldhann und 
einer Biographie. 

Ida v.Fleifhl-Marrow und Marie vd. Ebner-Eſchenbach be— 
reiten eine Geſamtausgabe der Werke der verſtorbenen Dichterin Betty Paoli vor. 

Als 18. Band der Sammlung „Geiſteshelden“ iſt eine Biographie des 
Buchhändlers Johann Friedrich Cotta von Albert Schäffle in Bor- 
bereitung. 

A. Bettelheim in Wien giebt von April ab eine „BVierteljahresjchrift 
für lebensgeſchichtliche Kunſt und Forſchung“ unter dem Titel: „Biographifche 
Blätter heraus. 

Bon Anfang April erſcheint in Berlin eine neue Wochenzeitung „Deutſche 
Sonntags Post“, herausgegeben von E. F. Pindter. 

In Wien hat fich ein Verein für öfterreihifche Volfsfunde gebildet, 
der auch eine eigene Monatsſchrift herausgeben wird. 

In Prachatitz in Böhmen befhäftigt man fich mit dem Plane, in Nach- 
ahmung der Bolfsihaufpiele zu Hörig Aufführungen aus der Gejchichte 
Ziskas au Ber 

In der Bibliotheca magica et pneumatica, Abteilung X. (Katalog 
Nr. 61 von Franz Teubners Antiquariat in Bonn a.Rh. Schauer-Romantik. 
Nitter-, Geifter und Räuber-Romane) liegt das Verzeichnis einer ſehr reichhaltigen 
Sammlung von Schauerromanen vor, die nicht nur die befannten und berüch- 
tigten Werte eines Baczko, Cramer, Hildebrand, Leibrod, Spieß u. a. Vielſchreiber, 
jondern auch unbekannte von Goedefe nicht genannte Autoren mit dere reicher 
Produktion in diefer Literaturgattung enthält. Das Vorwort drüdt aus Goedekes 
Grundriß und aus Müller Fraureutds Monographie Urteile über diefen wilden 
Nebenſchößling der erzählenden Literatur ab. VoW. 


Bitte 
An die verehrten VBorftände öffentlicher oder privater Bibliotheken, welche 
eventuell die erfte Auflage der Hamburgifchen Lokalkomödie „Der Boofesbeutel“ 
von Heinrich Borkenftein (Frankfurt und Leipzig 1742) beſitzen, vichte ich Die 
ergebene Bitte, mir ſolches mitzuteilen, bezw. miv zum Zweck einer wiſſenſchaft— 
lihen Arbeit ihr Exemplar auf furze Zeit ar Verfügung zu ftellen. 
Ferdinand Heitmüller, 
Weimar, Junkerſtraße 18. 





Im Kreife der Freunde und Schüler von 
Rudolf Hildebrand 


ift der Wunſch lebendig geworden, dem hochverdienten Manne da, wo er feine 
(este Ruheftätte gefunden hat, auf dem Johannis-Friedhof in Leipzig, ein ſchlichtes 
Denkmal zu errichten. 

Geldbeiträge find an Herrn Sohannes Diegler, in Firma F. Voldmar, 
Yeipzig, Hojpitalftvaße 10, durch Die Post einzufenden. 


Im Manußſkript abgefchloffen am 1., im Sat am 30. März 189. 


Drud von Lorenz Elwanger, vorm. TH. Burger, Bayreuth. 





ar Fr 
— Fe > 75 








Ariftoteles und Shakefpeare 
in Leſſings Hamburgiſcher Dramaturgie. 
Bon Georg Witkowski in Leipzig. 


Nachdem Leſſing im „Laokoon“ die umgejtürzten Grenzjäulen 
dichtender und bildender Kunjt wieder aufgerichtet und ihnen mit 
Icharfer, hier und da zu ſcharfer Bejtimmtheit ihre Plätze ange- 
wiejen hatte, jollte die Dramaturgie das Gebiet der Tragödie von 
dem Unkraut falfcher und faljch verjtandener Regeln jäubern und 
den Boden für einen neuen Anbau bereiten. 

Dem „Yaofoon"” wie der Dramaturgie lag die Anjchauung 
zu Grunde, daß die Griechen auf allen Kunjtgebieten, wo fie fich 
bethätigt, abjolut muftergiltiges gejchaffen hätten, daß in ihren 
Werfen folglich der fichere Maßjtab für alle Leijtungen der Späteren 
gegeben jei. Aus den Schöpfungen der antiken Künjtler und Dichter 
jeien, jo meinte Leſſing und mit ihm fein ganzes Zeitalter, allgemein 
geltende Geſetze abzuleiten und nur was diejen entjpräche, könne 
als funjtgemäß gelten. 

Während er aber da, wo es jich um die Scheidung der beiden 
großen Gattungen handelt, jelbjtändig diefe Geſetze aufjucht, glaubt 
er jie fir das Drama als gegeben anjehen zu dürfen, jo daß es 
nur noch auf die richtige Auslegung anfomme. Er erklärt im 
101.—104. Stück der Dramaturgie, daß er die Poetik des Arijtoteles 
für ein ebenjo unfehlbares Werk halte als die Elemente des Euflides 
nur immer find. Ihre Grundſätze jeien ebenjo wahr und gewiß, 
nur freilich nicht jo faßlich und daher mehr der Chicane ausgejegt, 
als alles was dieje enthalten. Bejonders getraue er fich von der 
Tragödie unwiderjprechlich zu beweijen, daß fie fich von der Richt— 
ſchnur des Arijtoteles feinen Schritt entfernen könne, ohne ich 
ebenjo weit von ihrer Vollfommenheit zu entfernen. 

Euphorion II. 34 


518 ©. Witkowski, Ariftoteles und Shafefpeare in Leffings Hamb. Dramaturgie. 


Man fteht, wie fejt Yejfing an jeinen Ariftoteles glaubte. 
Die Elemente Euflids, mit denen er die Poetif vergleicht, bauen 
fich auf den Gejeßen des mathematijchen Denkens auf, die wir 
nach unſrer Erfahrung für unabänderlich halten müfjen, denen aljo 
eine für alle Zeiten gültige Dauer zukommt. Und ebenjo unum- 
jtößlich jollen auch die äſthetiſchen Gejeße jein, die aus den „un- 
zähligen" Meifterjtücen der griechiichen Bühne abgeleitet jind. 
Sit das richtig? Inſofern diefe Gejege aus dem Wejen der Gattung 
fliegen, jicher; injofern die einzelnen Produkte von dem Fühlen 
und Denken ihrer Zeit beeinflußt find, ficher nicht. Mag eine 
Tragödie in Griechenland, in Indien oder in England entjtanden 
jein, mag jte aus den Zeiten des Perikles oder der Königin Elifabeth 
jtammen, immer ijt jie „die nachbildende Darjtellung einer erniten, 
in jich gejchlofjenen Handlung von beträchtlichem Umfang, und zivar 
eine durch handelnde Berjonen und nicht in der Form der Erzählung 
vollzogene Nachbildung." 

Soweit darf die berühmte Definition des Arijtoteles abjolute 
Geltung beanjpruchen, weil jedes einzelne Wort aus dem Begriff 
der Tragödie jich ohne weiteres ableiten läßt. Nun folgt aber 
noch ein Nebenjab: „dı £iEov zal Yoßov eoalvovoa Tıw Ta TOLÜTWv 
zadmudeov zudagow.“ Dieje Schlußworte gehen auf ein ganz anderes 
Gebiet über. Hatten die früheren die Borausfegungen, die im eigent- 
lichen Wejen der Tragödie beruhen, zum Gegenjtande, jo bezieht 
jich diejer, wenigjtens nach der jeßt allgemein angenommenen Er- 
klärung, auf die Wirkung, die fie ausübt, bringt alfo in die Defi- 
nition einen neuen Faktor, das Publikum, hinein. 

Mit vollem Recht. Denn die Tragödie ijt erjt völlig ins 
Leben getreten, wenn jie durch die Darjtellung ihre Wirkung in 
den Seelen der Zujchauer hervorgerufen hat, die Arbeit des Drama- 
tifers hat diefe Wirkung zum vornehmjten Ziel und jteht andauernd 
unter ihrem Einfluß. Notwendig ijt aljo der Nachjaß; aber 
darf er auch diejelbe allgemeine Gültigkeit beanjpruchen, wie das 
vorhergehende ? 

Die Wirkung jedes Kunjtwerfs beruht auf zwei Dingen: 
auf jeiner eignen Bejchaffenheit und auf der des Genießenden. 





©. Witkowski, Ariftoteles und Shafefpeare in Leffings Hamb. Dramaturgie. 519 


Hier, wo die Wirkung das Ziel des Dichters bildet, ift aber 
auch der erjte der beiden Faktoren von dem zweiten abhängig, 
diejer twird der bejtimmende. Soll eine allgemein gültige Geſetz— 
gebung möglich fein, jo hat fie aljo die Unveränderlichkeit der 
Beichaffenheit des Publifums, jo weit fie für die Aufnahme dra- 
matijcher Werfe in Frage fommt, zur Borausjegung. 

Arijtoteles jpricht das nicht aus, ev brauchte es auch nicht 
zu thun; denn jeine Theorie fließt ja aus der Praxis eines einzigen, 
in fünjtlerifcher und ethijcher Beziehung einheitlichen Zeitraums, 
und ebenjo ift die Zuſchauermaſſe, an die er allein denkt, nach der 
äjthetijchen und moralifchen Seite hin im allgemeinen homogen. 
Wird aber das von ihm aus der Bejchaffenheit der griechifchen 
Tragödie und des griechijchen Volkes abgeleitete auf eine unter 
andern Bedingungen erivachjene Kunjt und ein anderes Publikum 
angewendet, jo kann jeine Definition nicht von vornherein als 
richtig gelten, weil die Vorausſetzungen, aus denen fie geflojjen 
it, jich geändert haben, und die Erfahrung .bejtätigt es, daß 
eine veränderte Weltanschauung auch eine andere Auffaffung des 
Tragifchen und damit eine nene Geftaltung der dramatischen Kunft 
mit ſich bringt. 

Die griechische Weltanjchauung beruht auf der Heberzeugung, 
daß das menjchliche Dajein innerhalb des Exrdenlebens abgejchloffen 
ift und daß infolgedejjen auch jedes Vergehen auf Erden feine 
Vergeltung finden muß, an dem Frevler jelbjt, wie an feinen 
Nachkommen. Bei diejer Auffafjung kann eine Auflehnung gegen 
die Götter, d. h. gegen die von ihnen vertretenen fittlichen Gejeße, 
die Ößos, nur als wahnfinnige Ueberhebung, als Verblendung 
angejehen werden, da bei der ungeheuren Uebermacht der Götter 
über die Menjchen jedem Frevler die Strafe der Vernichtung droht. 
Daher die jtarfe Betonung des ärayrooıousc, der Erkennung, bei 
Arijtoteles, fie bezeichnet den Augenblick, two die Binde von den 
Augen des Helden ſinkt. Nun verfällt ev enttweder, wenn er jchon 
gefehlt hat, dem «dos, dem Leiden, (dev echte tragische Fall), oder 
er lenkt auf die Bahn des Guten zurück. 

Die Hauptivirfung diefer Art von Tragddien, die ja aus 

34* 


520 ©. Witkowski, Ariftoteles und Shafefpeare in Leffings Hamb. Dramaturgie. 


dem Gottesdienjte unmittelbar hervorgegangen iſt, mußte bei der 
großen Maſſe der Zufchauer darin bejtehen, daß die Gerechtigkeit 
der Himmliſchen, die hier an hervorragenden, befonders jchlagenden 
Beijpielen dargelegt wurde, jedem Zujchauer Ear zu Bemwußtjein 
fam, und daß dadurch das zuvor rege gewordene Mitleid mit den 
Frevlern und die Furcht vor der Willfür des Schickſals bejeitigt 
wurde. Daß daneben auch die ethijchen und Fünftlerifchen Forde— 
rungen der Höchjtgebildeten, äjthetijchen Genuß Suchenden ihre 
Befriedigung fanden, fommt hier, wo es fich nur um die von 
Arijtoteles in jeiner Definition bezeichnete Hauptwirfung handelt, 
nicht in Betracht. 

Für die Griechen gab es nur ein Weltprinzip, das Gute. 
Wer fich dagegen auflehnte, trat als Feind der Weltordnung gegen- 
über und verdiente die Vernichtung. Im Gegenjaß dazu übernahm 
das Chrijtentum von den Bölfern des Orients die dualijtijche 
Anjchauung, daß der Menjch zwijchen dem Guten und dem Böſen 
in der Mitte fteht, den Angriffen des Teufels ausgeſetzt und durch 
jeine Schwachheit von Urbeginn an ihnen unterliegend, wenn er 
nicht durch die göttliche Gnade Rettung findet. Wenn ein Menjch 
dem DVerjucher erliegt, jo wird das chrijtliche Mitleid geweckt, aber 
nicht bejeitigt, und jeder muß, da ja alle Sünder find, dasjelbe für 
jich befürchten. Die Wirkung tragijcher Fälle ift alfo eine gerade 
entgegengejegte wie unter der Herrſchaft des griechifchen Götter- 
glaubens, die Erhebung geht verloren und es bleibt ein nieder- 
drücfender, quälender Eindruck zurüc, dem höchjtens eine Stärfung 
des Glaubens gegenüberjteht, die mit dem Zwecke der Kunjt nichts zu 
thun hat. Deshalb hat auch das chrijtliche Mittelalter nur einen 
wirklich tragifchen Stoff bejeffen und immer wieder bearbeitet, die 
Tragödie vom Leiden und Sterben Chrijti, in der Mitleid umd 
Furcht in dem eben bezeichneten Sinne feine Stelle fanden. 

Erjt durch die Reformation wurde wieder eine Tragödie andern 
Inhalts möglich, weil das Bewußtſein des freien Willens und der 
damit verbundenen fittlichen Berantwortlichkeit des Menfchen für fein 
Handeln zur Geltung fam. Dieje Anfchauung jteht der griechifchen 
näher, als der mittelalterlichen; aber während dort die gegenüber- 





G. Witfowsti, Aristoteles und Shakeſpeare in Leffings Hamb. Dramaturgie. 521 


jtehende Macht, repräjentiert durch die Götter, von vornherein als 
unüberwindlich gilt, regt jich nun immer von neuem die Frage: 
Bermag nicht hohe menjchliche Kraft die Grenzen, die ihr gejeßt 
find, niederzureißen? und es entjpinnt jich ein jteter Kampf zwiſchen 
der angenommenen menjchlichen Freiheit und den ihr Widerjtand 
leiftenden Mächten innerhalb und außerhalb des Einzelnen, ein 
Kampf, in dem fich die größten Eigenjchaften des Menjchen im 
Guten wie im Böfen offenbaren. Diejer Kampf iſt der Gegenjtand 
der neueren Tragddie. Der Eindrud, den wir von ihr erwarten, 
it die Erregung unjver Leidenfchaften durch leidenschaftliche Hand- 
lungen, die Endwirkung eine erhebende, entjpringend aus dem Mit- 
erleben einer Bewährung hoher menschlicher Kraft. 

In Shafejpeare erbliden wir jeit Leſſing und dank Lejfing 
den größten Vertreter der neueren tragijchen Dichtung, in jeinen 
Dramen kommt ihr Wejen am vollfommenjten zum Ausdrud. 
Diejes ijt, wie wir gejehen haben, von dem der arijtotelijchen 
Tragddie verjchieden, aus ihm fliegen eine Reihe von weiteren 
Bedingungen, durch die die Tragödie der Neuzeit ſich von der 
griechijchen unterjcheidet. 

Bei Arijtoteles ijt die Fabel das wichtigjte, weil es vor allem 
auf die Borführung eflatanter Fälle ankommt, bei Shafejpeare 
ind es die Charaktere, da der Mensch im Lebenskampfe fein Gegen- 
jtand tft. Der avayrwerouss, die Erkennung, bildet feinen notiwendigen 
Beitandteil mehr; denn die Blindheit des Helden braucht nicht 
vorausgejegt zu werden. Das Yeiden und der Tod erjcheint nicht 
als Strafe, jondern als Berjagen der Kraft und darauffolgende 
Erlöjung von dem ausſichtsloſen Kampfe. Bor allem fehlt aber 
der moraliſche Endzweck; nicht eine Bewährung fittlicher Grundſätze 
jehen wir in dem Schiefjal des tragijchen Helden, jondern die Be 
jtätigung des ewigen Weltgejeges, das freilich ein fittliches im 
höchjten Sinne ift. Die Tragödie Shafejpeares unterjcheidet jich 
alſo ihrem inneren Weſen nach von der antiken, ganz abgejehen 
von den formalen Differenzen. 

Und troßdem behauptet Leſſing, daß Shafejpeare ebenjo wie 
Sophofles und Euripides jelten mit den wejentlichen Forderungen 


522 ©. Witkowski, Ariftoteles und Shakefpeare in Leſſings Hamb. Dramaturgie, 


des Arijtoteles im Widerjpruch jei, und empfiehlt ihn feinen Lands— 
leuten als vornehmjtes Mufter. Während er aljo die Theorie des 
Arijtoteles, twie wir vorhin gejehen haben, für unbedingt maßgebend 
erklärt, preijt er die Werfe eines Dichterd an, der diefer Theorie 
nicht entjprochen hat, der andere Wirkungen auf anderen Wegen zu 
erzielen gejucht hat. Hier liegt ein offenbarer Widerfpruch vor, 
ein Widerjpruch, den Leſſing mit jeiner Verjtandesjchärfe deutlich 
erkennen mußte. Und wir haben die Beweije, daß er ihn in der 
That erkannt hat, daß er ihm aber jo viel wie möglich zu ver- 
decken juchte. Das hat, jo viel ich weiß, bisher niemand bemerkt, 
wenigjtens niemand öffentlich ausgejprochen. 

In dem wichtigen jiebzehnten Viteraturbrief hat Leifing zum 
eriten mal Fräftig auf Shafefpeare als Mujter für die Deutjchen 
hingewiejen: „Wenn man die Meijterjtüce des Shakeſpeare mit 
einigen bejcheidenen Beränderungen unjern Deutjchen überjegt hätte, 
ich weiß gewiß, es würde von befjern Folgen gewejen jein, als 
daß man fie mit dem Corneille und Nacine jo befannt gemacht 
hat. Erjtlich würde das Bolf an jenem weit mehr Geſchmack gefunden 
haben, als es an dieſen nicht finden kann, und zweitens würde 
jener ganz andere Köpfe unter ums erweckt haben, als man von 
diejen zu rühmen weiß. . . . Nach dem Dedipus des Sophofles 
muß in der Welt fein Stüct mehr Gewalt über unfere Yeiden- 
Ichaften haben als Othello, als König Year, als Hamlet 20." 

Mach diefen rühmenden Worten jollte man annehmen, daß 
Leſſing, wenn er nun in der Dramaturgie tiefgründende Unter— 
juchungen über die dramatifche Kunſt anjtellt und das deutjche 
Drama von der Nachahmung ungeeigneter Mufter auf den richtigen 
Weg zu führen jucht, vor allem jich auf das Beiſpiel Shafejpeares 
jtügen werde. Zumal da er jeßt in feiner Bewunderung des 
englifchen Dichters zahlreiche Genoſſen gefunden hat, da inzwijchen 
Youngs Eſſay on original composition durch mehrere Ueberjeßungen 
in Deutjchland befannt geworden ift, Hamann, Gerjtenberg, Herder 
jeine Größe gefeiert haben, Wieland durch die Ueberjegung den 
Genuß jeiner Dichtungen weiten Kreijen erjichlofjen hat. 

Aber was gejchieht? Die Dramaturgie verzichtet fait ganz 





G. Witkowski, Ariftoteles und Shakeſpeare in Leſſings Hamb. Dramaturgie. 523 


auf das Beijpiel Shafejpeares. Seine Regeln für die Schaufpieler 
im „Hamlet" werden (im 5. Stücke) angeführt, das Gejpenjt. des 
alten Königs tritt dem lächerlichen Geijte des Ninus in Voltaires 
„Semiramis" (im 11. Stüde) gegenüber und dabei wird die 
zwingende Macht Shafejpeares über die Zufchauer betont, „Romeo 
und Julie“ und „Othello“ werden (im 15. Stüce) gepriefen, die 
Worte Wielands, in denen er platt genug die Mifchung des 
Tragijchen und Komijchen bei Shakeſpeare durch den Grundſatz 
der Nachahmung verteidigt, finden (im 69. Stüde) Erwähnung, 
jeine Bühnentechnif dient (im 80. Stücke) zum Beweis für die Ent- 
behrlichfeit der Dekorationen, das lobende Urteil Hurds über jeine 
Lujtipielcharaftere wird (im 93. Stücke) eitiert, und endlich enthält 
das 81. Stück die hingeworfene Bemerkung, daß er ebenjo ivie 
die griechiichen Dramatiker jelten mit den wejentlichen Forderungen 
des Ariſtoteles im Widerjpruch jei. 

Das ijt alles Thatjächliche, was die Dramaturgie über 
Shafejpeare enthält. Nur noch an einer Stelle wird fein Name 
genannt, aber flüchtig; er wird hier ziwar als der Unnachahmliche 
gerühmt, doch ohne tiefere Begründung. An diejer Stelle liegt der 
Beweis, daß Lejling in der Dramaturgie nicht von Shafejpeare 
jprechen will. Sie jteht zu Beginn jener langen Abhandlung, die 
ih an den „Nichard III." Ehrijtian Felix Weißes fnüpft, in der 
Lejfing jeine Grundanjchauung vom Wefen des Tragijchen entwickelt 
und aus ihr das Berfehlte von Weißes Stück nachweilt. Es ift 
wirklich ein erbärmliches Machwerf. Eingefchnürt in die Bande 
der Einheiten, im jteifen Alerandrinertrott dahertrabend und in einer 
nüchternen, platten Sprache vorgetragen, im Aufbau von einer 
findlichen Unbeholfenheit, die den Helden zivei ganze Afte nicht auf 
die Bühne fommen läßt. Und nun gar diefer Held felbjt! Sein 
Vertrauter jagt von ihm: 

Zweifle nicht 

Aus jeder Miſſethat macht ex fich eine Pflicht. 

Er droht: 

Wenn ich noch einmal jo wie ist verjchmähet bin, 

Sp joll Prinz Eduard und York mix dafür ftehen, 


524 ©. Witkowski, Ariftoteles und Shakeſpeare in Yeifings Hamb. Dramaturgie. 


Dann jollet ihr ihr Blut in ganzen Ströhmen jehen. 
PBrinzejjin, noch einmal! ich will gehöret jeyn: 
Wo nicht jo kannſt du mur nach Richmonds Hülfe jchreyn. 


Als ihm der Untergang droht, wütet ev im Tone des echten 
Theatertyrannen: 

Die Geifter fommen jchon, die ich erjchlagen habe, 

Mit Fadeln in der Hand und jagen mich zum Grabe. 

VBerdammung! Najerey! Berzweiflung! Angft und Bein! 

‚sa! wie ich hier gequält, will ich gequälet jeyn. 

Ein ewigs Feuer tob in meinem &ingeweide, 5 

Und meiner Henker Schwerd ruh nie in feiner Scheide! 

Es wüt' in meinem Fleiſch, zerjchneide jedes Glied, 

Bis dem verdammten Yeib die jchwarze Seel entflieht. — 

och einmal will ich mich mit allen Schrecken rüſten, 

Wo ich verwülten kann, da will ich auch verwüjten, 

Es morde noch mein Dolch, wo er nur morden fan, 

Sp lang der Arm jich vegt, Freund, Feind und Unterthan: 

‚sch will den langen Weg mit Yeichnamen bejäen, 

Und jo in Ströhmen Bluts zur Gruft — zur Hölle gehen. 


Diefem bombaftifchen Unſinn entjpricht die thränenjelige 
Empfindjfamfeit der alten Königin und ihrer Tochter Elifabeth, 
die jich zu feiner That aufraffen kann und ängjtlich-ärgerlich Gott 
jchilt, weil er nicht jchnell genug die Strafe an Richard vollzieht: 

Gab mir der Ewige das Amt ihn zu bejtrafen ? 

‚sedoch wie lange will auch jeine Rache jchlafen. 
So ijt alles äußerlich, gezwungen, unwahr, bar aller tieferen 
Bejeelung, ein Hohn auf jede echte Tragif. Was lag da näher, 
als neben dieſe Karrifatur eines Stümpers das Gemälde des 
großen Meiſters zu jtellen und zu zeigen, wie derjelbe Stoff den 
Forderungen der Kunſt gemäß behandelt worden war. Zumal 
da Weite jelbjt durch jeine Vorrede auf diejen Vergleich hingeführt 
hat. Leſſing jcheint auch darauf eingehen zu wollen. „Ich würde," 
jagt ex, „Shafejpeares Werf als einen Spiegel genugt haben, 
um meinem Werfe alle die Flecken abzwvijchen, die mein Auge 
unmittelbar darin zu erfennen nicht vermögend gewejen wäre.“ 
Als einen Spiegel, der fraft jeiner Reinheit, weil er eben feine 








G. Witkowski, Ariftoteles und Shakeſpeare in Leffings Hamb. Dramaturgie. 525 


Flecken beißt, jie um jo jtärfer und klarer hervortreten läßt. 
Alfo drückt Lejfing mit feinem Gleichnis aus, daß Shafejpeares 
„Richard II." von den Fehlern des Weißiſchen frei ijt. 

Aber dem widerspricht die nachfolgende Beweisführung. Sie 
richtet fich darauf, zu zeigen, daß der Charakter Richards, jo wie 
ihn Weihe gezeichnet hat, den Geſetzen des Artjtoteles, d. h. den 
Geſetzen des Dramas überhaupt ins Geficht ſchlage. „Artjtoteles”, 
jagt Leſſing, „würde den Charakter des Richards jchlechterdings ver- 
worfen haben, ... . denn er ijt, jo wie ihn Herr Weiß gefchildert 
hat, unjtreitig das größte, abjcheulichjte Ungeheuer, das jemals die 
Bühne getragen.” Infolgedeſſen erfülle er nicht die Forderung des 
Arijtoteles, da; der Held weder ein ganz tugendhafter Mann, noch 
ein völliger Böfewicht fein dürfe, er könne nicht Mitleid und Furcht 
erregen, nicht einmal den Schrecden, den die Franzoſen in die 
Definition des Dramas hineinesfamotiert haben und den Leſſing 
bei diejer Gelegenheit hinauswirft. Richards Tod als Mann auf 
dem Bette der Ehre könne nicht für den Unwillen jchadlos halten, 
den man das ganze Stück hindurch über den Triumph jeiner Bos- 
heit empfunden. 

Was Lejfing hier durch eine ausgedehnte ſcharfſinnige, zuweilen 
ſogar jpisfindige Unterfuchung beweijt, ijt von jeinem moralijirenden 
Standpunkt aus jicher richtig. Er fonnte den Charakter Richards 
nicht gelten lafjen. Aber das Merfwürdige dabei ijt, daß er Weiße 
gerade in dem einzigen Punkte, den jein Stüct mit der großen 
Tragödie des englijchen Dichters gemein hat, angreift, und daß 
jein Tadel dieje gleich jchwer trifft wie jenes. Denn mag auch 
die Kunſt Shafejpeares noch jo hoch über der gemeinen Noutine 
Weißes erhaben jein, jo ijt doch fein Richard ein ebenjo voll- 
fommener Böſewicht, wie der des Nachahmers, ja jeine Ihaten 
erregen jtatt des hohlen Grauſens, das die unwahre Theaterfigur 
Weißes höchjtens hervorrufen kann, die Schauer des jtärfjten Ent- 
jegens und Abjcheus, weil wir tief in das Innere der verworfenen 
Seele jchauen, aus der fie geboren werden, weil wir ferner den 
ganzen Weg des Berbrechens von Anfang bis zu Ende verfolgen. 
In der erſten Scene jpricht er den Entjchluß aus: 


526 ©. Witkowski, Ariftoteles und Shakeſpeare in Leſſings Hamb. Dramaturgie. 


Und darum, weil ich nicht als ein Berliebter 

Kann kürzen dieje fein beredten Tage, 

Bin ich gewillt, ein Böfewicht zu werden. 

In der zweiten Scene hält ihm Anna vor: 
Das wildjte Tier kennt doch des Mitleids Negung, 

und er antivortet eyniſch: 

sch fenne feins und bin daher fein Tier. 
Sein blutger Sinn, „der nie von anderm träumt’ als Metzgerei'n“, 
bleibt unverändert, bis er am Sclufje, wie Weißes Richard, von 
den Qualen der Angjt und des Gewiſſens gepacdt wird und dann 
gleich diefem „auf dem Bette der Ehre” fällt. 

Der Tadel Lejjings trifft Weiße und Shafejpeare gleich 
jtarf, ihre Helden erjcheinen vor diejer Kritik gleich verwerflich. 
Jetzt erkennen wir, weshalb Lejjing den jo nahe liegenden Bergleich 
unterläßt, iweshalb er Shakeſpeare wohl als hohes Muſter erwähnt, 
aber es vermeidet, die Kunjtlehre, die er an Weißes Richard ent- 
wicelt, durch das Beijpiel des Britten zu befräftigen. Zwiſchen 
diejer Lehre und Shafejpeares Dichtung bejtand ein unausgleichbarer 
Widerjpruch, den Leſſing erfannt haben muß, den er aber geflifjentlich 
dadurch zu verdecken juchte, daß er ohne Beweis behauptete, beide 
jtimmten im wwejentlichen überein. 

Ebenjo wenig wie beim „Nichard III.“ erwähnt er den Gegenſatz 
zwiſchen feiner von Arijtoteles abgeleiteten Theorie und der Praxis 
Shafejpeares, als er das Verhältnis von Dichter und Gefchichts- 
jchreiber erörtert und zu Ergebnifjen gelangt, vor denen die Histories 
nicht bejtehen Fönnen, oder wenn er den moralischen Zweck der 
Kunſt betont: „Beſſern jollen uns alle Gattungen der Poeſie“. 
Inwiefern bejjern uns Romeo und Julie, Year, Hamlet? Die 
Frage mußte fich ihm aufdrängen; daß er ſie nicht aufgeworfen hat, 
zeugt wieder von abfichtlichem Berhüllen. 

Stillfchtweigend hat aljo Leſſing den von ihm erfannten 
Segenjaß bejtehen lafjen. Weshalb? Er, der große Wahrheits- 
freund, follte eine Lehre beibehalten haben, von der er wußte, daß 
ihr die Werfe des Meijters, den er für den erjten in jeiner Kunſt 





G. Witkowski, Nriftoteles und Shafejpeare in Leffings Hamb. Dramaturgie. 527 


hielt, nicht entjprachen, er ſollte diefe Werfe als mujterhaft an- 
gepriefen haben, trogdem fie dor der Yehre, die er für ebenjo un— 
fehlbar wie die Elemente Euflids erklärte, zu nichte wurden ? 

Ohne Zweifel blieb ihm, wollte er fich zwijchen beiden ent- 
jcheiden, feine Wahl. Er hat den Sat ausgejprochen: „Nicht 
jeder Kunjtrichter ijt ein Genie; aber jedes Genie ijt ein geborner 
Kunſtrichter,“ und er hätte folglich der Poetik des Arijtoteles ihre 
unbedingte Geltung abjprechen müſſen. Wenn er fich troßdem nicht 
entjchloß, dies zu thun, jo haben ihn ficher gewwichtige Gründe dazu 
bejtimmt. Sie find unſchwer aufzufinden. 

Als Leſſing am Ende feines Dajeins jtand, legte er jeine 
tiefjten Gedanken in zwei Werfen nieder, die ein Bermächtnis 
mehr für die jpäteren Gejchlechter als für die Zeitgenofjen darjtellen 
jollten, „Nathan der Weiſe“ und die „Erziehung des Menjchen- 
gejchlechts". In beiden fpricht ex in verjchiedenen Faſſungen den- 
jelben Gedanken aus, daß man nämlich die Wahrheit nur dann 
nicht verhehlen, für jie alles aufs Spiel jegen ſoll, „wenns nötig ift 
und nüßt", daß wir von denen, die uns am meiſten lieben, getäujcht 
iverden, weil es uns heilfamer tft, getäufcht zu werden (ev legt die 
Worte feinem weifen Nathan an der wichtigjten Stelle in den Mund), 
daß Gott jelbjt bei feiner Offenbarung anfangs manches wichtige 
Stück mit Stilfchweigen übergangen habe, iweil das rohe und im 
Denken ungeübte ifraelitifche Volk noch nicht fühig war, es zu 
faſſen und anzuwenden. 

Dieſem pädagogiſchen Grundſatz gemäß verfährt er nun hier 
auf dem Gebiete der Kunſt. Die Dramaturgie iſt ein Elementar— 
buch in ähnlichem Sinne, wie Leſſing dieſe Bezeichnung für das 
Alte Teſtament gebraucht. Er ſagt ſelbſt von ſeinem Buche: 
„Seine Gedanken mögen immer ſich weniger zu verbinden, ja wohl 
gar ſich zu widerſprechen ſcheinen, wenn es denn nur Gedanken 
ſind, bei welchen die Leſer Stoff finden ſelbſt zu denken. Hier 
will ich nichts als Fermenta cognitionis ausſtreuen.“ Er hält 
unſre Bühne mehr für eine verderbte als für eine werdende und 
ſucht vor allem die Regeln zu beſeitigen, durch die ſie in eine 
falſche Richtung geraten iſt, und das deutſche Drama an den Aus— 


528 ©. Witkowski, Ariftoteles und Shakeſpeare in Leſſings Hamb. Dramaturgie. 


gangspunft der Kunjt zurüczuführen, damit e8 don dort eine neue 
Yaufbahn beginnen fünne. Welchen Weg dieje nehmen joll, läßt er 
vorläufig im unklaren; niemand wird ſich aus der Dramaturgie ein 
deutliches Bild machen können, was Lejfing über Stil, Stoffe, Form 
der Tragddie dachte. Als echter Pädagog will er eben die Aufmerk- 
jamfeit nicht von dem erjten Ziel, das er aufgejtellt hat, dadurch 
ablenken, daß er gleichzeitig fernere vor die Augen jeiner Zuhörer 
jtellt, fernere, die ſchwieriger zu erreichen, leichter zu verfehlen 
jind. Er hat es mit einer Generation zu thun, die im Glauben 
an die überlieferten Regeln aufgewachjen ift, die nicht im freien 
Schaffen, jondern im engen Anjchlug an Vorbilder ihr Heil fieht. 
Wenn er diefen unfreien Getjtern plößlich die Feſſeln abnahm, 
war nicht zu befürchten, daß fie mit den Kegeln, von denen jie 
erlöft wurden, zugleich alle Kunſtgeſetze verachteten? Wenn er 
ihnen Shafejpeare als höchjtes Mujter ohne Vorbehalt aufitellte, 
war es da nicht wahrjcheinlich, dab fie ihn ebenjo ſklaviſch und 
auperlich nachahmen würden wie bisher die Yranzojen ? 

Leſſing ſah die tumultuarische Bewegung des Sturmes und 
Dranges, die jich jchon während der Entjtehung der Dramaturgie 
deutlich genug anfündigte, voraus und juchte ihr vorzubeugen, indem 
er die bejeitigte Autorität der Franzoſen jogleich durch eine höhere, 
die des echten Arijtoteles, erjeßte. Aber er will den Einfluß diejer 
überlieferten Regeln nicht übermächtig werden lafjen, weil er weiß, 
daß fie doch nur der Mittelmäßigfeit zur Stüße dienen, den freien 
Gang des echten Künjtlers aber, wenn er ängjtlich auf fie zurück 
jchaut, hemmen und fein jelbjtändiges Schaffen jtören können. 
Deshalb jtellt er neben Ariftoteles Shakeſpeare als das Genie, 
an dem jich die Genies entzünden jollen, und läßt die Punkte, 
in denen jich beide widerjprechen, im Dunfeln. 

Leſſings Verſuch, den Sturm, den er heraufziehen jah, zu 
bejchwören, blieb erfolglos, weil die Grundanjchauung, von der er 
ausging, daß die ariftotelifche Theorie allgemein gültig jei, falſch 
war. Die weitere Entwiclung jchritt achtunglos über ſie hinweg. 
Seine Definition des Tragijchen entjprach nicht den Forderungen 
der Zeit. Die Jugend verlangte vom Drama nicht die Erregung 











N. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 529 


des Mitleids, nicht moralische Beſſerung, jie wollte Kraft und 
Leidenschaft jehen, fie forderte 
das große, gigantiiche Schidjal, 
Welches den Menſchen erhebt, wenn es den Menſchen zermalmt. 

Lejfing war der Johannes diejer neuen deutschen Kunjt, nicht ihr 
Meſſias; erjt die Großen, die nach ihm famen, brachten jie, nach- 
dem die leßten Nejte der äußeren Abhängigkeit von Regeln und 
Borbildern überwunden waren und an ihre Stelle die innere 
Erfafjung des Geſetzes getreten war, das aus dem Weſen der 
Kunjt, der nationalen Eigenart und den Forderungen der Zeit 
entjpringt. 


Wilhelm Mleifters Lehrjuhre und der 
Rampf gegen den Dilettantisnuis, 
Bon Rihard M. Meyer in Berlin. 


Sn meiner Goethebiographie habe ich mich über Wilhelm 
Meijters Lehrjahre kürzer ausdrücden müſſen, als bei der Bedeutung 
des Werkes recht ijt. Wie viel Schönes in Eingelzügen, wie viel 
Beziehungen zu Goethes eigenen Bejtrebungen und denen feiner 
Zeitgenofjen unbejprochen bleiben mußten, das wird jeder Fach— 
fenner leicht bemerken; mir aber thut noch mehr leid, daß ich einen 
auch don diejen (wie mir jcheint) noch nicht genügend hervor- 
gehobenen Punkt jehr kurz behandeln mußte. Daß der Roman 
mit dem Kampfe Goethes und Schillers gegen den „Dilettantismus“ 
eng zujammenhängt, dab oft geradezu nur in erzählte Handlung 
umgejeßt wird, was Goethes Kunftkatechismus theoretifch vorbringt 
— das fonnte ich in dem Buche nur eben ausjprechen; es jei mir 
erlaubt, in einer fnappen Analyje der fünf erjten Bücher es näher 
darzuthum. Dieje genügt, denn nachher ift Wilhelm nicht mehr 
der eigentliche echte Dilettant, wenn auch viel davon bis zum Ende 


530 R. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 


haften bleibt. Aber eben der Einjchub der „Befenntnijje einer 
jchönen Seele" deutet ſchon einen Abjchnitt in jeiner Entwickelung 
an; der ganz unveife Süngling wäre im Roman nicht in die Nähe 
veiner Vollendung gebracht worden. — Es jei mir gejtattet, bei 
diejer näheren Ausführung mich gelegentlich der Worte aus meiner 
Soethebiographie zu bedienen; wo in der Anfchauung nichts ge- 
ändert ijt, Jchien e8 mir PBedanterie, mühjfam am Ausdrud zu 
andern. 

Wilhelm Meifter iſt der geborene Dilettant — das deutet 
jchon jein Name an, denn die Liebhaber in den jchönen Künjten 
jind eben die einzigen Meijter, die als folche zur Welt kommen. 
Wie der Name Mittler in den „Wahlverwandtichaften" ijt auch 
diefer mit Bezug auf das Wejen des Helden gewählt. Seltjam 
fügt es jich übrigens, daß das Yiebespaar Wilhelm und Marianne 
die gleichen Namen trägt wie in den „Geſchwiſtern“. Wie Die 
Wahl der Namen Luiſe, Lucie, Luciane für eine vorlaute, be- 
jehlerische Tochter, jo beruht wohl auch dieſe Benennung auf laut- 
ſymboliſchem Gefühl. Gab ſich doch Goethe diefem ganz hin, 
um als Mignons eigentlichen Namen „Sperata” zu wählen — die 
höchſt unertwünfchte, geheim gehaltene Tochter ſpäter Leidenjchaft 
heißt „die Erhoffte!“ 

Wilhelm Meijter ijt der geborene Dilettant: empfänglic 
und dankbar, liebenswürdig und viel verjprechend, dabei ohne Selbit- 
fritif, ohne Beharrlichkeit, ohne rechten Ernjt. Symboliſch jteht 
hier wieder jein Stindertheater da: er lädt die Gäſte ein, er zündet 
die Lichter an, Alles ijt bereit — nur das Theaterjtück fehlt ihm. 
Wer kennt fie nicht, dieje liebenswürdigen Künſtler, dieſe vajch auf- 
lodernden PBrojektenmacher, die immer die Staffelei aufjtellen, die 
Pinſel in der Hand halten, die alles vor fich jehen, das betvundernde 
Publitum, den Erfolg, den Ruhm — die aber nie dazu fommen 
all dieſe jchönen Dinge durch ein Werf wirklich zu verdienen ? 
Und jo iſt Hamlet, der Dilettant des Heroismus, jein vechter 
Held, Hamlet, der die Welt zum Zeugen jeiner That aufruft, der 
alles forglich vorbereitet und nichts verfäumt als die That jelbit. 

Wie er ins Leben hereintritt, iſt natürlich das Theater jeine 








R. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 531 


Schwärmerei. Ohne jede eigene Arbeit hat er hier das erhabene 
Gefühl, das ihm jo wohl thut. Vorher glaubte er fich zum Theater 
berufen, weil er jelbjt gern jpielt; aber mit Recht jagt das Schema 
von Goethes Aufjab über den Dilettantismus: „Nachahmungstrieb 
deutet gar nicht auf angeborenes Genie zu diefer Sache. Erfahrung 
an Kindern." Und jebt glaubt er von neuem feinen Beruf bejtätigt, 
weil er lebhaft nachempfindet; twie jener Entwurf es etivas ſchwer— 
fällig ausdrücdt: „Weil der Dilettant feinen Beruf zum Selbjt- 
produzieren erjt aus den Wirkungen der Kunjtwerfe auf ſich empfängt, 
jo verwechjelt er diefe Wirkungen mit den objektiven Urjachen ... 
wie wenn man mit dem Geruch einer Blume die Blume jelbjt 
hervorzubringen gedächte.“ Und jo fühlt Wilhelm jich angeregt 
nicht bloß zum Spielen, jondern auch zum Dichten. Er jchreibt 
Theaterjtücde; er iſt num jchon in zwei Künſten Dilettant. Und 
damit ijt die Gefahr gejteigert. Vorher war er jo zu jagen ein 
paſſiver Taffo: nicht durch eigene Phantaſie verjegte er ich unab- 
läffig in gehobene Stimmung, jondern durch fremde Anregung 
gerät er hinein. Nun aber beginnt er auch fich jelbjt die Anregungen 
zu verjchaffen. Er läßt fich vortrefflich) mit jenen Worten fenn- 
zeichnen, die in Goethes Singjpiel „Die ungleichen Hausgenoſſen“ 
einen hyperjentimentalen PBoeten malen: „sch leugne nicht, daß 
er zuweilen recht gute Verſe macht und artig jingt, allein an ihm 
it unerträglich, dat alles auf ihn wirkt, wie er es nennt, daß er 
zu jeder Zeit empfindet." Die Gefahr ijt da, daß er, der Anregung 
braucht, der fie im Theaterſpiel zu finden gewöhnt it, mit jich 
jelbjit Komödie jpielen wird. In diefem Stadium find Tauſende 
der hoffnungsvolliten Jünglinge untergegangen. 

Solchem Herzen kann die erjte Liebe nicht lange fremd bleiben; 
natürlich ift eine Schaufpielerin ihr Gegenjtand, natürlich bittere 
Enttäufchung das Ende. Zwar der Dichter jucht Mariannen am 
Schluß zu retten, doch faum mit Glück; und jedenfalls läßt Marianne 
genug gejchehen, um den leidenjchaftlichen Berehrer an ihr ziveifeln 
zu laſſen. Und jo geht Wilhelm in die Welt hinaus, im Herzen 
den erjten Konflikt der erträumten und der wirklichen Welt. 

In völliger Verzweiflung verbrennt num Wilhelm was er 


532 N. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 


angebetet hatte; aber die alte Neigung fehrt wieder und wirft ihn 
aus einem Extrem ins andere. Die eine Erfahrung hat nicht genügt; 
er muß die Coulifjenwelt genauer fennen lernen. Bald ſtößt er 
nun auf verjprengte Schaufpieler, die durch ihr anziehendes Wefen 
jehr geeignet find, ihn von neuem an die Welt des Scheins zu 
jeffeln: Philine und Laertes. Und zugleich trifft er zwei Halb- 
jchaufpieler jeltfamjter Art: Friedrich, den jungen Edelmann, der 
den Bedienten jpielt — und Mignon, gleichjam einen auf die Erde 
verjtoßenen Engel, den Zwang zu unwürdigen Gaufeleien miß— 
braucht. Sie ift durchaus ein Kind Staliens, auch im Geijte des 
Dichters dort entjtanden: gleich im Beginn der Reife traf er 
wirklich einen Harfner mit jeiner veizenden Torhter, und in Benedig 
entzückte ihn die Grazie einer jungen Straßenfünjtlerin. Sie tft 
die ernjte Liebe, die heiße Sehnjucht jelbjt, te ijt das Verlangen 
nach Stalien, nach dem Paradies; fie ijt die erdenjcheue Kunft, 
heimatlos und verjtoßen, aber das Land der Griechen mit der Seele 
juchend. So wird fie Wilhelms Schußgeijt; ſie hat für ihn eine 
ähnliche Bedeutung wie Helena für den Fauſt des zweiten Teils. 
Und Friedrich ijt ein Abbild deffen, was Wilhelm nicht werden 
joll: die leibhaftige Frivolität, an den höchjt irdiſchen Neiz einer 
Philine gefefjelt, die ungebändigte Laune und das kindiſch aus- 
gelafjene Temperament, und zum Schluß die dilettantijche Bücher- 
weisheit. Beide aber jind bei all ihrer tieferen Bedeutung nichts 
weniger als allegorische Figuren, jondern lebensvolle Gejtalten voll 
bejonderer Züge; vielleicht nicht einmal fymbolifch gemeint, werden 
jie es durch den Kontraſt untereinander und mit Wilhelm. 
Allmählig findet jich die Truppe zufammen. Und nun kommt 
man bald in das rechte Fahrwaſſer für Dilettanten: ins Extem— 
porieren. Hier iſt man von aller ernjten Kunſt dispenjiert und 
fann doch gerade das zeigen, was man mit dem echten Künftler 
gemein hat. „Wo das Subjeftive für ſich allein jchon viel bedeutet, 
muß und kann jich der Dilettant dem Künftler nähern", heißt es 
wieder in jenem Aufſatz. Bier ijt denn Wilhelm vecht in jeinem 
Element. Und eben deshalb greift jeßt warnend die geheime 
Leitung feines Schieffals ein. Schon einmal hat ein Fremder ihn 





En a a 





R. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 533 


vor jenem Fatalismus gewarnt, den man als dilettantische Lebens— 
führung bezeichnen könnte: die Gewöhnung ohne innere Klarheit 
jeinen lebhaften Neigungen den Willen göherer Weſen unterzufchieben 
und jo der Tendenz jeines Temperaments ſich blind zu ergeben. 
Sp dachte Werther, jo denkt Eduard in den „Wahlverwandtjchaften”, 
und beide gehen daran zu Grunde. Anders denft jebt Goethe: 
„Das Gewebe diejer Welt iſt aus Notwendigkeit und Zufall ge- 
bildet; die Vernunft des Menſchen jtellt jich zwifchen beide und 
weiß fie zu beherrjchen." — Damals half dieſe Belehrung zu nichts; 
Wilhelm ergab fich weiter jeinen Neigungen. Jetzt wird er von 
neuem von einem Unbekannten belehrt, daß jelbjt das Genie der 
Stlarheit und der bewußten Selbjtzucht nicht entbehren kann. „Aber“, 
verjegte Wilhelm, „wird das Genie ſich nicht jelbjt retten, die Wunden, 
die es gejchlagen, jelbjt heilen?" „Mit nichten, verjeßt der Andere.“ 
Wilhelm bleibt unbefehrt. Statt ſich zum tüchtigen Bürger zu 
erziehen, begeijtert er Jich an altdeutjchen Ritterſtücken. „Dilettanten 
haben meijtens eine patriotiiche Tendenz", jagt charakteriſtiſch genug 
der Aufjag über den Dilettantismus; „ein deutjcher Dilettant 
interejfiert ji darum nicht jelten jo lebhaft für deutjche Kunſt 
ausschließlich". Und nun jcheint das Schieffal ihm den Gegenſatz 
zwijchen der nach Goethes Meinung iwveltbürgerlichen Kunſt und 
patriotijcher Bemühung einjchärfen zu wollen. Der Harfner er- 
jcheint, die Vertiefung, die Einſamkeit, die Weltferne des Dichters 
ſchon im Aeußeren veranjchaulichend — ein Abbild jener ftillen Ver- 
jenfung in die Kunft, die Goethe immer mehr zum deal ward. 
Und er jingt das Lied von dem Sänger, der vor Pracht und 
Herrlichkeit die Augen jchließt, der den Lohn nicht mit Kanzler 
und Kittern teilen will. „Die Poeten jollten immer nur durch 
Geſchenke belohnt, nicht bejoldet werden“, jchreibt Schiller an 
Goethe. Zwar muß diefer Harjenjpieler gerade von jeinem Geſang 
leben, wie Melina auch bitter hervorhebt, das aber ijt bei ihm 
iwie bei jeiner Tochter Mignon nur der grauſame Zivang der 
Berhältniffe. Recht wie eine Perjonififation des Dichtergeijtes 
erjcheint der Harfner, wenn er die Klagen Wilhelms mit Verjen 
und Muſik melodramatijch begleitet und auslegt. 
Eupborion IL 35 


534 N. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 


Und nun kommen fie in eine andre Welt des fchönen Scheins: 
in vornehme Umgebung. Der Graf, von äußerer leerer Vornehm— 
heit, im Ceremoniell unübertrefflich und der Weisheit des Polonius 
voll, hat zur Seite die Gräfin, eine wahrhaft edle und vornehme 
Erjcheinung, von zarter und feiner Empfindung, Um fie ijt wieder 
ein ganzer Kreis von Typen der adligen Welt verjammelt: der 
Prinz, der Baron, die Baronefje, mannigfache Schattierungen des 
adligen Grundtons: der Nepräjentation. Repräſentieren heißt 
jcheinen wollen, was man nicht jein fann. Der Graf ijt em 
Dilettant der Bornehmheit: ihm fehlt der Ernjt und die Liebe, ihm 
genügt der Schein; der Baron jpielt einen vornehmen Gönner, der 
Prinz einen gnädigen Zuhörer: ſie „repräfentieren." Aber Wilhelm 
it von allen gleichmäßig entzücft; auch hier bejtechen ihn die Flitter, 
und er bricht in eine begeijterte Yobrede auf den Adel aus. Und 
nach wie vor ijt er Fatalift aus Bequemlichkeit und preijt jeinen 
Genius, der ihn hierher gebracht. Man iſt auf der Höhe des 
Dilettantismus: der Mdel und die Schaujpieler jpielen um die 
Wette, und Wilhelm hält begeijterte Reden. 

Da erjcheint wieder ein Warner. Jarno tritt auf und dem 
Gemiſch guten Willens und entjchiedener Unkunſt in den adligen 
Gratulationsjtücen wirft er den ungeheuren Namen Shafejpeare 
entgegen. Wilhelm, feiner Borurteile froh, will nicht lernen, die 
Dinge wie fie find, zu jehen; er joll am Werf des mwahrjten 
Dichters die wahre Welt kennen lernen, die er mit eigenen Augen 
nicht zu jehen vermag. Und dies wirft. In prachtvoller Rede 
Ichildert Wilhelm die Wirkung diefer Lektüre: „Es find Feine 
Gedichte! — Man glaubt vor den aufgejchlagenen ungeheuren 
Büchern des Schicjals zu jtehen, in denen der Sturmivind des 
beivegtejten Lebens jaujt." Shafefpeare war Goethen jelbjt der 
Schlüffel zum Berjtändnis der Welt geworden, fein eigner Dank 
ift es, der in die ſchönſte Lobrede überfließt, die je ein Dichter 
einem Dichter gehalten hat. Dieſe Stimmung juchen die Weijen 
vom Turm zu bemußen. in Talent iſt Wilhelm nicht, aber 
ein Charakter joll er werden und deshalb joll er hinein in den 
Strom der Welt. Sie raten es ihm wiederholt, aber er kann 








R. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 535 


nicht fort aus feiner Scheinwelt.. Nur in ihr kann er fich thätig 
denken. Dazu fejjelt ihn die Gräfin: mit Shafejpeare bildet jte 
ihm das Paar der höchjten Sterne, wie für Goethe es Shafejpeare 
und Frau von Stein waren. Es folgt jene Tafjo-Scene, der Höhe- 
punkt im Leben des unbelehrten Jünglings. „Die Unglüclichen !“ 
ichließt das dritte Buch. „Welche wunderbare Warnung des Zu- 
falls oder der Schiefung riß fie auseinander ?" 

Wir haben diejfe drei erjten Bücher ausführlicher analyjtert, 
um die Kunjt des Aufbaus, die Mannigfaltigfeit der Beziehungen, 
den Reichtum der Yebensweisheit wenigſtens in großen Zügen auf- 
zumweijen; wir gehen über die folgenden Bücher jchneller hinweg. 

Die Hamlet-Aufführung bewirkt und bedeutet den Umjchwung. 
Schon die Vorbereitungen geben Gelegenheit, am Probierſtein des 
tieffinnigen Dramas die Gejtalten fich exponieren zu lafjen. Und 
die Probe jelbjt zeigt Bhilinens Flatterhaftigfeit jo deutlich wie 
Wilhelms Dilettantismus. Schon das it charakterijtiich, daß er 
zeitig zur Probe erjcheint und fich noch allein auf der Bühne findet: 
„Dilettanten wiſſen jich nichts Anziehenderes als die Komödien— 
proben, Schaufpieler von Metier hafjen fie”, jagt jener Aufjab. 
Die Probe, gleichjam das Schaufpiel des Schaufpiels, bei fait 
gleicher Erregung des Ernſtes der wirklichen Aufführung entbehrend, 
bietet ihnen alle Reize des Schaufpieles ohne feine volle An— 
jtrengung. 

Dann aber die Aufführung jelbjt. Wilhelm veift zum wirk— 
lichen Schaufpieler und entjcheidet jich endgiltig für diefen Beruf, 
während ihn bisher noch die Furcht einer Einbuße an bürgerlicher 
Ehre zaudern lieg. Ein für das Berjtändnis des Buches ent- 
jcheidender Brief Wilhelms an Werner belehrt uns jet mit aller 
Deutlichkeit über feine Ziele: „Daß ich dirs mit Einem Worte 
jage: mich jelbjt, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunfel 
von Jugend auf mein Wunjch und meine Abficht . . . Sch habe 
nun einmal grade zu jener harmonijchen Ausbildung meiner Natur, 
die mir meine Geburt verjagt, eine umwviderjtehliche Neigung.“ 
Und jo unterjchreibt er, halb im Traume, den Kontrakt. Noch— 
mals ertönt die Warnung: „lieh Süngling flieh!" So war im 

35* 


536 N. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 


Volksbuch von Fauſt der Held von feinem ausfließenden Blut ge- 
warnt; es bildet die Worte: „O Menjch! fliehe!" Aber auch er 
beharrte in der Verirrung. 

Die Darjtellung gelingt außerordentlich; ein Feſt feiert das 
Gelingen. Dieje verbundenen Aufregungen werden zu einem neuen 
Probierſtein der Charaktere. Die, welche von innerer Leidenschaft 
glühen, lodern jet hoch auf und verbrennen jich: der Harfner und 
Mignon; ihrer gejchtwächten Lebenskraft ijt jo viel Erregung zu 
viel. Wilhelm aber fühlt fich am folgenden Tage leer und matt, 
wie Taſſo jeden Tag nach der Krönung ſich gefühlt hätte: das 
Höchſte, was das Theater ihm bieten kann, hat er nun hinter fich. 
Ebenjo wenig kann die Truppe auf diefem Gipfel beharren: fie 
zerfällt. Bielleicht ift es nicht ganz glücklich, daß Aureliens Tod 
und Wilhelms Abjchied von der Bühne noch durch einen längeren 
Zeitraum von diefem Moment getrennt find. Aber Goethe wollte 
dem Hamlet noch Emilia Galotti folgen laſſen: Wilhelm, der fich 
erit in hohe Gefühle hineingefpielt hat, joll fich noch in die vor- 
nehme Haltung hineinjpielen. Leſſing evjcheint als der deutjche 
Nachfolger Shafejpeares und Wilhelm erweiſt jich nun als wirk- 
licher Schaufpieler. „Dem Halbvermögen", jagt Goethe zu Ecker— 
mann, „war Leſſing gefährlich." Wilhelm hält die Probe aus, 
er beweijt alfo ein wirkliches Bermögen — er ijt etwas geworden. 
Und er hat an die Rolle ein langes Studium gewandt, während 
er in der erjten Unterredung mit dem Landgeijtlichen noch meinte: 
„Sollte aber nicht ein glückliches Naturell einen Schaujpieler wie 
jeden andern Künjtler, ja vielleicht wie jeden Menjchen, allein zu 
einem jo hoch aufgejtecten Ziele bringen?" Er iſt ein wirklicher 
Schaujpieler geworden, das heißt in Goethes Sinn: er hat gelernt, 
etwas zu jcheinen, nun erjt ijt ex reif, zu lernen, etwas zu fein. 

Hier werden „die Befenntnijjfe einer jchönen Seele“ 
— des Fräuleins von Stlettenberg nämlich — eingejchoben, die 
einen Charakter von bejtimmter Nichtung in der höchjten ihm mög- 
lichen Bollendung zeigen — und den Weg, wie fie durch jtrenge 
Selbjterziehung dahin gelangt. Und nun kommt Wilhelm in eine 
andre Welt, in ein Leben erniter, tüchtiger Arbeit, wohlwollenden 





N. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 537 


Sorgens, liebevoller Ausfüllung genau umfchriebener Streije. Dies 
war es ja, was Goethe jelbjt ſtets empfohlen hat; jo weit er fich 
auch jonjt von Prometheus entfernt hat, ijt dies doch immer noch 
jeine Lehre: dein ijt der Kreis, den deine Wirkſamkeit erfüllt. 
Ganz mit Unrecht jcheint man mir deshalb Werner, Wilhelms 
periodisch wieder auftauchenden Nugendfreund, als einen Beleg 
aufzufaffen, wie Goethe die Arbeit verachtet, in einer jorgenlofen 
Selbjtausbildung das alleinige Noeal gejehen habe. So dachten 
die Romantifer, Tief 3. B. wenn er in der Novelle „Des Lebens 
Ueberfluß“ ein höchſt munteres und junges Ehepaar jchildert, das 
durch die harte Anftrengung einer alten Frau jich vergnüglich er: 
nähren und erhalten läßt. Aber jo dachte Goethe nicht. „Saure 
Wochen, frohe Fejte, Tages Arbeit, Abends Gäſte,“ das ijt das 
Geheimnis des Schatgräbers; und ein anderes Gedicht lehrt: 

Schwerer Dienfte tägliche Bewahrung — 

Sonſt bedarf es feiner Offenbarung. 

Nicht die Arbeit jchändet den Mann; auch darum wird 
Werner nicht zum Zerrbild, weil er um äußeren Borteils willen 
arbeitet. Wie froh arbeitet der Wilhelm der „Geſchwiſter“ um 
Geldverdienſt! Mit herzlicher Anerkennung jpricht Goethe von der 
Betriebfamkfeit der Neapolitaner; und einem Künjtler, der von der 
Kunſt lebt, Benvenuto Cellini, widmet er eine jeiner nächjten 
Arbeiten. Vielmehr erſcheint Werner deshalb als Karikatur, weil 
er nichts fennt, als die Arbeit. Es ijt das Gegenſtück zu den 
Naturen, die in den höchſten Genüffen und Gefühlen ohne eigene 
Bemühung ſchwelgen, er hat von dieſen Genüffen und Gefühlen 
feine Ahnung. Er kennt die ſauren Wochen, aber nicht die frohen 
Feſte, die Arbeit des Tages, aber nicht die Gäſte des Abends. 
Von ihm gelten wirklich die verachtungsvollen Worte des Wallen- 
jteinifchen Wachtmeifters: 

Es treibt jich der Bürgersmann, träg und dumm, 

Wie des Färbers Gaul, nur im Ring herum. 
Nicht weil er arbeitet, wird er verächtlich, jondern weil er aller 
Kunſt und Bildung fremd und barbarijch gegenüber jteht, ein 
Banauje nicht bloß im Beruf, jondern auch am häuslichen Herd, 


538 N. M. Meyer, Wilhelm Meifters Lehrjahre. 


ein PBhilifter, nicht bloß in der Art wie er jchreibt, jondern auch 
in der, wie er freit. Solcher „Rohheit des Umwifjenden over 
pedantijchen Borniertheit des bloßen Gejchäftsinannes" jtellt der 
Entwurf über den Dilettantismus jelbjt diejen lobend gegenüber. 
Exnjte Arbeit aber ift es ja gerade, an der Wilhelm erzogen 
werden joll, der anfänglich nur (wie Eduard in den „Wahlver- 
wandtſchaften“ es an ſich jelbjt gejteht) in vielen Dingen jpielte 
und pfujchte. Der Dilettant, das iſt der Sinn des Erziehungs- 
vomanes, wird zur Wertſchätzung liebevoller Berjenfung, treuer 
Ausdauer, echter Arbeit erzogen. „Der Menjch frage jich jelbit, 
wozu er am Bejten tauge,” heißt es in dem wichtigen Aufjaß 
„Ferneres über Weltliteratur” (Hempel, 29, 675), „um diejes in 
jich und an ſich eifriger auszubilden. Er betrachte jich als Lehr- 
ling, als Gejelle, als Altgejelle, am jpätejten und höchſt vorfichtig 
als Meijter." Das ift die ganze Moral unjeres Buches: der als 
Meijter geboren zu fein vermeinte, joll lernen, daß er erjt die 
Vehrjahre durchmachen muß. „Wer joll Lehrling jein? Jeder— 
mann!" Und mit den Werfen aus Goethes Alter jtimmt der 
berühmte herrliche Sugendbrief an Herder vom Juli 1772 überein: 
„Wenn ich nun aber überall herumfjpaziert bin, überall nur drein- 
geguckt habe, nirgends zugegriffen. Drein greifen, paden ijt das 
Wejen jeder Meiſterſchaft.“ Eigene Erfahrung des Fünglings, 
Beobachtung fremder Entwiclung beim Mann wirken zufammen, 
um Wilhelm Meijter die Yebensbahn vorzuzeichnen. Deshalb Liejt 
der Roman jich jo oft wie eine Belegjammlung zu dem Aufſatz 
über den Dilettantismus, deshalb beleuchtet er jo unvergleichlich 
Goethes Lehre von echter Kunſt und echter Arbeit! 








A. Kopp, Bibliographifch-kritiiche Studien über Johaun Chriftian Günther. 539 


Bibliographifich-kritifche Studien über 
Johann Chriltian Günther.) 
Bon Arthur Kopp in Berlin. 





3. Einige Strophen Günthers. 


Zur Zeit des Meifterfanges hatte jede Strophenform ihren Namen 
und ihren erjten Erfinder; die Kumftverjtäandigen mußten die vielen und 
mannigfaltigen Gebilde zu benennen wijjen und, wo fie jich einer be- 
reits eingeführten Form bedienten, ermangelten jie nicht ihr Vorbild 
anzugeben ; die Meijterjchaft erlangten fie erſt, wenn fie zu den fremden 
von ihren Vorgängern übernommenen Tönen mindejtens einen hinzu 
erfunden hatten. Dabei macht es feine Schwierigfeiten jede Form bis 
auf ihren Urjprung zurüdzuführen. Als die Dichtkunft fich vom Zunft— 
zwange frei zu machen begann, ging man zu einfacheren, leichteven, 
gefälligeren Formen über, die man als freies Gemeingut für alle be- 
trachtete.. Für jeden Dichter ergaben ſich nun metrijche Gebilde in 
großer Zahl ganz unwillfürlich, ohne von einem Vorgänger entlehnt 
oder durch ein bejtimmtes Vorbild angeregt zu jein. Die einfachjten 
vierzeiligen und achtzeiligen Reimgebäude mit durchgehend gleicher An— 
zahl der Hebungen ergeben jich aus dem Weſen rhythmiſcher Gliederung 
mit Naturnotwendigfeit, löſen ſich aus jedem dichterijch beiwegten Ge— 
müte wie von jelbjt ohne Bermittelung fremder Einflüfje heraus, bieten 
jich jedem neu beginnenden Dichter fait aufdringlich an, ſproſſen zahl- 
reich wie die Gräſer mit jedem poetifchen Frühling von neuem auf 
und werden wohl in derjelben Weife ich fortpflanzen bis an das Ende 
aller Dichtkunft. 

Aus der unendlichen Mafje lyriſcher Strophenformen heben ich 
aber durch ihr eigenartiges Gepräge manche heraus, die fich nicht für 
jeden Dichter von jelbjt ergeben haben fünnen, die jich vielmehr nur 
durch bald mehr bald minder bewußte Nachahmung jeitens künſtleriſch 
gejchulter Berjönlichfeiten als übliche Formen behauptet haben. Jede 
Strophe, wie jeder Bers hat jeine Gejchichte. Hier liegt ein weites 
und fruchtbares, bisher aber noch faſt ganz unangebautes Gebiet. 


I. 1) ') Siehe Euphorion 1, 718. 


540 A. Kopp, Bibliographifch-kritiiche Studien über Johann Ehriftian Günther. 


Einer der fruchtbarjten und formenreichjten Dichter war Johann 
Chriſtian Günther. An vein Iyriichen Strophen hat er 97 aufzumeifen, 
und zwar 5 vierzeilige, 4 fünfzeilige, 33 jechszeilige, 9 fiebenzeilige, 
28 achtzeilige, 2 neunzeilige, 14 zehnzeilige und 2 zmwölfzeilige Strophen. 
Gewiß hat ein jo begabter Dichter manche Form jelbjtändig erfunden 
und gehandhabt, aber im weltlichen und firchlichen Gejange jeiner Zeit 
fand er eime ſolche Formenfülle vor, daß er daraus wie aus einem 
unerjchöpflichen Born trinken konnte; und daß er es gethan hat, mögen 
einige bisher unbeachtete Thatſachen beweijen. 


I. 
Heren von Hoffmanıswaldau und amdrer deutichen .. . Gedichte... 169. 
©..36.,€. 9.2. 9.: 

1. Lyſippe will der erden fich entreiffen, 
Ihr edler geift geht zu der ruh, 
Er eilt der reinen fonnen zu, 
Und will, was himmliſch ift, zu küſſen fich befleiffen, 
Sie ftöft die erde hin, und fuchet allzu viel, 
Weil fie bey fleifch und blut als engel leben will... . 6 Str. 


Günther ©. 985: 
Wie Fanft du doch fo viel vergebens Hagen 
Und umerhötte Seufzer thun ? 
Ach lag einmal die Augen ruhn 
Und thu dir jelber Weh, die Schläge ſtumm zu tragen. 
Du fiehit ja wohl einmal, verworfnes Menjchen-Kind, 
Daß Glück und Gott nicht mehr der Unschuld Freunde find... 8S Str. 


1. 
H. v. Hoffmannswaldau ... Gedichte... . 169. ©. 331. E N. Erdmann 
Neumeifter] : 

1. Erbarme dich, du Schönheit Diefer welt, 
Und nimm von mir die fäffel meiner feelen! 
Wenn ftahl und eiß die bruft umfchloffen hält, 
Durch jelaverey mich auf den tod zu quälen, 
Sp denfe doch, der urjprung meiner noth 

Iſt Schon der tod. 

2. Iſt Schon der tod ein opfer Deiner luft... 

6... . Mein himmelveich. 

7. Mein himmelveich wird mir zur höllenpein. 
Sch fol und muß, ich will auch nur verderben; 
Die freyheit wird im meinem grabe jeyn; 
Drum will ih gern als ſclave graufam fterben. 
Mein herz giebt mur den feufzer noch von ſich: 

Erbarme dich! 
Günther ©. 326: 

1. Du daureft mich, du allerliebjtes Kind! 
Du fühlft mein Weh, ich leide deine Schmerzen, 
Da Glück und Zeit jo lange graufam find, 


A Vi ne Et a NE ne 


VA de el be a a red 


A. Kopp, Bibliographifch-kritiiche Studien über Johann Chriftian Günther. 541 


Und mit dem Flehn getreuer Seelen fcherzen; 
Du leidet viel, doch gieb der Treu Gehör! 
Ich leide mehr. 

2. Ich leide mehr, als jemand fan und glaubt... 

7... . Biel auszuftehn. 

8. Biel auszuftehn und gleichwohl froh zu ſeyn, 
Bermag fein Geift, den Lieb und Nuhm nicht ftärken; 
Kind! gute Nacht! mein Anblick mehrt die Bein, 

Ich fan die Angft an Farb und Sprache merken, 
Sieh mi noch an, und lebe wohl und fpridh: 
Du daureft mid. 

Diejelbe Strophe, doch ohne die fpielende Wiederholung der Worte am 
Schluß und Anfang dev Strophen, hat Günther noch einmal angewandt in dem 
Gedihte: Schweig du doch nur, du Helfte meiner Bruft .. 10 Strophen, 
©. %8. Hier hat Günther mit voller Abfichtlichfeit und mit vollem Fünftlerifchem 
Bewußtfein eine damals beliebte Form fi angeeignet. Ebenfalls ohne die 
Spielerei mit den fich wiederholenden Worten trifft man diefe Strophe im erften 
Bande der Hoffmannswaldauiſchen Gedichte noch zweimal an: ©. 337 C. H. V. 9. 
Ich bin verlett durch deinen augenftrahl ... 6 Strophen, ©. 349 Arie Herzogs 
Sylvius Friederid zur Oelſe auf feine Gemahlin. Ach zürne nicht, erlauchte 
Sylvia... 9 Strophen. 

Das Gedicht Neumeifters und Nahahmungen desselben treten auch in den 
Schriften Hunolds auf. 

Die Allerneuefte Art, Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen... 
Von Menantes .. . 1717, ©. 119—121: LXXXII Endlich ift diefes eine 
Galanterie, welche aber ſchwer fällt, wenn man die folgende Strophe mit eben 
den Worten anfängt, mit welcher ſich die vorhergehende endet, daß gleichwohl 
auch allemahl ein anderer Sensus heraus fümmt. Und da pfleget fich die Ietzte 
Strophe mit dem Anfange der erſten gemeiniglich zu jchlieffen. 3. €. 

1. Erbarme dich, du Schönheit diefer Welt... . 7 Strophen (Schluß der 
erften Strophe beffer als oben „die Größe meiner Noth Fit ſchon der Todt“). 

Ebenda ©. 148: An Margaris. 1. Mein Glüde muß in jchönfter Blüte 
ſtehn ..... 6 Strophen. 

Die Edle Bemühung müffiger Stunden... Bon Menantes ... 1702. 
©. 53, 54: An ihre Graufamfeit. 1. So muß ich ftetS in Jammer Schatten 


ftehn ... 5 Strophen u. a. m. Bergleiche auch Spitta über Sperontes in der 
Bierteljahrsichrift für Muſikwiſſenſchaft. 1 (1885), 60. 
II. 


Herrn von Hoffmannswaldau ... Gedichte anderer Theil... 1697. ©. 330— 32: 
Celadons abſchied und feiner ſchäferin wehklage + FT 


Eleonora die betrübte 
Gieng in dem grünen auf und ab, 
Als ihr der fchäffer, der geliebte, 
Den letzten fuß mit thränen gab. 
Ah! ſprach fie, daß ich tet muß leben, 
Und meinem jchäffer abjchied geben ..... 10 Strophen. 
Günther ©. 294: 
Eleonore ließ ihr Herze 
Nicht länger unempfindlich jeyn, 
Sie räumt es nad fo langem Schmerze 


542 N Kopp, Bibliographiich-kritiiche Studien über Johann Chriftian Günther, 


a a 


Dem mwohlbefannten Dichter ein 
Und ließ ihn unter Shwur und Küffen 
Den Anfang ihrer Neigung wiffen.... 12 Strophen. 


Eben diefe Strophe hat Günther noch in zwölf andern Gedichten au— 
gewandt: ©. 171, 177, 178, 231, 244, 245, 272, 284, 310, 329, 921, 938. 
Diefe Form war ihm alfo ganz befonders geläufig; in dem Gedichte Eleonora 
ließ ihr Herze . . . ift er aber unzweifelhaft beeinflußt durch das ältere Eleonore j 
die betrübte . . ., ein Gedicht, das damals zu den Lieblingsftüden gehörte und : 
fich als ſolches in fliegenden Druden fürs Volf und in Liederfammlungen bis 
in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts behauptet hat. 

Günthers Leipziger Freund Brandenburg (fpäter Pfarrer im Lauen— 
burgifchen) hat fich an diefe Yeonorenlieder angelehnt in einem Hochzeitsgedicht. 
Weihmanns Poeſie der Nieder-Sadfen, 5 (1738), 153-57. 


Pe 


IV. 
Heren von Hoffmannswaldau ... . Gedichte 3. Theil... 1703. ©. 342: 
Springt feffel entzwey ! 
Brecht fetten und jchlöffer, 
Ich hab es itzt beffer, 
Die feele wird frey. 
Komm ftilles vergnügen, komm füffe mich nu, 
Und fete mich wieder in vorige ruh . .. 9 Strophen. 
Günther ©. 242: 
Ich habe genug! 
Luft, Flammen und Küffe 
Sind giftig und füffe 
Und machen nicht Hug: 
Komm felige Freyheit und dämpfe den Brand, 
Der meinem Gemüthe die Weißheit entwandt ... . 5 Strophen. 


Va a a DE Fa 


VW: 


H. v. Hoffmannswaldau ... 5. Theil... . 1708. ©. 705: 


Blandinden, reiner ſchwan, 
Der nichts, als fromm feyn, kan, 
Dein heller tugend-[chall, 

Du jhöne nadhtigall, 
Klingt beffer, als Citrinchen, 

Blandinden ... 6 Strophen. 

Günther ©. 1108: 
Ehriftinchen, eile zu, 
Und fuche Bett und Ruh! 
Die Liebe bricht herfür, 
Und hüpft und wallt in dir, 
Nach Art der jungen Hühnchen, 
Chriſtinchen ... . 2 Strophen. 


Einige überrafhende Beifpiele dafür, wie für diefelben Stoffe ſich diejelben 
Strophenformen einbürgern, bietet die zu Günthers Zeit im Schwarge gehende 
Tabakspoeſie. 





A. Kopp, Bibliographiſch-kritiſche Studien über Johann Chriftian Günther. 543 


VI. 
H. dv. Hoffmannswaldau . . . Gedichte... . 169. ©. 380: Lob des tabad3. 


Roſen und violen 
Mögen Finder hohlen, 
Kinder dieſer zeit. 
Diß, was meinen ſinn erfreut, 
Und in meinen händen breimet, 
Wird Tabad genennet .. . 8 Strophen. 


Günther ©. 917: Lob des Knaſter-Tobacks. 


Nahrung edler Geifter, 
Aller Sorgen Meifter, 
Du mein Element, 
Was man jezo Knaſter nennt; 
Komm und laß die müden Sinnen 
Wieder Ruh gewinnen! ... 22 Strophen. 


Das Gedicht „Rofen und violen“ ift wegen gleichen Inhalts undgleicher 
Form nicht nur Stammvater des Güntherſchen „Nahrung edler Geifter“ fondern 
auch eines Tabaksgedichtes von Sperontes, welches defjen „Singende Mufe ar 
der Pleifje“ in den Ausgaben von 1736 und 1741 als Nr. 28, in der Ausgabe 
von 1747 als Wr. 73 bietet: 


Weg ihr eitlen Grillen! 
Laßt mir meinen Willen ! 
Immer froh zu feyn. 
Ich verbanne Opaal und Bein 
Dur den Weyrauch, den die Mohren 
Dazu auserfohren ..... 11 Strophen. 


Einiges über diefes Gedicht findet man bei Spitta a. a. O. ©. 99. 


Im Regifter zu der Ausgabe Hoffmannswaldaus von Jahre 1695 ftehen 
bei dem Gedichtanfang „Rofen und violen“ die Buchftaben C. H. V. 9. das ift 
Ehriftian Hoffmann von Hoffmannswaldau. In den fpätern Ausgaben diejer 
Gedichte, vom Fahre 1725 u. f. w. fteht das Gedicht ©. 395, ohne Buchftaben 
eines Verfaffernamens auch im Negifter. Allerdings erjcheint Hoffmannswaldaus 
Anteil an dem Tabaksgedicht zweifelhaft, wenn man fich vergegenmwärtigt, daß 
dasjelbe vorher und nachher mehrfach in der Tabaksliteratur ericheint und ftets 
ohne Angabe eines VBerfaffers. Sp enthält „Der Politifhe und Luftige Tobads- 
Bruder“, von Michael Kautzſch, 1684 S. 2351—33, 1690 ©. 205—7 die acht 
Strophen des Gedichts, doch mit ftarken Entftellungen. Man liest da: 


1. Kinder mögen holen 
Rofen und Violen 
Itzt bey dieſer Zeit. 
Das, was meinen Sim erfreut 
Und in diefer Pfeife bremmt, 
Wird Toback genennt . . . 


Der Berfaffer des Tobad3-Bruders kann nicht zugleich der Berfaffer diefes 
Liedes fein; jonft hätte er jchwerlich den Rhythmus, der bei Hofimannswaldau, 
Günther und Sperontes in den drei Gedichten ganz genau Silbe für Silbe 
ftimmt, fo verderben laffen, daß die beiden letzten Zeilen feiner Strophen mit 
Ausnahme der fünften fälfchlicherweife männlich abſchließen: bremmt gemennt, 


544 N. Kopp, Bibliographiichekritiiche Studien über Johann Chriftian Günther. 


blictt erquidt, führt unberührt, Taſch Aſch, Wagen tragen, Ungeheur Feur, 
liebn übn, Sinn bin. 
vn. 


Der Politifche . . . Tobads-Bruder . . 1684 ©. 54—93, 1690 ©. 73 
bis 81 enthält noch ein andres Tabafsgedicht, deffen Strophe fih Günther an- 
geeignet hat: 
1. Mann, der Teufel reitt euch doc), 

daß ihr noch 
Mir dürft von Tobade jagen; 
Iſts nicht gnug, daß ich hier muß 
mit Berdruß 
Den verfluchten Stank ertragen? ... 12 Strophen. 
Als Gegenftüd dazu: 
1. Sammer, hab’ ich eine Frau, 
au, au, au! 
Die nichts kann als beißen, Keifen. 
Unfer meifter Streit und Zwift 
kömmt und ift 
Bloß vor der Tobades-Pfeifen ... 17 Strophen. 
Günther ©. 912: 
Schicke dich, gelehrter Freund! 
Es erfcheint 
Des Geburts-Tags holder Morgen: 
Unterbrich der Bücher Fleiß 
Und den Schweiß 
Aller Eugen Sorgen... 23 Strophen. 


Diefelbe Strophe läßt fih noch mehrfach nachweifen, jo 3. B. wohl in 
Nachahmung des Tobads-Bruders an folgendem Beifpiele: Die frifch -gefangene 
und erjtlih ausgelöfete Brandtwein- Droftel . . . . von Bentindewar Bernern. 
Anno M.DC.XCH. Darin fommt unter andern Gedichten auch folgendes vor: 


Bleibt ihr Männer, wo ihr jeyd, 
pact euch weit, 
Was mwolt ihr viel purlens machen; 
Iſts nicht gnung, daß ihr uns habt, 
und begabt, 
Wenn ihr bauf’t von Liebes-Saden .... 7 Strophen. 


Diejelbe Strophe war aber ſchon lange vorher eingebürgert, fie findet ſich 
3. B. von Zeſen und von Rift angewandt in zwei Gedichten, welche zuſammen 
abgedrudt find in dem „Benus-Gärtlein“, Ausgabe vom Fahre 1656. 


©. 168 (Zeſen): 
Halt, du ſchöner Morgenftern, 
bleibe fern, 
vnd dur güldne Nachtlaterne, 
halt der weiffen Pferde Lauf 
jebund auf: 
Steht ein wenig till ihr Sterne... 7 Strophen. 


Et Bi Bi u 11 u ee na a am 


PTR IS 


A. Kopp, Bibliographiih-kritiiche Studien über Johann Chriftian Günther. 545 


S. 140 (Rift): 
Sol denn mein beherzter Muht, 
ja mein Blut, 
Durch der Liebe Macht erjterben, 
jol denn deine Grimmigfeit, 
Liecht der Zeit, 
Dafnis ganz vnd gar verderben... 12 Strophen. 


Hiermit ift die Wichtigkeit der Tabakspoefie für diejes engbegrenzte Gebiet 
Iprifher Strophenformen nod immer nicht erſchöpft. Schon bei der erften oben 
gegebenen Zujfammenftellung von Günthers Du daureft mich du allerliebftes 
Kind ꝛc. mit Neumeifters Erbarme di, du Schönheit diefer Welt 2c. hätte zum 
Vergleich dienen fünnen ein inhaltlich allerdings höchſt erbärmliches Tabakslied, 
deſſen erſte Strophe lautet: 


Ihr Raucher, fommt und ſchmecket den Tabat, 

Der feinen Werth vom Himmel hat befommen ; 

Er jchmedet ſüß, ja füßer als Araf, 

Den manche Leute herzlich lieb gewonnen. 

Kommt jchmedt dis Blat, das alle Lieblichkeit 
Um fich verbreitt. 


VIII. 


Noch ein Tabaksgedicht darf an dieſer Stelle nicht übergangen werden. 
H. v. Hoffmannswalau ... Gedichte 3. Theil ... 1703. ©. 348: 


Laudatur ab his, culpatur ab illis. 


Ruhm des Tobacks. 
1. Wer will, der mag fich jo ergüten 
An tuberofen und jeßmin, 
Sich gar zur bifamssfaten ſetzen 
Ich komme nicht auf diefen finn. 
Mir gibt den lieblichſten geſchmack 
Ein frisches pfeifgen lohtstobad ... . 7 Strophen. 


Diefe Strophe ift im der geiftlichen ſowohl wie der weltlichen Poeſie jo 
jehr häufig, daß, wo diefelbe jpäter auftritt, ohne von Tabaksdüften erfüllt zu 
fein, von einem Zufammenhange mit diefem Tabaksgedichte nicht die Rede fein 
kann. Das gilt in diefem Falle für Günther, der diefelbe in 18 verfchiedenen 
teilweife geiftlichen, teilweife weltlichen Gedichten angewandt hat ohne jede Be- 
ziehung auf den Tabak, der doch fonft in feinem Leben und im feiner Dichtung 
feine geringe Rolle fpielte. Sm der Gefamtausgabe der Güntherfchen Gedichte 
findet man diefe 18 auf ©. 5, 9, 10, 15, 64, 73, 89, 92, 96, 100, 110, 198, 
269, 286, 308, 314, 1125, 1172. 

Wenn aber nicht für Günther, jo ift jenes Tabakslied doc für andere 
dichterifche Verehrer des edlen Krautes und feines blauen Dunſtes maßgebend 
gewejen. Dasſelbe Lied, ftark verkürzt und ein wenig verändert, bieten 3. B. die 
1715 erjchienenen „Ergöglichkeiten Bom Tabac“ auf ©. 46 in drei Strophen. 
Der ſchon erwähnte Tobads-Bruder, der 1680, 1684 und 1690 unter diefem 
Titel und dem Namen des Mich. Kautzſch, dann aber 1740 und 1741 unter 
dem Titel „Politiſche Erzehlungen aus einer Iuftigen Tobacks-Geſellſchaft . . . 


546 N. Ropp, Bibliograpbifch-fritifche Studien über Johann Chriftian Günther. 


von Tobias Yangenpfeiffen” erſchien, ift nach feiner Wiederbelebung als „Po- 
litiſche Erzehlungen“ um ein Lied bereichert, das in den Liederfammlungen des 
vorigen Jahrhunderts und im fliegenden Druden für's Volk bis in dies Jahr— 
hundert!) hinein ſehr häufig abgedruct worden ift. Die erfte der mit denjenigen 
des Gedicht „Wer will, der mag fich fo ergöten“ genau übereinftimmenden neun 
Strophen lautet auf ©. 73 der „Politifhen Erzehlungen“ : 


So oft id meine Tobads-Pfeife, 
Mit guten Rnafter angefüllt, 
Zu Luft und Zeitvertreib ergreife, 
So ift fie mir ein Trauerbild 
Und fügt mir diefe Lehre bey, 
Daß ich derjelben ähnlih ſey . . . 


Für Günther fpringt in diefem Falle auch fein eifriger Nachahmer Sperontes 
ein, der drei Tabaksgedichte verfaßt hat, wovon das eine „Weg ihr eitlen Grillen“ 
als in der Form übereinftimmend mit „Roſen und Biolen“ und Günthers 
„Nahrung edler Geifter“ bereits Erwähnung fand. Ein zweites „Cnaſter ift mein 
Element” in 6 jechszeiligen Strophen mag hiermit der Bollftändigfeit halber 
angeführt fein. Das dritte ftimmt im Strophenbau genau überein mit „Wer 
will, der mag fich jo ergöten“ und „So oft ich meine Tobafspfeife.“ Es beginnt: 


Sp lang ich meine Tabafspfeife, 
Bey jeglicher Gelegenheit, 
Mit gutem Appetit ergreife, 
So lange bin ich, Zeit vor Zeit, 
Bey allem, was ſich mit mir fügt, 
Geſund umd munter und vergnügt... 6 Strophen. 


Singende Mufe an der Pleiffe 1747, Nr. 99. Hierbei ift zu vergleichen Spitta 
a. a9. ©. 60, 61.?) 


!) Eine höchft bemerkenswerte Spur von dem Yortleben diefes Liedes 
findet man 3. B. in dem Buche: Fra krigen 1807—14. En dansk officeers 
optegnelser udg. af H. Datter. Kjöbh. 1894. ©. 50: 

„— til Tids fordriv laerte jeg bl. A. en herlig 'Tobaksvise 
af en preussisk Husarkorporal. 
So oft ich meiner Tabackpfeife 
Mit gutem Knaster angefüllt ... .“ 5 Strophen. 
Das unteroffiziersmäßige Deutfh ift im diefem Texte jo unverkennbar wieder- 
gegeben, daß man hier jo recht in den Volksgeſang mitten hinein fich verfetst fühlt. 

2) Einiges Hierhergehörige über die ganze Tabakspoeſie findet man im dem 
Aufſatze Hoffmanns von Fallersieben „Der Tabak in der deutjchen Litteratur“ 
Weimarifhes Jahrbuch, 2, 243 —60. Doch ift der Anhalt dieſes Aufſatzes 
etwas dürftig und oberflächlich. Eine vollftändige Zuſammenſtellung aller literar- 
hiftorifh bemerfbaren Zabafsgedichte mit reichhaltigen bibliographiichen Nach— 
weifen ‚bietet ein 1893 veröffentlichtes, in wiffenschaftlichen Seifen wenig be— 
achtetes Heftchen „Die Friedenspfeife. In rhythmiſchen Ringelwölkchen allen 
finnigen Tabaksfreunden vorgeraucht durch Stieglig in Steglitz“ (2 Bl., 58 ©., 
1 8). Die für die Tabakspoefie wichtigeren Schriften finden fih ſämtlich in 
der FFriedenspfeife werwertet, jo von den hier bereits genannten „Der Tobafs- 


A. Kopp, Bibliographifch-Fritiiche Studien über Johann Chriftian Günther. 547 


IX. 

Eine große, inhaltreihe Gejchichte hat eine von Günther dreimal an— 
gewandte Strophe, welche vorher jhon von dem oben mehrmals genannten 
Hunold oder Menantes eingebürgert worden war. 

Die Edle Bemühung müffiger Stunden . . . Bon Menantes ... 1702. 
©. 57, 58: 

Immerhin, 
Falſches Herze, leichter Sinn! 
Leſche nur die ſtarken Kerzen 
In den ſonſt entflammten Herzen, 
Weil ich es zufrieden bin. 
Immerhin, 
Falſches Herze, leichter Sinn!.... 4 Strophen. 


Bon der Welt! 
Iſt ein Wort, das mir gefällt. 
Denn wer wolte bey den Drachen 
Länger hier Gefellfhaft machen ? 
Drum der Schluß ift feft geftellt. 
Da Capo... 5 Strophen. 


Günther ©. 112: 


G ©. 255: 
Treuer Sinn! 
Wirf den falfhen Kummer hin. 
Laß den Zweifel der Gedanten 
Nicht mit meiner Liebe zanfen, 
Da ich längft dein Opfer bin. 
Da Capo... 4 Strophen. 
N? ©. 108: 
Wie gedacht, 
Bor geliebt, it ausgeladht. 
Geftern in die Schoß gerifjen; 
Heute von der Bruſt geſchmiſſen; 
Morgen in die Gruft gebradt. V. WU... 9 Strophen. 


Anſätze zu diefer Strophe finden fich bereits vor Hunold, jo beginnt ein 
älteres Lied „Ich ımd du Sind die allerfhönften zmwu” .. . etwa gleichzeitig 
oder nur wenig jpäter als das Hunoldjche Gedicht ift das im Strophenbau ähn- 
liche Kirchenlied „Fahre fort, Zion fahre fort im Licht“... . entftanden. Sollte 
die Strophe genau in der Hunoldfhen Geftalt ſchon vorher verwandt worden 
fein, jo hat doch immer erft das Hunoldſche Gedicht, namentlich) durch Vermitte— 
lung Günthers, die Entwidlungsgefchichte der Strophe in Schwung gebracht. 





bruder” und die „Ergütlichkeiten vom Tabac“. Eine für die Tabakspoeſie 
wichtige Schrift, die auch an diefer Stelle von Bedeutung ift, fehlt dennoch in 
der „Kriebenspfeife". Es ift das „Die neu=eröfnete luſtige Schaubühne Menſch— 
licher Gewohn- und Thorheiten: Entworffen in 7 Classes: Als I. Vieler Art 
jeltfamer Würme . . . II. Caffee- und Thee-Logia . . . III. Biere-Logie... 
IV. Tabaco-Logia .... V. Caseologia ... VI. Wurstologia... VII. Gänse- 
Logia... Zum Drud befördert in diefem igigen Jahre.“ Die Tabaco-Logia 
(1 Titelbild, 96 ©.) enthält unter vielen andern Gedichten S. 34 Kinder mögen 
holen ... 8 Strophen, ©. 36 Jammer! ich hab eine Frau... 17 Strophen, 
©. 50 Mann, der Teufel reit euch doch ... 12 Strophen. 


548 N Kopp, Bibliographifch-kritiiche Studien über Johann Ehriftian Günther. 


Zahlreiche in diefer Strophe verfaßte Lieder zeigen fi von Hunold und Günther 
beeinflußt. 

Ein Lied einer in der Leipziger Stadtbibliothek befindlichen Handichrift, 
von welcher Spitta Abſchrift zu nehmen angefangen hatte, „Muficalifche Rüſt— 
fammer . . . 1719" beginnt: 


Auf, mein Geift, 

Liebe, was unſterblich heißt. 
Haffe, was Verändrung heget 
Und den Schalf im Herzen träget, 
Auch mit falfhen Worten jpeift. 


In einem andern handjchriftlichen Yiederbuche, deſſen Urfprung fich ent- 
nehmen läßt aus der eigenhändigen Eintragung des Sammlers: Johann Lorentius 
Hoffmann 1720, im Beſitze Spittas, beginnt die in einer der Hunoldfchen jehr 
ähnlichen Strophe gebaute Aria 16: Seht doh an Was die lofe Liebe fan...; 
die Aria 32: Immerhin, Falſches Herze leichter Sinn . . . 4 Strophen, bietet 
das Hunoldſche Gedicht; die Aria 83 hat zwei Strophen, deren erſte lautet: 


Eine Frau 
Sit verfichert viel zu ſchlau; 
Männer müſſen das nicht wiffen, 
Wenn fih Weiber laffen Füffen, _ 
Denn fie nehmens zu genau... 


Das in der Handjchriftenabteilung der Königlichen Bibliothek zu Berlin 
befindliche, ungemein reichhaltige, um 1750 entftandene Liederbuch des Freiheren 
von Crailsheim enthält ©. 111: 


Auf, mein Geift, 
Liebe was beftändig heißt! 
Haffe was Bergnügen heget 
Und den Haß im — träget, 
Auch mit falſchen Worten ſpeiſt. 
Auf, mein Geiſt, 
Liebe, was beſtändig heißt... 8 Strophei. 


Ebenda findet fih S. 152 em Lied: Immerhin! Ob ich gleih nicht 
Jungfer bin ... 6 Strophen, und ©. 396 eins: Sei getreu Ohne falfche 
Heuchelei . . . 6 Strophen, beide genau in dev Hunold - Güntherfchen Strophe. 

Einhundertundzehn Volks- und Geſellſchaftslieder . . . herausgegeben von 
F. W. Freiheren v. Ditfurth ... 1875. ©. 276: 


Auf, mein Geift, 
Liebe, was beftändig heißt ! 
Haffe, was Verändrung pfleget 
Und den Schalf im Herzen träget, 
Was mit falfhen Worten fpeist. 
Auf, mein Geift!... 8 Strophen, 


entfprehend den 8 Strophen des dv. Crailsheimſchen Tertes. Während aber die 
Strophe „Immerhin“ bei Ditfurth als zweite auftritt, fteht diejelbe bei Crails— 


A. Kopp, Bibliographifch-kritifhe Studien über Johann Chriftian Günther. 549 


heim erſt an fünfter Stelle, fo daß dort die legten vier Strophen genau den vier 
Strophen des Hunoldſchen Borbildes entjprechen. 

Bielerörtert ift der Zufammenhang zwifchen dem Hauffichen Neiterliede: 
Morgenrot! Leuchteft miv zum frühen Tod zc. und dem Güntherfhen: Wie ge- 
dacht, Bor geliebt itzt ausgelacht zc. Die beiden Gedichte ftimmen nicht nur in 
der Strophenform, jondern auch in mehreren Redewendungen überein. Die Er— 
klärungen diefer merkwürdigen Uebereinftimmung find bisher fehr dürftig aus— 
gefallen, man wußte feine Zmwifchenglieder anzugeben, während ſolche doch in 
großer Fülle ſich nachweiſen laffen, namentlich, wenn man das ungemein kräftige 
Fortleben der durchaus eigenartigen Strophe nicht außer Acht läßt. 

Erwähnt mögen zunächſt werden einige Lieder, die, abſeits der breiten 
Heerftraße von Günthers Liebesgediht zu Hauffs Neiterlied, doch aud im der 
Richtung fich bewegten, vermöge welcher die Strophenform fih im Vordergrund 
des fünftlerifchen Zeitbewußtjeins behauptete: Brüder preist Den erhab’nen 
guten Geift ... . 4 Strophen; Phöbus finft Und die Abendröthe blinkt... . 
6 Strophen; Liebe, dein Soll mein ganzes Leben fein... 5 Strophen; — 
Stoppe, Zweite Sammlung von Teutſchen Gedichten, 1729. ©. 52; Der Parnaf 
im Sättler, 1735. ©. 243; — Koromandels Nebenftündiger Zeitvertreib, 1747. 
©. 248; u. a. ın. 

Einen förmlichen Wettjtreit der Liederdihtung in der Hunold-Güntherfchen 
Strophe ftellen die zahlreichen Gute-Nacht-Lieder dar, welche in der zweiten Hälfte 
des achtzehnten und dem erſten Biertel des neunzehnten Jahrhunderts entftanden 
und zum Zeil auf berühmte Berfaffer zurüdgehn. 


Gleim. Ständen. 
Gute Nacht! 
Mädchen, das der Liebe lacht, 
Und die fälteften der Männer 
Und die größten Herzenskenner 
Alle zu Verliebten macht! 
Gute Nacht! 
Mädchen, das der Liebe laht!... 3 Strophen. 


Schubart. Ehliche Gutenadt. 
Gute Nacht! 
Unfer Taglauf ift vollbracht, 
Goldne Sternlein äugeln wieder 
Bon des Himmels Zinne nieder; 
Und des Mondes Scheibe lacht. 
Gute Naht!... 6 Strophen. 
Mahlmann. Eine gute Nacht. 
Gute Nacht! 
Liebchen, fieh! mit goldner Pracht 
Rings umfränzt vom Heer der Sterne 
Blidt der Mond aus blauer Ferne 
Traulich lächelnd auf uns zu: 
Gute Naht und ſüße Ruh! .. 4 Strophen. 


Körner. Zur Nacht. 


Gute Nacht ! 
Allen Müden ſei's gebracht ! 
Neigt der Tag ſich ftill zum Ende, 
Euphorion II. 36 


550 A. Kopp, Bibliographiichekritiiche Studien über Johann Ehriftian Günther. 


Ruhen alle fleiß’gen Hände, 
Bis der Morgen neu erwacht. 
Gute Nadt!... 4 Strophen. 


Neuhofer. Nach dem Kränzchen. 
Gute Nacht! 
Schön ift diefer Tag vollbradt ... 6 Strophen. 
v. Dalberg. Gute Nadt. 
Gute Nacht! 
Freunde, jubelt, trinkt und ladt!... 7 Strophen. 
Boigt. Zum Bejchluffe genoffener Freuden. 
Gute Nacht ! 
Glücklich ward ein Tag vollbradt ... 7 Strophen. 
Heß. Schlußgeſang (Künſtlerlieder 1809). 
Gute Nacht! 
Froh iſt unſer Tag vollbracht! 
Kunſt und Freundſchaft wanden neue 
Kränze für des Bundes Weihe, 
Dem die Muſe freundlich lacht! 
Gute Nacht! ... 7 Strophen. 
Die Ruhe. (BVerfaffer ?) 
Gute Nacht! 
Froh ift unfer Tag vollbradıt ; 
Huch die Nacht wird fröhlich enden, | 





Träume, die uns Engel jenden, 
Kürzen auch die längjte Nacht. 
Gute Nadt!... 4 Strophen. 


Bor der Brautfammer. (Berfaffer ?) 
Gute Nacht! x 
Euch, die fanfter Liebe Macht 
Mit dem Roſennetz umftridet, 
Denen heute hoch beglücfet 
Aller Stunden Ihönfte lacht. 
Gute Nadt!... 5 Strophen. 


Einige diefer Gute-Nacht-Lieder, die fich leicht noch vermehren laffen (3. B. 
aus Challiers Lieder-Katalog S. 330— 33 und Nachträge), wird Hauff doch ob 
gekannt haben, und man fünnte faft auf die Vermutung fommen, als ob er 
vecht in herausforderndem Gegenſatz gegen das endlos abgeleierte ihlafmüten- 
jelige Gutenacht es einmal mit einem Morgenrot-Liede habe verjuchen won, 
Diefer Vermutung leiftet der Umftand Vorſchub, daß diefelben 1824 erſchienenen 
Kriegs- und Bolt3-Lieder, in denen das volfstümlich gewordene Neiterlied zum 
erften Mal erfcheint, als Schlußlied der ganzen Sammlung Körner Gute-Nadht- 
Lied bieten. | 
Die Kriegs- und Bolfs-Lieder legen auch den Schluß nahe, daß Hauffs 
Anteil an dem Liede nur ein verſchwindend geringer war, — fie bei mehreren 
andern Liedern (S. 6 Prinz Wilhelm, der edle Ritter... ., ©. 8 Wohl dem, 
der geſchworen ... ©. 16 Steh ih in finftrer Mitiernacht ... 8 0 Ta 
Hauff mit vollem Namen als Berfaffer angeben, dagegen ©. 84 das Morgentot 








A. Kopp, Bibliographifh-kritifche Studien über Johann Ehriftian Günther. 551 


namenlos druden. Es hat den Anſchein, al3 ob außer der erften Strophe fajt 
alles in dem Morgenrot-Liede dem Bolfsgefang entlehnt ift. Yeider fallen die 
Aufzeihnungen der in Betracht kommenden Bolfslieder, die als Abkömmlinge 
des Güntherichen Wie gedacht zu dem Reiterliede binüberleiten follen, in eine Zeit, 
wo letsteres ſchon wieder feinerjeits Einfluß auf das verwandte Liebeslied geübt 
haben fönnte. 


Silcher, Bolkslieder: 
Kaum gedacht, 


War der Luft ein End gemacht. 
Geftern noch auf ftolzen Roſſen, 
Heute vor die Bruft geichoffen, 
Morgen in das fühle Grab... 3 Strophen. 


Erf, Volkslieder : 
Gut gedacht, 
Aller Freud’ ein End’ gemacht ! 
Geftern Luft und Freud’ genoffen, 
Heute dur die Bruft geſchoſſen, 
Morgen in dem Fühlen Grab... 6 Strophen. 
Meier, Schwäbifche Bolfslieder: 
Ach, wie bald 
Berliert die Schönheit ihr’ Geftalt! 
Prangft du Schon mit deinen Wangen, 
Die jo ſchön wie Purpur prangen, 
Auch die Roſen welken ab... 5 Strophen. 


Höchſt verdächtig und kaum erwähnenswert iſt die von Fulda in ſeiner 
Güntherausgabe S. 41 gebotene Recenſion dieſes Volksliedes: Wie gedacht War 
aller Freud’ ein End’ gemadt . . . 5 Strophen. Ganz überflüſſig iſt auch der 
von Hoffmann von Fallersieben im Archiv für die Geſchichte deutſcher Sprache 
und Dichtung, 1. Band, Wien 1814, ©. 514 gebotene Tert des Liedes „Wie 
gedacht“, deſſen 9 Strophen genau in derjelben Reihenfolge den 9 Strophen des 
Güntherichen Liedes mit ummejentlichen Aenderungen im Wortlaut entiprechen. 
Dagegen laſſen fih aus den fliegenden Druden der Königlichen Bibliothek zu 
Berlin für das Lied zwei Necenfionen nachweiſen, welche die ftetige Meberlieferung 
von Mund zu Munde im Volksgefang vielleicht am wenigften getrübt und von 
der Kumftdihtung am menigften beeinflußt aufbewahrt haben. 

„Neue Bolkslieder”, 6 an der Zahl, ohne Ort und Jahr, darin beginnt 
das erfte: 

Wie gedacht, wie gedacht, aller Freud’ ein Ende macht. Gejtern Luft umd 
Freud’ genoffen, heute vor die Bruft geftoßen, morgen in die Gruft gebracht! 
wie gedacht, wie gedadht ... A Strophen. 

Fünf Arien und Lieder. eine Blumen, Heine Blätter. 2. Wie ge- 
dacht ... Delitzſch, zur finden in dafiger Buchdruderei. 50. 

Wie gedacht — wie gedacht, 
Edler Freiheit ein End’ gemacht! 
Geftern Luft und Freud’ genoffen, 
Heute durch die Bruft geichoffen, 
Morgen in die Gruft gebradt ... 5 Strophen. 


36* 


552 A. Kopp, Bibliographifch-kritifche Studien über Johann Chriftian Günther. 


Eine unendliche Fülle fefteingebürgerter, bequemer Strophenformen bot 
damals die Kicchenliederdihtung, die fih in vielleicht allzu veihem Schwang 
und Schwall zu Günthers Zeit noch behauptete. Schon beim VIII. Schema 
hätte al3 bei weitem befannteftes aller danach verfaßten Lieder Neumarks „Wer 
nur den lieben Gott läßt walten“ genannt werden fünnen, Einer der frucht- 
barften und glüdlichiten geiftlichen Dichter trat al$ Vorbild dem jungen Günther 
ganz bejonders nahe in der Perfon des vielbewunderten Schmolfe, der zu 
Schweidnis, wo Günther die Schule befuchte, Hauptpfarrer und Schulauffeher 
war und zu Striegau, wo Günthers Bater anſäſſig war, verkehrte und mehrere 
feiner Werfe druden ließ. Während Günther in einigen früheren Gedichten viel- 
leicht aus Berehnung fih für den einflußreihen Mann von Ehrerbietung erfüllt 
zeigt, enthalten manche Stellen feiner jpäteren Gedichte halbverhüllte, heftige Aus— 
fälle gegen Schmolfe, welcher aus Mißgunſt fein Glück zerftört, den Vater gegen 
den reuigen Sohn unheilbar verhegt zu haben befchuldigt wird. Wie dem auch 
jein mag, in Günthers Gedichten verrät fi an vielen Stellen der Einfluß des 
von dem jungen Dichter anfangs vielleicht in Anerkennung der Ueberlegenheit, 
dann aber widerwillig troß grimmigen Haffes gegen den gut und ficher gejtellten 
Mann nachgeahmten Kicchenliederdichters. Das auffälligite Beifpiel ift folgendes: 


X. 
Schmold, Geiftliche Lieder Flammen. Striegau 1704 u. ö. 
Endlich, endlich, muß es doch 

Mit der Not ein Ende nehmen; 

Endlich bricht das harte Joch, 

Endlich ſchwindet Angft und Grämen. 

Endlih muß der Kummer-Stein 

Auch in Gold verwandelt feyn ... 4 Strophen. 


Günther ©. 102: 
Endlich bleibt nicht ewig aus; 
Endlich wird der Troſt erjcheinen ; 
Endlih grünt der Hoffnungs-Strauß ; 
Endlih hört man auf zu weinen; 
Endlich bricht der Thränen-Krug; 
Endlich ſpricht der Tod: Genug!... 5 Strophen. 


Diefelbe Strophenform findet fih bei Günther noch in 11 andern Ge- 
dichten: ©. 7, 13, 17, 68, 90, 91, 97, 98, 105, 108, 1118. Bei ihnen ift die 
Anwendung der Strophe wohl mehr zufällig, dagegen ift das Gediht: Endlich) 
bleibt nicht ewig aus... in bewußter Gegemüberjtellung zum Schmolfifchen ver- 
faßt. Die Strophe an und für fih war zu Günthers Zeit jehr geläufig und 
lag wohl jedem im Gefühl; Schmolfe hat auch noch mehrere andre Lieder gleicher 
Form aufzumeifen, jo das als bejonders befannt hervorzuhebende: Meinen Jeſum 
laß ih nicht. Mit diefem Anfang und zum großen Teil in derjelben Strophen= 
form waren damals viele Kirchenlieder gebräuchlich (Linzner, Neumeifter, Mayer, 
Keymann, Löfcher, Dlearius u. a. m.) 

XI. 
Schmold, Der Luftige Sabbath. Fauer 1712. ©. 69: 

Melod. Jeſu meine Freude, meines ꝛc. 


Satans Uberwinder, 
Schaue deine Kinder 
In Genaden an. 


A. Kopp, Bibliographiich-kritiihe Studien über Johann Chriftian Günther. 553 


Bri des Teufels Stärke, 
Daß er feine Werke 
Nicht vollführen fan. 
Er ift arg 
Und auch jehr ſtark, 
Hilf uns doch jein Reich zerftören, 
König aller Ehren... 8 Strophen. 
Günther ©. 19: 
Irdiſche Gemüter 
Lieben eitle Güter 
Und geſchminkte Pracht; 
Diß ſoll mich nicht fangen, 
Mein gerecht Verlangen 
Nimmt was mehr im Acht: 
Fluch und Neu 
Und Schmach dabey 
Folgt bey Sodoms böjen Schätzen 
Auf ein kurz Ergeßen ... 5 Strophen. 


Günther hat diefelbe Strophe noch einmal angewandt in dem Gedicht 
©. 71: Himmel, ih erfchrede . . . 6 Strophen. Auch diefe Strophe war ſchon 
lange im Gebrauch und vielfach angewandt, jo von Joh. Frand „Jeſu, meine 
Freude Meines Herzens Weide“ 2c.; auf Erdm. Neumeifter, deffen von Hunold 
herausgegebene Poetik jchon mehrfach zu nennen war und welchen Günther eben- 
falls nachgeahmt hat, gehen zwei Gedichte in diefer Strophenform zurüc „Jeſu, 
meine Freude, Jh und du wir beide” 2c., „Jeſu, meine Freude, Jeſu, die wir 
beide“ zc. Bielleicht finden alle diefe geiftlichen Lieder ihr Vorbild in einem 
Liebesliede Hnr. Alberts: 

‚Flora, meine Freude, 
Meiner Seelen Weide, 
Meine ganze Ruh; 
Was mich jo verzücdet 
Und den Geift erquidet, 
Flora, das bift Du. 
Deine Pracht 
Glänzt Tag und Nacht 
Mir vor Augen und im Herzen 
Zwifchen Troft und Schmerzen ꝛc. 


Wenn man in allen diejen hier vorgeführten Fällen wohl be- 
techtigt jein dürfte, von einem geijtigen Bande zu jprechen, welches 
durch die übereinjtimmende Strophenform von Gedicht zu Gedicht, von 
Dichter zu Dichter gefchlungen wird, jo wird man in den meijten Fällen 
nicht vorfichtig genug fein fünnen, man wird ähnliche Beobachtungen nicht 
zu jehr ausdehnen, nicht zu jehr ins Eleinliche führen dürfen, wenn 
man nicht irren und nicht zufällige Aehnlichkeiten für grundlegende Zu 
jammenhänge halten will. Die nach diefer Nichtung notwendig auf 
zuftellende Schranfe ift nicht immer eingehalten worden. 

Tittmann bemerft auf ©. 127 feiner Güntherausgabe zu dem 


554 N Kopp, Bibliographiich-kritiiche Studien über Johann Ehriftian Günther. 


Gedichte „Wo ift die Zeit, die goldne Zeit“: „Die Strophe iſt einer 
Dde Flemings nachgebildet.” Weshalb denn? Für eine jo einfache 
Strophenform bedarf ein mäßig begabter Dichter feiner Vorbilder. 
Günther hat mehrere Spielarten achtzeiliger iambijcher Strophen mit 
3—4 Bershebungen unter mannigfaltiger Verſchränkung des Neims und 
verjchiedenartigem Wechjel zwiſchen männlichem und weiblichem Versende 
verſucht, dabei ergab ſich ihm eine ſolcher Strophenformen häufiger, die 
andre ſeltner, und ſo geriet er auch dreimal unverſehens in die Form, 
welche Tittmann eigens auf Fleming zurückführen will. Tittmann ſelbſt 
druckt in ſeiner Auswahl S. 206 und 208 die beiden Güntherſchen 
Gedichte ab, welche ebenſo wie „Wo iſt die Zeit, die goldne Zeit“ 
rhythmiſirt ſind, nemlich: „Mein Kummer weint allein um dich“ und 
„Ach, liebſter Schatz, verdient mein Herz.“ Iſt anzunehmen, daß Titt— 
mann, wenn er die beiden letztern Gedichte ohne Bemerfung läßt, die 
Uebereinjtimmung der Strophenform mit dem auf Fleming zurüd- 
geführten nicht beachtet habe? Yu Günthers Zeit waren ähnliche acht- 
zeilige Strophen von einfacher Bauart längjt im weltlichen und im 
kirchlichen Liede eingebürgert, ihre Form lag als Gemeingut, als eiſerner 
Beſtand in jedem dichteriſch angevegten Bewußtjein. Will man fin jene 
Gedichte Günthers oder für eins derjelben die Abhängigkeit von einem 
bejtimmten Vorbilde trogdem annehmen, warum muß es gerade Fle— 
ming jein? Canitz, den Günther jehr genau fannte, verehrte und ge- 
legentlich plimderte, hat auch ein Gedicht in jener Strophe verfaßt: 
„Das, was der Erden weiter Naum  Begreift in jeinen Schranken, 
Verfleucht als wie ein leichter Traum“ . . . in 14 achtzeiligen Strophen. 

Wie bei dieſer Güntherſchen Strophenform von Tittmann auf 
Fleming als Vorbild zurückgewiejen wird, jo deuten andre bei der- 
jelben Gelegenheit namentlich auf Grund des Gedichts „Mein Kummer 
weint allein um dich“ vorwärts auf Bürgers „Yenore fuhr ums Morgen— 
rot“. In der That läßt jich mit Zug und Necht von einer Einwirkung 
des Güntherſchen Dichtergeiftes auf Bürger fprechen, aber auch dabei 
hat man jich bisher auf eine zu jchwache Grundlage geſtützt. In einem 
jest vergejjenen Aufſatze „Schleſiſche Brovinzialblätter . . 44. Bd. 1806“ 
von J. ©. [das ift Grimdler] „Ueber zwei allzu verfannte jchlefijche 
Schriftjteller“ findet fich auf ©. 513 eine bemerfensmwerte Stelle, die 
hier zum Schluß einen anvegenden Ausblic eröffnen möge: 

„Im Thor zu Nain traf der Herr [@ 53]... wenn ich in dieſem 
Gedicht hie und da einen Nachlaß von Bürger angefündigt hätte ; würden 
Sie das ganz unglaublich gefunden haben? mir wenigjtens dünkt es, 
als fände ich Bürgers Balladenton ganz in diefem Gedicht wieder. 
Vergleichen Sie doch dasjelbe mit jeinem St. Stephan“ . . , 


A. Kopp, Bibliographiich-kritiiche Studien über Johann Chriftian Günther. 555 


Anhang. 





Eine Strophe Günthers und ein ihm untergefchobenes Gedicht. 


Niemand bisher hat bemerkt, daß das Gedicht „Das laß ich wol bleiben, 
daß ich mich verliebe“, welches in den Güntherausgaben G 1124, B 212 vor- 
fommt, zu den untergefchobenen Stüden gehört. Dasjelbe Gedicht mit unmefent- 
lichen Abweihungen findet man in: Die Allerneuefte Art, zur Reinen und 
Galanten Poesie zu gelangen... Bon Menantes .... 1717. ©. 122, 

Bei Günther hat das Gedicht nur 4 Strophen, bei Menantes 5, es fehlt 
dort die hier an vierter Stelle auftretende Strophe: 


Ich Iobe die Freyheit und liebe die Tugend 

Hier leb' ich nad) Wunfche, dort bin ic) vor mid). 
So halt ich den glüdlichften Kerlen den Stich 

Und fchmede die lieblichen Früchte der Jugend, 
Bon welder faum einer die Schalen genießt, 

Der Tugend und Freyheit durch Lieben verjchliegt. 


Abgeriffene Zeilen aus demfelben Gedichte finden fich bei Menantes auch noch 
©. 60 und 342. 

In diefer Strophe ift unter den Güntherichen Gedichten nur noch eins 
vorhanden G 258, B 202: 


Berflucht nicht ihr Mägdgen mein flüchtiges Lieben! \ 
Die Jugend, ihr wißts wohl, hat euer und Muth; 
Es fauft ja ein jeder amı liebften friſch Gut; 
Drum laß ih mich niemals den Borwurf betrüben: 
Ich wäre von Flandern umd ftriche herum; 
Das thu ich und denke: Wer fchiert fih was drum? ... 
11 Strophen. 


Diejes Gedicht, welches frech und cyniſch die freie Liebe preift, ift inhaltlich 
der Gegenjat, der Form und dem Tone nad) aber ein Seitenftüd zu dem unechten 
„Das laß ich wol bleiben“, wojelbjt Liebeshändel ganz verworfen werden; es 
liegt hier alfo der gewiß merkwürdige Fall vor, daß das Vorbild zu einer Nach— 
ahmung dem Nachahmer zugejchrieben worden ift bei inhaltlich ſchroffſtem Wider- 
jpruche nur wegen der durch die gleiche Strophenform fich von ſelbſt ergebenden 
Uebereinftimmung im Tonfall. Daß das Vorbild mur um feiner Nahahmung 
willen vom Herausgeber für Güntherifch gehalten wurde, läßt ſich noch um jo 
beftimmter nachweisen, da die beiden Gedichte in der 1725 erjchienenen Fort» 
jeßung B, wo fie zum erſten Mal unter den Güntherſchen Gedichten auftreten, 
jo nah zufammenftehen. 


556 €. Horner, Das Auftommen des engliihen Gefhmades in Wien. 


Dus Aufkommen des englifihen Ge- 
ſchmackes in Wien und Ayrenhoffs 
Trauerſpiel Rleopatra und Antonius. 


Von Emil Horner in Wien. 


Kaiſer Joſephs Negierungsantritt im jahre 1780 fallt zeitlich mit 
einer bedeutungsvollen Wendung im Gejchmade des Wiener Publiftums 
zufammen. Sieht man von den unteren und unterjten Schichten der 
Bevölferung ab, die jich allen Reformverfuchen zum Trotze ihre Vorliebe 
für die derbe Koſt der Poſſen nicht nehmen liegen und nach wie vor 
ihrem Yieblinge, dem Hanswurjt, zujubelten, ob er gleich in Namen 
und Geſtalt nicht mehr der alte war, jo erwies jich bis dahin auf die 
gebildeten Streije der Einfluß der franzöfiichen Yiteratur, jpeciell des 
franzöfischen Schaufpiels, als ibermächtig. Um nur gehört zu werden, 
hatte Sonnenfels, wie befannt, in jeinen Briefen über die wienerijche 
Schaubühne die Maske eines Franzoſen vornehmen müſſen; aber auch 
nachher noch jchien die Anziehungskraft der franzöſiſchen Bühne allen 
Bemühungen zu Gunſten der deutjchen zu jpotten. um wurde es 
anders. Auch Wien folgte dem in der ganzen vdeutjchen Yiteratur 
herrjchenden Zuge, indem es fin alles Britifche zu ſchwärmen begann. 
Faſt gewann es den Anjchein, als ob ein heißer Wunjch der jungen 
Generation unter den Schriftjtellein Dejterreichs jeiner Erfüllung nahe 
wäre: Der dauernde Anſchluß an die zeitgendfjiiche Yiteratur des 
Nordens, hinter welcher man bislang nur in vejpeftvollem Abjtande 
marjchiert hatte. In der Iyrifchen und epijchen Dichtung, namentlich 
aber im Drama und der Kritik trat der Gejchmadswandel in fühlbarer 
Weiſe zu Tage. Hiefür jteht uns außer den jchriftjtellerifchen Produkten 
jelbjt ein zeitgendfjiiches Zeugnis zu Gebote, welches um jo höhere 
Beachtung verdient, als jeine Nichtigkeit durch zwei jo verjtändige 
Yiteraten wie Natjchfy und Blumauer verbürgt erjcheint. Im Jahr— 
gange 1782 des Wiener Mujenalmanaches teilen die beiden Heraus- 
geber ein Gedicht The fate of Chloe von einem bis dahin völlig 
unbefannten Engländer namens James Kemper (dev jedesfalls in Wien 
lebte) mit und fügen die Anmerkung hinzu (S. 195): „Da es jeit 





E. Horner, Das Auftommen des englifchen Gefchmades in Wien. 557 


ein paar Jahren das Anfehen gewinnt, als ob hier in Wien die 
franzöfifche Literatur von der englifchen verdrängt werden würde, jo 
glaubt man diefen Verſuch eines jungen Mannes ohne Bedenken hier 
einrücden zu dürfen.“ Ratſchky jelbjt gehörte zu denen, welche ihre 
Gedichte nicht ungerne englifchen Originalen nachbildeten. Und Joſeph 
v. Neger, einer der fleißigjten Mitarbeiter des Muſenalmanaches, ver- 
öffentlichte darin eine ganze Neihe von mehr oder minder treuen Ueber— 
jegungen aus dem Englifchen. Sein Hauptwerk, die Choice of the 
most eminent English Poets (Wien, 1783— 86), urſprünglich auf 
drei, dann auf vier Teile berechnet, mußte infolge des ſteigenden 
Erfolges auf jechs ausgedehnt werden, wobei der Umjtand als bejonders 
wichtig hervorgehoben zu werden verdient, daß nur Dichtungen in 
Dejterreich bisher wenig gefannter Yyrifer und Epigrammatifer Auf- 
nahme fanden, da Retzer die Bertrautheit mit Shafejpeare, Milton, 
Pope und Moung, wie ev in der Widmungsvorrede an Born betont, 
bei den Wienern bereits vorausjegen durfte. 

Auf der Bühne fand die zunehmende Beliebtheit der englifchen 
Poeſie in der Aufnahme Shafejpearejcher Dramen ihren Ausdrud, nicht 
mehr als bloßer Mordſpektakelſtücke und Faſchingskomödien, zu welchen 
jie von den Bauersbach, Belzel und Stephanie zu Beginn der 7Oer Jahre 
verballhornt worden waren, jondern in von theaterfundiger Hand her- 
rührenden Bearbeitungen, die den Driginalen wenigjtens feine Gewalt 
thaten. Am 14. Februar 1778 wurde der Hamlet wieder, am 29. Jänner 
1780 der König Year neu in das Nepertoire des Nativnaltheaters ein- 
gefügt. Den König Year zählte Brocdmann zu feinen Glanzleiſtungen, 
aber gerade in diejer Rolle ſollte er jeinen Meifter finden, freilich an 
feinem Geringeren als Yudwig Schröder, der in Wien am 13. April 
diejes Jahres einen jo großen Erfolg darin feierte, daß er wenig jpäter 
an das Nationaltheater engagiert wurde. Was Schröder durch jeine 
Bearbeitungen der Shafejpearejchen Dramen, deren vorzüglichjter Inter— 
pret er zugleich war, für die Popularifierung des neuen Gejchmacdes 
in Deutjchland gethan hat, ift längft von der deutjchen Theatergejchichte 
gewürdigt worden, was er jpeciell dem Wiener Burgtheater während 
der vier Jahre, da er feinem Verbande angehörte (April 1781 bis 
9. Februar 1785) gewejen ift, muß ihm nicht minder hoch angerechnet 
werden. Wien, das in der Yiteratur zurückgeblieben war, jchien jo 
vecht die Stätte für feinen Trieb, zu veformieren; nur leider, daß er 
mit jeinem Feuereifer, der fich wohl zuweilen mit der Nückjichtslofigfeit 
des Genies iiber jeine Schranfen hinmwegjeßte, vielfach Anftoß erregte; 
und als ihm vollends Fleinliche Chicanen und Schaujpielerintriguen 
nicht erjpart blieben, trieb es ihn bald wieder fort nach Hamburg, an 
die Stätte jeines früheren Wirfens. Aber ev hatte lange genug in 


558 €. Horner, Das Auffommen des englifchen Gefchmades in Wien. 


der Kaiſerreſidenz verweilt, um hier den Sieg des englifchen Geſchmackes 
zu eimem vollftändigen zu machen. Nicht nur, daß während der Zeit 
jeines Engagements bei dreißig jeiner eigenen, zumeift auf englijche 
Vorlagen zurücgehenden Stüde, darunter viele zum exjtenmale überhaupt, 
aufgeführt winden, auch eine ganze Reihe den Wienern bis dahin 
unbefannter Dramen Shafejpeares gelangte mit Schröder in den Haupt- 
vollen zur Darftellung. Gleichwohl war Schröder weit davon entfernt, 
Shafejpeare mit allen jeinen kraſſen Effeften auf die Bühne zu bringen 
oder ich gar für dejjen blinde Nachahmer in Deutjchland einzujegen. 
Auch in jeiner Hamletbearbeitung finden Scenen wie die auf dem 
Sticchhof oder Ophelias Yeichenbejtattung noch immer feinen Pla und 
über die Stürmer und Dränger jchrieb er gerade aus Wien mit bejonderer 
Beziehung auf Schiller, von dejjen Dramen er allerdings bloß die beiden 
eriten fannte, an Dalberg nach Mannheim: „ch haſſe das Franzöfische 
Irauerjpiel — als Trauerſpiel betrachtet —, aber ich haſſe auch dieje 
vegellojen Schaufpiele, die Kunſt und Gejchmad verderben.“ Indem 
Schröder die wirklich nußbaren Vorzüge der Shafejpearijchen Kunft von 
den Fehlern, die feine Nachahmung verdienten, zu jcheiden verjtand, 
bewies er, wie jehr jich jeine Auffafjung hier über den einjeitig be- 
wundernden Standpunkt der Driginalgenies, dort den ebenjo einjeitig 
negierenden der Anhänger des franzöfiichen Klaffizismus erhob. Und 
jpeciell in Dejfterreich, wo jich die Vertreter der beiden extremen 
Richtungen auf das heftigite befriegten, ohne doch zu einem nur einiger- 
maßen befriedigenden Nefultate zu gelangen, war Schröders vermittelnde 
Haltung die einzige, von der für die unter neuem Kurſe jteuernde 
Bühne des Nationaltheaters etwas wirklich Exjprießliches zu erhoffen war. 

Einen ähnlichen Standpunft vertrat Joh. Friedr. Schinf in der 
Kritik. Zwiſchen ihm und Schröder bejtand ein inniges Freundſchafts— 
verhältnis, das nur vorübergehend durch Kouliſſentratſch gejtört wurde. 
Wie er mit Schröder gleichzeitig nach Wien gefommen war, das auch 
ihm als günftiger Boden für jeine Reformbeſtrebungen erjchien, jo zog 
ihn der Tragöde 1789 auch wieder als Theaterdichter nach Hamburg. 
Bevor Schinf noch in Wien feine dramaturgijche Thätigfeit zu entfalten 
begann, hatte er jich bereits durch einige dramatijche Arbeiten einen 
nicht unrühmlichen Namen gemacht. Sie verraten jämtlich ein genaues 
Studium Leſſings und Shafejpeares, die er auch jpäter in feinen 
fritiichen Schriften jtets als höchjte Mufter empfahl. Seine Tragddie 
Gianetta Montaldi, eine fede Zufammendichtung von Emilia Galotti, 
Clavigo und Othello (vgl. Minor, Zeitjchrift für deutfche Philologie 
20, 55 ff.) hatte im Wettbewerbe um den von Schröder in Hamburg 
ausgejegten Preis (28. Februar 1775) Hinter Klingers Zwillingen, die 
den Preis befamen, wenigjtens ein ehrenvolles accessit davongetragen. 


E. Horner, Das Auffommen, des englifchen Gefchmades in Wien. 559 


Aber er unterjcheidet jich von. diejem jowohl wie von den übrigen 
Driginalgenie3 durch eine gewiſſe Mäßigung; ihren Uebertreibungen 
trat er. in jeinem vornehmlich gegen „die Fleinen, nachkläffenden Hunde“ 
gerichteten Marionettentheater (Wien, Berlin, Weimar 1778) entgegen, 
worin ein. derber Prolog des Hanswurſts jelbjt Goethe perfifliert 
(vgl. 2. Geiger, Goethejahrbuch 1885 ©. 356 ff.). In Wien nun 
nahm Schinf eine ähnliche Stellung zum Theater ein, wie jein Borbild 
zu einer etwa ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Zeit in Hamburg; 
und ſeine Dramaturgiſchen Fragmente, deren erſter Band 1781 herauskam 
und wie die drei Jahre früher erſchienenen Dramaturgiſchen Monate 
dem Profeſſor Engel in Berlin gewidmet war, weiſen deutlich auf die 
Hamburgiſche Dramaturgie als auf ihr Muſter hin. Auch ihnen geht 
eine Ankündigung voran, die, mit journaliſtiſcher Gewandtheit geſchrieben, 
von den Intentionen des Dramaturgen Nachricht gibt. Den Weg der 
Wahrheit” will er, durch fein Bellen und Blaffen verjchüchtert, bis ans 
Ziel verfolgen und jich wie die Griechen die Schönheit zum Haupt— 
gejeß machen. Darum eifert er gegen den Naturalismus in der Kunſt; 
denn wenn auch die jchmußige Natur im Grunde wahr jei, jo gehöre 
jie doch nimmermehr auf die Bühne, welche eine Schule, wenn nicht 
der guten Sitten, jo doch des guten Geſchmackes jein jolle. Braktijch 
juchte Schinf nun die Nichtigkeit feiner Grundjäße auf die Art des 
Hamburger Dramaturgen im Anjchlufje an die im Nationaltheater neu 
aufgeführten Stücke zu beweijen. Hierin jtieß er auf den Widerjtand 
eines Mannes, der die auf Yellings Autorität geftügte Propaganda des 
begabten Dramaturgen für eine neue dramatijche Kunſtrichtung, der 
Shafejpeare jeinen Namen lieh, nicht anders denn als eminente Gefahr 
für feine eigene, ohnehin ſtark erſchütterte Position betrachten und darum 
mit allen Mitteln befämpfen mußte. 

Yangjt hatte Cornelius Hermann dv. Ayrenhoff jeine bejte Zeit 
hinter jich. Im gleichen Jahre wie Wieland und Sonnenfels in Wien 
geboren, hatte ex jich, einer Familientradition folgend, die militärijche 
Yaufbahn erkoren, als Offizier in den hervorragenditen Entjcheidungen 
des jiebenjährigen Krieges nicht unrühmlich mitgefämpft, um fich ſodann 
in der Friedenszeit auf Anregungen Hin, die er teils von einer Gräfin 
Burghaufen, teils von Nabener erhalten hatte, als Dilettant mit dev 
Yiteratur zu befajjen. Was er jchrieb, gehörte dem dramatiſchen Gebiete 
an und war fir Die Wiener Bühne bejtimmt, deren Verwilderung 
Sonnenfels eben — die Ausrottung der extemporierten Stücke in 
einen Zuſtand der Ordnung umzuwandeln ſtrebte. Da Ayrenhoff ſich 
im Trauerſpiele die beiten Vertreter der tragedie classique, im Yuft- 
jpiele Moliexe und feine Schüler in Deutjchland als Mufter vor Augen 
hielt, jo waren jeine vegelmäßigen Stücke dem Verfaſſer der Briefe 


560 €. Horner, Das Aufkommen des engliſchen, Gefhmades in Wien. 


iiber die wienerijche Schaubühne hoch willfommen, wiewohl gerade er 
jich gegen ihre Schwächen am wenigjten verjchloß. Indem ex ihn 
daher auf der einen Seite als Patrioten pries, der fich durch Fort- 
jeßung jeines löblichen Thuns den Danf aller Baterlandsfreunde erwerbe, 
hielt ev auf der anderen mit wohlgemeinten Vorſchlägen nicht zurück, 
die den Dichter allmählich jeine blinde Anhängerjchaft an die jeit 
Yejjings Hamburgiſchem Feldzug arg disfreditierten Franzoſen aufgeben 
und eine jelbjtändigere, dem veränderten Geſchmacke mehr entiprechende 
Haltung gewinnen lajjen follten. Die unverfennbare Abnahme jeiner 
anfänglichen Beliebtheit beim Publifum, als er dennoch in feiner alten 
Manier fortfuhr, hätte ihn gleichfalls an eine Wendung in feiner Ichrift- 
jtellerijchen Ihätigfeit mahnen können; aber er blieb jelbjt der ein- 
dringlichiten Sprache gegemüber taub, indem er jich mit echt ſoldatiſcher 
Hartnäcigfeit der Fahne, zu der er einmal gejchworen, nicht abjpenjtig 
machen ließ. Mit Sormenfels überwarf er fich und als er, wie um 
jenem zum Trotze an einen Größeren zu appellieren, jein Trauerſpiel 
Antiope Leſſing zueignete, erfüllte diefer, wie es jcheint, nicht einmal Die 
einfache Höflichkeit einer Danfbezeigung. Das Trauerjpiel Tumelicus, 
in dem jich Ayrenhoff zu dem einzigen ihm möglichen Zugeſtändnis 
herbeiließ, daß er eine nach dem Muſter der tragédie classique erfundene 
Handlung in das Koſtüm der Klopſtockſchen a fleidete, vermochte 
auch nur einen chtungserfolg zu erringen. Da fehrte er wieder zum 
Luſtſpiel zurüc, in dem, wie die ungemeine Beliebtheit des Poſtzugs 
erkennen ließ, das eigentliche Schwergewicht ſeiner Begabung lag; in 
moderniſierter Form nahm er in ſeiner Gelehrten Frau (1775) das 
Thema von Molières femmes savantes wieder auf, indem er zugleich 
die Elemente litterarifcher Satire, welche die Borlage enthielt, zu einer 
umfangreichen Parodie, jeiner erjten großen Enunciation gegen Die 
Gefahren des Shakeſpeare-Kultes, ausgejtaltete. 
ern von Wien feinem militärischen Berufe lebend, ließ Ayrenhoff 
in den nächjten fünf Jahren nichts von jich hören; unberührt von den 
großen Ereignijjen, die jich mittlerweile im Wiener Theaterleben voll- 
zogen, verbrachte er in Troppau und Kremſier jeine Tage. Die neue 
Drganifation des deutjchen Theaters, das Joſeph 11. als National- 
theater unter jeinen eigenen Schuß nahm, das Engagement bedeutender 
Künſtler, die Einführung von Tantiemen fallen in dieſe Zeit. Aber 
Ayrenhoff rührte fich nicht. Unſchwer erfennt man die Urfache jeines 
— in dem zunehmenden Geſchmacke an der angliſierenden 
Dichtung, der nun auch in Wien um ſich griff. Ws Ayrenhoff ſich 
daher zu Anfang des Jahres 1780 der dramatischen Produktion wieder 
zuwandte, geſchah es in einem Yuftjpiele „Alte Liebe vojtet wohl“. 
Hier fam der Parteiftandpunft weniger in Betracht, wiewohl ſich auch 


E. Horner, Das Auffommen des englifhen Geihmades in Wien. 561 


das Charafterluftjpiel nur mehr geringer Beliebtheit erfreute. Zwar 
wurde das Stüf vom Theaterausſchuſſe als Preisſtück aufgeführt, 
aber das Publifum lehnte es ab; die dritte Vorftellung, eben die, 
welche ihren Neinertrag dem Berfafjer abwerfen jollte, war auch die 
legte. Daß er im Luſtſpiel wenigjtens während der fünf Jahre nichts 
hinzugelernt, erwies fich durch diejen Mißerfolg zu Genüge; und es 
wäre nur ein Zeichen von Klugheit gewejen, wenn er ich jet von 
einer Bühne, die ihm und der er nichts mehr war, für immer zurüc- 
gezogen hätte. Vielleicht trug er ſich auch mit diefem Gedanfen, doch 
da erjchien Friedrichs des Großen berühmte Schrift iiber die deutjche 
Literatur mit ihrem ungeheuerlichen Yobe des Ayrenhoffjchen Boftzugs. 
„Les amans de Thalie“, jchrieb der fünigliche Kritifer, nachdem ex 
jich unmittelbar vorher in der abfälligjten Weife über den Zuftand des 
ernjten Dramas in Deutjchland ausgejprochen hatte, „ont été plus 
fortunes; ils nous ont fournis du moins une vraie comedie 
originale; c’est le Postzug, dont je parle: La piece est bien 
faite. Si Moliere avoit travaill& sur le m&me sujet, il n’auroit 
pas mieux reussi“ Mit einem Schlage war Ayrenhoff zum viel- 
beneideten Helden des Tages geworden. Nun fonnte von einem Auf- 
geben jeiner Bühnenjchriftitellerei nicht mehr die Nede fein; er ent- 
faltete im Gegenteile eine ‘Produftivität wie nie zuvor. In den beiden 
Jahren 1781 und 1782 ließ er nicht weniger als vier Stücke er— 
jcheinen, drei Yujtjpiele und eine Tragödie, von denen drei im National- 
theater zur Darjtellung gelangten. So mächtig war die Wirfung des 
föniglichen Yobes, daß Ayrenhoffs Irene wenige Monate nach dem 
Bekanntwerden der Schrift über die deutjche Yiteratur zur Feſtvorſtellung 
des Nationaltheaters auserjehen wurde, als dieſes nach der Trauer 
zeit um Maria Therefia am 21. Januar 1781 jeine Pforten wieder 
öffnete. Aber gerade die Jrene, ein chriftliches Märtyrerjtüc von der 
Gattung, die Leſſing jchon vor fünfzehn Jahren auf das lebhafteſte 
befämpft hatte, konnte einem Publikum nicht behagen, das vor furzem 
dem Schröderjchen Year zugejubelt hatte. Wieder ward das Breis- 
ſtück mit dev dritten Aufführung begraben. Und doch erlebte die Irene 
noch mehr Borjtellungen als das Singjpiel Der Nationenftreit, das 
zweimal, diejes mehr als das Luſtſpiel Die Freundſchaft der Weiber, 
das nur einmal gegeben wurde! 

Nichts qualvoller als das Ningen eines längſt aus der Mode 
gekommenen Schriftjtellews- um die Gunft einer Menge, die über dem 
augenbliclichen Vergnügen jedes pietätvolle Gedenken vergangener Größen 
aufgibt. Die Berhältnijje geftalteten jich fin Ayrenhoff auch da nicht 
bejjer, als Joſeph II., ein Freund verfificierter Dramen, felbjt die 
Initiative zur Nehabilitierung der Alexandrinertragödie ergriff. Ex 


562 €. Horner, Das Auffommen des englifchen Geſchmackes in Wien. 


lieg Stüde wie Schlegeld Trojanerinnen und Canut neu in Scene 
jegen, auch den Codrus von Cronegk (vom 4. September 1777 bis 
29. Juni 1786 im Ganzen achtmal) wieder aufführen, endlich Gotters 
eubearbeitungen der Boltaivejchen Tragödien: aber die neue von 
Shafejpeares Studium ausgehende Richtung war bereits allzufehr er— 
ſtarkt, als daß ſie jich durch den jchwächlichen Gottjchedianismus wieder 
hätte verdrängen laſſen. Da war es das wegwerfende Urteil der 
Sridericianischen Schrift über Shafejpeare und jeine Nachahmer, aus 
dem jich Ayrenhoff den Mut zu jeiner über alles Maß hinausgehenden 
Bolemif gegen den Briten holte. and er hier doch von Shafejpeares 
Stücen als von lächerlichen, der Wilden von Kanada würdigen Farcen 
und von dem Götz als von einer abjcheulichen Nachahmung  diejer 
gejprochen,; es war derjelbe Shafejpeare, derjelbe Götz, gegen die 
Ayrenhoff vor fünf Jahren in der Gelehrten Frau wohl mit den 
Waffen der Parodie, aber feineswegs mit jo grobem Gejchüß zu Felde 
gezogen war. Stein Wunder, daß ihn die -Genugthuung, an der Seite 
eines Friedrich kämpfen zu Dürfen, gegen die neue Richtung noch 
unduldjamer machte als diefer jelbjt war. Von einer halbwegs richtigen 
Beurteilung der Dinge fonnte nun vollends Feine Rede mehr jein. 
Schon in der Entgegnungsschrift, die Ayrenhoff wenige Monate nach 
dem Erjcheinen des königlichen Aufjages unter dem Titel „Schreiben 
eines aufrichtigen Mannes an jeinen Freund über das berühmte Werf 
de la litterature allemande“ (Frankfurt und Yeipzig) veröffentlichte, 
trug er die ſchwerſten Irrtümer mit dem Tone der Unfehlbarfeit vor. 
Sp verwies er darin auf Schlegels, Cronegks und Weißes Mufter, 
die jchon dor drei Jahrzehnten die lorbeerreiche Bahn eines Sophofles, 
Euripides, Nacine und Voltaire betreten hätten, und vergaß nur, daß 


alle iiber den orthodoxen Negelzwang des Alerandrinerdramas Hinaus- 


gefommen waren, Schlegel und Weiße ich jogar, freilich jeder auf 
jeine bejchränfte Weiſe dem Einfluffe Shafejpeares überlafjen hatten. 
Nur eine Konjequenz war es ferner, wenn Ayvenhoff die Kritik mit 
Vorwürfen überhäufte, da fie es war, die in leßter Linie für den 
britischen Dichter den Ausjchlag gab. Von Ye ſſing hätte er am liebſten 
geſchwiegen, wie ja auch der königliche Autor ſeiner keine Erwähnung 
gethan hatte; aber er mußte ſich notgedrungen mit ihm befaſſen, da 
Graf Lamberg, an den Ayrenhoff ſein Schreiben adreſſierte, gerade 
wegen der Nichtnennung Leſſings über Friedrich ungehalten war. Von 
der beſonderen Hochachtung, die Ayrenhoff noch bei Gelegenheit der 
Leſſing zugeeigneten Antiope dem „ſcharfſinnigſten Kunſtrichter“ bezeigte, 
blieb nun freilich nicht mehr viel übrig. Die Literaturbriefe, meinte 
er, hätten durch die Art, wie ſie Duſch und andere behandelten, ein 
gar böſes Beiſpiel gegeben, ſie allein trügen an dem Pasquillenton 





* 


E. Horner, Das Auffommen des englifhen Gefhmades in Wien. 563 


jo vieler kritiſcher Schriften Schuld. Die Hamburgiſche Dramaturgie 
(in der Vorrede zur Antiope noch die „vortreffliche”) hätte Danf dem 
analytijchen Geijte ihres Berfajjers das Meifterjtück ihrer Art, das 
allgemeine Lehrbuch dramatijcher Kunſt werden fünnen, wenn Die 
epidemifche Zankſucht nicht auch über Leſſing jo viel Gewalt gehabt 
und ihn in feinen feindjeligen Yaunen gegen die tragischen Dichter der 
Franzoſen jo oft über die Grenze des Wahren hinaus getrieben hätte. 
Nichtsdejtoweniger, führte er weiter aus, müfje man jeinen fritijchen 
Schriften die Gerechtigfeit widerfahren lajjen, daß jie zu den lehr- 
reichjten und jcharfjinnigiten gehören, die eine Nation aufweijen fünne, — 
nur werde Melpomene noch lange jeufzen, daß er zu viel Böſes von 
Eorneille und Voltaire und viel zu viel Gutes von Shafejpeare ge- 
jchrieben habe. Auch auf Leſſing den Ueberjeger fam Ayrenhoff ge- 
legentlich der Auslafjung Friedrichs über den Mangel an guten deutjchen 
Ueberjegungen zu jprechen, indes bloß, um ihn wegen der überflüffigen 
Berdeutjchung Diderots zu tadeln; hätte ex jtatt dejjen des Ariftoteles 
Dichtfunft überſetzt, ſie wäre zuverläſſig Danf feinen jcharfjinnigen 
Anmerkungen ein Schaß der deutjchen Literatur geworden. 

Gerne hätte jich Ayrenhoff des Weiteren über das deutjche Theater 
ausgejprochen; da aber Friedrichs Schrift ſelbſt jich nur im Vorbei— 
gehn mit ihm befaßte, jo verjparte jich der „aufrichtige Mann“, was 
er noch auf dem Herzen hatte, für eine andere Gelegenheit. Und 
dieje ergab jich denn faum anderthalb Jahre jpäter, als die oberwähnten 
Dramaturgifchen Fragmente Schinfs zu erjcheinen und den Dichter gleich- 
jam auf jeinem eigenen Grund und Boden zu gefährden begamnen. 
Gegenüber der unverhüllten Mißachtung all der Principien, die Ayren- 
hoff bislang als die einzig richtigen angejehen hatte, vermochte ex den 
Drang nach einer gründlichen Auseinanderjegung mit den Männern 
der neuen Richtung nicht länger zurüczudämmen. Er that es in dem 
„Schreiben an den Herrn Verfaffer der Dramaturgijchen Fragmente über 
Deutjchlands Theaterwejen und Theaterfunftrichtereyg“ (1782). Niemals 
zuvor hat Ayrenhoff jeinen Standpunft — es tft der Eorneilles, Voltaives 
und Crébillons — wie ex ojtentativ oft betont, mit jolcher Entjchiedenheit 
gewahrt. Unbelehrt von dem Verfafjer dev Hamburgijchen Dramaturgie 
ruft ex die Franzoſen, die Muſter jeiner dramatischen Erftlingsverjuche, 
auch jest noch als Autoritäten an, überzeugt, daß die Regeln der 
großen antifen Theoretifer von niemand bejjer al3 von ihnen beobachtet 
worden. Das iſt der Tenor, der durch die ganze Abhandlung geht, 
deren Höhepunkt durch die Ablegung feines dramaturgijchen Glaubens- 
befenntnifjes markiert wird: „Ich glaube jo fejt an diefe zween großen 
Kenner dramatijcher Kunst (Ariftoteles und Horaz) daß ich jeden Dichter, 
der unfähig ift, die Gründlichfeit ihrer Gejege zu erfennen, für un- 


564 €. Horner, Das Nuffommen des englifhen Geihmades in Wien. 


fähig halte, etwas wahrhaft Schönes fin das Theater zu erzeugen.“ 
Aber gleich die erſte Necenfion der Fragmente, jene über die Eugenie 
des Benumarchais, ließ die Kluft zwiſchen dem guten Gottjchedjchen 
Slauben und dem Unglauben der Modernen zutage treten: Schinf 
nahm jich Heraus, über Corneille, Voltaire und Grebillon zu jpötteln. 
Dies genügte, um das günftige Vorurteil, welches die prächtigen Grund- 
jage der Ankimdigung in Ayrenhoff für den Dramaturgijten erregt 
hatten, in jtarfes Mißtrauen zu wandeln. Doch vollends ſchlug es 
in die feindſeligſte Stimmung um, als Schink den Theaterausſchuß an— 
griff, der doch kurz zuvor die Ayrenhoffſche Irene als Preisſtück an— 
genommen hatte, ala ev gelegentlich der Henriette Großmanns in 
einer allerdings jonderbaren Vergeſellſchaftung Yejfing, Engel, Goethe, 
Yenz, Gotter und Brandes mit Auszeichnung nannte, Shafejpeares 
Hamlet hauptjächli um jeiner Charaktere willen als ein Mleijter- 
ſtück, Shakeſpeare jelbjt als den vortrefflichjten dramatijchen Dichter, 
endlich Leſſing wegen jeiner Emilia Galotti in allzu überjchwänglicher 
Weije als den erſten, einzigen unerreichlichjten von Deutjchlands Schrift- 
jtellevn bezeichnete. Zwar fiel es Ayrenhoff nicht ein, fich für- ein 
Stück vom Schlage der Henriette zu ereifern; wehte doch auch in 
diejem Yuftjpiele der neue nationale Geift der Minna von Barnhelm, 
der jenem der Ayrenhoffichen Komödien durchaus entgegen war. Gleich— 
wohl hätte er eher ein Yob Großmanns hingenommen als das eines 
Goethe. Denn jeit Friedrich der Große Danf einer ironiſchen Ver— 
fettung der Umftände von allen deutjchen Dramatifern bloß Ayrenhoff 
und Goethe in Betracht gezogen hatte, un jenen über Gebühr zu er- 
heben und diejen als Nachahmer Shafejpeares zu verunglimpfen, hatte 
Ayrenhoff ein eiferfüchtiges Auge auf Goethes Ruhm; er Fonnte ihn 
nicht loben Hören, ohne das Gefühl einer perjünlichen Beleidigung zu 
empfinden. So verbindet er auch jeßt mit Goethes Exrniedrigung feine 
eigene Erhöhung. Denn nur darauf zielt e$ ab, wenn er Großmanns 
Henriette bei allen ihren Schwächen doch immer für ein  bejjeres 
Stück erklärt als alle, die Goethes (und Yenz’) Genius bisher zur 
Welt gebracht habe. Und nicht genug damit, gibt ev Schinf auf die 
unfeinfte Art einen Winf darüber, was fir ein großer Mann er, Ayren- 
hoff, eigentlich jei, indem ex, Friedrichs Worte über Goethe ins Grobe 
variierend, don „dieſem geſchmackloſen Nachahmer des Shakeſpeariſchen 
Unrats“ ſpricht. Freilich als die Iphigenie herauskam, die Ayrenhoff 
ſpäter wie eine tragédie classique beurteilte, lernte ex ihren Ver— 


fafjer von einer bejjeren, objchon noch immer nicht quten Seite fennen 


und fchwächte nun fein Verdammungsurteil, indem er mit gönnerhafter 
Herablafjung anmerfte: „Herr von Goethe büßte ſeit jener Zeit jeine 


no 


dramatifche Hauptjünde dadurch ab, daß er uns einige Stüde lieferte, 


üö—————— 





E. Horner, Das Aufkommen des englifhen Gefhmades in Wien. 565 


die weit mehr äjthetijchen und moralijchen Wert haben als jein Götz 
von Berlichingen.“ 

Doch nicht nur über Shafejpeares Nachahmer, auch über diejen 
jelbjt bricht Ayrenhoff, wie natürlich, den Stab. Er ift jein Haupt- 
feind, gegen den er mit umverächtlich polemijcher Kraft Schlag um 
Schlag führt. War der Haß gegen alles, was mit dem britijchen 
Dichter in Zufammenhang zu bringen war, in der „Gelehrten Frau“ 
noch verhüllt durch die Komik der Parodie und der durchgehenden Ueber- 
triebenheit der Darjtellung, jo tritt ev nun offen und auf jcharfe Kritik 
gegründet hervor. Zwei Welten ſtehen fich hier gegenüber, eine ab- 
jterbende und eine, die in voller Entwicklung ift; jchon äußerlich find 
jie durch ihre Vertreter, den jugendlichen Schinf und den nahezu doppelt 
jo alten Ayrenhoff, gekennzeichnet. Und wie faft immer, wo das befjere 
Neue gegen das Beraltete im Kampfe jteht, jenes aus dem übervollen 
Herzen jeine Kraft holt und dieſes aus dem Berjtande, jo jeßt auch 
Ayrenhoff der hellen Begeijterung Schinks jeine fühle Ueberlegung 
entgegen. Und diejer legt er das ganze, jeit Gottjcheds Tagen bis 
zur Yücenlofigfeit bereicherte Bemweismaterial zur Anklage gegen Shafe- 
jpeare zu Grunde. Gerade an den jchwachen Punkten der Fragmente 
jeßt Ayrenhoff ein, um ſich mit wachjender Freude am Kampfe, der 
ja jein Beruf war, zuleßt über Schinf hinweg dem ungleich größeren 
Shafejpeare allein gegenüberzuftellen. Schink hatte indirekt zugegeben, 
dag Plan und Stataftrophe Shafejpeares jtärfite Seiten nicht wären, 
indem er dejjen Charaktere höher gejtellt hatte. Als treuer Schüler 
der Franzoſen erklärt Ayrenhoff umgekehrt gerade Blan und Kataſtrophe 
für wejentlichere Teile des Dramas denn die Charaktere, deren meifter- 
haften Schilderung noch immer fein höheres Berdienit als das eines 
poetijchen Theophraſt oder Ya Bruyere zufomme. Aber er nimmt es 
auf ich, zu ‚beweilen, daß Shafejpeare nicht einmal dieſe geringere 
Kunſt eines Charakterzeichners bejiße. Aus den Charakteren eines 
Hamlet, Heinrich IV. oder Othello fünne man, wie Ayrenhoff durch 
eingehende Analyje zeigt, unmöglich zur Ueberzeugung ſeiner Meiſter— 
jchaft darin gelangen, man müßte jie denn in der Schilderung von 
Karren, Totengräbern, Yajtträgern und Trunkenbolden juchen. Hamlet 
jelbjt jcheint ihm ein Gejchöpf diefer Art zu fein: denn zu welch 
anderem Zwecke müßte er das ganze Stüc hindurch den Wahnfinnigen 
jpielen? An dieſer Stelle begegnen wir einem jchwachen Berjuche 
Ayrenhoffs zu einer gerechteren Beurteilung des britijchen Dichters, 
indem er dejjen Fehler nach Herders Vorgang aus lofalen und tempo- 
ralen Berhältnifjen heraus entjchuldigt. Ex jucht nach einer Erklärung 
für die Bevorzugung jo außergewöhnliche Charaktere und findet fie in 
Shakeſpeares Abhängigkeit von dem Pöbel feiner Zeit, dem eine würdige 
Euphorion IL, 37 


566 €. Horner, Das Auffommen des englischen Gefchmades in Wien. 


Zeichnung von Königen und Prinzen zu wenig Reiz geboten; jo mußte 
jie Shafejpeare zu Yuftigmachern degradieren. Und dieſe jonderbare 
„Rettung“ halt den Aufklärer zu jehr in Banden, als daß er ſie nicht 
auf die Shafejpearejche Gabe der Darftellung erweiterte. Shafejpeare 
bejigt allerdings eine Kunſt: die, Karrifaturen zu ſchildern, d. h. alles 
das, was Über die Natur hinausgeht: Imbecille, Wahnfinnige und 
Delirierende, Geſpenſter und Zauberer. Solche Charaktere haben wohl 
auch ihren Wert, doch bloß für den Kenner. Vielleicht iſt Shakeſpeare 
der größte poetijche Maler diejer Gattung, aber jein Verdienft im Ber- 
gleich zu dem, welches den Darftellern der wahren und jchönen Natur 
zufommt, iſt nur das eines Höllenbreugel gegenüber dem höheren eines 
Raphael oder Eoreggio, Titian oder Mengs. Rubens zwar habe in 
beiden Genres gemalt: doch während jein Xaverius, der die Teufel 
austreidt, nur auf Halb- und Nichtfenner einen freilich überwältigenden 
Eindruck mache, wie man fich in der Ffaijerlichen Bildergalerie über- 
zeugen könne, werde der wahre Kenner das daneben hängende Gemälde 
von der Himmelfahrt Maria nicht gegen ein halbes Dußend Kaveriuje 
eintaujchen. Man fieht, daß auch Ayrenhoff ich dem Banne der Shafe- 
jpearejchen Dramen nicht entziehen fonnte, und ungejagt birgt jich in 
diejer Bolemif das Geftändnis, daß er ihn für einen bedeutenden Dichter 
halte. Es iſt wichtig, darauf zu verweilen, weil Ayrenhoff mit, echt 
Sottjchedjcher Hartföpfigfeit bald auch dieſe jchwachen Spuren einer 
objektiven Erfenntnis zu Gunften einer jedes verjtäandnispolle Eingehen 
von en ablehnenden Haltung verleugnete. 

Vielleicht noch weniger Entgegenfommen bewies er indeß den 
Betrebungen derer, die jich durch die Schilderhebung Shafejpeares in 
Deutjchland die Yiteratur zu erobern juchten. Denn ihnen gegenüber 
war er in der Lage eines Menjchen, der jeinen bedrohten Beſitzſtand 
verteidigen mußte, weil er jonft nicht gewußt hätte, wovon leben. Als 
der Gefährlichjte unter diejen, weil begabt und in Wien jelbjt thätig, 
erjchten ihm Schinf. Borläufig allerdings lagen für diefen die Um- 
jtande nicht günftig, wie fie jich auch nachher uicht bejjerten. Mit dem 
TIheaterausjchuß jtand er auf dem Kriegsfuße; er warf ihm Nachläffig- 
feit und Yiederlichfeit in dev Führung der Gejchäfte, ein Zumbejten- 
halten von Hofdireftion, Publifum und Autoren vor. Ayrenhoff war 
noch bejtrebt, die Kluft zu erweitern, indem er fir den Ausſchuß 
Partei ergriff. Zugleich jeßte er Schink auch als Dichter vor dem 
DL herab. Schinf hatte Dueis, einen befannten Franzoſen, der 
viele Dramen Shafejpeares einer verwäljernden Bearbeitung unterzog, 
übel vecenfiert und jeinen Hamlet perjifliert. Ayrenhoff jeinerjeits er- 
flärt einige Scenen daraus für weit wertvoller denn alles, was Schinf 
bislang für das Theater geleiftet, die Gianetta Montaldi mitinbegriffen. 


AT 7, 1° au a Are u A 


E. Horner, Das Auffommen des engliſchen Gefhmades in Wien. 567 


Und er verwahrt jich mit einem deutlichen Nebenblick auf Leſſing, dem 
er bei anderer Gelegenheit dasjelbe vorwirft, gegen die jeit einiger Zeit 
übliche VBerjpottung der franzöfiichen Dramatifer. Das jei wahrlich 
nicht die Art der Weiße, Mendelsjohne und Garve, die er Schinf aufs 
angelegentlichjte zum Mufter empfiehlt. Eine neue Seite, die des Auf- 
flävers, fehrt er jodann gegen Schinfs Vorjchlag heraus, die unmodernen 
Heren des Macbeth zu einer höheren Gattung von Zauberinnen zu er- 
heben, indem man ihrem Koſtüm und Ausdruck einen fürchterlich feier- 
lichen Ausdruck verleihe: „Alſo nicht nur unfern Geſchmack verderben, 
auch unjern Glauben an Yaubereyen wollen Sie erhöhen und jtärfen? 
Sie wollen diefe Hirngejpinnfte des Aberglaubens, dieje häßlichen Ge- 
ichöpfe der Dummheit, die Thomafius mit jo vühmlicher Mühe aus 
Deutjchland und Swieten aus Ungarn verbannt heben, wieder zurid- 
wufen? und das alles, um durch einen ftärferen Glauben an Heren und 
Geſpenſter uns das unvergleichliche Trauerſpiel interejjanter zu machen?“ 
In dem Mumde eines anderen müßte man dieje Entrüftung als eine 
Parodie auf Schinf betrachten, der doch mit jeinem Vorſchlage vein 
poetijche Abfichten verfolgte. 

Man fieht, der Geiſt des Widerjpruchs, der Ayrenhoffs ganzes 
Weſen beherrjchte, ließ jeinen Tadel wie feine Angriffe nicht jelten 
jelbjft nur eines Scheines von Berechtigung ermangeln. Ex jcheute 
jich nicht einmal, Principien, die mit jeinen eigenen gar nicht jo jehr 
im Widerjpruche jtanden, bloß darum zu verwerfen, weil fie jich zu— 
fällig auch im Programme der Gegenpartei fanden. Schinfs Yobes- 
Hymne auf die Emilia Galotti wagt er mit einer Belehrung Leſſings, 
bei dem ex doch jelbjt einmal in die Schule gegangen, über die wahre 
Größe des Virginia - Stoffes zu beantworten und jogar mit Gotters 
Bearbeitungen franzöfiicher Stüde zeigte ex ich höchlich unzufrieden. 
Es verdroß ihn offenbar, daß Gotter, wie er jelbjt ein Anhänger der 
Franzoſen, jich gleichwohl noch auf der Bühne zu behaupten verjtand. 
Aber Gotter hatte es freilich vecht im Gegenjage zu Ayrenhoff nicht 
verjchmäht, den modernen Forderungen des Gejchmades gewilje Zu— 
gejtändnifje zu machen. Die franzöfifchen Luſtſpiele (wie die Nanine) 
verpflanzte ev auf nationalen Boden und in die Trauerſpiele brachte 
er Leben, indem er (wie in dev Merope) bloß Erzähltes in Handlung 
umſetzte. Mochte Ayrenhoff die „Guckſcenen“ immerhin als dem Geijte 
der franzöſiſchen Trauerſpiele zuwider erklären, Gotter hatte doch die 
enorme Beliebtheit jeiner Stücde bei dem Publikum für ich. 

Was Ayvenhoff an pofitiven Vorjchlägen zur Verbefjerung vor- 
bringt, ift herzlich wenig. Abgeſehen von den Yehren, die er Schinf 
im unausftehlichen Tom eines PBräceptors erteilt, hat er auch Wünſche 
betreffs des Nationaltheater, welche ex über Schinf hinweg direft an 

37° 


568 €. Horner, Das Auffommen des englifchen Geichmades in Wien. 


den Ausjchuß adrefjiert. Mean weiß, was er meint, wenn ev von 
ichlechten Stücken jpricht, die aufgeführt und don guten, die verdrängt 
würden. In der Bevorzugung jener erblictt ev lediglich das Verlangen 
der Schaufpieler nach Nollen zum Baradieren. Indem er fich weiters 
abfällig über die moderne Schauſpielkunſt äußert, welche durch Charaftere 
wie Hamlet, Year und Macbeth zu Grunde gerichtet worden jei, verweilt 
er die jüngeren Akteurs auf Remond de St. Albine, damit fie aus 
jeinem Yehrbuch jich über Bildung des Körpers und der Rede unter- 
richteten. 

Schinf unterließ es nicht auf Ayrenhoffs Angriffe zu erwidern. 
Seine Entgegnung erjchien im vierten Bande der Dramaturgijchen Frag- 
mente (Xeipzig 1784 ©. 965 ff.) unter dem Titel „Ein und das 
andere über Teutjchlands Teaterwejen und Kunſtrichterei“ und enthält 
teils eine Verteidigung jeiner eigenen Kunftanfichten, teils einen Gegen— 
angriff auf die jeines Widerfachers. Schink jtellte jich darin auf den 
Standpunkt, der Ayrenhoff am meijten beleidigen mußte: daß er es 
bloß mit einem Dilettanten, feinem eigentlichen Stunftfenner zu thun 
habe, feinem, der die Kunſt jtudiert, jondern bloß einem, der ihre 
Negeln den Franzojen nachglaube. Gewiß nur mit Bezug auf dieſe 
Geringſchätzung des Dilettantentums verfocht Ayrenhoff in den wenig 
jpäteren Briefen über jeine italienische Reife die Berechtigung jedes 
Menjchen, ſich auch mit anderen Dingen als bloß jeinem Yeiften zu 
beichäftigen. Im Uebrigen verzichtete Schinf von vorneherein darauf, 
jeinen Gegner zu überzeugen, den er vortrefflich charafterifierte: „Der 
Boltairejche Geift der Kritik, der nicht jehen und Hören will und mit 
Gewalt alle jeine Sinne gegen die Wahrheit verjchließt, iſt zu Jicht- 
bar in diejem ganzen Ausfalle, als daß ich mir die undanfbare Mühe 
geben jollte, darauf zu antworten.“ 

Das Schreiben des aufrichtigen Mannes erſchien 1782 und im 
Dftober des nämlichen Jahres brachte der Teutjche Merkur einen aus 
der Feder jeines Herausgebers jtammenden Aufjaß als zweiten „Brief 
an eimen jungen Dichter“, worin die Streitfrage, ob Shafejpeares 
oder der Franzoſen Mufter größere Nachahmung verdiene, gleichfalls 
von einem den Franzoſen günftigen Standpunkte aus und zwar von 
der momentan unbeftreitbar berufenjten Berjönlichfeit behandelt wurde. 
Wieland war gewiß fein Leſſing ebenbürtiger Kritiker in dramatiſchen 
Dingen, aber da er die Franzoſen von Jugend auf aus dem genaueſten 
Studium kannte und hinwieder auch von Shakeſpeare eine Ueberſetzung 
geliefert hatte, der Leſſing trotz ihrer Gebrechen viel Gutes nachſagen 
mochte, ſo durfte ſein Urteil gerade in dieſer Sache als ein kompetentes 
gelten. Eine lavierende Haltung hatte Wieland ja von Anfang an 
beobachtet und ſich darob den Tadel Gerſtenbergs gefallen laſſen müſſen; 





E. Horner, Das Aufkommen des englifchen Gefhmades in Wien. 569 


ſeither aber, jo jchien es, hatte jeine fonjervative Nichtung noch eine 
Steigerung erfahren. Denn mit einer an ihm ſonſt ungewohnten Ent- 
jchiedenheit nahm er in dem „Briefe“ für die Franzoſen und gegen 
ihre Verächter Partei, wodurch ſich ſeine Ausführungen in der Tendenz 
auf das Innigſte mit jenen berührten, die Friedrich der Große zwei 
Jahre zuvor über das gleiche Thema niedergeſchrieben hatte. Wieland 
empfand jo gut wie Goethe, Herder, Möfer und alle anderen, Die 
Gegenjchriften gegen die Herabwiirdigung dev deutjchen Yiteratur be- 
abjichtigten oder wirklich ausführten, die Ungerechtigkeit des Tadels. 
In dem Auszug eines DBriefes, den er in jeine Heitjchrift einrückte, 
heißt es: „ES ijt gewiß, daß der erhabene Berfajjer niemals an unferer 
Literatur einigen Anteil genommen hat.“ Dennoch fonnte ex dem 
Könige wenigftens in der einen Behauptung nicht Umvecht geben, daß 
die deutjchen Dramatifer nichts gejchaffen hatten, was jich den klaſſiſchen 
Broduften der Franzoſen an die Seite jtellen fünnte. Nicht zahmer 
Gegenjchriften, das malte Wieland, jondern einer dichteriſchen That 
bedurfte es, um den Verächter der deutſchen Literatur eines Beſſeren 
zu belehren. Er erkannte, daß auf dem Wege der einſeitigen Shake— 
ſpeare— Nachahmung ein vollendetes Drama unmöglich zuſtande kommen 
werde, wie auch Herder von dem beſten Produkte dieſer Art, dem 
Götz von Berlichingen erklärt hatte, daß ſein Verfaſſer durch Shake— 
ſpeare verdorben worden. Wieland zerſtört alſo den Wahn, als ob 
das deutſche Drama ſchon weit über die Klaſſiker der Franzoſen hinaus 
ſei; unläugbar habe es ſeit den Tagen der Gottjched, Bodmer und 
Breitinger große Fortjchritte gemacht, aber die Boileau, Moliere, Eorneille 
und Nacine jeien ihm noch nicht exjtanden. Wo find die teutjchen 
Tragddien, fragt er, die wir dem Cid, Batilina und Mohamet, der 
Alzive, wo die Yuftjpiele, die wir dem Miſanthrop oder Tartuffe ent- 
gegenjtellen können? In der Rückſichtsloſigkeit, mit der jeglicher nationale 
Größenwahn befampft werden muß, hat Wieland entjchieden von Friedrich 
gelernt. Und ex folgt ihm auch darin, daß er mit on 
Borjchlägen zur Verbeſſerung nicht jpart. Sie betreffen Sprache, Ver— 
ſifikation und Reim im Drama; die Sprache ſei fehlerlos, immer edel, 


ſchön und kräftig, ohne ſich weder in die Wolfen zu verſteigen noch 


zur Erde zu jinfen. Den Bers bedingt er, gejtügt auf das Muſter 
der alten und größten unter den neueren Dichten nicht bloß für das 
Drama, jondern die Poeſie überhaupt. Welcher Dichter würde auch 
lieber in Proſa jchreiben, wenn er ich durch gelungene Verſe dejto 
größeren Ruhm erwerben fünnte? Sogar den Reim fordert Wieland, 
nicht etwa weil ex, jondern weil das Ausland ihn fir eine wejentliche 
Zubehör hielt. Das Unternehmen eines Deutjchen, mit den Größen 
der fremden Yiteraturen um die Palme zu vingen, dürfe nicht durch 


570 €. Horner, Das Auffommen des englifchen Geſchmackes in Wien. 


den Vorwurf geringerer Schwierigkeit in jeinem Verdienſte gejchmälert 
werden. Von dem Dutzend mittelguter Dramen, die Deutjchland ge- 
vade noch aufbringen Fonnte, denft Wieland nicht eben jchlecht, obzwar 
die Franzoſen jolche dem Hunderte nach beſäßen, aber es gebe nicht 
ein deutjches Drama, das fich mit den Meifterjtücen dev Franzojen 
mejjen könne. Damit ift Wieland wieder an den Anfang feiner Aus- 
führungen zurücgefehrt; und er faßt die Abficht, die ihn leitete, in 
den Appell an einen Fünftigen Dichter zuſammen, dem fich hier eine 
glänzende Yaufbahn eröffne. Auf die Bedeutung dieſes Aufjages für 
den jungen Schiller ift bereits hingewiejfen worden (Minor, Schiller 2, 
243). Zu den jtarfen Einflüſſen der Frau v. Kalb und namentlich 
Kleins, die ihn von jeinem bisherigen Mufter Shafejpeare ab- und 
den Franzoſen zuzumenden juchten, gejellte ich ein neuer; und der 
Don Carlos zeigt nicht nur im Allgemeinen durch jeine Hinneigung 
zur Manier der Franzoſen in Aufbau und Charakteriftif, auch im Be— 
jonderen durch die Einführung des Verſes, wie jehr Schiller den Winf 
Wielands zu nutzen verftand. Nur zur Aufnahme des Neimes war 
er nicht zu bewegen; er verwarf ihn als einen unnatürlichen Luxus 
des franzöfiichen Trauerjpiels, als einen trojtlofen Behelf der fremden 
Sprache, als einen armjeligen Stellvertreters des wahren Wohlflangs 
(ebenda ©. 593). 

Indes derjenige, der Wielands Aufforderung zuerjt Folge leijtete, 
war Ayrenhoff. Ihm war es, als ob er eigene Gedanken läjfe. Genau 
jo wie hier gegen die Mißachtung der franzöfiichen Klaſſiker geeifert 
wurde, hatte ex ein Jahr früher, wie wir gejehen haben, Schinf als 
Bertreter jener Schule angegriffen, deren geringjter Schüler, „auch 
wann er auf dem Fußboden liegt, um einen ganzen Kopf über Corneillen 
und Voltaiven wegzujehen glaubt“ (Werfe 5, 1585). Wenn Wieland 
von der Sprache unter anderem forderte, daß ſie niemals zur Erde 
jinfe, hatte Ayvenhoff jeinem Gegner ein ganzes Simpdenregifter von 
niedrigen Ausdrücen vorgehalten; und ex hatte endlich, abgejehen davon, 
daß feine feiner Tragödien (mit Ausnahme der bloß jfizzierten Irene) 
bis dahin des Neimes entbehrte, jich jchon 1774 bei der Nachahmung 


Klopſtockſcher Bardengefünge gegen die Neimlofigfeit erklärt. In feinem 


durch das Yob der Schrift De la litterature allemande nur noch 
gejteigerten Selbftgefühl hielt ex ſich vor allen anderen befähigt, zu 
Wielands theoretijcher Anleitung das Erempel zu liefern. Raſch ent- 
jchieden warf er den einmal gefaßten Entſchluß, jich von der Bühne 
zurüczuziehen, um und wählte jich mit einer deutlich gegen Shafejpeare 
gerichteten Abficht den Stleopatra - Stoff zur dramatijchen Behandlung. 
BereitS am 20. Dezember des Jahres 1783 gelangte das Trauerjpiel 
„Kleopatra und Antonius“ im Wiener Nationaltheater zur Aufführung; 


ED Un La len no 2 ad. ze a ae. 


VRR. 


C. Schüddekopf, Schubart und Gleim. 571 


bis zum 19. Mai 1785 wurde e3 jodanı noch jiebenmal wiederholt. 
Abbe Bertola, welcher der Premiere beimohnte, weiß in einem Briefe 
an den Grafen Vindemonte (Idea delia bella letteratura Alemanna, 
Lucca 1784 1, 239) von einem Erfolge zu berichten; aber nachher 
muß doch die Abneigung der Wiener gegen das verjifizierte Drama 
überwogen haben. In München, wo es gleichfall$ auf die Bühne 
fam, hat es jchwerlich mehr Beifall gefunden. Für die Aufführung 
in Mannheim wurde es wohl in dev Ausſchußſitzung vom 14. Mai 1784 
durch Beck vorgefchlagen, der auch den Auftrag erhielt, einen Ueberſchlag 
wegen Anjchaffung der neuen Kleider bei der Intendanz einzugeben, 
aber vorher jollte noch Schiller, der Iheaterdichter, jein Gutachten über 
das Stück abgeben. Es fam indes nicht dazu (9 Marterſteig, Protokolle 
des Mannheimer Nationaltheaters. Mannheim 1890. ©. 252 ff.). 
(Schluß folgt.) 


Schubart und Gleim. 
Bon Carl — in Roßla a. 9. 


Ueber Beziehungen Schubarts zu Gleim hat bisher wenig ver- 
lautet. In einem Briefe an Himburg vom 2. Januar 1787 (Strauß 
2, 266) erwähnt der Gefangene vom Hohenasperg jelbjt unter den 
Ausfichten auf jeine Befreiung: „Auch Gleim, der Patriarch im Chor 
deutjcher Dichter, jchrieb an mich, beehrte mich mit jeinem wichtigen 
Beifalle, und erbietet fich, fin meine Freiheit zu arbeiten.“ Dieſer 
Brief jelbjt aber, vom 30. November 1786 datiert, ift in der „Zeitung 
für die elegante Welt“ (1821 Nr. 151 ©. 1201) verjtedt geblieben 
und außerdem umvollftändig abgedruckt, wie unten zu erjehen. Zwei 
weit wichtigere Briefe Schubarts dagegen, welche das Gleimarchiv zu 
Halberjtadt im elften Bande der „verjchiedenen Briefe” (Ms. 94) 
aufbewahrt, jcheinen zwar durch Körte zum Druck vorbereitet zu jein, 
jind aber meines Wiffens nicht dazu gelangt; wenigjtens ſchweigt die 
Schubartliteratur von ihnen, und die — bei Goedefe fehlenden — 
„Mittheilungen aus Gleims literarifchem Archive“, welche das literarijche 
Gonverjationsblatt in den Jahren 1821— 23 brachte, brechen vorher 
ab. Die „Zeitung für die elegante Welt“ enthält auch jonjt noch 
unbenußte Briefe von und an Schubart, wie jie überhaupt eine Durch- 
— lohnt, ſo im Jahrgang 1820 Nr. 51 „Aus Schubarts Nach— 
laſſe“ (einen undatierten Brief vom Hohenasperg, wohl an ſeine Gattin, 


572 C. Schüddekopf, Schubart und Gleim. 


beginnend: „Endlich, Du meine ewig geliebte Freundin“), 1821 Nr. 50 
„Ein Brief von Schubart an Schwarz“ (Dohenasperg, 5. Juni 1785), 
1822 Nr. 228 „Schubart, der Bater, an Wofjelt“ (Stuttgardt, 
24. Juli 1788) und 1827 Nr. 163 „Bahrdt an Schubart” (undatirt, 
aus dem Gefängnis in Magdeburg 1789 — 90), zum Teil durch Fr. Haug 
aus Schubarts Nachlajje veröffentlicht. | 

Die Veranlafjung zu dem hier folgenden Briefwechjel, die Ueber— 
jendung des Gedichtes: „Friederich der Einzige. Ein Obelisk von 
Ehr. Fr. D. Schubart auf Hohenasperg. Gedruckt zu Stuttgard im 
October 1786 bedarf feiner Erläuterung, da die Verwendung des 
preußiſchen Hofes für Schubarts Befreiung neuerdings durch A. Wohl- 
will u. A. klargeſtellt ift. 


Scubart an Gleim. 
Befte Asperg, im November, 1786.!) 
Edler, vortrefliher Mann! 


Ich wag e8, beiliegenden Obelist einem Manne zur Beurteilung vor- 
zulegen, der durch unfterbliche Werfe ſich längft die Ehre errang, der erſte und 
entfcheidentfte Richter im Tempel deutſcher Dichtkunſt zu feyn. Die gute Auf- 
nahme meines Himmos auf Ihren grojfen König, die bald darauf an mich 
ergangene feyrlihe Aufforderung, Ihre vührende Ermunterung an Deutjchlands 
Dichter,?) und meift — mein eigner Entufiasmus beftimmten mich, dem erften 
deutichen Marne dieß Denkmal zu errichten. Wenn Gleim in feiner patriarchalifchen 
Würde vor dieſem Obelisf nur Augenblife weilte, und wenn fein Lächeln den 
jtillen Beifall feiner grofen Sele verrieth; wie belohnt wäre da der arme, der 
unglüflihe Dichter, dem zehnjährige Kerkerſchmach Gefühl für wahre Gröfe, und 
für die Ehre feines VBaterlandes nicht vauben konnte!! 

Bon Jugend auf, vortveflicher Man! war ich ein Bewunderer Ihres 
Genius. Ich fezte Ihre Kriegslieder in Muſik, ich ſpielt und fang fie Tauſenden 
vor, umd freute mich der Funken von Heroismus und Baterlandsliebe, die ich 
in jo mancher Sele wekte. — Die Lieder des Tyrtäus würkten noch lange nad 
feinem Tode; — und Gleims Lieder, weit deutfcher, herziger, feuervoller als 
jene, werden fortwürfen, jo lange noch Deutjchland ein Bolt ift. 

Wer verdients alfo jo jehr wie Sie, daß Friedrich der Einzige, — gegen 
jein eifernes Vorurteil, — in feinem Alter noch im Ihnen den deutſchen Dichter 
ihäzte, daß Friedrich Wilhelm Ihrer patriotifhen Vorbitte für Deutfchlands 
Mufe Gehör gab, und daR unfre Dichter ſämtlich aufftehen, und Sie mit einem 
Päan begrüfjen, wenn Sie in ihre Mitte tretten. 

Wie tief beugt fih mein Genius vor Ihnen, guter, lieber Mann! — Sie 
jahen und wiegten Deutjchlands Mufe in ihrer Kindheit, jahen fie zur Madonna- 
ihönheit heranwachſen, und ah! — follten Sies nicht auch bereits erlebt haben, 
daß alternde Züge beginnen, das Antliz der Himmlifchen zu verunftalten? — 
Gewis ifts, Die deutſche Dichtkunft nimmt würklich nicht zu, fie — nimmt ab. 








!) Bon Gleims Hand: „Beantw. den 30tn ej.“ 
>) An unfre Dichter, von Gleim. Berlin, bey Friedrih Maurer. 1786, 
(2Blse, 


C. Schüddefopf, Schubart und Gleim. 573 


Je mehr grofe Geſinnungen, und fonderlich Religionsliebe unter einem Bolfe 
verlöfchen, je mehr der Geſchmak an Kleinheiten, am niedrigen Foppereien, an 
Schreibfeligfeit bei unbegreifliher Seichtheit, an Muthwill und Leichtfertigteit 
zumimmt; je weniger wirds unter uns Dichter geben, die man im antiken Ver— 
ftande Profeten, — Schauer göttliher Geheimniffe nennen kann. Gott zieht 
feine koſtbarſten Gefchenfe zurüf, wenn fie jo jeher misbraudht werden. Was 
ſollen Engel in Sodom, wenn fie Buben auf der Gafje nothzüchtigen wollen? — 

Ah Bater Gleim, wenn ich doch Unrecht hätte; denn ich liebe mein 
Baterland mehr, als Weib, und Sohn, und Tochter. Wenn do unter Ihrem 
König auch ein neuer, — auf Welt und Nachwelt fortwürfender Periode für die 
deutiche Mufe begäne. 

Ich hab einen Sohn, Edler Mann, der auf dem Wege ift, feinem Bater- 
land Ehre zu machen. Er hat fi nad den Männern von Kraft unter den 
Griechen, Römern, Celten, Engländern, und beften Deutjchen gebildet. Meinen 
Seegen: „Sey ftarf! werd ein Mann! dein Geift ftrebe nad) Größe, Schönheit, 
und Güte!! —“ möge der Herr an ihm erfüllen. — Sch felbft aber ſchmachte 
nod immer in Banden, und jeufze nach Freiheit, oder Tod. Biel Hab ich 
gelitten, und geduldet, und Gott mag zeugen! — ohne Verſchulden. Der eherne 
Fuß des Tirannen weilt num zehn Jahr auf meinem Halfe, und die Bemühungen 
grofer umd wichtiger Menfchen für meine Freiheit find bisher vergeblich geweſen. 
Sch will jehen, was num Ihr König und der unfterbliche Herzberg, die ich um 
Hülfe anflehte, thun werden. Auch Sie befhwör ich bei Ihrem Herzen voll 
Mitleid, Ihr Anjehen zu diefem menfchlichen und edlen Zweke zu verwenden. 
Gott wird Sie dafür lohnen, mit dem Seegen eines ehrenvollen Alters, und im 
Tode — mit der heitern Ausfiht in die Welten der Freiheit, der Harmonie, der 
Freundichaft, und der Liebe. — Ich bin mit einem Herzen voll Ehrfurcht 

Ihr 
ganz gehorſamſter Diener 
Schubart. 
N. S. 

Wenn Sie von meinem Obelisk mehrere Exemplare unterbringen, und 
eine eigne Auflage für daſige Gegenden zu meinem Vorteil veranſtalten wollten, 
ſo würd Ihnen eine ganze, noch bei meinen Lebzeiten verwaiſte Familie dafür 
danken. — In dieſem Falle bitt ich Sie die Stelle S. 4 „und wie der 
ſterbende Sünder“ p.p. jo zu ändern: 


„And wie der am Moosfels 


Gelehnte Fromme Waller 
Vom jachen Donnerſchlag aufzukt.“ — 


Gleim an Schubart.) 


Halberstadt d. 30 Nov. 1786. 


Ihren Obelisk, mein liebſter Herr Schubart, hab ich erhalten, beym 
Erſten Leſen rief ich aus: das iſt doch Einmahl Etwas des Einzigen, des 


1) Der oben erwähnte Abdruck in der „Zeitung für die elegante Welt“ 
bringt nur die erfte Hälfte des Briefes vom 30. November, ohne die Nachſchrift 
und mit Abweichungen, die als umerheblich hiev nicht wiederholt find. Die 
Briefhälfte vom 1. Dezember ift von Gleim eigenhändig concipiert. 


574 C. Schüddekopf, Schubart und Gleim. 


Erhabenen würdiges — Den Erhabenen nennt ich noch lieber Ihn, als den 
Einzigen, wenn nicht ſo wenig Menſchen unfähig wären, von dieſem Zunahmen 
einen vollſtändigen Begriff ſich zu machen! Geſtern laß ich, in unſrer Litterariſchen 
aus funfzig Mitgliedern beſtehenden Geſellſchaft ihn vor, den vortreflichen Obelisk, 
und allgemeiner Beyfall belohnte zu großem Vergnügen des Vorleſers den 
erhabnen Dichter. Aller Anweſenden Wunſch vereinigte ſich für Sie, vortreflicher 
Mann! Sie verdienten, ſagten wir alle, weil Sie das Glück nicht hätten ein 
Preuße zu ſeyn, einer zu werden! Möchten doch unſre Muſenbeſchützer Friedrich 
Wilhelm und Herzberg ſeiner ſich annehmen; in Freyheit den armen Mann zu 
ſetzen iſt Ihnen ſo leicht, ſo leicht! machte bey Welt und Nachwelt Ihnen ſo großen 
Ruhm. Ich wünfchte, mein Wertheſter Herr, Sie hätten von ihren Briefen an 
den König und den Meinifter Abjchriften mir mitgetheilt, oder wollten’S noch 
thun; ich gehe nach Berlin vielleicht im diefem Winter, bey meinem Betrieb für 
Sie fünnt ih nad dem Anhalt dann mich richten; die nähern Umftände Ihrer 
Gefangenfchafts Gefhichte find mir unbefant, zum Unglüf für mi und Sie, 
mein lieber Herr Schubart, denn ich hätte den Durchl. Herzog von Würtenberg, 
als Er bey mir war in diefem Frühjahr, und jehr gnädig fich bezeigte, nicht loß 
gelaßen aus meinem Heinen Mufentempel, in welchem Er, nebft der Durchl. Herzogin 
fih bejah, bis Er den Preußen Schubart loßgelaßen hätte, wären nur irgend die 
Umftände mir befanter geweſen. So, mein liebfter armer Gefangner, wie der 
Herzog, den ich zu Berlin als Kind ſchon kennen lernte, bey mir fich äuferte 
mit NRegierungsMarimen, jo warlich! ſchien er nichts weniger als ein Tirann 
zu jeyn. 
Ah wär ih bey Dir 
Wo unter der Gewaltthat Fußtrit 
Der Boden nicht drönt, 


durften, mein Wehrter! Sie jagen Ihm unter den Augen, das jchon beweift 
mir einen evbittlihen Fürften. Wie denn meinen Sie, lieber Unglüdlicher! daß 
ich helfen fan? Soll ich fehreiben an den König? am Herzberg? an den Herzog? 
an die Herzogin? An dieſe, dächt ich, wäre das befte. Rathen Sie, jagen Sie, 
was ich thun joll! 


Ihren Obelisf, nah Kretſchmanns Dde das einzige Gedicht auf den 
Unerreichlichen, das dieſen Nahmen verdient, wollt ich Ihrer Erlaubniß gemäß 
abdruden lagen für unſre Gegend, nun aber hör ich, das heut fehon Exemplare 
gekommen find von Berlin, daß Himburg, der Buchhändler, überall jchon 
Erenplare verbreitet hat, alfo könnt ich meinem lieben Dichter feinen Nuten 
ftiften — Indeß, ex ehe, wie viel ich gewagt hätte mit einigen Abänderungen 
und Ortographiſchen Anftrihen ohne des Verfaßers Genehmigung. Urſachen 
anzuführen von diefen Abänderungen ift [nicht] nöthig, Sie billigen fie, dann gut! 
wo nicht, jo bleibtS beym Alten. Der Berfaßer muß das legte Wort behalten. 
Ob ih Ihrer Meinung bin in Abfiht auf den Einfturz der finfterften Barbaren ? 
Seit zwanzig Jahren jagt ichs, daß uns diefer Einfturz bevorftünde, diefer Zeit 
punct, den ich nicht bejchreiben mag. Friedrich Wilhelm Beſchützer der deutjchen 
Mujen? Ha! wo find fie die Beihütungs Wehrten? Die alten find todt, oder 
bedürfen Feines Schutses, wollen feinen, und wo find die Neuen? Was Sie 
jagen von Ihrem Herrn Sohn, das macht mir ausgedientem alten Muſenknecht 
jehr große Freude. Seit vielen Fahren hört ich jo was nicht, ich, der ich drauf 
ausgehe, nicht; An unſerm Tiedgen, Schmidt, Fiſcher, verfündigt der alte 
Srämling ſich nicht mit diefer Klage, die kennt er ſchon lange. Gebe der 
Himmel, dar ich bald das Angenehmfte höre von Ihnen, mein lieber Herr 


PER 





C. Schüddekopf, Schubart und Gleim. 575 


Schubart, und feyn Sie verfichert, daß wir Preußen Sie lieben umd chren, 
feiner mehr als Ihr 
ergebenſter Freund und Diener 
der Grenadenwerfer 
— Gleim. 


Uns Niederſachſen iſts unausſtehlich, daß man das doppelte ß ausſtoßen 
will aus unſrer Sprache — Preuſen ſtatt Preußen, reiſen wie reißen p. p. p. 

Wir laßen nun Exemplare kommen von Himburg — bey Ihnen ſtehts, 
ob fie verfügen wollen, [daß] Er einen Abdruck nach beygehender Abſchrift, 
welche noch einmahl durchzufehn die Zeit nicht ift, machen laßen ſolle! 


H. ». 1ten Dec. 1786 


Im hieſigen Kleinen Meufentempel den Sie mein Wehrtefter Herr Schubart 
vielleicht jchon kennen, er verdient diefen Nahmen, wegen der Bildnife derer die 
darinn aufgeftellet find, denn es ift feines darımter, welches nicht der eigen- 
finnigfte deutfche Mufengott, in dem feinigen jelbft aufgeftellet hätte, Thaten des 
Geiftes oder des Herzens, unbezweifelte ſolche Thaten nur allein erwerben eine 
Stelle darinn, in diefem hat der Stifter, er ift ein Fidei&ommiß, dem Verfaßer des 
Obelisk geftern eine Stelle beftimmt, alfo, mein Wehrtefter, foll ich die beygehenden 
Zehn Dufaten, und das Maaß der Bildniße, nur der Köpfe, mein ich, Ihnen 
einhändigen, und Sie bitten das wenige Geld aus Freundes Hand anzunehmen, 
und weil doch ein guter Maler im ihrer Gegend ſeyn wird, Ihren Kopf malen 
zu laßen, und im den Kleinen Muſentempel ſelbſt gütigft zu fchenfen, Niemanden 
aber, felbft ihren vertrauteften Freund nicht von diefen gegemfeitigen Gefchenfen 
irgend Etwas merken zu laßen. 

Noch leg’ ich etwas gedrucdtes bey. Glauben Sies nur immer, mein 
hiebfter Herr Schubart, daß ich mehrmalen aus Ungeduld mir wünfchte, jo wie 
einft zu Spandau mein Freund Seidliz Gefangner auf einer Beftung zu ſeyn, 
um Zeit zu befommen zum Umgang mit den Muſen; ich muß, wegen vieler 
Gefchäfte, denn ich bin Gottlob fein faulender Canonicus, zu diefem Umgang, 
die Nächte wie Nikodemus zu Hülfe nehmen; dieferwegen fan ich als Dichter Etwas 
ganz Vollkomnes nicht zu Stande bringen, dieferwegen warten zwanzig Bände 
meiner Nachtwachen auf Muße der legten Hand, und dürften wohl warten 
müßen bis in Emigfeit — Gottlob!!) Wir befommen zu lejen die unfterblichen 
Werke des Einzigen; diefen Augenblic erhalt ich zuperläßige Nachricht von Berlin 
deshalb, Es war bisher noch zweifelhaft, nun iſts gewiß ich möcht’ einen Jubel— 
gefang anftimmen, jo freuts mich! nun erleb’ ich den Druf, habe noch Freuden 
nad dem Tode des Einzigen, mit welchem Sie alle ſchon wie abgeftorben waren, 
mir, der ich den Glauben hatte, die Welt könn' ohne Friederih, ohne Einen 
jeines Gleichen nicht gar wohl bejtehn. 


Scubart an Gleim. 
Hohen Asperg im Februar 1787. 


Beinahe hätt ih Ihnen, Grofer, Liebensmwürdiger Mann, auf Ihr troſt— 
reihes Schreiben und auf die beigelegten Beweife Ihrer unausſprechlichen Güte 





Dieſer legte Abſatz lautete im einer erjten Faſſung, die bei der Rein— 
ihrift gewiß geftrichen wurde: „Gottlob! wir befommen die Werke des Einzigen! 
Eine Nachricht, die ich fo eben von Berlin erhalte, die zuverläßig ift, und die 
mir unendliche Freude macht — denn ich hoffe nun noch den Drud derfelben zu 
erleben. Gleim.“ 


76 C. Schüddetopf, Schubart und Gleim. 


oo 


gar nicht antworten Fönnen umd dürfen. Dann ic vergaß es, Ihnen zu jagen, 
daß mir aller Briefmechjel aufs ftrengjte werbotten ift und daß daher alle Briefe 
nur durch die Addreffe an meine Gattinn in Stuttgardt an mich gelangen. Aus 
diefem Grunde muft ich zwar einen Poſtſchein über Ihren Brief ausftellen; aber 
das ganze Paket fam an den Herzog nad Hohenheim, der es endlich nad) langen 
Vitten meiner Gattinn in der Audienz einhändigte. Nur Ihrem grofen auch 
unter ums allgefeirten. Nahmen hab ich es zu danfen, daß ich ohne ſchwere 
Ahndung durchſchlüpfte. — Aber, da befucht mich jo eben in meiner Trauerzelle 
mein liebes, deutjches Weib und mein erjtes Geichäft ift, unter der Hülle Ihres 
Wittwenfchleiers an Gleim, den Guten, Edlen und Deutſchen Mann zu jchreiben 
und Ihm mit Thränen der Freude für Sein Mitleid und großmüthige Unter- 
füzung in meinem Elende zu danken. Klopſtok jagt recht: „Genie ohne Herz, 
ift nur halbes Genie.“ — Wie jo ganz find Sie! — Wie fihtbar ift in Ihrem 
Karakter iene goldne Linie des Pithagoras aus dem Herzen ins Hirn gezogen 
— unten mit Herzblut getränft und oben in der Glorie des Geiftes jtralend. — 
Sa, Unausſprechlich Geliebter, Gottes Seegen ruht ſichtbar auf Ihnen. Noch in 
Ihrer patriarchaliſchen Würde ſingen Sie Lieder, die unſre ausgearteten Jünglinge 
beſchämen. Bodmer war uns viel, Sie aber ſind uns noch mehr. Ihre Kenntniſſe, 
Genie, Fleiß, V i imliſches, f 
hochaufſchlagendes Herz, hat in der Geſchichte deutſcher Literatoren nichts Gleiches. 
Klopſtok ſchnarcht auf ſeinem Bette von Eichenlaub, ſchreibt affektirte Proſe und 
unverſtändliche Verſe; Denis wird nicht mehr von Oſſians Schatten geküßt; 
Ramler macht den Krittler und Scholiaſten, Wielands Götterbothe trabt im 
Moraſte mit Pudelmüze, Ranzen und Stiftſteken als ein ganz gemeiner Bothe 
daher; Göthe ſchwindelt von parfumirter Hofluft und eingeſognem Weirauche 
— unſre Jünglinge machen Bubenſtreiche in Allmanachen, Romanen und Schau— 
ſpielen. — Und wo ſind unſre kritiſchen Journale, die Geiſter weken, beſſern und 
iedem Unfuge ſteuren könnten? — Nikolai beginnt ein ſeichter Fopper (Perſifleur) 
zu werden, Weiſe wird unter Kindern kindiſch, Schüz und ſeine Spießgeſellen 
ſind gelehrte aber meiſt geſchmakloſe Leute — vom Miſthaufen der übrigen 
kritiſchen Journale zu geſchweigen. — Nur Sie, köſtlicher Mann, bleiben noch 
im Greiſenalter den Grundſäzen des guten Geſchmaks getreu und ſingen und 
ſchreiben für Gott, Tugend und Vaterland. Da thut's einem ſo wohl, wenn 
man raſten kann an des edlen Mannes Buſen und aushauchen vor ihm die 
Wehmuth des Herzens über Vaterlands Verfall. Ich bin ein Mann von 
46. Jahren, hab als Knabe die Morgenröthe deutſcher Dichtkunſt geſehen, freute 
mich über die Goldſaat ihres Sommers, ſah nie ihren Herbſt, wo Moſt von 
allen Hügeln träuft und die Bäum' alle ſich unter goldnen Früchten beugen. 
Sollt' ich noch die Zeit erleben, wo Alles im Winter erſtarrt und wo Braga's 
Harfe in Rhein gefriert? — Doch vielleicht ſeh ich den Wald vor lauter Bäumen 
nicht. Erlauben Sie mir alſo, Hochſchäzbarer, auf meine eigne Angelegenheiten 
zurükzukommen. 

















Mein Hymnus und Obelisk haben die Würkung gehabt, daß ſich der 
Preuſiſche Hof um meine Freiheit annahm. Die göttliche Prinzeß Friderike und 
der groſe Herzberg ſchrieben an [den] Herzog und der Erfolg war, daß ſich der 
Herzog erklärte „er wäre gejonnen, mich bei einer nächftbevoritehenden Feierlichkeit 
zu erlöſen“. Jedermann in Berlin glaubte, er meyne damit dem 11. ten Februar, 
als das Feſt feiner Geburth. Aber der Herzog verreyfte nach Raris und id) 
trage meine Feſſel noch. Nun heißt es, Fünftigen Juli foll das 50.iährige 
Negierungsiubiläum des Herzogs mit groſer Pracht gefeirt werden. Vielleicht, 
daß er ſich an dieſem Feſte meiner erinnert! — 

Jedermann ſtaunt über die Unbeugſamkeit des Fürſten. Die Vorbitten 


C. Schüddefopf, Schubart und Gleim. 577 


ganzer Akademien, wie fürzlich Heidelbergs an feinem Jubiläum, grofer Fürften, 
— mie ihres Königs — der Königinn Juliana von Dännemark, der Großfürftin, 
Prinzes Elifabeth, der Herzoge von Gotha und Weimar, des Churfürften von 
Pfalzbaiern, des Markgrafen von Durlah und vieler Prinzen: — die herz— 
ſchneidenſd)ſten Briefe der beften Köpfe Deutjchlands in Proje und Verſen, Die 
Fußfälle meiner grauen Mutter und meiner Gattinn — ia jelbjt Drohungen und 
der ftrengfte Tadel feines graufamen Betragens gegen mich in gedruften und 
ungedruften Schriften — vermochten ihn nicht, mir meine Freiheit zu geben. 
Wenn in Deutjchland noch Freiheit wäre; fo wagt’ ichs, den Herzog beim 
Kaiſer zu verklagen. Aber, nach der iezigen Yage würd’ ich mich damit ganz 
und gar verderben — denn wer wird den Adramelech beim Moloch verklagen ? — 

Mir bleibt alfo nichts übrig, als in chriftlicher Geduld auszuharren, biß 
Freiheit oder Tod mein Schikſal entjcheidet. Gott, der meine Stärke in der 
Ohnmacht war, der mich nicht verliß, als ich 377. Tage bei Waffer und Brod 
in einem lichtlofen dumpfen Kerfer ohn allen Menfchentroft auf faulem Stroh 
lag, wird mir Muth ſchenken, des Tirannen ehernen Fußtritt zu ertragen und 
wenn ich fterbe; fo wird mir mein Bater im Himmel den Chriſtusſinn verleihen 
— für den Räuber meiner Freiheit zu beten. 

Edler, vortrefliher Mann, verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen mein 
Porträt nicht gleich mitichike. Der Mahler wohnt 4. Stunden von hier in 
Stuttgardt. Da muft ich ihn bereits ein paarmal zu mir fommen laffen und 
noch iſt er nicht ganz fertig; er zieht mich auf, daß ich vor Aergerniß weinen 
möchte. Meine Frau aber wird ihn drüfen umd treiben, daß Sie das Porträt 
nächſtens erhalten jollen. Die mir dabei zugedachte grofe Ehre foll mich ermuntern, 
jo in Thaten, — Worten und Werfen zu handeln, daß ich in der Glanzichaar 
der ausgewählteften Patrioten nicht vor Schaam erbleichen darf. 

Himburg gibt theils einen Seleft meiner Gedichte, theils neuverfertigte 
Stüfe mit Chodowiekiſchen Kupfern, jplendid gedruft heraus, der Ihnen eins der 
erften Stüfe auf der Flugpoft zuſchiken wird. Pyra, der fo frühperblühte 
Pyra, jchrieb ehmals einen Tempel der Dichtkunſt. Diß Süjet bearbeit ich 
würflic nad) meiner Manier und ich bin nahe an Ihrer Karakterzeichnung. 

Mein Sohn hat groje Hofnung, als Yegationsjefretar nah Berlin zu 
fommen. Er hat ſchon vor dem niederfchauenden Himmel in Gegenwart feines 
Baters den groſen Schwur gethan: „Für Preußen zu leben und zu fterben!! — 
Mit den Hymmen des Kallimahus wird er vdebütiven, wiewohl er Idyllen, 
Erzählungen und andre Gedichte, auch projaiihe Aufläze in lateinifcher und 
deuticher Sprache, vom eiguer Erfindung liegen hat. Aber, er joll mit Reſpekt 
vor dem Publikum erjcheinen umd nicht wie unfve vozigen Buben dem Leſer — 
mit umzeitigen Holzäpfeln aufwarten. 

Und nun umjchlingt meine Seele die Ihrige wie die einſame Braut 
den jcheidenden Gatten — umd dankt Ihnen mit dem jcehnellen Athem der unter- 
drüften, thränenjchweren Wehmut für Ihr Mitleid, Ihre Unterftüzung, Ihre 
Freundſchaft und Ihr Arerbieten, noch ferner für mein und der Meinigen Beſtes 
zu mwürfen. 

Bor den ehrwürdigen Mitgliedern Ihrer Patriotengeſellſchaft beugt fich 
mein Genius. Wohl mir, auch ich liebe mein VBaterland!! — 


Der Allmächtige ſeegne Sie!! — Ewig 





—— 
INES: Schubart. 
Der Herzog liß fürzlih im Berlin anfragen: wie ein Beſuch von ihm 
aufgenommen werden möchte? 


978 C. Schüddefopf, Schubart und Gleim. 


„Er würde mwillfommen feyn, war die Antwort, nur verbitte man fich 
— die Madam.“ — 

Ob ich unter diefem Politiſchen Frofte nicht auch leide. Gott bewahre Sie, 
iemals an den Herzog zu jchreiben. 


Hiermit endigt der von Schubart jpontan und doch feiner Natur 
gemäß jo warm und offen angefnüpfte Briefwechjel. Sein im zweiten 
Briefe angefündigtes Portrait fir Gleims Freundichaftstempel ift nicht 
erfolgt; es fehlt demnach in dem von Körte (Gleims Yeben ©. 439 ff.) 
aufgeftellten Verzeichnis. Nur einen jpäten Nachflang an die furze 
Verbindung der beiden bewahren die Halberjtädter Papiere in einem 
Briefe Gleims an Schubarts Sohn Yudwig, damals preuſſiſchen 
Yegationsjefretär in Erlangen, vom 9. November 1798, in welchem es 
heißt: „Der alte Gleim, der den Vater jehr Hochichäßte, bittet den 
Sohn um ein gebundenes Gremplar von Schubarts Garacter, bittet 
den jeines Vaters würdigen Sohn, um Einjchreibung jeines Nahmens, 
in diejes in eine FamilienBibliothek bejtimmte Gremplar, und jendet 
zu Bejtreitung der Koſten hiebey einen SpeciesThaler. Die Preußijchen 
Striegslieder eines Grenadiers jollen von dem vortreflichen Vater vortreflich 
componirt jeyn, der würdige Sohn würde mich ihm verbindlich machen, 
wenn er diefe Compoſition mir zu verjchaffen die Güte hätte.“ Ludwig 
Schubart antwortet in einem Briefe, den Gleim am 21. Dezember 1798 
erhielt: „Verehrungswürdigſter Greis, Unter allen mündlichen, gejchriebe- 
nen, und gedruften Urtheilen, die mir bisher über die Karakteriſtik meines 
Baters zu Ohr und Geficht gefommen find, war mir das Ihrige mit 
das liebfte. Bey der geringen Aufmunterung, die man in Deutjchland 
zu muthigen Fortjchritten im Felde der Literatur, und der Kunſt 
findet, bedarf es wohl belohnender Stimmen wie die Ihrige, um den 
jungen aufwärts jtrebenden Schriftjteller mit jeinem Vaterlande aus- 
zujöhnen.“ Zugleich überjendet ev ein Exemplar von „Schubart’3 
Starafter” und verjpricht die Kompofitionen zu Gleims herrlichen Kriegs— 
liedern, womit fein Vater bis an jein Ende jo manchen Exdenjohn 
mit Begeifterung für Friedrich entflammt habe — eine Bejtätigung 
jeinev Angabe in dem eben erwähnten Buche (©. 29), wonach jein 
Bater in Ulm beſtändig mit preuffischen Officieren umging, ihnen 
Gleims Kriegslieder nach eignen Melodien vorjang und den braven 
Degen Thränen der Bewunderung und des Danfs auspreßte. 





R. Haffencamp, Briefe von J. H. Jung-Stilling an Sophie v. La Rode. 579 


Briefe von Joh. Heinr, Jung-Stilling 
an Sophie u, La Roche. 


Mitgeteilt von Nobert Haſſencamp in Düfjeldorf. 





Als mir vor etwa 3 Jahren der literarijche Nachlaß der Schrift- 
jtellerin Sophie v. Ya Noche zur Sichtung und eventuellen Bublifation 
übergeben wurde, fielen miv vor allem 8 Briefe von Jung-Stilling an 
diefe Dame auf, die aus mehr als einem Grunde der Veröffentlichung 
wert erjchienen. Denn einmal bieten jie nicht unwichtige biographijche 
Notizen, ferner geben fie uns ein klares deutliches Bild von dem Wejen 
und den Bejtrebungen Jungs, vor allem von feiner leidenschaftlichen, 
mit einer ftarfen Doſis von Myftizismus durchjeßten Frömmigkeit, die 
diefen Schriftfteller zum Yieblingsautor der Stillen im Yande gemacht 
hatte, endlich enthalten fie höchjtinterefjante Urteile iiber hervorragende 
Zeitgenoſſen, 3. B. über Georg Forfter und vor allem über Goethe. 

Der frühfte diejer Briefe fallt ins Jahr 1779; doch ift aus der 
Faſſung und dem warmen Tone des Schreibens zu erſehen, daß jeden- 
falls jchon mehrere Briefe ihm vorausgegangen jein mußten, und ich 
möchte annehmen, daß der Anfang des Briefwechjels ungefähr in die 
Jahre 1771 oder 1772, aljo in eine Zeit zu verlegen ift, wo Sophie 
von YaNoche ihren nach dem Borbilde Richardſons gejchaffenen Erjtlings- 
roman, die „Öejchichte des Fräuleins v. Sternheim“, in die Deffentlichfeit 
brachte und damit berechtigtes Aufjehen in der feinen Welt hervorrief. 
Damals mag auch Jung-Stilling, der fich zu der jentimentalen Yebens 
auffafjung der Schriftjtellerin hingezogen fühlte, einen brieflichen Verkehr 
mit ihr angebahnt haben, und als ung jelbjt 1777 mit jeiner Er— 
zählung „Ueber Heinrich Stillings Jugend“ vor das Publifun trat, er- 
gaben fich neue Anfnüpfungspunfte zwijchen den beiden Perſonen. 

Zu einer perjönlichen Befanntjchaft aber war es in den jiebziger 
‚sahren zwijchen ung-Stilling und Sophie dv. Ya Noche nicht ge- 
fommen, trogdem beide lange Jahre nicht einmal weit von einander 
wohnten. Denn Sophiens Gemahl weilte von 1771 bis 1780 als 
Kanzler des Kurfürſten Clemens Wenceslaus von Trier in Ehren- 


580 NR. Haffencamp, Briefe von J. H. Jung-Stilling an Sophie v. La Roche. 


breititein, Jung aber war von 1772—1778 als Arzt in Elberfeld thätig 
und jcheint, da er als Staaroperateur gejucht war und vielfach nad) 
auswärts gerufen wurde, auf einer diejer Reifen, wo er Frankfurt be- 
juchte und mit dem jungen Goethe zujammentraf, jogar den Wohnort 
der Familie Ya Noche berührt zu haben. 

Grit im jahre 1781 vollzog jich eine perjünliche Annäherung 
zwijchen den beiden Familien. Damals weilte Ya Roche, der 1780 aus 
dem Dienfte des Kurfürjten entlaffen war, in Speier, Jung aber war 
in dem benachbarten Staijerslautern jeit 1778 als Profefjor an der 
dortigen Stameralafademie bejchäftigt. Jung hatte damals jeine erſte 
Gemahlin Chrijtine, geb. Heider, durch den Tod verloren und war be= 
müht, jeinen Kindern eine neue Mutter zu geben. Schon hatte ex ſich 
an zwei verjchiedenen Stellen Körbe geholt, als er unerwartet von Frau 
v. Ya Noche einen Brief empfing, worin ihm dieje eine junge Dame 
ihrer Befanntjchaft, Frl. Selma v. Florentin, al3 pafjende Partie 
empfahl.) ung, der hierin einen Winf des Schiejals erblickte, reijte 
jofort nach‘ Speier und machte hierbei die perjünliche Befanntjchaft 
Sophiens; er führte jodann auch das ihm empfohlene Mädchen heim 
und ſchloß mit ihr eine in jeder Hinficht glückliche Ehe. Niemals hatte 
sung vergejjen, daß er einen guten Teil jeines häuslichen Glückes 
Sophien verdanfe, und jo gejtalteten jich die Beziehungen zwijchen beiden 
Familien jeit jener Heirat nur noch freundlicher und enger. An diejem 
Berhältnifje änderte ich auch nichts, als Jung 1784 als Profeſſor an 
die Univerfität Heidelberg berufen wurde. Auch von hier aus jcheint 
er mit der Familie Ya Noche perjünlich zufammengetroffen zu jein, und 
in einem unferer Briefe (Nr. ID) gibt ex feinem Bedauern Ausdrud, 
daß er troß jeiner Berabredung die Freundin in Mannheim nicht vor- 
gefunden habe. 

Mit dem Jahre 1787 verließ die Familie Ya Noche Speier und 
verzog nach Offenbach, ein Jahr jpäter wurde Jung nach Marburg be 
wufen. Hier bot fich ein neuer Anlaß, die Beziehungen beider Familien 
enger zu fnüpfen, da Sophiens jüngfter Sohn Franz, der vorher die 
Srziehungsanftalt des Dichters Pfeffel in Colmar im Elſaß bejucht hatte, 
die Univerjität Marburg bezog und im Haufe Jungs engen Familien— 
anjchluß fand. Bon da an berühren Jungs Briefe alle wichtigen 
amilienereigniffe des Ya Rocheſchen Hauſes: Bei dem Tode des jungen 
Franz dv. Ya Noche und bei dem frühen Ende dev Marimiliane Brentano 
ichreibt ex rührende, aus dem Herzen fommende und von wahrer Reli— 
gioſität dDurchdrungene Briefe; ex nimmt an dem Schiefjale aller Familien- 
mitglieder warmen Anteil, und noch im legten Briefe aus dem Jahre 1805 


) Sieh Jung-Stillings Schriften, Stuttgart 1835, 1, 395 f. 
q g 9 





R. Haffencamp, Briefe von J. H. Jung-Stilling an Sophie v. La Rode 581 


erfundigt ſich Jung, der inzwijchen wieder von Carl Friedrich von Baden 
nach Heidelberg berufen war, eingehend nach der ökonomiſchen Yage der 
Freundin. 

Erſt der im Februar 1807 erfolgende Tod der Sophie v. Ya Roche 
zerriß das langjährige Freundſchaftsband. 


IR 
Lautern !) den 4ten Zul. 1779. 


Berehrungsmwürdigfte Frau Canzlerin! 


Ihr letsteres Schreiben hatte ich beantwortet und einen Brief an Herrn 
Lipp beygejchloffen; beyde find aber verlohren gegangen, und nicht angekommen. 
Seit der Zeit habe ich auf einen Brief von diefem Herrn gewartet, und num hab 
ich einen erhalten. Ich hab vernommen, daß unfer Freund Fafobi?) ein paar 
Stufen höher geflettert, und geheimer Rath geworden iftz zieht ev denn würklich 
hin nah München, und hat er Sit und Stimme im geheimen Raths Kollegium ? 
Ich wünſch ihm in aller Abficht Gottes Seegen. Was macht denn aber Goethe? 
Ich vermuthe, Sie werden mehr wiffen, als ich, denn ich weiß nichts, als ein 
widerwärtiges Gemurmel des Volks. Ach, möchten doch umnfere großen Geifter 
weniger Genie, und mehr edle Teutjche Männer feyn, die ihre Riefenfchultern, ein 
jeder in feinem Theil, dem ſchwankenden Batterland unterftügen möchten. Ich 
fan des Klagens nicht jatt werden, wenn ich fo überfchaue, wie viel die Schriften 
Bieler unſerer Modefchriftiteller VBerdorben haben; eine gränzenlofe Empfindeley 
ohne Empfindfamfeit gegen das Wahre, Gute und Schöne, ohne Ueberwindungs— 
fraft gegen das Falſche, hat ſich der Herzen der Fünglinge durchgehends be- 
meiftert. Einer geht hin mit warmem Enthufiasmus, und bewegt den Fürften 
zu feinem empfindelten (?) Plan verbefferter Oekonomie. Kaum beginnt er die 
Ausführung, jo ſchwankts in dev Praxis, ihn vührt ein adlihes Mädgen, er 
vermag nicht gegen die Leidenſchaft zu kämpfen, ev entführt fie. 

Ein anderer zerdenft fi im Reich der Phantaſie, Schaft ſich furchtbare 
Ideale von Schönheit, tragifches Yiht durchglänzt feine empfindfame Seele, ex 
erhizt immer mehr und mehr feine Schöpferin, wird endlich vafend und fucht den 
Tod, andere toben in philantropinifcher Raferey.°) Gott weis! was am Ende 
aus dem allem wird, lauter Seifenblafenhafherey. Sehen Sie, hochgeſchätzte 
Frau! Sp wollt's miv durch den Kopf, wenn ich mir Goethe und Compagnie 
denfe, wie lieb ich ihn habe, und wie ein grofer Kopf er ift, aber ich bitte jehr, 
behalten Sie diefes für fih. Soll ich Ihnen nun auch fagen, was Stilling 
gern möchte? — mit einem Wort: würfen, diemweil es noch Tag ift — 
und da hat mich auch der liebe Gott hier auf einen Platz gejetst, wo es brav 
nod was zu mwürfen giebt. 


1) Lautern ift Kaiferslautern in der Pfalz, wo Jung-Stilling feit 1778 
als Profeffor an der dortigen Kameralafademie weilte. 

2) Fr. 9. Jacobi wurde im Frühjahr 1779 vom Kurfürften von Bayern 
und der Pfalz zum Geheimen Rat und zum Minifterialveferenten für das gefamte 
Zoll- und Handelswefen beftimmt. 

) Bei den vorangehenden Bemerkungen haben dem Schriftfteller Berfönlich- 
feiten, wie Leuchjenring, Lenz, der gerade im Anfange des Jahres 1779 in feiner 
geiftigen Umnachtung einen Selbſtmordverſuch machte, ſowie Baſedow vorgeſchwebt. 


Eupborien II. 38 


582 R. Haffencamp, Briefe von J. H. Jung-Stilling an Sophie v. La Roche. 


Uebrigens gehtS mir wohl, und unſere Akademie gründet fih von Tag 
zu Tag je mehr umd mehr. Sie werden wiffen, daß der Königlich ſchwediſche 
Kammerjunfer Guftav Freyherr von Blixen hier bei uns ftudirt, er ift ein 
fleifiger, waderer, gejetster, junger Mann, an dem wir viele Freude haben. Er 
weiß nicht, daR ich an Sie fchreibe, jonft würde er mir ein Kompliment an Sie 
aufgetragen haben. Vermutlich befucht er Sie aber diejen Herbft, oder ift er bei 
Ihnen gewejen ? ev war fürzlich einmal einige Tage fort, ob er mum auch zu 
Coblenz war, darum habe ich ihn noch nicht gefragt. Meine gehorjamfte Em— 
pfehlung an den Herrn Minifter von Hohenfeld®), desgleihen auch an Ihren 
verehrungsmwürdigen Gemahl. Ich bin mit ganz vorzüglider Hochachtung ganz 
der Ihrige 

ung. 


II. 
Heidelberg den Hien Febr. 1786. 


Necht leyd wars mir, Verehrungswürdige! daß ich Sie am Samftag nicht 
in Mannheim fand, und noch jchwerer fiels mir aufs Herz, als ich hörte, Ihr 
Herr Gemahl jey aufs Neue unpäslihd. Das Creuz ift das Drdenszeichen des 
Chriften, aber es hängt einem jo ſchwer am Halſe, ih hab es faft von allen 
Seiten getragen, aber nirgends ſchmerzt es mehr, als da wo Sie's jett tragen. 
Alle Ritter und Ritterinnen ſollen kämpfen, feiner wird gefrönt, er fämpfe denn 
veht. Wer überwindet — Wer überwindet?) — bloß um diejes Ueberwindens 
wegen möcht ich die Apofalypje in meiner Bibel nicht miffen. Getreu bis in 
den Tod, Meine Beſte! und die Krone des ewigen Lebens wird Dir nicht fehlen. 
Eine Bitte: Laffen Sie mir durch die Mdlle. Pfeffel?) fchreiben, wie Ihr Vatter 
und Mutter heißen; Sch muß es unverzüglich wiffen. 

Gott ftärke, jalbe, tröfte und fegne Sie, Liebe Dulterin! Grüßen Sie 
. den Mann, deffern Seele jet um Palmen vingt! Sch bin Ihr 

mitlepdiger Freund 
Meine Frau grüßt Sie alle innig. und alles, was Sie 
wollen 


sung. 


11. 
Marburg den 15ten Jun. 1788. 


Dank, Taufend Dank! für die überfandte Keifebefchreibungen*), befte 
mütterliche Freundin; fie find die Erone aller Ihrer Arbeiten und machen Sie 


1) Freiherr dv. Hohenfeld war zu derjelben Zeit kurtrieriſcher Minifter zu 
Coblenz, als La Roche als Kanzler an dem gleichen Hofe wirkte; beide fielen im 
Jahre 1780 beim Kurfürften in Ungnade, und Hohenfeld ftellte damals feinem 
Freunde La Roche fein Haus in Speier und feine Einkünfte zur Verfügung. 

2) Worte aus dem fiebenten und elften Berje im zweiten Kapitel der Offen- 
barung Fohannis; „wer überwindet, — jo heißt es hiev — dem will ich zu 
ejfen geben von dem Holz des Lebens, das im Paradies Gottes iſt.“ Auch der 
nachher citierte Vers „Sei getreu bis an den Tod, jo will ic dir die Krone 
des Lebens geben“ entftammt dem gleichen Kapitel dev Apofalypje (Vers 10). 

°) Gemeint ift jedesfalls Karoline Pfeffel, die Tochter des Dichters, die 
auch im Briefwechjel Pfeffels mit Sophie v. La Roche erwähnt wird. 

*) Gemeint find die Tagebücher über die Reiſen der La Roche nad Frank— 
reich und der Schweiz, die 1787 erjchienen. 





R. Haffencamp, Briefe von J. 9. FJung-Stilling an Sophie v. La Rode. 583 


auch für diejes Leben ımfterblih. Auch Stillings Vierdter Band!) ift fertig, und 
wird jest zum Drud ins veine gefchrieben. Ich verwandte die jhönen Frühlings- 
Tage darauf und verlebte manche füge Wonneftunde in der Erinnerung fo mander 
glücklich überjtandener furchtbarer Yeyden. Daß Sie, meine auserwählte, beſte 
Freundin! eine merfwürdige Rolle in diefer Geſchichte jpielen, können Sie leicht 
erachten; ich hab Sie auch kühn mit Namen genannt, denn das war ic) Ihren 
Berdienften um mich jchuldig. 

Sobald das Werk gedrudt ift, befommen Sie's, mein Bildniß wird en 
Medaillon vorgedrudt. 

Unfer Franz?) bleibt, was er war, das Mufter eines edlen Fünglings 
und Studenten, ſein Fleiß ift ohne Gränzen, und feine Aufführung ganz nad) 
Wunſch, er und fein Freund Engelbad wohnen nun beyfammen; fie haben einen 
Birfel der beiten jungen Leute um fich, und fie leben zufammen wie die Engel. 

Meine gute liebe Selma hätte fich ſelbſt fchriftlih bedankt, allein fie 
jtect, bis über die Ohren, in der grofen generalen Frühlings-Wäjche, und da 
wiffen Sie als Haus-Mutter, was das zu jagen hat; ich muß alle Augenblice 
nad der Wetterfahne auf dem Schloßthurme gucken, denn es vegnet, und das ift 
für fie jett ein leydiges Schickſal; indefjen bleibt die Fahne hartnädig, was fie 
ift, fie weift immer nach dem Regenloch Hin, und der Wind hat nicht foviel 
Höflichkeit gegen eine jo honnette Dame, daß er auch mur einen oder zwei 
Tage die Wolfen an einen anderen Ort treibt, und die Sonne auf unfere naffen 
Kleider wohlthätig würden läßt. Nun, dev Aeolus war für fein Lebtag ein 
eiferner, umerbittlicher Kopf, er wird ſich auch jett in feinen alten Tagen nicht 
mehr ändern. Man muß alfo Geduld haben. 

Neues weiß ich weiter nichts; denn daß es uns bis auf die fatale Wäfche 
unbejchreiblih wohl gehe, ift Ihnen nichts Neues. mpfelen Sie uns Fhrem 
theueren Herrn Gemahl und jämtlichen Lieben. 

Ich bin mit der wärmſten chverbietigften Liebe 

Ihr 
ganz eigener 
Jung. 

Bemerkung von der Hand der Sophie 
von La Roche: 

Dies iſt für Frantz — Sie ſchicken 
mirs wieder, Liebe Julie — aber Sie 
ſehen, Er iſt Clermonts Güte wert.?) 


1) Hierunter ift „Jung-Stillings häusliches Leben“ zu verftehen, das 1789 
zu Berlin erichien und nach der Darftellung der Jugend, der Fünglingsjahre und 
der Wanderjahre gleihjam als vierter Band aufzufafjen ift. 

?) Franz Wilhelm, jüngfter Sohn des Hofrats von La Roche, geb. 1768, 
hatte damals die Univerfität Marburg bezogen, ftarb aber ſchon 1791, nachdem 
er fich eben verlobt und eine Anftellung im Forſtfache erhalten hatte. 

) Gerichtet find Ddiefe Zeilen der Frau dv. Ya Roche wahrſcheinlich an 
Julie, Frau v. Clermont zu Vaels, geb. Kopftadt, welche Karl Theodor Arnold 
v. Clermont, den Neffen des Philofophen Friedrich Heinrich Jacobi, geheiratet 
hatte und an die auch ein Brief des genannten Philofophen in feinem Briefwechſel 
(ſ. Friedrich Heinrich Jacobis auserlefnen Briefwechjel. Herausgegeben von Roth. 
Leipzig 1825. Nr. 136 ©. 370) erhalten ift. Wahrſcheinlich hatte der junge Franz 
v. La Roche eine Ferienreiſe zu Clermont unternommen, und nun fandte die 
Mutter an die Frau v. Clermont jenen Brief Jung-Stillings, der fi) jo günftig 
über ihren Sohn ausjprad). 


38* 


584 R. Haffencamp, Briefe von J. 9. Jung-Stilling an Sophie v. La Roche, 


IV. 
Marburg den 18ten 7br. 1791. 


Stärke! — Kraft der Dultung! — ewiger Gottes Friede fomme von 
des Himmels Höhen auf Sie herab, Edle Dulterin im Ofen des Elends und der 
Leyden! — Großer Gott! deine Prüfungen find ſchwer! — aber liebe mütter- 
liche Freundin! Beſinnen Sie ſich einmal auf eine Antwort auf folgende 
groſe Frage: 

„Wenn ein groſer Monarch jemand auf viele ſchwere Proben ſetzt, was 
hat er dann für Abſichten? 

Gewis keine anderen, als ihn zu groſen Zwecken zu brauchen, im Fall 
er ausdauert; Er, der die Schickſale des Wurms im Staube regiert, regiert auch 
die Unſrigen, er bildet und vorbereitet uns zu Werkzeugen groſer Plane und 
ihrer Ausführung; ich hab ſchon zwey fromme Weiber!) und fünf Kinder nad 
Hauß geſchickt, und jchon hier hab ich die großen Abftchten Gottes mit mir 
dabey empfunden, und bin glüdlih; Sie werden auch vielleicht dunkle Blicke ins 
Geheimnig der Borfehung thun, wenn Ihre Augen einmal von Thränen leer 
find und Sie beffer fehen können. 

Wie wenn die grofe Katharina von Rußland den Seeligen zum Minifter 
Ihrer Staaten berufen hätte? — Befinnen Sie fih, Beſte! was Sie bei diefer 
Voeation wohl würden gethan haben? — Nicht wahr? Sie hätten Ihr mit 
Thränen gedankt; — Num ja, der Abjchied hätte Sie auch Thränen gefoftet, 
auch dann hätten Sie ihn wohl nie wieder gefehen, und doch — ich weiß, Sie 
hätten fich bei alle dem gefreut. 

Aber jet, die Parallele: — Er, der edle junge Mann, der jett einen 
Titel, einen Namen hat, der über alle Namen ift, hat einen höheren Beruf be- 
fommen; ich freue mich, daß ich ihm Grundſätze beigebracht habe, die er allent- 
halben im Reiche Ehrifti brauchen fan, auf welchem Firfterne oder Planeten er 
Minifter geworden ſeyn mag. Nicht wahr, liebe Creuzträgerin! Sie haben gegen 
diefe Parallele nichts einzuwenden? D! fie ift unausſprechlich richtig und tröftend, 
und — liebe Befte! — Doch trauern fie vielleicht jehr. Gelobet jey der Herr 
aller Himmel und Herrichaaren, der ihn aus allen Gefahren errettet und zum 
Neiche feines Sohnes befördert hat! — Ja, höre ich Sie leife lagen, aus Rußland 
hätte ich doch zu Zeiten einen Brief von ihm befommen? — Gut! aber die 
Briefe, die er jet an Sie jchreibt, find gleichen Inhalts mit den Briefen der 
Apoftel Petrus und Johannes, — O leſen Sie fie und dann denken Sie, 
jo jchreibt jett mein Kranz — Nein! So heißt er nicht mehr — der Engel, 
der mein Sohn war, — an mid). 

Der Engel, der mein Sohn war!!! 

Mutter! — was ift das? — Der Gedanke durchſchauert mich mit Schauern 
aus dem Weiche der Herrlichkeit; Wir haben Kinder, die nun Engel find, — 
und diefe haben ihre Eriftenz durch uns. Zu welcher Würde wird das Weib 
hinaufgeadelt, wenn ihm ein Kind ftirbt? O könnten Sie dies Alles faſſen — 
jetst faffen, da Ihre Seele unter der Laſt des Kummers taumelt! — 

Wir alle, und befonders aud meine Elife?) und Kinder, wir alle fühlen 
Ihren Jammer tief, ſehr tief, mehr als Sie denfen. Der Herr tröpfle Balſam 
des Troſtes auf Ihre wunde, lechzende Mutterfeele, und tröfte Sie mit dem Vor— 
gefühl des frohen Wiederjehens. 


!) Die erfte Gemahlin Jungs, Chriftine, geb. Heyder, war 1781, die 
zweite, Selma, geb. vd. Florentin, im Jahre 1790 verftorben. 

?) Den dritten Ehebund ging Jung-Stilling 1791 mit Elifabeth Going, 
einer Freundin feiner verftorbenen Gattin, ein. 





RN. Hafjencamp, Briefe von J. H. Jung-Stilling an Sophie v. La Rode. 585 


Lefen Sie doch Matthifons Lied jet; es fteht in feinen Gedichten ©. 219 
„Die Unfterblihfeit“.t) 

Friede, Friede fey mit Ihnen, theure Freumdin! 

Das wünfcht Ihnen Ihr ewiger Freund und Sohn 

sung. 

Wir Heffen dürfen nicht Schwarz ftegeli, weil die Trauer-Ordnung jehr 
ſtreng beobachtet wird; deswegen ift auch dieſer Brief roth gefiegelt; verzeyhen 
Sie das! — 


Marburg den 27ten Ihr. 1793. 


Srofer Gott! was fann man anders thun, als mit Ihnen, arme zur 
Erden gedrüdte Mutter! weinen und wehllagen! — Der Allmächtige reißt eine 
Stüte nad) der anderen weg, und Sie ftehen allein da im Sturm und Ungewitter. 

Die gute Frau! — Diefe Roje?) hat aljo num auch der Sturm ent- 
blättert! O Bergänglichfeit! — wie beftändig bift du! 

Machen Sie fi, Theuerfte! vertraulich mit der Zeit! Sie ift die befte 
Tröfterin, und das kann man am bejten, wenn man fie neben die Ewigkeit, ihre 
Mutter, binftellt. O dann wird fie gefprädhig, und was fie einem dann erzält, 
das mag man behalten: denn es find Worte des ewigen Lebens. 

Lefen Sie Youngs Nachtgedanten über die Zeit, es giebt feine fchönere 
Lektüre in einer ſolchen Seelen-Lage. Ich laß fie nach Chriftinens und Selmas 
Tod, nie war mir etwas erquidender. Er wandelt mit einem zwifchen Gräbern 
herum und flüftert einem hohen Frieden im die Seele. 

Gott Iindere Fhren Kummer! — Das wünfchen von Herten Ihre 

treuen Kinder 
Sung. 
VI. 
An die Frau geheime Staats-Näthin von Ya Roche. 
Marburg den Iten März 1794. 

Es war mir jehr tröftlich, Meine teuere mütterliche Freundin! daß ich 
wieder einmal einen Brief von Ihnen befam. Auch für uns ift diefer Winter 
hart und traurig geweſen: das einzige Kind, das ich mit meiner guten Elife habe, 
ein Mädchen wie ein Engel, ftarb uns vor ein paar Wochen an den Folgen der 
Nöteln, und meine theure Gattin trägt noch immer ihren Halskframpf, zwar mit 
chriftlicher Gedult, aber mit vielen Leyden. 

Denken Sie, was es ein zärtliches Herz Foftet, zwey Weiber und ſechs 
Kinder vorausſchicken zu müffen! 

O wie richtig ift Ihr Urtheil über alles das, was uns umgiebt; wir 
wandeln mühſam in der Nacht durch das Thal der Schatten und des Todes hin, 
und jehen kaum den Pfad vor unſren Füßen, geichweige daß fich die Gefahren 
häufen, je weiter wir fortwandeln. Ich kann Ihnen verfichern, daß nichts in 
der Welt im Stande ift, mich aufrecht zu halten als die Religion. O wie dante 
ich meinem Gott, daß ich in den verfloffenen, ruhigen und ficheren Zeiten meine 
Lampe nicht auslöfchen ließ! — wie nöthig ift fie mir jetst, und wie ficher kann 
ich dabei fortpilgern, fein Wind wird fie mir auslöfchen, dafür wag ich mein Leben. 


1) Friedrich von Matthifons Gedichte waren 1787 in Mannheim in erjter 
Auflage erjchienen. 

2) Gemeint ift Sophiens Tochter, Marimiliane Brentano, deren damals 
erfolgter Tod dem Schriftiteller Anlaß zu diefem Gondolenzbriefe gab. 


586 R. Haffencamp, Briefe von J. H. Jung-Stilling an Sophie v. Ya Roche. 


Daß fih Forfter vergiftet habe, vermutheten wir hier; das ift aber fein 
Wunder; hat man fich einmal die Seele vergiften lafjen, jo ift das Uebrige alles 
Kleinigkeit; aber Fluch über fein ehemaliges Weib! Die und nocd eine Dame 
find Schuld an feinem Unglüd. 

Brentano!) fühlt fih nad Yeib und Seel und im Beutel felbjtitändig, 
den müffen Sie machen laßen; wenn die Kinder in gute Klöfter kommen, jo ift 
diefe Erziehungsart nicht jo übel. Indeſſen kann ich alles ſehr lebhaft empfinden, 
was Sie dabei fülen?); daß es Sie ſchmerzen — fehr Schmerzen muß, ift gar feine 
Frage. Sie waren ſchon mehrmals in Lagen, wo Sie ſchweigen und Schmach 
tragen mußten, ohne daß Sie es verdient haben. Auch das hat feinen grofen 
Werth auf die Emwigfeit. Adjeu ewig geliebte! 

Wir alle grüßen Sie und füffen Ihnen die Hand als Ihre 

treue, zärtlihe Kinder 
gung. 


VI. 
Marburg den 15ten Augft 1800. 
Meine teuerſte mütterliche Freundin! 


Es traf fich gerade, daß ich nicht zu Haus war, al$ Georg Andre den 
Brief brachte, ih hab ihn aljo nicht gejehen. 

Die gütige Borfehung hat es jo gefügt, daß meine Frau nah Hofgeißmar 
gehen mußte, um die Badekur zu gebrauchen; Wißbaden würde ihr auch bey den 
gegenwärtigen Umftänden mehr gejchadet als gemüzt haben: Denn fie bekam das 
Uebel durch Schrecken. Indeſſen ift ihr Halsziehen wenig befjer geworden, übrigens 
aber befindet fie fich wohl. 

Herzlich) werden wir uns freuen, Sie im unferer Mitte zu fehen: den 
auch wir alle ſchätzen und lieben Sie ehr. 

Die Frau von Kalb gab mir einen dunkeln Wink, als wenn fie von 
Ihnen gehört hätte, daß jemand gegen meine Erklärung dev Apocalypſe?) jchreiben 
würde; jogar hörte ich, Wieland jollte dev Mann jeyn. Das wäre dod) curios! — 
indefjen gehts mir dabey, wie dem feel. Luther; es kitzelt mich blos an meiner 
linken Knieſcheibe, ich Frage mich damı ein wenig, und dann iſt's Al. 

Der Apoftel Paulus fagte jhon zu feiner Zeit, daß die Wahrheit von 
Jeſu Ehrifto den Juden eine Aergernis und den Griechen eine Thorheit jey, jo 
gehts bis auf dem heutigen Tag. Wie viele offenbar jchädliche Bücher werden 
heut zu Tage gejchrieben, und es Fräht fein Hahn darnach — laße man doch 
jeden Bogel fingen, wie es feine Natur mit fih bringt, alſo mid auch. Am 
Ende wollen wir dann jehen, wer am beften gefungen hat. 

Ich möchte denn Doch wiſſen, welche philofophifche Vernunft = Neligion 
eigentlich die Wahre fei, indem ein jeder feine eigene und zwar ſehr eigennütige 
hat? — umd dann muß man doch wohl an der Würdung fehen, welche Arzeney 
die befte ift? — immer fand ich, daß der wahre Ehrift der bejte Menfch ift, 


1) Clemens Brentano, Sophiens Entel, war damals jechzehnjährig in das 
väterlihe Gejchäft eingetreten, hatte aber hier nicht gut gethan; darauf bezieht 
fi wohl Fungs Notiz. 

*) Bettina Brentano war in einem Klofter erzogen worden; Jung nimmt 
an, daß dies gegen den Wunfch ihrer proteftantiichen Großmutter gefchehen jei. 

) Im Jahre 1798 ſchrieb Jung-Stilling die Siegesgefhichte der chrift- 
lichen Religion in einer gemeinnügigen Erklärung der Offenbarung Johannis, 


R. Haffencamp, Briefe von J. H. FJung-Stilling an Sophie v. Ya Rode. 587 


© 


folglich) muß ev doch auch wohl die befte Religion haben. Ja, aber die Vernunft! — 
Eh nun, fie kennt ja nicht einmal das Licht, die Kräfte des Magnets und taufend 
andere phyfif he Erſcheinungen, wie viel weniger überfinnliche Dinge. Der Prediger 
im Thüringer Wald jchalt den Schweizer einen Lügner, als er ihm jagte, auf 
den Alpen wäre eiwiges Eiß und Schnee; denn der Herr Pfarrer bewieß mathematifch, 
folglih unmiderlegbar, daß die Wärme in die Höhe immer zunehmen müffe, weil 
man da der Sonne immer näher fäme; jo urtheilt der größte Weiße, jobald cs 
ihm an Erfahrungsjfäßen mangelt. 
Die herzlichften Grüße von uns allen an Sie und die liebe heitere Zouife. !) 
Ich bin mit Mund und Herzen Ihr Sie 
innigit liebender und hochſchätzender 
Sohn umd Freund 
ung. 
vn. 
Baden bey Naftadt 2ten Augft. 1805. 


Da find wir num, theure mütterliche Freundin! — meine Frau, um an 
der uralten heilfamen Duelle Erleichterung oder gar Heilung ihrer Beſchwerden 
zu finden, und ic, um dem Kurfürften?) nahe zu fein, der nächfter Tage nach der 
Favorite fommt, die anderthalb Stunden von hier entfernt ift. Wir waren in 
Augsburg, Gott fegnete meine Hand an zehn Blinden. Die Stadt ift fehr 
ihön und noch immer in grofem Wolftande, die Bürgerſchaft ift freundlich und 
cultivirt. 

Herzlichen Dank für alle Ihre ökonomischen Nachrichten, die mich denn 
doch in fofern beruhigt haben, daß ich weiß, daß Sie von drüdendem Mangel 
frey jind, und unfere Louiſe nun ganz ihr eigener Herr ift, für alle übrigen 
noch in Verwirrung ftehenden Verhältniffe wird dann der Bater der Menfchen 
auch forgen; dergleichen Sachen dürfen Ihnen feine drücende — verurſachen. 
Was die Gemäldeſammlung?) und dergleichen Dinge betrifft, jo laßen Sie ſich 
das nicht anfechten, behalten Sie das alles, jo lang Sie (eben; nad Ihrem Hin— 
gange mögen die Kinder Ihre Maßregeln nehmen, jo gut fie fünnen. Mit einem 
Wort: ſorgen Sie für nichts mehr als für Ihre Gemütsruhe, juchen Sie den 
inneren erhabenen Gottesfrieden, und bejchäftigen Sie fih mit jenem Leben, 
welches allein Wejen und dieſes nur Traum ift. 

Meine Elife grüßt Mutter Ya Roche und ich ebenfalls von ganzem Herzen, 
als Ihr ewig verbumdener 

treuer Freund 
Jung, gt. Stilling. 


) Louiſe iſt Sophiens zweite Tochter, die in erjter Ehe an den Hofrat 
v. Möhn, in zweiter Ehe an einen Herrn v. Heffen vermählt war. Während ihres 
Witwenftandes war fie zu ihrer Mutter nach Offenbach) gezogen. 

?) Gemeint ift Carl Friedrich von Baden, der feit 1771 vegierte und durch 
Reihsdeputationshauptichluß 1803 zum Kurfürften gemacht war; nach dem Unter- 
gange des deutſchen Reichs hatte er fodann den Titel eines Großherzogs an- 
genommen. Seit 1803 hatte diefer Fürft den Schriftfteller Jung wieder an die 
Univerfität Heidelberg berufen. 

3) Die Gemäldeſammlung der La Roche enthielt namentlich eine Reihe 
wertvoller Bilder Tiſchbeins. 


588 N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 


Studien zu Goethes Elpenor, 


Bon Rudolf Schlößer in Jena. 


Obwohl es feinem Zweifel unterliegen fann, daß das Verjtandnis 
von Goethes „Elpenor“ in den legten Jahrzehnten durch die liebe- 
vollen Bemühungen namhafter Gelehrter wejentlich gefördert worden 
it, jo bleibt e8 doch ebenjo gewiß, daß die Forſchung noch immer weit 
davon entfernt ift, alle die Nätjel gelöft zu haben, welche fich an das 
interefjante Bruchſtück knüpfen. Ob dies überhaupt jemals möglich 
jein wird, bezweifle ich; joviel aber jcheint mir doch ficher, daß man 
dem Ziele näher fommen fann als es bisher gejchehen ift. ‘ch trage 
daher Fein Bedenfen, im Folgenden einige Gedanfen mitzuteilen, die 
mir bei eingehender Bejchäftigung mit dem „Elpenor“ aufgetaucht find, 
wenn jchon ich nicht überall Gewiſſes bieten kann und mich oft auf 
Vermutungen bejchränten muß. 


I. 

Am beiten find wir über die Quellen unterrichtet, aus denen 
Goethe den Stoff des „Elpenor“ jchöpfte, ja, es jcheint faft, als 
jei unfere Stenntnis des benußgten Materials jegt lückenlos. Trotz 
Ellingers heftigem Widerjpruch (Goethe-Jahrbuch 6, 262 ff.) bleibt es 
dabei, daß W. von Biedermann (Goethe- Forjchungen 1, 94 ff.) in 
dem chinefiichen Schaufpiel „Des Haufes Tſchao Fleine Waife“ Die 
Hauptquelle Goethes richtig erkannt hat; auch der legte Zweifel muß 
als bejeitigt gelten, jeitdem Biedermann (Zeitjchrift für vergleichende 
Yiteraturgefchichte, Neue Folge 1, 373 ff.) den Nachweis geführt hat, 
daß Goethes Tagebuch im Januar des Jahres 1781, eben jenes Jahres, 
welches die Anfänge des „Elpenor“ zeitigte, Befanntjchaft mit Du Haldes 
„Description de la Chine“ (1735) verrät, welche u. a. das chinefifche 


Stüd enthält. — Zarnde hat (Zur fünfzigjährigen Wiederkehr des 
Tages, welcher einft Karl Auguſt Haſe der Univerfität Jena zu— 
führte, 1880) — wohl etwas zu nachdrücklich — auf die Verwandt- 


jchaft des „Elpenor“ mit der Antiope-Fabel Hygins hingewiejen, und 


R. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 589 


neuerdings haben Morjch und Seuffert (Bierteljahrichrift für Yiteratur- 
Gejchichte 4, 111 ff.) fejtgejtellt, daß als dritte Quelle Gotters Merope- 
Drama (Gotha 1774) zu gelten hat. — Es ift bisher noch nicht be- 
merkt worden, daß dieje legte Entdeckung ein Rätſel löſt, für welches 
früher Biedermann (Goethe-Forſchungen 2, 148 fi.) und Seuffert 
(Archiv für Literaturgejchichte 14, 400) vergebens eine fichere Erklärung 
juchten, wie nämlich Goethe auf den „ungeheuerlichen“ Gedanken 
gefommen jei, zwei jo grumdverjchiedene Stoffe wie das chinefijche 
Schaufpiel und die Antiope-Sage mit einander zu verbinden. Zieht 
man die „Merope“ hinzu, jo ergibt jich die Löſung ganz leicht: Das 
„Hauswaischen Tſchao“ berührte jich in verjchiedenen Hauptpunften 
mit dem Drama Gotters. In beiden Stücen ſucht ein ehrgeiziger 
Würdenträger das ihm im Wege jtehende Gejchlecht zu vertilgen und 
von dem Untergange wird nur ein ganz Eleines Kind gerettet. Dieſes 
wächit ohne Ahnung von jeiner Abfunft auf, veift zum Jüngling und 
vollzieht, mit der Gejchichte jeines Hauſes befannt gemacht, an dem 
Mörder jeines Vaters und feiner Gefchwijter das Werk der Nache. — 
Dieje aufjallenden Webereinftimmungen mußten Goethe auf Gotters 
Werf verweijen, und von Ddiefem aus Fonnten ihn zwei Wege zur 
Antiope führen: entweder er ging auf die urſprüngliche Quelle der 
Merope-Sage bei Hygin zurück und fand bei eben dieſem Hygin die 
Antiope- Fabel, die jich durch einige Verwandtjchaft mit dem Merope- 
Stoffe zur Einflechtung in den „Elpenor“ empfehlen mochte; oder 
aber er griff im Anjchluffe an die Bejchaftigung mit dev „Merope“ 
zu Leſſings Hamburgiſcher Dramaturgie, um ſich deren Urteil über 
Voltaires Merope-Tragddie zu vergegemwärtigen, und fand bei diejer 
Gelegenheit am Schlufje des 39. Stüdes, mitten in der Merope— 
Beiprechung, die Antiope erwähnt. — Auf das Borfommen der 
Antiope in der Dramaturgie und die Möglichkeit, daß Goethe von 
dort aus auf die Sage geleitet worden jei, hat beveits Biedermann 
(a. a. DO.) hingewiejen, jedoch find jeine Vermutungen darüber, wie 
Goethe von dem chinefijchen Stücke auf die Dramaturgie verfallen jei, 
jehr unficher, während ſich diejer merkwürdige Uebergang durch die 
Merope ganz einfach erklärt. Mir ift es übrigens wahrjcheinlicher, 
daß nicht Leſſing, jondern Hygin den Vermittler machte, denn es will 
miv nicht vecht in den Sinn, daß Goethe bei der Konzeption des 
„Elpenor“ zu einem fritifchen Werke gegriffen haben jollte. — Der 
don mir vorausgejeßten Reihenfolge in der Benußung der Quellen 
entjpricht der Grad ihrer Verwertung: am ftärfften ift das chinefische 
Stück herangezogen worden, nächjt ihm die „Merope“, aus welcher 
— abgejehen von den Zügen die fie von vornherein mit dem „Haus— 
waischen Tſchao“ teilt — die Mutter als Trägerin eines Hauptteils 


590 N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpeuor. 


der Handlung, die Zuneigung der Mutter zu ihrem unerfannten Sohne 
und des Sohnes zur unerfannten Mutter,t) und endlich die typijchen 
Srundlagen der Charaktere entlehnt jind. Der geringjte Anteil fallt 
dev Antiope-Fabel zu, aus welcher mit Ausnahme dev Namen Yyfus 
und Antiope nichts wejentlich Neues entnommen: ift. 


IE 

Wenigftens in zwei Bunften ijt die Erklärung des Elpenor-Bruch- 
jtückes zu ficheren Ergebnijjen gelangt. Es bleibt aber noch darauf 
hinzumeijen, daß das erjte diejer Ergebnifje jeit einiger Zeit nicht nur 
mehr gewilje Vermutung, jondern unbedingte Sicherheit beanjpruchen 
fann, und daß jich fiir das zweite mehr Gründe anführen lajjen, als 
bisher gejchehen ift. — Seitdem Zarnde gezeigt hatte, daß der „Elpenor“ 
zu einer Zeit begonnen wurde, als man in Weimar der Entbindung der 
Herzogin Yuile entgegenjah (Auguft 1781) und, nach unglücklichen 
Verlauf diefer Entbindung, erſt im Anfang März 1783, nach der 
Geburt des Erbprinzen Carl Friedrich, wieder aufgenommen ward mit 
der ausgejprochenen Abjicht und Hoffnung, das Drama bis zur Kirch- 
gangsfeier der Herzogin fertig zu jtellen, war es jchon jo gut wie gewiß, 
daß der „Elpenor“, als ein Stüd zu Chren der hohen Wöchnerin, 
nicht tragijch enden jollte: eine Mutter an der Leiche ihres Kindes 
war feine Situation, die in einem jolchen Werfe vorkommen fonnte. 
Dem gegenüber hat allerdings Ellinger (a. a. DO.) darauf bejtanden, daß 
der „Elpenor“ unglüclich habe ausgehen jollen, da er, jeitdem Riemer 
ihn 1806 für den 4. Band der Werfe vedigiert habe, jtet3 den Titel 
„Ein Trauerſpiel“ geführt habe. Diejer Eimvand ijt völlig befeitigt 
und Zarnckes Anficht glänzend gerechtfertigt durch die Beröffentlichung 
des urjprünglichen „Elpenor“ im 11. Bande der Weimarifchen Goethe- 
Ausgabe (1892, ©. 369 ff.); in der Abfchrift Vogels von 1783, 
die dem Drucke zu Grunde liegt, heißt Elpenor ausdrüdlich: „Ein 
Schaujpiel.“ 

Zweitens fünnen wir Gewißheit beanfpruchen für die Annahme, 
daß Elpenor der Sohn der Antiope und nicht etwa der des Yyfus ift. 
Für denjenigen, dem die vein gefühlsmäßige Erkenntnis dieſes Ver— 
hältnijjes abgehen jollte und dem auch die übrigen von Biedermann 
(Goethe-Forfchungen 1, 101 ff.) angeführten Gründe nicht einwandfrei 
erjcheinen, müſſen Doc zwei Bunfte überzeugend jein: die Analogie der 
Merope- (auch wohl der Antiope-) Fabel, und noch vielmehr die Be- 


) Bgl. aber auch Biedermann, Goethe⸗ Forſchungen 1, 120, wonach in r 
einer chineſiſchen Erzählung, die gleichfalls Du Halde mitteilt, eine Knabe gegen 
jeinen vermeinten Vater gleichgiltig, gegen den wirklichen Vater voller Liebe ift, 








N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 591 


ziehung des Dramas auf die Geburt des Erbprinzen. — Die Möglich- 
feit, daß Antiope ihren vechten Sohn erjt im Verlaufe des Stückes 
gefunden haben fünne, ändert nichts an dev Beweisfraft diejes legten 
Grundes: fie ift deshalb ausgejchloffen, weil es ein Unding gewejen 
wäre, der Herzogin eine Mutter vorzuführen, die ihre Yiebe zwijchen 
ihrem wirflihem Sohne und einem Fremden zu teilen hatte. 


II. 

Sm „Elpenor“ jind bisher zwei Stellen gänzlich unrichtig aus: 
gelegt worden. 

1. Im zweiten Auftritt des erſten Aufzugs jagt Evadne zu Elpenor 
an dem Tage, wo er aus ihrer und Antiopes Nähe jcheiden joll: 
„— — Du teitjt eine weite Reife an. Die erjten Pfade liefſt du 
ipielend durch, und nun betrittit du einen breiten Weg; da folge jtets 
Erfahrnen! ES wiirde div nicht nüzen, dich verwirren, bejchrieb ich 
dir beim Ausgang zu genau die fernen Gegenden, durch die du wandern 
wirjt. Der befte Rath ift, folge gutem Nath, und laß das Alter div 
ehrwürdig ſein.“ (Weimarifche Ausgabe 11, 376 3. 24 ff.) 

Zu diefer Stelle bemerft Seuffert (Archiv 14, 395): „Evadne 
jagt voraus, Elpenor werde durch ferne Gegenden wandern“, und bringt 
daraufhin die Stelle mit einer andern des zweiten Aufzugs (©. 394 
3-1 ff.) zufammen, in welcher Elpenor jich freut, daß ex jeine Gefährten 
ungebahnte Wege führen werde, kletternd ſchnell den jichern Feind in 
jeiner Felſenburg zu Grunde zu richten. Aehnlich behauptet Kettner 
Preußiſche Jahrbücher 67, 158): „Auffallend ift es, daß Evadne eine 
genaue Kenntnis dev Verhältniſſe in Elpenors Heimat verrät. ‚Nicht 
nußen wird es, würde nur verwirren, bejehrieb ich div beim Austritt 
zu genau die fernen Gegenden, durch die du wandern wirt‘, jagt ſie 
ihm beim Abſchiede.“ — Die übrigen Erfläver nehmen auf dieſe Stelle 
feine Nüdjicht. 

Wenn fich auch Seuffert von den Uebertreibungen Kettners frei 
hält, jo jtimmen doch beide in dev Grundauffaſſung überein: fie nehmen 
an, daß ſich Evadnes Worte auf die Neije beziehen, die Elpenor mit 
jeinem vermeintlichen Bater Lykus in dejjen Neich unternehmen joll. 

„sch begreife zumachjt nicht, wie Evadne überhaupt auf den merf- 
würdigen Gedanken fommen fol, dem. Elpenor eine nftruftion über 
jeine Wege mitzugeben, da diefer doch die Neife in Begleitung jeines 
Baters und zahlreichen Gefolges antreten wird, eines jolchen Unterrichts 
aljo gar nicht bedarf. Aber das ift noch das geringfte Uebel; mit den 
Worten „du trittſt eine große Neife an, die erften Pfade liefſt du 
jpielend durch, und nun betrittft du einen breiten Weg“ weiß ich, wenn 
ich mich Seuffert und Kettner anſchließen will, jchlechterdings nichts 


592 R. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 


anzufangen. Die einzig mögliche nterpretation jcheint mir alsdann : 
„du haft bis jeßt nur Kleine Erfurfionen unternommen und wirft nun 
auf einer breiten Yandjtrage den weiten Weg in deines Vaters Yand 
antreten“ — und nicht einmal dieſe Deutung paßt, ganz abgejehen 
von ihrer Sinnlofigfeit. Evadne fährt fort: „da folge ſtets Erfahrnen“, 
erklärt dann, daß dem Elpenor eine zu genaue Bejchreibung der 
Gegenden, durch die er wandern müſſe, nichts müßen werde, und 
jchließt: „Der bejte Rath ijt, folge gutem Rath, und laß das Alter 
dir ehrwürdig ſein.“ Sind die „fernen Gegenden“, in die Elpenor 
wandern jol, wirklich nichts weiter als Yandftriche, jo vermag ich die 
voraufgehende und nachfolgende Mahnung Evadnes nur dahin zu 
verjtehen, daß jie ihm vät, ſich vecht forgfältig nach dem Wege zu 
erfundigen, bejonders bei alten Leuten. Das hat aber weder Sinn 
noch paßt e8 in den Zujammenhang, „Wunfch und Seegen“ iſt es 
(7, 21), was Evadne ihrem Schüßling mitgeben will, nicht etwa auf 
jeine Reife in die Heimat, jonderın auf den Yebensweg. Den 
eriten Pfad der Kindheit hat Elpenor jpielend durchlaufen, nun betritt 
er den breiten Weg des öffentlichen Yebens, aus der Sorge der Frauen 
entlajjen, an der Seite feines füniglichen Vaters. Da würde es ihm 
nicht helfen, wenn Evadne den Unerfahrenen über alle Einzelheiten 
unterrichten wollte, die ihm auf dem Yebenswege begegnen fünnen; 
jie gibt ihm Statt deſſen mur einen einzigen Nat für alle Falle: 
Erfahrenen zu folgen und das Alter zu ehren. Es iſt in der That 
derjenige, den der ſtürmiſche Jüngling vor allen wohl gebrauchen kann. 

Es geht aljo nicht an, dieſe Stelle mit Elpenors geplanten 
Ausflügen in Berggegenden zufammenzubringen oder gar die Folgerung 
daraus zu ziehen, Evadne jei mit den Verhältniſſen in Elpenors 
Heimat wohl vertraut. — 

2. Nachdem Polymetis in einem Selbitgejpräche zu Beginn des 
‚zweiten Aufzugs (©. 290 F.) die Frage bei jich erwogen hat, ob er 
jein furchtbares Geheimnis — die Kenntnis von Lykus' Berrat an 
Antiope — offenbaren jolle oder nicht, fommt er nach einem Gejpräche 
mit Elpenor in einem zweiten Monologe auf diefe Frage zurüd. Es 
heißt dort (©. 396, 7, 12 ff): „du ſchöner, muntrer Knabe ſollſt 
du leben? Soll ich das Ungeheuer, das dich zerreißen kann, in 
jeinen lüften angejchlojjen Halten? Soll die Königinn erfahren, 
welch” eine jchwarze That dein Vater gegen ſie veriibt?“ 

Biedermann (Goethe- Forjchungen 1, 100), BZarnde (©. 9), 
Seuffert (©. 392) und Kettner (©. 153) behaupten einhellig,!) mit 
dem „Ungeheuer“ jei der Sohn des Lykus (den Polymetis für Antiopes 


!) Doch vgl. in Betreff Seufferts das Yolgende, 





N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 593 


Sohn Hält), mit den „Klüften“ das Gebirge gemeint, in dem er fich 
aufhalte. 

Sm den betreffenden Berjen wird irgend jemand oder irgend 
etwas mit einem rveißenden Tiere verglichen, das in einjamer Felſen— 
gegend angefettet ijt und, wenn befreit, dem Elpenor Tod und Ver— 
derben droht. Bezieht fich dies auf den vertaujchten Prinzen, jo muß 
jogleich eine merkwiirdige Unebenheit in diefem Bilde auffallen: Während 
zur Bezeichnung des Prinzen die Metapher eines wilden Tieres gewählt 
ift, enthält der Ausdruck „Klüfte“, dev für „Gebirge“ ftehen joll, jo 
gut wie gar nichts Bildliches. Doch das ließe fich am Ende recht- 
fertigen und würde feinen triftigen Grund gegen die beliebte Erklärung 
abgeben. Schlimmer aber jteht es, wenn wir das Bild weiter prüfen. 
Der Sohn des Lykus wird ein „Ungeheuer“ genannt — warum? 
Kettner antwortet (S. 153, 155) — und die Uebrigen müfjen doch 
wohl auch diefer Anficht jein — der Prinz jei als Sohn des Yyfus 
von ungejchlachter Art und zudem durch das Yeben in den Klüften 
des Gebirges verwildert. Ich will zugeben, daß das ganz richtig 
gedacht ift — aber wie paßt es zu unjerm Bilde? Ein wildes Tier 
wird angefejjelt wegen jeines gefährlichen Charakters, weil von ihm 
zu erwarten jteht, daß es nach jeiner Befreiung jeine verderbliche 
Natur jofort zum Schaden des Menſchen bethätigen wird. Iſt etwas 
der Art auch bei dem Prinzen der Fall? ijt jein Charakter dev Grund 
davon, daß er in der Einſamkeit der Berge verborgen gehalten wird, 
vergleicht jich der Zuſtand des jeiner Herkunft unbewußt Dahinlebenden 
einer Fejlelung? Iſt es ferner die wilde Art des Prinzen, was 
Elpenor zu fürchten hat? Keineswegs! Ob der Sohn des Lyfus 
ein roher Gejelle oder ein mutiger Held ijt, bleibt für Elpenors 
Schickſal ganz gleichgiltig: nicht im Charakter des Prinzen jondern in 
jeiner Gejchichte beruht die furchtbare Gefahr für Elpenor. Man 
fönnte nun eimmwenden, es jei mit dem Worte „Ungeheuer“ auch gar 
nicht auf den Charakter des Yyfus-Sohnes gezielt, vielmehr werde 
dem Prinzen dieje Bezeichnung nur injofern beigelegt, als er der 
Träger von Elpenors Verhängnis fei. Alsdann ift aber nicht ein- 
zujehen, warum man unter dem „Ungeheuer“ überhaupt noch den 
Prinzen umd nicht vielmehr jenes Verhängnis felbft verjtehen will, um 
jo weniger, als alsdann der Vergleich mit dem wilden Tiere auf den 
Prinzen ganz und gar nicht mehr zutrifft. Seuffert ſcheint dieje 
Schwierigfeiten gefühlt zu Haben, denn obwohl auch er in dem 
„Ungeheuer“ den Prinzen jehen will, läßt ex doch die Möglichkeit 
offen (©. 392), „daß das Bild den Ort der That,. bezw. diefe ſelbſt 
in Polymetis’ Meinung bezeichnen wolle.“ Verſtehe ich dies richtig, 
jo will Seuffert das „Ungeheuer“ als die Frevelthat des Lykus, die 


594 N. Schlößer, Studien zur Goethes Elpenor. 


„Klüfte“ als deren Schaupla erklären. Abgejehen davon, daß auch 
hier wieder ein bildlicher Ausdruck neben einem gänzlich unbildlichen 
und noch dazu umnzutreffenden ftehen wide (denn der Ort der That 
ijt nach) ©. 380, 3. 21 ff. alles andere als eine Kluft), iſt nicht ein- 
zujehen, immwiefern die That im Gebirge angefejjelt liegen joll; der 
Ort, wo fie fejtgejchlofjen und verborgen ruht, ift doch vielmehr das 
Innere des Bolymetis. 

Damit jind wir der richtigen Erklärung fchon ganz nahe gefommen: 
in der That ift das veißende Ungeheuer, das Elpenor vernichten fann, 
nichts weiter als das Geheimnis des Polymetis, das in den Klüften 
jeines zerrijjenen Innern angejchmiedet liegt. Der folgende Bers: 
„Soll die Königinn erfahren, welch” jchwarze That dein Vater gegen 
jie verübt“ iſt die Erläuterung des Bildes. 

Daß Bolymetis’ Bruft thatjächlich zerriffen, zerwühlt und öde ift, 
und ſich jomit einer einfamen Felskluft treffend vergleichen läßt, zeigt 
jein erſter Monolog aufs jchlagendite; er jagt jelbit (©. 390, 3. 10 ff.): 
„Hier jtoft von altem Hochverrat ein ungeheilt Geſchwür, das fich vom 
blühenden Yeben, von jeder Kraft in meinem Buſen nahrt,“ 
und kurz darauf (3. 31) vergleicht ev das Geheimnis, das er verbirgt, 
mit der unheilbaren Wunde Bhiloftets. ES ijt nicht von Belang, daß 
in diejen beiden Gleichnijjen das Geheimnis die Uxjache der Zer— 
flüftung ift, in jenem dritten aber nicht, es wechjelt nur mit dem Bilde 
die Anjchauungsweile. Die Gefahrlichfeit des Geheimnijjes wird 
in den beiden Stellen jowohl wie in der dritten genügend hervorgehoben, 
umd der Einwand, es gehe nicht au, daß Polymetis es einmal jeinen 
Fremd (©. 390, 3. 21 F.), das anderemal ein Ungeheuer nenne, ift 
deshalb hinfällig, weil zunächjt von einem „jchmerzbeladenen Freunde“ 
die Nede ift, der obenein dev Wunde Philoktets gleich gejest wird, und 
zweitens, weil diejer Vergleich vom „Freunde“ nur auf das Verhältnis 
des Geheimnifjes zu Volymetis, der Vergleich vom „Ungeheuer“ aber auf 
dasjenige zu Elpenor geht. Bejonders treffend ijt jetzt der Bergleich 
mit dem gefejjelten Tier: PBolymetis jelbjt bezeugt (©. 390, 3. 25 F.), 
daß das fchreefliche Geheimnis nach jeinen Yippen dringe; & 
jucht ſich alſo zu befreien, während Polymetis jelbjt es angefejjelt zu 
halten wünſcht. Und auf Elpenor wird fich diefes Ungeheuer vor allem 
jtürzen: entdect Polymetis der Antiope das Geheimnis, jo jteht ent- 
weder zu befürchten, daß Antiope, eine zweite Merope, die Waffe der 
Rache iiber den vermeintlichen Sohn ihres Todfeindes ſchwingt, oder | 
zum wenigjten, daß fie Elpenor einweiht und diefer bei der Kunde, daß 
jein vermeinter Vater der liebevollen Pflegerin jeiner Jugend ihr Höchjtes | 
verbrecherifch geraubt, in einen Konflikt gerät, der ihm zu Tod umd | 
VBerderben gedeihen fann. Zwar von Elpenors Schwur, Antiope zu \ 


l 


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N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 595 


rächen, weiß Polymetis natürlich nichts, aber jeine Kenntni von des 
Sünglings Charakter reicht vollfommen aus, um den welterfahrenen 
Alten jolche Folgerungen ziehen zu laſſen. — So wäre aljo der plane, 
flare Sinn des Bildes und damit jeine hervorragende dichteriiche Schön— 
heit erſt richtig erfannt. 

Zugleich mit der faljchen Auslegung des Bildes fällt auch die 
Folgerung, welche daraus gezogen worden ijt: PBolymetis weiß nichts 
davon, daß etwa der vermeinte Sohn der Antiope noch lebt; denn auch 
jeine übrigen Reden verraten nirgends eine derartige Kenntnis. In 
beiden Monologen wird man vergeblich eine Stelle juchen, aus der 
hervorginge, daß Polymetis irgend etwas weiß, was Lykus unbekannt 
it, obwohl es nahe genug für ihn läge, darauf anzufpielen. a, es 
gibt jogar eine Stelle, die unzweifelhaft dagegen zeugt, daß Polymetis 
den Prinzen für noch lebend hält. ©. 396, 3. 30 betont er aus— 
drüclich, daß Lykus Thron „über Gräber” aufgebaut jei. Das ftimmt 
vortrefflich dazu, daß er zuvor (©. 390, 3. 26 f.) die Entdedung feines 
Geheimnifjes einen doppelten Berrat genannt hat: zwei Dinge jind es, 
die er zu verraten hat, nämlich, daß Lykus feinen Bruder hat töten 
lafjen und daß er auf Antiopes Sohn einen Anjchlag gemacht hat. 
tehme er an oder wüßte er gar, daß diejer legte Mordverjuch miß— 
lungen jet, jo fünnte er nicht von „Gräbern“ jprechen, denn von weiteren 
Mordthaten des Lykus, als den beiden genannten, ijt uns Nichts befannt. 

Anſtatt aljo wie bisher vorauszufegen, Polymetis habe den Sohn 
der Antiope ohne Vorwiſſen des Lykus gerettet und im Gebirge erziehen 
laſſen, wo er ihn jetzt noch vermute, muß man vielmehr annehmen, 
daß Polymetis entweder den Knaben ausgeſetzt hat und ihn deshalb 
für tot hält, oder aber beſſer, daß er ſelbſt durch die falſche Nachricht 
von ſeinem Tode getäuſcht worden iſt. Der letztere Fall iſt um ſo 
wahrſcheinlicher, als Polymetis nicht unter denjenigen geweſen ſein kann, 
die den Anſchlag perſönlich ausführten, da ihn Antiope ſonſt wieder 
erkannt haben würde. Denn einmal zum wenigſten, ein Jahr vor 
Beginn des Stückes, hat fie ihn ſeitdem wiedergeſehen (©. 391, 3. 13). 


IV: 

Weiß nun alfo Bolymetis nichts davon, daß der geraubte Prinz, 
den er fir Antiopes Sohn hält, noch irgendwo Lebt, und bezeugt ex 
jogar ausdrüclich, daß ex ihn für tot Halt, jo drängt fich uns doppelt 
nachdrücklich die Frage auf: was wiljen wir denn jonjt von dem ver- 
Ihwundenen Prinzen? Soviel ift gewiß, daß Bolymetis irrt, wenn 
er glaubt, der Anjchlag auf Antiopes Kind ſei gelungen, denn diejes 
Kind jteht in Elpenor vor uns; eben jo ficher ift es, daß diejer gevettete 
Sohn der Antiope auf irgend eine Weife mit dem des Lykus vertaufcht 


596 N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 


worden ift. Ob aber zur Zeit unſeres Stückes diefer Lykus-Sohn 
noch lebt oder nicht, ift eine Frage, die jorgfältig geprüft fein will. 
Ich will im Boraus gejtehen, daß mir der Tod des Sinaben mwahr- 
jcheinlicher ift; der Beweis allerdings, den ich dafür beizubringen gedenfe, 
wird fein vollgiltiger, jondern bei der Schwierigkeit der Frage eben nur 
ein Wahrjcheinlichfeitsbeweis jein, weshalb ich auch die Unterfuchung 
Darüber don derjenigen der oben erörterten, jicher zu beantwortenden 
Fragen trenne. 

Prüfen wir zunächſt, was fich etwa gegen meine Vermutung 
vorbringen ließe. 

Zarncke hat (S. 9) vorfichtig die Meinung geäußert, daß der 
Sohn des Lykus jich wohl in der Schar der zwölf Gejpielen befinden 
müfje, die Yyfus dem Elpenor mitbringt, da auf dieje die Aufmerf- 
jamfeit im Fragmente jo lebhaft gelenft werde (©. 392 3. 34 ff., 
©. 394 3. 20 ff.); ich halte aber das von Zarncke jelbjt vorgebrachte 
und Durch Seuffert (S. 395) erneuerte Bedenfen dagegen, daß der 
Prinz, der doch offenbar an Stelle Elpenor$ bei den Hirten des Ge- 
bivges aufgewachjen fein müßte, unter die „Edeljten und Beſten“ (S. 394, 
3. 28 ff.) geraten jein jollte, für zu jchwerwiegend, um dieſe Anficht 
teilen zu fönnen. Gbenjowenig fann ich mich der Meinung Seufferts 
anjchließen, welcher darin, daß Elpenor ſich (©. 394, 3. 31 ff.) noch 
mehr Spielgenojjen juchen und mit ihnen im Kriegsſpiel auf ungebahnten 
Wegen „Eletternd jchnell den jichern Feind in feiner Feljenburg zu 
Grunde richten“ will, eine Andeutung darauf jehen möchte, daß Elpenor 
im Gebirge den Sohn des Lykus jeinen Genofjen zugejellen werde. 
Denn einmal geht die Wahl der neuen Freunde dem Ausfluge ins 
Gebirge voraus, zweitens aber ift nicht zu begreifen, wie dieſe Exfurjion 
in einem Drama, welches doch ganz offenbar jtreng die drei Einheiten 
bewahren jollte, hätte Blaß finden fünnen. Um mit den Gejpielen ins 
Gebirge zu gehen, muß Elpenor dieje zunächjt doch überhaupt zur Hand 
haben, was exit vom dritten Afte an der Fall jein wird, denn zwijchen 
dem zweiten und dritten Afte muß ex zunächjt jeinen Water in Antiopes 
Balajt geleiten. Der dritte Aft aber als der Höhepunft des Dramas 
erfordert gebieterijch Elpenors Anmwejenheit auf der Bühne, und ob 
diefer nach den furchtbaren Enthüllungen diejes Aftes noch Luſt an 
findifchem Spiel haben wird, ift mindeftens fraglich. — Ein dritte 
Anficht bringt SKtettnev (©. 165 f.) vor: er fnüpft an die Worte an, 
die Elpenor bei jeinem Abgange kurz vor Ende des zweiten Aftes 
(©. 395, 3. 35 ff.) zu Polymetis fpricht: „OD laß mich jchnell, ich 
will durch einen teilen Pfad den Kommenden [den Boten des Yyfus, 
welche diefem mit den Gejchenfen für Elpenor vorauseilen, vergleiche 


©. 391, 3. 18 ff.) entgegen. Folge du geliebter Freund den großen 


- 


R. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 597 


Weg, und willft du, bleibe hier.“ Elpenor joll auf dem jteilen Pfade 
jtürzen, von dem Sohne des Yyfus gerettet werden umd diejen im 
dritten Akte mitbringen. So hübſch diefer Gedanfe ift, jo ift er doch 
nicht mehr als eine Hypotheſe, der jeder feſte Stüßpunft fehlt. ch 
finde, die Stelle läßt jich viel nüchterner erklären: nichts war natür- 
licher, als dag Elpenor gemeinfam mit Polymetis, dem Abgejandten 
des Lykus, dejjen Boten entgegenging, wie denn auch Elpenor dieje 
Begleitung vorausjegt. Nun war aber PBolymetis auf der Bühne 
unentbehrlich, weil jein zweiter Monolog nicht fehlen durfte, vielleicht 
auch, weil er zu Beginn des dritten Aktes noch vor dem Eintritt des 
Lykus verwandt werden jollte. Es mußte aljo irgend ein beliebiges 
Motiv genommen werden, weshalb jich Elpenor von Bolymetis trennt: 
dazu wählte der Dichter den näheren „teilen Pfad“, auf welchem der 
Alte dem Jüngling nicht folgen konnte. (ES jei gleich hier mit er— 
wähnt, daß Elpenor auf dem abkürzenden Wege die dem Yyfus vorauf- 
eilenden Boten mit ihren Gejchenfen (©. 391, 3. 18 ff.) verfehlen, 
jtatt ihrer den wohl erſt nachfolgenden König (©. 374, 3. 17 ff.) jelbft 
treffen umd im dritten Afte mit Yyfus ankommen fonnte, nachdem die 
Geſchenke bereits eingetroffen waren). Kettner jucht feine Anficht zu 
jtügen durch die legten Worte, die Polymetis an Elpenor richtet: 
„Seheimnisvolle Hilfe kommt vom Schwachen dem Stärferen oft zu 
Gute.“ Das joll fi auf die Hilfe beziehen, die Lykus' Sohn dem 
Elpenor leiften wird. Abgejehen davon, daß Polymetis doch fein Hell- 
jeher ijt, der Elpenors Unfall voraus wijjen kann, erklärt ſich dieje 
Stelle ganz einfach jo, daß Polymetis darauf anjpielen will, er jelbit 
fünne dem Elpenor geheimnisvolle Hilfe leisten. — Der Hinweis 
Kettners auf die analogen Unfälle in der „natürlichen Tochter“ und 
den „Wanderjahren“ jcheint mir nicht auszureichen, um jeine im übrigen 
jo wanfende Annahme zu jtügen. — 

Weitere Gründe für das Auftreten von Yyfus’ Sohn fünnte man 
in der großen Scene zwijchen Antiope und Elpenor finden wollen. 
Zwar, wenn Antiope (©. 386, 3.9 fi.) ihren Schügling ſchwören 
läßt, nicht nur an dem Zerſtörer ihres Glückes ſelbſt, jondern auch an 
dejjen Angehörigen das Nachewerf zu vollziehen, jo ift es gewiß, daß 
hier nicht auf den Sohn des Yyfus gezielt wird, jondern daß dieſer 
Schwur jpäter auf Elpenor ſelbſt zurücfallen joll. Etwas bedenflicher 
machen mich die Zeichen, an denen Elpenor (©. 388, 3. 26 ff.) den 
Sohn der Antiope erkennen joll: das goldene Nettchen und das Mal 
am Nacken. Das Stettchen aber kann ganz wohl da geblieben jein, wo 
Elpenor Hingeraten ift, an Yyfus’ Hof; vielleicht geriet es auf irgend 
welche Art unter die Gejchenfe, die Yyfus jegt feinem vermeinten Sohne 
entgegenjendet: Antiope entdect e8, wie Merope die Rüſtung des Ge- 

Euphorion IL. 39 


598 N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 


mahls, und ftellt, da Lykus noch nicht eingetroffen ift, den Bolymetis 
darüber zur Nede. Diejer jieht darin das von den Göttern (S. 391, 
3. 1.) erflehte Zeichen zu veden und verrät jein Geheimnis. Bei dem 
Yyfus-Sohne möchte ich das Schmuckſtück ſchon deshalb nicht juchen, 
weil ein Hirtenfnabe es unmöglich tragen Fonnte, ohne das größte Auf- 
jehen zu erregen. — Was das Muttermal anbetrifft, jo meint Seuffert, 
der Sohn des Lykus müſſe diefes Mal wirklich gehabt haben (©. 395 f.), 
weil jein Fehlen die Bertaujchung der Kinder unmöglich gemacht haben 
wide. Mir jcheint, wenn überhaupt etwas jo Ungeheuerliches möglich 
war, wie die Bertaufchung zweier nicht einmal ganz gleichaltriger Kinder 
(©. 379, 3. 8), jo fam es auf ein Stennzeichen mehr oder weniger 
nicht an. Die Gattin des Lykus mußte bei der Berwechjelung bereits 
tot, die Amme im Cinverjtandnis jein. Dazu fommt, daß — was 
bisher noch gar nicht beachtet worden ift — manches dafür jpricht, daß 
Lyfus feinen richtigen Sohn überhaupt niemals gejehen hat: nach dem 
lleberfall fehrt Antiope nicht etwa zu ihrer Mutter, jondern in das 
Haus ihres verjtorbenen Gatten, „das wohlbeitellte fünigliche Haus“ 
(S. 381, 3. 12 ff.) und zu Lykus zurüd (©. 382, 3.12 ff.), von 
wo jie fich erſt jpäter (3. 14 f.) zu ihrer Mutter wendet. Mit feinem 
Worte aber erwähnt jie, daß ſich an Lykus' Hofe deſſen Gattin oder 
Sohn aufgehalten hätte — und wie nahe hätte es doch gelegen, dejjen 
zu gedenfen. War die Mutter mit dem Stinde da, wie mußte diejes 
Bild auf Antiope wirken; war die Mutter bereits tot, wie merkwürdig 
Itanden da die finderlofe Mutter und das mutterloje Kind neben einander. 
dichts von alledem hören wir; jtatt dejjen erzählt Antiope aus jpäterer 
Zeit ausdrücklich (3. 29 }.), beim erjten Blicke ſei ihr ganzes Herz 
dem Elpenor zugewandt gewejen ; offenbar hatte fie aljo früher den Sohn 
des Lykus nie gejehen. Alfo furz nach der Gebint von Lykus' Sohne 
waren weder Mutter noch Kind in dejjen Haufe. Wie nahe liegt da 
die Möglichfeit, das Kind jei anderwärts als dort geboren worden, 
und fern von Lykus' Augen jei nach dem Tode der Mutter der Taufch 
vollzogen worden, zu welchem es alsdann des übereinjtimmenden Males 
gar nicht bedurft hätte. Wir fünnen alfo den Mutterfleden als aus- 
jchließliches Merkmal des Elpenor betrachten, jo daß auch diejes Kenn— 
zeichen nichts für das Auftreten des Yyfus- Sohnes beweilt. — Für 
denjenigen, der troßdem Stettchen und Muttermal dem vertaufchten 
Prinzen zufprechen will, jei noch bemerkt, daß jelbjt das Vorhanden— 
jein diefer Merkmale nichts dafür beweijen würde, daß der Prinz noch 
lebe: es fonnte auch das Stettchen des Toten beigebracht und das 
Borhandenjein des Males durch Zeugnis beftätigt werden. 

Ein legter Widerfpruch endlich könnte fich darauf ftügen, daß 
Antiope von Elpenor ausdrücklich den Schwur verlangt, wenn ihr 





NR. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 599 


Sohn noch wiederfehre, jolle er mit ihm das Neich teilen (©. 388, 
3. 12 fi); dies müſſe, jolle es nicht überflüffig fein, fir das Folgende 
irgend welche Bedeutung haben. Ich finde, dieſer Schwur fügt ich 
jo einfach in den Zufammenhang, daß man ihn unter allen Umſtänden 
vermiffen müßte, wenn ev fehlte. Er joll nur zeigen, wie fejt Antiope 
noch hofft und wie uneigenmügig Elpenor fich ihrem Dienfte widmet. 

Es würde fich num zweitens fragen, ob fich für die Anficht, daß 
der Sohn des Yyfus bereits tot jei, irgend etwas vorbringen läßt. 

Die frühere Forjchung hat geglaubt, dem PBerjonenverzeichnifje 
des „Elpenor“ Feine bejondere Aufmerfjamfeit zu jchulden, da es 
wohl ein willfürlicher Zujaß des Nedaftors Riemer jei. Das hat 
ſich als unrichtig exwiejen, jeitdem wir den wrjprünglichen Elpenor 
mit genau dem gleichen Verzeichniſſe (©. 369, 3. 3 f.) befigen. 
Wir müfjen uns daher mit diefem Perjonenregifter notwendig aus- 
einanderjegen. 

Es iſt auffällig, daß außer den Perſonen, welche in den beiden 
vollendeten Akten auftreten — Antiope, Elpenor, Evadne, Bolymetis 
und den Jungfrauen — noch Lykus und die Jünglinge genannt 
werden. Das erwect die Vermutung, das Berzeichnis jei vollitandig 
und nichts mehr hinzuzufügen. Der Sohn des Lykus winde aljo 
fehlen, denn unter den Jünglingen, die wohl, gleich den Jungfrauen, 
mehr eine Art Chor abgeben follten, darf man ihn nicht ſuchen; zum 
wenigſten hätte er doch einen Namen haben und der Darjteller jeiner 
Rolle auf dem Komödienzettel deutlich hervortreten müſſen. Allerdings 
muß zugejtanden werden, daß das “Fehlen des Yyfus-Sohnes im 
PBerjonenverzeichnis nur jopiel bemweijen wiirde, daß er nicht auf der 
Bühne erjcheinen jollte, nicht aber, daß ex bereits tot ift. Aber auch 
jenes wäre doch immerhin etwas. 

sch darf aber nicht verhehlen, daß die PVollitandigfeit des 
Perjonenverzeichnijjes Feineswegs eine ausgemachte Sache if. Wenn 
außer den genannten Berjonen niemand auftrat, wer enthüllte dann 
Elpenors Herkunft und Bertaufchung? Auf diefe Frage bin erſteht 
mir in Kettner ein Bundesgenofje, welcher der Anficht ift, (©. 157 ff.), 
diefe Rolle wiirde der Evadne zugefallen fein. Yeider aber fördert 
mich diefe Hilfe nicht, denm ich finde SKettners Meinung ganz haltlos. 
Wenn Elpenor (©. 377, 3. 4 ff.) zu Evadne jagt: „deine Frau, jo 
flug fie ift, weiß ich, vertraut dir viel. Sie fragte dich gar oft um 
dies und jenes, wenn du auch gleich nicht ſtets mit einer Antwort 
bereit warft,“ und Evadne erwidert: „Wer alt mit Fürſten wird, lernt 
vieles und zu vielem jchweigen,“ jo kann ich darin nichts Geheimnis- 
volles jehen, jondern nur einen trefflichen Eleinen Zug zu Evadnes 
Charafteriftif. Daß ihre Aeußerungen über Antiopes Verhältnis zu 


39* 


600 N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 


Elpenor (©. 371, 3. 52 ff.) irgendwelche tiefere Kenntnis der Umſtände 
verraten jollen, ift jchon deshalb unmwahrjcheinlich, weil Evadne gerade an 
jener Stelle den Elpenor ausdrüclich als Lykus' Sohn bezeichnet und 
von Antiopes eigenem Kinde unterjcheidet; zwar legt ihr die Anweſen— 
heit der Jungfrauen Zurückhaltung auf, aber jie hat deshalb doch noch 
feinen Anlaß, den Ausdrud „der nahverwandte Knabe“ jo unzwei— 
deutig zu erläutern, wenn fie jelbjt an dieje Erläuterung nicht glaubt. 
Auch iſt es nicht zutreffend, daß Evadne den Lykus unginftiger 
beurteilen joll als es Antiope thut. Sagt Evadne in Bezug auf die 
Rückgabe Elpenors an den König: „Und wem gibt fie (Antiope) den 
lieben Zögling wieder?“ (©. 370, 3. 29), jo heißt es auch von der 
Königin ausdrüdlich: „Nie war der Bruder des Gemahls ihr lieb. 
Sein rauh Betragen hielt fie weit entfernt,“ und dem gegenüber 
fann es nicht ins Gewicht fallen, daß Antiope jelbjt im Gejpräche mit 
Elpenor (©. 382, 3. 12 ff., 3. 27 ff.), dem vermeinten Sohne des 
Lyfus, ihre Anficht von dieſem etwas jchonender ausdrüdt. Die 
Behauptung, Evadne jei mit den Verhältniſſen in Elpenors Heimat 
genau vertraut, Habe ich jchon früher zurückgewieſen. Damit jtürzt 
aber das Startengebäude, welches Kettner aufbaut, daß nämlich Evadne 
die Nachfolgerin von Elpenors Amme und von Ddiejer in alles ein- 
geweiht jei, im fich zufammen. Wenn übrigens Evadne alles das 
wußte, warum hat jie dann Antiope nicht jchon längjt davon unter- 
vichtet ? — Die Anjpielungen Evadnes, die Kettner ſonſt noch anführt, 
erflären ich einfach daraus, daß Evadne ihren Schügling nur ungern 
in die Hände jeines rauhen Vaters übergibt; da iſt die Mahnung, 
nicht übermütig zu werden jondern gutem Rate folgen und das Alter 
(wohl Evadne jelbjt) zu ehren, wohl angebracht. Bon Kettners 
Behauptungen ijt nur diejenige richtig, daß die Scene zwijchen 
Evadne und Elpenor darauf ſchließen lajje, die erſtere werde im Ver— 
laufe des Stüces eine nicht unwichtige Nolle jpielen und vor allem 
auf Elpenor mäßigend eimvirfen. 

Kann jomit Evadne nicht die Enthüllerin von Elpenors Herkunft 
jein, und kann dieſe Rolle auch Bolymetis und exjtrecht Lykus unmöglich 
zufallen: jo iſt das PBerjonenverzeichnis unvollſtändig. Es fehlt der- 
jenige, der den Tauſch der Kinder aufdecken kann, wahrjcheinlich aljo 
die Frau, welche Antiope einjt nach dem Ueberfall „jchwergejchlagen“ 
im Gebirge zurückgelaſſen hat (©. 381, 3. 9; 3. 19 ff.). Nun ift 
es zwar richtig, daß dieſe Perſon eher in der Aufzählung vergejjen 
werden fonnte, als der Sohn des Lykus; ich wage aber troßdem nicht, 
das Perjonenverzeichnis für meine Anficht ins Feld zu führen, halte 
vielmehr diefen Verſuch für gejcheitert. 

Dagegen glaube ich einer andern Erwägung nicht geringes Gewicht 





N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 601 


beilegen zu müfjen. Woher jtammt der Knabentauſch? Die Antiope- 
und Merope-Sage kennen ihn nicht, wohl aber weiß das chinefifche 
Stück etwas derartiges zu berichten. Dort (Biedermann, Goethe- 
Forſchungen 1, 117) vertaufcht der Arzt Thing ng jein eigenes 
Sind mit dem legten Sproß der Tſchao und das erſtere wird an des 
andern Statt getötet. Natürlich fallt es mix nicht ein, behaupten zu 
wollen, Goethe habe etwa den Sohn des Yyfus an Elpenors Statt 
gewaltjam jterben lajjen: aber wenn jchon die Duelle die Möglichkeit 
ausjchließt, daß beide Knaben aufwachjen, wenn aus eben diefer Quelle 
der Gedanfe des Taufches entnommen ift, jo liegt doch die Vermutung 
jehr nahe, daß auch Goethe einen der Prinzen jchon im Anfange 
umfommen ließ. Die Möglichkeit dev Bertaufchung wäre dann ungemein 
erleichtert: Elpenor wurde, vielleicht unmittelbar nach dem Weberfall, 
an Stelle des toten Yyfus- Sohnes ımtergefchoben, der jich fern von 
jeinem Vater umd vielleicht ganz in dev Nähe des Gebirges befand. 
Die Gelegenheit zum Tauſche bot jich dann ganz von jelbjt dar und 
der auffallende Umftand, daß der Netter das unerhörte Wagnis (vgl. 
Seuffert ©. 393 F.) unternahm, den Elpenor gerade dem Lykus unter- 
zujchieben, fände eine ganz natürliche Erklärung. 

Ich kann mir nicht verjagen, auch auf eine zweite, obwohl minder 
gewichtige Analogie aufmerkjam zu machen. Schiller exbittet jich am 
24. April 1805, alſo zu einer Zeit, wo er gerade mit dem „Demetrius“ 
bejchäftigt ift, von Goethe den „Elpenor“. Dies hat Kettner (©. 157) 
dahin erklärt, daß Antiope, wie Marfa, einem untergejchobenen Sohne 
gegenüber, nämlich dem aus dem Gebirge gefommenen Sohne des Lykus, 
ihr Herz nicht habe jprechen hören. Nun enthalten aber die beiden fertigen 
Aufzüge des „Elpenor“, die Schiller doch jchon von früherher fannte (an 
Goethe, 25. Juni 1798), eine derartige Scene gar nicht, Schiller Fonnte 
jie aljo für den „Demetrius“ nicht in dem von Kettner angenommenen 
Sinne verwerten. Der Berührungspunft zwifchen Antiope und Marfa, an 
welchen auch ich glaube, liegt vielmehr anderswo, und zwar in einem 
Gegenjaße: hier die Mutter, welche für den unerfannten Sohn ihr Herz 
ichlagen hört, dort die andere, welcher beim Anblick des vermeinten Sohnes 
die innere Stimme jchweigt. Dieſer Gegenjag mochte Schiller reizen, 
den „Elpenor“ wieder anzujehen. Aber das wird faum der einzige 
Berührungspunft mit dem „Demetrius“ gewejen fein: auch die Vor— 
gejchichte beider Stücde bot eine auffallende Analogie: eine Mutter 
wird ihres Sohnes beraubt und ſpäter dieſer mit einem andern Kinde 
vertauſcht. Nun liegt aber auch im Demetrius der Fall ſo, daß das 
eine der Kinder geſtorben iſt. Sollte das nicht ebenfalls im „Elpenor“ 
der Fall geweſen ſein, nur wieder umgekehrt, indem der wahre Sohn 
erhalten wird, der falſche dagegen umkommt? Wie Kettner mit Recht 


602 R. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 


vermutet, werden der Bitte Schillers um den „Elpenor“ Gejpräche mit 
Goethe über diefen Gegenſtand voraufgegangen fein, Durch welche Schiller 
von den Abjichten jeines Freundes genügend unterrichtet jein Eonnte. 

ch finde es ferner befrembdlich, daß bis jeßt noch niemand darauf 
bingewiejen hat, welch eine fircchterliche und unverzeihliche That die Ver- 
tauſchung der Knaben gewejen wäre, wenn beide noch gelebt hätten. 
Würde der Sohn des Lykus auf der Bühne erjcheinen, durch Verrat und 
Hinterlift von Antiopes Freunden unjchuldig um jeine königliche Geburt 
betrogen, da wiirde fünwahr niemand an jeines Baters Verbrechen, jondern 
nur an des Sohnes umverjchuldetes Yeiden denken. Und wenn auch die 
Verantwortung dafür nicht Antiope ſelbſt träfe — würde dieſe die treue 
Dienerin verleugnen können, die jene Frevelthat in beſter Abſicht voll— 
bracht hat, der ſie das Leben ihres Kindes dankt? Und wie würde 
wohl Elpenor die Kunde aufgenommen haben, daß er jahrelang fremde 
Nechte zum Nachteil und auf Koſten ihres unfchuldigen Inhabers 
genofjen habe? Der Ausweg, daß eben dies VBerjchulden von Antiopes 
Bartei eine Verſöhnung mit Lykus' Sohne habe herbeiführen jollen, 
it deshalb unmöglich, weil diefe gänzlich unverjchuldete Schuld Antiopes 
und Elpenors durchaus untragisch und ein darauf fußender Vergleich 
feine ethijche Löſung, ſondern ein Kompromiß wäre, wie wir ihn allen— 
falls Iffland, nie aber Goethe zutrauen dürfen. Und was würde wohl 
die Herzogin Luiſe geſagt haben, wenn zu ihrer Feier ein Stück er— 
ſchienen wäre, an deſſen Ende der Sohn der fürſtlichen Mutter ſein 
Reich mit dem Sohne eines Mörders teilte! 

Und was wiſſen denn eigentlich die Fortſetzer mit dem unglück— 
ſeligen zweiten Prinzen anzufangen? Biedermann (Goethe-Forſchungen 2, 
138) will keine Entſcheidung darüber treffen, wie das Stück weiter ver— 
läuft, Kettner (©. 168 f.) läßt den Prinzen, nachdem ſein Vater Lykus 
auf ihn als den vermeintlichen Sohn der Antiope einen fruchtloſen Mord— 
anſchlag gemacht und dann ſich ſelbſt getötet hat, mit Elpenor das Reich 
teilen, eine Auffaſſung, die wir bereits zurückwieſen. Zarncke (©. 10 f.) 
will ihn von jeines eigenen Vaters Hand fallen und diejen leßteren dann 
ebenfalls zum Selbjtmord greifen lafjen. Was wäre aber alsdann das 
ganze Auftreten des Prinzen in einem Stücke, welches Elpenors Namen 
führt, als eine unfruchtbare Epiſode? — Drei verjchiedene Yöjungen 
verjucht Seuffert (©. 395 ff.): Die dritte davon, die Seuffert jelbjt 
für die unwahrfjcheinlichjte hält, joll mit einer Verſöhnung der beiden 
Prinzen jchliegen, braucht uns bier aljo nicht weiter zu bejchäftigen. 
Die erjte geht dahin, daß Elpenor im Spiele durch einen unglüclichen 
Zufall den Sohn des Yyfus töten und damit unbewußt jeinen Schwur 
einlöfen joll, was erſtens ganz undramatifch und zweitens eine nur 
ganz außerliche und jophijtiiche Yöjung des Problemes wäre, Die 


— — 
* = 


— — 


N. Schlößer, Studien zu Goethes Elpenor. 603 


zweite Erklärung Seufferts endlich geht dahin, daß zwiſchen Lykus und 
Elpenor einerjeitS und dem vermeinten Sohn der Antiope andrerjeits 
ein Krieg ausbrechen ſoll, in dem auf irgend welche Weiſe Lykus ſamt 
ſeinem Sohne umkommt. Ganz abgeſehen davon, daß eine * Hand- 
lung dem Stil des Fragmentes ſchnurſtracks zuwider laufen würde — 
wie kann das Stück eine Löſung finden, an welcher Antiope, trotz der 
Ausdehnung ihrer Rolle im Anfang, gar keinen Anteil hat? Und 
wozu dient Elpenors Schwur, wenn er gar nicht daran denkt, gegen 
ſeinen vermeintlichen Vater oder ſich ſelbſt das Schwert zu ziehen, 
und ſtatt deſſen, gemeinſam mit Lykus den Prätendenten für einen 
Betrüger erklärt und bekriegt? — In all dieſen Löſungsverſuchen 
ſpielt der Lykus-Sohn eine ſo unglückſelige und widerſpruchsvolle Rolle, 
daß man nichts ſehnlicher wünſchen kann, als ihn ganz aus dem Stücke 
entfernt zu ſehen. Ich glaube, man darf dieſen Verſuch getroſt wagen. 

Wie Goethe alsdann die Fortſetzung im Einzelnen ausgeführt 
haben würde, kann natürlich niemand mit Beſtimmtheit ſagen. Nur 
ſoviel läßt ſich aus dem Bruchſtücke ſicher erſchließen, daß das eigent- 
liche Problem des Dramas in dem Konflikte liegen jollte, den Elpenor 
zwijchen der vermeintlich jeinem Vater gejchuldeten Pietät und der 
Stimme der Natur, die für jeine Mutter jpricht, auszufampfen hatte 
und daß jchlieglich die Kindesliebe triumphieren jollte. Ob Yyfus, als 
Berräter entlarvt und von dem Tode jeines Kindes vergewiljert, Hand 
an jich jelbjt legte oder auch ohmedies für genügend bejtraft galt, laſſe 
ich dahingejtellt; ummwahrjcheinlich ift mir, daß er von Elpenors Hand 
fallen jollte. 

Wollte man mich fragen, wie ich fir meine Perſon mir die Fort— 
jeßung in ihren Dauptzügen ausmale, jo würde ich Folgendes antworten: 
Zu Beginn des dritten Aufzuges treffen die Boten des Yyfus, Die 
Elpenor auf jeinem abfürzenden Wege verfehlt hat, mit ihren Gejchenfen 
ein, unter denen Antiope ihres Sohnes Kettchen erkennt. Sie jtellt 
Polymetis darüber zur Nede, diejer jieht hierin das von den Göttern 
erbetene Zeichen zu jprechen und verrät jein Geheimnis. Dem mit 
Elpenor fejtlich einziehenden Könige donnert Antiope ihr: „Mörder“ 
entgegen, und unter allgemeinem Entjeßen endet der Akt. Der nächjte 
Aufzug wird uns Elpenor im Konflift mit jeinem Schwure zeigen. 
Seine Empörung über Antiopes furchtbare Zumutung, das Schwert 
gegen den eigenen Vater und fich jelbjt zu wenden, nußen Lykus und 
Polymetis aus, ihn gegen Antiope aufzuveizen: es wird trog Evadnes 
Vermittelung zu einer furchtbaren Scene zwifchen Mutter und Sohn 
fommen. Als aber Lykus und Bolymetis Elpenor noch weiter zu 
drängen juchen und diejer Antiope vor Schmach und Tod gejtellt jieht, 
da wird die Stimme der Natur in ihm zu allgewaltigem Durchbruch 


604 J. Niejahr, Goethes Gediht „Das Tagebuch“. 


fommen umd er fich den Feinden der geliebten Pflegerin verzweifelt 
entgegenwerfen, vielleicht um den Tod von jeines Vaters Hand zu 
juchen, der natürlich nicht eintritt. Der fünfte Aufzug wird die Auf- 
flärung bringen, vielleicht auf Nachforfchungen Hin, die Antiope des 
Kettchens wegen hat anftellen lajjen: im Augenblicke höchjter Bedrängnis 
wird die erlöſende Botjchaft eintreffen, Lykus gebrochen zuſammenſinken 
und Mutter und Sohn in jubelnder Wonne ſich exfennen. 

Natürlich ift dies nur ein Phantafiegebilde, mit dein ich nichts 
weiter darthun will, als daß das Schaufpiel auch ohne den fremden 
Prinzen einen genügend inhaltreichen Verlauf nehmen fann. Jedoch 
auch auf meine übrigen Anfichten will ich niemanden verpflichten ; daß 
jte aber mindejtens jo viel für jich haben wie die frühern, das jcheint 
mir gewiß. Sollte jich aber an meine Aeußerungen eine Erörterung 
fnüpfen und irgendwer mich eines Bejjeren belehren, jo würde ich jelbjt 
am allerdanfbarjten dafür jein. Denn das Elpenor-PBroblem endgiltig 
geldjt zu haben, glaube ich jo wenig, wie irgend einer meine Vorgänger. 


Goethes Gedicht „Das Tagebuch“, 


Bon Johannes Niejahr in Halle a. ©. 


Goethes EZowrızovr „Das Tagebuch“ iſt der Welt jeit dreißig 
Jahren befannt, aber von der Goetheforfchung wird es nach wie vor 
als eine nicht zu berührende, in jorgliches Geheimnis zu hüllende Er- 
jcheinung behandelt. Aus erflärlichen, aber nicht zu billigenden Gründen. 
Denn nachdem das Gedicht nun einmal aus feiner Verborgenheit ge- 
zogen und durch eine unlautere buchhändlerifche Spekulation recht eigent- 
lich unter die breiten Mafjen gezerrt ift, iſt damit zugleich der Goethe- 
philologie die Pflicht erwachjen, es wo nicht vor der vigorojen Auf- 
fafjung bejonders prüder Gemüter, jo doch vor dem frivolen Urteil eines 
cyniſchen Publikums unter feinen Schuß zu nehmen und jedem Verfuch, 
ihm die Hülle feiner dichterifchen Winde mit banaufiichem Behagen ab- 
zuftreifen, durch authentische Deutung auf das entjchiedenjte entgegen- 
zutreten. Die Wiljenjchaft hat aber auch an fich die Aufgabe, die 
literarhiftorische Bedeutung des einzig daſtehenden Werfchens fejtzuftellen, 
zumal wenn mit diefer Erkenntnis zugleich eine jchärfere Beleuchtung 
eines wichtigen Abjchnittes in dem ntwicelungsgange des Dichters 
verbunden ift. 


J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 605 


Die Frage, ob „Das Tagebuch“ als ein Selbjtbefenntnis in dem 
herfömmlichen Goethifchen Sinne zu betrachten ift, hat jchon Riemer, 
jein ältefter Kenner, aufs bejtimmtejte verneint und es einen bloßen 
lusus ingenii genannt (Mitteilungen, 2, 623). Nicht anders urteilt 
der Verfajjer des Aufjages „Soethefrevel“ in den „Grenzboten“ (Jahr— 
gang 38, Quartal 4, ©. 106), der es mit Leſſingſchem Ausdruc für 
ein bloßes „Spiel des Wißes, ein Problema“ erklärt. Aber wer mit 
Urſprung und Art Goethiſchen Dichtens nur einigermaßen vertraut iſt, 
wird nicht zweifeln, daß in der That ein wirkliches Erlebnis voraus— 
geſetzt werden muß, dem nachzuforſchen allerdings ebenſo geſchmacklos 
wie wahrſcheinlich vergeblich ſein würde.) Denn ſicherlich iſt die Scene, 
die das Gedicht in voller Nacktheit vor unſern Augen enthüllt, nur 
eine freie und willkürliche Umgeſtaltung eines thatſächlichen Vorganges, 
der ſelbſt weſentlich anders und vermutlich bedeutend harmloſer ge— 
artet geweſen ſein wird. Der unmittelbare Beweis dafür liegt in dem 
Umſtande, daß unſere Erzählung einem beſtimmten literariſchen Muſter 
nachgebildet iſt. 

Die Quelle des Gedichts iſt für den Kundigen kein Geheimnis, 
allgemein aber, wie es ſcheint, immer noch nicht bekannt. Selbſt der 
in klaſſiſcher Literatur ſonſt gutbeleſene Riemer ſieht ſich hier im Stich 
gelaſſen und begnügt ſich, nur im allgemeinen auf das Vorbild der 
Novelle galanti von Caſti hinzuweiſen und an die parallelen Aus— 
führungen bei Montaigne (Essais, livre I, chap. 20 „de la force 
de l’imagination“) zu erinnern, die zwar denjelben Gedanken, aber 
ohne alle Beziehung auf eine bejtimmte Situation behandeln. In dem 
oben erwähnten Auffag der „Srenzboten“ (a. a. DO. ©. 106) wird 
gar die Vermutung ausgejprochen, daß das Gedicht aus dem voran- 
gejchieften Tibullifchen Motto erjt „gleichſam herausgejponnen“ jei, eine 
Auffafjung, die um jo wunderlicher ift, als die Verje genau genommen 
ja gar nicht zu unjerer Erzählung paſſen und offenbar fich exit jpäter 
dazu gefunden haben. Die Wahrheit ift, daß Goethe das Hauptmotiv 
aus Dvids Amores (III, 7) entlehnt hat. Die augenfällige Ueber- 

1) Ich will nicht unbemerkt lafjen, daß in dem auf der hiefigen (Hallifchen) 
Univerfitätsbibliothef befindlichen Exemplar unſeres Gedichts ſich die handichrift- 
liche Bemerkung findet, daß nah Salomon Hirzels Ermittelungen das erzählte 
Abenteuer zurüdgeht auf ein Erlebnis Goethes in Eibenftod i. ©. So viel ich 
aus den Tagebüchern Goethes habe feſtſtellen können, ift der Dichter bis zum 
Jahre 1810 in Eibenftoct überhaupt nicht gewejen. Auf feinen Reifen nad und 
von Karlsbad wählte er regelmäßig die Route über Hof, und nur einmal, ohne 
Eibenftod zu berühren, den Weg über Plauen und Adorf duch Sachjen im 
Jahr 1795 (vergleiche Tagebuch 3.—4. Zuli). Weitere Erkundigungen in diefer 
Angelegenheit einzuziehen habe ich natürlich unterlaffen und möchte hiermit dazıı 
auch Feine Anregung gegeben haben. 


606 J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 


einftimmung der Situation und der Darftellung muß bei der Natur 
des Inhalts dem Leſer jelbjt überlafjen werden fejtzuftellen ; ich begnüge 
mich mit dem Hinweis auf die am meijten charakteriftiichen Punkte, 
man vergleiche Ovid B. 23—26 und 63 mit „Tagebuch“ Strophe 
15— 19, hefonders Strophe 19, die Apoftrophe bei Dvid B. 69—72 
mit Strophe 19 des Tagebuchs am Schluß, das freilich nahe liegende 
Bild von dem am Quell lechzenden Wanderer bei Goethe Strophe 14 
(Stwophe 20) mit Ovid B. 51, und das wre mühien Strophe 15 
(vergleiche Goethe-Jahrbuch 7, 369) mit Ovid V. 27—36 und 79.1) 

Das an ſich frivole Motiv hat unter Goethes Hand einen völlig 
neuen Geiſt und Charakter gewonnen. Die jittliche Tendenz, in die 
es übergeleitet ift, hat es jeiner urjprünglichen gemeinen Sphäre wejent- 
lich entrüct, die viickhaltlofe Offenheit des Inhalts ift au den verfäng- 
lichjten Stellen durch den Ton einer leichten JIronie glücklich gemildert 
und über das Ganze breitet die unberührte Anmut des Mädchens den 
Zauber einer Alles verfühnenden Schönheit. In der frei fich ergehen- 
den Behaglichkeit der Stimmung erinnert de mittlere epijodenartige 
Bartie, Strophe 15—19, an ein nicht viel früheres Gedicht, das Goethe 
bejonders ans Herz gewachjen war, „Die glücklichen Gatten“, dejjen 
4. Strophe in Strophe 19 unſeres GedichtS nur wenig variiert wieder- 
fehrt. Hier wie dort erfennen wir den Fraftigen Ausdrucd des Yiebes- 
glücks, das der © Su im Bunde mit Ehriftiane einjt genoß, und wie 
dort fein einzelner Zug mit der Wirklichkeit ſich deckt, das Ganze aber 
gleichwohl jenen begliicenden hauslichen Zuſtand auf dem Boden einer 
ländlich-idylliſchen Exiſtenz vorausſetzt, jo iſt auch hier die Liebe zu 
der „Trauten“ der Kern- und Angelpunkt, um den ſich eine von der 
Phantaſie kühn und frei geſtaltete Handlung dreht. Knüpft ſo das 
Gedicht in ſeinen Motiven an frühere Verhältniſſe an, ſo ſtellt es ſich 
andererſeits nach ſeinem ſittlichen Gehalt als ein antithetiſches Seiten— 
ſtück neben die faſt derſelben Zeit entſtammenden „Wahlverwandt- 
ſchaften“. Die Heiligkeit der Ehe bildet in beiden Werken das Grund— 
thema, das im „Tagebuch“ zwar mit ſittlichem Ernſt, aber auf dem 
Hintergrunde einer komiſchen Situation, in den „Wahlverwandtſchaften“ 





!) Das Motiv der Ovidifchen Elegie begegnet auch jonft in der antiken 
erotifchen Literatur (vergleiche außer der angeführten Stelle des Tibull Horaz 
epod. 12, 14 ff.), aber nirgends im fo breiter Ausführung und als eigentliches 
Hauptmotiv wie bei Ovid. Der Borwurf der Berherung, der fi auch bei 
Tibull (I, 5, 41 f.) findet, beruht ebenfo auf volfstümlichen Borftellungen wie 
das „Neftelfnüpfen“, nur daß diefem ein komiſch-humoriſtiſches Element beimohnt. 
Eine ernfthafte juriftiihe Erörterung über Neftelfnüpfen und verwandten Aber- 
glauben findet man, worauf mic) Burda) aufmerffam macht, in dev Commen- 
tatio iuridica Jo. Zachariae Hartmanni „Bon bezauberten Eheleuten, Durch 
Neſſelknüpfen, Schloß zuſchnappen zc. und derjelben Scheidung“ Jenae 1741. 





J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 607 


mit ganzer ethijcher Strenge und unter Entfaltung aller Mittel tragijcher 
Gewalt behandelt wird. Während hier dev Gedanfe an die entfernte 
Geliebte den „legitimen“ Yiebhaber zum Ghebrecher macht, bewahrt 
dort die Erinnerung an die „eine und wahre Geliebte“ den jchon fich 
Vergefjenden vor einem Akt ehelicher Untreue. 

Das Motiv ift Dvid entnommen, die Form und die Art der 
Behandlung ijt Eajti entlehnt. In der italienischen Yiteratur jpielt in 
den älteren Zeiten, bejonders im 15. Jahrhundert, die der volkstüm— 
lichen Unterhaltung dienende Novelle in Verſen eine große, wenngleich 
poetijch bedeutungsloje Rolle (vergleiche Gaspary, Gejchichte der italieni- 
jchen Literatur 2, 86 F.). Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts 
erlebte jie vorübergehend eine neue Blüte unter der Meifterhand Caſtis, 
der ihr, joweit es dieſe mehr jpielende Gattung zuläßt, eine kunſt— 
mäßige Ausbildung gab. Goethe fühlte jich, jo jcheint es, im der 
erfrifchten Stimmung eines nach langer jchmerzlicher Nefignation zu 
innerer Gejundheit Wiedergenejenen zu dem heiteren Geift der Novellen— 
literatur bejonders hingezogen, und jo widmete er gelegentlich auch der 
lojen Anmut der italienischen Bersnovelle jeine Gunft. Er las außer 
dem Caſti mit anhaltender Aufmerkfjamteit im Jahr 18511 in Karlsbad 
noch die Novelle galanti des P. Atanajio da Verrocchio (Batacchi), 
eines Zeitgenofjen des erjten (vergleiche N. Köhler, Berichte der König— 
ich Sächſiſchen Gejellichaft dev Wiljenjchaften zu Yeipzig, 42, 72 ff. 
v. Biedermann, Erläuterungen zu den Tag- und Jahresheften ©. 140). 
Zu unjerm Gedicht wurde er unmittelbar durch die Yeftüre Gajtis 
angeregt, wie die Bemerkung des Tagebuchs (30. Auguſt 1808 „über 
eine Gejchichte im Caſtiſchen Styl und Sinne“) beweilt, die man ohne 
weiteres auf unjer Gedicht wird beziehen dürfen. Goethe hatte den 
weltfundigen Abbate jchon im Jahr 1788 bei feinem zweiten Aufenthalt 
in Rom perjünlich fennen gelewnt und ihn eins jeiner Prachtjtüce, den 
Arcivescovo di Praga, beim Grafen Frieß vortragen hören (Italienische 
Reiſe ©. 365, Hempel). Die im Jahr 1504 in Baris erjchienene 
Sejamtausgabe jeiner Novelle fam ihm am 19. Mai 1508 (vergleiche 
Tagebuch) in die Hand und weckte jofort feine Produftionsluft, deren 
Ergebnis „Das Tagebuch” ift. Die Einwirkung ift nur die allgemeine 
des Stils und der Form, inhaltlich erinnert nur die erſte Strophe 
unſeres Gedichts an Strophe 92— 95 des Arcivescovo (Caſti Novelle, 
Paris 1804, 3, 59—60). Die herfümmliche Versform der Novelle 
ift die Ottave, die von Caſti nach Goethes eigenem Urteil „außer- 
ordentlich jchön“ behandelt wird. Mit Necht gepriefen ift die feine 
HSierlichfeit und Anmut, mit der unfer Abbate den meift jehr bedenf- 
lichen Inhalt feiner galanten Gefchichten zu umhüllen weiß. Die eigent- 
liche Erzählung pflegt von einem furzen Bor- und Schlugwort ein 


608 J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 


gerahmt zu jein, worin ſich der Dichter mit jchalfhafter Verbindlichkeit 
an jein weibliches Publikum wendet, dem jein Werf gewidmet ift. 
Nicht jittliche Yehren und Grundſätze, ſondern meiſt aus dem Gegen— 
jtande der Erzählung jelbjt gezogene praftifche Ratſchläge find es, die 
der erfahrene Menjchenfenner jeinen Schönen als gebotene Klugheits- 
vegel für ähnliche Fälle erteilt. Goethe zeigt in dev Nachbildung feines 
Muſters wie immer die volle Meijterichaft feiner jtilbeherrjchenden 
Kunſt. Die Freiheit im Gebrauch der Ottave,t) die er jonft nur in 
Gedichten ernſten, feierlichen Charafters anwendet, die äußere Form 
der Kompofition mit betvachtendem Proömium und Epilog, die fede, 
dem Stonverjationston anbequemte und doch nie von den Grazien ge- 
miedene Form des Ausdrucks und der Neime, die unverhüllte und doch 
nie freche Sinnlichkeit, Alles vereinigt ji, um den Grumdton der 
Caſtiſchen Novelle voll erklingen zu lafjen. 

Der maßgebende Unterjchied liegt in der Tendenz. Die Gajtijche 
Novelle dient nur dem Bedürfnis der Unterhaltung, Goethes Erzählung 
ift nur um ihrer fittlichen Beweisfraft willen da, fie gehört zur Gattung 
der moralifchen Erzählungen (vgl. Goethe Tagebuch 27. April 1810; 
Ecdermanns Gejpräche 25. Februar 1824). Mach der Seite ihrer 
poetijchen Form iſt fie der einzige Verjuch unter Goethes Gedichten ge- 
blieben. Dem Inhalt nach hat fie zwei Seitenſtücke unter den projaijchen 


!) Hierher rechne ich ll die wiederholt begegnende Auflöfung der’ 
Arjis (Strophe 4, 8, 9. 20, 22), die jonft der Goethiſchen Ottavendichtung, 
mit Ausnahme des im Jahre 1824 entſtandenen Stammbuchgedichtes an Frau 
v. Spiegel (Weimarer Ausgabe 4, S. 33), gänzlich fremd iſt. Daß der Dichter 
ſie als eine charakteriſtiſche Stilerſcheinmd dieſer Poeſie mit Abſicht angewandt 
hat, kann nach der Bemerkung im Tagebuch (27. April 1810), wonach er gerade 
die dieſer Erzählungsart zukommende Form der Ottave zum Gegenſtande ſeiner 
Betrachtung gemacht hat, nicht zweifelhaft ſein, daneben aber möchte ich die Ein— 
wirkung eines anderen Umſtandes nicht ausſchließen. Es iſt eine wohl noch nicht 
beobachtete Thatſache, daß Goethes ſteigende Vorliebe für die Auflöſung der Arſis 
in der Trimeterdichtung ihren Einfluß auch auf ſeine ſtrengere Reimpoeſie geübt 
hat. Dies wird beſonders ſichtbar in den nach dem Helenazwiſchenſpiel ent— 
ſtandenen Fauſtpartieen bei Verſen, die nach Umfang und Charakter dem Trimeter 
nahe kommen, wie in den Terzinen des Fauſtmonologs im 1. Akt des 2. Teils 
(Weimarer Ausgabe B. 4680, 4687, 4697 u. o.). So hatte er jchon früher 
in einem älteren Gedicht, „Ilmenau“, deffen Bersform an die Ottave erinnert, 
bei jeiner Aufnahme in die Gejamtausgabe im Jahre 1815 nachträglich noch 
un diefer Art vorgenommen („Ilmenau“ V. 51, 52). Goethe war im 
Jahr 1507—1808 mit der Dichtung der „Pandora* beichäftigt, in der er zuerſt 
von der Auflöſung der Arſis in reicherem Maß Gebrauch machte vergleiche meinen 
Aufſatz „Goethes Helena“ Euphorion 1, 98 Anmertung). Es ift wohl möglid, 
daß mir in der Uebertragung jener metrifchen Freiheit auf die Ottave zugleich 
ein Fortwogen des noch von der Trimeterdichtung her beeinflußten rhythmiſchen 
Gefühls zu erkennen haben. 





J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 609 


Novellen, den „Procurator“ und die Parallelgejchichte von Ferdinand 
und Dttilie in den „Unterhaltungen deutjcher Ausgewanderter“. Dort 
(©. 81 Hempel) definiert Goethe auch den Begriff der moralijchen 
Erzählung und giebt zugleich die Erklärung, warum dieje Gattung jeinem 
dichterifchen Bedürfnis auf die Dauer nicht genügen fünne. „Alle 
(moralifchen Erzählungen) gleichen jich dergejtalt, daß man immer nur 
diejelbe zu erzählen jcheint.“!) Das Tendenzidje und Yehrhafte wider- 
jprach durchaus feiner Natur, die nur in dem Element des reinen und 
uneingejchränften künſtleriſchen Schaffens ihr volles Behagen fand. 
Wenn daher Goethe in der legten Strophe des Tagebuchs jagt, daß 
„bei jeder Dichtungsweije Moralien uns ewnftlich fordern jollen“, jo iſt 
dies eine Maske, die er ſich nur für die Rolle des moralijierenden 
Erzählers vornimmt. 

Im übrigen vermochte die leichte Gattung der verjifizierten galanten 
Erzählung Goethe nur vorübergehend zu fejjeln. Seine Neigung gehörte 
durchaus der eine breitere und tiefere Ausführung gejtattenden Proja- 
novelle. Sie wurzelte in dem mütterlichen Erbteil jeiner Luſt zum 
Fabulieren und äußerte ſchon in ſeinen kindlichen Jahren ihren be— 
herrſchenden Einfluß in ſeinem Hang zur Märchendichtung. Dieſe Vor— 
liebe hat ihn, unabhängig von allen ſonſtigen Beſtrebungen, ſein ganzes 
Leben hindurch begleitet. In der Zeit ſeines ſtrengſten Klaſſizismus 
entzückt er ſich an den Novellen des Cervantes (Briefwechjel mit Schiller 
134 Cotta) und jchreibt die „Unterhaltungen deutjcher Ausgewanderter“. 
Und eben zu der Zeit, wo „Das Tagebuch“ entjtand, faßte er, angeregt 
durch die Lektüre des Decamerone, der cent nouvelles nouvelles 
(Tagebuch 3.— 7. Mai 1807), des Gilblas u. a. (4. Auguſt 1807 u. o.) 
den Plan, eine Anzahl von Novellen durch die Geſtalt des wandernden 
Wilhelm Meifter zu verbinden und jchuf jo damals jchon die meijten 
jener Erzählungen, die jpäter in die Wanderjahre aufgenommen wurden. 
Selbjt die Jagdnovelle, für die urjprünglich die metrijche Form in 
Ausficht genommen war, mußte jich jpäter in die Projafafjung fügen. 
So ijt es bei unſerm Verſuch in der Bersnovelle geblieben und diejer 
jollte noch dazu nach dem Willen des Dichters der öffentlichen Mit— 
teilung entzogen bleiben. Er verzichtete darauf, den Ruhm der Wieland, 
Heinje u. A. auf ihrem Felde zu verdunfeln und begnügte jich, unjerer 
Yiteratur die PBrojanovelle zu jchenfen, die fich unter der Pflege der 


) Die Worte enthalten zugleich eine Kritik der gegen Ende des vorigen 
Sahrhunderts beliebt gewordenen Literatur der moraliſchen Novellen, deren Haupt 
bertreter Marmontel mit feinen Contes moraux war. Marmontels Geſchichten 
bergen unter dem Mantel der ſittlichen Tendenz oft einen recht ſchlüpfrigen Inhalt, 
und auf fein Vorbild wird man Goethes Einfall zurückzuführen haben, eine 
Erzählung wie „Das Tagebuch“ in moralifierendem Sinne zu verwenden. 


610 J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 


Nomantifer und ſpäterer größerer Talente zu einer der jchönften Blüten 
am Baume der deutjchen Dichtung entfalten jollte. 

Niemer will, wie jeine Worte erfennen lafjfen (a. a. DO. ©. 623), 
„Das Tagebuch“ unter die Klaſſe der Elegieen rechnen und jcheint 
anzunehmen, daß Goethe es nur wegen jeines Inhalts von der Auf- 
nahme in das zweite Buch Diefer Dichtungen ausgejchlofjen habe. 
Mit Unrecht natürlich. Goethes Klegieen tragen ihren Namen in 
antifem Sinne von ihrer metrischen Form. Die rhythmiſche Gejtalt, 
mehr noch die innere poetijche Auffafjung, ſcheidet „Das Tagebuch“ 
auf das bejtimmtefte von jener Gattung. Mochte Goethe immerhin 
das zweite Stück der Marienbader Trilogie dem herfömmtlichen Gebrauche 
gemäß Elegie nennen, „Das Tagebuch“ kann er unmöglich anders als 
Novelle angejehen haben. Gleichwohl entbehrt jene Auffafjung Niemers 
nicht jeglicher Begründung. Nicht nur nach feinem inhalt, jondern 
auch nach dem Charakter feiner echt ſinnlichen Yeidenjchaft weiſt unjer 
Gedicht direkt auf die klaſſiſche Elegie hin. Und gerade die jo ent- 
jtehende Doppelbeziehung ift es, die ihm ein ganz bejonderes Intereſſe 
verleiht. Das Motiv ift antif, aber die Stilform iſt modern, 
oder vielmehr die der italienijchen Nenaijjance, auf die ja 
auch die Caſtiſche Novelle zurücgeht. 

Die Poefie der Nenaifjance war einjt das Clement gewejen, in 
dem jich der künſtleriſche Läuterungsprozeß Goethes in der voritalienijchen 
Epoche feines Weimarer Aufenthaltes vorbereitet hatte. Unbewußt, faſt 
ungewollt hatte er jich ihrem Einfluß ergeben. In dem Maße, wie 
ev ſich von dem titanifchen Uebermut feines jugendlichen Schaffens 
allmählig zu veinerer, jtillever Kunftübung gewohnte, war gleichzeitig 
die Sehnjucht nach dem Urquell der Schönheit in der Elafjischen Kunſt 
und Dichtung immer mächtiger in ihm emporgewachjen. Aber ihre 
wahre Gejtalt wollte fich ihm nicht jogleich enthüllen. Er fchaute, 
bevor Italien ihm Die Augen öffnete, die Antife noch durch das 
Medium ihrer Nachbildungen in der franzöſiſchen und italienischen 
Yiteratur, die ihm von den Tagen feiner Kindheit in ihren Haupt— 
erfcheinungen vertraut waren. Der enthufiaftiiche Bewunderer Der 
altgriechifchen Tragödie glaubte auf den Spuren ihrer großen Meifter 
in der „Iphigenie“ und im „Elpenor“ zu wandeln, aber unvermerkt 
geriet er in die Bahnen Racines und Voltaives!) (vgl. Riemer a. a. D. 
©. 716). Er entzücte fich an der Herrlichfeit Homers, aber in die 

1) Der Einfluß des franzöftfchen Renaiffance-Dramas auf die „Iphigenie“ 
ift wiederholt, neuerdings von Richard M. Meyer in feinem Leben Goethes 
(S. 178 f.) hervorgehoben worden. Daß die Einwirkung fih nicht auf die 
Technik bejchränft, werde ich vielleicht bei einer anderen Gelegenheit nach— 
zuweiſen fuchen. 


J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 611 


Tiefe diefer Schönheit zu jchauen war ihm noch nicht gegönnt. Dieje 
Poeſie vermochte ihm noch nichts zu jein. Der zauberijche Abglanz 
romantijcher NRenaifjancedichtung in Wielands Oberon lenfte unjchwer 
den Blif ab auf die Meifter des italienischen Epos, und der „Taſſo“, 
der erjt durch den Oberon geweckt wurde (zuerſt erwähnt 30. März 1780, 
Tagebuch), ward das Denkmal jeiner begeifterten Hingabe an das 
anmutsvolle Wejen diefer Kunft. Nach ihrem Mufter jollte fich das 
Hauptwerk diefer Epoche „Die Geheimnifje“ bilden, das auch in feiner 
unvollendeten Gejtalt deutlich genug in Stoff und Form den Einfluß, 
unter dem es entjtanden, verrät. rjcheint doch das Einleitungsgedicht 
„Die Zueignung“ jelbjt in der Manier jeiner äußeren Einfleidung wie 
eine jtille Huldigung des Dichters für die in ihm wirkſam gewordene 
Macht diefes neuklaſſiſchen Schönheitsideals. In das prächtige Gefäß 
der Ottave verjteht er zuerjt den Gehalt eines edleren, maßvolleren 
Kunftjinnes zu gießen und es wird jo die klaſſiſche Strophe der 
italienischen Renaijjancedichtung mit ihrem breitangelegten, abgejtuften 
Bau die unmittelbare Vorläuferin der antifen metrijchen Formen, die 
bis jetzt ſich nur fchüchtern und in bejcheidener Geſtalt hervorwagen. 

Aber diejer halbe Klajjizismus muß dem Kultus der echten und 
wahren Antife weichen, die ihr Wejen dem VBerlangenden und Suchenden 
auf dem Boden Italiens endlich zu enthüllen beginnt und feinem Dichten 
fortan immer mehr die entjcheidende Richtung gibt. Von jegt an er— 
jcheint der frühere Einfluß der Renaifjancedichtung mit einem Schlage 
im Drama wie im Epos von Grund aus bejeitigt. Der ganz von dem 
Geiſt antifer Schönheit Erfüllte vermag eher das formlos Grandiofe 
Shafejpeares zu fallen als jich in die Mufter eines abgeleiteten Klaſſi— 
zismus zu finden. Er muß, als er mehr durch die Anjprüche des 
Theaters gezwungen als aus eigenem Triebe den Mahomet Voltaives 
überjeßt, fich exit fürmlich wieder an die Stüce der franzöfiichen Bühne 
gewöhnen (Brief an Schiller 664 Gotta). Selbjt die Strophenform 
der Dttave wird zunächjt von dieſer VBerdammung getroffen und erſt 
jeit Wiederaufnahme des Fauſt vereinzelt wieder angewandt. 

Ein Umfchwung in diefen Anfchauungen und Bejtrebungen jollte 
erſt jpat und nur jehr allmählich durch die Einwirkung der Romantik 
herbeigeführt werden. Goethe hatte jeit längerer Zeit die neue 
Richtung neben ſich auffommen jehen, ohne ihr zunächſt mehr als ein 
außeres Spnterefje zu widmen. In engftem Bunde mit Schiller befejtigte 
er fich vielmehr nur noch hartnädiger in feinem klaſſiſchen Glauben 
und jchritt umbeirrt feinen Weg weiter. Erſt nach dem Tode des 
Freundes und feitdem die Nomantif ihre Univerfalität mehr und mehr 
zu entfalten begann, wurde er ihren Einflüffen allmählig zugänglicher. 
Freilich dem eigentlichen Geift der Schule ftand er immer fremd und 


612 J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 


abweijend gegenüber. „Das Nomantijche nenne ich das Kranke und 
das Stlafjjiche nenne ich das Gejunde,“ Ddiejes jpäter zu Cdermann 
geäußerte Wort (Gejpräche 2. April 1829) ift ein volljtandig gemäßer 
Ausdruck auch jeiner früheren Anjchauungen, die jich nun und nimmer 
in das „Form- und Charakterloſe“ diefer neuen Dichtungsweije finden 
fonnten und deren jüngere Vertreter ihn geradezu „in Berzweiflung“ 
brachten (Briefwechjel mit Zelter 1, 340, vgl. „Aus Niemers Tage- 
bücherın“ Deutjche Revue Jahrgang 11, Band 4 ©. 32). Was 
er jich unmittelbar von den modernen Schöpfungen der Romantif 
aneignet, bejchranft jich auf äußere Formen. Er fängt jeßt an, dem 
Beijpiel Werners folgend, fi ernjthaft im Sonett zu verjuchen 
(Briefwechjel mit Zelter 1, 289), er beginnt nach dem Vorgange 
Tieds und Friedrich Schlegels die willfürliche Miſchung verjchieden- 
artiger xhythmifcher Gebilde im Drama zu bevorzugen (Pandora). 
Aber was ihn in jeinem jo lange behaupteten einjeitigen Klajjizismus 
wanfend machte, das iſt jo wenig der äußere Formenreichtum wie das 
innere Wejen der Nomantif, das ijt die friich wirkende Macht der 
neuen Kunſt- und Bildungsquellen, die fie erſchloß. Es ift ja 
bezeichnend, daß er in dem Maskenzuge vom Jahr 1810 „Die 
vomantijche Poeſie“ nur Gejtalten des mittelalterlichen deutjchen 
Epos auftreten läßt. „Mit freumdlicher Behaglichkeit“ nimmt ex die 
Gaben entgegen, die ihm „das Wunderhorn“ unverhofft in den Schoß 
jchüttet, mit eingehendem Intereſſe begleitet ev die Bejtrebungen, Die 
alte deutjche Poeſie aus ihrer Verjunfenheit wieder ans Tageslicht zu 
rufen und mit fajt erſchreckendem Staunen jieht ev die ungeheure Größe 
des Nibelungenliedes vor jeinen Augen erjtehen. Mehr aber noch 
(oct ihn das Gebiet der älteren romanijchen Yiteraturen, das fich jetzt 
in unabjehbarer Weite öffnet. Die großen Meifter der jpanijchen 
Dichtung gehörten, Cervantes jeit langen Jahren (vgl. Brief an Frau 
von Stein, Weimarer Ausgabe, IV, 6, 35), Galderon jeit 1802 
(Tag- und Jahreshefte ©. 78 Hempel) zu den wenigen Auserwählten, 
an denen ex fich immer wieder erbaute und erhob. Bor Allem ijt es 
aber auch jegt wieder die ältere italienifche Yiteratur, die ihn mächtig 
in ihren Bann zieht. Mochte ihm auch Jagemanns Stennerjchaft 
immer zur Seite gejtanden haben (Tag- und Jahreshefte ©. 185 
Hempel), mochte ihn auch die Ueberjegung des Gellini unmittelbar in 
die großen Zeiten der italienifchen Kunft und Dichtung zurücdgerufen 
haben, ein tieferes Intereſſe für die Meifterwerfe der älteren italienifchen 
Yiteratur hatte ich, jo lange er unter der ausjchlieglichen Herrſchaft 
der Antike jtand, nicht wieder finden wollen und faum einmal hört 
man, daß er fie überhaupt in dieſer Zeit in die Hand genommen 
(vgl. Tagebuch 21. Mai 1797, 16. Mai 1799). Erſt jeitdem Fernow, 


nn 


— — 
en 


J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 613 


der Nachfolger Jagemanns als Bibliothefar der Herzogin Amalia, im 
Jahr 1804 in jeine Nahe trat und ihn mit feiner friſchen Begeifterung 
für Sprache und Dichtung des immer noch jehnfüchtig geliebten klaſſiſchen 
Landes berührte, erwachte die alte Neigung mit verjtarfter Gewalt 
wieder. In den Jahren 1806—1808 tritt nun die Bejchäftigung 
mit mancherlei bedeutenden oder charafteriftiichen Erſcheinungen der 
italienischen Nenaijjanceliteratur jehr entjchieden in den Vordergrund. 
Die Anregung gab Fernow. Durch dejjen Abhandlung über Die 
italienischen Dialekte jieht jich der Dichter „mitten in das Yeben jenes 
merkwürdigen“ Volkes zurücverjegt (Tag- und Jahreshefte ©. 156, 
Hempel) und durch jeine Biographie des Petrarca dem Meijter des 
Sonetts genähert, mit dem er fich bald auf dem Felde diejer Dichtart 
mejjen jollte (5. Januar 1807); ex lieft außer den oben erwähnten 
Novelliften das Yeben des Aretino (25. März 18507), den Aminta 
Tafjos (3. Januar 1808) und jpäter die Schmähjonette der Cicceide 
(12. November 1810, vgl. Hempel 29, 613 f.). Am Tebhaftejten 
fühlt ex ſich auch jeßt wieder angezogen durch Meiſter Arioft, deſſen 
Sativen, Elegien und Komödien ihn bei feinem Badeaufenthalt in 
Starlsbad im Jahr 1807 unter Fernows Beiftand anhaltend be- 
jchäftigen. Mit dem frühzeitigen Tode des Freundes im Jahr 1808 
verjiegte indeß die Duelle diefer fruchtbaren Anregung wieder (Tag- 
und Sahreshefte ©. 185, Hempel), und die italienijche Yiteratur ver- 
liert jo in den allumfajjenden Intereſſen des Dichters bald wieder 
ihren bevorzugten Rang. 

Sp war die Renaifjancedichtung einjt die Brücke gewejen, auf 
der Goethe dem Klaſſizismus zujchritt, und fie, nicht ausschließlich, 
aber zum guten Teil war es auch jeßt wieder, die ihn von der ein— 
jamen Höhe dieſer vielfach überjpannten Beftrebungen zurücdführte. 
Bon dem klaſſiſchen Schönheitsideal jagt er ich auch jeßt nicht los, 
das ein für allemal das jeinem Ddichterifchen Weſen gemäße Kunſt— 
prinzip war und blieb. Aber wenn es bis dahin die ausschließliche 
Korm jeines Schaffens gewejen war, jo erfuhr jest jeine poetijche An— 
Ihauung zwar nicht eine Umwandlung, aber doch eine Erweiterung. 
Halb willig, halb umvillig läßt er von jeßt an neben der Antike auch 
andere Götter gelten. Der große Stil einer in fich ruhenden, gejteigerten 
Objektivität giebt nach wie vor jeinen Werfen ihren maßgebenden 
Charakter, aber in Stoff und Form fieht man von jeßt an klaſſiſche 
und romantijche Elemente jich vielfach verjchmelzen. In der Zeit, von 
der hier die Nede ift, ift es überwiegend der Einfluß vomanijcher Poeſie, 
der jeinen Schöpfungen diejes neue Gepräge giebt.) 

) Die obigen Ausführungen ftehen in gewiffem Sinne in ergänzender 
Beziehung zu der ausgezeichneten Darlegung K. Burdachs in feinem fehönen, 

Eupborion II. 40 


614 J. Niejahr, Goethes Gedicht „Das Tagebuch“. 


Bon diefer neu eingejchlagenen Richtung iſt unfer „Tagebuch“, 
wenn auch nicht das erjte, jo doch ein höchſt charakteriftiiches Bei- 
jpiel. Es liegt genau auf dem Kreuzungspunft, wo die 
antififierenden und romantijchen, oder genauer gejagt, 
tomanijierenden Tendenzen Jich begegnen. Noch vor wenigen 
Jahren würde es dem in den Grundjäßen des Klaſſizismus befangenen 
Dichter nicht in den Sinn gefommen fein, einen der altrömijchen Elegie 
unmittelbar entnommenen Stoff anders als in antif=elegijchem Vers— 
maß zu behandeln; jeßt aber dachte er vorübergehend jogar daran, die 
unvollendete „Achilleis“ in einen Roman zu verwandeln (Tagebuch 
10. Auguft 1807). „Das Tagebuch“ tritt jo ergänzend neben die 
nur kurze Zeit früher entjtandene „Pandora“, in der zuerjt jtreng 
antifer Stil mit modernen rhythmiſchen Formen fich mijchen, eine 
Erſcheinung, die fich jpäter im Fragment des „Löwenſtuhls“ und zulegt 
mit bewußter Abjicht in dem Helenazwijchenfpiel des Fauſt wieder- 
holt. Die „Pandora“ jteht übrigens auch inhaltlich jtärfer unter dem 
Einfluß der Nomantif als irgend ein anderes Stück diejer Zeit und 
Phileros — natürlich Goethes Sohn Auguſt — ift nur ein Vorläufer 
des jpäter auftretenden Genius der Romantik Euphorion. 

Unjer Gedicht wird von Goethe im Tagebuch zuerjt erwähnt am 
30. April 1810 mit den Worten „die Stanzen das Tagebuch ab- 
gejchrieben“. Er diftierte e8 an diefem Tage Riemer in Syena!) 
(vgl. „Aus den Tagebüchern Riemers“ Deutjche Revue, Jahrgang 12, 
Band 3, ©. 61), und las es bei jeinem folgenden Aufenthalt in Karls— 
bad wiederholt vor (12. Augujt und 1. September 1810). Später 
hielt ev e8 geheim und wir hören erſt durch Eckermann wieder von 


an fruchtbaren Gefihtspunften reihen Auffat über „Goethes Ghafel auf den 
Eilfer“ (Goethes Fahrbudh 11, 14 f.) ES ift richtig, daß der entjcheidende Bruch 
mit der „erclufiv antiken Kunſttheorie“ erft mit dem Beginn der Divandichtung 
eintritt und daß die voraufgehenden Fahre diefe Wendung nur vorbereiten. 
Aber das Charafteriftiiche diefer Uebergangszeit ift der Einfluß der romanifchen 
Literaturen, der, jo wenig tiefgehend er am fich fein mochte, doch zuerft die 
Loderung der ftreng klaſſiſchen Kunſtanſchauung herbeiführte. Die Wendung 
beginnt bald nach Schillers Tod, der epochemachend ift. Bon da an tritt eine 
engere Berührung bejonders mit den jüngeren Talenten der Romantik ein. 
Das Intereſſe für ihre Beftrebungen ftand in den Jahren 1807—1809 auf feinem 
Höhepunkt, es war ſchon im Sinfen begriffen, als das Erjcheinen von Hammers 
Divan den Dichter nad) einer ganz anderen Richtung 309. 

!) Die Bemerkung Niemers in den „Mitteilungen“ (2, 623), daß Goethe 
ihm das Gedicht in Karlsbad diftiert habe, ift faljh, worauf ſchon Wahle 
(Weimarer Goethe-Ausgabe III, 4, 379) aufmerkffam gemacht hat. Sie gehört zu 
den irrigen Angaben, die fi in jenem Buch leider nicht felten finden. Goethe 
hielt fi vom 12. März bis 16. Mai 1810 in Jena auf und Fam erjt am 19. Mai 
darauf in Karlsbad an. 





J. Niejahr, Goethes Gediht „Das Tagebuch“. 615 


ihm, dem Goethe e8 am 25. Februar 1824 (vgl. Geſpräche mit Goethe) 
zeigte. Die einzige im Nachlaß gefundene Handjchrift ift jegt jefretiert. 
Es ift wohl die von Riemer aus dem Jahr 1810 herrührende (vgl. 
Deutjche Revue, Jahrgang 12, Band 3, ©. 61). Sie trägt oben von 
Goethes Hand den Bermerf, daß das Gedicht nie gedrucdt werden dürfe 
(vgl. Eckermann, Gejpräche mit Goethe 25. Februar 1824). Nach) 
einer Abjchrift aus Müllers Nachlaß lieg Salomon Hirzel es im 
Jahr 1861 für die jtille Gemeinde der Goethefreunde abdrucen, worauf 
alle jpäteren indisfreten Beröffentlichungen zurücdgehen. !) 

Die obenerwähnten Bemerkung des Tagebuchs (30. April 1810) 
beweijt natürlich fir die Abfafjungszeit des Gedichtes jelbjt nichts, für 
die es am jicheren Angaben fehlt. Das Wahrjcheinlichite ift, daß 
Goethe es unmittelbar, nachdem es entjtanden war, Riemer zur Rein— 
jcehrift in die Feder diftiert hat. Wahle (Weimarer Goethe-Ausgabe III, 
4, 379) will die Möglichkeit nicht ausschließen, daß es ſchon im 
Jahre 1808 gedichtet jei. Damals hatte Goethe am 19. Mai (ver- 
gleiche Tagebuch) den Gajti gelefen und jprach am 30. Auguſt auf der 
Fahıt von Karlsbad nach Franzensbrunn „über eine Gejchichte im 
Gaftiichen Styl und Sinne,“ von der Riemer, fein damaliger Reiſe— 
gefährte, ausdrücklich bezeugt, daß es die „erjte dee” zum „Tagebuch“ 
gewejen jei (Deutjche Revue, Jahrgang 11, Band 4, ©.33 Anmerkung). 
Daraus folgt indejjen nicht, daß es damals auch jchon zur dichterifchen 
Ausführung jelbjt gefommen fei. Goethes Scheu, fich von einem 
Stoff, der ihm lieb oder interejjant geworden war, durch endgiltige 
Faſſung und jchriftliche Fixirung zu trennen, ift befannt, und jo werden 
wir vermuten dürfen, daß er auch in diefem Falle fich jo lange mit 
dem Inhalt unjeres Gedichtes getragen habe, bis die poetifche Geburts- 
jtunde gejchlagen hatte. Die Unterhaltung in Jena mit Niemer am 
27. April 1810 (vergleiche Tagebuch) „über moralifche Erzählungen“ 
jcheint den Zeitpunkt zu bejtimmen, wo die Idee in ihm zur Neife 
gelangt war und wir werden daher nicht irre gehen, wenn wir an- 
nehmen, daß es unmittelbar nach oder wenigjtens um die Zeit diejer 
Unterhaltung entjtanden und dann frifch darauf diftiert jei. 

Das Tibullifche Motto kann, wie jchon oben evwähnt, jeinem 
Inhalt nach erſt jpäter dem ſchon abgejchlofjenen Gedicht hinzugefügt 
jein. Die Situation ift ähnlich, der Sinn jedoch dem des „Tagebuchs“ 
geradezu entgegengejegt, woriiber Goethe nachträglich in feiner läffigen 
Weiſe hinwegjehen mochte. Die Verſe beweifen nebenbei, was neuer- 
dings, wenigftens für die römiſchen Elegien, in Zweifel gezogen ift, 


ı) Ich verdanfe diefe Notizen der freundlichen Mitteilung Eric) Schmidts. 
. 40* 


616 A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Fear Paul. 


daß Tibull Goethe Feineswegs fremd war.!) Beichäftigung mit ihm 
unmittelbar vor der Abfafjung des Gedichtes läßt fich freilich nicht 
nachweijen. Aber einige Tage darauf, am 6. Mai, erhält ex die vor 
Kurzem erjchienene Ueberjegung von Koreff, in der er am Abend Lieft. 
Aus der Art, wie daneben „das Tagebuch“ erwähnt wird (Tagebuch 
6. Mai 1810), läßt jich mit einiger Wahrjcheinlichfeit jchließen, daß 
ihm damals die Idee gefommen jei, die Verſe, die dazu wie gegeben 
erjchienen, dem Gedicht als Motto beizugeben. 


Johann Leonhard Schrag 
und Jean Hal, 


Kleine Beiträge zur Geſchichte des deutſchen Buchhandels und zur Charakteriftik 
Jean Pauls. 


Mitgeteilt von Augujt Sauer. 





Zu den bis heute noch nicht hinlänglich gewürdigten deutjchen Buch- 
händlern aus der erjten Hälfte unjeres Jahrhunderts, denen die Fünftige 
Gejchichte des deutjchen Buchhandels gerecht werden muß, gehört in 
erjter Neihe die ehrwürdige Gejtalt des Nürnberger Verlegers Johann 
Leonhard Schrag (geboren zu Yandshut am 27. Januar 1783, gejtorben 
zu Nürnberg am 30. April 1858). Ein fluger, umfichtiger, unternehmen: 
der, zielbewußter Gejchäftsmann, ein ausgezeichneter Nürnberger Bürger 
und eifriger bayerijcher Patriot, ein vortrefflicher Familienvater, Hinter- 
ließ ex den Seinigen ein blühendes Gejchäft und ein veich gejegnetes 

1) F. Bronner (Goethes römische Elegien und ihre Quellen. Neue Jahr: 
bücher für Philologie und Pädagogik Bd. 148, ©. 145) geht in dem einfeitigen Be— 
ftreben, Tibull jeden Einfluß auf Goethes elegifche Dichtung abzufprechen, zu weit. 
Die Behauptung, daß er ihn möglicherweife nicht einmal gelefen habe (a. a. O. 
©. 107, 147), ift mindeftens jehr mwunderlid und wird unmittelbar durch die 
Thatſachen widerlegt. Beihäftigung mit ihm wird außer an der oben angeführten 
Stelle auh am 23. Mat 1797 und fpäter am 23, Oftober 1810 erwähnt. Daß 
Tibull, wenn auch vielleicht in der Ueberjegung, auf Goethes 18. römiſche Elegie 
eingewirft hat, muß Bronner (a. a. O. ©. 145 f.) ſelbſt zugeben, dasſelbe ift 
fiherlih auch der Fall Tibull III, 19 (IV, 13), V. 12 — Goethe XH, 8 und 
an Steffen, wo es fih um Motive handelt, die jenem und den andern Elegifern 
gemeinfam find, ift es natürlich nicht ausgefchloffen. Niemand wird bejtreiten, 
daß Goethe ſich durch die größere finnliche Glut, die geiftreichere Behandlung und 
ausgebildetere Kunft mehr zu Properz hingezogen fühlte, aber daß er deswegen 
den zwar fchlichteren, fanfteren, aber doc immer anmutigen und wahren Tibull 
ganz habe ignorieren müffen, ift doch eine höchft ſeltſame Folgerung. 


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A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 617 


Andenken. In der Gejchichte der deutjchen Literatur jpielt ev als der 
Berleger des Chamifjojchen Peter Schlemihl und des Fouquéſchen 
Zauberrings, vor allem aber al$ der Begründer und langjährige Ver- 
feger des Frauentajchenbuches eine nicht unwichtige Nolle. Sein Verlag, 
der auch auf naturwiljenjchaftlichem Gebiete eine hervorragende Stelle 
einnahm, ift einer dev Mittelpunfte der jpäteren Nomantif. Ueber alle 
jeine Unternehmungen giebt ein jorgfältig angelegtes, mufterhaft ge- 
ordnetes und in fajt lücdenlojer Folge untadelhaft erhaltenes reiches 
Archiv alle wünjchensiwerte Auskunft. Der Liebenswürdigfeit des gegen- 
wärtigen Bejigers der rühmlich befannten Berlagsfirma gleichen Namens, 
des K. B. Hofbuchhändlers Karl Schrag in Nürnberg, verdanfe ich den 
Einbli in dieſe für die Gefchichte des Buchhandels äußerſt wertvolle 
Sammlung und lege als vorläufige Ankündigung anderer ergiebigerer 
Unterfuchungen hier zunächjt die Schilderung einer Eleinen Epifode aus 
Schrags Verlagsthätigfeit, die Darjtellung feiner Beziehungen zu Jean 
Paul, in einer Reihe von unbefannten Briefen vor. Die Briefe Schrags 
an Jean Paul, welche jich in der K. Bibliothek in Berlin befinden, wurden 
mir durch Herrn Dr. Nerrlichs gütige Vermittlung abjchriftlich mitgeteilt. 

Dieje Beziehungen führen uns in die Anfänge des Schragijchen 
Berlages. jean Paul war damals einer der beliebtejten deutjchen 
NRomanjchriftiteller; eS zeugt von dem weiten Blicke und der großen 
Gejchieklichfeit des jungen Buchhändlers, daß fein Augenmerk bereits 
lange vor der eigentlichen Begründung jeines Gejchäftes (1. Juli 1810) 
auf den berühmten Dichter im nachbarlichen Bayreuth gerichtet war und 
er den Beginn feines Unternehmens mit einem jo glänzenden Namen 
jchmücen wollte. Schrags erjter Brief (Nürnberg, 5. Februar 1810) 
lautet: 

Eure Wohlgebohren verzeihen meine Freiheit, daß ich Ihnen mein bevor- 
jtehendes hiefiges Etabliffement einer Berlags Buchhandlung unterthänigft anzeige. 
Ich würde mich jehr glüclich Schäten, wenn Sie mich Ihres gütigen Zutrauens 
würdigen wollten, und ich mein Unternehmen mit dem Werfe eines jo rühmlichft 
bekannten Berfaßers beginnen fünnte. Mein thätiges Beftreben ift dahin gerichtet, 
in Baiern eine Berlags Buchhandlung zu begründen, die mit der Zeit jenen des 
Auslandes gleih kommen joll, ich befite den zu dieſem Unternehmen nötigen 
Fond, und werde mich bemühen das Zutrauen berühmter Männer zu erhalten. 
Ich wünjchte mich vorzüglich” mit einem Manuferipte von Ihnen beehrt zu jehen, 
und mwürde es mir angelegen ſeyn laßen, durch Erfüllung jeder Ihrer For— 
derungen, Ihre Gewogenheit auch für die Zukunft zu erhalten. 


Jean Bauls Antwort auf dieje vielverjprechende Einladung ift 
nicht erhalten. Wir dürfen aber annehmen, daß er die Aufforderung 
freundlich aufnahm und nicht bloß mit leeren VBertröftungen erwiderte ; 
denn der erſte jeiner erhaltenen Briefe beweilt, daß er dem jungen 


- Anfänger fein geringes Zutrauen entgegenbrachte. 


618 N. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Fear Paul. 


Bayreuth d. 18. Oft. 1810 
Hier ſend' ich Ihnen ein Kleines, aber bezauberndes Werf von Fouque. 
Auf das Titelblatt muß fein ganzer Name fommen: Baron de la Motte Fouqué. 
(früher unter dem Namen Pellegrin befannt.) — Ich bitte Sie nun, fi) blos 
an ihn felber zu wenden, da ich wenig Zeit zur Briefen habe. Im Ihrigen 
wünſcht' ich, fagten Sie ihm, daß ich es beinahe für fein beftes Werk erkläre und 
daß ih es in den Heidelberg. Jahrbüchern beurtheilen d. h. bewundern 
werde (wie ich Schon früher mit feinem zweimal aufgelegten Sigurd gethan). 
Sollten Sie gleihwol aus Berleger-Verhältniffen ihm das Werfchen zurück ſenden: 
jo jagen Sie ihm meinen Rath, es in Perth[es’] vaterländisch[es] Museum zu 
geben, wo es mit feinem deutfchen Glanze eine ſchöne Stelle füllen wird. Leben 
Sie wol! 
Sean Paul Fr. Richter. 


Jean Pauls Bewunderung fir Fouqué iſt befannt (Nerrlich, 
Sean Paul und jeine Zeitgenofjen 1876 ©. 252 f.). Das überjandte 
Werk war das Schaufpiel „Eginhard und Emma“, das 1811 bei Schrag 
erjchien und das Jean Paul jeinem Vorſatz getreu, aber zum Berdrufje 
Wilhelm Grimms und anderer, in den Heidelberger Jahrbüchern weit 
über Gebühr lobte (Werfe, Hempelfche Ausgabe, 52, 104). Durch 
diefen Brief wurde Fouqués Verbindung mit Schrag eingeleitet, die 
für beide Teile jo bedeutungsvoll werden jollte und die ich in einer 
jpäteren Studie näher beleuchten werde. 

Im Juni 1811 war Jean Paul von Erlangen aus in Nürnberg, 
wo er jich jehr wohl fühlte. „Ueber alles gefiel miv der jüdliche, frohe, 
herzige Ton des Volks“ ſchrieb er an feine Frau (16. Juni, Wahr- 
heit aus Jean Pauls Leben 7, 252; Nerrlich, Jean Paul, fein Yeben 
und feine Werfe 1889, ©. 489). Er verfehrte mit dem von ihm jehr 
gejchäßten Naturforſcher Profeſſor Auguft Friedrich Schweigger und 
mit dem „Eindlichen“ Schubert. In jeiner Begleitung war der Erlanger 
Buchhändler Walther, eine Veranlafjung mehr, auch dejjen Nürnberger 
Stollegen zu begrüßen. Damals entjchloß jich Jean Paul, diefem das 
„Leben Fibels“ in Verlag zu geben. Darauf bezieht jich der folgende 
unmittelbar nach dev Rückkehr gejchriebene Brief: 


Bayreuth. d. 23. Jun. 1811 
Die VBerfpätung meiner Rückkehr und die neue Poftordnung machen, daß 
ih Ihnen erſt am Sonnabend das Manufcript fenden kann, deffen Abdrucd dann 
ungehindert eilend fortgeht. 
Wegen Kürze der Zeit konnten wir neulich unfern Kontrakt nicht beftimmt 
genug abſchließen. 
1) Für den Drudbogen nad) dem mir von Ihnen gezeigten Format 4 Louisd’or 
in God — 
2) 40 (vierzig) Louisd’or zahlen Sie Ende Augufts — 
3) Das Uebrige nach dem Abdrud — 
4) Der Abdrud wird für die Michaelis Mefje vollendet, welche zum Glüde 
I Woche jpäter einfällt — Berzögerte fih durch Zufälle, die aber Feine 





A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 619 


Schuld fein dürften, der Abdrud einige Wochen über den September hinaus: 
jo wären dod Ende Septembers wieder 40 Ld. zu zahlen — 
5) Funfzehnhundert Eremplare ftarf wird die Auflage — 
6) Das Werfchen wird nach meiner neueſten Nahzählung vielleicht um einige 
Bogen ftärfer ausfallen — 
12 Frei Eremplare auf Schreibpapier für mid — Eines auf Drudpapier 
bitt’ ich Sie fogleih nah Abdrud am meinen Schwager Mahlmann in 
Leipzig zu ſchicken, welchem ich für feine elegante Zeitung etwas zu fchicen 
feine Zeit habe und welcher fich daher freuet, wenn er aus einem noch 
nicht im der Meffe einlauferden Buche von mir einige Stüde für fein 
Blatt einweben darf. — F bitte Sie, mir mit umtehrender Poft alle 
diefe Artifel zu betätigen. Leben Sie wol! 


- 


( 


— 


Jean Paul Fr. Richter. 


Schrag that dies am 26. Juni 1811, indem er alle von Jean 
Paul angeführten Verlags-Bedingungen wiederholte und ſich zu deren 
Befolgung verbindlich machte. Darauf antwortete Jean Paul im 


weſentlichen folgendes: 
Bayr. d. 28. Jun. 1811 


. .. Hier folgt der größere Theil des Mſpts. Ich werde Ihnen früher 
als ich bisher dachte, den Reſt nachſchicken können. — Hinten wird das befannte 
ſächſ. Abebuch, weil auf dasjelbe immer das Werfchen amfpielt, als Anhang 
abgedrudt; es beträgt etwan 10 Seiten mit Auslafjung der illuminirten Holz- 
jcehnitte, zu denen jetzt feine Zeit da wäre... 

Um etwas bitt! ih Sie inftändig: um einen beßern Seßer und Kor— 
reftor, als mir bisher meiftens zu Theil geworden; der Seßer wurde immer 
mein Zerfeger und der Korrektor ein Inkorrektor, und letsterer diefes immer um 
jo mehr, je leichter er mich zu errathen umd zu ergänzen glaubte... 

Leben Sie wol! Deßgleihen der Seter und der Korrektor, damit fie wol 


Ihr 


ſehen! 


Jean Paul Fr Richter 


Diefe Sendung bejtätigt Schrag am 16. Auguft und legt Die 
bis dahin fertigen Bogen F bis f bei. Zugleich bezieht ev ſich auf 
ein anderes nicht erhaltenes Schreiben des Dichters: „Ihr Yeztes in 
Betref der bereits jchon eingejchliechenen Drudfehler habe ich dem 
Gorreftor, Dr. Bijchof, Redacteur des hiefigen Coreſpondenten mit- 
getheilt, und er hat jeine Nechtfertigung darauf bemerkt, wie Sie 
fie beigelegt finden werden.“ Auf den Druck und die Druckfehler, 
jowie auf die Honorarzahlung beziehen fich die folgenden Briefe (Jean 
Paul 12. September 1811, Schrag 4. Oktober 1811); Jean Paul 
findet die Berechnung mit dem damaligen Kurs nicht ganz überein- 
ftimmend; Schrag zeigt fich auch hier jehr bereitwillig und entgegen- 
fommend. Aus Jean Pauls Brief vom 12. September iſt nur Die 
eine Stelle für uns von Bedeutung: „ch befomme gewöhnlich für 
meine Werfe 6 Louisd’or ; und diejes jchon fir 5 Louisd’or verfaufte 


620 A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 


gab ich Ahnen für 4.” Wir müfjen alſo annehmen, daß Schrag bei 
Sean Pauls Nürnberger Bejuch perjünlich alles aufgeboten habe, um 
den Dichter für feinen Verlag zu gewinnen und daß diejer andere 
bereits eingegangene Berpflichtungen zu deſſen Gunſten rückgängig 
machte. Schrags Hoffnung auf ein glänzendes Gejchäft bewährte jich 
aber nicht. Auf den geringen buchhändlerifchen Erfolg des Buches 
fommen wir alsbald zurüd. Ex wird wohl mit Urſache gewejen jein, 
daß fein weiteres Werk Jean Pauls im Schragifchen Verlage erjchien. 
An der Bereitwilligfeit ließ es der Dichter nicht fehlen. „Sch hoffe 
fünftig — jo jchrieb er am 21. Dftober 1811 — noch mehrere Ge- 
ichäfte, zu welchen noch dazu unjere Nähe einlädt, mit Ihnen zu machen. 
Vertragen ſich Ihre jchon eingegangnen Verbindlichkeiten vielleicht mit 
der Annahme eines ftärferen Werks von mir in den nächjten Meſſen?“ 

Im Frühjahr 1812 entjchloß fich Jean Paul zu einem längeren 
Aufenthalt in der „guten Stadt“ Nürnberg, um dort „unter deutjchen 
Antifen über der Erde drei Wochen lang zehntaufend Dinge” zu ver- 
geffen. Er läßt fich (19. März 1812) durch Schweigger ein „Schwalben- 
net“ ausjuchen und wiederholt diejen Auftrag 3 Wochen jpäter (10. Mai) 
noch dringlicher, nachdem ex mit Friedrich Heinrich Jacobi eine Zuſammen— 
funft in Nürnberg verabredet hatte Wahrheit aus jean Pauls Yeben 7, 
266 — 271, Sean Pauls Briefe an 5. 9. jacobi ©. 158 fj.). in 
jeiner Ungeduld wandte ev ich eine Woche jpäter mit derjelben Bitte 
auch an Schrag und wählte nun ihn zu feinem „Neichs-Quartiermacher“ 


(20. Mai): „sch wünschte... . Ende Maies 2 oder 3 oder 4 Wochen 
Ihr freumdliches und kunſtreiches Nürnberg zu genießen . . . Sch bedarf 
nun eine gewöhnliche Stube, mit einer Kammer; — nicht der Nach- 
mittaghige ausgejeßt — unbedeutend möbliert, doch mit einem Kanapé 
— wo möglich, dem Muſeum nahe — Aufwartung — und weiter 


nichts, da ich Mittags im Gajthofe ejje. Zu meinem Bergnügen gehört, 
daß ich als Miethmann, nicht als Gaſt in Nürnberg lebe.“ Charafterijcher 
Weiſe erkundigt er jich auch bei Schrag wie bei Schweigger um den ihm 
unentbehrlichen „Bier-Dualismus“: „Giebt es in Nürnberg Erlanger 
Doppelbier? Oder hat wenigjtens das Nürnberger ebenjo viel Hopfen ? 
Dieje Frage thut mein verwöhnter Magen.“ 

Gerade bei einem Manne wie jean Baul jind ſolche fleine Züge 
nicht belanglos. Wie ausführlich, mit wie behaglicher Breite jchildert 
ex jelbjt jeine Neife nach Nürnberg mit dem Phyſiker Seebeck und die 
Wohnungsfatalität bei der Ankunft dajelbjt (1. Juni): „Kürzeſte Fata 
vor und in Nürnberg; meinen Dtto und Emanuel gehörig, denen ich 
bald jchreiben werde“ (Wahrheit aus Jean Pauls Yeben 7, 271 ff.). 
Nichts war vorbereitet, der Gajthof unbeleuchtet, an Seebeds Zimmer 
fehlte das Schloß; dieſer jchalt auf Schweigger und wollte auf der 


A. Sauer, Fohann Leonhard Schrag und Jean Paul. 621 


Stelle wieder einpaden. Jean Paul ſelbſt verharrte in philojophijcher 
Ruhe. „Jetzt fam der Wirt endlich, ein Höflich, junges Männchen, 
darauf Schrag,!) an welchen ich im Sammer gejchiet; dann gar 
Schweigger, welcher meinen leßten Brief um einen Poſttag zu jpät 
befommen.“ Nun fommt vajch alles in Ordnung und am nächjten 
Tage bezieht Jean Paul eine ihm pafjende Privatwohnung am Roß— 
marft. In die erfte Zeit dieſes Aufenthalts gehört ein launiges 
Blättchen, dem der jehr „dienjtfertige“ Empfänger (Nerrlich 1889 
©. 491) mit gewohnter Genauigfeit da8 Datum (4. uni 1812) 
beijeßte: 
Lieber Herr Schrag ! 

Schon aus der Dinte, womit ich meine Bitte Hinfchreibe, erſehen Sie den 
Inhalt der letern. Ich bitte Sie nämlich um !/, Glas Shrer fo vortrefflichen 
Dinte, daß fie ſogar meine übertrifft; daher ich mir einmal bei Ihnen das Rezept 
derjelben aufjchreiben will. 

Ich bin mit meinem 2ten Quartier höchftens zufrieden. 

St hier nirgends Zippleins Ferienreife zu haben? — 

Ihr 
IPF. Richter. 

Der Nürnberger Aufenthalt jelbjt braucht hier nicht weiter ver- 
folgt zu werden (Nerrlich 1889 ©. 489 ff.). Er verkehrte außer mit 
Schrag und Schweigger, mit Hegel und Niemeyer, mit Medizinalvat 
v. Hoven und Oberſten von Namdahl, mit Profeſſor Steller und dem 
Mathematiker J. W. A. Pfaff, mit dem gejchäßten Arzte Dr. Johann 
Carl Dfterhaufen (1765—1839). So ließ er bei jeinem Scheiden 
einen größeren Freundeskreis zurüd, auf den die Briefe der nächjten 
Jahre Bezug nehmen, und der Aufenthalt blieb ihm lange in an- 
genehmer Erinnerung. „Noch immer bleibt, wenn ich einmal Baireuth 
verlafje, mein Auge nach dem Thore gerichtet, das nach Nürnberg offen 
jteht (14. Dftober 1812).” Auch jonft jind diefe Briefe durch Neminis- 
cenzen an den perjünlichen Verkehr belebt und auch das Tintenrezept 
taucht wieder auf: „Dieſe Dinte ift ganz nach Ihrem trefflichen Rezept 
gemacht; blos ein wenig gejalzen hab’ ich fie; daher dev Glanz ohne 
Abfärben (14. Dftober 1812).” 

Den jovialsfreındjchaftlichen Ton, in welchem jean Paul von da 
ab mit jeinem Nürnberger Verleger verkehrte, bezeugt am bejten ein 
anderes Blättchen, in dem ex dejjen Mühewaltung für jein materielles 
Wohl in Anjpruch nimmt und das eben deswegen nicht zurücgehalten 
werden jol. Man wird die Fifchartifche Aufzählung wie im engeren 
Sreundesfreife jo auch hier nicht ohne Vergnügen lejen: 





1) E. Förfter deutet 1863 (Denktwürdigfeiten aus dem Yeben von Jean 
Paul Friedrich Richter 1, 243) diefen umd die anderen Namen nur an, während 
ſie bereits in dem älteren Drud 1333 ganz ausgejchrieben waren. 


622 A. Sauer, Johaun Leonhard Schrag und Jean Paul. 


Baireuth d. 5. Febr. 1813 
„Einen geräucherten Preß- oder. Säufad — und einen ungeräucherten — 
„und 24 geräucerte Brat- — und 12 geräucherte Blut» — und 12 geräucherte 
„Leberwürfte erbittet ſich unfrankiert und mit der Rechnung der Kauf- und Pad- 
„toften mit der fahrenden Poſt 
„der Verfaßer des 


„Helperus und 
„anderer fehr von 
„Würſten verfchiedener 
. „Werte.“ 
Gleichwol muß ich mein Blatt mit diefer Bitte an Sie anfangen. Leider mach’ 
ih mich immer mehr zum Schuldner Fhrer Gefälligfeiten. 

In der Michaelis Meſſe hoff’ ich Ihnen ein Bändchen vermifchter Auf- 
ſätze zu geben, fomifcher und wiffenfchaftlicher (3. B. letzte über die Entftehung 
der erſten Organifazton, dann über den organifchen Magnetifeur). Verzeihen 
Sie und leben Sie wol. 

Ihr 
ergebener 
Jean Paul Fr. Richter. 

9. Prof. Pfaff hat mich durch die Kraft der Darſtellung und der Einſicht 
in feinem Rußland jehr erfreut. 

Danfen Sie umferem guten Schweiger für fein letztes ſinn- herz und 
geiftreiches Blatt an mid. 

Die Beftellung wurde zur Zufriedenheit ausgeführt: 

- Bair. d. 12. März 1813 

. .. Letzte [die Würfte] find meinem Magen ſchöne Vergißmeinnicht von 
Nürnberg; nur die Blutwürfte haben den Fehler, den jeto die Yänder nicht 
haben, zu viel Fett zu enthalten. 

Grüßen Sie alle meine Freunde. 9. Prof. Keller bitt’ ih, mir unter 
meinen 4 Büchern die Auswahl aus des Teufels Papieren zuerft wieder zu 
ihiden. Er kann ja die jetigen Zeitungen als eine Auswahl aus den Teufels 
Papieren leſen . . . 

Mit jenem ceulinarischen Briefe jind wir aber beveitS wieder in 
das Geleije der buchhändlerifchen Beziehungen eingelenft, die wir nun 
weiter zu verfolgen haben. Schon im Briefe vom 14. Dftober 1812 
hieß es: „In dieſem Jahre genieß' ich das jeltene Glüd, nur in 
1 Zajchenbuchtapjel gejperrt zu jein. Auf Ihren Wunfch, mich im 
finftigen Jahre in eine neue infarzerieren zu lajjen, jag’ ich weder 
Ja noch Nein; bis zum April hab’ ich Zeit genug zum Be- und Er- 
denfen. Die beiden neuen Auflagen dev Levana und der Vorschule 
haben mich bisher an andern Ausarbeitungen gehindert. Ich hoffe, 
Ihnen zur Michaelis Meſſe 1813 etwas geben zu Fünnen.“ Ueber 
den erjten Plan weiß ich nichts beizubringen. Sollte Schrag jchon 
damals an einen Almanach in dev Art des jpäteren Frauentaſchenbuches 
gedacht haben? Jean Paul war ja regelmäßiger Mitarbeiter des Cotta— 
jchen „Tafchenbuches für Damen“, das ex mit der einen „Taſchenbuch— 


/ 


A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 623 


fapjel“ meint. Der andre Plan ijt der zu einer Sammlung von 
fleineren Schriften, welche Yean Paul unter dem Titel Mufeum zu- 
jammenfafjen wollte. Schon der Brief vom 5. Februar erwähnt zwei 
der dafür bejtimmten Aufjäße: „Muthmaßungen über einige Wunder 
des organischen Magnetismus” und „Frage über das ntjtehen der 
erſten Pflanzen, Thiere und Menfchen,“ vergleiche oben ©. 622. Die 
ausführlicheren Vorſchläge macht Jean Paul in folgenden zwei Briefen, 
auf welche Schrags Antworten leider nicht vorhanden jind: 


Baireuth den 1. Sun. 1813 
Endlich, lieber Herr Schrag, kann ich das Beftimmtere über mein neueftes 

Werkchen, deffen Verlag Sie übernehmen wollen, angeben. 
1. Der Titel ift: Mufeum von Jean Paul; die Drucdbogenzahl etwan 
24 Bogen — 

. zür den Drudbogen — in Fibels Format p. — erbitt' ich mir fünf 
Louisd’or in Golde — 

. Dod fo, daß Sie den funften, dev Fanoneneifernen Zeit wegen, erſt im 
der DOftermeffe 1814 bezahlen — 

. Hingegen 40 Louisd’or am nächften längften Tage, und die übrigen in diefer 
Michaelis Meffe, in welcher es erjcheinen foll — 

. Die Auflage wird nicht über funfzehnhundert Eremplare ftarf — 

. ch erbitte mir 12 Freieremplare auf Schreibpapier — 

. In der Mitte diefes Monats kann der Drud anfangen und ungeftört fort- 
fahren; denn es bedarf feiner andern Feder weiter alS der abjchreibenden. 
Wollen Sie die Güte haben, mir diefe Bedingungen beftimmt zu bejahen ? 
Grüßen Sie von mir alle meine lieben Nürnberger Belannten und Ihre 

Gattin. 


IQ — 90 — 


Ihr 
Sean Paul Frdr. Richter. 


Bair. d. 25. San. 1813 

Ich nehme Ihre Vorſchläge in Ihrem werthen v. 5. Jan. mit einer un— 
bedeutenden Anderung an. So ungern ich meine Gedanken — zumal über den 
Magnetiimus — dem Publitum ein Halbjahr fpäter gebe: jo weich’ ich doch der 
Nothwendigfeit, welche die Mepjtadt mit Kriegern anftatt mit Bezahlern und 
Käufern füllt. Defto reicher werden nach dem wahrfcheinlichen Friedensichluße 
die beiden nächften Meſſen ausfallen, wenigftens die Dffter]Defeffel. Nur bei 
dem ten Artikel wünsch” ich, daß Sie mir zur Neujahrs Deffe, falls der Drud 
nicht geendigt wäre, wieder 400 fl bezahlten, und den Reſt nach dem Abodrud. 
—— iſt die Bejahung dieſes Artikels nicht der Mühe eines beſondern Briefes 
B— — 


Die näheren Angaben, warum dieſer Plan geſcheitert iſt, fehlen 
uns. Das Muſeum erſchien 1814 in Stuttgart und Tübingen bei 
Cotta. Mit dieſem Briefe endet der regelmäßige ſchriftliche Verkehr 
zwiſchen Schrag und Jean Paul. Erſt wieder aus dem Jahre 1820 
liegen zwei flüchtige Zettel Jean Pauls vom 1. Februar und vom 
8. Mai vor, welche den Dichter als Mitarbeiter an der bei Schrag 
ericheinenden Zeitjchrift Eos erweilen. Es ift das alte Druckfehler- 


624 A. Sauer, Johann Peonhard Schrag und Jean Paul. 


thema im neuen Variationen. Bemerkfenswerter ift ein andrer Brief 
aus demjelben jahre auf eine ebenfalls vorhandene Anfrage Schrags. 
Fouqué hatte die Nedaktion des Frauentafchenbuches mit dem fiebenten 
Jahrgange niedergelegt. Schrag wollte diefes Unternehmen darum nicht 
aufgeben, war aber unſchlüſſig, wen er dafür auserfehen und zu ge- 
winnen trachten jollte. In diefer Verlegenheit wandte er fich unter 
dem 14. November 1820 an jean Paul und erbat fich dejjen guten 
Nat. Er hob dabei hervor, daß fich in der legten Zeit der Beifall, 
den dieſes Tajchenbuch gefunden, „vielleicht wegen zu gemifchten In— 
halt“ gemindert habe; von einem neuen Redakteur und Teilnehmer 
müßte er darum vecht viel gutes hoffen. Jean Paul antwortete umter 
dem 4. Dezember 1820, er wilje ihm „niemand befjeves vorzufchlagen, 
als eine Frau, welche jelber Dichterin ift und die Bedürfniffe der 
Yejerinnen jchon von frühern Redakzionen kennen und befriedigen lernte”, 
nemlich jeine Schwägerin, gebowne Meyer in Dresden, jegige Uthe, 
gewejene Spazier. An diefe möge ſich Schrag unmittelbar mit der 
Berufung auf Jean Pauls Borjchlag wenden. Diejer Nat wird in 
anderem Zuſammenhang von uns zu würdigen jein. 

Die und gegenwärtig vorliegenden Dofumente gewinnen größere 
Bedeutung erſt wieder nach Jean Pauls Tod; fie liefern ein interejjantes 
Nachjpiel zum Berlag vom Yeben Fibels und zeigen uns den milden, 
feinfühligen Mann, als welcher uns Schrag von jeinen Zeitgenofjen 
gejchildert wird, durch die Umstände gezwungen, als entjchiedenen Ver— 
fechter jeiner wohlerworbenen Rechte. Es wird ihm gewiß nicht leicht 
geworden jein, jo bald nach dem Hinſcheiden des verehrten Dichters 
(14. November 1825) an dejjen Familie mit materiellen Forderungen 
heranzutreten. Aber die Rückſicht auf das Gejchäft verlangte es. Takt— 
voller Weiſe wendet er jich aber zumächjt nicht an die Witwe jelbit, 
jondern richtet den erjten Brief an Jean Pauls langjährigen Freund 
Chriſtian Dtto (6. Dezember 1825): 

Nach langer Zeit, aber auf Ihre früheren gütigen Geſinnungen hoffend, 
nehme ich Veranlagung wieder an Sie zu jchreiben. 

In dem Nefrologe Ihres verewigten Freundes, deßen Verluft mich bey 
der erjten Nachricht jehr überraschte, ift die Sammlung und Herausgabe feiner 
jämmtl. Werke als nahe angezeigt. Es ift Ihnen bekannt, daß mich der Ber- 
ewigte 1811 mit dem Verlage feines Fibels beehrte, aber es mag Ihnen auf- 
fallend ericheinen, daß nah 14 Jahren nicht ?/, der Auflage veräußert, und 
heute noch 526 Erempl. auf meinem Lager vorräthig find. Ich habe die Be— 
dingungen des Berfaßers v. 23. Junij 1811 mit 4 Louisd. Honorar für den 





ı) Nach Herrn Carl Schrags gütiger Mitteilung findet fih in Jahr— 
gang 1820 des Eos Nr.5 ©. 17: „Allegorifche Vorftellung den 19. März 1819 
an dem Namenzfefte der Frau Joſepha von *** (Melden. Bon Jean Paul“ 
(Werfe, Hempel, 48, 195) und ©. 40 „Berdriegliche Drucdverfegung“. 


PIE N SEEN 


—— 


Ser ze 


A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 625 


Drudbogen erfüllt, umd die Auflage nach feiner Beitimmung zu 1500 Ex ge- 
macht. Diefe, gegenfeitig ausgewechjelte, fchriftliche Uebereinfunft muß mic im 
dem umngeftörten Abjat der erjten Auflage fihern, und ich müßte ſonach gegen 
die Aufnahme des Fibels in der beabfichtigten Sammlung jo lange proteftiven, 
als ich noch Borrath der erften contraftmäßigen Auflage befite, oder von den 
Unternehmern nicht durch Ablöſung entihädiget würde. — 

Ich erlaube mir diefe vorläufige Mitteilung an Sie, dem verehrten Freunde 
des Haufes, und bitte im gemeigter Erwiederung mein Bejorgniß zu heben, oder 
mich mit den Grumdfäten bey Unternehmung einer neuen Gefammtsausgabe be- 
fannt zu machen. 


Otto antwortete darauf in einem längeren Schreiben, das am 
16. Dezember 1825 von Bayreuth abgieng und am 17. in Schrags 
Händen war. Er habe vor der Hand noch Bedenken getragen, Die 
Witwe feines Freundes von Schrags Anliegen in Kenntnis zu jeßen, 
teil3 weil er die zu großen Unannehmlichfeiten nicht habe vermehren 
wollen, die mit einem jo entjeglichen Verluft verbunden jeien; teils 
weil die Verhandlungen über die Herausgabe jamtlicher Werke Jean 
Pauls noch nicht abgejchlofjen jeien; teils weil ex gehofft habe und 
noch hoffe, daß die Umſtände jelbjt ein Ausfunftsmittel zu einer Aus— 
gleichung zwijchen Schrag und Jean Pauls Familie darbieten würden. 

Dies jcheint mir num in der Wendung zu liegen, welche in der neuern 
Zeit der Buchhandel genommen, und dann in der rechtlichen Norm, welche 
fih allmälig gebildet hat in Nüdjicht der Herausgabe ſämmtlicher Werte eines 
Schriftitellers. 

Was die erjte betrifft: jo fuchte fonft der ſchutzloſe und vogelfreie Buch— 
handel ſich gegen den Nahdrud zu ſchützen und zu retten durch hohe Bücher: 
preife, welche — bevor noch der letztere jeine Werfe der Finfterniß vollbringen 
fonnte, — wo nicht großen Gewinn verfchaffen, doch vor Schaden bewahren 
jollten. Seit furzer Zeit hat der Buchhandel den Nachdruck mit Glück zu be- 
fiegen gefucht und begonnen, indem er ihn zu überbieten und zu übertreffen 
trachtete in möglichſter Wohlfeilheit der feilgebotenen Artikel. Freilich war anfangs 
dabei zu wagen, aber doch weniger, als bei der Bücher- Theuerung, welche ver- 
urfachte, daß manche Bücher nur gedrudt wurden, um auf dem Lager auf- 
gejpeichert zu bleiben. (Sie werden mir gewiß zutrauen, daß ich dies nicht in 
Beziehung auf Sie vorbringe, und daß es mur eine allgemeine Wahrnehmung 
ift. Der Einzelne fonnte fich dev Negel nicht entziehen, welche von der Gefammtheit 
aufgeftellt war.) 

Nur durch die neuerliche Wohlfeilheit der Bücher ift die Kenntniß jo vieler 
allgemeiner und die Begierde nad dem Selbftbefit derjelben größer geworden. 
Beides ift aber entjtanden durch die mwohlfeilen Gejammtausgaben von den 
Werfen einzelner Schriftfteller, umd dies hat — wenn auch nicht augenblidlich — 
vortheilhafte Rückwirkung auf die früheren Verleger einzelner Werke. 

Was nun die Herausgabe fämmtlicher Werke eines Schrifttellers betrifft: 
jo hat ſich, wie ich glaube, in jo fern die oben erwähnte vechtliche Norm gebildet, 
als den frühern Berlegern einzelner Werke ihr Verlagsrecht und der Abjatz ihres 
Verlags bleibt, jo daß fie, im Uebereinfommen mit den Autoren oder deren 
Erben, auch neue Auflagen bewirken können, wie dies neuerlich mit Goethes 
Werther, mit einer theologischen Schrift Herders gejchehen ift, und gegenwärtig 
mit deffen Volksliedern gejchichet. Daß fich dies ereignen Tann, ift ſchon ein 


626 A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 


Beweis, daß die Ausgaben fämmtlicher Werfe dem Abjate einzelner — im Fall 
der Preis zeitgemäß ift — nicht nachtheilig fein fann. Es würde mich zu 
weit führen, wenn ich diefen Artikel weiter verfolgen wollte. Ich habe ihn 
gegenwärtig nur in der guten Abficht berührt, um, wo möglich, Ihnen vor- 
länfig einige Beruhigung zu verfchaffen. 

Dieje ziemlich laienhafte Auseinanderjegung und Belehrung nahm 
der gejchulte Gejchäftsmann mit großem Mißvergnügen auf, wovon jein 
Fragezeichen bei den Worten „in der rechtlichen Norm“ Zeugnis giebt. 
Er wußte jelbjt zu gut, was für ihn vechtliche Norm fein müffe, als 
daß er fich dadurch von dem eingejchlagenen Wege hätte ablenken laſſen. 
Sein zweites Schreiben an Otto ijt nicht vorhanden. Diejer verwies 
ihn aber in feiner furzen Erwiderung vom 24. Dezember 1825 an die 
Witwe jelbjt und lehnte jede weitere Vermittlung ab. Schrags Brief 
an die Frau Yegationsrätin vom 30. Dezember 1825 deckt jich jo ziem- 
(ich mit jeinem mitgeteilten Schreiben an Dtto, ift nur etwas kürzer 
und entjchiedener gehalten als jenes und, als die Antwort darauf längere 
Zeit ausblieb, ließ er durch feinen Nechtsfreund bei ihr anfragen, ob 
jie den Brief erhalten habe. Ihre Antwort vom 25. Februar 1826 
wurde jchwerlich von ihr allein abgefaßt. Einige der vorgebrachten 
Argumente lafjen auf Otto als den Anveger jchliegen. Doch führt der 
Brief auch andere von jenem nicht berührte Argumente ins Feld umd 
appelliert jchlieglich an das gute Herz des Empfängers. Für uns mag 
das Schriftjtück hauptjächlich wegen des darin ſich ausjprechenden ficheren 
Vertrauens auf die Fortdauer der Jean Paulſchen Werfe von Wert jein. 

. . . Jedermann fagt mir, daß eine Gefammtausgabe von den Werfen 
eines Schriftftellers, etwas für fi) Beftehendes, und von dem Einzelverfauf feiner 
Bücher völlig Losgetrenntes wäre, jobald die Herren Berleger der— 
jelben, das Recht behalten ihren Berfauf fortzufegen. 

Eben jo jehr als daß ein Schriftfteller, wenn er in einem Kontrakt mit 
dem Einzelnverleger fih feine Freiheit für die Zufunft nit ber 
ſchränkt hat, feine Opera omnia herausgeben kann wo er will: — Und es 
eriftieren in Ihren gegenfeitigen Berhandlungen bei Herausgabe des Fibels gar 
feine Verbindlichkeiten für die Zukunft. 

Daß Sie in einem Zeitraum von 15 Jahren faum 1000 Eremplare ab- 
jetsten, würde in jedem Fall die Zeit Ihrer Entfhädigung 7), Jahr hinaus 
jhieben, denn wenn friedliche Umftände, und ein ungefährdeter Abfat Ihnen 
nicht größeres Glüd gewährten, können Sie billigerweife nicht verlangen, daß 
die unbefhüsten Nahfommen Jean Pauls, das Schidjal, an Gaben 
und Großmuth übertreffen folen? Woran lag der geringe Abſatz, entweder 
an dem Buche felbft, oder an der Höhe des Preifes? Wenn der veremigte 
Schriftftellee 4 Fried’d’or pro Bogen eines fo enggedrudten Buches empfieng ; 
was müßen Sie bei 1000 Eremplaren erworben haben, zu dem Berfaufpreife 
den Sie fejtgefegt hatten? Gewis war Ihre Auslage gededt, und ein ſolcher 
Gewinn, der Sie wohl in den Stand ſetzen Tann, diefes Buch zu zeitgemäßen 
Preifen, dem Publiftum noch einmal anzubieten, und dann werden Sie fehen 
daß Ihnen nicht 500 Eremplare übrig blieben, für deren Neft wir 
Sie entſchädigen follen. 


A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 627 


Der Zeitpunft der Aufnahme des Fibels wird erſt in 2%/,tel Jahren ein- 
treten, weil nach der Anordnung des feeligen Verflärten feine Werfe in chrono— 
logifher Folge wie er fie gefchrieben, erjcheinen follen. Bis dahin haben Em. 
Mohlgeb. freien Spielraum für Ihren Abfat, welcher in der jetigen unglüd- 
lichen Periode feines Berluftes für die Welt, unter günftigen Auſpicien fteht. 

Einmal ift die Begierde des Publitums nad feinen Schriften größer als 
bei jeinem thenern Leben, da auch die weniger gebildete Welt, wißen möchte, wer 
der Mann war, den die Welt jo betrauert. 

Zweitens weil die Gunft der Privilegien auch die Einzel-Ausgaben 
für Nachdruck jhüst, da in Baiern, Wiürtemberg, und Baden, umd wie ich ge— 
ſucht, au in anderen deutfchen Staaten weder Einzel- Ausgaben, noch die 
Gejammt-Ausgabe fie mögen Namen haben wie fie wollen nacdhgedrudt, und 
Nachdruck derjelben, verfauft werden darf. 

Nach allem Diefem erwarte ih num, daß Em. Wohlgeb. Sich beruhigen, 
und alle die billigen Mittel zu Ihrer Entihädigung gebrauchen werden, vie 
Ihnen Selbit zu Gebote jtehen. Kann es Ihnen lieb fein die Nachkommen 
eines geehrten Mannes zu bedrängen [über: verfolgen], Dem Sie einft Selbft, 
Freund waren? Erwägen, bedenken Sie, die Vortheile die noch ein jeder 
Buchhändler durch den Abſatz Jean Paulſcher Schriften haben fann, und 
wenn er das Ausland zu Hülfe nehmen müßte! Schon find die Thore der 
Literatur, nah Rußland geöffnet. In Schweden wird er überfett. Suchen Sie 
alles was dem fpefulativen Geihäftsmann möglich ift, auf; um das Buch ins 
Gedächtnis des Publiftums hervorzurufen, und wenn nad 2!/;tel Jahren der 
Zeitpunft der Aufnahme in die Gefammtausgabe erjchienen ift, dann wollen 
wir jehen, was Ihre Bemühungen geleiftet haben. Bis dahin fünnte auch der 
ftrengfte Richter für Sie feinen Rechtsgrund anerkennen, uns, ohnehin jo Be- 
raubte, zu einer Entjhädigung zu verdammen....... 

Nahiehrift:] Die Werke meines Mannes erfcheinen in 12 Lieferungen, 
jedesmal 5 Bände von Meffe zu Meffe, und Fibel fällt gerade in die 4te Lieferung. 

Wie ergeht es nicht erft den anderen BVerlegern neuerer Sachen, KRatzen- 
berger und Bücherſchau und der Verleger würde es für eine Sünde achten von 
uns, der Familie Jean Pauls Entfhädigung zu verlangen. 


Die Appellation an das Gefühl war dem ihr als Gefühlsmenfch 
befannten Freunde ihres Mannes gegenüber wol angebracht und ver- 
jegte diejen in eine jchwierige Yage. Wieder wird er mit jich und feiner 
unantaftbaren Nechtlichfeit gefämpft haben. Dieje trug jchlieglich bei 
dem bejonnenen Gejchäftsmanne den Sieg davon. Er numerierte fich 
die Abſätze des Briefes jauber mit Bleiftift zum Zwecke der (leider nicht 
erhaltenen) Antwort. Es jcheint, daß die im Text geſperrt gedrudten 
Stellen von ihm unterftrichen find. Das Fragezeichen neben den 
Worten: „jeines Berluftes für die Welt“ verrät uns den fopfichüttelnden 
Leſer. Sein Vertrauen auf die Richter war ein größeres als das der 
Witwe. Er brachte die Klage gegen fie ein. Als aber der Verleger 
der Gejamtausgabe, ©. Reimer in Leipzig, die Vermittlung zu einem 
Ausgleich übernahm, bot er mit Freuden die Hand zu einer friedlichen 
Einigung. „Da nun Sie, mein Hochgejchäßter Freund“, heißt es in 
Neimers Briefe vom 20. uni 1826, „in der verwichenen Dfter- 
meſſe mir jelbjt Ihre volle Bereitwilligfeit zu erkennen gaben die 


628 A. Sauer, Johann Leonhard Schrag und Jean Paul. 


Sache gütlich und friedlich zu befeitigen, jo fümmt es nur darauf an 
zu erklären auf welche Entjchädigung Sie Anfpruch machen zu der 
Zeit wo der Abdrucd des Fibel für die Gejammtausgabe ftatt finden 
wird. Sie werden gewiß dieje Ihre Forderung den Umftänden gemäß 
billig jtellen, dafür bürgt mir Ihr allgemein befannter Biederjinn.“ 
So fam ein Ausgleich zu Stande. Dem Briefe der Witwe Sean 
Pauls vom 14. Auguft 1826 liegt der Entwurf der zwijchen beiden 
Barteien vereinbarten Erklärung bei,. wonach ſich die Familie ver- 
pflichtete, jobald das Yeben Fibel3 in der Gejammt-Ausgabe bei Reimer 
erichienen fein wird, für jedes Exemplar, welches Schrag dann noch 
von diefem Buche vorrätig haben jollte, Einen Gulden rh. im 24 fl.- 
Fuße baar auszubezahlen. In jeiner Antwort, die im Entwurf vor- 
liegt, verlangte er, daß jtatt „für jedes Exemplar“ gejegt werde: 
„auf jedes Exemplar“, da bei diejem Arrangement der Vorrat ihm 
verbleibe. Und da die Gegenpartei jein Ehrenwort darauf verlangte, 
daß er die gegenfeitigen Berhandlungen niemanden mitteilen werde, jo 
zögerte er nicht, die auch wirklich zu geben: „So wie ich unauf- 
gefordert unjere Berhandlung feinem Dritten zum Misbrauch und 
Ihrem Nachtheil mitgetheilt, und 3. E. die Nachforfchungen der HS. 
B. und L. zurüdgewiejen habe, jo werde ich nun Ihrem Berlangen 
um jo jorgfältiger entjprechen und fan Ihnen dies mit meinem Chren- 
worte zufichern.” In der Jubilate-Meſſe 1828 wurde Schrag für jeine 
Entjchädigungsanfprüche durch Reimer dem Vertrage gemäß befriedigt. 
Ohne die Gegenpartei zu jchadigen, Hatte ex jein gutes Recht mann- 
haft vertreten. 

Er hielt das Andenken an den berühmteften und vornehmiten 
Autor jeines Verlages zeitlebens jehr hoch und als jichtbares Zeichen 
dafür verwahrte er ein jchönes wohlgetroffenes Porträt Jean Pauls, das 
er von dieſem jelbjt zum Gejchenf erhalten hatte und das ſich noch im 
Bejige feiner Nachkommen befindet. Durch Herrn Carl Schrags Ver— 
mittlung liegt mir eine Bejchreibung dieſes Bildes aus jachfundiger 
Feder vor: „Das bis jeßt nicht veröffentlichte Bild, eine Elfenbein- 
malerei, jtellt den Dichter im 52ten Lebensjahr dar. Die Auffajjung ijt 
friich und lebendig und macht durchaus den Eindruc der Portraittreue, 
dem Geſchmacke der damaligen Zeit entjprechend ijt die Malweije eine 
fühle. Die Ausführung des 65 cm hohen, 50 cm breiten, ovalen 
Bildchens ift exakt, läßt aber befonders in den foftiimlichen Partien den 
hohen Grad von Feinheit vermifjen, welche derartige Malereien gewöhn— 
lich auszeichnet. Am Rande jteht die Bezeichnung Yehman p. 1815. 
Nähere Angaben über diejen Stünftler fehlen.“ Cine Reproduktion des 
Portraits würde freudig zu begrüßen jein. 


en 





Miscellen. 629 


Miscellen. 


Aus dem Nachleben des Peter Squenz und des 
Fauſtſpiels. 


Der Simplicianiſche Welt-Kucker oder Abentheuerliche Jan Rebhu (1679) 
findet bei einem Pfarrer einen Neujahrswunſch „auf das Schaltjahr 1639 über— 
geben von Meiſter Squentzen, Geſind-Koch in Marſilien“ in lauter Fehlreimen, 
wie ſie Gryphius auch in ſeinem Stücke anbringt. Auch auf der Wiener Bühne 
iſt der Peter Squenz bekannt. Stranitzky warnt in ſeinem „Hannß Wurſts 
lächerlich-Curieuſer und ohnfehlbahrer Calender“ vom Jahre 1713 den Hanns— 
wurſt im Mai, unter dem Zeichen des Löwen zu freien: 

Man ſagt mit Peter Squentz zum Spott dir ins Geſicht, 
Ich fürcht dich nit du biſt kein rechter Löwe nicht. 

Beſonders intereſſant iſt ein Neujahrswunſch ſeines Nachfolgers Gottfried 
Prehauſer, den ich hier auszugsweiſe nach dem Exemplare der Wiener Stadt— 
bibliothek mitteile. Der Titel lautet: 

„Nulla war der Schluß von meinem vorjährigen NeuJahrs Wunſch, der 
heurige jol mit Nichts und dod mit Allem anfangen Und zum gewöhnlichen 
präjent erfolgen WJe e8 beJJ MeJner HannsWVrftJChen perjonage fonft 
Der beWVite GebraVCh Ware. Da mich übrigens mit geziemender Achthabung 
nenne gehorjamfter Diener Godefriedus Prehaufer.“ Das Chronogramm führt auf 
das Fahr 1760. Der Berfaffer will im Anſchluß an feine vorjährige Gabe eine 
„eontinuation von comiſchen Zufälligfeiten“ bringen. Er erzählt, wie er und 
ein Kamerad in ein fächfiiches Städtchen, deſſen Namen ev nicht nennen will, 
famen und in einem Brauhaus eine „aufgeräumte Bürger-Compagnie” trafen. 
„Ehe wir noch das jo jo pafjable Luft oder Wind-Bier zu koſten befamen, 
hörten wir ſchon die Iuftige Gefellichaft zu einem befondern Vorhaben verfammelt 
zu ſeyn, dann einer jchrie jehr laut: Ey, ey, ihr lieben Herren und Leute, ehe 
wir noch die Wunder-Gefchichte auswendig lernen, folten wir doc wiſſen, ob wir 
fie eine Tragödie oder Comödie heiſſen follen. Einer ſagte darauf, das wird der 
Component der Herr Anftreicher Paul am beften verftehen müffen. Ich und mein 
Collega jpitsten, wie leicht zu errathen, die Ohren ärger als ein Haas, wann ev 
von weitem eine Schalmeyen höre. Wir vernahmen, daß einer, welcher ohn— 
gezweifelt der Anftreicher muß geweſen jeyn, mit ernſtlichem Accent, jagte: das 
gebührt freylic mir auszugrübeln, doch wirds bald zu ergründen feyn, demm in 
dent Spiel erjtechen fich 2 Perſonen, alfo geht es traurig aus, ergo muß es 
eine Tragödie feyn. Contra, jagte ein anderer, jo wahr ich Bürftenbinder- 
Meifter bin, ſoll das Spiel Iuftig ausgehen, denn die Todten werden wieder 
lebendig, ſetzen ſich hernach zufammen und trinken einen brafen Rauſch, fo it 
dann der Ausgang von dem Spiel luftig und muß folglich. eine Komödie heifjen. 
Ja wer weiß, ob wir auch jo viel einnehmen, als ich mit meinem Abſatz Pappen 
in zwey Tägen verdiene, jo wird der Schluß nicht gar fröhlich ſeyn, und müſte 
mans halt ein trauriges Luftfpiel nennen. Diefen Sentent haben wir von einer 
gank rauhen Stimmen vernommen, welches der Schmid gewefen. Mit einen 
Wort, widerfetste dev Anftreicher, wir wollen die Hiftorie von Pyramus und 
Thisbe aufführen, das ift über die maffen treflich, jagte der Leinmeber, man 
fan allerhand ſchöne Lehren, Troft- und Freuden-Ermahnungen daraus nehmen; 
aber ich weis noch nicht, was dann in der Gejchicht enthalten ift. Der Herr 

Euphorion II. 41 


630 Miscellen. 


Paul antwortete: das will ich erklären Ovidius Naſo ſchreibt in feinem Buch 
Memorium phosis, daß Pyramus die Thisbe zu einem Brunnen bejtellet habe; 
inmittelft ſey ein abfcheulicher häßlicher Löwe fommen, vor dem fie aus Furcht 
entloffen, und ihr Ober-Mantelfleid von ſich geworfen, auf welchem der Löwe 
ein geraubtes Lamm aufgezehret. Als der Löw wieder von dannen war, Fam 
Pyramus und fand das blutige Kleid, darum erjtach er fih aus Verzweiflung. 
Der Schmid fragte mit einem erbärmlichen Schrey: und ftirbt? ey, und ftirbt ? 
Halt ja, weil er ſich zu tod erftochen hat. Ein Blasbalgemacder fagte jeufzend: 
das muß erbärmlih ſchön anzufehen ſeyn; aber Herr Paul hat der Löw auch 
viel zu reden? Nein, fagte der Author, der Löw muß nur brüllen. Der Tifchler 
rumpelte geſchwind im die Rede, der Löwe mill ich ſeyn, dann ich lerne nicht 
gern viel auswendig. Ey mein Meifter Mathias, jagte Paul, ihr müft die 
Haupt-Perfon agiren, dann ihr habt einen verleimten Kopf. Der Tifchler lachte, 
jagend: ih muß doch meinen Zettel erſt lefen, da wird ſichs fchon zeigen. Der 
Bürftenbinder wiederholte die Löwen-Parte, und erinnerte, warn dieſes Thier 
gar zu graufam ausfehe, fünten fich die Zuschauer entfegen, und etwan ein 
Frauenzimmer in der Hofnung gar zu gefährlich ſchröcken, jo müfte der, jo den 
Löwen macht, gleich im Herausgehen jagen: ich bin fein rechter Löw, förcht euch 
nicht. Ey ja wohl, fagte ein anderer, das wäre cine beftialifche Sau; der Lichter- 
pußer muß heraus ruffen: gebt Acht; es kommt ein Löw, aber fein rechter, es 
ift nur ein Tragerierer. Ich will ihn machen, ſprach der Bürftenbinder, aber 
wo befomme ich eine Löwenhaut, die mir recht ift? Der Eluge Herr Paulus 
wiederfetste, ein jeder Actores wird jo capabel jeyn, fich die Kleidung felbft an- 
zufchaffen, daß es zu feiner Vorftellungsart ein Geſchick hat. Der kurz angebundene 
Bürften -Fabricant refolvirte fih von feinem Weib den belgernen Unterrod in 
der Mitte zufammen zu nähen, fein Winter-Leibel umzufehren, von dem Organiften 
die belzerne Neife Mütze mit Schweiffeln auszuborgen, und von feinem durch- 
triebenen Jungen etlihe Katen fangen zu laffen, ihnen die Haut abzuziehen, 
und aljo die Arme für vodere Löwen-Pragen zu formiven. Etlihe Minuten 
wurde es in der Yauberhütten jo ftille, al$ wann eine Maus in das 6 Wochen 
Bett gekommen wäre; jählings ſchrie einer (wer weiß welcher) wir find zunft— 
mäßige Yeuthe, und werden ums wegen der Komödie für feine Katenfchinder aus- 
ruffen laffen. Ein anderer antwortet halb ernfthafft: ey was, Komödie ift eine 
Freykunſt, man darf thun, was man will, muß es paffiren. Der Bürftenbinder 
verſprache fich nicht barbieren zu lafjen, weder die Nägel abzufchneiden, damit er 
einem Löwen defto ähnlicher fehe. Gut, jagte der Compofitor, nun ad vocem, 
es hat der Bollmond gejchienen, jchreibt Ovidus (sie!), als diefe Helden-Gefchicht 
fi) ereignet hatte, wer wird nun den Mond vorftellen? Das werd ich ſeyn, 
offerirte fih der Blasbalgemader; ich Fan die Baden rechtſchaffen aufblähen, und 
werde jo immer wegen meiner fupferigen Nafe veriert; dag nun der Mond voll 
wird, ift mit 3 oder 4 Maas Bier untereinander leicht natürlih ins Gefiht zu 
bringen, warn nur die Zuſchauer fein fotiges Wetter dabey bejorgen. Herr Paul 
lachte; wann nur nichts paffırt, jo wird der Mond ſchon wieder ohne Schaden 
abnehmen; jeto iſt nur die Frage, wer den Brunnen und die Wand tragiren 
joll; zwar es ift auch noch die Thisbe vornämlich nothwendig. Diefe bin ich, 
ſprach der Leineweber, denn ich habe einsmahls als Gejelle (da mich, ohne Ruhm 
zu melden, öfters einen Milchbart habe heiffen hören) die keuſche Sufanna bey 
denen MeiftersSingern vorgeftellet, daß nicht allein die alten Weiber, fondern 
auch die liebe zarte Jugend dabey geweinet hat. Mein Camerad jagte in aller 
Geſchwindigkeit zu mir: Vielleicht die erfteren aus Einfalt, und die anderen vor 
Lachen. Endlich vernahmen wir den Schluß, daß der Leineweber die Thisbe, 
der Schmied der Brummen, umd der Abfatpapper die Wand feyn folle, weil die 


Miscellen. 631 


übrigen Mitglieder zu ihren Occupationen ſchon vefolvirt waren. Doc fand der 
Schmied einen Anftand, wie der dann den Brunnen fein jäuberlih, und gleich- 
wohl mit natürlihem Waffer präfentiven fünne? Mit zwey Gießfannen, fagte 
Paul, laft fich eine verwunderliche Wafferfunft machen, und muß & parte ein 
Weinheber in den Mund genommen werden, der bis im ein hinter dem Brunnen— 
Borfteller verborgenes Schaf Waffer hinab veichet, mithin fan der Meifter Schmied 
immer das Waffer an fich ziehen und in einer vor feiner ftehende Multer rinnen 
laffen. Diejes wurde von dem ganzen Raths-Corpo approbiret; der Abfatz- 
papper jagte: fo lafjet denn mir die Sorg, wie ic) es heute Nachts mit meinem 
Weib überlegen werde, auf was für eine geſchickte nvention ich meine Wand 
aufführen foll: aber jetzt muß ich doch wiffen, ob es eine gemauerte, oder bretterne, 
oder leinwandne Wand feyn muß? Die mac ich, fagte der Anftreicher, auf 
eine Blindram mit Papier überzogen, damit die Thisbe deſto leichter ein Loch 
dardurch ftoffen fan, und alfo fügliher mit den Pyramus zu reden. Die ver- 
zweifelte Wand wird uns die ärgſte Säuerey machen, jagt einer; Herr Paul 
aber machte dem dämifchen Votiren ein refolutes Ende, jprechend: nun, nun 
bleibt es ſchon darbey, ich will die Austheilung unterdeffen mit Röthel auf diejes 
überbliebne Käspapier verzeichnen, nämlich: Meifter Klippelfeld, Tiſchler Pyramus; 
Meifter Lollinger, Leinweber, Thisbe; Meifter Uebergur, Bürftenbinder, der Löw; 
Meifter Windfang, Blasbalgemacher, der Mond; Meifter Klo Jörg, Schmied, 
der Brunnen; Meifter Grobjad, Abjatpapper, die Wand, und ich, fagte der 
Iharffinnige Author, will den Prologum und Epilogum vertretten; ich habe 
mir den Anfang in ſchönen Reimen aufgejett, und trage das Blätel immer bey 
mir, daß ich dann umd wann einige paar Zeilen davon ungefähr auswendig 
lerne. Kaum daß er diefes fagte, Fam ein wohlgewachjener Braufnecht zu ums, 
fragte, ob wir noch etwas zu jchaffen hätten ?. Ich fragte, ob er diefe heroiſ che 
Compagnie in der Lauber-Hütte — kenne? Ey freylich; ſagte er lachend, 
wir haben das gantze Jahr unſern größten Spas mit ihnen; was einer über 
den andern weis, das halten ſie einander vor: bisweilen ſetzt es auch Klipf— 
birnen unter ihnen ab; zu Zeiten kommen ſie noch mit Lachen auseinander, 
wann nicht eines oder des andern Weib die guten Männer nach Haus ſchummelt; 
meiſtens kommt die böſe Schmied-Urſchel, oder die Tiſchler-Catherl, die machen 
die geſchwindeſten Kehr- oder Staubaus.“ Der Verfaſſer unterhält ſich mit dem 
Wirth: „Ich fragte unter anderen auch, ob nie einige Comödien hier aufgeführt 
werden? Ey Ja doch, ſagte er, vor 3 Wochen iſt ein ‚Dändel-Spieler Comödiant 
hier geweſen, er hat aber nichts als fein Weib und einen Jung bey fich gehabt, 
aus meinem Haus ift niemand dazu gegangen, aber etliche Gäft haben erzehlet, 
daß es ein miferables Spielmerd wäre, denn fie folten den Doctor Yauft vor- 
gejtellet haben, daß der Kopf in die Höh geflogen, und der Leib auf die Erd ge- 
fallen, ehe ihn noch der Teufel geholt habe, der luftige Diener Matzgörg ſeye 
eh und habe den Sauſtreich excuſiren wollen, aber die Jungens (bier 
heift mans Schlänfel-Buben) machten einen jolchen Lach-Rärmen, daß die übrigen 
Leute heraus zu fommen froh waren; er hat nur 3 oder Amal gejpielt und ift 
fein ftill wieder abgezogen. Unver ſeheus rufte die Frau Hoſpeſin ihren Eheſchatz 
von uns weg, da ich eben von der angehörten Bürger-Diſputation zu ihrer Tragi— 
Comödie anfangen wolte zu fragen, ob ihm als obrigkeitlichen Mitglied, oder als 
Gaſtwirth die vortrefflichen Subjecta Comica nicht ſpecialiter bekannt, oder ob 
er wohl gar ein Protector dieſes ruhmvollen Unternehmens ſeye. Mein Herr 
Collega ſchüttelte den Kopf ſo ſehr, als ich noch immer über dieſe dämiſche 
Meiſterſingerey lächeln mußte . .Her erklärte ... dieſe bürgerliche Theatral— 
Occupation ſey für die wahre Comique eine förmliche Proſtitution; ih . 

fonte mich nicht enthalten zu jagen: Ey, Ey, Herr Bruder, wie foll der Stoch 


41* 


632 Miscellen. 


fifh den Laperdon oder Zar beſchimpfen, weil er auch aus dem Waffer fommt, 
und auch wie der gewäffert wird; der Unterfchied zeigt fih auf der Tafel, ſowohl 
an fich felbft, als an der Zurichtung; fein Doctor Medicinä wird fich hoffentlich 
affrontirt dünfen, wenn er höret, daß die Bauren einen Kräutermann oder Wurm- 
Pulfer-Krämer auch Doctor jchelten . . . man laße die läppifchen Leute bey ihrer 
freyen Willfür; ich meines Theils wolte Tieber eine folche Meifter Singerifche 
Aufführung, als eine Hamburger patetifche Opera fehen.“ 

Daß Prehaufer der erjte Theil des Peter-Squent-Spieles hier vorfchwebt, 
bedarf feines Beweifes; daß die Gryphiusſche Faſſung zu Grunde liegt, zeigen 
die oft wörtlich übereinftimmenden Neden. Bieles freilich ift verändert. Bon 
Namen ftimmen überein: Meifter Yollinger, Klotz-George, aus Meifter Klipperling 
wurde Klippelfeld, aus Meifter Krirüber und über, Meifter Uebergur. Für den 
wol nicht recht Flingenden Namen Bulla Butäin trat Windfang ein, Meifter 
Grobſack ift ganz neu. Sowohl die bürgerlichen Beichäftigungen, als auch die 
einzelnen Rollen find ganz vertaufcht. In der Handlung fällt befonders auf, 
daß die Befprehung über Tragödie und Komödie das Stüd eröffnet, während 
fie bei Gryphius erft nach der Rollenverteilung fommt. Mehrfach finden ſich 
Zufäte, Kleine Späße, wie fie der Hannsmwurftbühne entfprechen, jo in den Details 
über die Ausrüftung des Monds und Brunnens. Mit der von E. Schmidt 
mitgeteilten Faſſung (Zeitichrift für deutiches Altertum 26, 244) ergibt fih gar 
fein Zufammenhang. Wir haben e8 offenbar mit Reminiscencen an eine Banden— 
comödie zu thun. 

Ein anderes Drama von Gryphius liegt uns in einer eigentümlichen Be— 
arbeitung der Wiener Bühne vor. Der Codex mserp. 13, 195, eine Sammlung 
von Rurzihen und Weiskernſchen Dramen enthält fol. 105. — fol. 113 „Die 
Bauren, ein Nachſpiel“, wahrjcheinlih von Kurz jelbft verfaßt (Goedeke 5°, 
304 Nr. 30). Das in neun Auftritte geteilte Stück ift nichts als eine recht 
gefchickte Tocalifirende Verfürzung der geliebten Dornrofe. Die Namen find theil- 
weife geändert: Gregor Kornblume heit hier Jörgel, Bartel und Jockerl bleiben, 
Lifel Dornroſe wird zu Urfchel, Mat Aſchewedel zu Hiefel, Frau Salome zu 
Aſchewettl. 


Wien. A. v. Weilen. 


Seffingiana. 
J. 
Zu Leſſings Berufung nach Wolfenbüttel. 





In dem handſchriftlichen Nachlaſſe J. A. Eberts, den die Wolfenbütteler 
Bibliothek verwahrt, findet ſich auch ein kurzer, auf die Berufung Leſſings zum 
Vorftande der genannten Bibliothek bezüglicher Brief, der meines Wiffens bisher 
nicht veröffentlicht worden ift. Weder der Schreiber no der Empfänger des 
Briefes ift genannt, doch wird man nicht fehlgreifen, wenn man in dem letteren 
Ebert vermutet, der ja in der hier in Rede ftehenden Angelegenheit die Hauptrolle 
gefpielt hat und für den als Adrefjaten des Briefes ſchon der Umftand ſpricht, 
daß fich diefer unter dem von ihm hinterlaffenen Papieren befindet. Der Schreiber 
ift offenbar eine Perfon, die fih für Leifings Berufung lebhaft interefftert, zu— 
gleich aber die Bejorgnis hegt, die ja auch Leſſing jelbft und Ebert nicht fremd 
war, der Erbprinz — denn um diefen handelte es fih dabei — fünnte durch die 





Miscellen, 633 


freimütige Art Leifings fi zu äußern verftimmt werden und damit die ganze 
Sade ins Waffer fallen. Der Brief ift auch ohne Ort und Datum, aber aus 
feinem Inhalte geht mit Sicherheit hervor, daß er in Braunfchweig innerhalb 
der Wochen gefchrieben ift, die Leffing hier gegen Ende Novembers und Anfang 
Dezembers 1769 verbrachte, um feine Berufung nah Wolfenbüttel zum Abſchluß 
zu bringen. Der Brief lautet, wie folgt: 

Der Küffenswürdige M. . . hat in der geftrigen Unterredung Herrn 
2. . . sedat gefunden, und meinet Er, die jugendliche Hitze welche in einige 
feiner Lieder hervorblicke, würde fich legen, diefe Lieder find mier unbefanndt. 

Diefen Mittag, will man eine genauere Prüfung anftellen, inzwiffchen 
freuet man ſich einen Bibliothecarium zu erhalten, welcher Manuseripte leſen, 
und verftehen kan. 

Auß alle dieſem fehe die Hauptfache num ganz deeidirt an, nur bitte es 
jo einzuleiten, daß Eigenliebe, Stolz und Borurtheil nicht von Herrn 8... . 
unvermuhtener Weife, vor den Kopf geftoßen werden, Sie wiffen wie unvergeblich 
jolcher Fehler ift. Vale. 

Dero avertissement babe ſehr wol erhalten und bin davor bejonders 
verbunden. 


II. 
Ueber Lejjings verschiedene Wohnungen 
in Wolfenbüttel. 


In meiner Heinen Schrift „Das Herzogliche Schloß zu Wolfenbüttel (1881) 
babe ich der von den früheren Biographen und Kommentatoren Leſſings an- 
gerichteten Verwirrung gegemüber zuerjt einiges Licht über die Frage verbreitet, 
wo Leifing in Wolfenbüttel gewohnt hat. Es ward mir dies durch die Einficht 
in die bisher in der Negiftratur der Herzogl. Baudirektion zu Braunfchweig 
befindlichen „Acta fürftl. Kammer (die) an der Bibliothefarien - Wohnung in 
Wolfenbüttel vorgenommenen Reparaturen betreffend, 1777—1781* ermöglicht. 
Diefe Akten find vor Kurzem an die hiefige Herzogl. Bibliothek abgegeben worden, 
was mich in Verbindung mit dem Umftande, daß die oben erwähnte Heine Schrift 
als Programm der in hiefigem Schloffe jetst befindlichen Schulanftalten nicht in 
den Buchhandel gefommen ift und daher wenig befannt geworden fein wird, 
veranlaßt, auf die Sache noch einmal zurüd zukommen. 

Leffing hat nad) einander drei verfchiedene Wohnungen in Wolfenbüttel 
innegehabt. Zuerft eine ſolche im dortigen Schloffe, das nach der Ueberſiedelung 
des Hofes nah Braunfchweig im Jahre 1754 fo gut wie verlaffen ftand. Nach 
einem Briefe Eberts waren es „die fürftlichen Gemächer die der Herzog (Karl) ſelbſt 
ehedem als Prinz bewohnt hatte.” Nach umnferen Akten müſſen es mindejtens 
fünf heizbare Zimmer, allem Anfchein nad im oberften Stod des Schloffes, 
gewejen fein, die für ihn auf Befehl des Herzogs in Stand geſetzt umd mit 
angemeffenem Hausrat verjehen wurden. Auf diefe Wohnung in dem großen, 
weitläufigen, damals verödeten und faft unbewohnten Schloffe, in dem der an 
heiteren Lebensgenuß gewöhnte Dichter fich wie verzaubert und. von aller Welt 
abgefchieden vorkommen mochte, bezieht es fich, wenn Leffing in feinen Briefen 
bisweilen von feinem „verwünfchten Schloß“ oder von feiner „Burg zu Wolfen- 
büttel“ fpricht. Ueber ſechs Jahre lang, bis zu feiner im Jahre 1776 erfolgten 
Berheiratung, hat er darin gehauft. Den Grund, weshalb ev gerade zu diefer Zeit 
die Wohnung wechſelte, vermag ich nicht anzugeben, doch ſcheint diefer Wechjel 


634 Miscellen. 


eben mit feiner Heirat zufammengehangen zu haben. Der Herzog entjchädigte 
ihn dadurch, daß er für die Folge ihm und feinen Amtsnachfolgern eine eigene 
Dienftwohnung beftimmte. Er dachte zu diefem Zweck an die Erwerbung eines 
durch den Tod feiner bisherigen Befiterin, einer Frau von Börner, gerade frei 
gewordenen, auf der Südoſtſeite des Schloffes gelegenen Hauſes. Leſſing giebt 
jeinev damaligen Braut in einem Brief vom 5. Juni 1776 von diefem Plane 
Nachricht. Doc zögerte ſich deſſen Ausführung durch verichiedene Umftände zu 
Leffings Verdruß längere Zeit hin und ſchließlich überzeugte ſich Leſſing ſowohl 
wie der Herzog don dev Ungeeignetheit des in Ausficht genommenen Haufes zu 
dem angegebenen Zwecke. Leſſing bezog demgemäß nach feiner Berheiratung, 
die am 8. Oftober 1776 ftattfand, zunächſt eine Mietswohnung und zwar in 
dem oberen Stod des an der Oſtſeite des Schloßplatzes gelegenen Meisnerfchen 
Hauſes, desjelben Hauſes, im dem fich jest das Herzogliche Konſiſtorium befindet. 
In diefer zweiten Wohnung hat Yeffing etwas länger als ein Jahr, bis gegen 
Ende 1777, gewohnt. Es war das glüclichfte Jahr feines Lebens, das ihm 
durch die Liebe und das Zuſammenleben mit dev ſeit lange begehrten Frau 
verflärt ward. 

Inzwiſchen dauerten die Bemühungen der Negierung, für ihn eine an— 
gemefjene Dienftwohnung zu ermittelen, fort. Noch im Frühjahre 1777 hatte 
man ein anderes, auf der Nordfeite des Schloßplates gelegenes Haus zu dieſem 
Zwed ins Auge gefaßt. Es fchien in Bezug auf feine Lage zu der Wohnung 
des Bibliothefars infofern vorzüglich geeignet, als es dicht bei der Bibliothek, 
zwifchen dieſer umd dem fürftlichen Brauhofe gelegen war und ausgiebige Gärten 
dazu gehörten. Diefes Haus, früher im fürftlichen Befit, war nad Ausweis 
der Akten „dem eben damals verftorbenen Ober-fammer-Diener Schäffer und 
deffen Erben durch einen unterm 12. Dezember 1740 erteilten Höchften Begnadigungs- 
brief auf 60 Jahre Ddergeftalt gnädigft eingethan worden, daß gedachten feinen 
Erben nad Ablauf jenes Zeitraumes wegen der darin verwandten Bau= und 
Reparations-Roften ein Kapital von 800 Thalern ausgezahlet, auch ihnen ver- 
jtattet werden folle, die darin befindlichen Tapeten hinmwegzunehmen.“ Herzog 
Karl defretierte num unterm 16. April 1777 an die fürftliche Kammer, wie folgt: 
„ie nun befagte Erben unterm 31. Januar a. c. unterthänigft darauf an- 
getragen, ihnen, um ſich aus einander fegen zu fünnen, das Haus fchon jetzo 
abnehmen und die 800 Thaler auszahlen zu laßen, auch der Hofgerichts-Seeretaire 
Srashoff als Ehemann der ältejten Schäferfhen Tochter fich gegen den Klojter- 
Nat Gebhardi erfläret, die Miterben zu disponiren, die Tapeten ohne bejondere 
Vergütung darin zu laßen, und Wir dann deßen Wiedereinlöfung für die 
800 Thaler, auch daß jolches Gebäude eine beftändige Wohnung für dem jedes- 
maligen Bibliothecarium feyn, mithin der zeitige Bibliothecarius Hofrath Lessing, 
jtatt dar Wir für ihn anfänglich das fogenandte Bärnerfche Haus beftimmet, 
auf Johannis darin ziehen und freyes Logis darinn haben joll, bejagtes Bärnerjche 
Haus Uns aber wegen feiner Baufälligkeit zur Laſt ift, jo habet ihr letzteres 
meiftbietend usque ad ratificationem verfaufen und von dem daraus gelöfeten 
Gelde die SOO Thaler bezahlen zu laßen. Weil es jedoch bey dem jetsigen Um— 
jtänden der Stadt Wolfenbüttel leicht jeyn fünnte, daß fein pretium adequatum 
dafür geboten wird, fo folen in dem Fall von den ad Nr. 32 des Bau-Etats 
ausgefettten taufend Thalern 300 Thaler darzu genommen, die übrigen 500 Thaler 
aber jo lange aus der Fürftlichen Clofter-Caße vorgefhoßen werden, bis das 
Bärnerfhe Haus annehmlich veräufert ift, als weshalb aucd das Nötige an die 
F. Clofter-Raths-Stube verfüget worden. Da der Hofrath Leßing das Bärnerjche 
Haus wegen feiner großen Baufälligkeit noch nicht beziehen fünnen, und in das 
Meisnerſche Haus einziehen müßen, mithin (mit) der ihm einzugebenden herrſchaft— 


— I EEE TEEN EIS 


Miscellen. 635 


lichen Wohnung bald möglichjt geeilet werden muß, jo können die 800 Thaler 
auch noch vor Johannis, wenn die Schäferfchen Erben dafjelbe geräumet haben, 
vorgefchriebenermaßen ausgezahlt werden. Wir machen auch hierbey noch gnädigft 
bemerdlih, daß verfchiedene im dem Bärnerſchen Haus befindliche Tapeten dem 
Hofrath Leßing, der fie aus der Bärnerfchen auction erftanden, zugehören, mit- 
hin ihm entweder deren Hinwegnehmung, oder daß ihm von den Hausfaufs- 
Geldern foviel zurüd gezahlet wird, als er dafür in der Auction gegeben, ver- 
ftattet werden muß, und ift jelbiger angemwiefen, euch deshalb jeine Erflärung 
abzugeben, worauf ihr ihn ſodann befindenden Umftänden nad zu befcheiden 
und darnach zu verfahren habet.“ 

Die geforderte Erflärung gab Leffing in dem folgenden, den Akten im 
Original beiliegenden Schreiben ab: An Eine Hochfürftliche Cammer gehorſamſt. 
P. P. Sch erfenne es mit unterthänigftem Danke, daß Serenissimus mir das 
von den Schäfferifchen Erben bisher bewohnte herrſchaftliche Haus für das 
Künftige gnädigft anweiſen zu laffen, geruhen wollen; und erkläre mich, wegen 
der in dem Börnerifhen Haufe mir bereits eigenthümlich zuftehenden Tapeten 
dahin, daß ich das, was ich davon im der neuen Wohnung nicht jelbft brauchen 
dürfte, auf die angezeigte Bedingung darin zu laffen bereit bin. — Wegen des 
SHol3-Deputats aber kann ich nicht umhin, Serenissimo unterthänigft vorzuftellen, 
daß ich mich bey der meuen deßfalls gemachten Berfügung nicht zum beften be- 
finden würde, wenn ich von hieraus das angemwiefene Holz abhohlen laffen und 
mich dazu hiefiger Fuhrleute bedienen müßte; wesfalls ich mich zu bitten unter- 
jtehe, gnädigft zu verordnen, daß mir mwenigftens ſolches für die gewöhnliche 
Cammer-Tare, wie es andern im ſolchen Fällen gejchteht, jederzeit angeführet 
werde Wolfenbüttel den 23 April 1777. Gotthold Ephr. Leifing. 

Am 1. Juli 1777 meldete der bisherige Inhaber der Wohnung, Hof- 
gerihts-Sefretär Graßhoff, dem Klofterrate Gebhardi, daß er „mit dem Ausziehen 
aus dem bisher von ihm bewohnten Haufe fertig geworden ſei“, und ftellte deſſen 
Schlüffel zur Verfügung. Zugleich machte er bemerflih, daß er „die tarirten 
Saden in Hoffnung, die billige Vergütung dafür zu erhalten, vorerft im Haufe 
gelaffen, und glaube, daß ſolches bey des Herrn Clofter-Raths Anherkunft mündlich 
am beiten regulirt werden fönnte*, worauf ihm freilich erwidert ward, „daß 
Fürftl. Sammer ſich damit nicht befaßen würde, fondern daß ihm das jus tollendi 
frey ftehe, im Fall er fich deshalb mit dem Herrn Hofrath Leifing nicht ver- 
gleichen könne.“ 

Den ganzen Sommer und Herbjt über ift dann noch an dem Haufe, das 
einer gründlichen Ausbefferung und teilweifer Erneuerung dringend bedurfte, 
gebauet worden: nach Ausweis der den Akten beiliegenden Nechnungen betrug 
die Gefamtfumme diefer Neparaturfoften 926 Thaler, 3 Mariengrofhen und 
25 Pfennige. Dann konnte Leifing die für ihn beftimmte und neueingerichtete 
Wohnung beziehen, die er jelbjt in einem Briefe an feinen Bruder (Werfe, Hempel- 
ausgabe, 20. I. No. 451) als ebenfo „geräumig wie angenehm“ bezeichnet. Dieſer 
Umzug ift in den Tagen zwifchen dem Datum jenes Briefes (19. Dezember) und 
Weihnachten 1777 erfolgt. Nur wenige Tage jollten Leſſing und feiner Frau in 
dem neuen Heim mit einander zu verleben befchieden fein. Am 1. oder 2. Weih- 
nachtstage — der Tag fteht nicht ficher fett — gab Frau Eva einem Knaben 
das Leben, der aber nad vierundzwanzig Stunden, „ein Opfer der graufamen 
Art, mit welcher er auf die Welt gezogen werden mußte“, bereitS wieder ftarb, 
und vierzehn Tage fpäter, am 10. Januar 1778, erlag die Mutter felbjt den 
Folgen ihrer ſchweren Entbindung. Es begreift ſich, daß Lelfing nad) einer jo 
Bann und jchmerzlichen Einweihung des neuen Haufes nicht viel freudige 

- Stunden in ihm noch verlebt hat. Das ſchwer erfämpfte eheliche Glüd, das er 


636 Miscellen. 


jo lange entbehrt hatte, war mit einem Schlage zertrümmert, und ein Schatten 
von Trauer und Mutlofigfeit hat jeitdem auf jeinem Leben gelegen. Drei Fahre 
noch hat er in dem Unglüdshaufe gelebt, unermüdlih und in gewohnter Weife 
thätig, der Welt die reichften Früchte feines unerichöpflichen Geiftes jpendend, 
aber allem perjünlichen Berfehre faſt völlig entfremdet, verlaffener und verein- 
jamter als einft in den öden Räumen feines „verwünjchten Schlofjes.“ 

Seit Leſſings Tode führt das Haus, von dem bier die Rede gewejen ift, 
im Bolfsmunde den Namen „das Leifingshaus“, ein Name, unter dem es auch 
in der gelehrten Welt befannt ift. Von dem Erften und zugleih dem Größten 
der Wolfenbütteler Bibliothefare, der es bewohnt hat, ift ihm dieſe Bezeihnung 
wie jelbjtverftändlich zugefallen. Nach Leſſing hat es feinen ſämtlichen Amts— 
nachfolgern als Dienftwohnung gedient, auch mir, der ich jechzehn Jahre darin 
gewohnt habe, bis zugleih mit dem Neubau der Bibliothef auch für deren 
Borftand eine neue, den veränderten Verhältniſſen entjprechende Amtswohnung 
herzuftellen bejchloffen ward. Damit hat das Yeifingshaus feine frühere Be— 
ftimmung und feinen früheren Zwed verloren. Aber trogdem und obgleich es 
den Prachtbau der neuen Bibliothek teilweife verdedt, hat man doch nicht einen 
Augenblid daran gedacht, es anzutaften oder gar zu befeitigen. Im Aeußern 
völlig unverändert, wie zu Leifings Zeit, im Innern freilich feitdem mehrfach 
umgebauet, hat es fih im Wefentlichen fein früheres Ausfehen bewahrt: nur die 
Umgebung hat ſich verändert. Bon wilden Wein umrankt, liegt es da, inmitten 
der Gartenanlagen, welche die neue Bibliothek umfchliegen, wie ein Idyll aus dem 
vorigen Jahrhundert. Ein einftöciger, durchweg mit Manfarden gefrönter Fach— 
werfsbau im Geſchmack diefer Zeit, befteht es aus einem zurücktretenden Haupt- 
oder Mittelhaufe und zwei bis an die Straße vorftogenden Flügeln, die einen 
geräumigen, quadvatifch gejtalteten und nach der vierten Seite dur einen Thor- 
weg abgejchlofjenen Hof umgeben. Die jhönften und ftattlichften Räume befinden 
fih in jenem Mittelbaue, nur daß fie infolge ihrer Lage nach Norden im Winter 
falt und unfreundlich erjcheinen. Aber im Frühling, wenn es im dem davor 
gelegenen Garten zu grünen begamı, und im Sommer, wenn die zahllofen wilden 
Nofen darin ihre Kelche erichloffen, war es in ihnen ein gar luftiger, anmutiger 
Aufenthalt. In diefen Zimmern hat Leifing feiner Zeit vorzugsweiſe gehaulft. 
In dem jchönen, mit zierlihem Stud geſchmückten Mittelraume, dem nach Norden 
vorjpringenden Gartenjaale, der damals noch mit Steinplatten belegt war, pflegte 
er während der guten Jahreszeit fremde, von auswärts fommende Bejucher zu 
empfangen. Daneben liegt gegen Often das Zimmer, in dem Eva König geftorben 
jein fol,t) gegen Weften dasjenige, welches die Tradition als die Geburtsjtätte 
des Nathan bezeichnet. Ueber dem Thorwege nach der Straßenfeite ift bei Gelegen- 
heit der Feier feines hundertjährigen Sterbetages auf meinen Antrag eine im 
Stile des Haufes gehaltene Erinnerungstafel mit der Inſchrift angebracht worden: 


HIER LEBTE 
SCHRIEB UND DICHTETE 
LESSING. 
1777—1781. 
Wolfenbüttel. DO. von Heinemann, 





1) Das Grab Eva Königs ift auf feinem der Wolfenbütteler Kirchhöfe zu ermitteln ges 
wejen. Merfwürdig, dan ſich aud) in feinem Kirchenbuche eine Eintragung über ihren Tod oder 
ihr Begräbnis findet, dagegen enthält das Kirchenbucd von St. Johannis in der Auguftjtadt zum 
Jahre 1776 über ihre Verheiratung mit Leffing folgende Notiz: Am 8. Dctober ift der Herr Hofrat 
Gotthold Ephraim Lejfing mit Frau Eva Katharina Königen, geb. Hahnen, (auf Serenissimi 
Durchlaucht gnädiafte Erlaubnis ohne Aufgebot) in Heidelberg copuliert worden.” Dies ift ein 
Irrtum. Die Hochzeit fand nicht in Heidelberg, jondern zu Nord im Alten Lande jtatt, 


Miscellen. 637 


3 8. Lavater über F. M. Yeuchjenring. 





Wenn wir auch zeitgenöffiiche Charakteriftifen des Urbildes von Goethes 
Pater Brey ſchon befitzen, jo dürfte dennoch folgende launige Schilderung des 
Hofrats F. M. Leuchjenring mitteilenswert fein. Sie findet fih in einem noch 
ungedrudten Briefe Pavaters an Karl Matthaei, welcher den empfindfamen Aller- 
weltsfreund 1786/87 in Neichätel öfters bei feiner Herrin, der engelſchönen geift- 
reihen Frau von Branconi, ein- und ausgehen jah.!) Lavater ſchreibt den 
13. Sanuar 1787: i 

„Wenn Jemand mit Engelsangeficht oder einem Kopfe von Guido auf 
einem Rumpfe von Apollo zu mir käme, jpräche wie die fünf Eugen Jungfrauen 
in einer Perſon, ein Gebiß hätte wie der unmwandelbaren himmliſchen Güte,?) 
eine Hand wie meine Frau, eine Stimme wie Luife von Deffau, eine Bejcheiden- 
heit wie der Marfgraf von Baden, Bermunft und Gradfinn wie der Landgraf 
von Homburg, Treue und Biederſinn wie der Fürft Franz Leopold, Hofhöflichkeit 
wie der Herzog don Braunſchweig und über dies alles eine alles abzwackſame 
Zuthunlichkeit und herzliche Unabtreiblichfeit wie der nicht Fatholifche Matteili — 
und würde für Dich feinen Sinn haben, nennte Dich einen fchiefen, krummen, 
faljchen, argliftigen Menfchen, erzählte miv Anekdötchen von Div, die ich ihm als 
abgefhmadt im das Engelsangefiht und an die Guidoftirne zurückgebe, die er 
aber defjungeachtet, als ob er nichts von mir vernommen hätte, fogleich wieder 
als Wahrheit, wider die ſich nichts einmwenden ließe, mit eifernem Starrfinn unter 
dem Borwand, Deine Wirkfamteit müſſe gefhwächt werden, forterzählt, jo würd 
ich Ddiefen Freund Aller feiner Guidoität, Apolloität, fünfklugen Sungfraufchaft 
ungeachtet, ungeachtet feines Schneegebiffes voll unmandelbarer cöleftinifcher Güte, 
ungeachtet der Hand meines Weibchens, ungeachtet jeiner engelreinen Luiſenſtimme, 
ungeachtet feiner marfgräflihbadifchen Beſcheidenheit, feines Yandgrafhomburgifchen 
Geradfinns und jeiner Anhaltveffaubiederkeit, umangejehen der ſchlangſamen Hof- 
böflichkeit des erzklugen Herzogs von Braunjchweig, wie auch aller wohl vor- 
ernannten infinuirfamen Matteität für nichts mehr umd nichts weniger halten 
als einen Schurken und Schieffopf in Einer Perfon.“ 

Die ſoeben mitgeteilte Charafteriftift wird von Yavater mit den Worten 
geſchloſſen: „Fiat applicatio auf Mirabeau den II.“ So nämlich hatte Matthaei 
in feinem legten Schreiben an Yavater den neuen Ankömmling in Nenchätel 
genannt.) Ebenfo hatte Matthaei an demjelben Tage, Weihnachten 1786, Freund 
Sarafın in Bafel geſchrieben: „Seit einiger Zeit ift Lavaters Ater Mirabeau hier, 
Leuchjenring, den ich zum erftenmal jah.“ *) 


Gernsbad. Heinrih Fund. 


Authbentijche Keniendeutungen. 


Das Erjcheinen des Xenienalmanachs fiel gerade im die leßte Zeit dor 
Wilhelm von Humboldts zweiter Ueberfiedelung nad Jena, die in den erjten 
Tagen des November 1796 ftattfand. Ihm und Karoline gegenüber hat Schiller 


1) Handſchriftlich. 

2) Unter der unmwandelbaren himmlischen Gitte ift Frau von Branconi zu verftehen. — 
Bergleihe u. a. Lavater an Goethe, den 3. März 1781: „Ic Heiße Sie (Frau von Branconi) 
nun perjonificirte Güte.” L. Hirzel, Goetheana, Im neuen Neich, 1878 2, 609. 

3) Matthaei an Yavater, Neufchatel den 25ften XAbr. 1786. (Ungedruckt.) 

4) Matthaei an Sarafin, Neufchatel den 25iten br, 1786. (Ungedruckt,) 


638 Miscellen. 


dann im feiner Siegesfveude über die gutgezielten Schläge die genauere Namen- 
lifte der Opfer nicht geheimgehalten; Humboldts ihrerfeits teilten dann intimen 
Freunden eine und die andere Deutung mit. Schon einmal fonnten wir durch 
eine Stelle eines Briefes von Karoline an Frit Jacobi ein fälſchlich auf Nicolai 
bezogenes Diftihon (314) als auf Hermes gemünzt ficherftellen (vergleiche Erich 
Schmidts Anmerkung). Die weiteren Stellen über die Xenien, die ich hier mit- 
teile, entftammen Humboldts und SKarolinens Briefen an ihren engen Freund 
Karl Guftaf von Brindmann, den befannten Schwedischen Diplomaten und deutfchen 
Dichter, damals in Berlin. Die vollftändige Publikation diefer Briefe, die ich 
vorbereite (vergleiche Euphorion 1, 851), wird der deutſchen Geiftesgefchichte und 
vor allem der Entwidlungsgefhichte Humboldts eine überrafhend reihe Schab- 
fammer eröffnen. Dem jetigen Befiter des handichriftlichen Nachlaffes Brind- 
manns, dem Herrn Grafen Arel Knut von Trolle-Wachtmeifter auf Trolle-Ljungby 
in Schonen, gebührt für die hochherzig erteilte Erlaubnis zur Benutzung diefer 
Briefe der wärmfte Dank aller Freunde unfrer Haffifchen Literatur. 


Humboldt 7. November 1796: „Der Almanach wird ſchon zum ziweiten- 
mal aufgelegt. Er macht uns noch ſehr viel Spaß und der Lärmen, den er 
überall erregt, ift entjetlih. Auf meiner ganzen Neife ift er das einzige Geſpräch 
gewefen. In Leipzig hat er unter den Buchhändlern ganz furz der Grobheits- 
almanach geheißen. Die Nepoten find allerdings die Schlegels, jo wie auch eine 
ganze Schaar von andern Xenien gegen den umverheiratheten Dresdner Friedrich 
Schlegel gehen. Der Bär in Kiel ift die Allgemeine Deutjche Bibliothek die jetst 
dort herausfommt. Herkules ohne allen Zweifel Shafejpeare. Madame B. 
Madame Brun und ihre Schweftern im Geift. Denm leibliche hat fie nicht, oder 
wenigftens nicht befannte. Nur den Ophiuhus will mir Schiller nicht ent- 
väthjeln. Die Erholungen gehn gegen einen Aufjat von Richter, über die Ver— 
nichtung, der in dem Journal: Erholungen fteht. Daß das von Meyern be— 
zeichnete Xenion gegen Göthe ſey, will Schiller wenigftens nicht eingeftehen. Wenn 
Sie mir Fragen vorlegen, hoffe ich Ihnen noch einiges beantworten zu fünnen, 
nur geben Sie es überall als eigne Bermuthung, nicht als hiftorifche Nachricht 
aus.“ — Ueber die zweite Auflage des Almanahs vergleihe Schillers Gejchäfts- 
briefe S. 194. Die Deutungen zu 484, 101, 499 find bereits von Erich Schmidt 
vihtig gegeben. Die Beziehung von 815 auf Friederike Brun, nicht auf Karoline 
Böhmer-Schlegel, ift nun gefichert: denn Schiller, auf deffen Belehrung natürlich 
alle die Angaben Humboldts zurücgehen, hätte feinen Grund gehabt eine etwa 
vorhandene Doppelbeziehung zu verheimlichen. Daß Schiller den Ophiuchus (109) 
nicht enträtjeln wollte, kann ich nicht näher begründen: zur Deutfchen Monats- 
ihrift, die Erih Schmidt gemeint glaubt, hatte Humboldt keinerlei Beziehungen 
und an eine derartige Verletsbarfeit müßte man doch wohl denken; ift eine andere 
Deutung zu fuchen? Ueber Jean Pauls Auffat vergleiche die Anmerkung zu 818. 
Daß Friedrih Ludwig Wilhelm Meyer von Bramftedt die Nummer 703 als von 
Schiller gegen Goethe gerichtet anſah, wußten wir bereitS aus Schillers Brief an 
Goethe vom 28. Oktober 1796 (Briefe 5, 99), der es eben von Karoline Humboldt 
erfahren hatte. 


Karoline 10. November 1796: Schiller „hat fich jehr über Ihren Einfall 
gefreut daß Sie gejagt, man müffe Nicolai auf feine Frage welches wohl das 
wizigfte unter den Xenien fei antworten — ‚jehen möcht ih Di‘ u. f.w.... 
Das Xenion jo Meier von Schiller auf Göthe deutete ‚lebt er doch immer, der 
Menſch ect.‘ — ift von Goethe ſelbſt.“ — Das zuerjt genannte Diftihon gegen 
Nicolai ift 262. Die Angabe, daß 703 von Goethe ift, wird durch die Hand- 
Ihrift beftätigt; zu Meyers Hypotheſe vergleiche oben, 


—— 


Miscellen. 639 


Karoline 3. Dezember 1796: „Der treue Spiegel ift von Göthe .... 
Die Xenien übers Theater find alle — von Schiller. Doch, wünfche ich daß Sie 
dieß für fih behalten. Er und Göthe jehen es nicht ganz gern wenn man in 
der Welt die Gränzen fo ſcharf erfennt.“ — Den ‚treuen Spiegel‘ (805) meift 
Erich Schmidt Schiller zu, was durch unjere Stelle berichtigt wird. Die Theater- 
renien find die ſpäter unter dem Titel ‚Shafefpeares Schatten‘ zufammengefaßten 
Nummern 499—521. 

Humboldt 9. Dezember 1796: „Für die mancherlei Curioja, die Sie mir 
über den Mufenalmanach gefchrieben danke ich Ihnen ſehr. Die Gegengejchente 
waren mir ſchon befannt. Sie follen von Dyk ſeyn und dieß iſt mir glaublicher, 
als von Manfo. Das Klo ift auch in Sachſen üblich . . . . Ueber die Fragen, 
die Sie mir aus den Xenien vorlegen, habe ich immer vergeffen, Schillern zu 
confultiven. Einige weiß ich aber von jelbft: p. 201 nr. 2 ift allgemein. p. 211 
nr. 4 iſt Stolberg. p. 218 nr. 2 ift nicht Adelung, jondern die Oberdeutjche 
Litteraturzeitung in Salzburg. p. 220 nr. 1 Manſo.“ — Nach Goedefe find die 
‚Gegengeichente an die Sudelföhe zu Jena und Weimar von einigen danfbaren 
Gäften‘ von Dyk und Manſo gemeinfam. ‚lot‘ als Neutrum finde ich in den 
Xenien nicht. Die weiteren Bemerkungen beziehen fih auf 765, 774, 106 und 
113: die beiden mittleren find von Eric) Schmidt richtig —— bei 165 ſchwankt 
er el Nicolai und Manfo; bei 113 denft er wegen B...g (im Almanad) 
Bi, — Breslau) an Ejchenburg in Braunfchweig. 

Karoline 2. Januar 1797: „Sch danke Ihnen fehr für alles was Sie uns 
über die Zenien mitgetheilt haben. Die Antirenien find gewiß von Dyk, Falk ift 
doch wohl nicht plump genug zu diefen Produkten.“ — Bergleiche oben. 

Humboldt 13. Februar 1797: „Die Berloden kannte ih und im Baron 
jehe ich auch ſtillſchweigend mich ſelbſt. Doc) haben hier alle es auf Göthe mit 
gedeutet. Retten Sie mid dod vor dem Antheil an den Xenien. Stellen Sie 
nur meinen Nefpeft gegen alle großen und Kleinen Männer, meine Abweſenheit 
von bier, und daß ich nie einen Herameter, auch feinen fchlechten (denn dieſer 
Zuſatz ift notwendig) gemacht habe. . . . Was find das aber für Xenien von 
Garve und Schudmann, von denen Sie meiner Frau jehrieben? Schiden Sie 
uns diefe doch. Die Berloden werden in Weimar Herdern zugefchrieben. Gewiß 
ift, daß er fie überaus lobt. Auch kann ich fie nicht grob finden. Ich, nemlich 
wo id) genannt bin, bin fehr artig behandelt.“ — In den ‚Berloden an den 
Schillerſchen Muſenalmanach auf das Fahr 1797‘ (mach Goedefe von Magifter 
Traugott Voigt) lautet das erſte Diftichon: 

Berfaffer der Xenien. 
Ratet, wer ifts, der die Zenien ſchrieb? — ES fchrieb fie ein Hofmann 
und ein Dichter; doch hat auch ein Baron daran Teil; 
auf Humboldt geht dann weiter die Nummer 37: 


Ueber männliche und weibliche Formen. 
Ei, bald hätt’ ich vergeffen, was männlich und weibliche Form fei, 
hätt’ ich länger auf dich, dunfeler H—b —d, gejehn. 
Xenien an find gedrudt in feinen Briefen an Chriftian Feliv Weiße 2, 242 
(Boas 2, 8); von Xenien Schudmanns ift fonft nichts befannt. 


Weimar. Albert Yeißmann. 


640 Miscellen. 


Aus dem Briefwechjel Wilhelm von Humboldts (1808/9). 





Meine Schrift „Aus Wilhelm von Humboldts letzten Lebensjahren“ ift 
beveitS dor beinahe zwölf Jahren erfchienen. Derfelben ift ein Bild der Frau 
von Humboldt nad) Schick beigegeben. Damals fonnte ih u. a. zwei!) eigen- 
händige Briefe des „Weifen von Tegel“ an feinen Freund, Freiheren Alerander 
von Rennenfampff im Oldenburg a. d. H., weil nicht in deren Rahmen 
gehörig, nicht mitteilen. Ich bevückfichtige diejelben daher hier noch auszugsmeife. 


1. Rom, 27. Auguſt 1808. 


Freude über Guſtav von Nennenfampffs?) Befferung. Aufforderung, 
bald zu kommen; „der Aufenthalt in Albano wird ihm ſchon durch die Ruhe 
gut thun. Sie fehen aber jett, mein Lieber, daß mein Abrathen von der Reife 
nach Neapel nicht bloß eigennützig war. Es ift wirklich die Jahreszeit nicht, in 
der man in Stalien veifen muß, um zu ſehen ..... Es geichieht häufig, daß 
die Lohnbedienten Briefe unterfchlagen. Ich gebe noch heute Abend nad Albano 
zurück und bim in großem Gedränge.“ 


2. Königsberg, 1. September 1809. 


Humboldt denkt mit „herzlichem Vergnügen“ an die Zeit, die er in Rom 
jo angenehm mit v. Nennenfampff verlebt hat. „Meine Fran hatte mir von Zeit 
zu Zeit von Ihnen gefchrieben und, was fie mir jedesmal ſagte, konnte nicht 
anders, als die Gefinnungen der Achtung und Zuneigung vermehren, die ich 
immer gegen Sie hegte, wie Sie, wie ich mir fehmeichle, überzeugt find.“ Der 
Hof bleibt noch hier, ich werde Sie im Herbfte nicht im Berlin fehen, „allein es 
ift einer der diefer Stadt ſparſam zugezählten Vorzüge, daß mwenigitens der Weg 
nah Rußland [v. Rennenkampffs Heimat] hier durchgeht.“ „Zeilen ar meinen 
Bruder [Mlerander dv. Humboldt] und Schlabrendorff?) für Sie Jege ich bei. Der 
betreffende Brief meiner Frau ift 2!/, Monate unterwegs gewejen.“ Das Folgende 
betrifft einen unliebfamen Auftritt zwifchen v. Nennenfampff und einem Herrn R.*) 
im d. Humboldt'ſchen Haufe. „ES thut mir leid, jet noch einen anderen, jehr 
unangenehmen Gegenftand, Ihren Streit mit Herrn ®. berühren zu müffen. 
Ich glaube, es wird Ihnen lieb fein, mein lieber Herr von Rennenfampff, wenn 
ih Ihnen darüber mit offenherziger Wahrheit fpreche, Sie werden felbft darin 
einen Beweis meiner Achtung finden und es würde mir überdies unmöglich fein, 
anders zu handeln. Ich kann Ihnen hiernach nicht bergen, daß ich gewünfcht 
hätte, Sie hätten nicht verſucht, mich in diefen Streit, am dem ich feinen Theil 
nehmen kann, mit zur mifchen und, daß es mir großmüthiger von Ihnen gefchienen 
hätte, wenn Sie, im Fall K. ſich über mich auf eine, unferm Verhältniß nicht 
entfprehende Weife geäußert hat, mir dies verfchwiegen hätten. Meine Frau 
ift aus einer natürlichen und lobenswürdigen Delicateffe nie gegen mich tiefer in 
diefe umangenehme Angelegenheit eingegangen, als daß fie mir von Ihrem 
Betragen gegen fie, liebfter Freund, auf eine Weife gefprochen hat, die mich in 
der Meinung, die ih immer von Ihnen hatte, beftätigt hat, daß Sie tiefer und 


1) Xm Ganzen find, außer den bereitS mitgeteilten, nur noch drei im Nachlafje A. von 
Rennenkampffs vorhanden, der dritte, ganz unerhebliche, datırt aus Königsberg, 20. September 1809. 
2) X. v. Rennenfampffs Bruder, fräterer Gemahl der älteften Tochter der Friederife 
Brun. Er ftarb am 20. Februar 1869 zu Helmet in Liefland. * 
3) A. Leitzmann macht mich darauf aufmerffam, dak das Briefchen an Schlabrendorf in 
feiner Ausgabe der Briefe Humboldts an Jacobi S. 141 gedrudt ift. Anmerkung des Herausgebers, 
4) Nach Leitzmanns freundlicher Mitteilung ficher der Arzt Kohlrauſch, der 1803 Humboldts 
bei der Erziehung ihrer Kinder fo treuen Beiftand Leiftete; vgl. über ihn Haym zu Humboldts 
Briefen an Nicolovius ©. 30, 76. Anmerkung des Herausgebers, 


Miscellen. 641 


richtiger fühlten, als es font auch unter den Befferen gewöhnlich ift, was dem 
Umgange mit ausgezeichneten Frauen angemeffen ift, umd die mir überdies die 
erfreuliche Ueberzeugung giebt, daß Sie uns in der That mit den Gefinnungen 
zugethan find, die Sie mir fchildern und auf die ich einen jo großen Werth lege. 
SH danke Ihnen herzlih dafür und werde diefen Gefinnungen gewiß immer 
von meiner Seite entjprechen. Es ift übrigens gar nicht die Nede davon, daß 
K. nad) Rom zurüdginge oder in mein Haus zurüdfime . . . . Auf die 
Erfüllung der... . . beftimmten Bitte aber kann ich mid... . nicht einlaffen. 
Welche Wendung Sie ihr auch geben mögen, fo bleibt fie immer eine Beſchränkung 
meiner Freiheit und es ift eine umabänderlide Marime in mir, mich in feine 
Uneinigfeit, zu der ich nicht das Mindefte beigetragen, ja! die ich bis zu ihren 
höchſten Ausbrüchen ignorirt habe, zu mifchen und mein Urtheil über Menjchen 
nur nad) meinen eigenen Ideen zu bejtimmen. Sie fühlen daher aud, daß 
jelbft die Art, mit der Sie über K. reden, mir, dem er nie bis jett Anlaß zu 
Klagen gegeben und der ich ihm von vielen Seiten Dankbarkeit fhuldig bin — 
wie Unrecht ev auch gegen Sie haben möge — nicht angenehm fein kann. Ich 
darf mir daher mit Gemwißheit jchmeicheln, Feine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie 
bitte, jeiner und Ihres Streites mit ihm nicht mehr gegen mich zu erwähnen 
und meiner Frau und mir die Beftimmung unſeres BVerhältniffes zu K. zu 
überlaffen. Da meine Frau Alles, wovon Sie reden, gejehen hat und Sie ihren 
Charakter und mein Vertrauen fennen, jo muß das, dünft mich, hinlänglich fein. 
Ein anderes Benehmen von meiner Seite müßten Sie felbft und mit Necht 
mißbilligen . . .* Am Schluffe fommen noch die feinempfundenen, herrlichen 
Worte: „Glauben Sie mir, der nie eine Streitigfeit feiner Art gehabt und doch) 
gewiß nie, wo es nicht Pflicht war, nachgegeben hat, daß das Vergeſſen diefer 
Dinge bei weiten das Bejte ift. Sie verbittern das Leben und nehmen dem 
Gemüt die Heiterkeit und Ruhe, in der es allein fih und Andern gemügt. 
Selten ift ein Menſch fo, wie er dem Beleidigten erjheint und 
die Bereinigungspunfte liegen immer mahe, wenn nit von 
beiden Seiten Leidenschaft fie verdedte... .* 


Dresden. Theodor Diftel. 


E. 2. Groſſe. 
(Nachträge zu Euphorion 2, 330 ff.) 


Karl Herloßfohn. Biographiihe Skizze von Paul Aloys Moldawsky 
[= P. 4. Klar?]: Libuffa 8 (Prag 1849), 414—484. Darin ©. 448—70 ein 
autobiographifcher Abriß von K. Herloßfohn (aus den Grenzboten von 1845). 
Der Bericht über E. G(roſſe) ©. 455 fj.!) — Ludwig Storch, Schwabendichter- 
ftreiche. Eine Fugenderinnerung: Gartenlaube 1863. Nr. 35, ©. 552 ff. 

Aus diefen verfchollenen Auffägen ift in Furzem folgendes zu entnehmen: 
Herloßfohn wie Storch Ternten Groffe in Leipzig kennen. Herloßfohn im No- 
vember 1825, Storch um Oſtern 1826 (vergleiche auch Gartenlaube 1856 Nr. 15, 
©. 199 b; der oben ©. 336, 2. Abjat fragweiſe angejeßte Termin wäre 
hiernach zu modifizieren). Herloßſohn verfah eine Zeit lang Abfchreiberdienfte 


“ 


0, D Auf diefen Auffaß hat mid) Prof. Aug. Eauer freundlichft hingewieſen; vergleiche 
Mitteilungen des Vereines für Geſchichte der Deutichen in Böhmen 33, 371, 


642 Miscellen. 


bei Groffe, über defjen Art und Wefen er fih unfreundlih ausſpricht. Groſſe 
erjchien ihm lächerlich eingebildet, hochmütig und anmaßend. Den gleichen Ein= 
drud gewann Storch, der feinem Landsmanne Grofje drei Jahre fpäter zu 
Stuttgart im Sommer 1829 nochmals und intimer näher treten follte. Das 
fügte fih jo: Groffe war in der Zwifchenzeit von Leipzig nad) Dresden über- 
gefiedelt umd fiel hier, durch Adolph Wagner empfohlen, mit Weib und Kindern 
Ludwig Tied zur Paft, denn er war, von feiner hohen Dichterbeftimmung erfüllt, 
zu nichts zu bringen und zu verwenden. Tieck verjuchte es deshalb, Grofies 
Frau zur Schaufpielerin auszubilden. Nach längerer Mühe Fam es auch, durch 
Bermittelung von Franz v. Elsholt, zu einem Probeauftritt in Coburg. Frau 
Groſſe mißfiel. Groffe, der auf das Talent feiner Gattin fehwor, fette ein Gaft- 
jpiel in Nürnberg durd), das aber gleichfalls ungünftig ablief. Hierüber erbittert, 
griff er in einem impertinenten Zeitungsartikel die Nürnberger an, entging mit 
Not öffentlichen Prügeln und mußte, mit Hinterlaffung der Frau, nächtlings aus 
der Stadt flüchten. Bettelnd ſchlug er fih nad Stuttgart durch, wo er die Hilfe 
Storchs anrief. Diefer verforgte den Herabgefommenen zunächft mit dem Nötigjten 
und nahm jpäter, als Grofje, auch von Uhland pefuniär unterftüßt, feine Gattin 
aus Nürnberg citieren konnte, beide auf Wochen hinaus in Wohnung und Koft. 
Während diefer Zeit arbeitete Groffe gar nichts, jondern ſprach nur immer von 
den unfterblihen Werfen, die er fchreiben werde. Als er dann im Herbfte 1829, 
auf Uhlands und ©. Schwabs Betreiben, eine Anftellung bei der Allgemeinen 
Zeitung in Augsburg erhielt, dankte er feinem Gaftgeber Storch u.a. auch damit, 
daß er fleine Geldfummen, die Story bei einer dortigen Berlagshandlung ftehen 
hatte, hinter deffen Rüden zu beheben fuchte. — Die nun folgende politische 
Thätigfeit jowie Verurteilung Groffes ftreift Storch ganz kurz. Nach ihm hätte 
Groſſe jeine Feſtungshaft abgebüßt (vergleiche dagegen oben ©. 338) und fei dann 
in der Schweiz als Korrektor der S.'ſchen Buchdruderei in W.!) mit Weib und 
Kindern verfchollen. Aehnlich berichtet Herloßfohn, der jedoch offenbar Mitteilungen 
des ihm befreundeten Storch benutzt. — Es erübrigt noch, zwei Arbeiten Grofjes 
zu erwähnen, die von Herloßfohn und Story in nebelhafter Weife aufgeführt 
werden. In Burkhardts BVerzeichniffe (oben ©. 339 f.) fehlen fie: 1) Eine 
angebliche Ueberfegung unbefannter Gedichte Byrons im Gefellfchafter [18247]. 
Es jeien aber Originalgedichte Groſſes geweſen. — 2) Die heilige da, Stanım= 
mutter des preußifchen Regentenhaufes (von Herloßjohn mundiert; vergleiche Libuffa 
©. 456). Groſſe habe hiefür vom preußifchen Könige (nad) Stord ©. 552b 
vom Rronprinzen) eine anfehnlihe Belohnung erhalten.?) 


Prag. Alfred Nofenbaum. 


1) Bermutlih: Sauerländer in YNarau. Anmerkung des Herausgebert. 


2) Das von Stord) ©. 552 genannte Trauerjpiel „Graf Waldemar” ift Ausfluß ver— 
ſchwommener Erinnerung, Es muß „Graf Gordo“ Yauten. 


Mecenfionen und Referate. 


Köhler R., Auffäte über Märchen und Volkslieder. Aus feinem handſchriftlichen 
Nachlaß herausgegeben von J. Bolte und E. Schmidt. Berlin, Weid- 
mannſche Buchhandlung. 1894. M 3. 

Einem nad) Köhlers Tode alsbald laut gewordenen Wunfche find die 
Herausgeber der vorliegenden Auswahl aus dem reichen Nachlaffe mit erfreulicher 
Raſchheit nachgefommen. Der ſchlanke Band bringt uns ſechs Vorträge Köhlers, 
von denen bisher nur der erjte gedrudt war. VBorangeftellt ift Erich Schmidts 
ihöner Nachruf, der (zuevft veröffentlicht im der Zeitfchrift des Vereins für Volks— 
funde 2,418 ff. ) die befcheidene, edle Art und das unvergleichliche weltumjpannende 
Wiffen des eigenartigen Gelehrten anfhaulih und warm darftellt. Dem erften 
allgemeiner gehaltenen und weiter ausgreifenden Vortrag über Alter, Abſtammung 
und Berbreitung der europäischen Volksmärchen folgen fünf gelehrte Abhandlungen, 
worin befondere Stoffe und Motive in den Märchen, Sagen und Liedern der 
verschiedensten Völker verfolgt werden. Der zweite Aufſatz: „Eingemanerte 
Menfchen“ behandelt aus diefem großen Sagengebiete nur einen Kleinen Aus- 
ſchnitt: das hauptſächlich auf der Balfanhalbinfel verbreitete merfwürdige Motiv 
von der Einmauerung der Frau des Baumeifters oder des Bauherrn. Belfannter 
find in Deutjchland Sagen von der Einmauerung der Baumeifter jelbit, die auf 
Befehl fürftlicher Bauherren veranlaßt wird, damit jene Niemandem fpäter ähnliche 
ſchöne Bauten errichten fönnten. Der dritte Aufſatz „S. Petrus, der Himmels- 
pförtner“ vereinigt zahlreihe Schwänfe voll frifchen volfstümlichen Humors und 
voll ſcharfer gegen die verjchiedenften Stände gewendeten Satire. Ueber die Ver- 
breitung und Bermengung der verjchiedenen Fafjungen des ©. 76 erwähnten 
Bolfsliedes von den armen Seelen vor der Himmelsthüre habe ich jetst berichtet 
in meinem Buche über Gottichee (S. 399 und 401). Zu den ©. 77 verzeid)- 
neten zahlreichen Faffungen des Märchens vom Schmied im Himmel fchließe ich 
in gefürzter Form ein in Einzelheiten abmweichendes Märchen an, das mir Fürzlic) 
aus dem deutfchen Dorfe Preheifchen bei Staab in Weftböhmen durch O. Schubert 
mitgeteilt wurde: 

„Ein Schmied bejchlägt den Ejel des Heilands und erhält hiefür die von 
ihm ausgebetene Gnade, daß niemand ohne feine Erlaubnis von feinem Apfel- 
baum herabfteigen dürfe. Um zu großem Reichtum zu gelangen, verjchreibt ſich 
der Schmied dem Teufel und lebt nun herrfih und in Freuden. Nah Ablauf 
des BVertrages bittet der Schmied den Teufel, er möge ihm vor der Höllenfahrt 
einige Aepfel holen. Der Teufel gehorht und wird vom Schmied auf dem 
zauberhaften Baum jo lang feftgehalten, bis er den jchriftlichen Vertrag zerreißt. 
Bald darnach ftirbt der Schmied und erhält nun weder in den Himmel, noch 


1) Bgl. auch Goethe-Jahrbuch 14, 297 ff. Anmerfung des Herausgebers. 


644 Hanffen A., Die Deutfche Sprachinſel Gottfchee. 


in die Hölle Einlaß. Da er zum zweiten Male zur Himmelsthüre kommt, gelingt 
es ihm feine rußige Müte hineinzumwerfen. Petrus befiehlt ihm, daß er fie aufs 
hebe und fich dann jchleumigft entferne. Der Schmied aber fett fih auf jeine 
Mütze und verbleibt num mit dev Begründung, ev befinde ſich auf feinem Eigen- 
tum, dauernd im Himmel.“ 

Der dritte Aufjat befpricht die nordgermanifchen Volksballaden von der 
jprechenden Harfe. Dieſes Motiv ift im der deutjchen Volkspoeſie unbekannt, 
denn das Märchen vom fingenden Knochen (Grimm Nr. 28) hat nur entferntere 
Beziehungen dazu. Um jo merfwürdiger ift es, daß die Gottjcheer ein den 
nordgermanifchen Balladen nahe verwandtes Lied fingen (in meiner Sammlung 
Kr. 55): Eine Königstochter ſtößt aus Eiferfucht ihre jüngere Schwefter in’3 
Meer. Borüberziehende Geiger machen aus den Haaren der Ertränften Saiten, 
aus ihren Fingern Geigenwirbel und verfünden vor des Königs Thür die Unthat. 
Die Geige ift jedenfalls jpäter ftatt der nicht mehr üblichen Harfe eingetreten. 

Zum Schluffe folgen zwei Abhandlungen über die Allegorien „vom Glüd 
und Unglück“ umd über die finnige Fabel vom „Hemd des Glüdlichen“, endlich 
ein von E. Schmidt nah Köhlers Notizbüchern zufammengeftelltes Verzeichnis 
der Schriften Köhlers: neben mehreren Ausgaben, an fünfhundert Auffäge und 
Necenfionen! Den literarifhen Nachmeifen in den Anmerkungen kam Boltes 
glänzende Beherrfhung der Stoffgefhichte zu Gute. 

Der vorliegende Band bietet nicht nur einen intereffanten, die vergleichende 
Literaturgefhichte und Volkskunde bereichernden Inhalt dar, fondern auch, was 
ausdrüdlich betont werden mag, eine geradezu herzerquidende Lektüre, die jeden 
Laien feffeln und erfreuen muß. Auch von diefem Geſichtspunkt aus kann ich 
die Bitte nicht unterdrüden, die Herausgeber möchten fich beftimmt fühlen, 
eine zweite größere Auswahl aus dem Nachlaffe Köhlers und aus feinen älteren 
in faſt unzugänglichen Zeitfchriftbänden vergrabenen Auffägen zu veröffentlichen. 
Und ein zweiter jehr anſpruchsvoller Wunſch jchließt fih an, der Wunfc nach 
einer neuen durch Köhlers handichriftlihen Nachichlagsfatalog vermehrten Aus— 
gabe der ſchon längft vergriffenen und doch jo unentbehrlihen „Anmerkungen“ 
zu den Grimmiſchen Märchen. 


Prag. A. Hauffen. 


Hauffen A, Die Deutfhe Spradinfel Gottſchee. Gejhichte und Mundart, 
Lebensverhältniffe, Sitten und Gebräuche, Sagen, Märchen und Lieder. 
Mit vier Abbildungen und einer Spradfarte. Graz, „Styria“, 1895. 
(III. Band der Quellen und Forſchungen zur Gefchichte der Literatur 
und Sprache Oefterreihs und feiner Kronländer; herausgegeben von 
Er. Hirn und J. E. Wadernell). M 8. 

Ein Buch, welches Neferent wegen feines reichen, wertvollen und für jeden 
gebildeten Deutſchen ehrwürdigen Inhaltes erſt nach wiederholter, eifriger Lefung 
zu bejprechen fich entjchliegen Konnte. Nachdem Lage und Beichaffenheit der 
Spradinfel Gottjchee ('s Gotscheab, ©. 3) furz erörtert find, werden wir (©. 8 ff.) 
in die Gefchichte des Ländchens eingeführt: dasjelbe wird 1263 noch als eine 
namenlojfe „Zugehörung“ zur Herrſchaft Reifnit genannt; 1339 erwirft ſich deren 
Inhaber Graf Otto v. Ortenburg vom Patriarchen v. Aquileja die Erlaubnis, 
für Mooswald (beim jpäteren Gottjchee) einen Kaplan halten zu dürfen; 1369 
werden bereitS die Orte „Gotſche, Pölau, Oſſiwniz und Goteniz“ als Kirchenorte 
angeführt und 1400 ift auch Nefjelthal bereits Pfarrort. Dem Stamme nad) 
waren die neuen Anſiedler vorherrichend Bayern, darunter Tiroler und Kärntner, 
auh Schwaben und wohl auh Franken (©. 13 f.). 


Hauffen A., Die deutfhe Sprachinfel Gottfchee. 645 


Der Name „Gottjchee” wird auf flaviih Kocevje, d. i. „Anjammlung von 
Hütten“ zurücgeführt; die Ableitung hat alle Wahrjcheinlichkeit: erflärt müßte 
noch werden, wie die Ausfprache des erjten Namensteiles zu ſlaviſch köca, d. i. Hütte, 
jtimme. Das iſt hier lang, gejchloffen; in Gotscheab ift e$ furz und offen, 
ähnlich wie in tschorb>, jlavifch Corba, nicht wie im jocen, ſlaviſch jökati (©. 30), 
Ob in vortonigen Compofitionsfilben, ſei es ſchon im Slavifchen, fei es erft im 
Gottſcheer Deutſch, entiprechende Aenderungen ftatthaft feien, muß ein boden— 
jtändiger Kenner entjcheiden. — Ob ſlaviſch Koca, das mit feinem 6 nad ſlaviſchen 
Gejegen auf einen verflüchtigten Naſal (Konca?) deuten würde, gleich hisa (Haus) 
nicht aus dem Deutfchen (Kot, Hütte, dem etwa fränkiſch *kotcha, vergleiche 
fiebenbürgifch Nagaltscha, Nägelchen) jtammt, bleibt noch zu unterfuchen. 

Das Fränkiſche und überhaupt die michtbayerifchen lemente müßten 
übrigens bei der Gottjcheeer Mundart (©. 19 f.) mehr berüctfichtigt werden, als 
dies von Hauffen gefchehen ift. Allerdings ift der bayerische Charakter Heute 
ungleich überwiegend, aber das ift dem expanfiven Weſen des Bayerifchen zu— 
zufchreiben: auch im Nieder-Defterreih nördlih der Donau find die fränkischen 
Spuren faft ganz verwijcht, und das Egerländifche hat jo viel Bayerifches an— 
gezogen, daß man lang genug den mitteldeutichen Grundcharakter nicht erkannte. 
Lehnmörter wie likof, fletn (©. 31) können im 14. Jahrhundert nicht mehr aus 
dem Bayerifchen ins Sloveniſche gekommen fein: erfteres zeigt nordmitteldeutſchen 
(köfen) oder alemanniſch-ſchwäbiſchen (litkouf), letzteres dieſen oder fränkischen 
Typus; bayerifch laikhäf, *vladi: das Relativpronomen, befonders „welches“ 
(3.8. ©. 358) ift abfolut unbayerifh (Schmeller, Bayeriiches Wörterbuch ? 2,894 f.) 
und erinnert phonetiich ganz an das hennebergifhe ben — welchen; am den 
Main und nad Mitteldeutfchland weifen uns wohl auch die Berba ohne -en, 
wie win (= finden), käm (= Kémen Barticip) und die durchgeführten a für &, 
die Hauffen übrigens ebenfalls als unbayerifh, und zwar als alemannifch 
nimmt (S.27). Die oi und oa (= althochdeutich ei) mögen bayerifch oder ſchwäbiſch 
jein; fiher nicht bayerifch find aber die durchgängigen ai für Ablaut iu; das 
Bayerifche kennt nur ai für Umlaut von ü (umd für i), der Ablaut iu lautet 
oi oder ui, und das freinde ai tft langjam aus den Städten aufs Land hinaus 
borgedrungen: in entlegenen Gegenden Tirols jagt man noch loit, doitsch 
(Leute, deutſch), allgemeiner ift noch oi, noi, toifl, zoigh (ui, nui, tuifl, zuigh); 
der Berdrängungsprozeß dauert, zu Ungunften des oi (ui), noch heute fort. Das 
ai ift daher im 14. Rahrhundert als ſchwäbiſch (vü, »i), oder noch wahrjchein- 
licher als fränfifch (ai), keineswegs aber als bayerifch zu betrachten. Formen wie 
besn (©. 342) für „wiffen“, oder (©. 247) heard, moaro oder gar (©. 248) 
shuna für Herr, Mohr, Sohn verraten, wenn auch nur ausnahmsweife 
gebraucht, mitteldeutfchen Urfprung. Auch der Mangel der Nafalvofale (ä, ö, & etc.) 
weift über das bayerische Gebiet hinweg. Charakteriftifch find die vielen Ueber— 
gänge des gelängten a in die Qualität A; denn [au >0o>09>]us>u ift die 
Sotticheeifche Entwiclung zunächft des langen A (juer, gnuede, muone, oden— 
wäldiſch klur, wur; gottfcheeifch shüm», müg»); gelängtes, ehemals furzes a 
geht die nämlichen Wege: guorte, wuene, shügn. Aus fränfifh-mittel- 
deutſchem und gewiß nicht aus bayerifchem Gebiete haben die ausmwandernden 
Juden diefelbe mundartliche Erſcheinung nach Galizien mitgenommen: Süf, Slüfn, 
zümin (säme), wügn (wäge) neben güsrtn, büsrwis (barfuoz), fün, hün. Im 
Stammlande allerdings ift dieſe Yautgebung heute fast gänzlich rückgängig geworden. 
Eher findet man ähnliches in den eingejprengten fremden Kolonialparzellen des 
bayerischen Gebietes, in Kärnten, felbft in Niederöfterreih. Echt bayerifch ift aber 
diefer Vorgang nicht. Bon Konjonanten find die tünenden s (=z), die offenbar 
‚dem heutigen sh (= 7) vorausgegangen find, ebenfalls mitteldeutfch und es er— 


Eupborion II, 42 


646 Hauffen A., Die Deutihe Sprachinſel Gottichee. 


klären ſich tichehifch Zehnati, Zold, ete. und ſloveniſch Zaga, Zida, viza vielleicht 
aus derjelben deutſchen Dialeftquelle: eine Ausdehnung des tönenden Charakters 
vom s (z) auch auf das f (v) ergab w (wrie, früeh, wuetar, Vater ete.), 
wie wir ſchon oben im mitteldeutfch-jüdifchem busrwiz (barfuoz) ein gleiches 
gejehen haben. Das „tschel“ (und tschellin) für „Geſell“ — jonft ift die Bor- 
jilbe go- faft überall vollwertig hergeftellt — erinnert an den Dialeft von Tetfchen 
in Nordböhmen (d’mächt, deberge für gemacht, Gebirge) und an Schmellers 
Grammatik 8 475; weiſt alfo ebenfalls nah Mitteldeutjchland. 

Der Wortſchatz ift im Gottjcheer Deutſch, wie im Egerland größtenteils 
bayeriſch: im Bannkreiſe des Bayerischen hat fich ja hier wie dort das Kultur— 
(eben aus Folonialen Anfängen entwidelt. Selbft Eigennamen mögen allgemad) 
bayerifche Yautform angelegt haben; doc wird fih auch hier noch ein fräntifcher 
oder alemannifcher Reſt auslöfen laffen. Im Ganzen möchte ih nur den Nad)- 
weis erbracht haben, daß jene, uns allerdings von dritter, aber durchaus ver- 
(äßlicher Hand übermittelte Nachricht, Karl IV. habe 300 Familien Franken 
und Thüringer nach Gottjchee geſchickt (S. 14), vollwertig feftzuhalten fein wird. 
Bayerische und auch ſchwäbiſch-alemanniſche Koloniften find ſelbſtverſtändlich eben— 
falls vorauszufegen. 

Gegenüber dem Slovenifchen wird man im Falle der Gemeinſamkeit eines 
oder des andern Wortes die echt deutjche Ableitung nicht fofort darangeben müffen. 
Sp beim Worte ritschoch (©. 69), ſloveniſch ricet. Die gottfcheeifche Form hat 
eine echte alte Ableitfilbe; der Stamm ritsch-en (rütsch-en), rutsch-en ift ein 
deutjcher, freilich erft jpät auftauchender; eine andere Speife ritschert fennt 
das Heffiiche; das ü (bayerifch u) weiſt wohl auf einen mitteldeutfchen Urſprung 
(Deutiches Wörterbuch 8, Sp. 1050 und 1568 f.) Im Süden eingebürgert, 
ift der Ritschet nun auch nach Niederöfterreich vorgedrungen. Jure (©. 31) 
muß nicht aus dem Slovenischen jtammen: Georg>Georig>Jorig> Juri tft 
ein echt bayerifcher Vorgang: bei den Heanzen im Ungarn ift Juri geläufig. — 
Selbit das Wort shupon, Schultheiß (z.B. ©. 114) möchte ich ſamt dem ſüd— 
wie nordſlaviſchen Zupan mittelft einer noch näher zu unterfuchenden Ableitfilbe 
von mittelhochdeutich sippe, stf., (tihehifh Zup) ableiten, mit Rückſicht auf 
die Neigung des Meitteldeutichen in labialev Umgebung i in u zu ändern (wurt, 
geswusterde, ummer, nummer, Bahder, Grumdlagen des neuhochdeutichen 
Lautſyſtems, ©. 181). Ob Otfrids unker meben gothiih iggara, (Braune, 
Althochdeutihe Grammatif S 282, Anmerkung 1) und funfzen neben finf 
ähnlih zu erklären ſei, bleibt dahingeftellt. Das Wort Sippe fommt im 
Gottſcheeiſchen noch in shiplink vor (©. 64). 

Der Typus der Gottſcheeer (S. 33) ift mehr der gemeindeutiche als der 
jpeciell bayerische; lange, jehnige Geftalten find häufiger, als furze, gedrungene. 
Höchſt mühfam und ernft ift ihmen der Kampf ums Dafein auf dem wenig 
ergiebigen Boden, weshalb ihnen ſchon von Kaiſer Friedrich IV. (23. Oftober 1492) 
das Necht des Haufterhandels verliehen wurde. Seit vier Jahrhunderten durch— 
jtreifen alfo die gutschewara ( _ — _, wie man in Niederöfterreich jagt) Die 
Städte und Orte von Trieft bis Nordböhmen und Sachſen (©. 35). Darob 
vernachläffigen fie aber ihre Heimat nicht: 27 Volksſchulen und ein Untergymnaſium 
(S. 44) forgen für deutſche Bildung; Tracht und Hausbau, Sitte und Brauch 
hat bis in die jüngfte Zeit die alte Eigenart ſtilgerecht bewahrt. 

Zu dem intereffanten Kapitel VI über Sitten und Bräuche, Aberglaube 
und Mythen wäre manche Parallele auch aus der engern Heimat des Referenten 
beizubringen: So das „Sprengen“ mit Weihwaffer (©. 65), die redenden Ochjen 
in der Mettennadt (S. 67), der Spruch: „In'n Chrifttag wachſt der Tag, 
was d’ Mucden giehn'n mag, in'n Neuenjahr-Tag, was der Hahıı jchriefen 





Hauffen A., Die Deutſche Sprachinſel Gottfchee. 647 


(fchreiten) mag, in'n Heiligendreifüning-Tag, was der Hirich Springen mag“ (©. 70), 
die Bermummungen im Faſching und die Bezeichnung „fooste pfinkste“ (©. 71), 
die Ajchermittwochpredigt, ein Spottſpruch auf Martin Luther (©. 72), das 
Sonnwendfeuer (©. 74), der „Sautanz“ (©. 76), — vor der Hochzeit das 
„Kranzlwindt'n“ (©. 79). Aus Stelzhammers „Ahnl“ Kennen wir den Braut- 
raub (S. 81) und Stelzhammers Profrada (= procurator, „Ahnl“ ©. 386) 
zeigt uns, daß das jlowenifche staraschinar (Hauffen, ©. 80) als Fremd— 
wort zur Charafterifierung diefer Allerwelts-Perfon aus inneren Gründen ge- 
wählt wurde. — Die toigain page (©. 80) finden ihr Widerftüd in dem gleich- 
bedeutenden pälg), einem vingförmigen Gebäde, wie es im Biertel Unterm Mann— 
harts-Berg noch jehr gebräuchlich ijt bei einer mit fränkiſchen Elementen 
ftarf gemifchten Bevölferung. — Leihenfchmäufe, der in der altdeutjchen 
Bevölkerung überall tief gewurzelte Herenwahn, die „Weiße Frau“, der auch 
von Abraham a St. Clara erwähnte „Schrattel“, von den Märhen, Sagen 
und Bolfserzählungen (Kapitel VII) die Gefhichten vom Shidlstoin, dem 
germanifchen sigestein, der wohl aud als „Siegelftein“ auf einen Ring ge 
deutet wird (Neinefe Fuchs, X. Gefang), bei Nofegger (Tannenharz und Fichten- 
nadeln 1870, ©. 103) und in der Heimat des Neferenten als Näterkroenelin 
(nöda-krä’l) erfcheint, ferner die „Hausichlangen“ führen uns tief in altdeutfches 
Borjtellungsleben ein. Schwankhafte Bolfslegenden ven Chriftus und Petrus, 
wie fie auch Roſegger kennt (a. a. O. ©. 69 „Die drojchnen Dreſcha“) und zahl- 
reihe Schildbürgerfhwänfe (©. 111) forgen für den Humor. Die letteren find 
bei den Heanzen in Ungarn ftark und zugleih origimell ausgebildet: die Günfer 
find die „Kotzenheanzen“, ebenjo die Dedenburger; am der fteierifchen Grenze be- 
ichäftigen fich die „Pumheanzen“ mit Binderei;z im Marftfleden Nechnig wohnen 
die Zerchentreiber zc. Ar vierzig jolher Benennungen mit erklärendem Schwanfe 
liegen mir aus dem Heanzengebiete handſchriftlich vor. ES ſcheint faſt, daß folche 
„bannwitzige“ Geſchichten mit der Berjchiedenheit der colonifierenden Elemente 
zufammenhängen und daß im Gottfchee das Schildbürgerbud (Hauffen, 
©. 112—128) nur ältere Spottfabeln verdrängt hat. 

Der Hauptinhalt des Buches beginnt mit Kapitel’ VIII „Boltslieder” (S. 130). 
Und diejer Abſchnitt ebenjo wie die angejchloffenen Texte der „Geiftlihen Lieder 
und Legenden“ (I), der „Balladen und Liebeslieder“ (II), endlich der „Lieder zu 
Sitte und Brauch, Scherz und Kinderlieder” (III) zeigen in Verbindung mit den 
auf ©. 384 folgenden „Erläuterungen und Anmerkungen“, daß der BVerfaffer 
vollfommen auf der Höhe feiner Aufgabe fteht. Und die Gottfcheer Lieder lohnen 
auch in hohem Maße den auf fie verwandten Forjcherfleiß. Schon in der äußern 
Erſcheinung befunden fie einen eigenartigen Charakter: fie entbehren des Reimes 
faft vollftändig; typiſche Eingangs-, ſeltener Schlußformeln kehren häufig wieder; 
mehr als zwei Drittel aller alten Gottjcheer Lieder beginnen mit den Verſen: 
„Wie früh ift auf“ (und nun folgt der Name des Helden und danach): „er fteht 
des Morgens gar früh auf.“ Die altdeutiche Rüftigkeit, die in den Wonnen des 
jungen Morgens einen Gipfel jtillempfundener Lebensfreude fucht, Spricht fich in 
diefen nicht oft genug gehörten typifchen Worten aus: und naiv (mohl nicht 
„gedanfenlos“, wie Hauffen ©. 131 meint), kann fich die Yegende felbft nicht den 
Heiligen des Himmels ohne dieje Freude denfen. 

Der Herkunft nah unterjcheidet Hauffen vier Gruppen von Liedern: 
1) alte, allgemein verbreitete deutſche Volkslieder, 2) in der Spradinjel 
ſelbſt entftandene, 3) Lieder aus dem Slovenifchen oder Kroatijchen, 4) Lieder, 
die halb oder ganz fchriftdeutich erjt etwa in unferm Jahrhundert aus deutfchen 
Ländern eingeführt wurden. 

Nachdem Hauffen auch noch die Metrif und den Charakter der Melodien — 


42* 


648 Hauffen A., Die Deutfhe Spradinjel Gottichee. 


diefe find den Terten regelmäßig beigegeben — kurz erörtert hat, jchaltet er (S. 168 ff.) 
drei danfenswerte Erkurje ein über „Die Vertretung von Niemals im Volksliede“, 
über „Du bift mein, ich bin dein“ und über „Blumen auf Gräbern“, wobei ev 
das deutſche Volkslied im allgemeinen fondiert. 

Es erübrigt no, uns von den 165 Nummern einen oder den anderen 
Liedertert näher anzujehen. In Mr. 2 wird erzählt, wie Jeſus nad Einfeung 
des heiligen Abendmahles um 9 Uhr nachts noch einmal bei feiner Mutter anklopft, 
bevor er ins Leiden geht. Maria eilt zur Stiege, zum Thor: 


Mit gedaner hont mochet shi imon schean auf 
mit gerachtr hont empfüchst shi'n schean: 
„Grios göt, grios got, dü liebes main kint ... 
Bai hübaschtu di shö loidigr, 

shö loidigr, shö traurigr ?“ 


oder nad) einer andern Fafjung: 


„Bai schteant daino äglain shö wol» zächrlain ?“ 
(Mit denker Hand machet fie ihme ſchön auf, 

mit rechter Hand empfahet fie ihn ſchön: 

„Grüß Gott, grüß Gott, du liebes mein Kind... 
Wiefo gehabeft du dich fo leidiger, 

jo leidiger, jo trauriger ? 

Wieſo ftehn deine Aeuglein jo voller Zäherlein ?“) 


Das Schöne Motiv, daß das Thor mit der Linken geöffnet, mit der Rechten der 
Eintretende empfangen wird, mutet mich ganz Cochemiſch an und wäre vielleicht 
in einer Offenbarung der heiligen Brigitta oder ähnlichem zu finden; jlomwenifch 
(S. 387) muß es doc wohl nicht fein. 

Unter den weltlichen Liedern nimmt (S. 245) mit Recht den erjten Platz 
ein: Da merarin, (Die Frau am Meere). Die Schöne Wäfcherin am Meeres- 
jtrande, das anfommende Schifflein mit „zween jungen Herren“, das Ringlein, 
welches einer von ihnen der Wäfcherin veicht, gemahnt wohl deutlich genug an’s 
Kudrunlid. Schon Schröer hat diefen Zuf — erkannt (Germania 14, 
327 — 336), Martin ihn geleugnet (17, 425 ff.), Hauffen hält Schröers An— 
ſicht auf Grund eines vollſtändigeren Materiales aufrecht, indem er gerade jene 
Berfion, welche mit der Kudrumdichtung die größte Achnlichkeit hat, als die 
ältefte Faſſung aller Balladen von der Meererin nachweiſt (S. 403 — 411). 
Schwerer ift mir glaublih, daß gerade das fertige Kudrun-Epos, nicht eine 
unmittelbare (fpäter vereinzelte) Bolksüberlieferung die Quelle der Ballade fein foll. 

Zu Nr. 114, Zeile 28 und 29 erwähne ich die niederöfterreichiihe Sage 
vom Progen, der ſich rühmte, alles zu haben, nur noch feinen beinenen Tiſch, — 
einen jolchen jedoch befommen hat, als er veraumt war und als Bettler die Schüffel 
auf den Knieen hielt. — Das Motiv vom großen Steine, der auf das Grab des 
gehaßten Weibes gelegt wird, kommt auch noch vor bei Brenner, Altbayerifche 
Poſſenſpiele, 1897, ©. 6, 12. — Zu 146 fei erwähnt, daß die einleitenden Worte 
pikka, pokkä auch in einem miederöfterreichifchen Zählverfe vorfommen: 

„Eins, zwei, drei 

pikkä, pokkä Heu, 

pikka pokka Habernstroh, 

lignen vierzehn Kinder do*, 
— ſich die Kinder gegenſeitig aufmerkſam machen, daß jetzt wirklich vier— 
zehn (se. Hebungen) find. Aus Hauffens Lichtenbacher Faſſung (S. 379) fehlen 


Wolkan R. Geſchichte der deutichen Literatur in Böhmen. 649 


demnach bereits 2 Zeilen, aus der andern Möfeler Berfion (Sheksehüuntdraisik 
wegelain) fogar 5 Zeilen. Jedenfalls ift dev Vers von der „gelben Feder“ 
einer der Deferteure. — Der Spruch Wr. 149 lautet in Niederöfterreih „Loowol 
boch», loawal bocho, — schies ai’;* das gleichzeitige Spiel ift das” nämliche 
wie in Gottjchee. 

Dem „Herzoge von Gottſchee“, dem Fürften Karl Auersperg, it das hoch— 
intereffante und höchſt verdienftoolle Buch gewidinet. Möge derjelbe daraus den 
Wert und die Treue altdeutjcher Traditionen ſchätzen und ſchützen lernen. 


Wien. J. W. Nagl. 


Wolkan R. Geſchichte der deutſchen Literatur in Böhmen bis zum Ausgange 
des XVI. sahrhunderts. Prag, Drud und Verlag der k. u. f. Hof- 
buchdruderei A. Haaſe 1894. — 20 — 


Einer partifulariftifchen Piteraturgeichichte läßt fi) von mancher Seite das 
Wort reden: es gibt in der That Yandftriche, die durch politifche Einflüffe der- 
art abgefondert wurden umd zu einer fo eigentümlichen Entwidlung kamen, daß 
diefe Eigenart fih auch ihrem geiftigen Leben und bejonders ihrer Literatur 
aufprägte. Von diefem Standpunft aus hat Wilhelm Scherer das Elfaß, bat 
Jakob Baechtold die Schweiz behandelt. Wie der lettgenannte betont, ſoll aber 
das hauptſächlichſte Beftreben dahin gehen, den Zufammenhang mit dem Ganzen 
feftzuhalten: eine ſolche Sonderdarftellung ſchlage bei aller eigentümlichen Ent- 
widlung im großen und ganzen doch den Gang der allgemeinen deutſchen 
Literaturgefhichte ein. ES wird fich alfo bei ſolcher geographifch begrenzten 
Geſchichtſchreibung nicht bloß darum handeln, das Produzierte darzuftellen, 
jondern auch um die Feltjtellung, in wie weit und warum ſich Befonderheiten 
in der Produktion vorfinden. Ohne Zweifel ift Böhmen, ſoweit es am deutjchen 
Geiftesieben Anteil hat, in hohem Grade geeignet für ſolche Unterfuhungen. 
Diefen Anteil bis auf Weiteres fetgeftellt zu haben ift das Berdienft Wolfans ; 
aber fein vorliegender Band verfolgt noch einen anderen Zwed. „Mein Bud 
möchte der Wiſſenſchaft zuliebe gefchrieben fein, aber ihr nicht allein und 
nicht zulett dem deutschen Volfe in Böhmen.“ So erklärt Wolfan in feiner 
Vorrede. Das deutiche Volt in Böhmen bat denn auch alle Urfache, dem 
Buche volle Neigung zuzumenden; denn wie jchon gelegentlich des erſten Bandes, 
der Bibliographie, mit Necht hervorgehoben wurde — neuere 
deutſche Literaturgeſchichte 1, 85) find nunmehr die Behauptungen auf tſchechiſcher 
Seite, es ließe ſich nach den Huſitenkriegen ein deutſches Geiſtesleben in Böhmen 
nicht nachweiſen, endgiltig abgethan, wenn auch auf der anderen Seite größere 
Ruhe in nationalpolitiſcher Beziehung den Unterſuchungen Wolkans zugute 
gekommen wäre Immerhin iſt aber vom nationalen Standpunkte Wolkans 
Arbeit zu begrüßen; doch bleibt die Frage offen, ob der Zeitpunkt für eine 
wiffenſchaftuche Behandlung dieſer ganzen Epoche gekommen iſt, ja wann er 
überhaupt kommen wird. Die Schwierigkeiten in der Beſchaffung von Hand— 
ſchriften, infolge deren der Verfaſſer eine große Anzahl gar nicht zu Geſicht 
bekam (S. IX), der Mangel an Vorarbeiten, um eine Handſchrift aus ſprachlichen 
Gründen beftimmen zu fünnen (©. 237), die Unmöglichkeit, die Stadtardhive 
Böhmens zu durchforſchen (S. 377), das alles übte feinen Einfluß auf die 
Arbeit Wolfans aus. ES entiteht dadurch der Zweifel, im wiefern die Fülle 
des umperwerteten Materiales die Darftellung ergänzen, berichtigen, ändern 
würde und zugleich auch eine gewiffe ungleihmäßige Behandlung ſowohl in 
lofaler wie in materieller Beziehung. Auch diefer Band weiß wieder am meiften 
von jener „Nordweſtecke“ um Joachimsthal zu erzählen, die ſchon im der 


650 Wolkan R., Gejchichte der deutichen Piteratur im Böhmen. 


„Bibliographie“ jo ſehr in den Bordergrumd trat; zudem kann ihm aber ver 
Borwurf einer übermäßigen Breite in jenen Partien, über die der Verfaſſer fich 
völlig orientieren konnte, nicht ganz erſpart werden. Ob in eine „Literatur- 
geichichte* Die drei „orientierenden“ Abjchnitte von der „Entwicdlung des Deutjch- 
tums in Böhmen“, vom „Schulweſen“ und vom „Humanismus“ gehören, die 
immerhin ein Drittel des Buches ausmachen, jcheint doch fraglich. Vielleicht 
auch hätten die beiden erjter zu Gunften einer Vertiefung des dritten mwegbleiben 
jollen. Es läßt fich infolge der Ungleihmäßigfeit des Gebotenen aucd über das 
Buch als ganzes nicht leicht urteilen. Der erfte Abjchnitt „Entwiclung des 
Deutfhthums in Böhmen“ bietet einen hiſtoriſchen Nücdblid, der teils auf den 
Arbeiten Neumwirths, Friedjungs, Loſerths bafiert, teils eigene Unterfuchungen 
verwertet. Die Deutfhen hatten ihre verhältnismäßig glüdlihe Lage unter 
Ottofar II. und Wenzel II. durch die Thronbefteigung Heinrihs von Kärnthen auf 
lange hinaus eingebüßt. Karl IV., der fih an der Hand Friedjungs, Werunsfis 
und Burdachs vielleicht mit mehr Plaſtik hätte charakteriſieren laffen, errichtete in der 
neu gegründeten Univerfität eine Standarte, auf deren Erftürmung die vajch er- 
jtarkte Tfchechenpartei ihre ganze Kraft wendete. In Johann Hus erjtand dieſer 
Partei ihr wirkſamſter Prediger. Erſt der Proteftantismus brachte einen neuen 
Auffhwung des Deutihtums, ſowohl in geiftiger Beziehung, wie auf dem Ge— 
biete von Handel und Verkehr. — Abſchnitt II behandelt das „Schulweſen“. 
Er bringt jehr viel neues, würde aber durch Fräftigeres Zuſammenfaſſen mehr 
erzielen, als durch manche nicht recht inftruftive Bücherlifte. Die ältefte Schule 
ift die Prager Domfchule, ihr folgen Kloſterſchulen auf dem flachen Lande und 
im 13. Sahrhundert Stadtihulen. An die Schulen jchlisgen fich Klofter- und 
Stiftsbibliothefen, in Prag die Bibliothefen des Domfapitels, der Univerfität, 
des Thomastlofters. Lateinifch-deutichstihechiiche Vofabularien legen Zeugnis von 
den utraquiftifchen Beziehungen beider VBolfsfttämme ab. Wärmer nahmen fich 
exit die Jeſuiten des Unterrichts in der deutſchen Sprache an; fie waren von 
Ferdinand I. ins Land berufen worden und hatten bald in Prag, wie auf dem 
Lande Gymnaften errichtet. — Der III. Abjchnitt behandelt den „Humanismus“. 
In diefem Abjehnitte vermiffen wir jene großen fürdernden Gefichtspunfte, wie 
fie etwa Burdach in den vom Autor citierten Aufſätzen (Centralblatt für 
Bibliothefwejen 8, 145, 324, 435) einnimmt umd die die Bedeutung der 
Karolinifhen Epoche für deutſches Geiftesleben im eim ungemein helles Licht 
vüden. War es doch Karl IV., der, im Paris erzogen umd in jungen Jahren 
nah Italien verjett, mit franzöfiichen und italienischen Künftlern auch die 
Pariſer Scholaftit in Deutſchland einführt. Er brachte veiche Anregungen für 
Wiſſenſchaften aller Art, für Botanik, für Geſchichtſchreibung mit und trat jelbft 
als Schriftfteller auf. Das Bild eines modernen Staates hatte bei ihm fefte 
GSeftalt befommen; er fuchte das Rechtsweſen zu reformieren, durch Erleichterung 
des Verfehres die entfernten Teile feines Neiches zu verbinden. Sp bereitete 
die Kultur Frankreichs und Englands, die Glaubensiehre Wichfs in Böhmen 
eine Epoche von mweitgreifender Bedeutung vor: hier bildete ſich der oftmitteldeutjche 
Charafter der neuhochdeutſchen Schriftiprache, mit ihm eine Periode form- 
gewandter deuticher Proja, die wirffame Ueberſetzungen des Neuen Teftamentes 
und antifer Autoren zeitigte. In der Mitte dieſer Beftrebungen fteht Die 
faiferlihe Kanzlei, reformfreundlic” mit deutichem Charakter im Gegenjate 
zur fonfervativ=flerifalen Univerfität. Der wirkſamſte Mann diefer Kanzlei 
it Johann von Neumarkt. Er ift es, dem die Verdrängung des nationalen 
Gerichtsverfahrens, die Einbürgerung kanoniſtiſcher Rechtsanſchauungen, die Aus— 
bildung einer Technik des ſchriftlichen Verfahrens, die Anbahnung einer Reception 
des römiſchen Rechtes zu danken iſt. Unter ſeinem Beamtenperſonal ragt Johann 





Wolfan R., Geichichte der deutſchen Literatur in Böhmen. 651 


v. Gelluhaujen hervor. Bald jchliegen fich die erzbifchöfliche und die k. böhmifche 
Yandesfanzlei dem neuen Stil an. Johann und ein zweiter hervorragender 
Mann der Karolinifchen Periode, der Erzbiihof Ernſt von Pardubit, jeten fich 
nad Kräften für die junge Univerfität ein. Das vömifche Recht wird tradiert, 
Werke geiftliher Jurisprudenz ericheinen. Bedeutſam wurde es für die Kanzlei, 
als fie dem Einfluffe der drei geiftlichen Erzfanzler entrüdt ımd als Staats- 
behörde fonftituiert wurde. An ihrer Spite ftand nunmehr ein weltlicher Kanzler 
(der erfte war Johann von Neumarkt), ein vielgliedriger Hofrat ftand ihm zur 
Seite. Zwei Beamte diefer Hoffanzlei wurden als GE im Dienfte der 
Borreformation befannt: Matthäus von Krafau und Milie von Kremfier, die 
beide durch fittliche Neform der Firhlichen Organe und durch Ausdehnung der 
religiöfen Bildung auf die Maffen zu wirken beftrebt waren. So wurde denn 
die Kanzlei in Kürze das, was ſie ihrer ganzen Anlage nach werden mußte: die 
Trägerin jener Kultur, im deren Dienft fih Karl gejtellt hatte, der italienijch- 
franzöfifchen. Die franzöfifchen Ueberſetzungen lateinischer Autoren, dann des 
Ariftoteles und Petrarca, die franzöftiihen Profaromane, Nitterepen, Traftate 
und Sentenzen wurden für Deutjchland ebenjo beſtimmend, wie der franzöftjche 
Auguftinismus und das vege Kunſt- und Yiteraturleben an dem päpftlichen 
Hofe zu Avignon. Schon jehr früh wurde diefe Kultur nach Böhmen importiert: 
Franzöfifche Handſchriften wurden erworben, franzöſiſche Künſtler aller Art herau⸗ 
gezogen. Den Hang des Humanismus Bibliothefen zu fammeln finden wir 
bejonders bei dem weitgereiften Dechanten von Wyſchehrad Wilhehn vorn Hafen- 
burg (7 1370), der den Grundftod zur Prager Univerfjitätsbibliothef 
dur die Sammlung von 114 Werfen — eine um jene Zeit nicht übertroffene 
Zahl — legte. Ihm folgte der Hufitiich-radifale Adalbertus Ranconis de Eri- 
cinio. Die Profefforen der Univerfität hatten ihre Bildung in Frankreich oder 
Italien genofjen und brachten auswärtige Bildung und auswärtige Hand- 
ichriften mit. Was fie vortrugen, war freilich nur Scholaftif; Humanismus 
und Renaiſſance blieben eben Karl und feiner Kanzlei anvertraut. Karl ver- 
einte die einzelnen Elemente der Humaniftifchen Bewegung im feiner Perfon: er 
vegte die Ausarbeitung von Chroniken (Franz von Prag, Yudolf von Eynbefe) 
an, er brachte fojtbare Bücher und Handjchriften von feinen Reifen mit, er ließ 
Handjchriften (darunter die des Kosmas) abjchreiben, Archive anlegen, Reliquien 
jammeln; er — das Individuum zu ſchätzen (Zanobi da Strada, Heinrich 
von Herford, Petrarca); er duldete rückſichtsloſe Meinungsäußerung, zeigte Sinn 
für Witz und Spott und ebenſowohl für Selbſtbeobachtung, wie für die Ent— 
deckung fremder Länder und Völker, für Reiſeliteratur, für eine neue Ordnung 
des Staates, eine neue Faſſung der Begriffe Geſetz und Recht. Von größter 
Bedeutung mußte für einen Monarchen wie Karl der perſönliche Verkehr mit 
einem der Führer des italieniſchen Humanismus, mit Petrarca, werden. Mächtig 
wirkten all' dieſe Anregungen des Herrn in ſeiner Kanzlei nach. Der Sinn für 
einen neuen Proſaſtil, für Eleganz und Eloquenz, für neue Proſaformen, Brief, 
Dialog, Novelle macht ſich bemerkbar. Wie in Frankreich und Italien beginnt 
man auf der Landesſprache zu fußen. Nächſt dem Kaiſer nimmt ſich Keiner der 
neuen Strömung wärmer an, als Johann von Neumarkt. In der Philoſophie 
den nominaliſtiſchen Scholaſtikern naheſtehend, in der Pädagogik ein Verehrer 
der individuellen Erziehung an Stelle der korporativen, die das Mittelalter ver— 
langt, mit einer entſchieden philologiſch-kritiſchen Ader, eleganter Latiniſt und 
———— Verehrer Ciceros, Bücherfreund im großen Stile, mußte er durch den 
perſönlichen Verkehr, den er mit einem Manne wie Petrarca anknüpfen durfte, 
aufs intenſivſte beeinflußt werden. Petrarca war es, der den geſtürzten Tribunen 
Cola di Rienzo den böhmiſchen Freunden empfahl; Colas Ankunft in Prag gab 


652 Wolkan R., Gefchichte dev deutſchen Literatur in Böhmen. 


den Nenaiffancebeftrebungen den mächtigften Anſtoß. Eine vielleicht von Johann 
von Neumarkt veranftaltete Sammelhandfchrift gibt ausreichenden Aufſchluß über 
Colas Prozeß. As nun Johann ſo vorbereitet mit feinem Kaifer nad Italien 
fam, zeigte ſich bald eine bis zur Selbfterniedrigung gehende Shwärmerifche Ber- 
ehrung Petrarcas und feines Stiles. Wie mit den geiftigen Führern Staliens, 
jo ftand ev auch mit einzelnen Franzofen in Berbindung und wohl aud mit 
den Erneuerern des Auguftinismus, den Auguftiner-Eremiten, die in Johann, 
zumal als ev auf dem Bifchofsftuhl von Yeitmerig ſaß, einen thatkräftigen Gönner 
fanden. Die böhmischen Auguftiner bildeten ein wichtiges Bindeglied mit ihren 
franzöfifchen und italienischen Glaubensbrüdern. So wurde diefer an Einfluß, 
Wiffen und Verbindungen reihe Mann auf Jahrhunderte lang von vihtung- 
gebender Bedeutung für die Kanzlei und ihren Stil: die Häufung der Synonyma, 
die Umfchreibung des Begriffes, die Berihränfung der Wortftellung, die Meta- 
phern, Wortfpiele und aelehrten Anspielungen, die fih im deutſchen Kanzleiftil 
bis ins 17. Jahrhundert hinein vorfinden, das alles geht auf Johann und feine 
begeifterte Vorliebe für die Yatinität und die romanische Nenaiffance zurüd. Eng 
verfmüpft mit Diefer ftiliftifchen ift auch feine literarifche Wirkfamkeit, feine Bes 
veicherung der Formen des jchriftlichen Berfehrs. Neben der weltlichen Seite ift 
aber der Einfluß der Karolinifchen Zeit auch nach der geiftlichen ein bedeutender: 
eine neue volfstümliche, jangbare Liederdichtung erwuchs in Böhmen, die nament- 
(ich bei außerliturgiſchen Andahtsübungen zur Geltung Fam. Eine eigentümliche 
Abart find die Marienlieder, die, im Stofffreife der Antife gehalten, von den 
neun Mufen, von Pluto, Scylla und Eurus ſprechen. Es jcheint fih da um 
Goliardenlieder zu handeln. Die Fäden, die da am Hofe Karls geſponnen 
wurden, führten allgemadh nach den meisten üfterreichifchen Provinzen, dann 
nad) Bayern, Baden, Sachjen weiter. Der Berlauf diefer Beftrebungen in 
Böhmen müßte fih am deutlichiten aus der Ermittelung und Durchforſchung der 
zahlreichen von den Humaniften angefertigten Handjchriften, ferner durch die 
Feitftellung des Beftandes der Klofter- und Dombibliothefen ergeben. — So deut- 
liche Winfe zur Behandlung einer Epoche im Geiftesleben Böhmens, wie fie da 
Burdach gegeben hat, hätte Wolfan, wenn er einmal ein Kapitel des Humanismus 
für erforderlich hielt, in der fruchtbringendften Weiſe verwerten fünnen. Er hat 
aber den Zuſammenhang mit dem deutjchen Geiftesleben allzufehr außer acht ge— 
laffen und fih darauf befehränft, aus der erjte Periode des böhmijchen Huma- 
nismus das Verhältnis Karls zu den Italienern im Zufammenhang darzuftellen. 
Ausgreifender werden die Männer der zweiten Periode, Johann von Jenſtein 
und Kaſpar Schlick charakterifiert, während ich für die dritte, Die fich an den 
Namen des Bohuslaus Lobkowitz von Haſſenſtein knüpft, einzelne Literaturnach— 
weiſe vermiſſe. So hätten Th. Breys Aufſätze im 14. und 15. Jahrgang von 
Hormayrs Archiv „Die Blüthe der lateiniſchen Poeſie in Böhmen“ nicht ganz 
überſehen werden ſollen; bei allen Mängeln ſeiner Darſtellung iſt Brey doch der 
erſte in unſerem Jahrhundert, der auf den böhmiſchen Humanismus zu ſprechen 
kommt und der beſonders Bohuslaus zu würdigen ſucht. Für den Kreis, der 
ſich um Johann Hodiejowsky von Hodiewa ſammelte, und der ſich an ſeiner 
Farrago poematum beteiligte, bejonders jr Thomas Mitis kämen Geigers 
„Vorträge und Verſuche“ im Betracht, woſelbſt ſich über dieſen „älteften Mufen- 
almanach“ bemerfenswertes vorfindet. Zu den Literaturnachmweifen aus dem 
vorigen Jahrhundert wären die Necenfionen aus der „Neuen Prager Literatur“ 
1771, 17. und 19. Stüd, heranzuziehen. Bohuslaus Lobkowitz wird da als 
Stern erfter Größe, als der erfte unter den lateinifchen Dichtern feiner Zeit ge- 
feiert, der in feinem Baterlande vergefjen, im Auslande aber von Männern, 
wie Fabricius, Heumann, Colerus, Böhm gefeiert, ja dem Vergil verglichen 


Di — U 


Wolkan R., Gejchichte der deutſchen Literatur in Böhmen. 655 


worden jei. Hodiewas Farrago aber wird einfach als „die elende Schmiererei 
von 43 Stümpern” erflärt. Wolfan charakterifiert wiederum die Führer: 
Bohuslaus felbft, der, auf feine Güter zurücgezogen, die Früchte feiner Reifen 
vermwertete, in lateinischen Briefen, legien, Satiren umd Epigrammen die 
Schwächen feiner Zeit geißelte, auch an firchlihen Dingen Anteıl nahm und 
deffen Tod von einem Ulrich v. Hutten betrauert wurde; dann aus dem Kreiſe 
des Hodiewa den Arzt Georg Handſch aus Yeipa, der durch die Tagebücher, die 
er al3 Leibarzt Erzherzog Ferdinands führte bedeutfam wurde. Unter jeinen 
Genofjen ift Johann Major, der Apojtel Melanchthons, bemerkenswert und 
Kaspar Brufhius, von dem Horawitz jo glücdlich nachgewiefen hat, wie er im 
Grunde nur die Gedanken anderer und größerer, wie Yuther, Wimpfeling, Celtes, 
Eobanus fruftifiziert, wie er bei aller Gefinnungstrene ein gewiſſes opportus= 
niſtiſches Schwanten nicht aufgeben kann und wie er bei feiner unkritiſchen 
gelehrt=fompilatorifchen Arbeitsweife doch zu wirfen verfteht. Aus der Reihe der 
Theoretifer verdient Joannes Honorius hervorgehoben zu werden, der die erjte 
Horazausgabe Deutjchlands bejorgte (14985) und Jacob Pontanus, mit Bida 
und Scaliger einer der Begründer der Poetif. Auch Vertreter der Wiffenfchaft, 
Hiftorifer, Aftronomen, Mathematiker, Aerzte treten in den Vordergrund. Zu der 
wiffenfchaftlichen Literatur möchte ich aufs gerathewohl einige Ergänzungen an— 
fügen: 1594 erfchienen in Prag bei Nigrinus die „Quaestiones grammaticae* 
des ©. 300 — 302 gejchilderten Chriftof Hecyrus; 1574 erſchien Lazarus Erferus 
„Beihreibung der fürnehmften mineralifhen Erz- und Bergmwerfsarbeiten . . .“ 
Prag, Schwartz. Weiters edierte Georg Fabricius, Rektor in Meißen, zu Prag 
die Schulausgaben von Ciceros Briefen, von Plautus und Terenz (Adami 1589) 
und Paul Fabricius, Profeffor in Prag, feine aftronomichen Tafeln. Endlich 
möchte die „Vlastae Bohemiae Historia* des Nodericus Dubravius (1574) 
nicht unerwähnt bleiben, zumal fie Bohuslaus Lobkowitz zugeeignet ift. Für den 
jpäteren Humanismus des 16. Jahrhunderts wären wohl auch die lateinifchen 
Gedihtfammlungen nicht ganz außer Acht zu laffen. So erichien eime recht 
intereffante zu Prag bei Georg Nigrinus. Sie führt den Titel „Epigrammatum 
libelli quattuor leetu non iniueundi“ und ftammt aus der Feder des Poeta 
laureatus caesarius Salomon Frenzelius. Unter vielen moralifierenden, fröm- 
melnden, panegyriſchen Epigrammen, Epitaphen u. j. w. finden fich auch jolche 
mit literarifch = fünftlerifcher Tendenz. Es wird über die Geringfhätung der 
ihönen Künſte geflagt: 


Tempus erat, panis doeta quando arte careret, 
Nune ars (vah tempus nobile) pane caret. 


In ungemein draftifcher Weiſe fpricht fih der gefrönte Dichter über „ebrii in- 
sanique poetae* aus, während er ftolz erklärt 


Nobili literato nihil esse honoratius. 


Auffallend rein und harmlos find die erotifchen Gedichte. Eine ähnliche, aber 
minder bedeutende Sammlung hat der Pilfener Bürger Johannes Dubravius 
1558 zu Wittenberg erfcheinen laffen. Sie nennt fih „Sylvula carninum“ 
und bringt auch eine oder die andere Fabel und eine Schilderung der Reife von 
Linz nad Wien in lateinifchen Herametern. Stark beeinflußt durch die geiftliche 
Dihtung des Thomas Mitis find die lateinifchen Epigramme des Laufitzers 
ChHriftoph Manlius, Prag, Melantrihus 1572, die durch politiihe Stoffe und 
jolde, die dem engften Stofffreife des Humanismus angehören, teilmeife auch 
den antifen Autoren entnommen find, hervorragen. Endlich wäre wohl auch, 
. wenn nicht in der Gejchichte der Literatur, jo in der des Humanismus die fehr 


654 Wolkan R., Geſchichte der deutſchen Literatur in Böhmen. 


ausgebreitete lateinische Gelegenheitsliteratur des 16. Jahrhunderts zu erwähnen. 
Bejonders ausgebreitet war die Gratulationsliteratur. Gratuliert wurde namentlich 
zu neu erlangten akademischen Würden oder zu Familienereigniffen. Die Form 
der Beglückwünſchung ift entweder die, daß eine Gruppe von Freunden fich 
zufammenthut, von denen nun ein jeder im eleganteften Latein und oft im 
fünftlichften Metrum (alkaiſche, ſapphiſche Strophe) dem Gefeierten gratuliert, oder 
daß Diefe oder jene Heilige, auch wohl Apollo, Merkur und die neun Mufen 
auftreten, um in Kleinen Gelegenheitsftücen die Vorteile der Wiffenfchaft und die 
Freude der Mufen an ihren eifrigen Jüngern zu traftieren. Verfaßt wurden 
diefe Stückchen wohl meist von Studenten und ein Student hatte oft eine ganze 
Reihe von Rollen zu übernehmen — offenbar war mehr ein Lefen, als ein Dar- 
jtellen beabfihtigt. Dagegen ſtammen die Gelegenheitsgedichte für Hochzeiten, Ge— 
burten und jo weiter vorwiegend von Berufspoeten: Johannes Mathefius mit 
jenen Aphorismi nuptiates, Mathäus Collinus, Thomas Mitis find da vertreten, 
Die Formen find hier fehr verjchiedenartig. An diefe Yiteratur zu freudigen 
Feſten jchließt fich eine ebenfo ausgedehnte von Epitaphen, = ebenjowohl gefrönten 
Häuptern, wie angefehenen Bürgern, Profefforen u. j. w. galten. — Wenden 
wir uns nun endlich zum IV. Abjchnitt, der die Giherniurackhiäfe im engeren 
Sinn behandelt und mit der höfiſchen Dichtung einleitet. Hier handelt es ſich weniger 
um die Beleuchtung wenig gefannter Geiftesftrömungen, als vielmehr um die 
(ofale Feſtſtellung wohlbekannter literariſcher Richtungen. Die Minnefänger und 
Epifer, die fih an den böhmischen Höfen aufhielten, werden vorgeführt: aljo 
Neinmar von Ziweter, Meifter Sigeher, Friedrich) von Sonnenburg, Tannhäuſer, 
Bruder Wernher, der Meißner, dann Heinrich Frauenlob, Ulrih von dem Türlin, 
Heinrich von Freiberg, Heinrich Cluzenere. Wenig erjprießlich finde ich die breite 
Inhaltsangabe jo allbefannter Dihtungen, wie Heinrichs Fortſetzung des Triftan, 
Urihs von Eſchenbach „Wilhelm von Wenden,” Ulrihs von dem Türlin Bor- 
geichichte des Willehalm. Sind wir doch durch die Analyſen in den großen 
Piteraturgefchichten, durch die Ausgaben in Kürfchners Nationalliteratur, ferner 
durch jene Bechfteins, Toiſchers und neueftens Singers ausreichend orientiert. 
Sollte hier eine Nahahmung Baechtolds zu Grunde liegen, jo hätte bedacht 
werden jollen, wie jchlecht wir mit Ausgaben der von ihm analyfierten Dichtungen, 
ganz bejonders jener des Rudolf von Ems, verjehen find. Ein paar Kleinigfeiten 
will ich anmerken: zu ©. 173, wo „cantus et mulierum choros in atrio 
ecelesiae prohibete* auf den „Geſang der Frauen“ bezogen wird, wäre auf 
Kelle (Literaturgefhichte ©. 48) hinzumeifen, der die „cantica puellarum* auf 
die Befugniffe der Nonnen bei Celebrierung der Meffe deutet. Zu ©. 187 be- 
merfe ich, daß im Dezember 1794 in Meißners „Apollo” ein Lebensabriß 
Wenzels des Il. von Löhnert und ein Abdrud der Gedichte erichien. Der Neu- 
drud rührt von dem Bibliothefar P. Baufchef her; aber jchon von Bodmer in 
der Einleitung zur „Sammlung von Minnefingern“ (1758—59), von Möfer in 
„Ueber Die deutsche Sprache und Literatur” werden die drei Gedichte erwähnt, 
von Gleim in den „Gedichten nach den Minnefingern“ abgedrudt. Schon Bodmer 
gab Wenzel den II. als Verfaſſer an, während ſie Löhnert Wenzel dem J. zu— 
ſchreibt. — Freier iſt bereits die Darſtellung des V. Abſchnittes, der ſich mit der 
Literatur des — und 15. Jahrhunderts“ beſchäftigt. Nach einer Charakteriſtik 
DER von Mügeln geht Wolfan zur politifchen und religiöfen Dichtung über. 
Heben dem Kirchengefang, der von allen Belenntniffen gepflegt wird, fanden fi) 
Spuren volfstümlicher Lyrif. Schon machten fih auch die Anfänge des Schau- 
ſpiels bemerkbar, das aber anfangs den Stoffen und dem Kreife der Darfteller 
nach durchaus geiftlih war. Mit der Annäherung an weltliche Kreife wurde 
die lateinische Sprache zujehends zurücdgedrängt. Der Nüdgang des geiftlichen 








Wolkan R., Gejchichte der deutſchen Literatur in Böhmen. 655 
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Einfluffes brachte Literaturdentmale wie den Coder Teplenfis und die berühmte 
Bibel Wenzels des IV. mit fih. An der Spitze der großen Anzahl von Ueber— 
jegern veligiöfer Schriften fteht Schon Johann v. Neumarkt, unter den ſpäteren 
ragt der deutjche Prediger Konrad von Waldhaufen hervor. Die weltliche Proſa 
zeitigt bloß den von Gervinus gerühmten Ackermann aus Böhmen, die Toten- 
Elage eines Bauern um feine Ehefrau von einem noch unbefannten Berfaffer. 
Aus diefen, wie aus den vorigen Jahrhunderten find Rechtsdenkmäler erhalten. — 
Der VI. Abjehnitt behandelt das 16. Jahrhundert. Wir ftimmen Wolfan bei, 
wenn er in diefem Abjchnitt die Stärke feiner Arbeit fieht. In feiner „Biblio- 
graphie“ und in feinen „Ausgewählten Terten“ hat er fich Die wertvolliten Vor— 
arbeiten gejchaffen; freilich zeigt es ſich nirgend jo deutlich, als hier, wo der 
Berfaffer mit vortrefflih durchgearbeitetem Materiale arbeitet, wie jehr er fich 
unfreiwillig in lokaler Beziehung befhränfen muß und daß er im Grunde nur 
einzelne Landftrihe Böhmens zu behandeln im Stande ift. Die Literatur des 
16. Jahrhunderts, wie fie uns Wolfan darftellt, hebt fich in nicht unweſentlichen 
Zügen von dem allgemeinen gleichzeitigen Literaturbilde ab. Keine Spur von 
der Wirkfamfeit der großen Satirifer und Humoriften, faum nennenswerte An— 
länge ans Faftnachtipiel, das Drama gleichfalls nur kärglich entwidelt, vom 
Proſaroman, vom Schwanf nichts wahrnehmbar. Die Neformation, die ja auch 
auf die deutjche Piteratur Böhmens aufs lebhaftefte einwirkt, ift vorwiegend doch 
nur in der firchlichen Literatur erkennbar. So fteht in der Lyrik das Kirchen— 
lied obenan; befonders in der Gemeinde der böhmischen Brüder werden ſorgſame 
Sammlungen angeftellt. Hier konnte Wolfan wieder auf eigenen Arbeiten fußen. 
Daneben blüht das Kirchenlied der Proteftanten, das ja dazumal auch in Schwaben, 
in der Schweiz, am Rhein viel gepflegt wurde. Nikolaus Herman, der Kantor 
von Joachimsthal, ift der eifrigften einer unter jenen, die biblifche Teile in 
jtrophifcher Form bearbeiteten, um die heilige Schrift weiteren Kreifen im Ge— 
dächtnis zu erhalten. Wolfan, der Hermans Sonntagsevangelien in einem 
guten Neudruc (Bibliothek deuticher Schriftfteller aus Böhmen, Band 2) heraus- 
gegeben hat, würdigt diefen Dichter aufs eingehendfte und jucht feinen Einfluß 
bis auf Bartholomäus Ningwalt nachzumeifen. Neben Herman fteht ein anderer 
Soahimsthaler, Johannes Mathefius, im Vordergrund, der erft in neuefter Zeit 
(jeit dem Beginn der achtziger Jahre) fich eingehenderer Unterfuchungen erfreut. 
Während der neuefte Biograph des Matheftius, Loeſche, den „Dichterling kurz 
abthut“, erklärt ſich Wolkan gegen die Unterſchätzung feiner poetischen Produktion 
und wendet feinen Weihnachts- und Paffionsgefängen, feinen Wiegen-, Hochzeits- 
und Grabliedern, den Liedern zum Preife von Joachimsthal volle Aufmerkſamkeit 
zu. Dagegen verjteht es Loejche, der die theologischen Werte des Mathefius mit 
außerordentlicher Ausführlichkeit würdigt, die Bedeutung des Mathefius für den 
Proteftantismus in Böhmen in das rechte Licht zu fegen. Nachdem das Luthertum 
in Prag nah kurzer Blüte unterdrüdt worden war, flüchtete es fich in den 
Norden Böhmens. In Joachimsthal ſelbſt jtand an der Spite der Reformation 
ein Adeliger, Graf Schlid. Egranus, Karlftadt, Schönbach bereiteten dort all- 
gemein den Boden für lutheriihe Predigten vor. Sebaftian Ering wurde als 
Iutherifcher Prediger in Joahimsthal von Mathefins angetroffen, als dieſer an 
die dortige Lateinfchule berufen wurde und nach einem Befuche bei Luther wurde 
er endlich jelbft in Joachimsthal als Prediger angeftellt. Was ev da als Paſtor, 
Lehrer und nicht zulett als Armenpfleger geleiftet, wird bei Loeſche anſchaulich 
dargeftellt. Bald bildet fi, wie Wolkan nachweift, in Böhmen eine Schule 
Herman-Mathefius, als deren Bertreter Kaſpar Frand, Erasmus Winter, 
Martin Berthold, Chriftopd Hosmann genannt werden. Was die weltliche 
- Richtung anlangt, jo zählt die Türfengefahr zu den wichtigften Stoffen. Türken— 


656 Wolkan R., Gefchichte der deutſchen YPiteratur in Böhmen. 


lieder Dichteten in Böhmen Georg Spindler und Michael Windler. Die Haupt- 
vertreter des fatholifchen Kirchenliedes, Johann LYeifetritt und Chriftoph Hecyrus— 
Schweher waren nur durch Terikalifch-bibliographifche Notizen und durch die Er- 
wähnung bei Wadernagel und Bäumfer befannt. Das weltliche Lied tritt ſtark 
zurück: eins der älteften Volkslieder in Böhmen hat Uhland „Heirath“ genannt. 
Der Mittelpuntt für das Bolfslied ift wieder Joahimsthal; Die Bergleute mit 
ihren Bergreihen, die die verjchiedenften Stoffe behandeln, find das wichtigfte 
Element für den Bolfsgefang. Die Dichter von Bergmannsliedern, Balentin 
Scheider, Rößler und andere werden hier zum erjtenmal nachgewiefen. Sammlungen 
von Bergreihen erjchienen übrigens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 
befonders in Nürnberg. Ein anderer Zweig weltliher Dichtung ift die Städte- 
dichtung; ihr befanntefter Bertreter ift der Pritfcehenmeifter Benedikt Edelbed, 
befanmt aus Weinholds Weihnachtsipielen. Ferner giebt es eine ganze Literatur 
gegen die Pafter des Jahrhunderts, befonders gegen das Trinken und auch zu 
der viel verbreiteten Podagraliteratur tragen Deutfhböhmen bei, darunter Georg 
Fleißner (vergleiche Hauffen, Mitteilungen des Vereines für Gefchichte der Deutfchen 
in Böhmen 31, 293). Auch die politifhe Dichtung vegt fih: das Kaadener 
Glaubensſcharmützel wird von einem bis nun unbekannten Hans Zweck befungen. 
Daneben gibt es Lieder über den Schmalfaldifchen Krieg umd die Türfenfriege. 
Andere jangbare Lieder behandeln Wunder, Schauer- und Mordgefchichten. 
Zu den Schauergefhichten in Profa ergiebt ſich ein nicht unintereffanter Nach- 
trag aus dem Jahre 1615: „Wahrhafte ſummariſche Erzählung etlicher vor— 
nemen Beſchwerungen, welche eine Zeitlang her den evangelifchen Ständen im König- 
veich Böhmen fowohl in Neligion- als anderen Sachen zuwider vorgangen, 
bejonders aber der Verlauf der in Newligfeit vorgenommenen böfen Jeſuwidriſchen 
Moerderpraftifen, jo fih in Prag zugetragen.” Die Schrift, deſſen Titel an 
Fiſchart anklingt, ift deutſch gefchrieben und enthält Anklagen gegen das frieden- 
jtörende Treiben der Jeſuiten, die fih nicht an Geſetz und Necht hielten. Meit 
Erfolg wurde der Landtag gegen fie angerufen. „Alfo ift die gifftige Liga 
der Sefuiter (dem lieben Gott ſei Yob und Dank) nunmehr gebrochen.“ So 
ihließt die Schrift. Bon Meifterfingern giebts nur färglihe Spuren in 
Böhmen. Von Georg Brentel in Elbogen wifjen wir (aus Heyſes Bücherſchatz), 
daß er im Tone Frauenlobs zu fingen verfuchte. Dagegen blühen die Symbole, 
Wahl und Wappenfprüce. Den Reigen diefer Dichtungsart eröffnete Johannes 
Hagius, über den Eitner und Grad! näheres mitgeteilt haben. In dem Nieder- 
länder Negnart und dem Staliener Turini finden wir am Hofe Rudolfs des II. 
Vertreter jener durch ganz Deutſchland verftreuten Kategorie von Tonſetzern, die, 
meift Kapellmeifter und Organiften, Texte aller Art zu Liedern vertonten, 
Manche, wie Chriftof Demantius, dichteten die Piederterte auch felbft. Der 
bemerfenswertejte dieſer Yiederdichter ift Theobald Hoed, der bereits Hoffmann 
von Fallersieben befannt war. Er ift Philoſoph und Dichter, Ethifer, Feind 
der Höfe umd der Liebe, Peſſimiſt und Freidenker. Weniger vielfeitig ift der 
Anteil Böhmens am Drama des 16. Jahrhunderts. Faftnachtipiele gab es in 
Trautenau, geiftliche Spiele fhon im Anfang des Jahrhunderts, weltliche um 
die Mitte in Eger. Die Leitung folcher Aufführungen, bei denen aud das 
lateiniſche Schuldrama nicht vergeffen wurde, lag zumeift in den Händen des 
Schulmeifters. In Prag werden die dramatifchen Aufführungen jchon feit dem 
14. Fahrhundert gepflegt; aus mancherlei Gründen nehmen fich die Jeſuiten 
lebhaft de$ Dramas an. Hier vermifle ich das befannte Buch: L. Blaß, Das 
Theater und Drama in Böhmen, Prag 1877. Unter den Dichtern des biblischen 
Dramas findet fih Mathias Meißner, der, obwohl aus Zeitichriften und größeren 
Darftellungen längjt befannt, auch in der neuen Auflage von Goedekes Grund- 


Flohr D., Geſchichte des Rnittelverjes. 657 


viß unerwähnt blieb. Sein Stück „vom erjchrödlichen vntergang Sodom und 
Gomorra,“ das wir doc jchon aus den „Zerten“ kennen, wird analyfiert; ebenjo 
der befannte „Jonas“ von Simon Roethe und Balthafar Klein. Ueber Clemens 
Stephani aus Buchau waren bis jet bloß verjtreute Notizen vorhanden; wir 
erhalten hier Analyjen feiner „Königin von Lamparden,“ der „Andria”, der 
„geiftlichen Aktion“, die den Stoff de$ Every-man behandelt, und der „Satyra“, 
wobei die in den Texten gedrudten Stüde noch knapper hätten behandelt 
werden jollen. Bon Dramatitern werden noch Daniel Betulius, der Großvater 
des Sirt Bird, Johannes Krüginger aus Joachimsthal, die Ueberjeger Martin 
und Sylveſter Steier und Marcus Pfeffer dargeftellt. In der Profaliteratur 
herrſcht gleichfalls das religiöfe Moment vor: religiöfe Streitfehriften, am denen 
fih auc Hermann und Mathefius lebhaft betheiligen und Predigten, unter denen 
jene des Mathefius an erſter Stelle ftehen, beherrichen den Markt. Das Haupt 
der evangelifchen Prediger ift Mathefius, unter den Katholiken ift Chriftof Fiſcher 
der fruchtbarfte, der eine endlofe Reihe von Katehismen herausgibt. An der 
Spite der Gebetliteratur fteht Johann Habermann in Eger. Die weltliche Proſa 
umfaßt beinahe nur Berichte über die Türtenkriege und wiffenjchaftliche, nämlich 
geographifch-ethnographifche, Hiftorifche und kulturhiſtoriſche Werke, ferner Stadt- 
hronifen. Beſonderer Aufmerkfamfeit erfreut fih da Karlsbad mit feinen Heil- 
quellen und Joachimsthal mit feinen Bergmerten. 

Was etwa im fpracdjlicher Beziehung auszuftellen wäre, kann bei der Be- 
urteilung eines jo umfänglichen Werkes nicht ins Gewicht fallen, auch auf ver- 
ſchiedene kleine Irrthümer foll nicht eingegangen werden; typographiſch wäre 
wünfchenswert, daß die Nummer des Abjchnittes in den Seitenüberjichriften des 
Textes, bejonders aber in jenen der Anmerkungen, erfichtli wäre. Leſer eines 
Holianten, wie das Buch Wolfans nun einmal geworden ift, haben wohl An— 
jpruch auf weitgehende Erleichterungen. 


Prag. Nudolf Fürft. 


Flohr D., Geſchichte des Knittelverfes vom 17. Jahrhundert Bis zur Jugend 
Goethes. Berlin, 1893. C. Vogt's Verlag. 8%. (— Berliner Beiträge 
zur germanifchen und vomanifhen Philologie veröffentliht von 
Dr. Emil Ebering. Germanifhe Abteilung Nr. 1.) 2.40 4. 


Eine Geſchichte des Knittelverſes zu ſchreiben ift eine ebenſo anziehende 
wie danfbare, aber nicht ganz leichte Aufgabe. Leicht ſchon deshalb nicht, weil 
es bei den mannigfachen Spielarten des Knittelverfes ſchwer hält, eine knappe 
Definition desselben zu geben. Flohr hat daher eine ſolche auch nicht an die 
Spitze feiner Unterfuhung geftellt, jondern durch Charafterifierung jener Vers- 
gebilde, die wir nach literarhiftorifcher Ueberlieferung als Knittelverſe anzufehen 
haben, die Kennzeichen diefer Versart feftzuhalten, die Entwicklung ihrer äußeren 
Form, ihre ftiliftifchen Merfmale und ihre Anwendung darzuftellen gefucht. Zur 
jelben Zeit wie Flohr hat auch Jacob Minor in feiner Neuhochdeutjchen Märik 
(Straßburg, 1893, ©. 332—338) im Anſchluſſe an Hans Sachſens Reimvers 
den Rnittelvers behandelt. In der That wird eine Gefchichte des Knittelverſes 
allenthalben auf die Spur Hans Sachſens ftoßen. Flohr nimmt feinen Aus— 
gang nicht von Hans Sachs, da er das „allmähliche Wiedereindringen des Knittel— 
verjes in die Dichtkunſt“ nach der Nenaiffancebewegung als Vorftudie zu einer 
Unterfuhung über den Knittelvers Goethes zu ſchildern beabfichtigt. Nach einer 
kurzen Einleitung über die Gefchichte des Wortes „Knittelvers“ beleuchtet ex die 
metrifchen Neuerungen und ftiliftifchen Reformbeftrebungen des 17. Jahrhunderts, 
die Anwendung vierhebiger tambifcher Reimpaare, das Fortleben der alten Reim- 


658 Flohr D., Gefchichte des Rnittelverfes. 


paave im Bolfe. Nach der Anlage der Flohrihen Schrift tritt Gryphs Peter 
Squenz mit feinen Knittelverſen etwas unvermittelt auf den Plan. Der Einfluß, 
den Canit durch einige Scherzgedichte (zwei davon in einer Art Bäntelfänger- 
jtrophe) ausgeübt hat, wird gewürdigt, das Jahr 1700 als bedeutungsvoll für 
das Auftreten des Knittelverjes in der Kunftpoefie hervorgehoben. Bon Wernide 
wird der Knittelvers bewußt als eine „Kunftform“ im poeme burlesque und 
in der Satire eingeführt, ev findet danı auch vor der Theorie (Neumeiſter— 
Hunold) Gnade. Niederdeutichland ift mit Knittelgedichten ziemlich veich vertreten, 
verjchiedene Anläufe zeigen ſich auch in Mitteldeutfchland, als vecht beachtenswert 
ericheint da in der erften Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Dichter minderen 
Nanges, Müldener (Geander von der Oberelbe), durch Anſchluß an die volfs- 
tümliche Auffaffungsweife des Hans Sachs. Hervorragend ift die Bedeutung 
Gottſcheds in der Geihichte des Knittelverſes. Gottjched hat in Theorie und 
Praxis dem Knittelvers fein Augenmerk gewidmet, er fnüpft vor allem an Hans 
Sachs an. Er hat für den Kmittelvers Schule gemacht, wurde aber auch felbft 
von jeinen Gegnern in Knittelverfen angegriffen. Am Schluſſe faßt Flohr das 
Ergebnis feiner Unterfuhung in funzen Zügen zufammen, die man als zutreffend 
anerfennen wird. BVBollftändige Aufzählung aller Gedichte in Knittelverſen er— 
ftrebt der Verfaffer mac) feiner eigenen Angabe (S. 1) zwar nicht, doch hat er 
jeinen Beobachtungen reiches Material zugrumde gelegt. Die Arbeit würde durch 
eine überfichtlihe Gruppierung der hie umd da zerftreut dargebotenen Ausleſe 
harakteriftiicher Eigenheiten der Kurittelpoefie nod gewonnen haben. Jede Unter— 
juhung über deren Entwidlung hat ihre Beobachtung vor allem nad) zwei Seiten 
auszudehnen, erftens auf das rein Metrifche, zweitens auf das Stiliftifche. Auf 
beiden Seiten ergeben ſich ganz beſtimmte typifche Kennzeichen. Flohr hat beides 
im Auge behalten und jo auch zierliche Mofaitbildchen durch Charafterifierung 
einzelner Vertreter der Knitteldichtung gejchaffen. Drittens ift dann der Stoff 
zu beachten. Was diefen betrifft, jo ift in dem von Flohr behandelten Zeit 
abjcehnitt immer das Satirische, Burleste für die Wahl des Knittelverſes maß— 
gebend, ſpäter tritt die fcherzhafte Gelegenheitspoefie ftarf in den Vordergrund. 
In die Form Hans Sadfifcher Verſe auch ernfte Gedanken zu gießen, wurde 
vor Goethe nur ganz vereinzelt unternommen. (Vgl. Ewald von Kleifts Werte, 
herausgegeben von A. Sauer, 2, 17 Anmerkung 1.) Eine Gefchichte des Knittel— 
verjes jollte nicht darauf verzichten, uns über das Fortleben der Literatur des 
16. Jahrhunderts namentlih des Hans Sachs zu belehren; denn am vielen 
Orten, wo wir e8 entweder in der Theorie oder in der Praris mit dem Knittel— 
vers zu thun haben, werden wir auf jene Literatur verwieſen. Der Knittelvers 
gibt uns ein Mittel an die Hand, die Stellung jpäterer Zeit zur Literatur des 
16. Jahrhunderts abzufchäten. Dieſe Stellung ift eine andere bei Gryphius, 
eine andere bei Wernide, eine andere bei Gottſched, fie ift unendlich verjchieden 
bei Goethe. Aber auch gleichzeitige Gegenfäte laffen ſich aufdeden. Wenn Gott- 
iched bei Beiprechung der Bodmerjchen Ueberfegung von Butlers Hudibras meint, 
daß diefe fich jehr gut im Knittelverfen ausnehmen würde (Flohr, ©. 94), jo 
dürfte ev fih Damit nicht den Beifall Bodmers errungen haben, denn dieſer 
war zeitlebens ein geſchworener Feind des Hans Sachs. Es blieb den Klaſſikern 
unferer Literatur vor allem Goethe vorbehalten, das Berjtändnis für die Literatur 
des 16. Jahrhunderts in vichtigere Bahnen zu leiten. Wie Goethe in formaler 
Beziehung fi dieſer Aufgabe entledigte, wird uns die von Flohr angefündigte 
Arbeit über die Behandlung des Knittelverfes bei Goethe zu zeigen haben, der 
wir nach der vorliegenden Unterfuhung mit berechtigter. Erwartung entgegenfehen. 


Graz. Ferdinand Eidler. 





Petri F., Kritifche Beiträge zur Gefchichte der Dichterſprache Klopſtocks. 659 


Petri F., Kritifche Beiträge zur Gejchichte der Dichterfprache Klopftods. Greifs- 
wald 1894. Kommiffions-Berlag bei Heinrich Jaeger. 2 M. 


In dem Ruhmeskranze, der die Stirne des hohenpriefterlichen Sängers 
des Gottverjühners ziert, bilden die Verdienfte, die er fih um die Ausbildung 
der deutſchen Dichterfprache erworben hat, umnftreitig ein glänzendes Blatt. Kann 
man auch der Behauptung Petris, daß „die Schaffung der Dichteriichen Rede der 
klaſſiſchen Literaturperiode” (©. 1) das Werk Klopftods fei, nicht ohne , weiters 
beiftimmen, jo läßt ſich doch nicht in Abrede stellen, daß der Meffiasdichter zu 
einer echt poetifchen Sprache erjt den Grund gelegt hat; fein Streben wurde 
von Wieland und Leſſing erfolgreich fortgejetst und gelangte durch den Altmeifter 
unferer Literatur zum krönenden Abjchluffe. 


Petri ftellt den ſprachlichen Eigentümlichkeiten, die Klopftod in der erften 
Beit feines dichterifchen Schaffens aufweist, die zahlreichen Veränderungen gegen- 
über, die er jpäter am Ausdrude vorgenommen hat. Dadurch wird die Einficht 
in den hiftorifchen Prozeß, den die Sprache des Dichters bis zu ihrer jchließlichen 
Abklärung, in der fie uns im der letten Redaktion vorliegt, durchgemacht hat, 
wejentlih geſchärft. Das mühevolle Zufammentragen von Varianten ift denn 
auch das Berdienftvolle an der Arbeit Petris, jonft vermag diefelbe — die 
Sprade Klopftods ift eben ſchon zu wiederholten Malen zum Gegenftande ein— 
gehender Unterfuchungen gemacht worden — wenig Neues zu bieten. Petri zieht 
auch einzelne Zeitgenofjen umd unmittelbare Vorgänger Klopſtocks, jo Pietſch, 
Gottſched, Brodes, Haller, Pyra und ein oder das andere Mal auch ©. G. Lange 
zum Vergleiche heran, um fejtzuftellen, „was bereits von den früheren Dichtern 
gefannt und angewendet wurde.“ Diefer Standpunkt des Berfaffers ift zwar 
richtig; allein es iſt Klar, daß die Arbeit, wen fie im dieſer Hinficht zu abjchließenden 
Ergebnifjen hätte gelangen wollen, auf einer breiteren Grundlage hätte aufgebaut 
werden müfjen: fie hätte noch andere Zeitgenofjen berücjichtigen, fie hätte aber 
auch auf Yuther, der die vaterländiiche Sprache bildete „zu der Engel Sprach’ 
und der Menſchen“ (Ode: Die deutiche Bibel) und auf Opit zurücdgehen müffen; 
bezeichnet ja KRlopftod in feiner Abhandlung „Bon der Sprache der Poeſie“ den 
Ueberjeger der Bibel und das Haupt der erjten ſchleſiſchen Schule als die Mufter, 
nach denen fich die Schriftteller bei ihrem Streben, die deutiche Sprache weiter 
auszubilden, zu richten hätten. — Petris Arbeit befaßt ſich nicht mit der ganzen 
Sprade Klopftods, jondern behandelt in drei Kapiteln bloß das Verbum, das 
Subftantivum und das Adjektivum. Die Sorgfalt, die der Dichter auf die 
Wahl der Wörter verwendet hat, wird gebührend hervorgehoben; an zahlreichen 
Varianten wird gezeigt, wie derjelbe gewöhnliche, mitunter platte Ausdrücde durch 
edlere, der poetiichen Sprache angemeſſenere zu evjegen bemüht war. Recht 
ausführlich bejpricht der Berfaffer die ſprachgeſtaltende Thätigkeit des Dichters 
auf dem Gebiete der Wortbildung, und zwar nach beiden Nichtungen — der 
Zufammenfegung und der Ableitung — bin umd ewörtert im Anjchluffe daran 
einzelne Befonderheiten, die fih im Sprachgebrauche Klopftods finden, jo Die 
Berbindung intranfitiver Berben mit einem Objektsaffufativ, die Weglaffung des 
Neflerivpronomens bei vefleriven Verben, die Berwendung des Particips zu 
mannigfachen Funktionen, den Gebrauch des Subftantivs in adjektiwifchem und 
adverbiellem Sinne, das überaus häufige Vorkommen des Komparativs u. dgl. ın. 
— Bei der Fülle des Stoffes, der hier vorliegt, kann eine erfchöpferide Behandlung 
desjelben nicht verlangt werden; gleichwohl wird das Fehlen jedweder Bemerfung 
über die Stellung Klopftods zu den Fremdwörtern, über feinen von der Gegen- 
wart vielfad) abmeichenden Gebrauch des Genus der Subftantive, über die an den 
latienifchen ablativus absolutus erinnernde Gebrauchsweife des Part. Perf. 


660 Meyer H., Herders Werfe. Erfter Teil. 2. Abteilung. 


(„daß am erreichten Ziele — Sch fterbe.” Ode: Dem Erlöfer 41), über feine 
Borliebe für ältere Wortformen u. a. m. gefühlt. 

Recht unangenehm berühren aber einige Berftöße, die von der Einficht 
des Verfaſſers in grammatifche Kategorien Feine allzu günftige Meinung zu 
erweden geeignet find. So werden (©. 18 f.) die mit den trennbaren Partikeln 
an, auf, empor u. |. w. gebildeten Verba als Ableitungen aufgefaßt. Bei 
den Subjtantiven Weichling, Zärtling u. a. ift von einer Ableitungsfilbe ing 
(S. 53) und in ähnlicher Weife bei den Pluralformen Ewigfeiten, Lebendig— 
feiten u. ſ. w. von einer Ableitungsfilbe eit (S. 59) die Rede. Die Adjeftiva 
immerglüdlich, immerunfterblih (©. 77) follen aus zwei Adjektiven zufammen- 
gefetst fein. Die Adjektiva voll und los werden (©. 23) zu den Suffiren und 
die Adjektiva, bei denen diefelben als Grundwort erſcheinen (feuervoll, ſprachlos), 
zu den Ableitungen (©. 77) gezählt. — Geradezu komiſch wirft es aber, 
wenn (©. 54) unter den „jeltenen Subjtantivbildungen“ Klopftods auch die 
Namen Preisler und Herſchel angeführt werden. Wenn ſchon der Kopen- 
hagener Hoffupferfteher Joh. Mart. Preisler (vgl. Allgemeine deutiche Bio- 
graphie, 26, 551) nicht zu den Größen des vorigen Jahrhunderts zählt, jo 
hätte denn doch der Name des berühmten Aftronomen Friedr. Wilh. Herſchel 
dem Berfaffer nicht unbekannt fein follen. 

Auch läßt die Arbeit infoferne feinen befriedigenden Eindrud zurüd, als 
fie mit der Anführung von Beispielen für die Verwandlung des Superlativ in 
den Komparativ (©. 81) plötzlich abjchließt. Der Verfaſſer ſcheint dies jelbft 
gefühlt zu haben, wenigitens erklärt ev in einer funzen Nachſchrift (©. 82), von 
„der drängenden Zeit“ zum Abbrechen jeiner Unterfuchungen bewogen worden 
zu ſein — und verjpricht, die Veröffentlichung weiterer Arbeiten über Klopftods 
Sprade „einer Zeit größerer Muße“ vorbehalten zu wollen. 


Linz. Chriftoph Würfl. 


Herders Werke Erfter Teil. 2. Abteilung. Stimme der Bölfer. Volkslieder 
nebſt untermifchten anderen Stüden, herausgegeben von Dr. Heinrich) 
Meyer (Kürſchners Deutſche Nationalliteratur Band 74, 2). Stuttgart, 
Union, Deutſche Berlagsgejellihaft (1893). «4 2.50. 


Der neue Titel „Stimme“ der Bölfer beruht auf einer Stelle der 
Adraftea, an der Herder eine „palingenefierte Sammlung folcher Gefänge, ver- 
mehrt nach Ländern, Zeiten, Spraden, Nationen geordnet umd aus ihnen er- 
flärt, als eine lebendige Stimme der Völker, ja der Menfchheit felbft, wie fie im 
allerlei Zuftänden ſich . . hören ließ, allenthalben für ung belehrend“ in Ausficht 
jtellt. Die prinzipielle Bedeutung diefer Worte hat der Herausgeber richtig dahin 
aufgefaßt, daß Herder in feinem Alter auch die Volkslieder dem Begriff der Moral 
unterordnete, auch in ihnen das Lehrhafte fuchte. Diefer grämliche Gefichtspunkt 
ift weit entfernt von der jugendfrifchen, poetifch-empfänglichen Stimmung, mit 
der der junge Herder die Gefänge dem Munde des Volkes ablaufchte, im Freundes— 
freife mitteilte und zur erften Sammlung vereinigte. Jene palingenefterte Samm— 
(ung wäre der zeitgenöffifhen Poeſie gegenüber als eine Tendenzichrift und eine 
Berirrung erichienen. Aber Meyer hat den Plan, den auszuführen Herder nicht 
mehr vergönnt war, feiner Ausgabe zu Grunde gelegt; zumeift wohl aus äußeren 
Rückſichten. An Redlichs Ausgabe wollte er fein Plagiat begehen, feinen Lefer- 
freis fieht er als an die fachliche Anordnung der Vulgata gewöhnt an, ein bloßer 
Abdrud der Vulgata war in einer hiftorifch-fritifchen Ausgabe unzureichend ; der 
literarifche Gegenjat der Sammlung fällt gegenwärtig weg. Wie unvollfommen 
es dem Herausgeber der Vulgata gelungen ift, jene Ordnung nad Nationen 





Leitzmann A., Tagebuh Wilhelm von Humboldts. 661 


durchzuführen ift befannt; daß das Material dazu nicht ausreicht, fieht man Klar 
aus Redlichs Ueberfiht (Herders Sämtliche Werke, herausgegeben von B. Suphan, 
25, 646 ff.), e8 blieb auch dem neuen Herausgeber nicht verborgen. Aus „Rück— 
fiht auf einen möglichit gleichmäßigen Ausbau der verjchiedenen Fächer“ iſt alfo 
zu dem in Herders beiden Ausgaben enthaltenen Liedern alles hinzugenommen, 
was urſprünglich für jene Ausgaben beftimmt war, und für die nur jpärlic) 
vertretenen Völker herangezogen, was nur irgend erreicht werden konnte; befonders 
vermehrt find die Stüde aus Orpheus, Pindar, Horaz u. f. w. Man fieht, 
wie mißlich die Durchführung der Herderichen „Skizze“ ift, zumal die Anordnung 
jelbft von diefer erheblich abweichen mußte. Zwei von den acht Teilen der Skizze 
mußten fortfallen, ein anderer mußte geteilt werden — „beides in Uebereinſtimmung 
mit der Vulgata“, die alfo Schon ihr Möglichites in Verwertung der Skizze ge- 
feiftet hatte. Boran gehen in der Ausgabe die „Zeugniffe”, das Nachwort zum 
erften und die Vorrede zum zweiten Teil der Volkslieder, die beiden Stellen aus 
Shafefpeare vom Schluß des erjten Teils der Bolfslieder und die Zueignung 
der Bolfslieder aus dem jechiten Bande der Adraſtea. Die fieben Bücher tragen 
nunmehr folgende Ueberſchriften: 1) Lieder aus dem hohen Nord. 2) Griechen 
und Römer. 5) Romanische Lieder ımd Nomanzen. 4) Nordifche Lieder. 
5) Englifche Lieder. 6) Deutfche Lieder. 7) Lieder aus dem heißen Erdſtrich. 
Ein Anhang enthält außerdem einige ältere Weberfetsungen folcher Lieder, die 
von Herder erwähnt werden, und einige Mitteilungen aus Herders Nadhlaffe. 
Ob man eine foldhe und auf folhem Wege zuftande gefommene Anordnung noch 
Herderifch nennen kann, ſcheint mir doch jehr zweifelhaft. — An der Mannig- 
faltigfeit und Fülle des Gebotenen kann man aber auch abgefehen von der wiſſen— 
ſchaftlichen Berechtigung feiner Anordnung fich erfreuen. Durch die Erweiterung 
der Auswahl ift eine Sammlung geihaffen, die einen weit ftattlicheren Eindrud 
macht, als die VBulgata, und jedenfalls von Herders andauernder liebevoller 
Beihäftigung mit dem Bolfstiede vühmliches Zeugnis giebt. Die Anmerkungen 
find veih an literarifchen Nachweifen zur Geſchichte der einzelnen Lieder auf 
Grund umfihtiger Benutzung der neneften Forſchungen, ebenfo ift das Verhältnis 
der Uebertragung zu der Borlage durch Mitteilung der bemerfensmwerteften Ab- 
weichungen klargelegt. Die Einleitung enthält ihrem Hauptbeftande nach den Um— 
riß einer Gefchichte des Intereſſes am Volksliede vor Herder und ganz befonders 
zu Herders Zeit und bei diefem felbft, jo daß dem Lefer Herders Werk in feinen 
gefchichtlichen Beziehungen vor Augen tritt. 


Berlin. Ernft Naumann. 


Leitzmann A. Tagebuh Wilhelm von Humboldt3 von feiner Neife nach 
Korddeutichland im Jahre 179%. (Dmuellenfchriften zur neueren 
deutschen Literatur- und Geiftesgefchichte. Band 3.) Weimar, 
Felber 1894. 3 M. 

Nur ſehr allmählich wird fich eine Likenlofe Biographie Wilhelms 
von Humboldt heritellen laffen. Die zurücdhaltende Vornehmheit diejes 
Geiſtes, dem es nicht in erſter Linie um Weltwirkſamkeit, fondern um Bes 
reicherung und Ausbildung des eigenen Innern zu thun war, hat es mit fich 
gebracht, daß auch feine -Biographen über zahlreiche Einzelheiten feiner Er— 
lebniffe hinwegzugehen und andrerfeits vor manchem Geheimnis feines Seelen- 
lebens ftillzuftehen gendtigt waren. Weder der Schriftiteller noch der Politiker 

Euphorion II. 43 


662 Leitzmann A., Tagebuch Wilhelm von Humboldts. 


fefjelt den oberflächlichen Betrachter durch ſtarke und wirkungsvolle Züge. 
In allen feinen jehriftitellerifchen Arbeiten laufen die Fäden fo fein liber- 
und nebeneinander, daß die Gedanken den Gedanken jelbit Schatten zu 
machen scheinen, und in feinem ſtaatsmänniſchen Wirken tritt viel mehr die 
Hoheit und Neinheit der Abfichten und der Aufwand geiſtiger Mittel als die 
den Erfolg erzwingende, die Hinderniffe der Yage und die Gegnerfchaft der 
Perſonen überwindende Kraft in den Vordergrund. Der redegewwandtefte 
und fchreibfeligite der Menſchen verstand zugleich zu ſchweigen und zu ver- 
bergen. Ber allem Bedürfnis nach Klarheit und Wahrheit daher, das er 
felbit empfand, umhüllt manche Seiten feiner Exiſtenz ein Schleier, den ſelbſt 
die, welche ihn gefannt und mit feinen oder vorfichtigen Zügen gejchildert, 
nicht ganz gelüftet haben: — begreiflich, daß auch dev Mythenbildung fein 
Leben und jeine Perſönlichkeit nicht entgangen find. 

Die lettten Jahre haben num aber eine ganze Reihe von Dofumenten 
ans Licht gebracht, die, wenn auch zum Teil durch unfcheinbare Züge, das 
Verſtändnis diefer eigenartigen VBerfönlichkeit zu vertiefen, die Entwidlung 
feiner Intelligenz und jeines Charakters durch manche Zwiſchenſtufen zu 
verfolgen, vor allem aber neue Beziehungen feines äußeren Yebens auf- 
zudecken gedient haben. Wie reiche Aufklärung noch über das ſtaatsmänniſche 
Wirken des Mannes zu gewinnen tft, haben erſt fürzlich die Mitteilungen 
von Bruno Gebhardt über Humboldts römiſche Gefandtenftellung (in 
den Forſchungen zur brandenburgiichen und preußischen Gefchichte, vgl. 
oben ©. 453), über fein Ausscheiden aus dem Miniſterium im Jahre 1810 
(in Sybels hiſtoriſcher Zeitfchrift und über feine Thätigkeit als Geſandter 
in Wien (in der deutschen Zeitſchrift für Geſchichtswiſſenſchaft, vgl. oben 
©. 212) gezeigt. Sie haben die Hoffnung auf weitere ähnliche Mit— 
teilungen erwedt und würden in einem Gefamtbilde des Staatsmanns 
Humboldt ihren Abichlug finden. Wenn aber hiefür die Liberalität der 
StaatSarchivverwaltungen eine noch ergiebige Ausbeute veripricht, jo hat 
fich andrerfeits auch das Tegler Hausarchiv geöffnet, um uns vollitändiger 
als bisher mit den privaten Beziehungen des Mannes vertraut zu machen. 
Das Buch Gabriele v. Bülow ift ein Yieblingsbuch der beijeren Kreiſe 
unſeres Bolfes geworden. Wohlthuend empfinden wir die vornehme und 
funstfinnige Atmosphäre diefes Haufes, die gebildete Anmut und Yiebens- 
wiürdigfeit jeiner Glieder, die Zartheit und Innigkeit der hier waltenden 
Familienbeziehungen, in deren Mitte die verehrten Geftalten Wilhelms und 
Garolinens von Humboldt ericheinen, um, auch nachdem fie gefchteden find, 
den Ueberlebenden ein reiches Erbe ihres Geiſtes zu hinterlaffen. Aus eben 
diefer Quelle hat num auch Albert Leitzmann jchöpfen dürfen. Schon früher 
iſt es ihm durch das Entgegenfommen der Frau Majorin Eonftanze v. Heinz, 
geb. v. Bülow, möglich gewesen, die Briefe Wilhelms v. Humboldt an Jacobi 
zu veröffentlichen, die, ein Seitenſtück zu denen an Forfter, ein für fein 





Leitzmann A., Tagebuch Wilhelm von Humboldt3. 663 


Empfindungs- und Gedanfenleben vorzugsweife einflußreiches Verhältnis 
in der wiünjchenswerteiten Weile klar legen. Cine Anzahl ungedrudter 
Aufſätze Humboldt3 aus verjchtedenen Werioden, darunter die in den 
Briefen an Schweighäufer erwähnte Schilderung der Epoche des Verfalls 
des Griechentums, iſt demfelben Herausgeber zur Veröffentlichung anvertraut, 
und in dem dritten Hefte dev Quellenſchriften zur neueren deutſchen Yiteratur- 
und Getitesgefchichte liegt uns gegenwärtig das Tagebuch Humboldts von 
feiner Reife nah Norddeutichland im Jahre 1796 vor. 


Man fann über die Grenzen, in denen fich die Erläuterungen zu 
derartigen Anefdotis zu halten haben, verfchiedener Meinung fein. Alle 
folche Dokumente find doch nur Bausteine zu einer früher oder fpäter zu 
erwartenden biographiichen Gefamtdaritellung, fie nehmen einitweilen das 
Intereſſe nur folder Yeler in Anspruch, die im Ganzen und Großen mit 
der Berfönlichfeit des Mannes und mit dem Lebenskreiſe, in dem er Sich 
bewegte, ſchon vertraut find. Nur Winfe daher, wo und wie das Neue in 
das Belannte fich einveiht und außerdem Aufflärungen und Nachweife über 
nun erſt in den Geſichtskreis tretende ‘Berfonen und Verhältnifje werden von 
dem Herausgeber erwartet. Eine etwas weiter gehende Verpflichtung erwächit 
diefem, wenn das mitgeteilte Aftenftüct neben der Bedeutung, die es für die 
Charafteriitif feines Urhebers hat, auch in fachlicher Hinficht noch nad 
manchen Seiten hin felbitändig interefftert. So verhält es fich mit dem 
vorliegenden Tagebuh. Man wird daher Herrn Leitzmann für den ungemein 
forgfältigen und auskunftreichen Kommentar, mit dem er dasjelbe bis ins 
Einzelne verfehen hat, nur dankbar fein können. Je weniger ev einem Dritten 
nachzutragen übrig gelaflen bat, um fo mehr darf ſich unfere Anzeige damit 
begnügen, eine furze Summe des Ganzen zu ziehen und von den Außen— 
linien diefer Aufzeichnungen die Aufmerkſamkeit auf den perfönlichen Mittel— 
punft zurückzulenken. 


Wir befaßen bisher über Humboldts Reife ins nördliche Deutichland 
nur den in Varnhagens Denkwürdigkeiten gedructen Neifeberiht an Wolf 
vom 20. September 1796 und in diefen Bericht allerdings das Wichtigite 
und Interefianteite: die Begegnung mit Voß und Klopſtock und Humboldts 
Urteile über diefe Beiden. Der Entſchluß zu gerade diefer Reiſe war ihm 
plötslich gefommten, nachdem zuerſt eine andere nach dem Karlsbade geplant 
gewejen war. Ein ganzes Jahr nämlich hatte er in Tegel gelebt, wohin ex 
fich, fein Zufammenfein mit Schiller in Jena unterbrechend, feiner hoffnungs- 
los franfen Mutter wegen begeben hatte. Er fühlte jest das Bedürfnis, 
ih von dem Drud und Elend, die ihn in diefer Yage niedergehalten hatten, 
zu erholen. Er entichloß ich, in Begleitung feiner Frau und feiner nur 
erit vierjährigen Tochter, einen Ausflug nach dem nördlichen Deutjchland 
zu machen, da er, deflen Sinn nach dem Süden ſtand, fpäterhin nach diefen 

43° 


664 Leitzmann A., Tagebuch Wilhelm von Humboldts. 


Gegenden nicht mehr zu gelangen hoffte. Am 3. August machte er fich auf 
und langte am 17. September wieder in Berlin an, um dann von 1. November 
1796 bis Ende April 1797 nochmals den Verkehr mit Schiller in Jena 
wieder aufzunehmen. 

Jene Reife, die ihn über Stettin, Anklam, Greifswald und Stralfund 
nach Nügen, dann an der Hüfte der Ditfee entlang nad Roſtock, Lübeck, 
Eutin und Hamburg führte, war nach damaligen Begriffen eine große, nach 
damaligen Verhältniſſen eine befchwerliche Neife, wenn fte ihn doch nötigte, 
um 125 Meilen zuvücdzulegen, ungefähr 130 Stunden, mehrmals ganze 
Nächte hindurch, auf den elendeiten Wegen in der Boftkutfche, zwischendurch 
aber in meiſt chlechten Gafthöfen zuzubringen. Aber wie das Studium von 
Dandichriften durch die größere Mühe, die es verurfacht, einen Neiz hat, der 
dem gedrudten Werke fehlt, oder wie die alten Autoren denjenigen, der fie 
kurſoriſch, ohne gelehrt-kritiſchen Apparat lieſt, unmittelbarer anfprechen, 
weil fich nichts Fremde und Zerjtreuendes dazwischen ftellt, fo hatte der 
Keifende vor hundert Jahren, wenn er anders Augen und Ohren offen hielt, 
leicht mehr Gewinn als der heutige, dem ein bequemes Reiſehandbuch alles 
zurechtlegt, fo daß er faum etwas felbit zu fuchen, zu erforjchen, zu urteilen 
übrig behält. 

Zwar, nach jeiner gewiſſenhaften, gelehrtenmäßigen Weife hat Sumboldt 
nichts Wichtige3 ungelefen gelaffen, was die damalige ftatiltifch-topographifche 
und Reiſe-Literatur ihm lieferte: aber, wie gut er ſich auch vorbereitet hatte, 
in der Hauptiache iſt ev doch fein eigener Neifeführer und Reiſebeſchreiber. 
Mit jenem ruhigen Wiſſensdurſt, dem fein Stoff gleichgiltig iſt umd der 
nicht vorgreifend auf Nefultate dringt, verhält er fich durchaus aufnehmend, 
fammelnd, beichreibend, treu den augenblidlichen Eindruck wiedergebend. 
Man kann nichts weniger Geiftreiches lefen als diefes Tagebuch und erfennt 
doch durch. alle feine Aufzeichnungen und alle ſich ungejucht einfindenden 
Reflexionen einen Geift hindurch, in dem alles Aufgenommene Frucht anfegen 
wird. Mit müchterner Thatfächlichkeit befchreibt der Verfaſſer die Befchaffen- 
heit der Wege, Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit des Bodens, die Phyfiognomie 
der Gegend. Farbloſe Prädifate, wie angenehm und unangenehm, intereffant 
und unintereffant, begegnen häufig. Durchaus bleibt der Haupteindrud der 
der Vielſeitigkeit des Intereſſes. Wir meinen einen Nationalöfonomen oder 
Statiftifer zu begleiten; wir finden Notizen über Handel und Induſtrie, iiber 
gejellige Verhältniſſe, über PVerfaflungszuftände, über Yebensmittel- und 
Mietspreife, und müſſen uns namentlich auch Angaben über den Geldfurs, 
über die Beförderungsweife und über die Koſten der Neife gefallen laſſen. 
Nirgends verleugnet der Tagebuchsichreiber, daß er ein Naturfreund ift. 
Der Anblick des Meeres macht, wie einst der der fchweizerifchen Gebirgs- 
welt Epoche in feinem Gemüte, und hier noch am eheiten wird die trodne 
Genauigkeit feiner Landichaftsbilder durch einzelne aus dem Innern der 


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Leitzmann A., Tagebuh Wilhelm von Humboldts. 665 


Empfindung ftammende Lichtreflere belebt. Er Spricht von dem „heiligen 
und stillen Schauer‘, in den die Umgebung des Herthaſees auf Nügen die 
Seele verjenfe. Er giebt fich Nechenichaft von dem Eindrud, den die felfige 
Arkona mit dem Ausblik in die unendliche Ferne des Meeres hervorbringe. 
Ganz vereinzelt wirft er auch wohl eine allgemeine Betrachtung dazwiſchen 
wie die — man findet ſich in den Schillerfchen Ideenkreis verſetzt — daß 
die Größe der Naturgegenftände nach und nach abnehme und weiter zurück— 
weiche. Selbftveritändlich orientiert er fich auch über die Rügenſchen Alter: 
tümer und verfucht, ſich vorfichtig über ftreitige Fragen eine Anficht zu 
bilden. Auffallend Tpärlich und unbedeutend find die auf Kunst bezüglichen 
Bemerfungen, zu denen immerhin die Architektur der Städte und Kirchen 
reichlichen Anlaß gab. ES fehlt, icheint es, dem Betrachter ein eingehenderes 
Verſtändnis für die norddeutiche Gothik, für den Stil der großen Backſtein— 
bauten diefer Gegenden. Am ausführlichiten iſt er über die Kirche von 
Doberan; eben hier aber ſtoßen wir auf einen charafteriitiichen Zug der 
Geiſtesart des damaligen Humboldt. Weit Berwunderung Lieft diefer Sohn 
des achtzehnten Jahrhunderts die „lächerlichen und ſchimpflichen Inſchriften,“ 
von denen die Kirche voll iſt; er findet in ihnen ein abfchredendes Bild 
der „Blattheit, Geichmadlofigkeit und Nohheit der vorigen Jahrhunderte“, 
und in dieſe auffläreriich gebildete Gefchichtsbetrachtung mischt ſich auch 
nicht von ferne das Yächeln des Humors. 

Mit um jo erniterer Achtiamfeit jucht er Sitten und Gebräuche, 
Sinn und Nedeweife des Menſchenvolks zu erfunden, mit dem die Meile 
ihn in Berührung bringt. Das Schiffsweſen insbejondere iſt ihm neu. 
Sorglich unterrichtet er fich über Art und Einrichtung der Schiffe und über 
die üblichen Benennungen. Der Anteil, der er diefen Dingen zuwendet, 
verrät uns den Leſer der Ddyfiee. Darum befommen feine Bemerkungen 
bier, wie die über das Meer, eine leife poetische Färbung, einen gehobeneren 
Zug von Anfchanlichkeit und zugleich eine Tendenz ins allgemeine. Die 
ran, die ihn von Stettin aus in ihrem Fleinen Boote nach der Sanne— 
chen Mühle vudert, jcheint ihm mit „Homeriſcher Natvetät“ zu fprechen ; 
er laufcht ihren Erzählungen von „ſeefahrenden Leuten“ und fucht Sich den 
Einfluß der Lebensweise diefer Menschen auf ihren Vorftellungsfreis klar 
zu machen. Durchweg Ipielt das Anthropologische die hervorragendite Nolle, 
Die Nationalpbhyfiognomie und den Charakter dev Bewohner Nügens 3. B. 
zeichnet ev als aufmerffamer Beobachter. Am gefpannteiten jedoch richtet 
fich feine Beobachtungsgabe auf die einzelne Perſönlichkeit. Sein fo oft 
von ihm eingeftandenes Leidenschaftliches Antereffe für das Kennen- und 
Berftehenlernen fremder Jndividualitäten verleugnet fich feinen Augenblid. 
Mehr und mehr wird dies zum Hauptzweck der Neife, und am Schluß 
derjelben, während feines Hamburger Aufenthalts, iſt es ibm fait aus- 
ichlieglich „um die Menſchen, nicht um die Sachen zu thun“. Wo ihm ein 


666 Leitzmaun A., Tagebuch Wilhelm von Humboldts. 


Menſchenkind „intereflant“ erjcheint, da ſtudiert ev dasjelbe gleichſam me— 
tbodisch und legt, wie der Botanifer eine merkwürdige Pflanze, das Bild, 
das er erfaßt bat, in feiner Sammelmappe nieder. So hat er inSbejondere 
fein Zufammentreffen und feine Unterredungen mit Voß und Klopſtock 
protofolliert, am meisten den Erfteren, zugleich mit deffen Ansicht über das 
flafftiche Altertum, über Meetriiches und Poetiſches, in feiner ganzen Eigen— 
tümmlichfeit zu verftehen und zu würdigen ich angelegen fein laffen. In 
dem reichen Album von Bortraits, das er in Hamburg fammelt, feifelt uns 
unter anderen die Zeichung des franzöftichen Gefandten Reinhard. Merk— 
wiirdig in andrem Betracht, welche Mühe es ihm macht — da „feine eigne 
Natur nun diefer gerade entgegenläuft“, — ſich die Ideen des myſtiſchen 
Naturphilofophen Baader einigermaßen deutlich zu machen. Das anztehendite 
Probeſtück feiner Menfchenbeobachtung endlich iſt ohne Zweifel die Auf- 
zeichung Über Dumouriez, den er in äußerer Erſcheinung, Haltung, Be 
wegung und Nede, Manier und Charakter uns aufs Ausführlichite vor- 
führt. Diefer Sinn für individuelle Meenjchenart, diefe methodische Ge— 
wohnheit, in Mienen und Worten eines andern zu lefen und das Gelejene 
feitzuihalten, diente urjprünglich einem theoretifchen Intereſſe; aber in be— 
itändiger Uebung bildete fich daraus eine praftifche Geſchicklichkeit, die nach- 
mals dem Staatsmann zu aute gefommen ift. Nicht zum wenigiten in der 
Schule diefer Uebung bat Jich Humboldt zum Diplomaten gebildet, 

Eins freilich vermiſſen wir an jeinen Meenschenfchilderungen. Die 
abgezeichneten Züge vereinigen fich feineswegs zu einem leicht überjchau- 
lichen, einheitlich geichlofjenen Bilde. Dieſe Humboldtſchen Perſonalauf— 
nahmen find gänzlich verfchieden von jenen überfchwänglichen, von innen 
heraus entworfenen, lebendigen Charafteriitifen des Züricher Phyſiognomen. 
Ste ftreben nach peinlicher Treue, aber es fehlt ihnen die gleichlam dra- 
matiſche Einheit, welche Yavater fernen fe, grob und manierirt ſkizzierten, 
von der Empfindung und der Bhantafie gefärbten Portraits zu geben weiß. 
Zu einem Bilde wird das Signalement erit werden, wenn der Verfafler 
jpäter zu feinen gefammelten Materialien zurückkehren wird.  Diefelbe 
Vorläufigkeit ımd Unfertigfeit hängt eben allen Aufzeichnungen unſeres 
Manuffripts an. So freiwillig und von ſelbſt wie einem Dichter oder 
Künſtler jeßt Sich diefem Beobachter das Geſehene und Gehörte nicht in ein 
Bild, jest fich Erlebnis nicht im Gefchichte um. In buntem Durcheinander, 
am Faden mur der zeitlichen Aufernanderfolge führt er eben Tagebuch. 
Zu ordnender Zufammenfaffung finden fi) nur erit Anfäte, wie wenn er 
nach der Bereifung Nügens eine Geſamtcharakteriſtik der Inſel giebt, oder 
wenn er auf den ausführlichen Katalog von Hamburger Berfönlichkeiten 
eine fürzere Schilderung des Lokals folgen läßt. Wir fagen uns, daß fehr 
wohl bet jpäterer Bearbeitung aus dieſem Tagebuch ein anfchanlicher, an- 
Iprechender und gedantenreicher Bericht hätte werden können wie der über 


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Müller J., Jean Paul und feine Bedeutung für die Gegenwart. 667 


den Miontferrat oder wie die Neifeffizzen aus Biscaya. Ohne Zweifel, auch 
diefen forgfältig gefeilten und ftiliftiich abgerundeten Auffägen haben ähn- 
liche Aufzeichnungen wie die über die morddeutiche Neife, wie das nur noch 
in Fragmenten erhaltene Journal feiner Neife vom Jahr 1788 oder wie 
das leider verloren gegangene Tagebuch über die Schweizer Neife vom 
Jahr 1789 zu grumde gelegen. Daß wir daher von bier aus, wenn auch 
nur auf dem Wege der Analogie, einen Einblif in die Entftehung jener 
ausgebildeten Stüde und in die fchriftitellerische Miethode Humboldts ge- 
innen, ift ein Grund mehr, uns der Veröffentlichung des hier vorliegenden 
Tagebuchs zu freuen. 


Halle. R. Haym. 


Müller J. Jean Paul und feine Bedeutung für die Gegenwart. München. 
Lüneburg. 1894. 9 M. 


Diefes Buch follte eigentlich heißen „Jean Paul als Erzieher“, denn nicht 
eigentlich als Forſcher, der die Ergebniffe feiner Arbeit mitteilt, fondern als Rultur- 
prediger werdet fich der Berfaffer ar feine Pefer. Zu fo vielen Erzieher, welche 
dem deutschen Bolf bisher empfohlen worden find, gefellt ſich alfo noch ein weiterer, 
Su der That, es beginnt bereits einigermaßen fehwierig zu werden, ſich in dem 
Walde von MWegmweifern zurechtzufinden umd man fünnte uns Deutfche jet ftatt 
Bolf der Denker vielleicht mit befferem Rechte das Volk mit den Erziehern nennen; 
möchte doch der Saß, der fih in Müllers Schrift findet, niemals auf uns An— 
wendung gewinnen: Turba medieorum perdidit Caesarem. 

Wie bei Rembrandt-Langbehn, jo erfährt auch bei Müller das geiftige 
Leben der Gegenwart eine ungünftige Beurteilung. Beide erbliden in dem 
Mangel an Individualität das Hauptgebrehen der Zeit und beide empfehlen 
einen nationalen Kiünftler als das Ideal, an dem das deutſche Volk zu neuer 
Kraft erftarken joll, wie Antäus an der mütterlichen Erde; felbft der Vergleich mit 
Antäus findet fich hier wie dort. 

Ich muß befennen, daß mir diefes Syftem der ausschließlich befugten 
Kulturheiligen vollftändig verfehlt erfcheint. ES erwartet von irgend einem unferer 
großen Männer eine Wirkung auf die Entwicdlung des Volkes, welche nur von 
allen zufammen ausgehen kann und macht diefen Einen zum Univerſalheilmittel, 
obwohl ſchon die Heberlegung, daß fein Einzelner, und fei er der Größte, den 
geiftigen Reichtum einer Nation auch nur annähernd erjchöpft, die Ausfichts- 
fofigfeit ſolcher Fünftliher Konftruftionen deutlich vor Augen ftellt. Allein auch 
abgejehen davon erweden die principiellen Ausführungen Müllers mancherlei 
Bedenken. So vor allem die Darlegungen über den für ihm jo wichtigen Begriff 
der Perſönlichkeit. Zunächft erfahren wir, daß das Wefen derfelben überhaupt 
nicht in Begriffen ausgedrüct werden könne (S. 4), anderwärts ift jedoch wiederum 
von einer Verſenkung in den innerſten Kern der Individualität die Rede (©. 7), 
ja gerade hier foll fih das Geheimnis des Dafeins am tiefjten offenbaren (©. 4). 
Meiner Meinung nach ftehen diefe Sätze mit einander in Widerfprud. Entweder 
fünnen wir die Perjünlichfeit durch irgend ein natürliches Erkenntnisvermögen 
erfaffen und in diefem Falle können wir fie durch Begriffe ausdrüden oder fie 
bleibt uns fchlechthin unerfennbar. Den Ausweg der Annahme einer übernatür- 
lichen Offenbarung zu betreten, dürfte der Berfaffer nach einer ©. 139 abgegebenen 
Erklärung faum geneigt jein. 


668 Schulte vom Brühl, Otto Müller. 


Dem, was Müller über den Wert der Perfönlichkeit, d. h. der Indi— 
vidnalität für Wiffenfchaft, Kunſt und Leben jagt, wird man gerne beiftimmen, 
nur möchte ich bezweifeln, daß die Beihränfung auf ein einziges Vorbild das 
richtige Meitttel fei, um einen befonderen Neihtum von Individualitäten heran- 
zubilden. Uebrigens hat ſchon viel früher vor Yangbehn und Müller John Stuart 
Mitt in feinem berühmten Auffate über die Freiheit die Frage nad) der Be— 
deutung der Individualität mit großer Umfiht und eindringender Schärfe be- 
handelt, freilich ohne jene Zuthat von Myſtik, welche oft für Tiefe gilt, obwohl 
man fie beffev Untiefe nennen würde, weil an ihr das Verſtändnis ftrandet. 
Glücklicherweiſe bleibt das Maß, in welchem Müller diefer nun wiederum literatur— 
fähig gewordenen Geiftesrihtung Huldigt, weit hinter dem bon Rembrandt: 
Langbehn Geleifteten zurüd, welcher im wolfigen Orakelton und mit Prapheten- 
geberde Behauptungen vorträgt, deren Logik lebhaft an das Hereneinmaleins 
erinnert. 

Daß Jean Paul durch Neinheit des Charakters, edle Herzenswärme, Hoheit 
der Gefinnung, Größe der Gedanken und durch den mächtig fortreißenden Schwung, 
mit welchem er fie ausfpricht, dazu berufen ift, einen Platz unter den geiftigen 
Führern unferes Bolfes einzunehmen, fteht außer Frage und gewiß wird Müllers 
Buch dazu beitragen, dieſe Ueberzeugung im weiten Kreifen zu verbreiten, jchon 
dur die Mitteilung vieler von den herrlichen Ausſprüchen des Dichters, aus 
welchen fich leicht ein weltliches Erbauungsbuch zufammenftellen liege. Mit Recht 
hebt der BVerfaffer als ein für umfere Zeit befonders wertvolles Bildungselement 
den Optimismus Jean Pauls hervor, welcher nicht aus der Sucht nach poetifcher 
Schönfärberei entjpringt, jondern eine Frucht der bis zur Virtuofität ausgebildeten 
Fähigkeit ift, das Gute überall herauszufinden; es erquidt fürmlid, nad fo 
vielem anfpruchspollen Weltſchmerz wieder einmal einem Gemüte zu begegnen, 
welches mit liebevoller Empfänglichkeit jelbft zu dem Kleinften Freuden des Lebens 
fih niederbüdt, an denen ein ftumpfer Sinn achtlos vorübergeht. 

Bon der Weltanfhauung Jean Pauls empfangen wir aus der Hand des 
Berfaffers ein mit Berftändnis und Sachkenntnis entworfenes Bild, Die bes 
herrſchende Stellung der Religion wird mit Recht hervorgehoben. Als bejonders 
verdienftlich möchte ich es bezeichnen, daß Müller den philoſophiſchen Anfichten 
des großen Humoriſten eine ausführliche Darftellung widmet, denn bisher fonnte 
Sean Paul als Denker neben Leſſing und Schiller nicht zu feinem Rechte fommen. 
Und doch verdient er Beachtung, nicht nur wegen mancher trefflichen Bemerkung 
namentlich über Gegenjtände der Moral, Aefthetif und Pädagogik, fondern ſchon 
deshalb, weil ex für die Verirrungen der Zeitphilofophie ein ſcharfes Auge bejaß, 
was 3. B. jeine Clavis Fichttana bezeugt. 

Zum Schluffe will ich noch bemerken, daß es für Müllers Buch von 
Borteil gewefen wäre, wenn der Berfafjer feinen Citaten immer den Autornamen 
und Titel des angeführten Werkes beigefügt hätte; Gänfefüßchen find mur ein 
negatives Orientierungsmittel, auch befindet man fich zuweilen in Ungewißheit 
darüber, ob man eine Anficht Müllers oder Jean Pauls vor fi) hat. Sollte 
dem Berfafjer die Gelegenheit geboten werden, noch einmal mit feinem Werke 
vor das Publiftum zu treten, jo würde er gut thun, diefe Mängel der Form zu 
verbefjern. 


Prag. Emil Arleth. 
Schulte vom Brühl, Otto Müller. Ein deutſches Dichterleben, dargeftellt 
nad) des Dichters Briefen. Stuttgart, A. Bonz & Co. 18%. 50 X. 


Bor Fahresfrift jtarb in Stuttgart der heſſiſche Romanſchriftſteller Dtto 
Müller, der einft viel gelefene Verfaffer von „Charlotte Adermann“, „Bürger“, 


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Flathe Th., Deutfche Reden. 669 


„Der Profeffor von Heidelberg“, und ein jüngerer Freund hat fich die dankbare 
Aufgabe geftellt, das Leben und Schaffen des Hingejchiedenen in knappen Zügen 
zu erzählen und zwar — wie es auf dem Titel des Büchleins heißt — nad) des 
Dichters Briefen, d. h. lediglich nach den Briefen, die Schulte felbft von Müller 
erhalten hat. Der Skizze ift eine Erweiterung in dem Sinne zu wünfchen, daß 
fih der Herr Berfaffer nad) den zahlreichen übrigen Briefen Müllers, überhaupt 
nach reichlicherem Material umfehen möchte. Der bejte Gewährsmann für alles 
Biographifche und Literarifche, namentlich der frühern Zeit, wäre der in London 
lebende Fugendfreund Otto Müllers, J. W. Appell, der Autor des allbefannten 
Buches: „Werther und feine Zeit”, das ſoeben in neuer Auflage erjcheint. In 
der Geftalt, in der das Schriftchen vorliegt, macht fich vielfach der Mangel an 
Kenntnis des Details geltend. Einige Berihtigungen mögen hier — teilmeife 
nah Mitteilungen meines verehrten Freundes Appell — folgen. ©. 18: Die Ehe 
Müllers mit Guftava Fritze wurde 1847 gefchloffen. Die junge Frau ftarb ſchon 
nad fünf Jahren. Müller wohnte mit ihr nicht am Großen Hirfchengraben in 
Frankfurt (S. 19), jondern er fiedelte bald nach feiner Bermählung nah Mann- 
heim über an die Redaktion des „Mannheimer Journals“. Erft bei feinem zweiten 
Aufenthalt in Frankfurt als Witwer nahm er fein Quartier am Großen Hirfchen- 
graben. Unrichtig find ©. 21 die Angaben über den Roman „Die Mediatifterten. 
Derjelbe wurde in Frankfurt beendigt und erfchien im „Frankfurter Konver- 
jationsblatt” unter dem Titel „Marlo“, bevor Müller feine Guftava je gejehen 
hatte (die jomit mit der Heldin des Nomans nichts zu ſchaffen hat). ©. 25: 
D. Müllers befte Erzählung „Der Tannenſchütz“ entftand nicht erſt nach 1852 
in Bremen, fondern war fehon 1847 zum großen Teil fertig umd erhielt dort 
fediglih ihren Abſchluß. ©. 31 3. 2 von unten ftatt „Frankfurter Patrizier- 
haus“ lies: „Kaufherrenhaus“. Falich find ferner die Angaben auf ©. 33, wonad) 
Dtto Müller Ende der jehsziger Jahre nach Zürich gezogen fei. Vielmehr wohnte 
er damals längere Zeit in Schaffhaufen (dort lernte ich als Student ihn fennen) 
und faufte fih und feinem Sohne das Bürgerrecht in meiner Heimatgemeinde 
Schleitheim. ©. 53: In dem Verzeichnis feiner Schriften fehlen folgende Werte: 
„Frühlings-Park“. (Novellen) 2 Zeile. Frankfurt a. M. Sauerländer. 1837. 
„Petrus von Vinea“ im „Frankfurter Konverfationsblatt” von 1845 und 46 er- 
ſchienen, ein hiftorifcher Roman von vomantifcher Färbung, ſpäter nicht wieder 
gedrudt. Den Roman „Charlotte Adermann“ überjette J. J. Porchat ins 
Sranzöfifche: „Charlotte Ackermann, souvenirs du theätre de Hambourg 
au 15me siecle* (Paris 1854). Auf Müllers eigene Veranlaffung und unter 
feiner Aufſicht wurde diefer Roman auch für die Bühne bearbeitet: „Charlotte 
Adermann. Drama in fünf Aufzügen nah dem gleichnamigen Roman Otto 
Müllers. Als Manuffript gedrudt" (Frankfurt a. M. 1854. 76 ©.). Das 
Stüd hatte feinen Erfolg. 
Zürid. Jakob Baechtold. 


Flathe Th. Deutſche Reden. Denkmäler zur vaterländiſchen Geſchichte 
des neunzehnten Jahrhunderts. Erſter Band 1508—1865. Leipzig, 
% W. von Biedermann 1893. Zweiter Band 1867—1893. 
Ebenda 1894. 20 M. 

Es find deutfche Neden, nicht die deutſche Beredſamkeit des 19. Jahr- 
hunderts, die uns in diefer Sammlung vorgeführt werden — Reden die, 
wie der Subtitel jagt, Denkmäler der vaterländiichen Gefchichte find. Vater— 
ländiich it hier aber nicht im Sinne des Arndtichen Yıedes, ſondern 


670 Flathe Th., Deutſche Reden. 


modern-politiſch gemeint oder mit andern Worten, nur die Geſchichte der 
Finder des neuen deutſchen Neiches wird berückſichtigt — öſterreichiſche 
Redner find gar nicht vertreten, weder Schmerling, noch Julius Alerander 
Schindler, weder Müblfeld, noch Pater Greuter, Und es find nur poli- 
tiſche Neden und Feitreden, die eine politische Bedeutung haben, aufgenommen, 
die Beredfamfeit der Kanzel lernen wir hier fowenig kennen wie die des 
Serichtsfaales. Laſſalles Verteidigungsreden — „man ſpürt“, jagt Mehring 
von ihnen — „noch heute zwischen den toten Zeilen etwas von dem Ent- 
zücfen, mit welchem ihr Urheber diefe meist ftegreichen Schlachten ſchlug“ — 
fie fehlen ebenfo, wie die Vredigten, Anfprachen, Hirtenbriefe des Biſchofs 
Ketteler: „die. größten und wirffamiten, die einzigen Agitatoren biftorifchen 
Stils, welche die neuere Geschichte Deutichlands kennt“ — find in diefer 
vednerifchen Galerie unvertreten. Das foll natürlich fein Vorwurf, kann 
feiner jein: der Herausgeber hat fich ein engeres Programm gezogen, ex 
bezeichnet eS auch auf dem Titel deutlich genug. Sch will damit nur fagen, 
daß darım die Sammlung mehr ein Yefebuch zur Illuſtration der neueren 
deutſchen Geſchichte darstellt, fie hat feinen Literarhiftorifchen Zweck und 
will faum einem folchen dienen. Allerdings auch fo fünnte man gegen die 
Auswahl, die getroffen ift, manches einwenden. Warum eine fo große 
Zahl akademiſcher Reden und feine einzige von Nanfe darunter ? A. Boeckh, 
Hegel, Steinthal, Jacob Grimm, Treitichfe, Döllinger, Du Bois-Neymond, 
E. Curtius dürfen fih hören laffen und Nanfe nicht. Die Sammlung, 
beißt es in dem Vorwort, will nur folche Neden aneinanderreihen, die zu 
der nationalen Entwicklung des deutfchen Volkes in irgend welcher Be- 
ziehung ſtehen, ferner: fie will Meiſterſtücke deutscher Beredjamfeit bieten. 
Nun, wir willen nicht ob Steinthals Nede über Wilhelm von Humboldt 
diefe beiden Bedingungen in höherem oder auch nur in gleichem Maße ex- 
firllt wie die Neden, die Nanfe 1870 und 1871 in der Münchener biftorischen 
Kommiſſion hielt. Gerade bei Neden kommt es doch auch ſehr darauf an, 
wer fie redet. Was Ranke fagte, machte feinen Weg durch die ganze ge- 
bildete Welt — was Steinthal fagte, blieb innerhalb eines Fleinen Kreifes. 
Indes, über die Auswahl der Neden in Bezug auf ihren Inhalt zu rechten, 
it bier nicht der Drt, und was ein Meiſterſtück deutfcher Beredſamkeit ift 
und was nicht, darüber dürften die Meinungen gar zu ſehr auseinander- 
gehen. Man müßte ja die Neden auch hören und ihre Wirfung erfahren. 
Es iſt alfo ziemlich müſſig, darüber zu fprechen. Im Ganzen tft ja der 
Herausgeber jehr umfichtig zu Werke gegangen, beionders hat er jede Be- 
vorzugung einer beftimmten polittichen Richtung forgfältig vermieden: Kon— 
ferbative und Freifinnige, Centrumsmänner und Socialdemofraten fommen 
zum Wort, oft über diefelbe Frage. Und die Neden, die feiner Zeit die 
ſtärkſte Wirkung hatten, die von den Zeitgenofien als außerordentlich 
empfunden wurden, die finden ſich auch fast alle hier. 


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Flathe Th., Deutſche Neden. 671 


Trotdem daß nun aber diefe „Deutſche Neden“ nur Fehr loſe Frag- 
mente der deutfchen Beredfamkfeit des 19. Jahrhunderts darstellen, jo wird 
der Piterarhiitorifer daraus doch einige Momente ihrer Entwicklung fennen 
lernen fünnen. Leicht freilich dürfte das nicht fein. Denn es ift ja unferes 
Wiſſens noch nicht umnterfucht worden, mit welchem Erbteil die deutjche 
Redekunſt in das Jahrhundert eintrat und was fte an Formeln und Wend— 
ungen aus dev Fremde entlieh. Lieſt man indes die Neden, die Flathe 
aus den Jahren 1808 bis 1848 beibringt, jo wird man auf den Gedanken 
fommen, daß die akademiſche Beredfamfeit der heimische Befttitod mar 
mit dem die politischen Redner diefes Zeitraums wucherten: Dann — nad 
1835 — erfennt man wohl auch den Einfluß, den die Franzöfischen Kammer— 
debatten — fie wiefen ja bis zur Julirevolution oratorische Prunkſtücke 
genug auf — auf die deutichen landftändischen Parlamentarier ausgeübt 
haben. Db sich auch englischer Einfluß nachweisen ließe, wagen wir nicht 
einmal zu vermuten, — Leute wie Stein oder Gent, die aber in unferer 
Sammlung nicht erfcheinen konnten, weil fie niemals als Nedner auf- 
getreten find — haben wohl die englischen Barlamentsdebatten im Original 
ftudiert, bet Dahlmann und Rotteck iſt es wahricheinlich, bei J. G. Wirth 
ſchon zweifelhaft, jedenfalls ſchlägt bei diefen das franzöftiche Muſter vor. 
Auch Anklänge Firchlicher Beredfamkfeit wird man endlich in manchen von 
diefen Reden vernehmen und zwar der firchlich proteftantiichen, wenigſtens 
in dev mitgeteilten Nede des Bırfchenfchafters K. Haſe von 18. Dftober 
1820 find fie unverkennbar. 

Das Ueberlieferte, das Fremde, das Typiiche iſt jedoch bier jo wenig 
wie anderswo das Intereſſante. Was ein jeder von feiner eigenen Indi— 
vidualität hineinlegt, das iſt's, was ung anzieht. Nein ausfcheiden läßt 
fich dies nun Freilich jo lange nicht, als man jenes nicht aenau fennt. 
Aber ungefähr fann man e3 doch in vielen der mitgeteilten Reden erkennen. 
Wir müffen hier die Bemerkung wiederholen: es ift zur vechten Erfenntnis 
und Beurteilung einer Nede notwendig, daß man den Redner ſieht und 
hört; eine Sammlung, die uns die hervorragenditen Erfceheinungen der 
Redekunſt vorführen will, jollte denn auch alle Nachrichten enthalten, die 
über die perfünliche Eigenart des Redners — fein Auftreten, fein Organ, 
feine Geberden, fein Temperament ꝛc. — überliefert find. Hie und da gibt 
Flathe eine folche Notiz, aber nicht häufig genug. Wenn man 3. B. die 
Rede lieft, mit der Bennigien am 1. April 1867 im norddeutſchen Neichs 
tag die Bundesregierungen über Yuremburg interpellierte und dann die 
Entgegnung des Bundesfanzlers Grafen Bismard, jo wird man ſich von 
der Individualität beider Redner feinen Begriff machen können; beide Reden 
leben fich jo überaus ähnlich, der ganze Unterfchied ıft, daß bier ein Ab— 
geordneter und da ein Mitglied der Negierung redet. „Wie oft rührt uns 
ein Wort“, fagt Nanfe, „das an fich feinen Wert hätte, weil es ein Mensch 


672 Flathe Th., Deutfche Neden. 


jagt, der dahinteritebt, der eS belebt.” Lebendige Gegenwart wird freilich 
feine ſpätere Befchreibung erfegen, aber fte gibt der Bhantafie doch einen 
Anhaltspunkt, Ste fann ahnen laffen. Wäre eine Rede Rankes in die 
Sammlung aufgenommen, fo hätten wir z. B. die Schilderung, die Julian 
Schmidt von der Vortragsweiſe des Meisters gibt, gewünscht. ES fcheint 
uns auch nicht überflüffig, zu bemerfen, daß Laſſalle feine Berteidigungs- 
veden dor Gericht niemals anders als in elegantefter Balltoilette hielt. 
Jenn wir erfahren, wie Hegel feine Reden Sprach — oder vielmehr ablas 
— ſo wird man al3bald erfennen, daß die unferer Sammlung gegebene 
Anſprache bei Eröffnung feiner Vorlefungen zu Heidelberg (1816) eigentlich 
gar feine Rede ift, jondern die Einleitung zu einem Buch. 

Bezeichnen wir num aber doch einige Stüde, in denen auch fo, in den 
bloßen Worten allen — nicht im Inhalt — in den Worten, Süßen, Wend- 
ungen, Bildern etwas Individuelles Liegt oder zu liegen Scheint. Da iſt zuerit 
Dahlmann. Unter den Akademikern, die in der erſten Abteilung die Majorität 
ausmachen, tit er der Einzige, der nichts afademisches in feiner Nede hat. Er 
bildet feine funftvollen Perioden, er verwendet felten Nelativfäte und wenn 
er es thut, leitet er ſie mit „der die das“ nicht mit „welcher“ ein, er verfürzt 
niemals Nebenfäte mit dent unvolfstümlichen Participium präfens, das wir 
z. B. bei Motte oft genug finden, er flieht feine Reminiscenzen an die 
riechen und Nömer ein. Es iſt alles marfig, männlich, ernſt: wo einmal 
eine vhetorische Figur gebraucht wird, eine Wiederholung, ein Barallelismus 
in den Sätzen („Deutichland ift da durch fein Volk... Deutſchland it da, 
bevor noch feine Bundesafte ausgefertigt wird“) da fordert e8 mächtig über— 
quellendes Gefühl. Aber gleich wird es wieder gebändigt, der Nedner 
geftattet Fich Fein fentimentales Verweilen, Fein Schwelgen im Sieges- 
bewußtiein oder in Zukunftshoffnung; ruhigen, feſten Schrittes wandelt er 
weiter. Wie ganz anders die Schon erwähnte Nede K. Hafes „Am fiebenten 
Jahrestag der Schlacht bei Leipzig vor einer Perfammlung von Burfchen- 
ichaftern, 18. Dftober 1820°! Da find Worte und Sätze bei weitem nicht 
jo perjönlich geprägt wie bei Dahlmann, wir vernehmen alle möglichen 
literarischen Anklänge, von den Zeiten des Sturmes und Dranges bis in 
die Spätromantif jener Tage. Gleich am Anfang ei offtanifches Bild: 
die tranernden Jünglinge in öder finftrer Nacht — „feine Flamme lodert“ 
— stehen einfam un den Hügel der Schlacht „wie Geifter aus einer andern 
Zeit,“ der Wind weht fchneidend durch die Yoden. Ein Wandrer zieht 
vorüber und (noch einmal! „im Sturm“ erfpäht er ihre dunfeln Gejtalten 
und hört ihre einfamen Stimmen. Dann erinnert der Redner an den eben 
veritorbenen Feldmarichall Schwarzenberg — jchnell idealiſiert er dieſen 
zu einem idealen Helden hinauf, er ift ihm auf dem Totenbett „ein Bild, 
ein Zeichen der Zeit“. Reminiscenzen aus dem Flaffifchen Altertum folgen, 
Worte des Tacitus werden citiert, die zehntaufend Kämpfer von Marathon 


_ Dr u Fe a aa 


Flathe Th., Deutfche Reden. 673 


beraufbejchworen, ja ſelbſt Leonidas und feine Perſer bleiben uns nicht 
eripart. Biblische Accente werden angeichlagen („die Gefichte, die der Seher 
Jehovahs gefchaut“), es erklingen Töne aus alten Kirchenliedern — „nehmen 
Sie ung Chr und Gut, Leib und Leben, laßt fahren dahin, ſie habens 
feinen Gewinn, das Reich mu uns doch bleiben“. Die „wenigen Edlen“ 
die Klopſtock einjt apoftrophiert hatte — fie waren in der berühmten Vor— 
rede von Gent’ Fragmenten zur Gejchichte des europäischen Gleichgewichtes 
al3 die einzige Hoffnung des gelunfenen Baterlands wiedererſchienen — 
tauchen auch bier wieder auf in der „Kleinen freien Schar”, die — ganz wie 
bei Gent und den andern patriotifchen Flugſchriftſtellern der napoleonischen 
Zeit — allein den Kampf führen gegen „die Eigenfüchtigen und Stleinherzigen, 
die Sleingläubigen und Knechtiſchen“. Den wirfungsvollen Schluß bilden 
Schwur, Berfluchung, Gebet — es find wohl jtehende Formeln dev Geheim— 
bündler aus der Franzofenzeit — das Gebet endigt wie das Vaterunſer 
der Protejtanten: „Dein tft die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Amen“. 
Wie bunt zufammen gewürfelt aber die Elemente, aus denen fich die Rede 
zufammenjett auch find, es weht uns aus ihr eine Fülle von Jünglings— 
fraft entgegen — nicht eine Perfönlichkeit, aber ein Yebensalter tritt uns 
da rem ausgeprägt entgegen und wie übertrieben und überjchwenglich uns 
auch ericheinen mag, was da gefagt tit: wie es gejagt wird, gewinnt doch 
unfere Sympathie. 

Eine ganz aufergewöhnliche Ericheinung unter den deutjchen Rednern 
des Jahrhunderts — feine andere Nation hat eine ahnliche aufzuweiſen — 
it König Friedrich Wilhelm IV. Daß ein König überhaupt mit feinen 
inneren Ueberzeugungen in freier öffentlicher Nede hervortrat, war wenigſtens 
bis dahin noch nicht dageweſen. Friedrich Wilhelm veritand es aber dabei 
immer König zu bleiben, er befaß, wenn wir jo jagen dürfen, troß feiner 
ungünstigen äußeren Erjcheinung, die Gefte und das Pathos des Königtums. 
Bom Thron herabfteigend, tritt er an den Nand der Tribüne, erhebt die 
Hand zum Schwur umd fpricht. Weit einem „Und“ fnüpft er lebendig an 
den Huldigungseid der Stände an. Mit direkter Frage wendet er fich an 
das Bolf, das unter freiem Himmel um ihn verfammelt ist. Und wenn die 
Leute antworten, fo quittiert ev gleichfam die Antwort: „Die Feier diejes 
Tages iſt wichtig für den Staat und die Welt . . . Ihr Ja aber war für 
mich... das werde ich in meiner Sterbeftunde nicht vergeffen, zum Zeugen 
bebe ich die Nechte zum Himmel empor.” Ex fucht überall volfstümliche 
Wendungen, er richtet fich nach den lofalen Traditionen, — die Kölner 
Natsherren redet er an „meine Herren von Köln“, und er schließt feinen 
Trinkſpruch auf die Stadt „Maf Köln!“ 

Von den Neden, die nach. 1848 gehalten worden find, wird wohl 
jeder gleich die von Bismarck auffchlagen. Freilich, wer Bismard als 
Redner fennen lernen will, der wird lieber nach der nun vollendeten Aus— 


674 Flathe Th., Deutjche Reden. 


gabe von Horit Kohl greifen, dort hat er alles beifammen. Aber ein bei- 
läufiges Bild wird man jich doch auch aus diefer Sammlung machen fönnen — 
bier hilft uns ja auch eigene Anschauung, eigene Erinnerung oder doch eine 
lebendige Tradition das gejchriebene Wort als Rede zur veritehen, wir 
wiſſen wie dev Redner ausgejehen hat, wir vernehmen gleichjam noch den 
Ton feiner Stimme. Die erjte Nede, die Flathe giebt, wurde von dem 
32jährigen Abgeordneten von Bismard in der Dreitändefurie des vereinigten 
prenftichen Yandtages am 31. Meat 1847 gehalten; fie enthält die befannte 
Aeußerung Über die Befreiungsfriege: „Sch habe immer geglaubt, daß die 
Stnechtichaft, gegen die damals gefämpft wurde, im Auslande gelegen habe; 
joeben bin ich aber belehrt worden, daß ſie im Inlande gelegen hat, und 
ich bin nicht jehr dankbar für diefe Aufklärung.“ ES folgen dann alle die 
Reden, die Bismard bis zum Jahre 1885 in den großen Kriſen des Yandes 
und ſpäter des Neiches gehalten hat: die vom 3. Dezember 1850, wo er 
vor einen Kriege für die Chimäre der deutichen Union warnte, die dom 
26. Februar 1863 „Ueber das Verhältnis Preußens zu dem in ‘Polen aus- 
gebrochenen Aufſtand“, die Begründung des Gejegentwurfes, die Einverleibung 
von Elſaß Lothringen betreffend vom 2. Mat 1871, die Beantwortungen der 
Interpellationen über die Yage ım Orient vom 19. Februar 1878, die Be- 
gründung des neuen Holltarifes vom 3. Mat 1879, endlich die Auseinander- 
ſetzung mit feinen Sauptgegnern E. Nichter und Windthorit bei der Beratung 
über den Gefegentwunrf betreffend die Bojtdampferverbindung mit überfeeischen 
Yündern. Wir vermiffen die Nede vom 30. Dezember 1861, in der das 
berühmte Wort vorfommt: „Nicht durch Barlamentsreden und Mlajoritäts- 
beichlüiffe werden die großen Fragen der Zeit entichteden . . . Jondern durch 
Eiſen und Blut.“ Und auch die Rede von 24. Januar 1882 hätten wir 
aufgenommen gewünſcht, wo Bısmard den Fonitituttonellen Fiktionen der 
Fortichrittspolitifer den biitorischen Charakter des preußischen Königtums 
entgegenhielt: Ranke ſah darin „einige der fchweriten Agonien des Zeitalters 
berührt.” 

Aber wir geraten von dem Wege ab, den wir uns vorgezeichnet haben, 
indem wir uns verloden lafien, auf den Inhalt der Reden einzugeben. 
Was mn aber die Form der ſpäteren und jpäteften Neden betrifft — die 
(este von B. Nogge bei der Grumdfteinlegung der Proteſtationskirche in 
Speyer wurde am 24. August 1893 gehalten — jo drängt fich uns die 
Bemerkung auf, dat fich nirgends in ihnen ein neuer oratorifcher Stil an— 
fündigt. Wer die belletriftifche und die popular-philojophiiche Yiteratur der 
leisten zehn Jahre auch nur beiläufig verfolgt hat, der wird wiſſen, daß fich 
da der Stil nicht unwesentlich änderte. Die Franzofen wirken wieder einmal 
als Vorbilder, einzelne unſerer Modernen, lefen fich wie mehr oder weniger 
aute Ueberjegungen aus dem modernſten Sranzöftichen. Dann aber ift der 
aeheimnisvoll aphoriftifche, der Prophetenſtil Nietiches da, der auch ſchon 


2 A ee A u Kan a nn 


Pol M., Deutſche Literatur in Amerika. 675 


feine Nachahmer gefunden hat. Weder von dem einen noch von dem andern 
fiidet fich eine Spur in den Reden unferer Sammlung: was nicht ein ganz 
beitimmt individuelles Gepräge trägt, wie die meisten der Bismarckſchen 
Reden, bewegt jich in den ausgetretenen Geleifen der älteren akademiſch— 
parlamentarischen Rhetorik gemächlich weiter. 

Wien. E. Guglia. 


Bericht über die während des Jahres 1894 in Amerifa ver— 
öffentlihten Aufſätze über deutſche Yiteratur. 

In dem neunten Bande der ‚Modern Language Notes‘ (Baltimore, 
Md., 1894, Seite 655—78) unterſucht Mar Winkler in einem Artikel „Goethe 
und Lenz“ betitelt, welcher dnncch Froigheims Buch über „Yenz und Goethe“ 
hervorgerufen zu fein jcheint, die Urſachen der abfälligen Beurteilung, welche 
Goethe jeinem ehemaligen Freunde hat zu teil werden laſſen. Winkler zieht 
die Stellen aus „Dichtung und Wahrheit“ und den „Biographifchen Einzel- 
heiten“ heran, welche Goethes VBerdachtsgründe über Yenz’ Benehmen als 
gerechtfertigt fünnten erjcheinen laſſen und unterjucht diefelben auf ihre 
Richtigkeit. Es find die folgenden: 1) Goethe (Dichtung und Wahrheit) 
findet Yenz’ Behauptung auffallend, dar deſſen „Schrift Anmerkungen 
übers Theater] zwei Jahre vor Erfcheinung der deutichen Art und Kunſt 
und des Götz von Berlichingen in einer Gefellichaft guter Freunde vor— 
gelefen fein fol“ (In Lenz’ Borreve zu den Anmerkungen). Ein literarifcher 
Kreis ın Straßburg, den er nicht fennen follte, ſchien ihm „etwas problematisch“. 
Winkler weit darauf hin, day die intime Freundſchaft zwifchen den beiden 
Männern erſt zwei Jahre nach der Vorlefung der „Anmerfungen“, 1773, 
entfprang, daß Goethe ausdrüdlich jagt: „Teine (Yenzens) Gefellichaft (in 
Straßburg) war nicht die meine,“ daß unter der „Geſellſchaft guter Freunde“ 
nicht die „Geſellſchaft der ſchönen Wiſſenſchaften“ zu verjtehen ift, zu der 
auch Goethe gehörte und schließlich, dan Goethe felbit es war, der einen 
Berleger für die „Anmerkungen“ beforgte. „Der Sat in der Vorrede zu 
den ‚Anmerkungen‘“, fährt der Verfafler fort, „icheint deshalb feinen Ver— 
dacht in Goethe im Jahre 1774 erregt zu haben. NVeirgends findet fich in 
der Slorrefpondenz jener Zeit eine Erwähnung folch eines Verdachtes. Im 
Gegenteil, die Freundſchaft zwischen den beiden Dicehtern wuchs mehr und 
mehr und war niemal3 wärmer als im Jahre 1775, als fie wieder in 
Straßburg zufammentrafen.“ Darauf wendet fih Winfler gegen Weinhold, 
der dadurch Goethes Verdacht umnterftütt, daß er fagt, der Stil der „An— 
merfungen“ zeige fo deutlich den Einfluß Herders, daß fie nicht vor der 
Veröffentlichung der Blätter „Won deuticher Art und Kunſt“ geichrieben fein 
fünnen. Der Verfaſſer findet in einer vermutlichen Ueberarbeitung der 
„Anmerkungen“, ehe fie dem Druck übergeben wurden, die Erklärung, denn 
„alles, was Lenz für Sich in Anſpruch nimmt, iſt ‘Priorität des Gedanfens, 


676 Pol M., Deutjche Literatur in Amerika. 


nicht Priorität der Sprache.” — 2) Goethe behauptet in den „Biographifchen 
Einzelheiten“, Yenz babe die Farce „Götter, Helden und Wieland“ nur 
druden laffen, um „ihm zu fehaden und ihn in der öffentlichen Meinung 
und ſonſt zu Grunde zu richten.“ Winkler widerlegt diefe Anklage durch 
den Hinweis, daß die Veröffentlihung mit Goethes Einwilligung geichehen 
fer und daß miemand damals Goethes Berufung nah Weimar habe vor- 
ausfehen fünnen, daß es deshalb nicht in Lenz' Abficht habe liegen fünnen, 
dur) Säen von Feindſchaft zwischen Wieland und Goethe, des letzteren 
Ausfichten am Hofe Karl Augufts zu zerftören. — 3) Goethe berichtet in den 
Biographiichen Einzelheiten über feinen Befuch bei Friederike im Jahre 1779, 
welche ihm von Yenz erzählte und feinem Bemühen, Goethes Briefe von 
ihr zu erhalten und daß ev „ſich ſchließlich verliebt in fie geftellt habe.“ 
Winkler vergleicht diefen Bericht mit den Briefe, den Goethe wenige Tage 
nach dem Zufammentreffen an Frau von Stein fcehrieb, in welchem Lenz’ 
Name garnicht erwähnt iſt. Er erflärt dies durch die Annahme daß auch 
Fran von Stein in die Kataſtrophe welche Yenz zur plößlichen Abreife von 
Weimar zwang, verwickelt gewefen und daß Goethe deshalb ihre Gefühle 
durch Nennung eines verhaßten Namens nicht verlegen wollte. Sodann 
beweist Winkler, daß Goethe zwei verjchiedene Befuche Yenzens bei Friederike 
zufammengeworfen haben muß, denjenigen, den er im Sommer 1772 ab- 
ftattete und bei welchem ex fich im Friederike verliebte und einen, den ex 
ihr Ende 1777 oder Anfang 1778 machte. Bitter wie damals feine Gefühle 
gegen Goethe wegen feiner Vertreibung aus Weimar waren und halb wahn- 
finnig wie er war, ift es wohl möglich, daß ev Goethe vor Friederife ver- 
leumdete und fogar verfuchte, einige von Goethens Briefen zu erhafchen. 
Diefes heftige Vorgehen mag einige unangenehme Scenen in Sejenheim 
verurfacht haben und von diefen mag Friederike Goethe erzählt haben, als 
ex Sie 1779 befuchte. Als Goethe im Jahre 1813 die vätjelhafte Bemerkung 
in den „Biographifchen Einzelheiten“ aufzeichnete, mögen die Yänge der Zeit 
und die ausgefprochen ungünftige Meinung, die er damals von Yenz’ 
Charakter hatte, ihn veranlaft haben, unabfichtlich zwei verſchiedene Perioden 
zu vermengen und Yenz fo darzustellen, als ob er beveitS 1772 fein Feind 
geweien ſei. (&. 72). Der Schluß des Artikels handelt von Yenzens 
„Eſelei“, welche „Goethe jo tief verwundete, daß er fpäter ſtets Lenz' Be— 
nehmen nur im Lichte jenes unglücklichen Ereignifjes betrachtete.“ (Ebenda). 
Winkler nimmt an, daß Sich auch Lenz in Frau von Stein verliebt und 
aus Neid ein oder wahrjcheinlich zwei Basquille verfaßt habe, deren Gegen- 
ftand Goethes Verhältnis zu Frau von Stein war. 

In derjelben Zeitichrift befindet fich auch ein kurzer Artikel von 
E. von Klenze über die beiden feheinbar in Widerspruch ftehenden Stellen 
in der „Emilia Galotti“, II, 6 und III, 3, welche Schon fo häufig Gegenftand 
der Beſprechung geweſen find. (‚Emilia Galotti II, 6%, Seite 427—431). 


—— 


Boll M., Deutſche Literatur in Amerifa. 677 


Dat Emilta ihrer Mutter, als fie ihr von ihrem Zuſammentreffen mit 
dem Prinzen während und nach der Meefe berichtet, jagt, fie habe ihm 
geantwortet, daß Hettore Gonzaga dagegen feinem Höfling Marinelli erzählt: 
„Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen Fonnt’ ich ihr auch nicht ein 
Wort auspreifen,“ erklärt Silenze durch „den Zauber, den der Prinz auf 
Emilia ausgeübt bat, und deflen fie fich zu ihrem Schreden bewußt ift. 
Sie erwiderte nichts, als der Prinz zu ihr in der Kirche ſprach. ... 
Während ſie ihrer Mutter von der Begegnung Mitteilung macht, laſſen 
Verwirrung und Furcht fie jedoch vergefien, was wirklich geſchehen it. 
Undeutlich erinnert fie ſich trot Furcht und Unwillens eine Empfindung der 
Freude veripürt zu haben und fie entfinnt fich, daß ſie ſtark verfucht gewesen, 
etwas zum Prinzen zu jagen. Deswegen glaubt fie, während fie mit der 
Mutter jpricht, daß fie ihm wirklich geantwortet habe. Sie geiteht that- 
fächlich zu, daß fie fich nicht von ihm losgeriſſen habe, entfchuldigt fich aber 
mit dem Vorwande: „Mich von ihm loszuwinden, würde die Vorbei— 
gehenden zu aufmerffam auf uns gemacht haben.“ Dadurch, daß ſie ihrer 
Mutter jagt, daß ſie dem Prinzen geantwortet habe, geiteht fie auf feine, 
obgleich unbewußte Weiſe ihre Schwäche für ihn, und der Sat enthüllt 
einen jener feinen pfychologischen Züge, an denen das Drama fo reich tft.“ 

Die lette Nummer der ‚Publications of the Modern Language 
Assoeiation‘ aus dem Jahre 1893 (Baltimore, Md.) enthält einen Aufſatz 
von Sylvefter Primer über Lelfings religiöſe Ansichten, mit bejonderer 
Bezugnahme auf Nathan den Werfen. (‚Lessing’s religious development 
with special reference to his Nathan the Wise.‘ (335—379). WBrimer 
verfolgt Leſſings veligiöfe Entwicklung chronologisch an der Hand der ein- 
ichlägigen Werke, mit den „Gedanken über die Herrenhuter” beginnend. Die 
Beiprechung des Nathan nimmt die größere Hälfte des Aufſatzes ein (Seite 352 
bis zum Schluß). In klarer, überfichtlicher Weiſe giebt der Verfaſſer einen 
furzen Abriß der Entitehungsgeichichte des Dramas und feiner Quellen, 
erläutert dann ausführlich die Bedeutung der Parabel von den drei Ringen, 
vergleicht alle befannten Verſionen derjelben und jchließt mit einer Charakteriſtik 
der Perfonen des dramatischen Gedichtes. 

Der neunte Jahrgang derfelben Zeitichrift (Baltimore, 1894) bringt 
eine eingehende Unterfuchung von Kirby 5. Smith über die Nolle, die der 
Wärwolf in der Literatur geipielt hat. (‚An historical study of the Wer- 
wolf in Literature‘ 1—42). Der Berfafler wirft zuerit die Frage auf, 
woher es fomme, daß die Sagen, welche die Metamorphofe eines Menfchen 
in die Geftalt eines Wolfes zum Gegenftande haben, weitaus zahlreicher 
find als andere verwandte Verwandlungsgefchichten. Er findet die Beant- 
wortung in dem weitverbreiteten Vorfommen Iſegrims in beinahe allen 
Teilen der Welt. Wohin der Menich in feinen Wanderungen vordrang, 
überall jtieß er auf diefen alten Feind und befämpfte ıhn. Deswegen haftet 

Eupborion II. 44 


678 Pol M., Deutfche Literatur in Amerika. 


auch jo viel Aberglauben an ibm. Smith teilt jodann einige Beiſpiele diefes 
Aberalaubens, römiſchen und griechischen Autoren entnommen, mit, Beispiele, 
welche zeigen, mit welchen Entſetzen der Menſch den Wolf zu betrachten und 
welche übernatürlichen Kräfte er ihm beizulegen pflegte. Diefe Furcht vor 
ihm bat fich auch auf die Sagen über den Wärmwolf verpflanzt. Unter 
Wärwolf hat man eine Perſon zu verstehen, welcher entweder von Natur 
die Gabe verlieben tt, Wolfsgeitalt anzunehmen oder welche durch Zauber- 
fünfte diefe Verwandlung mit fich vornehmen fann. Der Verfaffer geht 
dann dazu über, das Vorkommen der eriten Art des Wärwolf3 (‚the eon- 
stitutional type of the werwolf‘) in der Literatur zu verfolgen. Spuren 
fehr großen Alters zeigt die Erzählung des Petronius Arbiter (Satiricon 61), 
welche in wortgetreuer Uebertragung mitgeteilt wird. Das Charaftertitiiche 
der Lage in diefer Faſſung iſt, daß der Menſch ein Wolf wird, warn und 
wo er will, und in der Geftalt bleibt, jo lange es ihm gefällt, daß fein 
Beweggrund der gewöhnliche, der Blutdurft, ift. Aehnliche Züge enthalten 
die griechtiche Geschichte vom „Dieb und Gaſtwirt“ (Fabulae Aesopeae, 196, 
Sammlung von Mar. Planudes im 14. Jahrhundert), daS ‚Lai de Bis- 
clavret‘ von Marie de France und die hiermit verwandten ‚Histoire de 
Bielarel‘ und das ‚Lai de Melion‘. Darauf fommt der Verfaſſer auf die 
ältefte Wärwolffage in der Literatur zu Sprechen, auf die Gefchichte vom 
arfadiichen König Lykaon, von der er glaubt, das ſie urfprünglich in diefelbe 
Gruppe wie die Erzählung des Petronius gehörte. Nachdem Smith die 
verschiedenen griechiſchen und römischen Verſionen diefer Sage, in der er 
Spuren eines prähelleniſchen Menſchenopferkultus erblickt, mitgeteilt und 
mit einander verglichen hat, fommt er zu dem Schluß, daß wir hier eine 
ursprüngliche Wärwolfiage haben, welche Tpäter mit der Yyfaon-Erzählung 
und den Zeus-Lykeios-Kultus verbunden wurde. Aehnliche Züge zeigen auch 
die von Giraldus Cambrenſis (Topographia Hiberniae II, 19) und von 
Gervaſe von Tilbury (Otia Imperialia, ed. Liebrecht, S. 51) erzählten 
Geschichten. — Darauf wendet fich der Verfaffer zu der zweiten Art von 
Wärmwolfgefchiehten, in denen die Verwandlung durch Zauberei bewirkt wird. 
Das befte Beispiel für diefe Gattung findet er in der altnordiſchen Gefchichte 
von Sigmund und feinem Sohne Sinfiötli Volfungafaga, Kap. 5—8), wie 
iiberhaupt im ſkandinaviſchen Norden die Berwandlung eine bedeutende Rolle 
ipielte. Die beiden Wolfunge verbrennen die Wolfshäute, denen die Zauber- 
fraft innewohnt, ohne felbit an ihrem Körper Schmerzen zu empfinden 
(5. 29). Spätere Sagen, 3. B. eine flämiſche und armenifche, berichten, 
wie die Wärwölfe beim Verbrennen der Haut Qualen auszuftehen hätten, 
als ob fie felbft vom Feuer verzehrt witrden. An die Stelle der Wolfshaut 
tritt auch eine Zauberſalbe oder ein Zaubertrank ıc. (©. 35). Sodann 
werden die Ummwandlungen der Sage nach dem Auffommen des Chriften- 
tums und deflen Einfluß auf diefelbe weiter verfolgt. Smith fommt zu 


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Pol M., Deutfche Literatur in Amerika. 679 


dem Schluß, daß die Sage, wie fie Petronius erzählt, „ihren Urſprung in 
dem Zuftand der menschlichen Gefellfehaft hatte, welcher der Zeit voranging, 
un der fich der Menſch klar geworden war, daß ein Abitand zwischen ihm 
und den Tieren eriftierte. Für fol einen Mann war die Idee, ein Wolf, 
ein Bär oder irgend ein anderes Tier zu werden, das Natürlichite in der 
Welt. Die Notwendigkeit, die Berwandluug durch Zauberfräfte zu bewirken, 
fiel ihm erſt ſpäter ein” (©. 39) und „die dee, welche der altgermanifschen 
Sage zu Grunde liegt, it, obgleich Spätern Datums, Klar genug. Die Art 
Volkslogik, welche 3. B. jagt, thue ich eine MWolfshaut an, fo werde ich 
dadurch ein Wolf, iſt der ganzen Menfchheit gemeinfam. Die VBorftellung, 
dab Runen oder Zaubermittel damit verbunden fein müßten, war ursprünglich 
nicht notwendig“ (©. 40). 

In demfelben Bande der ‚Publications‘ (S. 343—402) iſt auch eine 
Anzahl Briefe von Sealsfield veröffentlicht. Die erſten zwanzig find nicht 
Driginalbriefe, fondern Auszüge, welche Elife Meyer aus den an fie ge 
Schriebenen und von ihr vernichteten Briefen gemacht hat. Bon den 23 andern, 
die an Marie Meyer und den Buchhändler Erhard gerichtet, find 8 bisher 
noch nicht im Druck erfchtenen. Die übrigen 15, welche B. Hamburger bereits 
in feinem Buche „Sealsfield-Poſtl“ mitgeteilt hat, find noch einmal mit den 
Driginalbriefen verglichen worden, wobei zahlreiche Auslaffungen und Fehler 
ans Tageslicht traten, die einen Wiederabdruck winfchenswert machten. 
Dbgleich die Briefe wenig Licht auf Poſtls eigene fchriftitellerifche Thätigfeit 
werfen, find fie doch wegen der offenen Beiprechung der Zeitereigniffe und 
gelegentlicher Fritifcher Bemerkungen (über Gutzkow, Sadländer, Dickens 
und andere) intereffant. Der Herausgeber iſt A. B. Fauft, der bereits m 
feiner Differtation ‚Charles Sealsfield (Carl Postl), Materials fora Biography; 
A Study of his Style; his Influence upon American Literature‘, Baltimore 
1892, ich eingehend mit SealsfteldS Leben und Werfen beichäftigt hat. 

Cambridge, Mail. Mar Boll. 


Nachtrag zu Seite 638. Zu den oben mitgeteilten Stellen Hum— 
boldtjeher Briefe gehört noch, was Humboldt am 7. November 1796 an Wolf 
ſchreibt (Geſammelte Werke 5, 172; die legten drei Sätze ungedrudt nad) dem 
Original in Tegel): „Schiller ift recht wohl, und ich verlebe täglich mit ihm 
einige intereſſante Stunden. Ueber die Xenien haben wir ziemlich viel mit einander 
gefprochen. Auf die Sonderung will er fich theils nicht einlaffen, theils hat ex 
mic ausdrüdlich gebeten, des Spafjes halber, auch das, was ich dur ihn 
erfahren unter uns zu laffen. Soviel aber, lieber Freund, kann ich Ihnen 
jagen, daß wir uns mächtiglich geirrt haben, und fogar in dem geivrt, wo wir 
ſchlechterdings nicht fehlen zu können glaubten. Auch muß ich die Nachricht 
meiner Frau, daß alle gegen Nicolai von Schiller wären, berichtigen. Gerade 
bon denen gegen Nicolai, und gegen Reichard find die meiften wor Goethe. 
Doch auch dieß nur unter ung.” A. L. 


44* 


Bibliographie. 


1. Beitfdriften. 


Derhandlungen der zweiundvierzigften Berfammlung deuticher Philologen 
und Schulmänner in Wien vom 24. bis 27. Mai 1893. 

Allgemeine Situngen. W. v. Hartel, Feitrede auf Graf Thun, Erner 
und Bonitz. 

Uſener H., Ueber vergleichende Sitten und Rechtsgeſchichte (Münchener 
Allgemeine Zeitung 1893 Nr. 148 und 150). 

Brandl A. Byron und die Antike. 

Schmidt E., Ueber die Xenien handſchriften. 

Berhandlungen der Sektionen: Pädagogiiche Sektion. Kehrbach K., Mit- 
teilungen über J. F. Herbarts pädagogifhes Seminar in Königsberg. 

Germaniftiihe Sektion. Schmidt E., Duellennachweife zu Leſſings 
Entwurf zum Horosfop. Das Hauptmotiv, der verhängnisvolle Orakelſpruch, 
beruhe auf der Parricidagefchichte inn „Mathematiceus* des Hildebertus 
Turonenfis. — W. Creizenadh ergänzt diefe Bemerkungen dahin, daß der 
Mathematieus auf der vierten Quintilianiſchen Deflamation beruhe und daß 
diefe Duelle Leifing näher liegen mußte als das mittelalterliche Gedicht. Be— 
weifend dafür ift, daß die Prophezeihung bei Leſſing wörtlich ebenfo lautet wie 
bei Quintilian. 

Sievers E., Zur Rhythmik und Melodif des neuhochdeutſchen 
Spredperjfes. 

Hauffen W., Das deutſche Volkslied in Defterreih-Ungarn. 

Szamatölsfi ©., Die Jahresberichte für neuere deutſche Literatur- 
geſchichte. 

Friedländer M., Ueber einige volkstümliche Lieder des 18. Jahr— 
hunderts. Günthers „Abſchied von feiner ungetreuen Liebſten“ und Hauffs 
„Morgenrot“ mit ihren Zwiſchengliedern. 2. Das Lied vom Kanapee. 

Verhandlungen der englifchen Sektion. Hartmann H., Zum Einfluß der 
englifchen Literatur auf die deutſche des achtzehnten Jahrhunderts. William 
Wycherley und Chriftian Felir Weiße. Weift die Abhängigkeit der „Amalia“ 
Weißes von Wycherleys „Plain-Dealer“ nad). 

Jahresberichte für neuere deutjche Literaturgefchichte. Dritter Band. 
(Sahr 1892). II. Abteilung. 

I. Allgemeiner Teil. 11. Werner R. M., Poetif und ihre Gefhichte. 

II. Bon der Mitte des 15. bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. 
1. Osborn M., Allgemeines. 

2. Ellinger G., Lyrik. 


a AT a a ⏑⏑ä— 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 681 


. Kamwerau W., Epos. 

. Bolte J., Drama. 

. Didaktif a) 1891 G. Noethe. b) 1892 A. E. Schönbad). 

. Ramerau G., Luther. 

. Kamwerau G., Reformationsliteratur. Der Bericht über die Erſchei— 
nungen des Jahres 1892 wird, mit dem Luther-Kapitel vereinigt, im vierten 
Bande nachgeliefert. 

8. Ellinger G., Humaniften und Neulateiner. 1891, 1892. 

IV. Bon der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. 2. Werner 
R. M., Lyrik 1891. — Elias J., Lyrik 1892 folgt im 4. Bande. 

3. Munder %., Epos. 

4. Weilen A. v., Drama und Theatergefchichte. 

9. Meyer R. M., Didaktif. Eine ſehr anregende Einleitung weift auf 
einzelne von der Forfhung gegenwärtig vernachläffigte Gebiete innerhalb der 
Didaktif des 18. Jahrhunderts, wie die Lehrdichtung, Wieland, Lichten- 
berg („immer empfohlen, ſelten gelefen, nie ftudiert“), die Humoriften :c., hin. 

6. Schmidt Erih, Yeffing. Mit einer bemerfensmerten ſtark polemifch 
und ironiſch gefärbten Selbftkritif. 

7. Naumann E., Herder. 

8. Goethe. a) Valentin V., Allgemeines; b) Geiger 2., Leben; c) Pniower 
D., Lyrik; d) Geiger 2., Epos; e) Witkowski G., Drama. 

I. Köfter A., Schiller. 

10. Walzel DO. %., Romantik. 

11. Elfter E., Das junge Deutjchland. 

12. Sauer A., Grillparzer. 1891, 1892. 

Britifcher Iahresbericyt über die Fortichritte dev Romanifchen Philologie 
1. Jahrgang 18%. 

2. Heft. Körting G., Encyklopädie und Methodologie der vomanifchen 
Philologie. Literaturwiſſenſchaft. 

We W., Literaturwiffenihaft Umfaßt auch Poetif. Beide 
Abſchnitte für uns von großer Bedeutung. 

Stengel E., Franzöfiihe Literatur von 1500—1629. 

Mahrenholg R. und W. Knörich, Franzöfifche Literatur von 1630— 1700. 

Mahrenhol R. und E. v. Sallwürd, 18. Jahrhundert und Revo— 
lutionszeit. 

Sarrazin J., Franzöfifche Literatur von 1800—1889. 

Heller H. J. Zeitgenöſſiſche franzöſiſche Literatur. 

Heft 4. Renier R., Italieniſche Literatur von 1400—1540. 

Roſſi V., Letteratura italiana dal 1540 al 1690. 

Stiefel A. L., Ftalienifches Theater im 16. und 17. Jahrhundert. 

Wiefe B., Monti. Foscolo. Leopardi. 

Heft 5. Baiſt G., VBollmöller K., Stiefel A. L., Spanifche Sprache und 
Literatur. 

Rubié y Lluch A., Katalaniſche Sprache und Literatur. 

Michaelis de Basconcellos C., Portugiefiihe Sprache und Literatur. 

Heft 6. Gafter M., Rumänifche Sprache und Yiteratur. 

Golther W., Kölbing E., Koeppel E., Wechjelbeziehungen zwiſchen romani— 
icher und germanifcher Piteratur. 

Zahrbuch der Grillparzer-Gejellihaft Jahrgang 5. 

Gloſſy E., Aus Bauernfelds Tagebüchern. 484 längere und kürzere 
Stellen aus Bauernfelds Abjchrift feiner Tagebücher von 1819—1848. Gloſſys 
Einleitung erzählt die Gefchichte des Bauernfeldifchen Nachlaſſes und ſchildert 


a Korb, dt 


682 Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 


Bauernfelds dichteriſche, menſchliche und politiſche Bedeutung. Die Auszüge ſelbſt 
ſind nicht bloß eine wichtige Quelle für Bauernfelds Entwicklung, ſondern auch 
für das geſamte geiſtige und politiſche Leben Oeſterreichs im Vormärz. Alle 
öſterreichiſchen Schriftſteller jener Zeit, alle reichsdeutſchen Schriftſteller, welche 
Wien beſuchten, werden erwähnt, Vieles zu ihrer Charakteriſtik oder Biographie 
beigetragen. Ueber Schreyvogel, Grillparzer, A. Grün, Lenau, 
Halm, Schubert, Schwind wichtige Nachrichten. Einzelnes herauszuheben 
iſt ſchwierig. Folgendes ſei erwähnt. S. 5 über die erſte Aufführung des 
Goldenen Vließes. S. 6 Das Bild, Thränodie von Houwald. ©. 20 
Charafteriftit Schobers. ©. 40 über Heines Neifebilder ©. 50 über 
Goethes Brief an Deinhardftein, die Mitarbeit an den Wiener Fahrbüchern 
betreffend. ©. 56 Menzel in Wien. ©. 70 Grillparzer über die Kabel 
(es jei die einzige Frau, die er hätte heiraten mögen), über Tied; ©. 73 über 
Kathi Fröhlid; andre Ausſprüche Grillparzers: ©. 74 „Wie follen wir nad 
dem Tode leben, wenn wir nicht vor dem Tode lebten?” ©. 77 „Es ift mihts 
ſchwerer als fi) zu erinnern. Die meiften Menfchen werden am Morgen ge- 
boren und fterben des Abends.“ S. 79 Borlefung von „Weh dem der 
lügt”, ©. 81 Aufführung. — Ausſprüche Lenaus ©. 82, 86, 98 über Gott- 
ihed. ©. 82 Charafteriftif Sedlnigfys. ©. 84 Friedrih Raumer 
in Wien. ©. 90 Ausiprud Adam Müllers. ©. 93 Dingelftedt, Rau— 
pad. ©. 112 Beſuch bei Heine. ©. 120 Gutzkow. ©. 121 Kerner. — Die 
Anmerkungen bilden einen mufterhaften Kommentar mit reichhaltigen neuen Meit- 
teilungen: ©. 146 über Prof. Weindridt; ©. 147 Komiker Schufter auf 
dem Kongreß in Troppau 1820; ©. 149 über Joſeph Fid; S.161 A naftafius 
Grün an Hormayr 1829 mit dem Lebten Ritter; ©. 164 über Grüns 
Spaziergänge, Hormayr an Grün 4. Dezember 1831; S. 166 Bauernfeld 
an Holtei 18. November 1839 über die Sterngejellihaft; S. 171 Wil- 
helm Scherer an Bauernfeld 8. Juli 1876 über die „Befenntniffe“. 
©. 174 Grillparzers Erflärung gegen Saphir „Meine Anficht“ fteht bereits 
in den Sämtlichen Werfen °18, 145; ©. 176 Entwurf einer Eingabe Bauernfelds 
an Sedlnitfy, Bejchwerde über Saphirs Angriffe gelegentlich des For— 
tunat; S 180 Grün an Bauernfeld 24. Dftober 1836 über ihre gemeinfame 
Reife nad) Deutjchland, Bauernfeld an Hofrat Shüt in Weimar, an demfelben 
Tage; ©. 182 über Grüns Streit mit Braun dv. Braunthal, Grill- 
parzers Entwurf zu einer Erflärung Grüns, Drarler-Manfred au 
Bauernfeld 29. Oktober 1837; ©. 186 Bauernfeld an den Hofrat Ritter von 
Hof 15. Mai 1838, Beichwerde über Saphir; ©. 186 f. Grillparzers 
(und Feuchterslebens) ausführlihe Bemerkungen zu Bauernfelds Luſtſpiel 
„Des Zweifels Löſung“ (fpäterr „Der Talisman“), nad The little 
french lawyer von Beaumont und Fletcher; eine Ergänzung zu Grill- 
parzers Sämtlichen Werfen 12, 149 ff.; eine ähnliche Ergänzung ſei hier 
aus Grillparzers ungedrudten Papieren angefügt. Aus Bauernfelds Tagebud) 
©. 67 ff. geht hervor, daß fein am 29. Auguft 1834 aufgeführtes Luftfpiel 
„granz Walter“ urſprünglich „Der Hypochondriſt“ geheißen habe. Es 
bezieht ſich alfo darauf Grillparzers Bemerkung (Erinnerungsblätter Nr. 125, von 
Rizy fälſchlich ins Jahr 1831 gejett): „Hypochondriſt, Vorſpiel. Wenn die beiden 
Menſchen während der entſcheidenden Scenen (wenigſtens Sie) erſt die Entdeckung 
machten, daß ſie ſich lieben, gefiele mirs beſſer. Das gäbe eine Art Verwicklung 
und Entwicklung. Jetzt fließt das Ganze zu glatt weg.“ — S. 188 Bauern— 
feld an Holtei, 13. November 1839; ©. 193 ff. über die in den vierziger 
Jahren gegründeten Literaten» und Künftler- Bereine Wiens; Bauernfeld an 
Dr. Guſtav Frank 1842; ©. 195 Th. Hell an Bauernfeld 26. Dezember 1845 





Bibliographie. 1. Zeitichriften. 683 


über den Deutihen Krieger; ©. 209 Bauernfeld an Caftelli, Bad Ems 
12. Juli 1845 über die Cenſur. — Außerdem genaue Angaben über die Auf- 
führungen der Bauernfeldifhen Stüde in Defterreih und Deutfchland, ſowie 
Auszüge aus den wichtigften Recenfionen. 

Sauer A., Grillparzer und Katharina Fröhlid. Vortrag, gehalten 
in der Grillparzer-Gefellihaft am 18. Dezember 1894. ©. 250 eine Stelle aus 
dem Tagebud Th. von Karajans 1856, eine Charafteriftif des Fröhlichichen 
Haufes. In den Anmerkungen ©. 262 zwei Briefe Katharinas und der Fhrigen 
au Grillparzer vom 2. und 28. September 1843. — Beilage. Ueber drei Grill- 
parzer zugefchriebene und angeblih an Katharina Fröhlich gerichtete Gedichte, 
Ein Wort in eigener Sade. Die oben ©. 234 angekündigte Erwiderung auf 
K. E. Franzos’ Artikel in der Deutichen Dichtung. Die Handichrift des Ge- 
dichtes „Löſche die Lampe“, fowie drei echte Grillparzeriche Gedichte („Das 
Höchſte ift, das Höchfte bleibt“, „Beicheidenes Los“, „Als ich fie, zuhörend, am 
Klavier ſitzen ſah“) find im Facſimile beigegeben; ©. 288 ift das Fragment 
eines Jugendgedichtes: „Elegie eines Schiffbrüdigen auf den Tod jeines 
Hundes auf einer wüften Inſel“ aus der Handichrift mitgeteilt. 

Payer R.v., Robert Hamerling als Gymnafiallehrer. Nach den Akten 
und gedrudten Quellen. 

Briefe von Grillparzer. 1. An Joſeph Freiheren von Hammer-Purg- 
ftall. Mitgeteilt von A. Schloffar. Wien, 8. Auguft 1847. Die von Hammer 
gefuchten Khleſliſchen Schriften hätten fih im Hofkammerarchiv vorgefunden. 
2. An Mathilde Baronin Kapri-Guretzky. Mitgeteilt von A. Schloffar. 
Wien, 28. April 1851. Liebenswürdige und aufrichtige Beurteilung der ihm 
von der jungen Schriftitellerin eingefandten Gedichte. 3. An Wilhelm Schäfer. 
Mitgeteilt von Wilheln Schäfer. Der Empfänger fchildert feine Beziehungen zu 
dem Dichter. Die Briefe find vom 12. Februar und 2. Dezember 1861, vom 
25. Auguft 1862. In dem letzten erfundigt fi Grillparzer um die Aufführung 
von „Des Meeres und der Liebe Wellen“ in Frankfurt a. M. 

Aus dem Tagebuche der Freiin von Knorr. Mitgeteilt von F. Lemmer— 
mayer. Bereits gedrudt in der Gegenwart 1885 Nr. 40. 

Reich E., Bericht über die fünfte Jahresverfammlung der Grillparzer- 
Sejellichaft (31. März 1894) nebſt einer Ueberficht dev Vereinsthätigteit bis 
Februar 1895. 

Mitglieder-Berzeihnis und Kaſſa-Ausweis der Grillparzer-Gefellichaft für 
das Jahr 1894. Wien, Selbitverlag. 189. 

JZahrbuch der deutichen Shakeſpeare-Geſellſchaft Jahrgang 31. 

Loening R., Ueber die phyfiologifchen Grumdlagen der Shafejpearefchen 
Pſychologie. Vgl. Euphorion 1, 466. 

2. Klein über Hamlet. Zwei Aufjäte, aus Nr. 23 und 24 des 15. Jahr— 
ganges des von Cosmar redigierten Berliner Modenspiegels abgedrudt. 

Kilian E., Der Widerfpenftigen Zähmung. Vorſchläge für eine neue 
ſceniſche Einrihtung des Stüdes. 

Freſenius A., Shafeipeares „Timon von Athen“ auf der Bühne. ©. 123 
Deutjche Ueberſetzungen. 

Bolte J. Das ſchöne Mädchen von Briftol. Ein englifches Drama 
aus Shafejpeares Zeit überjegt von Ludwig Tied. Nach zwei Handjchriften 
in Tieds Nachlaß herausgegeben. 

Sarrazin G., Neue italienische Skizzen zu Shafeipeare. 1. Herzog Vin— 
centio in „Maß für Maß“ und fein Urbild Herzog Bincencio Gonzaga. — 
2. Das Gonzaga-Schaufpiel im „Hamlet“. 

Conrad H., Ueber die Entjtehungszeit von „Was ihr wollt“, 


684 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Sarrazin G., Die Entftehung von Shafefpeares „Verlorener Liebesmühe”. 

Traumanı E., Die fünftleriiche Arbeit Shafefpeares im „Othello“. 

Adler F., Das Verhältnis von Shafefpeares „Antony and Cleopatra“ 
zu Plutarhs Biographie des Antonius. 

Conrad H., Metrifche Unterfuchungen zur Feftftellung der Abfaffungszeit 
von Shafefpeares Dramen 

Nekrologe. 9. E., Pater Bincenz Knauer. — Eduard Wilhelm 
Sievers. 

Literarifche Meberficht. Conrad H., Die neuefte deutſche Ham let- Literatur. 
©. 386 ff. Ausführliche Beiprehung von Heblers Aufjag, Euphorion 1, 237,491. 

Wechſung A., Statiftifcher Ueberblict über die Aufführungen Shafefpeare- 
cher Werfe auf den deutfchen und einigen ausländischen Theatern im Fahre 1894. 

Biographiſche Blätter. Vierteljahresſchrift für lebensgefchichtliche Kunſt 
und Forſchung herausgegeben von A. Bettelheim. Berlin. Ernft Hof- 
mann & Co. Band 1. 

Heft 1/2. Hantzſch V., Biographifche Bibliographie 1894. I. Deutjchland. 

Aus dem Stammbuch eines Biographen. I. IT. 

Heft 1. Dove A., Rankes Verhältnis zur Biographie. 

Stein L., Zur Methodenlehre der Biographie. Mit befonderer Rück— 
fiht auf die biographifche Kunft im Dienfte der philofophiegefhichtlichen Forſchung. 

Schönbah A. E., Ueber den biographiſchen Gehalt des altdeutjchen 
Minneſanges. 

Roſegger P., Eine Meinung über Autobiographien. Brief am den 
Herausgeber. 

Joſeph Schreypogels Entwinf einer Wiener Hof- und Staat$- 
zeitung. Mitgeteilt umd eingeleitet von K. Glofiy. Hiftorifch wichtiges Akten— 
jtüd aus dem Jahre 1795 oder 1796. 

Bernays M., Rede auf Scheffel. Gehalten am Tage der Enthüllung 
jeines Denfmals in Karlsruhe, 19. November 1892. 

Lützow K. v., Anſelm Feuerbach. (Im Anſchluß an Allgeyers Bud.) 

Natel F, Leonhard Rauwolf in Augsburg. 

Knapp G. F., Georg Hanſſen. Geboren 31. Mai 1809, geſtorben 
19. Dezember 1894. Aus der Beilage zur Allgemeinen Zeitung abgedruckt. 

Haushofer M,, Karl von Haushofer. 

Stammbuchblätter von Goethe, Leſſing, Wieland. (Mit Silhouetten von 
Goethe und Leſſing.) Aus dem Stammbuch des stud. jur. Wilhelm Lud. Rodowé. 
Goethe, Leipzig, den letsten März 1776; Yeifing, Lipsia, den 20. Februar 1775; 
Wieland, Weimar, den 6. Dftober 1774. 

a/D., Bier Briefe Böckhs an Al. v. Humboldt. 1. Teplit, 12. Sep- 
tember 1854. — 2. Friedrihsroda bei Gotha, 12. September 1855. — 3. Ebenda, 
13. September 1858. — 4. Berlin, 30. April 1859. Dazu das Titelbild: 
Alerander von Humboldt nach einem Bildnis von Rudolf Lehmann. 

Kalbeck M., Ein Brief Grillparzers an Paul Heyje Baden, 
16. Juni 1879. Plan der Seinigen, den Armen Spielmann und die 
Efther in einem eigenen Bändchen drucken zu laffen. Eine Gejamtausgabe jei 
erſt nach feinem Tode zu erwarten. 

Werner R. M., Biographie der Namenlofen. 1. Eine Anregung. — 
2. Aus dem Leben armer Studenten. 

Heft 2. Mards E., Nah den Bismardtagen. Eine biographiiche Bes 
trachtung. 

Kraemer H., Bismards Schuljahre. Mit einem Bilde von v. Keſſel: 
Otto dv, Bismard als Abiturient, 





wire 





—— — 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 685 


Ebers G., Aus der Erinnerung an den Chedim Ismq'il. 

Sorel A., Taine. Rede, gehalten am 7. Februar 1875 bei feiner Auf- 
nahme in die franzöfiiche Akademie. 

Bezold F. v., Ueber die Anfänge der Selbftbiographie umd ihre 
Entwidlung im Mittelalter. Aus der Beitjehrift für Kulturgeſchichte wiederholt. 

Arneth A. Ritter v., Ein Beſuch in Potsdam im Juli 1809. Aufzeich— 
nung des Freiherrn Johan n von Wefjenberg über feinem Beſuch der 
Schlöſſer in Potsdam, 1. Juli 1809. Charakteriſtik Friedrich des Großen und 
Friedrich Wilhelm II. — In der Vorbemerkung eine Charakteriſtik Weſſenbergs. 

Lehmann R., Aus den Erinnerungen eines Künſtlers. I. Franz 
Liszt 1836— 1887. Beichreibung von Liszts Aeußern. — Anekdote von Fulius 
Froebel. — Sir William Siemens. 

Schmidt Erich. Aus dem Reiſejournal eines ſächſiſchen Geiftlichen 
[Chriftian Gottlieb Schmidt. 1. Bei Salomon Geßner. Zürich, 
8. Auguft 1786; Sihlwald 9. und 11. Auguft. Schilderung von Geßners 
Häuslichfeit und Familie — 2. Caglioftro. Mesmerismus. Bafel, De- 
zember 1786; 7. Mai 1787 bei Jakob Sarrazin. Schilderung Caglioftros. 
Straßburg, 18. Mai 1787. Herr v. Türkheim. — Karlsruhe, 9. und 11. Juni 1887 
bei Frau Bölmann. 

Sellinef G, Adolf Erner Ein Wort zu feinem Gedächtnis. 

Roth E. Natanael Pringsheim. 

Fournier A., Stadion über Gent. Stadion an den Präfidenten der 
oberften PolizeisHofftelle Freiheren von Sunmerau, Wien, 27. Juni 1807. 
Gefihtspunfte, nach welchen die Beobachtung des damals in Prag lebenden Gent 
einzurichten ſei; Charafteriftit von Gent, Gejchichte feines Eintritts in die öſter— 
reichifchen Dienfte. 

Adreffe der philofophifchen Fakultät der Univerfität Berlin an Guſtav 
Freytag, Berlin, 30. Juni 1888. Erneuerung feines Doftordiploms. Ant- 
wort des Herrn Dr. Guſtav Freytag an den Dekan, Siebleben, 10. Juli 1888. 

Zeitschrift für deutjches Altertum und deutjche Literatur Band 39 Heft 3 

Wrede, Die Entftehung der neuhochdeutfchen Diphtonge. Mit einer Karte. 

Anzeiger für deutjches Altertum und deutiche Literatur XXI, 3. Mai 1895. 

Heusler A., Minor: Neuhochdeutſche Metrif. Wichtige, die Prinzipien des 
Buches berührende Beiprehung. ©. 187 Ueber die metrifchen Anfichten der 
neuhochdeutſchen Klaffiter. 

Seuffert B. Widmann: Albrecht von Hallers Staatsromane ©. 245 
Ueber Wielands Aufſatz „Die Regierungskunſt oder Unterricht eines alten 
perſiſchen Monarchen an ſeinen Sohn. Nach dem Engliſchen“ im Deutſchen 
Merkur 1773, für welchen Seuffert wirklich eine engliſche Quelle vermutet. 

Sauer A., Yüde: Bürgers Homerüberfegung. ©. 249 ff. Ab- 
druck eines Blattes der Bürgerifchen Se Ueberjegung „Vom 390. Bers an im 
sten Buche“ im einer älteren, von dem Drud im Sahrgang 1776 des Deutjchen 
Merkur abweichenden Faftung. 

Jonas F., Haym: W. v. Humboldts Briefwechjel mit Nicolovius. 

Harnad D., Biedermann: Erläuterungen zu Goethes Werfen Band 35 
und 36. Mit Ergänzungen. 

Zeitſchrift für deutiche Philologie Band 28 Heft 1. 

Schmidt A., Mitteilungen aus deutichen Handſchriften der großherzoglichen 
Hofbibliothef zu Darmftadt. I. Dietrid von Plieningens Seneca- 
Ueberjeßungen. Eine Abjchrift von Plieningens Ueberfegung 13 Senecafcher 
oder Pfeudofenecafcher Schriften, mehrere aus den Jahren 1515— 1517 datiert. — 


Neue Mitteilungen über Plieningens Berdienfte um die Einführung einer ge- 


686 Pibliographie. 1. Zeitſchriften. 


vegelten Interpunktion. Bgl. unten. — 1. Heinrih Munfingers 
Buch von den Falken, Habichten, Sperbern und Hunden. 

Roth F. W. E., Mitteilungen aus mittelhochdeutihen Handjchriften. 
5. Ein nen Lied von Hans und Lienhardt dem PVittel. Vgl. Liliencron, Hiftorifche 
Volkslieder Nr. 149. — 6. Wie man den Schwarten richt. Vgl. Piliencron, 
Hiſtoriſche Volkslieder Nr. 150. 

Dünter H., Der Ausgang von Goethes Taſſo. Gegen Büchner 
(vgl. Euphorion 1, 432) und Louis Lewes. 

Sprenger R., Zu den Kinder und Hausmärden der Gebrüder Grimm. 
Vergleiht zu Nr. 152 der großen Ausgabe eine Stelle aus „Des Knaben 
Wunderhorn.“ 

Bolte J. Zu Johann Raſſer. Nachträge zu 26, 480. Exemplare 
vom Spil von Kinderzucht (Straßburg 1574) in Dresden und Wolfenbüttel. 
Das Titelbild der Komödie „vom König der ſeinem Sohn Hochzeit machte“ (1575) 
reproduciert von C. Derdel in feiner Diſſertation: Ueber die Pflege des Dramas 
auf deutſchen Gelehrtenfchulen. Tübingen, 1870; ebendort ein Auszug aus 
Baumgartens Juditium Salomonis (1561). 

Wolff €, Rudolf Hildebrand. 

Zeitſchrift für den deutjchen Unterricht Jahrgang 9. 

Heft 3. Götzinger E., Das Verb laffen bei Luther und Goethe. 

Müller E. G. O., Der Streit über das Wefen des Satzes. 

Nehry H., Der oder die Tiber, der oder die Ahone? — aud etwas von 
deutſchen Schiffen. 

Puls A., Ueber einige Quellen der Gedichte von Auguft Kopijd. 
Weiſt als drei Hauptquellen für die Gedichte von Kopifch die Sagen der Brüder 
Grimm, die „Märfifhen Sagen und Märchen“ von A. Kuhn und die Sagen, 
Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig-Holftein und Lauenburg von 
8. Müllenhoff nad, ftellt die Ausmweife über die Quelle in einer Tabelle 
überfichtlih zufammen und behandelt zunächſt die Art der QDuellenbehandlung 
bei den aus den Grimmſchen Sagen entlehnten Stoffen. 

Vilmar W., Ein Beitrag zur Gefchichte der deutſchen Interpunktion. 
Daten über Dietrih von Pleningen (geft. 1520). Abdrud und Würdigung 
einer die Interpunktion betreffenden Erörterung aus feiner Weberjegung des 
Panegyrieus Traiani vom jüngeren Plinius (1511). Vgl. oben. 

Koh L., Dramatiihe Schüleraufführungen. In der Gegenwart. 

Glöde D., Tiernamen im Bolfsmund und in der Dichtung. Der Sper- 
Iingsname. (VBgl. Zeitichrift für deutfchen Unterricht 5, 741; 7, 115.) 

Matthias Th, Zu Schillers Wilhelm Tell (IV, 2, 425 ff. und 
V, 1, 35 ff.) nd Braut von Meffina (1346 ff. und 2116 ff.) 

Müller E., Der Bediente. (Zeitfehrift 8, 685 ff.) 

Heft 4 Won O., Bismard als Künftler in Politik und Sprade. 

3 Namen mit und ohne Bedeutung. Aus dem Naclaffe Rudolf Hilde- 
rands. 

Unbeſcheid H., Die Kriegspoeſie von 1870/71 und das „Kutſchkelied“. 
Berfaffer des Kutjchkeliedes ift Gotthelf Hoffmann, genannt Kutſchke 
(geb. 11. November 1844), der den Krieg mitmachte. Vgl. unten ©. 69. 

Zeitſchrift für deutiche Sprache Jahrgang 8. 

Heft 10, 11, 12. Sanders D., Die Gehilfin. Berliner Roman in drei 
Büchern von PB. Lindau. 100 fpradliche Bemerkungen. 

Heft 10. Schrader H., Euphorion und der dritte Akt des zweiten 
Fauſt. Der Aufjat gipfelt in den Worten: „Einzig und allein nur Goethe 
wäre der rechte, wahrhaftige Euphorion! Aber feine wirklich große Bejcheiden- 





Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 687 


heit verbot ihm, jelbft im verfchleiertevr Form fich felbft als Euphorion hinzu- 
zuftellen. So macht denn dies Unterlaffen und das Hineinfchieben Lord Byrons 
feinem Charakter alle Ehre.” — 

Andrä R. Goethes Hochzeitlied. Hinweis auf das muſikaliſche 
Element. 

Sanders D., Unlängft. 

Hintner B., Todfroh. 

Sanders D., Sprachliche Bemerkungen zu Aufjfäßen aus der National- 
Zeitung. — Aus einem nur Wenigen zugänglichen Buche von Renan. — 
Bauwich — im mittleren und füdlichen Deutfchland der Raum zwifchen zwei 
benachbarten Grundftücen, anderswo aud Reiche oder Reichen genannt. 

Heft 11. Klahre R., Heinrih von Kleifts Michael Kohlhaas in 
jeinen beiden Faſſungen. 

Schrader H., Das R. 

Sanders D., Zu einem Aufjate von Karl Frenzel. — Der Prolog 
zum Wallenftein. Abdruck eines Gedichtes, das an Stelle des Schillerfchen 
Prologs treten fol, von dem Gymmafialoberlehrer a. D. E. Schulte in Freien— 
walde a/D. — Ein japanifches Liebespaar. Von Berthold Laufen. — Klaffiker- 
dämmerung. — Auch eine Liebesheivat. Humoresfe von Guſtav Besnard. — 
Narciß. Neue Novelle von Adolf Wilbrandt. — Bauwich. Noch ein Beitrag 
zu diefem Ausdrud von G. von Rößler. 

Heft 12. Schulte E., Die Uhr in Goethes „Fauſt“. Will nachweisen, 
daß Goethe an feine moderne Uhr gedacht haben kann, jondern an eine folche 
altertümliche, die „mit dem Ablauf der zwiſchen Mitternacht und Mitternacht 
liegenden 24 Stunden ihren ganzen Yauf beendet und bei der das Fallen des 
Zeigers das natürliche und notwendige Ende diefes Yaufes bezeichnet.“ 

Sanders D., Zur Inſchrift des deutſchen NReichstagsgebäudes. — Ein 


Berworfener. Roman von J. D. H. Temme. — Unvergepbare Worte und 
andere Novellen von Paul Heyfe. — Befitzanzeigende Fürwörter der dritten 
Perſon. — Ueber „Kalb“ und einiges damit Zufammenhängende. — Hertha. 


Roman von Ernſt Edftein. — Tiroler Gefhichten. Bon Haus Hopfen. — 
Kleopatra. Roman von G. Ebers. — Sorgfeligfeit. Aus Goethes Schrift 
„Philoſtrats Gemälde“ und zwar aus dem Schlußaufſatz: Hercules bei 
Admet. Fit ein Drucdfehler anzunehmen für „Sorglofigkeit“? R. Roſenbaum. 
Zeitſchrift des allgemeinen deutjchen Sprachvereins Jahrgang 10. 

Kr. 4. Blümmer H., Der bildlihe Ausdrud in den Anſprachen des 
Fürften Bismard. Nachtrag zu Euphorion 1, 590, 771. 

Lyon D., Fürft Bismard umd das Fremdwort. 

Wunderlich H., Der Abgeordnete von Bismard als Redner. 

Matthias Th., Zeugniffe der Reden Bismards zu einigen vielerörterten 
Fragen der deutichen Satzlehre. 

Nr. 5. Bruns R., Gerichtsdeutfh und Aehnliches. 

Bülfing J. E., Oelgötze, Oelkopf. 

Mitteilungen des Deutſchen Sprachvereins Berlin, herausgegeben vom 
Vorſtande Jahrgang 6, 1895. 

- Nr. 1. „Durch gemeinfchaftliche Arbeit wird ein Berzeihnis der} in 
unferer Sprade vorhandenen ſprichwörtlichen Redewendungen in Gtab- 
reimen und in Endreimen aufgeftellt.” Vorläufige Mitteilung, zu denen Nach— 
träge und Berbefferungen erbeten werden. 

Nr. 2. Böhme R., Bom Leben der Sprade. Bortrag. 

Biolet F., Hans Sachs und feine Bedeutung für unfere Literatur umd 
Sprade. Vortrag. 


688 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Grabow, Ausſprache der Yautverbindungen fp, jt u.a. — ©. 29 Sprad)- 
gene ine Ueberfiht über S und Sch. 

Nr. 3. Neuleaur, Die Märchenwelt. Anſprache beim Weihnachtsteft. 

Alemannia Jahrgang 23 Heft 1. 

Hoffmann J., Schapbach und feine Bewohner. Bearbeitet nach dem 
Fragebogen zur badifhen Bolfsfunde ]. Ortsname u. f. w. 2. Flur— 
namen u. ſ. w. 9. Familien- und Taufnamen. 4. Hausbau u. ſ. w. (Heiners- 
bauernhof). 5. Hausmarfen. 6. Volkstracht. 9b. Kinderreime u. f. w. — 
9.f. Ortsnedereien. 11. Sagen. 12. Sitten und Gebräuche. 

Wilſer L., Shwaben md Alemannen. 

Amersbach K., Zur Tannhäuſerſage. a) Zur Etymologie von 
Venusberg. b) Zu den „Thanauses“ des Aventin. e) Ueber die Heimat 
des Minnefängers Tannhauſer. 

Pfaff F, Die Künſtlerinſchrift zu Engen. 

Ate Sprüche 1. Böſe Zeit. — 2. Morgenfegen. 

Chronik des Wiener Goethe-Vereins. Band 9. 

Kr. 5. [Bayer R. v.] Der Weftöftlide Divan im Rahmen der 
orientalifchen Studien. (IV. Goethe-Abend, 8. Februar 1895.) Bollftändig ab- 
gedruct im Feuilleton der „Wiener Zeitung“ vom 8. und 9. März 1895. 

Lützow ©. v, Das Frankfurter Dahftübchen Zeichnung von 
Goethe. Reproduktion der Federzeihnung aus dem Briefe an Augufte Gräfin 
zu Stolberg vom 7.—10. März 1775. Würdigung von Goethes Zeichnentalent. 

Jr. 6. Lorenz O., Goethe im Confeil. Skizze eines am 2. April 1895 
gehaltenen Vortrags mit Angabe der wichtigften Quellen. „Zum Schluffe eine 
Frage an die beffer unterrichteten Ausleger Goethefher Dichtungen: Sollte nicht in 
‚Palaeophron und Neoterpe‘ die Stellung Goethes zum Fortichritte oder 
zur Veränderung der Zeiten Shen am Schluffe der Revolutionsperiode Kar ge— 
zeichnet worden fein? Und wäre nicht in diefem Gedichte eine Duelle feiner 
hiſtoriſch-politiſchen Anſchauungen zu fehen ?* — In einer Anmerkung verteidigt 
Minor die Verwendung des Wortes Confeil als des damals offiziellen Aus— 
druckes und weist das Wort: Goethe- Philologie zuerit bei Gutzkow (Unter- 
haltungen am häuslichen Herd 1861, 3, 314), im fpottenden Sinne gebraucht, nad). 

Goethes Naturlehre in der Schule. Auszug aus einem Vortrag 
A. Höflers: „Einige nähere und fernere Ziele für die Weiterbildung des phyfi- 
kaliſchen Unterrichtes am Gymnaſium“, welcher die Verhandlungen der pädagogi- 
jchen Abteilung der 66. Verſammlung deutfcher Naturforicher und Aerzte in 
Wien (September 1894) eröffnete... Abgedrudt in der Berliner Zeitſchrift für 
den phyſikaliſchen Unterricht, Sahrgang 8, Februar 1895. 

Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Band 93 
Heft 2 und 3. 

Stiefel A. L., Zur Shwanfliteratur im 16. Jahrhundert. I. Ueber 
die Quellen und die literarhiftoriiche Stellung des von Bolte in der Tijdschrift 
voor Neederlandsche Taal- en Letterkunde 1891 ©. 127—143 bejprochenen 
Antwerpener Schwankbuches von 1576 mit reihen Ergänzungen. — II. Nach— 
träge zu den Quellen der von Bolte im derjelben Zeitichrift 1894 ©. 2—11 
bejprochenen niederländischen Schwankffammlung des Franſoys Loodman. 

Albrecht K., Die parodiftifchen Fortfegungen von Goethes Stella: 
Inhaltsangabe und Würdigung von „Stella; Nummer Zwei. Oder Fortjegung des 
Goetheſchen Schaufpiels Stella, in 5 Aften. Frankfurt und Leipzig 1776“ umd 
„Stella, ein Schaufpiel für ebende von J. W. Goethe. Sechſter Akt (Alten— 
burg 1776).“ Riemers Behauptung, daß die letztere Parodie von J. G. Pfranger 
herrühre, wird abgewieſen. 





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Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 689 


J. 3. Julius Zupiga], Zu einer Stelle in Shelleys Ueberjegung der 
Walpurgisnaht aus dem erften Zeil von Goethes Fauſt. Die vier 
Berfe: Der Aepfelchen begehrt Ihr ſehr ꝛc. 

Fränkel L., Dieziana. Nachträge zu Archiv 93, 193. 

Sitzungen der Berliner Geſellſchaft für das Studium der neueren Sprachen. 
16. Oktober 1894. Müller Friedrich, Ueber Jan Jakob Lodewykten Kate 
und ſeine Uebertragung von Goethes Fauſt. — 13. und 27. November 1894. 
Biltz, Ueber die Märtyrerlieder der Wiedertäufer. — 11. Dezember 1894. 
M. Roediger ſprach im Anſchluß an ſeine Edition von Goethes Triumph 
der Empfindſamkeit in der Weimarer Ausgabe Band 17 über die Hand— 
ſchriften und Drucke des Stückes und erörterte an ausgewählten Beiſpielen die 
Klippen der Tertkritif. . 

Necenfionen: Werner R. M., Balentins und Witfowstis Fauft fchriften. 

Aeuphilologiſches Gentralblatt Jahrgang 9 Nr. 2. 
Fauſt, Einige Spracdhliche Eigentümlichkeiten der Grimmſchen Märden. 
Zeitſchrift für franzöfiihe Sprache und Literatur Band 17 Heft 1 und 3. 

Behrens D., Mitteilungen aus Carl Ebenaus Tagebud. Abdrud 
der Tagebuchaufzeichnungen von Diez’ Jugendfreund, foweit fie auf diefen Bezug 
haben. Wichtige Beiträge zu Diez’ Biographie. ©. 130 Anmerkung 1 wird 
erwogen, ob Diez mit Börne befannt war. ©. 135 Karl Fohlens Ein- 
tragung in Diez’ Stammbud. 

Revue d’histoire Hitteraire de la France II 2. 
Rossel V., La litterature allemande en France au XVIIIe sieele. 
Revue de metrique et de versification I 2. 
L. R., Apercus de metrique comparee. 
Modern Languages 1 1. 
Breul K., Bibliography: Schillers ‚Wallenstein‘. 
Modern Language Notes X 3. 
Francke A., parallel to Goethe’s Euphorion. 
Scots Lore 1895 March. 

Tille A., A Scottish nursery rhyme and Goethes Faust. Parallele 
zum Hereneinmaleins. 

Zeitschrift für die öfterreichifchen Gymnafien Jahrgang 46 Heft 4. 

Weilen A. v., Hans Sachs, Sämtliche Fabeln und Schwänfe heraus 
gegeben von E. Goete. Beobachtungen über die Technif des Einganges der 
Hans Sadfiihen Erzählungen. 

Gymnaſium Jahrgang 13 Nr. 7. 

Koh ©., Zu Goethes Götz Akt 1, Scene 4. 

Lehrproben und Zehraange aus der Praris der Gymnaſien und 
Realſchulen Heft 43. 

Fulda 8, Schillers Alpenjäger. 

Zeitſchrift für lateinlofe höhere Schulen Jahrgang 6 Heft 5. 

©., Rudolf Hildebrand. 

Süddeutſche Blätter für höhere Unterrichtsanftalten Jahrgang 3 Nr. 2. 

Schmidt A., Der pegnefifhe Blumenorden. (Mit Abbildungen.) 

Menue Iahrbücyer für Philologie und Pädagogik. 

Band 149 und 150 Heft 12. Berlit G., Rudolf Hildebrand. Ein 
Erinnerungsbild. Mit Benutzung einer autobiographiihen Skizze, von Tage- 
buchaufzeihnungen, Briefen, Borlefungen und Gejprädhen. ©. 553 Die Charafte- 
riſtik Gellerts aus Hildebrands Borlefung 1872/73. ©. 566 Tagebudhauf- 
zeihnung über den Befuh Jakob Grimms bei Hildebrand, 9. Oktober 1859. 


690 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


Huther A., Die Pädagogik Herbarts umd die neuere Piychologie. 

Sand 151 md 152 Heft 2. Lange E., Eine Schülerüberjfeßung der 
Oden des Horatius aus dem fiebz ehnten Sahrhundert. Die von den 
Schülern des Bohemus herrührende, Dresden 1556 erſchienene Ueberfetung 
wird durch Proben und durch Vergleich mit jpäteren deutſchen Ueberſetzungen 
charakteriſiert. 

Zeitſchrift für Turnen und Jugendſpiel Jahrgang 3 Nr. 22. 

Liermann, Turnerifche Sugenderinnerungen eines Poeten. 

Archiv für Gefchichte der Philofophie Band 8 Heft 3. 

Stumpf C., Hermann von Helmholtz und die neuere Piychologie. 
Zuerft in Ueberfeung in dev amerikaniſchen Zeitjehrift „Psychological Review“ 
gedruct; hier etwas erweitert und revidiert. 

Barth P., Zu Hegels und Marx Geſchichtsphiloſophie. II. 

Leuckfeld —9 Zur logiſchen Lehre von der Induktion. Geſchichtliche Unter— 
ſuchungen. 

Vaihinger H., Bericht über die Kantiana für die Jahre 1892—189. 
Zeitfehrift für Philoſophie und philofophifche Kritik Band 106 Heft 1. 
van der Wyd, C. W. Opzoomer. 

Lind P. v, Immanuel Kant und Alerander von Humboldt. 1. 

Lind PB. v. Morik Carriere F. 

Heft 2. Faldenberg R., Die Entwidelung der Lotzeſchen Zeitlehre. 

Zeitſchrift für Thrlogie und Kiche Jahrgang 5. 

Heft 4 Nitzſch, Die Weltanfhauung Friedrich Nietzſches. 

Heft 5. Kinaſt E., Moriz Carriere. 

Aeue Iahrbüder für deutſche Theologie Band 4 Heft 2. 

Lezius F., Der Berfaffer des pfeudociprianifchen Traftates de dupliei 
martyrio. Ein Beitrag zur Charafteriftit des Erasmus. Fortjetung. 

Zeitſchrift für Kirchengeſchichte Band 15 Heft 4. 

Jacobi F., Das Tiebreihe Religionsgefpräh zu Thorn 1645 
(Fortſetzung und Schluf,.) II. Die erfte friedlichere Hälfte bis zum 23. Sep— 
— — III. Die zweite leidenſchaftlichere Hälfte vom 25. September bis zum 
21. November. Anhang. BVerzeihnis der Teilnehmer. 

Deutliche Zeitſchriet für Kirchenrecht. Dritte Folge Band 4 Heft 3. 

Diftel TH, Deffentlihe Degradation eines königlich-ſächſiſchen Geiftlichen 
(des Pfarrers Tinius 1814). 

Diftel IH, Trauung wider Willen eines Teiles (1607). 

Diftel Th., ar Strafe für eine Unterlaffungsfünde des Leipziger Geift- 
lichen Meg. Beter Hejje (1589). 

Der Katholik 3. Folge Band 11. 

Februar — Mai. Goerigt €, Johannes Bugenhagen und die 
Proteftantifierung Pommerns. 

März Johannes Weyer, ein Befämpfer des Herenwahns, war 
Proteſtant. 

Ein vergeſſener deutſcher Katechismus des 16. Jahrhunderts. 

Mai. Paulus N., Caspar von Gennep. 

Stimmen aus Maria- Laach 1895 Heft 2. 

Baumgartner A., Der fociale Niedergang Deutfhlands im erften Jahr— 
hundert der Ölaubenstrenmung. 

Hagen J. ©., Was haben Kepler und Tycho Brahe vom Stern der 
Weifen eher 

Spillmann J. Federzeihnung eines Nichtkatholiten über das katholiſche 
Leben in Hildesheim ummittelbar vor der Glaubensjpaltung. 


* 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften, 691 


Deutsche Kunſt- und Mufik-Zeitung 1895 Nr. 2, 3. 
Frimmel Th. v., Neue Beethopenftudien. Aus der Sammlung von Franz 
Frau in Wien. Ungedrudte Briefe. Unter anderen: Beethoven an Carl 
Bernard, Mödling, 2. und 27. Auguft 1819. 
Repertorium für Runftwifienihaft Band 17 Heft 6. 
Bauch G., Zur Cramadforihung. 
Ab, Tiroler Hausmalerei. 
Terey ©. v., Ein wiedergefundenes Altarwerk Hans Baldıngs. 
Ein Holzihnitt nah Joſt Amman hat fi) al$ Ex Libris des Johann 
Fiſchart in einem aus feinem Beſitz ftammenden Buch der Hofbibliothef zu 
Darmftadt gefunden, vgl. Quartalblätter des hiftorischen Vereines für das Groß— 
herzogtum Helfen. Neue Folge 1, Nr. 14. 
Zeitſchrift für bildende Kunft. Neue Folge Jahrgang 6 Heft 5. 
Weizjäder P. Wieland und andere unentdecte Gemälde von Anton 
Graff. Das bisher verfchollene Original des Grafffchen Wielandbildes hat fich 
im Befits des Herrn Sahrer von Sahr auf Dahlen in Sachfen vorgefunden md 
wird hier reproduziert. ES zeigt deutlich, wie ungenügend der Stih Baufes ift. 


Gentralblatt für Bibliothefswejen Jahrgang 12 Heft 4. 

Radlah D., Die Bibliothefen der evangelifhen Kirche im ihrer 
vechtsgefchichtlichen Entwicklung. Denkſchrift. Weift auf eine große Anzahl der 
in Schwendes Adreßbud nicht verzeichneten Kirchenbibliothefen der Provinz 
Sadjen hin. — I. Die Bibliothefen der evangelifchen Kirche im Vergleich zu 
den Bibliotheken der katholifchen Kirche. — II. Die evangelifchen Kirchenordnungen 
des 16. Jahrhunderts und die Firchlichen Bibliothefen. — III. Das weitere Auf- 
blühen der kirchlichen Bibliotheken im 17. Jahrhundert und in der erften Hälfte 
des 18. Fahrhunderts. — IV. Der Verfall der firchlichen Bibliotheken. 

Centralblatt für Bibliothefsmwefen. Generalvegifter zum I.—X. Jahr— 
gang (1884—1893), bearbeitet von C. Häberlin. Leipzig, Harraffowis. 10 4 

Sammlung bibliothefswiffenjchaftlicher Arbeiten, herausgegeben von 
K. Dziatzko. Heft 8. 

Beiträge zur Theorie und Praris des Buch» und Bibliothefswefens, 

herausgegeben von K. Dziatzko. II. Mit 6 Typenfachimilen und 1 Tafel. 
Archivaliſche Zeitſchrift. Neue Folge Band 5. 

Primbs K., Ueberficht von Teftamenten aus dem Archive der ehemaligen 
Neichsftadt Regensburg. (Schluß zu Band 4, 257—293.) 

Schneiderwirth F., Zur Geſchichte des Archivs des ehemaligen Reichs— 
ftifts Kempten. 

Rodinger 2. v., Zur Bedeutung von Anklängen an vömifches Recht in 
bayerifchen Urkunden des 15. Jahrhunderts. Anhang: Aus dem Formelbuche 
des Joh. Gentinger. 

P. P., Berzeihnis der in Ländern der weftlichen Hälfte der öfterreichifchen 
Monardie von Kaifer Joſeph II. 1782—1790 aufgehobenen Klöfter. 

Nachrichten aus dem Buchhandel 1895. 

Nr. 52. Werfe und Schriften von Dr. Carl Heinrich Ked (Nachtrag). 

Kr. 65. Zwißler J., Signa temporis. (Aud) ein Mahnwort.) Gegen 
die moderne naturaliftiiche Literatnr. 

Nr. 69. Schriften von Reopold von Sader Maſoch, geboren 
27. Sanuar 1835 in Lemberg, gejtorben 9. März 1895 in Lindheim bei Bü- 
dingen in Oberheffen. 

Nr. 87. Schriften der Dichterin und Romanfchriftitellerin Frau Louiſe 
Dtto Peters im Leipzig, geb. 26. März 1819, geft. 13. März 1895. 


692 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Nr. 94. Dev Berfaffer des Kutſchkeliedes. Ergänzung und Bes 
richtigung des Artikels von Unbeſcheid in der Zeitjchrift für deutfchen Unterricht 
vgl. oben ©. 686. 

Nr. 107. Dr. Guftav Freytag F 30. April 1895. I. Werfe und 
Schriften von Guftav Freytag. A. Sammelwerfe. B. Einzelfchriften. C. Im 
Auslande erjchienene Schulausgaben und Ueberjetungen. 1. Schriften über 
Guftav Freytag. IM. Fluftrationen zu Freytags Werfen. 

Sikungsberichte der königlich preußischen Akademie der Wiffenfchaften 
zu Berlin 1894 Heft 52/53. 
Dilthey W., Ideen über eine bejchreibende und zergliedernde Piychologie. 
Sikungsberichte der königl. böhmifchen Gejellihaft der Wiſſenſchaften. 
Klaſſe für Philofophie, Geihichte und Philologie 1894. 

Berzeihnis der Vorträge Emler J., Denkwürdigfeiten von Rakonitz 
1425— 1639 (gedrudt als Nr. 4). — Kvacſala, Komensky und Descartes 
(gedruct in der böhmischen Meufealzeitichrift 1894, 50). — Winter ©., Ueber 
das Prager utraquiftiiche Konfiftorium im 16. Jahrhunderte. — Winter ©., 
Ueber Kirchenpatrone und die Geiftlichkeit im 16. Jahrhunderte. — Mares Fr., 
Ueber die Mufiffapelle der Herrn von Rofenberg (Böhmische Mufeal- Zeit- 
ichrift 1894, 209). — Winter ©., Ueber die Einfünfte der Priefter im 16. Jahr— 
hundert. — Metelfa J., Ueber die Karte von Germanien, welche im 15. Jahr— 
hunderte dev Kardinal Nicolaus de Cuſa herausgegeben hat. 

Nachrichten von der Königl. Geſellſchaft der Wiſſenſchaften zu Göttingen 
Philologiſch-hiſtoriſche Klaſſe 1895 Heft 1. 


Meyer Wilhelm (aus Speyer), Die Göttinger Nachſchrift der Poſtille 


Melanchthons. 
Göttingiſche gelehrte Anzeigen 1895 IV April. 

Vogt F., Herrmann M.: Albrecht von Eyb und die Frühzeit des 
deutſchen Humanismus. Wichtige Recenſion. Tadelt die allzu ausſchließliche 
Verfolgung der humaniſtiſchen Richtung Eybs und eine damit zuſammenhängende 
gewiſſe Einſeitigkeit in ſeiner Beurteilung. Würdigung des Sittenſpiegels. Weiſt 
auf die Einſeitigkeit in Auffaſſung und Darſtellung in der Ueberſicht über die 
Entwidlung der Eheliteratur hin. ©. 525 begründet Bogt feine Anficht, daß 
Arigo der Ueberjeter der deutjchen fiore di virtu und des Decamerone fei. 

Beridyte des Freien Deutſchen Hochftiftes zu Frankfurt am Main. Neue 
Folge Band 11 Jahrgang 1895 Heft 2. 

Munder F., Die Begründung des Freundichaftsbundes zwiſchen Schiller 
und Goethe im Hinblid auf die gleichzeitige deutfche Literatur. Vortrag zu 
Schillers Geburtstag, 10. November 1894. 

Krüger A., Stella und Mattabrunma, ein italienisches Volksbuch. 

Balentin B., Einiges zur Kritif und Ergänzung der Yaofoongruppe. 

Koh M., Neuere Goethe- und Scillerliteratur X. ©. 288 wird 
für Goethes Zueignung verwiefen auf Dantes Fegefeuer XVII, 1—9. 

Zum Bildniffe Ludwig Auguft Frankls. Reproduktion eines 
Bildes von Karl Kahl. 

Annales de l’Est 1895, 1. 

Grucker, La Dramaturgie de Lessing: Voltaire et son theätre. 
Annales de l’universite de Grenoble VII 1. 

Besson P., Wallenstein, Essai de psychologie dramatique. 


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Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 693 


Zeitſchrift des Vereins für Volkskunde Jahrgang 5 Heft 2. 

Weinhold K., Beitrag zur Nirenfunde auf Grund jchlefifcher Sagen. 
Eine merfwürdige Sage aus dem Glogauer Kreis, unter Borausfhidung von 
manichfachen Parallelen aus Sage und Mythologie. 

Friedel E., Anfänge der Webefunft. Mit Slluftrationen. 

Kent A., Bolfsrätjel aus Tirol. Merkwürdig durch zahlreiche bedenk— 
liche Scherze (befonders ©. 149); auch die epifhen Eingänge (©. 151) zu 
beachten. 

Englert A., Zu Goethes Schweizerlied. Englert hat Varianten 
des Liedes im Speffart 1892 fingen hören; die zweite Hälfte ftimmt viel genauer 
als in dem fonjt als Borlage angefehenen Odenwälder Liede, das aber in der 
erften Hälfte befjer ftimmt. Das fränfifche Liedchen kam nur einftrophig vor 
und ward nad der Melodie „Kommt ein Bogel geflogen“ gefungen. Die ältere 
Faffung von Goethes Gedicht, die G. v. Loeper in Friedrih Schloffers Hand- 
ihrift entdeckte, beruhe auf diefem fränkischen Volksliedchen. Auch ſei das Salz- 
burger Schnadahüpfl, das nach Loeper (Hempels Ausgabe 1, 349) von Goethes 
Lied beeinflußt wäre, urfprünglich und habe vielmehr auf dies gewirkt. Hin- 
gegen feien die weiteren Strophen vor Goethe neu gedichtet und von dem „Volks— 
dichter” Glutz aus Olten benutt; doch bleibe gemeinſchaftliche Benutzung älterer 
Duellen denkbar. 

Schwarz W., Ein paar Miscellen aus den Havellandichaften. 

Greußing P., Die alte Jungfer. Yebensbild aus dem Stubai. 

Bahlmann P., Die Yambertus- Feier zu Münfter i. W. Mit Mitteilung 
von feinen Verschen zum Abfingen bei der Feier. 

Haafe 8. E. Bolfsrätfel aus Thüringen. 

Lemke Elifabeth, Uraltes Kinderfpielzeug. 

Peter J., Dorffurzweil im Böhmerwalde Mit Berseinlagen. 

Kahle B., Krankheitsbefhwörungen des Nordens. 

Müller Kurt, Kinderreime aus Leipzig und Umgegend. ©. 199 
Entjtellte Bolfslieder. ©. 202: „Ein Bauer fuhr ins Heu“, „Was fommt dort 
von der Höh“ ac. ꝛc. 

Weinhold K., Die Widderprozeſſion im Puſterthal, eine katholiſche Wall— 
fahrt von uralt vorchriſtlichem Charakter S. 208. 

Kleine Mitteilungen. Stiefel A. L., Ein Eulenſpiegelſtreich 
aus Franken (die fchelmifche Verabredung mit dem Wirte — alter Schwant, 
den z.B. auch Fritz Reuter in „Schurr Murr“ für feinen Bräftg bemutst 
hat) — Fränkel L., Heutiger Bolksglauben. — Weinhold K., Ueber ein jchlefisches 
Wiegenlied. — Nachrichten aus dem Bereih der Bolfsfunde. 
©. 217: Aus Defterreid). 

Büdheranzeigen: Kagel, Völkerkunde, von W. — R. Piſchel, Bei- 
träge zur Kenntnis der deutfchen Zigeuner, von E. Kuhn. — Ad. Haufen, 
Die Spradinfel Gottichee, von 8. W. — K. Gander, Niederlaufiter Volks— 
jagen, von 8. Weinhold — G. Schläger. Studien über das Tagelied, von 
Rich. M. Meyer. — F. Kluge, Deutſche Studentenfpradhe, von Erich Schmidt: 
I. Ausführlihe Beſprechung mit Hinweifen auch auf Burdachs und John Meiers 
neue Schriften. Der allgemeine Standpunkt einer burſchikoſen Lerifographie 
wird feitgeftellt, das Quellengebiet umfchrieben, wobei zahlreiche von Kluge nicht 
benußte Bücher angezogen werden, endlich Belege zu einer Reihe von Ausprüden 
nachgeliefert. Richard M. Meyer. 

Zeitſchrift für Ethnologie. 
26. Jahrgang 1894 Heft 6. Friedrih Tribufeits Chronif, heraus- 
gegeben von A. Hornund PB. Horn, mit Anmerkungen von v. Goßler (Inſter— 


Euphorion II. 45 


694 Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 


burg, Selbjtverlag 1894), befprochen von R. Birhom: fulturhiftorifch intereffante 
Schilderung aus Litthauen, 1864—75 aufgezeichnet. 

Treihel A., Schulzenzeihen und Berwandtes. 

Nachrufe an Brugſch — P. Albrecht (den Berfaffer von „Lejfings 
Plagiaten“) — Helmholtz. 

M. Bartels theilt einen geveimten Grabftein aus Hameln mit. 

Borftellung einer chineſiſchen Schaufpieler-Truppe Die 
Vorführung von Scenen aus dem täglichen Leben bietet zu den Genrebildern 
der Faftnachtsipiele u. dgl. lehrreiche Analogien. 

Bolksfage von einem durch Nageln unverletzlich gemachten Baum in 
Oftpreußen. 

Hahn, Der Hirfe (sic), feine geographiiche Verbreitung und feine Be- 
deutung für die ältefte Kultur. Citiert Meten Hochzit, Bods Kräuterbuch von 
1565, ein fatirifches Schreiben an Friedrih II. ©. 609. 

27. Jahrgang 1895 Heft 1. Andree R., Die Südgrenze des jächfifchen 
Haufes im Braunfchweigifchen. Aussterben des jächfischen vor dem Bordringen 
des oberdeutfhen Haufes. Richard M. Meyer. 

Am Ur-OQuell Band 6 Heft 3. 

Wiedemann A., Ungerecht Gut. 

Feilberg H. F., Der Vampyr. 

Rademächer E., Maifitten am Rhein. 

Sartori P., Zählen, Mefjen, Wägen. 

Haafe 8. E., Die Wetterpropheten der Grafſchaft Ruppin und Umgegend. 

Haas A., Das Kind in Glaube und Brauch der Pommern. 

Poſt, U. H., Mitteilungen aus dem Bremiſchen Bolfleben. 

Fränfel, L., Helgoländer Sagen 2. 

Heilig O., Volklieder aus Waibftadt bei Heidelberg. 

Kulke E., Judendeutſches Volklied. (Mähren). 

Schumann C., Laternenlieder aus Lübeck. 

Treichel A., Knechtlohn im Ermlande. 

Meſtorf J., Ausbuttern. Beiträge von H. Volksmann und Akiba Nagelberg. 

Treichel A., Allerneueſte Hochzeiten. Beiträge von G. Schlegel und 
Simonjen. 

Fränkel L, Zum Rrambambuli-Lied. 

Hennide C. R., Zähne. 

Forſchungen zur deutjchen Yandes- und Volkskunde, herausgegeben von 
A. Kirchhoff. Band 9 Heft 1. 
Teutſch F., Die Art der Anfiedelung der Siebenbürger Sadjen. 
Schuler F., Volksſtatiſtik der Siebenbürger Sadjen. 
Archivio per le tradizioni popolari. Band 14. 

Meyer Gustav, Il Cola-Pesee in Greeia. Stalienifche Ueberſetzung 
zweier griechifcher Lieder nach Michail Lelekos Annorzn Ardoioyıa, Athen 1868 
©. 77 ff. 

Rorrefpondensblatt für Anthropologie, Ethnologie und Urgefchichte 
1894 Oktober. 
Borträge von Eigl, Meringer und Henning zur deutihen Hausforſchung. 
Hiſtoriſches Jahrbuch Band 16 Heft 1. 

Paulus N., Zur Biographie Tegels. Berichtigung einiger Auffaffungen, 
die bezüglich der Tegelfchen Ablaßpredigt ſowohl in proteftantifhen als in katho— 
liſchen Schriften ſich vorfinden und Kritit des Artikels von Breder in der 
Allgemeinen Deutihen Biographie 37, 605. 


en TE 


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Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 695 


Domarus M. v., Die Quellen zur Geſchichte des Papftes Hadrian IV. 
©. 85: Erasmus von Rotterdam. 
Majunke-Paulus. Ein angeblicher fatholifcher Augenzeuge über Luthers 
Lebensende. Erklärungen. 
Rorrefpondenzsblatt des Gejamtvereins der deutjchen Gejchichts- und 
Altertumspereine. 1895 Nr. 2 und 3. 
Wutke K., Schreiben König Ferdinand I. an den Ober-Landeshauptmann 
von Schlefien allgemeineren Inhalts. 1528 bis 1560. 
Zeitſchrift für die gefamte Strafrechtswiſſenſchaft Band 15 Heft 3. 
Diftel Th., Sechs Leipziger Schöppenurtel in einer Ehebruchsjache nad) 
Freiberg (1608/9.) 
Zeitſchrift der Savigny-Stiftung für Nechtsgefhichte Band 15 Heft 1. 
Romaniſche Abteilung. 
Strohal €, Guſtav Demelius 1831—1891. 
Geſchichtsblätter des deutſchen Hugenotten=Bereins 4. Zehnt Heft 5 
und 6. 
Brandes, Die franzöfifhe Kolonie in Minden i. W. 
Schriften des Vereins für Neformationsgefchichte. 
46/47. Bofjart G., Das Interim in Württemberg. 
48. Sperl A., Pfalzgraf Philipp Yudwig von Neuburg, jein Sohn Wolf- 
gang und die Jeſuiten. Ein Bild aus dem Zeitalter der Gegenveformation. 
Sıhriften für das deutjche Volk, herausgegeben vom Verein für Re— 
formationsgefhichte. 
Nr. 23. Voß R., Lebensbilder aus dem Zeitalter der Reformation. 
Jr. 24. Schall L., Doktor Jakob Reihing, einft Jeſuit, dann (Kon— 
vertit) evangelifcher Chrift. 1579—1628. 
Monatsſchrift für Geihichte und Wiffenfchaft des Judentums. Neue 
Folge Band 3 Heft 5. 
Landsberger J., Zur Gefhichte der jüdifhen Buhdruderei in 
Dyhernfurth umd des jüdischen Buchhandels. Schluß. 
Revue des Etudes juives 1894 Juli— September. 
Popper, Les Juifs de Prague pendant la guerre de Trente ans. 


Altpreußifche Monatsſchrift. Neue Folge Band 21 Heft 7 und 8. 

Treihel A., Volkstümliches aus der Pflanzenwelt, befonders für Weft- 
preußen. X. (Fortjeßung.) 

Heide. R., Loſe Blätter aus Kants Nachlaß. Fortjegung. 

Kritifen: Bolte J., Frifhbier: Hundert Oſtpreußiſche Volks— 
lieder in hochdeuticher Sprade. Nachträge zum Teil mit Benugung der 
im Druck befindlihen Sammlung von A. Treichel: Deutihe Volkslieder in 
Weftpreußen ©. 6% f.: Eine Liebesklage, Dialog zwifchen Dorinde und 
Lyſander („Du haft mein Hertz geſtohlen“) aus einer während der erften Hälfte 
des 18. Sahrhunderts entftandenen handjchriftlichen Liederſammlung der König— 
(ihen Bibliothek zu Kopenhagen. 

Beilageheft: Altpreußifche Bibliographie für 1893, nebft Ergänzungen 
zu früheren Jahren. 

Alt-Wien Monatsihrift für Wiener Art und Sprade. Herausgegeben 
und vedigiert von 2. Stieböd. Wien, Gilhofer und Ranſchburg. Jahr— 
gang 4. 

Nr. 2—5. Priſching R., Wiener Stimmen über Literatur, Kunft, Muſik 

und Theater. Eine, auch von ums dankbar benutzte, fehr jorgfältige und aus— 


45* 


696 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


führlide Bibliographie aller einfchlägigen Artikel dev Wiener Zeitungen, 
welche, in ähnlicher Weife ————— dem künftigen Kulturhiſtoriker gute Dienſte 
leiſten wird. 

Nr. 2—4. Wiener Batrisier. Das Wiener Bürgerhaus Theyer. II—IV. 
Geihichte des Haufes Theyer. (Fortſetzung und Schluß.) 

Nr. 2—3. Caſtle E., Die Alcefte in Wien. Eine literarhiftorifche 
Studie. Ayrenhoff. Pauersbadh. Joſef Richter. Perinet. 

Nr. 2. Proben aus einer anonymen Brofhüre: „Das alte und neue 
Wien. ine Heine Faftenpredigt für meine lieben Landsleute.“ Wien 1788. 

Schreiber V., Ein Wiener Original. Direltor Niclas. Direktor des 
Sun: Sultowstyfchen Theaters in Wien. 

Nr. 4—5. Prifhing R., Ferdinand Raimunds Verhältnis zur Mufik. 
Beiprehung feiner Lieder und Kompofitionen. Berhältnis zur Operndichtung. 
Kompofitionen anderer zu feinen Werfen. — Macht wahrjcheinlich, daß bei der 
erjten Aufführung der Gefeſſ elten Phantaſie Raimund als Nachtigall das 
Lied: „Der Heurige iſt ja ein Göttergetränk“ und erſt am 25. Mai 1828 das 
Lied: „He, Leuteln, wollts recht luſtig fein“ mit der Anfpielung auf Paganini 
gefungen habe, wornad) die kritiſche Ausgabe zu verbefjern ift. 

Nr. 4. Nagl J. W., Der Name Wien — deutjch ! 

Nr. 5. Kaden "5. & Freiherr v., Ein Laufer-Lehrbrief. 

Eaftle E, Grillparzer umd Zedlik. I. Zufammenftellung einiger 
Notizen. Zedlitz ſelbſt ließ durch Schreyvogel dem Abweſenden [Grillparzer] 
ſeine herzlichen Grüße übermitteln und verwahrte ſich gegen die Annahme einer 
Nivalität zwifchen ihm und Grillparzer, dem er berzlih gut ſei und am defjen 
Trefflichfeit er ar vecht innig erfreue.“ Ungedruckter Brief weſſen am wen ?] 

Jaden H. 8. Freiherr. v., Alte Wiener Reklame. Zwei Wiener Komödien- 
Zettel anno 1785. Aus Bänerles Theaterzeitung 1812 Nr. 86 wiederholt. In 
dem zweiten wird das Nitterfpiel „Prinz Emerih von Franken oder Die Eiche 
der Verſchwörung“ fälſchlich Meißner zugefchrieben. 

55. Beridyt über Beſtand und Wirken des hiftorifchen Vereins zu Bamberg. 

Leift F., Die Gefchichte des Theaters zu Bamberg bis zum Fahre 1862. 

Mitteilungen und Umfragen zur bayerifchen Volkskunde. Herausgegeben 

im Auftrage des Vereins für bayerische Volkskunde und Mundartforfchung. 

Sahrgang 1 Nr. 1. 

Der Berein für bayerifche Volkskunde und Mundartforſchung. 

Beyhl F., Bayeriſche Bajtlöfereime. 

Mitteilungen des Vereines für Gefchichte der Deutfchen in Böhmen. 

Jahrgang 33 Nr. 4. 

Biermann, ©., Wenzel Hiefe. Nefrolog. 

Grad! H., Deutfhe Volksaufführungen. Beiträge aus dem Egerlande zur 
Gejchichte des Spiels und Theaters. (Schluß.) Nr. 70—96. 1560—1755. Die 
Berfaffer der aufgeführten Stüde bleiben faft durchweg zweifelhaft. Nr. 70. 76. Iſaak 
und Rebekka. 1560. 1585. — 71. Die Rebelles des Macropedius. 1561. — 
72. Der reihe Mann und der arme Lazarus. 1565. — 73. Der barmberzige 
Samaritaner. 1574. — 75. Streit über ein bisher unbefanntes, einmal auf- 
geführtes Stüd von Clemens Stephani: „Alerander im Pflug.“ 1584. 
— &. 319 Anmerkung wird aus dem Jahre 1570 eine Paffion Stephanis 
nahgewiefen. — 77. 78. „Zugend und Luft“ von Daniel Betulius 1585 
verloren. Ein dazu gehöriges „Narrenfpiel“ erhalten und abgedrudt. Bio- 
graphifches über den Berfaffer (Birfner aus Wunfiedel) und deſſen Familie. — 
19. 85. Sujanna. 1599. 1637. — 80. Horiatier und Curiatier. 1607. — 
81. Judieium Salomonis. 1616. — 82. Andreas und Banchan. 1629. — 


Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 697 


86. Ungenannte deutſche Comödie von dem Schulhalter Matthäus König. 
1638. — 9. Der riftlich-finifcehe Aeneas. 1716. — 9. Eraftus. 1739. — 
9. Charindus. 1752. — 9. Dionys, der Wütherich von Sicilien. 1755. 

° Sauer A., Einige Bemerkungen zu einer im Beſitze des Vereines befindlichen 
Autographenfammlung. (Schluß.) I. Ebert. 2. Ebert an Klar, 29. September 1855, 
mit einer Umarbeitung der öfterreihiichen Volkshymne. Aftenmäßige 
und andere Beiträge zur Gejchichte der Volkshymne. Holteis Umarbeitung. 
©. 361 Stelle aus Th. v. Karajans Tagebuch über deren Aufnahme bei 
den Zeitgenoffen 1835. — 3. Ebert an Klar. 12. Mat 1853. — II. Joſeph 
Führich. Ueber Joſeph Feil (24. Juli 1845); über die Revolution (1. Juli 1848). 
— II. Anton Günther. Wirfung von Grillparzers Gediht an Radetzky. 
— IV. Karl Herlosfohn. Ueber defjen biographiiche Skizze in Jahrgang, 
1849 der Libufja (darin über 3. Werner). — V. Uffo Horn. — VI Juſtinus 
Kerner. Deffen Beiträge zur Libuffa nachgewiefen. — VII. Alfred Meißner. 
— VII. Adalbert Stifter. Reitenbeds Auffat über Stifter in der Libuſſa 
1855 gewürdigt. — ©. 376 Anmerkung: Neitsenbed über Betty Paoli. — 
IX. J. St. Zauper. — ©. 378 über Goethes Brief an Zauper vom 
27. Dezember 1822. 

Köpl K., Ein Beitrag zur Gefchichte der Fehde der Schlide mit der 
Stadt Elbogen. 

„Brandenburgin‘‘ 159. 

Nr. 10. Friedel E., Ein Berliner Mörder und — die Kraniche des Ibykus. 
Gefchichte eines Mordes aus dem Jahre 1617; die Mörder verrieten fich felbft 
durch den Hinweis auf die rächenden Bögel. 

Kr. 11. Bolle E., Kleine Nachlefe hauptſächlich mittelmärkiſcher Pflanzen: 
namen. 

Nr. 12. Friedel E., Ueber Erinnerungs-Tücher. ©. 314. Ein Gedicht 
auf einem Erinmerungsband: „Alt-Berlin. Bey der erwünfchten Rückkehr des 
Königs 1779.“ 

Mene Heidelberger Iahrbiicher Jahrgang 5 Heft 1. 

Schröder R., Eine Selbftbiographie von Fritz Neuter. Brief Neuters 
an deſſen Freund und Schüler Richard Schröder, Bollentin, Februar 1861, die 
Grundlage für Schröders Auffat über Reuter, Grenzboten XX, 1, 441 ff. 

Schröder R., Ein Brief Savignys an einen früheren Schüler. (Kreis— 
Suftizratd Schröder in Treptow.) Berlin, 4. Mai 1849. 

Cantor M., Zahleniymbolif. Vortrag. 

en des Vereins für heſſiſche Gejchichte und Landeskunde. Neue 

? olge. 

Band 18. Diemar H., Das heſſiſche Bühnenfpiel vom Bauern- 
friege. 

Supplement 11. Gundelad) F., Das Caffeler Bürgerbuch (1520 bis 1699.) 
Nach dem Originale des Caffeler Stadtarchivs herausgegeben und mit Anmerkungen 
verjehen. | 

Jahresbericht des Nicolaigymnafiums in Leipzig. 

Wuftmann G., Urkundliche Beiträge zur früheften Geſchichte der 
Nicolaiſchule. 

Schriften der hiſtoriſch-ſtatiſtiſchen Sektion der k. k. mähriſchen Geſellſchaft 

zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde Band 29. 

d'Elvert Chr. Ritter, Zur Geſchichte des Erzbistums Olmütz und ins— 
beſondere ſeines mehrhundertjährigen Kampfes mit den mähriſchen Ständen und 
der Staatsgewalt. 3. Teil ſeiner Beiträge zur öſterreichiſchen Rechtsgeſchichte. 


698 Bibliographie. 1. Zeitichriften. 


Schriften des Vereins für meiningifhe Geſchichte und Landestunde 
Heft 17. 

Reihardt E., E. Koch und Th. Stord, Die Wafunger Mundart. 1. Teil. 

Mitteilungen des Inftituts für öfterreichifche Geſchichtsforſchung Band 16 
Heft 2. 

Zwiedined-Südenhorft H 9. v., Die Anerkennung der pragmatifchen Sank— 
tion Rarls VI. durch das deutiche Neid. 

Zeitſchrift für öfterreichiiche Volkskunde Jahrgang 1. 

Heft 2/3. Hein W., Herenfpiel. Stammt aus Kriml im Salz- 
burgifchen; Schreiber der Handſchrift ift Rupert Wecfelberger, der aud) 
angiebt, der Dichter des Spieles zu fein. Bericht über eine Aufführung am 
2. Februar 1894. Abbildung mehrerer der gebrauchten Holzmasten. Text. — 
Aus derjelben Duelle ift ein Nifolausjpiel erhalten. 

Heft 2. Nagl J. W., Ueber den Gegenjat zwifchen Stadt und Land— 
dialeft in unſeren Alpenländern. 

Schreiber H., Die Wichtigkeit des Sammelns volfstümlicher Pflanzennamen. 

Kralik R. R. v., Ueber das Volkslied von der Schlacht bei Belgrad 1717. 

Heft 3. Krainz J., Sitten, Bräuche und Meinungen des deutjchen 
Bolfes in Steiermark. 

Bünker, J. R., Die heiligen drei Könige. Ein Volfsfpiel aus der 
Dedenburger Gegend. Mit einem Nachipiel: „Türken umd Hufar.“ 

Jahrbuch der Gejellichaft für die Gefchichte des Proteftantismus in 
Defterreih Jahrgang 16 Heft 1. 

Yuthers Beziehungen zu Böhmen. I. Fronius R., Yuthers Beziehungen 
zu den Utraquiften. 

Buchwald G., Die Bedeutung des Wittenberger Ordinirten- 
buches 1537—1560 für die Neformations-Gefhichtsforihung Defterreichs. 

Schmidt Arthur, Das Evangelium in Gablonz und Umgebung. II. Ab- 
ihnitt. Die Begründung der evangelifchen Gemeinde Gablonz zu Beginn des 
XIX. Jahrhunderts. 1. Das Toleranzpatent Joſef II. 2. Der erfte evange— 
liſche Gottesdienst in Gablonz. 3. Die Neubildung der evangelifchen Gemeinde. 

Mitteilungen des Vereins für Gefchichte und Yandesfunde von Osnabrüd 
19. Band 1894. 

Düring A. v., Geſchichte des Stiftes Börftel. II. Teil. Uebergang des 
Klofters in ein freimeltliches Stift von 1532 bis 1674. 

Forft H., Urkundliche Beiträge zur Lebensgefhichte des Kardinals Eitel 
Sriedrih von Hohenzollern-Sigmaringen, Fürftbifhofs von Osna— 
brüd. (1623— 1625.) 

Blätter für Pommerſche Volkskunde Jahrgang 3. 

Nr. T und 8. Brunk A., Durch Haus und Hof, Feld und Wald. 
PBommerfhe Bolfsrätjel. 

Manzet E., Der Feuerfönig im Ahlbeder See. 

Knoop A., Figgeljaggel und der pommerſche Hacdelberg. 

Archut A., Aberglaube und Braud aus den Kreifen Bütow und Lauenburg. 

Haas NW., "Handwerter- Anjpraden. 

Zeitfhrift der Hiftorifchen Gefellfchaft für die Provinz Pojen Jahrgang 9 
Heft 3 umd 4. 

Bernftein P., — uel Dombrowskis Geburtsort. 

Haſſencamp R., Der Ehebund der polniſchen Prinzeſſin Anna Katharina 
Conſtantia mit Philipp Wilhelm v. Pfalz Neuburg und feine politischen Folgen. 
Beilage: Brief der Königin Caecilia Renata von Polen an Philipp Wilhelm von 
Pfalz-Neuburg vom 1. Auguft 1643, 


ee 


Bibliographie. 1. Zeitfehriften. 699 


Prümers R., Yied der württembergiichen Auswanderer im Fahre 1781. 
Aus den Württembergifchen BierteljahressHeften für Landesgeſchichte 1892 ab- 
gedrudt. 

Schulz Fris, Der Totentanz. Eine Bolfsjage aus Betjche. 

Bublikationen der Gejellihaft für rheiniſche Gefchichtsfunde XI. 1. Band. 

Below ©. v., Yandtagsakten von Fülich-Berg. 1400—1610. 1. Band. 
1400— 1562. 

Neues Archivr für Sächſiſche Geihichte und Altertumsfunde Band 16 
Heft 1 und 2. 

Geß F., Leipzig und Wittenberg. Ein Beitrag zur fächfischen Reformations— 
geihichte. Hiſtoriſche Darftellung der wechfelfeitigen Beziehungen bis zum Tode 
des Moſellanus 1524. — Beilage: Datierung und Kollationierung der benußten 
Stüde des Urkundenbuches der Umniverfität Leipzig. Sehr wichtig. 

Pilk ©., Geſchichte der Burg Nechenberg. 

Schulte Walther, Eine Flugſchrift über das Anrecht König Friedrichs II. 
von Preußen auf Böhmen. Die im Archiv 14, 342 von Diftel befprochene 
Schrift rührt von Prof. Cara) jun. zu Halle her. 

Lippert W., Der ältefte kurſächſiſche Bibliothefs-Katalog aus 
dem Jahre 1437. 

Mitteilungen der Schlefiichen Gefellfchaft für Volkskunde, 

Sahrgang 1894/95 Heft 4 Gufinde K., Schleſiſches Volkslied aus der 
Zobtengegend. 

Bogt F., Hunne. 

Drechsler, Alp= und Geifterfagen aus dev Gegend von Leobſchütz. 

Heft 5. Vogt F., Die Feittage im Glauben und Brauch des fchlefifchen 
Bolfes. (I—VI. PBalmfonntag bis Walpurgisnadt.) 

Sahrgang 1895/96. Heft 2 Nr. 1. Fränkel ©., Orientalifhe Einflüffe 
auf die deutihe Sprache. Auszug aus einem Bortrage. 

Dittrich P., Schleſiſche Oſtergebräuche. 

Vogt F., Die Feſttage im Glauben und Brauch des ſchleſiſchen Volkes. 
VII. Mai. a) Walpurgistag, b) Mairegen. — IX. Himmelfahrtstag. — 
X. Pfingſten. 

Korreſpondenzblatt des Vereins für ſiebenbürgiſche Landeskunde. Jahr— 
gang 18 Heft 1. 
Schullerus A., Die Volksballade von der Nonne, 
Ungarifce Revue Jahrgang 15. 
— Apponyi A. Graf, Aeſthetik und Politik, Künſtler und Staatsmann. 
ede 


Ethnologiſche Mitteilungen aus Ungarn Band 4 Heft 1. 

Deutſche Volkslieder aus Dfen (Budapeft) aufgezeichnet und mitgeteilt 
von Frau Joſefine von Weiß-Finäczy. 

©. 80. Kinderliedhen aus Weftpreußen. Mitgeteilt von A. Treichel. 

Württembergiſche Jahrbücher für Statiftit und Landeskunde Jahr— 
gang 1894. 

Hartmann, Nekrolog des Jahres 1894. 

Steiff, Württembergiſche Literatur vom Jahre 1894. 

Hartmann, Regierung und Stände im Königreich Württemberg 1806— 94. 
Anhang: Württembergifhe Bundesgefandte, Parlamentsabgeordnete, Bevoll- 
mächtigte zum Bundesrat und Mitglieder des Reichstags. 

Hartmann, Ueber Ortschronifen, 

Wagner J., Das Gelehrtenfchulmefen des Herzogtums Württemberg in 
den „Jahren 1500— 1534. 


700 Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 


Württembergiſche Bierteljahrshefte für Landesgeſchichte. Neue 
Folge. Jahrgang 3 Heft 4. 

Sofenhans J., Die deutſche Bibelüberfegung in Württem- 
berg zur Zeit der Reformation. 1. Der Kampf um die deutjche Bibel. — 
2, Die deutſche Bibel in der Kirche der Reformation. — 3. Kauf und Drud 
von Bibeln. — 4. Ueberfegungsproben aus der Neformations-PLiteratur. — 
Umfangreiher, wichtiger Aufjat. 

Stälin v., Schwediſche Schenkungen in Bezug auf Teile des heutigen 
Königreihs Württemberg und an Angehörige zu demjelben gehöriger Familien 
während des Dreißigjährigen Krieges. 

Leibius O., Württembergifhe Gefhichtsliteratur vom Jahr 1893. 1. All 
gemeine Landesgefchichte. 2. Lofalgefhichte. 3. Biographiiches. 


Deutſche Rundſchau 159. 

April. Lang, W., Aus Karl Friedrich Reinhardts Leben. Am Hofe 
König Jeromes. (1808—1813) VI/IX. 

Krauß R., Eduard Mörife. Briefe aus feiner Sturm- und Drang— 
periode. 1V—V1. Brief 22—44 aus dem Fahre 1828. Nr. 22—28, 32—38, 
41, 44 an Mährlen, 29, 42 an Ludwig Bauer, 30 au Guftav Schwab, 
31 an die Mutter, 43 an die Mutter und Bruder Karl, 39 an Onfel Neuffer 
in Bernhaufen, 40 an Friedrich Rauffmann. Uebergangszeit, in der ev 
von dem verhaßten geiftlihen Beruf (©. 54: „Alles, nur fein Geiftlicher“) 
(oszufommen verfucht und die Pebensftellung als Literat anftrebt. Wichtige und 
aufichlußreiche Briefe; S. 79 eine wertvolle Selbitcharafteriftif; ©. 60 erſte Be— 
fanntichaft mit Theofrit; ©. 61, 69 Gedichte; ©. 63 Trauerfpiel Enzio; 
©. 70 vermutlihe Anfänge zum „Maler Nolten“; ©. 75 Motiv zur „JIdylle 
vom Bodenfee” ; ©. 66 Plan zu eine Münchner Zeitung; ©. 72 Charafte- 
viftif Menzels. Sonft werden außer den nächſten Freunden, Schwab, Stord, 
Spindler genannt. ©. 56 Urteil über die Helena-Scenen in Goethes 
Fauſt: „Ein curiöfes, aber nicht unkräftiges Schattenjpiel; doch will fich der 
griechiſche Fauſt dem deutjchen ſchlecht amalgamieren.“ 

Petri Julius, Gedichte. 

Mai. Liltenceron R. Freiherr d., Dev Wallenftein der Schillerfchen 
Tragödie im Licht der neueften Geſchichtsforſchung. 

Kübler B., Biene und Honig. Ihre Symbolif und Poeſie. ©. 226 
Goethes Nektartropfen. ©. 239 Fifharts Bienenkorb. ©. 242 Gott- 
fried Rellers Apothefer von Chamounir. S. 253 Gleim. ©. 256 
Goethes Schweizerlied. 

Mord und Sid 1895. 

April. Fund H., Ein Schreiben Tifhbeins über Goethe in Rom. 
An Lavater, Rom, 9. Dezember 1786. Enthuftaftiiche Schilderung Goethes 
und feiner Lebensweife in Nom. Erwähnung der „Efigenia”. Das bemerfens- 
werte Schreiben jehließt mit den Worten: „Ich freue mich das ich jezo lebe des 
Goethens und Yavaters wegen.“ 

Mai. Achelis Th, Heymann Steinthal. 

Biedermann W. Freiherr v., Ein überjehener Aufſatz von Goethe. 
Unbedeutende Notiz aus dem „Taſchenbuch für die Schaubühne auf das Jahr 
1800* über die Renovierung des Weimarer Schaufpielhaufes. Goethes Autor- 
Ihaft ift nicht völlig gefichert. 

Deutſche Beune 1895. 

April. Mai. Poihinger H. v. Fürft Bismard und die Parla- 

mentavier. Freiherr von Barnbüler. Julius von Hölder, 


Bibliographie. 1. Zeitſchriften. 701 


April. Lommel E. von, Eine optifhe Reliquie von Goethe Ab— 
bildung und Befchreibung eines zierlichen, gelb gefärbten Trinkglaſes, worin 
ein Stüd ſchwarzes Seidenzeug ftedt, welches das Gelb des Glaſes als Blau 
durchſcheinen läßt, von Goethe am 13. April 1821 an Hegel, den teilnehmenden 
Anhänger feiner Farbenlehre, gefandt. 

Wiedemann Th., Leopold von Ranke und Bettine von Arnim. 
Ranfe an Bettine, Wien, 21. Dftober 1827. Fragment. Reife nah Wien. Dresden 
(Tied), Prag (Dobrowsky, der nah den Brentanos fragt, Hanfa), 
Wien (Hormayr, Gens). — Bettine an Ranke, Berlin, 30. September bis 
24. Dftober 1827. Bergleicht Rankes pudelichte rumme Buchftaben mit Schleier- 
macer. Ueber Barnhagen, Welders Zoega, Steffens. Bei Schleier- 
macer wird über Rankes Naivetät geftritten. Bethmann-Hollweg. — Ranke 
an Bettine, Wien, 6. Februar 1828. Muſik und Theater. — Bettine an Ranke, 
Berlin, 2. April 1828 Empfehlungsbrief für Stapfer. A. v. Humboldts Bor- 
lefungen. Bitte, er möge Beethovens Grab in ihrem Namen befuchen. Varn— 
hagen. — Bettine an Ranke, Berlin, Mai 1828. Ueber das Gerücht, Ranke fei 
Katholif geworden. Barnhagen. — Ranke an Bettine, Rom, 10. Oftober 1829. 
— Rankes Briefwechfel mit Varnhagen ſoll fih anſchließen. 

Grunwald M., Beiträge zur Charakteriftif Friedrichs des Großen. 
Nah Breslauer Archiven. 

Mai. Poſchinger H. v., Erinnerungen an Yothar Bucher. Nachträge 
zu Poſchingers Bud. Dr. Wilhelm Gittermanns Aufzeihnungen über Bucher. 

Lemmermeyer F., Hebbels Anſchauungen über Kunft und Religion. 
Nach teilweife ungedrudten Briefen. Sehr intereffante Mitteilungen aus zwei 
Briefen Hebbels an den Pfarrer Luck in Wolfsfehlen (16. Oktober 1860 und 
Dfterabend 1861), der ihn zum pofitiven Glauben befehren wollte. 

Preußifche Zahrbücher 1395. 

—April. Harnad O., Deutfhes Runftleben in Rom vor Hundert 
Jahren. 

Gebhardt B, Wilhelm von Humboldt und Nicolovius. Mit 
Ergänzungen und Berichtigungen zu dem von Haym herausgegebenen Brief— 
wechſel und mit Benutzung von Akten aus der Zeit des Humboldtiſchen Mini— 
ſteriums. 

Harnack O., Beſprechung der 3. Auflage von Goethes Fauſt in ur— 
jprünglicher Geftalt mit methodifchen Bemerkungen. 

Mai. Nerrlih P., Ueber das Verhältnis Ludwig Feuerbachs zı 
Hegel. Bortrag. 

Wehtermanns Illuſtrierte deutſche Monatshefte 1895 April. 

sung E., Machiavelli und Friedrich der Große. 

Graul N, Fritz Auguft von Kaulbach. Mit einem Porträt und fünf- 
zehn Abbildungen. 

Eine Schilderung des Hoflebens unter Louis XIV. von Moliere. Aus 
dem Nachlaſſe Friedrih von Bodenjtedts. Deutſche Nachbildung des Re- 
mereiment au Roi, fait par J. B. P. de Moliere en l’annee 1663, apres 
avoir &t& honore d’une pension par sa Majeste£. 

Geſellſchaft Nr. 6. 

Sonnenthal A, Bor Bierzig Jahren. Grazer Engagement 1854. 
Ludwig Löwe. „Franz“ in „Goetz von Berlichingen“. Ein Albumblatt von 
Holtei (Graz im Frühling 1855): „Der Eine zog voll Jugendhoffnung hin...“ 

Dan 1895 April— Mai. 

Nietzſche F., Zarathuftra vor dem Könige. (Fragment.) 

Novalis, Der vierte Hymmus an die Nacht. Bloßer Abdrud des Tertes. 


702 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


Fontane Th, Aus meinem Leben, Erftes Kapitel, Berlin, 1840. (Fu 
der Roſeſchen Apothete.) 

Die Hufen. Zwangloſe Hefte für Produktion und Kritit 1895 Heft 1. 

Arent W., Ueber Sacher-Maſoch. Nefrolog. 

Landry %., Neues von Jakob Michael Reinhold Lenz. Eine Kennzeich— 
mung der modernen Goethe-Philologie. Vorrede eines größeren Werfes. 

La Nouvelle Revue. 

1894 15 mars. Zeller J., Le socialisme au temps de la Reforme 
en Allemagne. 

15 oct. Baron Hess. Une page inedite de l’alliance prussosaxonne 
en 1806. 

1895, 15 jan. Lichtenberger H., Wagner et la Revolution sociale, 
1848— 1849. 

Le monde moderne 1895. Fevrier. 

Bailly E., L’esprit contemporain en Allemagne. 
Tilskueren 1895 Januar. 

Brandes G., Goethe og Marianne von Willemer. 
Deutſche Dichtung. 

Band 17 Heft 12. Zur Charakteriftif Friedrich Halms. Halm an 
Eduard Duller, 12. Dezember 1836. Ueberſendet vier Probefcenen aus der 
Grijeldis zur Eimüdung in den Phönix. — An den Grafen Mailath, 
Wien, 13. Dezember 1843. Lehnt deffen Aufforderung, einen Nefrolog auf Ent 
für die Jris zu liefern aus mehreren triftigen Gründen ab, hofft aber in Zukunft 
eine Auswahl aus den Schriften Enfs mit einer Biographie herausgeben zu fünnen. 
— Der Herausgeber des Briefes fcheint den von Schachinger herausgegebenen 
Briefwechfel zwifchen Halm und Enf, der hier unbedingt hätte erwähnt werden 
müffen, nicht zu fennen. — An den Grafen Mailath, 19. März 1844. Ueber- 
jendet ein Manuffript des „Sampiero“. 

Albert Lindner und Franz Dingelftedt. Lindner an den Ober- 
vegiffeur der Weimarifchen Hofbühne, den Schaufpieler Grans, Rudolftadt, 
19. Juni 1866, über die Aufführung feines Dramas „Stauf und Welf.“ 
Die in dem Briefe erwähnte Vernachläſſigung Dingelftedts hat Lindner deffen 
verhängnispolle Feindſchaft zugezogen. 

Band 18 Heft 1-3. Gottfried Keller. Nach feinen Briefen und 
Tagebüchern. (Jakob Bächtold: „Gottfried Kellers Leben.“ ) 

Heft 1. 2. Franzos K. E, Franz Wiffel. Nah den Tagebüchern 
und ungedrudten Briefen des Dichters. V—VI. 

Heft 1. [Franzos K. E.) Aus Scheffels legten Lebensjahren. Mit 
ungedructen Briefen des Dichters. An Eduard von Engerth. Briefe vom 
8. und 20. Mai 1878, 20. Juni 1881, 20. Januar 1882, 9. Dezember 1885, 
17. und 22. Juni 1884. Befonderes Intereſſe haben nur die erften beiden 
Briefe, die fih auf die Angriffe Gutzkows, Yorms und Schemberas gegen 
Scheffel gelegentlich feiner Adelung beziehen. 

Heft 2. Ungedructe Briefe und Verfe von Ferdinand Freiligrath. 
Brief an Fofef Du Mont, „Stroldhenfels“ (Unkel), 26. Januar 1840. Poland» 
album. Shakeſpeareüberſetzung. Abjat der Gedichte. — Brief an einen Freund 
in Darmftadt, Mayenberg am Züricherſee, 21. September 1845. — Zur Rind» 
taufe, 15. Juni 1856. Gedicht im Namen feines Sohnes Percy. 

Heft 5. Guſtav Freytag. Nekrolog. Benutzt Mitteilungen eines 
Breslauer Profefjors über Freytags Dozentenzeit. 

Franzos K. E., Einiges über Heine. Teilt mit, daß die Briefe Mathilde 
Heines an Ritter von Friedland-über Verhandlung mit Staatsardiven wegen 


Bibliographie. 1. Zeitichriften. 103 


Ermwerbung Heinefher Papiere in feinem Befite ferien und veröffentlicht werden 
follen. — Ueber das Original des Heinefhen Porträts, das der jchlechten 
Reproduktion im Chamiſſo-Schwabſchen Mufenalmanad zu Grunde liegt. 


Menge literarifcye Blätter Jahrgang 3 Nr. 6. 
H St. [Heinridh Stümde], Die Umfturzvorlage und die moderne Piteratur. 
Hähnel F., Dichter und Dichterinnen der Gegenwart. Biographifche 
Skizzen. V. Klaus Groth. 
Die Aula Wochenblatt für die akademiſche Welt Jahrgang 1. 
2. Lange R., Die gegenwärtigen Aufgaben der Aefthetif. 
Nr. e Carriere M., Die Einheit des Geiftes. Nachgelaffene Arbeit. 
Nr. 2. Wolff E., Inwieweit ift die Literatur unferes Jahrhunderts für 
ee Berrachtung reif? 
r. 3. Wolff E., Moderne Literatur. 
Mr 5/6. Elſter E., Die Darftellungsformen literarhiftorifcher Epochen. 
Nr. 6/7. Stein & Das legte Werk Fr. Nietzſches. 
Nr. 8. Valentin V., Realismus und Naturalismus. 
Schrattenthals Rundſchau Jahrgang 2. 
Nr. 14—16. Aus hinterlaffenen Papieren. Aus Marie v. Hanfteins 
Tagebuche. 
Nr. 15—17. Schmidt Auguſte, Louiſe Otto Peters. 
Die Grensboten 1895. 
Nr. 12. Wuftmann R., Aus der Gefchichte der deutſchen Studentenſprache. 
Nr. 13. R. W. [R. Wuftmann] Burihifofe Ausdrüde Dürers. 
[Witfowsfi G.), Wozu find die Yehrer da? Gegen die modernen Schul- 
ausgaben deutfcher Klaſſiker. 
Bartels A., Literatur und Pathologie. 
Nr. 20. Ein Brief Guſtav Freytags. GSiebleben, 1. Juni 1852. 
Freundfchaftliher Brief an Grunom. 
Deutſches Wochenblatt 1895. 
Nr. 12. Mähly J., Etwas vom ſprachlichen Rhythmus. 
Nr. 19. Ein Brief Guſtav Freytags. Wiesbaden, 26. März 1888. 
An den Herausgeber der Zeitſchrift. Antwort auf die Einladung zur Mitarbeit. 
Nr. 21. Koh M., Guſtav Freytag. Mitteilungen aus den Akten 
der philofophiichen Fakultät in Breslau über Freytags afademifche Laufbahn ; 
u. a. Abdrud feines Habilitationsgefuches, 9. Januar 1839 und feiner Bewerbung 
um die Profeffur nah Hoffmanns SUNG, 4. Februar 1843. Ein un- 
gedrudter Brief Jacob Grimms, 7. Juni 1848, über die Wiederbefegung 
der Lehrfanzel nah Jacobis Tod. 
Die Nation 1395. 
31. Guftav Freytag an den Dichter der „Weber“ über die Um- 
ln Brief an G. Hauptmann, Wiesbaden, 27. Februar 1895. 
Nr. 32. Steinhaufen G., Guftav Freytag als Kulturhiſtoriker. 
Kr. 35. Virchow R., Erinnerungen an Karl Vogt. 
Das Magazin für Literatur 1895. 
Kr. 19. Poppenberg F., Guftav Freytag, der Erzieher und der 
Künſtler. 
Heilborn E., Guſtav Freytag, der Dramatiker. 
Kr. 21. Schmidt Erid, Eine Biographie Gottfried Kellers. 
Frankenſtein A., Der König Kophetua. Mit Pal Schettlers Ueber— 
jegung der Ballade von König Rophetua und dem Bettlermädchen. 


704 Bibliographie. 1. Zeitjchriften. 


Die Gegenwart 1395 Wr. 10. 

Geiger L., Ungedrudte Gedichte Karl Werders. Barianten zu drei 
in Gildemeifters Ausgabe aufgenommenen Gedichten: Die Ode an’3 Meer, die 
Ode an die Freiheit und das Gedicht: „Bei Tieds Tode*. Ferner ein 
Cyklus von 4 ungedrudten Gedichten. Sie ftammen aus dem, Geiger zur Be- 
arbeitung übergebenen, Nachlaffe eines mit Werder innig befreundeten Mannes. 

Die Zukunft Jahrgang 3. 

Nr. 26. Kohl H., Eine unbekannte Rede Bismards. Entwurf zu 
einer am 13. April für das Erfurter Parlament beftimmten, aber an dieſem 
Tage nicht gehaltenen Rede. 

Nr. 29. M. H. [M. Harden], Ueber König Ottofar. Grillparzers 
König Ottofars Glüd und Ende. Allgemeine Charakteriſtik des Dichters. 

Nr. 33. Büchner 2%, Karl Vogt. Nekrolog nad perſönlichen Erinnerungen 
und mit Benutung eines Briefes von Vogt an Büchner, datiert: „Am Feſt— 
tage, der die Heuchelei der Demut in die Welt gefetst hat.“ Darin eine 
Stelle über Jahn: „Der Efel vor dem alten Jahn, der im feinem widerlichen 
Stinfbarte ſtets die Nefte feiner jämtlichen Mahlzeiten umhertrug, fteigt mir 
allemal bei Erneuerung feiner Hammen und Trummen als Magezog zu Magen. 

Nr. 35. Moltke H. v., Deutjchland und Dänemark. Neudruc eines 
Aufjates von Moltfe aus der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung 
1. November 1841, eingeleitet von 9. Kohl. 

Die Zeit 189. 

Nr. 29/30. Minor J., Zur Fauſtſage 1. Die Volksbücher. Kleine 
Nachweiſe und ne Die Grafen Anhalt des Volksbuchs ftammen aus 
dem Eulenfpiegel. Bermutet als Berfaffer des Volksbuches von Chriftlich 
Meynenden den Dresdner Buchhändler Chriftoph Miethen. — 2. Das 
Volksſchauſpiel. Gegen Bielfhowstis Auffaffung der Hofjcenen im Puppen— 
jpiel. — 3. Volksſchauſpiel und Volkslied. Diefes fei aus jenem entftanden. 

Kr. 35. Naumann B., Erinnerungen an Guftav Freytag. 

Neue Bene Jahrgang 6 Nr. 19. 

Alberti C., Guftav Freytag. 

Der Gefellfchafter 1895 Februar. 
Drüller G. A., Ein bisher ungedrudtes Straßburger Hocdzeitscarmen 
des Dichters J. M. R. Lenz. 
Der Zufdauer 1895 Nr. 4/5. 
a Braſch M., Der ältefte deutsche Sativifer vor 400 Jahren. Sebaftian 
Brant. 
Braufewetter E., E. v. Wildenbrud. Ein Dichterprofil. 
Antony W., M. ©. Saphir. 
Bühne und Leben 189 Nr. 6. 
Iſolani E., Saphir als Kritiker. 
Der Kunſtwart Jahrgang 8. 

Nr. 6. Chth., Nietzſche und feine Bedeutung. 

Nr. 9 und 10. Larftanjen Fr., Die neue Aeſthetik. 

Nr. 14 und 15. Bartels A. Geſchichtliche Stoffe. 

Yr. 16. Guftav Freytag 

Deutfch-Toriale Blätter Sahrgang 10 Nr. 352. 
Guſtav Freytag 7. 
Hiftorifcdy-politifche Blatter Band 115 Heft 8. 
Joh. Peter Schund (1744—1814). 
Dentfcher Merkur Jahrgang 26. 
Kr. 12. Fürft Alerander Hohenlohe und Juftinus Kerner, 





Bibliographie. 1. Zeitjehriften. 105 


Nr. 13. 14. Ein Beitrag zur Neligions- und Kulturgeſchichte Dber- 
ſchleſiens. 
Broteftantifche Kirchenzeitung 1895. 
Nr. 7. König K., Ein Gleichnis Jacob Böhmes mit Vorbemerkungen. 
Nr. 17. 18. Horn, Emanuel Geibel als religiöſer Dichter. 
Nr. 18. Websky J., Zur Erinnerung an Th. Hoßbachs Leben und 
Wirken. 
Nr. 20. Kieſer H., Feſtrede zur Enthüllung des Luther-Denkmals. 
Veeſenmeyer E., Zu Guſtav Freytags Gedächtnis. 
Leipziger Lehrerzeitung Jahrgang 2. 
Kr. 25. Wünſche A., Der Volksſchuüllehrer im modernen Romane. 
Nr. 29 und 30. Pfütze, Peſtalozzi und einige pädagogiſche Grenz— 
beſtimmungen. 
Literariſches Gentralblatt 1895. 
Wr. 11. S-n., Boullieme: Die Incunabeln der k. Univerſitäts-Bibliothek 
zu Bonn. 
Nr. 19. O. K. Deffoir: Gefchichte der neueren deutſchen Piychologie. 1. 
Weift eine Reihe von Ungenauigkeiten nad). 
Deutſche Literaturzeitung 159. 
Nr. 10. Jodl F., Deffoir: Gefchichte der neuen deutſchen Piychologie. I. 
Nr. 20. Seidlitz W. v., A. Aubert: Profeffor Dahl. 2 Bände. 
Krijtiania 1893/94. „Sehr farbenreih und anregend ift die Schilderung des 
Dresdener Geifteslebens in den zwanziger Jahren, mit Geftalten wie Tied, 
Böttiger, Carus, Tiedge im Mittelpunkt. Bon noch allgemeinerem Intereſſe 
ift Die eingehende Darftellung der Entwidlung des modernen Naturgefühls, die 
im 2. Bande gegeben wird.” 
Oeſterreichiſches Literaturblatt 1895. 
Nr. 7. Minor %., Creizenach: Gefchichte des neueren Dramas. I. 
ir. 9. Kralik R., Ch. Bing: Novalis. Wünfcht eine ftärfere Betonung 
der platoniſchen Einflüffe, die Novalis erfahren und verarbeitet hat umd 
jtellt jelbjt alles zufammen, was feiner Meinung nach bei Novalis auf Plato 
zurüdgeht. 
Sterns literariſches Bulletin dev Schweiz Jahrgang 3 Nr. 1. 
Die Oppofition gegen die Errichtung eines Heine-Dentmals. 
Bulletin critique 1895. 
Wr. 1. Lettre de M. E. Jordan sur la Goerres-Gesellschaft et 
son activite seientifique depuis sa-fondation en 1876. 
Wr. 3. Comte de Charencey, Le Folk-lore dans les deux mondes. 
Revue politique et literaire 1895. 
Nr. 21. Grenier E., Heine en France. Einwendungen gegen Bet 
und Legras-Gerfal. Nr. 25. Entgegnung von Legras-Gerfal. 
Bohemin 159. 
14. März, Beilage. Reinboth F., Wie fih die Weimarer Großen beluftigten. 
Eine Schilfer-Goethe-Erinnerung. Szludhopinyis Brief vom 20. Auguft 1803. 
15. März. Biermann, Berichtigung über Andreas Szludhovinpyi. 
6. April, Beilage. Fürft R., Das fehenswürdige Prag. Befchreibung 
Prags von Karl Adolf Redel, Frankfurt und Leipzig 1710. 
19. Mai. Klaar A., Prolog zur Gedächtnisfeier des deutjchen Landes- 
theaters für Guftav Freytag. 
Deutfcye Zeitung 159. 
14. und 15. März. Böhme R., Friedrih Hebbels Gedanken über 
die Sprache. 


706 Bibliographie. 1. Zeitfchriften. 


5. und 9. April. Bechtel E., Naturempfindung bei den Deutjchen. 

11. April. Hammer W. A., Johann Chriftian Günther (zur zwei— 
bundertjährigen Geburtsfeier.) 

Wiſſenſchaftliche Beilage zur Leipziger Zeitung 1895. 

Nr. 21. Reineck E., Der Park von Tiefurt. Ein Erinnerungsblatt 
an Anna Amalie, Herzogin von Sachjen-Weimar und Eifenad). 

Tr. 22. Nr. 54. Haarhaus J. R. Auf Goethes Spuren im Süden. 
Keifeffizzen 13. Bon Perugia bis Rom. 14. Das antife Nom. 

Wr. 23. Zu Otto Ludwigs Gedädtnis. 

Nr. 31. Roſt R., Berliner Theaterverhältnifje im vorigen 
Sahrhumdert. 

Bdrmn. [W. Freiherr von Biedermann). Goethe und Napoleon. 
Verteidigt die Echtheit von Talleyrands Bericht gegen Geigers Zweifel. 

Kr. 33. 34. Anna Röhn-Siegel, Aus meinem Tagebuche vom 
Dresdener Hoftheater. (Mitte der fünfziger Fahre.) 

Nr. 39. Albrecht G., Friedrih Adolf Krummacher. Ein Gedenk— 
blatt zum fünfzigjährigen Todestage. 

Nr. 42. Fränkel L., Zu J. Chr. Günthers 200. Geburtstag. 

Nr. 43. Karl Stieler 7 am 12. April 1885. 

Nr. 46. Simrotd H., Zu Chriftian Gottfried Ehrenbergs 
hundertftem Geburtstage. 

Nr. 47. Peter Apianus. Ein Gedenfblatt zur vierten Säkular— 
feier feiner Geburt. 

Nr. 157. Albrecht, Friedrich der Große auf der Bühne des Theätre 
frangais. 

Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1895. 

Nr. 87. Pfizer G., Otto Bähr Nachruf. Die Daten beruhen auf 
der Mitteilung eines Familiengliedes. 

Nr. 92. Nordmeyer G., Pontius Pilatus in der Sage. 

Nr. 115. Kluge F., Aus dem Studentenleben des 18. Sahrhunderts, 
Ueber Pab ſtwahl und andere ftudentifche Bierfpiele zur Erklärung der Fauſt— 
Scene „In Auerbadhs Keller“. 

Nr. 121. 122. Weilen A. v., Zwei Sturm: und Drangperioden. 
Charafteriftif der modernften deutſchen Literatur. 

Nr. 123. 124. 125. Bawdiffin W. W. Graf, Auguft Dillmann. 
Nadıruf. 

Kr. 126. 127. Stelter 8, Guftav Freytag. Nekrolog. Nach per- 
ſönlichen Erinnerungen und Briefen; u. a. über Auerbad, Klaus Groth, 
Hedrih, Meißner. 

— —— Rundſchau 1895 Nr. 90. 
„Heines Sprachgewaltigkeit. 
—* 23. April 1895. 
[F. Tadra.) Weitere Bemerkungen zu R. Wolkans „Geſchichte 
der Ve Literatur in Böhmen.“ Nichts literarifches. 
Vreſſe 1595. 

15. Februar. Hörmann L., Alpiner Legenden- Humor. Vier aus dem 
Volksmund aufgezeichnete Legenden. 

10. April. z. k. J., Die Charwoche in den Weſtalpen. 

Neue Freie Vreſſe "1895. 

25. Jänner. Wertheimer E., Das Hetzamphitheater in Wien. (Nach 

ungedrudten Akten.) 





Pibliographie. 1. Zeitfchriften. 707 


12. Januar. Münz ©., Briefe Ottilie Goethes und Anderer 
(Kanzler Müller, Arndt, Fanny Lewald, Hermann Grimm, 
Auguft Harthaufen, Chr. A. Brandis, F. W. Carove). Bruchſtücke. 

7. Februar. Geiger L., Briefe der Bettina vd. Arnim. 5 Briefe 
an Beit. 

I. März % Sch. F. Schüt], Deutſches Volkstheater. (KKäthchen 
von Heilbronn. Heinrich Kleift umd feine Beziehungen zur Defterreich.) 

11. März. Abendblatt. F Hermann Meynert. 

12. März. Thaler K. v., Leopold v. Saher-Mafod. Nefrolog. 

23. März. Bericht über einen Bortrag A. v. Bergers über die Puppen- 
jpiele von Dr. Fauſt. Knüpft an einen in Prettau neu aufgefundenen hand- 
ſchriftlichen Text eines altertümlichen Bauernfpieles an. 

9. Mai. L. Sp. L. Speidel], Guftap Freytag. 1816—189. 

10. Mai. Abendblatt. Guftap Freytag über die Ahnen Wid- 
tiger Brief an einen Kritifer, Wiesbaden 6. Februar 1881. 

11. Mat. Tannhäuferin Paris. Erzählung der Fürftin Metternich 
über die erfte Aufführung des Tannhäuſer in Paris im Fahre 1861 und 
N. Wagners Dankbrief an die Fürftin vom 21. März 1861. 

Schwäbifche Chronik 1395 Sonntagsbeilage Nr. 32. 

Krauß R., Wilhelm Waiblinger im Verkehr mit feinen ſchwäbiſchen 
Freunden, Bortrag, am 2. März 1895 im Wiürttembergifchen Altertumsperein 
gehalten. Berfehr mit Schwab, Theodor Wagner, Matthiffon, Moriz 
Rapp, Guftav Pfizer, Ludwig Bauer, Eduard Mörike, Friedrid 
Zeller u. a. Benutzt Waiblingers ungedrudte Briefe an Efer und Rapps 
Tagebuch. Wünſcht eine ausführliche Lebensbeichreibung Waiblingers mit gründ- 
licher Verwertung der noch vorhandenen Tagebücher und Korrefpondenzen. 

Schleswiger Nachrichten 1594 Nr. 231—291. 

Bieſe A., Ueber Lyrik und neuere deutjche Lyriker. 

Bote für Tirol und Voralberg 1895, 13., 16. und 17. April. Nr. 85—87. 

Prem ©. M., Goethes Freund Johann Chriftian Ehrmann, 
1799 — 1827. Meift anefdotifche Mitteilungen. 

Sonntagsbeilage sur Voſſiſchen Zeitung 1895 Wr. 15. 

Schüddefopf K., Berlin nah der Schlacht bei Kumersdorf. Drei Briefe 
von 2. F. Yangemad an Ramler aus dem Jahre 1759. Biographiſche 
Notizen über ihn aus Briefen Namlers an Gleim. Notizen über Leſſing: 
„Den 9. Leifing habe ich einmal in feinem Garten beſucht. Er wird jetst in 
einen Religionskrieg vermwidelt werden. Denn er fennt, jchreibt er, einen Geiftlichen, 
der noch tollere Perioden macht, von dem er uns einmal zu unterhalten verjpricht.” 
— 28. Auguft: „ich wollte auch ehe nicht anmorten, biß ich von dem H. Leifing 
einen Brief mit einlegen fönnte. Er hat mir wohl zehnmal verſprochen einen 
zu ſchicken; hätte Er es nur nicht gethan, jo läge einer hiebey. . . . H. Leſſing 
hat an Ihn [Rleift) über Danzig gefchrieben und wir erwarten mit Schmerzen 
eine Antwort, welche doch bisher noch nicht hat erfolgen können.“ — 6. September, 
jehr Schön über Kleifts Tod: „Er hat als ein Held gelebet und ift als ein Held 
geftorben.“ 

Nr. 19. 20. Michaelis P. Guſtav Freytag. 

Kr. 19. Pniower O., Gottfried Keller in Berlin. 

Wiener Abendpoft 1895 Beilage Nr. 55, 7. März. 

Minor J. Banernfeld. Sehr intereffanter Briefwechjel zwiſchen 
DBauernfeld und einem Domino der Falhingsdienstag-Nedoute vom Jahre 1856. 
Bauernfelds Briefe beleuchten ‚den „kritiſchen Moment in feinem Leben und 


708 Bibliographie. 2. Bücher. 


Wirken“, den Mißerfolg feines Luftipiels „Unter der Negentihaft“ im 
Burgtheater. 
Wiener Ertrablatt 1595, Nr. 102, 14. April. 

Intereffante Briefe. Aus dem Nachlaffe des Luſtſpiel-Dichters Leopold 
Feldmann Bon Gußfow (2), Saphir, dem Hamburger Theaterdireftor 
Cornet (1844), Dingelftedt (Stuttgart, 28. Juli 1847), Holbein (Wien, 
9. Dezember 1842), Franz Wallner (1844 und 1855), Rihard Wagner 
(1844), Schaufpieler Yang (Stuttgart 1847), Hülfen (1851), L. Wihl an 
Feldmann (Paris 1854), Yaube an Wihl über deſſen Schaufpiel „Sufanne.“ 

Zwei unbefannte Gedichte Caftellis. Ein Brief Gaftellis an Boas, 
21. Januar 1845. 

Wiener Fremdenblatt 159. 

Nr. 27. Seis E., In Grillparzers Bücderet. 

Nr. 71. Wimmer J., Ein deutfcher Theaterdireftor Auguſt Klinge- 
mann] über Wien (1819). Sophie Schröder in Dresden; Theater; 
bejonders das Leopoldjtädter Theater; Raimund. 

Nr. 76. Weltner A. F., Ludwig Loewe. Ein Botivblatt. 

Wiener Montags-Kevue 139. 

Nr. 5. Berger A. Frhr. v., Kleifts Pentheſilea. 

Wr. 12, 25. März. Jubiläumsnummer. Beer R., Ein unveröffentlicher 
Brief Efermanns Weimar, 3. Februar 1829. 

Schloſſar A., Aus den legten Tagen Nicolaus Lenaus mit 6 un— 
gedructen Briefen des Dichters an Emilie von Reinbeck 1843 und 1844. 

Frimmel Th, Dem Andenfen Moriz Thaujings. 

Ein Brief von Gottfried Kinkel, Hirslanden bei Zürich, 18. Juli 1869. 

Weilen A. v., Das Uebernatürliche im modernen Drama. 

Werner R. M., Ibſen und Halm. Bergleih von Nora und Sampiero. 

Krones F. Ritter v., Aus der handihriftlihen Hauschronif der Pudleiner 
Piariften. 

Münz B., Wien im 18. Jahrhundert in der Beleuchtung Ludwig 
Wefhrlins. 

Werner K., Friedrih Hebbel als Erzähler. 

Landau M., Grillparzer und Zope de Vega. (Ueber Farinellis Buch.) 

Aeues Wiener Tagblatt Wr. 94. 6. April 189. 

Kalbet M., Dichter und Bagabund (Günther.) 

Gazzetta Piemontese 159. Nr. 54, 23/24. Februar. 

Giorgieri-Contri C., A Proposito di due publicazioni su Heine. 
Ueber Vareſe €., Enrico Heine nella vita e negli seritti und die italienifche 
Ueberjegung der Neifebilder von Antonino Cimino-Foti. 


2. Büder!). 
Literaturgefchichte. Poetik. Sammelmwerke. 

Möllendorf P. ©. v., Die Weltliteratur. ine Lifte mit Einleitung. Schanghai 

(Leipzig, Köhler). 1.20 M 
Der in Schanghai lebende Verfaſſer erweitert den Begriff der Weltliteratur 
um ein bedeutendes, indem er die chinefifche, hebräifche und neulateinijche 
Literatur in weit größerem Maße in feine Liften der beften Bücher einbezieht, 
als das bisher gejchehen iſt; chineſiſch iſt durch 62 Autoren (davon 15 Meifter), 





1) Wo die Yahreszahl fehlt, ift 1895 zu ergänzen. 





Bibliographie. 2. Bücher. 709 


bebräifh durch 33 (9 Meifter), lateinifh durch 81 (11 Meifter) vertreten, 
wovon nur 20 in die Zeit vor Auguftinus fallen. Die deutjche Literatur ift, 
wie die franzöfifche und die englifche durch 109 Autoren (darunter 12 Meifter) 
vertreten. Er beſchränkt fich nicht auf die ſchöne Literatur, fondern führt auch 
zahlreiche Gelehrte an, auch Beitzfe, Zunz, Lazarus u. a.; dagegen fucht man 
Novalis, Arnim, Brentano, Raimund vergebens. 

Heilmann ®., Gefchichte der deutichen Nationalliteratur, nebſt einem Abriß der 
deutfchen Poetif. Ein Hilfsbuch für Schule und Haus. 2. Auflage. Breslau, 
Hirt. 1.60 M. 

Hoffbauer K., Kurzer Abriß der deutſchen Literaturgefchichte. 3. Auflage. 
Frankfurt a. O., Harneder & Co. W X. 

Kluge H., Geſchichte der deutſchen National-Literatur. 26. Auflage. Altenburg, 
Bonde 2 M. 

Koh M., Gejchichte der deutjchen Literatur (Sammlung Göfchen, Band 31). 
2. Auflage. Stuttgart, Göfhen. 80 A. 

Koenig R., Deutſche Literaturgefhichte. FJubiläums-Ausgabe. 25. Auflage. 
2 Bände. Mit 126 zum Teil farbigen Beilagen, 2 Lichtdruden und 433 Ab- 
bildungen im Tert. Bielefeld, Velhagen & Klafing. 15 A 

Rossel V., Histoire de la literature frangaise hors de France. Lausanne, 
Payot. 6.40 M. 

Darin auf S. 415—466 ein Abjchnitt: L’Allemagne. 

Komorzynsfi K., Beobahtungen über die Fauna der deutfchen Dichtung. 
Programm. ZTroppau 1894. 

Rentſch J., Yucianftudien. Programm. Plauen i. V. 

Inhalt: J. Lucian und Voltaire. II. Das Totengeſpräch in der Literatur. 

Wukadinovié ©., Prior in Deutſchland (Grazer Studien zur deutſchen Philo— 
logie herausgegeben von A. E. Schönbah und B. Seuffert Heft 4) Graz, 
„Styria.“ 

Inhalt: Vorwort. — Einleitung. — Hagedorn. Die Bremer Bei- 
träger. — Die Hallenfer. — Kleinere weltlihe Gedichte. Heinrih und 
Emma. — Wieland. — Geiftlihe und didaktifche Dichtungen. — Geſamt— 
überfegung. Schlußbetrachtungen. — Regiſter. 

Auf diefe äußert forgfältig gearbeitete und geſchmackvoll gefchriebene 
Unterfuhung, deren nähere Würdigung wir uns vorbehalten, ſei hier vor— 
läufig hingewieſen. Nur das eine fei jchon jetst bemerkt, daß der Berfaffer 
die ihm zunächſt liegende öfterreichifche Literatur fich nicht hätte entgehen laſſen 
follen. Im Anfchluffe an Retzers Choice (vgl. oben ©. 557) wären die 
Jahrgänge des Wiener Mufenalmanahs darauf hin zu prüfen gewefen, ob 
unter den zahlreichen darin enthaltenen Ueberſetzungen „Nach dem Englischen“ 
nichts auf Prior zurücgehe; Joh. Bapt. Rupprechts große Sammlung: 
„Dichtungen der Britten im metrifchen Weberjetungen“ bot im 1. Band 
(Wien 1812) drei Gedichte Priors zur Unterfuhung dar: Die wahre Jungfer 
©. 51; Die Taube ©. 178; Der Löffel ©. 421, und deffen fonftige in den 
Wiener Tajchenbüchern bis im die zwanziger Jahre fortgejetste Ueberfetzer- 
thätigfeit ergiebt vielleicht noch weitere Ergänzungen. 

Maad R., Ueber Bopes Einfluß auf die Idylle und das Lehrgedicht in Deutjch- 
land. Ein Beitrag zur vergleichenden Piteraturgefchichte. Programm. Hamburg. 

Umfihtig gefammelte und überfichtlich geordnete Parallelen zu den Idyllen 
von Brodes, Halter, Kleift und Duſch, zu den Lehrgedichten von Brodes, 
Haller, Hagedorn, Zernig, Dusch und Leffing. Leider ift dem Verfaſſer die 
umfangreiche und rejultatreiche Unterfuhung von 2. Wpplel „Englands Ein- 
fluß auf die Lehrdichtung Hallers“ (Wien, XXXIII. Jahresbericht der Wiedner 


Euphorion II. 46 


710 Bibliographie. 2. Bücher. 


Kommunal-Oberrealichule 1888), die ſich nur mit Pope und Haller bejchäftigt, 
entgangen. Und Creuz, Oeſt, Withof, Herder ? 

Nippold %., Die jejuitiihen Schriftfteller der Gegenwart in Deutjchland. 
Leipzig, Janſa. 1% 

©. 57—61: XI. Schöne Literatur md Literaturgefchichte. 

Bauer €, Das literarifche Berlin (1887—1892). Offene Briefe an dem 
Banquier Itzig Teiteles in Pofen von Dr. Iſidor Feildenfeld. 2. (Titel-) 
Auflage. (Aus der Mifchpofe I.) Leipzig, Reinhold Werther. 3 A 

Literariihe Satire. 

Grabow 9H., Die Lieder aller Völker und Zeiten aus 75 fremden Sprachen in 
metrifchen deutſchen Ueberfetungen und mit Quellenangaben verfehen. Nach 
dem VBorbilde von J. ©. von Herders „Stimmen der Völker“. Sechſte Auflage. 
1. Lieferung. Hamburg, Kramer. 50 9. 

Inhalt: Hymnen. Nationalhymnen. 

Bonte H., Deutſche Lyrik. Ein Sammelbuch zeitgenöffisher Dichtung. Wien, 
Schalt. 2.40 M. 

Kiehne H., Die deutfchen Lyriker der Gegenwart. Ein Sammelwerf mit Quellen- 
angaben und literarifch-kritifchem Begleitwort. 2. Band. 1. Heft. Nordhaufen, 
Selbftverlag., 2 M. 

Jädicke A., Bismard und das deutiche Vaterland im zeitgenöfftiichen Lied. Ein 
Gedenkbuch für Bolt, Schule und Haus, gefammelt.- Dresden, Henkler. Ge— 
ſchenk-Ausgabe, 2. Auflage, 2.40 4; Bolls-Ausgabe, 3. Taufend, 1 A. 

Inhalt: Zur feftlihen Erinnerung an den 1. April 1815. — Die vor- 
bereitende nationale Bewegung. 1848 — 1863. — 1863 — 1866. Düppel- 
Sonderburg— Königgrät. — 18570— 1871. Wörtp— Sedan— Paris. — Nad)- 
Hänge. 1871—1891. Bismard=Lieder. 1831—1894. — Nachwort. Ber- 
zeihnis der Dichter und Autoren oder Quellen. — Alphabetifches Inhalts— 
Berzeihnis (nad) den Lied-Anfängen geordnet). 

Ich vermiffe alles Defterreihifche, zumal Hamerlings politifche Gedichte 
und unter den Bismardliedern C. v. Wurzbachs die Stimmung der älteren 
Generation wiederjpiegelndes Gedicht „An Fürft Bismard am 6. Februar 1888“ 
(Deutiche Zeitung 12. April 1888). 

Uri F. (F. Müller), Carmina varia. Eine Auswahl deuticher Studentenz, 
Volks- und anderer Lieder, ins Lateinische übertragen. Dresden, Neißner. 1. 

Borinsfi K., Deutfche Poetif (Sammlung Göſchen). Stuttgart, Göfchen. 80 9. 

Inhalt: Dokumente der Gefchichte der Poetit. — 1. Der Dichter nnd fein 
Werk. 1. Die Dihtung als Anlage. 2. Die Dihtung als Kunft. 3. Begriff 
des Stils. — II. Innere Mittel der Dichtung als Kunft. 1. Dichtung und 
Sprade. 2. Mythologie. 3. Vergleihung. 4. Sprachbewegung. — 111. Xeußere 
(mufifalifche) Mittel der Dichtung als Kunft. 1. Metrik. 2. Weberficht der 
typifchen Bere. 3. Strophen. — IV. Gattungen der Dichtkunft. 1. Lyrik. 2. Das 
Drama. 3. Das Epos. 

Popp ©., Heber den Begriff des Dramas in den deutſchen Poetifen des 17. Jahr— 
hunderts. Differtation. Leipzig. 

Miller O., Gedanken über die Tragödie. Aarau, Sauerländer. 1 cM 

Peſch W., Einige Bemerkungen über das Wefen und die Arten der dramatifchen 
Poefie (angefnüpft an die Poetif des Ariftoteles). Programm. Trier. 

Abel 2., Der gute Gefhmad. Aefthetiiche Effays. Wien, Hartleben. 8 A 

Badhaus W. E., Sittliche oder äfthetifche Weltordnung? Eine Abhandlung. 
Braunjchweig, Limbach. 1.80 AM. 

Inhalt: 1. Die fittlihe Weltbetrachtung. 2. Die äfthetifche Weltbetrachtung. 
3. Der äfthetifche Staat. 4. Schlußwort. 


Bibliographie. 2. Bücher. 711 


Gerof K., Poeſie und Religion. Stuttgart, Krabbe. 50 9. 

Rody H., Die moderne Literatur in ihren Beziehungen zu Glauben und Sitte. 
Randgloffen zur Umfturz-Borlage. Mainz, Kirchheim. 1.4 

Bifher R., Ueber neues Leben. Rede. Göttingen, Dieterih. 30 9. 

Allgemeine deutfhe Biographie. 191. Lieferung (Band 39 Lieferung 1.) 
Tunner-Uhland. Leipzig, Dunder und Humblot. 

Anna Elifabeth von Türckheim, Goethes Lili (M. Kod.) — 
Damian Türdis, ein bisher unbeachtet gebliebener jähftfcher Dichter aus dem 
erften Biertel des 17. Jahrhunderts (Bolte). — Ernſt Xaver Turin, Rirchen- 
fiederdichter des 18. Jahrhunderts (Bäumker.) — Hans Erhard Tüſch, 
nad einer nicht ganz unzweideutigen Angabe der Autor der 1477 gedichteten 
und im jelben Jahre zu Straßburg gedrudten „Burgunder Hyſtorie“ (Roethe). 
— Hiob Gotthard von Tihammer, Schlefificher Dichter des beginnenden 
18. Jahrhunderts (Roethe.) — Auguftin Tünger, Facetift des 15. Jahr— 
hunderts (Noethe). — Heinz Uebertwerch, fahrender Sänger des 15. Yahr- 
hunderts (NRoethe.) — Friedrich Ueberweg, Philofoph 1826—1871 (DO. Lieb- 
mann). — P. %. vd. Uechtritz, Dichter 1800—1875 (M. Mendheim.) — 
A. F. H. R. Uhde, Fournalift und Literaturhiftorifer 1845—1879I (J.) — 
Ludwig Uhland (H. Fiſcher.) 

Badhaus W. E., Literariſche Eſſays. Braunſchweig, Limbach. 3 M 

Inhalt: 1. Schiller und das moniſtiſche Kunſtprinzip. 2. Die Kinder 
der Idee und ein Wort an unſere Schriftſteller. 3. Menſchenverehrung, Menſchen— 
vergötterung und klaſſiſche Kurioſa. 4. Das literariſche Schaffen und das Ent— 
wicklungsgeſetz in der Literatur. 5. Ueber den Urſprung der Sprache und 
Poeſie. 6. Das Erdewallen des Genius. 

Bamberger L., Charakteriſtiken (Geſammelte Schriften Band II). Berlin, 
Rofenbaum & Hart 1894. Nachtrag zu Euphorion 1, 680. 

Inhalt: Vorwort. — Adam Pur (Aus der Revue Moderne, XXXIX, 

Dftober 1866). — Moriz Hartmann (F 13. Mai 1872). Feuilleton der 
— “ vom 18. Mai 1872, Morgenblatt. — Reminiscenzen an Napoleon III. 
(7 9. Januar 1873). Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 
16., 18., 19. und 21. Januar 1873. — Eduard Lasker. Rede gehalten in 
der Singafademie zu Berlin am Abend des Begräbnistages, 28. Januar 1884. 
— Laskers Briefwechfel aus dem Kriegsjahre. Aus der „Nation“, Jahrgang 9 
Kr. 26. — Zur Erinnerung an Friedrih Kapp. Aus der „Nation“, Jahr— 
gang 2 Nr. 5. — Karl Hillebrand. Aus der deutichen Rundſchau. Dezember- 
heft 1884. — Heinrich von Zreitichfe. Aus der „Nation“, Jahrgang 7, 
Nr. 25, 26 und 27. — Kr Ferienftimmung. Aus der „Nation“, Jahrgang 9 
Nr. 13. — Heinrich Hombergers Effays. Aus der „Nation“ vom 14. Mai 1892. 
— Ernjt Renan (7 2. Oktober 1892). Aus der „Nation“ vom 8. Oftober 1892. 
— Adolph Spetbeer (7 23. Oftober 1892). Aus der „Nation“ vom 
29. Oftober 1892. — Arthur Chuquet. Ein Mufter objektiver Geſchicht— 
fchreibung. Aus der „Deutfhen Rundſchau“, November 1892, — Otto 
Gildemeifter zu feinem fiebzigften Geburtstage. Aus der „Nation”, Nr. 24 
vom 11. März 1893. 

Curtius €, Altertum und Gegenwart. Gefammelte Reden und Vorträge. 
Dritter Band. Unter drei KRaifern. Zweite vermehrte Auflage. Berlin, 
Herb. DM. 

Inhalt: 1. Gedächtnisrede auf Kaifer Wilhelm I. 2. Gedächtnisrede auf 
Kaiſer Friedrich. 3. Gedächnisrede auf: den Generalfeldmarihall Grafen 
Moltfe. 4. Die an der Zufunft. 5. Friedrich der Große und die 
deutiche Literatur (188 6. Der Beruf des Fürften. 7. Das Königtum 


46* 


712 Bibliographie. 2. Bücher. 


bei den Alten. 8. Die Griechen als Meeifter der Kolonifation. 9. Athen und 
Eleufis. 10. Der Zehnte. 11. Auguft Böch (1885). 12. Auguft Böckh und 
Karl Otfried Müller. 13. Richard Lepfius (1885). 14. Düffeldorf und 
Cornelius (1869). 15. Erinnerungen an Emanuel Geibel (1884). 16. Georg 
Curtius (1886). 17. Naxos (1846). 18. Das Berhältnis der bildenden Kunſt 
zur Architektur (1895). 

Feſtſchrift zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum Ludwig Friedländer dargebracht 
von feinen Schülern. Leipzig, Hirzel. 12 M 

Aus dem Inhalt: Baumgart H., zur Lehre des Ariftoteles vom Wefen 
der Kumft und der Dichtung. — Jacobſen M., Erinnerungen an Alt-Königs- 
berg. — Kammer €., Zur Erinnerung an 8. Lehrs. — E. Lagenpuſch, Der 
Traum. 

Frommel M., Charafterbilder und Charafterbildung. Altes und Neues. Mit 
Borwort von E. Frommel. 4. Auflage. Bremen, €. E. Müller. 2.380 M. 
Gnad E., Literariihe Effays. Neue Folge. Wien, Konegen. 4 M. 

Inhalt: 1. Henrik Ibſen. 2. Hermann Sudermann. 3. Friedrich Hebbel 
und die Nibelungentragödie. 4 Robert Hamerling als Lyriker. 5. Robert 
Hamerling als Dramatiker. 6. Arthur Fitger. 7. Friedrih Marr. 8. Hans 
von Bintler. 

Kern F., Kleine Schriften 1. Band: Zu deutichen Dichtern. Gejammelte Auf- 
füge. Berlin, Nicolaifhe Berlags-Buhhandlung R. Strider. 3 M 

Inhalt: Borwort und Franz Kerns Leben von Otto Kern. I. Ueber 
den Dichter Angelus Silefius. II. Schillers Ideale vom Menjchenglüd. 
II. Zur Erinnerung an Friedrich Rückert. IV. Friedrich Rückerts poetifches 
Tagebuch. V. Chamifjos Fauft und Peter Schlemihl. (Sonntagsbeilage der 
Boffiihen Zeitung 1886). VI. Zur Erimmerung an Joſeph von Eichendorff. 
VII. Zur Würdigung von Uhlands Gedichten. VIII. Ueber Platens dichterifche 
Bedeutung mit befonderer Beziehung auf Heines Urteil in den Neifebildern. 
IX. Nikolaus Lenau. X. Ernft Moritz Arndt. (Nede, gehalten in Schulpforta 
am 18. Oftober 1861.) XI. Ludwig Gieſebrecht. (Sonntagsbeilage zur Voſſi— 
ihen Zeitung 1892 Nr. 27.) XII. Ueber Felix Dahns epifche Dichtung „Harald 
und Theano“ (1887). 

In einer langjährigen jegensreihen Schulthätigfeit hat fih F. Kern eine 
große Schar von Schülern und Freunden erworben, welche die von der Hand 
des Sohnes pietätvoll beforgte Sammlung feiner Kleinen Schriften als theures 
Vermächtnis hochhalten werden. Für den Literarhiftorifer haben dieſe meift 
älteren und teilweife veralteten Aufjäte geringeren Wert. Einige, wie I, III, 
XI ftehen zu größeren Arbeiten des Verfaſſers in näherer Beziehung. Einige, 
wie VI, X, XI find bei beftimmter Gelegenheit entftanden und hatten damit 
ihren Zwed erfüllt. Einige, wie V, VIII, IX find diveft verfehlt. Kern ſteht 
einzelmen Dichtern des 19. Jahrhunderts mit beengender Boreingenommenheit 
gegenüber. Der ftrenge Zuchtmeifter Uhlands und Yenaus überfhätt den 
mittelmäßigen Ludwig Giefebrecht, der einfeitige Lobredner der Didaktik vermag 
an Rückert nur den Gedanfendichter zu würdigen, zum Berftändnis von Platens 
Weſen und Dichtung fehlt ihm der Schlüffel gänzlih. Wer von Jugend auf 
feine Seele in Platens glutvolle Sonette zu verjenfen gewohnt ift, der wird hier 
mit Erjtaunen den Sat leſen (S. 174), daß dieſe Formen der deutjchen Poefie 
immer fremdartig bleiben werden. Ueber Heines Verurteilung ift die Gefchichte 
längft zu gerechterer Würdigung Platens vorgedrungen; wo aber Kern mit 
jeiner Rettung einfett, ift alle Mühe den unleugbaren Thatjachen gegenüber ver- 
loren. Er haftet durchaus an der Oberfläche der Form. Er hat feine Ahnung 
von der jchöpferifchen Gewalt des Rhythmus und von den tiefen Geheimniffen 


ar 


Bibliographie. 2. Bücher. 7113 


der Wortjtellung, wenn er die Ballade „Gambacorti und Gualandi“ ©. 171 
in „Enochentrodne” Profa auflöft. Er hat aber auch Feine Achtung vor dem 
einheitlichen lebendigen Organismus dichterifcher Gebilde, wenn er willfürlich 
ganze Strophen eines Gedichtes ausläßt — und das nicht etwa blos zu 
pädagogischen Zwecken —, wenn ev fremde Produktionen verbeffert, fie feinem 
dichterischen Ideale anzunähern verfucht. So weht ein undichterifcher, philiftröfer 
Geift durch diefe Blätter, der die Lektüre zu einer unbehaglichen, ja peinlichen 
Arbeit macht. — Die Schriften find auf drei Bände berechnet. Der zweite 
Band wird vorzugsweife Goethe und Sophofles gewidmet fein. Der dritte 
bringt die Auffäge zur Philofophie und ihrer Gejchichte. 

Lothar R., Kritifche Studien zur Pfychologie der Literatur. Breslau, Schleſiſche 
Buchdruderei. I M. 

Inhalt: I Zur Gefchichte der Kritik in Frankreich. — II. Neue Literatur- 
ftrömungen in Frankreich. — III. Bom franzöfifhen Roman. — IV. Vom 
deutfchen Roman: Die Alten und die Jungen. Paul Heyjes „Merlin“. Bertha 
von Suttner. Roman und Novelle. Hermann Sudermann. C. %. Meyers 
„Angela Borgia“. PB. K. Nojegger. Ferdinand don Saar. — V. Deutſcher 
Humor. — VI. Das Geheimnis des dramatifchen Schaffens. — VII. Bom 
deutfhen Drama: Heinrih Bulthaupt. Theater-Reformen. — VIII. Dent- 
blätter: Otto Ludwig. Friedrich Bodenftedt. Aus dem Nachlaſſe Dinaelftedts. 
Aus dem Nachlaffe Berthold Auerbachs. Aus dem Nachlafje Kellers. — Regifter. 

Marſhall W., Plaudereien und Borträge. Zwei Bände. Leipzig, A. Twietmeyer. 

Darin auch zwei biographifche Skizzen über Konrad Gesner und van 
Leeuwenhoek. 

Schreck E., Lebensbilder aus Hannoverland 3. Reihe. Hannover, Oft. 1.20 4 

Inhalt: Peters, Göben, Bennigfen, Miguel, Hoffmann v. Fallersleben. 

Strümpell 2., Abhandlungen aus dem Gebiete der Ethik, der Staatswiffen- 
ſchaft, der Aefthetif und der Theologie. Leipzig, Deichert. 6 Hefte. 4 cM 

Inhalt: 1. 9. Heines Beriht „Zur Gefchichte der Religion und Philo- 
jophie in Deutfchland“ an die Franzofen im Jahre 1835. Die fittliche Welt- 
anficht des Spinoza. Die Freiheit des logifchen Denkens. — 2. Ueberficht 
umd Beurteilung der hauptfächlichften Begründungsmeifen der Ethif. De summi 
boni notione, qualem proposuit Schleiermacherus, dissertatio. — 
3. Die fittlihen Fdeen. — 4. Das Ideal der Tugend und die Pflichterfüllung, 
Selbfterfenntnis und Charafterbildung im Hinblid auf die fittlichen Feen. — 
5. Die revolutionären Ereigniffe in Deutfchland im Jahre 1848. Die moralifchen 
Grundlagen des öffentlichen Berkehres. — 6. Die Unterfchiede zwifchen dem 
finnlichen, dem intelleftuellen und dem äfthetiichen Intereſſe und Wohlgefallen. 
Was hindert die Ausbildung der Aefthetif zu einer Wiſſenſchaft? Die faliche 
Berbindung zwifchen Philofophie, Theologie und Kirche. 

Abhandlungen, Herrn Prof. Dr. Adolf Tobler zur Feier feiner 25jährigen 
Thätigfeit als ordentlicher Profeffor an der Univerfität Berlin von danfbaren 
Schülern in Ehrerbietung dargebradt. Halle, Niemeyer. 16. # 


Gelehrtengeſchichte. 


Zur Erinnerung an den weil. Herrn Prof. em. Dr. Friedrich Bidder. Riga, 
Hörfchelmann. 1 

Tſchirch N, F. A. Flüdiger. (Aus „Berichte der pharmaceutifchen Geſell— 
ſchaft.“ Berlin, Gärtuer. 1.20 4. E 

Seiler H., Peter Frank (geb. 1745, geft. zu Wien 1821) zu feinem 150 jährigen 


714 Bibliographie. 2. Bücher. 


Geburtstage den 14. März 1895 nad den eigenen Aufzeichnungen desfelben. 
Dresden, Warnatz und Lehmann. 1.50 M. 

Deufjen P., Zur Erinnerung an Guftav Glogau. Gedächtnisrede. Kiel, Lip- 
fius und Tilfher. 50 9. 

Cohn ©., Georg Hanfen. Gedächtnisrede. Leipzig, Dunder & Humblot. 80 9. 

Berlit G., Rudolf Hildebrand. Ein Erinnerungsbild. (Aus „Neue Jahrbücher 
für Haffifhe Philologie und Pädagogik.““ Nebſt einer Beilage zur Geſchichte 
des deutjchen Wörterbuhs der Brüder Grimm. Leipzig, Teubner. 1% 

Burggraf %., Theodor Hoßbach. Zur Erinnerung an fein Leben und Wirken. 
Berlin, Windelmann & Söhne. 1.60 A 

Herz N., Keplers Aitrologie. Wien, Gerold. 3 M. 

Marr 8, Die Klaffenfämpfe in Frankreich 1848 bis 1850. (Aus „Neue 
Rhein-Zeitung,“ Politifch-öfonomifche Revue, Hamburg 1850). Mit Einleitung 
von %. Engels. Berlin, Buchhandlung des „Vorwärts“. 1M. 

Dldendorp J., Was billig und vet ift. Die deutjche Erftlingsfchrift des 
jogenannten Naturrechts (1529). Herausgegeben von A. Freybe. Schwerin, 
Bärenfprung. 2 M. 

Riehl W. H., Neligiöfe Studien eines Weltfindes. 3. Auflage. Stuttgart, 
Cotta. 6 A 

Henry W., Roſcher F und feine Bedeutung für die National-Defonomie. Leipzig, 
Milde. 50 %. 

Miasfomwsfi v., Nefrolog auf Wilhelm Roſcher. Afademifche Nede. Leipzig. 

Schultz H., Rede am Sarge des Prof. Dr. Weiland. Gehalten am 8. Februar 
1895. Göttingen, Dieterih. 30 A. 

Stoll A., Ueber den Hiftorifer Friedrih Wilfens. II. Programm. Caſſel. 


Volitifche und Kultur-Geſchichte. 


Janssen J., L’Allemagne et la r@forme. IV. L’Allemagne depuis le 
traite de paix d’Augsbourg en 1555 jusqu’aA la proclamation du for- 
mulaire de eoncorde en 1580. Traduit de l’allemand par E. Paris. 
Paris, E. Plon, Nourrit & Cie. 15 fr. 

Janſſen %., Ein zweites Wort an meine Kritiker. Nebſt Ergänzungen und 
Erläuterungen zu den 3 erjten Bänden meiner Gefchichte des deutjcher Volkes. 
Neue Auflage (17. und 18. Taufend), beforgt von %. Paſtor. Freiburg 
i. D., Herder. 1.50 

Lavisse E. et A. Rambaud, L/’histoire generale du 4. sieele A nos 
jours. Vol. 5. Les guerres de religion (1559—1648). Paris, A. Colin 
& Cie. . 12 fr. 

Bibliothek deuticher Gefhichte, herausgegeben von H. v. Zwiedined-Südenhorft. 
99. und 101. Lieferung. Stuttgart, Cotta. A 1 -M 

99. Ritter M., Deutſche Gefchichte im Zeitalter der Gegenreformation und 
des Dreißigjährigen Krieges. XIV. (Schluß des zweiten Bandes 1586— 1618.) 

101. Zwiedined-Südenhorft v., Deutjche Gefhichte von der Auflöfung des 
alten bis zur Gründung des neuen Reiches. 1. 

Joachim E., Die Politif des letzten Hochmeifters in Preußen Albrecht von 
Brandenburg. 3. (Schluß-) Teil. 1521 —1525. (Publifationen aus den 
preußifchen Staatsardhiven. Veranlaßt und unterftügt durch die fgl. Archiv— 
Verwaltung. 61. Band.) Leipzig, Hirzel. 14 M. 

Hößler MA, Zur Entftehungsgefchichte des Bauernfriegs in Südmeftdeutichland 
mit bejonderer Berüdfichtigung der Yandgrafichaften Stühlingen und Fürſten— 
berg. Differtation. Leipzig. 


— —— ——— 


— EEE er 


DE 


Bibliographie. 2. Bücher. 2115 


Briefe und Akten zur Gefchichte des 3Ojährigen Krieges in den Zeiten des 
borwiegenden Einfluffes der Wittelsbacher. Auf Veranlaffung und mit Unter- 
ſtützung St. Majeftät des Königs von Bayern herausgegeben durch die hiftorifche 
Kommiffion bei der kgl. Afademie der Wiffenfchaften. 6. Band. Münden, 
Rieger. 20 M. 

Inhalt: Vom Reichstag 1608 bis zur Gründung der Liga. Bearbeitet 
von F. Stieve. 

Glaſer H., Politit des Herzogs Johann Caſimir von Coburg. Ein Beitrag zur 
Borgefhichte des SO jährigen Krieges. Differtation. Jena. 

Hopfen DO. H., Kaiſer Marimilian IT. und der Kompromißfatholizismus. 
München, Rieger. 

Nuntiaturberichte aus Deutjchland, nebft ergänzenden Aftenftücen. 4. Abteilung. 
17. Jahrhundert. 1. Band. Herausgegeben dur das kgl. preußifche hiftorifche 
Inſtitut in Rom und die preußische Archiv-Verwaltung. Berlin, A. Bath. 16.4 

Inhalt: Numtiaturberichte 16283—1655. Nuntiatur des Pallotto 1628 bis 
1630. 1. Band. 1628. Im Auftrage des kgl. preußischen hiftorifchen Inſtituts 
in Nom bearbeitet von H. Kiewning. 

Mollat ©., Reden und Redner des erjten deutfchen Parlaments. Oſterwieck, 
Zickfeldt. 12 4. 

Liebe G., Das deutſche Nationalgefühl in feiner geſchichtlichen Entwidlung. 
Bortrag. Magdeburg, Niemann. 50 9. 

Baumann %. 2, Geſchichte des Allgäus. 33. (Schluß-) Heft. Kempten, 
Köfel. 1.20 M. 

Reuss R., L’Alsace pendant la revolution francaise. II. Correspondance 
de frangois Etienne Schwendt durant les années 1790—1793. Paris, 
Fischbacher. 8 fr. 

Merz W., Die Rechtsquellen des Kantons Argau. 1. Teil. Die Rechtsquellen 
der Stadt Marau. 1. Band von 1283—1526. Aarau, Sauerländer & Co. 4M, 

Paudler A., Ein deutſches Bud) aus Böhmen. Original-Zeichnungen von 
D. Pfennigwerth. Band 3. Leipa, Selbitverlag. 

Inhalt: 1. Im Modelthale. 2. Loboſitz und die Elbepforte. 3. Außig 
und Schredenftein. 4. Sperlingsftein und Roſawitz. 5. Schloß Tetjchen. 
6. Tetjchen und Bodenbah. 7. Die Salhaufen-Schlöffer in Benfen. 8. Im 
Goldbachthale. 9. In der Edmundsklamm. 10. Zur Grundmühle. 11. Ditters- 
bad. 12. Die obere Schleufe. 13. Schönlinde und Warnsdorf. 14. Böhm. 
Kamnitz. 15. Steinfhönau und Haida. 16. Auf dem Vogelberge. 

Haſſenpflug R., Die erfte Kammergerihtsordnung Kırbrandenburgs. Breslau, 
Koebner. 2.4. 

Löwenſtein 2, Beiträge zur Gefchichte der Juden in Deutfchland. I. Gejchichte 
der Juden in der Kurpfalz. Nach gedrudten und ungedrudten Quellen dar- 
geftellt. Frankfurt a. M., Kauffmann. 6 .M 

Edart R., Aus alten niederfächfiichen Chronifen. Beiträge zur Sitten- umd 
Sprachkunde Niederfachfens. Erftes Heft. Braunſchweig, Schwetichfe. 60 4. 

Inhalt: Grael-Spiel. — Bardowifer Ochſe. — Hamburger Kleider- 
ordnung von 1458. — Bürfpräf. — Nobishaus. — Malman. — Hod)zeits- 
gebräuche in der Altmark. — Brauordnung für den Fleden Nörten 1603. — 
Curt Broyhan. — Hardefiae Enfomion. — Gottinga. — NAfte, betreffend 
Anftellung des Paftor Gottsmann im Adelebjen 1653 (ungedrudt). 

Die öfterreihifh-ungarifhe Monardie in Wort und Bild. Lieferung 
213. 215. 216. 222—224. Böhmen. 17.—19., 23.—25. Heft. Wien, 
Holder. A 30 Ar. 

Inhalt: Naaff A. A., Bolfsleben der Deutfchen in Weit, Nord» und 


116 Bibliographie. 2. Bücher. 


Oftböhmen. — Rank %., Volksleben der Deutfchen im Böhmerwald. — Gradi H., 
Die Dialekte der Deutſchen. — Toiſcher W., Die deutfche Literatur bis zum 
Ende des Dreißigjährigen Krieges. — Klaar A., Die deutjche Piteratur feit dem 
Dreißigjährigen Krieg. — Teuber O., Die Theater Prags. 

Rogge B., Vom Kurhut zur Kaiferfvone. Zweiter Band. (Das Bud von 
den preußifchen Königen. 2. Auflage. Hannover, Carl Meyer. 8 AM. 

Biihoff €, Die Camarilla am preußiihen Hofe. ine gefchichtliche Studie. 
Leipzig, Friedrich. 1 

Seriptores rerum silesiacarum. Herausgegeben vom Vereine für Ge— 
ihihte und Altertum Schlefiens. 15. Band. Breslau, Joſef Mar. 4 M. 

Snhalt: Akten des Kriegsgerihts von 1758 wegen der Kapitulation 
von Breslau am 24. November 1757. Herausgegeben von Grünhagen und 
F. Wadter. 

Fiſcher, Zur Geſchichte des Schwedeneinfalls in Vorarlberg im Jahre 1647. 
Programm. Feldkirch. 

Holzapfel R., Das Königreih Wejtfalen. Mit befonderer Berücfihtigung der 
Stadt Magdeburg. Magdeburg, Lichtenberg. 

Heindl E., Der Hl. Berg Andechs, in feiner Geſchichte, feinen Merkwürdigkeiten 
und Heiligtümern gefchildert. München, Lentner. 2,80 M 

Sauer B. und Ebel E., Die Liftercienferabtei Arnsburg in der Wetterau. 
Geſchichte und Beichreibung des Klofters, zugleih Führer durch die Ruine. 
Gießen, Rider. 1% 

Darpe %., Gefhichte der Stadt Bochum. II. Bohum in der Neuzeit. ©. Gefchichte 
der Stadt feit dem Negierumgsantritt Friedrihs des Großen. Programım. 
Bodum 1894. 

Bildermwerf des Bildungsvereins zu Detmold. Neproduftionen alter Anfichten zc. 
von Detmold. Detmold, Selbitverlag. 

Hiller G. Gefhichte des Dorfes DittelSdorf in der ſächſiſchen Oberlaufis. Zittau, 
Sraun. 1 

Prenzel T., Das Martinsftift in Fild bei Moers. Die Gefchichte feiner 
Begründung und die erften zehn Jahre feines Beftehens. Programm. Moers. 

Besler M., Geſchichte des Schlofjes, der Herrfhaft und der Stadt Forbach. 
Mit einem Anhang. Forbach, Hupfer. 2.50 AM 

Zoellner A., Chronif der Stadt Havelberg. Geſchichte der Stadt, des Domes 
und des Bistums Havelberg. Topographie und Berwaltung der Stadt mit 
befonderer Berüdfihtigung der letzten 10 Fahre. Havelberg, Selbftverlag des 
Berfaffers. 8 M. 


Weech F. v., Karlsruhe. Gefchichte der Stadt und ihrer Verwaltung. 1. Band. 


1715—1830. Karlsruhe, Madlot. 8 AM 

Bolger F., Blätter und Blüten aus dem Fremdenbuche der Leuchtenburg. 
Altenburg, Bonde. 1 AM 

Bergmann A., Gejhichte der Oberlaufiter Sechsſtadt Löbau bis zur Teilung 
Sadfens 1815. Löbau, Dliva. 2.50 M. 

Gatrio A., Die Abtei Murbad in Elfaß. Nach Quellen bearbeitet. 2 Bände. 
Straßburg, Le Rour & Co. 15 M. 

Scheins M., Urkundlihe Beiträge zur Gefchichte der Stadt Münftereifel und 
ihrer Umgebung. 1. Band 2. Hälfte. Bonn, Hanftein. 9 HM 

Mettig E., Geſchichte der Stadt Riga Mit Anfichten und Plänen, ſowie 
Abbildungen im Text. 1. Lieferung. Riga, Fond & Poliewsfy. 1.20 AM 

Stief ®., Geſchichte der Stadt Sternberg in Mähren von ihrem Urfjprunge 
bis zur Gegenwart. Sternberg, F. Pialet Söhne. 2.50 A. 

Berberih J, Gefhichte der Stadt Tauberbifchofsheim und des Amtsbezirkes. 


Zah 


Bibliographie. 2. Bücher. 7117 


Mit 1 Stadtplane vom Fahre 1790. (Sn ca. 10 Heften) 1. Heft. Tauber— 
biſchofsheim, Zöller. 30 4. 

Quellen zur Geſchichte der Stadt Wien herausgegeben mit Unterftütung des 
Gemeinderates der k. k. Neihshaupt- und Reſidenzſtadt vom Altertums- 
Bereine zu Wien. Redigirt von Dr. A. Mayer, Band 1. Wien, Konegen. 20 M 

Inhalt: Quellen zur Gefchichte der Stadt Wien. I. Abteilung. Regeſten 
aus in- und ausländifchen Archiven mit Ausnahme des Archives der Stadt 
Wien. Band 1. Bachmann H., Negeften aus dem k. bayer. Allgemeinen 
Keihs-Arhive in München 1215—1538. — Starzer A., Negeften aus dem 
Batilanifhen Archive in Nom 12355 —15%. — Starzer A., Negejten aus dem 
f. italienischen Staats-Ardive (Archivio di stato) in Rom 1422—1487. — 
Starzer A., Regeſten aus der Baticanifchen Bibliothek in Rom 1249—1298. — 
Wolfsgruber E., Regeften aus dem Archive des Benediktinerftiftes Schotten 
in Wien 1158—1497. — Gfell B., Regeſten aus dem Archive des Cifter- 
cienjerftiftes Heiligenkreuz 1207—1754. — Hammer! B., Negejten aus dem 
Archive des Ciftercienjerftiftes Zwettl 1175—1667. — Tobner P., Regeften 
aus dem Archive des iftercienferftiftes Lilienfeld 1209-17. — Starzer 
A., Regeften aus dem f. k. Archive für Niederöfterreih (Statthalterei-Archiv) 
1323—1599. — Witting L., Regifter. 

Kiſch, Die alten Straßen und Plätze von Wiens Borftädten umd ihre hiftorifch 
intereffanten Häufer. Ein Beitrag zur Kulturgefhichte Wiens mit Rückſicht 
auf vaterländifche Kunſt, Architektur, Muſik und Literatur. Mit zahlreichen 
SUuftrationen. 50. (Schluß-) Heft. Wien, Oskar Franf. 

Bad Wildungen in feiner Bergangenheit und Gegenwart. Aroljfen, Speyer. 25%: 

Schulze P. und DO. Koller, Bismard-Literatur. Bibliographiiche Zufammen- 
ftellung aller bis Ende März 1895 von und über Fürft Bismard im deutfchen 
Buchhandel erjchienenen Schriften, mit Berüdfichtigung der befammten aus- 
ländifchen Literatur. Leipzig, O. Gradlauer. 

Bismard-Ratalog, aus Anlaß des 80. Geburtstages des Altreichskanzlers 
am 1. April 1895 herausgegeben. Frankenberg ©., Stange. 5 Pfg. 

Fürft Bismards gefammelte Reden. 3 Bände. 10. Taufend (Neue Ausgabe. ) 
Berlin, Cronbach. 4 A 

Fürjt Bismards Reden. Mit verbindender geichichtlicher Darftellung heraus— 
gegeben von Ph. Stein. 2. Band: Minifterpräfident Otto dv. Bismard. 
1862—1866. (Die Konfliktszeit.) Mit Bismards Bildnis aus der 1. Hälfte 
der Sechziger Fahre. (Univerfal-Bibliothef Nr. 3361 — 3363.) Leipzig, 
Reclam. 60 X. 

Bismards Reden und Briefe nebit einer Darftellung des Lebens und der 
Sprade Bismards. Für Schule und Haus herausgegeben und bearbeitet 
von Dr. Otto Lyon. Leipzig, Teubner. 2 4 

Hauptzwed der vorliegenden Auswahl aus Bismards Reden (S. 77— 203) 
und Briefen (S. 204—243) ift, eine für die Schulleftüre geeignete Ausgabe 
zu geben. Daß es wünjchenswert wäre, daß „der größte deutjche Redner, 
der erfte und hervorragendfte Klaffiter unſerer redneriſchen Proſa“, eine fefte 
Stätte in der Schulleftüre fände, wie der Verfaffer im Vorwort es aus— 
fpricht, ift auch für Referenten unzweifelhaft; freilich möchte ich dabei die Zahl 
der hierfür zur Berwendung fommenden Neden mur auf folche beſchränken, 
deren Inhalt nicht über das politifche Verſtändnis eines Primaners hinaus— 
geht. Unter den 11 Reden oder fürzeren Deitteilungen, die dev Herausgeber 
aufgenommen hat, find mehrere, bei denen ich das in Zweifel ziehe: jo vom 
21. April 1849 über die Frankfurter Berfaffung, vom 11. März 1867 über 
die Grundlagen der Bundesverfaffung, vom 19. Februar 1878 über die Yage 


7118 Bibliographie. 2. Bücher. 


im Orient. Dagegen eignen ſich hierfür durchaus alle in bedeutfamen hiftori= 
ichen Momenten gehaltenen (16., 19. und 20. Juli 1870, 6. Februar 1888, 
9. März 1888), nicht minder Reden von hervorragend hiftorifhem Inhalt, 
wie über Polen (18. März 1867). Derartige Reden find allerdings vor- 
trefflich geeignet, nicht nur den deutſchen Unterricht, fondern auch den Ge— 
ihichtsunterricht zu beleben; dagegen möchte ich, was die fchwierigen Fragen 
der innern Politif anlangt, unfere Gymnaftaljugend möglichft lange im Stande 
der Unschuld erhalten ſehen, da die politifche Reife hierfür im jenem Alter doch 
in der Negel noch nicht vorhanden ift. Dafür dürfte fich eine noch umfafjendere 
Berüdfihtigung der herrlichen Briefe, zumal wiederum der intimen, nicht 
politifchen, ungemein empfehlen; da ift wirflih präctigite Nahrung für Herz 
und Gemüt unferer Jugend. 

Der Berfaffer hat feiner Auswahl eine Darftellung des Lebens (S. 1—55) 
und der Sprache Bismards (©. 56—76) vorausgeſchickt. Erftere ift in ihrer 
gedrängten und die Hauptfachen ſcharf herporhebenden Form eine jehr dankens— 
werte Beigabe; in noch höherem Grade gilt das aber von dem zweiten Auf- 
jaß, in dem zum erften Male der Verſuch gemacht ift, die Vorzüge der Big- 
mardjchen Sprache überfichtlich darzulegen. Der Berfaffer hebt dabei ganz be- 
fonders folgende Punkte hervor: 1) die Freiheit von jeder Phrafe; 2) die 
Schärfe des Berftandes verbunden mit Deutlichkeit des Ausdruds; 3) die ge- 
junde und fräftige Phantafie, die fih befonders im Bilderreihtum äußert; 
4) die Vertrautheit mit der Natur, fowie mit den Anſchauungen und der 
Ausdrudsweife des Volkes; 5) der Alles durchziehende Wit und Humor. Zahl- 
reiche Stellen aus Reden und Briefen find jeweilen als Beifpiele und Belege 
eingefügt. Damit find die Grumdlinien gezogen, von denen eine umfaſſende 
Behandlung dieſes Themas ausgehen kann; dabei wird dann freilich Die 
eigentliche jtiliftiiche Seite noch eine ſtärkere Berüdfichtigung finden mü ffen. 
Beiträge hierfür bietet die zum erften April diefes Jahres er ſchienene Feſt⸗ 
nummer der Zeitſchrift des allgemeinen deutſchen Sprachvereins, in der unter 
anderem der Verfaſſer des beſprochenen Buches über den Gebrauch der Fremd— 
wörter bei Bismarck gehandelt hat, Profeſſor H. Wunderlich den „Abgeord— 
neten von Bismarck“ (18947 -1852) als Redner betrachtet und Dr. Th. Mathias 
einige — der deutſchen Satzlehre im Hinblick auf Bismarcks Reden er— 
örtert (vgl. oben ©. 687). Zu derartigen Einzelunterſuchungen bieten die 
Neden md Briefe noch weitere Anläffe genug dar; und es iſt wohl fein Zweifel, 
daß, nachdem der Weg der wiffenjchaftlichen Behandlung der Bismardichen 
Sprache einmal betreten worden ift, es an Nachfolgern darauf nicht fehlen wird. 

Schlieglih fei noch erwähnt, daß in der vorliegenden Ausgabe die Briefe 
an Frau von Arnim mit den Originalen verglichen worden find (durch 
Dr. Horſt Kohl) und daher einen zuverläffigen Text bieten. Es ift Schade, 
daß eine folche Nachvergleichung bei den Briefen an Bismards Gemahlin nicht 
möglih war; ich hätte danı doch erfahren, ob meine Vermutung, daß in dem 
Briefe vom 3. Juli 1851 ftatt „Wüfte“, wie überall und jo auch hier zu 
leſen ift (S. 59), „Rüfte“ zu lefen fei, richtig ift oder nicht. inftweilen kann 
ih mir immer noch nicht denken, daß Bismarck in Frankfurt Sehnſucht nad 
„Wald, Ser und Wüſte“ verfpürt haben follte!- 

Zürich. H. Blümner. 


Schröder E., Fürſt Bismarck in feinen Ausſprüchen 1845—1894. Stuttgart, 
Deutſche Berlags-Anftalt. 1 A 

Fürſt Bismard, Neue Tiſchgeſpräche und Interviews. Herausgegeben von 
9. v. Poſchinger, 1. und 2. Auflage. Stuttgart, Deutjche Verlags-Anftalt. 8.M 


A 


Bibliographie. 2. Bücher. 119 


Blum H., Fürft Bismard und feine Zeit. Eine Biographie für das deutſche 
Bolt. 4 Band. Münden, Bed. 5 AM 

Schleiermader F. D. E., Konfirmationsrede bei der Einfegnung des Fürften 
Bismard. ‚Herausgegeben von ©. Lommatzſch. Berlin, Georg Reimer. 50 9. 

Schäfer H. R., Bismard in der ſchwäbiſchen Dichtung. Heilbronn, Kielmann. 
1.50 A. 

Köckritz D. v., Geſchichte des Gefchlechtes v. Köckritz von 1209—1512 und der 
ichlefifchen Linie bis im die Neuzeit. Breslau, Fojef Mar. 20 M. 

Lehmann E., Lebenserinnerungen. Den Seinigen erzählt. 3 Bände. Ham— 
burg, ©. Boyſen. 40 M. 

Loebell R. v., Zur Geſchichte der Familie v. Loebell (v. Leubell genannt 
v. Loebell). Aus Urkunden und Handjchriften ermittelt und zufammengeftellt. 
Berlin, Mittler & Sohn. 2.75 M. 

Peters M., Heinrich Peter Wilhelm Peters. Ein Lebensbild. Stade, Schaum— 
burg. 1.50 4 

Mettenleiter D., Karl Proste, weil. med. Dr., Canonicus-Senior am fl. 
Eollegiatftifte U.2. F. zur alten Kapelle in Regensburg, Pfarrvifar v. St. Kaſſian, 
bifchöflich geiftlicher Rat ac. Ein Vebensbild. 2. (Titels) Auflage. Regensburg, 
Bößenecker. 1M. 

Reventlow, efterladte papirer fra den Reventlowske familie kreds 
i tidsrummet 1770—1827. Kopenhagen, Lehmann & Stage. 5 kr. 
Kriegsminifter dv. Roon als Nedner. Politiſch und militärisch erläutert von 

W. Graf Roon. 1. Band. Breslau, Trewendt. 6 A 

Tangermann W., Morgen und Abend. Erinnerungen, Lebensbilder und 
Selbftbefenntniffe. Yeipzig, Breitfopf & Härte. 4 M. 

Uslach-Gleichen E. Frhr. v., Gefchichte der Grafen dv. Winzenburg. Nach den 
Quellen bearbeitet. Hannover, Karl Meyer. 8 M. 

Bincenti E. v., Aus goldenen Wandertagen. Erlebtes und Fabulirtes. Dresden, 
Pierfon. 4 M 

SFaenide 8, Der Volksmann Franz Ziegler (Sammlung volkstümlicher Vor— 
träge und Schriften. 1. Heft.) Glegau, Flemming. 30 A 

Werden und Wachſen. Erinnerungen eines Arztes. Leipzig, Eduard Heinrich 
Mayer. 3 M. 

Dreißig Jahre aus dem Leben eines Journaliſten. Erinnerungen nnd Auf- 
zeichnungen von „*.. 2. Band. 1868—1873. Wien, Hölder. 5 AM. 


Birchengefchichte. Theologie. 


Bäumer ©., Geihichte des Breviers. Verſuch einer quellenmäßigen Darftellung 
der Entwicdlung des altkicchlichen und des römischen Officiums bis auf unfere 
Tage. Mit dem Bildnis des fel. Verfaffers in Lichtdrud und einem kurzen 
Lebensabriß. Freiburg i. B., Herder. 8.40 M. 

Bettany G. T., A popular history of the Reformation and modern 
Protestantism. London, Chatto & Windus. 6 sh. 

Sophronizon %., Geschichte der Neformation von ihrem Urfprunge bis auf 
unfere Zeiten. (Wiſſenſchaftliche Volfsbibliothet Nr. 435—47.) Leipzig, Schnur— 
pfeil. à 20 X. 

Arbenz cs Joachim Vadian beim Uebergang vom Dumanismus zum Kirchen— 
ftreite. Herausgegeben vom hiftorifchen Berein in St. Gallen. St. Gallen, 
Huber & Co. 2 .M. 

Hauthaler W., Des Kardinals und Salzburger Erzbiſchofs Matthäus Yang 
Berhalten zur religiöfen Bewegung feiner Zeit (1519—1540). Aus dem 


720 Bibliographie. 2. Bücher. 


Jahrbuch der Leo-Gefellihaft 1895. Wien, „St. Norbertus* Berlags-Bud)- 
handlung. 36 9. 

M. Yuthers Disputationen in den Jahren 1535—1545 an der Univerfität 
Wittenberg gehalten. Zum 1. Male herausgegeben von P. Drews. 1. Hälfte. 
Göttingen, Vandenhoeck & Rupredt. 12 M 

Baier J. Dr. Martin Luthers Aufenthalt in Würzburg. Würzburg, Stahel. 60 9. 

Zweynert E., Luthers Stellung zur humaniftiihen Schule und Wiſſenſchaft. 
Differtation. Leipzig, Guſtav Fod. 1.20 4. 

Staehelin R., Huldreih Zwingli. Sein Leben und Wirken, nach den Quellen 
dargeftellt. 2. Halbband. Bafel, Schwabe. 4.80 «A 

J. Calvini opera quae supersunt omnia. Edd. G. Baum, E. Cunitz, 
E. Reuss. Vol. 51, 52 (Corpus Reformatorum Vol. 79, 80.) Brauı- 
ſchweig, Schwetichfe & Sohn. A 12 M. 

Jacobi F., Das liebreihe Neligionsgefpräh zu Ihorn 1645. (Erweiterter 
Sonderabdrud aus Zeitjchrift für Kirchengefchichte.) Gotha, Perthes. Vergl. 
oben ©. 6%. 

Quellenfhriften der elſäſſiſchen Kirchengefhichte. 2. Band. Straßburg, 
Le Roux & Co. 6 M. 

Gény F., Die Jahrbücher der Jeſuiten zu Schlettftadt und Rufach 1615 
bis 1765. 1. Band. Annuae literatae collegii Selestadiensis et residentiae 
Rubeacensis 1615— 1713. (Archivaliſche Beilage des Straßburger Diözeſan— 
blattes für das Fahr 1894.) 

Haller A., Das theologische Alummeum in Bafel. 1844—1894. Zur Feier 
des SOjährigen Jubiläums im Auftrage der Alumneums-Kommiſſion dargeftellt. 
Bafel, Theologiſches Mumneum. 2.40 M 

Kröß N., Die Reſidenz der Gefellihaft Jeſu und der Wallfahrtsort Mariajchein 
in Böhmen. Teplits, Beder. - 1.30 4 

Wille B., Die freireligiöfe Gemeinde zu Berlin. Gefhichtliher Nüdblid. Zur 
Erinnerung an die 50 jährige Jubelfeier 1845— 1895 im Auftrage der Gemeinde 
verfaßt. Berlin, Rubenow. 25 %. 

Frank F. H. NR. v., Geſchichte und Kritif der neueren Theologie, insbeſondere 
der fhftematifchen, ſeit Schleiermader. Aus dem Nachlaſſe des Berfaffers 
herausgegeben von PB. Schaarfchmidt. 2. Auflage. Leipzig, Deichert. 5.80 HM 


Bibliothekswefen. Buchdruk und Buchhandel. 


Leitſchuh F., Katalog der Handihriften der kgl. Bibliothet zu Bamberg. 1. Band, 
1. Abteilung, 1. Lieferung. (Bibelhandichriften.) Bamberg, Buchner. 4 AM. 

Heiß P., Bafeler Büchermarfen bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. Mit 
Borbemerfungen und Nachrichten über die Basler Druder von E. Ch. Bernoulli. 
Straßburg, Heit. 40 MH. 

Verzeichnis der aus der neu erfchienenen Literatur von der fgl. Bibliothek zu 
Berlin erworbenen Drudichriften 1894. Berlin, Aſher & Co. 35 M. 

Huet G., Catalogue des manuserits allemands de la Bibliotheque 
nationale. (Extrait de la Revue des bibliotheques.) Paris, Bouillon. 

Griſebach E., Katalog der Bücher eines deutſchen Bibliophilen. Supplement 
und Namenvegifter. Leipzig, Drugulin. 75 9. 

Vgl. Euphorion 1, 215. Supplement Nr. 1851—2000. Hervorzuheben 
mehrere Drude des Simpliciffimus und andrer Schriften von Grimmelshaufen 
Nr. 1931—1936. Nach der Bemerkung auf S. XXIV beabfihtigt Griſebach 
demnächſt „eine ausführlihe Unterfuhung über das wahre Verhältnis der 


SE de 


Bibliographie. 2. Bücher. 121 


verſchiedenen bei Grimmelshanjens Lebzeiten erjchienenen Simpliciffimus-Aus- 
aben“ zu liefern. 

Schäffle A., Cotta. (Geifteshelden. Führende Geifter. Eine Sammlung von 
Biographien. Herausgegeben von A. Bettelheim. 18. Band. Der III. Sammlung 
6. Band). Berlin, Ernft Hofmann & Co. 2.40 M. 

Berlagsfatalog von Wilhelm Engelmann in Leipzig bis Ende des Jahres 1594. 
Ausgegeben im Februar 1895. 

Berlagsfatalog von Gebrüder Paetel in Berlin. 1857— 1895. 

Berlagsfatalog von Georg Reimer in Berlin 189. 


Theater- und Stlufikgefchichte. 


Endl %., Ueber die Schuldramen und Komödien der Piariften mit fpezieller 
Berüdfihtigung der dramatifchen Aufführungen am Piariſten-Gymnaſium zu 
Horn im 17. und 18. Jahrhundert (aus dem Jahrbuch der Leo-Geſellſchaft 1895). 
Wien, „St. Norbertus“ Berlags- Buchhandlung. 72 X. 

Theatergefhichtlihe Forfhungen. Herausgegeben von B. Litzmann. Band 10 
und 11. Hamburg, Voß. 

10. Schlöffer R., Friedrich Wilhelm Gotter. Sein Leben und feine Werke. 
Ein Beitrag zur Gefchichte der Bühne und Bühnenditung im 18. Jahr— 
hundert. 7A — Inhalt: Erfter Teil: Gotters Leben. Zweiter Teil: 
Gotters Werke. I. Gedichte. IT. Trauerfpiele. III. Luſtſpiele. IV. Singjpiele. 
V. Proſaiſche Schriften. 

11. Devrient H., Johann Friedrich Schönemann und ſeine Schauſpieler— 
geſellſchaft. Ein Beitrag zur Theatergeſchichte des 18. Jahrhunderts. I — 
Inhalt: J. Die Jugend. II. Die erſten Schritte der Schönemanniſchen 
Schaubühne. III. Der erſte Leipziger Aufenthalt. IV. Der erſte Hamburger 
Aufenthalt. V. Berlin. VI. 1744, das erſte Jahr des fgl. Preußischen 
Privilegs, das letzte Jahr in Gottfcheds Lehre. 1. Zur Breslauer Meffe. 
2. Danzig und Königsberg. VII. Zu neuen jelbftändigen Bahnen. 1. Breslau. 
2. Leipzig. 3. Halle. 4. Braunfchweig, Halberjtadt. 5. Breslau. 6. Stettin. 
7. Halle. VIII. In welfifchen Landen und Hanfeftädten. IX. In preußifchen 
und welfifhen Ländern. X. Zum lettenmal in Preußen und Sachſen. 
XI. Die Blüte der Schönemannifchen Schaubühne bis zu ihrem Höhepuntt. 
XI. Höhepunft und PBeripetie. XIII. Allmähliger Verfall. XIV. Das Ende 
der Schönemannischen Schaubühne. XV. Schönemanns Ende. — Anhänge: 
I-XXXVIII: Umfangreihere Quellenangaben, die unter dem Tert nicht 
Raum fanden, größere Aftenjtüce, Theaterzettel, Theaterreden x. XXXIX: 
Schönemanns Repertoire. XL: NAufenthaltsorte (und =zeiten) der Schüne- 
mannifchen Geſellſchaft. Inhaltsverzeichnis (d. h. Negifter!). 

Schlößer R., Vom Hamburger Nationaltheater zur Gothaer Hofbühne. 1767 bis 
1779. Dreizehn Jahre aus der Entwickelung eines deutſchen Theaterſpielplans. 
Habilitationsſchrift. Jena. 

Hodermann R., Georg Benda. Eine Gelegenheitsſchrift. Mit Benutzung des 
Oberhofmarjchallamtsarhives zu Gotha. Im Anhang: Seylers Kontrakt 

- amd Bendas Verzeichnis feiner Gothaer Werke. Coburg, Wechſung & Co. 1.4 
‚Die Theater Wiens 4 Heft. Wien, Geſellſchaft für vervielfältigende Kunft. 6-4 

Inhalt: III. Band. Bayer %., Das neue k. k. Hofburgtheater als 
Baumerf mit feinem Sfulpturen- und Bilderihmud. 

Raymond G.L., Rhythm and harmony in poetry and musie. London, 
Putnam & Sons, 7 sh. 6. d. 


122 Bibliographie. 2. Bücher. 


Michaelis A, Bermifchte Aufſätze über Muſik belehrenden, unterhaltenden und 
biographifchen Inhalts, nebjt Grundlagen zu einer muſikaliſchen Phyfiologie. 
Leipzig, Berlags-Fuftitut. 3 A 

Thouret ©., Katalog der Mufiffammlung auf der königl. Hausbibliothef im 
Schloſſe zu Berlin. Berfaßt und erläutert. Leipzig, Breitfopf & Härtel. 9.50 .4 

Zelle F., Ein’ fefte Burg ift unfer Gott. Zur Entwidelung des evangelifchen 
Choralgefanges. Programm. Berlin, Gärtner. 1 M 

Tümpel W., Gefhichte des evangelifchen Kirchengefanges im Herzogthum Gotha. 
2. Teil. Die gothaifchen Kirchenlieddichter. Gotha, Schlößmann. 1.60 «A 

Benndorf &., Sethus Lalvifius als Mufiktheoretifer. Differtation. Leipzig. 

Thouret ©., Friedrichs des Großen Berhältnis zur Muftf. Programm. Berlin, 
Gärtner. 1M 

Schnabl E., Johann Joſeph Fuchs, dev öfterreichiiche Paleftrina. , Eine bio- 
graphiiche Skizze. (Aus dem Jahrbuch der Leo-Gefellihaft 1895) Wien, 
„St. Norbertus* BVerlags-Buhhandlung. 36 4. 

Denkmäler deutiher Tonfunft. Herausgegeben durch eine von der Fönigl. 
preußifchen Regierung berufene Kommifftion. Band Il. Hans Leo Haßlers 
Werke: I. Band. Cantiones sacrae für 4 bis 12 Stimmen. Herausgegeben 
von 9. Gehrmann. Leipzig, Breitfopf & Härte. 15 A 

Wilfelns C. A., Jenny Lind. in Cäcilienbild aus der evangelifchen Kirche. 
2. Auflage. Gütersloh, Bertelsmann. 

Schulze ®., Peter Ritter, langjähriger Kapellmeifter in Mannheim, geboren am 
2. Juli 1763, geftorben am 1. Auguft 1846. Sein Leben und Wirken, nad) 
fiheren Familiennadhrichten, Briefen und Dokumenten dargeftellt als ein Beitrag 
zu Mannheims Mufifgefhichte. 1.20 M 

Prüfer A, Johan Herman Scheins Leben (1586—1630). Leipzig, Breitfopf & 
Härtel. 3 M 

Franz Schuberts Werke. Erſte Eritiich durchgeſehene Geſamtausgabe. Serie XX. 
Sämtliche Lieder und Gefänge für eine Singftimme mit Klavier. Band- 
ausgabe. Band II. Leipzig, Breitfopf & Härtel. 7.50 M 

Franz Schuberts Werke. Kritiſch durchgefehene Gejfamtausgabe. Revifions- 
bericht. Serie XX. Lieder und Gefänge. Herausgegeben von E. Mandyczewski. 
Leipzig, Breitfopf & Härtel. 3 HM 

Lorenzutti C., Riecardo Wagner. Trieft, May. 1.40 AM. 

Defterlein N., Bejchreibendes BVerzeihnis des Richard Wagner-Mufeums in 
Wien. Ein bibliographifches Gefamtbild der Fulturgefchichtlichen Erſcheinung 
Nihard Wagners von den Anfängen feines Wirfens bis zu feinem Todestage, 
den 13. Februar 1883. IV. Band. Leipzig, Breitfopf & Härte. 9 M 

Inhalt: Katalog einer Richard Wagner-Bibliothek. 4. Band. Eine 
Ergänzung zu Band I—III. Mit einer Innenanſicht des Muſeums. 

Romain L. de, Mediein-philosophe et musicien-poete. Etude sur Richard 
Wagner et Max Nordau, Paris, Fischbacher. 1 fr. 50 et. 

Freson J. G., L’&volution du Iyrisme et l’oeuvre de Richard Wagner. 
Paris, Fischbacher. 2 fr. 

Nerthal, Tannhäuser. La conseience dans un drame wagnerien. Paris, 
Fischbacher. 2 fr. 50 et. 

Ernst A. et E. Poir&e, Etude sur le Tannhäuser. 2.50 fr. 

Servieres G., Tannhäuser A l’opera en 1861. Paris, Fischbacher. 2 fr. 

Cotard Ch., Richard Wagner, Tristan et Iseult. Essai d’analyse du 
drame et des Leit-Motifs. Paris, Fischbacher. 3 fr. 50 et. 

Woſſidlo W., Wie verftehen wir Richard Wagners Nibelungen? Populärer 
Führer durch Poefie und Muſik. Berlin, Rühle 60 9. 


Bibliographie. 2. Bücher. 123 


D’Offoel J., L’anneau du Nibelung et Parsival de Rich. Wagner. 
Trad. en prose rythme&e. Paris, Fischbacher. 5 fr. 





Gefchichte der Philofophie und Aeſthetik. 


Schellwien R., Der Geift der neueren Philofophie. 1. Teil. Leipzig, Jansen. 
2.40 AM. 

Brentano F., Die vier Phasen der Philofophie und ihr augenblidlicher Stand. 
Stuttgart, Cotta. 14 

Brentano F., Meine letzten Wünſche für Oefterreih. Stuttgart, Cotta. 1.20 M 

Mauxion M., La metaphysique de Herbart et la ceritigue de Kant. 
Paris, Hachette & Cie. 7 fr. 50 et. 

Neide R., Loſe Blätter aus Kants Nachlaß. 2. Heft (aus „Altpreußifche Monats- 
jhrift“). Königsberg, Beyer. 8 AM. 

Apel M., Kants Erfenntnistheorie und feine Stellung zur Metaphyſik. Eine 
Einführung in das Studium von Kants Kritik der reinen Vernunft. Berlin, 
Mayer & Müller. 3 M. 

Hads %., Ueber Kants ſynthetiſche Urteile a priori. Programm, Kattowiß. 

Goldfriedrih J. Die Bedeutung der Kantifchen Aeſthetik. Differtation. 
Leipzig. 

Goldfriedrich J. Kants Aeſthetik. Gefchichte. Kritifch-erläuternde Darftellung. 
Einheit von Form und Gehalt. Philofophifcher Erfenntniswert. Leipzig, 
Strübig. DM. 

Inhalt: Einleitung. Erfter Abjchnitt. Borbereitungszeit der modernen 
Aejthetif bis auf Kant. — Zweiter Abfchnitt. Kritifche Darftellung der äfthetiichen 
Lehre Kants. I. Entwidlung der Kantifchen Aefthetif aus der kritiſchen Philo- 
fophie. II. Die vorkritifche Periode. III. Berhältnis der Kritif der Urteilskraft 
zur Kritik der reinen und der praftifchen Vernunft. IV. Die Lehre vom 
Schönen. V. Die Lehre vom Erhabenen. VI. Pſychophyſiſcher Barallelismus. 
VII. Die Runftlehre. VIII. Abſchluß. — Dritter Abjchnitt. Wefen und Be- 
deutung der äfthetifchen Lehre Kants. I. Allgemeines Berhältnis der Lehre 
Kants zur Aefthetif vor und nad ihm. II. Die Kritik der äfthetiichen Urteils- 
fraft im fich betrachtet. III. Pofitive Wirkung der Kritif der Urteilskraft. 
IV. Reaktion. V. Berhältnis der äfthetifchen Lehre Kants zur Formal- und 
Gehaltsäfthetit. VI. Philofophifcher Erfenntniswert des Aefthetifchen. VII. Zu- 
fammenfaffung und Schluß. 

Kühnemann E., Kants und Schillers Begründung der Aeſthetik. München, 
Bed. 4.50 M. 

Inhalt: Einleitung. I. Kant. 1. Einführung in das Problem. 2. Die 
Begründung der Aeſthetik. IT. Schiller. 1. Einführung in Schillers Faſſung 
des üfthetifchen Problems. 2. Die Grumdbegriffe der vollendeten Aeſthetik 
Schillers. 3. Zur Rritif der Poeſie. Abſchluß der Theorie. Schluß. — 
Kritifher Anhang: I. Kant. II. Schiller. 

PBlantifo D., NRouffeaus, Herders und Kants Theorie vom Zufunftsideal der 
Menſchheitsgeſchichte. Difjertation. Greifswald. 

Jones H., A critical account of the philosophy of Lotze. Glasgow, 
Maelehose. 6 sh. 

Achelis Th, Friedrich Nietihe (Sammlung gemeinverftändlicher wiſſenſchaft— 
licher Vorträge, herausgegeben von R. Virchow und W. Wattenbadh. Neue 
Folge. 217. Heft). Hamburg, Verlagsanftalt und Druderei. 80 9. 

Mari, „Nietiche Kritik." Ein Beitrag zur Rulturbeleuchtung der Gegenwart. 
Züri, Berlags-Magazin. 80 9. 


124 Bibliographie. 2. Bücher. 


Steiner R., Friedrih Nietzſche. Ein Kämpfer gegen feine Zeit. Weimar, 
Selber. 2 

Geyer D., Friedrich Schleiermachers „Pſychologie“, nach den Quellen dargeftellt 
und beurteilt. Programm. Leipzig, Hinrihs. 1 

A. Schopenhauers fämtlihe Werke in 12 Bänden. Mit Einleitung von 
N. Steiner. 6. Band. (Eottafche Bibliothet der Weltliteratur 254. Band). 
Stuttgart, Cotta. 1 .M. 

Schopenhauers Briefe an Beder, Frauenftädt, v. Doß, Lindner und Aſher; 
jomwie andere, bisher nicht gefammelte Briefe aus den Jahren 1813 — 1860, 
herausgegeben von E. Griſebach. Mit einem unedirten Porträt Schopenhauers 
nach dem DOelbilde im Beſitze des Herausgebers (Univerfal-Bibliothef Nr. 3376 
bis 3380). Leipzig, Neclam. 1 

Seydel M., Arthur Schopenhauers Metaphyſik der Muſik. Ein Fritifcher 
Verſuch. Leipzig, Breitfopf & Härtel. 2.50 M. 

Sommerlad %., Darjtellung und Kritif der äfthetifhen Grundanſchauungen 
Scopenhauers. Difjertation. Gießen. 


Vädagogik und Geſchichte des Unterrichts. 


Dörpfeld F. W., Gefammelte Schriften 11. Band. Gütersloh, Bertels- 
mann. 3 HM. 

Inhalt: Zur Ethik. 1. Teil. Die geheimen Feſſeln der wiffenschaftlichen 
und praftiichen Theologie. Ein Beitrag zur Apologetif. 2. Teil. Einige 
Grundfragen der Ethik. Aus dem Nachlaß des Verfafjers herausgegeben von 
G. v. Rohden. 

Chriſtinger J., Friedrich Herbarts Erziehungslehre und ihre Fortbildner bis 
auf die Gegenwart nach den Quellſchriften dargeſtellt und beurteilt. Zürich, 
Schultheß. 3 M 

Fsrael N, Verſuch einer Zufammenftellung der Schriften von umd über 
Peftalozzi. II. Teil. Programm. Zſchopau. 

Peſtalozzis zweites Zehntenblatt 1799. Zum Drude befördert mit einer 
orientierenden Beigabe von H. Morf. Winterthur, Geſchwiſter Ziegler. 70 9. 

Kayſer W., Johann Heinrich Peftalozzi. Nach feinem Leben, Wirken und feiner 
Bedeutung dargeftellt. Zum nationalen Chrengedenktag von 9. Peftalozzi 
(150. Wiederkehr des Geburtstages, 12. Januar 1896) 1. Lieferung. Zürich, 
Schultheß. 1 

Roland J., Marie Hillebrand (1821 — 1894). Ihr Leben und erziehliches 
Wirken. Nebſt Originalbriefen von Marie Hillebrand als Anhang. Gießen, 
Rider. 1.95 M. 

Ullrich P. W., Die Anfänge der Univerfität Leipzig. I. Perjonal- Berzeihnis 
von 1409b bis 1419a. Aus den älteften Matrifeln der Univerfität zuſammen— 
geftellt. Leipzig, Spirgatis. 10 M. 

Muggenthaler 2, Der Schulorden der Salefianerinnen in Bayern von 1667 
bis 1831. Ein Beitrag zur Gefchichte des höheren weiblichen Unterrichts und 
Erziehungswejens. (Aus dem „Jahrbuch für Münchener Geſchichte“). Bam— 
berg, Buchner. 4 M Vgl. oben ©. 464. 

Bünger R., Die Entwidelung des höheren Schulwefens in Schlefien ſtatiſtiſch 
dargeftellt. Programm. Görlitz. 

Prenzel Th, Auf dem Cottbufer Gymnafium vor drei Jahrzehnten. Perſön— 
liche Erinnerungen an die Stadt und ihre Bewohner, an die Schule und ihre 
Perfönlichkeiten, zugleih ein Gruß an alle einftigen Mitſchüler. Cottbus, 
Differt. 1 A. 


— 





Bibliographie. 2. Bücher. 125 


Mette A., Geihichte des Gymmafiums zu Dortmund. Feſtſchrift zur 35Ojährigen 
Feier feiner Stiftung. Programm. Dortmund. 

Detleffen D., Gejhichte des königlichen Gymnafiums zu Glüdftadt. 4. Vom 
Rektorate Germars 1802 bis zur Trennung der Gelehrtenfchule von der 
Bürgerfhule Michaelis 1820 (Schluß). Programm. Glüditadt. 

Schneider M., Das Coenobium beim Gymnasium illustre (1543—1863), 
ein Beitrag zur Geichichte des Gothaer Gymnafiums. Programm. Gotha. 

Lentz H., Album des herzoglihen Gymnaſiums zu Holzminden von Michaelis 1826 
bis Dftern 1894 im Berein mit dem Lehrerfollegium zufammengeftellt und 
im Namen desjelben veröffentlicht. Programm. Gandersheim. 

Overholthaus ©., Rüdblid auf die 2djährige Gefhichte des Realgymnafiums 
zu Papenburg. Programm. Papenburg. 

Bed J., Gründungsgeichichte des Realgymnafiums zu Pofen. Programm. Pojen. 

Matthes, Aftenftücde zur Geſchichte der Schule und Kirche Klofter Roßleben. IT. 
Die ältefte Schulordnung und Schulandadhten. Programm. NRoßleben. 

Förfter E., Das faiferliche Lehrerſeminar zu Straßburg. Feftihrift zur Ein- 
weihung des neuen Seminargebäudes. Breslau, Hirt. 3 AM. 


Die Literatur in der Schule, 


Philipps V., A short sketch of German literature for schools. London, 
Williams & Norgate. 1 sh. 

Kurſchat A., Welche Berüdfihtigung verdient die deutiche Dichtung des neunzehnten 
Fahrhunderts im deutſchen Unterricht auf der Prima höherer Lehranftalten ? 
Programm, Tilfit. 

Bürgel F. W. und P. Wimmers, Die deutjche Lektüre in Lehrerbildungs- 
anftalten. Literaturfunde und Methodif. 2. Jahr. Aachen, Barth. 1.50 4. 

Inhalt: Die Arten der Iyrifhen Dichtung. 6. Auflage. 

Knauth F., Auswahl deutjcher Gedichte. Für den Schulgebraud. 12. Auflage. 
Halle, Hendel. 80 5. 

Sammlung deutfher Dichtungen. Proſawerke für den Schulgebraudh heraus- 
gegeben von A. Brunner, Bamberg, Buchner. 

13. Uhlands Ludwig der Bayer, erflärt von A. Weninger. 50 4. 
14. Körners Zriny, erflärt von Rrallinger. 50 9. 

Freytags Schulausgaben Haffifher Werfe für den deutfchen Unterricht. Wien 
und Prag, Tempsty. 

Gotthold Ephraim Leſſing. Hamburgifhe Dramaturgie. Auswahl für 
den Schulgebrauch herausgegeben von M. Manlit. 90 Heller. 

Gotthold Ephraim Leffing. Emilia Galotti. Ein Trauerfpiel in fünf 
Aufzügen. Für den Schulgebraud herausgegeben von O. Langer. 70 Heller. 

Gräjers Schulausgaben Eaffifscher Werke. Unter Mitwirkung mehrerer Fach— 
männer herausgegeben von H. Neubauer. IX. Wien, Gräfer. 50 4. 

Ueber naive und fentimentale Dichtung. Bon F. dv. Schiller. Mit 
Einleitung und Anmerkungen von %. Egger und K. Rieger. 5. Taufend. 

Schöninghs Ausgaben deutjcher Klaſſiker mit ausführlihen Erläuterungen. 
Paderborn, Schöningh. 

8. ©. E. Leſſing. Emilia Galotti. Ein Trauerfpiel. Mit Erläuterungen 
für den Schulgebraud) und das Privatftudium von H. Deiter. 2. Auflage. 
80 


15. Goethes Torquato Tafjo. Ein Schaufpiel. Für den Zweck der 
Schule und das Privatftudium erläutert umd mit einer Einleitung verfehen 
bon W. Wittih. 2. Auflage. 1.35 M 


Euphorion II. 47 


126 Bibliographie. 2. Bücher, 


21. Goethe. Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Schulausgabe 
von J. Dahmen. 1. 

Meifterwerfe der deutjhen Literatur in neuer Auswahl und Bearbeitung für 
höhere Lehranftalten, herausgegeben von K. Holdermann, 2. Sevin, M. Evers 
und V. Uellner. 2. Band. Berlin, Reuther & NReichard. 

Wilhelm Tel. Schaufpiel von F. v. Schiller. Schulausgabe, beforgt 
von 2. Sevin. 3. Auflage. 

Leifings Hamburgifche Dramaturgie. Ausgabe für Schule und Haus von 
F. Schröter ımd N. Thiele. Halle, Buchhandlung des Waifenhaufes. 4 A 

Leffing ©. E., Minna von Barnhelm oder das Soldatenglüd. Ein Luftfpiel. 
Mit Anmerkungen von Tomajched. 11. Auflage (Sammlung Göfchen Band 5). 
Stuttgart, Göſchen. 80 9. 

Thoma N, Das Studium des Dramas an Lejfings Meifterwerfen. (Aus 
„Kehrs pädagogischen Blättern“.) Gotha, Thienemann. 1.40 M. 

Riehl W. H., Yand umd Leute. Schulausgabe mit einer Einleitung und 
Anmerkungen von Th. Matthias. Stuttgart, Cotta. 1.20 M. 

Clemm G., Uhlands Trauerfpiel „Exrnft, Herzog von Schwaben“ als dramatifche 
Anfangsleftüre im Gymmafium. I. Zeil. Programm. Gießen. 


Zagen- und Stoffgeſchichte. Wolkstümlidyes. 


Nover J., Deutſche Sagen in ihrer Entjtehung, Fortbildung und poetifchen 
Geftaltung. Gießen, Roth. 2.50 M. 

Inhalt: Beliebte deutfche Volksſagen. Erfter Band. Fauft. Till Eulen- 
jpiegel. Der ewige Jude. Wilhelm Tell. 

Siefert A., Die Sage von Walther v. Hohengeroldsed und Diepold v. Lützelhardt. 
Lahr, Geiger. 60 A. 

Reiser 8. A., Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgaus. Aus dem 
Munde des Volkes gefammelt und herausgegeben. (In ea. 12 Heften.) 1. und 
2, Heft. Kempten, Köſel. A 1A 

Krügel O., Gefchichtlihes und Sagenhaftes von der Brandenburg. Eifenad), 
Sacobi. 40 A. 

Die „Sage“ vom Lauterberg. Nach amtlichen Quellen bearbeitet von J. Sprüd)- 
macher & Co. Karlsruhe, Thiergarten. 50 9. 

Haniſch ©. A, „König Friedrich Auguft-Turm” oder „Die Wunderblume“ des 
Löbauer Berges. Eine Volksſage. Löbau, Oliva 15 %. 

Heffel K., Sagen und Geſchichten des Nahethals. Kreuznach, Harrach. 50 A. 

Barbed H., „Als Nürnberg freie Reichsftadt war.“ Gefchichten, Sagen und 
Legenden aus Nürnbergs vergangenen Tagen. Neu herausgegeben. Nürnberg, 
Heerdegen-Barbed. 

Seemüller J., Die Wiltener Gründungsfage. Sonder-Abdrud aus der Fer— 
dinandeums-Zeitfchrift. IM. Folge 39. Heft. Innsbruck. Im Selbftverlage. 

Inhalt: I. Aeltere Nachrichten: Stader Annalen, Faber, Fuchsmagen. — 
II. 16. Jahrhundert: Aurpachs Elegie. Putſchens Gedicht, Ottentalers Ueber- 
ſetzung. Das Münchener Gedicht, Chronologifches. Der Landreim. Holtwart. 
Die deutſchen Grabverje. Literarifcher Charakter diefer Quellen. Gruppierung, 
Beziehungen zum Stifte. Die übrigen Zeugniffe. — III. 17. Jahrhundert: 
Milenfius, Maler. Erxnftinger, Geizkofler. Wolfenftein, Guarinoni. Burg- 
lechner, Brunner, Zeiler und feine Ausläufer, Lequile. Mohr und andere. 
Leben der Sage im Stifte, Spängler und feine Ausläufer, Pliembl. Ergebnis. — 
IV. 18. Sahrhundert: Kembter, Tſchaveller. Ergebnis. Sonftige Zeugniffe. — 
V. 19. Jahrhundert: Almanad) 1804. Die „Dradenzunge“ und Ausläufer, 


Bibliographie. 2. Bücher. 127 


Nationalfalender 1821 und andere Zeugniffe. Grimm, Panzer, M. Dieyer, 
andere Zeugniffe, Daum, Paffler, andere Zeugniffe. — VI. Zweige der Ueber— 
lieferung. Chronologie und Entwidlung der Sage. Haymofage und Heime- 
jage. — Anhang. Texte: I. Münchener Gedicht. II. Aurpahs Gedicht. 
III. Holtwarts Tafel. IV. Tertlihes zu Putſch-Ottentaler und Ausläufern. 
V, Die deutfchen Grabverje. VI. Malers Hiftoria. 

Höfer F., Die BVolfsnamen der Vögel in Niederöfterreih. Wien = Hernals, 
Mater. 50 9. 

Böhme F. M., Bolkstümliche Lieder der Deutjchen im 18. und 19. Jahrhundert. 
Nah Wort und Weife aus alten Druden und Handſchriften jowie aus Volks— 
mund zufammengebracht, mit hiftorifchefritifchen Anmerkungen verjehen und 
herausgegeben. (In 12 Lieferungen). Lieferung 1. Leipzig, Breitfopf & Härtel. 1. 

Weiſe DO., Unfere Mutterfprache, ihr Werden und ihr Wefen. Leipzig, Teubner. 
2.40 M. 

Inhalt: I. Das Werden der deutjchen Sprade. II. Das Wefen der 
deutfhen Sprade. A. Ihre Eigentümlichkeit gründet | fih auf: a) Die Bolks- 
art (Beziehung der Sprache zur Volksart). b) Die Stammesart (Ober- und 
Niederdeutichland). ec) Die Standesunterfchiede (Mundart und Schriftſprache). 
d) Die jeweilige Sitte unſeres Volkes: 1. Der Wortſchatz ein Spiegel der 
Geſittung. 2. Der Stil und die Kulturentwicklung. B. Ihre Eigentümlichkeit 
zeigt ſich: a) Im äußern Leben der Wörter. 1. Im Lautwandel. 2. In der 
Wortbiegung. 3. In der Wortbildung. 4. Im Wortſchatze. 4) Fremdwörter. 
P) Heimiſche Wörter. b) Im innern Leben der Wörter. 1. Im Geſchlecht. 
2. In der Wortbedeutung. 3. In der Satzlehre. 

Fiſcher H., Geographie der ſchwäbiſchen Mundart. Mit einem Atlas von 28 
Karten. Tübingen, Yaupp. 20 M. 

Stuhrmann J., Das Mitteldeutfche in Oftpreußen. I. Programm. Deutjch- 
Krone. 

Shummway D. B., Das ablautende Verbum bei Hans Sachs. Ein Beitrag 
zur Formenlehre des Deutfchen im 16. Jahrhundert. Differtation. Göttingen. 
Bandenhoed & Rupredt. 3.60 M. 

Grimm‘. und W. Grimm, Deutfches Wörterbud. Fortgefetst von M. Heyne, 
N. Hildebrand, M. Lerer, K. Weigand und E. Wilder. 9. Band. 4. Lieferung. 
Schleir— Schloß. Bearbeitet unter — von M. Heyne. Leipzig, Hirzel. 2 4 

Des 11. Bandes 5. Lieferung (S.) und des 12. Bandes 6. Vieferung (V.) 
befinden fih in Drud. 

Berdeutfhungsbücher des allgemeinen deutfchen Sprachvereins. VI. Berlin, 
Berlag des allgemeinen deutfchen Sprachvereins. 50 %. 

Inhalt: Das Berg- und Hüttenweſen. Verdeutfhung der im Bergbau, 
in der Hüttenfunde, der Markfcheidefunft und im Knappſchaftsweſen gebräud- 
lichen entbehrlichen BEN DDUIEE: 

Tetzner F., Namenbud. 2. Auflage. (Univerfal-Bibliothet Nr. 3107. 3108). 
Leipzig, Neckan. 40 sh 

Schmidkoutz J., Ortstunde und Ortsnamenforfhung im Dienfte der Sprad)- 
wifjenfchaft und Gefchichte. I. Unterfuchungen über deutfche Ortsnamen im 
Anſchluß an die Deutung des Namens Kiffingen. Halle, Niemeyer. 2.40 M. 

Schrader H., Der Bilderſchmuck der deutſchen Sprade in Tauſenden volks— 
tümlicher Redensarten. Nach Urfprung und Bedeutung erklärt. 4. Auflage. 
Weimar, Felber. 6 M. 

Bohm H., Zur deutfchen Metrif. II. Ueber den Rhythmus des geiprochenen 
und des gejungenen Berjes. Programm. Berlin, Gärtner, 1.4 


41° 


128 Bibliographie. 2. Bücher. 


16. Sahrhundert. 
Das Drama der Neformationszeit. Die Totenfreffer des Pamphilus 


Gengenbach. — Der Ablaßkrämer des Nikolaus Manuel. — Der verlorne 
Sohn des Bınfard Waldis. — Die Sufanna des Paul Rebhun. — Der 


Pammachius des Naogeorg. — Der Vincentius Yadislaus des Herzogs Heinrich 
Fulius von Braunfchweig. Herausgegeben von N. Froning. (Kürfchners 
Deutfche National-Piteratur Bandausgabe 213). Stuttgart, Union. 2.50 4. 

Kan J. B., Wesseli Groningensis, Rodolphi Agricolae, Erasmi Rotero- 
dami vitae ex codiee Vindobonensi typis descriptae. Adiecta est 
Erasmi genitura, ante CCCXI annos ab Hier. Cardano edita. Pro— 
gramm. Rotterdam. 

Lezius F., Zur Charafteriftif des veligiöfen Standpunftes des Erasmus. Güters- 
(ob, Bertelsmann. 1 4% 

Murmellius %., Ausgewählte Werke, herausgegeben von A. Bömer. IV. und 
V. (Schluß)-Heft. Münfter, Negensberg. 4.60 M. 

S$nhalt: IV. Pappa puerorum mit Ausihluß des 1. Kapitels in 
einem Neudrud herausgegeben. — V. Scoparius in barbariei propugnatores 
et osores humanitatis ex diversis illustrium virorum seriptis ad iu- 
vanda politioris literaturae studia comparatus, in einem Neudruck 
herausgegeben. 

Hans Sachs, herausgegeben von A. v. Keller und E. Götze. 22. Band, 
herausgegeben von E. Göte (Bibliothek des literarifchen Vereins in Stuttgart 
CCHh. Tübingen 1894. 

Diefer Band enthält 1. alle diejenigen Werfe des Hans Sachs, die zu 
jeinen Lebzeiten zwar gedrudt, aber nicht in die Nürnberger Folivausgabe, 
die Vorlage für Band 1 bis 21 diefer Sammlung, aufgenommen wurden, 
2. alle diejenigen Werke des Dichters, welche, obwohl in jeiner Handjchrift 
erhalten, bisher überhaupt noch nicht gedrucdt oder nur vereinzelt veröffentlicht 
find. Die Meiftergefänge bleiben auch hier noch ausgefchloffen. 

J. Spangenbergs grammatifcher Krieg. In deutſcher Ueberſetzung von 
N. Schneider. (Aus dem Central- Organ für die Intereſſen des Realfchul- 
weiens.) Berlin, Friedberg & Mode. 60 9. 


17. Jahrhundert. 

Tropſch ©., Flemings Verhältnis zur römischen Dichtung (Grazer Studien 
zur deutfchen Philologie. Herausgegeben von A. E. Schönbad und B. Seuffert. 
Heft 3.). Graz, Styria. 4 M. 

Grimmelshauſen, H. J. Ch. v., Der abenteuerliche Simplicius Simpliciffimus. 
Mit Einleitung von F. Khull. 2 Bände. (Cottaſche Bibliothef der Welt: 
literatur Band 253 und 255). Stuttgart, Cotta. ALM 

Wittig G. C., YJubiläumsichrift zum 200. Geburtstage des Dichters Johann 
Ehriftian Günther am 8. April 1895. — Urkunden und Beläge zur Günther- 
Forihung. Eine Ergänzung und Beftätigung meiner „Neuen Eutdecungen 
zur Biographie des Dichters J. C. Günther aus Striegau in Schlefien.“ 
(Striegau 1881)... Striegau, A. Hoffmann. 1.50 MA. 

Durch fein 1881 erjchienenes „Hauptwerk“ hat Wittig eigentlich jeden 
Anſpruch auf Beachtung verfcherzt. Damals brüftete er fich „ein nahezu dreißig- 
jähriges gründliches Studium“ auf Günther verwandt zu haben und erlaubte 
ich den Spaß, die Pejewelt mit LIV + 362 Seiten leeven Gewäſches anzu- 
führen. Der Nachtrag zeigt in der größeren Knappheit einen unverfenmbaren 
Fortſchritt. In feinen 29 Seiten liegt jedenfall$ das Ergebnis eines fernern 


Bibliographie. 2. Bücher. 7129 


14jährigen Studiums vor, jo daß nunmehr auf jedes Fahr erfreulicherweife 
nur zwei Drucdfeiten entfallen. Auch bietet Wittig diesmal einiges Beachtens- 
werte. Was ©. 4 über den ftreng katholiſchen Bürgermeifter von Striegau 
gegenüber dem ſtreng proteftantifhen Vater Günthers, ©. 4—6 über die 
Schwefter des Dichters Johanna Eleonora, S. 7—9I über Phillis und ihren 
mutmaßlichen früheren Bewerber, ©. 10, 11 über Borau und Zeblit, ©. 15 
über Günthers frühverjtorbene Jugendgelichte Philindrene gefagt wird, ift in 
der That ebenfo neu wie beachtenswert. Auch außerdem Tieße fich vielleicht 
noch manche gute Bemerkung hervorheben. Wo er fih mit Fulda auseinander- 
jest, hat er meiftens Recht; aber die zankfüchtige, hevausfordernde Weife, in 
der er diefe doch immer nur zum Kleinkram gehörigen Dinge behandelt, wirkt 
im höchſten Grade widerlih. Manches, was Wittig als funkelnagelneu auftiſcht, 
findet man auch ſchon in jeinem größeren Werke, da freilich unter einem Wuſt 
wirren Wortgerümpels verftect. Manches, was ev dreift als geiftiges Eigentum 
in Anſpruch nimmt, ift längft von andern vor ihm beobachtet worden. So 
will er (S. 28) das Gedicht auf Magdalena Eleonora Jachmann zuerft als 
Afroftihon entdedt haben und verweift auf ©. 41, 233, 265 feines größeren 
Werkes, objhon auf jenen Seiten nichts davon zu finden ift. Auch im Nach— 
trage noch ift er an einigen Stellen mit Abficht weitjchweifig, nur, um Raum 
zu füllen, befonders, wo er fich „auf den Fußſpuren der Yeipziger Leonore“ 
befindet und wo er über Speer handelt. 

Zum Schluß möchte ih nod an eine Stelle des Nachtrags anknüpfen, 
um von meinem Eignen etwas hinzuzuthun. ©. 9 heißt es: „fein Gegner 
meiner angeblichen Hypotheſe hat in neuerer Zeit machzumeifen vermocht, mer 
denn dieſes den vollen geiftigen Stempel Güntherjcher Echtheit an fich tragende 
Gedicht [die Curieuſe Yebens- und Neife-Befchreibung] . .. hätte verfaffen und 
unterfepieben können. Das Gleiche ift der Fall mit den... . Liebes-Begeben- 
heiten... die nur ein Günther damals fo jchreiben konnte.” In einer bereits 
vor Jahren abgejchloffenen Fritifchen Literatur-Ueberſicht habe ich die beiden Aus— 
gaben der Lebens- und Reife-Beichreibung (1732 und 1738), ſowie die Liebes- 
Begebenheiten (1732) mit aufgeführt und bin zu folgender Bermutung gekommen: 
In erfterem Buche tritt neben dem Haupthelden und den Schauplätsen feiner 
Schickſale feine Perfon und fein Ort fo hervor, wie der Dr. jur. E. ©. Aß— 
mann umd fein teures Liegnitz; dabei ijt dieſe Auszeihnung ganz unberechtigt, 
nach der Rolle zu fchliegen, die Aßmann und Liegnitz im Yeben Günthers ge- 
jpielt haben und die feineswegs eine jo bedeutende war. Einen Grund, Aßmann 
als einen jo großen Wohlthäter und ſtets bereiten Helfer in der Not darzuftellen, 
fonnte niemand haben als eben Aßmann jelber, und man wird nicht fehl gehen, 
wenn man ihm das ganze Machwerf nebſt Schreiben an Gütlern und An— 
hängfeln zujchreibt. Gütler mag immerhin ein Kofename fein, mit welchem 
Günther feinen ihm gütlich thuenden Freund bisweilen bezeichnet hat. Eine 
Stelle des Tagebuches aus der Yandshuter Zeit weit die Bezeichnung Gütler 
ebenfalls auf (ſ. Litzmann, Textkritik ©. 62), aber auch ohne jeden Zufaß, der 
als Fingerzeig zur Ermittlung einer beftimmten Perſon dienen fünnte. Vielleicht 
ift es hier gelungen, zwei Fliegen mit einer Mlappe zu jchlagen. Wenn Aßmann 
mit großer Wahrjcheinlichkeit als Verfaſſer der Lebens- und Neife-Bejchreibung 
gelten darf, jo muß man ihm auch) die Liebes-Begebenheiten als durch und durch 
geiftesperwandtes Erzeugnis zuſchreiben. AR. 

Meyer P. Samuel Pufendorf. Ein Beitrag zur Gefchichte feines Lebens. 
Progranım. Grimma, Genfel. 1 M. 

Angelus Silejius, Cherubinifcher Wandersmann (Geiftreiche Sinn- und Schluß- 
reime). Abdrud der 1. Ausgabe von 1657, Mit Hinzufügung des 6. Buches 


130 Bibliographie. 2. Bücher. 


nach der 2. Ausgabe von 1675. Herausgegeben von ©. Ellinger (Neudrude 
deutſcher Literaturwerfe des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Nr. 135— 138.) 
Halle, Niemeyer. 2.40 M. 
Georg Rudolf Wedherlins Gedichte, herausgegeben von Hermann Ficher. 
Zweiter Band (Bibliothek des literarifchen Bereins in Stuttgart CC.) Tübingen. 
Inhalt: Geiftlihe und weltliche Gedichte (1648). Anmerkungen: A. Zu 
den einzelnen Publifationen und Gedichten. B. Zu Wedherlins Dichtung im 
allgemeinen; 1. Chronologifche Ueberficht von Wedherlins Leben und Werken. 
2. Wecherlins BVBorbilder. 3. Metrif. 4. Sprache. — Alphabetifches Ver— 
zeichnis der Gedichtanfänge. Regifter. 





18. Tahrhundert. 


Deutfche Literaturdenfmale des 18. und 19. Jahrhunderts, herausgegeben 
von A. Sauer Nr. 52 und 53. Neue Folge Nr. 2 und 3. Stuttgart, Göfchen. 
1.20 M. 

Inhalt: Göttinger Mufenalmanah auf 1771, herausgegeben von 
C. Redlich. 

Clauſen J., Jens Baggesen. Kopenhagen, Salmonſen. 4.75 Kronen. 

Ellinger ©., Gellerts Fabeln und Erzählungen. Programm. Berlin, Gärtner. 

EN 

Goethes jümtlihe Werke in 36 Bänden. Mit Einleitungen von K. Goedeke. 
22.—26. Band. Stuttgart, Cotta. a 1.10 M 

Goethes Werke. 20. Teil. Wahrheit und Dichtung. 4. Teil. Herausgegeben 
von 9. Dünter. (Deutſche National-Literatur. Hiſtoriſch kritiſche Ausgabe. 
Herausgegeben von J. Kürjchner 214. Band.) Stuttgart, Union. 2.50 A. 

Baumgart H., Goethes „Geheimniſſe“ und feine „Fndifchen Legenden“. Stutt- 
gart, Cotta. 2 M 

Inhalt: I. Die „Zueignung“ zu den „Geheimniffen“ und die Stanzen 
an Frau dv. Stein. II. Goethes „Geheimniſſe“ und Herders „Ideen“. Die 
„Geheimniſſe“. III. Die „Geheimniffe“ und die Neligionsphilofophie der 
„Wanderjahre“. IV. „Der Gott und die Bajadere“ und die „Pariastegende”. 
Des Dichters Stellung zum Chriftentum. 

Goethe-Schillers Kenien. Aus dem Schillerihen „Muſen-Almanach für das 
Jahr 1797* und den Xenien-Manuffripten. Mit Einleitung und erläuternden 
Anmerkungen herausgegeben von A. Stern. 2. Auflage (Univerfal-Bibliothef 
Nr. 402 und 403). Leipzig, Reclam. 40 9. 

Goethe, Fauſt. Tragödie. Für die Bühne in 3 „Abenden“ eingerichtet von 
A. Wilbrandt. Wien, Literarifche Gejellichaft. 4.20 M 

Schmidt E., Fauft ein Menfchenleben. Verſuch einer harmoniftifchen Analyſe 
des Göthefchen Fauft. Berlin, Roſenbaum & Hart. 3 M. 

Poſſart ©, Ueber die Gefamtaufführung des Goetheihen Fauſt an der 
Münchener Hofbühne. München, Brucdmann. e 

Goethe und Schiller in perfönlichem Verkehre. Nach brieflichen Mitteilungen 
von Heinrih Voß. Mit Einleitung und Erläuterungen neu herausgegeben 
von ©. Berlit. Stuttgart, Cotta. 3 AM. 

Dünger H., Goethe, Karl Auguft und Ottofar Lorenz. Ein Denkmal. Dresden, 
Dresdener Berlagsanftalt (B. W. Ejche). 

Inhalt: Borwort. I. Das Irrlicht. II. Goethes politifcher Lehrmeiſter 
Karl Auguft? III. Herr und Diener? IV. Goethe als Erzieher und Be- 

_ vater. V. Goethe als Leiter der Kammer. 

Ernſt A. W., Goethes Religion. Eine Studie. Hamburg, Klo. 





Bibliographie. 2. Bücher. 131 


Hoffmann DO., Der Wortihat des jungen Herder. Ein lerifaliicher Verſuch. 
Programm. Berlin, Gärtner. 1.4 

Briefwechſel zwiſchen Yeffing und Eva König. Mit Einleitung und An— 
merfungen von E. Dörffel. 1. Band. (Cottaſche Bibliothek der Weltliteratur 
256. Band). Stuttgart, Cotta. 1M. 

Grüner W., Die Lehre von den Mittelharafteren in der Tragödie nach Leffings 
Darftellung. Programm. Yeipzig. 

Nidderhoff K., Sophie v. Ya Roche, die Schülerin Richardſons und Rouſſeaus. 
Göttingen, Peppmüller. 2 M 

Dünger 9, Schillers Wallenftein erläutert. Sechſte, neu bearbeitete Auflage 
(Erläuterungen zu den deutjchen Klaffitern. 46. 47. Bändchen). Leipzig, 
Wartid. 2 M 

Frädrich %., Unterfuhungen über Schillers „Wallenftein“. Programm. Berlin, 
Gärtner. 1M 

Schillers Briefe, herausgegeben und mit Anmerkungen verfehen von Fritz 
Jonas. Kritifche Gefamtausgabe Fünfter Band. Deutiche PVerlagsanftalt, 
Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien. 3 A 

Der vorliegende Band enthält die Briefe von Juli 1796 bis Ende 1798 

(Nr. 1054— 1424). Bon bisher ungedrudtem Material finden fich ein Brief 
an Spener, 10. Oftober 1796 (Nr. 1105), ein Brief an Jakob Horner, 
26. Juni 1797 (Nr. 1210), zwei Briefe an Breitfopf, 1. September 1797 
(Nr. 1245) und 21. September 1797 (Nr. 1254), ein Billet an Brindmann, 
20. Februar 1798 (Nr. 1317), ſämtlich ohne wefentlich hervorragenden Inhalt. 
Die Anmerkungen nehmen erfreulicher Weife an Umfang zu: hier ift ©. 492 
ein Brief des alten Dacheröden an Beyer in Erfurt vom 30. Juli 1796, 
©. 543 ein Brief Zelters an Schiller vom 15. November 1797, ©. 548 ein 
Billet Schillers an Gries vom Dezember 1797 mitgeteilt; hinzumeifen iſt 
auch auf die Anmerkung zu Nr. 1093, wo einige Verſe auf einem Kupferftich 
Bolt3 Schiller vindiziert werden, zu Nr. 1138 (über gedrudte Antirenien 
des alten Forfter) und zu Nr. 1189 (über das Wort „Deutfch“ im lobenden 
Sinne). AR. 

Niedergefäß O., Schiller in feinen Briefen. I. Programm. Gotha. 

Schlurick J., Schiller und die Bibel. Programm. Leipzig, Hinrichs. 1.80 4 

Aeſchylos' ausgewählte Dramen. Deutſch von %. Graf zu Stolberg. Mit 
Einleitung von 2. Türfheim. (Cottafche Bibliothef der Weltliteratur Band 252.) 
Stuttgart, Cotta. 1 A, 


19. Sahrhundert. 


Anzengruber 2, Das vierte Gebot. Bolksftüd. 3. Auflage. Stuttgart, 
Cotta. 2 M. 

Aus BauernfeldS Tagebüdhern. I. 1819 —1848. Herausgegeben von 
E. Gloffy. (Aus dem „Jahrbuch der Grillparzer-Gefellihaft.) Wien, Konegen. 
4 AM. Bgl. oben ©. 681. 

Drofte-Hülshoff A. Freiin v., Gedichte. 4. Auflage mit Erklärung ſchwer 
verftändlicher Wörter. Paderborn, Schöningh. 1.80 4 

Kennel A, Ludwig Eichrodt. Ein Dichterleben. Lahr, Schauenburg. 2 M 

Gaudy F. Frhr. v., Benetianifche Novellen. (Bibliothek der Gefamtliteratur 
des In- und Auslandes Nr. 843—846.) Halle, Hendel. 1.4 

Seibel E., Gedichte. 121. Auflage. Stuttgart, Cotta. 5 MH. 

Warnkönig W., Joſeph v. Görres. Ein Kämpe für die Freiheit. Dem freien 


132 Bibliographie. 2. Bücher. 


deutjchen Wolfe gefchildert. (Katholifche Flugichriften zur Wehr und Lehr 
Nr. 91.) Berlin, Germania. 10 X. 

Gotthelf F., Wurft wider Wurft. Die Rabeneltern, 2 Erzählungen. (Bibliothef 
für Alle Nr. 10.) Bafel, Köhler. 15 9. 

Sotthelf $., Der Beſuch oder Birlig-Stüdeli. Erzählung [Aus „Alpenrofen“]). 
(Bibliothek für Alle Ver. 11.) Bafel, Köhler. 15 9. 

Hadländer F. W., Die Valenzianerin. Illuſtriert von E. Klein. Stuttgart, 
Krabbe. 1 M. 

Hanke H., geb. Arndt, Die Witwen. 4 Teile in 1 Band. Stuttgart, Malcomes. 
1.50 A 

Hansjakob H., Aus kranken Tagen. Erinnerungen. Heidelberg, Weiß. 3.20 4. 

Hauffs Werke in 4 Bänden. XLeipzig, Knaur. 6 M, 

Hauff W., Lichtenftein. 3 Bände. (Aus „Die beiten Romane der Weltliteratur”). 
Teihen, Prochaska. 1.50 M. 

Hauff W., Memoiren des Satan (Allgemeine VBolfs-Bibliothef Nr. 48—53). 
Neuſalza, Defer. à 10 9 

Heine H., Die Harzreife (Allgemeine Volks-Bibliothek Nr. 62. 63). Neufalza, 
Oeſer. & 10 X. 


Rieei M., La vita intima di Enrico Heine secondo nuovi documenti. . 


„ Firenze, Barbera. 2L. 
Blei F., Karl Hendell. Ein moderner Dichter. Studie. Züri, Berlags- 
a 80 A. 

Mügge Th., König Jakobs letste Tage. Roman. Leipzig, Greßner & Schramm. 
2 M. 

Jöſten J., Wolfgang Müller v. Königswinter. Sein Leben und die Bedeutung 
feiner Werfe für das deutfche Bolf. Köln, Kölner Berlags- Anftalt und 
Druckerei. 1.4 

Neftroy $., Judith und’ Holofernes. Traveftie. Durchgeſehen und heraus- 
gegeben von E. F. Wittmann (Univerfal-Bibliothef Nr. 3347). Leipzig, 
Reclam. 20 9. 

Neſtroy $, Der Talismann. Poſſe mit Geſang. Muſik von A. Müller. Durch— 
geſehen und herausgegeben von C. F. Wittmann (Univerſal-Bibliothek Nr. 3371 
bis 3380). Leipzig, Reclam. 20 5. 

Novalis, Les disciples à Sais et les fragments. Trad. de l’allemand 
par M. Maeterlineck. Brüssel, Lacomblez. 

Paoli B., Gedichte. Auswahl und Nachlaß. Mit einem Bildnis der Diehterin 
nad) Kriehuber. Stuttgart, Cotta. 3 M 

Snhalt: Vorwort von A. Bettelheim. — Betty Paoli von Marie dv. Ebner- 
Eſchenbach. — Requiem, gedichtet für die Gedenkfeier des Vereins der Wiener 
Schriftftellerinen und Künftlerinen bon Ferdinand dv. Saar. — I. Gedichte 
(1841, zweite Auflage 1845). — II. Nach dem Gewitter (1843, zweite Auf— 
(age 1850). — III. Neue Gedichte (1850, zweite Auflage 1856). — IV. Lyrifches 
und Epifches (1855). — V. Neuefte Gedichte (1870). — VL. Letzte Gedichte 
(Aus dem Nachlaß): Lyriſches; Der gute König in der Hölle, Indiſche Legende; 
Metrifche Ueberſetzungen; Aphoriſtiſches. 

Fritz Reuter und die Juden Dresden, Glöß. 50 5. 

Reuter, Friedrich Rückert und Joſeph Kopp 1837— 1842. Mit 18 Briefen des 
Dichters. Programm. Altona. 

Ruppius DO., Der Pedlar. 2 Bände. (Aus: „Die beften Romane der Welt- 
Literatur”). Prochaska, Teichen. 1. 

Sacher-Maſoch, Die Mefjalinen Wiens. Geſchichten aus der guten Geſellſchaft. 
2 Teile in 1 Band. 7. Auflage. Berlin, Neufeld & Henius. 4 M 


Bibliographie. 2. Bücher. 133 


Sauter F. Gedichte aus dem Nachlaß. Mit einem Vorwort von K. v. Thaler. 
Mit zwei Porträts, wovon ein Jugendbild nah M. v. Schwind. Wien, 
Teufen. 2.60 M. 

Inhalt: Vorwort. — Frühling. — Vermiſchte Gedichte. Sonette. Ge- 
legenheitsgedichte. 

Sealsfield Eh. (K. Poſtl), Lebensbilder aus der weitlichen Hemifphäre. (In 
5 Zeilen) 1. und 2. Teil. Stuttgart, Malcomes. 1.50 M 

Dieter H., Jranz Stelzhamer und feine Beziehungen zu Groß-Piefenham und 
Salzburg. (Aus dev „Linzer Tagespoft“.) 1. und 2. Auflage. Salzburg, 
Dieter. 40 X. 

Wilhelmi 9, Maurice Reinhold v. Stern, ein ſocialdemokratiſcher Dichter. 
Bortrag. Sonderabdrud aus der „Monatsichrift für innere Miffton“ von 
Th. Schäfer. Gütersloh, Bertelsmann. 1894. 

Steub 2, Drei Sommer in Tirol. 3. Auflage mit 1 Karte. 2 Bände. 
München, Hugendübel. 7 AM. 

Stolz A., Gejammelte Werfe. 17. Band. Freiburg i. B., Herder. 3 A 

Inhalt. Legende oder der hriftlihe Sternenhimmel. 10. Auflage. Mit 
Bildern von A. und 2. Seit. II. Band. April bis Juni. 

Storm Th, Zur Chronif von Grieshuus. 4 Auflage. Berlin, Gebrüder 
Paetel. 3 M. 

Tieck L., Novellen. I. Der Aufruhr in den Cevennen. (Bibliothek der Geſamt— 
literatur des Sn= und Auslandes Nr. 857—859). Halle, Hendel. à 25 X. 

Klee Gotthold, Zu Ludwig Tieds germaniftifchen Studien. Programm. Bauten. 
1 A 

Der BVerfaffer giebt eine Klare, durch unbekannte Briefe reichlich erläuterte 
Ueberficht über Tieds wiſſenſchaftliche Thätigkeit auf germaniftifchen Gebiete: 
ihre Hauptetappen find die Erneuerung der Minnelieder, die Vorarbeiten zu 
einer Nahdihtung der Nibelungen, die Beihäftigung mit dem König Rother 
und dem Heldenbuch, die Bearbeitung von Ulrichs Frauendienft, endlich das 
deutſche Theater; alle diefe Arbeiten und Pläne find im einzelnen eingehend 
bejprochen. — Anmerkung 32 lies 1803 ftatt 18519; die in Anmerkung 58 be- 
ſprochene Stelle aus den Nibelungen ift aus 277, 3 und 279, 3 gemiſcht. A. 2. 

Uhland %., Gedichte. Gütersloh, Bertelsmann. 1.40 4. 

Uhland %., Gedichte und Dramen in zwei Bänden. Gütersloh, Bertelsmann. 3 AM. 

Wilhelm Waiblingers Gedichte aus Ftalien. Nach den erften, vom Dichter 
jelbft beforgten Druden, fowie aus dem handſchriftlichen Nachlaß herausgegeben 
von E. Griſebach. Zweiter Band. Oden und Elegien aus Nom, Neapel und 
Sicilien. (Univerfal-Bibliothet Nr. 3351. 3352.) Yeipzig, Reclam. 40 . 

In der Biographie find auch ungedrudte Briefe verwertet. Der erite Band 
der Griſebachſchen Sammlung enthält die „Lieder des Römiſchen Carnevals 
und andere Gedichte aus Latium und den Sabinerbergen.“ 

Weitzmann E., Sämtliche Gedichte in ſchwäbiſcher Mundart. Vollſtändigſte 
Ausgabe. 10. Auflage. Straßburg, Straßburger Druderei und Berlags- 
re 1 M. 
ihoffe H., Kleine Urſachen oder ein Bädergefelle als Minifter. Erzählung 
" (Bibliothet für Alle Nr. 9). Bafel, Köhler. 15 9. 


*4 


734 Nachrichten. 


Radridten. 


Ernft Elfter in Leipzig bereitet ein größeres Buch: Theorie der 
Literaturgefhichte vor. 

Für die neubegründete Revue des universites du midi find u. a. in 
Ausficht geftellt: Hallberg, La pedagogie de Goethe; Joret, La eour 
litteraire de Weimar; Legras, Henri Heine et Michel Lermontof. 

Bon Juni diefes Fahres ab erfcheint bei C. Fromme in Wien die Zeit- 
ſchrift — deutſche Mundarten, redigiert von Dr. J. W. Nagl. 

Sohn Meier in Halle verfendet eine — in der er 
ſich — verwahrt, als ob er in ſeinem Buche über Halliſche Studenten— 
ſprache Kluges Aufſatz über Deutſche Studentenſprache vom Jahre 1892 in 
unerlaubter Weiſe benutzt habe. 

Für den Stuttgarter literariſchen Verein befinden ſich im 
Druck: Haimonskinder, deutſche Proſa des 16. Jahrhunderts; Boccaccio— 
Steinhöwel, De claris mulieribus. 

R. Schlößer in Jena iſt mit einer Sammlung der deutſchen Ge— 
dichte Auguſt Buchners beſchäftigt. 

Für A. Leitzmanns a ſchriften zur deutjchen Piteratur- umd 
Geiftes- Geſchichte befinden ſich in Vorbereitung: Romantikerbriefe, bearbeitet 
von L. Klee in Bautzen und Alexander von Humboldts Jugendbriefe, 
bearbeitet von dem Herausgeber. - + 

Auf Anregung des Königs von Württemberg wird ein Shwäbi- 
{her Schiller-Berein und en Schiller-Mufeum in Marbad be- 
gründet. 

Dem Dichter Müller von Königswinter foll im feiner VBaterjtadt 
ein Denkmal errichtet werden. 

Sulius Betris literarischer Nachlaß wird demnächſt, herausgegeben 
von ſeinem Lehrer Erich Schmidt, im Verlage der Cottaſchen Buchhandlung 
erſcheinen. 


Am 30. April 1895 ſtarb zu Wiesbaden Guſtav Freytag im 
79. Lebensjahre. Eine Flut von Nefrologen, die unfere Bibliographie zum 
großen Teil bereits zu jammeln bemüht war, ift über fein frifches Grab dahin- 
geraufht. Vom helliten Enthufiasmus bis zum fühlen Zweifel waren alle 
Schattierungen der Wertfhätung darin vertreten. Alles aber war einig in der 
Anerfennung jeiner großen hiftorifchen Bedeutung für das Geiftesleben Deutjch- 
lands in der zweiten Hälfte unſeres Jahrhunderts. Je weiter daher die literar- 
hiftorifche Forſchung fih der Gegenwart nähern wird, um jo öfter wird fie den 
Spuren feines fegensreichen Wirfens begegnen und um jo öfter wird auch unfere 
Zeitfehrift feinen Namen in Berehrung und Dankbarkeit zu nennen haben. 


Im Manuffript abgefchloffen am 1. Juni, im Sat am 11. Juli 189. 


Drud von Lorenz Ellwanger, vorm. Th. Burger, Bapreuth. 


Wilhelmine Andreu. 
Bon Wilhelm Lang in Stuttgart. 





Im Sahre 1861 hat PBrofeffor Dr. Haackh (Allgemeine 
Zeitung, Beilage Ver. 18 ff.) die Hypotheſe aufgejtellt, Schillers 
„Yaura“ ſei nicht die Hauptmannswitwe Viſcher geweſen, jondern 
deren Nichte Wilhelmine, Tochter des Arztes Dr. Jakob Eber— 
hard Andreä, eines Nachkommen des befannten württembergijchen 
Theologen Jakob Andrei, der im 16. Jahrhundert Kanzler der 
Univerfität Tübingen war. Haackh ſtützte ſich auf eine unfichere 
Ueberlieferung in der Zumfteegjchen Familie. Dazu fam, daß er 
ein Bildnis entdect hatte, in dem Angehörige der Familie die 
Züge Wilhelminens zu finden glaubten, während in dem männ- 
lichen Pendant dazu Haackh die Züge Schillers erkennen wollte, 
aljo „Schiller und Laura“. Die Hypotheje war jchwach begründet 
und hat wenig Beifall gefunden. Brahm nimmt gar feine Notiz 
davon. MWeltrich verwirft die Hypotheje, über die er einen eigenen 
Exkurs verjpricht. Minor jucht von ihr einen Reſt zu retten. Er 
jchreibt, wie das Gedicht „An Minna“, jo auch den an eine Minna 
gerichteten, mit X gezeichneten „Fluch eines Eiferfüchtigen”, und 
die anderen Gedichte der Anthologie, die diejelbe Ehiffer haben, 
Schiller zu und bezieht jie auf Wilhelmine Andrei; er unter- 
jcheidet Yauralieder und Minnalieder: dort hohe, rhetoriſche, hier 
jinnliche, vealijtijche Lyrif. Einigen Anhalt gewinnt er dadurch, 
dag Wilhelmine erwiejenermaßen von Gotthold Stäudlin, dem 
Herausgeber des Schwäbilchen Muſenalmanachs, angebetet und an- 
gejungen worden ijt, und daß der alte Bodmer ſich das Gerücht 
zutvagen ließ (Goethe-Jahrbuch 5, 183 F.), Stäudlin und Schiller 
jeien Nebenbuhler wie in der Poeſie, jo in der irdiſchen Liebe 
gewejen. Aljo: Stäudlin und Schiller liebten diejelbe Wilhelmine, 
Schiller jah jich betrogen und gab in dem „Fluch eines Eiferfüchtigen" 
der Treuloſen den Yaufpap. 

Euphorion IL, | 48 


136 RW. Lang, Wilhelmine Andreä. 


Bezeugt ijt ein Berhältnis Schillers zu Wilhelmine nirgends, 
wohl aber ijt bezeugt, daß diefe von Stäudlin, von Reinhard 
und von Conz geliebt, angefchwärmt und bejungen worden ift. 
sch habe Briefe in Händen, die über dieſe Dinge einiges Licht 
verbreiten und namentlich eine Anzahl Gedichte der Genannten zu 
erläutern geeignet find. Und da nun doch einmal Wilhelmine 
Andrei mit unferem großen Dichter in Berbindung gebracht worden 
it, wird ihre Beröffentlichung faum einer Rechtfertigung bedürfen, 
zumal der Berfehr dieſer jchwäbijchen Dichter mit dem andern 
GSejchlechte zugleich einiges Fulturgejchichtliches Intereſſe darbietet. 
Bielleicht, daß es auch gelingt, daraus mittelbare Schlüffe auf ein 
Berhältnis Schillers zu Wilhelmine zu ziehen. 

Im September 1781 hat Reinhard (dev jpätere franzöſiſche 
Diplomat), damals noch im Tübinger Stift, die befannte Reiſe mit 
Conz nach Stuttgart gemacht, auf der ev mit Schiller befannt 
werden jollte. Der erjte ſchwäbiſche Muſenalmanach, wozu Stäudlin 
die Dichter am Neckar und am Neſenbach aufgeboten hatte, war 
zufammengejtellt, jein Erjcheinen jtand bevor. „Mit dem Almanach“, 
jchrieb Reinhard am 9. Auguſt feinem jüngeren Bruder Ehrijtian, der 
im niederen Seminar zu Maulbronn war, „wird diefe Woche der 
Anfang zum Drucd gemacht. Sch werde 10-12 Stücke drein 
liefern.“ Er brannte vor Begierde, in der Hauptjtadt alte Freund— 
Ichaften zu erneuern, neue zu knüpfen. Nie hatte er den Ferien mit 
größerer Ungeduld entgegengejehen. Am 23. September jchrieb er 
dem Bruder, der im Begriff war gleichfalls in die Ferien zu reifen: 

Du fommft morgen, alfo einen Tag vor mir, nach Stuttgardt. 
Komm mix entgegen bei trübem Wetter. Wenn's aber jchön Wetter 
ift, jo gehjt du Vormittags, jo jchön gepuzt, als es ſich thun läßt, 
in H. Reg. N. Stäudlins Haus (Friz Stäudlin nimmt diejen Brief 
mit) fragjt nach d. 9. M. Stäudlin und jagjt ihm, du jeieft mein 
Bruder. Ob fie mir entgegen gehn wollen? — Das Weitere wirft 
du hören. Schon umdüften mich die Freuden Elyfiums! — So wol 
ift mix, daß ich einige Wochen aus diefem Gefängnis erlöst werde, 
und nach Stuttgardt komme, ha! wohin? — Bruder, dis ift die Sache. 

Hiernach ift anzunehmen, daß Neinhard am 25. September 
in Stuttgart anfam. Bis zum 4. Oftober blieb er dajelbjt. Ex 





W. Lang, Wilhelmine Andreä. 131 


hatte Wilhelminen bei einem früheren Aufenthalt in Stuttgart, 
ivie es jcheint bei einem Balle, erſtmals gejehen. Schon damals 
war fie ihm als ein Engel erjchienen, und der Wunſch fie wieder- 
zufehen war mit ein Grund, warum er jo jehnfüchtig nach der 
Hauptjtadt jtrebte. Er jah fie wieder, und jest brach, obwohl 
gleichzeitig bereits Zweifel und Mißtrauen jich vegte, übermächtig 
die Liebesflamme bei ihm aus. Nach Ablauf der Ferien nach 
Tübingen zurückgekehrt, jchrieb er am 27. Dftober folgenden Brief 
an jeinen Bruder nach Maulbronn: 


Am Dienftag, an meinem Geburtstag 2. Dftober] bift du von 
Stutgardt weg: den Mittag, nachdem ich gehört hatte, Minna komme 
nicht in die Komödie, bracht’ ich bei Stäudlin zu: Betul war auch 
da, und dann ward mein Geburtstag celebrixt in Nheinwein. Sie 


waren Iuftig, aber Sch wars nicht. — Mittwoch Mittag bracht’ ich 
bei Schiller zu. Er jchenfte mir feine Räuber. — Donnerjtags 


wolt’ ich auf Heilbronn: Allein weil Abends Konzert war und Illu— 
mination, jo blieb ich zuriick: Mein wichtigjter Grund mochte der jeyn, 
daß ich hofte, die Andräinnen da anzutreffen. — Um 5 Uhr gingen 
wir hinein und famen glüclich in den Konzert-Saal: Plözlich fommt 
ein Hauptmann: Wer nicht (sic!) Stiefel anhabe, müjje fort, und jich 


umfleiden. — Klein! dacht’ ich und ging, zog Schuhe an, und kam 
wieder. Nun ſpekulirt' ich überall nach — Minna, aber da war feine ! 


Endlich fint zum Steg einen Fremden zu miv ber, der jagt: Er 
habe jchon lang gewünjcht, mit mir befannt zu werden: Ex habe jchon 
von Stäudlin viel Gutes von mir gehört und von den Igfr. Adräinnen. 
Wie mir das durch die Seele fuhr! Sind fie im Konzert, war meine 
erſte Frage, eh’ ich jeinen Namen wuste. (Er heist Weber und ijt 
Musicus.) Mein, jagt’ er, aber jie fommen, die Illumination zu 
jehen. — Nun hatt’ ich genug: Mein Standplaz war an der Thüre, 
und im ganzen Saal feine hohe Haube und feine Friſur mehr für 
mich. Das Konzert ging an. Ich wartete den Chor aus, dann konnt' 
ich nicht mehr. Hinaus in den Hof, und da immer im Bieref herum. — 
Endlich fommen zwei Frauenzimmer im Neglige, jede gefürt von einem 
Shapeau, zum Schlos Thor herein, und die erjte war Minna: Wie 


mir das Herz ſchlug — Ich mache mein Kompliment: Ihr Begleiter 
entfernt jich, ich fire jie: In diefer neuen mir ganz ungewönlichen 
Sphäre mit Ihr — es ift umbefchreiblich. — Wir gingen hinaus 


endlich auf die Planüde, jezten ums da im Mondſchein — 
Da flogen unfve Seelen zuſammen, wie 
Zu Harmonien Tönen, da glüht im Mond 


48* 


138 W. Lang, Wilhelmine Andrei. 


Die Wang’ ihr röter, und ein janfter 
Handedruc jtürzte mein Blut zum Herzen! 

Endlich gingen wir heim! — und wie miws nun jo leicht war! 
Aber auch Minna ift — ein Mädchen! — Sturz ich war das erjtemal 
überrajcht worden: Anftreiten dagegen mocht' ich, wie ich wolte: 
Sch war bezaubert. Nur jie fonnte meine Bezauberung löjen, und 
es geſchah. — 

Reinhard erzählt dann weiter, da er fich am Freitag in 
die Yudivigsburger Kutſche jeßte und von da weiter nach Heilbronn 
wanderte, wo er fich zwei Tage an den Vergnügungen der Wein- 
lefe ergögte. Am Montag fam er nach Stuttgart zurück. „Ich 
ging gleich zu St. aber da war feine Seele zu Haus. Schiller, 
Beterjen, Niemand. Den andern Tag traf ich fie an, nur Schiller 
nicht." Er verabjchiedete fich dann im Stäudlinjchen Haufe, wobei 
Lotte, die eine der Schweitern, zärtliche Thränen vergoß. Stäudlin 
gab dem weiter Wandernden noch das Geleite bis ins Dorf Degerloc. 

Zur Erläuterung diefes Briefs diene Folgendes. Der Vater 
der „Andräinnen" war im Sahre 1779 gejtorben, nachdem in den 
legten Jahren jein Geijt ummachtet gewejen war. Er hinterließ 
7 Töchter, von denen Luiſe und Wilhelmine die ältejten waren. 
Johann Ehriftoph Weber war, wie Johann Rudolf Zumjteeg, ein 
aus der Karlsſchule hervorgegangener Muſiker (Wagner, Gefchichte 
der Karlsjchule 1, 613). Betulius iſt ohne Ziveifel der jpätere 
Auditeur, ein Sohn des Antiquars Betulius, der als Freund von 
Schillers Bater genannt wird (Bollmer, Briefwechjel ziwijchen 
Schiller und Cotta, Seite 354). Seinen Freund Eonz nennt Rein— 
hard nicht; man weiß aber aus Conzens Mitteilungen, daß diejer 
mit Reinhard nach Stuttgart veijte und mit ihm bei Schiller war. 
Ob dieſer gemeinschaftliche Bejuch aber gerade derjenige war, von 
dem Reinhard jeinem Bruder jchreibt, bleibt dahingejtellt. Er 
Jah Schiller wiederholt. In feiner eigenen Aufzeichnung über die 
Begegnung mit Schiller (Guhrauer, Hijtorifches Tajchenbuch Neue 
Folge 7, 197) jchreibt Reinhard: „Damals jahe ich zum exjten- 
nnd leßtenmale nur drei Tage lang Schillern, der jo eben die 
Carls-Akademie verlafjen hatte.“ 

Beide Schweitern, Yuife und Wilhelmine, waren viel um- 


W. Lang, Wilhelmine Andrea. 139 


worben. Luiſe krankte eben damals an einer Herzenswunde, fnüpfte 
aber bald darauf ein neues zärtliches Verhältnis mit Zumfteeg, 
das zu Verlobung und Ehe führen follte. Bei Wilhelmine durfte 
jich in diefer Zeit und in den folgenden Wintermonaten Reinhard, 
neben Stäudlin, als dev Begünſtigte betrachten. Seit der zweiten 
Stuttgarter Begegnung wechjelten jie Briefe und diefe Briefe er- 
mutigten Reinhard im Dezember Minna eine fürmliche Liebes- 
erklärung zu machen. Cr that es, obwohl er wußte, daß Stäudlin 
jein Mitbewerber war und im November zu Minnas Geburtstag 
ihr ein Gedicht zugejandt und darin jeine Liebe gejtanden Hatte. 
Allerdings jteht in dieſem Geburtstagsgedicht (veröffentlicht in 
Stäudlins Gedichten, 2, 125) der Liebhaber in ziemlicher Ent- 
fernung. Er verfichert, daß jeine Neigung nicht auf den äußeren 
Reizen der Angebeteten beruht, daß fie vein und edel ift und „in 
himmlischem Gewande jingt”, und jchüchtern fragt ev beim Unend- 
lichen an, ob er fie nicht für ihn gejchaffen habe. Wilhelmine 
hatte diefe Huldigung mit jungfräulicher Bejcheidenheit, aber mit 
Seufzen und Thränen entgegengenommen und Stäudlin fchrieb 
überglückliche Briefe nach Tübingen, jo daß Reinhard bereits ver- 
zagen und dem glücflicheren Nebenbuhler das Feld räumen wollte. 
Als er aber hörte, daß Wilhelmine an ihrem Geburtstag auch 
jeinev und Conzens gedacht hatte, jchöpfte er neue Hoffnung. Am 
1. Dezember war der Schweiter Puife Geburtstag, Zu diefem 
jchrieb ex, wie jeinerjeits auch Conz that, eine Ode (Schwäbiſche 
Blumenleje 1783, ©. 14; mit — h — gezeichnet), worin auf 
das tragijche Gefchict des Vaters Andrei und auf Luifens unglück- 
liche Liebe angejpielt war, und da dies eine heifle Sache jchien, 
bediente ex fich zur Beförderung des Gedichts an feine Adreſſe 
der Vermittlung Wilhelminens. Die Folge war, daß er nicht blos 
von Luiſe einen danfenden, jondern auch von Wilhelmine einen 
Hoffnung erweckenden Brief erhielt und da inzwiſchen Stäudlin 
einen völlig mutlojen Brief gejchrieben hatte, meinte Reinhard eine 
jörmliche Erklärung jchuldig zu fein: er eröffnete ſich Minna und 
wartete nun ungeduldig auf Antwort. Das alles -erfahren wir 
aus folgendem Briefe NReinhards an feinen Bruder; 


740 W. Lang, Wilhelmine Andrei. 


Tübingen, 13. Dez. 1781... . . Und morgen erwart' Ich 
einen Brief, dev — auch entjcheiden wird. Nun davon hernach. 
Oder nein! jegt gleich! ° Denn mein Herz jtrömt mir über, mus jich 
ergießen in deinen Schoos! und jey ftolz! was ich dir jeßt jchreiben 
werde, weis — ſelbſt Konz nicht. Der Kalte, der Fabius, 
rieth immer zum piano: aber ich habe den Schritt gewagt: Ex erfärt 
ihn nicht eher, als mit dem Erfolg. — Allein kann ich dies 
jchreiben, in jeinem ganzen Zuſammenhang, der in der mimpdlichen 
Erzälung einen Tag wegnemen wide? Mein ich jchweige bis zur 
Bafanz ! 








Und nun — ob ich joll oder nicht joll? — Dir jchreiben, was 
ich div anfangs verjprochen hatte? Ich wills thun, aber mm in 
Kompendiums-Kürze. Alſo — Wilhelmine hatte mir geantwortet, 
und ich wieder. Einige Tage darauf bin ich bei einer Mufif mit 
Betulius. Ich beginne von den beiden Mädchen, jehr natürlich. Drauf 
erzälte er mir eine unglücfliche Yiebe von Yuijen, der älteren Schweiter : 
Bom Unglück ihres Baters, Dr. Andrea, weilt du ja auch. Dis macht 
Eindruck auf mich, und da ich zugleich evfahre, daß d. erſten Dez. ihr 
Geburts-Tag ift, jo jchreib’ ich ein Gedicht drauf, das mir ganz aus 
der Seele fliest. Es beginnt: D Luife, der Tag 21. — Indeſſen 
befommt Conz einen wonnetaumelnden Brief von Stäudlin, der ſich 
ganz in alle die Wonne des liebens und geliebtwerdens ausgiest. 
Noch zuperfichtlicher jpricht ex in einem Brief an Betul. Vorbei, 
dacht ich, ifts mit die! Alles war Traum, Wahn, Selbjtbetiug! — 
ging nach Haus . . . nam ein Papier, wolt' an Minna jchreiben — 
nichts! Borwürfe, Klagen? Jene, dacht’ ich ſind ungerecht, dieſe — 
was nüzen fie? — Ich lies es, und begrub meinen Jammer in mich. — 
Indeſſen fam d. Ijte Dez. Die Sache war delifat: In einem Gedicht 
an ein Frauenzimmer von unglücklicher Yiebe veden: Aber fie ijt Luiſe. 
Drum, dacht ich. (Schall, der fie auch kannte, geliebt hat, und — 
abgewiejen worden iſt, nannte jie eine Schwärmerin: das, glaub ich, 
ift jie nicht: abev Gefül hat jie in hohem Grad) doch must ich Die 
Sache einleiten. Ich bediente mich alſo d. Gelegenheit, und jchrieb 
an Minna. (St. um div das noch zu jagen, hatte auf Wild. Geburtstag 
im November ein Gedicht gemacht, ihr ſ. Yiebe gejtanden, jie hatt’ es, 
jo jchrieb er, mit jungfräulicher Bejcheidenheit gelejen, Tränen im Blick, 
da er fie Sprach, und verjunfen in wehmütigem nur durch Seufzen 
unterbrochenem Schweigen: aber doch tranf jie damals meine und 
Conzens Gejundheit, das liebe Mädchen.) In dieſem Brief ftand nun 
unter anderm folgendes: „— — erzälte mir dv. einem Frauenzimmer, 


W. Lang, Wilhelmine Andrea. 7141 


die meine ganze Hochachtung hat ꝛc. ꝛc. jie Hab’ unglücklich geliebt 
(Sie jinds aljo nicht Minna! Denn Sie lieben glüdlich) — — 
Noch einmal! Sie lieben glüclich! Aber doch wars Güte von Ihnen, 
dag Sie an Ihrem Geburtstag mich auch nannten: Mich und Conz 
neben Stäudlin!“ — Aber ic) mus noch einmal zurücgehn. Auf die 
Stelle ihres Briefs: machen Sie mich zu Ihrer Bertrauten 2c. 20. — 
hatt’ ich ihr gejchrieben: „Sehn Sie, daß ich Sie dazu gemacht Habe — — 
aber wenn ich zur Bergeltung nun fodre, daß Sie mich zu Ihrem 
Bertrauten machen? Ich war ja jchon der Bertraute einer Yeidenjchaft, 
die für Sie in d. hellften Flammen lodert. Schreiben Sie mir, daß 
ich St. jage, in Ihrem Namen jage: Sey glücklich, und ich will meinem 
Freunde Glück wünfchen, will — —“ und nun lies St. Jammerbrief. 
(Aber ich binde dirs auf die Seele, mir Alles, was ich beilegen 
werde, unverſehrt zurückzuſchicken.) 

d. 16ten. Wie unerwartet mir der war, kannſt du denken. 
Am nemlichen Botentag gab mir Konz einen Brief von Luiſen, Die 
belonendfte Dankfjagung, einen von Wilhelmine, voll jchmeichelmder 
Hofnung erregender Stellen: Eine nur: (Wegen der Stelle im Gedicht 
an Luiſe: — ſie trocknen einjt in Minnas Umarmungen — hatt’ ihr 
geichrieben: Sie verzeihn mirs doch! Es war ein liebensmürdiger, 
aber täujchender Genius, der jte mir eingab —) „Mir jchiens, als 
wäre die Yiebe Ihrem fülenden Herzen zum Bedürfnis worden. Weil 
jie aber bis her fein Mädchen gefunden haben, das Ihrem deal ganz 
entjprochen hätte, jo ift jehr natürlich, daß die 2te Geliebte, die ihm 
notwendig mehr entjprechen muste, als die erjte, das Bild der lezten 
aus Ihrer Seele verdrängte. Und das kann ich Ihnen verzeihen: 
ob Ihnen aber Ihre Geliebte vergeben fonnte oder wolte, das weis 
ich nicht, wünjche e8 aber Ihnen von Herzen — und nun, was ©ie 
nicht alles v. Bemwußtjeyn Ihres Unmerts“ ꝛc. 20. — Zugleich war ein 
Brief v. Breitſchwert beigelegt, durch deſſen Hand alle Briefe laufen, 
der hier folgt. — Und das vejultat war: Ich muste mich erklären, 
entweder jegt oder nie: Ich thats: Monntag gieng d. Brief ab: Dienftag 
erhielten fie ihn gerade da St. dabei war, alfo in einer äußerſt kritiſchen 
Yage, und heut iſts Sonntag und noch feine Antwort. Seys wie's 
will: Ich Hab’ es überlegt, jede der Folgen des Schritts ab- 
gewogen umd num bin ich ruhig — — — Hofnung hab’ ich: 
das ift wahr. Aber dent! Abwejenheit, Stürmen eines feurigen 
Kebenbulers, weibliche Bedenflichkeit, und dann, das jchmeichelhafteite, 
was ich denfen kann ift: die Wage jchweb’ im Gleichgewicht . . . 

Diejer Raum noch, um div morgen vollends Hinzufchreiben, 
entweder ich bin glücklich, oder — ich bins nicht! leb wol. 

d. 17ten. Heute fein Brief — 


142 W. Lang, Wilhelmine Andrea. 


d. 24jten Abends 11 Uhr. Tag vor d. Ehrijttag. Hahaha! Herr 
Bruder lach! Hahaha! Du hätteft mich heute jollen den Wörth hinauf- 
laufen jehn! Sahaha! Sag mur, wenn dich jemand fragt, dein 
Bruder jei ein Eſel! 

Der Schluß dieſes Briefes läßt nur die eine Deutung zu, 
daß Minna in dem Briefe, mit dem fie jo lange zögerte, den 
iwerbenden Liebhaber abgewiejen hat. Aber jie hat ihn, wie die 
folgenden Briefe zeigen, nicht aller Hoffnung beraubt. Sie hat 
eine deutliche Aussprache ohne Zweifel vermieden, und jo hat fie 
es, von den Huldigungen der Dichterifchen Jugend gejchmeichelt, 
offenbar mit ihren Piebhabern überhaupt gehalten, mit Stäupdlin 
ebenjo wie mit Reinhard. Das Berhältnis wird keineswegs ab- 
gebrochen, der Briefwechjel dauert fort und Minnas Briefe lafjen 
die Hoffnung nicht verlöfchen. Am 4. Februar 1782 jchreibt Rein- 
hard dem Bruder: 

Wie's mit mir ſtehe? — So eigentlich weis ich dis nicht zu 
beantworten. Stürmijch ift mein Herz nicht. So ein janftes Weſt— 
windehen weht drüber her, und das heist — Hofnung. Minna’s 
legter Brief hat's erregte. — Der beiden Mädchen Schatten » Ris 
hab’ ich nun auch: Minna's Brofil ift Schön! — Meinen Schatten- 
Ris hab’ ich ihr heute gejchict: mir gefällt ev nicht: Ich wünsche, 
daß er bejjeve Wirrfung auf jie habe. Uebrigens bin ich jo ziemlich 
gelajjen. — Igfr. Kathrine Yife (ich glaub’ ich habe div vor 8 Tagen 
von ihr gejchrieben) ift mir, faſt möcht ich jagen, untren worden. Du 
fannjt nicht glauben, wie michs freute, da Hofafer mir von ihr vor- 
bramarbafixte, wie fie ihm feinen Kus jchuldig geblieben jei ꝛc. Alſo 
kann das qute Ding mir feine Vorwürfe machen. Ueberhaupt kann 
ich's faft nicht begreifen, wie ich damals jo mit Blindheit gejchlagen 
jeyn fonnte, wiewol ichs mitten in dieſer Blindheit mit den Händen 
arif, daß fie das Mädchen nicht jey, das mich feſſeln könne. 

(Katharine Life war eine Dorfichöne in der Umgegend von 
Balingen, mit der Reinhard in den Ferien einen Kleinen Yiebes- 
voman, „übrigens vecht unjchuldiger Art”, unterhielt. Sie ijt unter 
dem Namen Mira in Reinhards Gedichten bejungen.) 

Unter diefen Umständen vegte fich in Neinhard mächtig das 
Verlangen, die Geliebte wiederzufehen. Im Februar fanden in 
Stuttgart große Feftlichfeiten ftatt aus Anlaß der Erhebung der 


W. Pang, Wilhelmine Andrea. 143 


Hohen Karlsjchule zu einer Akademie. Auch der Ephorus und die 
Superattendenten des Tübinger Stifts waren dazu geladen, umd 
diefe herrenloje Zeit wurde von den Stiftlern zu zahlveichen Ueber— 
tretungen der Ordnung bemüßt. Manche gingen gleichfalls nad) 
Stuttgart, um ſich an den Feſtlichkeiten, die jich über eine Woche 
eritreckten, zu ergögen und Reinhard mit feinem getreuen Conz 
gedachte ein Gleiches zu thun, zumal da die Feſte eine qute Gelegen- 
heit verjfprachen, die Schönen Stuttgarts zu jehen. Schon hatten 
fie fich auf den Weg gemacht; unterwegs jchlug ihnen aber das 
Gewiſſen, weil fie ohne Erlaubnis fortgegangen waren; jie fehrten 
um und büßten die Uebertretung der Stiftsgejebe mit einer leichten 
Starzeritrafe. 

Um jo ungeduldiger wurde nun den Djterferien entgegen- 
gejehen. Reinhard weiß zwar, daß die Eltern in Balingen ihn am 
bejtimmten Tag erwarten, daß der Bater über eine neue Stuttgarter 
Reiſe zürnen wird; auch weiß ev noch nicht, wie er jich die Mittel 
zur Reife verjchaffen wird, aber — es muß fein, ev muß Minna 
wiedersehen. Wiederum hat er einen hoffnungerregenden Brief 
erhalten, und gleichzeitig kann ev dem Bruder zwei andere freudige 
Nachrichten jchiefen: ev fühlt jich, Dank einer Aderläffe, von 
drückendem Unwohlſein befreit, und jein Herzenswunjch ijt erfüllt: 
mit dem geliebten Conz allein eine Stube im Stift zu beziehen. 
So jchreibt er denn überglüclich dem Bruder am 18. März: 

Accepi literas, convalui, habeo museum optatum cum 
optatis sociis. Quaevis gratissima tulit haec dies! Nescio, quid 
mihi velim? Accepi igitur literas: spes, quae dudum respirärat, 
augetur, vivit, viget. Adero, videbo, audiar! O quam desiderat 
hoc pectus foveri in tam amato gremio! — Convalui! venae 
sectio non fuit inutilis: Jam minus sentio incommodi, brevi 
penitus sese remoturi! — Habeo museum solus cum Conzio 
meo, quid plura? — Si, quas hodie e domo paterna accipiam, 
literae nihil ingrati attulerint, totum semestre coronabit haec 
dies! — Unum me urget, pecunia: Nondum accepi ducatos 
meos (die ihm für die Anfertigung zweier Gedichte verjprochen ſind), 
sed accepturum me spero. Quid plura? Laetum me vides, 


quin exulantem audis! — Certe si Balingae una erimus nunquam 
deficient, de quibus colloquamur. Non diu me Stuttgardiae 


744 W. Yang, Wilhelmine Andreä. 


commoraturum esse, jam dixi: Die Mercurii adveniam. Revertar 
Saturni die. Interea epistolam pater accipiet mei loco: Indig- 
nabitur forsan: Sed brevem iram fore confideo. Nec si asperrima 
quaevis metuenda essent, non possem videre Minnam. Vale 
et ama tuum Carolum. 


Neinhard Fam alſo nach Stuttgart, ſah Minna wieder, aber 
nun trat eine Erfältung ein. Zwar erfolgte noch nicht der Bruch, 
der Briefwechjel dauerte fort, aber gewiſſe Vorgänge hatten ihn 
jtußig gemacht, ex zweifelte an Minnas Seelenreinheit, und zuleßt 
machte ein Abjagebrief Minnas dem Spiel ein Ende. Er ijt num 
überzeugt, dag Minna nicht das gejuchte Ideal war: jie erſchien 
ihm eine unwürdige Kofette. Briefe vom Mai an den Bruder 
zeigen ihn völlig geheilt und befreit. Am 20. Mai jchreibt er, 
die gewonnene Erkenntnis in ein freilich durchjichtiges Rätſel ver- 
bergend: 


Da liegt dein Brief 14 Tage unbeantwortet . . . Ich fürchte, 
dis halbe Jahr ſcheint mein briefſchreibender Planet nicht. Hab' ich 
doch ſelbſt auf Wilhelminens vor 2 Wochen erhaltenen Brief erſt heute 
geantwortet. Nun hats freilich damit eine gar jonderliche Bewandnis: 
da hab ich eben vom König Nebufadnezar gelefen, der jieben Jahre 
gewandelt ift unter den Thieren im Felde, und Gras gefrejjen hat, 
wie unſre hieſige Burjche, und dem jeine Nägel gewachjen jind, wie 
Adlersflauen, und wie er nach jieben Sa, wieder zur Vernunft 
gefommen ift, und gejagt hat: Sehet! das ijt die kleine Babel, wie 
er vormals gejagt hatte in dem Stolz jeines Herzens: Sehet: das 
it die große Babel. Alles gar Schön und erbaulich zu lejen in Taureau 
blanc von dem famöjen Atheiften umd Socinianer Woltär . . . Da 
dacht' eben bei mir ſelbſt: Siehe! du biſt geweſen, wie der große 
König Nabuchodonoſor, und haſt ausgerufen: Siehe! das iſt die große 
Babel! und du haft Heu gefreſſen, wie unſre hieſige Burjche . . . und 
nun ſagſt du: Sehet! das iſt gar eine kleine, kleine Babel! und biſt 
wieder gutes Muts, und iſſeſt und trinkſt und ſchläfſt nach Art der 
Menſchenkinder, welches alles an dir wol gedeihen möge. Amen! 

Wenn du mir aus allem dem, das oben ſteht, irgend ein Fünkchen 
Menſchen Sinn herausſchlägſt, ſo will ich eine Elegie auf dich machen 
und doch iſt viel, viel Sinn drinn. 


Reinhard ließ dieſen im Unmut geſchriebenen Brief („es iſt 
meine Art ſo, daß ich, wenn ich kein Wort vor Aerger oder Un— 





W. Lang, Wilhelmine Andrea. 145 


päslichfeit veden möchte, am heiterjten ſchreibe“) liegen und jchickte 
ihn erſt mit dem folgenden vom 27. Mai ab, der des Nätjels 
Deutung bringt: 

. . Meine Yiebe zu Wilhelminen ift völlig aus. Sie jelbjt 
hat mich in ihrem legten Brief gebeten, Sie zu vergejjen, zu einer 
Zeit, wo michs ſchon zu venen anfieng, daß ich mich gleichjam gebunden 
hatte. Div hab’ ich jie bisher nur von der vorteilhaften Seite gejchildert: 
du fannjt mich alfo leicht verfennen, weil mir die Sache jo gleichgültig 
it. Die furze Gejchichte ift die. Das erjtemal, da ich Wilh. jah, 
jtellt! ich mix in ihr einen Engel vor... . Daher in jenen erſten 
Tagen mein inniger Wunjch, fie nur noch Cinmal zu jehen. Hätt' 
ich fie noch jo gefunden, wie ich jie mir dachte, ja, dann hätte mich 
vielleicht das Gewicht ihrer Exhabenheit niedergedrücdt. Fand ich te 
aber anders, jo wust' ich, meine Yiebe würde ſich herunterjtimmen. 
Das lezte geſchah. Ich ward überzeugt, fie hebe jich vielleicht an 
Schönheit und Verſtand, aber nicht an warer moralijcher Neinig- 
feit von gewönlichen Mädchen. So verlies ich Stuttgardt, und die 
beinah nicht mehr geliebte Minna. Ich fam nach Tüb. zurück: Konz 
erzälte von den beiden Mädchen mit dem Enthufiafmus, der fich den 
erjten Eindrücen hingiebt: In mir evwachten alle die Ideen wieder, 
die bisher nur gejchlummert baten. Ich ward aufs meue verliebt. 
Ich fing an, die Begebenheit, die jie in meinen Augen jo hevunter- 
gejezt hatte, jo lang zu drehen und zu wenden, jchnipfelte jo lang das 
Verdächtige weg und rüfte jie jo lang hin und her, bis ich jie in einen 
Geſichtspunkt brachte, in dem ſie nimmer jo ſtark aufftel. Nun Fam 
der Briefwechjel, die bejtandige Unterredungen mit Konz, Alles gos 
Del in die Flamme. Ich fam nach Stuttgawdt: da jtand ich das 
eritemal vor ihr, wie ein armer Sünder: Sie verjagte und — gab. 
Meine erſte Erfarung fand ich durch widerholte Beweije betätigt, Minna 
die göttliche jei — eine niedrige Ktofette. Aber ich war dennoch ge- 
fejfelt: denn ſie blieb doch förperlich jchön. Ich Frümmte mich im 
jonderbarjten Kontraft von Empfindungen. In der Einen Minute war 
meine Yiebe zu ihr Theaterrolle, in der andern volles überſtrömendes 
Feuergefül. Sie erflärte ich jo, daß ich für mich alles hoffen konnte, 
zumeilen auch fürchtete, und jo gieng ich. Nach meinem jchriftlichen 
Berjprechen hielt ichs für Vflicht, ihr treu zu jeyn. Gewiſſe gegründete 
Betrachtungen machten mir diefe Pflicht ſchwer. Indeſſen ereignete fich 
eine gewijje traurige Entwidlung in Yuifens Roman: dis muste auf 
die Schweiter Eindruf machen, und dis war auch, wie fie in ihrem 
Brief jelbjt jagt, die Veranlafjung zu dem Schritt, den fie that. Ihr 
lezter Brief war jchön: Er hätte mich beinahe es bedauern machen, 


746 W. Lang, Wilhelmine Andreä. 


daß ich fie verlor. Dis ſind jo einige wenige Züge, und nun ent- 
wirt div das Gemälde jelbjt. Ich bin nun frei, und wills bleiben. 
Einmal die Schellenfappe aufgehabt zu haben ift für den Vernünftigen 
genug, jie nicht wieder aufzujezen. 

Sp ivar denn der Roman mit Minna zu Ende gejpielt. Ex 
hatte von Herbjt 1781 bis Frühjahr 1782 gewährt. Dies war 
auch die Zeit, in der das Dichterfränzchen, zu dem fich Reinhard 
mit den Stiftsgenofjen Conz, Fritz Stäudlin, Bührer, Barvili, 
Duttenhofer, Lang verband — man fam wöchentlich in einem 
Lokal außerhalb des Stifts zufammen — in jeiner Blüte jtand. 
Einem Dichter bot diejes Verhältnis zu Minna — Erinnerung an 
größere oder Fleinere Gunftbezeugungen, Bejorgnis des Abweſenden 
wegen eines glücflichen Nebenbuhlers, dev Wechjel der Stimmung, 
den die Briefe brachten, heute Hoffnung und morgen Enttäufchung — 
das alles bot der elegischen Muje eine Fülle von Motiven, und in 
der That find Reinhards Gedichte diejer Zeit voll von Anklängen 
an die Situationen, die uns aus den mitgeteilten Briefen befannt 
jind, gleichviel, ob er dev Geliebten den Namen Minna giebt oder 
ſie Fanny, Pyda oder Pilla nennt. Lilla heißt jte in der Elegie 
„In einen Freund" (Tibull ©. 166) 1), offenbar gedichtet in den 
Tagen, da Reinhard Wilhelminen brieflich jeine Liebe gejtanden 
hatte und nun ungeduldig die Antwort erwartete. 

Bruder! Bruder! Sie weiß es. In diefer einfamen Stunde 

Bricht jie das Sigel vielleicht, liest und — entjcheidet mein Yoos. 

Yılla weiß es! Da heftet fie hin ihr ätheriiches Auge, 

Wo ihr das jchüchterne Blatt, daß ich fie liebe, gefteht. 

Unverfennbar die Situation, in der der Brief vom 13. Dezember 
1781 gejchrieben ijt: ein Auf und Abwogen von Gefühlen tötlicher 
Angſt, lechzenden Berlangens und zuverjichtlicher Hoffnung; die 
leßtere belebt durch die Erinnerung an den Abend, der ihm Gewiß— 
heit gegeben hatte. 


1) Reinhards Gedichte befinden ſich, von den verichiedenen Jahrgängen 
des Schwäbiſchen Muſenalmanachs abgejehen, teils im Anhang feiner Ueberſetzung 
des Tibull (Zürich 1783), teils in den mit Freund Conz gemeinſchaftlich heraus— 
gegebenen Epifteln (Zürich 1786). 





W. Lang, Wilhelmine Andreä. 7147 


Ha! Du Kalter, Haft nicht an jenem elyfischen Abend 
Ihre Blicke gejehn, haft nicht den Handdruck gefühlt, 

Der mich vom irdiſchen Staub zu Himmelſphären emporhob, 
Und die ewige Glut tief in die Seele mir goß! 

Wie ich mit ihr in der Menge verwornem Getümmel allein war; 
Sie nur hörte, nur jie jah und empfand und genoß! 


„An Lyda“ (Tibull S. 171) ift dann die Klage des Ge- 
täufchten. Auch hier ijt namentlich die Scene, auf der feine 
Erinnerung mit Wonne verweilt, offenbar der Wirklichkeit nach- 


gezeichnet. 
Als Du auf jenen Najen vor mir in dev Dammerung binjanfit, 
Liebevoll Deine Gejtalt, wie die entwölfte Natur; 
Als vom Yüftchen umjäufelt die Bruft Div bebt’, und ihr Seufzer, 
Ach! von dem meinigen nicht unbegleitet, jich hob; 
Als, wie der Pfeil vom beflügelmden Bogen, das Blut von dem Drucke 
Deiner elaftiichen Hand hin durch die Adern mir flog u. j. w. 
Ganz an die Situation der Briefe vom Mai 1782 erinnert 
jodann die Epijtel „An Lena” (Epijteln ©. 3). Der Dichter jteht 
noch ganz unter dem erjten Eindruck der erlittenen Täufchung: 
„Zrauben jchneiden wollt’ ich von der Dijtel”. Die Geliebte war 
ein Mufter von VBollfommenheit, deal in allem — nur ihr Auge 
nicht; der Wolluft Spur in allen Bliefen eingedrückt. 

Neizend jo, doch anders wärſt Du größer — 

Und was mehr it, wärejt bejjer. 

Freilich anders dacht ich, als ich Dich zum erjtenmal 

Schweben in dem Sterzenjaal 

Wie die Tochter eines Himmels jah. 
Ein ganzes Jahr, klagt der Dichter, hat fie ihn durch Schmeicheleien 
gebannt, aber jeßt ijt er den Zauber los: 

Zwar mein deal ift mir 

Immer, immer Yena noch die Weine, 

Aber Yena, die Gemeine, 

Unzertrennbar jteht jie neben ihr. 

Nicht was du, was alle Mädchen jeien, 

Hab ich nun mit Deiner Hilf erkannt ꝛc. ꝛc. 

Eben im Mai 1782, als ihm die Täufchung zergangen war, 
richtet Konz an ihm die Elegie „E. an R. Im May“ (Tibull 


748 W. Lang, Wilhelmine Andrea. 


©. 202) und ruft ihm die Erinnerung an den verflojjenen Winter 
zurüd, da ihm die Geliebte „eines Elyjiums Traum mitten in 
Zellen“, d. h. im Stifte war. Darauf die „Antwort“ Neinhards 
(©. 206): 
Aber erinnre mich nicht an jene Tage des Winters, 
Einige lebt’ ich, fein Yenz hat fie mir heitver gebracht... . 
Bruder! ch Habe geliebt, drey bange Tage, Du weit es! — 
Oder waren vielleicht jie nur die glüfliche mix? 
Ja! ein einziger Blid, Ein Wort, Ein Handdruck vermocht' es. 
Lyda jah ich: Ich jtand, wie vor dem Engel vor ihr! 
Ewig hätt’ ich geliebt — ur deinem Schooße vertraut’ ich 
Jene Klagen, die ich lange mix jelber verbarg. 
Uns hat das Schiejal getrennt, und meine Klage verjtummte ; 
Engel nicht mehr, num ift Mädchen und Freundin jie mir! 


Ohne Zweifel darf man auf das Verhältnis zu Minna auch) 
den „Roman beziehen, von dem Reinhard in der Epijtel „An 
Friß Stäudlin“ (Epijteln ©. 31) ſpricht: 

Du fennft men Se ud... .. 

Weißt jenen fomitragijchen Roman, 

Der wimmern mich im Clegien, und 

ach kurzem Paroxysmus lachen machte. 
Zwar war es nicht mein einziger; allein 
Der längfte doch und jchönfte, den ich jpielte. 

Ueber Minna jelbjt werden wir unjer Urteil weder nach den 
Entzücfungen des feurigen Liebhabers, noch nach den groben und 
bejchimpfenden Ausfällen des Getäujchten bilden dürfen. Sie wird 
weder ein jo vollfommener Engel gewejen jein, als der ſie dem 
Dichter bei den erjten Begegnungen jchien, noch das verächtliche 
Wejen, das er jpäter aus ihr machte. Die Dichter waren jehr 
anjpruchsvoll: ſie ruhten nicht, bis ſie Gunjtbezeugungen hatten, 
und hatten fie dieje, jo Elagten fie über beflectte Ideale. Konz 
blieb dem „braven, zärtlichen” Mädchen andauernd zugethan, und 
es fcheint, daß auch bei Reinhard die moralijche Entrüjtung doch 
nicht auf die Dauer anhielt. So jchroff und wegwerfend er jich 
unmittelbar nach der Trennung über Minna ausfpricht — in der 
„Antwort“ an Conz ift fie ihm zwar nicht mehr Engel, aber 





W. Lang, Wilhelmine Andreä. 749 


„Mädchen und Freundinn". Na, wenn wir die mit — r — ge 
zeichnete Elegie „An Minna“ in der Schwäbijchen Blumenleje 
1786 Neinhard zujchreiben und auf Wilhelmine beziehen dürfen, 
jo wäre es noch zu jpäteren Begegnungen und zu einem Wieder- 
aufleben der alten Ieigung gekommen, aber jegt, nach beiderjeitigen 
Erfahrungen, in ruhiger, geläuterter Flamme. 
Trümmer bleiben uns dann der alten Wonn' und im Herzen 
Zükt von der vorigen Glut nur noch zuweilen ein Stral! 
Yiebes Mädchen! o fomm! ich habe die Stralen gejammelt! 
Sieh! fie lodern empor! jammle fie wieder auch du! 
Und die gemäßigte Glut der zwoten, glüflichern Yiebe 
Brenne hell, und erwarm’, aber fie jeng uns nicht mehr! 
Uns hat Erfahrung gelehrt! Wir pflüfen, wo wir jte finden, 
Ihre Freuden, und geh'n jicher vorüber am Schmerz! 
Sch glaube, daß dieſe Elegie wirklich) von Neinhard iſt. Sie 
zählt zu feinen beiten. Dieje zarte Anmut, diefe flüſſige Sprache 
hat ev nie iwieder erreicht. ES liegt über der Situation ein leichter 
Schleier, durch den aber die Umriſſe wohl kenntlich find. Mean 
jpürt, daß die deutjche Elegie im Aufgang war zur Goethejchen 
Reife. Allerdings paßt aber die Scene: das Erjteigen der Felſen— 
höhe, tief unten das dampfende Städtchen, entjchieden viel eher zu 
Balingen, als zu Stuttgart. Und dab die Geliebte hier „Minna“ 
genannt wird, ift nicht entjcheidend. 


Merkwürdig ijt, daß Reinhard von jeinem Rivalen Stäudlin 
weiter gar feine Notiz nimmt: das Motiv der Eiferjucht jucht man 
in jeinen Gedichten vergebens. Und ebenjowenig jcheint Stäudlin 
berührt davon, daß eine Zeit lang Neinhard vor Minnas Augen 
Snade gefunden hat. Die Clegie, die er im Jahre 1782 an 
Zumſteeg richtete (Schwäbiſche Blumenleje 1782, ©. 92, unter 
dem Pſeudonym „Sellhorjt” ; das Orginal wird noch in der Familie 
Zumfteeg aufbewahrt), zu einer Zeit, da Zumſteeg bereits das 
Herz Luiſens ſich gejichert hatte, zeigt’ihn noch immer als glühenden 
Berehrer der Schweiter. Aber er beneidet den glücklicheren Zumſteeg 
und klagt, daß Minna jeine Yiebe nur ſchweigend eviviedere, obwohl 
er jich auf ein heiliges Gelübde berufen kann, das jie angeblich 


750 W. Lang, Wilhelmine Andreä. 


dem Weinenden gejchworen. Er weit den Gedanken ab, daß bei 
ihnen Beiden die Mauer der Außeren Hindernifje nicht zu über- 
winden ſei, it er doch ein fühner Denker, jowie Zumſteeg ein 
Jchöpferifcher Mufifer, und jo jchwelgt er in dem Wonnegedanfen: 
„Glücklich Luife durch dich! Glücklich Minna durch mich!" Aber 
der Schluß Flingt doch hoffnungslos: / 

Nein, ich faſſe jte nicht — ich bin nicht würdig der Wonne! 

Und mein thranendes Aug jtarret hin in die Nacht! 

Zu einer ‚Zeit, da Zumjteeg und Luiſe jich noch nicht gefunden 
hatten, iſt Conzens Epijtel „An Luife, Februar 1782" (Epifteln 
S. 189) gedichte. Er tröjtet die Yeidende, die gute, Fromme Seele 
mit dem Hinweis auf eine glüclichere Zukunft, da ihrer wahre 
Freuden warten. In den Sommerferien, im Augujt und September, 
war Conz wieder in Stuttgart, wo er fich, wie es jiheint, mit 
Zumjteeg viel im Kreiſe der „Andräinnen" herumtrieb. Es ivar 
die Zeit, da der ruſſiſche Thronfolger Baul Petrowitſch in Stuttgart 
erjchien und zur Feier jeiner Anmwejenheit ein Feſt das andere 
jagte: Paraden, Illuminationen, Jagden, Opern und Nedouten. 
Eben in dieſen Tagen ſcheint jich Yuifens Berhältnis zu Zumſteeg 
entschieden zu haben, obwohl die Ausfichten noch immer unficher 
ivaren. Zwei launige. (ungedructe) Elegien Conzens an Luiſe 
gehören diejen Tagen an. 

Harre! Beſte! einft fommt der Tag und jchaft Euch zur Eden 

Eme Wüften dann um und fränzt mit Freuden die Yeiden: 

Warum gabjt du, o Plutus! die Yaften von Silber dem Thoren, 

Der fie nicht weiß zu gebrauchen, und nahmſt jie den bejjeren Edlen ? — 

Warum drücdt uns das eijerne Joch: Geburt und Verhältniß? 
Aber der Dichter verjcheucht dieſe mürriſchen Klagen, war doch 
eben der heutige Tag in Gemeinschaft mit den Freundinnen „zu 
ſelig“ geweſen, und jchon jieht er die Stunde, da er jelber einjt 
das Baar einjegnen wird. 

Und ich jiegle den Bund mit meinem geiftlichen Segen 

In dem Drdnungshabit im Uberjchlag und im Mantre 

Küß Euch Beede; Vertraute von feinem unwürdigen Herzen! 

Minna noch grüßt mein Yied; die brave zartliche Schwejter 

Fried und Heil Euch ihr Beeden und Segen und — gute Wacht nod). 


W. Lang, Wilhelmine Andreä. 151 


Andern Tages fuhr Konz nach Ludwigsburg und ging von da 
auf den Ajperg zu Schubart; Luiſe hatte ihm taufend Grüße an 
den gefangenen Dichter aufgetragen. Dann aber, in die Einſam— 
feit von Lorch zurückgekehrt, dichtet er zwei Epijteln „An Minna“ 
und „An Luije” (Epijteln ©. 87 und ©. 120) voll Sehnjucht nach 
den eben verlebten Tagen, da er an Luiſens Arm gewandelt, und 
noch voll von dem Eindruck der lärmenden Feſte, die er mit den 
Schwejtern genofjen. Das ganze Leben jcheint ihm eine Fomijch- 
tragische Redoute; an Minna aber jchreibt ev — jeine Muſe hält 
jich jtetS in Dejcheidener Entfernung —, daß er es nicht wage, ihr 
jeine Liebe zu gejtehen, 

Dörft' ich, wollt ich lieben, Minna! 

Sa, jo wärſt es Du, 
doch er will jich bezwingen, und malt jich in Gedanfen aus, wie 
Minna ein glücliches Weibchen und er ein benachbarter Land— 
Pfarrer jein wird, der die einjtige Geliebte zur Gevatterin bittet. 

Der Liebesroman der Schwejtern war ausgejpielt: im folgenden 
Jahre traten beide in die Ehe, Yuije mit ihrem Zumjteeg, Minna — 
nicht mit einem ihrer Anbeter aus der dichterifchen Jugend, jondern, 
wie die Mutter flug es lenkte, mit einem herzoglichen Beamten, 
dem Stabsamtmann 3. Sr. Bayha, der als Finanzrat in Stutt- 
gart im zweiten Jahrzehnt gejtorben ijt; die Witwe Hat ihn lange 
überlebt. 

Minnas Vermählung fand im Juni 1783 jtatt. Im Mai 
richtete Reinhard an Stäudlin eine Epijtel (Epijteln ©. 59), die 
mit ihrem launigen ironischen Tone gleichjam den Epilog zu diejen 
überwundenen Herzensgejchichten bildet. Stäudlin wird geneckt, daß 
er einjt „am Arme weiland jeiner Minna“ auf Stuttgarts Plätzen 
ſich gezeigt, ich jelbjt aber befennt der Dichter nunmehr von allen 
Täuſchungen befreit: 

Ja ehmals jchlug beym großen Namen Ruhm 

Dies Herz, im Wunfch zum Beyjpiel, daß mein Yied 

Ein Mädchen lalle, Benus und Diane 

In Einer Miene, furz mein deal, 

Dies war dann freylich jede, die mich lobte, 
Euphorion II, 49 


152 W. Lang, Wilhelmine Andreä. 


Bon Katharine bis zu Mamjell Minna... . 

Ach! meine Mädchen! — Deine Fantaſie 

Hat Flügel auch: Sp male denn, was jihon 

Und janft und edel ift: Sp waren alle! 

Und meine würkliche — Starrifatur ! 

: Freund! Du weißt, auf welchem Schauplaß 
ch bie Grjahrung macht und noch jie mache; 

Haft D eine Nolle wohl auch mitgejpielt! 

Wenn Du ein Yuftjpiel jchreibit, jo nenn' es ja 

Die Nebenbubhler. 
Alfo: Stäudlin und Reinhard find, unbejchadet ihrer Freundſchaft, 
Rivalen in der Liebe geivejen. a: Schiller? Darüber PS 
wir aus unjeren Quellen nichts. Nirgends wird Schillers Name 
genannt, nie eine Andeutung er daß auch er zu Minnas 
VBerehrern zählte. So viel it ganz unzweifelhaft, daß von der 
Zeit, da Neinhards Roman beginnt, alſo vom Herbſt 1781 an, 
Schiller gänzlich aus dem Spiele ijt. Es bliebe nur die Annahme 
übrig, daß er damals nach kurzem Liebesraujche bereits mit Minna 
gebrochen hatte. Aber auch für frühere Beziehungen Schillers zu 
ihr fehlt jegliche noch jo leiſe Anſpielung. Auch da fehlt fie, wo 
Neinhard des Zwiſtes Schillers mit Stäudlin gedenft, nemlich in 
jener Epijtel vom Mai 1785 (Epijteln ©. 65 „der jene große 
Fehde kühn bejtand, Und Fels auf Fels dem Bligejchleudrer Sch“ 
Entgegen hundertarmig thürmte"), wie in dem Brief an den Bruder 
vom 27. Mai 1782 („Schiller ijt der Herausgeber [der Anthologie] 
und bat jeine Strallen in den guten Stäudlin tief genug ein- 
geichlagen"). 

Das Gewicht jener jchiwachen Anhaltspunkte die Minor für 
jeine Hypotheje hat, nemlich die unfichere Meberlieferung im Zumſteeg— 
chen Haufe und der Klatſch, den jich der alte Bodmer zutragen 
ließ, wird meines Erachtens mehr als aufgewogen durch das völlige 
Stillfchiveigen in den Urkunden, in den Briefen und Gedichten, die 
jich nachweislich mit Minnas Herzensangelegenheiten bejchäftigen. 
Es fommt dazu, daß das Bodmern zugetragene Gerücht Jchon darum - 
von feiner Beweiskraft ift, weil der Bruch Schillers mit Stäudlin 
allerfrüheitens im Spätherbſt 1781, nicht vor dem Erjcheinen des 


RW. Lang, Wilhelmine Andreä. 153 


Mujenalmanachs, erfolgt ijt, zu einer Seit, da von einem PVer- 
hältnis Schillers zu Wilhelminen und folglich von einer hierauf 
begründeten Rivalität beider feinenfalls mehr die Rede fein kann. 

Bleibt noch übrig, die Minna-Gedichte der Anthologie auf 
ihren Inhalt zu prüfen, und bier muß allerdings gejagt werden, 
daß jowohl in dem unzweifelhaft von Schiller herrührenden „An 
Minna“, als in dem „Fluch eines Eiferfüchtigen" die Perjönlich- 
feit der ehemals Geliebten ungefähr ebenjo gezeichnet ift, wie in 
Reinhards unmitielbar nach dem Bruch gejchriebenen Briefen und 
Gedichten Wilhelmine erjcheint: als verruchte falſche Seele, als 
umvürdige Kokette, der das ſchöne Gefichtchen zum Verhängnis 
geworden ijt, die von leeren Schmeichlern umhüpft wird, am Arme 
jeichter Laffen ſich begaffen läßt ze. ze. ben dies könnte andrer- 
jeits für Weltrichg Vermutung jprechen, daß die X-Gedichte der 
Anthologie, darunter eben der „Fluch des Eiferfüchtigen", Reinhard 
zum Berfafjer haben; allein Neinhards Teilnahme an der Antho- 
logie ijt nirgends bezeugt, ijt auch nach der Art, wie er einmal 
in einem Brief an den Bruder von der Anthologie jpricht, ganz 
ummvahrjcheinlich, abgejehen davon, daß der heiße temperamentvolle 
Erguß eben diejes Gedichts gar nicht in Reinhards Art ijt. Die 
Annahme Borbergers und Minors, daß Schiller der Berfaffer fei, 
erhält jowohl durch die Fraftgenialifchen drastischen Ausdrüce im 
allgemeinen, als durch die abjtogende, an eine Stelle der Räuber 
erinnernde Schilderung der Folgen der Ausjchtweifungen eine jtarfe 
Stüße. Das Motiv der Eiferjucht eines Verſchmähten und Be- 
trogenen ijt aber ein zu allgemeines und zu oft iwiederfehrendes, 
als daß man daraus ohne zureichende Gründe die Beziehung 
auf ein bejtimmtes Verhältnis ableiten fünnte. Für die Beziehung 
auf unjere Minna fehlt jeder zureichende Grund. Auch in dem 
Zuſammentreffen der Namen wird man einen jolchen nicht finden 
fünnen. Alles in Allem: man wird Wilhelmine Andrei aus 
Schillers Leben wieder jtreichen dürfen. 


49* 


754 8%. Fränfel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte der Fauftfabel. 


lene Beiträge pur Literaturgeſchichte 
ver Fauſtfabel. 


Mitgeteilt von Ludwig Fränkel m München. 


Die auf den nächjten Blättern vereinigten Analeften jtießen 
teils bei Gelegenheit von Studien anderer Richtung auf, teils ſind 
jie das Ergebnis einer jeit mehreren Jahren fortgejegten jyjtematijchen 
Suche nach literarifchen Belegen des Fauftproblems, die jich dereinst 
als Bauſteine dem hiftorijchen Teile einer erjchöpfenden Gejchichte des 
Stoffes eingliedern jollen.!) Die Reihenfolge ift einfach chronologijch, 
ſchon um die Möglichkeiten der Ableitung leichter bejtimmen zu können; 
nur steht 6, Waldjchmidt, hinter 5, Frommann, weil letzterer fich 
unmittelbar an den voraufgehenden Majolus anlehnt und überhaupt 
lediglich die ältere Tradition wiederholt. Schließlich möchte ich jolche, 
denen an SDerenpredigten des 17. Jahrhunderts, Zauberbüchern und 
ähnlicher Yiteratur reiche Bibliothefen zur Verfügung jtehen, zur Um— 
jchau aneifern; jchon die bei J. Diefenbach in jeinem unten ©. 768 
Anmerkung 1 angezogenen neuen Heftchen verzeichneten Nummern — 
von denen mir nur Bernd. Albrechts „Magia“ (1628), J. Ellingers 
„Hexen-Coppel“ (1629), Joh. Yauchs „Türden-PBredigten“, D. Meders 
„Acht Hexen - Predigten“ (1604) und B. Waldjchmidts „Pythonissa. 
Acht und zwangig Hexen- und Gejpenjt-Bredigten“ (1660) zugänglich 
und benußbar waren — liefern vielleicht verjchiedene neue Ausbeute. 


1. Aeltere Sagenparallelen. 


1. ©. Baift behandelte ganz neuerdings in der Zeitihrift für vomanifche 
Philologie 18, 274--276 unter der Ueberſchrift ‚Oliverus demon‘ einen Zauber- 
geift, der zweimal bei dem befannten Mönchschroniſten Cäfarius von Heiſterbach 
erjcheint. Bei diefem V 4 ruft ihn zu Toledo?) ein Meifter — der ſchwarzen 
Kunft, iſt hinzuzufügen — an, als ein von letzterem ſelbſt hervorgerufenes 
Phantom einen Jüngling entführt hat. Schwäbiſche und bayerifche Studenten 

1) Bgl. meine früheren Mitteilungen Goethe-Jahrbuch 12, 256 — 258; 
14, 289—296 ; 15, 259— 261; 17. 

) Wo auch Faufts Famulus Wagner und fein Genofje Scotus ihr 
Ummejen trieben. (Bgl. unten ©. 766 Anmerkung 4 und 774 Anmerkung 2.) 


2. Fränkel, Neue Beiträge zur Piteraturgefchichte der Fauftfabel. 755 


beftürmen ihren Lehrer, ihnen Dämonen zu zeigen, worauf er zuerft eine Ritter- 
ſchar — man vergleiche das 53. und das 56. Kapitel des Fauſtbuchs von 1590, 
d. h. das 2, und das 5. der ſogenannten Erfurter Kapitel. —, danach ſchöne 
Mädchen herbeizaubert; der eine der jungen Leute kann da nun dem Liebes- 
werben einer bon diefen wicht widerftehen, gerade wie die Studenten im 49, Kapitel 
Des Spiesſchen Fauſtbuchs bei der Anweſenheit der Helena. Baiſt (S. 274 f.) 
weiſt jenen, Oliverus genannten Dämon auch V 33 bei Cäſarius nad, wo ein 
Unbekannter, feinen weiten Mantel als Fallſchirm gebrauchend — aljo ganz 
ähnlich wie der fliegende FZauft!) — vom Turme des heiligen Julian zu Soeft 
Ipringt. Sodann führt er A „undeutſchen“ Namen Oliverus auf das alt- 
franzöfiiche Epos zurück, wo er Beziehungen zur Artus-Sage und befonders eine 
auffällige Einzelfongruenz mit dem Merlin-Mythus aufdedt. Eine an König 
Artus anfnüpfende Anekdote bei Cäfarius hat Scherer, Gefchichte der deutjchen 
Literatur ©. 234 (vgl. ©. 740) verwendet.) Was die Herkunft des vomanifchen 
Namens anlangt, jo möchte ich die Annahme eines etwaigen Wechſels zwiſchen 
dem ritterlihen Vetter Karls des Großen Dlivier und feinem Berwandten und 
Genoſſen dem Magier Malegys zum Nachdenken empfehlen. 

II. Der Sage von Albertus Magnus entſtammt, ebenjo wie Faufts 
Mantelflug,’) das Motiv vom Gartenzauber, zu dem Mler. Kaufmanns „Nach- 
träge zu den Quellenangaben und Bemerkungen zu Karl Simrods Rheinfagen“ *) 
bei Köln zu Wolfgang Müllers Gedicht „Wilhelm von Holland“ eine Anzahl 
bisher vernachläffigter Parallelen beibrachten, ebenſo Kiefewetter, Fauft im der 
Gefhichte und Tradition, ©. 231 f., wo aud der Zufammenhang mit dem 
Weintraubenjcherz?) durhblidt. In Boccaccios „Filocolo* V 4 und De- 
camerone X 5 wird eine von den englifchen Novelliften W. Painter‘) und 
B. Melbande?), zwei unmittelbaren Borläufern und Quellen Shafefpeares,®) über- 


1) Zu diefer Epifode jtellte ich Zeitichrift des Vereins für Volkskunde 4, 223 
in dem indifhen Märchen „Der Weber des Wiſchnu“ (Bantf ihatantra I Nr. 5) 
und 9. „ehr. Anderfens Umſchmelzung „Der fliegende Koffer“ eine Parallele auf. 

) Scherer citiert Alerander Kaufmanns Hauptſchrift über Cäfarius von 

Seifen (2. Aufl. 1862), aber nur allgemein. Kaufmann, diefer feine Kenner 
der einichlägigen Stoffe, hat fi aber auch fonft eingehend damit befchäftigt, 
die Entlehnungen und Seitenftüde des Cäfarius zu verfolgen (vgl. unten meinen 
Nefrolog auf ihn, Gegenwart 44, Nr. 36, ©. 170b, auch H. Hüffer in der 
Kölniſchen Zeitung 1895, Nr. 398). Sm feinen nachgelaffenen Papieren könnte 
ſich vielleicht noch etwas darüber vorfinden. Fauſtiſches bei Cäfarius („De 
Beinrico [vgl. unten ©. 766, Anmerkung 2], qui diabolo hominium suum 
obtulit causa pecuniarum*) behandelt Kaufmann in genannten Buche ©. 161 f., 
jowie „Annalen des Hiftorifchen Vereins für den Niederrhein“ Heft47, ©. 75 An- 
merfung, Oliver ebenda 137 und 151 an letzterer Stelle und Annalen ebenda 
©. 182—184 jene Zauberfabel aus Toledo. 

>) Spiesfhes Fauftbuh Kapitel 37; vgl. meine Uhland » Ausgabe 2, 
95, 97 und 140. 

4, Annalen des hiftorifchen Bereins für den Niederrhein 41, 10. 

°) Bgl. ımten ©. 764 und 772, Anmerkung 1; fiehe auch Goethe-Fahr 
buch 13, 231 f. 

6) Palace of Pleasure Il 17. 

) Im „Philotimus“; der Schriftteller wird auch Melbank(e) genannt. 

°) Zu Painter vergleiche meine Bemerkungen Zeitfehrift für vergleichende 
Litteraturgefchichte, Neue Folge 3, 177—182 und 194, zu Melbande ebenda 4, 49 
Anmerkung 3 


756 2. Fränkel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte der Fauftfabel. 


nommene Gejchichte erzählt, worin eine Dame im Januar von ihrem Anbeter 
einen blühenden Garten verlangt.!) Die „Fabel vom Wintergarten, der fchon 
im Bojardo?) vorfommt“, die Goethe „ehr abgekürzt” in „Drei Winterrofen“ in 
„Des Knaben Wunderhorn“?) wiederfand, befitst hierzu vielleicht engere Be— 
ziehungen, Allerdings entlehnte Bojardo gerade fein Wiffen von dem gewaltigen 
Zaubergeiftev Dämogorgon*), Panizzi zufolge, aus Boccaccio (Genealogia 
Deorum ].).?) 


2. Fauſt bei Jacob Weder. 


Neuerdings hat Fr. Kluge, Zeitfchrift für vergleichende Literaturgejchichte, 
Neue Folge 8, 111, aus Joh. Jac. Weders „De Secretis* von 1582 p. 43 
eine Parallele zu Fauſts Abenteuer mit den vollen Bauern im Spiesſchen Bolts- 
buche®) beigebracht.“) Diefer Bericht ift deshalb wichtig, weil er beinahe allein 
außerhalb der eigentlichen Schwanf- und der Kolloquien- und Beifpielliteratur 
die Verbreitung einer rein volfstümlichen Fauſt-Anekdote vor dem Frankfurter 
Sammelbuche von 1587 belegt. Und weit befanmt werden mußten folche eingelegte 
exempla in der That, wenn ein Werk, wie das Weders — „De Seecretis 
libri XVII“ ift übrigens der volljtändige Titel — eine geradezu außerordentliche 
Beliebtheit genoß: aus den Jahren 1582 bis 1750 find 3. B. auf der Münchener 
Hof- und Staatsbibliothef 11 Ausgaben, jämtlih Baſeler Drude, vorhanden, 
auc ward es bald ins Franzöſiſche, freilich, was bei den damaligen Berhältnifjen 
einleuchtet, wohl kaum ins Deutfche überjett. Es ift hierbei zu erwähnen, daß 
Weder auch anderweit für die Vererbung Faufticher Zauberſchnurren geforgt hat. 
Nämlich „Goetia, vel Theurgia, sive Praestigiarum magicarum desecriptio... 
Etwan durch den Wolgebornen Herren Jacob Freyheren von Liechtenberg, ze. 
Bor vielen Jahren aus jhren Brgichten erfahren, durch den Hochgelahrten Herrn 
Sacob Wedern M. D. etwas weitleufftiger bejchrieben Nun aber... mit allem 
Fleiſſe revidiret . . dur Wolfgangum Hildebrandum . . .“ (Leipzig 1631) 
nennt Bl. 5b unter den Quellen’) „Chriſtoph Wagners Hiſtoria“ und „Johann 


1) E. Köppel, Studien zur Gefchichte der italienischen Novelle in der 
englifchen Literatur des 16. Jahrhunderts, ©. 60, auch ©. 84 und 88. 

>) Im zweiten Buche des „Orlando inamorato*“ (j. meine Neuausgabe 
der Griesichen Ueberjegung, 1895, 1, 13 Anmerkung). 

3) 1, 329; in der befannten Recenſion von deſſen 1. Band Goethe— 
Ausgabe in Kürſchners Deutſcher National-titeratur, 31, 130). 

) Man fcheint ſich feiner furchtbaren Macht bedient zu haben, „um über- 
natürliche Wefen einer untergeordneten Klaffe durch fie beitrafen zu laffen.“ 

>) Negis in feiner Bojardo-Berdeutihung ©. 350. 

6) Kapitel 41 ©. 154 f.; Braunes Neudrud ©. 84. 

?) Die kurze Stelle jei in unferem Zuſammenhange wiederholt: „Maxime 
adıniranda sunt ea quae praestant incantatione magi, dum corporum 
naturalium aut animalium actiones praepediunt: ut Faustus qui rustieis 
ehriis et nimiopere vociferantibus ora distenta ligavit ut taeiti con- 
sisterent.* „Das heutzutage als auf Hypnotismus bevuhend bekannte Feſt— 
bannen jpielt in der Zauberfage aller Zeiten eine große Rolle. Schon das römifche 
Recht beitraft das Bannen und Feſtmachen der Menſchen (Walter, Rechtsgeſchichte 
2, 247) und Arnobius (Adversus gentes 1, 43) nennt das Stummmachen eine 
der gewöhnlichiten Zauberfünfte u. j. w. u. f. w.“ Kiefewetter, Fauſt in der 
Geſchichte und Tradition, S. 226. 

®) Namen der fürnehmften Autoren, daraus die Additiones, oder Zuſätze 
vber diß Werd gezogen find.“ 


2. Fränkel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte dev Fauftfabe. 757 


Fanftens Hiftoria“ und bietet auch thatfählih ©. 69 fi. eine Stelle aus dem 
Spiesihen Fauſt, S. 73 ff. mehrere aus dem Wagnerbudh. Bgl. dazu K. Engel, 
Berzeihnis der Fauftfchriften, unter Nr. 3045 Ausstellung von Handſchriften, 
Druckwerken, Bildern und Tonwerken zur Fauftfage und Fauftforfchung, ver 
anftaltet vom Freien Deutſchen Hochftift 1895 (Frankfurt a/M.) Nr. 34. 


5. Sauft-Gefchichten bei (Bütner-) Steinhart. 


Ueber die Fauſt-Geſchichten, die ein in meinem Beſitze befindliches titelblatt- 
lofes Exemplar der Steinhartichen Neubearbeitung von Wolfgang Bütners 
„Epitome historiarum“ enthält, habe ich im Goethe-Jahrbuch 14, 289 f. Nach— 
vicht gegeben. Ebendort find auch alle Stellen notiert, wo über dies feltene Werf 
geredet wide. Obwohl die im Katalog der „Ausftellung u. f. w.“ ©. 8, umter 
Nr. 18 (von O. Heuer) gelieferte bibliographiihe Beichreibung des Eremplars der 
Frankfurter Stadtbibliothef fih im ganzen mit meinem ebendafelbft vorgelegten 
dedt,!) dünft mir doch das Jahr 1587, wenn auch nicht unbedingt das des 
Erſcheinens, jo doch das der Ausarbeitung zu fein: „in diefem 1587. Fahr“ 
heißt es einmal, und im Negifter jteht unter H: „Hie codex compilatus 1587*, 
wobei auf ©. 100 verwiejen wird; da ftößt man freilih nur auf die Notiz über 
die Buchdruderfunft, „welche jegund nun faft 145. Jahrt [!] alt ift“. Jedenfalls 
ift das Werk aus der in Bütners Buch dargebotenen Grundlage jo wefentlich 
umgefhmolzen und außerordentlich erweitert, daß der Herausgeber fich als Ber- 
faffer betrachten und bezeichnen darf,?) zumal er jede Anleihe bei Bütner gewiffenhaft 
als ſolche vermerkt. 

Die Fauft betreffenden Stellen Steinharts und zugehörigen Parallelen, 
noch nirgends abgedrucdt, jeien hier der Reihenfolge nad) wiedergegeben. 

©. 62 f.: Ein ſolcher ſchwartzkünſtler und Gaft ift auch gewefen Iohannes 
Faustus, der mir, jagt Philippus Melanchthon, gar wol befandt, feiner Geburt 
bon Kindlingen [am Rande: lohannes Faustus. Kindlingen.], ein Kleines Städtlein, 
das nicht weit von meinem Baterlande oder Heimat vnd Geburts Stadt Bretta 
ligt. Derjelbige Faustus, dieweil er zu Cracam in die Schuel gieng, hat er fich 
dafelbjt auff die Magiam, das ift, auff die ſchwartze, oder auff deß Schwartzen 

1) Diefe Kopie des Titels der Ausgabe von 1615 (auch bei Th. Georgi, 
Bücher-Lexikon 1, 1742, ©. 229, angeführt) weicht in mehreren Punkten von 
der durch F. Schnorr von Carolsfeld im Archiv für Piteraturgefhichte 6, 306 
(wo Steinharts Buch zuerft angezogen ift) mitgeteilten der von 1596 ab. Nach 
einer neueren privaten Auskunft Schnorrs von Carolsfeld umfaßt das von ihm 
zu Grunde gelegte Eremplar der Kal. Bibliothek zu Dresden 6 Blätter Vorſtücke, 
550 gezählte Blätter Text und 15 Blätter Negifter. 

2) ©. 811: „AlS mir meine Mutter zu meinen Studiis folte den Virgilium 
käuffen, vnd die liebe Mutter Ana mit mir Georgio Steinharto Compilatore 
hujus Operis, als mit jhrem jungen Samuele zu Freyberg in Johannis Meyer- 
ped3 des ältern felgen Buchladen kömpt . . . .“. Die dafelbft und in den une 
mittelbar folgenden Auslaffungen enthaltenen Materialien veichten nicht aus, um 
darauf die für die „Allgemeine Deutſche Biographie” in Ausfiht genommene 
Skizze zu gründen. Sein „Evangelistarium“ (Leipzig 1588) ift bisher nirgends 
erwähnt. Ein landsmännifcher Amtsbruder, Georg Wefenigt in Schm(o)elln, 
citiert in „Das Spiel-füchtige, fiebenfächtige Polysigma der Böfen Spiel-Sieben“ 
(Dresden 1702) ©. 19 und öfter „Steinhard” und zwar jtets ihn als Verfaffer 
der Epitome, übrigens aber, obzwar Anlaß dazu genug vorläge, nie Fauſt— 
Anekdoten. 


758 8. Fränkel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte der Fauftfabel. 


Kunſt, vnd auff die Zäuberey mehr, als auff gute freye vnd Löbliche Künfte 
befliffen. Denn zu Cracam ift weyland die Zäuberey gar gebräuchlich gewefen, 
vnd man hat fie allda öffentlich profitirt vırd gelefen. Dieſer Faustus zog hin 
vnnd ber herumb, vnd gab viel weilfagens vnd offenbarens heimlicher vnd ver- 
borgener dinge!) für, hat aber ſehr viel Bubenſtück durch feine ſchwartze oder def 
Schwartzen Teuffels kunſt geübet. Als er zu Benedig feiner Kunft ein befondern 
Meiſterſtück vnnd Schawfpiel beweifen vnnd darthun wolte, hat er gejagt, er wolle 
hinauff gen Himmel fliehen, darumb namb jhn zwar fein Praeceptor vnd Meifter, 
der Teuffel, vnd führet jhn empor, aber er zu plaget vnd zu martert jhn in der 
Lufft alfo jehr, daß er jhn hernach wider Gottes boden an die Erde ftürtte, daß 
er mehr als vber die helffte tod war. Doc aber ftarb der Teuffelsfopff auff 
dißmal nicht. 

Diefer Zäuberer vnnd Schwartsfünftler Faustus, ift gar ein fchendlicher böfer 
Jam Rande: Faustus eleaea (Drudfehler für celoaca) multorum Diabolorum]| 
Wurm, wilde Bestia und ein Cloaca oder Sudel vieler Teuffel vnd böfen Geifter 
gewejen. Er hat fih frey vnverſchämpt aus Leichtfertigkeit, und lügenhafftiger 
Teuffelifcher Boßheit dürffen rümen, alles Glüd vnd Sieg, jo der Keyferliche Zeug 
vnd Kriegspold in Welſchland vnd fonften befommen vnd erlangt, das hette er 
alles durch feine ſchwartze Kunſt vnd Zanberey zu wegen gebracht, diß ift doch 
ja gar eine grobe, leichtfertige vnd vnverſchampte Lügen geweſt O du Lügen 
Maul. Dip müfjen wir vmb der SJugent willen jagen, vnd allhie einbringen, 
vnd fie warnen, daß fie nicht balde folchen leichtfertigen ruhmrähtigen, vnd ver- 
lognen vnverſchampten Yeuten aufffite, glauben gebe, vnd fich betriegen lafie. 

Eben diefer Fauftus hat allwege einen Hund gehabt, das war der Teuffel, 
wie dann [am Rande: Cornelius Agrippa] jener leichtfertiger Bube, der da von 
der Nichtigkeit aller freyen Künfte, De vanitate artium, gejchrieben hat, aud) 
einen Hund hatte, welcher mit jhm herumb lieff, aber nichts anders, weder der 
leibhafftige Teuffel war. Dieſer Yauftus, als er gen Wittenberg kam, were er 
aus befehl deß frommen Churfürften, Hertog Johann?) gefangen vnd eingezogen 
worden, wo er nicht aus dem Wege gegangen vnd entrummen were Deßgleichen 
were jhm auch zu Nürnberg widerfahren in feiner Herbrige, do er nicht fich eilends 
davon gepadt, dann als er faum hat recht angefangen zu efjen, vnd das Mittags- 
mahl zu halten, fehet er mechtig an zu ſchwitzen, vnd ftehet alsbald vom Tiſche 
auff, bezahlet dem Wirthe was er verzehret hatte, vnd jhm jchüldig war, Er war 
aber kaum recht für das Thor hinaus fommen, da famen die Hefcher vnd Büttel, 
ihn zu fuchen vnd auff zu heben. Er hat aber endlih vom Teuffel, dem er 
gedienet, fein Henderslohn befommen. Dann den letten Tag feines Lebens hat 
er in eim Wirtshaufe auffm Dorff im Wirtemberger Lande gar tramrig gefeffen, 
der Wirth aber wil jeinen Gaft, der jhme nützte, faft auffmuntern vnnd luftig 
machen, vedt jhn an, vnd fpricht, Herr Johann, wie fitt jhr alfo tramrig, vnnd 
habt Gedanden feil, das ift ewer gebrauch vnd gewonheit nicht (dann er ſonſt 
gar ein leichtfertiger, ſchändlicher Bube, vnd eines vnzüchtigen, vnfletigen Lebens 
war, alfo, daß er etliche mahl wegen feiner Vnzucht vnd Geilheit, die er in den 
Wirtshäufern triebe vnd vbete, faft were erjchlagen worden) oder ahnet euch 
jugend etwas. Darauff er faft tramrig geantwortet, vnd gejagt: Mein lieber 
Wirth, Diefe Nacht ſolt jhr euch mit fürchten, ob jhr ſchon gros krachen vnd 
erſchottern deß Haufes hören werdet. Alfo ift es hernach vmb Mitternacht an 
ein Frachen, exrſchottern vnd knacken deß Haufes gegangen, daß es "gepraffelt, als 
gehe alles in einen hauffen. Deß Morgens, als Fauſtus ſich nicht findet, vnd 

!) Seeretae res und oceultae res find die üblichen Ausdrüde, 

) Regierte 1525— 1532, 


2. Fräntel, Neue Beiträge zur Piteraturgefchichte dev Fauſtfabel. 759 


aus den Feddern herfür kriechen wil, vnnd nun bald am Mittag ift, daß man 
jpeifen fol, nimpt der Wirth etlihe zu ſich, vnd gehet mit jhnen in Fauſtus 
Gemach vnnd Schlaff S. 63] fammer, darinnen er fein Loſament vnd Yager hatte, 
da finden fie jhn in der Kammer, mit vmbgedrehetem Halfe oder Angefichte, todt 
liegen, vnd hatte jhn der Teuffel alfo vmbgebracht, vnd jhm endlich feinen Lohn 
gegeben. Pfhilippus]. Mjelanchthon]. in Manlj[ii]. lib. I. pag. 38. 39. 

©. 63: Mfo machte ein Mönch ein gedinge mit einem Barren, der da ein 
Fudder Häw auff dem Marckt feil hatte, was er nehmen wolte, vnnd jhn Häw 
laffen frefien, fo viel er [am Rande: Mönch ein Zauberer] möchte. Da jprad) 
der Bawer: Er wolte einen Patzen oder Grojfchen nemen. Der Mönch fieng an, 
vnd fraß das Fudder Häw vber die helffte, vnd hette es gar gefreffen, wo jhm 
nicht der Bawer gewehret, vnnd mit gewalt davon getrieben hette. Ibidem ut 
supra.!) 

Alſo Mes jhm ein Schuldener von einem Jüden ein Bein ausreiffen, daß 
der [am Rande: Schüldener ein Zäuberer] Jüde wit allen den einigen davon 
lieff, vergaß der Schuld gern, vnnd durffte der zäuberifche Schüldener dem Jüden 
die Schuld nicht bezahlen. Sehet lieben Freunde, alfo mächtig vnd gewaltig ift 
der Teuffel, die Leute im den eufferlichen firmen zu bethören vnd zu berüden, 
was folte er dann nicht an den Seelen thun? Darumb bete ein jeder fleiffig, 
vnnd ſey nicht ficher. Tifchred. Yuth. Tom. I. fol. 716.b. 


Auf den Blättern 64 ff. (— 84) finden fich eine große Menge von Zauber- 
geihichten, die mit den anderwärts don yauft berichteten oft ſehr nahe Ver— 
wandtfchaft zeigen, bisweilen auch ganz und gar übereinftimmen. Aus der 
Neihe der letzteren, Die freilih Faufts Namen nur ein einziges Mal enthalten, 
jeien die auffälligften herausgehoben, ohne daß der betreffende Parallelihwant 
der Fauft-Tradition in jedem Falle namhaft gemacht würde. 

©. 64: Zum Newen Mardt hieb ein Zäuberer den Leuten die Köpffe 
vnnd die Hände vom Halſe vnd von der Schultern abe, daß fie bluteten, als 
hette fie der Hencker geföpfft, vnd jatzte fie wider auff und ar. Epitome Butneri. 

Anno Domini 1272. Sit ein Magus vnd wunderſeltzamer Gaudler aus 
dem Niederlande?) gen Creutzenach kommen, im der Stadt hat er öffentlich für 
allem Bold auff dem Marckt feinem Knecht den Kopff abgeichlagen, vnd vber 
ein halbe ftunde dem liegenden Leibe das Häupt mwiederumb angeſetzt. Er ward 
gefehen, daß er mit den Hunden in der Yufft jaget, vnd ab vnd auff ftiege, vnd 
ein geichrey in der Lufft hatte. Bißweilen ward ev gejehen, als ob er einen 
gewapneten verſchlinge. Ja auch wie er ein gant Fudder Häw, oder Holtwagen 
mit den Roſſen aufffreffe vnnd verichlünge. Chron. Hed. 4. parte. Prompt. 
Hond. °) 

©. 64 f.: Zu Halberftadt ſprach ein folcher Künſtler (ift entweder Johannes 
Teutonicus,*) S. 65] oder Fauftus gewejen) Nach dem Efjen wajchet die Hände, 
zu Lübeck wollen wir fie trodnıen. Epitome Butneri. [Am Rande: Magi an 
allen orten.) 


1) Die vorhergehende, „Zäuberer“ betitelte Anekdote ſchließt: Wunderbuch 
Cafpar Goldwurms. Prompt[uarium]. Hondlorfü]l. — gar = gan. 

2) Statt aller älteren Notizen fiehe P. Alberdingk Thijm, Fauſt in der 
niederländifchen Literatur, 1892; auch die ifonographiichen Ausführungen Sza- 
matolstis in der Einleitung zu feinem Neudrucde des „Chriſtlich Meynenden“ (1891). 

°) Zu diefen beiden Belegen für den Aberglauben von der fog. Yebens- 
wurzel vgl. ©. 769, Anmerkung 2. 

+) Bgl. die unmittelbar folgende Gefchichte. 


760 2. Fräntel, Neue Beiträge zur Viteraturgefchichte der Yauftfabel. 


©. 65: Es hat gedadhter diefer Semeca!) Halberstadensis, oder Teu- 
tonieus, wie man jhn genennet, durch Zäuberey oder Berblendung feinen vnd 
anderer Leute Väter, welche für langft geftorben vnd verfaulet, auff etlicher be— 
geren zuwegen gebracht vnd fürgeftellet.) Sprichw. Isleb. num. 159. Christoph. 
Isen. in Symb. de carn. resurr. Vvv. 2. a. 


Ein Apt [am Rande: Abbas Trittenhemus®) seu Spanheimensis] 
war ein groffer Schwartsfünftler, der Fam einmahl mit feiner Möncherüſtung in 
eine Falte Herbrige, da nichts zugerichtet war, vnnd hetten Die Brüder gerne wol 
gelebt, fpricht einer unter ihnen, obs ſchertzweiſe geichehen, Taffen wir in feinem 
werth. Herr Abt, könnet jhr ons nicht ein qut Gericht Fiſche verfchaffen und 
ausrihten? Da Hlopfft er mit einem Finger an das Fenfter, Da kam alsbald 
ſeyn Eredenger, vnd brachte die beiten Fiſche, als Hechte vnd andere,t) gar herrlich 
vnd jtattlich, nach dev Mönche wundſch zugerichtet. P. M. in Manl. Iſiehe ©. 759] 
lib. pag. 38. Epitome Butneri, Prompt. Hond. 


Ebenda: In der Stadt Northaufen gieng ein Abenthewrer aus vnd ein, 
den begegnet ein Bawer mit feinem Wagen, Der Zäuberer mit namen Wildfewer, 
ſprach zum Fuhrmanne: Weiche, oder ich freſſe dich hinab in meinen Wanft, 
mit Pferden vnd Wagen. Deſſen mujte der Bawer lachen, vımd achtet jolche 
rede für einen Schimpff,’) Aber nn Zauberer jperrete fein Maul aus einander, 
vnd verfhlang den Bamren mit Wagen vnd allem, wie ev gejagt hatte, vodlich, 
vnd hernach eine halbe Meile vor der Stadt, lag der Baier mit feinem Gejchier 
in einer Pfüten, dahin im Der Zäuberer abgeleichet vnd ausgejpeyet hatte. 


Epitome Butneri. x 


©. 65 f.: Heinrieus [fiehe unten ©. 766, Anmerfung 2) Cornelius 
Agrippa Nettesheimensis. Iſt ein Teuffeliicher Zauberer gewejen, vnd ſich 
ſehr auff die ſchwartze Kunſt befliffen, hat auch wider die Yehre Gött- [aın Rande: 
Cornelius Agrippa| liches Namens ein Teuffeliih Buch, Occulta Philosophia 
genandt, ſampt jhrem Olave zugerichtet, vnd im die Welt öffentlih ausgehen 
vnd drucken laſſen, auch jtettigs mit jhm vnd neben jhm einen Teuffel in eines 
Hundsgeftalt geführet, den ev durch feine ſchwartze Kunſt alfo bezaubert vnd zahm 
gemacht, daß er jhn an einem Halsbande führete, vnnd gar leichtli) wie ein 
Bolfterhündlein leitete . . . . (©. 66.) Jouius in Elogiis. Prompt. Hond. 
Manl. lih. I. fol. 136.) 


Albertus Magnus. Iſt ein berümbter vnd fürtrefflicher Meifter, oder 
Naturkündiger geweien . Dan jagt von ihm, ev joll im Winter vmb das 
Geht der Geburt Ehrifti die 9 Bäume im Keyferlihen Thiergarten angerichtet, vnd 


genden lautet der Name wirklich; dieſe Form fteht zweimal im Texte 

und — als Marginalie. 

>) Parallele zu Fauſts Vorführung der griechiſchen Heroen, aber ver— 
allgemeinert wie in dev oben unter 1 1, mitgeteilten Leiſtung des Spaniers bei 
Cäfarius von Heifterbad. „Sprichw. Isleb.“ meint Johann Agricola. 

3) Natürlich Abt Tritheim. 

+) Eingehende Aufzählung der von Fauſt hevbeigezauberten Fiſche im 
Spiesſchen Volksbuch Kapitel 44 in alphabetifcher Neihenfolge (fieh meine Notiz 
Vierteljahrſchrift für Yiteraturgejchichte 4, 375). 

°) Siehe ©. 774, Anmerkung 3. 

6) Zu Aprippas hůndiſchem Begleiter vgl. oben ©. 759 und unten ©. 766, 
Anmerkung 3, auch den von mir Goethe-Jahrbuch 15, 261 mitgeteilten Bolts- 
glauben „Der Teufel als Pudel,“ 


N 


2. Fräntel, Neue Beiträge zur Literaturgefhichte der Fauftfabel. 761 


darzu gebracht, daß fie luftig vnd jchöne, wie vmb Walpurgis Tage geblühet 
haben.!) Epitome Butneri. 

©. 75: Keyſer Friederich, Maximiliani Herr Bater, ließ einen Schwart- 
fünftler zur Malzeit laden...... Da ſprach er zum Keyfer: Sch wil ewer Käyf. 
Majeftät auch etwas auff die ban bringen, da fie mirs erläuben wollen, da 
jagte der Keyfer, Sa. Da brachte er mit feiner Zäuberey zu wege, daß ein 
groß getümmel drauffen vor des Keyjers Gemach wurde, und als der Keyſer 
zum fenfter hinaus fahe, vnd erfahren wolte, was da were, da beföümpt ev an 
dem Häupt ein gros Geweihe oder Hirihhörner, daß er den Kopff nicht kondte 
wider zum Yenfter hinein bringen. Da ſprach der Keyfer: Mache fie wider ab, 
du haft gewonnen. ... ZTiihred. Luth. T. I. fol. 718. a. 

©. 76: Für etlihen Jahren iſt ein Schwartzkünſtler gehendt worden, bon 
den gejagt war, daß er zweymahl zuvor were gehendt gewefen, da allwege ein 
Strowifc am Galgen were blieben hangen. Er hatte einmahl einen fchönen 
Hengft verfaufft, vnnd verbotten, daß man jhn nicht bald zur Trände ritte, Als 
nu ſolcher wolte erfahren die vrſach, vnd das Pferdt ins Waffer geritten, ift 
es zum Strohwifch worden. Devomegen ward ex zornig, eilet zur Herberge, da 
der Gaudler war, als diefer jhn hat jehen kommen, legt ex fih auff eine Band, 
da kömt er mit zorn bewegt, zeucht jhn hart bey einem Bein, welchs ev jhm 
alsbald ausgeriffen, vnnd in die Stuben geworffen, vd darvon gelauffen. Dann 
der Schwartzkünſtler hatte jhn alfo verblendet, daß es jhn nicht anders bedünckte, 
als were es gefchehen, zc. Item, ev hat auch Schweine vnd anders verfaufft, 
daß endlih zu Stromifchen worden, vnd alfo die Leute betvogen. ALS aber 
GEOtt zu folcher Büberey nicht lenger zu jeher wolte, ift ev mit anderen zweyen 
Weibern, jo feine Gefellichaft, zur Naumburg gefünglich einfommen.... Der 
Schwargfünjtlev hat evftlich im der Tortur vnd Folterung zu aller Pein nichts 
befennen wollen, da er auch zerdehnet, daß er nicht gehen konte, Da er aber an— 
gezeiget, wie er feine Kunft oder den Geift in Haaren gehabt, vnd wie man die jhm 
allenthalben abgenommen, bat er feine Büberey bekannt . . .. Prompt. Hond. 

©. 75 f.: Georg Bawman, war von Oelßnitz aufm Bojtlande, dem ich 
damı wol gefennet, ein Ergmeifter vd ausbündiger Künftler, Zäuberey vnd 
Gaudeley zu treiben....(S. 79)... Vnd auff eine andere zeit verfauffte ev 
einem ein Pferdt, dev veit damit durch die Elfter, das ward zum bumd ftroh. 
Er aber fuchte feinen Verkäuffer, jhm fein Bnglüd zu klagen, der hatte fich in 
der Stuben, als jchlieff ex, auff ein Ruhebettlein geftvedt. Der Käuffer nam jhn 
bey einem Fuß, vnd vüttelt den Buben auff zu weden, Aber er wolte nicht er— 
wachen, Ex vüttelt noch jtärder, da fiel der Schendel auf die Erden, vnd blutet 
als were er jhm mit einer Holtart hinweg gehawen. Darvon erſchrack der Bawer 
vergaß des Pferdts vnd feines Gelds, vnnd bleib der Zauberer wie ev war, def 
Zeuffels. Endlich ift ev zur Naumburg gefangen, vnd jhm mit befondern Liften 
jeine Kunſt abgemerckt worden, in dem man jhn müſſen an feinem ganten Yeib 
beſcheren, vnnd mit keinem Fuß dürffen die Erden berühren, ?) ſondern im einen 
langen Frawenmantel an den Galgen henden laffen. Alſo hat das Spiel mit 
diefem Zäuberer auch fein vecht gewonmen. Epitome Butneri. 

©. 764: Zu Rafjfenburg in Thüringen, an der Finda, forte eine alte Hure 
den Leuten Conftantinopel, Jeruſalem, Venedig vnd ſonſt andere Städte mehr, 


1) Bgl. für diefen beliebten Stoff oben unter 1, II. 

>?) Man beachte, wie am Schluffe der beiden hiev nebeneinander geftellten 
Barianteı bei dev erſten der altteſtamentliche Simſon-Mythus (vgl. auch oben 
Samfon im folgenden), bei der zweiten auch noch der griechiſche von Antäus, 
dem Sohne der Gäa, benutzt ift. 


762 2. Fränfel, Neue Beiträge zur Piteraturgefchichte der Fauftfabel. 


in einem Glaſe zeigen [am Rande: Zauberglaß] vnd erkennen laſſen.) Epit. 
Butn. fol. 115.a. 

So habe ich auch .gehöret, das Fauftus zu Wittenberg den Studenten vnnd 
einem [am Rande: Fauftus Magus] hohen Manne N. habe Hectorem, Vlyſſem, 
Herceulem, Aeneam, Samfon, David vnd andere gezeigt, die dann mit graufamen 
geberden vnd ernfthafftigem Gefichte herfür gegangen, widerumb verſchwunden, 
vnnd follen (welches Lutherus nicht gelobet,) dazumal auch Fürftliche Perſonen 
dabey geſeſſen, vnnd zugejehen haben. Ibidem ut supra. 

Darumb wird Doctor Martinus Luther auff eine zeit gefragt, ob Samuel 
aufs [am Rande: Nieromantia prohibita. I. Sam. 28] des Königes Sauls 
begeren, von der Warfagerin, jhme evjchienen were, ob es der rechte Prophet 
Samuel geweft? Darauff aber antwortet er: Nein, Sondern es were ein Gefpenfte 
vnd böfer Geift gewefen, welches damit beweiſet wird, daß man die Warheit nicht 
jol von den Todten fragen, jondern es ift nur ein Teuffelsgeſpenſt geweſen, in 
der geftalt des Mannes Gottes. Gleich wie ein Zauberer vnd Schwargfünftiger, 
der Abt von Spanheim,?) hatte zu wegen gebracht, daß Keyfer Marimilianus 
alle verftorbene Keyſer vnd groffe Helden, in feinem Gemach nad) einander gehend, 
vnter welchen auch geweſt war, Alexander Magnus Iulius Caesar. Item. des 
Keyſers Marimiltant Braut, welche der König von Franckreich Carolus Gibbosus 
ihme genommen hatte Tifchred. Luth. Theil I. fol. 702. a. 6. Prompt. Hond. 
fol. 79.a. Wierus de praestigijs lib. I. cap. 26. Varia et quidem diversa 
judieia de Evocatione defuncti Samuelis, I. Sam. 28. Vide in Decreto 
26. quaest. 5. cap. Nec mirum, ete. in Ssrmbolo de resurreet. carnis, 
Christophori Irenzi fol. 581. ete. in Galatimo pag. 250. 251. 252. in 
Wiero de praestig. lib. 2. cap. 9. Compend. Heerb. pag. 76. 521. 
Sommertheil Poftill. Celih. fol. 59. Theil. 7. Luth. fol. 305. b. Colloq. Luth. 
Tom. I. fol. 115.a. At quod illud speetrum fuerit Satan, et non Samuel, 
analogum fidei est judieium mihi aceidens, et cum simili historia in 
Capnione de verbo mirifico pag. 649, concordat. At integram historiam 
ex Wiero lib. I. cap. 16 de evocatione defunetorum et apparitione 
Lemurum aut speetrorum reeitabimus. 

©. 765 f. [Folgendes mit Randgloffe Nieromantia]: 

Es ift auff eine zeit an Keyſers Marimiliani I. Hofe deß Hectoris 
vnnd Achillis gedacht worden, welche, nah dem fie von etlichen auß der 
Cantzley hoch gerhümet, vnnd Jugend halben gelobet wurden, ift dem Keyſer 
Marimiliano gleiche eine Schneefuht?) vnd begierd anfommen, jhre Bilduiß *) 
vnd Leibes geftalt zu jehen. Vnd tregt fich eben zu, daß ohne gefehr ein Schwart- 
fünftler vımd Zauberer an des Keyjers Hofe, zur ftelle ift, der jagt zu etlichen 
vom Adel, er wolle vnd könne ohne alle befondere mühe vnd gefahr aller dapffern 
Helden gejtalt, die Keyferliche Majeftät zu jehen begeret, gar leichtlich herfür bringen, 
vnd fie fürm Keyſer darftellen. Dieſe vede wird bald an den Keyſer gebracht 
der left den Schwarkfünftler vor ſich kommen, vnd fpricht zu ihm:?) Ich höre, 
du ſeyeſt ein vifirlicher Künftler, darumb lieber beweije deine Kunſt ein Mleifter- 
ftüde, Darauff antwortet der Künftler, ja ev wolle es thun vnd außrichten ohne 


!) Bergleiche die auch im folgenden angezogene Gefhichte von der Here 
von Endor, die auch im mittelalterlichen Genovevabuche hineinfpielt, und den 
Titel Waldfhmidts unten Wr. 6. 

2) Tritheim; vgl. oben ©. 760 die Mitteilung nah ©. 69. 

8) Natürlich Drudfehler für: Sehnſucht. 

) Gedacht ift wohl an das griechiſche eidmkor. 

>) Im Texte fteht für das Kolon ein Fragezeichen, 





2. Fränfel, Neue Beiträge zur Piteraturgefchichte der Fauftfabel. 763 


alle gefehrligfeit, allein fie jolten, dieweil die Bildniß vnd geftalten der Helden 
vorhanden weren, vd fich jehen lieſſen, ftille ſchweigen vnd nicht veden. Wie 
fie jhm das zufagen, und darzu auch eine gute Summa geldes verheiffen, machet 
der Schwartzkünſtler einen groſſen Kreiß oder Circkel, darein ftellet ev den Keyſer 
mit feinem Keyjerlichen Stuel, vnnd fehet darnach an etliche Wort auß einem 
fleinen Büchlein zu lefen oder zu murmeln, als bald kömpt ohne gefehr, ehe man 
ſichs verjahe, des Hectoris Bildniß, vnd jchlegt an die Thür, daß das gantze Haus 
erbebet vnd erjchuttert, Wie man jhm auffmacht, tritt er herein in aller feiner 
Rüſtung ond hellglentzendem Harnifch, dev da weit blincket vnd leuchtet, vnd führet 
einen hellen plandenden Spieß, der da gar fehimmerte in feiner Fauft, und 
fundelten jhm die Augen, feiner gröffe des Leibes findet man auff Erden nicht, 
dann er vier oder fünff Mannslenge, wie die Leute jetund zu vnſerer zeit eine 
gröffe vnnd staturam haben, vbertraff, Darnach famı Achilles auch daher getvetten, 
der dann den Hectorem jcheußlich anſahe, vnd jeinen Spieß ſchwang vnd vegte, 
als mwolte er jetumd auff den Hectorem zu, vnd als die zween drey mal hin vnd 
wider dor dem Keyſer, dem fte jeine Ehre vnd Reverentz thun, fürüber gangen, 
find fie alsbald verfchwunden. Darnach it fommen der König vnd Prophet 
David mit feiner Königlichen Krone, ſchmuck vnnd zierd, vnnd trug feine Harffen, 
er hatte aber gar ein freumdlicher vnnd lieblicher Angefichte, dann die vorigen 
beyde, vnd als er drey mal für dem Kayſer, dev da auff feinem Königlichen 
Stuel im Kreife jaß, fürüber gegangen (vnd jhme feine Ehre vnd Neverent 
erzeiget hatte) ift er auch verfchwunden. Darnach hat der Keyfer den Schwart- 
fünftlern gefragt: Warumb jhme David feine Eheerbietung !) erzeigt hatte? Darauff 
hat er zur antwort gegeben: Davids Königreich jey vber alle Neich auff Erden, 
vd es müfjen jhm alle Königreiche weichen, und von Davids Reich vberwunden 
werden, vnd Chriftus des ewigen GOttes Sohn jey auß Davids ftamme geboren, 
darıumb habe David dem Keyfer feine Ehre erzeigen wollen. 

Wiewol wir aber in dem andern Gebot?) der Geuclerifchen Ebentheuer 
gedacht, vnd in der jechjten Bitte derjelbigen Erempel mehr ſollen eingeführet 
werden, doch müſſen wir derjelbigen hie auch nicht gar vergeffen. Vnd ift gewiß, 
ein Chrift der Geudlern zufihet, begehet wider den Namen Gottes fträffliche 
Sünde, vnnd follte die Obrigkeit feinem Geuckler jeyn Spiel in der Stadt oder 
auff den Dörffern vergönnen noch erlauben. Epit. Butn. fol. 115a. 

In der berhümten Herrjchaft Stollberg, hat man einen Geudler erzürnet, 
vnd jeine jchwarge Kunſt verlachet, da bannet?) vnd zaubert er einen luſtigen 
vnd schönen Lilien ftod auff den Tisch, vrüftet fein Pferd, vnd führets an die 
Pforte, vnd ſprach: Laſſet mi und meine Kunft bleiben, oder ich wil diefem 
Lilienſtocke feine Roſe abhawen, alſo verirten vnnd plagten fie jhn baß, da zog 
er feinen Dolch, vnnd hiebe damit eine Lilien ab vom Zweige, vnd fuhre davon. 
Nach einer ftunde fand man einen geföpfften Mann im Stalle, der bleib todt, 
vnd ward begraben.*) Vere autem non decollatus, sed Diaboli artifieium 
fuit. Epit. Butn. fol. 115.a. 

Es iſt auch droben in der 43. zahl,’) des D. Johannis Faufti gedacht, 





) Drudfehler für: Ehrerbietung. 

?) Das ganze Werf Bütner-Steinharts ftellt eine durch zahllofe Beispiele 
belegte Erklärung der zehn Gebote dar. 
) Hier foviel wie herbeiheren; bei „bleiben“ im Nächſten ergänze: in 

Frieden. 

+), VBgl. oben ©. 759 Anmerkung 3. 

°) Meint die betreffende am Rande eingetragene Angabe des Paragraphen 
im den Abjchnitte. 


764 2. Fränkel, Nene Beiträge zur Literaturgeſchichte der Fauftfabel. 


wie er ebner S. 766] maſſen etlichen Studenten vnd andern mehr habe Hectorem, 
Vlyſſem, Herculem, Alerandrum Magnum, Aeneam, Samfon, David vnd andere 
praesentiret vnd dargeſtellet, die denn mit granfamen Geberden vnd ernfthafftigem 
Gefichte, als weren fie leibhafftig, erſchienen vnd herfür gegangen, vnd darnad) 
widerumb verſchwunden. In maffen er denm auch die Schöne Helenam aus 
Griechenland, deren feine in der Welt jhrer Schönheit halben, zu vergleichen 
gemwefen, als leibhafftig dargeſtellet, welcher Schönheit ſich auch alle Zuſeher höchlich 
verwundert haben. tem, noch viel mehr wunderliche Ebenthewr hat dieſer Fauſtus 
angerichtet, die hie zu erzehlen, vnnötig. 


4. Weintraubenzauber und Fauſtgenoſſen bei Simon Majolus. 


In K. Engels „Zujammenftelung der Fauftichriften vom 16. Jahrhundert 
bis Mitte 1884“ (1885) fteht, wie ich nach dem Zufallsfunde der folgenden 
Bariation erſah, ©. 30 als Nr. 30 verzeichnet: „Majoli, S., Dies canieulares 
s. colloquia physieca nova et admiranda ete. Mogunt. 1614. Fol. ©. 602: 
Johannis Fausti magica“. Da dies Citat mir nicht genau ijt und die Stelle 
jelbft, joviel ich wenigftens ermitteln fonnte, nirgends abgedrudt wurde, teile ich 
letztere hier mit. 

Simonis Majoli Episcopi Vvltrariensis Colloquiorum sive Dierum 
Canicularum Tomus Secundus. Editio altera priori auetior et eorreetior 
(Borrede von 1608'). p. 246?) (in dem „Colloquium tertium, de sagis“): 

Phlzlosophus]. Oceurrit mihi iam euiusdam loannis Fausti, (sed pro- 
feeto infaustissimi) Cundlingensis, prastigiatoris et Magi Patrum nost- 
rorum memoria insignis, (qui Cracouix magiam, vbi ea publice olim 
docebatur, didieerat) faetum, atque id quidem ridieulum, vere tamen dia- 
bolicum. Is, inguam, cum aliquando apud notos quosdam diuerteret, 
qui de ipsius prestigiatrieibus actionibus multa audiuerant, ij ab eo 
petierunt, vt specimen aliquod sus magix® exhiberet. Hoc cum diu 
recusasset, tandem importunitate sodalitij, neutiquam sobrij, vietus, 
promisit se illis exhibiturum, quodeungue expeterent. Vnanimi igitur 
eonsensu petierunt, vt exhiberet illis vitem plenam vuis maturis: Pu- 
tabant enim propter alienum anni tempus (erat enim circa brumam) 
hoe illum pra&stare nullo modo posse. Assensit Faustus, et promisit, 
jamiam in mensa conspectum iri id quod expeterent: sed hac eonditione, 
vt omnes magno silentio immoti pr&stolarentur, donee illos iuberet 
vuas decerpere: si secus facerent, instare illis periculum eapitis. Hoc 
quum se facturos recepissent, mox ludibriis suis hie ebrie turb» ita 
oculos et sensus perstrinxit, vt illis tot vux mir® magnitudinis et 
succi plen® in vite pulcherrima apparerent, quot ipsorum adessent. Rei 
itaque nouitate ceupidi, et ex erapula sitibundi. sumptis suis eultellis 
expectabant, vt illos iuberet reseindere vuas. Tandem cum istos leui- 
eulos aliquamdiu suspensos in ipsorum vanissimo errore tenuisset Faustus; 
subito in fumum abeunte vite, vna cum suis vuis, conspecti sunt singuli 
tenentes loco vux, quam vnusquisque apprehendisse videbatur, suum 
nasum, apposito superne cultello, ita vt si quis immemor precepti dati, 
iniussus vuas secare voluisset, seipsum naso mutilasset. 


!) Diefer 2. Band, „Helenopoli* erſchienen, trägt feine Jahresziffer; auf 
dem Titelblatte des 3., deffen Vorrede 1609 unterzeichnet ift, fteht dagegen 1610. 

?) Im Negifter: Toannis Fausti magia (moher wohl Engels ivviger 
Titel ftammt). 





2, Fräntel, Nene Beiträge zur Literaturgefhichte der Fauſtfabel. 765 


Thleologus]. Et recte quidem illis aceidisset, dignique fuissent 
alia mutilatione, qui non ferenda euriositate speetatores et partieipes 
esse satagebant illusionum diaboliearum, quibus sine grauissimo periculo, 
vel potius piaculo, interesse Christiano homini non licet. 

Diefe Faſſung der durch Goethe jo populär gewordenen „Auerbachs Keller”- 
Scene fteht der von mir Goethe-Jahrbuch 14, 290—92 abgedrudten und be- 
iprochenen jehr nahe, ift aber in dem dicleibigen Buche des Majolus als Fauft- 
Anekdote ganz vereinzelt. Nur auf der vorhergehenden Seite 246 heißt es von 
Faufts tſchechiſchem Pendant, den Schwarzfünftler Zytot): „Sed quem finem 
fabula hee sortita fuit? Tragieum valde et miserandum, Sie enim in 
allegata historia, post aliarum multarum Iudifieationem et prastigiarum 
ab ipso Zytone editarum enumerationem, immediate sequitur: Ceterum 
Zyto impostor ad extremum a Cacodsmone superstes, cum eorpore et 
anima de medio hominum sublatus fuit, iniecitque Wenceslao curam, 
de religiosis deinceps ac magis serlis rebus eogitandi“. Ja, er ſcheim 
ſogar die große Reichhaltigkeit der Fauſtſage gar nicht auf Grund eines der 
kompendiariſchen Volksbücher gekannt zu haben. Denn ſonſt hätte er S. 293 
unbedingt daraus Doktor Fauſts Luftreiſe als Parallele anführen müſſen. Er 
jagt aber bloß: Translationem illam de loco ad locum diabolicam possi- 
bilem esse, s@piusque contigisse, innumeris constat exemplis. Gra- 
uissimi sanctissimique Patres referunt, Simonem Magum coram Petro 
alarum daamoniacarum remigio in aere sublatum volitare visum. Similia 
de Abati Seytha leguntur, atque Badudo Britannix rege. 


5. Allerlei Sauftifches bei I. Chr. Frommann. 


Karl Kiefewetter, der Fauſt-Hiſtoriker?) und befte gefchichtliche Kenner dev 
ſpiritualiſtiſchen Wiſſenſchaft, hat 1888 in einem Aufjate „Wahrheiten im Zauber- 
weſen mit befonderer Berüdfihtigung der Fauſtſage“, Zeitſchrift „Sphinx“ 5, 
377 ff., au) (S. 380) einen Auszug aus obigem Bericht des Simon Majolus 
verdeutjcht, aber nicht nach dem Driginale, fondern nach dem Citate bei dem 
‚Medieus Provineialis Saxo-Coburgieus‘ Johannes Chriftian Frommann, 
Traetatus de faseinatione novus et singularis (Norimbergae 1675), wo— 
ſelbſt nämlih S. 595 f. folgender, im Negifter s. v. Historia als ‚Fausti 
visum et taetum praestringentis‘ verzeichneter Abjat als Schlußbeleg (S. 598 
im Argumentum: ‚Exemplum faseinati taetus et Visus‘) für Fiv, TI; 


1) Wiefo F. W. Ebeling (Friedrihd Taubmann, ©. 5) diefen ganz umd 
gar als wirklicher Hexenmeifter auftretenden Böhmen Aptbo, von dem mehrere 
mit Doktor Fauſt beigelegten gleichlautende Stüclein berichtet werden (3.8. Fluß 
vorjpiegelung, Hirihgeweih-Anzauberung und fcherzhafte Menfchenfrefjerei), als 
„Hofnarren“ des Königs Wenzel anfteht, begreife ich nur, wenn ich feines Vor— 
manns Flögel Gejchichte der Hofnarren ©. 213 ff. danebenhalte. Der nüchfte 
Fachmann, Dr. Ernſt Kraus in Prag, nennt Zytſhſo an feiner Stelle feiner 
einschlägigen Arbeiten („Das böhmifche Puppenſpiel vom Doktor Fauſt“, 1891, 
©. 1—26 „Die Fauftfage in der böhmischen , Literatur“ ; „Goethüv Faust. 
Prelozil Jaroslav Vrehlieky“, 1890/91, II, Üvod, &. II bis XVII; „Goethe 
a Cechy“, I. 1893). 

2) Mein im Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Yiteratuven 
92, 180 f. abgegebenes Urteil über Kiefewetters Sun „Fauſt in der Gefchichte 
und Tradition“ (1893; vgl. Soethe- Jahrbuch 1 15, 335 f.) halte ic) troß des 
Tadel, den es von anderer Seite erfuhr, aufrecht. 


766 2. Fränfel, Neue Beiträge zum Piteraturgefhichte der Fauftfabel. 


Pars IV, Sect. I, Cap. VII ericheint:!) Faseinationis tactus et visus exemplum 
egregium, ridieulum quidem, vere tamen Diabolieum de publico illo 
Magix» Doctore Joh. Faustio, reipsa infaustissimo recitat Majolus 
Colloq. 3. pag. 176. Is cum aliquando....... mutilasset. Taetu hi 
senserunt uvas, qu&® non fuerunt, et tactu non senserunt nasos, qui 
fuerunt. — Es folgen nod vier Zeilen theoretifcher Auslaffungen: Faseinat 
etiam Da»mon tactum, eum eum depravat ete. 

Daß Frommann feine anderen Anekdoten von Doktor Fauſt in feine 
beijpielveihen Auseinanderjegungen verwoben hat, muß bejonders deshalb auf- 
fallen, weil Lercheimer, namentlich aber Wier, zu feinen Hauptquellen gehören, 
er alfo, jogar wenn das Volksbuch vom Doktor Fauft ihm unbefannt geblieben 
wäre, bei diefen Gewährsmännern genug Anlaß zur Berwendung von Fauſt— 
gefehichten gefunden hätte. Einen der hervorragendften Borgänger Doktor Fauſts, 
Heinrich?) Cornelius Agrippa von Nettesheim, citiert er mehrfach und weijt 
ihm in längeren Auslaffungen einen wichtigen Posten in der Entwidelungs- 
geichichte der Magie an. Auf ©. 290 erwägt er die Frage, ob Agrippa ein 
Magus gemejen jei und ©. 585 Ffopiert ev aus den Elogia des Jovius, die 
dem ‚portentosum Agrippae ingenium’ gälten, die Gefchichte, daß jener einen 
dämoniſchen Begleiter in Humdegeftalt bei ſich gehabt habe.) Wichtig ift auch 
©. 525 der Sat über Wier(us): „Cause sunt quod fateatur se Agrippx 
diseipulum fuisse, welcher der allergröfte Zauberer war, jo zu feiner Zeit ge— 
lebt.“ Endlich lefen wir ©. 709: „Damnavit non hanc [Theurgiam]| tantum, 
sed et Theurgiam ipsam specioso nomine celebrem Archimagus Cor- 
nelius Agrippa, qui disertis verbis testatur, sepissime sub nominibus 
Dei et Angelorum, malis Demonum fallactis eam obstringt.“ 

Ferner begegnen wir einem Gauklerſtückchen aus der flüffigen Tradition 
über Faufts Yamulus Wagner?) ©. 586 f.: „Etiam Magi Damonis ope 
corpori vero partes phantasticas assuunt. Sie Christophorus Wagnerus 
Padux& a quodam rogatus, ut jucundum animi gratia pr&sentibus spec- 
taculum exhiberet, id quidem primum renuit: illo autem instante mox 
caput bovinum magnis cornibus refertum eidem aptavit, ut verum 
bovem referret. Hoc cum c»teros in risum, et fascinatum in indig- 
nationem solveret, veri bovis instar valde mugire coepit, ori calicem 
admoturus ineptitudinem suam, ob labiorum magnitudinem, advertit, 
allatum autem a Wagneri famulo in dolio quodam vinum plenum 
gutture traxit. Uxor fam& inelementia mota cito gradu ad maritum 
tendit, visoque mariti faseino, dira qu®que Wagnero imprecatur. Fas- 
cinator autem cum bonis verbis silentium frustra petiisset, uxori quoque 
vaceinum ceaput cum cornibus aptat, ex quo major et presentum risus, 


1) Obzwar bisher nirgends mitgeteilt oder auch nur citiert, ſei er hier 
der weſentlich orthographifchen Abweichungen wegen nicht abgedrudt, jondern die 
ausgehobene Stelle oben durch Punkte angedeutet. Die einzigen Aenderungen 
find: „eonspeetum iri, quod expeterent“ ımd „praestrinxit“ (jtatt per- 
strinxit). 

2) Einwirkung auf Goethes „Heinrich Fauſt“? 

3) Diefe Quelle find des Paulus Jovius' ‚Elogia doctorum virorum‘; 
vgl. Kiefewetter, Gefchichte des Dccultismus, ©. 5 f 

4) Erſcheint Schon im Anfange des 17. Jahrhunderts jtetS neben den 
Fauft-Erwähnungen; vgl. z. B. „Gründlicher Bericht Antonii Praetorü. Von 
Zauberey vnd Zauberern (1629)*, ©. 18: ,... . Joannes Fauftus D. zu 
welchen ich ordne Scotum, Wagnern, . . . .‘ 





2. Fränfel, Neue Beiträge zur Literaturgefhichte dev Fauſtfabel. 767 


et ex hoc fascinatarum personarum mugitus. Faseinatum ita par con- 
jugum in magna speetatorum frequentia domum rediit suam, nee, nisi 
sequenti die ad aliorum intercessionem a fascino liberatum. Qux& omnia 
hie in compendium Latinis verbis coaeta pluribus Freudius Quest. 157 
n. 2. ex Hildebrandi Goetia recitat.* Daß Frommann dem leßtgenannten 
Werke, deffen Fauſt-Inhalt wir oben in 2 verzeichnet haben, nicht jo mancherlei 
für feine Zwede trefflihjt Brauchbares entlehnt hat, berührt feltfam. Denn feine 
genaue Kenntnis des einjchlägigen Stofftreifes geht beifpielsmweife aus folgender 
Auslafjung, S. 214, deutlich hervor: „Vielmehr aber gefchicht ſolche Collusion 
und geheime Verftand mit dem böfen Geift mediate durch gewifje vom Satan 
jelbft an die Hand gegebene Mittel. Denn zu gleicher Weis, wie ein frommer 
Chriſt und Kind GOttes, wenn er im Zweifel ftehet, was er im eimem und 
andern Fall fürnehmen und angreiffen foll, vufft er GOtt an im Gebet, braucht 
ordentliche Mittel: jo jagt man alsdenn vet von Ihm, er hats mit GOTT 
und feinem Naht angefangen, GOtt habs ihm in Sinn gegeben, ob gleih GOtt 
unmittelbar mit ihm nicht geredet: Alfo im Gegentheil, wer zweiffelhafftige 
Saden zu erfahren ſolche Weg gehet, und Mittel braucht, die in Gottes Wort 
und der Natur Krafft nicht ftehen, fo fragt er den Teuffel zu Naht, und bitt 
gleichſam denſelben zu Gevattern, ob gleich der Teuffel ihm unmittelbar in 
eigener Geftalt nicht erfchienen und mit ihm geredet.“ 

Hingegen bietet Frommann an verfchiedenen Stellen feines Kompendiums, 
da wo er vom Weſen des Teufels vedet, eine Neihe merfwürdiger Anklänge an 
die Schimpfeharafteriftif, die das Volksbuch vom Doktor Fauſt dem Satan 
widmet. ES handelt fich hier um diejenigen ganz beftimmten Ausdrüce, die ich 
beim Quellennachweiſe des Sprichwörterfapitels im älteften Fauftbuche, Viertel- 
jahrſchrift für Yiteraturgefchichte 4, 372, unterfucht habe. In jenem, dem 
65. Kapitel, jagt Mephiftopheles zu Fauſt vom Höllenfürften: „Ddieweil ev Gottes 
Aff, auch ein Yügener vnnd Mörder iſt“ (vgl. a. a. D. ©. 367). Dazu ge 
währt Frommann nachjtehende Parallelen: „Hostem hune Dei Simiam esse, 
et fucata »mulatione Dei opera semper expressisse“ (©. 189); „nam 
testimonium de Patre mendacii, qui corpus et animam ut perdat, 
gquerit ....*’) (S. 374); „Der Teuffel ift unfers HErrn GOttes Affe, er 
hat neben den gebahnten Weg und der Landſtraß deß Göttlihen Worts allezeit 
feine Holtzwege und Fußftege, Dadurch ev die Yeute verführet“ (S. 1056); „Der 
Satan als ein Feind deß menschlichen Geſchlechts hat als ein Aff GOttes ab- 
icheuliche Opffer bey den Heiden geftifftet“ (S. 1058); „ait Dn. D. Zimmer- 
mannus 1. c. Petrum de Lancre cap. 16 audiamus: Der Teuffel lutzet 
unfam GOTT in allen Dingen nad. Er hat feine Praelaten, feine Bifchöffe 
und Prieſter . . . .“ (S. 1066). An letztere Aeußerung schließen wir am 
paſſendſten von ©. 1054 an: „Hine Latimerus in Anglia Episcopus Sacer- 
dotes suos negligentes exemplo Satanae exeitavit dieens: Es wäre in 
gant Anglia fein fleiffiger Bifchoff als eben der Satan, qui oriosis aliis 
maxime sit negotiosus, ac proinde illos imitari debere Satanam, qui 
Deum sequi nolint.“ Dazu ftimmt nämlich im angeführten Fauſtbuch-Kapitel 
die Formel „Gott ift Herr, der Teuffel iſt nur Abt oder Münch,“ der ich a.a. DO. 
©. 371 aus J. L. Weidner, Teutſcher Apophthegmatum 3. Theil (1644) ©. 448 


1) Vergleiche Lercheimer, Chriſtlich bedencken vnd erinnerung von Zauberey 
(1585) Rap. 4: „daß fie die warheit vom teuffel forjchen, der ein lügener vnd 
eim vatter der lügen, ein mörder, der Gottes vnd aller menschen abgefagter vn— 
verjöhnlicher feind ift.* Vgl. Eäfarius von Heifterbach III 6 am Ende („Annalen 
des Hiftorifchen Bereins für den Niederrhein“, Heft 53 ©. 259), und unten ©. 768. 

Euphorion II. 50 


768 8. Fräntel, Neue Beiträge zur Piteraturgefhichte der Fauftfabel. 


„ten fleiffiger Bischoff als der Teuffel” zur Seite fette. Auch die zweite Nummer 
jenes Proverbienhaufens „wereſtu weit von dannen gangen, were gut für die 
Schüß geweſen“ (fieh a. a. O. ©. 365) fehrt hier neben anderen Zanberformeli 
S. 275 als „Weit davon ift gut für Hauen und Stechen“ wieder. 

Aehnlich wie die oben angeführte zweite lateinische Titulatur des Teufels 
Pater mendaeii ete. lautet es auch bei Yambertus Danaeus, „Bon den Zauberern, 
Heren vnd Bnholden u. ſ. w.“ (Cölln 1576), wo Fauſt nicht erwähnt wird, wohl 
aber „der Hochgelerter Abt Trithemins“ © 35), „der 9. Cyprianus“ (S. 140), 
Theophilus (S. 105: „sch hab von eim Abt, im herogthum von Meiland, mit namen 
Bruno gemant, verjtanden, welcher in einem augenblid, auß dem Hergogthumb 
gen Rhom von dem Teuffel gefurt ift. Defgleichen wirt auch von einem — 
welcher Theophilus geheißen hat“), und andere ſeiner Vorgänger, auf ©. 
„ber weil der Sathan vber die maß lügenhafft, ja ein Batter aller lügen Ir 
und ©. 54: „Sathan, welcher ein Batter aller vachgierichkeitt, onnd alles mords 
iſt.“ Auch in Bütners ımd Steinharts „Epitome historiarum* (j. Näheres 
oben S 757) fol. 242 erfcheint der Teufel als „dev Mörder vnd lügen Geift.“ 
Wie die beiden letzteren ift David Meder Lutherifcher Pfarrer, der in feinen 
„echt Herenpredigten“ (Leipzig 1604, bei demfelben Verleger wie die Epitome!)!) 
©. 12b vom Teufel jagt: „wie jhn deßwegen Ehriftus Joh. 8 ein Mörder vnd 
Vater der Lügen nennet” (vgl. ©. 48a: „des Teufels Fügen, Mordt vnd grim— 
miges Gemüt“). Fauſt jelbft war dieſem Prediger, der nad) der lateinischen Wid- 
mung Bodinus, Wier, Ulrih Molitor (De sagis), Trit(h)emius u. a., nad 
©. 39a Gödelmann, nad ©. 80a Lercheimer und Hamelmann, kennt, nicht genauer 
befannt, wohl aber manche Parallele, 3.8. ©. 23P , wo zauberifche „Milchdiebe“ 
harakterifiert werden („vd das jo wunderbarlich, das fie auch offt nur daheimen 
einen Pflod, den fie in die Wand gejchlagen, melden, vnd dennoch derjelbe Milch 
giebet“; ganz ähnlih ©. 812 ),?) ©. 286 eine völlig auf den Fauft des Volksbuchs 
jtimmende Charafteriftif eines Menfchen, der aus materiellen Motiven Gott ab- 
ihwört und „ſich an den Teuffel ergiebet“, ©. 71 „Simoni des Zauberers“ 
Luftreife mit dem Teufel und die ähnliche Gejchichte über den „beruffenen Zauberer“ 
‚lohannem Teutonicum‘, einen Halberftädter Priefter 1271 (vgl. oben ©. 759 f.). 
Bon Fauſt heißt es ©. 40b — 412: „Was folte nun hindern, wenn der böfe 
Geiſt folhen fürwitigen Leuten beydes verheiffet, oder Durch fein Drachengefinde 
verheiffen leffet, denn das fie fich in feinen gewalt begeben ? wie mit D. Fauſto 
vnnd andern Schwartfünftlern gefchehen ift vnd noch geſchicht.“ (Am Rande: 
Erempel des Faufti.) Auf ©. 105a („Auch dag man jhr und des Teufels nur 
jpotte, vnd alle jhr thun nur verachte vnd verhöne, wie jener Doctor zu Witten- 
berg gethan“) liegt vielleicht eine etwas verblaßte Erinnerung an das 52. (vgl. aud) 
das 57.) Kapitel des Spiesſchen Fauſtbuchs vor. 

Noch zwei Dinge, die mir in Frommanns mit unverdauten Broden aller 
Art vollgeftopften Darlegungen aufftießen, ſeien abgedruct, weil fie mir Be- 
ziehungen zur literariſchen Entwidelung des Fauftthemas zu befunden jcheinen. 
„Magi vocantur insuper Schwartfünftler” heißt &8 ©. 503,.... „Weil fie 
jolde Kunft von dem ſchwartzen Cafperle dem Teuffel gelernet, welcher, weil er 


1) Den Hinweis auf diefes Buch verdanfe ih Joh. Diefenbach, Beſeſſen— 
heit, Zauberei und Herenfabeln (Frankfurter zeitgemäße Broſchüren XIV, Nr. 4; 
1893), wo ©. 26 ff. eine größere Anzahl von noch nachzuſchlagenden, mir meiſt 
nicht zugänglichen lutheriſchen Hexenpredigten citiert wird (ebenda S. 37 flüchtig 
über die Fauſtſage); vgl. oben ©. 754. 

?) Aehnliche Zauber- und Teufelsgejchichten aus jenen Lambertus Danaeus, 
David Meder u. a. hob ich aus Zeitſchrift des Vereins für Volkskunde 5, 265 f. 


\ 





2. Fränkel, Neue Beiträge zur Literaturgefhichte der Fauftfabel. 769 


ein Fürft der Finfterniß, wie er genennet, Ephes. 6. v. 12. gemeiniglich auch in 
ſchwartzer ſcheußlicher Geftalt erjcheinet, darbeneben zu den Werden der Finfter- 
niß Luft hat, umd fie treibet, der Schwarge genennet, und gemeiniglich ſchwartz 
gemachet wird.” Dürfen wir darin nicht ein hübſches Zeugnis für den früh— 
zeitigen Uebertritt der Fauſtfabel auf die Bühne erbliden, bei dem der Hanswurſt 
mit ſchwarzem Gewand und Geſicht den Böfen „gemachet“, fo daß man dann 
von letzterem als „von dem jchwartem Cafperle dem Teuffel“ ſprechen Fonnte?') 
Sodann wird ©. 741 ein Geſchichtchen zum Beten gegeben, aus dem wir heraus— 
heben: „Juvenis quidam ad amiei sui instantiam in Scholam Magicam, 
in qua D»mon ipse docuit, ut hospes sedueitur. Finita leetione Doctor 
auditorem suum novellum blandis compellat verbis, et, ut singulis, ita 
et huie aliquid petendi concedit potestatem: venuentem hune ille urget, 
ut vel aliquid saltem a se petat vel voveat, quodeunque etiam fuerit, 
se non denegaturum. Defatigatus urgentibus monitoris verbis hospes 
hoc sibi dari tandem vovet, ut ab eo, qui primus est a Rege, proximus, 
et sie tertius in regno esset. Dxmon dato nutu, ut compes diseipulus 
voti sui fieret, se effeeturum promittit. Magister linquit diseipulum, 
discipulus Magistrum, totumque collegium magiecum, animumque studiis 
deineceps seriis, de magieis securus, "applieat; sed tantos cum omnium 
applausu facit progressus, ut magnis honoribus, et tandem loco a Rege 
secundo Den fuerit judicatus. In eo constitutus, foribus ali- 
quando pulsatis et apertis per adven» pr&sentis faciem Maeistri olim 
in Schola quadam sui vultum, et cum hoc promissionis sus liberali- 
tatem, Damon vero diseipuli sui faetum per promissi impletionem in 
lucem rev ocat, eumque totum ceu suum maneipium mercedis loco jam 
postulat.“ Die enge Verwandtichaft mit dem Fauſtſtoffe beweiſt der Schluß 
wohl zweifellos. Außerdem aber jcheinen mir Einkleidung und Anfangsfituation 
mannigfache Achnlichkeit mit der Schülerſcene in Goethes I., der Inhalt des 
Begehrens und feine Erfüllung mit Fauſts Auftreten am Kaiferhofe in Goethes 
II. Zeile zu befißen. 


6. Fauſt bei Bernhard Waldfchmidt. 


Dur Joh. Diefenbahs Brofhüre (fieh oben ©. 768, Anmerkung 1) bin 
ich auf das von ihm ©. 112 unter Nr. 16 ungenau angeführte didleibige Kom— 
pendium „Pythonissa Endorea, Das ift: Acht vnd zwantzig Heren- vnd Ges 
ipenft-Predigten, genommen Auf der Hiſtori von der Zauberinn zu Endor, im 
J. Buch Samuelis Cap. XXVIII..... Gehalten in der Kirchen zun Barfüffern 
in Srandfurt, vnd nunmehr mit nüßlichen, auß vornehmer Theologen vnd 
anderer berühmten Autorum Schrifften genommenen Anmerdungen vermehret, 
auff Begehren Vmb dieſer letzten Zeiten willen, zum. Drud übergeben von 
M. Bernhardo Waldſchmidt, Evangelifchen Predigern? (Frankfurt 1660). Darin 
finden = nachjtehende Fauftiana:?) 


) &3 jei erinnert, daß in Frommanns Heimatland, in Thüringen, Die 
RAU Dramatifierung mit dem Teufelsfafper jeit alters bis heute im Puppen- 
und Marionettentheater lebendig ift und dort neuerdings mehrere bis ins 17. Fahr- 
hundert zurücveichende Terte davon auftauchten; vgl. dazu im allgemeinen Arthur 
Kollmanns, des genaueften Kenners der Sache, authentiſche Mitteilungen in feinen 
„Dentichen Puppenfpielen“ 1 (1891), 81 ff. 

2) Alle Fauft-Parallelen, wie die befannte Gaufelei vom Köpfeabhauen 
(vgl. oben ©. 759 und dazu jetst Kiefewetter, Fauſt in dev Gefchichte und Tradition, 
©. 230 f., und die Barallelen bei R. Sprenger, Die Wurzel des Lebens, in „Am 
Ur Duell“ 5, 143 ©. 207 nad Lercheimer erzählt), find hier übergangen. 


50* 


770 8. Fränfel, Nee Beiträge zur Piteraturgefchichte der Fauftfabel. 


©. 79: Alfo ift Johannes Faustus offt auff dem Mantel gefahren: 
Einsmals fuhr er mit feiner Gefellfehaft nach dem NachtEſſen zum Schlaftrund 
auß Meiffen gen Saltburg in deß Biſchoffs Keller, darinnen truncken fie den 
beiten Wein, vnd da der Kellermeifter ohngefehr hinein fam, vnd fie als Dieb 
anredete, macht er ſich mit ſeiner Geſellſchafft wider davon, nahmen ihn mit biß 
an einen Wald, da feet er jhn auff einen hohen Tannen Bamn, ließ jhn ſitzen, 
vnnd fuhr mit den Seinen fort. Hat nun dieſes Faustus thun können, warumb 
ſolte es der Teuffel, der ſein Meiſter geweſen, nicht auch thun können? 


©. 204 f.: Dergleichen hat der beſchreyete Zauberer vnd Schwartzkünſtler 
Faustus viel getrieben. Als einsmahls ſeine bekante gute Freund ein ſtücklein 
von jhm ſehen wolten, vnd mitten im Winter an jhn begehrten, er wolte einen 
Weinſtock von Trauben machen, hat er es jhnen zugeſagt, doch mit dem beding, 
ſie ſolten ſtill ſitzen, vnnd keiner vnter jhnen einen Trauben abſchneiden, biß er 
ſie es würde heiſſen, da er nun jhnen einen herrlichen Weinſtock voll Trauben 
fürgeſtellt, vnd ein jeder begierig nach den Trauben griff, das Meſſer anſetzete 
vnd wartete, biß er ſie abſchneiden hieß, da verſchwand der Stock mit den 
trauben, vnnd hielte ein jeder ſein eigen Nas mit der Hand, vnd ſein Meſſer 
daran, vnnd wann er ſie hätte heiſſen ſchneiden, ſo hätte ein jeder jhm ſelbſt 
die Naſen abgeſchnitten. Als eben dieſer Faustus bey einem Gelach war, vnnd 
deß Wirth Jung ihm zu voll einfchentte, dräwete er jhm, wann ers noch ein- 
mahl (S. 205) thäte, jo wolte ev jhn frejfen. Da nun aber der Jung feiner 
ſpottete vnd jagte: Ja wohl freffen, vnnd jhm davauff wieder zu voll einjchendte, 
jperrete er jein Maul auff, vnd fraß jhn, erwiſchte darauff einen Kübel mit dem 
Kühlwaſſer vnd jagte, auff einen guten biffen gehört ein guter trund, vnd joffs 
auß, da aber der Wirth jhm ernftlich zuredete, er folte jhm feinen ungen 
wider jchaffen, oder er wolte etwas anders mit jhm anfangen, da jagte er, Er 
jolte zu frieden ſein, vnd binder den Offen jehen, da fand er feinen Jungen 
gant maß liegen, vnnd für jchröden zittern. Er hat auch einem Barren, der 
jhm nicht au dem weg weichen wollen einen Wagen mit Hew vnd Pferden 
gefreffen, jo ev draufjen für dem Thor jtehend wider gefunden. Einsmahls 
verkieff er einem etliche Schwein, jagte aber, er folte fie im heimtreiben in feine 
Schwenme führen. Es gefhahe aber, daR fie ih im Koth herum  welßeten, 
vd bejudelten, da fie mım der Käuffer in die Schwemm trieb, verſchwunden fie, 
vnd ſchwummen lauter Strohwifch empor. Wer fiehet aber nicht, daß Diejes 
lauter blend werd gemwejen ? 


©. 467: Wie dem Fausto fein Geiſt gelohnet hab, it befandt, in dem 
er im feinem Bett todt gefunden worden, vnd jhm der Hals vmbgedrehet ge— 
wefen: oder wie Widmannus in feiner Hiftoria berichtet, daß man im der 
Stuben, darein er gewejen, nichts mehr gefehen, danır allein, daß fie voll Bluts, 
vnd die Wände dergleichen mit Blut beſprützet geweſen, auch jey ſein Gehirn 
hin und wieder an den Wänden geflebet, die Zähn jeyen auff der Erden vnd 
Bänden gelegen, vnd hab man augenjcheinlich abnehmen können, wie jhn der 
Teuffel von einer Wand zum andern gefchlagen vnd zevjchmettert gehabt, endlich 
hab man den Leib aufferhalb des Haufes auff einem Miſt ligend gefunden, 
welcher ſchröcklich anzuſehen geweſen. 

Am Rande zu letzterem Bericht ſteht: Georg. Rud. Widmann. lib. 
hist. D. Fausti e. 18 p. 152; Waldſchmidts Regiſter verweiſt auf ihn mit 
den Worten: „befommt endlich von feinem Geift einen fehlechten Lohn.“ Citiert 
ift ferner ©. 194 am Rande: (in) Rad. [sie!] Widmanno in hist. D. Joh. 
Fausti part. 2. p. 101, bei Anlaß zauberifcher Schnellbauten, endlih S. 454 
am Rande: „Wier. l. 2. de Praest. Daemon. e. 4. P. 157. aliàs Wid- 


2. Fränfel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte der Fauftfabe. 771 


mannus in hist. Fausti 1.2 c. 6 canem hunc Praestigiat. appellat,* wozu 
der Text lautet: „Johann Faustus hat auch einen ſolchen Spiritum gehabt, der 
ihm zur Anftellung allerley Kurtzweil hat gedienet, den er Sororium hat genennet.“ 


7. Doftor Fauſt bei einem Nachahmer Abrahams a Sancta Clara. 


Ein ſtark übertreibender Jünger und Nachahmer Abrahams a Sancta 
Clara!) Albert Joſeph Conlin,“) zu Anfang des 18. Zahrhunderts Pfarrer zu 
Monning im Nies, veröffentlichte) 1706—1708 ein fünf dicleibige Bände um- 
faffendes Werk folgenden Titels:“) „Der Chriftliche Welt-Weife Beweinent Die 
TIhorheit Der neusentdedten NarınzWelt, Welcher die in difem Buch befindliche 
Karen zimblih durch die Hächel zieht, jedoch alles mit fittlicher Lehr und 
9. Schrifft untermifchet. Worin über 200. Inftig und lächerliche Begebenheiten, 
deren ſich nit allein die Herrn Pfarrer auf der Cantel, jondern auch ein jede 
Privat-Berfohn, bey ehrlichen Geſellſchafften nutzlich bedienen können. Borgeftellet 
von Alberto Josepho Lonein®) von Gominn. AUGSPURG (Daniel 
Walder).” 

Sein erſtes Kapitel, das aus der Kategorie dev Narren den „Weiber 
Narr“ behandelt, enthält eine Beleganefdote für das empfehlenswertefte Auftreten 
des Gatten bei ehelichen Zwiftigkeiten, aus deren Nacherzählung folgende Stelle 
von Intereſſe ift (1, 10): 

Einer ift geweſt, defjen Weib, Tag und Nacht gemurret, Fohlert, donnert, 
gerumplet, geworfen, geftampfft, geichlagen, gewütt, geboldert, geſchryen, ec. darum 
fein Wunder, daß er ihr den Doctor Fauſt zu leſen geben, und ihr das Geficht 
mit dem wilden Ultromarin überftrichen, daß diefer Teuffel, in Himmel blauen 
Liberey mufte aufziehen, als ev aber einmal mit gar zu groffer Zuwag gemeffen, 
da hat fie ſich ins Beth gelegt, und geftellt als feye ihr die Sprach verfallen. 

Obzwar diefe Erwähnung des Doktor Fauft den Bezug auf ein vor- 
handenes Bud, das als allgemeinverftändliche Lektüre bekannt war, aufßer aller 
Frage ftellt, mag hier daneben vielleicht eine bildlihe Auffaffung nicht aus 
geichloffen fein. 

In dem Kapitel „Der zauberifche Narr“, das den 3. Band abfchlieht, 
findet ſich eine längere Beifpielauslefe aus den üblichen Fauft-Schwänten, auf 
©. 361 ff. Sie folge hier in getvenem Abdrucke: 

[©. 361, 3. 23.] Ein ſolcher zauberifcher Narr ift auch geweſen Joannes, 
mit dem Zunamen Fauſt, insgemein der Doctor Fauft genannt, fonft von Cund- 
lingen gebürtig, welcher der gantzen Welt faft befant, wegen feiner Zauberey, 
umd groffen Pact, daß ev mit dem böfen Feind gehabt. Diefer faubere Gefell 
hat feine Teuffels-Kunft zu Cracau in Polen gelernet, dann zur felben Zeit 
wurde befagte ſchöne Kunft (seilicet) daſelbſt offentlich dociret. Die[S. 362]fer 
Zauberer Fam einsmahls ungefehr in ein Hauß, allwo dazumahl ein ftattliche 

) Bgl. Goedetes Grundriß ? 3, 239 f. 

*) Bgl. J. Frands Artikel im der Allgemeinen Deutfchen Biographie 
4, 438 f. (wo die Schreibungen Colin, wie Goedefe fchreibt, und Coulin ab- 
gelehnt werden). 

) Zu feiner Schriftftellerei jehe man außerdem noch Flögel, Geſchichte 
der fomifchen Literatur 3, 457—459 und Scheibles Klofter 1, 34 ff. 

s *) Man fehe auch meine Mitteilungen in Kölbings „Englifchen Studien“ 
19, 208. 

°) Anagramm von Conlin (wie Gominn von Monning); der wirkliche 

Name ift im Privileg der Eicchlichen Cenfurbehörde vor Band 3 angegeben, 


7172 2. Fränfel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte der Fauftfabel. 


Mahlzeit ware, und die gefamte Gäft bereits tieff in die Kandel gefchauet hatten, 
dahero haben fie mit öffter widerhollten bitten dein Magister Faust erſucht, daß 
er ihnen zu einer Gnad etwas von feinen jo berühmten Stüden möchte jehen 
laffen.!) Joannes, auf jo grofjes Verlangen wollte der naffen Burjch endlich) 
folhes nicht abjchlagen, fragt fie demnach, was ihmen möchte beliebig ſeyn? 
Worauf die beraufchte Gejellen einhellig begehrt, daß er ihnen an ftatt des Con- 
feets jolle gante frifhe Weintrauben aufſetzen, es ware dazumal die rauche 
Winthers- Zeit. Der Faust verjpricht dieſes, jedoch mit dieſem Beding, daß 
feiner ein Wort ſolle veden, biß er ihnen werde fchaffen die Wein-Trauben ab— 
zufchneiden, wofern aber einer das geringjte Wort jolle hören laffen, fo möchte 
es jein Hals gelten. Wie fie nun alle folches angelobt, da hat er diefe bezechte 
Kerl dergeftalten durch feine Zauberey verblendt, daß ein jeder vermeint, als 
jtehe vor ihme der jchönfte Wein-Stock mit frifchen und gantz zeitige Trauben, 
worauf dann ein jeder das Mefjer ergriffen, umd auf die Wein-Trauben ge— 
halten, gantz begierig erwartend die Erlaubnuß, abzufchneiden. Da er fie ein 
Weill in diefer Verblendung gelafjen, da hat er gemacht, daß alles augenblicklich 
verſchwunden, eim jeder hat das Meffer auf feiner Nafen gehalten, daß, wofern 
er mit dem Befelch nicht hätte inngehalten, jo hätte ihme ein jeder ſelbſt feinen 
Schmeder?) abgeftutt. Dieſer Herenmeifter Faustus hat, wie in feinem Gott— 
lofen leben?) zu Leſen, ſolche entſetzS. 363)liche und verwunderliche Sachen geübet, 
daß man dergleichen wenig von einem andern Zauberer hörem würdet, er hat aber 
lelichen ein erfchrödliches End genommen, welches ich dem curiosen — neugierigen] 
Lefer mit allem Fleiß hier beyfüge, damit er hieraus jehe, was vor einen Lohn und 
Trinck-Geld der Teuffel, endlichen feinen Dienern dem Zauberen*) und Hexen, 
ertheillet. Dann als feine mit dem Teuffel pactirte vier und zwantig Jahr, 
unter welchem der Sathan, der ihme in Menjchen Geftalt, unter dem Namen 
Methostophiles®) dienete, alle erdendliche Puft und Freud und nunmehro jener 


!) Der bekannte Weintrauben-Scherz, wie er im Folgenden als Meufter- 
beijpiel vorgeführt wird, jcheint bis ins 18. Jahrhunderte hinein eine der be» 
tiebteften Fauſt-Hiſtorien geweſen zu fein, wie auch die faft gleichzeitige Aufnahme 
in die „Doctae Nugae Gaudentii Jocosi ete.*“ (1713) beweift („Fausti 
Magia“, von mir abgedrudt im Goethe-Jahrbuch 14, 290—92). Ich vermute 
übrigens immer noch, daß Goethe in der „Auerbachs Keller“ Scene dieſen 
lateiniihen Schwank benußt haben kann, obwohl der „Fauſt-Ausſtellung im 
Soethehanfe zu Frankfurt am Main, 1893" (fiehe deren Katalog ©. 17 Nr. 48) 
bloß mein Privateremplar jenes Duodezbändchens zur Verfügung ftand. 

2) In verfchiedenen Strichen des oberdeutichen Sprachgebiets ift ‚jchmeden‘ 
für tranfitives ‚riechen‘ gäng und gäbe, jo auch in Bayeriſch-Schwaben, des Ber- 
faffers Landſchaft. Daher liegt die Analogiebildung ‚Schmeder‘ anftatt des 
norddeutjchen, heute freilich nur noch ſcherzhaft gebrauchten Riecher! für Naſe 
nahe. Vgl. Schmeller, Bayeriſches Wörterbuch ? 2, 543 und Joh. Chriſt. v. 
Schmid, Schwäbiſches Wörterbuch (1831), s. v. ſchmecken (Schmid's „Verſuch 
eines ſchwäbiſchen Idiotikon“ S. 117 f. bietet nichts). 

2) Vielleicht in Anlehnung an den Titel des erſten Volksbuchs vom Doktor 
Fauft: „Hifteria Von D. Johann Fauften..... aller hochtragenden, fürmitigen 
vnd Gottloſen a zum jchredlichen Boyſpiel 

)Jedenfalls Druckfehler [für ‚Zauberer‘ oder ‚(den) Zauberern‘). 

) Diefer Name fommt bei unferem Autor nur an diefer Stelle vor; 
jomit ift, obwohl das erfte t undeutlich gedruckt ift, nicht feftzuftellen, ob Conlin 
wirklich Die jonft nirgends weiter belegte Namensform Methostophiles als 
vihtig anſah (daS o in der zweiten Silbe in älterer Zeit üblich), 








2. Fränkel, Neue Beiträge zur Piteraturgefhichte der Fauftfabel. 773 


forchtſame Tag ſich herbey nahete, an welchem der Teuffel fein Unterpfand nem— 
lihen jhme Faustum hollen wollte, da hat er ſich mit einiger feiner Cammeraden, 
jo Studenten waren, in ein Dorff mit Namen Nimlih hinaus begeben, dann 
dafelbjt wollte er fih noch einmahl zu quter letst mit ihnen luftig machen, welches 
er etliche Zeit bißher unterlafjen hätten: Daſelbſt ließ D. Faustus ein gutes Mahl 
zurichten, und ftellte ſich auf daß möchftlichfte [sie!] mit ihnen frölich, daß fie 
alfo beyfammen recht Iuftig waren biß auf den Abend, da fie alle, ausgenommen 
Fausto wider nah Hauß gedachten. D. Faustus aber batte fie gar freundlich, 
daß jie doch wollten nur noch diefes einige mal, dieſe Nacht über allda in dem 
Würths-Hauß bey ihn verharren, es wäre doch ſchon die Zeit zur Anheimfunfft 
zu jpät, er müſte ihnen nach dem Nachtefjen etwas fonderbares verhalten; welches 
fie dann, weil es doch nicht anderft jeyn können, ihme zu gejaget. 

(S. 364.) As num des Nachtmahl und gleich auch der Schlaf-Trund 
vollendet ware, bezahlet D. Faustus den Würth, und batte die Gäft, fie wollten 
ein kleines mit ihm im die nechfte Stuben gehen, ev hätte ihnen was wichtiges 
zu jagen, welches er bißhero maiftens verborgen gehalten, daß treffe num fein 
Heil und Seeligkeit an. Da fie fih nun gant allein in einem Zimmer beyfammen 
befanden, da eröffnete ihnen Faustus, wie daß dieje die letzte Nacht feines Lebens 
jeyn, und der Teuffel ihne als jein mit aignem Blut verfchreibenes Unterpfand 
diefe Nacht hollen werde, fie jollen dahero nicht erjchröden, viel weniger vom 
Bette aufftehen, wann fie einiges gepolter oder ungeftümes Weſen im Hauß hören 
und vernehmen wurden, dann es treffe nur feine Perſon einig und allein an. 
Wie über diefen Bortrag den Herren Studiosis zu Muth gewefen, ift leichtlich 
zuerachten, fie wünjchten fich mehrer als taufend Meil von hinnen zu jeyn, fie 
wuften vor Forcht nicht, was fie jagen oder gedenden follten, nicht defto weniger 
thaten fie D. Fausto, der unterdeffer gleich einem Ohnmächtigen auf die nechite 
Band Hinfande, zufprechen, jo gut fie funten, und bemüheten fi, ihne wider 
aufzurichten und aufzumuntern, aber vergebens. Unterdeſſen hörten fie im Hauß 
ein groffes Polteren, darob fie fih noch mehr entfetzten, und zu einander ſprachen: 
Yaft uns von dannen weichen, damit ums nicht was arges widerfahre, laſſet uns 
zu Bette gehen, wie fie dann auch thaten. Da fie nun dahin gegangen waren, 
kunte feiner aus Forcht und Entjeßen einjchlaffen, zu dem, fo wollten fie doch 
vernehmen, was es für einen Ausgang mit dem D. Fausto nehmen werde, 


(©. 365.) Als nun bald die Mitternacht Stund erichienen, da entftunde 
plößlich ein grofjer ungeftümmer Sturm-Wind, der riffe und tobte, al$ ob er das 
Hauß zu Grund ftoffen wollte, wenn sic!] war nun ängfter und bänger als diefen 
Studenten, fie ſprungen alsbald mit grofjer Forcht aus den Betten, und ver— 
namen furg darauf in der Stuben, in welcher D. Faustus ligen geblieben, ein 
greuliches Ziſchen und Pfeiffen, als ob lautter Schlangen und Nattern zu gegen 
wären, noch mehr aber wurden jo beftürtst, da fie höreten das Pumbern, Stoffen, 
und herum werffen in der Stuben, und den arınfeeligen Faustum Better Mordio 
ſchreyen. Bald darauf hörte man nichts mehr, es vergienge und legte ſich der 
Wind, und wurde alles wider gantz ftil. Kaum hätte es vecht getaget, da waren 
die Studenten auf, und giengen miteinander gang erfchroden in die, Stuben, 
um zu fehen, wo D. Faustus wäre, und was es für ein Bewandtnuß dieje 
Nacht über mit ihme gehabt hätte. Sie famen aber faum dahin, jo jahen fie 
bey Eröffnung der Stuben mit Entfegen, daß die Wend, Tiſch, und Stüle voll 
Bluts waren, ja fie jahen mit Erftaunen, daß das Hirn D. Fausti au den 
Wenden anklebete, die Zähn lagen auf dev Erden, und muften alfo augenfcheinlich 
abnehmen, wie ihn der Teuffel von einer Wand zu der andern müffe gefchlagen 
und gefchmettert haben. Leichtlich ift zu glauben, was ſolches Spectacul für ein 
Entſetzen umter jolhen jungen Leuthen werde verurfachet haben, ſonderlich da fie 


774 2. Fränfel, Neue Beiträge zur Literaturgefchichte der Fauftfabel. 


fur hierauf den elenden Cörper allenthalben im Haufß gefucht, folchen aber zu 
(etst aufferhalb des Hauffes auf einem nahe gelegenen Mifthauffen ligen gefunden, 
der (©. 366) aber gants abjcheulich anzufehen geweſen: Dann es war fein Glied 
am dem ganten Leichnam gant, es jchlotterte und war ab, der Kopf war mitten 
voneinander, und das Hirn war ausgejchüttet, ein folches erbärmliches End hat 
nun genommen vdiefer zamberifche Narr Joannes Faustus. Wie von ihme 
erzehlet Majolus!) in e. 455. et alüi. 

Ein folder zauberifcher Narr ift auch gewejen Christoph Wagner, erjt- 
gedachten Gottlofen Doctoris Fausti gewefter Famulus.” Diefer kam auf eine Zeit 
mit feiner [sie!] Gejellen Joanne de Luna nad Toleto?) in Hifpanien, in ein 
Würths-hauß, da etliche Schwark-Künftler innen waren, und vermeinten, es könte 
feiner im der Welt die Kunst beffer als fie, und da der vornemjte unter ihnen 
gejehen, das Wagner feiner Kunſt und Gaudel-Poffen nur jpottete, gedachte er 
ſich an dem Wagner zurächen, und ihm eines zuverfeten, mimmt demnach ein 
Wächsernes Männlein, welches er im Vorrath bey fih hatte, und fticht es mit 
einer Nadel in ein Aug, daß es alle, fo bey Tiſch ſaſſen, fahen, und jeher! 
augenblicklich verdirbet dem Wagner ein Aug im Kopf, daß das Waffer daraus 
auf den Tiſch tropfete. Darüber dann Wagner fehr ergrimmet und laft ihme 
ein ſtarckes Meffer langen, mit diefem macht er in den Tisch ein Loch, und fraget 
darauf den Schwarg-Künftler, ob er ihm wollte fein Aug wider geben? Der- 
jelbe ſprach nein, ev fönte es nicht thun, wann ev ſchon gerne wollte, es war 
gar heraus. Auf dieſes ließ Wagner ein Höltlein bringen, und ftedt es in dei 
Tiſch, da wuchs ein ſchöne Roſe darauf, die war gantz (©. 367) blutroth. Da 
fragte Wagner den Zauberer noch einmahl, ob er ihm fein Auge wider wollte 
gut machen; wann er kunte? Dev Schwartz-Künſtler jagt nein. Hierauf zuct 
Wagner das Meffer, und hieb die Roſe vom Stengel, augenbliclich fielle den- 
jelben Künſtler der Kopf auf den Tiſch, und fpritte das Blut biß auf Die Dede. 
Die jo darbey jaffen, meineten erftlich, eS wäre ein Schimpf, und batten den 
Wagner, er wolle ihm den Kopf wider auffegen, ehe ex erfalte und verblute, 
aber Wagner jagte, e8 iſt gefchehen um mein Aug und um jenen Kopf. Alſo 
mufte dieſer zauberifche Narr in feinen greulichen Sünden fterben, und zum 
Zeuffel fahren. Wagner aber zog aus der Herberg, und machte fi) aus dem 
Staub, und ließ den Kerl liegen, feine Gefellen und Mit-Künſtler bemüheten fich 
awar, ob ſie ihn könten wider lebendig machen, aber es war umfonft und vergebens ! 

An Parallelen zu bekannten Yauftfabeln bietet ſodann derjelbe re 
1 ©. 357: Ein folder zauberifche Narr ift auch geweft Simon Magnus [sie!].?) 


2) Bat. das Citat umten zur Helenagefchichte (mad) ©. 372). Vielleicht ift 
Simon Majolus gemeint (vgl. oben ©. 764 f.); oder Verwechſelung mit Johann 
Manlius liegt vor, deffen Bericht über Fauſt und Fauſtiana bekannt ift. 

2) ‚Fridericus Schotus Tolet(anus) Jetzt in Paris)‘ evfcheint im 
Titel des Wagnerbuchs von 1593 (Münchener Staatsbibliothef). 

5) 5, 41: zaigt ſich manicher auswendig heilig, umd ift inwendig heilloß, 
zeigt fich. offt einer auswendig ein Simon Petrus, und ift inwendig ein Simon 
Magus (vgl. oben ©. 765; zu Zitho im folgenden ebenda). Ueber Perſönlich— 
feit und Lehre des Simon Magus, die zur Auffaffung als Zauberer führten 
und ihn als älteften Fauſt-Typus binfterlen, handelte am gründlichften Charles 
Thomaſſin, Zeitfehrift „Sphinx“ 17, 1—11, 123—130, 262—274, 357—369. 
Diefe Abhandlung beachtete ebenfo wenig ein Fauftforfcher wie die Thatſache, 
daß in dem altchriftlichen Nomane der (Pſeudo-) Clementinen Simon Magus 
einem Fauſtus fein Aeußeres leiht (vgl. Nösgen, Allgemeine tonjervative Monats— 
ſchrift 51 [1894], 839), 


2. Fränfel, Neue Beiträge zur Piteraturgefchichte der Fauftfabel. 775 


Ein folder wird ſeyn der Antichrift. Ein folcher ift auch geweſen Joannes 
Faustus, der berühmte Schwartfünftler. Ein folcher ift auch gewefen Christoph 
Wagner, fein ſauberer Famulus etc. und unzahlbare mehr. — Ferner ©. 369: 
Der Teufel aber hat nichts, und ift diefen verruchten Schlampen fein Heurath-Gut 
die Armuth, und jo er feinen bethörten zauberifhen Narren etwas spendiret, 
ift felbiges maiftens ein verblendte Sad. Deßgleihen hat gethan der Böhmifche 
Zauberer Zitho, welcher durch deß Teufels Kunft einen Beden 30. Schwein 
verfaufft, und als er folche durch einen Bach getrieben, jaaı anftatt der Schwein 
30. un chüppel daher geihwummen: Rubran. lib. 

©. 372: — de Sag. fol. 472. erzehlet, bo ein Soldat dem Later 
der Urlauterkeit [sic!] dermaffen ergeben wäre, daß ihm fo gar der Teufel in Geftalt 
eines ſchönes Weibesbildts erjchtenen, mit deme er allen Muthwillen getrieben, 
und als er zu morgens glaubte, ev hätte die gantze Nacht eine ſchöne Helena 
bey ſich gehabt, ſo hat er aber wie der Tag angebrochen eine alte, verreckte, und 
bereits halb verfaulte Kuhe in den Armen gefunden.t) 

Im 4 Bande ©. 495 findet fich nachftehender Eingang einer, in der 
Anlage einigermaßen an den Stoff von Goethes „Zauberlehrling“ ?) gemahnenden 
Sefhichte: „Anno 1141. war zu Salerno ein ZTeufels- Banner und Haupt: 
Zauberer, welcher dem Doctor Fauſt gav nichts nachgeben, deffen Nahm war 
Petrus Abailardus,?) wie diefer drey und neuntzig Jahr im feiner Boßheit 
erraichet, da feind ungefähr in feiner Abwefenheit zweh feiner liebſten Endel über 
die verruchte Zauber-Bücher kommen, Frafft deren er jo lange Zeit die hölliſche 
Larven in jeinem Gehorfam hatte, und weil fie der Zauber-Kunſt umerfahren, 
alfo jeind fie beede von den Teuffeln umgebracht worden.“ 

Schlieglih enthält noh Band 5 ©. 338 folgende Kritif dev dem Fauft- 
Thema jo nahe ftehenden Theophilus-Legende: 

Ein anderer fiehet in einer Comödi, wie Theophilus der guoffe Sünder 
GOtt ſamt allen Heiligen verlaugnet, und fih dem Teuffel mit Leib und Seel 
ergeben und ımterfchrieben, jedoch aber von dem Grundgütigen GOtt wiederum 
zu Gnaden an- umd aufgenommen worden. Dieſe Comödi bewegt manchen 
Sünder, daß er mit Bergieffung vieler Zähren ſeuffzet: O mein JEſu! wie 
wahr iſt es, und leider gar zu wahr, daß meine Sünden faſt übertreffen die 
Tropffen des Meers, aber deine Barmhertzigkeit hat bei dir den Vorzug, deine 
Gütigkeit iſt weit gröſſer als deine ſtrenge Gerechtigkeit, dahero verſencke ich mich 
völlig in dero Abgrund etc. Auf ſolche Weiß nun verurſachen die Comödien, 
Tragödien zum öfftern ſehr viel Gutes, ja ſie geben mehrmalen Prediger ab, 
melhe da manchen Leuten im das Hertze veden, und folgfam zu guten umd 
heiligen Gedancken leiten. 


!) Daß der Teufel als Schöner Succubus Soldaten verführt und ſofort danach 
als Satan oder als Nas ericheint, belegt Menzel, Gefchichte der deutſchen Dichtung 
2, 155 dur: Prätorius, Blodsberg ©. 349; derfelbe, Weltbefchreibung 1, 188; 
Happel, relationes curiosae 3,527; vgl. aud) Francisci, Höllifcher Proteus ©. 856. 

2) Wie aud) eine von Delvio (Disquisito magica, lib. II, c. 29, sect. 1) 
bon eimem Studenten in Yöwen (in Cornelius Agrippas Abwesenheit) berichtete. 

+) Der berühmte, durch fein Yiebesverhältnis mit Heloife befonders be- 
fannte Theolog und Scholaftifer Pierre Abelard ftarb allerdings 1142, aber 
63 Jahre alt und zu St. Marcel bei Chalon-ſur-Saône. Daß der fanatifche 
Conlin ihn, fiher auf Grund irgend einer ſtreng-dogmatiſchen Quelle, als Zauberer 
(in Salerno, der Univerfitätsftadt, von wo alle gelehrie Wunderthat ausging) 
betrachten fonnte, lag an dem Banne, den Papſt Innocenz II. und die Concile 
von Soiffons (1121) und Sens (1140) über feine Lehren ausfpraden. 


776 E. Elſter, Bürger und Walther von der Vogelweide. 


Bürger und Walther von der 
Vogelweide. 


Bon Ernſt Elſter in Leipzig. 


Als Bodmer im Jahre 1748 aus der großen Liederhandſchrift C, 
der ſogenannten Maneſſiſchen, ſeine „Proben der alten ſchwäbiſchen 
Poeſie des 13. Jahrhunderts“ herausgab, hielt er es für nötig, in dem 
beigefügten „Gloſſarium“ das Wort „Minne“ zu erklären: „Minne, 
die Liebe, Venus; minnen, lieben; minneklich, allerliebſt; minneber, 
zur Liebe tüchtig.“ Das alte gute Wort war feit dem 16. Jahrhundert 
außer Gebrauch gefommen und wurde erſt Ende des 17. Jahrhunderts 
in gelehrten Streifen wieder befannt, erſt nach Mitte des 18. im großen 
Publifum. Mehr als jene „Proben der alten jchwäbijchen Poeſie“ 
trug hierzu Bodmers „Sammlung von Minnejingen“ bei, deren exjter 
Band zehn Jahre jpäter, 1758, erſchien. Das Verdienst der eigentlichen 
Wiederbelebung des jchönen Wortes erwarben ſich aber die Göttinger 
Dichter, Bürger, Voß, Hölty, Miller 2c., ſeit etwa 1771 (vgl. Heyne 
im Deutjchen Wörterbuch). Daß jie bei Auffrischung von Wort und 
Sache meijt nichts anderes im Sinne hatten, als zu der herrjchenden, 
noch in hoher Geltung jtehenden Bardenpoeſie ein Seitenſtück zu jchaffen, 
beweijt die Notiz, die zweien dieſer Yieder von Bürger im Negijter des 
„Mufenalmanachs“ fin 1773 beigegeben wınde: „Man hat in unferen 
Zeiten, zum Teil mit vielem Glück, den Bardengejang aufgeweckt, dejjen 
ältere Mufter ganzlich verloren gegangen find. Der Berfafjer der beiden 
Gedichte hat verjuchen wollen, ob die Minnelieder, die noch da find, 
auch nicht einen größeren Einfluß auf unjere Poeſie haben könnten, 
als jie bisher gehabt haben.” Die „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“ 
(Seuffert, ©. 604) jprachen jich (am 13. November 1772) über das 
eine der Bürgerfchen Gedichte freundlich aus, wünſchten aber, „daß dieje 
Minnejprache nicht für uns werde, was das Bardenwefen war, bloße 
Dekoration und Mythologie.“ Dieſer Wunfch ging zunächit in Er— 
füllung: die geiftloje Nachbildung der alten Minnepoeſie erfolgte in 


E. Elfter, Bürger und Walther von der VBogelweide. Mel 


größerem Umfange erſt um Jahrzehnte jpäter, im Zeitalter der 
Nomantif. Aber die Bejchaftigung mit den Minnefingern ließ doch 
deutlich wahrnehmbare und zum Teil höchſt erfreuliche Spuren, ins- 
bejondere in Bürgers Gedichten zurück. Mir ift nicht bekannt, daß 
hierüber bereits brauchbare Beobachtungen vorgebracht jeien. 

Denn was uns ©. Bonet Maury in jeinem Buche „G. A. Burger 
et les origines anglaises de la ballade litteraire en Allemagne“ 
(Baris, 1889) auf ©. 102 ff. berichtet, iſt nicht viel wert. Er jchreibt: 
„Ramene a l’Etude des poètes allemands par le mouvement 
du ‚Hain‘ de Goettingue, Bürger a puise dans les ‚Minnesinger‘ 
l’inspiration de deux charmantes po&sies: le Chantre d’amour 
(No.13) et le Chant d’hiver’ (No. 16).* Er vergleicht dann die erjten 
zwei Strophen des „Winterliedes“ mit Walther (Yachmann 114,, ff.) 
Uns hät der winter kalt und ander nöt etc., wobei er den Text 
ohne genaueres Gitat nach Bodmer (Band 1, ©. 138P) und nicht 
ganz volljtändig anführt. Aber von Aehnlichfeit des Gedanfens findet 
jich hier Feine Spur; nur die Anfangsworte flingen etwas ähnlich: 


Uns hät der winter kalt und ander nöt vil getän ze leide... 


Bei Bürger: 
Der Winter hat mit Falter Hand die Pappel abgelaubt ... 

Aber jeder Berftändige jieht, daß Parallelen wie dieje wertlos 
jind. Und in betreff des andern der beiden von Maury erwähnten 
Gedichte jagt bereits Arnold Berger (Birrgers Gedichte, Yeipzig o. J. 
[1891] ©. 403 F.), der übrigens Maurys Werk nicht gekannt zu 
haben jcheint, daß das „mit englijcher Sentimentalität gewürzte, im 
wejentlichen anafreontijche Gedicht“ Feinerlei „Beziehungen zu den 
Minneſängern“ aufweije. 

In der Anmerkung, wo Maury Bodmers Sammlung unter dem 
vierfach irrigen Titel „Rüdger Manessen, Sammlungen von Minne- 
singer. Zyrich 1758, 2 voi. in 8%* anführt, jchreibt er ferner: 
„A comparer ‚Uf dem anger stuont ein boum‘ avec le no 24 
‚Abend Phantasie eines Liebenden‘. Comparer ‚Got in vier 
Elementen‘ avec le no 36 ‚Die Elemente‘“ Auch bier fehlen die 
genaueren Gitate. Die erſtere dieſer Strophen Walthers (Yachmann I4,,, 
Bodmer ©. 109°) gehört zu einem der befannteften Yieder des Dichters: 
Dö der sumer komen was; wie man diejes Yied aber zu Bürgers 
„Abendphantaſie“ im Beziehung bringen kann, iſt mir geradezu un— 
verjtändlich. Das zweite Gedicht, das Bodmer (©. 134%) nach der 
Handjchrift mit unter denen Walthers abdrucdt, rührt nicht von dieſem 
her (vgl. Lachmann, 5. Ausgabe, Berlin 1875, ©. XID; es ift jchlecht 


778 E. Eljter, Bürger und Walther von der Vogelweide. 


überliefert; mit Bürgers Gedicht, dem es ähneln joll, hat es wiederum 
gar nichts gemein; der Anfang lautet mur: 


Got in vier elementen Sich erscheinet, 


und die Elemente hier und dort bei Bürger bringen fir Maury eine 
genügende Beziehung zuftande. Das iſt alles, was er zu jagen hat, 
und es ijt alles hinfällig. 


Dir find in Bürgers Gedichten einige Anklänge an Walther 
aufgejtoßen, die faum auf Zufall beruhen können, und da ſie eins jeiner 
berühmtejten Gedichte betreffen, verdienen jie vielleicht hiev erwähnt zu 
werden. Die betreffenden Strophen find in der älteren Sammlung 
Bodmers, den „Proben der alten jchwäbijchen Poeſie“ (1748) nicht 
enthalten und fünnen daher Bürger nur aus den „Minnefingern“ (1758) 
befannt geworden jein. Ich habe eins der beiten Molly-Vieder Bürgers 
im Auge, „Das Mädel, das ich meine“, und muß faft meiner 
Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß bisher meines Wifjens 
niemand, auch nicht Sauer und Berger in ihren wertvollen Ausgaben, 
auf die Nehnlichkeiten hingewiejen haben, die diejes Gedicht mit Walthers 
„Si wundervoll gemachet wip“ (53,,) erkennen läßt. Bürger fonnte 
es bei Bodmer 1, 115” finden. In beiden Fällen werden die Neize 
der Schönen im einzelmen angeführt: Walther nennt Wangen, Mund, 
Hals, Hände, Füße, verrät mit jchalfhaften Zagen, daß er fie jogar 
ganz entblößt gejehen habe, als jie aus dem Bade jtieg, fommt dann 
auf ihr Haupt zurück: es ift so wünnenrich, als ez min himel 
welle sin, und ex feiert die Sterne, die ihm aus diefem Simmel 
leuchten. Bürger erwähnt Augen, Wange, Mund, Haare, die Stimme, 
die weiße Bruft, den jchlanfen Wuchs, und endlich die engelfvomme 
reine Seele. Vieſen Aehnlichfeiten des Ganzen braucht man an jich 
noch feine große Bedeutung beizumeljen: das Thema beider Gedichte 
ift oft behandelt und variiert worden, und es fanı wohl, ohne daß eine 
litevarifche Beeinflufjung vorläge, jeden Tag wieder ein Dichter auf 
denjelben Gedanfen verfallen. Auch liegt es nahe, daß der Schluß 
des Gedichtes dann wie bei Walther und Bürger der heißen Sehnjucht 
nach dem Vollbeſitz jolch anmutiger Neize Ausdruc verleihe. Anders 
iteht es aber, wenn wir willen, daß Bürger den Schäßen der alten 
Minnepoefie mit "Fleiß und Eifer nachgrub; und ausschlaggebend jcheint 
miv eine Stelle zu jein; Walther jchreibt (ich ceitieve nach Bodmer): 


Got hat ir vvengel hohen flis 
Er streich so türe varvve dar 
So reine rot so reine vvis 
Da roeseloht da lilien var. 


E. Elfter, Bürger und Walther von der Vogelweide. 179 


Und Bürger (Sauer, ©. 76): 
Wer hat das Rot auf Weiß gemalt, 
Das von des Mädels Wange ftrahlt ? — 
Der liebe Gott! der hat’s gethan 
Der Pfirfichblüte malen kann; ꝛc. 
Dieje Aehnlichfeit, meine ich, wird nicht auf Zufall beruhen! 
Es ift zwar richtig, daß Bürger den lieben Gott jehr viel in feinen 
Gedichten nennt, aber der Gedanke, ihn gerade als den Schöpfer all 
der anmutigen Eigenschaften der Schönen hinzuftellen, liegt nicht jo 
ganz nahe. Die Stelle bei Walther macht auf Gefühl und Phantaſie 
Eindrud, man vergißt jie jo leicht nicht wieder. Ich glaube, ein jeder 
von uns muß durch die zarte Wendung angenehm berührt worden jein; 
dadurch daß der liebe Gott ſich ausdrüclich bemüht, die Schöne jo 
lieblich, wie er's nur fan, zu jchaffen, gewinnen wir von ihren Reizen 
eine bejonders hohe Meinung. Und gerade Bürger, der durch veligiöfe 
Züge feinen Viebesliedern oft eine jo rührende Innigkeit verleiht (man 
vergleiche „Trautel“ u. v. a.), dürfte von jener Stelle ergriffen worden 
jein. Da nun bei Walther nur in einer Strophe Gott als der Schöpfer 
diejes weiblichen Meeifterjtiickes genannt wird, bei Bürger aber faſt in 
allen, jo möchte ich die jchöne Wendung des älteren Dichters als den 
Keim betrachten, der in der Seele des jüngeren Wurzel gejchlagen habe. 
Es fommt noch eine Stleinigfeit hinzu. Im jelben Jahre 1776 
jchrieb Bürger die berühmte „Elegie. Als Molly jich losreißen 
wollte“. Darin finden ſich (Sauer ©. 98, Berger ©. 115) die 
Worte: 
Andre mögen andre loben 
Und zu Engeln fie erhöhn! 
Mir von unten auf bis oben, 
Dünkt wie fie nicht Eine ſchön. 
Auch dazu bietet das fragliche Gedicht Walthers wiederum eine Parallele 
(Bodmer 118»): 


Gerne ich allen dienen sol 

Doch han ich mir dise us erkorn 

Ein ander vveis die sinen vvol 

Die lob er ane minen zorn Hab im vvise und vvort 
Mit mir gemeine lob ich hie so lob er dort 


Auch diejen Anklang darf man jchwerlich dem Zufall beimejjen, und 
jo fommen jchlieglich jo vielerlei Züge zujammen, daß der Wahr- 
jcheinlichfeitsbeweis erbracht jein dürfte. 

Blättert man nun ein wenig weiter in Bodmers Sammlung, jo 
jtößt man auf ein allbefanntes Yied Walthers, das zu Bürgers „Minne— 
lied“ oder „Winterlied“ (Sauer ©. 52, Berger, ©. 42) auch auf- 


1780 E. Elfter, Bürger ımd Walther von der Vogelweide. 


fällige Beziehungen aufweilt und jedesfalls größere, als das von Maury 
angeführte Gedicht — ich meine das Lied (Lachmann 45,;,, Bodmer 
©. 116%): 

Sö die bluomen üz dem grase dringent 

same sie lachen gegen der spilden sunnen ete. 


Lenz und Frauenreiz jind hier verglichen, und dem Letzteren wird der 
Preis erteilt; genau jo bei Bürger. Walther jchreibt: 

Der meie bringet uns al sin vvunder 

Was ist da so vvunnekliches under 

Als ir vil minneklicher lib 

Wir lassen alle bluomen stan und kapfen an das vverde vvib 


Und bei Bürger lejen wir: 
Was kümmert mich die Nachtigall 
Im aufgeblühten Hain ? 
Mein Liebehen trillert hundertmal 
So ſüß und filberrein ; 
Ihr Atem ift wie Frühlingsluft, 
Erfüllt mit Hyacinthenduft. 


D Mai, was frag’ ich viel nach dir? 

Der Frühling lebt und webt in ihr. 
Auch dieje Uebereinftimmungen können jchwerlich dem Zufall zugejchrieben 
werden, jie zeigen uns den Wiederbeleber der „Minnepvefie“ in unverfenn- 
barer Abhängigkeit von dem erſten Meifter dieſer älteren Kumft. Und 
da nun beide Gedichte, „Das Mädel, das ich meine“ und das „Winter- 
lied“, zu den beiten Stücken der Yyrif Bürgers gehören, jo jehen wir, 
daß diefe „Minnejprache“ für unſre Boefie in der That zumächjt nicht 
das geworden ift, „was das Bardenwejen war: bloße Dekoration und 
Mythologie,“ jondern vielmehr ein köſtlicher Quell der Verjüngung. 

Ich zweifle nicht, daß jich diefe Aufjtellungen noch leicht erweitern 
liegen; im den verjchiedenen „Minneliedern“ Bürgers finden jich Motive 
und Wendungen, die bei den mittelhochdeutjchen Dichtern gang und gäbe 
waren, wenn fie auch bei ihm zum Teil mit Zügen der. Anafreontif 
merkwürdig vermijcht erſcheinen. 

Wie in Bürgers Gedichten ſchauen in denen ſeiner Mitſtrebenden 
Gedanken und Ausdrücke Walthers und anderer Minnefinger wie freund— 
liche Blumen an allen Eden und Enden hervor. Hölty gibt in jeinem 
„Minnelied“ (Halm, ©. 97 und 150) von dem eben erwähnten Gedichte 
„no die bluomen üz dem grase dringent“ eine freie Ueberſetzung: 

Es ift ein halbes Himmelveich, 
Wenn Paradiejeshlumen gleich 
Aus Klee die Blumen dringen... 


E. Elfter, Bürger und Walther von der Vogelweide. 781 


Die Schlußpointe der zweiten Strophe Walthers, die Bürger mur leife 
nachbildete, nimmt ex ohne weiteres hinüber: 

Wir laffen alle Blumen ftehn, 

Das holde Weibchen anzufehn ... 
Wahrend Hölty nichts von jeiner Anlehnung an den alten Meiſter 
verrät, geht oh. Martin Miller ehrlicher zu Werke: zu feiner 
Verballhornung von Walthers „Under der linden“ fügt ex nach dem 
Titel „Lied eines Mädchens“ (Gedichte, Ulm 1783, ©. 143) Hinzu: 
„Nach Herin Walther von der WVogelweide. Siehe Sammlung von 
Minnefingern I. Teil ©. 113. Für die Art feiner Umbildung ift 
die frei hinzugedichtete Anfangsjtrophe leider charakteriſtiſch: 

Ein ſchöner, junger Rittersmann 

Schleiht mir den ganzen Tag, 

Bom allerfrühften Morgen an 

Bis an den Abend, nad. 
Und es dauert eine ganze Weile, bis Walthers Worte, denen auch das 
fröhliche „tandaradei“ genommen ift, jiegreich durchdringen. Miller 
gibt von ©. 129 an eine ganze Neihe von Nachbildungen der älteren 
Lyrik, und von Wert und Intereſſe ift uns insbejondere eine Bemerkung, 
die er im Negifter (©. 471) Hinzufügt. Ex jchreibt: 

„Man erlaube mir von diefem und den folgenden wenigen Minneliedern 
em paar Worte! Bürger, Hahn, Hölty, Voß umd ich fingen an, um die 
damalige Zeit [d. h. 1772] die Minnefinger gemeinfchaftlih zu leſen und zu 
jtudieren. Boll von der Einfalt und Süffigfeit diefer Sänger, ganz im ihre 
Zeiten zurückgezaubert, verfuchten wirs, ihnen etliche Lieder nachzuſingen, umd 
hatten dabey die Abficht, zum Studium diefer Denkmale deutſcher Sichtkunſt 
mehrere zu ermuntern, umd fie auf wahre Simplicität und auch verjchiedne alte 
gute Wörter aufmerkfam zu machen, nicht aber, wie nachher Ein Necenjent dem 
andern nachſchwatzte, leeren Klingklang, defjen ohnedieß ſchon genug ift, noch 
mehr in Gang zu bringen. — Aber welche Abficht wird nicht von dem Troß 
gewöhnlicher Necenjenten verkannt!“ 


Es liegt nicht in meiner Abjicht, eine auch nur annähernd 
erjchöpfende Unterfuchung über den Einfluß Walthers und andrer 
„Minnefinger“ auf die deutjche Lyrik der fiebziger Jahre des 18. Jahr— 
Hunderts hier vorzulegen. Vielmehr wollte ich nur ein paar Haupt- 
punfte herausgreifen, die ich mir bei erneutem Durchblättern der 
Gedichte Bürgers, Millers u. j. w. fürmlich aufdrängten. Die Jenaiſche 
Difjertation von Rudolf Sokolowsky „Das Aufleben des altdeutjchen 
Minneſangs in der neueren deutjchen Litteratur“ (Jena 1891), die mir 
erſt nach Niederfchrift diefer Zeilen zu Gefichte gefommen ift, umfaßt 
in dem zur Zeit vorliegenden 1. Stapitel nur die Zeit bis 1759 und 
berührt die Lyrik dev Göttinger nicht. Die Fortjegung feiner Arbeit, 
die Sofolowsfy in einer Schlußnote bald zu liefern verjprochen hat, 
jcheint bisher nicht veröffentlicht zu jein. 


782 €. Horner, Das Aufkommen des engliihen Gefhmades in Wien. 


Dus Aufkommen des englilchen 
Geſchmackes in Wien und Ayrenhoffs 
Trauerſpiel Bleopatra und Antonins,) 

Von Emil Horner in Wien. 


Schluß.) 


Ayrenhoffs Stüd verdient eine nähere Betrachtung. Er gründet 
e3 ausschließlich auf die Erzählung des Plutarch. Bon den zahlreichen 
Vorgängern in der Bearbeitung des Stoffes waren ihm, wie ev (in der 
Borrede) angibt, bloß vier befannt: Shafejpeare, Ya Chapelle, Yohen- 
jtein und Dryden. Des leßteren Essay of Dramatick poesie war 
Ayrenhoff gewiß aus der Ueberjegung befannt, die Leſſing in das 
vierte Stück jeiner theatralifchen Bibliothef (1758) eingerückt Hatte. 
Die projeftierte Fortſetzung jeiner Abhandlung über Dryden und feine 
dramatifchen Werke, worin Yeljing auch von dem Drama All for love 
hatte handeln müſſen, mußte leider wegen des Gingehens der Bibliothef 
unterbleiben. Dieſes Stüd, das jelbjt wieder eine Nachahmung von 
Shafejpeares Antonius und Kleopatra ijt, las Ayrenhoff wohl nur 
in der Ueberjegung, möglicherweife in jener, die furz zuvor (1781) 
im erſten Band der neuen Schaubühne dev Ausländer zu Mannheim 
erjchienen war. Dagegen jcheint er vom der legten deutſchen 
Benrbeitung, die der Dresdener Dichter Yeopold Neumann mit dem 
Stleopatra-Stoffe in jeinem Duodrama (1780) vorgenommen hatte, 
feine Kenntnis bejejjen zu haben. 

Unter den vier Slleopatra-Dichtern, die Ayrenhoff nennt, ge- 
hören drei der franzöfierenden Nichtung an: Ya Chapelle, selbft ein 
Franzoſe, Yohenjtein, der Nachahmer der tragedie classique, und 
Dryden, wiewohl Engländer, doch gegenüber Shafejpeare Verfechter der 
Korrektheit im Drama. Gleichwohl hat Ayrenhoffs Drama mit dem 
jeiner Vorgänger feine andere Berührung als jene, die jich durch 
die gemeinfame Duelle von jelbjt ergibt. Die Urjache ift in der 


) Vgl. oben ©. 556. 


E. Horner, Das Auffommen des englischen Gejchmades in Wien. 783 


verjchiedenen Auffafjung dev weiblichen Hauptfigur zu juchen. Ayren— 
hoff ſelbſt gejteht, daß ex eine gewijje Art von Mitleid und Liebe 
für die arme Stleopatra im Herzen trage; dieſe Gefühle fand ex in 
den Dramen jeiner Vorgänger nicht befriedigt. Bei diejen war 
Stleopatra im Gegenjage zu der veinen Octavia immer als Ver— 
führerin und ntriguantin gezeichnet. „Arme Kleopatra,“ ruft er aus, 
„du jchönjtes, liebenswürdigſtes und unglüclichjtes Weib des Alter- 
tums! Wie graufam ift man mit div verfahren! Nicht genug, daß 
dein häßlicher Zeitgenoſſe, der arglijtige und feige Octavius, dir 
Thron und Yeben geraubet — auch die Poeten der jpäten Nachwelt 
jtellen Dich noch auf öffentlicher Bühne als die Schande deines 
Gejchlechtes vor!“ Den einzigen Ya Chapelle etwa ausgenommen, 
dejjen Kleopatra jich noch in einer Geſellſchaft gejitteter Yeute zeigen 
dürfe: aber auch ev bleibe in Bezug auf Intereſſe und tragijches 
Mitleid Hinter ihrem unfterblichen Biographen weit zurück. Alſo um 
eine Rettung der Stleopatra iſt es Ayrenhoff zu thun; Nettungen 
verfannter Größen des Altertums nehmen in der Aufklärungsliteratur, 
jolche antiker Srauengejtalten jpeciell im  deutjchen Merkur den 
breitejten Naum ein. Weit entfernt von dem Zugeſtändniſſe, er 
habe, von jeinem Dichterrechte Gebrauch machend, den Charakter der 
hiſtoriſchen Kleopatra nach jeinen poetijchen Abdichten umgeftaltet, exhebt 
er vielmehr den Anſpruch auf eine gefchichtlich treue Darftellung. Und 
er wählt den Plutarch zum Gewährsmann, der freilich von einer jo 
flecfenlojen Stleopatra nichts weiß ; aber was nicht darinnen fteht, das 
fommentiert Ayrenhoff durch jpisfindige Argumentationen hinein. Noch 
17 Jahre jpäter, als Kotzebue in jeiner Octavia die ägyptifche Königin - 
als treffliche Kontrajtfigur zu jeiner edlen Titelheldin auf die Bühne 
brachte, beſchwor er den ganzen Zorn ihres ritterlichen Verteidigers 
gegen ich herauf; und Ayrenhoff jchrieb eine geharnifchte „Ehrenvettung 
der Königin Kleopatra,“ worin er Kotzebue geradezu der Gejchichts- 
fälſchung bejchuldigte. Aber nicht nur die Hauptfigur, deren Namen 
mit Abjicht jchon im Titel vorangeftellt ift, auch die übrigen Charaktere 
jind jeiner eigenen Angabe zufolge hie und da behufs Erhöhung des 
snterejjes noch um einen Grad veredelt. Man weiß, was eine folche 
Beredlung zu bedeuten hat. Die Perſonen nennen den Superlativ 
aller jchönen Tugenden ihr Eigen: Großmut, Opferfreudigkeit, Yiebe 
und Freundſchaft. Aber jtatt der beabjichtigten Erhöhung des Intereſſes 
tritt eine Verringerung der menjchlichen Teilnahme an ihren Schicjalen 
ein, und falte Bewunderung ift das Höchſte, was diefe Engel in den 
Zuſchauer erregen können. 

Der Schwerpunkt des Dramas iſt, wie hervorgehoben, in den 
Charakter der Kleopatra verlegt; hier zeigt ſich der Gegenſatz gegen alle, 

Euphorion II. 51 


784 ©. Horner, Das Anfflommen des englifchen Geſchmackes in Wien. 


die nicht der orthodoren Richtung der tragedie classique angehören, 
am deutlichjten,; Shafeipeare und jeine deutjchen Nachahmer, in erſter 
Linie der Dichter des Götz, jollten jich darliber belehren lajjen, wie man 
ein regelmäßiges Stück jchreibe. Bei dem Briten iſt Kleopatra (wie 
die Adelheid im Götz) ein dämoniſches Weib, dejjen größter Neiz gerade 
in jeinen Fehlern beſteht; die Treulojigfeit des Anton gegen jeine vecht- 
mäßige, jittlich vollfommene, doch eben darum aller Anziehungskraft bare 
Gattin, ift durch den Charakter der Kleopatra aufs glüclichjte motiviert. 
Die Later der einen, wenngleich ungeheuer, bleiben doch immer die 
eines Menjchen, die Tugenden der andern dagegen gehen als die eines 
Engels über menjchliche Würdigung hinaus. Bei Ayrenhoff ift alles 
im Charakter der Heldin getilgt, was den Adel der Seele entjtellen 
könnte; nur ein Gefühl beherrjcht je, die Yiebe, d. h. im Sinne der 
tragedie classique ein erhabenes, aller finnlichen Elemente ermangelndes 
Gefühl. Die hiftorifchen Fakten, die fie belajten, jtellen jich im Drama 
ganz anders dar: Daraus, daß bereits lange vor Anton Julins Caeſar 
in ihren Armen geruht (Stleopatra aljo jchon in jehr geveiftem Alter 
jteht) macht Shafejpeare fein Hehl, Ayrenhoff übergeht den Umſtand 
im Stüce, entjcehuldigt ihn aber in der Ehrenvettung mit den freien 
ägyptifchen Sitten. Die Niederlage von Aetium, durch vorzeitige Flucht 
herbeigeführt, fällt nicht ihr zur Laſt, jondern ihren Yeuten, die einen 
Wink faljch deuteten; und nicht fie jelbjt, jondern ein grundloſes Gerücht 
treibt den Anton durch die Nachricht von ihrem Selbjtmord in den Tod. 
So geht der Kontraſt zwijchen den beiden Frauenrollen verloren; jtatt des 
reizvollen Zuſammenklingens zweier verjchiedener Inſtrumente jchläfern 
uns zwei auf den gleichen Ton geftimmte ein. Wenn Ayrenhoff die 
beiden Nivalinnen in der Yiebe zu Anton auf einander treffen läßt, jo 
leitet ihn ein guter Inſtinkt für das dramatiſch Wirkfame, aber er 
vergißt nur, daß ex feine Gegenjäge mehr vor jich hat; und jo erhalten 
wir ſtatt einer Eiferjuchtsjcene voll Haß und Yeidenjchaft bloß einen 
Wettjtreit hochherziger Yiebe. Octavias Charakter ijt nämlich, wo möglich, 
noch um einige Grade gehoben. Ihre Liebe leiftet das jchiev Unmögliche, 
jich auch auf jene zu erſtrecken, die ihr den Gatten entfvemdet hat. 
Ayrenhoff mochte jelbjt gefühlt haben, daß er mit diefer Verflachung 
der Gegenfüße aus dem Tone der tragedie classique ſtrengſter 
Dbjervanz herausgefallen ſei; ex trug darım fin einen neuen Konflikt 
Sorge, den er bei jeinen Vorgängern nicht fand: ev bringt die Kinder 
dev Octavia und des Anton auf die Scene. Detavia ijt nicht bloß 
Schweiter und Gattin, jondern auch Mutter; Anton nicht nur der 
Mann zwijchen zwei rauen, deren eine jeine Gattin iſt, Jondern auch 
Vater. Dieje Berinnerlichung des Konfliftes ijt leider bejjev gemeint, 
als in der Aufführung gelungen. Die Scene, da Octavia gleich Medea 





E. Horner, Das Aufkommen des englifchen Gefchmades in Wien. 785 


durch den Anblic der Kinder die erlojchene Yiebe des Gatten aufs 
neue zu entflammen jucht, thut wegen des gehobenen Pathos der Nede 
nicht die gewünfchte Wirkung ; echte Naturlaute jind der Alerandriner- 
tragödie fremd, die jich viel leichter mit Neflerionen über Gefühle, als 
mit dem Ausdruce wirklicher Empfindung befaßt. Erſt Kotzebue erfannte, 
danf jeinem ausgebildeten Sinn für theatralijch wirkſame Situationen, 
was jich aus Kinderjcenen auf der Bühne machen laßt. In jeiner 1800 
im Wiener Nationaltheater aufgeführten Tragödie Octavia, die jich, wie 
erwähnt, in Bezug auf den Charakter der Kleopatra am weitejten von 
Ayrenhoffs Drama entfernt, nahm ex doch drei Scenen aus unſerem 
Stüde auf (II 4—6 bei Ayrenhoff, II 10 und 11 bei Kotzebue): 
Octavia, da ihre Bitten bei Anton nichts vermögen (1), gewinnt ihn 
durch die Vorführung der Kinder (2), die fich bei Kotzebue zu einer 
äußerſt rührenden Familienſcene gejtaltet; und nun tritt Kleopatra 
zwijchen die Ehegatten (3). Nirgends zeigt ich dev Unterjchied zwijchen 
dem Schüler der Franzoſen und dem zwijchen dieſen und den Engländern 
vermittelnden Kotzebue deutlicher als in diefer Scene: bei Ayrenhoff 
eine bewundernswerte Gelajjenheit der Kleopatra: „Wie jehr, Octavia, 
bewundr’ ich dein Betragen!“ Bei Kotzebue jtürzt ſie voll Wut auf 
die Nebenbuhlerin los, um fie mit dem Dolche zu Durchbohren. In 
der Folge entwickelt fich die Handlung in beiden Stücken ähnlich: hier 
wie dort gewinnt Kleopatra den Anton wieder zurück. Dagegen tritt 
Detavia bei Ayrenhoff immer mehr bei Seite, in den Schlußjcenen 
ijt von ihr nicht mehr die Mede. Kotzebues Detavia überragt an 
Bedeutung für die Handlung ihre Nivalin, wie jie denn in dem nach 
der Schablone des bürgerlichen Familiendramas ausgeführten Schluß 
noch einmal als Gegenjaß zur Buhlerin hevvortritt. 

Hinter den weiblichen Figuren treten die männlichen jtark zurück. 
Ein Charakter wie Anton, der zwifchen zwei hochherzige rauen gejtellt, 
bald dieſer bald jener jeine Neigung zumendet, müßte, wie Kotzebue 
es gethan hat, von vorneherein als moralijcher Schwächling gezeichnet 
jein, joll ex glaubhaft erjcheinen. Bei Ayrenhoff haben wir es bloß 
mit dem Typus des jugendlichen Yiebhabers zu thun; in dem Bejtreben, 
ihn zu heben, laßt ihn der Dichter indes die höchjte Unmoral predigen. 
Die Yiebe entjchuldigt nicht minder feine Schlaffheit wie. den Treubruch 
an der Schweiter jeines einjtigen Freundes; umgekehrt beginge Anton 
einen wirklichen Treubruch gegen Kleopatra, wenn er jie um jeines 
Weibes willen verlafjen wollte. An jeinev Seite ſteht der Feldherr 
Lucinius, der umentbehrliche Vertraute, der an Bedeutung den Anton 
faſt überragt; rauher, doch tüchtigev Art ift er in deutlichem Gegenjaß 
zu dem eyniſchen Enobarbus bei Shafejpeare gezeichnet. Der einzige 
Böſewicht im Stücke ift Oetavian, aber man hört bloß von ihm Durch 

51* 


786 E. Horner, Das Aufkommen des engliichen Geſchmackes in Wien. 


Briefe, die ev jendet, bis ex in der legten Scene Kleopatra perjünlich 
gegenübertritt; die tragedie classique liebt es, den Intriguanten 
zuleßt zum Zeugen des angerichteten Unheils auf die Bühne zu führen, 
damit ex jelbit die ganze Nuchlofigteit jeiner That erfenne. So endet 
denn auch Stleopatra vor jeinen Augen, eben jo qroß im Tode als jie 
im Leben gewejen war. 

Diejes antiſhakeſpeariſche Stücd dem Shafejpeare-lleberjeger 
Wieland zu widmen beging Ayrenhoff die Ungejchielichfeit. Denn ihm 
ſchien es ausgemacht, daß jeder Schäßer der tragedie classique, ein- 
jeitig wie ex jelbjt, zugleich Gegner des britifchen Dichters jein müſſe. 
Die Berlegenheit, die ev Wieland hiedurch bereitete, fonnte nicht größer 
jein. Erklärte er doch in dev Widmungsjchrift voll grimmiger Verachtung, 
auf den Beifall der drei großen Haufen der Zufchauer, Dichter und 
Stunftrichter jamt Schaufpielern gerne verzichten zu wollen, mutete 
aljo dem vorjichtigen Wieland allen Ernſtes zu, jich für den tragischen 
Berjuch eines mit allen maßgebenden Faktoren der literarijchen Welt 
zerfallenen Autors mit Gefährdung jeines eigenen Nenommes einzufegen. 
Und welche Unermüdlichkeit legt Ayrenhoff im Ausjpüren neuer Argumente 
an den Tag, die jich etwa zu meuen Anflagen gegen die drei Haufen 
formulieren liegen! Gegen die Ungeheuer Shafejpeares eifert ex mit 
einer jeit der Fehde mit Schinf nur noch gejteigerten Heftigkeit und 
laßt an jeinen Schülern fein gutes Haar. Wenn er von dem Götz 
von Berlichingen meint, daß er jedes Meiſterſtück des göttlichen 
Shafejpeare aufwiege, jo ijt dies in Ayrenhoffs Mund nichts weniger 
als ein Yob, jondern genau das, was Friedrich der Große unverblümt 
mit der „abjcheulichen Nachahmung jener jchlechten englijchen Stücke“ 
gemeint hatte. Zwar die Yeiden Werthers, führt Ayrenhoff weiter 
aus, erheben Goethe in den Nang unjerer beiten Schriftjteller, aber 
unmöglich ijt es, jeinen Theatergeſchmack, feine Bühnenftüce gutzuheißen, 
jo viel einzelnes Schöne auch in ihnen zu finden ift. Daß er auf 
dieje Weije auch in das gute Einvernehmen Wielands mit Goethe mit 
jeiner zufahrenden Grobheit hineintappte, das allein hatte ihm Wielands 
Freundſchaft verfcherzen müfjen. Aber noch mehr. Ex ließ durchblicken, 
daß Wieland ſelbſt in jener Eigenfchaft als Herausgeber des Merkurs 
und mit ihm die Patrone der ſonſt vorzüglichen Yeipziger und Berliner 
Bibliothefen an der Berwilderung des Parnaſſes Schuld trüigen, weil 
jie der neuen Afterfritif nicht energijch genug entgegengearbeitet hätten; 
jpeciell die Allgemeine Deutjche Bibliothek hatte durch ihre faſt immer 
abfallige Beurteilung der Ayrenhoffjchen Stücke jeine ganze Indignation 
gegen fich heraufbejchtworen ; ihre Theaterkritifen nennt er die unrichtigſten, 
die in dieſem troß allem empfehlenswerten Journale zu finden wären, 
unbegreiflich, da doch ihr Herausgeber jelbjt einmal eine jehr qute 


E. Horner, Das Auffommen des englischen Gejchmades in Wien. 787 


Abhandlung über das Trauerjpiel gejchrieben. indem er jchließlich 
in jeinem Nejume allev Hoffnung entjagt, daß von jolchen Mesculapen 
die Heilung der tödlich erfranften Iheatermufe zu gewärtigen jei, jcheint 
er nicht einmal das Verlegende zu fühlen, das darin für Wieland 
lag, der doch eben einen Nettungsverjuch unternommen hatte. Selbjt 
der Appell an den Kaiſer, der noch in dem Schreiben an Yamberg jo 
zuverfichtlich geflungen hatte, ijt in weit gedämpfteren Tone gehalten; 
habe Joſeph auch Geſchmack und Batriotismus genug, zu einer Theater- 
veform die Hand zu bieten, jo jei doch die Berderbnis beveits zu weit 
gediehen, als daß man noch in diefem Jahrhunderte auf eine Wendung 
zum Beljern vechnen dürfte. Das Gute, was er noch Schinf gegenüber 
zur Verteidigung des Theaterausſchuſſes vorgebracht hatte, widerruft 
ex bier bereits, wie ex nachher in den italienischen Briefen auch dor 
den heftigſten Angriffen auf die Regie nicht mehr zurückſcheut. Wieder 
nimmt Ayrenhoff Abjchied von dev Bühne, diesmal fin alle Zeit, um 
in der Folge feinen Entſchluß — wieder zu umgehen. Sollte man 
indes finden, jo jchließt Ayrenhoff jeine Herzensergießung mit einem 
Komplimente an Wieland, daß er bejjer ohne dieje Kleopatra ſich vom 
Theater beurlaubt hätte, jo wijje er doch dem günftigen Umjtande 
Danf, der ihm zum Ausdruck feiner Verehrung für einen Mann Ge- 
legenheit geboten, dejjen Schriften ihm jeit nunmehr zwanzig „jahren das 
mannigfachjte Vergnügen bereitet hätten. 

Im Intereſſe jeines literarischen Anjehens mußte Wieland jo 
vajch als möglich gegen die ihm aufgedrängten reaftionären Anfichten 
Verwahrung einlegen. Ende 1783 erſchien Ayrenhoffs Trauerſpiel 
und jchon das nächjte Quartal des Deutjchen Merkur (März 1784) 
brachte die entjchiedene Zurückweiſung des gewidmeten Stüctes, abermals 
in einem „Brief an eimen jungen Dichter” (dem dritten), wie um 
abjichtlich zu betonen, daß der fünfzigjährige Ayrenhoff, deſſen beite 
Zeit längft hinter ihm lag, der Adrefjat nicht war, jondern dev wirklich 
„unge“ Dichter erſt noch durch einen neuen Brief ermittelt werden 
müßte. Der Eingang zeigt den Schreiber, wie immer, von jeiner 
liebenswinrdigjten Seite. Jedes Nein Wielands klingt fait immer wie 
‚sa, bevor es ganz heraus ift. Er zeigt fich angenehm überraſcht, 
daß ein patriotifcher Mann jo vajch jeiner Aufforderung nachgefommen 
jei; ein Dichter, der fich noch dazu durch eine Neihe von Stücen, ex 
nennt den Hermann, Aurel und gleichjam als Gipfel der Klimar „den 
auf unjeren Schaubühnen jo befannten“ Boftzug, jchon jeit 15 Jahren 
(aljo jeit dem Erſcheinen des legteren) jeinen Rang unter den Schaujpiel- 
Dichten der Zeit erworben habe. Aber er benimmt jeinem Yobe das 
Beite, indem er es auf den Dilettanten’ bejchräntt; was einem jolchen 
möglich, habe Ayrenhoff gethan; und ev wandelt es vollends in eine 


758 E. Horner, Das Aufkommen des englifchen Geſchmackes in Wien. 


faum mehr verhüllte Ablehnung um, wem er Ayrenhoffs Verdienſt 
bloß darin exblict, daß er wieder die Aufmerfjamfeit auf die wahre 
Kunſt des ITrauerjpiels jowie das Mufter der Griechen und Römer 
gelenft und etwa einen jüngeren, von anderen Sorgen ungefeſſelten, 
nit Genie und Talent ausgeftatteten Mann zu einem ähnlichen Berjuch 
angeregt habe. Bor allem aber liegt ihm daran, den Schein einer 
Solidarität mit Ayrenhoffs Shafejpeareoppofition zu vernichten; ex hatte 
in dem für den. Dichter dev Kleopatra jo verhängnispollen zweiten der 
Briefe an einen jungen Dichter von Shafejpeare nicht geredet, weil 
er mit Recht die Ktenntnis von dem, was ev für die Aufnahme des 
Briten in Deutjchland gethan, vorausjegen durfte. Nun zeigte jich, 
daß Ayrenhoff nichts davon wußte oder willen wollte; jo las ihm 
Wieland ein eigenes Kapitel über Shafejpeare. Mit Leſſing ſpricht 
er von ihm als dem Dichter, der in allem, was das Wejen eines 
jolchen ausmacht, den Franzoſen weit überlegen ſei. Unſchwer erkennt 
man, wie ſehr Wielands Verſtändnis dev Shafejpearejchen Kunſt fort- 
gejchritten im Verlauf dev 20 Jahre, die jeit der Inangriffnahme 
jeinev Ueberjegung verftrichen waren. Indem er ihn gegen die Borwürfe 
vom Schlage der durch Ayrenhoff vertretenen regelmäßigen Nichtung 
in Schuß nimmt, wächjt ex mit jeinem großen Gegenftande zu einer 
Ayrenhoff weit überragenden Höhe. Diejer hatte von Spuren eines 
großen Genies gejprochen; aber Wieland: „Wer von Spuren eines 
großen Genies jpricht, die man oft in Shafejpeares Werfen finde, 
erweckt Berdacht, fie nie gelejen zu haben. Nicht Spuren, ſondern 
immerwährende Ausftrahlungen und volle Ergiegungen des mächtigiten, 
veichjten und erhabenften Genies, das jemals einen Dichter begeijtert 
hat, ſind es, die mich bey Leſung ſeiner Werfe überwältigen, mich 
über jeine ‚Fehler und Unvegelmäßigkeit unempfindlich machen und mic) 
unter dem Zauber jeiner allgewaltigen Phantaſie ebenjowenig an 
franzöfische Negeln und franzöſiſche Mufter denfen laſſen als miv in 
einer herrlichen Yandjchaft oder in einem majeftätijchen, von der 
wärmjten Sonne beleuchteten Walde einfallen könnte, zu beflagen, 
daß Ye Notre der Natur hier nicht mit ſeiner Meßſchnur und Baum— 
jcheere zu Hilfe gefommen.“ Ayrenhoff hatte Shafejpeares Drama 
als Ungeheuer bezeichnet. Dagegen Wieland: Jawohl Ungeheuer, aber 
nur injofern als die Domficche zu Mailand vder die Abtei zu Weſt— 
minjter im Vergleich mit griechijchen QIempeln oder die Façade des 
Straßburger Münfters im Vergleich mit der Façade des Youdre 
Ungeheuer jind.  Ayrenhoffs Bemerkung über den Götz gegenüber 
vihmt Wieland die Wahrheit der Natur, die Yebendigfeit des Geiſtes 
im Goethejchen Drama und findet jeinerjeits feinen Grund zu Klagen 
über die durch den Göß bewirkte Nevolution des Theaterwejens. 


E. Horner, Das Auftommen des engliihen Gefhmades in Wien, 789 


Sogar an jeinen Ablegern, den NRitterjtücen, weiß er gute Seiten zu 
entdecken. Wenn Wieland mit diefer Auslafjung wieder den Anſchein 
einfeitiger Barteinahme fiir den englischen Gejchmacd wie vordem für 
den franzöſiſchen erweckt, jo beugt er nun vorfichtig jedem neuen Miß— 
verjtandnifje vor, indem er jich für ein Mittehalten zwijchen beiden 
Nichtungen erklärt. Man könne gerecht gegen die Franzoſen, ohne doch 
wider die Engländer zu jein. 

Diejer zwijchen Wieland und Ayrenhoff gewechjelte Meinungs- 
austaujch über Shafefpeare und die Franzoſen machte allenthalben 
großes Aufjehn; zum zweitenmale in dem furzen Zeitraum von drei 
‚sahren lenfte dev Wiener Dichter die Augen der literarifchen Welt 
auf jich; aber jo wenig jie vordem in ihm auf dem Gebiete des 
Yuftipiels einen zweiten Moliere erfennen wollte, jo übereinjtimmend 
wies jie nun jeinen Anſpruch zurüc, etwas Beſſeres als Shafejpeare 
im tragischen Fache geleistet zu haben. Dennoch fand Kleopatra und 
Antonius wenigitens einen Yobjprecher, der von ähnlicher Bewunderung 
für das Stück erfüllt war wie jeinerzeit Sriedrich der Große für den 
Boftzug. Diefer Mann war fein Deutjcher, jondern der italienische 
Abate Aurelio di Giorgi Bertola, einer der eifrigjten Bermittler deutjcher 
Literatur nach italien. 

Wir wiſſen, daß unter den Gelehrten, die Friedrich der Große 
an jenen Hof berief, gerade die berühmtejten der italienischen Nation 
angehörten, die Abneigung ihres Gönners gegen die deutjche Dichtung 
duraus nicht teilten, im ©egenteile in ihren Urteilen über deutjche 
Dichterprodufte, ob jie gleich zufolge mangelhafter Belejenheit und 
Information das Nichtige vielfach verfehlten, weit mehr Verſtändnis 
und Wohlwollen bewiejen als der Verfaſſer dev Schrift De la litterature 
allemande (vgl. Th. Ihiemann, Deutjche Kultur und Yiteratur des 
XVII. Jahrhunderts im Lichte der zeitgenöffischen italienijchen Kritik. 
Oppeln 1886). Namentlich auf die junge, im Aufblühen begriffene 
Dichtung in Dejterveich haben diefe Schriftiteller ein Auge; aber inden 
jie ihr aus faljch angewendetem Wohlwollen einen ungebührlich hohen 
Rang zuerfennen, exweijen fie ihr cher einen jchlechten Dienjt. Der 
Meinung von der literarijchen nferiorität Wiens gegen Berlin jucht 
Denina durch Anführung der Namen Denis, Maſtalier, Blumauer und 
Sornmenfels zu begegnen; indem ev den „Druiden von der Donau“ 
mit dem Djjian-Ueberjeger Lejarotti vergleicht, Blumauer mit dem 
Bergilparodijten Elem. Yalli (und Scarron) jpendet er das höchjte Yob, 
das ihm, dem Italiener, zu Gebote ſteht. Yeider gebricht es Denina 
nicht minder wie Andres an Intereſſe für das deutjche Drama, wodurch 
jie zu Anfichten von föftlicher Naivität gelangen. Andres, der den 
Bojtzug nicht jelbjt gelejen hat, begmügt ſich damit, Friedrichs Urteil 


790 E. Horner, Das Aufkommen des engliihen Gefchmades in Wien. 


zu reproduzieren, wie er überhaupt bloß aus der Lektüre einiger Luſt— 
jpiele Engels die Berechtigung jchöpft, Friedrichs niedrige Meinung 
von deutjchen Theater zu unterfchreiben. Denina aber ftellt die Brüder 
Stephanie auf eine Stufe mit den Brüderpaaren Leſſing und Gorneille 
und bedauert, daß den älteren Stephanie gleich Karl Gotthelf Yelling 
und Thomas Corneille das Schickjal betvoffen habe, unverdient durch 
den berühmteren Bruder in den Schatten gejtellt zu werden. Bon dem 
jüngeren aber heißt es: Deutjchland wird auf lange Zeit feinen 
Shafeipeare und Goldoni entbehren, wenn es fie an Stephanie noch 
nicht beſitzt! Einen Schritt weiter als dieje Yiteraten ging Bertola, 
indem ex jeinen Yandsleuten durch Ueberſetzung einer veichen Auswahl 
deuticher Dichtungen die Möglichkeit ſelbſtändiger Beurteilungen ver- 
Ichaffte. Schon früher Hatte ex jich durch jeine auch ins Franzöſiſche 
übertragene Gedichtſammlung Notti clementine einen Namen gemacht. 
Zuerft vermittelte ev jeinen Yandsleuten in der 1777 zu Neapel 
erfchienenen Sammlung Poesie diverse tradotte dall Allemanno 
die Befanntjchaft mit Geßner, Kleiſt, Cronegf, Hagedorn, Zacharia, 
‚sacobi, Gotter, Gleim, Gerjtenberg und Wieland, von denen er indes 
bloß Gedichte aufnahm. Bon Geßners Idyllen hatte ex beveits etliche 
‚sahre vorher einige überjeßt, wie ex überhaupt derjenige war, der zum 
Ansehen jener Dichtungen in Italien, dev biblifchen Dramen faſt noch 
mehr als der Idyllen, das Meifte beitrug. Mit Geßner, der ihm 
natürlich auch der Theverit ſeiner Zeit war, trieb er einen wahren 
Kultus. Um ihn in Zürich zu ſehn, unternahm er eigens eine Reife 
nach Deutjchland und der Schweiz (jeine Schrift Viaggio sul Reno 
e ne suoi contorni berichtet über die dort empfangenen Eindrücke), 
verlieh jeiner Begeifterung in dem Elogio sul Salomon Gessner 
beredten Ausdrud und widmete ihm eine feiner eigenen Idyllen 
(I Reposo). hm väumte er auch ein Hauptkapitel in ſeinem 
bedeutendſten Werke über die deutſche Literatur — der Idea della 
bella letteratura Allemanna (I. Napoli 1779 sec. edizione 
Lucca 1784, II. Lucca 1784). Den Anfang in diefem nach Art 
der Huberjchen Chrejtomathie angelegten Werfe macht ein kritiſcher 
Ueberblick über die hijtorische Entwiclung der deutjchen Poeſie; Geßner 
erfährt die höchjte Auszeichnung, indem er, was die Annäherung an 
die Einfachheit der Alten betrifft, dem PVerfajfer des Aminta an die 
Seite gejeßt wird, aber auch Denis und Majtaliev werden gleich 
Sonnenfels’ Bemühungen um die öfterreichifche Bühne rühmend erwähnt; 
von Denis jind nicht weniger alS vier umfangreiche Gedichte einer 
Ueberſetzung gewürdigt. Goethe muß ſich dafür freilich allein an der 
Ueberſetzung ſeiner Ballade „Das Veilchen“ genug ſein laſſen. Ein paar 
Amazonenlieder Weiſſes find in Broja wiedergegeben. Im Ganzen find 


E. Horner, Das Auffommen des englischen Gejhmades in Wien. 791 


die Proben des erjten Bandes auf lyriſche und Schäfergedichte bejchränft. 
Der zweite enthält wieder einen Aufſatz über die Hirtenpoeſie mit 
befonderer Berücichtigung Geßners, von deſſen Idyllen zwei 
werden, ferner als Mufter eines Yehrgedichtes Zacharias Bier Stufen 
des weiblichen Alters. Schon damit, daß Bertola zur Probe einer 
dramatijchen — Brandes’ Ariadne wählt, die als Monodrama in 
Nachahmung des Rouſſeauſchen Pygmalion von dem wirklich deutſchen 
Drama unmöglich einen Begriff geben kann, beweiſt er ſeinen Mangel 
an Verſtändnis für dieſe Dichtungsgattung; noch mehr in den nach— 
folgenden „Briefen über verſchiedene Gebiete der ſchönen Literatur 
Deutſchlands“, die durchgehends datiert und an Perſonen ſeiner 
Bekanntſchaft gerichtet ſind. Da Bertola damals, als er ſie ſchrieb, 
in Wien weilte, ſo befaſſen ſie ſich vornehmlich mit der öſterreichiſchen 
Literatur, mit Sonnenfels, Denis, Blumavier (sic!) und Gemmingen, 
der zu jener Zeit in Wien lebte. An Retzer erfüllt ihn die rege 
Korreſpondenz, die er mit den hervorragendſten Schöngeiſtern der Nation 
unterhielt, mit Staunen; ſeiner trefflichen Kenntnis der italieniſchen 
Sprache zollt er die verdiente Anerkennung und thut ſeiner eben 
erſchienenen Schrift über Metaſtaſio Erwähnung. Ueberhaupt iſt Bertola 
der direkte Gegenſatz zu Nicolai, der im ſelben Jahre 1783 den Wienern 
einen Beſuch abſtattete. Ueber dem beſtändigen Räſonnieren und Bekriteln 
vermag der Berliner Aufklärer zu keinem rechten Behagen zu kommen; 
umgekehrt erfüllt den guten Abate alles mit Entzücken, ſo daß von 
irgend welchem Tadel in dem ganzen Buche kaum eine Spur zu ent— 
decken iſt. Nimmt man nun noch hinzu, daß Bertola in Wien Ayrenhoff 
zum Freunde gewann, ſo darf man von ſeiner Beurteilung der Ayrenhoff— 
ſchen Stücke einen wahren Panegyrikus erwarten. Der Poſtzug iſt 
denn auch nach Bertolas Meinung eine der wenigen ſchönen Komödien, 
welche die Nation hat, ſein Verfaſſer eines der glücklichſten Talente 
Oeſterreichs, ein äußerſt bedeutender Kenner der europäiſchen Literatur, 
einer der wenigen deutſchen Schriftſteller, die eine gründliche Kenntnis 
des Italieniſchen beſitzen, ein Mann von den liebenswürdigſten Manieren, 
deſſen Freundſchaft ihm, Bertola, zum ewigen Ruhme gereichen werde 
(Idea 2, 236 ff.). Und in dieſen Superlativen geht es weiter: 
la natura vi € dapertutto; die Berwiclung ift leicht und vernünftig, 
die Diftion klar, der Dialog lebendig und gejchmacdvoll. Die Rolle 
des Neitbahn wurde von Brockmann mit überrajchender Wahrheit dar- 
geftellt. Kurz und qut: nie zuvor habe er in einer Komödie jo gelacht, 
bis dahin überzeugt, daß es dem deutjchen Yuftjpiel an dev vis comica 
durchaus gebreche. Noch von einer anderen Seite fand Bertola au 
Ayrenhoff und dieſer an ihm einen Ffongenialen Geift: in der 
Shafejpeareoppofition. Es fann nicht Wunder nehmen, daß derjenige, 


792 €. Horner, Das Aufkommen des englifhen Geſchmackes in Wien. 


#7 


der ich für Geßners biblische Dramen begeijterte, an einem Shafejpeare 
feinen Gejchmacd finden konnte. So thut er denn Imogen (Idea 2, 238) 
auf die heftigjte Art ab, die jeinem milden Naturell zu Gebote jteht, 
wie ev auch in einer chvas jpäter erjchienenen Abhandlung über die 
Fabel den auch Leſſing befannten Gay mit den Worten abfertigt: 
„Er ift ein guter Fabeldichter für eine Nation, die den Shafejpeare 
deliciös findet.“ In der Idea ijt die Derabjegung des Briten indes 
nur das Praludium zu eimer Glorifizierung Ayrenhoffs. Wäre es 
nach Bertola gegangen, Ayrenhoffs Kleopatra hätte die von Wieland 
gejtellte Aufgabe bereits glänzend gelöft. Er rühmt ihr gewilje Fein— 
heiten nach, die ihm bei der Aufführung nicht einmal jo fühlbar 
geworden wie bei der Yeftüre. Il piano € giudicioso, belli versi. 
Die Charaktere, vornehmlich jener der Octavia, jeien wohl abgerundet. 
Bejonders die Fünfte und ſechſte Scene des dritten Aftes (Stleopatra 
gewinnt die Yiebe des Antonius zurück) könnten fich den beiten Racines 
an die Seite jegen. Alles in allem: es jei wohl das vollendetjte 
tragische Werf der deutjchen Bühne, das vecht bald den Italienern in 
einer Weberjegung zugänglich gemacht werden möge. 

Bertola war der erſte, dev jich über die Stleopatra äußerte; denn 
jein Brief an den Grafen Pindemonte, den berühmten Dramatiker, 
iſt vom zweiten Tage nach der Premiere datiert; im Drucke erjchien 
er allerdings erſt im folgenden jahre. Damals hatte Wieland beveits 
gejprochen und alle nachfolgenden kritiſchen Beurteilungen des neuen 
Stücdes durch jeine gewichtigere Stimme gegen Ayrenhoff beeinflußt. 
Sie jtehen ausnahmslos bezüglich der Frage, ob England oder Franf- 
veich als Vorbild im Drama zu betrachten jei, auf dem vermittelnden 
Standpunkt Wielands, von fleinen Schattierungen in der Bevorzugung 
des franzdfierenden oder anglifierenden Geſchmackes abgejehen. In dieſem 
Sinne gebührt der Stleopatra Ayrenhoffs das Berdienft, das Freilich 
mit ihrem inneren Werte nichts zu tun hat, den Prüfftern für die 
Geſinnung der angejehenjten deutjchen Kritiker in der Shafejpeare- 
Stage abaegeben zu haben. Es war die Zeit des Nücjchlages ; zwar 
eine Rehabilitierung des Alerandrinerdramas in dem Sinne, wie Ayren— 
hoff jte wünschte, jchien undenfbar, aber auf der anderen Seite wurde 
der Shafejpearismus, durch die Ausschreitungen der Stürmer und 
Dränger arg disfretiert, nun auch von jolchen Kritikern als ernſte 
Gefahr empfunden, die in ihm vor Zeiten das Heil des deutjchen Dramas 
erblickt hatten. Man begann jehr genau zwijchen den Fehlern und 
Borzügen des Shafejpearejchen Dramas zu unterjcheiden; anderjeits 
hiütete man jich davor, die hohe Tragödie der Franzoſen, die jchon 
durch ihre Negelmäßigfeit einen Schugwall gegen grobe Verlegungen der 
Decenz bildete, als einen völlig überwundenen Standpunft zu betrachten. 


E. Horner, Das Auftommen des englifchen Geſchmackes in Wien. 793 


Dieſe mildere Auffallung, die auch dem Drama der Gegenpartei gerecht 
zu werden juchte, kam natürlich auch Ayrenhoffs Stleopatra zugute. 
Zwar was jeine Ausfälle gegen Shafejpeare betrifft, wies man ihn in 
jeine Schranfen, aber den dramatischen Verſuch würdigte man wenigitens 
dev Disfuffion. So beurteilte der Schaufpieler des Mannheimer 
Nationaltheaters, der jelbjt auch gelegentlich dichtete, Heinrich Beck, 
das Stüd, als er in der Ausſchußſitzung vom 14. Mat 1784 die Auf- 
nahme der Kleopatra in das Nepertoive durch eine ausführliche Kritik 
zu vechtfertigen juchte (Marterſteig 252 ff.). Indem er die Fehler 
Shafejpeares aus jeiner Zeit erklärte, ſchwächte er im Voraus die 
Beweisfraft der Ayrenhoffichen Argumente; jest würde er anders 
jchreiben. In dieſer Hiftorischen Betrachtungsweile, die noch Leſſing 
nicht genug würdigte, wiewohl fie Herder als Grundbedingung jeglicher 
Kritik vorangeftellt hatte, verrät ſich deutlich der ganze Gegenjaß 
zwijchen der alten und neuen Schule. Wenn Beck indes behauptet, 
daß Ayrenhoff als der erjte Shakeſpeares Ruhm antajte, jo weiß er 
zum mindeiten von Gottjched nichts mehr, von dem doch Ayrenhoff 
mit jo manchen anderen Boreingenommenheiten auch dieje ererbt hat. 
Aber auch Berk fühlt ich nicht bewufen, fir Shafejpeares Nachahmer 
in Deutjchland ein gutes Wort einzulegen; vielmehr findet ev Ayren- 
hoffs Ausführungen in diefer Sache billig und wahr. Nur der Tadel 
gegen die Schaufpieler der neuen Richtung ruft begreiflicherweife feinen 
Widerjpruch wach. Gleichwohl hat gerade vom Standpunkt des Schau- 
jpielexs aus das bühnenwirkſame Trauerſpiel Ayrenhoffs jeinen vollen 
Beifall, ev habe damit allen guten Theatern Deutjchlands ein hoch- 
twillfommenes Geſchenk gemacht. Sein Hauptverdienft beſtehe darin, 
daß es ohne Theaterprunk wie Märſche, Gefechte u. dgl. in dem Leſer 
ein wahres und eigentümliches Intereſſe errege, das wohl auch den 
Zuſchauer zu fejfeln vermögend jei. Einige Scenen des zweiten Aktes 
(4—7) und des dritten (5 und 7) hebt er um ihrer großen Wirkung 
willen bejfonders hervor. Die Kataſtrophe jei vührend, doch nicht 
jchauerlich. So exfülle die Stleopatra mehr als jeit langen von irgend 
einem deutjchen Tragiker geleijtet worden jei. 

Da Becks empfehlendes Gutachten nicht genügte, um dem Stücke 
die Aufführung zu ſichern, ſo wurde es, wie oben erwähnt, in derſelben 
Sitzung auch dem Theaterdichter Schiller zur nochmaligen Begutachtung 
übergeben. So hatte er durch einen Zufall das Drama des Autors 
in Händen, der an ſeiner Statt Wielands Begehren nach einer heroiſchen 
Muſtertragödie erfüllt hatte. Wir dürfen um ſo mehr vermuten, daß 
er dem Stücke einiges Intereſſe entgegenbrachte, als es ihm auch 
nachher durch einen ſeiner Recenſenten ins Gedächtnis gerufen wurde, 
der in Engels Magazin der Philoſophie und ſchönen Literatur vom 


794 €. Horner, Das Auffommen des englischen Gefhmades in Wien. 


Sahre 1785 (2. Heft ©. 149—162, 3. Heft ©. 245—256, vgl. 
Braun, Schiller und Goethe im Urteil der Zeitgenoſſen 1, 111 ff.; 
Minor, Schiller 2, 215 f.) vom franzöfischen Standpunkte aus gegen 
Schillers Jugenddramen eiferte. uch er erklärt eine Kompoſition 
ans dem englischen und franzöfiichen Trauerſpiele als die einzige den 
Deutjchen genehme dramatische Form. Gleich Wieland fordert er unter 
Beobachtung des Decorums und der Negelmäßigfeit eine veine, polierte 
Sprache und wohlflingende Berjififation mit oder ohne Neim. Aber 
jfeptiicher als Wieland halt er die Verderbnis des Theaters bereits 
für zu weit gediehen, als daß ſich feine Hoffnung noch erfüllen könnte. 
Auch Wieland hätte bejjer den Dingen ihren Yauf gelajjen. Seine 
Stimme habe zwar ein Antonius und Stleopatra - Drama geweckt, aber 
gegen die Ungeheuer auf der Bühne vermöge fie nichts. Umſonſt habe 
Joſeph II. den Wunſch nach gut verfifizierten Tragödien ausgejprochen, 
vergebens jeien Männer wie Wieland, Ayrenhoff und Nicolai gegen das 
Unweſen auf der modernen Bühne zu Felde gezogen. Die Gejellichaft, 
in der hier Ayrenhoff genannt wird, ift die denkbar unpafjendite. Daß 
Wieland zwar gegen die Shafejpeareromanie polemijterte, aber auch von 
Ayrenhoff nichts wiljen wollte, haben wir bereits gejehen. Beſtand doch 
zwijchen beiden der Unterſchied, daß der eine zu den begeijterten Ver— 
ehrern, der andere zu den jchärfiten Gegnern Shafejpeares gehörte; 
nur die Windigung der Franzoſen, die Wieland darum nicht aufgab, 
bot einen Schwachen Anknüpfungspunkt. Nicht wefentlich anderer Natur war 
das Verhältnis Ayrenhoffs zu dem Herausgeber der Allgemeinen deutjchen 
Bibliothef. Als junger Mann hatte Nicolai 1755 in den Briefen über 
den jegigen Zuftand der ſchönen Wiljenjchaften in Deutjchland lange vor 
Leſſing die einjeitige Gejchmadsrichtung für die Franzoſen angegriffen 
und mit jcharfer Polemif gegen den Gottichedianer Schulze Für eine 
ausgebildetere Charafterzeichnung direft auf das Muſter Shafejpeares 
veriwiejen. In den dreißig Jahren, die jeitdem verfloffen waren, war 
der Shafejpearismus über den Kopf jeines ehemaligen Wortführers 
weit hinausgewachjen. Den Yenz, Klinger und Wagner erjchien Nicolai 
nun viel zu maßvoll, jene umgefehrt hatten an ihn ihren heftigjten 
Widerjacher. So hatte er noch jüngjt jeine Neijebejchreibung (4, 604) 
zu Ausfällen gegen die Genieprodufte benüßt; jie galten ihm als bloße 
Starifaturen voll plumper Unnatur. Darum fonnte ihm eine Tendenz 
vom Schlage jener, die Ayrenhoffs Drama verfocht, von vornherein 
feineswegs ganz umvillfommen jein. Sand er auch die gegen den 
Briten vorgebrachten Gründe hie und da zu weit getrieben, jo ftimmte 
er ihnen doch im Großen und Ganzen bei; jpeciell die Angriffe auf 
die Schaujpieler, denen Bed opponiert hatte, waren gerade nach dem 
Herzen Nicolais, der ja darin eine Bejtätigung feiner eigenen Kritik 


E. Horner, Das Aufkommen des engliihen Gejchmades in Wien. 795 


über die Wiener Schaufpieler erblicen mußte (Neijebejchreibung 4, 575). 
Aber auch Nicolai jtellte jich zum Schlufje auf den vermittelnden Stand- 
punkt Wielands (Allgemeine deutjche Bibliothef 59, 2, ©. 410), indem 
ex den einjeitigen Gejchmac für die Franzoſen fajt noch mehr mißbilligte, 
wie den für die Engländer. Zum erſten male fonnte ſich Ayrenhoff 
mit einer Necenfion der Bibliothef einigermaßen zufrieden geben. Denn 
jie rühmt jeinem Drama mancherlei Vorzüge wie einen leichten, einfachen 
und jehr qut ausgeführten Plan nach; die Verſifikation jei glücklich und 
natürlich. Den flachen Charakteren gegenüber verweift fie freilich auf 
die bei aller Unförmlichkeit doch interejjantere Stleopatra Shafejpeares ; 
die Einführung der Octavia, die nur im zweiten Aft von jehr guter 
Wirkung ſei, hätte jchon nach der Meinung dev Bibliothek in befjerer 
Weiſe verwertet werden fünnen. 

Noch im jelben Jahre 1785 brachte auch das Journal encyclo- 
pedique in Paris, das der Bejprechung wichtiger literarijcher Er- 
jcheinungen Deutjchlands feine Spalten öffnete, eine Necenfion, in 
deren Verfaſſer Ayrenhoff gewiß nicht mit Umvecht einen Yandsmann 
vermutete. Sie fommt über fleinliche Ausftellungen an Plan und 
Sprache des Dramas nicht hinaus. (Doch vergleiche auch die günjtige 
Beurteilung in der Journal encyclopedique 1784 Mars abgedrudten 
Wiener Korrejpondenz.) An jenem wird getadelt, daß fich die Kammer— 
frau der Heldin zum Schluffe nicht auch töte, da jie doch den Tod 
ihrer Herrin nicht zu überleben gelobt. In der Sprache hatte jchon 
Beck den Ausdruck „entriegeln“ (einen Schrein) als Provinzialismus 
getadelt ; nun jtellt der Recenſent außer diefem noch eine Reihe anderer 
aus, die durchaus forreft find, wie: verheimlichen, Mißgeſchick, Feſtlich— 
feiten jtatt Feierlichkeiten, Trieb für Neigung u. ſ. w.; es heiße im 
Plural „Herren“ und nicht „Hexen“. Aber der hämiſcheſte Ton offen- 
bart jich zuleßt; indem der Necenjent dem Dichter zuruft, che ex Jich 
einbilden dürfe, ein Mufter der Nation zu jein, bleibe ihm noch viel 
zu thun übrig, fügt er Ayrenhoff eine unverdiente Beleidigung zu; die 
Yauterfeit jeines Strebens nach dem Ruhm eines Nationaldichters ift 
wenigjtens tiber jeden Spott erhaben. 

Ayrenhoff hatte nicht ev jelbjt jein müfjen, wenn ev nicht das 
Schlußwort in Sachen ſeiner Kleopatra und der durch ſie in Fluß 
gekommenen Shakeſpeare-Frage behalten hätte. Gleichſam als ob er 
jeinen Standpunkt noch einmal ins vechte Yicht jegen müßte, bevor er 
jeine ſchriftſtelleriſche Thätigkeit einftellte, verjfah ex in der abjchliegenden 
SGejamtausgabe ſeiner Werfe von 1789 Wielands Lobeshymnen auf 
Shafejpeare mit Glojjen, die nun auch) gegen Wieland die Boileau und 
Gottſched als Autoritäten ausjpielten: „Shatejpeares Dramen mögen 
ſich jo lang und noch langer erhalten als alle gothijchen Gebäude der 


796 €. Horner, Das Aufftommen des englifhen Geihmades in Wien. 


Welt, aber ich behaupte, daß ein Dichter, der ich unferen Zeiten 
Shafejpeare zum Muſter wählet und ein Kunftrichter, der ihn als 
Mufter anpreifet, noch viel gejchmacdlojere Köpfe jind als der Erbauer 
des neuen gothijchen Tempels wäre. Warum noch gejchmacklojer ? 
Weil Shafejpeares Dramen noch tiefer unter der Kritik find als die 
allerjchlechtejten gothijchen Gebaude. Warum noch tiefer? Weil (wie 
Herr Hofrath Wieland einjt bey Gelegenheit jeiner Beurtheilung des 
Götz von Berlichingen jehr richtig jagte) ein Theater fein Guckfajten 
ist, ein gothijcher Tempel aber noch immer ein Tempel bleibt.” Boileau 
fannte feinen verächtlicheren Ausdruck zur Bezeichnung dev Gejchmad- 
(ofigfeit als „gothiſch“. So hatte etwa auch Goethe mit Boileau in 
der Zeit jeines Yeipziger Aufenthaltes über Taſſo abgeurteilt. Da ijt 
es nun lehrreich, einen Vertreter diejer längjt veralteten Richtung über 
ein Produkt zu vernehmen, welches den Höhepunkt der geiftigen Ent- 
wicklung Goethes bedeutet, die Iphigenie. In der neugewonnenen 
Sejtalt lag jie 1787 in der erſten Gejamtausgabe der Goethejchen 
Werfe vor; man iſt erſtaunt, jchon zwei Jahre jpäter (in der Vorrede 
zur Stleopatra) ein Urteil Ayvenhoffs über das Drama zu hören, der 
doch jonjt Literarische Erjceheinungen nur dann jofort zu beachten pflegte, 
wenn fie jeinen äfthetijchen Ueberzeugungen nahe traten. Was fonnte 
ihm aber die Iphigenie interejjant machen, die fich weder an Die Franzoſen 
hielt noch an die Engländer, jondern ummittbar an die Griechen? Eben 
der Umſtand, daß hier der Verſuch vorlag, das griechische Drama einmal 
auch ohne Vermittlung der tragedie classique zu ewneuern; und ein 
ſolcher Verſuch mußte Ayrenhoff, der die Griechen nur mit den Mugen 
der Franzoſen zu betrachten gewohnt war, don vorneherein als mißglückt 
erjcheinen. Er opponiert den Kritikern, die Goethe dem Eunripides 
vorzuziehen wagten, und führt au dem Charakter des Thoas aus, wie 
jehr der Deutjche hinter dem Griechen zuvicgeblieben. Ihn dünkt 
dev abergläubijche Barbar bei Euripides weit gelungener als der 
Soethejche Thoas, der teils Yiebhaber, teils Freigeift jei. Für die 
Spuren des Barbarentums, die Jich gelegentlich äußern, um die endliche 
Mefignation nur in um jo bellevem Lichte erjtrahlen zu laſſen, bezeigt 
Ayrenhoff fein Verftändnis; jie machen nach feiner Anficht den Thoas 
vielmehr aus einen Gegenjtande des Schrecdens, dev ev bei Euripides 
ift, zu einem Gegenftande dev Verachtung, aber freilich, ohne daß Goethe 
dieje Abjicht verfolgt hatte. Und was noch jcehlimmer tft: jtatt um 
das Yeben phigeniens und Oreſts zu zittern, ſind wir bei Goethe 
wegen des Schickſals der beiden völlig beruhigt, weil wir es von 
‚sphigeniens Willkür abhangen jehen. Und er fommt zu dem Schlufje: 
„Furcht und Mitleid, die zwo Dauptempfindungen, welche die qute 
Tragödie zu erregen hat, jind nach meinem Gefühle in dieſer neuen 


E. Horner, Das Auffommen des enalifchen Gefchmades in Wien. 797 


Iphigenie durch die Abänderung des Thoafischen Charakters jo merklich) 
gejchwächt worden, daß ich mich jehr irren müßte, wenn bey der Vor- 
jtellung derſelben — ihrer Schönheiten des Details ungeachtet — jich 
nicht fühlbarer Mangel an Intereſſe und lange Weile der Zufchauer 
offenbarten.“ Die Thatjachen haben Ayrenhoff nicht Necht gegeben. 
Zwar währte es fünfzehn Jahre, bis die Iphigenie in Schillews Ein- 
richtung am 15. März 1802 in Weimar ihre exjte Aufführung erlebte, 
aber jeitdem umd namentlich ſeit jie an Amalie Wolff eine geniale 
Interpretin gefunden (1807), hat jie im Nepertoive der deutfchen Bühne 
als ſtets gen gejehenes Stüd fejten Fuß gefaßt. 

Niemand nahm von diefer neuejten Diatribe Ayrenhoffs Notiz; 
er war ein toter Mann geworden, dejjen Stimme faum mehr in der 
eigenen Baterjtadt gehört wurde. Kleopatra und Antonius war fein 
letzter Verſuch zum Müthalten gewejen; da er fich als unzulänglic) 
erwies, wollte fein Yiterat von Namen mit dem Niückjchrittlev etwas 
zu thun haben. Ayrenhoff fühlte ich ijolierter denn je. Selbſt an 
Weiſſe, den er ſtets als Muſter verehrt hatte, mußte er den Einfluß 
der Zeit wahrnehmen; denn in der Borrede zur legten Ausgabe jeiner 
Trauerſpiele befenne ex jich nur noch mit leifer Stimme zum Stagyriten. 
Als alter Soldat tröjtete jich Ayrenhoff mit der Ehre, größere Stand- 
haftigfeit bewiejen zu haben. Jener war freilich der Klügere geweſen, 
als er jich beizeiten vom Schauplaße zurüczog. Nun folgte Ayrenhoff 
jeinem Beijpiele. Aber er that es nicht mit dem Gefühle eines 
glimpflichen Rückzuges, jondern einer verlorenen Schlacht. Daher die 
iedergejchlagenheit am Schlufje der Vorrede: „LUeberhaupt hat mir 
meine halsjtärrige Anhänglichkeit an die Negeln der dramatischen Kunſt 
manchen Streich gejpielt. Und doch ift es mix unmöglich, dem guten 
Aristoteles ungetreu zu werden. Nur fämpfen, kämpfen will ich nicht 
mehr für ihn!“ 


198 A. Wohlwill, Schubartiana. 


Schubartiang. 


Mitgeteilt von Adolf Wohlwill in Hamburg. 


I. Chr. F. D. Schubart und Markgraf Karl Friedrich von Baden. !) 


Zu den zahlreichen Punkten im Leben Schubarts, die noch 
weiterer Aufklärung bedürfen, gehören u. a. jeine Beziehungen zum 
badischen Hofe. Ueber allen Zweifel exrhaben ift allewdings die Ver- 
ehrung, die der Dichter dem Markgrafen Karl Friedrich widmete. 
Dieje wird ebenfowohl durch feine Briefe wie durch jeine Selbft- 
biographie, jowie insbejondere durch verjchiedene jeiner journaliftischen 
Stundgebungen bezeugt. Bereit im erſten Jahrgang der deutjchen 
Chronik (1774 im 56. Stücd) fnüpfte ev an die Anzeige von Gerft- 
lachers „Sammlung aller Badendurlach’scher Anftalten und Verordnungen“ 
eine begeijterte Yobeserhebung der badischen Negierung. „Badendurlach“ 
— heißt es da — „gehört jeit der weifen Negierung feines igigen 
Fürſten unter die glücklichſten und bejteingerichtetften Staaten der Welt, 
auf den andre Provinzen mit nachahmender Eiferjucht hinblicken. Was 
der jpefulative Weife bei der nächtlichen Yampe winfcht und nieder- 
jchveibt, it hier vealifiert. Welche Anjtalten zur Glückjeligfeit des 
Bolfs! Welche Ermuntrungen zur Gewerbjamfeit, zum Kunſtfleiße! 
Welche aufs fleinjte ausgearbeitete Polizei! — Das bejte, herrlichſte 
Stollegium, das man über die Polizei und Kameralwiſſenſchaften lejen 
fan, ift wohl diefe Sammlung. Alles laßt jich mit weniger Ver- 
ünderung auf jeden Staat anwenden. — Heil Dir, Karl Friedrich, 
vor Gott und allem Bolfe! Heil deinem windigen Präſidenten Hahn!“ 
u. ſ. w. Much jonft wird Karl Friedrichs in der deutjchen Chronik 
jtets mit Bewunderung und Ehrfurcht gedacht. in bejonderer Artikel 
zum Preiſe des Markgrafen findet jich außerdem in Schubarts „Neueſter 


') Ber der Veröffentlichung diefer Heinen Studie liegt mir die Pflicht ob, 
die mir von Herrn Archivrat Dr. Objer in Karlsruhe mit außerordentlicher 
Yiebenswürdigfeit gewährte Hilfsleiftung dankend hervorzuheben. 


A. Wohlwill, Schubartiana. 199 


Gejchichte der Welt auf das Jahr 1775. Friedrich wird darin als 
das Mufter eines Negenten gefeiert, bei dem man nicht wilje, ob man 
an ihm mehr den Fürſten oder den Menfchen, den Yandesvater oder 
den Hausvater, den Weifen oder den Chriften bewundern jolle. Ander— 
jeits jteht feit, daß Schubart in Karlsruhe manche Freunde und Gönner 
bejaß, die jicher nicht verfehlt haben, das Intereſſe des Markgrafen 
für ihn zu erweden und vege zu erhalten. Wiederholt wurde der 
Verſuch gemacht, Schubart nach der badijchen Nefidenz zu ziehen. Im 
Jahre 1770 wurde ihm von dem Erzieher der marfgräflichen Prinzen, 
Geh. Hofrat Ring, an die Hand gegeben, fich um eine Stelle am 
Karlsruher Gymnaſium zu bewerben!) Der einflußreiche Hofmann 
jtellte ihm dabei nicht nur jeine eigene Unterftüßung, jondern auch die 
jehr angejehener Freunde in Ausjicht. Hatte Ring jeine Aufforderung 
mit dem Hinweis begründet, daß Schubarts „vorzügliche Stärke und 
Einfichten in die jchönen Wiljenfchaften jo rühmlich unter uns (d. h. doch 
wohl in den maßgebenden Karlsruher Streifen) befannt jeien“, jo ver- 
anlaßte der Ruf, den Schubarts mufifalifche Fähigkeiten genofjen, 
jeinen Freund Griesbach ?), ihm anzuempfehlen, ſich um die vafante 
Stelle eines marfgräflichen Kapellmeifters in Karlsruhe zu bewerben. 
Während Schubart den Antrag Rings nur zu dem Verſuch benußt zu 
haben jcheint, jeine Yage in Yudwigsburg zu verbeſſern, ergriff ex den 
Borjchlag von Griesbach mit feurigem ale „Schon lange“ 
— jo jchreibt er in jeiner Selbtbiographie?) — „wars der geheime 
Wunſch meiner Seele, einem Fürſten zu dienen, fir den ich, wie fin 
jeine weife Gemahlin, die tiefſte Ehrfurcht im Bufen trug. . . » 
Schon wälzte ich Entwürfe, wie ich an diefem Hofe, wo alles Ohr 
und Herz fin das Große und Schöne hat, die Kirchenmuſik gründen 
und jie dem Fichten Punkte näher bringen wollte, den Klopſtock in feiner 
herrlichen Ode Siona jo richtig gefaßt und getroffen hat.“ Er hatte 
die Abjicht, ſich in Karlsruhe perfönlich zu bewerben. Nur den Mangel 
an Neijegeld bezeichnet ev als Urfache, daß er nicht jofort aufgebrochen 
jei und die Reife von einem Tage zum andern verjchoben habe. Ob 
jeine Bewerbung, wenn fie etwas eifriger betrieben worden, von Erfolg 
gefrönt gewejen wäre, muß vecht fraglich erfcheinen. Am 22. Januar 1777, 
einen Tag vor jeiner Entführung nach dem Hobenasperg, wurde die von 


') Vgl. Hofrat Rings Schreiben an Schubart vom 19. November 1770, 
mitgeteilt von Dr. v. Schloßberger in der „Befonderen Beilage des Staats- 
anzeigers für Württemberg 1885%, ©. 131. 
>) Koh. Ehriftian Griesbach, Geh. Pegationsjelretär, bei der Geh. Kanzlei 
in et bejchäftigt. 
», C. F. D. Schubarts gefanmmelte Schriften und Schickſale 1, 291. 


Euphorion II. 59 


800 A. Wohlwill, Schubartiana. 


ihm erjehnte Stelle anderweitig bejegt. Die Wahl war auf Joſef 
Aloys Schmittbauer gefallen, der jchon früher im badiſchen Dienften 
gejtanden hatte und den Schubart jelbjt außerordentlich ſchätzte!) und 
(in jeinen Ideen zu einer Aeſthetik dev Tonfunft) „unter die vorziig- 
lichjten Komponiſten unſeres Baterlandes“ ?) vechnete. Wach einer 
Angabe, die jich in der kurzen Schubart- Biographie in Archenholtz' 
Yiteratur- und Völkerkunde (Band 2 Dejjau 1783 ©. 641) findet, ?) 
wäre damals aus der Anjtellung Schubarts in Karlsruhe nichts geworden, 
weil man an jeinen jchlechten Sitten Anftoß genommen hätte. um 
erjcheint es allerdings jehr eimleuchtend, daß, wenn man jich nach dem 
früheren Lebensgang des Fraftgenialifchen Dichters erkundigt hatte, 
Bedenken darüber entjtanden, ob er ſich auch feiner Perjünlichkeit nach 
dazu eigne, den Plag eines „Dirigenten der Hofmuſik“ würdig aus- 
zufüllen. Immerhin bedarf es des Hinweijes auf Schubarts jchlechten 
Leumund faum, um die Bevorzugung Schmittbauers zu erklären. 

Ein umdatierter, doch offenbar nicht lange nach Schubarts Ent- 
führung gejchriebener Brief des badischen Miniſters Wilhelm von Edels- 
heim an Karl Auguft von Weimar beweilt, daß man es auch jener 
Zeit am badijchen Hofe nicht an Sympathien fin den unglüclichen 
Dichter fehlen lieg. Es findet jich da die folgende merkwürdige Stelle: 

„Eine andere Neuigkeit will ih Ew. Hochfürſt. Durchl. erzehlen, die glaub- 
licher ift weil fie würdlich gejchehen ift. Meifter Schubart hat der Hertog von 
Würtemberg recht Hinterliftiger weife nach Blaubeuren loden laſſen. Alda ift er 
durch Hufaren gefahren und nach Ludwigsburg gebracht worden. Da empfienge 

1) In dem von Erihd Schmidt (im Archiv für Literaturgeihichte 10, 189 f.) 
veröffentlichten Brief von Schubart an Griesbah vom 19. November 1775 findet 
fi die Stelle: „Daß ihr Schmidbauern nach zwanzigjährigen treuen Dienften zum 
Teufel gejagt, war nicht recht, nicht Markt Aurelifh. Ein welſcher Schurke muß 
deinen Fürſten dazu verleitet Haben 2c.“ Aus badischen Quellen ift nach gefälliger 
Mitteilung des Herrn Archivrat Dr. Obfer über die angezogenen Berhältniffe 
nur zu entnehmen, daß Schmittbauer bereits 1764 baden-badifcher Konzertmeifter 
war und am 18. November 1767 vom Markgrafen Auguft Georg von Baden- 
Baden zum „Kapell- und Konzertmeifter” ernannt wurde, doch erſt nach dem 
Anfall der baden-badijchen Lande an Baden-Durlad) in die Dienfte Karl Friedrichs 
trat, wo er zunächſt unter dem Kapellmeister Hyacintho Sciatti als Konzertmeifter 
wirkte. Aus Schubarts angeführtem Brief ift zu entnehmen, daß Schmittbaner 
1775 die letterwähnte Stelle verlor. Im Januar 1777 wurde er zum Nachfolger 
Sciattis berufen. 

2) Gejammelte Werke, 5, 177. 

Ä >) Nachdem dort ©. 640 von der Hoffnung Schubarts, Vorlefer bei dem 
Kurfürſten Karl Theodor von der Pfalz zu werden, die Rede gewejen, wird 
hinzugefügt: „allein wahrſcheinlich wurde dieſelbe durch feine ſchlechten Sitten 
vereitelt. Diefe waren von der gemeinften, pöbelhafteften Art, ohne welche er am 
badenſchen Hofe in Karlsruhe Kapellmeifter geworden wäre.“ — Ueber den 
mutmaßlichen Berfaffer diefer biographiichen Skizze und den Grad ihrer Glaub- 
würdigfeit habe ich mich im Archiv für neuere Sprachen 87, 6 geäußert. 


A. Wohlwill, Schubartiana. 801 


Er 50 Prügel. Nun das geht. Aber von da läft Ihn der Tyrann nad Aſberg 
bringen und in eim finfteres Loch werffen, wo Er in 24 Stunden nur 2. den 
Tag jehen fan, ımd das auf ewig. Um die That zu befhönen giebt Er der Frau 
des ohnglüclichen 300 f. Pension und nimt die Kinder in feine fo betitelte 
Academie beffev die Marionetten Schule. O daß es doch noch Götze gäbe, 
Wir wolten Ihn mit feinem Asberg.“t) 


Auch während jeiner Gefangenschaft war Schubart bemüht, jeinex 
Berehrung für Karl Friedrich Ausdruck zu geben und ſich dejjen Wohl- 
wollen zu erwerben oder zu erhalten. Aus einem Brief des Dichters 
an jeine Gattin (vom 1. Dftober 1785) ?) iſt zu erſehen, daß er dem 
Markgrafen nicht nur ein Exemplar des — Bandes ſeiner akademiſchen 
Gedichtſammlung überſenden, ſondern auch gleichzeitig an ihn ſchreiben 
wollte. Weder von dieſer Zuſchrift des Dichters, noch auch von einem 
Dankſchreiben oder einer ſonſtigen Empfangsbeſcheinigung des Fürſten 
hat ſich im badiſchen Landesarchiv eine Spur erhalten. Dagegen findet 
ſich dort ein im November des folgenden Jahres abgefaßtes Schreiben, 
das der Dichter bei Ueberſendung des Hymnus „Friedrich der Einzige, 
ein Obelisk“ an Karl Friedrich richtete. Dieſes lautet, wie folgt:) 


Durchleuchtigſter Marggraf. 
Gnädigſter Herr, 

Ener Hochfürftlichen Durchlaucht weih ich hiemit die jüngste Frucht meiner 
Muſe, die in der Gluth der Begeifterung über Friedrichs Gröfe reifte. 

Wenn Männer, wie diefer, ihre Laufbahn vollenden; jo ifts Schande, 
wenn die Dichter ſchweigen. Ich befang ihn also jo gut, als es das Maas 
meines Geiftes und meine traurige Page erlaubten. 

Wie würde das meine Muſe ermuntern, wenn Euer Hf. D., als ein jo 
erhabener Kerner jedes Guten und Schönen, fie mit Höchſtdero Beifall zu be 
gnadigen gerubten. 

Sie, vortrefliher, Gottnahahmender Fürſt! — find felbjt dev würdigjte 
Stoff für die Mufe des Dichters. Allein — das feurigfte Lied ift zu ſchwach, 
nur Eine That zu belohnen, womit Euer Hochfürftliche Durchlaucht jeden Tag 
Ihres Lebens zum Segen Ihres Volkes verberrlichen. 

Mit brünftigen Gebetten für Höchftdero langes, jo wohlthätiges Yeben 
erjterbe im tieffter Ehrfurcht 

Ener Hochfürftlichen 
Durchlaucht 
unterthänigſter 
Knecht 
Veſte Aſperg im November Schubart. 
1786. 


1) Aus dem großherzoglichen geheimen Haupt- und Staatsarchiv in Weimar. 
Der Schlußſatz iſt bereits im einem Artikel von Karl Obſer „Zur Erinnerung 
an Wilhelm von Edelsheim“ in der Beilage zur Karlsruher Zeitung 1893 
Nr. 336 citiert. 

>) Strauß, Schubarts Leben in feinen Briefen 2, 225. 

>) Aus dem großberzoglichen Familienarchiv in Karlsruhe. 


62* 


802 N. Wohlwill, Schubartiana. 


Das marfgräfliche Geh. Kabinetsprotofoll vom 16. November 1786 
enthält den Entwurf des an Schubart zu vichtenden Antwortjchreibens : 
Der Markgraf dankt fin die ihm evwiejene Aufmerkſamkeit und bittet, 
. die anliegende Denfmünze (eine Sechsdufatenmedaille) „als ein Merk- 
mal jeiner Achtung und Dankbarkeit“ anzunehmen. 

In einem Briefe an den Berliner Buchhandler Himburgt) nennt 
Schubart unter den fürftlichen Berjünlichfeiten, die jich für jeine 
Befreiung verwandt hätten, den Markgrafen von Baden in erjter Yinie. 
Ein aftenmäßiger Beleg für eine jolche Verwendung Karl Friedrichs 
hat bisher nicht ausfindig gemacht werden fünnen. Mag es nun auch 
jein, daß jich dev Markgraf in der einen oder andern Weife zu Gunften 
Schubarts bemühte, jo it doch bei dem gejpannten Verhältnis, das 
zwijchen dem badijchen und dem württembergiſchen Hofe bejtand, zu 
bezweifeln, daß ſich Karl Friedrich mit feiner Fürſprache direft an den 
Herzog Karl Eugen gewandt habe. 

Als endlich die erjehnte Freiheitsjtunde gefommen, gab Schubart 
dem erjten „trumfnen Entzücen“ jeines Herzens in einem nach Karls— 
ruhe gerichteten Schreiben Ausdruck.“) Poſſelt, der befannte badijche 
Schriftſteller, ſoll die frohe Botſchaft dem Publikum verkünden. Von 
einer vorausgegangenen Verwendung des Markgrafen iſt — was beachtet 
zu werden verdient — in dem Briefe nicht die Rede; doch ſchreibt 
Schubart: „Wenn ſich's ſchickte, ſo ſagt ich Ihnen, Sie ſollten mir 
Ihren vortrefflichen Fürſten herzlich grüßen.“ 

Im Sommer 1788 kam Schubart nach Karlsruhe, vielleicht 
um Poſſelt, der ihn im vorausgegangen Jahre aufgeſucht und mit dem 
er einen ſchwärmeriſchen Freundesbund gejchlojjen,?) einen Gegenbeſuch 
abzuftatten und zugleich um die Beziehungen zu feinen übrigen Freunden 
und Gönnern in der badijchen Nefidenz zu erneuern. ES wurde ihm 
dort am 13. Juli die Auszeichnung zu teil, dem Markgrafen vorgejtellt 
zu werden.t) Unzweifelhaft gab ihm Karl Friedrich jeine Teilnahme 
in der leutjeligiten Weiſe zu erkennen. 

Eine weitere —— des Fürſten erhielt Schubart bald 
darauf, da ihm dieſer Schöpflins Geſchichte Badens überjenden ließ. 
Der Dankbrief Schubarts möge hier eine Stelle finden ?): 


1) Strauß, a. a. DO. 2, 265. 

) Schubart an Pofjelt in Karlsruhe, Veſte Asperg den 11. Mai 1787; 
ſieh Strauß a. a. O. ©. 305. 

) Strauß a. a. D. 2, 361. 

) In dem Hoftagebuch des Karlsruher Hofes ift unter dem Datum des 
13. Juli 1788 vermerkt: „Abends wurde Herr Prof. Schubart Durchleuchtigiter 
Herrichaft in der Cour präfentivt.“ 

°) Aus dem Großherzoglihen Familienardhive in Karlsruhe, 


A. Wohlwill, Schubartiana. 8053 


Durchlauchtigſter Marggraf, 
Snädigfter Herr, 
Euer Durchlaucht haben mir durch Höchſtdero Hofbuchbinder Drechsler 
Schoepflini Historiam Zaringo -Badensem 

in fieben prächtig gebundenen Bänden als ein gnädigſtes Gefchenf zu überjenden 
geruhet. Dieſe höchſte Gnade erfüllte mich mit fügem Erſtaunen, weil fie unerwartet 
und ganz umverdient war; zugleid) aber auch mit einer Dankbarkeit, die ich ver- 
geblih mit Worten auszudrüden ftrebe. In meiner frühen Jugend ſchon weilte 
ih mit Entzüden auf den Fürften des Badenjchen Haußes, wo ich jo viel Bider- 
muth und deutiche Kraft und Sinn antraf; aber ſchon frühe hab’ ich einfchen 
gelernt, wie weit Sie, vortreflicher Fürft, am Herzensgüte, Geifteshoheit und jeder 
Herrichertugend Ihre Vorfahren überftralen. Ewig unvergeglich ift mir aljo der 
Tag, wo ich den von mir fchon fo lange hochgeliebten deutfchen Fürften, das 
ftrafende Mufter für fo viele, die ihre Herrſcherwürde entweihen, von Angeficht 
jah, und durch Höchftdero herablaffeıde Gnade big zu Thränen der Wonne und 
der füfeften Freude gerührt wurde. — Mein Herz ift frei, Durchlauchtigſter 
Marggraf, aber mit eben dieſer Freiheit ftell ich mich mitten unter Höchftdero 
glüdliche Unterthanen und wetteifere mit denfelben im der feurigften Yiebe und 
Ehrfurcht für den beften Fürften. — Ein Seelenfeft ſoll es für mich ſeyn, für 
Eier Durchlaucht langes und glücliches Leben auch meine Gebethe mit den 
Taufenden zu vereinigen, die täglich für Höchftdiefelben gen Himmel fteigen. 

Das ſey mein Dank für alle Gnaden, womit Sie mid zu beglüfen 


geruhten! — Mit tiefer Rührung und dem ehrfurchtspolliten Herzen erjterbe 
Euer Durchlaucht 
Stuttgardt den 19ten September unterthänigfter Knecht 
1788. Schubart, 
Prof. 


Bemerkenswert it, dag Schubart auch damals, in jeiner jogenannten 
höfiichen Periode, es für nötig evachtete, durch die Worte „mein 
Herz iſt frei” fich dagegen zu verwahren, daß jeine aus überquellendem 
Herzen umd aufrichtigitev Bewunderung hervorgegangene Huldigung als 
jchmeichlerifche Fürjtendienerei angejehen werde. 

Bon zwei anderen Briefen Schubarts!) an Karl Friedrich dürfte 
eine kurze Inhaltsangabe genügen. Um jeine Dankbarkeit für die ihm 
im dorausgegangenen “jahre erwiejene Gnade an den Tag zu legen, 
macht Schubart den Marfgrafen am 19. April 1789 auf eine in dem 
Nachlaß des Stuttgarter Oberbibliothefars Viſcher befindliche aftronomijche 
Mafchine „unſres weltgepriefenen Mechanifers und Denters Hahn“ ?) 
aufmerkjam, welche das Kopernikaniſche Syftem mit der höchjten Boll- 
fommenheit verfinnliche. Bon den verjchiedenen Maſchinen diefer Art, 
die Hahn verfertigt, jei die erwähnte die bei weitem vortrefflichjte. „Da 


!) Ebenfalls aus dem Großherzoglihen Familienarchive in Karlsruhe. 

?) Ueber den Pfarrer Hahn, der cbenfo ſehr als Theofoph, wie als 
Mechaniker von Schubart bewundert wurde, vgl. die Schrift von E. Ph. Paulus: 
„Phil. Matthäus Hahn. Ein Pfarrer aus dem vorigen Jahrhundert. Stuttgart 
N Ueber die unter Hahns Leitung verfertigten aſtronomiſchen Uhren vergl. 
>. 88—118, 


804 A. Wohlwill, Schubartiana. 


jich nun beveits Yiebhaber zudrangen“, — jchreibt Schubart — „jo fand 
ich Mittel, den Verfauf auf einige Tage zu verzögern, in der einzigen 
Abjicht, Euer Hochfürftlichen Durchlaucht dies deutjche Meisterwerk mit 
tiefftev Ehrfurcht zu empfehlen, da es jo gar vorzüglich das Glück 
verdient, in den Bejig eines der erjten Bejchüger und Kenner jedes 
Großen und Schönen zu kommen.“ Karl Friedrich jandte zufolae 
dejjen den befannten Kirchenrat Prof. Boeckmann nach Stuttgart, um 
die bezeichnete Machine unterjuchen zu laſſen. Ob fie thatjächlich für 
den Markgrafen erworben wurde, konnte nicht fejtgejtellt werden. Sin 
einen legten Schreiben an Karl Friedrich vom 7. Juli 1789 empfiehlt 
Schubart jeinen Schwiegerjohn, den württembergiſchen Hofmuſikus 
Kauffmann, der für eine Zeitlang Urlaub erbeten Hatte, um ich in 
Ntarlsruhe weiter auszubilden und bei dem dortigen Stonzertmeilter 
Danner Unterricht zu nehmen. 

Es begreift jich, daß fich Schubart auch als Journaliſt über das 
Walten des Fürſten, dem er jich aus verjchiedenen Anlaſſen perſönlich 
genähert hatte, fortdauernd nur vejpeftvoll äußerte. Cine Gelegenheit, 
dem Marfgrafen bejonders warmes Yob zu jpenden, bot jich für 
Schubart kurze Zeit nach jeiner Anweſenheit in Karlsruhe. In der 
Baterlandschronif vom 8. Juli 1788 war ein eingejandter Artikel 
abgedruckt worden, dejjen Bejtimmung war, die aufopfernde Menjchen- 
liebe eines Biedermanns an der badijch-württembergijchen Grenze zu 
preijen, der binnen weniger Wochen jich zweimal mit eigener Gefahr 
als Yebensrvetter bethätigt hatte. In dieſem Artifel fanden jich die 
Worte: „Und der Edle hat's umjonft gethan!! hat noch feine Be— 
lohnung erhalten.“ Ueber das rrtümliche der legteren Angabe be- 
lehrt, beeilte ſich Schubart in der Vaterlandschronif vom 25. Juli zu 
berichten, jener edle Menjchenfrennd habe von feinem Fürſten nicht nur 
40 fl. bares Geld, jondern auch eine große Schaumünze empfangen, 
auf der jedoch „der Name des erhabenen Yohners ausgelajjen jei, weil 
jeine Bejcheidenheit immer ungerne feine jchönften Ihaten laut werden 
laſſe.“ Dieſer Notiz fügte Schubart die Verje hinzu: 

Möcht' auch die Welt von feinen Thaten ſchweigen, 
Der Engel, der fie unfichtbar 

Bemerkt, wird dejto lauter zeugen, 
Was uns Karl Friedrich war. 

Seit dem Ausbruch der franzöfiichen Nevolution wandte Schubart 
jeine Aufmerkfamfeit vorzugsweife den großen politijchen Weltereigniffen 
zu; immerhin fand ev auch in den jpäteren Jahrgängen feiner Chronik 
wiederholt Gelegenheit, des Markgrafen und jeiner Negierungsmaßregeln 
anerfennend zu gedenken, und noch in dem Blatte vom 25. Januar 1791, 
in dem er darzuthun juchte, daß das ausländifche Gift in den deutjchen 


A. Wohlwil, Schubartiana. 805 


Staaten nur eine vorübergehende Wirfung hervorgebracht habe, nannte 
er Baden unter den Yandern, deren Unterthanen fich „Linder und weijer 
Beherrjcher” zu erfreuen hätten. 


II. Briefe Schubarts an Pfarrer Weyſſer in Thamm 
(unweit des Hohenaspergs.)!) 
% 
Weisero?) meo s. d. Schubartus. 

Tres quas benevole mihi misisti lagenas defaecato vino plenas 
grata mente accepi ac jamjam cum filio meo unam in salutem tuam, 
optime vir, prope exhausi. 

In tristissima mea situatione mihi saepius nil superest quam Lyaei 
dulce lenimen, Lyaei 


— qui spem reducit mentibus anxiis 
Viresque.°) 


Acecipe itaque, dignissime vir, leve hoe gratitudinis meae signum 
et in posterum etiam musae Schubartianae maneas fautor. 

Encomium magni Lutheri exarare musa mea decrevit, quod tibi, 
quam primum typis editum est, mittam. Ceterum enixe peto, ut me in 
patroeinio tuo semper retinere velis. 

Volanti ealamo quidem, sed fixo in te animo scripsit 


Tui 
totus 
Schubartus. 
In monte calamitatis 
d VI mens. Xbris 
MDCCLXXXVI. 
(Dorfal: Viro plurimum reverendo M. Weisero, .ecelesiae ministro 
ac fautori suo aestimatissimo.) 
2 
Veſte Asperg, den 15. Mai 1787. 
Verehrungswürdigſter Gönner und Freund, 

Weunn ich nicht längſt Ihr vortrefliches Herz kenute: jo würde Ihre 
rührende Theilnehmung an meiner Freiheit allein ſchon hinreichen, ſelbiges hoch— 
zuſchäzen und zu lieben. Sie haben ſich oft an mein Laid angeſchmiegt und nun 
ſchmiegen Sie ſich auch an meine Freude. Der Gott belohne Sie, der Ihr Herz 
mit jo köſtlichem Saitengold beſpannte. Sie liebten Schubart den Gefangenen, 
lieben Sie auch Schubart den Freien. Ich werde meine Freiheit, dieſe meine 
Urſtänd aus dem Kerkertode, gewiß ſo gebrauchen, daß ſich meine Freunde deß 
freuen ſollen. 


1) Aus dev Autographeuſammlung der Großherzoglichen Hof- und Landes— 
bibliothek in Karlsruhe, nad gefälligen Abſchriften des Herrn Archivrat Dr. Obſer. 

2) Gallus Friedrich Weyſſer, geb. zu Waiblingen am 17. Juni 1730 
(oder 1731), war feit 1767 Pfarrer in Thamm. (Gefällige Mitteilung des 
Herrn Prof. Dr. Th. Schott in Stuttgart.) 

5) rei nach Horat. Od. III, 21, v. 16 ff. 


806 D. Jacoby, Zu „Aleris und Dora“ von Goethe. 


Bon Ihrer gütigen Einladung kann ich aber vor heute feinen Gebrauch 
machen. Ich habe meinen Herrn Beichtvater und meinen Yeibarzt heut zu einem 
Heinen Mahle eingeladen, Doch werd ich morgen, oder übermorgen ficher ſchon 
meine Aufwartung machen. Geſtern war ich bei Heren Pfarrer im Dorfe äufferft 
vergnügt. ES war mein erfter Ausflug in die Heitere der Freiheit. 

O Freiheit, Freiheit, 

Silberton dem Ohre! 

Dem Herzen groß Gefühle! 

Licht dem Berjtande 

Und freier Flug zu denken !! — 
Empfehlen Sie mich Ihrer Tiſchgeſellſchaft! Sonderlich der Fr. Gemahlin. 
Ich bin fo warn als möglich 

Em. Hoch Ehrwürden 
meines Edlen Gönners u. 


Freundes 
ganz gehorjamfter Diener 
Mein Weib neigt u. Freund 
fi vor Ihnen. Schubart. 


(Dorfal: Sr Hoch Ehrmwürden 
Herr Pfarrer Wenger 
in Damm!.) 


Bu „Alexis und Dora“ von Goethe. 


Bon Daniel Jacoby in Berlin. 





I. Die Schlußverfe. 


In der Elegie, die Goethe zuerſt Idylle genannt hat, wird uns 
immer nur durch die Worte des Alexis — denn dieſer jpricht vom 
erjten Verſe an, der Dichter giebt feine einleitende Erzählung?) — von 
dem Herzensbund berichtet, der im Augenblic dev Trennung des Jüng— 
lings von der Heimat gejchlofjen ward. Während vom Schiffe her 
ungeduldig der Genoſſe der Fahrt verlangt wurde, fanden jich die 
Herzen der Yiebenden; auf Alexis Frage: Dora! und bift du nicht 
mein? folgte die leife Antwort: Ewig. Nun, am Meaft des Schiffes 
jtehend und auf die Berge der Heimat zurückblidiend, malt jich Alexis 
nit jehnjüchtiger Glut die Zukunft aus, bis ihm die Sorge gräßlic) 
gelajjen naht. In der Furcht des Verluftes bricht die Eiferfucht plöß- 

1) Aeltere Schreibweife für Thamm. 


9) Wie felbft Biehoff „Soethes Gedichte erläutert“ 1°, 339 fälſchlich meint; 
vihtig Dünger „Goethes Iyrifche Gedichte“ 32, 107. 


D. Jacoby, Zu „Aleris und Dora“ von Goethe. 807 


lich hervor; in übertreibender Berzweiflung ſieht ev ſein Glück ver- 
nichtet und wünjcht, daß das Schiff zerichelle und ex jelbjt den Delphinen 
zum taub gegeben werde. 

Mit den erjchütternden Worten des Jünglings aber endigt die 
Elegie nicht. Aus der ſtarken Mitempfindung, die unſer Gemüt leiden— 
ſchaftlich erregt hat, reißt uns der Dichter; er hebt die Illuſion ſelbſt 
auf, indem er ſich mit den vier Schlußverſen einmiſcht: 

Nun, ihr Muſen, genug! Vergebens ſtrebt ihr zu ſchildern, 

Wie ſich Jammer und Glück wechſeln in liebender Bruſt. 
Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor geſchlagen; 
Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch. 
— dieſe „Abſchiedsverbeugung“ wird das Gedicht, wie Goethe am 
22. Juni 1796 Schiller ſchreibt, wieder ins Leidliche und Heitere 
zurückgeführt.) Die abſichtliche Aufhebung der Illuſion, die unſer 
Gemüt beruhigen ſoll, durch die wir an die Kunſt erinnert werden im 
Augenblick des tiefſten Anteils an dem Erlebnis einer Menſchenſeele, 
findet ſich auch in dem wenige Monate ſpäter gedichteten Epos „Her— 
mann und Dorothea“, und zwar zu Beginn des letzten Geſanges.?) 
Wilhelm v. Humboldt ift das in jeiner befannten nn nicht 
entgangen. Gegen Ende des achten Gejanges, bemerft er,?) da das 
Dunfel der Nacht die Yiebenden umgiebt, Liegt auch über ihren Gefühlen 
jelbft eine dumpfe Schwermut verbreitet. Dex Augenblid aber, in dem 
jie in das Haus der Eltern treten, muß jie in lichtvoller Stlarheit zeigen. 
Um dieje über fie zu gießen, macht der Dichter eine Paufe. „Daß 
der Eindrud jener legten Situation“ — und der bald folgenden, möchte 
ich noch zu Humboldts Worten hinzujegen — „nicht zu drückend werde, 
daß er nicht aus dem Gebiete der Kunſt und der Einbildungskraft 
herausgehe, xuft ex die Muſen an, umd der Starfe gewiß, mit der 
er ji) des Zuhörers bemächtigt hat, ſcheut ex fich nicht, ihn ſelbſt 
daran zu erinnern, daß es nicht Wahrheit, ſondern nur ein Spielmerf 
der Kunſt it, was er ihm zeigt.“ 

Dieſe Scheu, die Illuſion auf das höchjte zu treiben,. durch die 
die Wirklichkeit jelbjt vor Augen jteht und unſre Gefühle bis zur pein- 
lichen Qual fich jteigern, hängt genau mit Goethes und Schillers 

!) Dünger freilich (a. a. O. ©. 112) will hier klüger als Goethe fein und 
ergeht fi in folgenden Wendungen: „Man darf dies nicht für eine bloße Ab— 
ihiedsverbeugung halten. Der Dichter felbft hat durch die Schilderung der Ge— 
fühle des Alexis feinem eigenen liebeskranken Herzen Luft gemacht“ u. ſ. w. 

2) Die epifche Objektivität iſt alfo auch in „Hermann und Dorothea“ 
nicht durchweg gewahrt, wie gegen Spielhagen beiläufig bemerkt wird. 

3) Aeſthetiſche Verſuche. Erſter Teil. Ueber Goethes Herman und 
Dorothea 1799, ©. 120. 


808 D. Jacoby, Zu „Aleris und Dora“ von Goethe. 


äſthetiſchen Grundſätzen zujammen, daß die Dichtfunft durch die der 
Fabel innewohnende Wahrheit wirken jolle, nicht durch das düstere Bild 
der Wirklichkeit jelbjt. Die Täufchung, die jie jchafft, zerſtört fie auf- 
richtig ſelbſt: ewnjt ift das Yeben, heiter ift die Kunſt. Um nicht die 
Beijpiele zu haufen, erinnere ich nur an Schillers Brief an Goethe 
vom 23. Oktober 1796 über Mignons Tod: „Mignon wird wahr- 
jcheinlich bei jedem erjten und auch zweiten Yejen die tiefjte Furche 
zurück laſſen; aber ich glaube doch, daß es Ihnen gelungen jein wird, 
wonach je jtrebten, dieje pathetijche Rührung in eine jchöne aufzulöfen.“ 
Und 1798, als Goethe eine Scene aus Kauft, offenbar die Kerker— 
jcene, in Neime bringt, denn in Proſa jchien ſie ihm durch ihre Natür- 
lichfeit und Stärfe ganz unerträglich, erinnert Schiller, im Briefe vom 
8. Mai, an eine ältere Erfahrung Goethes, die er bei der Marianne 
im Wilhelm Meifter gemacht habe, „wo gleichfalls der pure Realiſm 
in einer pathetijchen Situation jo heftig wirkt und einen nicht poetijchen 
Ernſt hervorbringt“. Nach meinen Begriffen, jchließt Schiller, gehört 
es zum Wejen der Boefie, dag in ihr Ernſt und Spiel immer ver- 
bunden jeien. Zwei Jahre jpäter, im Gedicht an Goethe, bezeugt ev 
vor der Oeffentlichkeit ihre Uebereinſtimmung mit den befannten Berjen: 
Der Schein fol nie die Wirklichkeit erreichen, 
Und fiegt Natur, jo muß die Kunſt entweichen. 

ach diefer Ausführung wird es gewiß jonderbar erjcheinen, daß 
ein Mann wie Friedrich ee. in ſeiner Necenfion des Muſen— 
Almanachs für das Jahr 1797) auch die vier Schlußverje für Worte 
des Alexis anfieht. Denn er jagt: „Schön a es, daß Alexis in Geſang 
ausbricht, jo wie ihm die legte Spur von Doras Heimat verjchtwindet: 
aber iſt dieſer Augenblick nicht noch zu früh für einen befonnenen Ent- 
ihluß, bei den Muſen Yinderung zu juchen? Freilich deuten nur die 
Schlußverje auf diejes Abjichtliche, da jein Geſang ſonſt durchaus ein 
unwillkürlicher Erguß der Empfindung zu jein jcheint.“ Ebenſo un- 
tichtig der von Schlegel gewiß beeinflußte Körner, der die weije 
Anordnung des Ganzen doch jo treffend hervorhebt. Im Brief an 
Schiller vom 11. Dftober 1796 jagt er: „Ein Tiebender Jüngling 
wird als Dichter dargeftellt. . . Er beginnt mit dev Schilderung dejjen, 
was ihn umgiebt . . Dex natürlichhte Uebergang leitet ihn dann auf 
die Gefchichte jeiner Yiebe. Nun folgt die höchjte Begeijterung, dann 
Entwürfe, frohe Ausfichten, und nun führt dev Gegenſatz wieder jchwarze 
Bilder herbei: Ex erblickt den Abgrund, wohin ihn die Phantaſie Führt, 
läßt plöglich den Borhang fallen, exjcheint wieder als Dichter (!) umd 
Löft die Diffonanz mit der Stimmung auf, in der er das Gedicht anhub.“ 








) Proſaiſche Fugendihriften, herausgegeben von. J. Minor 1882, 2, 22, 


D. Jacoby, Zu „Meris und Dora“ von Goethe. 809 


Die Schönheit der Elegie fühlte jonjt Friedrich Schlegel tief. Wie 
Schiller durch das einzige Wort Doras Ewig! ergriffen wurde — Brief 
an Goethe vom 3. juli 1796 — jo würdigte auch Schlegel gebührend 
das „köſtliche“ Ewig.!) Der Tag, an dem er Alexis und Dova las, 
jchreibt ex feinem Bruder?) war ein Götterfejt. Das Gedicht hat ihn 
mit Entzücen durchdrungen. Das Ewig ging ihm durch Mark und 
Bein. Die Elegie ift ihm „lieber als alles was Goethe je über Yiebe 
metrifch gedichtet hat.“ Kaum aber bei einer anderen Schöpfung wurde 
Goethe durch jo viele jchiefe Urteile und Mißverſtändniſſe dev Yefer 
verjtimmt. Er hatte ein Necht, dem Freunde, der ihn ganz verjtand, 
zu jehreiben, den Yejern und Hörern fehle es an der Aufmerkjamfeit, 
„die ein jo obligates Werk verlangt. Was ihnen gleich einleuchtet, das 
nehmen jie wohl willig auf, über alles, woran fie jich nach ihrer Art 
jtoßen, urteilen fie auch jchnell ab, ohne vor- noch rückwärts, ohne auf 
den Zujammenhang zu jehen, ohne zu bedenken, daß fie eigentlich den 
Dichter zu fragen haben, warum ev dieſes und jenes jo und nicht 
anders machte“ (an Schiller 7. Juli 1796).?) 


ll. Sur Entjtehung des Gedichts. — Die ſchöne Matländerin 
in Goethes Gedichten. 


ie zu den meiſten Gedichten Goethes, jo ijt auch zu den Elegien 
die Beziehung auf jein Yeben gefunden worden. Nicht jo jteht es bei 
Aleris und Dora. Wer jo oft beobachtet hat, wie Goethe ein erfreuendes 
oder quälendes Erlebnis, das ihn mächtig ergriffen, dichteriſch Fejthielt und 
verflärte, wird nicht Dünger vecht geben mit ſeinem jchnell fertigen Urteil, 
die Elegie jei „rein erſonnen, wie manche Yieder, in denen Goethe Jich 
in befondere Yagen verjegt“.t) Vielmehr wird er ©. d. Yoeper dafür 
dankbar jein, daß er den Keim erfannt hat, aus dem die herrliche 
Elegie erwachjen ift. Yoeper?) erinnert an den Abjchied Goethes von 
dev schönen Meailänderin an den Treppen des bewegten Tiberhafens 

) Bgl. Goethe-Jahrbuch 5, 330. 

?) Friedrich Schlegels Briefe an feinen Bruder A. Wilhelm, herausgegeben 
von Oskar %. Walzel 1590. ©. 254. 

) Nachträglich jehe ich, dar auch J. Kaſſewitz in feiner unbedeutenden 
Schrift „Darlegung der dichterifchen Technik und littevarhifterifchen Stellung von 
Goethes Elegie Alexis und Dora“, Leipzig 1593 S. 18, im Anſchluß an Schlegel, 
wunderlich genug ſagt, „daß der Held ſich wieder als Dichter erkennt und als 
ſolcher bekennt, die Schmerzen der Wunden Amors bloß lindern, nicht aber 
vollſtändig ſchildern, geſchweige denn heilen zu können.“ 

*) A. a. O. 1, 243. Freilich auch über „Jägers Nachtlied“, den rührenden 
Nachklang der Liebe zu Lilli, ſagt Düntzer: „Der Dichter denkt ſich als Jäger, 
dem in der Einſamkeit des Waldes das Bild dev Geliebten aufgeht“ (a. a. O. 2, 155). 

5) Goethes Werte, Berlin 1882. 1, 421. 





810 D. Jacoby, Zu „Alexis und Dora“ von Goethe. 


zu Nom, Dieſer Hinweis iſt aber nicht beachtet worden; auch Richard 
M. Meyer in ſeinem kürzlich erſchienenen verdienſtlichen umd anziehenden 
Buche über Goethe hat ihn ſich nicht zu nutze gemacht, vielleicht weil 
Loeper jeine Ueberzeugung nicht bejtimmt genug ausgejprochen hat. Die 
Situation ift jo überaus ähnlich. Erſt im Augenblick der Trennung 
von Rom offenbarte ich „von allen Fejjeln frei,“ wie Goethe in der 
Erinnerung an jenen Abjchied im April 1788 in der „Italieniſchen 
Reiſe“ erzählt, das Innere zweier ſich nur halbbewußt Liebenden. 
Diejes durch) inneren Drang abgendtigte Schlußbefenntnis der un— 
ſchuldigſten und zartejten wechjeljeitigen Gewogenheit, jagt Goethe, „it 
mir nie aus Sinn und Seele gefommen“. Und wie ev erzählt, daß 
er beim Abjchied von dem anmutigen Mädchen gedrängt war, „schnell 
alle Momente unjeres zarten Verhältnijjes, vom erſten Augenblid an 
bis zum legten, miv wieder dorzurollen,“ jo entfaltet ſich auch in der 
Seele des auf dem Schiffe dahinjegelmden Alexis das ganze Verhältnis 
mit der „jchönen Nachbarin” von der Bergangenheit an, da er fie zu 
jehen gewohnt war, „wie man die Sterne Jieht, wie man den Mond 
jich bejchaut,“ bis zu dem bedrängten Augenblick, der die Yiebenden zu 
einander zwang. 

Dabei ift nicht ausgejchlojjen, daß das Gedicht auf jene Stelle 
in der Erzählung des zweiten römiſchen Aufenthalts jeinen Reflex ge- 
worfen hat: die erſte Faſſung der Erzählung bejigen wir befanntlich 
nicht mehr. ls Goethe die Elegie im Mai 1796 dichtete, war jeine 
Sehnjucht nach Italien wieder lebhaft erwacht, im Auguſt wollte er 
Meyer dahin folgen, die Franzoſen aber jchnitten ihm den Weg ab. 
(Brief an Voigt 31. Mai, an F. 9. Jacobi 12. Juni, Werfe Wei- 
marer Ausgabe IV 11, SO und 86.) An Körner aber jchrieb er aus 
Jena, den 22. September: Wenn Sie die Idylle zu Anfang des 
Muſenalmanachs jehen, jo gedenfen Sie jener guten Tage, in denen 
jte entjtand. Aehnliche Arbeiten diejer Art machen mich hier im Saal— 
grunde vergeſſen, daß ich jeßt eigentlich am Arno wandeln jollte. 

Wir willen, daß Goethe die plötzlich entjtehende Kiferjucht 
des Alexis gegen Schluß des Gedichts im Briefe an Schiller vom 
22. Juni 1796 verteidigt hat. Dazu vergleiche man jeinen Bericht 
in der italienischen Neife vom Dftober 1787. Als er erfuhr, daß die 
Mailänderin, für die fich feine Neigung „bligjchnell“ und „eindringlich 
genug“ entjchieden hatte,!) Braut jei, ergriff ihn ntjeßen. Daß 
Neigungen, fegt er hinzu, denen man eine Zeit lang unvorjichtig nach- 
gegeben, endlich aus dem Traume gewect, in die jchmerzlichiten Zu- 
jtände ſich umwandeln, ijt herkömmlich und befannt; aber vielleicht 


!) 24, 425 (Hempel). 





D. Jacoby, Zu „Mleris und Dora“ von Goethe. s11l 


interejjiert diefer Fall durch das Seltfame, daß ein lebhaftes wechjel- 
jeitiges Wohlwollen in dem Augenblicke des Keimens zerjtört wird und 
damit die Vorahnımg alles des Glücks, das ein jolches Gefühl jich in 
fünftiger Entwicelung unbegrenzt vorjpiegelt“. Die plögliche Eiferjucht 
des Alexis iſt durchaus der Natur abgelaufcht, aus eigenjter Yebens- 
erfahrung, wie alles in diefer Elegie, die Schiller zu dem Schönjten 
vechnet, was Goethe gemacht hat: „jo voll Einfalt ift jie bei unergründ- 
lichev Tiefe der Empfindung“. — Ein Werther - ähnliches Schicjal!) 
jchien Goethe in Nom, nachdem ex jene jchmerzliche Nachricht erhalten, 
zu bedroden und ihm „jo bedeutende, bisher wohl bewahrte Zujtände 
zu verderben.“ Zwar faßte er fich männlich und wußte jich zu be- 
herrſchen, „als einer, der ohnehin nicht mehr einem leichtfinnigen 
Jüngling glich“, aber noch lange wogte die Erregung und die innere 
Unruhe in ihm nach. Davon zeugt das Gedicht „Cupido, loſer, eigen— 
ſinniger Knabe“, das, im Herbſt 1787 entſtanden, ein Jahr darauf im 
5. Bande der Schriften und in der italieniſchen Reiſe im Januarbericht 
1788 gedruckt winde. Der greife Dichter wollte 1827 dem Yiede 
eine jymbolische Bedeutung geben ;?) aber jchon Yoeper,”) der auch das 
Gedicht „Amor als Yandjchaftsmaler“ in jeiner Entjtehung vichtig 
erkannt hat, brachte es mit Necht zu dem „anmutigen“ Mädchen in 
Beziehung, dejjen Wejen Goethe jo tief ergriffen hatte. Auch Yudwig 
Blume?!) hat fein hevausgefühlt, A jich hier hinter dem Spiele 
eine ernithaft gemeinte Sa LER: verjteckt hält, die nur durch willens- 
ſtarke Reſignation im Zügel gehalten wird“. Im Geſpräch mit Ecker— 
mann im Jahre 1829 war Goethe übrigens nicht jo zurückhaltend, 
aber des eigentlichen Anlaſſes zum Gedichte jchien er jich nicht zu 
erinnern oder richtiger, ex vermied es, jeiner Weije gemäß, jelbjt gegen 
Edermann durch Entweihung eigenjter Empfindungen über das Gedicht 
die Aufklärung zu geben, ohne die es nicht ganz verjtändlich jein kann. 
„Ich kann“, jagte Ecfermann,?) „das Gedicht nicht wieder los werden, 
es iſt durchaus eigenartig und drückt die Unordnung jo qut aus, die 
durch die Liebe in unſer Leben gebracht wird“. Goethe: „Es bringt 
uns einen düfteren Zuftand vor Augen“. Und auf Ecermanns jpätere 
Bemerkung: „Wie Sie aber zu dem Gefühl eines jolchen Zuſtandes 

Nas a. DS. 428. 

2) 24, 465 (Hempel). 

3), a. a. ©. 2, 350; vgl. 154; vgl. N. Keil, Ein Oneihe- Skumun 1591, 
S. 184. Auch Keil bat, wie Yoeper, das Gedicht „Amor als Landichaftsmaler“ 
auf die ſchöne Mailänderin bezogen ©. 185. Ihr Bild hat er nach der angeb- 
lichen Original-Handzeichnung Goethes in farbigem Lichtdruck jeiner Schrift vor— 
geſetzt. 


+) Goethes Gedichte. Wien. Gräſer. o. J. (1892) ©. 190. 
°) Geſpräche mit Goethe 2°, 73 f. 


812 D. Jacoby, Zu „Alexis und Dora” von Goethe. 


gekommen jind, begreife ich Faum“, eviwiderte Goethe: „ch werde es 
auch nicht zum zweiten Male machen und wüßte auch nicht zu jagen, 
wie ich dazu gefommen bin.“ 


Inwiefern das Verhältnis zn der Schönen auch auf andre Lieder 
eingewirft Hat, joll hier nicht näher unterfucht werden. Erwähnen 
will ich Riemers Bermutung,!) daß das 7. Venetianifche Epigramm 
— drei Jahre nach dem Abjchied gedichtet — ihr geweiht jei: 

Eine Liebe hatt’ ich, fie war mir lieber als alles! 

Aber ich hab fie nicht mehr! Schweig und ertvag den Berkuft. 

Yor allem verdient auch in diefem Zuſammenhang das im September 1796 
gedichtete Yied „An Mignon“ tiefere Teilnahme, als ihm bisher ge- 
worden it. Ein des fernen Geliebten, dein fie jich durchaus geneigt 
weiß, — „jo wie deine, meine Schmerzen“ heißt es in der erjten 
Strophe jehnfüchtig gedenfendes, am Feſttag gejchnrüctes Mädchen 
flagt ihren tiefen Schmerz: unten jieht ſie Schiffe fahren, jedes fommt 
an jeinen Ort! Aber die jteten Schmerzen ſchwimmen nicht im Strome 
fort. In die Seele der Schönen, deren Gejtalt gerade in jener 
Zeit ihm jo lebendig vor Augen jtand, jich verjenfend, läßt Goethe fie 
ji) an Mignon wenden, die Schußheilige aller Yiebesfranfen. Auch 
hier hat Yoeper — er allein — das Wichtige erfannt; treffend hat er 
auch auf eine wichtige Stelle im Briefe Goethes an Schiller vom 
28. Mai 1797 aufmerkfam gemacht. Soll ich den Yejer noch an 
jene Worte des Mädchens beim Abjchied in der italienischen Neife 
erinnern? „Ihr jeid glüclich . . . wir andren müſſen ums im Die 
Stelle finden, die Gott und feine Heiligen ums angewiejen. Schon 
lange jeh ich vor meinem Fenſter Schiffe fommen und abgehen, aus- 
laden und einladen.“ . Die individuellen Züge des jchönen Yiedes werden 
jet vielleicht doppelt ergreifen. 





— 


) Bat. R. Keil a. a. 66 


N. Steig, Schäfers Mlagelied von Goethe. 813 


Schäfers Rlagelied von Goethe, 
Bon Neinhold Steig in Berlin. 


Schäfers Nlagelied gehört zu den volfsliedartigen Gedichten 
Goethes. Was wir bis jeßt über feine Entjtehung in der Form, wie 
wir es bejigen, willen fonnten, beruht im wejentlichen auf einem 
Berliner Briefe Zelters an Goethe vom 7. April 1802 (Briefwechjel 1,21). 
Demzufolge empfing es Zelter, der auf der Heimreife von Weimar 
begriffen war, im Jena von der rau Sujsigeätin Hufeland md 
fomponierte es bereits unterwegs in Yeipzig. Nach den, was Johannes 
Falck „aus näheren perjünlichen Umgang“ m Goethe (S. 178) erzählt, 
befand jich eine — Niederſchrift des Gedichtes in den Händen der 
Gräfin Egloffitein. Da jich jedoch Fein einziges handjchriftliches S Blatt 
erhalten hat, jo mußte uns der erſte Druck im Taſchenbuch auf 1804 
als Urquelle gelten.!) 

Ich bin nun in der Yage, von einer für uns neuen handjchrift- 
lichen Geſtalt des Klageliedes Nachricht zu geben, und zwar aus dem 
Briefe eines jungen Mediziners, der um den Anfang des Jahrhunderts 
in Jena jtudierte, eines D Deutjchruffen Namens L. Wrangel. Ex war der 
fichfte und vertrautejte Studienfreumd Savignys und Klemens Brentanos, 
mit denen er nach ihrem Fortgang von der Univerfität in Storrefpondenz 
verblieb. Ich las feine Briefe durch und empfing den Eindrucd, das; 
er ein treuer, ehrlicher Menſch gewejen jei, dem Bertrauen gebühre. 

hielt die Freunde über die wichtigjten Borgänge in Jena und 
Weimar auf dem Yaufenden. So jchiefte ev Savigny z. B. im Frühjahr 





1) In Loepers Kommentar (1, 310), von dem ich ausgebe, fann daher 
die Bemerkung, Schäfers Klagelied jei „eine Blüthe des Frühlings 1801“ wohl 
nur ein Außerlicher Sa jein. Auch die Angabe dort, Zelters Kompofition 
datiere vom Jahre 1812, ift zu berichtigen. Sie jteht nämlich als Ver. 2 im erjten 
Hefte von „Zelter's ſämmtlichen Liedern, Balladen und Romanzen für das Piano— 
Forte“, das zu Berlin ohne Jahr erſchien, von dem aber die Allgemeine muſi⸗ 
kaliſche Zeitung am 5. Juli 1811 eine Bejprehung brachte. In dieſem Werke 
find, laut Zelters eigener im Dezember 1810 erlaffener Ankündigung, feine 
beften älteren und viele neuere Melodien vereinigt. Die natürliche Folgerung 
alfo ift die, daß wir in Zelters Drucd von (1810 oder) 1811 die urfprüngliche 
Kompofition des Jahres 1802 anzuerkennen haben. — Ich benutze die Gelegen- 
heit, in meinev Wiedergabe des von Goethe an Zelter gefchidten Ergo bibamus 
(Goethe-Jahrbuch 16, 187) zwei Berjehen zu beſſern: Strophe 3° ift hinter 
„Ihmorgt“ ein Komma zu ſetzen, Strophe 4° ift „Er“ anftatt „ES“ zu leſen. 


-3 


814 N. Steig, Schäfers Mlagelied von Goethe. 


1803 eine ausführliche nhaltsangabe der Eugenie, die Clemens und 
Bettina an Arnim nach Paris weiter berichteten, von dem fie wieder 
Friedrich Schlegel und dejjen Streife zufam. (Arnim und Brentano 
©. 70). Einem aus Jena den 20. Juli 1802 datierten Briefe 
Wrangels an Brentano entnehme ich nun, mit Webergehung dejjen, 
was über gemeinfame Freunde wie Kohler, Auguſt Winkelmann und 
Johannes Ritter gejagt ift, folgende auf Goethe und — Schäfers Klage— 
lied bezügliche Stelle: „Göthe hat ein Vorjpiel gejchrieben zu der Ein- 
weihung des Yauchjtadter neuen Theaters. Der Titel it ‚Was wir 
bringen‘, übrigens iſt es eine Allegorie, und jede Rolle ijt der 
Individualität des Acteurs und der Actrifen angepaßt. — Göthe hat 
auch ein Yiedchen gemacht auf Deine Melodie ‚Dort oben auf jenem 
Berge‘. Coll hat die Melodie bei Dufeland gejungen, und fie bat 
den Göthe jo gefallen, dag Er den andern Morgen dem Coll folgendes 
Viedchen zu der Melodie gejchieft hat: 


Schäfers Klage. 


(1) Dort oben auf jenem. Berge 
Steh ih wohl taufend mal 
An meinem Stab gebogen 
Und ſchaue hinab ins Thal. 


(2) Dann folg ic) der weidenden Heerde 
Mein Hündchen bewahret mir fie 
Ich bin berumter gekommen 
Und weis doch felber nicht wie. 


(3) Dort fteht von jehönen Blumen 
Die ganze Wiefe jo voll 
Ich breche fie ohne zu wiffen 
Wem ich fie bringen ſoll. 

(4) Und Regen Stumm und Gewitter 
Berpaffe ich ımmter dem Baum — 
Die Thüre die bleibet verjchloffen, 
Denn alles war leider nur Traum! — 


Dort jtehet ein Regenbogen 
Wohl über jenen Haus — 
Doc) fie ijt fort gezogen 

Weit in das Yand hinaus, 


(6) Weit in das Yand umd weiter 
Vielleicht wohl über die Ser — 
Borüber ihr Schäfhen, vorüber! 
Dem Schäfer ift gar zu weh —“ 
Daß Brentano Volkslieder jelbjt gejungen habe, iſt uns von 
jeinen Jugendjahren an bezeugt; und welche Bedeutung fin ihn gerade 
„Dort droben auf jenem Berge“ hatte, mag ermejjen, wer des, im 


% 





N. Steig, Schäfers Klagelied von Goethe. 815 


Frühling 1803 entjtandenen, Gedichtes an Marianne Jung oder des 
Wunderhorns gedenft. Nun war Brentano zu Ende 1801 bis in die 
eriten Tage des Januar 1802 in Jena und Weimar gewejen und 
hatte natürlich wieder im Kreiſe jeiner Studienfveunde verkehrt, zu 
denen Y. Coll aus Coburg gehörte. Auf diefen Aufenthalt bezieht ich 
eine Schilderung des nachmaligen Hofrats Kohler zu Neresheim in 
Schwaben, Be man in den biographijchen Nachrichten der Geſammelten 
Schriften (8, 38) findet, wonach Brentano im Januar 1802 auf der 
Suche ach ee jich „einige Lieder, die dortmal jehr viel Auf- 
jehen machten,“ umd worunter auch 

Da droben auf dem Berge 

Da fteht ein güldenes Haus 


gewejen jei, nach und nach von ihm angeeignet habe: „nach diejem 
legteren, jest Kohler hinzu, fertigte Goethe Schäfers Abendlied, welches 
in feinen Werfen abgedruct iſt.“ Daß wenigitens das Fragment vom 
„Einfiedel Kutt in die Höh“, aljo die im Wunderhorn 1, 458; 3, 24, 141 
und in Arnims Novellen 2, 288 gebrauchten Berje ausgelaffener Wein- 
fröhlichkeit 

Da droben auf dem Hügel, 

Wo die Nachtigall ſingt, 

Da tanzt der Einſiedel, 

Daß die Kutt in die Höh ſpringt — 


von Kohler herrühren, beſtätigt Brentano ſelbſt 1806 in einem Briefe 
an Arnim (S. 178). Doch ginge vielleicht auf Kohler im erſten Bande 
des Wunderhorns (©. 102) das mündliche Yied „Müllers Abjchied“ 
zurück, das die Herausgeber ebenjo gut hatten „Müllers Klage“ nennen 
fünnen, da jich in ihm die Klage des Müllers um die verlorene Yiebe 
eines Nitterfräuleins einfach und ergreifend ausjpricht. ES beginnt 
allein im Wunderhorn jo wie Kohler angibt; es ift — obwohl in drei 
Strophen abgejeßt — doch wie Goethes Klagelied in jechs vierzeiligen 
Strophen aufgebaut und nach derjelben Weile jingbar; es wird von 
einer gleichen Grundjtimmung getragen. Goethe hat es auch in jeiner 
Recenſion (Hempel 29, 388) als „für den, der die Yage fallen Fünne, 
unſchätzbar“ bezeichnet. 

Vie fich ohne weiteres ergibt, jeßen Wrangels Brief und Kohlers 
Bericht die nämlichen Vorgänge und Thatjachen voraus. Wo beide 
von einander abweichen, gebührt dem Brief vor dem aus jpäterer 
Erinnerung geflofjenen Berichte der Vorzug. ES heißt übrigens weder 
Kohler etwas nehmen noch Brentano etwas zulegen, wenn wir mit 
Wrangel glauben, daß irgend eine Faſſung oder Weiſe Brentano auch 
vorher jchon befannt gewejen ift. Wie dem jei: der Bortrag eines 

Euphorion II. 53 


816 R. Steig, Schäfers Magelied von Goethe. 


Liedes in der Melodie, die Brentano zu fingen pflegte, durch feinen 
Freund Coll auf einer Gejellfchaft bei Profeſſor Hufeland war für Goethe 
der ſtimmungsvolle Anlaß, der ihm des Schäfers Klagelied entlodte. 
Motive diefes Yiedes trug Goethe wohl jchon jeit Jahren in fich. 
Erich Schmidt teilte zu den „Tagebüchern und Briefen Goethes aus 
Italien an Frau von Stein und Herder“ (Goethe-Schriften 2, 422) eine 
Briefitelle Tifchbeins mit, der darin erzählt, wie hübjch fein Töchterchen 
„Dort oben auf jenem Berge“ finge, und der dort die Erinnerung 
zufügt: „Vorüber ihr Schäfchen vorüber jagten Sie immer in Rom 
wen Sie das Bleiftift weglegten, immer vorwerts gerückt, den wirds 
fertig.“ Und ähnlich, wie hier Goethe, jprach ſich ein Menjchenalter 
jpäter Sulpiz Boifferee ausharrenden Mut beim Zeichnen zu. Sulpiz 
hatte am 11. Dftober 1814 von Goethe in Darmjtadt Abjchied 
genommen (1, 227): „Der Abfchied von dem alten Freunde that 
mir recht Leid, bejonders als er wegfuhr und ich allein blieb und 
niemand hatte als meine Gedanfen, mit denen ich mich unterhalten 
konnte.“ Man empfindet jchon in diefen Worten Boifjerees die Stimmung 
des Slageliedes. Und nun mußte er in Darmitadt, wo ev Mollers alten 
Pergament-Riß vom Kölner Dom durchzeichnen wollte, länger bleiben, 
als er wünſchte: „Es ift eben mit dem Dom (jchrieb ev Melchior 
am 31. Dftober) immer das alte Yied, man verrechnet jich darin jedes- 
mal und in meiner Verzweiflung ſinge ich Spottlieder iiber mich ſelber: 
Dort oben in jenem Haufe (bei Moller) 
Da ſteh ih wohl taujendmal 
An meiner Tafet gebogen 
Und ſchaue hinab in die Qual. 
Zieht vorüber ihr Thürme, vorüber, 
Dem Freunde ift gar zu weh!“ 
ie ftellt ſich nun, was wir handjchriftlich jet erhalten, zu der 
vulgaten Drudgeftalt? Die erjte Bemerkung ift, daß Wrangel und 
Tiſchbein übereinſtimmend die vorlegte Zeile in der Form „Vorüber ihr 
Schäfchen, vorüber“ liefern, während es im Drucke heißt: Vorüber ihr 
Schafe, vorüber. Ferner ergibt ſich zwijchen Wrangels Kopie umd 
dem Druck eine Neihe anderer Abweichungen, die jedoch nicht einzeln 
notiert zu werden brauchen, da Schäfers Nlagelied in Jedermanns 
Händen ift. Aber diefe Abweichungen jind echter Herkunft und fallen 
feineswegs einem Irrtum Wrangels zur Yaft. Es macht ich in ihnen 
durchaus ein richtiges volfsmäßiges Element geltend, wie 3. B. oben 
Strophe 4° 
Die Thüre die bleibet verſchloſſen 
gegenüber der Druckgeſtalt 
Die Thüre dort bleibet verjchlofjen. 


N. Steig, Schäfers Klagelied von Goethe. 817 


Das handjchriftliche „denn“, Strophe 4%, jcheint jcharfer zu fein als 
das „doch“ der Druckgeſtalt. infachere Form hat noch der Ausgang 
der fünften Strophe, während der Druck bietet 
Sie aber ift weggezogen 
Und weit in das Land hinaus. 

Wie die echt-volfsmäßige Wirkung des dreimaligen „weit“, beim Ueber— 
gang der vorleßten in die legte Strophe, durch ſpätere Verwandlung 
des mittleren „weit“ in „hinaus“ einem mehr literarischen Stilgefühl 
hat weichen müfjen. Gerade dieſe Zeilen der legten beiden Strophen 
jind 1807 von Brentano in der wunderbaren Gejchichte vom Uhr— 
macher Bogs benutzt worden (Schriften 5, 343); die Engel jtehen 
dort auf dem über die Wellen gejpannten Mantel der Jungfrau: „da 
zogen fie in ein fernes Yand umd fangen: ‚Wohl über das Yand und 
wohl weiter, wohl gar über die weite See!“ — umd ich möchte glauben, 
daß Brentanos Umformung eher an unjere handjchriftliche Faſſung als 
an die Drudgejtalt des Stlageliedes erinnere. Nicht unbegründet bei 
Wrangel iſt auch die kürzere Ueberjchrift „Schäfers Klage” ; denn ebenjo 
lautet jie in Wilhelm Ehlers „Geſängen mit Begleitung der Ehittarra“ 
(Tübingen 1804), obwohl diejfer nach einem Bermerk zur Inhaltsangabe 
die Texte dem genannten Tajchenbuch für 1804 von Wieland und Goethe 
entnahm, wo aber „Schäfers Stlagelied“ fteht. ine Erklärung wäre, 
daß Ehlers, der Goethe (nach den Annalen 1501) durch jeinen Vortrag 
von Balladen und anderen Liedern in gejelliger Unterhaltung höchſt 
willfommen war, das Gedicht ſchon vor dem Drucke gefannt und jpäter 

aus alter unwillkürlicher Reminiscenz „Schäfers Klage“ im Titel 
beibehalten hatte. 

Mit Hilfe des Wrangeljchen Briefes laßt jich nun auch, wie ich 
denfe, genau der Tag ermitteln, an dem das Gedicht entjtanden it. 
Goethe war 1802 mehrfach in Jena. Aber durch den 2 Beſuch Zelters 
beſtimmt, käme nur Goethes Aufenthalt im Januar oder der im Februar 
dort für unſere Frage in Betracht. Das Tagebuch meldet am 8. Februar: 
„Abends bei G. Juſt. R. Hufeland“, ohne daß jich jedoch daran in 
Briefen oder jonftwie eine vollere Bemerkung jchlöffe. Anders ſteht 
es im Januar. An Schiller jchrieb Goethe am 19. Januar aus Jena: 
im Geijte der immer neuen \enaifchen Jugend würden die Abende von 
ihm gejellig hingebracht ; und ahnlich drei Tage jpäter an Chriftiane: 
„Die Abende gab es meiſt gejellichaftliche Unterhaltung“ (Weimarer 
Ausgabe IV 16, 12, 21). Wach dem Tagebuche war er aber am 
20. Januar „Abends bei Hufeland im Kränzchen.“ Dieſer Abend 
aljo wird es gewejen fein, an dem Coll die Volksweiſe gejungen und 
Goethe im Verfolg davon „Schäfers Klagelied“ gedichtet hat. 


53* 


cellen. 


5 
0 


815 M 


Miscellen. 


Motivwanderung und -wandelung. 


R 


Aydodlaıre u8kıooa, ti or 40005 "Hkıodwoas 
N) ‚ 2 7 Yu es \ . 
Pavsıs, E2n004AınoVo’eiapıvas ZaAvVR2aS;.... 
MeleagroS (100 dv. Ehr.), Anthologia Palatina V 162= Planudea VII 13. 
2... ah) Er vor aoollyow, zaza Vofunara,!) Ayers 
12 e 
Tolums 
5 ; r San ; 
N yrWwosode ν Öbvauır. 
Derjelbe, Anthologia Palatina V 150,7 f. = Planudea VILS. 


I. 


Aux mouches A miel, 
(pour cneillir des tleurs sur la bouche de Cassandre). 


I Ouü allez-vous, filles du ciel, 
Grand miracle de la nature ? 

Ou allez-vous, mouches A miel, 
Chercher aux champs vostre pasture ? 
Si vous voulez cueillir les tleurs 

D’ odeur diverse et de couleurs, 

Ne volez plus a l’avanture. 

? Autour de Cassandre halenee 
De mes baisers tant bien donnez 
Vous trouverez la rose nee, 

Et les veillets environnez 

Des florettes ensanglantees 

D' Hyacinthe et d’Ajax, plantees 
Pres des lys sur sa bouche nez. 

3 Les marjolaines y tleurissent, 

L’amöne y est continuel, 
Et les lauriers, qui ne perissent 
Pour l’hyver, tant soit-il eruel; 
L'anis, le chevrefueil, qui porte 
La manne qui vous reconforte, 
Y verdoye perpetuel. 


1) Die Müden, die des Dichters Geliebte attaquieren, jind hier gemeint. 


Miscellen. 819 


4 Mais, je vous pri’, gardez-vous bien, 
Gardez-vous qu'on ne l’&guillonne, 
Vous apprendrez bien tost eombien 
Sa pointure est trop plus felonne, 

Et de ses fleurs ne vous soulez 
Sans men garder, si ne voulez 
Que mon ame ne m'abandonne. 


Ronſard (1560) 2, 419. 


III. 


Lusus ad Apiculas. 


Mellificae volueres, 
Quae per purpureas rosas 
Violasque amaracumque 
Tepidique dona veris 
Legitis suave nectar, 
Tenerae eives, 
Et seduli coloni, 
Et incolae beati 
Hortorum redolentium, 
10 Gens divino E 
Ebria rore; 
Agite, o meae voluceres, age, gens vaga nemorum. 
Agite hine abite cunctae 
Et tumulum magni eingite Lipsiadae. 
15 Illie domum laresque 
Vobis figite, figite: 
Illie vestri 
Copia mellis 
Hxreditasque fertur ad vos denuo 
Debita, quam vobis quondam sublegerat ille. 
At invidos malosque 
Et quem non Venus aurea, 
Quem non amat Cupido, 
Quem non amant lepores, 
25 Quem non amat venustas, 
Quem non amat Suada, 
Illis acutis protinus 
Figite euspidibus. 
Ut si quis malus impiusque tendat 
Mel illud roseumque nectar, illas 
Coeli delieias eibosque Divüm 
Impio male vellicare morsu, 
Protinus undique et undique et undique et undique 
punetus 


ar 


% 


30 


Calamisque voeibusque 
Et eruditis morsibus 
Coneidat extineto vietima Lipsiadae. 
Daniel Heinſius (1606), In obitum Justi Lipsii, VI, 


820 Miscellen. 


IV. 
Sonnet an die Bienen. 


IHr Honigvögelein, die jhr von den Violen, 
Vnd Rofen abgemeit den wunderfüffen Safft, 
Die jhr dem grünen Klee entzogen feine Krafft, 
Die jhr das Schöne Feldt fo offt vnd viel beftohlen, 
Ihr Feldteinwohnerin, was wollet jhr doch holen 
Das, fo euch noch zur Zeit hat wenig nuß geichafft, 
Weil jhr mit Dienftbarkeit deß Menfchen jeit behafft, 
Bud jhnen mehrentheils das Honig müſſet zollen?}) 
Kompt, fompt zu meinem Lieb, auff jhren Roſenmundt, 
10 Der mir mein frandes Her gantz inniglich verwundt, 
Da jolt ihr Himmelfpeiß vnd vberflüffig breden: 
Wann aber jemandt ja ſich vnderftehen fundt 
Ihr vbel anzuthun, dem jollet jhr zur ftundt 
Fur Honig Galle fein, vnd jhn zu tode ftechen. 


Martin Opit (1624) Teutsche Poemata, ©. 24 


Berlin. M. Rubenjohn. 


a 


Aus dem Briefwechjel Wilhelm von Humboldts. 
(Nachtrag zu Euphorion 2, 640.) 





Im vorigen Hefte dieſer Zeitfchrift habe ih Nachträge aus einem Brief 
wechfel Wilhelm von Humboldts (1808/9) mitgeteilt. Hier bemerfe ich vor- 
exit, daß im den Beiträgen zur ſächſiſchen Kirhengefhichte demnächſt 
ein vornehmes Schreiben des Weifen von Tegel an den Oberhofprediger Franz 
Bolflmar Reinhard?) in Dresden, aus derfelben Zeit, erfcheinen wird. Die 
edle Gefinnung, welche aus dem vortrefflichen Lebensbilde Gabrielens von 
Bülow, Tochter Wilhelm von Humboldts (1895) von Letzterem ausftrahlt, 
ift auch in dem teilweife noch folgenden Briefe (Königsberg, 20. Oktober 1809) 
an Alerander Freiheren von Nennenfampff damals in Paris — zu 
ſpüren. Jene Zeilen gehören gleich nach den oben ©. 640 f. mitgeteilten 
Schreiben umter 2, womit dev betreffende Briefwechſel erfchöpft ift. — Es wird, 
heißt es darin, Ihnen ein lebendiger und überzeugender Beweis meiner Achtung 
und Freundfchaft gewejen fein und Sie müffen außerdem darin Unparteilichkeit 
und Billigfeit der Gefinnungen und Anhänglichkeit an alte Verbindungen erfannt 
haben, deren beider ich ohne Anftand felbft erwähne, da die erften mehr Charafter- 
folge als Berdienfte von mir find und die leßtere jeder befigen muß, der nur 
irgend etwas wert fein will. Allein über den Hauptgegenftand Ihres Schreibens, 
befonders über die Beziehung, in der Ihre Streitigkeit zu uns und unferm 
Haufe ftand, war ich damals unvollfommen unterrichtet und konnte mich daher 
nicht anders, als ich that, darüber äußern. Aus diefem Grunde fehreibe ich 
Ihnen jet noch einmal und wiederhole Ihnen, daß es mir innig leid thut, daß 
Sie in meinem und meiner Frau Haufe eine jo unangenehme Scene erfahren 





1) 3. 6-8 aus Anthologia Palatina X 41, vergleiche in meiner Sammlung von 
Ueberjetsungen Opitz XXIV. . & 
2) Man dergleiche über ihn die Allgemeine deutſche Biographie, 


Miscellen. 821 


haben. Wäre ich felbft anweſend gewesen, fo find Sie gewiß ſelbſt überzeugt, 
daß fie nicht erfolgt, oder nicht jo Hingegangen wäre Ich habe Ihnen jchon 
gefagt, daß feine Rede davon ift, daß K. wieder im unſer Haus zurüdkäme, 
ich kann es Ihnen heute noch beftimmter wiederholen. Daß ich feine Anficht, 
von Ihnen und Ihrem Benehmen gegen ihn durchaus misbilligte, hat K. theils 
bereits in Nom, theil$ durch mich, von Berlin aus, lange, ehe ich von fo heftigen 
Ausbrüchen wußte, genau erfahren und würde es aufs meine und beſtimmteſte, 
wenn er mir Die mindefte Beranlaffung gäbe, etwas darüber gegen ihn zu er- 
wähnen. Er fühlt aber unftreitig fein Unvecht gegen mich und mein Haus. 
Ich leugne Ihnen nicht, lieber Freund, daß es mir ſehr unangenehm ift, mich 
bon einem Menſchen, mit dem ich lange umging, ohne daß ich einmal behaupten 
kann, mich in feinem Charakter geivrt zu haben, auf diefe Weife zu trennen. 
Ich werde auch bei diefer Trennung immer mid und meine eigenen Gefühle 
ehren, auseinander gehen laſſen, was jchon zerriffen ift, aber das Andenken an 
ernſte und fchmerzhafte Scenen, welche das Schickſal in diefe Verbindung ver— 
webt hat, nicht entweihen und bin gewiß hierin, Geſinnungen zu äußern, die 
jedem, der, wie Sie, ſich mir freundſchaftlich nähert, lieb und erwünſcht ſein 
müſſen. Ich danke Ihnen, mein lieber H. v. R. übrigens noch einmal auf das 
wärmſte für die Art, wie Sie Sich in dieſer Sache betragen haben, ich bitte 
Sie, auch deshalb auf meine Bl Achtung umd Freundſchaft zu rechnen 
und überzeugt zu ſein, daß die — dieſer Geſinnungen immer einen 
unſchätzbaren Werth für mich haben wird. 

Der v. Rennenkampffſche Nachlaß birgt übrigens noch manchen Brief 
Diefes oder jenes bedeutenderen Zeitgenoffen oder Empfängers.!) 


Blafewiß- Dresden. Theodor Diftel. 


Erläuterung. 
(Zu Euphorion 1, 346 f.) 


In Nr. 27 des „Magazins für Piteratur” erwähnt Dr. Witfowsfi bei 
Beiprehung des 1. Bandes des „Euphorion“ meinen dariıı befindlichen Aufſatz 
über das Aeußere von Goethes Fauſt J und bemerkt dabei, indem er meinen 
Nachweis, daß Fauſts Monolog „Erhab'ner Geiſt ꝛc.“ an Gott und nicht au 
den Erdgeiſt gerichtet ſei, ablehnt: Davon, daß Gott dem Fauſt erſchienen ſei, 
ſei nichts bekannt. Nun habe ich allerdings an der betreffenden Stelle (Euphorion 
1, 346 f.) nicht ausdrücklich geſagt, daß das Zuwenden des göttlichen Angeſichts 
im Feuer (wohl zu merken: nicht das Erſcheinen Gottes) nur bildlich für eine, 
wie von Gott ausgehende Erkenntnis, Erleuchtung, verſtanden werden könne; 
ich glaubte dies jedoch namentlich durch Bezugnahme auf dasſelbe „Bild“ in 
„Hermann und Dorothea“ deutlich genug gemacht zu haben. Zur Abwendung 
ferneren Mißverſtehens mag dies indeſſen hiermit noch beſonders hervorgehoben 
werden. Schr. dv. Biedermann, 


1) Hier jeien nur genannt: Arndt, Goethe (veröffentlicht), Henr. Herz, A. und Karol. 
bon Humboldt, Krufenftern, Klinger, Bifchof Münter, Rauch) (teilweife veröffentlicht), Frau Echiller, 


Mecenfionen und Referate. 


Borinsfi K. Deutfche Poetif. Stuttgart. Göfchen 1895 (Sammlung 
Söfchen). 80 A. 

Die „Sammlung Göſchen“, die durch einige ihrer legten Bände an 
Ansehen nicht gewonnen hatte, befitst in Borinsfis Deutscher Poetik wohl 
die bedentendfte bisherige Yerftung. Wir überſehen die Schwächen des Buches 
nicht, vor allem nicht die Einfeitigfeit, mit der Borinski ſich ausſchließlich 
auf den Standpunkt der Antike ftellt und den neueſten Entwicelungen der 
Piteratur gegenüber ſich (S. 20) bis zu Schimpfworten erniedrigt; auch nicht 
die damit verwandte Befangenheit, die ſich in unfruchtbarſtes Theoretiſieren 
über den Nontan verliert, im Grund nur den komiſchen Noman gelten laffen 
will, den „Lebensroman“ traurig verfennt (über Wilhelm Meifter ©. 133) 
und überhaupt in dev Nomanproduftion nur Gefahr und Verhängnis fieht 
(S. 136). Auch die Belejenheit, mit dev Borinski befonders in den bunten 
Yiteraturausgaben zu prunfen liebt, blendet ums nicht; wer es fir nötig 
hält, „Boz Dickens“ zu ſchreiben (S. 126 Anmerkung), der verrät zu deutlich 
feine Neigung, alles anzubringen was ev weiß. Endlich leugnen wir nicht, 
daß Borinsfi weder in ſeinen Charafteriitifen noch in feinen Definitionen 
ſehr glücklich Scheint. Air wenigitens möchten als Vertreter friſcher Urfprüng- 
lichkeit nicht gerade Fleming und Freiligrath (©. 22) hevausgreifen und 
finden weder die unfruchtbare Scheidung von Ballade und Nomanze (S. 124) 
noch die fruchtbare von Noman und Novelle (S. 134) durch Borinski gefördert. 
Was aber an dem kleinen Werk pacdt und verpflichtet, das iſt vor allem 
die Energie, die überall auf den Grumd zu gehen fucht, die (aanz im Sinne 
M. Haupts und W. Scherers) die leeren Schulworte (S. 38) durch gefunde 
Anschauungen und pſychologiſche Deutung zu erjegen ſich bemüht und für 
Vers und Reim (S. 51) auf die Sprache felbit zurückgeht — obwohl wir 
gerade hier Borinstis Meinung uns nicht zu eigen machen fünnen. Gegen— 
über den Poetifen, die immer noch alle poetischen Hilfsmittel durch den 
Trichter nachdenklichen Erfindens eintröpfeln laffen, wirkt diefe Yehre von 
der Mythologie (S. 31), vom Epitheton (©. 39), von den Figuren (©. 41 f.) 
als ungehenerer Fortſchritt. — Und zweitens loben wir die Entſchloſſenheit, 
nit der Borinski feinen eigenen Standpunkt vertritt, einfeitig aber tapfer, 


Brugier, Gefhichte der deutfchen Nationallitevatur. 823 


In Zeiten chauviniftifcher Tendenzen gehört immer Schon Mut dazu, ein 
Schulbuch den Vorteil der klaſſiſchen Mythologie (S. 32) oder die Schatten- 
fetten des „urteutſchen Verſes“ (S. 64) lehren zu laffen. Drittens erkennen 
wir eime große Lehrgewandtheit an, die paſſend Analyien (dev „Maria 
Stuart“ ©. 115, der Novelle vom Falken ©. 135) einfchtebt, aelenentlich 
freilich auch (ſeltſam genug) ein Beispiel vorbringt, das der Verfaſſer ſelbſt 
als „ſchwach“ bezeichnet (S. 37); bei einem Produkt älterer Zeit würde der 
philologiſche Scharffinn hiev eine in den Text geratene Randbemerkung 
erkennen. Wir glauben deshalb, daß das Buch feinem Zweck ſehr wohl 
entfprechen wird. Erlebt es bald, wie zu erwarten, eine neue Auflage, To 
ftreicht Borinski vielleicht jeine Vermutungen über den Urfprung des 
Alerandriners (©. 69) und über die Balladen von der Müllerin (S. 102), 
mmmt das Urteil zurück, ein prächtig dahinrollendes Metrum Platens ſei 
eine „ungeſchlachte VBerszufammenfügung” (S. 80) und tritt auf dem 
ichlüpfrigen Boden der „tragiichen Schuld” (©. 114) ficherer auf, ftreicht 
vielleicht auch die etwas trivial Flingende Spottwerfe Schillers (©. 141), 
zumal Yelfing und Goethe nicht weniger als ev den „Denker“ mit dem 
„Dichter“ vereinigen. Sonst aber braucht ev nicht viel zur ändern, um eine 
deutſche Poetik herzustellen, die (was nicht wenig jagen will) im ihrer Art 
beinahe ebenfoaut wie die kleine Beyerſche ſchlecht iſt. 


Berlin. Richard M. Meyer. 


Brugier, Geſchichte der deutſchen Nationalliteratur, nebſt kurzgefaßter Poetik 
für Schule und Selbſtbelehrung, mit einem Titelbild, vielen Proben 
und einem Gloſſar vermehrte und verbeſſerte Auflage. Freiburg i. B., 
Herder, 1893. 6 A 


Das Buch ift eine jener Fatholifchen Yiteraturgefchichten, die vorwiegend 
für fatholifche Leer beftimmt find und ſich bemühen, einerſeits die Bedeutung der 
proteftantifchen Dichter möglichft herabzufegen und diefe wirklichen Yiteraturgrößen 
durch eine Unmaſſe Fatholifcher Scheingrößen zu übertrumpfen oder aus dem 
Felde zu Schlagen, gehört aber zu den immer noch gemäßigten Werfen diefer 
Richtung. Es hält die Mitte zwifchen einer wiffenschaftlichen Literaturgefchichte 
umd einem Yeitfaden. Wo irgend möglich, werden nur katholiſche Quellen be- 
nüßt: für die Aeſthetik Stödl und Jungmann, für die Piteraturgefchichte Eichen- 
dorff und Lindemann, neben denen dann auch Bilmar und Menzel noch Berüd 
fichtigung finden. Charakteriftifch ift Die Bemerkung des Berfaffers (S. 132): 
„um die Konfeffion der einzelnen Dichter der Neuzeit in kürzeſter Weife bemerklich 
zu machen, wollen wir den Fatholifchen Dichtern, welche die Minderheit bilden, 
das Zeichen * beifegen.“ Da Brugier beftändig an Stelle des äfthetifchen Maß— 
ſtabs den konfeſſionellen anlegt, wird er felbjt feine Prüfung vom Stanbpunfte 
der Wiffenfchaft verlangen und fich nicht wundern, daß man gleichfalls fein Wert 
daraufhin anfteht, wie fich die deutſche Yiteraturgefhichte vom Gefichtswinkel eines 
Katholifen ausnimmt. Wir wollen nach diefer Hinficht dieſelbe Durchfliegen. 

Daß ein Gottfried von Straßburg nicht zu Brugiers Pieblingen gehört, 
wird man begreifen. Biel mehr fagt ihm die Dominikanerin Mechthildis zu, 
welche „die erfte war, welche das geiftliche Minnelied in deutſcher Sprade 


824 Brugier, Gefchichte dev deutſchen Nationalliteratur. 
9 a) ) 


anftimmte.* Dagegen heißt es von Walther von der VBogelweide: „er fang jo 
leidenfchaftliche Lieder, daß eben mur die daran Gefallen haben können, die das 
Papſttum überhaupt für ein Uebel halten.” Die mittelalterlihen „Schwänfe“ find 
auch nicht nach Brugiers Sin, denn „fie handeln von einfältigen Bauern und 
Weibern, von Schilöbürgern und Pfaffen; jo reich fie einerſeits an gefunden 
deutichen Volkshumor find, jo angefüllt find fie andrerjeits mit Zoten und An— 
griffen auf den Klerus.“ UWebrigens muß ev felbjt zugeben, daß NRohheit und 
Sittenlofigfeit „leider Durch das Aergernis dev Hohen und des Klerus genährt“ 
war. Die Zeit von 15001618 ift Brugier ebenfo wie Menzel und Janſſen 
die Periode der „N Verwilderung der deutſchen Poeſie“. Immerhin wird Luthers 
Verdienſt um die Schaffung einer einheitlichen HR anerkannt und zu— 
gegeben, daß ſich das proteſtantiſche Kirchenlied „zu jo reicher und ſchöner Blüte 
entfaltete.“ Hans Sachs aber muß ſich ſagen laſſen, daß er „vom Katholicismus 
doch nur mehr das Aeußere gekannt; er kann den Leſer nur von ‚Singen, 
— — Faſten, Weihrauchduft, W scihmafler, Möncherei, Ablagkram‘ unter- 
halten“. Daß die Ffatholifche Kirche in jenen Tagen — gelinde gejagt — ehr 
veräußerlicht war, dürfte wohl als Thatſache feitjtehen und Hans Sachs ſich 
fomit im Necht be finden. Und wenn Fiſchart vorgeworfen wird, daß er „noch 
die ee ichürte, jo befindet fich derſelbe dabei in der Sejellichaft 
der Bertreter der katholiſchen Kirche. Unter den deutſchen Pyrifern des 17. Jahr— 
hundertS wird auch der Kapuzinerpater Procopius aufgeführt, den wir bisher 
ebenjowenig fannten, wie dem Kölner Satirifer Pindenborn (1712—1750). 


Gehen wir zu der vorleßgten Periode unſerer Literatur, der Zeit von 1748 
bis 1832 über, fo dürfte zumächft zu erwähnen fein, daß Brugier nad) Gruppes 
Vorgang warn für die Karfchin eintritt, welche „mit Unrecht in faft allen Yiteratur- 
geſchichten als eine mittelmäßige, ja bettelmäßige Gelegenheitsdichterin im den 
Winkel geſchoben wird.” Hinfichtlich unſerer großen Klaffifer darf man Brugier 
die Anerkennung nicht verjagen, daß ev verglichen mit dem hämifchen Jeſuiten 
Baumgartner oder mit dem vüdfichtslofen Polterer Sebaftian Brunner ſich eine 
große Mäßigung auflegt. Wie er den im Weimar herrſchenden Geift auffaßt, 
zeige nur feine Bemerkung, daß „auf der Wartburg das Ehriftentum Alles galt, 
der Mufenhof zu Weimar aber faft ganz der jogenannten Aufklärung huldigte.“ 
Wenn übrigens Brugier von Götz don Berlichingen fagt, daß ev „ein verwegener, 
vaufluftiger Mann, ohne Falſch war, der gern den Bedrückten half,“ jo dürfte 
doc diefe Anficht heute vor der gefchichtlichen Forſchung nicht mehr zu Recht 
bejtehen. Gefliffentlich wird betont, daß „ſich in Schillers reinhiſtoriſche Schriften 
große Irrtümer einſchlichen,“ namentlich in die „Geſchichte Des dreißigjährigen 
Krieges“. „Der Sprade und Darftellung nach find diefe Schriften freilich ſehr 
beftechend.” An das früher verbreitete Gerücht, auch Yudwig Tied ſei katholiſch 
geworden, jcheint Brugier nicht mehr zu glauben, denn er bemerkt: „Tieck übte 
den Fatholifchen Heiligenfultus nur im Tempel der Poeſie; ev ſchwärmte für 
die Fatholifchen Heiligen nur jo wie Schiller für die Götter Griechenlands.“ Daß 
der ultramontane Görres früher ein roter Nevolutionär war, wird verſchwiegen. 
Breittano wird eine ausführliche Behandlung zu Teil (S. 412—414); bei Eichen 
dorf wird rühmend hervorgehoben: „es war eine jchöne Fügung, daß er als 
Geheimer Rat (1841—1845) Vaterland und Kicche zugleich dienen fonnte, indem 
er nämlich das Neferat über katholiſches Kirchen- und Schulwejen beforgte, da— 
gegen „macht es Platen feine Ehre, daß er überaus gehäfftg die Neligien des 
Landes (Italien), das ihm fo lange Gaftfreundfchaft gewährte, befämpfte.“ Um 
die Zahl der Fatholifhen Dichter zu vermehren, wird fogar der alte Ladislaus 
Pyrker wieder ausgegraben. Bitter wird geklagt über „Die falſche Philo- 
jopbie, welche durch Kant begründet, durch Fichte, Schelling und Hegel 


Seltene Drude in Nachbildungen 1. 825 


weiter entwidelt und durch ihre Schüler, befonders aber durch Schopenhauer, 
zu den leßten Conſequenzen durchgeführt — 

Beſondere Zuneigung wendet Brugier dem ultramontanen Romanſchrift— 
ſteller Conrad von Bolanden zu, dem er Scheffel und Ebers gegenüberſtellt als 
„zwei Meiſter, welche beide jedoch im einigen ihrer Romane tendenziös wurden.“ 
Trotzdem muß er jelbft an andern Stellen zugeben, daß „Bolanden im Eifer 
für die Kirche und Großdeutichland zu ſchroff“ war; „wenn ev nur das mehr 
hätte, was die Alten ‚mäze‘ (Maßhalten) nannten, denn auch kirchliche und 
politifche Gefinmungsgenoffen beklagen, daß er (freilich herausgefordert von der 
Legion gegneriſch geſinnter Tendenzſchriftſteller) in einzelnen ſeiner Werke oft zu 
herb, abſtoßend, einſeitig ſei“ Guſtav Freytag heißt „wohl der feinſte Roman— 
ſchreiber der deutſchen Neuzeit, was er aber auch ſein könnte ohne die jetzt be— 
liebten Ausfälle auf katholiſche Einrichtungen.” Wenn die „pvielgeleſenen veli- 
giöſen Romane“ der Gräfin Hahn-Hahn genannt werden, fo durften auch ihre 
mindeftens ebenfoviel geleſenen irreligiöfen Romane, die fie vor ihrer Befehrung 
geichrieben hat, nit unerwähnt bleiben. Sebajtian Brumner ift für Brugier 
„ein moderner Ariftophanes,“ doch muß ev hinzufügen: „freilich ift ev oft fehr 
ſarkaſtiſch und jchießt bisweilen (bejombers was Goethe und Schiller betrifft) weit 
über das Ziel hinaus, aber derlei Mängel hat man zu aller Zeit genialen 
Satirifern nicht jo hoch angerechnet, wie es Brunner feitens gewiffer Kritiker 
(3.8. Kurz) paffiert. Und man darf ihn, was das Genie betrifft, fühn einem 
Fıldart, Murner, Börne zur Seite ftellen.“ Bon dem Dichter der „Jeſuiten— 
lieder”, Hermann von Gilm, wird anerfannt: „er hat mit Byron die Gedanfen- 
tiefe, mit Shafejpeare den Humor, mit beiden Schönheit und Leichtigkeit des 
Ausdruds gemein; er glaubt mit Wärme, hofft mit Freude, liebt mit Reinheit.“ 
Begeiftert wird Behringers Epos „Die Apoftel des Herrn“ gepriefen und gradezu 
mit einer Beethovenfchen Symphonie verglien. Bon den Schriften des Jeſuiten 
Alerander Baumgartner über Goethe wird gerühmt, daß fte „gar manche land- 
läufige Urteile forrigieren.” Als „Dichterdioskuren“ erfcheinen die Jeſuiten Diel 
und Kreiten. Wilhelm Hauff wird in fieben Zeilen erledigt; natürlich, denn es 
muß Plat gewonnen werden für das Heer fatholifcher Talmidichter. — Zum 
Schluß jeien noch zwei Kleine Ungenauigkeiten berichtigt: Grillparzer ftarb nicht 
1872, fondern 1573, und Guftav Freytag wohnte nur im Winter in Wies 
baden, im Sommer aber in Siebleben bei Gotha. 


Halle (Saale). Karl Fey. 


Seltene Drude in Nachbildungen I. Die hiftorien von dem vitter 
Beringer. Straßburg 1495. Mit einleitendem Text von Karl Schor- 
bad. Yeipzig, M. Spirgatis 189. 3 MH 


Die neue Sammlung ift mit dem vorliegenden Miniaturbändchen vecht 
glüclich eröffnet worden. Denn nicht nur der hier veproducierte Drud ift bisher 
jo gut wie unbefannt gewejen, auch fein Inhalt ift neu und eine micht une 
intereffante Bereiherung umferer Piteraturfenntnis. Dev muntere, derbe Schwanf 
von wenig über 400 Berfen, den uns der Straßburger Druck von 1495 alleın 
aufbewahrt, gehört der Nachblüte der ritterlichen Epik und Novelliftit an und 
gewiß noch eher dem 13. als dem 14. Jahrhundert. Des Herausgebers Datierung 
„kaum ſpäter als gegen Ende des 14. Jahrhunderts” greift veihlic” 100 Fahre 
zu jpät. Phrafeologie und Stil verraten gute höfiſche Vorbilder; die Reinheit 
des Neimes hat nur durch die Ueberlieferung Störungen erlitten, die freilich im 
Drud recht brutal hevvortreten; die klingenden Reime betragen noch mehr als 
zwanzig Procent der Gejamtzahl; und vor allem ein ftrikter Beweis; Die 


826 Bibliothek Deutfher Schriftiteller aus Böhmen. 


Bindungen Des Typus betrogen: gezogen jowohl als die des Typus 
gestriten: siten werden noch durchgehends als ftumpf behandelt und fchliegen 
jtetS vierhebige Reimpaare! Damit ftellt fih der Dichter auf Seite der klaſſiſchen 
mittelhochdeutfchen Tradition gegenüber dev ſchon im Reinfried von Braunſchweig 
umd im Peter von Staufenberg durchbrechenden Praxis — und in Diefe ober- 
vheinifche Gefellfehaft gehört das Werfchen zweifellos hinein; möglichermeife ift 
es ein Straßburger Produft aus der nächften Zeit nah Konrad von Würzburg. 

Die Ueberlieferung ift in einem Maße entftellt, wie es zum Glück nicht 
allzu häufig vorkommt. Geringer Erfolg der alten Drudausgabe ließe ſich 
immerbin daraus erklären, daß die Leſer an einem Terte fein Gefallen fanden, 
der ihnen Schritt für Schritt Rätfel aufgab, wo es beifpielsweife gleich im 7. Verſe 
(2l. 1b 3. 5) heißt: 


nach keinem geschlecht der spyse zu eren 
jtatt: noch keiner slahte spise zern. 


Bersauslaffungen, Wortumſtellungen, faljche Reimmörter, die ein Philologe freilich 
großenteils mit Bequemlichkeit erſetzen kann (wyb ftatt Iip, nider ftatt hin, 
geriten ftatt geslichen, stryt ftatt strie u. f. w.), mißverftandene und 
verdrehte Ausdrüde (mit den zanen ftatt des Shwachen Verbums zannen, be- 
herter ftatt bühurdzsre) begegnen maffenweife. Und troß alledem, ich betone 
es nochmals, ift ein Gedicht aus der bejten Zeit des Epigonentums unverkennbar. 

Der Herausgeber hat der photographiichen Reproduktion des alten Drudes, 
(die wenigftens in dem mir vorliegenden Eremplar nicht tadelfret ift) eine Einleitung 
vorangeſchickt, die fich im wejentlichen auf die Ermittelung des Druders: Mathias 
Brant und Klarftellung feiner fonftigen Thätigkeit beſchränkt, hier aber im Kleinen 
wieder jene Sachkunde und Akribie offenbart, die wir aus Schorbachs jonftigen 
Arbeiten kennen. Wenn ev zum Schluffe den Wunſch ausjpricht, es möchten ihm 
unbekannt gebliebene Parallelen zu dev Gefhichte vom prahlerifch feigen Ehemanı, 
den feine als Ritter verkleidete Frau beftegt und beſchämt, von anderer Seite 
nachgewiefen werden, jo ift dies Verlangen joeben in der Zeitfchrift für deutſches 
Altertum 39, 426 ff. erfüllt worden: A. L. Stiefel hat dort die direkte Vorlage 
des Gedichtes in einem franzöfifchen Fabliau aufgededt, und Noethe hat in 
einer Anmerkung darauf hingewiejen, daß. die gleiche Quelle, wahrſcheinlich in 
der Bearbeitung von Yegrand d'Auſſy, auch Platen für feine einaftige Komödie 
Berengar (1824) vorgelegen habe. 


Marburg i. 9. Edward Schröder. 


Bibliothef Deutfher Schriftfteller aus Böhmen. Herausgegeben im 
Auftrage der Geſellſchaft zur Förderung deutiher Wiffenfchaft, Kunſt 
und Piteratur in Böhmen. Band I. Moriz Reih, Ausgewählte 
Werke. Herausgegeben von R. Fürft. Mit Porträt. — Band II. 
Die Sountags- Evangelia von Nicolaus Herman (1561). 
Herausgegeben von R. Wolkan. Mit dem Bilde Nicolaus Hermans. 
Wien, Prag, Leipzig. F. Tempsky und G. Freytag. 1894, 1895. 22.4 


Wir befigen bereits eine Bibliothek der mittelhochdeutfchen Literatur in 
Böhmen. An dieſe reiht fih num das neue Unternehmen als eine jehr will 
fommene Ergänzung am: es joll den dem erjten Bande vorangefchidten Ein- 
führungsworten zufolge „mit dev Uebergangsperiode des vierzehnten und fünf- 
zehnten Jahrhunderts einjegen und bis in die neuefte Zeit hineinreichen“ ; in der 
Folge des Erjcheinens ſoll allerdings keinerlei chronologiſcher Zwang walten. 
Die Herausgabe erfolgt durch Fachmänner nach wiſſenſchaftlichen Grundſätzen; 


Bibliothek Deutſcher Schriftiteller aus Böhmen. 827 


aber die wifjenschaftliche Arbeit joll ſich nicht ftörend zwijchen den Lejer und das 
dargebotene Denkmal drängen. Denn die Sammlung ift „Leineswegs ausjchlieg- 
ih und auch nicht in erſter Linie für Fachmänner und Gelehrte beftimmt“ ; fie 
will eimerjeitS dem Deutſchtum in Böhmen jelbft „eine wertvolle Stüte natio- 
nalen Bewußtjeins bewahren,“ amderfeits für alle Teilnehmenden den „Antheil 
der Deut hböhmen am der geſammten Geiftesarbeit der Nation auf literarifchen 
Gebiete ficherftellen, Schätze unferer Literatur der Bergeffenheit entziehen und vor 
der Vernichtung behüten.“ Dieſe letstgenannte Aufgabe wird als die dringendite 
Arbeit vorangeftellt; erſt wenn das Geführdete geborgen ift, joll der Kreis weiter 
gezogen werden. Das find gejunde Grundſätze, denen Billigdenfende ihre Zu— 
jtimmung nicht verfagen werden, und ihre richtige Durchführung kann das neue 
Unternehmen ebenfo wertvoll für die Wiffenfchaft wie für das deutſche Volkstum 
machen. Daß für die Aufnahme nicht immer ausjchlieglich der Kunſtwert, fondern 
häufig auch lediglich die gefchichtliche oder biographifche Bedeutung eines Dent- 
mals wird entjcheiden müffen, ift für Fachkreife eigentlich jelbftverftändlich, wird 
aber hoffentlich” auch außerhalb derfelben nicht vergeffen werden, damit nicht 
einzelnen Beröffentlihungen gegenüber umnberechtigte Enttäufchung eintrete und 
die Empfänglichkeit fir das Gebotene beeinträchtige. Was über die beiden bereits 
vorliegenden Bände hinaus zunächſt in Ausficht genommen ift, die Perioden, die 
als vorzugsweife berüdfihtigungswert hervorgehoben werden, das alles verdient 
die dafür in Anfpruch genommene Beachtung durchaus. 

Daß man die Sammlung mit einem neueren deutſchböhmiſchen Schrift- 
jtellev eröffnete, ift ſchon aus der Rückſicht auf die gemwünfchte Teilnahme weiterer 
reife begreiflich. Für diefe wäre freilich 3. B. eines der in Ausficht genommenen 
nachgelafjenen Werke K. E. Eberts wohl noch amziehender geweſen, als Weich, 
dejjen Novellen, wenn aud die von A. Meigner 1858 herausgegebene Samm- 
lung „An der Grenze“ mehr oder weniger vergeffen war, doch vor wenigen 
‚Jahren in einer Auswahl (Reclams Univerfal-Bibliothet 2690) für menige 
Pfennige wieder leicht zugänglich geworden waren. Aber e8 ift jehr fraglich, ob 
ein ſolches Werk Eberts oder etwas anderes gleich anziehendes zur Zeit zur 
Verfügung jtand, und am ſich ift die ganze Frage, jo wichtig dergleichen vom 
geihäftlihen Standpunkt fein mag, doch von 1mtergeordneter Bedeutung; um 
jo mehr, als man die Berechtigung, Neich einen Plat in einer deutſchböhmiſchen 
Bibliothek zu gewähren, wegen feiner unleugbaren, wenn auch nicht zur vollen 
Reife gediehenen dichterifchen Begabung und auch wegen des Wertes feiner Dorf- 
geſchichten als Lebens- und Charakterbilder aus feiner Heimat füglich nicht be- 
ftreiten kann. 

Die nene Auswahl beruht zum größten Teil auf Reichs literariſchem 
Nachlaß. Aus diefem ift nebſt einigen beveitS gedrudten auch eine Anzahl un— 
gedrudter Gedichte mitgeteilt worden. Leider liegt hierin die ſchwächſte Seite 
von Reichs Leiftungen, und nur dem allerwenigften kann man etwas mehr als 
ein bloß biographiſches Intereſſe abgewinnen. Hier wäre alſo weitere Bes 
Ihränfung wohl am Plate gewejen, etwa zu Gunften einer oder der andern 
weggelafjenen Proja-Erzählungen. Daß „Mammon im Gebirge“ fehlt, mag fich 
damit vechtfertigen lajjen, daß diefe Erzählung nicht nur bei Meißner und Neclanı, 
jondern auch im „Novellenichaß“ von Kurz und Heyſe fteht, alfo von allen 
Arbeiten Reichs die verbreitetfte und zugänglichfte iſt; nichts deſto weniger hat 
ſich dadurch die nene Auswahl, wie ſchon die Aufnahme in den „Novellenſchatz“ 
erraten läßt, eines der wirkſamſten und intereffantejten Stücke entgehen laffen, 
das jeder, dev es einmal kennen gelernt hat, ungern vermiffen wird. Auch zu 
Gunjten weniger verbreiteter Stüde, wie „Das Jägerhaus“, das auch bei 
Reclam fehlt, und „Die Wiedergeburt“ ließe ſich wohl mandes jagen, wenn über 


828 Bibliothek Deutſcher Schriftfteller aus Böhmen. 


eine Auswahl allgemeine VBerftändigung überhaupt leichter zu erzielen wäre. Für 
den Herausgeber war neben dem innern Werte auch die Rückſicht auf ſolche Er- 
zählumgen maßgebend, die, zuerft in Zeitfchriften erſchienen und jeither nicht wieder- 
holt, „einer fiheren Vergeſſenheit entgegengiengen.“ Dieje find auch für den mit 
Neich bereit3 vertrauteren Lefer der Mehrzahl nah jo gut wie neu; an Wert 
find fie freilich ungleich, und „Der Geleitsmann“, deffen Schwäche Fürſt ſelbſt 
nicht verfennt, verdankt jeine Aufnahme wohl nur dem Umftande, daß er der 
einzige Vertreter der Soldatengefhichte bei Reich ift, denn den „Invaliden“ 
fann man für diefe doch nicht eigentlih in Anfpruch nehmen Den „Kinder— 
handel“ wollte Reich felbjt von Meißner nicht wiederholt wiffen, und der neue 
Herausgeber hätte dieſem Wunſch vielleicht auch Rechnung tragen können, umfo- 
mehr als die fürzere Faſſung, die er mwiedergiebt, auch ſchon durch Langer (Aus 
dem Adlergebivge S. 128) der Vergeſſenheit ohnehin entriffen ift. Ob übrigens 
diefe oder die in der Anmerkung erwähnte ausgeführtere den Vorzug verdiente, 
fönnte nur eigene Einfihtnahme lehren; in der Einleitung ©. 37 hat Fürft 
jedenfalls die lettere im Auge und das dort darüber Gejagte wird erſt durch 
die Anmerkung S. 283 recht verftändlih. Die drei übrigen „Doctor Jakel“, 
„Mariechen“ und nicht zum wenigften die zwar auch nicht ganz einwandfreie, 
aber doch recht anjprechende „erfchrodene Sufanna“ wird man als eine will- 
fommene Bereicherung fich gern gefallen lafjen. Die Einreihung der zulett ge— 
nannten teilweife ans Romantisch-Märchenhafte ftreifenden pſychologiſchen Studie 
unter die „Humoresten“ verdankt fie wohl der fomifchen Figur des „Komplimenten- 
ſchuſters“, die aber doch nicht eigentlich ihren Charakter bejtimmt. Daß die Ein- 
teilung der Proja-Erzählungen in „Novellen“, „Nachtſtücke“ und „Humoresken“ 
drei Gefchichten, die bei Meißner mit zwei weiteren von Fürft nicht aufgenommenen 
unter dem Gefamttitel „Aus dev Chronik eines Dorfgeiftlihen” vereinigt ftehn 
(„Der Invalide“, „Der Schranf“ und „Die Hochzeit des Fleinen Schneiders“), 
auseinander gebracht hat, thut zwar am fich feinen Schaden; da aber jener ge 
meinfame Titel doch vor der erjten, für die ev ja auch ebenfo wie für die zwei 
weggelafjenen entfchiedene Bedeutung hat, ftehen geblieben ift, hätte darüber immer- 
hin in der Einleitung oder einer Anmerkung ein Wort gejagt werden follen. 
Uebrigens befenne ich, daß ich mich überhaupt für jolche Gruppierungen wie die 
drei vorerwähnten, nicht erwärmen kann, joferne fie nicht vom Dichter jelbjt her— 
vühren: bei Reich ift dies nicht der Fall, und überdies grenzen fie fich nicht 
einmal ſcharf gegeneinander ab; was foll aljo damit gewonnen fein ? 


Was die Tertbehandlung betrifft, jo gibt mir einzig die Novelle „Nur 
ein Schreiber” Anlaß zu einem Bedenken. Sie erjhien zuerſt in Gutzkows 
„Unterhaltungen am häuslichen Herde“ und diefer nahm, wie der Herausgeber 
angibt, zwar nur „mäßige“, immerhin aber doch Aenderungen vor. Die Hand- 
schrift Reichs ſcheint erhalten zu fein und jo hätte man erwarten follen, daß 
darnach Guͤtzkows Aenderungen befeitigt und die Arbeit des Dichters in ihrer 
ächten Gejtalt wieder hergeftellt worden wäre. “jedenfalls hätte Fürst ſich hier 
über in den „Anmerkungen“ genauer ausjprechen und fein Verfahren begründen 
jollen. Sonft geben diefe Anmerkungen Nechenfchaft, ob umd wo die einzelnen 
Gedichte nnd Erzählungen bisher gedrucdt waren, und bringen auch gelegentlich 
fachliche Erklärungen und Nachweiſungen von „Modellen“ zu einzelnen Geftalten 
des Dichters und dgl. bei; der Vollſtändigkeit wegen find endlich auch früher 
gedrudte, von Fürft aber nicht aufgenommene Arbeiten Reichs verzeichnet; nad)- 
zutragen wüßte ich dazu mur wenig: die Erzählung „Die Wiedergeburt“ fteht 
auch bei Neclam ©. 75, und Langer führt (S. 135 und 138) noch zwei Feuilletons 
(„Die Gejchichte eines Kreuzers“ und „Lebensalter”) an, über die Fürſt jchweigt. 

Was über Reichs Leben und Schriften zu ermitteln war, ftellt die Ein- 


Bibliothek Deutscher Schriftiteller aus Böhmer. 829 


(eitung mit anerfennenswertem Fleiß zufammen, und auch das Gejamturteil über 
den Dichter darf als richtig und frei von Ueberſchätzung bezeichnet werden; im 
einzelnen fehlt es an ſolcher namentlich den Gedichten geaenüber allerdings nicht, 
und ebenjowenig kann ich der Charafterifierung einzelner Erzählungen zuftimmen, 
Die Art, wie in der Novelle „Nur ein Schreiber“ der Bolfsglaube an den 
Waldgeift Schwarzel benutt wird und in „Doktor Jakel“ der Held ſich an dem 
Metger und „Sympathiecurendoctor“ Seitler für die ihn beleidigende Anſprache 
„Herr Collega“ rächt durch mitternächtliche Borführung des gefamten Franken 
Biehs gerade in dem NAugenblid, da Seitler in Mitte feiner Patienten im Begriffe 
ift feine Sympathiecuren auszuüben, berechtigt doch nicht von einer „Vorliebe 
für's Ueberſinnliche, Gefpenfterhafte“ zu reden (©. 35), und auch ein „romantiſch— 
phantaftifches Thierſtück“ wird man deshalb die zweite Erzählung nicht nennen 
fünnen (©. 37). Daß der Lefer über den Inhalt nicht aufgenommener Arbeiten, 
darunter auch eines unvollendeten Nomans und einer Tragödie „Saul und 
David“, belehrt wird, ift ja ganz in der Ordnung; ebenfo überflüßig ift es aber 
bei den Erzählungen, die man in der meuen Ausgabe felbjt leſen kann; eine 
zufammenfafjende Charakteriſtik Neihs als Erzähler wäre verdienftlicher gewefen. 
Auch die Darftellung läßt zu wünfchen übrig und entbehrt offenbar der letsten 
nachbefjernden Durchſicht. Nachläffigkeiten, wie folgende: „Im Jahre 1850 hielt 
fih auch fein Bruder... . einige Zeit in Prag auf. Die Ferialzeit verfürzt 
er, wenn die Zeit einen Befuch in der Heimat nicht geftattet, bei feiner Schweſter“ 
u. ſ. w. (©. 9) oder „Prag und Wien‘ [bringt] architektonische Schilderungen, 
in denen Wien auf Koften (!) Prags jchlecht genug wegkommt“ (©. 43), hätten 
doch noch bei der Korrektur befeitigt werden follen. Freilich ift dieſe auch ſonſt 
nicht allzu forgfältig durchgeführt und auch das Drucdfehlerverzeihnis läßt dem 
Leer noch eine Nachlefe übrig. Ein folder unbemerfter Drudfehler hat jogar 
noch im kritiſchen Zeitjchriften fortgefpuft, wiewohl die Befferung fi aus dem 
Zujammenhang von jelbft ergibt: es muß ©. 30 3. 10 ftatt „8. April 1859“ 
jelbftverftändlich heißen „S. April 1857. Es fehlt nur no, daß jemand auf 
einen ähnlichen Druckfehler (S. 193) hin die Erzählung „Der halbe Kaſpar“ wirklich 
ins Jahr 1845, alfo ins 14. Lebensjahr des Dichters, ftatt 1854 (vgl. ©. 21) 
verlegt. 


Der zweite Band bietet zu befonderen Bemerkungen kaum Anlaß. Er 
bringt einen Neudrud eines Werkes des ehrwürdigen Joachimsthaler Kantors 
Nicolaus Herman, der „Sonntags-Evangelia” (1560/1), d. h. Kinder- und Haus- 
lieder, in denen die Sonn= und Feittags-Evangelien des Kirchenjahrs verarbeitet 
find. Ihre Erneuerung wird namentlich den Fachkreifen, mögen fie fi nun mit 
deutjcher Literatur des 16. Jahrhunderts, namentlich geistlicher Liederdichtung, 
oder Gejchichte des Proteftantismus in Böhmen, insbejondere in Joachimsthal, 
befaffen, jehr willfommen jein, und es war ein glücklicher Griff, gleich zu Beginn 
des neuen Unternehmens auch eines der bisher jo gut wie unbekannten Denk— 
mäler dieſes Zeitraumes, und zwar eim jo vecht voltstümliches, zugänglich zu 
machen; andere von demjelben Berfaffer, J. Mathefius und nicht zulett von 
dem begabten Dramatifer Clemens Stephanie mögen im nicht allzu langen Zwifchen- 
räumen nachfolgen. Der Herausgeber, N. Wolkan, dev fich ſchon durch frühere 
Arbeiten gerade um die deutſch-böhmiſche Literatur diefer Zeit ein unleugbares 
Verdienſt erworben hat, tritt möglichjt hinter feinen Autor zurüd. Er orientiert 
in der Einleitung kurz aber ausreichend über das Leben und Wirken Hermans 
und deſſen lofalgefchichtlichen Hintergrund und im einem gleichfalls ſehr knapp 
gehaltenen Anhang legt er zumächft den Fritifchen Apparat vor und verfolgt, 
ohne auf Bollftändigkeit Anfpruch zu machen, die zum Teil bis ins 18. Jahr— 
Hundert veichende Verbreitung der Yieder Hermans, eine danfenswerte Beigabe; 


830 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum. II. 


ein alphabetifches Verzeichnis der Liedanfänge erleichtert die Benützung. Zu 
Grumde gelegt ift dem Neudruck die zweite Ausgabe von 1561 (B), die abweichenden 
Lefearten der erjten von 1560 (A) find im fritifchen Apparat verzeichnet. Störend 
ift daber nic, dag mehrfach (13,2, 1.15, 9, 25:410,.4.. 17,7, 218.1, 31: 
ss, 17, 4) dieſelbe Lesart, die im Text fteht, aljo doch, joweit nicht ©. 248 vine 
Aenderung vermerkt ift, auf B beruhen follte, auch wieder als Variante von A 
angemerkt wird. In einem Fall (18, 11,1 Ihr Eheleut nembt ein troft draus) 
Hlärt fich duch die Nechenjchaft über die vorgenommenen Aenderungen (©. 248) 
der Sachverhalt auf: es it nämlich (gevade in dieſem Falle unnötig; denn 
„Eheleut“ kann zweifilbig zu lefen fein wie in demſelben Lied 12, 4: „Eheleut 
brengen zur ewigen Freud“) die Yesart von B (daraus) zu Gunſten der von A 
(draus) verlaffen worden und die Stelle hätte gar nicht in das Verzeichnis der 
Barianten von A (©. 245 ff.) jondern lediglich in das der Aenderungen (S. 248) 
gehört: dasjelbe Berhältnis liegt höchſt wahrjcheinlich auch in den meiften andern 
Fällen vor, wo wohl nur vergeffen wurde, die verlafjene Lesart von B zu ver— 
zeichnen. Das jehr konſervative Verfahren des Herausgebers muß man im 
allgemeinen billigen; eine Folge davon ift auch daß er aus rein metrijchen Gründen, 
zu deren Beurteilung auch die Melodien werden herangezogen werden müffen 
(vgl. 52, 1, 2; 95, 2, 6, Nr. 98), grumdfätlich nicht änderte, wo beide Drude 
übereinftimmen; freilih war dann auch fein Grund, in einem einzelnen Falle 
(29, 4, 4 Ob jr gleich ſchendet mein lere), der nicht ſchlimmer ift als andere 
unberührt gelaffene, eine Ausnahme (fchendt) zu machen. Umgekehrt hätte Wolfan 
woh! auch manchmal weiter gehen dürfen: wenn 9, 2, 1; 3 dem Vers zuliebe 
nad) A gebeffert wurde, warum dann nicht auch 9, 1, 7 (vgl. 9, 3, 2) und 
9, 2,5? Die Interpunktion ift modernifiert; einige ftörende Sabzeichen wird 
der aufmerkſame Leſer gleichwohl ſelbſt beſſern müſſen, ebenfo einige fatale Drud- 
fehler, ſowohl im Text (44, 7, 4 muß es jedenfalls heißen „behüt“ ſtatt „bet“; 
85, 8, 1 lies „daS werd der“; 98a, 4, 1 „Rehlein“ jtatt „Reblein“) als in den 
Ziffern des kritiſchen Apparates. 

Jedem der beiden Bände ift auch ein Bildnis des Dichters beigegeben: 
dem erſten ein Schattenriß Reichs, dem zweiten eine zinkographiſche Nachbildung 
des einzigen befannten Portraits Hermans auf der Nürnberger Stadtbibliothet, 
leider fan man dieſe durchaus nicht als bejonders gelungen vühmen. 


Prag. 9. Yambel. 


Schriften zum Hans Sachs- Jubiläum I. 
(Bgl. oben ©. 379 ff.) 


Hans Sachs-Forſchungen. Feitichrift zur vierhundertſten Geburtsfeier 
des Dichters. Im Nuftrage der Stadt Nürnberg herausgegeben von 
A. L. Stiefel. Nürnberg 1894. Im Kommiffionsverlag der Job. 
Phil. Rawſchen Buchhandlung. 7 M. 


In der That finden wir bei den Spruchgedidhten im 8/0 nur ganz 
geringe Abweihungen von GA; während aber GR aus S 10 nur 49 Gedichte 
vegiftviert, mweilt F70 R, wie auch richtig, 50 auf (profiant und mumplatz 
100 Verſe), auch ſonſt hat es verfchiedene Fehler von GR verbeffert (pretipil: 
GR 162, 8 10 R richtig 262; Suma al meiner gediht: GA BL. 318, SIOR 
vihtig 320), befonders aber vergleiche die Angabe „pegrepnus der egipcier“ 


Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum. II. 831 


GR Bl. 155, das Gedicht ſteht aber BI. 255, in SI/O R ward zuerft auch 155 
gefehrieben, dann noch mit derjelben Tinte aus der 1 durch zwei Horizontalitriche 
eine 2 gemacht. Somit erfcheint 5/0 R jünger als GR und urjprünglich aus 
diefem geflofjen, Die Dramentitel, die fich weentlich von den kurzen Regiſtrierungen 
in GR unterjcheiden, wären dann aus 8 vervollſtändigt. 

Auch bei 57/1 (Dftober 1556 bis Oktober 1557) ſtehen GR und S11R 
in nächſter ea, denn wieder fehlt bei beiden ei und das nämliche Ge- 
dicht (gelechter Demoeriti 150 Verſe). Aber auch hier zeigt das Sonderregifter 
jüngeren Status, denn während es im Differenzfalle einmal noch die geringere 
Angabe des GR gegen 5 teilt (Tragedia Machaberr GR 1060 = SIIR, 
Se 1064), hat es fünfmal die höhere Angabe von Se (Jael mit Sifera: GR 531, 
SAR532 = Se; Marina: GR 1278, S1/1R 1280 = Se; hürnen Seu- 
frid: GR 1132, S11R 1134 = Se; Wabot: GR 7182, SIIR 734 = Se; 
dewffel nam ain alt weib ꝛc.) und geht jogar einmal über die beiden anderen 
Angaben hinaus (Elifa der prophet: GR 4580 = Se, S11R 434). In den 
übrigen fünfzehn Fällen herrſcht Mebereinftimmung in den Dersangaben. Bei 
den Zahlendifferenzen hat hier FF? — umd dies ift allein bei 5 77 der Fall — 
durchweg die geringeren Angaben. 

5 12 (November 1557 bis Auguft 1558) konnte ih im Original nicht 
benugen, für die Dramen jandte mir Prof. Goete freundlichit Notizen. Es 
berrjeht hier wiederum Schwanfen Daphne GR 566, Se 5685 = SI2R, da- 
gegen paffion GR 1586, Se 1584 = SI12R, bei den übrigen vier Dramen 
find die Bersangaben ohne Differenz, das Gleiche ift der Fall bei ſämtlichen 
Dramen in S 15 (Auguft 1558 bis Auguft 1559), bei der Beritola fehlt die 
Angabe der Verszahl in FR. 

Bei 5 14 kommt in die Unterfuhung infofern ein neues Moment, als 
die Anfertigung des GR — der Reinſchrift an jenem Spruchbuch ge- 
ihieht. Yaut Borrede (FL Bl. 1 umpaginiert) begann Hans Sachs das GR 
nah dem Tode feiner — 17. März 1560, 514 war begonnen am 10. Ok— 
tober 1559, die letzten Gedichte darin (abgefehen von dem jpäter zugefchriebenen 
Epitaphium Yorenz Sturm) find vom Jahre 1562. Am Schluſſe des GR 
(Bl. 92) finden ſich nun zehn Gedichte aus S 74 nachgetragen mit der Be— 
merfung: „Hernach folgen etliche werck mancherley art, ſo ich hernach in dis 
14 puech meiner ſpruech mit der zeit gemachet habe, nachdem ich dis puechlein des 
regiſters hab einpinden laſſen“, andere Gedichte und Dramen aus 874 find bei den 
verjchiedenen Gruppen jeweilig zugejchrieben. Das erfte der am Ende in GR nach— 
. getragenen Gedichte ift „der trawrig traum“, Bl. 113 vom 5. Juli 1660, der 
Grundjtod des GR der Meiftergefänge und Sprud gedichte iſt, 
da Hans Sachs mit den Meiſtergeſängen begonnen hatte, alſo zwiſchen dem 
17. März und dem 5. Juli 1560 angefertigt worden. Bis zu dem 
letzteren Datum hatte nun Hans Sachs 17 Gedichte in SA eingetragen, die 
Vorrede zu den Spruchgedichten in GA iſt aber vom 12. Juli 1560 datiert 
und jpricht von 20 Gedichten, die 5/4 enthalte. In der That. find außer dem 
„trawrig traum“ (5. Juli) bis zum 12. Juli noch zwei andre Gedichte ent- 
jtanden „Epitaphium des zalpergers“ BL. 116 vom 6. Juli und „Epitaphium 
graff v. Schaumberg“ BL. 117 vom 8. Juli; das nächſte Gedicht ift die Tra- 
gedia Cleopatra vom September 1560. Die drei Gedichte zu den fiebzehn andern, 
in den Kolonnen des Fr ftehenden gerechnet, ergibt vichtig die in der Vorrede 
des GR genannte Summe; e8 ergibt fi alfo daß diefe Vorrede zu den Spruch) 
gedichten des GA nad Anfertigung des GA und nach „einpinden des puech— 
leins“ eimgefchrieben fein muß, umd die Bemerkung in der Vorrede zu den 
Spruchgedichten im GA (Bl. 75): „anno salutis 1560 am 12 tag Juli hab 

Euphorion II. 54 


832 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum. IT. 


ih Hans Sachs fuer guet angefehen meine gepundne gedichte auch (im) ein 
vegifter zu ſtellen . . .“ ift nach den vorhergehenden Ausführungen zu inter- 
pvetieven. 

SI4R zeigt zumächft eine nicht einheitliche Entftehung. Man kann eine 
erſte Gruppe von Titeln unterfcheiden, die im einen Zuge mit heller Tinte ge- 
jehrieben find, die weiteren Titel bei den verjchiedenen Gruppen erfcheinen mit 
ihwärzerer, deutlich unterſcheidbarer Tinte ſpäter zugefett. Die (uns bier 
allein intereffierende) erjte Gruppe umfaßt die 17 in die Rubriken des GR ein- 
geteilten Gedichte zuzüglich der drei als Nachtrag in GR (fiehe oben) gebuchten, 
enthält alfo auch 20 Gedichte Hans Sachs hat alfo 5 74 RR angelegt, 
als er auf Bl. 118 mit feinen Gedichten ftand, und 57/4 R ift wiederum jünger 
als GR. Daß dann aber S/LR aus GR gefloffen, zeigen ihre Ueberein— 
ſtimmungen (Doctor mit der nafen GER 354 = SI4R, Se 340 ꝛc., von 
jpäteren Dramen vgl. Tragedia Cleopatra G 21254 = S 14 R, Se 1260; Tragedia 
Artarerris GR 1206 = S 14 R, Se 1366 [?] korrigiert aus 1206, Auszählung 
1259 (1260, durch die irrtümliche Angabe 1206 ift die Korrektur vielleicht ent— 
ftanden). In den drei Differenzfällen hat GR alfo die geringeren Angaben.) 

S 15 fehlt, $S 16 war mir leider nicht erreichbar, 5 77 fehlt, 8 18 enthält 
feine Dramen. 

Bon 5/0 an jcheide ich aljo die Sonderregifter aus der Betrachtung aus, 
ich halte fie für jünger als GR. Bon 510 an ferner, wo wir der Zeit der 
Abfaffung des GR ſchon nahe gerüct find, ift es alfo Herrmann zuzugeben, 
daß FR in verfchiedenen Fällen thatfächlic) die geringften Angaben hat, dieje 
Angaben find wahrſcheinlich aus Hans Sachſens Kegiebüchern entnommen, deren 
eines z. B. die Wiener Bibliothef aufbewahrt (vgl. Creizenachs Beſprechung der 
Feſtſchrift im Literarifchen Centralblatt 1895), aber dieſes Berhältmis wird auch ge- 
legentlich (fiehe oben bei 5 7/2) wieder durchbrochen, und jo können wir auch hier 
dem GR als Ganzem feine bejondere, felbjtändige Stellung unter den Hans 
Sachſiſchen Texten anweifen, fondern müffen von Fall zu Fall entjcheiden. 
Ferner find aber die Differenzen in den Fällen, in denen 627 wirklich zurück— 
bfeibt, jehr gering ( lern in einem Falle 10 Berje beim Faſtnachtſpiel Lucius 
Bapirius, ſonſt nur 2,4, 6 Verſe, wobei der Unterſchied von zwei Berjen ſicherlich auf 
die Namensnennung de Dichters am Schluffe fommt). Und jo meine ich thut man 
bejjer auch diefe Dramen zur Beobachtung heranzuziehen, anftatt um jener kleinen 
Differenz willen die oft intereffante Beobachtung des Ganzen fich entgehen 
au laſſen. 

Im Ganzen bedarf alſo Herrmanns Materialſammlung erheblicher Er— 
gänzung, ich gehe deshalb auf Herrmanns übrige, an feinen Beobachtungen 
keineswegs armen Unterſuchungen nicht ein, am einfachſten wäre es, wenn Herr— 
mann ſelbſt auf Grund obiger Ausführungen die nötige Ergänzung vornähme. — 

In dem erſten Beitrage der Feſtſchrift macht uns Victor Michels mit 
— Zeitgenoſſen und Freunde des Hans Sachs, dem angeſehenen Nürnberger 

Kaufmann Niclas Praun, bekannt. Praun hatte drei Dialoge verfaßt, „der 
odagriſch traum” — Praum litt heftig an der Gicht —, „vom kopf und 
pieret“, „pasquillo vom romiſchen reich“, deren — er unvollendet hinter— 
ließ. Sie ſind 1549 — in welchem Jahre Praun als geſtorben erſcheint — 
von Hans Sachs fertig abgeſchrieben und mit einer pietätvollen, an die Brüder 
des Praun gerichteten Vorrede verſehen worden. Michels gibt einige Notizen 
über die Perſönlichkeit Prauns, druckt die Vorrede und den zweiten Dialog ganz 
ab und gibt von dem erſten eine glückliche, mit Auszügen im einzelnen erläuterte 


1) Tragedia Pura, die Herrmann unter 1558 rubriziert, gehört unter den 11. November 1559, 
jie jteht in S 14 und zwar zwifchen Gedichten vom 18. Oftober und 16. November 1559, 





Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum. II. 833 


Charakteriftif.. Mit Intereſſe blicken wir, auf authentijches Material geftütst, in 
die gejellfchaftliche Sphäre unſeres Dichters, die, wie Michels zutreffend bemerft, 
erheblich weit ablag von der eines Pirdheimer und Genofjen. Wir jehen Hans Sachs 
im Verkehre mit einem literariſch intereſſierten Nürnberger Kaufmann, ja wir 
gewinnen vielleicht eine Spur, die uns der Löſung der Frage nach Benutzung 
auch lateiniſcher Vorlagen durch Hans Sachs näher führt. Michels' Vermutung, 
eben in dem lateinkundigen Praun den Vermittler der Quelle des „geſprech der 
götter ob den ....... zipperlein“ zu fuchen, hat Wahrjcheinlichkeit für fich. 
Umgefehrt ift bei Prauns Dialogführung Hans Sachs’ meifterlihes Vorbild un- 
verfennbar (©. 13). Auch die Spruchgedichte des Hans Sachs find dem Freunde 
natürliy geläufig (S. 7); ich führe eine wörtliche Reminiscenz an, Feſtſchrift 
©. 16: „. . . hanff, Daraus man ftüd, fiihneg und vogelgarn ftridet,“ vgl. 
Aragne:” "Keller - Goetze 2, 183: „Erfand fie. . . zu ftriden Fiſchnetz und aud) 
die vogelgarn.“ Die Aragne iſt Dezember 1545 für den Einzeldrucd umgearbeitet, 
im gleihen Monat als Hans Sachs die Fabel vom Zipperlein und der Spinne 
umdichtete — nach Michels im Hinblid auf den podagrafranfen Freund. 


Bei Wiedergabe des Hans Sachſiſchen Tertes ftreiht Michels die bei 
Hans Sachs häufig vorfommenden o- und u-Hafen (= 6, ü) und beruft jich dabei 
auf jeine Ausführungen im Anzeiger für deutſches Altertum 18, 355 in einer 
Necenfion meiner Studien zu Hans Sachs II. ch hätte gegen dieſe Necenfion 
verſchiedenes Erhebliche einzuwenden, eine von Michels’ Bemerkungen hat Stiefel 
Feſtſchrift ©. 153 entfräftet. Was die o- und u-Hafen betrifft, jo halte ih an 
meiner in den Studien II geäußerten Anficht, der Hafen bedeute bei o regel- 
mäßig, bei u in beftimmten Fällen den Umlaut, nach wie vor feft. Bei o be— 
jtreitet auch Michels dieſe Bedeutung nicht, Beispiele: 5 14, Bl. 27: wölcher; 
56 ueberköm (gereimt auf): dem; 60 aném; Meiftergefangbuh (= M) 
16 angenöm: tWeberköm x. Der a-Umlaut ift ſtets Durch e bezeichnet. 
Den u-Umlaut, meint Michels, drücke Hans Sachs entweder durch e (alfo ue) 
aus, oder er fei unbezeichnet, der Hafen habe bei u nur dei Zweck der 
Unterjcheidung von n und u. Aber Michels felbjt wird dieſe Bemerkungen 
nicht für erichöpfend halten. we, tie fteht zunächit bei Hans Sachs außerordent- 
ih häufig — Älterem uo (güet, mieter, prüeder, püech; M 16, 52 capüt: 
huet ꝛc., auch ohne Haken), ferner ift auch nicht am Umlaut zu denken bei 
unechtem we für ü, u bejonders vor Liquiden, doch auch jonft, in Fremd— 
wörtern zc. (M5: gueberniret; M 16, 71 huer: natüer; DI. 72, 83 schüester; 
98 sunst: güenst; 140 tribuet; 148 nn 151 ereatur: 
püer: ©. 5,5. püegen: zwgen; ©. 14, 3: Luedwig. 19 tribüet: guet; 10 
gedulden: huelden zc.). Ebenjo wie hier bu u ift au) bei ve (= üe) in einer 
Neihe von Fällen das „e* Fein Umlautzeichen, ſondern der im bayerischen Dialeft be- 
jonders bei Liquiden häufige Nachichlag (vgl. Weinhold, bayerifche Grammatik $ 110) 
3. B. füerst, füersten, füuerstin (doch bei Hans Sachſens nicht ſtrenger Konſequenz 
auch fuerst, füurst, seibft furst gejchrieben). In den nach Ausjcheiden obiger 
Beifpiele übrig bleibenden Fällen könnte das e wohl als Umlautzeichen gelten, jo 
jchreibt Hans Sachs vorwiegend sun, sun (Singular), dagegen süen, suen (Plural) 
üe alfo = ü. Was ſchließlich die Fälle, wo u allein fteht, betrifft, jo hat hier 
einerfeitS dev Hafen die Bedeutung unferes modernen u-Hafens zur Unterfcheidung 
des u von n. Andererfeits folgt Hans Sachs dann auch der Tradition,t) die 


1) Siehe 3. B. meine Ausgabe der „berühmten Frauen” Boccaceios, überſetzt von Stain- 
höwel Ulm 1473 (Stuttgarter Literarijcher Verein Nr. 205): Ubeln, ze Jük, erlücht, daneben 
auch ü verwendet; oder Stainhöwels Autographon der Ueberſetzung des „Speculum vitae 
humanae“ (cod. Mon. 1137): güdens, über, tütsches, aber ursach, natur, brunnen :c. 
(ein Kapitel abgedrudt a. a. D. Nr. 205 ©. 332 ff.); ferner den Drud des „Speculum vitae 


54* 


834 Schriften zum Hans Sads-Jubiläum. IT. 


den Hafen als Umlautzeichen verwendet, dies zeigen Beifpiele, im denen üͤ 
(=ü) =i fteht: S 18, 60: nümant, 8 14, 44: gwünstes; 135 firmen: 
stürmen (Feftihrift ©. 207 von Boete erwähnt) ; 102 vermüscht; 157 das 
ir krügt der sabiner schar; 167 unserm her küng ist spünen feint; 
74 Fiensing; 75 Fünsing, Fünsing; 77 Fünsing; "M 16, 3 (unpaginiert) 
Münichen; 19 Münichen; S 14, 73 Münichen, 75 gen Minichen in 
die hawbstat; hier ift alfo u = ü. Ferner BI. 2023 ff. durchweg hüner, 
rephüner, haselhüner ete. und ferner mit verichwindenden Ausnahmen faſt 
jtet8 wünscht ımd Nürnberg, Nürenberg, Nürmberg, Nüremberg, Nüren- 
berek ete. 

Auf dem gleichen Standpunkte fteht E. Goete, der in feinem Beitrage 
Feſtſchrift S. 192— 208 zunächſt über die intereffanten Schidjale ſämtlicher Hans 
Sachſiſchen Handfchriften berichtet umd im dem zweiten Zeile aus jeiner lang- 
jährigen Erfahrung Grundfäte über die Behandlung des Hans Sachſiſchen Tertes 
zuſammenſtellt. 

Einzelheiten bei Michels ſind zu beſſern; das Datum der Hans Sachſiſchen 
Vorrede iſt natürlich 1549 ſtatt 1459, der zweite Dialog begimmt im der Hand- 
fchrift nicht 4a (©. 4), fondern Bl. 74a, "auf © 3 Zeile 4 ift beim Abdruck 
der Hans Sachſiſchen Vorrede ein Nelativjats De es heißt: „gejehen 
werde, welche warheit doch neid gepirt, wie..." — 

An zweiter Stelle folgt die umfafjende Abhandlung von A. 2. Stiefel 
„Ueber die Quellen der Fabeln, Märchen und Schwänfe des Hans Sachs“ 
(S. 32—192). Sie war mijprünglich allein u Feſtgabe beſtimmt, und es 
gebührt Stiefel vollſter Dank, daß er noch weiter die Herausgabe einer auf den 
jetzigen Umfang vergrößerten Fefti chrift anregte, d desgleichen der Stadt Nürnberg, 
in deren Auftrag die Feſtſchrift herausgegeben iſt, daß ſie die Anregung Stiefels 
fördernd aufnahm. Gegenüber meiner Bemerkung ©. 379 dieſer Zeitſchrift, daß 
man allerdings eine aus dem Vollen ſchöpfende Arbeit —— 
Arbeit, welche die hiſtoriſchen Probleme, die ſich uns an den Namen des 
Hans Sachs knüpfen, klar — und ſo das Erſcheinen der Feſtſchrift 
gleichſam wiſſenſchaftlich begründe, legt der Herausgeber zufolge perſönlicher Mit— 
teilung Wert auf die Conftatierumg, daß er auf eine ſolche Abhandlung mit 
Rückſicht auf den Umfang der Feitichrift abjichtlich verzichtet habe. Ich benutze 
ferner die Gelegenheit, um eim zu ſpät bemerftes Berfehen des erſten Teiles 
dieſer Necenfion zu berichtigen. Nicht die Rawſche Buchhandlung (vgl. oben 
©. 379), welcher nur der Kommiffionsvertvieb übergeben wurde, jondern die Buch— 
druderei von W. Tümmel iſt es, dev das Yob für die vornehme und gediegene 
Ausſtattung der Feſtſchrift gebührt. 

In ſeiner Abhandlung ſetzt Stiefel die Quellenunterſuchungen, die er 
ſchon den Faſtnachtſpielen gewidmet hat, bei den Fabeln, Märchen und Schwänken 
fort. Das ſo umfangreiche und zerſtreut liegende Material iſt mit großer Mühe 
und umfangreicher Beleſenheit auf dem einſchlägigen Gebiete zufammengetragen. 
Das weitausgehende Material macht ein Eingehen auf das Einzelne an diejer 
Stelle unthunlich, Dagegen werden Stiefels Ausführungen bei der Ausgabe der 
als Meiftergefänge gedichteten Fabeln und Schwänke, die E. Goetze und Recenſent 
vorbereiten, von wejentlihem Werte fein. Beſondere Hervorhebung verdient der 
von Stiefel (S. 177) bei der „Keyſerin mit dem Löwen“ geführte Nachweis, daß 


humanae* 1475 Augsbura: natürlich, fürsten, südet (= siedet), daneben ü; Drud der 
berühmten Frauen von 1541 (Augsburg) bei a: schätzenn (- schätzenn), wald (wälder), 
u-Umlaut = ü, ü. Erlanger Handjchrift des Nenner vom Jahre 1347, teilweije publiziert vom 
Hiftorischen Berein zu Bamberg: wöllent, bös, hört, bösem, hörner, schön, Nüremberch. 
fünf, übel, tüfel, dagegen zut, jung, tugent, gesund, doch aud) (jeltener) kümpt, güten, 
mut ꝛc. 


Schriften zum Hans Sadhs- Jubiläum. II. s35 


Hans Sachs hier in freier Weife eine Gefchichte von Perjonen erzählt (Kaifer 
Julius, Pompeya, Clodius), deren Namen ihm feine Borlagen in diefem Zu— 
jammenbhange nicht geboten hatten. Um einen vollen Ueberblid über dieſe Er- 
iheinung und die daraus zu ziehenden Schlüffe zu gewinnen, wäre es von 
Wert, von Stiefel auch die andern, von ihm gefammelten Beifpiele zu erhalten, 
wahrscheinlich gehören fie ausschließlich der jpäteren Zeit am und gehen Hand in 
Hand mit dev freieren — und der größeren Selbſtändigkeit, mit welcher der 
Dichter in jpäterer Zeit feine Quellen überhaupt zu behandeln liebte. Das Beifpiel, 
das Stiefel noch an fpäterer Stelle (S. 264) für Haus Sachſeus freie Quellen— 
angabe heranzieht — die Nennung der „Lamparder Cronica“ im Spruchgedicht 
von der Königin aus Lamparten ohne thatſächlichen Anhaltspunkt — trifft jedoch 
meines Erachtens nicht zu. Die Quellenangabe iſt hier keine von Hans Sachs 
ſelbſt konſtruierte, ſondern, wie ich ſchon in meinen Studien zu Hans Sachs 
1, 54 ewwähnte, — die Erz zählung in Hans Sachſens Vorlage (Pauli Schimpff 
und Ernft) jelbft: „Wir leſen in der Hifteri Longobardorum,“ welche Angabe 
Hans Sachs dann ohne weiteres im die ihm geläufigere Bezeichnung „Yamparder 
Cronica“ umfeßen konnte. 

In der nächſten Abhandlung — Wunderlich das Verhältnis 
Hans Sachſens zum Nibelungendrama (S. 253—62) und zieht dabei intereſſante 
Harallelen mit dent neueren Bearbeitungen des Nibelungenſtoffes (Fouqué, Held 
des Nordens; ferner Raupach, Hebbel, Geibel, Fr. 2. Hermann, Richard Wagner). 
Er ſucht die Behandlungsweiſe des Hans Sachs aus der damaligen Zeit und 
der Technik des Dichters zu erklären und zeigt, wie Hans Sachs ſich mit den 
neueren Bearbeitern berührt und wie und warum er ſich von ihnen unterſcheidet. 

Die as Golthers „Hans Sachs und der Chromift Albert Krantz“ 
(S. 262—77) bietet feine große Forderung. Ken darin ift dev Hinweis, daß 
Hans Sachs bei der ausführlicheren Schilderung der Ermordung Alboins 
(Tragedi Roſimunda) durch Hedions „Chronica von Anfang der Welt bis 1534, 
Straßburg 1539" angeregt jei. Auch ift das Thema nicht erſchöpfend behandelt, 
bei der Materialfammlung fehlen Die verfchtedenen, won Goetze im dev Ausgabe 
des Piterarifchen Vereins noch a hierhergehörigen Meiftergefänge 
(Keller-Goetze 16, 320; 20, 451; 21, 364) aus verlorenen u en 
Auch die Vergleihung der —— mit ihrer Quelle ſowohl, als auch 
untereinander, wie beim Spruchgedicht vom König Froto, der durch ein alte 
hexen umkam — möchte ich durchaus nicht für ſo unfruchtbar halten, wie Golther 
S. 266 thut. Ferner iſt ebenſo wie für ganze Dichtungen Krantz auch ſicherlich 
in einer Reihe von Fällen für einzelne hiſtoriſche Angaben und Motive aus- 
gebeutet worden, vergleiche 3. B. Studien zu Hans Sachs 1, 69. 

©. 278— 319 berichtet Mummenhoff über die vom 
Jahre 1616/35 und die Singſtätten der Nürnberger Meiſterſinger. Die erſte 
uns bekannte Singordnung iſt der Schulzettel von 1540, abgeſchrieben von Hans 
Sachs im GR, 1555 von unſerm Dichter als Meiſtergeſang behandelt. 1561 fand 
eine Reviſion des Schulzettels ftatt, zu Diefer Bearbeitung fügte Hans Glöcler 
Erempla bei, wann, wird nicht gejagt. Die Handfchrift diefer Bearbeitung be— 
findet fih in Dresden, ihre Bergleihung mit den andern Schulzetteln fteht 
nod aus. Eben Hans Glöcler zeichnete auch die nächte Bearbeitung von 1583 
auf Mummenhoff ©. 279). 1616 ftellten danıı wieder Hans Glöckler und 
Georg Hager eine neue Ordnung zufammen, die 1635 von Stefan Angerer, 
Philipp Hager, dem Sehne Georgs, und Heinrich Wolff nochmals durchgefehen 
und von Mathias Wolff ıiedergefchrieben ward. Diefe Ordnung wird bon 
Dummenhoff ©. 290—319 a BE, fie gewährt einen höchſt intereffanten 
Einblid in den Stand des Meiftergefanges im 17. Jahrhundert, Ihre Grund- 


836 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum. II. 


lage ift die Ordnung von 1540, in den neu hinzutvetenden Elementen zeigt fich 
in der ftärkeren Betonung des Materiellen, des Geſchäfts- und Vereinsmäßigen 
die abjteigende Entwidlung der Kunft des Meiftergejanges zu dem jpäteren Sing- 
vereinen und Liedertafeln Hin. 

Wir find jett im Stande teilweife ganz genau zu verfolgen, ob und in— 
twieweit dieſe Grumdfäte dev Meifterfingergefellichaft, wie fie bier und früher 
ftatutenmäßig fejtgelegt find, am Ende des jehzehnten umd im fiebzehnten Jahr— 
hundert auch wirklich in der Praris befolgt wurden. Sch habe vor einigen 
Monaten in der Weimarer Bibliothek fünf, ihrem Inhalte nach bisher unbeachtete 
rn gefunden O(ctav) 152; Q(uart) 575; Q 577b; Q 578; 
@ 579), Driginalprotofolle über die Singjehulen, wie das von Goete entdeckte 
Gemerfbüchlein des Hans Sachs von 1555 — 61 (Zeitichrift für vergleichende 
Literaturgefhichte 1894 ©. 439 — 48) und das von Schnorr von Carolsfeld 
(Archiv für Literaturgefhichte 3, 4I— — 52) befprochene, die Jahre 1583—94 um: 
faffende Protokollbuch. Die fünf Bände berichten über Die Jahre 1577 — 83, 
dazu 1599 —1603 (in O 152) und 1606—89 in faſt ununterbrochener Folge 
(Q 577b von 1606—19; @ 575 von 1620 —39; Q@ 578 von 1641—52; 
@ 579 von 1652—89), jo daß mir jeßt zuzüglich der beiden erjtgenannten 
Büchlein mit Ausſchluß der Jahre 1561— 77 und 1594—1606 von 1555 — 1689 
authentische Protokolle über die meifterfingerifche Thätigkeit befien. Durch diefes 
neue Material wird ſowohl die Gejchichte des Nürnberger Meiftergefanges un der 
zweiten Hälfte des jechzehnten und im ſiebz ehnten Jahrhundert im Ganzen bloß- 
gelegt, als auch wir in den Stand gefett, eine Reihe von Einzelfvagen zu ent- 
jcheiden, ganz abgefehen von den zahlreichen Namen und biographifchen Ergeb- 
niffen. Auch Wagenjeils Mitteilungen find wir jett in ganz andrer Weife als 
bisher zu prüfen im jtande. Hier möchte ich nur zum Ergänzung dev Angaben 
Mummenhoffs einige Mitteilungen über die von den Meifterfingern bemutsten 
Dertlichkeiten heranziehen. Ich hebe folgende Stellen heraus: 

O 152 Bl. 2la!): „Sm auszgang dyſſes jars [1577] am ſundtag vor 
ſanndt thomas dag, da haben dy 2 merder als veit feſſelmon vnd hans gröſzer 
mytt dev gansen geſellſchafft rechnung gehalten, da iſt in der reſlchſnung erfunden 
worden 3 fl. Schultzinft in halſzbruner hoff, daran tft mychel vogel 
ihuldig . . . 

Bl. 27a: Singſchul am 16 jundtag vnd 3 dtag vor matheus und dy 
erſte Schul jr der kyrchen zu jandt mardta 1578 jars. 

Bl. 69°): Anno 1620 jar den 8 februarj haben wir bey ſanct marta 
das kirchlein raümen müejen, den meine herren haben eittel ſalczſcheiben darein 
than, das wir gar fein raum mehr gehapt haben, alſo haben wir fchriftlich an 
ein ehrueften vat gelangen laffen vırd gebetten, das meine hevren uns wider ein 
ort vergünen fol. Alſo ift uns die kierchen bey janct Katharina ver- 
günt mworten, 

Q 575 Bl. 2a: Sit geihehen no bi jannt Marhta. Arno 1620 
den 23 January hat Hans VBeniter ſingſchul gehalten vnnd volgen die finger 
in frepfingen. 

Bl. 3a: Anno 1620 den 19 marcy hat fteffen angerer das erjte mal 
bey fanct Katharina fingichul gehalten. Nun folgen die finger im frey— 
fingen. 

O 152 3. 70a: Adj am tag drinidattis [1622] haben wir zu wer 
ſingſchul vnd jpil gehalten, haben lautter Füpfers eingenommen, ift als ver- 
druncken worten. 


J Vermutlich von Veit Feſſelmann geſchrieben. 
2) Von Georg Hager geſchrieben. 


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Schriften zum Hans Sahs- Jubiläum. II. 337 


Bl. 70°: Adj am tag drimidatis [1623] hat man zu wer fingjehul 
vnd jpil gehalten und was man auf gehoben hat ift alles aufgangen. 

Adj 8 tag nad drinidattis [1624] haben wir zu wer fingichul und 
jpil gehalten, hab ich empfangen 25 freiczer zu verrechnen. Das ander ift als 
aufgangen.“') 

Die erfte der bier abgedrudten Notizen gibt meines Wiffens den erſten 
authentifchen Beleg einer Benußung des Heilsbrunner Hofes durch die Meifter- 
finger im fechzehnten Jahrhundert. Ich möchte nun vermuten, daß die hier 
erwähnte Schuld fi auf Theateraufführungen bezieht. Ferner hören wir von 
Singihulen und Aufführungen zu Wöhrd im den Jahren 1622—24; 
es ift bemerkenswert, wie gering die Einnahmen der Meifterfinger bei dieſen Ge- 
(egenheiten waren. Die Gewohnheit, am Dreifaltigfeitstage in Wöhrd zu fingen, 
datiert ſchon aus der erften Hälfte des ſechzehnten Jahrhunderts (Mummenhoff 
©. 257). Auf das Alter diefes Brauches, ebenjo wie auf die Thatjache, daß 
man die Meifterfinger in Wöhrd Ffeineswegs immer gern ſah, deutet folgende 
Notiz: 

Q 575 Bl. 199: „Weil uns meifter fingern zu werdt umfzer agiven 
wart nit vergundt, jo haben wir doch den erften tag trinitadis nach altem ge- 
brauch in der kirchen unſer fejtlieder gefungen vırdt haben von dem gemeingelt 
empfangen 45 fveußer, dem meiner 9 kreitzer, dem pfarhern nichts, Dieweil er 
nach dev bredig nicht darvon gemelt hat.“ 

Die Lücke betvefjs dev Singftätten dev Meifterfinger in den Jahren 1614 
bis 1620 wird glüdlih ausgefüllt dur Die Bemerkungen in O 152 Bl. 69 
und Q 575 Bl. 2—3. Es geht aus ihnen hervor, daß die Meifterfinger thats 
jächlih bis zum Jahr 1620 in der Marthafivche, die fie 1578 bezogen hatten, 
verblieben, und fte nicht Schon 1614 verließen, wie Mummenhofj auf Grund der 
Mitteilungen G. W. Holzijhuhers bei Will, Hiftorifch - diplomatifhes Magazin 
1, 210 ſchloß. Allerdings ſpricht Holzihuher ausdrüdlih nur von den Schau- 
jpielen, die dev Rat 1614 aus St. Martha verbannte. Der „geiftlichere Ge- 
brauch“ jedoch, zu dem man die Kirche nach ihrer Renovierung nad Holzſchuher 
wieder bejtimmte (Feſtſchrift S. 285), dürfte wohl anzuzweifeln jein, da ja nad 
obigem die Marthakivche dem Nat ſchon 1620 als Salzmagazin dient. Nun 
glaubte man bisher, daß fortan die Meifterfinger im Beſitz der Katharinenticche 
geblieben feien, und im der That ift die ganzen folgenden Fahrzehnte hindurch 
faſt ſtets ausdrüclich bemerkt, die Singſchule habe bei St. Katharina ftattgefunden. 
Zum Jahre 1662 aber finden wir in @ 579 BL. 63 f. nachfolgende Notiz: 

„Anno 1662 ift die [Kirchen] zum heiligen geift am neuen jpital angfangen 
worden zu verneuern vndt ift das Minifteria in ©. Katharina kirchen glegt 
worden. Nun kundten wir meifter finger fein fing ſchuhl halten bey ©. Katharina.” 

Sie fupplizieren unterm 12. Mat um Ueberlaffung der Marthakirche, 
„die weil vor difem auch da gungen worden.“ Die Beiprehungen der drei 
Merker Philipp Hager, Jeremias Keller, Heinrich Wolff mit den Ratsherren 
werden eingehend geichildert, dabei aud der angebliche Urfprung des Meifters 
gejanges beiderjeits berührt; am 15. Mai wird den Meifterfingern die Martha- 
fire zum zweiten Male überlaffen: 

Bl. 64°: „Vndt 15 tag dis monats ging wir wider zu ©. Marta da 
war ihr ehrnveſter Herr grumdtherr zugegen, da wifen wir jm alle gelegenheit, 
wo wir vorhin gefungen haben, da wünſchet ev vns vül glüd darzu. 

1) Bon Bl. 69a— 70° ift alles von Georg Hager geſchrieben, die Notiz aus Q 575 auss 
genommen. 








838 Schriften zum Hans Sachs-Jubiläum. II. 


Bl. 65a: Auno 1662 den 18 may am heilig pfingstag hat ſingſchul 
gehalten Georg Frey, ein bargendt weber. Volgen die ſinger. Das kurtz gemes 
bey S. Marta.“ 

Dieſer zweite Aufenthalt in St. Martha dauerte jedoch längſtens bis zum 
Frühjahr 1664; es finden ſich weiterhin die folgenden Notizen: 

@ 579 3. 71: „Anno 1663 den 25 december am heilig Chriftag hat 
haus Steinlein fingihul bej ©. Marta gehalten, haben folgende finger 
gelungen. 

Bl. 72: Anno 1664 Am heiligen oftertag hat criftoph haffner ſingſchul 
gehalten bei ©. Katharina, haben folgende finger gefungen.“ 

Weitere Ortsangaben für die Abhaltung der Feftichulen finden fich nicht 
mehr. Der Berfammlungsort ift aber die Katharinenfivche geblieben, auch zwei 
Einladungszettel, welhe Mummenhoff ©. 2837— 89 abdrucdt, und die nach feinen 
Unterfuhungen wohl ins Jahr 1677 zu ſetzen find, nennen diefe ausdrücklich 
wieder als Berfammlungsort. 

Das Frühfingen am Zage der Feſtſchulen, die Hauptprobe des eigent- 
lihen Singens (Mummenboff ©. 286), jollte nach der Ordnung von 1616/1635 
bei den Predigern ftattfinden, vgl. hierzu den Bericht aus Q 575 Bl. 73: 

„Anno 1639 am hailigen Chriftag hat die gant gefelfchafft fing ſchul in 
gemain gehalten an ſtatt Jobſt Zolners, welcher deſz jar thoteſz verfahenn, war 
gar ein ſchlechte ſchul dan man hat früe in der Brediger kirchen nicht geſungen 
wegen einer Bau darinn, iſt auff der ſchul gefallen etwan 2 f. etlich creutzer, 
welche die 3 merker an der zech vertruncken.“ 

Das Liedverhören, wovon die Singordnung in ihrem vierten Teile ſpricht 
(S. 298), findet in ſpäteren Zeiten an ziemlich weltlichen Stellen ſtatt. Ich 
finde darüber folgende Notizen: 

@ 575 Bl. 195: „Anno 1637 den 2 april haben am balm tag wir M. 
finger daz lieder verhörn bey dem vindtfus gehapt, jit ein crant darbey gehalt 
wordt von dem georg frey vnd von finger vatter farol braun. 

@ 579 3. 1061: Anno 1672 den 8 December ift das lieder verhoren 
bey dem” vündtfuz gehalden worden vnd hat hanſz jteinla einen thon bewert, hat 
in genent die fur barchet weifz, ift ein 9er, hat am ſilbuwen 58.“ 


Gemeint ift das Wirtshaus zum goldenen Rindsfuß, es übte auch ſonſt 
Anziehungskraft aus, das Verhältnis zu dem Wirt Karl Braun muß ein vecht 
gutes gemwejen fein: 

Q 578 3. 72: „Anno 1646 den 1 januarj am neuen jahrstag wurd 
bon dem fingern ein frey ſchul gehalden und hiltt hanſz münderlein jein fing 
Franczlein [vgl. die Singordnung Teil 9, Feſtſchrift ©. 305] bey dem herr farol 
braum zum gulden vindtfus. 

DB. 88: Anno 1647 den 24 Februarj am matheustag haben die maiſter 
ſinger ihrem herr vatter karol braun, wiert vnd gaſtgeb zum guelten rindfuſz 
einen becher verehret bey 12 f., welcher der geſelſchafft ein ſchönes gebratens vnd 
zwo[l]f flaſchen mit wein ver&hret zu großen danck, diſſer zeitt maiſterſinger mit 
nahmen wie volgt“ (folgen 14 Namen). 

Wie weitab liegen die Hans Sachſiſchen Zeiten! Auch in den Häufern 
der Merfer wurde fpäter das Yiedverhören gehalten, ja fogar das Bewähren von 
Tönen damit verbunden: 

Q 579 Bl. 69: „1663 ift daſz lieder verhören in deſz heinrich wolffen 
nagel ſchmits hauſz gehalten worden, da zu mal hat hanſz fteinlein weber vor 
der gantzen ehrbaren gejelfchafft einen thon bewerd vnd hat inn die webers 
ſchifflein weiſz genand, hat in der läng 12 veim, daſz war fein evfter thon, 


Loeſche ©., Johaunes Matheſius. 839 


Bl. 118: Anno 1675 an dem palm dag iſt dafz lied verhörn bey mir 
Tobias Martin gehalden worden“ u. a. m. 

Das weitere, veihe Material aus jenen Bänden foll an anderer Stelle 
mitgeteilt werden. 


Münfteri. W. Karl Drefcer. 


Loeſche, G., Johannes Mathefius. Ein Yebens- ımd GSittenbild aus der 
Neformationszeit. 2 Bände. Gotha 189. F. A. Perthes. 20. 


Wir können das vorliegende Buch unbedenklich als eine der beften Peiftungen 
der letten Jahre auf dem Gebiete der deutichen Reformationsgefchichte bezeichnen. 
Es ruht auf der ficheren Grundlage eines veichen, von dem Verfaſſer nach allen 
Seiten hin wiederholt und mit Scharfer Kritik durchforſchten Quellenmaterials und 
behandelt feinen Gegenftand umter ſachgemäßer, lichtvoller Anordnung des Stoffes 
und in anſprechender Darftellung. In zwei Teilen wird das Leben und Die 
literarifche Wirkſamkeit des Mathefius dargeftellt. Der erfte Teil umfaßt in drei 
Büchern feine Lehr- und Wanderjahre (1504— 1532), fein Rektorat in Joachims— 
that (1532—1540) und die Meifterjahre (1540—1565). Entfprechend der 
wachjenden Fülle des Stoffes ift der Umfang der einzelnen Bücher und die Zahl 
ihrer Abjchnitte ſehr verfchieden. In den Lehr- und Wanderjahren wird in 
zwei Kapiteln ein anichauliches Bild des Entfoidlungsganges von Mathefius dar- 
geboten: feine Erziehung im elterlichen Haufe zu Rochlitz, feine Studien in Nürn- 
berg und Ingolſtadt, fein Aufenthalt in Odelzhaufen, in Brud und in Witten- 
berg 1529. Der Aufenthalt in Wittenberg war für den jungen Mann von 
größter Bedeutung: „Am Sonntag nad Pfingften, jchreibt er, habe ich den 
großen Mann, Dr. Luther, predigen hören, da er St. Petri Text vom Wefen 
und der Kraft der heiligen Taufe auslegte, dafür ih unferm Gott die Tage meiner 
Pilgrimſchaft hie und im alle Ewigkeit zu danken habe. Ich kann, will und foll 
dieſer ſeligen erſten Predigt nicht vergeſſen, ſo lange ich Atem im Leibe habe.“ 
Nach einen Menſchenalter ſpäter geſteht er mit gleicher Wärme den ſtarken, damals 
erhaltenen Eindruck von Luther. Wie das Schulweſen in dem ganzen vorliegenden 
Buche eine verſtändnis- und liebevolle Behandlung gefunden, ſo iſt auch die 
Schilderung des Schulweſens in Wittenberg und des Lebens und Treibens der 
dortigen Profeſſoren und Studenten eine treffliche. Mangel an Mitteln wird 
Mathefins gezwungen haben, wieder zum Wanderjtab zu greifen. Er ging nad 
Altenburg und wurde Schulgehilfe. Noch ift ev befchäftigt die Lücken in feinem 
etwas |prunghaften Bildungsgange auszufüllen. 

Das zweite Buch giebt eine Anficht von den Anfängen Joachimsthals, 
ichildert die Einführung der Reformation daſelbſt und geht auch hier wieder mit 
befonderer Wärme auf die Schulverhältniffe ein. Die Meifterjahre führen uns 
Mathefius zunächſt wieder in Wittenberg vor, wo er Koftgänger und Tifchgenoffe, 
Bertrauter und Freund Luthers wurde. Unter dem vielen fachgemäßen Aus- 
führungen heben wir nur die über Luthers Tifchgefpräche heraus. „ES fielen, 
jagt Mathefius, wahrlich viele gute Reden, Die mich nachmals, da fich allerlei 
Fragen und Disputationen vegten, oft gewiejen und getröftet haben. Wenn ein 
theurer Mann ein Wort vedet zu feiner Zeit, das iſt wie ein goldener Apfel 
oder Schöne Bomeranzen und ee in filberner Schale.“ Bald traf Mathefius 
ein Auf, der ihn an die Joachimsthaler Stadtkirche führte. In Joachimsthal 
fand Matheftus eine treue Gattin: die Schilderung des gegenfeitigen Berhältniffes 
dürfte mit zu den bejten im ganzen Werfe gehören. Die folgenden Kapitel der 
Meifterjahre behandeln den letzten Beſuch bei Luther (1545), Mathefius als 
Pfarrer, feine Berufung nach Yeipzig, die Verhandlungen über feine Teilnahme 





840 Friedich Creuzer und Karoline von Günderode. 


am Tridentiner Konzil und an der Nürnberger Konferenz, feine Audienz bei 
König Ferdinand, feinen Freundeskreis daheim und auswärts, den Tod feiner 
Gattin und die Schiefale feiner Nachkommen, feine Krankheit und feinen Tod 
und die Gegenreformation in Joachimsthal. 

Bei jo vielen Pichtfeiten fehlt eS in dem Buche auch nicht an einigem 
Schatten. Zunächſt künnte man jagen, daß etwas weniger — und dies nicht 
bloß im den gelehrten Citaten — mehr geweſen wäre. Es find doch manche 
Dinge in einer Breite in die Darftellung einbezogen, die ftörend wirkt, jo zu- 
treffend das Gefagte an der betreffenden Stelle auch ijt: bei der Erwähnung von 
Rochlitz werden wir über die Geſchicke der Stadt belehrt; fo wird die Stadtgefchichte 
Joachimsthals zu breit behandelt. Zufagen kann uns diefe behagliche Art allen— 
falls noch bei der Schilderung von Nürnberg, da wir hiedurch einen ſchönen 
Rahmen erhalten, aus dem ſich danı das Bild des Mathefius lebensvoll heraus- 
hebt. Sehr gut ift es, daß der Verfaffer die Quellen jelbft zu Worten fommen 
(läßt; muß das aber Foweit gehen, daß man Provincialismen wie „der Thal“ 
beibehält? Ueberflüſſig find die oftmals vorfommenden Doppeldatierungen, der— 
geftalt, daß man im Texte findet „Freitag nach Lätare“ (fo rechnet doch heute 
memand), und in den Noten: 15. März. Ueberhaupt gilt doch die Negel, daß 
alle alten Datierungen auf die jet gebräuchliche veduziert werden. 

Im zweiten Teil, der fi im den zweiten Band fortjett, wird zunächſt 
jehr ausführlich die Kirchen-- Schul und Spitalordnuug von Joahimsthal 1551 
bejprochen, ein größeres Kapitel, das als jelbftändiger Auffatz bereits in einer 
Defanatsrede vom Jahre 1891 vorlag und nun im vermehrter und verbeſſerter 
Auflage erſcheint. Eine trefflihe Würdigung haben die Predigten des Matheſius 
gefunden; ſchließlich werden auch feine Dichterifchen Leiftungen befprochen. Sehr 
wertvoll find die Beilagen: 1. der Briefwechjel des Mathefius, 2. die Recht— 
fertigungsfchrift an König Ferdinand und 3. die Bibliographie der Schriften von 
und über Mathefius. ES finden fih 187 Briefe von und an Matheſius vor; 
wiv begegnen den Namen Camerarius, Cellarius, Cruciger, Eber, Franck, Eobau 
Heß, Yuther, Melanchthon u. a. Die Rechtfertigungsfchrift ift vom 17. Dezember 
1546 datiert und behandelt vornehmlich fern Berhalten in diefer für Böhmen fo 
fritifchen Zeit, die freilich für Ferdinand ſelbſt noch fritifcher war. Die Beilagen, 
namentlich die Briefe erhöhen den Wert des vorliegenden Buches ſehr bedeutend: 
bier tritt Mathefius hervor: „freimütig und befcheiden, kraftvoll und zartfühlend, 
in den Tiefen der Seele erfaßt uud humoriſtiſch, ſchlicht und geiftveih, wehmütig 
und hoffnungsfreudig.“ Für feine Stellung unter den Zeitgenoffen jpricht, „daR 
er an feine früherne Lehrer Melanchthon und Eber Mahnungen richtet, jener ihn 
um Kritif, Auskunft, Nat und Troft bittet, ein anderer ſich angelegentlich feiner 
Saumſeligkeit wegen entſchuldigt u. ſ. mw.“ 

Aufgefallen ift miv die doppelte Schreibweife: Meelanthon und Melanchthon, 
dann, daß von Mathefins und Luther als Antifemiten geſprochen gejprochen wird, 
endlich manche umvichtige Phrase, 3. B.: „Der gute Pedderhofe hat dies Bud) 
ſtillſchweigend ausgemolken.“ J 


Friedrich Creuzer und Karoline von Günderode Mitteilung über 
deren Verhältnis. Heidelberg. Univerfitätsbuchhandlung von Karl 
Groos. 189. 40 X. 


Abdrud eines von Verwandten Creuzers feiner Zeit veranlaßten Artikels 
aus dem Frankfurter Konverjationsblatt 1562, den jeßt Karl Groos, ein Neffe 
Leonhard Ereuzers, veranitaltet. Beachtungswert infofern, als un quellenmäßiger 
Behandlung diefev Dinge (S. 4) entgegengetreten werden fol. Das furze VBor- 


Meißner F., Der Einfluß deutſchen Geiftes auf die franzöfifche Yiteratur. 841 


wort feheint mir indes zur eng gefaßt. Weder hat Frau Sophie Creuzer jchlecht- 
hin in die Scheidung eingewilligt, noch find lediglich die pefuniären Verhältniſſe 
der Grund der Abjage an die Günderode gewefen. Sondern die Vermögenslage 
wie die Krankenpflege der Frau Sophie Creuzer, die man nicht abzulehnen braucht, 
waren wohl als Einzelmomente mitbeftimmend für eine Entjcheidung, die doch 
ihrem inneren Wefen nad nur aus höherer fittliher Selbjtüberwindung hervor— 
gehen fonnte. 


Berlin. Neinhold Steig. 


Meißner %, Der Einfluß deutſchen Geiftes auf die franzöſiſche Literatur des 
19. Jahrhunderts bis 1570. Leipzig 1893. Rengerſche Buchhandlung. 
Gebhard und Wilifh. 5 A 


„Ueber den Einfluß deutſcher Literatur in Frankreich fehlt eigentlich noch 
eine zufammenhängende Darftellung.” Dieſen Mangel, der in der Zeitfchrift 
„Unfere Zeit“ von 1870, 2, 740 ausgeſprochen wird, will Meißier befeitigen 
und er ſchätzt fich glücklich „wenn ev zu Diefer Arbeit einige Baufteine habe Tiefer 
fünnen. Die Mühe, diefe Baufteinte hevbeizufarren, hätte fich der Verfaſſer leicht 
erfparen können, wenn ev außer J. DBreitingers Züricher Antrittsvorleſung don 
1876 „Die Bermittler deutſchen Geiftes in Frankreich“ Th. Süpfles treffliches 
Wert „Geihichte Des deutſchen Kultuveinfluffes auf Frankreich“ gekannt hätte. 
Da die 2. Abteilung des 2. Bandes, die fih vom Ende der Romantifhen Schule 
bis im die achtziger Jahre des Jahrhunderts erſtreckt, bereitS 1890 erſchienen iſt, 
jo kann der Berfaffer mit wenig Fug behaupten, daß er außer Breitinger in 
jeinem Thema feinen Borgänger gehabt habe. Während Süpfle ein jehr folides, 
überſichtliches Gebäude aufgeführt hat, in dem meben der Yiteratur auch die 
deutſche Wiffenfchaft und Philofophie den gebührenden Raum finden, liegen die 
„Baufteine”, die der Verfaſſer meiftens aus dev „Revue des deux mondes“ 
berbeigefchleppt hat, in jo mwüften Haufen da, daß man von dem werdenden 
„Einfluß deutschen Geiftes“ durchaus feine Borftellung gewinnt. Die Philofophie 
hat Meißner ganz aus feiner Arbeit ausgefchloffen, weil diefe Wiffenfchaft, mie 
er jagt, „nicht unferes Faches“ ift. Yeider kommt der Leſer nicht zur der Einficht, 
daß etwa die Piteratur feines Faches fei. Der Grumdfehler in der Anlage. des 
Buches befteht darin, daß immer von dei Ueberfegern und Bermittlern, wenn 
fie auch) noch jo unbedeutend find, ausgegangen wird und niemals von den 
Perſönlichkeiten der deutjchen Literatur, die fih im franzöfifchen Geiſtesleben 
eingebürgert haben. Und doch iſt Die fortdauernde Beſchäftigung mit unſerer 
Dichtung hauptfählih die Folge der überragenden Machtjtellung Soethes, Der 
von den Rritifern des „Globe* als der typiſche Bertreter modernen Geiftes 
verfündet und von Alfred de Muffet als Patriarch der Weltliteratur gefeiert 
wird. Da unſer Dichter, wie andere auch, ganz zufammenhangslos an mehreren 
Dutzend Stellen behandelt wird, jo bleibt das allmähliche Vorfchreiten Frankreichs 
zu feiner allfeitigen Würdigung und zum Berjtändnis feiner Perfönlichkeit gänzlich) 
im Unklaren. — Bezeihnend für die Arbeitsweife des Verfaffers find die Nad)- 
träge, die ex feiner Darftelung vorausgefchict hat. Nachdem er ©. 39 behauptet, 
daß den franzöfifhen Nomantifern die deutsche Yiteratur durchaus — geblieben 
ſei, verzeichnet er nachträglich die berühmte Apoſtrophierung Goethes in der 
„Confession d’un enfant du siècle“ und die intime Bekanntſchaft des Dichters 
mit Werther und Fauſt. Aus den „Premieres poesies* (©. 33, 81, 205, 
Bibl. Charpentier) und aus dev Widmung des Iyrifchen Dramas „La coupe et 
les l&vres“ an Alfred Tattet hätte Meißner leicht erjehen können, daß Meuffet 
den Jean Paul gefannt und Schiller, den ev mit fichtlicher Vorliebe citiert, verehrt 


842 Meißner F., Dev Einfluß Deutschen Geiſtes auf die franzöfifche Piteratur. 


haben muß. Dieje Stellen hat der Berfaffer nicht herangezogen, dagegen läßt 
er die Frage offen, ob der Franzoſe die großen deutschen Dichtungen im Original- 
tert gelefen habe. Die Frage, Die für dei Ueberjeger des Beckerſchen Rheinliedes 
und des Goetheſchen Gedichts „S Selbſtbetrug“ (Le rideau de ma voisine) mit 
Sicherheit bejaht werden muß, ift für die Beweisführung ſehr belanglos, da 
abgefehen von der Wertherifchen „Confession* mehrere feiner berühmteften 
Gedichte tief in Fauſt- und Wertherſtimmungen wurzeln, Vorbilder, ar die der 
Dichter felbit bewußt und unbewußt erinnert. Sein Jacques Rolla, „de tous 
les debauches — le plus grand debauche*, der nad raſch durchraftem 
Tanze den Tod im eines Mädchens Armen ſucht, ift ein literariſcher Abkömmling 
ſeines kraftvolleren Vorfahren Fauſt, von deſſen zwei Seelen er vorzugsweiſe die 
eine, die ihn zur Erde zieht, geerbt hat. Die Scene: Fauſt vor Gretchens Bett 
hat dem Dichter bei der —** ähnlichen Situation im „Rolla“ offenbar vorgeſchwebt. 


„C'est toi, maigre Rolla? Que viens-tu faire ici?“ 


iſt infpiriert von den Goetheſchen Berfen: „Was willft du hier, was wird das 
Herz dir Schwer? Armſel'ger Fauft! Sch kenne dich nicht mehr.“ Die Wieder- 
gabe des deutjchen —— durch das gleichwertige „maigré?“ iſt außerordent— 
lich treffend. Gleich nach dieſer unverkennbaren Reminiscenz richtet dieſer kleine 
Fauſt, der von dem großen nur die Begierde und das ennui de vivre hat, au 
jein gewaltigeres Vorbild die vorwurfspollen Klagen: 


„O Faust! n’ etais-tu pas pret à quitter la terre 
Dans cette nuit d’angoisse ou l’archange dechu 
Sous son manteau de feu, comme une ombre legere 
T’emporta dans l’espace à tes pieds suspendu ?* — 


In der Dediecace von „La coupe et les levres“ wird Schiller mit 

Amalia, Goethe mit Gretchen gepriefen: 

„Faites-vous de ce monde un songe sans reveil; 

Sl est vrai que Schiller n’ait aime qu’ Amelie, 

(roethe que Marguerite, et Rousseau que Julie 

Que la terre leur soit legere! — Ils ont aimé.“ 
Der Jäger „Frank“, der trogige, ercentrifche Held des Stüdes, das in einer an 
den „Freiſchütz“ erinnernden Scenerie auf deutſchem Boden, im Tyrol, beginnt, 
trägt neben Byronifchen aud ausgeprägte Fauftische Züge. Im Gegenfate zu 
„Rolla“ zeigt er mehr die thätigen, gewaltſamen Eigenſchaften ſeines Urbildes. 
Seine Verwünſchungen gegen die Welt mit all' ihren Gütern und Reizen ſind 
ein Nachhall von Fauſts gewaltigem Fluche. 


„Malheur aux nouveaux-nes! 
Maudit soit le travail! maudite l’esperance! 
Malheur au coin de terre ol germe la semence, 
Ou tombe la sueur de deux bras decharnes! 
Maudits soient les liens du sang et de la vie! 
Maudite la famille et la société! 
Malheur à la maison, malheur à la eite! 
Et maledietion sur la mere patrie!* 
Wie der Geifterchor bei Goethe mit feinem „Weh! Wen!“ einfällt, antwortet hier 
der Chor der beftürzten Jäger: 
Qui parle ainsi? qui vient jeter sur notre toit 
A cette heure de nuit, ees clameurs monstrueuses, 
Et nous sonner ainsi les trompettes hideuses 
Des maledietions ?* 


Meißner F., Der Einfluß deutſchen Geiftes auf die franzöſiſche Literatur. 843 


Deidamia, die Geliebte Franks, entjpricht, in etwas operettenhafter Ausführung 
dem deutſchen Gretchen. Nachdem er liebend, Fämpfend und zweifelnd die Welt 
durchſtürmt hat, kehrt er im ihrer engen Hütte ein, um bei dem vein gebliebenen 
Kinde des Volkes in dumpfer Genügſamkeit den Frieden zu finden. Auch hier 
der Gegenſatz jchüchterner, zitternder Hingebung zu dem dämoniſchen Unweſen 
des nur halb verftandenen geliebten Mannes. 


Nie der Lyriker Muffet, ift auch Victor Hugo, der von den Nomantifern 
Frankreichs unfere Dichtung vielleicht am wenigjten zu würdigen mußte, als 
Dramatiker von deutſchen Literaturftrömungen berührt worden. Wenn Meißner 
auch den Einfluß Schillers, deſſen Dramen 1821 von Chamifjos Freunde 
Barante vollftändig überfegt wurden, auf Hugos vomantifche Stüde nicht an- 
erfennen will, jo durfte ihm Doch die jtarfe Eimwirfung A. W. Schlegel’s auf 
die programmartige Borrede zum „Cromwell“ nicht entgehen. Die Ausführungen 
über den Begriff des Grotesfen find bier von den Ideen abhängig, die der 
Kritifer der Nomantif in feinen „Borlefungen über dramatifche Kunft und 
Literatur” namentlich im Shakeſpearekapitel von der Sa des Tragifchen 
und Komifchen vorgetragen hat. Allerdings ift dem Verfaſſer die jehr wichtige 
Thatjache verborgen geblieben, daß die Vorlefungen bereits im Jahre 1814 von 
Frau Neder de Saufjure al$ „Cours de litterature dramatique“ überjett 
worden waren umd daß fie im der Folge einen mächtigen Anftoß zur Beſchäftigung 
mit dem wirklichen Shafefpeare gaben. Auf eine hiftorifche Würdigung diefer den 
franzöfifhen Gefhmad vevolutionierenden Emflüffe bat ſich Meißner überhaupt 
nicht eingelaffen. Er ſcheint garnicht zu erkennen, daß die Bertrautheit mit 
deutscher Dichtung, mit Shafejpeare, Scott und Byron im Befreiungsfampfe 
gegen das literarifche Zopftum die ſchärfſten Waffen lieferte, daß der Kampf 
gegen die Aufklärung von Rouſſeau, Saint-Pierre, Chateaubriand begonnen, von 
rau von Stael und ihren Anhängern fortgejetst, nunmehr mit Hilfe gev- 
manijchen Geijtes von den Romantikern fiegreich zu Ende geführt wurde. Wie 
es dem Berfaffer nicht gelingt, Diefe Bewegungen in ihrem Zuſammenhang zu 
würdigen, jo ift jein Urteil auch unhiſtoriſch, ſchief und einfeitig, wo es fich um 
deutsche Berhältnifie handelt. Die vomantifche Jronie iſt ihm Keime biftorifch zu 
erflärende Erſcheinung, jondern die nichtswürdige Manier, alles zu belächeln, 
aufzulöjfen, und wenn Galusti in dev „Revue des deux mondes“ (1846) die 
Jronie Schlegels als gelehrte Spielerei ſchätzt, jo nimmt ev diefe Kritik für em 
Urteil, „das jeder Deutfche unterfchreiben wird.” Schwerlih! Friedrich Hölderlin, 
der von Challemel-Lacour fehr verjtändig gewürdigt wird, vechnet ev zu den 
„Autoren untergeordneter Gattung“. Wer „Hpperions Schidjalslied“ oder den 
„Wanderer“ wirklich en hat, wird den unglücklichen Dichter höher jchäten. 
Necht merfwürdig ift des Verfaffers Anſchauung von Hebbel. Daß diefer feiner 
Zeit die deutſche Bühne fast ganz beherrfcht habe, ift eine Behauptung, „die leider 
nicht jeder Deutſche unterfchreiben wird.” Denn die Beherricherin war wohl die 
Birh- Pfeiffer. Der Grumdfehler Hebbels foll gewefen fein, daR ihm zum Re— 
flerionsdichter die nötige philofophiiche Schulung gemangelt habe. Klärung durch 
philoſophiſche Studien hätten ihm aus dem Yabyrinth beraushelfen können. 
Statt diefev Urteile hätte der Verfaſſer lieber mitteilen follen, daß eine gefchichte 
Ueberſetzung dev „Maria Magdalena“ von Daniel Stern (Gräfin d'Agoult) in 
der „Revue germanique* veröffentlicht wurde, und daß der Dichter durch die 
Beiprehungen St. René Taillandiers ermutigt, im Jahre 1854 ernftlih daran 
dachte, jein Drama „Herodes und Mariamne“ mit Hilfe von PBarifer Sreumben am 
„Theätre francais“ zur Aufführung zu bringen. (Briefwechfel, 1, 3435 2, 176). 
Der Berfaffer, der dem Dichter des Hyperion nicht anerkennen will, vermag auch 
nicht, in „das gewohnte Lob über der Nibelungen Vortvefflichfeit“ mit ein- 


844 Stern A., Studien zur Piteratur der Gegenwart. 


zuftimmen, jelbft auf die Gefahr hin, dev Keterei bezichtigt zu werden. Die 
Verftändnislofigkeit für unſer Nationalepos fann niemandem zum Vorwurfe 
gemacht werden; anders jteht es mit den Keßereien, die Meißner an der heiligen 
Mutteriprache begangen bat, 3. B. in folgendem Sätshen: „Raumer hält es für 
die italienischen Staaten als ein Glüd, von Defterreich beherrſcht zu werden.“ 
Derartige Stilblüten find in die Darftellung reichlich eingeftreut. Andere Berjehen, 
die aus franzöfiihen Schreibfehlern ftammen, wie „Grüber“ ftatt „Gruber“ (dev 
Wielandbiograph) oder „Meifterfloh“ ftatt „Meiſter Floh“ zeigen deutlich, daß 
man den franzöſiſchen Kritifern zumeilen ohne viel Befinnen nachgefchrieben hat. 
— Der bei weitem größte Teil des Buches (von ©. 46—243) bejteht "überhaupt 
nur in eimer gänzlich” wahllofen Wiedergabe von Beurteilungen deutjcher Werte 
aus der „Revue des deux mondes“. Kritiken über verjchollene Autoren, wie 
Mar Waldau, die Paalzow, Friderike Bremer, werden ausführlich dargeboten. 
Aber auf diefe Weife ijt wenigftens em Buch zu Stande gefommen. 


Berlim Arthur Eloeffer. 


Stern A, Studien zur Yıteratur dev Gegenwart. Mit neunzehn Borträts 
nah Driginalaufnahmen. Dresden, Eſche 189. 10.50 M. 

Mit diefem umfangreichen Werke, das ſechzehn Auffäte über neun- 
zehn Schriftiteller verfchtedener Nationen enthält, alle aus „Freien Borträgen“ 
erwachlen, wünſcht der Verfaſſer „an feinem Teile zur Klärung der durch 
emander wogenden Meinungen und zur Befeitigung der Schlachtrufe bei- 
getragen, vor deren Getöfe feiner mehr fein eigen Wort, geichweige das des 
anderen verftehen fan.“ Man ſieht, das Buch will in die Erörterung der 
jeit ungefähr einem Jahrzehnt dringend gewordenen Probleme der neueften 
Literatur eingreifen. Dieſe find ſehr verfchtedener Art, laflen fich aber 
fäntlich in die Fragen zufammen fallen: it eine Poeſie exiſtenzberechtigt, 
die vor allem darnach ftrebt, die Wirklichkeit wiederzugeben, und dabei das 
lange vernachläfltgte Säßliche ‚ebenjo übertreibend vorfchiebt, wie es chedem 
zurichgedrängt worden war? Darf der Dichter aufhören, zu „Eomponieren“ ? 
Iſt fen Schaffen dann noch Kunſt? — Das Buch von Stern antwortet, 
jo weit ich fehe, darauf nicht und zwar troß der im Vorworte ausgefprochenen 
Abficht. Es läßt Sich nirgends auf die Theorie des Naturalismus und feiner 
Begleitericheinimgen ein — für das Alles zufammen follte num wirklich ein— 
mal eim neuer fachgemäßer Terminus gefchaffen werden —, nur hie und da 
wird der Abitand der Anſchauungen des Verfaflers von den modernen an- 
gedeutet, ohne day jene völlig klar würden, oder, und das geſchieht am 
bäufigiten, fein perfünliches Wohlaefallen oder Mißfallen an einzelnen Werfen 
und Nichtungen wird, zumert ohne gemanere Begründung, Fund gegeben. 
um darf ich allerdings, will ich nicht ungerecht werden, eines Umſtandes 
nicht vergefien: Adolf Stern ift fein Neuling in der deutfchen Literatur; 
es find mehr als vierzig Jahre verfloffen, feıt feine erſte Diehtung erfchienen 
iſt und, wie mich Kürſchner belehrt, Find ihr fehr viele größere und Fleinere 
Schriften ziemlich ununterbrochen gefolgt. Wer fichj,alfo mit Sterns bis- 


Stern W., Studien zur Literatur der Gegenwart. 845 


herigen Büchern genauer befaßt bat, wird jenen Standpunkt fennen und 
auch wiſſen, welchen Sinn er mit den allgemeinen Nedewendungen des 
vorliegenden Werkes zu verbinden bat. Sch babe nur feine weitläufige 
Darftellung der neueren Yiteratur gelefen und feine mit Erich Schmidt 
zufanımen veranftaltete Ausgabe der Schriften Dtto Yudwigs; dieje hilft 
mir hier nicht, jene Bande verfolgen vorwiegend praftiiche Zwecke und ent 
halten ſich ſowohl der Theorie als der Gejchichte im engeren Sinne, ſie 
befafjen ſich nicht mit Literarhiitorischer Forschung. Um Sterns Verhältnis 
zur „Literatur der Gegenwart“ in den „Studien“ beurteilen zu fünnen, muß 
ich aus diefen felbit ſchöpfen. 

Da fällt mir fofort die Auswahl der beiprochenen Autoren auf. 
Gehört Friedrich Hebbel zur „Literatur dev Gegenwart”? Doc böchitens 
in dem Sinne, daß er in ihr vereinzelt nachwirft, aber nicht mehr als eine 
darın geltende lebendige Macht. Wenn ſich das aber jo verbält, dann fehlen 
mir in der Neihe gar manche ſehr wichtige Schriftiteller. Entweder hat alfo 
Stern den Begriff „Literatur der Gegenwart“ viel weiter aefaßt, als das 
jest gewöhnlich geichtebt, oder ev geht viel weniger darauf aus, die weient- 
lichen und Haupteinflüffe, die in der modernen Literatur fichtbar werden, 
zu ermeffen, als ſein Vorwort annehmen läßt. Was von Sebbel zu jagen 
it, gilt gleichermaßen von Freytag, Bodenftedt, Storm, Seller, Scheffel. 
Es ſcheint demmach, der Zufall, daß dem Verfaſſer eben dieſe hier zufammen 
geitellten Aufjäge fertig vorlagen, bat die Ausleſe beitimmt, und micht die 
Veberlegung, jolche Dichter zu behandeln, deren Weſen ſich zugleich mit den 
Grundlinien der Bejonderheit der modernen Literatur deckte. Ganz jo ver- 
hält es jich mit den ausgehobenen lebenden Autoren: Fontane, Baumbach 
Zeidel, dv. Wildenbruch, Nofegger, Sudermann Hauptmann, fie veichen nicht 
aus; wo bleibt vor allen Spielhogen, wo der jüngſt uns entrifiene Anzen 
gruber, wo Frau von Ebner-Efchenbach, die für em Bild der deutjchen 
Literatur unferer Zeit vielleicht tiefer einſchneidende charafteriftifche Züge 
liefern, als die Mehrzahl der von Stern vorgeführten? — Dawider wäre 
mm jofort einzinvenden, day bier überhaupt gar nicht eine Geſchichte der 
modernen Literatur beabfichtigt iſt, ſondern „Studien“ zu diefer. Das tft 
ohne Zweifel richtig, allein dann verzichtet das Werf auch von jelbit darauf, 
den Leſern eine förderliche Richtſchnur in die Hand zu geben, es stellt Sich 
uns dar als eine Sammlung von Auffägen ohne beitimmten Mittelpunkt, 
ohne andere als gewiſſe weit gezogene Zeitgrenzen, ohne andere Verbindung 
als durch diefelbe Berfönlichkeit des Verfaſſers. 

In noch höherem Grade drängen ich diefe Bedenken auf bei der Heinen 
Zahl von Vertretern fremder Yiteraliiwen, die Stern den deutſchen Dichtern 
anreiht. Daß Ibſen die Norweger repräfentiert, iſt ur der Ordnung, wenn 
gleich er von allem Anfang an bis heute nur ſich felbft gibt und zwar nach 
geahmt werden, nienn .3 jedoch eigentlich Schule machen fann. Auch Daudet 


346 Stern A., Studien zur Literatur der Gegenwart. 


für die Franzoſen laſſe ich mir gefallen und unterdricde den naheliegenden 
Einwand, daß diejer Autor ſchon nicht mehr die „Gegenwart“, fondern eine 
unferne Vergangenheit darstellt; heute walten ganz andere Mächte über der 
franzöftichen Poeſie. Tolſtoi iſt gleichfalls ein homo sui generis, allein, 
unvergleichbar, fein Repräſentant dev modernen vufliichen Yiteratur. Ryd— 
berg ift nicht mehr ein Mann der Gegenwart und Graf Snoilsfy verdanft 
jeinen Bla in diefer Reihe nur der perfünlichen Zuneigung Sterns, der 
die Gedichte diefes Autors ins Deutfche überfett hat. Geradezu unbegreiflich 
it mir der letzte der Neunzehn: Walter Belant. Sch weiß für feine Wahl 
gar feinen anderen Grund zu finden, als daß er ein beliebter, vielgelefener 
Nomandichter tft, ganz jo wie Hardy, Dlad, Blackmore, Shorthouſe, Bayn, 
Norris und viele andere, die hierher zu jchreiben wären. Und es dünkt mich 
das um fo wunderlicher, als Stern juſt das, was Beſant auszeichnet, die 
joctalpolitische Nichtung, die praktische Bhrlanthropie, die Neformarbeit, gar 
nicht betont, ja genau bejehen überhaupt nicht einmal erwähnt. 

Immerhin, die Neihe iſt einmal da, kümmern wir ums nicht länger 
um Wahl und Folge dev Exlefenen, jprechen wir über die Behandlungs- 
weiſe. Zunächſt ftelle ich Felt, daß ich jedem Autor bedingunaslos das 
Hecht zugeftebe, feine Bücher zu jchreiben, wie es ıbmı paßt. Und ferner, 
daß den Kritiker die Verpflichtung obliegt, anzugeben, was der Verfaſſer 
gewollt und wie ev das Gewollte durchgeführt bat. Daneben muß ſich aber 
freilich der Necenjent auch die Befugnis wahren, feine eigne Auffaſſung der 
Sache mitzuteilen und darzulegen, in wiefern Ziel und Verfahren des Autors 
von den Vorſtellungen abweichen, die er darüber befitt. 

Verſchiedene Arten von Eſſays über einzelne Dichter und ihre Werke 
find mir bekannt, infoweit als ich von der bloßen Anbäufung biographiicher 
Angaben abſehe. Die eine Weiſe betrachtet den Poeten und feine Schöpfungen 
hiſtoriſch. Ste fucht die Vorausferungen feines Yebens auf, analyfiert die 
Elemente jener Bildung und jtrebt darnach, zu ermitteln, wie fte ſich mit 
den angeborenen Gaben des Dichters zu jener Perfönlichfeit verbunden 
haben. Ste ordnet ihn ein in die Umgebung feiner Zeitgenofjen, müht fich, 
zu veriteben, wie fie auf ihn, wie er auf fie gewirkt haben, und fommt der 
Löſung ihrer Aufgabe dann am nächiten, wenn der dunkle Reſt möglichit 
gering ift, der bei der Syntheſe des dichterifchen Wefens aus feinen biftorischen 
Beftandteilen fiir die Forſchung immer noch erübrigt. — Ein zweites Verfahren 
iſt das pſychologiſche, nahe verwandt mit dem erſten, vorteilhaft an diejes 
ſich knüpfend. Da werden des Dichters Werfe an ſich der Unterfuchung 
zu Grunde gelegt, was der Ueberlieferung, was dev Kunſt gehört, wird 
thunlichſt ausgeschieden; während diefes Prüfens jelbit wird, die Möglichkeiten 
ſtetig analytisch einengend, auf den Stern des Poeten, auf feinen Charakter, 
das Eigenfte feines Seelenlebens vorgedrungen. Glückt das Unternehmen, 
jo bildet das Ergebnis eine pſychologiſche Konſtruktion, die fich dann als 


Stern W., Studien zur Literatur der Gegenwart. 847 


richtig erweift, wenn des Dichters Werke, aus denen fie aefchöpft ist, ſich 
aus ihr wiederum zureichend erklären laffen: die ernente Zufammenfegung 
beitätigt die Nichtigkeit der vorgenommenen Auflöfung. — Ferner fann ich 
die ernithafte Betrachtung eines Schriftitellers vorzugsweise auf feine Kunſt 
eritreden. Wie er geichaffen hat, mit welchen Mitteln, wie diefe einer 
beitimmten Abficht, dem Ideale, dienftbar gemacht wurden, das foll erfannt 
werden. Die Geneſis des Künſtlers, nicht jo fehr des Menſchen, tft das 
Ziel der Forſchung. Zwar darf bei feiner diefer drei Hauptarten der 
Würdigung eines Dichters der Unterfuchende einer gewilien Kongenialität 
mit feinem Vorwurf ganz entraten, ev muß jelbjt zum wentaften poetiſch 
empfinden und nachfühlen fönnen; er bedarf deſſen mehr bei der pſychologiſchen 
als bei der hiſtoriſchen Meethode, richtet er jedoch jein Augenmerk auf die 
Technif des Künjtlers, dann it ihm ein gewiffer Grad Fünftlerifchen Ver— 
mögens am allermeisten nötig. Steiner diefer wejentlichiten Typen findet fich 
in den beiten Eſſays der modernen Yiteraturen ganz rein, gewöhnlich miſchen 
ſie Sich, aber jo, daß einer von ihnen überwiegt. Wir werden darnach nicht 
zweifeln, daß 3. B. Emerjon, Matthew Arnold, Edmonde Scherer und Paul 
Bonrget insbefondere den piychologiichen Eſſay pflegen, Heinrich von 
Treitſchke, Wilhelm Scherer, Erich Schmidt die Hiitorifche Gattung, indeß 
Henry James, J. Ruſſell Yowell u. a. hauptlächlich die Künſtler ftudieren. 

Das Buch von Stern vermag ih in feiner diefer Hauptgruppen 
unterzubringen. In der biftorischen und pſychologiſchen Schon deshalb nicht, 
weil dieje beiden wiflenjchaftlich find und in das Arbeitsgebiet der Philologie 
fallen; gegen alles aber, was zur wifjenfchaftlichen Behandlung der Yıteratur 
gehört, zeigt der Verfafler eine leidenschaftliche Abneigung, geradezu Idio— 
ſynkraſie. Vielleicht fommt diefe fatale Empfindimg Sterns aus dem un— 
jicheren Gefühl jeiner eigenen Stellung: er iſt zu viel Dichter, als daß er 
nicht die gelehrte Arbeit verachtete, und ift zu wenig Dichter, als daß er 
der Luſt, Literatur zu beichreiben, entiagen könnte. Dieje Eigenheit ift mir 
an ihm nicht nen, hat er doch viele Bände erklärender Kataloge von Schrift- 
Itellern verfaßt, ohne auch nur irgend das Bedürfnis nach biftorifcher Ein 
Jicht, nach Erkenntnis der hiſtoriſchen Zuſammenhänge zu verraten; für ihn 
iſt die hiſtoriſche Entwiclung ein bloßes Nacheinander von Berfonen und 
Greignifien. So hat er es zuwege gebracht, Literaturgefchichte ohne Gefchichte 
darzustellen. Die Mühen, welche der pſychologiſche Eſſay fordert, find ihm 
ebenfalls ganz widerwärtig, und wendet ev Sich bisweilen ihnen zu, jo bleibt 
er im den erſten Anläufen ſtecken. Und gleichermaßen ift Stern einer Be 
Iprechuna der Technif in feinen Eſſays ausgewichen, zu der die eigene 
dichteriſche Praris und ausgedehnte Lektüre ihn befonders gut ausgeriitet 
hätten. 

Sp find die Schilderungen in dieſem Buche derart befchaffen, daß 
man geringe Freude an ihnen haben kann. Es find Bilder, durchweg in 

Eupborion II, 55 


848 Plechanow G., N. G. Tſcherniſchewsky, Eine Iiterarhiftoriiche Studie. 


der Fläche gezeichnet, ohne Tiefe, ohne Scharfe Umriſſe, ohne verdeutlichenden 
Hintergrund. Nun brauchen ja Solche Forderungen in Eſſays über Dichter 
gar nicht erfüllt zu werden und es fann doch ein autes Buch geben. Julian 
Schmidt hatte weder der hiſtoriſchen Forſchung noch der experimentellen 
Pſychologie, noch der Technik der Poeſie befondere Aufmerkſamkeit zugewandt, 
und doch iſt er mit Necht ein Führer des literariſchen Urteiles für feine 
deutschen Zeitgenoffen geworden: er dankte das einem untrüglich ſcharfen 
Verſtande, einem Weſen, das Jich ſtets über ich Klar gewesen iſt und über 
das, was es von anderen verlangte, Diefe Schärfe vermifie ich jedesfalls 
in den „Studien“ von Stern; iſt ſie vorhanden, jo fommt jte bet jeiner 
rhetoriſch aufgequollenen, weitſchweifigen Schreibweile nicht zur Geltung. 
Seine Auffäge mögen einer Menge von Leſern gewiß nützlich fein, denn 
ſie geben bei den meisten Dichten den Inhalt der Hauptwerfe an und 
breiten gerade jo viel Kritik darum aus, dag man mit ihrer Hilfe über die 
Dinge ungefähr unterrichtet wird, ohne ſich ſelbſt in ſie ſonderlich vertieft 
zu haben. Das iſt allzeit eine praktiſch ſehr erfolgreiche Gattuug. Wie 
viel dauernden Wert man ihr beilegt, wird davon abhängen, welches Gewicht 
man dem Urteile Adolf Sterns beimißt. Zu Gunſten von Verfaſſer und 
Verleger wollen wir wünſchen, daß der Kreis derer möglichſt groß ſei, die 
aus dem Werke eine genügende Kenntnis der „Literatur der Gegenwart“ 
zu erwerben wünſchen. Die Ausſtattung wird der Erreichung dieſes Zweckes 
dienlich ſein, hingegen ſind die Bilder unerlaubt ſchlecht. 
Graz. Anton E. Schönbach. 


Plechanow G., N. G. Tſcherniſchewsky, Eine literarhiſtoriſche Studie. Stuttgart. 
Berlag von J. H. W. Diet. 1894. 2.50 -M 

Nikolaus Gamrilowitih Tſcherniſchewsky wurde als Sohn eines Dom- 
priefters 1829 zu Saratow geboren. 1850 abfolvierte er die philofophifchen 
Studien an der Univerfität Petersburg. Hier war er auch einige Zeit als 
Lehrer am 2. Kadettenforps, jpäter am Gymnafium feiner Vaterſtadt thätig. 
Bon 1853 an widmete er fi fait ausschließlich der Schriftitellerei, wober ihm 
zunächſt W. ©. Belinsty (1811—1848) — Plechanow jagt von diefem, er habe 
für die rufftiiche Literatur mehr gethan, als Leifing für die deutſche — Borbild 
war. Seine erſte felbftändige Arbeit, hervorgegangen aus feiner Magifter-Differ- 
tation, betitelte fih: „Das äjfthetiiche Verhältnis der Kunft zur Wirklichkeit,“ 
vollendet 1854. Er ftellt fih darin die Aufgabe, „den Idealismus aus der 
Hefthetif zu verbannen.” Das Schöne definiert er als „das Leben“: „nur jenes 
Weſen hält dev Menſch für Schön, in dem er das Leben, wie ev es gerade auf- 
faßt, wieder erblickt; jehön erjcheint ihm der Gegenftand, der ihn an das Leben 
erinnert.“ Das Tragifche, meint ev, habe feinem wejentlihen Zuſammenhang 
mit der Idee des Schiefals oder der Notwendigkeit, vielmehr ſei es „mach den 
Begriffen der neuen europäifchen Bildung“ das Furchtbare im Leben des Menſchen. 
Die Kunſt entftehe nicht aus dem Bedürfnis des Menjchen, die Mängel der 
Wirklichkeit zu ergänzen, es fei vielmehr dasselbe, das fih in der Porträtmalerei 
fund gebe: „Widerfpiegelung des Yebens — das ift das allgemeine charakteriftifche 
Merkmal der Kunſt, iſt deren Weſen; oft haben die Kunſtwerke auch eine andere 


Plechanow G., N. G. Tſcherniſchewsky, Eine literarhiftoriihe Studie. 849 





Bedeutung fie erflären das Leben, oft haben jie auch die Bedeutung von 
Urteilsfprüchen über Erjcheinungen des Lebens.“ Die verfchiedenen Gefellichafts- 
flaffen haben, je nach ihren öfonomischen Dafeinsbedingungen, auch verichiedene 
Scönheitsideale. Die Klaffe, die im der Geſellſchaft herrſcht, herrſcht auch in 
der Literatur und Kunſt: es wechjeln demnach die Schönheitsideale mit den 
Zeiten, fie wechjeln ſelbſt innerhalb derjelben Gejellfchaftsklaffe, je nachdem ſich 
deren „ökonomiſche Lebensſtellung“ ändert, je nachdem fie im Aufftreben ift, die 
Herrichaft erreicht hat oder allmählich verfällt. Diefe legten Sätze nennt Tjeherni- 
ſchewskys Biograph „eine geniale Entdedung im vollen Sinne des Wortes“. 
Aber er gibt dann doch auch zu, daß fie Schon bei Schelling und insbejondere 
in Hegels Aeſthetik vorgebildet lagen: man erinnere fi, wie tief Hegel in der 
ruffiihen Literatur noch zu einer Zeit wirkte, da in Deutſchland jein Einfluß 
ihon im Schwinden war. Plechanow wirft übrigens Tſcherniſchewsky vor, daR 
er „die Wirkung des von ihm entdecten Princips“ nicht durch die Gejchichte der 
Menjchheit verfolgt habe; hätte er dies gethan, dann hätte ev die größte Um— 
wälzung in der modernen Nefthetif hervorgerufen. 

Auch in der Zeitfchrift Sowremennik (Zeitgenofje), 1847 von Panajew 
gegründet, deren Redaktion Tſcherniſchewsky um die Mitte der fünfziger Jahre 
übernahm, finden fich noch äſthetiſche und literarhiſtoriſche Aufſätze aus feiner 
Feder, die von denfelben Ideen erfüllt find. In einem Auffats über die Poetik 
des Ariftoteles vechnet ev es den ruffischen Aefthetifern als ein großes Verdienſt 
an, daß fie nie der Piteraturgefchichte mit Theorien im Wege ftanden: „Bei 
uns wurde immer die Notwendigkeit der Literaturgefchichte anerfannt; umd die, 
welche ſich beſonders mit äfthetifcher Kritit abgaben, haben ſehr viel mehr als 
irgend einer von unfern heutigen Schriftjtelleen auch für die Literaturgefchichte 
geleistet. Bei uns erkannte die Aefthetif ſtets an, daß fie fi auf das erafte 
Studium von Thatjachen ſtützen muß... . die Geſchichte der Kunſt ift Die 
Grundlage für die Theorie der Kunſt.“ Seine fpäteren Auffäte und Arbeiten 
gehören fait alle in das Gebiet der Nationalökonomie, fein Hauptwerk ift eine 
Ueberſetzung von John Stuart Mills „Grundſätzen der politifchen Defonomie“ ; 
in den Anmerkungen biezu hat er feine eigenen nationalöfonomijchen Anfichten 
niedergelegt. Dieſen ift auch der weitaus größte Teil von Plechanows Buch 
gemwidinet, etwa 250 von den 388 Seiten. Auch die beiden Romane „Prolog 
zum Prolog“ und „Was thun?“, die Tichernifhewsty gejchrieben hat, behandeln 
jocialpolitiiche Probleme. „Was thun?“ (1863 erfchienen) hatte nad) Plechanow 
„einen Eoloffalen, unerhörten Erfolg”. Die Frauenfrage und die Frage der 
Broduftionsgenofjenfchaften werden darin behandelt, jene in dem Sinne des 
George Sand, dieſe nach den Lehren Yafjalles, doch mit Berücfichtigung der 
eigentümlichen Verhältniſſe Rußlands. Auch Feuerbachſche Ideen will Plechanow 
in dem Romane finden. Die Originalität des Romanes liegt in der Darſtellung 
eines neuen Typus der ruſſiſchen Geſellſchaft, der ruſſiſchen Intelligenz, des 
Typus des ruſſiſchen Revolutionärs. Rachmetow, ſo nennt er ihn, hat viel von 
einem mittelalterlichen Asketen an ſich, er kaſteit ſich, er verſucht, ob er die Tortur 
würde ertragen können, indem er die ganze Nacht auf einer mit Nägeln be— 
ſpickten Decke liegt. „In jedem hervorragenden ruſſiſchen Revolutionär,“ ſagt 
Plechanow, „ſteckt ein großes Stück RachmétowWschtschina“. 

Die ſchriftſtelleriſche Thätigkeit Tſcherniſchewskys führte ihn 1862 ins 
Gefängnis. Er wurde der „Vorbereitung zur Empörung“ angeklagt, blieb zwei 
Jahre in Unterſuchungshaft und wurde dann zum Pranger, zu ſiebenjähriger 
Zwangsarbeit in den Bergwerken und lebenslänglicher Anſiedlung in Sibirien 
verurteilt. Am 13. Juni 1864 ſtand er auf dem Myſtinsky-Platz in Peters— 
burg am Schandpfahl. Bis zum Jahr 1884 lebte er in Sibirien, dann wurde 


55* 


850 Nachrichten. 


ihm gnadenweiſe geftattet, fi in Aſtrachan anzuſiedeln. Dort jcheint er noch 
zu leben, wenigſtens fagt fein Biograph nichts von jenem Tod. Er überſetzte 
nun Webers Weltgefchichte und jchrieb mehrere Auffäge in literariſche Zeit- 
jhriften, u. a. einen Aufjats gegen Darwin. Plechanow fagt von diefem, er 
hinterlaffe den drüdenditen Eindrud: „wenn man ihn lieft, fühlt man, daß man 
es mit einem endgiltig gefmickten und gebrochenen Schriftiteller zu thun hat.“ 

Plechanow ſcheint auch ein Ruſſe zu ſein, ſeine Sprache iſt zwar meiſt 
korrekt, doch ſehr hart, ſein Buch lieſt ſich wie eine ſchlechte Ueberſehung aus 
einer fremden Sprache. Auch da, wo er rein literariſche Dinge beſpricht, verrät 
er ſich als geſinnungstüchtigen ſocialdemokratiſchen Doctrinär. Faſt von jeder 
Seite kann man ſein Glaubensbekenntnis ableſen. 

Wien. E. Guglia. 


Nachrichten. 

Am 28. Mai 1895 ſtarb in Berlin der Oberlehrer a. D. Profeſſor 
Dr. Heinrich Pröhle (geb. zu Satuélle am 4. Juni 1822). In fünfzig— 
jähriger, unausgeſetzter ichriftftellerifcher Thätigfeit begleitete Pröhle als Dichter 
und Journaliſt, als Sammler und Herausgeber, als Gefchichtsichreiber und 
Literarhiftorifer die politiihe umd geiftige Entwidelung feines Baterlandes von 
dem Bormärz bis in die Gegenwart. In der Liebe zu volfstümlichen Ueber- 
lieferungen allev Art, zu Volksliedern und Bolksfhaufpielen, zu Märchen umd 
Sagen, zu Kinderreimen und Rätfeln, den Brüdern Grimm naheftehend, durfte 
er fich bei der Wiedergabe des aus dem Volksmunde Aufgelefenen ihres vollen 
Beifalles erfreuen. In dieferr Arbeiten, wie in feinen zahlveichen Beiträgen zur 
Geſchichte der deutfchen Literatur des 18. Jahrhunderts knüpfte er mit Vorliebe 
an feine teure harzische Heimat an. Nirgends aber war er fo heimifch wie in 
den Schätzen des Gleimftiftes zu Halberitadt, die er als emfiger Nachfolger 
Körtes glüclich verwertete, ohne deren Ausnußung durch jüngere Kräfte eifer- 
ſüchtig zu hindern, dieſe dielmehr auf rührend felbftlofe Weife im der Durch— 
führung ihrer Pläne fürdernd. Zum Abſchluß feines Lebenswerkes, das ihn bis 
in die letzten Jahre bejchäftigte, einer umfaffenden Biographie Sleims, ift er 
nicht gekommen. Jeder aber, den die vaftlos fortichreitende Forſchung auf die 
von ihm betretenen Wege führen f foffte, wird des von ihm Erftrebten und Ge- 
leifteten im aufrichtiger Dankbarkeit gedenten müffen. 


Bakowce in Galizien, 15. Auguft 1895. 
Auguſt Sauer. 


NAachträge und Berichtiaungen. 


Band 2, ©. 760 Anmerkung 6 lies: Agrippa. — Ergänzungsheft ©.2 
3. 9 lies: 1822 jtatt: 1832. — Ebenda ©. 6 Anmerkung 1 ift zu den Ueber 
jeßungen von Wolfes Gedicht die der Betty Paoli hinzuzufügen, Neuefte Ge- 
dichte Wien 1870 ©. 77: „Soldatenbegräbniß“. 


Im Manuffeipt abgefchlofien am 15., im Sat am 29. Auguſt 189. 


NRegifter.) 


Bon Richard Batka in Prag. 





Abelard 775. Ariſtarch 86. 
Abraham a Sancta Klara 771. Ariftophanes 356. 
Acidalus 83. Aristoteles 141. 517—529. 563. 797. 
Adamberger Toni E: 75. Arndt E: 66. 82. 
Adelung 639. Arnim v. 126. 316 ff. 418. 814 f. — 
Aejthetit 135 —145. 146. E: 42, 51. 60. 66. 73. 82 f. 90. 
Agricola Joh. 760. Arnim Bettina vd. 415—418. 586. 814. 
Agrippa 9. €. 760. 766. 850. — E: 37 f. 42 f. 48. 60. 63. 68. 
Ahlefeld Charlotte von 312 fi. Arnold Ehrift. 63. 
Alberti, Amtsſekretär 83. Arnold Ferd. Caj. 180. 
Albertus Magnus 755. 760. Arnswald von 333. 
Albreht Bernd. 754. Aſt Friedrih E: 189 f. 
Albrecht Joh. Frieder. Ernſt 187. Auſonius 50. 83. 
Aler Paul 285. Apancinus Nic. 285. 
Aleris Wilibald 157. Ayrenhoff 556. 559 - 571. 782— 797. 
Alifon 142. 
Altes Teftament 357. 8abo E: 71. 76. 
Anacreon 74. 83. Baden. Auguft Georg von 800. 
Anacreontit S4. 304 f. 777. 780. Carl Friedrih 581. 587. 590. 
Anderſen 9. Chr. 755. 798— 805. 
Andre 142. Bahrdt 572. 
Andreä Dr. %. €. 735. 738. 739 f. Balde Jac. 285. 
Andrei Jakob 735. Bardenpoefie 776. 
Andrea Luife 738— 741. 743. 745 f. | Barbili 746. 
749— 751. Barthel ©. €. E: 6. 
Andrea Wilhelmine 735— 753. Bartſch Michael 77. 
Anhalt. Ludwig von 85. Baſedow 581. 
Annolied 22. Batacchi 607. 
Anthologie, griechiſche 57. Batteur 141. 
Apulejus 753. Bäuerle E: 72. 
Aquaviva Claudius 277. DBauernfeld Eduard 157. 
Aretino Pietro 613. Baumanı Georg 761. 
Arioft 613. Baumbad Frau vd. 335. 


1) Die Bibliographie und die Nachrichten find in das Negifter nicht mit einbezogen, aus den 
Necenjionen und Referaten ift nur das Wefentlichjte verzeichnet, E — Ergänzungsheft. 





852 


Bayha $. Fr. 751. 

Bazfo von, Prof. 188. 

Beaulieu-Marconnay, Frau v. 318. 

Beaumarchais 356. 564. 

Bed, Philolog E: 190. 

Bed, Schaufpieler 571. 7 

Beder EChriftiane 354. 

Beder ©. 312. 

Beethoven E: 36—64. 68 f. 71 

Benci Fr. 285. 

Benvenuto Cellint 537. 

Bergreihen 295. 298 f. 

Beringer, Hiftorie von dem Ritter 825 f. 

Berling 122. 

Bernard Carl E: 64 ff. 

Bernoulli Ehriftoph 320. 

Bertola, Aurelie di Giorgi 571. 
bis 79. 

Berhmann, Banquier E: 42. 

Bethmann, Schaufpielerin E: 74. 

Betulius, Auditor 737 f. 740. 

Betulius, Antiquar 738. 

Beuth Wilhelm E: 83. 

Bidermann J. 294. 

Bion 71. 

Bird Sixt 272. 

Birken Sigm. von 294. 

Bismarck 158. 675 f. 

Biſſing Henriette von 312. 313. 

Blixen Guſtav Freiherr v. 982. 

Blumauer 556. 789. 791. 

Boccaccio 609. 755 f. 

Bock Rafael 360. 

Böckmann J. L. 804. — E: I18. 

Bodmer 569. 735. 752. 776 ff. 

Böhme Jacob 83. 

Boileau 141. 311. 569. 

Boifferee Melchior 816. 

Boifferee Sulpiz 8i6. 

Bojardo 756. 

Born 557. 

Börne E: 164. 

Börner (Bärner) Fr. v. 634 f. 

Böttiger 311. 356. — E: 1%. 

Bramantes 102. 

Branconi Fr. v. 637. 

Brandenburg, Freund Günthers 

Brandes 564. 791. 

Brant Sebaftian 22. 

Braunfchmweig. Karl von 633. 

Brede Madame E: 68. 

Breitinger 569. 


93 fi. 





789 





795. 


542. 


637. 


Regiſter. 


Breitſchwert 741. 

Brentano Antonio E: 39. 
——— 

Brentano Bettina ſ. Arnim, 

Brentano Chriftian E: 46 f. 

Brentano Clemens 316—318. 
323. 412—416. 586. S13— 
E: 36—81. 90. 190. 

Brentano Franz E: 39. 46 f. 50. 59. 

Brentano Marimiltane 580. 585. 

Brentano Sophie 322 f. 

Brindmann G. v. 638. 

Brion Friederite 350. 405 f. 676. 

Brodmann, Schaufpieler 557. 791. 

Brühl, dram. Dichter E: 71. 73. 

Brun Friederife 638. 640. 

Brunner Andr. 285. 

Brußer Heinrich E: 118. 

Bucher Anton 284. 

Büchler Hans 317. 

Buchner 77. 

Buffon 171 ff. 

Bührer 746. 

Bilow Gabriele dv. 820. 

Bürger 776—781. — E: 14. 30.535 

Lenore 149 f. 554. 

Bürger Elife E: 92. 

Burke 142. 

Busmann Augufte 

Burns E: 11. 


42. 44. 47. 


321 bis 
817. — 


198 42. 


Bütner Wolfgang 757 — 164. 
Byron 423 ff. 642. — E: 5. 129. 
Galagius Andreas 58. 


Camerarius J. 83. 
Campbell E: 5. 11. 
Canitz 554. 

Carpani J. 9. 285. 
Cäſarius v. Heiſterbach 
Caſtelli E: 80. 

Caſti 605. 607 f. 610. 
Catalani E: 37. 
Cauſſin N. 285. 
Ceſarotti 789. 

Cellot Louis 285. 
Celtes Conrad 271, 
Cervantes 609. 612. 
Chamiſſo 26. 156. 617. 
Charakterkunſt 135 ff. 
Chelidonius Benediktus 2 
Chodowiecki 345. 577. 
Chopin E: 38, 


754 f. 767. 


615. 


— 78: 100: 


1 
IN 


Regifter. 


Chyträus David 75. 

Chyträus Nathan 75. 83. 

Eicceide ſ. Pazzarelli. 

Cicero 73. 

Claus Anton 255. 

Clemens Jacob non 
301. 

Clermont Carl Thevdor Arnold 583. 

Clermont Julie v. 988. 

Cleve. Amalie von 296. 

Cloſen Freiherr v. 340. 

Cloftermeier E: 126. 

Coing Elifabeth 584— 587. 

Coll 8. 814 f. S16 f. 

Colin 9. E: 65. 9. 

Conlin Albert Joſ. 771 775. 

Conradi 126. 

Conteſſa E: 71. 

Conz 736. 738—741. 745— 151. 

Corneille 563 f. 569 f. 790. 

Cornova Ignaz 275. 284. 291. 

Eorreggio 566. 

Coftenoble E: 76. 

Crailsheim Freiherr v. 548. 

Cramer Fr. M. G. 185. 

Erebillon 563 f. 

Creuzer 416 ff. 840. E: 189 f. 

Cronegk 562. 790. 

Cruſius 122. 

Cruz Louis da 285. 294. 


papa 297. 


Cüchler Elias 57. 59. 61. 69. 74. 76. | 
| Ebert 3. X. 304-311. 632 f. 


82. 88. 
Küchler Elias (Sohn) 83. 
Küchler Elifabeth 83. 
Cüchler Georg 83. 
Küchler Rofina 

33 f. 
Curtius Ernſt 3. 
Cygne Mart. du 285. 


Dahlmann 672. 

Dalberg, Fürſtprimas v. E: 46. 
Dalberg W. H. v. 550. 558. 
Danäus Lambertus 768. 
Dänemark. Juliana von 577. 
Davefon 344. 

Deinhardftein E: 65 f. 77. 
Delrio 775. 

Demme Karl 312. 

Denina 789 f. 

Denis 355. 576. 789 -791. 
Denftädt, Familie 45 f. 52 f. 


Opitzens Afterie | 





853 


Deutichland. Ferdinand 11. 274. 295. 
Franz I. E: 69 f. 
Friedrich III. E: 136. 
Joſef II. 556. 560. 787. 

794. 

Karl IV. 650. 
Maximilian 61. 761 f. 
Nupdolf II. 48. 

Diderot 563. 

Dieterih Heinrich 319. 323. 

Dirrhaimer Udalrich 286. 

Döbbelin 345. 

Dohna Abraham 58. 

Dohna Hamibal Burggraf von 58. 

Dohna Heinrich Graf E: S1 f. 84 f. 

Dörfel 359. 

Dornan Caſpar 60 f. 63. 83. 

Douglas James 145. 

Drama der Gegenwart 419. 

Drama der Reformationszeit 396— 398. 

Dramen der englifhen Komddianten 

396 f. 

Drechsler 813. 

Dryden 782. 

Du Halde 588. 590. 

Dürer Albrecht 102 f. 

Durlach Graf von 577. 

Duſch 562. 

Duttenhofer 746. 

Dyk 639. 


Eckermann 333. 335 f. 536. 612. 614 f. 
s11 f. — E: 164. 

Edelsheim Wild. v. 800 f. 

Egloffitein Henriette v. 313. 813. 

Ehlers Wilhelm S17. 

Eichendorff 26. 


| Eijftäbt E: 189 f. 
Eigner Gebhard 320. 


Ellinger J. 754. 


Elsholtz Franz vd. 642. 

| Emmrih Johann 62. 

Emmrich (Emmerich) Katharina 62. 66. 
| Engel $. 3. 178. 559. 564. 793. — 


E: 65. 


| Engelhard Philippine 328. 

ı Engels 790. 

' England. Elifabeth von 518. 
| Ent E: 76. 

| Ejchenburg 639. — E: 26 ff. 
| Eiterhazy Fürſt E: 92. 


854 


Euflides 517 f. 527. 
Euripides 281. 521. 562. 79%. 


Fald Johannes 332. 335. 344. 639. 
813. 

Fauſtbuch ſ. Volksbuch. 

Fauſtſpiel 617 ff. 

Fernow 612 f. 

Feuerlein Augufte 126. 

Find 294. 299. 

Finckelthaus 302. 

Fiſchart 22. 51. 621. 

Fiſchenich Bartholom. E: 40. 

Fischer, Freund Gleims 574. 

Fiſcher Dr. 309. 311. 

led E: 74. 

Fleming Paul 302. 554. — E: 0 f. 

Florentin Selma v. 580. 583 ff. 

Flottwell 164 f. 

Forſter Georg (Liederbuch) 294. 299 f. 

Forſter Georg 167—175. 579. 586. 

Fouqué 617. — E: 37. 90. 

Franck Johann 553. 

Frauentaſchenbuch 617. 622. 624. 

Freidank 23. 

Freiligrath 27. 128. 133. — E: 
bis 137. 

Freudius 767. 

Freytag Guftav 3. 15. : 

Fries E: 1%. 

Frieß, Graf 607. 

Frifehlin 179. 272. 

Friz Andr. 255. 

Frommann oh. Chr. 769— 169. 

Froriep, Medizinalrat 332. 

Fuſt 359. 


WW 
— 


Gauz 352. 

Garve 567. 639. 

Gay 792. 

Gebhardi 634 f. 

Gehler Michael 83. 

Geibel 22. 27. 

Geisler Andreas, Kanzler von Liegnitz 
60. 67. 

Gellert 355. 

Gellius oh. Fr. 178. 188. 

Sellnbaufen Johann v. 651. 

Semmingen 791. 

Gent 361. 

Gerhoh 271. 

Gerftenberg 522. 568. 790, 





| 
| 


Regifter. 


Gegner 790— 792. 

Giattini J. B. 285. 

Giuliani E: 62. 

Gleim 549. 571 -578. TR. 

Gluck E: 45. 

Glych von Milziz 61. 

Gmelin E: 19. 

Goedecken Henricus 277. 

Goethe Auguſt v. 614. 

Goethe Elifabeth E: 74. 

Goethe 3. 5. 8. 22. 24 f. 130. 313 f. 
331—336. 343. 346 ff. 352—358. 
405 f. 411. 416. 426429. 559. 
564. 569. 576. 579 —581. 605. 
637-639. 675. — E: 63. 695. 74. 
19: 87492 7:.99 121 


Dramen: 


Clavigo 356. 558. 

Egmont 11. 24. 131. 

Elpenor 5885—604. 610. 

Epimenides Erwachen 325 f. 

Fauft 6. 42. 333. 608. 611. 614. 
165 f. 769. 772. 808. 821. 
SAL f. 

Helenajcene 327. 608. 
Walpurgisnacdticene 
bis 118. 

Seichwifter 530. 537. 

Götter, Helden und Wieland 396. 

Götz 356. 562. 564 f. 569. — 
E:219: 

Dieungleihen Hausgenofjend3l. 

Iphigenie 12. 25. 356. 564 f. 
610. 796 f. 

Löwenftuhl 324— 329. 614. 

Mahomet 611. 

Natürliche Tochter 428. 

Pandora 324 f. 329. 608. 612, 
614. 

Bater Brey 697. 

Prometheus 134. 

Taſſo 25. 531. 535. 611. 613. 

Borjpiel von 1807 324. 

Was wir bringen 814. 


100 


Epos und Pyrif: 
Achilleis 614. 
Hermann und Dorothea 352. 

356. 807. 821. 

Reinecke Fuchs 23. 


Regiſter. 


— 

Alexis und Dora 806-812. 

An Schwager Kronos 355. 

An Mignon 812. 

Ballade 324. 328 f. 

Elegien, Römiſche 610. 749. 

Epigramme, Venetianiſche 812. 

Ergo bibamus 354. 813. 

Euphroſyne 354. 

Die glücklichen Gatten 606. 

Geheimniſſe 354. 611. 

Ilmenau 608. 

Legende 23. 

Hans Sachſens poetiſche Send— 
ung 23. 

Schäfers Klage 8. at 

Stammbuchgedicht für Fr. 

Spiegel 608. 

Das Tagebuch 604—616. 

Weftöftlicher Divan 614. 

Der Zauberlehrling 775. 

Zueignung 352—355. 611. 


Broja. 


Benvenuto Cellini 537. 612. 
Briefe an Salzmann 346— 351. 
Dichtung und Wahrheit 26. 346. 
350. — E: 15. 
Ueber den Dilettantismus 529 ff. 
Farbenlehre 134. 
Geſpräch über die deutſche Litera- 
tur 134. 
Italieniſche Neife 26. 810 ff. 
Novelle 609. 
Der Profuvator 609. 
Schweizerreife E: 19. 
Tagebücher 324. 326. 588. 605 f. 
Unterhaltungen deutſcher Aus— 
gewanderten 609.— E: 15. 17. 
Werther 7. 786. 811. 
Oſſianüberſetzung 355. 
Wahlverwandtichaften 606. 609. 
— E: 15 f. 530. 533. 538. 
Ferneres über Weltliteratur 538. 
Wilhelm Meifter 318. 427. 529 
bis 538. 609. 808. 
Goethe Schiller, Kenien 637 — 639. 
679. 
Goldoni 790. 
— Caſpar 759. 
Göritz, Magiſter 122—124. 





855 


JGörres E: 35. 191. 
Göſchen 122—124. 310. — E: 82. 
Gotter 352. 


562. 564. 567. 589. 7. 

Sottev Graf 167. 

Göttinger Dichterbund 22 

Göttling, Prof. 125. 

Gottſched 22. 165. 176. 564. 566. 
569. 793— 79. 

Goué 352. 

Grabbe E: 94--98. 

Sräffer Frz. E: 60. 

Grashoff 694 f. 

Greif Martin 4. 

Griepenkerl 145. 

Griesbach Joh. Chr. 799 

Grillparzer 27. 163. — E: 36. 65.74. 
76. 94—98. 

Grimm Jak. 23. — E: 75 

Grimm Wilh. 95, 618. 

Srimmelshaufen 22. 

Groſſe Ernſt Ludwig 330—344. 641 f. 

Groſſing E: 80. 

Sroßmanı 344. 564. 

Grotius Hugo 58. 97. 

Gründler $. 554. 

Grüner Siegmund 188. 

Grüner B. R. E: 66. 

Gruner Fuftus von E: 

Gruter 64. 65. M. 

Gryphius 294. 627—632 

Gubitz E: 69. 

Hiünderode Karoline v. 406—419. 840 f. 

Günther Joh. Ehrift. 84. 539—559. 

Güpner 358. 


sen 


191 f. 


Hagedoru 153. 154. 304. 790. 
Hahn Eva j. König 6936. 
Hahn-Hahn Ida E: 145. 
Hahı oh. Fr. 781. 

Hahn Matthäus 803. 

Hahn Wilhelm 335. 

Hahn, Präfident 798. 

Haller 153. 359 f. 

Hamann 922. 

Hamilton Yady E: 92. 
Hammer 614. 

Hardenberg Fr. v. j. Novalis. 
Hartlaub Wilh. E: 100. 102— 119, 
Hartmann J. Zadar. 606. 
Haſe Friedrih Traugott 188. 
Haſe Karl Auguft 588. 

Haſe R. a 


856 


Hatzfeld Gräfin von E: 46. 

Hauff Wilh. 27. 549— 551. 

Haußmann Balentin 299. 

Haye Joan. Andreas de la 398. 

Jazart Cornelius 256. 

Hebbel Fr. 22. 

Hegel 16. 143 f. 621. 

Heider Chriftine 580. 584 f. 

Heine Heinrich 133. 163. 
E: 138. 146 ff. 

Heineden E: 18 f. 

Heinfe 609, 

Heinfius Dan. 60. 64. 69. 71-75. 
85 f. 90. 98. 819. 

Hell Theodor 340. 

Héloiſe 772. 

Helt Georg 272. 


[fr 


— 


@ 


976. 


Hendel-Schüß Henriette BE: 92 fi. 
Henel Nikolaus 60. 

Henning 344. 

Herbart 9. 145. 

Herder 3. 22. 26. 134. 189. 307. 


319 f. 355 f. 522. 538. 565. 569. 
639. 675. 798. — E: 69. 
Ideen 175. 
Boltslieder 130. 660 f. 
Bon deutfher Art und Kunſt 
E: 26. 
Herloßfohn 641 f. 
Herman Nicolaus 329 f. 
Hermann, Philolog E: 189. 
Hermes 6838. 
Herzberg 576. 
Heß 590. 
Heflen von 987. 
Hetſch Yudwig E: 119. 
Heurteur E: 76. 
Heyder f. Heider. 
Heyſe Paul 117. 
Hiecke Robert 3. 6. 
Hildebrand Wolfg. 756. 767. 
Hildebrandston 24. 
Himburg, Buchhändler 577. 802. 
Himmel, Komponiſt E: 45. 
Hofacker 742. 
Hoffäus (Hoffer) 274. 
Hoffmann E. Th. A. 157. 
Hoffmann Joh. Lorentzius 548. 
Hoffmann v. Fallersleben 27. 129. 
Hoffmannswaldau 540 ff. 
Hogel M. Zacharias 44. 45-57. 
Hogg James E: 135. 


Regiſter. 


Hohenfeld Freiherr v. 582. 

Hohenheim Franziska v. 121 f. 
ı Hollandus Chriftian 297. 300. 
ı Höllenbreughel 566. 
Hölty 776. 780 f. 

Homburg. Yandgraf von 637. 
| Homer 13. 42. 355. 357. 610. 
Hooft P. E. 96. 
Hoorn 132. 


Horatius 25. 75. 141. 355 f. 5683. 
606. — E: 91. 

Hoven von 621. 

Hrotsvitha 271. 

Huber 790. 

Hufeland Frau 813. 

Hufeland, Profeffor 816 f. E: 18. 

Hugo Picter 133. 843. — E: 139. 

Hujat 3. R. 287. 

Humanismus 20. 22, 

Humboldt Aler. v. 191. — E: 119. 


| Humboldt Caroline v. 637—639. 640 f. 


662 ff. 

Humboldt Wilhelm v. 191. 637 
640—641. 661—667. 679. 
820 f. — E: 76. 

Hunold 547—549. 

Hurd 529. 

Hutcheſon 136. 142. 

Hygin 588 f. 





639. 


807. 


Ibſen 27. 421 f. 

Sffland E: 65. 71 f. TE f. 

Imhoff Amalie von 312. 

Iſelin 305. 

Sacobi Fr. 9. 581. 583. 620. 638. 





7. 
Jacobi Gottfried 66. 99. 356. 
Jacobs, Philolog E: 190. 
Sagemanı 612 f. 
Jahn Friedr. Ludwig 190 f. — E: 82. 
Jeſuitendrama 271— 294. 
Bocoldusrex Hireaniae 286 ff. 
Brutus 289 f. 
Euftah und Placidus 292. 
Die Fehler und Sünden der 
Menfchen 274. 
Tragödie von Kaifer Konftantio 
Magno 275. 
St. Wenzeslaus 275. 
Aufzählung von Stoffen 277 f. 
Luther 279. 
Hus 279. 


Regifter. 


Jovius Paulus 766. 

ung Chriftine ſ. Heider. 

Jung Elifabeth ſ. Coing. 

Sung Marianne 815. 

Yung Selma ſ. Florentin. 

Sung-Stilling 357. 579-587. — E: 
21-25. 30. 32 f. 

Suventius Joſephus 282. 


Kaiſerchronik 22. 

Kalb Frau v. 570. 586. 

Kallimachos 78. 577. 

Rant 143 f. 359 f. 427 £. 

Karſchin 121. 

Kauffmann Muſikus SO4. 

Kautzſch Michael 543 f. 545. 

Kazwini 363. 

Keller Gottfried 152. 157. 

Der Apotheker von Chamouny 
E: 138—189. 

Keller, Profeſſor 621 f. 

Kemper James 556. 

Kerll Joh. Caſpar 295. 

Kerner (Körner) Haus 83. 

Kerner Fuft. 27. 127. 

Kerner Theobald 133. 

Keftner 352. 

Kind E: 9. 

Kirchner Cafpar 59. 60. 65. 68. 72. 
so f. 

Kichhof, Direktor 331. 

Klein Georg, 405. 

Klein vd. E: 69. 

Kleift E. v. 790. 

Kleift Heinr. v. 156. 357 — 360. — 
E: 14—36. 

Klettenberg Fräulein von 536. 

Klinge Dr. 42. 43. 45-57. 

Klingemann 156. 

Klinger 958. 794. 

Klopftod 20. 22. 119. 131. 304 ff. 
309. 352. 560. 570. 576. 659 f. — 
E: 65. 

Knittelvers 697 f. 

Knoll Ehrift. Friedr. 182 f. 

Roberwein Frau E: 79. 

Koberwein, Schaufpielev E: 75 f. 

Kobler Johanna E: 72. 80. 

Koch E: 76. 

Kochhafen 75. 

Kohler 814. 

Kohlrauſch, Arzt 640, 


932: 








857 


Kolczawa Karl 285. 
Köler Ehriftoph 69. 79. f. 82. 
König J. Ch. 142. 
König Eva 634 ff. 


| Kopftadt Julie ſ. Clermont. 


Koreff 616. 

Korn Madame E: 75—77. 

Körner Gottfr. 808. 810. — E: 81. 
312.93. 

Körner Th. 549 f. 
12. 75. 81—9. 

Koromandel 549. 

Kotzebue 783. 785. — E: 65. 71. 74. 

Kratter E: 71. 

Kretſchmann 974. 

Kreuß SO. 

Kreutzer E: 69. 

Krüger E: 76. 

Kuffner Chr. E: 66. 

Kügelgen Wilh. v. E: 92. 

Kunze E: 81—84. 

Kurländer E: 71. 

Kurz Hermann E: 101. 

Kurz $. %- dv. 632. 


E86 f. 65. 


Laas Eruft 3. 6. 

Ya Bruyere 565. 

La Chapelle 782 f. 

Yallı Clemens 789. 

Yamartine E: 135. 

Lamberg Graf 562. 787. 

Lang 746. 

Yange-Davefon 344. 

Zange Dr. 45. 46. 

Lange E. 79. 

Lange Sam. G. 353. 359. 
Lankiſch Joh. 301. 

La Roche Franz v. 580. 583 f. 
La Roche Luiſe v. 587. 

Ya Node Mar v. 579 f. 

Ya Rode Sophie v. 579—587. 
Lauch Joh. 754. 

Lavater 134. 637. — E: 18. 
Yazzarelli G. F., La Cieceide 613. 
Lehman, Dealer 628. 

Leibnitz 359. 

Yeifewits 318. 322. 

Ye Jay Gabr. Franc. 282. 285. 
Le Maiſtre Matthias 294. 300, 
Lenau Nicolaus E: 36. 

Lenz 564. 581. 675 f. 794. 
Lercheimer 767. 


858 Regifter. 


Leſſing 3. 5. 22. 26. 176 f. 304 fi. 
344 ff. 353. 536. 558—564. 567 f. 
605. 632.636, 182. 788. 790. 
192—794. — E: 65. 157f. 160ff. 

Diverotüberfetsung 969. 

Emilia Galotti 16. 20. 345. 
558. 564. 567. 676 f. 

Erziehung des Menſchengeſchlech— 
tes 527. 

Hamburgiiche Dramaturgie 517 
bis 529. 560. 563. 589. 

Laokoon 517. 

Literaturbriefe 562. 

Minna von Barnhelm 11. 345. 
564. 

Nathan 6. 345 f. 527. 677. 

Leſſing K. G. 344. 790. 

Leuchſenring 581. 637. 

Lichtenberg 134. 

Liebeskind 310. 


Liebethal Deſiderius von — Caſpar 


Kirchner 69. 
Liebich E: 74. 
Lichtenberg Jacob Freih. v. 756. 
Piegniß. Johann Chriftian von 99. 
Lindner, Brofeffor 232. 
Giteraturgefchichte. Mett yodisches 100f. 
Literatur in der Schule 128, 
Livius E: 96 f. 
Lobfowig von Haffenjtein Bohuslaus 
652 f. 
Lobkowitz Fürſt E: 40. 
Lohenftein 782. 
Loncin ſ. Eonlin. 
Löwenſtein-Wertheim Fürſtin von 126. 
Ludovicus Laurentius 63 f. 
Ludwig Otto E: 26. 36. 
Lund Zacharias 294. 
Luther 20. 22. 45 f. 51. 278 f. 376 ff. 
586. 762. 805. 839. 
Lützow von E: 82. 86. 


Macpherſon 355. 789. — E: 126. 
Maderna 102, 

Magneta E: 37. 

Mahlmann 549. 619. 

Mährlen Joh. E: 102. 

Majer Friedrich 312. 

Majolus Simon 764 f. 

Major Georg 272, 

Makedonios 70. 

Mälzel E: 54. 





Maſen Facob 281. 


Maneffe Rüdger 777. 

Manfo 639. 

Märchen 643 f. 646 f. — E: 55 
Marmontel 178. 609. 

Marfais du 376. 

Marullus Tarcagnota 75. 

283. 285. 294. 
Maftaliev 789 f. 

Matheſius Johann 839 f. 
Matthaei Karl 637. . 
Matthifon Fr. v. 585. 

Marimus Tyrius 60, 

Mayer Karl 127. — E: 105. 
Maybofen E: 66. 


Mayſeder E: 62. 
| Mecour Madame 346. 


| Meder David 754. 768. 


Megifer Hieronymus 74 f. 
Meilandus 300. 

Meiner 634. 

Meiner Auguft Gottlieb 175 fi. 
Meißners Nachahmer 180 f. 
Meifter Joachim 62 f. 67. 98. 


‚ Meiftergefang 21. 835—839. 
Maelanchthon Phil. TE 
| Melbande B. 759. 


Meleager 59. 91. S18. 
Menantes 541. 547. 559. 
Mendelsiohn 567. 

Mengs 566. 

Menius Juſtus 49. 

Mereau Dr. 123. 

Mereau Sophie 312ff. -P: 39f. 42. 190. 
Mesmer E: 18 f. 
Metaphorifhe, Das 369— 376. 
Metaftafio 791. 

Mettingh Lijette v. 410 ff. 418. 
Metsger Clara E: 63. 

Meyer Fräulein 624. 


Meyer von Bramftedt F. L. W. 638. 


Michelangelo 102. 
Milder-Hauptmann E: 54. 62. 
Miller U. 315 f. 

Miller Joh. Martin 128. 776. 7S1. 
Milton 957. 

Minnefinger 320. 776— 781. 
Mirabeau 637. 

Möhn v., Hofrat 587. 

Moliere 559—561. 569. 789. 
Moliereüberjegung, ältefte 398 —404. 
Montaigne 605. — E: 26. 

Moore Sohn E: 2—19. 


Regiſter. 


Moore Thomas E: 5. 13. 
Mörike Ed. E: 99—121. 
Mörite Karl E: 102. 
Mörike Märchen E: 117. 
Möſer 569. 
Motihmann Juſt. Chriftoph 45. 44. 
Müller Friedrich von 312 f. 
Müller, Maler 315. 
Müller Otto 668 f. 
Miller Wolfgang 755. 
Müllner 330—334. — E: 65 f. 
Murner 22. 
Muſenalmanach. 
von Chamiſſo-Schwab 133. — 
E: 100. 


Göttinger 312— 323. 776. 
Schwäbiſcher 755 f. 
Wiener 557. 

Muſſet 841 f. 

Mutianus Rufus 45. 

Mylius Martin 62 f. 99. 


Nackius Chriſt. 301. 

Namsler Anna 69. 

Namsler Sebaſtian 68. 

Naſt Jakob Heinrich 119—121. 

Neander Math. 301. 

Nees von Eſenbeck 410 f. 

Neidhart 23. 

Neues Teſtament 582. 586. 

Neuhofer 550. 

Neumann Leopold 782. 

Neumarkt Johann v. 650 ff. 

Neumayr Fr. 285. 

Neumeifter 64. 541. 558. 

Newton 356. 358. 

ibelungenlied 17. 21—24. 

Nicolai 112. 576. 638 |. 679-786. 
Tal TIATE: 

Nicolovius 191. 

Niebuhr E: 82. 

Niemeyer 621. 

Niendorf Emma von E: 37 582. 
63. 


Niethammer Friedrich Immannel 122. | 
2% | Poetif 822 f. 


Noel Fr. 285. 

Noſtitz Graf E: 68. 

Novalis 320 — 322. 362. — E: 15. 
86. 

Nüßler Wilhelm 59 f. 62. 65. 67. 
78. 81. 


—] 


- 
- 








Polybius E: 


859 


Ochſenheimer E: 76. 
Dehlenjchläger 156. 


Oels (Oelfe). Herzog Sylvius Friedrich) 


zur 541. 
Dliva E: 48. 
Oneſtes 99. 


| Opiß, 18. 24. 57—99. 819 f. 


Ormulum E: 11. 

Dfftan ſ. Macpherfon. 
DOfterhaufen Joh. Karl Dr. 621. 
Otfried 23. 

Dtt Joh 294. 299. 

Dttave 608. 611. 

Dtto Chriftian 624 ff. 


| Otto Georg 298. 301 f. 


Opid 605— 607. 650. 


Painter 755. 
Paoli Betty 850. 
Pannaſch Anton E: 80. 


Pantſchatantra 755. 


Parthey Guſtav E: 83. 86. 90. 
Paſſeratius 83. 

Pauersbach 557. 

Pelzel 557. 

Perikles 518. 

Petau Dion. 285. 

Betrarca 613. 651. 

Peucer, Bräfident 332. 

Pfaff 3. W. A. 621 f. 

Pfalz. Karl Theodor von der 800. 


Pfeffel Gottl. Konr. 580. 


Pfeffel Karoline 582. 


| Pfleiderer Friederife 126. 


Pichler Caroline E: 59. 
Pilatre 359. 

Pindemonte Graf 792. 
Piftor Dr. 337 f. 
Planudes 75. 91. 

Platen 157. — E: 155 f. 
Plato 73— 75. 93. 134. — E: 189. 
Plautus 42, 271. 

Plinius 73. 

Plutarch 782 f. 

Poema morale E: 11. 


Polidamus Panegyricus 98. 
96 f. 

Pope 352. 557. 

Porée Ch. 285. 

Poſſelt 802. 

Prälifauer 287. 


860 


Prätorius Ant. 766. 
Praun Niclas 832 f. 
Prehauſer 629—632. 
Preſſitzer 9. 338. 
Preußen. Friederike 576. 
Friedrich d. Gr. 154. 561 
bis 564. 569. 572 ff. 
761. 789 f. 801. 
Friedrih Wilhelm IV. 572. 
574. 678. 
Louis Ferdinand E: 40. 
Luiſe E: 42. 
Propertius 616. 
Bruß 155. 
Puiſégur E: 18. 
Pyra 352—356. 577. 


Racine 562. 569. 610. 

Rahel 361. — E: 47. 50. 

Raimund E: 76. 

Ramdahl v., Oberſt 621. 

Ramſay E: 11. 26. 

Namler 305. 310. 576. 

Ranke 670 f. 

Raphael 102. 566. — E: 93. 

Ratſchky 556 f. 

Rau Luiſe E: 107. 

Raumer 6. 

Reboul E: 135. 

Redwitz 156. 

Reich Moritz 826—829. 

Reichard 679. — E: 42. 

Neihmann Kilian 52. 

Reimarus 310. 

Reimer G. 627 f. 

Reinhard Ehriftian 736 f. 

Neinhard Fr. V. 820. 

Reinhard Karl 312. 319. — E: 9. 

Reinhard K. Fr. (Graf von) 736 
bis 753. 

Reinhold 310, 

Rellſtab Yudwig E: 36. 

Renaiſſance 20. 24. 

Rent Guido 637. 

Nennenfampff von 640. 820 f. 

Nenner Madame E: 74. 

Netzer Joſeph v. 557. 791. 

Reuter Fritz 21. 

Richardſon 579, 

Richter Karoline, Jean Pauls Fran 
626 f. 

Richter Chrift. Gottlieb 188. 


45.51.62. 





Regiſter. 


Richter Gregor 83. 


Richter Gregor (Sohn) 83. 


Richter Jean Paul Friedr. 321. 333. 
336. 616- 628. 638. 667 f. — E: 36. 

Riemer 590. 605. 610 ff. 

Righini E: 46. 

Ring, Hofrat 799. 

Riſt 544. 

Nitter Johannes 814. 

Robert Yudwig E: 60. 

Nomberg Andreas E: 46. 

Nomberg Bernhard E: 46. 

Nonfard P. 59. 71. 75. 99. 818 f. 

Rooſchütz 127. 

Rooſe, Schaufpieler E: 

Rouget de l'Isle E: 1. 

Roufjeau %. $. 22. 791. 

Nüdert 157. 363 f. 

Rue Ch. de la 285. 


1247 


— 


Rußland. Eliſabeth 577. 


Katharina 584. 
Paul Petrowitſch 750. 


Ruthard Matheus 68 f. 


Sachs Hans 20. 


Salieri E: 
Salmaſius 


23 f. 379—3%. 
657 f. 830—839. 
Sachen. Churfürft Johann von 758. 
Sadjen-Gotha. 
Luiſe Dorothea von 166 ff. 
Sachjen-Weimar. 
Anna Amalia von 307 f. 311. 
Carl Auguſt von 977. 800, 
Luiſe von 355. 590. 
Sage von Chidher 363. 
von Fauſt T54L—TT5. 
von Theophilus 768. 772. 
von Zyto 769. 
der Provinz Poſen 147 f. 
aus Paznaun (Tirol) 148. 
der ſächſiſchen Schweiz 151. 
aus Negensburg 151. 
aus dem Niejengebirge 149. 
St. Abine Nemond de 568. 
St. Pierre Bernardin de 173. 
61 f. 
58. 
Salzınann 346— 351. 
Sappho 60. 74. 
Sarafın 637. 
Sapigny 318. 321. 407— 410. 813 f. — 
E: 47. 


Sagen 


\ Scaliger Joſeph 85. 9. 


Regifter. 


Scandello Antonio 295. 297. 300. 
Scarron 789. 
Schäffer (Schäfer) 63 
Schall 740. 
Schasler 144. 
Schede Paul 82. 
Schefer Yeopold E: ne 
Sceffel Victor 22. 2 
Scheffner 360. 
Scelling 143 f. 
Schick, Maler 640. 
Schiller Charlotte 123. — E: 40. 
Schiller 3. 5.. 6. 18. 20. 24. 2%. 
416.119 323.12. 132 312731. 
322. 334. 358. 425—428. 529, 
533. 558. 570 f. 601 f. 609. 611. 
614. 637 fi. 679. 735—738. 752. 
793. 797. 807—812. 817. — 
E: 65.74. 156%. 
Kalender 122. 


— 





Über naive und ſentimentaliſche 


Dichtung 6. 


Dramen. 


Braut von Meifina 71. — E: 74. 
Don Carlos 570. 
Demetrius 601. 
Jungfrau von Orleans 
428. — E: 15. 
Kabale und Liebe 71. — E: 74. 
Malthefer 122 
Maria Stuart 11. 24. 
Wallenftein 11. 24. 428. 
Wilhelm Tell 11. 12. 


Lyrik. 
An Goethe 808. 
An Minna 735. 753. 
Drei Worte des Glaubens E: 69. 
Fluch eines Eiferfüchtigen 755. 
193% 
Götter Griechenlands 174. 
Die Künſtler 174 f. 
Der Spaziergang 322, 
Schiuck Joh. Friedr. 558 f. 563— 570. 
786 f 
Schindler E: 44 ff. 
Schirmer David 77. 
Sclabrendorf 640. 
Schlechtes als Gegenftand dichteriſcher 
Darjtellung 146. 
Schlegel A. W. 638. 


111. 





' Schmidt Heinrich E: 


861 


Schlegel Caroline 362. 
Schlegel Friedr. 319. 320. 
638. 808. f. S14. —,E: 
Schlegel Joh. Elias 562 
Schleiermader E: 82. 


361. 612. 


52. 65. 


| Schleinit von 352. 


Schmid Arnold 306. 

Schmid! Johann 272. 

De 

Schmidt ob. Chr. 574. 

Schmieder Hein. Gottlieb 187. 

Schmittbauer $. A. 500. 

Schmolde 552 f. 

Schnedenburger Mar E: 1. 

Schnippel 4. 

Schöll 347. 

Schopenhauer 144. 

Schöpflin 803. 

Schorcht 310. 

Schrag Leonhard 616628. 
Schreyvogel E: 65. 76. 

Schröder Ludwig 557 f. — E: 71. 74. 

Schubart F. D. 119—121. 549. 571 
bis 578. 751. 798—806. 

Schubart Henriette 312. 


70. 79 


| Schubart Yudwig 577 f. 
' Schubarth Baul 83. 85. 


Schubert Gotthilf Hein. 618. E: 19. 
21. 26. 30. 32 f. 
Schudmann 639. 


' Schuldrama 271 ff. 
' Schulze, Gottichedianer 794. 


Schulze-Killitzſchky Frau E: 62 

Schummel $. ©. 177. 

Schuppanzigh E: 61. 

Schütz Chr. ©. 576. 

Schütz Julius E: 93. 

Schwab Guftav 27. 128 f. 133. 642, — 
E: 100. 

Schwarz 572. 

Schweigger Fr. A. 618. 620 f. 622 

Schwend E: 118. 


Schwind M. v. E: 102. 


Sciatti Hyacintho 800. 


Scultetus 


Scott E: 11. 124. 1 
Scriverius 73. 
Abraham 63. 
Scultetus Tobias 65. 69. 86. 
Sealsfield 679. 

Seba Adeodatus 97. 

Seebad) Charlotte vd. 312 f. 


26. 133. 135. 


Seebeck, Phyſiker 620, 


862 


jeelzagen 166. 

Seidliz 575. 

Seneca (Semeca) 760. 

Shafejpeare 4. 6. 26. 310. 356. 51T. 
521—529. 534 ff. 557--570. 611. 
638 f. 755.782. 784— 786. 785 — 796. 
— E: 15. 71. 

Shelley 425. 

Siboni, Sänger E: 54. 62. 

Simeons Fol. 285. 

Simrod Nikolaus E: 46. 

Sinner Cafpar 76 f. 

Sorcrates 83. 

Sonett 76 f. 

Sonnenfels 556. 559 f. 789 -791. 

Solger 134. 

Sophocles 16. 521 f. 562. 

Soult, General E: 4. 

Spazier Frau 624. 

Sperontes 541. 543. 

Speth von, Oberftlieutenant E: 117. 

Speth Margareta E: 107. 

Spiegel Frau v. 608. 

Spies 755 f. 760. 768. 

Spieß 179 f. 

Spohr Louis E: 62. 65. 

Stael Madame 362. 

Stahr Adolf E: 119. 

Stäudlin Gotthold 755 f. 
152 

Stegmayer Matth. E 

Stein Frau von 25. 
612. 676. 816. 

Steinhart Georg 757 — 764. 

Steinthal 670. 

Stephanie, Brüder 997. 790. 

Stephont Bern. 285. 

Sterfel, Abbé E: 46. 

Stieglig Charlotte 336. 

Stieglitz Heinrich 339. 

Stifter IT. 

Stille Karl 312. 

Stock Dora 176 f. 

Stolberg 639. — E: 69. 

Stoppe 549. 

Stord) Ludwig 641 f. 

Storm Theodor 376. 

Stramberg Ehr. v. E: 51. 

Stranitzky 629. 

Straton 91. 

Stürmer ımd Dränger 528. 558. 

Sudow Frau v. E: 37. 


738 bis 


: 66. 
3133 


Li 
— 
—— 
—— 





Regiſter. 


Tabakpoeſie 543 ff. 

Taffo 796. 

Terenz 42. 271. 

Theoerit 790. 

Theognis 59. 

Theophraft 565. 

Thibaut E: 190. 

Thierſch Friede. 2 f. 

Thilo F. ©. 188. 

Thilo %. 315. 316. 

Thirſis Minnemit, holländische Pieder- 
jammlung 131 f. 

Tibullus 605 f. 615 f. 746 f. 

Tied 537. 612. 642, — E: 14 f. 48 f. 
60. 119. 

Tiedge 574. 

Tiltan 566. 

Tiſchbein 587. 816. 

Trier. Clemens Wenzel, Rurfürft v. 579. 

Tritheim Abt 760. 762. 

Tſchao, die Waife von 588 f. 601. 

Tihernifhewsti N. ©. 848—850. 

Tſchiffeli Madame E: 19. 

Tſchiſchka E: 58. 

Tyrtäus 572, 


Uhland Ludwig 23. 26. 126 ff. 294. 
300. 336. 642. — E: 86. 
Brief an Freiligrathb 128 ff. 
Sugendgedichte 126 ff. 
Ulfilas 23. 
Uthe Frau 624. 
U; 305. 


| Varnhagen 360—363. — E: 47 f. 


Benator Balthafar 59. 77. 79. 80. 82. 
Bermehren Bernhard 312. 320. 322. 
Véron 142. 

Verrocchio Atanafio da 60T. 

Vertot 122. 

Bincentins Peter 61. 

Birgil 78. 757. 

Bifcher, Bibliothekar 803. 

Viſcher Frau 735. 

Viſcher Friedrich 144. 

Voigt Chr. Fr. Traugott 550. 639. 
Voigt, Profeſſor 125. 

Volksbuch von Fauſt 39—57. 755. 767. 
von Griſeldis E: 35. 
Volkslied 22. 129—134. 643 f. 647 f. 

Altholländiſches 129—132. 


Regiſter. 


von Egmont 131. 
vom Herrn v. Falkenſtein 130. 


von Tell 131. 
von Walther E: 14. 25 f. 
von zwei Gefpielen 29—39. 


Bolfstiederbuh aus dem XVI. Jahr— 
hundert 294— 304. 

Boltaive 22. 178. 523. 
568. 570. 610 f. 744. 

Voß Joh. Heinv. 336. 776. — E:69. 
1182189. 

Voß Julius v. E: 79. 

Vulpius Ehriftian 606. 817. 


562—564. 


Wackenroder 362. 

Wagner Adolf 332. 642. 

Wagner Heinr. Leop. 794. 

Wagner Richard 22. 160, 

Waldſchmidt B. 754. 769— 771. 

Waltharilied 22. 

Walther, Buchhändler 618. 

Walther von der VBogelweide 17. : 
776— 781. 

Wambach Wolf 51— 94. 

Weber B. Anſelm E: 61. 

Weber Dr. E: 19. 

Weber Joh. Ehriftoph 737 f. 

Weber K. Maria v. E: 49. 

Weder Joh. Jak. 756. 

Weigl, Komponiſt BE: 61. 

Weinmüller BE: 54. 

Weife Ehr. 576. 


u 


[i 


Weiße Chr. Felix 523 fi. 962. 564. 
639. TR. 
Weißenthurn Frau E: 66. 76. 


Weißkern 632. 

Weitenauer Ign. 285. 

Welden Joſefa von 624. 

Wellington E: 54 ff. 

Wenzel II. 654. 

Werner Zachar. 156. 360— 363. 612. - 
Be215r 69, 

Werther von 807. 

Weſenigk Georg TAT. 

Weſtenrieder 336. 

Weyſſer Gallus Frieder. 805 f. 

Wiedmer Gottfr. Rud. 178. 





863 


Wieland 22. 176. 305 ff. 309 f. 359. 
559. 568 ff. 576. 586. 609. 786 f. 
Na0e a2. 195ur 2:69: 

Shakeſpeareüberſetzung 522 F. 
Epos. 

Amadis 308. 

Cyrus 309. 

Die Natur der Dinge 359. 

Dberon 307. 611. — E: 31. 
Profa. 

Agathon 307. 

Araspes und Panthea 188. 

Der goldene Spiegel 307. 

Diogenes 188. 

Wieland Frau 310. 

Wienholt A. E: 18. 

Wildenbruch 421. 

Wimpheling 272. 

Windelmann Joh. Joach. 3. 

Winkelmann Auguft 312.318—323. 514. 

Winter Peter E: 69. 

Wolf Chr. 143. 

Wolf Frieder. Aug. 326. — E: 18. 

Wolfe Charles 850. — E: 1—13. 

Wolfe James E: 3. 

Wolff Amalie 797. 

Wötzel Karl 180. 

MWrangel 2. 813 f. 815 f. S17. 

Wunderhorn 612. 756. 812. 

Wünſch Chr. E. 357. 360. 

Württemberg. Karl E: 119. 

Karl Eugen 502. 
Marie BE: 119. 


Voung 304. 306. 325. 522. 557. 585. 


Zachariä 790 f. 

Zeller Dr. Mbert E: 101. 

Belter 612. 818. 817. — E: 45. 86 ff 
Zenge Wilhelmine dv. 34. 5585 ff. 
Zeſen Phil. v. 544. 

Biegler, Dramatifer E: 71. 
Zimmermann Joh. Georg 134. 
Bintgref 59. 71. 80.81. 90. 
Zſchoökke E: 19. 


Zumſteeg 735. 737. 739. 7149 f. 


— N.7 Ye 0m 


Drud von Lorenz Ellwanger, vorm. Th. Burger, Bahreuth. 








„2 


Mitteilungen 


aus Der 


&iteratur ses 19. Bahrhunderts 


und 


ihrer Geſchichte. 


— ⸗ 


Ergämzungsheft 
zu 
Guphorion 
Zeitjchrift für Yiteraturgejchichte 
herausgegeben von A, Sauer. 


Band 2, 


— — 


Bamberg. 
EC. € Buchner Derlag 
Rudolf Rod) 
1895. 






ebssändsänte ‚ol mm 








ENDE 


—— * 


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Charles Wolfe. Von Jakob Schipper in Wien : —— 
Ueber Kleiſts „Käthchen von a: Von Spiridion Wuladinovie 
in Graz 


Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. Bon Alfred Chriftlieb 
Kaliſcher in Berlün . — 
Beilage: Ueber Clemens Brentanos Beiträge zu Carl 
Bernards Dramaturgifhem Beobachter (An Reinhold 5 
in Berlin). Bon Auguft Sauer . 
Zu Theodor Körners Leben und Dichten. Bon Reinholv Steig 
1. Tod und Schwertlied. 
2. Theodor Körner und die Piedertafel im Berlin. 
3. Das Sonett an Henriette Hendel-Schüß. 
Srabbes und Grillparzers „Hannibal“. Bon Anton Neihl im Brür 
Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. Von Rudolf Krauß in Stuttgart 
1. Zeit der Entftehung. 
2. Art der Entftehung. 
3. Verſchiedene Faſſungen. 
4. Idylle vom Bodenſee. 
Beilage: Ein ungedrucktes Jugendgedicht Mörikes 
Unbekanntes und Ungedrucktes von Ferdinand Freiligrath. — von 
Wilhelm Buchner in Eiſenach 
Der Apotheker von Chamouny oder der kleine ib aaa von "Gottfried 
Keller. In älterer Faſſung mitgeteilt von Jakob Baechtold in 
Züri. 
Miscellen. 
Friedrich Aft an Creuzer —— 
Ein Sprachdenkmal aus den Mitgeteilt von 
Emil Fromm in Aachen 


Seite 


14 


36 


64 


94 
8) 


155 


189 


191 


ve‘ 





Churles Wolfe.) 
Bon Jakob Schipper in Wien. 





Aus der Literatur der neueren Zeit find drei merfwürdige 
Beiſpiele zu verzeichnen, welche die Macht der Dichtung aufs 
deutlichjte erfennen laffen. In allen drei Fällen handelt es ſich 
freilich um Gedichte, welche die Friegerijchen Neigungen der Völker, 
die nationale Gefinnung, den Batriotismus zur Borausjeßung haben, 
und jedesmal Hat fich der Appell an dieſe Gefühle jo mächtig er— 
wiejen, daß die Dichter dieſer Lieder, ohne jonjtige poetijche Leiſtungen 
von hervorragender Bedeutung aufweiſen zu können, nur durch das 
eine Gedicht zu unjterblichem Ruhme gelangt find. a, bei ziveien 
hat jogar der Ruhm des Liedes den Ruhm des Dichters tief in 
Schatten gejtellt. Das eine dieſer Gedichte ijt die Marseillaise, 
die im Jahre 1792 zu Straßburg von dem jungen, aus der Gegend 
von Lyon gebürtigen Ingenieur-Offizier Nouget de l'Isle in einer 
Macht, vom 24. auf den 25. April, nach der Striegserflärung an 
Dejterreich verfaßt und fomponiert worden jein joll und jeitdem 
zum Nevolutions- und Nationallied der Franzoſen geworden ijt; 
das andere ijt „Die Wacht am Rhein,“ das Truß- und Siegeslied 
der Deutjchen, welches von dem früher wenig befannten, 1819 ge- 
borenen und jchon 1849 jung verjtorbenen Dichter Max Schnecken- 
burger gedichtet und exit durch den glorreichen Krieg vom Jahre 
1870/71 zum Nationallied des vereinigten deutjchen Bolfes erhoben 
wurde. In beiden Fällen darf man wohl behaupten, daß die 
wenigften Derjenigen, welche die „Marseillaise* oder „Die Wacht 
am Rhein“ fingen, die Namen der Dichter dieſer Lieder Fennen. 

') Ein Vortrag, gehalten im Wiener neuphilologihen Verein am 22. Fe— 
bruar 1895. 

Euphorion IL, Ergänzungsheft. 1 


2 J. Schipper, Charles Wolfe. 


Anders verhält es ſich mit dem von der englifchen Literatur 
gewährten Beifpiel für den im Wejentlichen auch nur auf einem 
einzigen furzen Gedicht beruhenden Dichterruhm feines Berfafjers, 
nämlich mit Charles Wolfes nur aus acht vierzeiligen Strophen 
bejtehender Elegie The Burial of Sir John Moore (Die Bejtattung 
des Sir John Moore). Hat dies ſchöne Gedicht jeiner Natur nach 
auch nicht zum Volksliede werden können, jo ijt es doch allen ge- 
bildeten Engländern befannt, und jeder, der es fennt, weiß, auch, 
daß es von dem jungen, 1791 geborenen und ſchon 1832, gleich- 
falls in dem jugendlichen Alter von 32 Jahren, verjtorbenen Ir— 
länder Charles Wolfe gedichtet worden it. 

Während aljo das franzdfische und das deutſche Gedicht in 
eriter Linie durch die politifchen Ereigniffe und durch die ſchwung— 
vollen Melodien, von denen dieſe Lieder getragen werden, zu außer— 
ordentlicher Popularität gelangt find, jo daß die Namen der 
Dichter darüber fait in DVergefjenheit geraten jind, jtüßt fich der 
Ruhm des englijchen Gedichts und feines Berfajjers, wenn auch das 
patriotiiche Mitgefühl mit dem Helden, den es feiert, dabei gleich- 
fall in Betracht fommt, Doch hauptjächlich auf die poetiſche Schön— 
heit der Dichtung jelber. In der That ift fie dem mit ihr in 
Parallele gejtellten franzöfischen wie auch namentlich) dem un— 
bedeutenderen deutjchen Gedicht an dichteriſchem Wert weit über— 
legen und gehört anerfanntermaßen zu den erleſenſten Perlen der 
neueren englischen Poeſie. 

Für die Entjtehung wie für den Inhalt der Dichtung iſt 
eine etivas genauere Kenntnis der Vorgejchichte des Gedichtes, wie 
auch der Lebensgejchichte oder richtiger eigentlich der Abjtammung 
des Dichters, wenn auch nicht gerade notivendig, jo doch von be- 
deutſamem Intereſſe. 

Als Charles Wolfe ſein ſchönes, die unter eigentümlichen 
Berhältnifjen erfolgte Bejtattung des auf dem Schlachtfelde von 
Coruña gefallenen englifchen Generals Sir John Moore feierndes 
Gedicht jchrieb, gehörte er wahrjcheinlich noch als etiva zwanzig— 
jähriger Student dem Trinity College zu Dublin an. 

Was mag den janften, Eränflichen jungen Mann, der jpäter 





J. Schipper, Charles Wolfe. 3 


in den Dienjt der anglicanischen Kirche eintrat, dazu veranlapt 
haben, ein derartiges Greignis zu befingen? Gin Blick auf fein 
Leben giebt uns die mutmaßlich richtige Antivort auf dieſe Frage. 
Charles Wolfe gehörte derjelben angejehenen irischen Familie an, 
aus der der heldenmütige, im Jahre 1759 bei Quebed gefallene 
General James Wolfe, der Kanada den Franzoſen entrijjen und 
dem man in der Wejtminjter- Abtei ein Denkmal gejebt hatte, 
entjtammte. 

Oftmals mochte der junge Charles die Bejchreibung des 
Todes jeines berühmten Borfahren gehört und gelejen haben, 
wie dieſer, von drei Kugeln durchbohrt, vom Schlachtfeld für tot 
hinweggetragen wurde, aber bei dem lauten Ruf „Sie fliehen!" 
noch einmal zur Befinnung fommend fragt: „Wer flieht" und 
nach der Antwort: „Die Franzoſen!“ mit den Worten: „Dann 
jterbe ich ruhig!" jeine Seele aushaucht. So ijt es erklärlich, 
daß dieſer junge, janftmütige, aber begeijterungsfähige Irländer 
zu jeinem berühmten Gedichte angeregt wurde durch einen anderen, 
etwa fünfzig Jahre nach der Schlacht bei Quebeck gleichfalls über 
die Franzoſen erfochtenen Sieg der Engländer, wobei wieder ein 
tapferer britifcher General den Tod gefunden hatte. Dies hatte 
jich jo zugetragen : 

Nachdem im Sommer des Jahres 1808 die Franzoſen in 
Spanien durch die englijchen Truppen bis zum Ebro zurücgedrängt 
worden waren und Joſeph Bonaparte jich ſchon aus Madrid nach 
Burgos zurückgezogen hatte, Fam der Kaiſer Napoleon jeinem Bruder 
mit einem großen Heere von 250,000 Wann zu Hilfe, von dem die 
jehr viel ſchwächeren englischen und jpanischen Truppen im November 
wiederholt gejchlagen wurden, jo daß Joſeph iwieder in Madrid ein- 
ziehen konnte. Mittlerweile war der englische General-Lieutenant 
Sir John Moore mit etwa 30,000 Mann von Liffabon nordtvärts 
dem franzöfiichen Marjchall Soult, der nur 18,000 Wann be- 
fehligte, entgegengezogen, erfuhr aber noch rechtzeitig, daß Napoleon 
jelbjt mit einer großen Truppenmacht heranzöge, um ihn vom 
Meere abzujchneiden, und trat nun jofort den Rüczug an. Glücklicher— 
weiſe wurde Napoleon durch bedrohliche Nachrichten aus Paris, 

1* 


4 J. Schipper, Charles Wolfe. 


die ihm für den fommenden Frühling aufs Neue einen Krieg mit 
Deutjchland in Ausficht ‚stellten, verhindert, jeinen Plan auszu- 
führen. Er wandte fich nach Valladolid und übertrug Soult die 
weitere Verfolgung der Engländer. Dieſem vermochte Sir John 
Moore drei Tage lang bei Pietros und Lugo Stand zu halten und 
gelangte mit geringen Verluſten am 11. Januar 1809 auf die 
Höhe von Koruna, two er hoffen durfte, die dorhin bejtellte eng- 
liſche Transport- Flotte anzutreffen. Durch widrige Winde aber ivar 
dieſe zurücgehalten worden, und jo jahen fich die Engländer ein- 
geflemmt zwijchen dem Meer und den Franzoſen. Berjchiedene feiner 
Generale drangen in Sir John Moore, mit dem Feinde zu verhandeln, 
doch vergebens. Zum Glück für die Engländer ließ der unentjchlofjene 
Soult die günftige Zeit bis zum 15. unbenußt verjtreichen, obwohl 
ihon am 14. die erjten englischen Transportjchiffe in Sicht ge- 
fommen waren umd Moore jchon am 15. begonnen hatte, feine 
Pferde und Gejchüße einzujchiffen. Am 16. endlich gieng Soult 
zum Angriff vor, doch Sir John Moore, der an den zunächit be- 
drohten Punkten feine Truppen jelbjt befehligte, jchlug den über- 
legenen Feind ſiegreich zurück und ficherte jo durch feinen helden- 
mütigen Widerjtand die volljtändige Einjchiffung jeiner Armee. 
och dor dem Ende des Kampfes aber, der jedoch ſchon durch ein 
glücklich von ihm durchgeführtes Manöver zu Gunjten der Eng- 
länder jo gut wie entjchieden war, zerjchmetterte ihn eine Kanonen— 
fugel die Schulter, worauf er nach einigen Stunden verjchied. 
Sein legtes Wort war gewejen: „sch hoffe, das Bolf von Eng- 
land wird mit mir zufrieden jein." Die Leiche des tapferen 
Generals wurde auf dem Wall der Citadelle von Coruna begraben, 
und don dem Berlauf diejes Begräbniffes brachte das Edinburgh 
Annual Register (1808/9, ©. 458) folgende furze, aber anfchau- 
liche und interefjante Bejchreibung: „Sir Sohn Moore hatte oft 
gejagt, er wünſche, wenn er in der Schlacht getödtet werden jollte, 
dort begraben zu werden, wo er fiel. Der Leichnam wurde um 
Mitternacht nach der Citadelle von Coruna gebracht. Dort auf 
dem Walle wurde für ihn von einer Abteilung des 9. Regiments 
ein Grab gegraben, wobei die Adjutanten wechjelsweife den Dienjt 


J. Schipper, Charles Wolfe. 5 


hatten. Kein Sarg konnte bejchafft werden, und die Dffiziere 
jeines Stabes hüllten den Körper, befleidet wie er war, in einen 
Militärmantel und in Decken. Die Beerdigung wurde eilig voll- 
zogen; denn gegen acht Uhr morgens vernahm man einiges Feuern, 
und die Offiziere fürchteten, daß fie im Falle eines ewnjthaften 
Angriffs abfommandiert und verhindert werden würden, ihm die 
legte Ehre zu eriveifen. Die Offiziere feines Stabes trugen ihn 
zu Grabe. Die Leichen-Gebete wurden von dem Kaplan verlejen, 
und der Körper wurde mit Erde bedeckt.‘ 

Diejer kurze, aber mit einigen jtimmungsvollen Einzelheiten 
ausgejtattete Bericht war auch dem jungen Charles Wolfe zu 
Geſicht gefommen und begeijterte ihn zur Abfaſſung jeines ſchönen 
Gedichts. 

Wann er es ſchrieb, iſt nicht mit Sicherheit zu ſagen. Aus 
inneren Gründen möchte man annehmen, daß es bald nach Ver— 
öffentlichung jenes Berichtes, als das Ereignis noch neu und in 
Aller Munde war, entſtanden ſei, alſo im Jahre 1809. Gedruckt 
wurde es aber erſt im Jahre 1817, nur mit den Initialen von 
Ch. Wolfes Namen in dem iriſchen „Newry Telegraph“, in 
welchem Blatte es ohne Wiſſen des Dichters von einem feiner 
Bekannten veröffentlicht worden war. 

Es iſt aljo immerhin möglich, dad es von Charles Wolfe 
erit damals abgefaßt worden ijt, alfo in jeinem 28. Lebensjahre, 
womit die künſtleriſche Reife der Dichtung allerdings eher in Ein- 
flang zu bringen wäre. Es würde dann in die Zeit fallen, als 
er wunden Herzens in Folge einer vergeblichen Werbung um ein 
in mehreren Liedern von ihm bejungenes Mädchen jich für jeinen 
furz darauf erfolgten Eintritt in den Dienjt der anglicanischen 
Kirche vorbereitete. Raſch wurde das Gedicht dann auch in Schott- 
(and und England befannt. Lord Byron, der es in einer Geſellſchaft 
mit Begeijterung vorlas, pries es als eine der jchönjten Dichtungen 
der englifchen Literatur und stellte e$ über verwandte Dichtungen 
von Campbell und Thomas Moore. Seitdem war das Gedicht, 
deſſen Verfaffer man noch immer nicht kannte, berühmt und iſt 
e8 bis auf den heutigen Tag geblieben. Wir teilen es zunächjt 


6 J. Schipper, Charles Wolfe. 


im englijchen Originaltext mit und lafjen dann eine von uns ohne 
Kenntnis der früheren zahlreichen Webertragungen!) der Dichtung 
angefertigte Ueberjeßung folgen. 


The Burial of Sir John Moore, 


Not a drum was heard, not a funeral note, 
As his corpse to the rampart we hurried; 

Not a soldier discharged his farewell shot 
O’er the grave where our hero we buried. 


We buried him darkly at dead of night, 
The sods with our bayonets turning; 
By the struggling moonbeams’ misty light, 

And the lantern dimly burning. 


No useless coffin enclosed his breast, 
Not in sheet nor in shroud we wound him; 
But he lay like a warrior taking his rest, 
With his martial cloak around him. 


Few and short were the prayers we said, 
And we spoke not a word of sorrow; 

But we steadfastly gazed on the face that was dead, 
And we bitterly thought of the morrow. 


We thought, as we hollowed his narrow bed, 
And smoothed down his lonely pillow, 

That the foe and the stranger would tread o’er his head, 
And we far away on the billow! 


Lightly they’ll talk of the spirit that’s gone, 
And o’er his cold ashes upbraid him, — 
Butt little he’ll reck, if they let him sleep on 
In the grave where a Briton has laid him. 


But half of our heavy task was done, 
When the clock struck the hour for retiring; 
And we heard the distant and random gun 
That the foe was sullenly firing. 
1) Erſt ſpäter wurden uns einige derſelben bekannt, jo diejenige don 
G. E. Barthel (der den engliſchen Text öfters mißverſtanden hat), mitgeteilt von 
Guſtav Haller in feinem Aufſatz über Charles Wolfe (Grenzboten, 1874, II 
©. 129 ff., 175 ff.), worauf fi) unfere Angaben über den Krieg in Spanien ftüßen, 


J. Scipper, Charles Wolfe. 


Slowly and sadly we laid him down, 
From the field of his fame fresh and gory; 

We carved not a line, and we raised not a stone — 
But we left him alone with his glory! 


Das Begräbniß des Sir Sohn Moore. 


Keine Trauermufif, feine Trommel ertönt, 
Als zum Wall hin wir eilends ihn trugen. 
Keines Kriegers Schuß übers Grab hin dröhnt', 
Wo wir unfern Helden begruben. 


Wir gruben in diüfterer Nacht jein Bett 
Bei des fümpfenden Monde Geflimmer, 

Und wandten die Scholl’ mit dem Bajonett 
Bei der trüben Laterne Schimmer. 


stein nutzloſer Sarg ſchnürt' die Bruft ihm zu, 
Und fein Yeichentuch ihn bedecfte : 

Doch er lag wie ein Krieger, der Hin zum Ruh' 
Im Soldatenmantel ſich ſtreckte. 


Kurz und eilig war unſer Gebet, 
Und wir ſprachen kein Wort der Klage; 
Doch wir ſah'n auf ſein Antlitz, das blaſſe, ſtät 
Und voll Gram vor dem kommenden Tage. 


Bir jah’n, da wir höhlten das Bett für ihn, 
Und glatt jeinen Pfühl ihm zogen, 

Uebers Haupt ihm den Feind und den Fremdling zieh'n, 
Und wir weit entfernt auf den Wogen! 


Schmäh'n werden iiber der Afche fie num 
Seinen Geift, der entfloh'n dieſer Welt ift; 

Doch ihn kümmert's nicht, läßt im Grab man ihn ruh'n, 
Das von britifcher Hand ihm bejtellt iſt. 


Kur halb war das fchwere Wert geſcheh'n, 
Als die Thurmuhr zum Rückzug uns mahnte; 
Und wir hörten von Kern’ eines Schuſſes Gedröhn, 
Den der Feind ums tückiſch entſandte. 


8 J. Schipper, Charles Wolfe. 


Wir jenkten ihn langjam und traurig hinab 
Bon des blutigen Siegesfelds Krume. 

Wir liegen nicht Inſchrift noch Stein auf dem Grab — 
Nur allein ihn mit jeinem Nuhme! 


Worin bejteht nun die Schönheit dieſes Gedichts, oder viel- 
mehr durch welche Mittel hat der Dichter die ergreifende Wirkung, 
die es ausübt, herbeigeführt? 

Einmal dadurch, daß er die in dem kurzen Proja-Bericht 
enthaltenen, ſowie andere, aus der dort gefchilderten Situation aufs 
natürlichjte von ihm abgeleitete Züge mit dem genialen Verſtändnis 
eines wahren Dichters für fein poetiſches Gemälde künſtleriſch zu 
verwerten wußte, und ferner dadurch, daß er Inhalt und Form 
jeiner Dichtung in ſchönſte harmoniſche Webereinjtimmung brachte. 
Er eröffnet es mit einer einleitenden Strophe, in welcher er den 
erjten bejchreibenden Sab des Berichtes „der Leichnam wurde um 
Mitternacht nach der Citadelle von Eoruna gebracht” und die weitere 
Mitteilung „die Beerdigung wurde eilig vollzogen" verwertete. 
Aber in welcher Weiſe that er dies! Welch ein Unterjchied zwiſchen 
dem Vorgang, wie ihn der lediglich veferierende Berichterjtatter 
bejchreibt, und wie er fich in dem Auge des ein jolches Ereignis 
im Geijte teilnahinsvoll mit erlebenden und künſtleriſch darjtellenden 
Dichter8 wiederjpiegelt! Gleich die zwei erjten Verſe verjegen uns 
in das Feldlager, und zivar mit dem Dichter jelber, der ſich als 
Einen, der perjönlich bei dem Begräbnis beteiligt war, ſelbſt bei 
allen Vorgängen desjelben mit Hand anlegte, vorführt und dadurch 
jogleich unjere Phantaſie mit ich fortreißt. Wir jehen ihn und 
jeine Kriegsgefährten vor uns, wie jie mit dem Leichnam ohne 
Trommelklang, ohne die jonjt bei militäriichen Begräbniffen übliche 
Irauermufif zum Fejtungswalle dahin eilen. Aus dem zweiten 
Berspaare erfahren wir dann, daß auch die Beitattung jelber, ob- 
wohl jie doch ihren d. h. den einzigen, den allen voranleuchtenden 
Helden zur legten Ruhe betteten, ohne weitere Ehrenbezeigungen, 
jogar ohne daß die ſonſt ſtets gebräuchliche Abjchiedsjalve über das 
Grab abgefeuert worden wäre, vor ſich ging. Dadurch wird jofort 


J. Schipper, Charles Wolfe. 9 


unjere Erwartung auf das Weitere mächtig erregt. Es drängt 
jich uns fogleich die Frage auf: „Wie trug fich das zu? Was 
war die Urjache davon?" Und hierauf geben uns die folgenden 
Strophen die Antwort. 

Die zweite Strophe giebt uns zunächjt wieder auf Grund 
der Mitteilung des Berichts, daß die Leiche um Mitternacht nach 
der Eitadelle von Coruña gebracht und ihm von den Soldaten 
des 9. Negimentes auf dem Fejtungswalle das Grab gegraben 
wurde, ein ungemein anjchauliches Bild, wie es ein Maler ohne 
Weiteres nachzeichnen könnte. Wir jehen die Striegerjchar vor 
uns, wie jte in Ddüjterer, Öder Macht das Grab graben. Nur hin 
und wieder durchbricht der Ffämpfende Mond mit fahlem Schein 
das Gewölk; eine matt brennende Laterne muß daher für die 
nächjte Umgebung das nötige Licht verbreiten. Ginige nicht mit 
der Bereitung der Grabjtätte bejchäftigte Soldaten wälzen mit dem 
Bajonett die Schollen bei Seite, um fir die Einſegnung der Leiche 
den Platz frei zu machen. 

Yun wird dieje jelber in der dritten, nach Yord Byrons 
Urteil jchönjten Strophe des ganzen Gedichts unferem geiftigen 
Auge jichtbar, wobei der Dichter wieder einige Einzelheiten des 
Bericht3 aufs glücklichjte benüßt hat. Ohne umfchliegenden Sarg 
liegt der Tote da, auch nicht eingehüllt in Linnen oder in ein 
Grabtuch, jondern wie ein Krieger fich im Felde zur Ruhe legt, 
nur den Soldatenmantel um ich gejchlagen. 

Wie pacend find nun auch die folgenden Strophen, in denen 
der Dichter uns feine Umgebung, ihr Thun und ihre Gedanken 


vorführt! Nur wenige und kurze Gebete jprechen fie — denn fie 
ind ja in Eile — und fein Wort der Klage wird geäußert von 


der mit Gefahr und Tod vertrauten SKriegerjchar. Aber um jo 
bitterer fühlen jte, wie ſie feſt auf das blafje Antliß des Toten 
die Blicke richten, den Schmerz der Trennung bei dem Gedanken 
an das was der fommende Tag bringen wird. Sie denken daran, 
iwie fie dann fern fein werden auf den Wogen, während der Feind 
und der Fremdling Fühllos dahin jchreiten über den Hügel, unter 
welchem jein Haupt in dem engen Grabe auf einjamen Pfühle 


10 J. Schipper, Charles Wolfe. 


ruht, den fie ihm geglättet, ja wie jene wohl gar jein Andenken 
ſchmäh'n und bejchimpfen werden. Und nun der plößliche Auf- 
ſchwung im Bewußtfein treuer Erfüllung des lebten Herzens— 
wunjches des Entjchlafenen: 


Doch ihn fümmerts nicht, läßt im Grab’ man ihn ruh'n, 
Das von britifcher Hand ihm bejtellt ift. 


Eine äußerſt jtimmungsvolle Strophe, die uns aus dem 
Ichwermutvollen Gedanfenfreife der vorangegangenen DVerje wieder 
in die Wirklichkeit zurückverjeßt und nun endlich auch den Grund 
für das eilige, nicht nur der üblichen Feierlichkeit, jondern jogar 
der notwendigſten Ausjtattung ermangelnde Begräbnis genugjam 
andeutet, jchließt ji) an, in der der Dichter uns mitteilt, daß das 
ſchwere Werf erjt halb gethan war, als die Thurmuhr der nahen 
Stadt fie mahnte, daß es Zeit für fie fei, fich zurüczuziehen, um 
jo mehr, als auch der tückiſche Feind durch einen vereinzelten, 
ziellofen Schuß wie das „gelegentliche Feuern“ des Berichts wirk— 
jam umjchrieben wird, ihnen jeine drohende Nähe wieder in Er- 
innerung bringt. 

Sp ijt die richtige Stimmung vorbereitet, womit nun in 
der legten ergreifenden Strophe die Darjtellung der Begebenheit 
und damit das Gedicht jelber zum Abſchluß gelangt. 


Wir jenkten ihn langjam und traurig hinab 
Bon des blutigen Siegesfelds Krume. 

Wir liegen nicht Inſchrift noch Stein auf dem Grab — 
Nur allein ihn mit jeinem Ruhme! 

Macht nicht dieſe legte Strophe und namentlich der leßte 
Vers einen viel gewaltigeren Eindrud, als ihn die Borjtellung von 
einem über dem Grabe fich erhebenden Monument, etwa einem 
Engel, der eine gebrochene Säule mit einem Lorbeerfranz jchmückt, 
hervorbringen könnte? Jedenfalls hat der junge Dichter jeinem 
Helden mit diefem Gedicht ein dauernderes Denkmal gejebt, als 
es das ſchönſte Monument aus Erz oder Marmor gewejen wäre, 
und zugleich ein nicht weniger funftvolles. Denn auch die Form, 
in welche er jeine Gedanken Eleidete, it durchaus der Beachtung 


J. Schipper, Charles Wolfe. 11 


wert und trägt weſentlich mit zu der mächtigen Geſamtwirkung der 
Dichtung bei. : 

Das Metrum, dejjen Wolfe jich bedient, iſt ein jeptenarijches, 
genauer der katalektiſche Tetrameter. Aber es ijt nicht der ge- 
wöhnliche iambijche Tetrameter, wie er jeit mittelenglifcher Zeit, 
jeit dem Poema Morale und dem Ormulum, in der englifchen 
Poeſie populär war. Es ijt vielmehr ein Versmaß, welches ſich 
exit in neuenglijcher Zeit, unter dem Einfluß des vierhebigen, 
zwiſchen iambiſch-anapäſtiſchem umd trochäiſch-daktyliſchem Rhythmus 
ſchwankenden Abkömmlings der alten alliterierenden Langzeile, der 
bei Ramſay und Burns, Campbell und Scott ſo beliebt iſt, aus 
jenem Metrum heraus entwickelt hat. Gewiß hätte Wolfe keine 
paſſendere Form für ſein Gedicht wählen können, als dieſe bereits 
zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der engliſchen Poeſie auf— 
tauchende Strophe, die ſchon in ihrem Rhythmus den marſchmäßigen 
Schritt der mit der Leiche zum Feſtungswalle hineilenden Krieger— 
ſchar erklingen läßt. Und nun doch dieſe Freiheit der Bewegung, 
die ſie bei alledem durch den faſt beliebigen Wechſel ſteigender und 
fallender Rhythmen, zwei- und dreiſilbiger Versfüße und die damit 
zuſammenhängende Beſchleunigung und Verlangſamung des Tempos 
gewährt! Und wie weiß ſich der Dichter dieſe Freiheit zu Nutze 
zu machen! 

Die erſte Strophe, ſpeciell die erſten Verſe, die uns die 
auf dem Marſch begriffene Schar vorführen, verlaufen faſt ganz 
iambiſch-anapäſtiſch. Wie wunderbar wird dann aber durch die 
Verlangſamung das Rhythmus in den Worten des dritten Verſes 
discharged his farewell shot das langſame Verhallen einer über 
das Grab hin abzufeuernden Ehrenſalve angedeutet! Eine ähnliche, 
den Sinn der Worte unterſtützende metriſche Wirkung wird hervor— 
gebracht durch den faſt ganz iambiſch, alſo langſam verlaufenden Vers 

By the struggling moonbeams’ misty light, 
wobei, wie in manchen anderen Fällen, die Alliteration in malender 
Weije mithilft, over an Stellen wie 


and smooth’d down his lonely pillow, 


12 J. Schipper, Charles Wolfe. 


wo man fürmlich ſieht, wie fie, obwohl bildlich geiprochen, den 
Pfühl ihm glätten, und in der vorlegten Strophe: 


But half our heavy task was done, 


two der mühjam dahin fließende Rhythmus es fajt ebenjo jehr wie 
die Worte erfennen läßt, wie jchwer ihnen das Werf fällt. 


Ungemein wirkſam iſt in ähnlicher Weiſe auch der Ueber— 
gang aus dem tambijch-anapäjtifchen in das trochätjch-daktylijche 
Metrum, jo z. DB. in dem Verſe 

Few and short were the prayers we said, 
two der Dichter, jo wie die Gebete nur furz waren, hier auch den 
Bers um eine Silbe verfürzt, oder in den Worten 
Slowly and sadly we laid him down, 


two er in Uebereinjtimmung mit der langjamen, vorfichtigen Handlung, 
die er bejchreibt, auch den ruhigen Verseingang wählt, der wiederum 
durch die Alliteration und den Klang der Worte wirfjam unter 
jftüßt wird. So ijt überhaupt auch die Sprache eine ungemein 
melodijche, durch Elangvolle Abwechslung der Vokale in den einzelnen 
Berjen belebte. In vielen Fällen Freilich wird der Dichter zwar 
wohl nicht unbewußt, aber doch unabfichtlich diefe Wirkung durch 
die von ihm gebrauchten Ausdrücke erreicht haben, in manchen aber 
darf man vermuten, daß er ſie abjichtlich jo gewählt hat, wie denn 
unzweifelhaft auch die Berfettung der Strophen 1 und 2 und ferner 
4 und 5 durch Wiederholung der Wendungen We buried und 
We thought in malender Abficht, des Nachdrucks wegen, der auf 
den Wörtern ruht, geſchehen ijt. 

Sp tritt und Charles Wolfe nicht nur in der Kompoſition 
jeiner Dichtung, jondern auch in der Form, die er derjelben gab, 
als ein hochbegabter, feinfühliger Dichter entgegen, dem damit ein 
poetisches Kunjtwerf von unvergänglichem Wert gelungen ift. 

Und hat er uns feine anderen Dichtungen von Bedeutung 
hinterlaffen? O ja! Aber nur noch einige wenige. Denn zu frucht- 
barer Ddichterifcher Thätigfeit liegen ihm die Pflichten feines Berufes 
und jein furzes Exrdendafein feine Zeit. Nachdem er im Jahre 


J. Schipper, Charles Wolfe. 13 


1817 zum Goeijtlichen ordiniert worden var, wurde ihm zunächjt 
die Landpfarre Ballyelog in Tyrone und wenige Monate darauf 
diejenige zu Donoughmore in der Didcejfe Armagh übertragen. 
Mit unermüpdlichem Eifer widmete er jich dort jeinen Amtspflichten, 
namentlich auch, al8 im Jahre 1820 Nord-Irland vom Typhus 
heimgejucht wurde. Seine eigene, durch ein vernachläffigtes Bruft- 
leiden angegriffene Gejundheit litt darımter. Er jah fich genötigt, 
in Bordeaux Erholung und Kräftigung zu juchen, doch ohne 
dauernden Erfolg. Ende November 1822 begab er ich zum 
Winteraufenthalt nach der milden Bucht von Cork in Süd-Irland, 
wo er am 21. Februar 1823 im 32jten Lebensjahre jtarb. 

Unter jeinen Gedichten, die nach jeinem Tode unter dem 
Titel Remains of The late Rev. Charles Wolfe von Rev. Sohn 
A. Ruſſell, London 1826 herausgegeben wurden, finden jich noch 
einige jehr jchöne Yiebeslieder, zum Teil ähnlich) wie Thomas 
Moores Irish Melodies nach jchon vorhandenen Melodien gedichtet. 
Die meisten derjelben jind von Gisbert Freiheren von Winde in 
jeinem Werk „Roſe und Dijtel; Boejien aus England und Schott- 
land" vortrefflich übertragen worden. Und- in der That jind fie 
der Ueberjeßung wert, denn auch jie legen von der Gefühlsinnigfeit 
und Formgewandtheit ihres Berfafjers ein rühmliches Zeugnis ab. 
Aber die Unjterblichfeit Hat Charles Wolfe ſich doch nur mit feinem 
allen Engländern zu Herzen gehenden „Begräbnis des Sir John 
Moore" erjungen, einem Gedicht, welches ihn den größten Iyrijchen 
Dichtern feiner Nation gleichjtellt und ihm einen ehrenvollen Platz 
in der Weltliteratur fichert für alle Zeiten. 


14 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“. 


Aeber 
Kleiſt's ‚Käthchen von Heilbronn“, 


Von Spiridion Wukadinovié in Graz. 





Ludwig Tieck, und ſeit ihm alle Biographen Heinrich von 
Kleiſts und Herausgeber ſeiner Werke haben auf die „alte Romanze 
von der wunderbaren Treue und Ergebenheit eines liebenden Weibes“ 
als die Quelle des Schauſpiels „Käthchen von Heilbronn“ hin— 
gewieſen. Es iſt dies die Ballade Child Waters (Percy, Relics 
3, 52), welche Kleiſt in der Bürger’fchen Bearbeitung („Graf 
Walter”, Gedichte herausgegeben von A. Sauer, ©. 261) kennen 
gelernt haben mochte. Allerdings find wejentliche Züge des Dramas 
in dieſer Ballade enthalten und es fann fein Zweifel herrjchen, 
daß Kleiſt hier gejchöpft hat. Denn wie Käthchen muß auch die 
Maid der Ballade im Stalle auf dem Stroh jchlafen. Auch fie 
läuft barfuß neben ihrem Ritter her durch Heid- und Pfriemen- 
fraut in der Somnenglut. Gin Wafjer muß fie duxchjchreiten, 
„dem Brück' und Steg gebricht," wie das Käthchen auch, und erjt 
nachdem jte eine andere für den Grafen geivorben, nehmen die harten 
Prüfungen ein Ende, wie Käthehen exit belohnt wird, als fie zur 
Hochzeit des Grafen mit Kumigunde zu fommen glaubt. 

Allein ſchon eine oberflächliche Betrachtung zeigt, daß hier 
nur ein Stück der menschlichen Berhältniffe des Dramas Kleiſt 
geboten war; er aber fügte Uebermenſchliches zu ihrer Erhöhung 
und — jo merfwirdig es Flingt — Erklärung ein. Gin Zug des 
Geheimnisvollen, Webernatürlichen geht durch fein ganzes Werf. 
Das Neich der Träume und Erjceheinungen thut fich vor uns auf, 
und der Himmel hält ſichtbar jeine ſchützende Hand über dem 


Sp. Wufadinovic, Ucber Kleifts „Käthchen von Heilbronn“. 15 


Mädchen, das durch einen ihr jelbjt und den Andern unerflärlichen 
Zauber an die Schritte des Grafen gebannt if. Schon in 
Schillers „Sungfrau von Orleans" (1801) jpielen Viſionen und 
das Eingreifen überirdiſcher Mächte eine Nolle. Goethe hatte in 
den 1808 zum zweitenmal erjchienenen „Unterhaltungen deutjcher 
Ausgeiwanderten”, ſowie furz vor der Veröffentlichung des Kleiſti— 
chen Stüdes in den „Wahlverwandtichaften" (1809) die Rätſel— 
welt des Dceultismus gejtreift.!) Tieck, und bejfonders die jüngeren 
Romantiker erneuerten damals den alten Wolfsglauben des Mittel- 
alters, dem der neu auferjtehende und auch von Stleijt als Muſter 
empfundene Shafejpeare gegenüber dem Nationalismus in der 
Poeſie wieder zu jeinem Rechte verholfen hatte, und in den Dicht- 
ungen eines Novalis und Zacharias Werner trieb der Miyjticis- 
mus neue Blüten. (Vgl. Bonafous, Henri de Kleist. Paris 
1894. ©. 255 f.) Kleiſt folgte aljo einem Zuge der Zeit und 
jeinem eigenen Hange zum Wunderbaren, der jchon in jeinem 
Erjtlingsiverfe, den Schroffenjteinern, zum Ausdrucke gelangt war, 
wenn er hier mit jeiner Dichtung ein neues Gebiet betritt, — 
das Gebiet des Somnambulismus. 

Du Prel hat vom heutigen Standpunkte der Wifjenjchaft 
aus das Käthchen von Heilbronn als Somnambule behandelt 
(Münchner Allgemeine Zeitung 1890 Nr. 320). Schon in der 
Eingangsjcene, wo Theobald über die erjte Begegnung Käthchens 
mit dem Grafen Wetter von Strahl berichtet, offenbart fich diejer 
jomnambule Zug an ihr. Sie öffnet die Thür, um dem Grafen, 
der jich bei ihrem Vater feine Rüftung ausbeffern läßt, einen 
Imbiß zu bringen, — da, beim Anblick des Ritters, jtürzt fie 


1) Auf die Beziehungen zu Schillers „Jungfrau von Orleans“ haben ſchon 
Brahm (Heinrich v. Kleift, Berlin 1884, ©. 254) und E. Schmidt (Charafteriftifen 
©. 375) hingedeutet. Auf Uebereinftimmungen mit Goethes „Unterhaltungen“ 
und „Wahlverwandtichaften“, auf die ih durch B. Seuffert aufmerkſam gemacht 
wurde, werde ich von Fall zu Fall verweifen. Bezeichnend für den Geiſt jener 
Zeit jcheint mir auch die Ausführlichkeit, mit welcher Goethe im erſten Buche 
von Dihtung und Wahrheit bei den prophetifchen Träumen feines Großvaters 
vermweilt (Hempel 20, 34 ff.). 


16 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“. 


leichenbleich, mit Händen, wie zur Anbetung verſchränkt,“) nieder. 
Niemand vermag herauszubefommen was mit ihr vorgefallen. Als 
nun der Graf jein Roß bejteigt, jtürzt fie ich, dreißig Fuß hoch, 
auf das Straßenpflafter, „gleich einer Berlorenen, die ihrer fünf 
Sinne beraubt tft". Und faum Hat fie fich von den Folgen des 
Sturzes einigermaßen erholt, jo ſchnürt fie ihr Bündel und zieht 
ihm nach. Was fie an feine Schritte fefjelt, das weiß fie ſelbſt 
nicht. „Mein hoher Herr, da fragjt du mich zuviel," antwortet 
jte ihm auf diefe Frage. 

„Und läg' ich jo, wie ich vor dir jeßt liege, 

Bor meinem eigenen Bewußtjein da: 

Auf einem goldnen Nichtjtuhl laß es thronen, 

Und alle Schreden des Gewiſſens ihm 

In Flammenrüſtungen zur Seite ſtehn; 

So ſpräche jeglicher Gedanke noch 

Auf das, was du gefragt: ich weiß es nicht.“ 
Kein Wunder alſo, wenn ihr beſtürzter Vater den Grafen der 
Verbrüderung mit dem Satan anklagt. — Wir kennen den Grund 
ihrer rätſelhaften Anhänglichkeit, jenen Traum, in welchem ihr 
Graf Wetter durch einen Cherub zugeführt ward, und den ſie erſt 
in der Scene unter dem Hollunderbuſche dem Grafen unbewußt 
enthüllt. Was alſo Theobald für die erſte Begegnung mit Wetter 
hält, iſt im Grunde eine Wiederbegegnung. Jene Viſion aber hat 
ihr, um die Worte Du Prels zu gebrauchen, „eine Suggeſtion 
zurückgelaſſen, deren Quelle ihr unbewußt geworden, der gemäß 
ſie aber ſich verhalten muß, wie es bei einem poſthypnotiſchen 
Befehle der Fall iſt.“ Die Unwiperjtehlichfeit des magnetischen 
Napportes, der fich bei der von Theobald gejchilderten Begegnung 
geltend gemacht hat, jteigert fich dann beim Fortreiten des Grafen 
bis zur „phyſiſchen Anziehung“. Und nun folgt fie ihm, „tie 


1) Auch Dttilie in den „Wahlverwandtichaften“ ftürzt bei ihrer Ankunft 
vor Charlotte nieder (a. a. O. 15, 58), auch fie hat eine eigene Art, die flachen 
Hände gegen die Bruft zu führen (©. 57). Shre übertriebene Dienftfertigfeit 
Männern gegenüber, wird ihr von Charlotte verwiefen (S. 60). Käthehens 
Fenfterfturz hat ein Analogon in dem Fenfterfturz der Dienerin Ottiliens (©. 244). 
Ueber Ottilies „magnetische Veranlagung fiehe ©. 206 ff. 


Sp. Wufadinovid, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn“. 17 


ein Hund, der von feines Herren Schweiß gefojtet." Vergebens 
die Bemühungen der heiligen Vehme, des Vaters und des Grafen 
jelbjt, diejes Rätſel zu löjen. Auch in diefer ziveiten Scene, in 
welcher Käthchen vor die Nichter tritt, läßt fich der ſomnambule 
Zug verfolgen. Wie jie den Grafen Wetter erblickt, jtürzt fie vor 
ihm nieder. Niemandem außer ihm jteht fie Nede, wie die Somnam— 
bule nur den antwortet, der im Rapport mit ihr jteht. So bleibt 
den Richtern nichts übrig, als dem Angeklagten ſelbſt das Verhör 
zu überlafjen, das fich nun wieder bezeichnend geftaltet. 
Gr. v. Strahl. Was hab’ ich div einmal, du weißt, gethan? 
Was ijt an Yeib und Seel’ dir widerfahren ? 
Käthchen. Wo? 


Gr. dv. Strahl. Da oder dort. 
Käthchen. Wann? 

Gr. v. Stradl. Jüngſt oder früherhin. 
Käthchen. Hilf mir, mein hoher Herr. 

Or. v. Strahl. Ja, ich dir helfen, 


Du wunderliches Ding — (Er hält inne.) 

Befinnft du dich auf Nichts? 
Und nun muß der Graf Stüd für Stüc von dem, was er hören 
will, aus ihr herausbringen, wie das beim magnetischen Verhör 
zu gejchehen pflegt. Er wird freigefprochen, aber das Nätjel bleibt 
allen ungelöst. Erſt in jener Scene unter dem Hollunderbufche 
wird der Schleier gelüftet. Käthchen jchläft und hat die Augen 
fejt gejchlofjen, giebt dies aber nicht zu. Sie gejteht ganz frei, 
daß fie dem Grafen „von Herzen” gut jei, — ja noch mehr: fie 
jieht nun in jein eigenes Innere, und fie, die früher froh war, 
wenn der hohe Herr fie nur nicht jchlug,!) erzählt ihm nun: 
„O Schelm! Verliebt ja wie ein Käfer bijt du mir.“ Auch auf 
dieje Vertraulichkeit in der Anjprache, gegenüber dem ſonſtigen 
„Mein hoher Herr!" weit Du Prel als den Erfahrungen bei 


1!) In den „Unterhaltungen“ (Hempel 16, 57) nimmt der Hausherr „Die 
größte Hetspeitiche von der Wand“, und ſchwört, daß er das Mädchen bis auf 
den Tod prügeln wolle. Vgl. Käthehen III, 6: „er nimmt die Peitfche von der 
Wand”. Sollte dadurch Kleift auf die wenig vitterliche, wiederholt erwähnte 
Peitihe gefommen fein? 

Euphorion IT., Ergänzungsheit. 2 


18 Sp. Wufadinovic, Ueber Kleift 3 „Käthchen von Heilbronn“. 


Somnambulen entnommen hin. Aber die Schlafende weiß noch 
mehr: „Zu DOftern, über’s Jahr, wirſt du mich heuern," jagt fie 
mit einem Blick in die Zufunft; und als der Graf fragt, wer ihr 
das gejagt, jteigt in ihr plöglich die Erinnerung an jene Viſion 
in der Sylvejternacht auf, die ihr abhanden gefommen war, „weil 
das ſomnambule Bewußtjein im Erwachen latent wird”, und der 
Graf erfährt hier endlich, was er jo lange jchon wifjen will, und 
noch mehr als das. Käthchen erivacht, — und ziwar, wie Somnam— 
bule, erinnerungslos. 

Wir jehen aljo, daß Stleijt jich mit dem Somnambulismus 
gründlich vertraut gemacht hatte. Aber wir dürfen uns nicht damit 
begnügen, die Ergebnifje der heutigen Forſchung auf das Stück 
anzuwenden. Wir müſſen unterjuchen, was dem Dichter zu jener 
Zeit an Hilfsmitteln zur Verfügung jtand, was ihm davon befannt 
war, und werden dann gegebenfall3 zu ermitteln trachten, welcher 
bejondere Fall ihm etwa eine Anregung für die Gejtaltung Käth- 
chens geboten haben konnte. 

Sm letzten Biertel des vorigen Sahrhunderts war Mesmer 
mit der Theorie des „thierifchen Magnetismus" aufgetreten, die 
von Puijegur durch die Yehre vom „Somnambulismus" weiter ent- 
wickelt wurde.) SHufeland (Teutjcher Merkur 1780, abgedruckt 
Aufſätze zur Beförderung der Gejundheit 1794, ©. 3) war der 
Erſte, der dieſe anfangs auf viel Widerjpruch ſtoßende Lehre der 
allgemeinen Beachtung empfahl. Lavater Folportierte fie zunächit 
nach Karlsruhe, dann nach Bremen, beidemal mit großem Erfolg. 
sn Karlsruhe gab 3. 2. Böckmann ein „Archiv für Magnetismus 
und Somnambulismus" (Straßburg 1787/88) heraus, in Bremen 
wurden u. A. Wienholt („Heilkraft des thierijchen Magnetismus", 
3 Zeile 1802/6) und Heinecken („seen und Beobachtungen des 
thieriichen Magnetismus" 1800) eifrige Apoſtel diejer zwiſchen 
Naturphiloſophie und Medizin ſich in der Mitte haltenden Lehre. 


!) Für das folgende vgl. Hirſch, Geſchichte der medizinischen Wiffenjchaften 
in Deutfchland, München und Leipzig 1893, ©. 467 ff. Fund, Der Magnetis- 
mus und Somnambulismus in der Badifchen Markgrafichaft, Freiburg i. B. 
umd Leipzig 18594. 


Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn“. 19 


Bon Karlsruhe wanderte die Entdeckung Mesmers nach Heilbronn, 
wo Eberhard Gmelin (1751—1809) jeine Wunderfuren verrichtete 
und auch theoretifch für die Berbreitung des Mesmerismus zu 
wirfen juchte. (Unterfuchungen über den thieriichen Magnetismus 
1787/89, Materialien für die Anthropologie 1791/95).!) Die 
Ergebniffe der Unterfuchungen Heineckens und Gmelins verwertete 
Gotthilf Heinrich Schubert in feinen im Winter 1807 auf 1808 
in Dresden gehaltenen Borlejungen, die dann in Buchform als 
„Anfichten von der Nachtjeite der Naturwiſſenſchaft“ (1808) 2) er- 
Ichienen. Schon in der Schweiz, wo jein Freund Zichoffe,’) ein 
gründlicher Kenner des Somnambulismus, war, ihn auch literarifch 
verwertete und jelbjt jomnambule Anlagen beſaß (Du Brel a. a. D.), 
mochte Kleiſt fich mit diefem Problem bejchäftigt haben. Aber 
erjt in Dresden, wo Kleiſt gewiß Schuberts Borlefungen bejuchte, 
oder twenigjtens dejjen genanntes Werk jtudierte, und durch den 
perjönlichen Verkehr mit diefem myſtiſchen Naturphiloſophen tief- 


1) Heilbronn jcheint damals ein Centrum der neuen Heilmethode gewesen 
zu fein. Eine Landvögtin aus Arberg, Madame Tichiffeli, brachte fie dorthin. 
Neben Gmelin magnetifierte dort ein Dr. Weber (Fund ©. 21 ff.), ferner „ein 
franzöfifeher chirurgien Major“ (Gmelin, Ueber den thierifchen Magnetismus, 
Tübingen 1787, ©. 75) und viele Laien. Dies, ſowie der Umftand, daß Heil- 
bronn damals noch ein durchaus mittelalterliches Gepräge hatte (Goethe, Schweizer- 
reife, Hempel 26, 59), und die poetiiche Tradition, die vom erſten deutſchen 
Nitterftücke auf Kleift noch herüberwirken mochte, konnte maßgebend geweſen fein 
Heilbronn zum Schauplat der Handlung zu machen. Gmelins Schriften, auf 
die Kleift durch Schubert (fiehe das folgende) gekommen fein konnte, bieten feine 
Anhaltspunkte für das Kleiftifhe Drama. Auch der von Schubert aus Gmelin 
herübergenommene und mit merfwürdiger Cinmütigfeit und Beharrlichkeit in 
allen Aufſätzen über das Käthehen citierte Fall von der Heilbronner Rathsherrn— 
tochter hat, außer dem Allgemeinen des Somnambulismus, mit dem Drama gar 
nichts gemein. Auf Uebereinftimmungen mit Goethes Götz iſt Schon von anderen 
Seiten vielfach hingewieſen worden. 

2) „Naturwiſſenſchaft“, nicht „Naturwiſſenſchaften“, wie die meiften Kleiſt— 
Forſcher fchreiben. 

>) Zichoffes Novelle „Die Verklärungen“, die Weißenfels (Ueber franzöfifche 
und antife Elemente im Stil Heinrich v. Kleifts. Braunfchweig 1888, ©. 6 
Anmerkung) mit Kleiſts Drama verglichen hat, ift erſt 1814 erſchienen (vergleiche 
Goedeke, Grundriß 3, 670) und kommt daher hier nicht in Betracht. 

2* 


20 Sp. Wufadinopic, Ueber Kleifts „KRäthehen von Heilbronn“. 


gehende Anregungen empfieng, die noch in jpäteren Dichtungen ihre 
Spuren hinterlaffen, — erſt jeßt wurde Kleiſt dauernd für den 
Sommambulismus interejjiert und eignete fich jene gründliche Kennt— 
nis aller Einzelheiten an, die wir im „Käthchen“ zu beobachten 
Gelegenheit hatten. 

In dem erwähnten Buche Schubert werden, wie jchon der 
Titel bejagt, jene Gebiete menjchlichen Erfennens bejprochen, in 
welche die Forichung noch nicht einzudringen vermochte. Dabei 
werden die Grenzen menschlicher Erfenntnis nicht gerade eng ge— 
zogen, denn der Verfaſſer jteigt von der Höhe des Fixſternhimmels 
bis hinab in die tiefjten Tiefen der menjchlichen Seele. — Bon 
dieſer wird in den zwei le&ten Vorlefungen gehandelt, und zivar 
nimmt der Magnetismus naturgemäß die Hauptjtellung ein, aber 
auch andere Abnormitäten des Seelenlebens werden nebenher ge— 
jtreift. — Sehen wir nun, wie Schubert jich dem Phänomen 
gegenüberjtellt, das jtch ung in der Traumfcene darbietet. Er jagt 
einmal im Verlaufe feiner Ausführungen: „So iſt denn auch zu— 
weilen die Liebe des Gejchlechts, wenn fie in Berhältnijjen auf- 
wacht und recht lebhaft wird, wo ſie bloß innere heftige Neigung 
bleiben muß; wo fie das, was fie verlangt, nicht erreichen fann, 
mit geijtigen Erjcheinungen verbunden, welche ein ungeübter wohl 
jchtwerlich alS das erfennen würde, was jie doch eigentlich jind. 
Zuftände der Ekſtaſe und der höchſten Begeijterung, in denen Die 
arme, Franke Perſon in erhabenen Bildern und Worten, geijt- und 
ſinnvolle Dinge ausspricht, welche fich jehr Häufig in das Licht- 
gewand religiöjer Wahrheiten einhüllen; Zuſtände, welche auch in 
Hinficht des Borauswiljens Fünftiger oder jonjt verborgener (dem 
Raume nach entfernter) Begebenheiten jenen des magnetischen Hell— 
jehens gleichen, in vielen anderen Beziehungen diejes noch über- 
treffen, zeichnen die merfivürdige Seelenfranfheit aus, von welcher 
hier die Rede ijt. Sie treten plößlich ein, jcheinbar ohne alle 
Veranlafjung, meijtens jedoch in der Nähe des die Attraktion er- 
vegenden Gegenjtandes, oder bei Veranlafjungen, welche jene innere 
Anziehung heftig aufregen. Bei dem Erwachen aus jenen Zujtänden, 
weiß die franfe Perſon, ebenjo wie die wieder ins gewöhnliche 


Sp. Wukadinovié, Ueber Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“, 21 
Leben eriwachte Somnambüle nichts mehr von allen dem, was jte 
in höchſter Begeijterung gethan und gefprochen." (Dresden 1827, 
©. 270 f.) 

Die Uebereinftimmung diefer Darlegungen mit Kleiſts Scenen 
iſt auffallend. Käthchen befindet ſich in derjelben Yage, die als 
Grundbedingung für jene eigentümliche pſychiſche Erjcheinung ge- 
fordert wird. Der Graf nimmt ihr das Berjprechen ab, ihn nicht 
mehr zu verfolgen. Sie verjpricht es und Fällt in Ohnmacht. Sie 
will ins Kloſter, dann Doch wieder zurück nach Heilbronn, den 
Grafen vergefjen und den heiraten, den ihr der Vater bejtimme. 
Aber eine merkwürdige Berfettung von Zufällen führt fie nach 
Schloß Wetterjtrahl, und wieder ruht jie unter jenem Hollunder- 
jtrauch, wo fich der Zeifig das Neſt gebaut hat, am Hang des 
Felſens, und ermüdet jchläft fie ein. Und als nun der Geliebte 
in ihre Nähe fommt, er, den fie meiden joll, da tritt, ſcheinbar 
ohne alle Beranlaffung, jener Zuſtand ein, von welchem Schubert 
berichtet, und in dem fie prophetijch in die Ferne fieht. Kein 
Zweifel, daß Kleiſt aus diejer Quelle gejchöpft hat. Nun fragt 
es ſich aber noch, auf Grund welcher Erfahrungen des praktischen 
Lebens Schubert die obigen Süße theoretisch formuliert hat. Darüber 
läßt er ung nicht im Zweifel. Er verwetit ſelbſt auf „ein älteres 
Buch, worinnen ſich manche wahrhafte Begebenheiten der Art 
finden," Stillings „Iheobald oder die Schwärmer“, (Leipzig 1784 
bis 1785 = Sümmtliche Schriften, Band 6, Stuttgart 1837) — 
und hier jtehen wir vor einer neuen Quelle Stleijts. 

Stillings Roman iſt ein Tendenzroman: eine Gejchichte, und 
zivar eine „wahre“ Gejchichte der Schwärmerei im vorigen Jahr— 
Hundert mit dem Zwecke, zu zeigen, „daß der Weg zum wahren 
zeitlichen und ewigen Glück zwiſchen Unglauben und Schtwärmerei 
mitten durchgehe“. Allerdings kommt über diefer Abficht das 
Poetiſche jchlecht weg. Schon das Bejtreben nichts als die Wahr- 
heit zu jagen, und noch mehr die Menge von Materiab, die um 
den einen Helden gruppiert wird, hindern eine Ddichterifche Ver— 
arbeitung. Nach feiner Technik könnte man den „Theobald“ Stillings 
als Familienroman bezeichnen. Dev Verfaſſer begnügt ich nicht 


22 Sp. Wukadinovié, Leber Kleifts „Käthchen von Heilbronn“, 


damit, die Schiekfale des Helden von dejjen Geburt an zu jchildern, 
jondern er geht bis zur Lebensgefchichte des Großvaters zurück. 
Hans Theobald ijt ein ehrjamer Bauer auf einem Dorfe bei Hoch- 
born, — Theobald Friedeborn ift der Name des Waffenjchmiedes 
von Heilbronn. Aber die Uebereinſtimmung beſchränkt fich nicht 
nur auf die Namen. Theobald ijt eine durch und durch vechtliche 
Natur, ex giebt dem Kaiſer was des Kaiſers und Gott was Gottes 
ift, und befümmert fich weiter um nichts. Die Bibel, aus der er 
täglich vorliest, it ihm der Inbegriff aller Weisheit. Mit Vor— 
liebe ergeht ex ſich in biblijchen Redewendungen, wie fein Namens— 
vetter bei Kleiſt. Als Hochmann auch in jenes jtille Thal mit 
feiner neuen Heilslehre jiegreich eindringt, zieht ev ſich durch feine 
ablehnende Haltung die Mißbilligung des ganzen Dorfes zu. Seinem 
Sohne Dietrich, auf den die Nachrichten über Hochmannn tiefen 
Eindruck machen, weiß er nur mit Kopfjchütteln zu jagen: „Du 
haft ja den Schab des Wortes Gottes im Haufe, jagt dir der 
neue Apojtel etwas Anders, jo ijt er ein Lügner, und jagt er das 
Nämliche, nun jo brauchit du ihn nicht zu hören, jo kannſt du's 
jelber leſen.“ Recht bezeichnend fiir diefen in engjtem Anjchauungs- 
freife aufgewachjenen, aber durch und durch biedern Mann aus 
dem Bolfe. Aber er läßt den Sohn ziehen, und nun erwächjt 
ihm die einzige Aufregung in jeinem jonjt eintönigen Leben: er 
gerät in einen Sonflift, der mit dem von Käthchens Vater einige 
Hehnlichkeit hat. Der Bauernjohn Dietrich verliebt ſich nämlich 
in ein adeliges Fräulein, das er in jenen pietiſtiſchen Sitzungen 
fennen gelernt hat, und will ſie hinter dem Rücken jeines Vaters 
und ihrer Verwandten heiraten. Alſo dasjelbe Motiv der Miß— 
heirat, nur mit Umkehrung der Öejchlechter, twie wir es im Käthchen 
angedeutet finden. Der Bater nimmt das Ereignis nicht ruhig Hin. 
„Dei! ihr nichtsgutige Weißnaſen, wollt flüger und frömmer jeyn, 
als der große Gott da droben im hohen Himmel," äußert er ich 
einem Freunde Dietrichs gegenüber, mit derfelben Vorliebe für 
derbe, volkstümliche Ausdrücke, wie fie den Reden des Heilbronner 
Waffenfchmiedes eigen ift. „Da ift nun meinem Dietrich der Kopf 
verdreht; da dünkt er ſich nun viel bejjer als fein alter Vater; 


Sp. Wufadinopic, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn“, 23 
glaubt, er ſäß droben, unferm lieben Herrn Gott zu Füßen, und 
hängt jich an eine adeliche Jungfer.“ „Ich bin alt und grau 
geivorden, und das mit Ehren" xuft er aus, jo wie Stäthchens 
Bater auf jeine „drei und funfzig Jahre“ pocht. „Sue! mein 
Sunge hat ſich nun für fein Lebtag verlappert, Der Fehler kann 
nicht mehr geändert werden! das heißt, wenn er jte friegt, Die 
Fröle“ u. j. w. Aber das Ganze nimmt eine bequeme Wendung 
zum Guten, das Fräulein verzichtet auf alle Vorrechte ihrer Stellung 
und wird jchlichte Bauersfrau, ihr Bruder ift damit einverjtanden, 
und die beiden Eheleute führen nun nach Rouſſeauſchem Rezepte 
ein glückliches Dafein. hr ältefter Sohn ift Samuel Theobald, 
der Held des Romanes. Er wird frühzeitig einem Bietijten zur 
Erziehung übergeben, entflieht aus dem Haufe des Erziehers in 
einen einfamen Wald, fommt in eine Köhlerhütte,!) verliert aber 
bald den Gejchmaf am Einfiedlerleben und kehrt zurüc, macht 
eine abentenerreiche Jugend durch und bezieht endlich die Univerfität 
Altdorf, um Medizin zu jtudieren. Hier lernt er eines Tages auf 
einem Spaziergange eine Witwe mit ihrer Nichte, Sannchen Blond, 
fennen. Samuel Theobald, dem die beiden Damen, bejonders die 
Süngere, jehr gut gefallen, wird mit der Zeit näher mit ihnen 
befannt und gelangt zulegt zum Entjchluffe Sannchen zu heiraten. 
Seit jenem Spaziergange aber geht mit Sannchen eine merkwürdige 
Veränderung vor. Sie wird ſtill und in jich gekehrt. Die Urſache 
hievon weiß jie auf Befragen ihrer Tante nicht anzugeben. Bald 
darauf hat fie einen viftonartigen Traum, in welchem Ehrijtus und 
Satan um ihre Seele jtreiten. Diejer regt fie jo auf, daß ſie 
an einem jtarfen Fieber erfranft. Theobald wird an ihr Lager 
gerufen. Demütig empfängt ihn die Stranfe: „Sch armer Wurm, 
ich jündhaftes Gejchöpf, bin nicht werth, daß mich ein jolcher Mann 
bejucht.* Nach acht oder zehn Tagen zeigt jich ihr Zuſtand in 
ganz neuem Lichte. Sie gerät in eine Erjtarrung des ganzen 





1) Die Scene: Köhlerhütte im Gebivg (II, 4) jeheint mir eher aus der 
Tradition des Nitterdramas als aus Stillings Roman genommen, (Vgl. Brahm, 
Das deutſche Ritterdrama, ©. 157). 


24 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn“. 


Körpers, „ſie lag auf dem Rücken, und hatte die Hände auf der 
Brust gefalten,” und hat nun ausgejprochene Viſionen religiöfer 
Matur, die fich von nun an täglich um diefelbe Stunde wieder- 
holen. ach einer jolchen, die bejonders feierlich war, erklärt fie, 
Jeſus werde fie dieſe Macht beſuchen und ihr etwas jehr Wichtiges 
jagen. Theobald und die Tante bleiben auf ihren Wunfch wach. 
Mach Mitternacht, als die Viſion vorüber, erfährt Theobald, daß 
das Vorausgejagte richtig eingetroffen je. Da „empfand er eine 
tiefe Nührung in feiner Seele” umd jagt lächelnd: „Madmotjelle, 
ich weiß es, was Ihnen der Herr Jeſus gejagt hat." „Wiffen 
Sie's?“ „Sa, ich weiß es, wir jollen uns heirathen, hier ijt meine 
Hand!" Hier ijt es aljo Chriſtus jelbit, der ihr den Bräutigam 
zuführt, wie den Grafen von Strahl ein Cherub in Käthchens 
Kämmerlein führt, nachdem fie Gott den Abend zuvor gebeten, ihr 
den Bräutigam im Traume zu zeigen. Bald trennen fich die jo 
jeltfam Berlobten, Sannchen kehrt ins Elternhaus zurüc und ver- 
fällt dort wieder in den alten Schiwermut, gegen den Fein Mittel 
helfen will. Endlich gelingt es einem ehrivirdigen Landpfarrer, 
Sannchen zur Entdeefung ihres Geheimnifjes zu bewegen, er über: 
nimmt die Bermittlung zwijchen Theobald einerjeits und Sannchens 
Eltern andererjeits und gelangt zu dem Schlufjfe, „daß ſich beide 
junge Leute heirathen müßten, oder Sannchen würde darüber zu 
Grunde gehen." Die Hochzeit wird ohne Geräusch vollzogen, und 
Sannchen iſt geheilt.) Sch habe mich bei der Darlegung der 
Beziehungen zwijchen Stillings Roman und Kleiſts Drama länger 
aufgehalten, als dies vielleicht unbedingt nötig jcheinen könnte, 
damit man jehe, wie Kleiſt feiner Quelle gegenüber jelbjtändig 
verfahren ift. Es unterliegt feinem Zweifel, daß er bedeutende 
Elemente feiner Dichtung aus diefem Romane genommen hat, aber 


) Aus dem weiteren Verlaufe des Romanes wäre nur noch erwähnens- 
wert, daß Samuel Theobald wegen Zauberei und ſchwarzer Künfte angeklagt, 
und fogar beſchuldigt wird mit dem Teufel in Verbindung zu ftehen, was Kleift 
veranlaßt haben konnte, feinen Theobald diejelben Anſchuldigungen gegen Wetter 
erheben zu laffeı. 


Sp. Wufadinovic, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.“ 25 


er hat fie in einen ganz anderen Zujammenhang gebracht und in 
ein ganz anderes Licht gejtellt, jo dal fie als etwas Neues und 
Selbjtändiges erjcheinen. Der wichtigjte Zug, den das Käthchen 
von Sannchen neben anderen erhalten haben kann, jcheint mix der, 
daß fie nur in der Nähe des Geliebten jich wohl fühlt, von ihm 
getrennt aber in einen Zuftand von Schwermut verfällt. Theobald, 
der ohne Zweifel Berührungspunfte mit dem alten Hans Theobald 
des Romanes hat, übernimmt gleichzeitig die Rolle des Dorfpfarrers, 
wenn er es wagen will, den Grafen um ein noch jo bejcheidenes 
Bläschen für feine Tochter in deſſen Nähe zu bitten, und hinzu- 
fügt: „Es ijt beſſer, als daß fie vor Gram vergehe" (II, 1). 
Die Bilton hat Kleiſt ihres religiöjen Charakters entkleidet, wenn— 
gleich die Lichtgeftalt des Cherubs noch an das Urbild bei Stilling 
erinnert. Bielleicht tft auch der Eherub, der Käthehen beim Ein- 
jturz des brennenden Schlofjes beſchirmt (III, 14), auf Rechnung 
der religiöfen Viſionen im „Iheobald" zu ſetzen. Jedenfalls bildet 
diefer Roman eine Quelle für die traumhafte Viſion Käthchens, 
und hat, wenn er fie nicht direft veranlaßt hat, jo doch zu ihrer 
realen Ausgejtaltung wejentlich beigetragen. 

Kehren wir nun wieder zu diefer Scene unter dem Hollunder- 
jtrauche zurück. Bonafous (©. 248) nennt fie die Hauptjcene des 
Stücks. Von ihr aus verbreitet jich ja auch Klarheit über vieles, 
was dem Zuhörer und den handelnden Perſonen bisher dunfel 
gemwejen war. Daß fie zu den Teilen des Dramas gehört, an die 
Kleiſt zuerjt gedacht, jucht Brahın (©. 264) nachzuweijen. Nach 
ihm hätten dem Dichter, der vor allem auf die Charafteriftif aus- 
gieng, und dem daher von Anfang an die Hauptfiguren deutlicher 
vor Augen jtanden, als das Gefüge der Handlung, zuerjt „die hell 
beleuchteten Gipfel der Dichtung” vorgejchwebt, nämlich die Feuer— 
probe, der duftende Hollunderbujch, und das Gepränge des Hochzeits- 
zuges mit Käthchens Erhöhung, Stunigundens Demütigung. Für 
die erjte diefer Scenen, die nichts als eine Weiterführung jener 
Wafjerprobe it, und für die leßte, die durch Hereinziehung von 
Motiven des Nitterdramas und des deutjchen Märchens dramatifch 
gehoben wird, läßt jich die angeführte Ballade vom Grafen Walter 


26 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.“ 


jofort hevanziehn, für die Traumſcene verjagt fie gänzlich. Aber 
ich glaube auch nicht, daß die Ausführungen Schuberts und der 
Stillingiche Theobald die Traumfcene unmittelbar hervorgerufen 
haben, obwohl fie ja Hilfen dafiir dem Dichter boten. 

Mir ſcheint vielmehr, daß Kleijt für jeine wichtigjte Scene 
bereits ein Modell gehabt hat, als ex noch nicht daran dachte, den 
Somnambulismus in jein Stück einzuführen, ein Modell vielleicht, 
daß geeignet war, ihn erjt auf dieje dee zu bringen. Das würde 
der Arbeitsweije Kleiſts vollfommen entjprechen. Kleiſt liebte das 
Seltjame, Außergewöhnliche. Mit Recht weilt Bonafous (©. 412) 
darauf Hin, daß die Frage: „Ward, jeit die Welt jteht, jo etwas 
erlebt?“ bei Stleift in den verjchiedenjten Geſtalten iwiederfehrt. 
Dieje Vorliebe für das Seltjame leitete ihn auch bei der Wahl 
jeiner Stoffe. Entiveder griff ex einen von Haus aus merkwürdigen 
Stoff auf, oder er juchte einen einfachen zu einem merkwürdigen 
Problem umzugejtalten. Den legteren Vorgang haben wir gegen- 
über der Ballade vom Grafen Walter bereits beobachten Fünnen. 
Aehnlich hat er beifpielsweife in der „Marquife von DO..." 
(wenn wir mit Brahın und Bonafous Montaignes Erzählung als 
die Quelle annehmen wollen) einen ganz rohen Stoff in ein Gebiet 
hinübergeleitet, von dem, wie Dtto Ludwigs Novelle „Maria“ 
zeigt, zum Somnambulismus nur ein Schritt war. Das alles 
wird uns berechtigen, auch für die Traumfcene eine Quelle anzu— 
nehmen, zu welcher der Somnambulismus als etwas Sefundäres 
hinzugefommen ijt. Eine jolche glaube ich num in einer englifchen 
Ballade (Ramſays Tea-table miscellany 2,25) gefunden zu haben. 
In England jcheint dieſe jehr beliebt gewejen zu jein (DVergl. 
Herder, Von deutjcher Art und Kunft, Suphans Ausgabe 5,163); 
daß fie es auch in Deutfchland war, beweiſen die Ueberjegungen 
von Herder (Heinrich und Kathrine, a. a. DO. 25,166) und Ejchen- 
burg (Lord Heinrich und Käthchen, Leipziger Muſenalmanach 1776, 
©. 115, abgedruct Urſinus, Balladen, Berlin 1777). Da beide 
dem Inhalte nach vollfommen übereinjtimmen, lafje ich wegen des 
darin vorfommenden Namens „Käthehen" lieber die Ejchenburgs 
folgen: 


Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.“ 27 


Sord Heinrih und Käthhen. 


Eine Romanze nach dem Englifchen. 





In England war vor langer Zeit 
Yord Heinrich wohl befannt, 
Kein Nitter, ihm an ae gleich, 
War durch das ganze Yand. 
Für Ehre nur, durch Veut erkämpft, 
Entbrannten jeine Triebe, 
Und feines Mädchens Reiz bewog 
Sein faltes Herz zur Liebe. 


Ein jehön ves Sind, als Käthchen, ward 
Im Dorfe nie gejehn; 
Der Morgen ift jo heiter nicht, 
Die Roſe nicht jo ſchön. 
Ihr Stand war niedrig; doch vermocht 
Sie jeden zu entzücen; 
Stein Jüngling, der jie jah, entgieng 
Der Macht in ihren Blicken. 


Doch matt wird bald des Auges Olanz, 
Die Wange welf und bleich, 
Und all ihr Liebreiz ſtirbt dahin, 
Nicht mehr fich jelber gleich ; 
Stein Mittel Hilft, und Niemand weil 
Den Urjprung ihrer Blage; 
Mit Seufzern, Thränen, kurzem Schlaf 
Verlebt ſie Nächt' und Tage. 


Einmal im Traume ſchrie fie laut: 
Ach Heinrich! ich vergeh! 
Berlafines Mädchen! — — O! daß ich 
ie meine Qual gejteh 
Das iſt der armen Mädchen Pflicht, 
Die Wahrheit zu verjtecen, 
Eh will ich jterben taufendfach, 
Als meine Lieb’ entdecken. 


Und eine Freundin hört ihr zu, 
Und lief zu Heinrichs Haus; 
Yun, Mylord, ſprach jie, haben wir, 
Was Käthchen quält, heraus. 


28 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.“ 


Noch Feiner wußte, was jo jehr 

Das arme Kind betrübe; 

Sie ſagt's im Traum, und liegt nun da, 
Und jtirbt — für Sie aus Yiebe! 





Und in des edeln Heinrichs Herz 
Drang Lieb' und Meitleid ein. 
Unglüclich Mädchen! vief er aus; 

Doch ift die Schuld nicht mein. 

Zu blödes Sind! o! wenn ich je 

Dein Herz erraten hätte! — — 

Ich rette Di” — — Und, wie ein Pfeil, 
Flog er zu ihrem Bette. 

Wach auf! jo vief ex, liebevoll, 
Wach auf! Div ruft Dein Freund. 
Hätt' ich Dein liebend Herz gefannt, 
Du hätteft nie geweint! 

Dein Heinrich ruft Div; fomm, laß ſich 
Dein Neiz aufs neu beleben! 
‚sch ſchütze vor Verzweifelung 
In meinem Arm Dein Leben. 
Sie hob, durch feine Stimm’ erweckt, 
Ihr ſinkend Haupt, blickt‘ auf 
. Zum längjt geliebten Jüngling hin, 
Und fuhr vom Yager auf, 
Und rief, indem ſie jeinen Hals 
Dit brünjtgem Arm umfaßte: 
„Du willft mich lieben? — willſt Du das, 
Dein Heinrich?“ — und erblaßte. 


Hier wie bei Kleiſt ein jtolzer Adeliger, hier wie dort ein Mädchen 
niederen Standes, das dieſen liebt, aber Scheinbar ohne Erwiderung. 
„Ein ſchön'res Kind, als Käthehen, ward im Dorfe nie gejehn,“ 
heißt es in der Ballade; und ähnlich jagt bei Kleiſt Theobald 
von jeiner Tochter: „Ein Wejen von zarterer, frommerer und 
und lieberer Art müßt ihr euch nicht denken." Daß fie jeden zu 
entzücten vermochte, wird vom Käthchen der Ballade ausgejagt, 
und bei Stleijt heißt es: „Vettern und Bajen, mit welchen die 
Verwandtjchaft jeit drei Menfchengejchlechtern vergefjen worden war, 
nannten fie auf Stindtaufen und Hochzeiten ihr liebes Mühmchen, 


. 





Sp. Wukadinovié, Ueber Kleiſts „Käthchen von Heilbronn.“ 29 


ihr liebes Bäschen; der ganze Markt, auf dem wir wohnten, 
erfchien an ihrem Namenstage und bedrängte jich und wetteiferte 
ſie zu bejchenfen; wer fie nur einmal gejehen und einen Gruß im 
Borübergehen von ihr empfangen hatte, jchloß jte acht folgende 
Tage lang, als ob jie ihn gebefjert hätte, in jein Gebet ein.“ 
„Kein Jüngling, der ſie jah, entgieng der Macht in ihren Blicken,“ 
hören wir in dem Gedichte weiter, und Theobald erzählt, daß 
num jchon „Fünf Söhne waderer Bürger, bis in den Tod von 
ihrem Werthe gerührt," um die Fünfzehnjährige angehalten, und 
daß die Nitter, die durch die Stadt zogen, „weinten, daß jie Fein 
Fräulein war". Doch bald trübt jich der Glanz ihres Auges, 
und ſie welft dahin. „Sein Mittel Hilft, und Niemand weiß den 
Urjprung ihrer Plage”, wird hinzugefügt, und ebenjo berichtet 
Theobald: „Kein Menfch vermag das Geheimniß, das in ihr 
waltet, ihr zu entlocen." Und nun verrät das Käthchen der 
Ballade jein Geheimnis unfreiwillig im Traume, ſowie wir bei 
Stleijt die Löſung des Nätjels erit aus dem Munde des Fchlafenden 
Käthehens vernehmen. Da wird denn auch das Falte Herz Lord 
Heinrichs von Liebe gerührt und er eilt an das Yager der 
Schlafenden, wie wir auch beim Grafen von Strahl eine völlige 
und bleibende Umjtimmung erſt von der Traumfcene an fejtjtellen 
fünnen. Hier hatte Stleijt etivas, was von dem Hergebrachten 
abwich. Ein Weib, das dem anne feine Liebe gejteht, und 
noch dazu ohne es zu wollen gejteht, das war in der That etwas 
Neues, „ein ſeltſamer Vorfall." Wenn Kleiſt nicht jchon früher, 
dem Geiſte jeiner Zeit folgend, auf den Gedanken verfallen war, 
Käthchen zur Somnambule zu machen, jo lag es jeßt jehr nahe, 
der Liebe Käthchens einen Zug des Unfreiwilligen, Geheimnis- 
vollen zu verleihen. Dann hätte fich aljo exit von diefer Traum- 
jeene aus das jomnambuliftiiche Element über das ganze Stück 
verbreitet. Daß es nicht von allem Anfang an beabjichtigt war, 
jcheint mir aus dieſer Scene jelbjt deutlich hervorzugehen. Käthchen 
jchläft bereits, als der Graf auftritt. Wollen wir nun ihren Schlaf 
als einen Hypnotijchen betrachten — (und das müfjen wir nach dem 
früher Gejagten) — jo jteht diefe Thatjache mit den Erfahrungen 


30 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.” 


auch der damaligen Wifjenjchaft in direftem Widerſpruch. Mean 
fönnte eimvenden, daß es nach allen Geſetzen des Schönen unmöglich 
jei, den Grafen auf der Bühne die Manipulationen eines Hypnotijeurs 
ausführen zu laſſen. Gewiß; aber das wäre auch gar nicht nötig 
gewejen. Wir jahen jchon in der Vehmgerichtsjcene Käthchen unter 
dem Einfluffe einer hypnotifchen Suggejtion, ohne daß von einer 
magnetischen Eimjchläferung irgendivo die Rede wäre. Aber hier 
liegen die Dinge ganz anders. Käthchen erjcheint in der Berfammlung 
und fällt, da fie den Grafen erblickt, aufs Sinie. Man fannte ſchon 
zu Kleiſts Seiten jene Hypnoje, welche durch bloßen perjönlichen 
Einfluß, ohne jede Berührung ausgeübt wird,) umd mit einer 
jolchen hätten wir es dann im der DVehmgerichtsjcene zu thun. 
In der Traumfcene fann natürlich auch davon nicht die Rede fein. 
Daß Kleiſt aus Mangel an wifjenjchaftlicher Kenntnis des Problems 
fich diefen Widerjpruch Habe zu Schulden kommen lafjen, dürfen 
wir nach dem oben Ausgeführten nicht annehmen. So bleibt uns 
nur die Erklärung übrig, daß in dem Dichter das Bild jenes 
Traumes in der Ballade jo jtarf vorgeherrjcht habe, daß er den 
durch die ſpätere Hereinziehung des Somnambulismus jich ergebenden 
Widerjpruch entweder nicht merkte, oder (und das mit Necht) für 
poetifch erlaubt hielt. uch die Mitteilung Gottjchalts: „einmal, 
daß fie einen Schlaf hat wie ein Murmelthier; ziveitens, daß fie 
wie ein Kagdhund immer träumt, und drittens, daß fie im Schlaf 
ſpricht,“ Scheint miv aus der Erinnerung an jene Ballade hervor— 
gegangen zu fein. Wir hätten alfo, wenn meine Ausführungen 
richtig find, in der Ballade „Lord Heinrich und Käthchen“ das 
Mittelglied zivifchen der Ballade vom Grafen Walter einerjeits 
und Schubert und Stilling audererjeits zu erblicken, und zivar 
wahrjcheinlich diejenige Quelle, welche Stleift zur Einführung des 
Somnambulismus in feine Dichtung direft anregte.?) 
a) 9 Gmelin, Materialien für die Anthropologie 1, 204: „Nur allein da— 
durch, daß ich vor ihr ſtund, ſetzte ich fie in Kriſe“. Vgl. auch ebenda 1, 224, 
Fund ©. 21 ff. 

2) Allerdings könnte man ſich auch eine umgekehrte Ordnung der Ein- 
wirfungen, nemlich: Eſchenburg, Schubert, Stilling, Bürger denken, jo daß Kleiſt 
zuerst die Traumfcene ſomnambuliſtiſch umkleidete und dann bei Bürger paffendes 





a ———— 


Sp. Wukadinovié, Ueber Kleiſts „Käthchen von Heilbronn.“ 31 


Nun bleibt noch ein Punkt jener Traumſcene zu erörtern. 
Der Graf erinnert fich nämlich in derjelben Sylveiternacht den 
gleichen Traum gehabt zu haben, der auch in den Fleinjten Einzel- 
heiten mit dem Käthchens übereinjtimmt. Schon viel früher (IT. 9) 
hören wir die alte Haushälterin Brigitte davon erzählen. Dex 
Sraf -war nach einer „jeltjamen Schiwermuth, von welcher Fein 
Menſch die Urfache ergründen konnte“, an einem jchweren Nerven— 
fieber erfranft. Er wolle gern jterben, jo phantaftert er, denn das 
Mädchen, das fähig wäre ihn zu lieben, ſei nicht vorhanden. Da 
erjcheint ihm ein Engel und verjpricht ihm, in der Sylvejternacht 
ihn zu dem Mädchen zu führen. Und in dem Augenblice, da das 
Jahr wechjelt, jtarıt er, als ob er eine Erſcheinung hätte, ins 
Zimmer, „ſtreckt alle Glieder von fich, und liegt wie tot". „Wir 
horchten an feiner Bruſt“, erzählt die Alte, „es war jo till darin, 
wie in einer leeren Sammer. Cine Feder ward ihn vorgehalten, 
jeinen Athem zu prüfen: ſie rührte fich nicht. Der Arzt meinte 
in der That, fein Geiſt Habe ihn verlaffen; rief ihm ängjtlich 
jeinen Namen in’s Ohr; reizt’ ihn, um ihn zu erwecken, mit Ge— 
rüchen; veizt’ ihn mit Stiften und Nadeln, riß ihm ein Haar aus, 
daß fich das Blut zeigte; vergebens: er bewegte fein Glied und 
lag wie todt." Später aber eriwacht er wieder, und auf die Frage 
jeiner Mutter, wo er gewejen, verjeßt er mit freudiger Stimme: 
„Bet ihr, die mich liebt! bei der Braut, die mir der Himmel 
bejtimmt hat! geh, Mutter, geh, und laß nun in allen Kirchen für 
mich beten; denn nun wünſch' ich zu leben". Und von Stund an 
erholt er fich, und „ehe der Mond fich erneut, ift ex jo gejund 
ivie zuvor." Dieje Erzählung der alten Brigitte fehlt in der erjten 
Bearbeitung im „Phöbus“ gänzlich. An einen Doppeltvaum wird 
ziwar Kleiſt auch damals jchon gedacht haben, !) aber jedenfalls 
Material für die übrige Handlung fand. In welcher Reihenfolge Kleift mit 
jeinen Quellen befannt umd von ihnen angeregt wurde, wird eine offene Frage 
bleiben müſſen. 

1) Hier hatte Kleiſt ein literarisches Vorbild in Wielands Oberon. Rezia 
erfcheint dem träumenden Hüon (Oberon III. 58 ff.), Hüon der träumenden 
Nezia an der Seite Oberons, wie bei Kleiſt der Cherub den Grafen einführt. 
Beide verlieben ſich jofort in einander, ohne fich bis dahin zu kennen, 


32 Sp. Wukadinovié, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.” 


hätten wir auch von diejem erſt in der Traumfcene etwas erfahren, 
gewiß zum Vorteile des Ganzen. Dabei bleibt noch der unerflär- 
liche Widerjpruch, daß derfelbe Traum, von dem die ganze Strahl- 
burg fich erzählt, und der auf Käthchen eine jo tiefgehende Wirkung 
ausübt, bei Wetter ganz in Vergeſſenheit geraten it. 

Du Prel erklärt die Erjcheinung des Doppeltraumes jo, daß 
Käthehen jenen Traum, worin fie fernjehend den fünftigen Bräutigam 
erblickt, „in unbewußter Fernwirkung auf den Grafen übertragen 
hat." Mir jcheint das Gegenteil davon richtig. Nicht Käthchen 
ericheint ja dem Grafen, jondern umgefehrt. Sagt ex doch jelbit: 


Kun ſteht mir bei, ihr Götter! ich bin doppelt! 
Ein Geiſt bin ich und wandele zur Nacht! — — 
Was mir ein Traum jchien, nacte Wahrheit iſt's: 
Im Schloß zu Strahl, totfranf am Nexvenfteber, 
Yag ich danieder und hinweggeführt 

Don einem Cherubim bejuchte te 

Mein Geift in ihrer laufe zu Heilbronn! 


Hier wird noch dazu ausdrücklich behauptet, daß wir es nicht mit 
einem Traume, jondern mit einer wirklichen Erjcheinung zu thun 
haben. — Troßdem erjt vor furzem Kants „Träume eines Geijter- 
jehers" wie ein reinigendes Gewitter in den Nebeldunſt des Köhler- 
glaubens gefahren waren, gab es damals, auch in wifjenjchaftlichen 
Streifen, noch Leute, welche allen Ernjtes daran glaubten, daß die 
Seele (oder um mit Kleiſt zu jprechen: der Geiſt) unter gewifjen 
Bedingungen fich vom Körper loslöfen und Anderen leibhaftig und 
ſichtbar erjcheinen fünne. Gerade hier zeigte ſich deutlich, wie 
gefährlich halbe wifjenjchaftliche Erkenntnis iſt, als der Myſticis— 
mus und Charlatanismus die neuen Lehren der Naturwiſſenſchaft 
fir ihre Zwecke ausbeuteten. So hat u. A. Stilling, gejtüßt auf 
die Theorien des tierifchen Magnetismus und anderer mit diejem 
vertvandter Erſcheinungen, thatfächlich eine ganz abenteuerliche 
„Theorie der Geifterfunde” (1809) aufgebaut. Hier werden wir 
auch die Erjcheinung Wetters anzufnüpfen haben. 

Sehen wir aber zunächft wie Schubert, den wir als Gewährs- 
mann Kleifts jchon einmal kennen lernten, jich über derartige Falle 


Sp. Wukadinovié, Leber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.“ 33 


äußert: „Der Magnetismus, welcher nicht jelten ein Erjtarren der 
Glieder wie im Tode, und andre, hiermit verivandte Symptome 
zur erjten Wirkung hat, iſt auch hierin das im Kleinen, was der 
Tod im Großen und auf eine vollfommene Weife ijt. Auch Ohn— 
machten und der noch tiefer mit dem Tod verwandte Scheintod 
ohne Bewußtjeyn, zeigen jich öfters, jo wie fie zuweilen von einem 
gleichen, oder vielmehr noch viel höheren Wonnegefühl begleitet 
nd als der Somnambulismus, nicht minder heilfam als der mag- 
netijche Schlaf, und die aus ihm Erwachenden jind meijt von der 
vorhergegangenen. Stranfheit, die jie in dieſen Zuſtand verjekt, 
vollfommen befreit, ja auf eine unbegreifliche Weije gejtärkt.“ 
(a. a. D. ©. 300.) 

Es ijt das Krankheitsbild Wetters, das wir hier in großen 
Zügen vor uns haben. Der Graf ift nicht in normalem Zujtande, 
jondern er liegt „todtfranf am Nervenfieber“, und erjt in dieſem 
Zuftande der Störung des Nervenſyſtems verfällt er in den von 
Schubert gejchilderten Scheintod, dejjen unbegreifliche heilkräftige 
Wirfung auch nicht ausbleibt. Wir haben alſo den Rahmen bier 
vorgezeichnet, nur über den realen Inhalt jenes „Wonnegefühls“ 
läßt uns Schubert im Dunkeln. Hier fann Stilling aushelfen. 
In jeinem oben genannten Werke ($ 100) bejpricht er mit großer 
Ausführlichfeit den Fall, daß fich „ein Menjch bei lebendigen 
Leibe an einem entfernten Ort zeigen kann.“ Stilling find Bei- 
jpiele befannt, „daß SKranfe eine unbejchreibliche Sehnjucht be- 
famen, einen gewiljen Freund oder Freundin zu jehen; bald darauf 
geriethen jie in Ohnmacht, und während der Zeit erjchienen fie dem 
entfernten Gegenjtand ihrer Sehnjucht." Ein Beijpiel dafür wird 
auch angeführt, welches aber zu unjerem Falle feine nähere Be- 
ziehung hat, als daß der Betreffende, während er einem weit ent- 
fernten Befannten erjcheint, „wie ein Todter“ auf jeinem Kanapee 
liegt. Alſo dieſelbe Urſache und Wirkung wie bei Stleijt. Auch 
Graf Wetter wird von einer „unbejchreiblichen Sehnjucht" erfaßt, 
auch bei ihm zeigt jich eine Art räumlicher Doppelheit feiner 
Natur, jein „Geiſt“ erjcheint in Käthchens Kammer, während ex 
gleichzeitig jcheintot auf jeinem Schlojje zu Strahl liegt. Hatte 

Euphorion II, Ergänzungsheit. 3 


34 Sp. Wufadinovic, Ueber Kleiſts „Käthchen von Heilbronn.“ 


Schubert das Motiv des Scheintodes und der durch ihn bewirkten 
Heilung hergegeben, jo fonnte Kleiſt bei Stilling die mit dem 
Scheintode verbundene gleichzeitige Erfcheinung an einem anderen 
Orte entnehmen. 

Zuleßt erübrigt uns noch auf einen Faktor hinzuweiſen, der 
neben der bejprochenen Vorliebe für das Geltjame dem Dichter 
die Verwendung des Somnambulismus nahe legte, — feine Auf— 
faffung von der Stellung der Frau. Dieje ijt ihn dem Manne 
gegenüber ein Wejen untergeordneter Gattung. Ihre einzige Be— 
ſtimmung ift die: „Mutter zu werden, und der Erde tugendhafte 
Menfchen zu erziehen" (Biedermann, Heinrich von Kleijts Briefe 
an jeine Braut, Breslau und Yeipzig 1884, ©. 85), ihre ganze 
Aufklärung: „vernünftig über die Beitimmungen ihres trdijchen 
Lebens nachdenfen zu können” (a. a. O. ©. 79.) Bollends in der 
Liebe ijt Kleiſt ein egoijtijcher Tyrann. „Vertraue Dich mir ganz 
an!“ jchreibt er an feine Braut Wilhelmine von Zenge (©. 26.) 
„Seße Dein ganzes Glück auf meine Nedlichfeit! Denke, Du 
wäreſt in das Schiff meines Glückes gejtiegen mit allen Deinen 
Hoffnungen, Wünfchen und Ausfichten. Du bijt ſchwach, mit 
Stürmen und Wellen kannſt Du nicht kämpfen, darum vertraue 
Did mir an, mir, der mit Weisheit die Bahn der Fahrt ent- 
worfen hat, der die Gejtirne des Himmels zu feinen Führern zu 
wählen, und das Steuer des Schiffes mit jtarfem Arm, mit 
jtärferem gewiß, als Du glaubjt, zu lenken weiß!" Aber Kleiſt 
will nicht nur der Steuermann fein, der die Äußeren Schicjale 
der Geliebten lenkt, ev will jte auch ganz und gar nach jeinem 
Sinne erziehen. „Wäre ein Mädchen auch noch jo vollfommen, 
ift fie fertig, jo ift es nichts für mich. Ich jelbit muß es mir 
formen und ausbilden". (©. 57). 

Daß Kleiſts Anfchauungen auch in jeinen Dichtungen hervor- 
treten, ijt jelbjtverjtändlich. Schon in den Schroffenjteinern ſtellt 
Ottokar-Kleiſt an jeine Geliebte die Forderung: 

Willſt Du’s? — — — Mit mir leben? 
seit an mir halten? Dem Gejpenjt des Mißtrauns 
Das wieder dor mir treten fünnte, kühn 


Sp. Wufadinopie, Ueber Kleifts „Käthchen von Heilbronn.“ 35 


Entgegenjchreiten? unabänderlich, 

Und wäre der Berdacht auch noch jo groß, 
Dem Bater nicht, der Mutter nicht jo traum, 
Als mir? 


Alkmene, das Mufter weiblicher Treue, „vor deren Seele nur 
jtetS des Ein und Einz’gen Züge ſteh'n“, nennt Brahm eine 
„Borjtudie zum Käthehen" (©. 150). Nur in der Penthejilea 
hat der Dichter andere Wege betreten, — dafür will er num im 
Käthchen „die Kehrſeite der Pentheſilea, ihren anderen Bol“ 
jchildern, „ein Wejen, das ebenjo mächtig iſt durch Hingebung, 
als jene durch Handeln." it Penthejilea dem Untergange geweiht, 
weil fie die dem Weibe zugemefjenen Schranfen übertreten hat, 
jo wird das Käthchen von Heilbronn für jeine willenloje Hin- 
gebung, für jeine opferfreudige, unwandelbare Treue belohnt mit 
einer plöglichen Wendung jeines Schicjals, wie etiwa die Grijeldis 
des Bolfsbuches!), oder das Schneewittchen des deutjchen Märcheng, 
das an feiner Stiefmutter eine ebenjo böje Feindin hat, wie 
Käthchen an Kunigunde. In der Ballade vom Grafen Walter 
hatte Kleiſt ein jolches Weſen kennen gelernt, dejjen Treue aus 
allen, auch den jchwerften Prüfungen rein hervorgeht, wie lauteres 
Gold. Aber das genügte einem Dichter wie Kleiſt nicht. Cine 
außergewöhnliche Neigung jollte auch außergewöhnlich motiviert 
werden. Da erjchloß fich ihm nun im Sommambulismus jene 
rätjelhafte Macht, welche im Stande ijt, den Menjchen jeines 
Willens zu entäußern und ihn dem Willen eines Anderen voll- 
kommen gefügig zu machen. Hier hatte ex, was ev brauchte, und 
mit der Kühnheit des poetischen Pſychologen griff er zu. Mus 
der rauhen Wirklichkeit, wo feine Anfichten jo viel Wiederjpruch 
begegneten, zog ex fich zurück in jene noch unerforjchten Regionen, 
in denen feine Träume Wahrheit zu werden verjprachen, aus der 
Gegenwart floh er in jene damals jo gepriejenen Zeiten, in welchen 
man noch mit Sinderaugen in die Welt jchaute umd in naiver 


1) Die Volksbücher fonnten Kleift damals durch die 1507 erjchtenene 


-begeifterte Schrift von Görres, „Die teutſchen Volksbücher“, nahegelegt worden 


fein. 
3* 


36 A. Chr. Kaliſcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


Empfänglichfeit alleroxten das Walten übernatürlicher Mächte 
erblickte. Beidemal folgte er da der Strömung der Zeit, wie wir 
uns ja überzeugen fonnten, daß das Stück aus der Zeit und den 
Anfchauungen des Dichters hervorgegangen tft. Aber Stleijt gehörte 
nicht zu jenen Kleinen Geiftern, die ohne Neft in ihrer Zeit auf- 
gehn. Wenn wir jein Käthchen mit den Vorbildern vergleichen, 
jo merfen wir, wieviel aus dem eigenen Innern des Dichters Hinzu- 
gekommen tjt, um dieſe troß der verjchiedenen Vorbilder jo ein- 
heitliche Geſtalt ins Leben zu rufen. 

Wir erinnern uns an Prometheus, den edeljten und unglück- 
lichiten aller Himmelsjtürmer, wenn wir Kleiſt dem Größten unjeres 
Bolfes den Lorbeer jtreitig machen jehen. Und wie jener troßige 
Titane fühn Menschen formte nach feinem Bilde, jo hat Stleijt der 
deutschen Bühne in feinem Käthchen eine ganz eigenartige Geſtalt 
geichaffen, — nach feinen ſchönſten Träumen. 


Klemens Brentanos Beriehungen zu 
Beethoven. 
Von Alfred Chriſtlieb Kaliſcher in Berlin. 


F 

Schon mehrfach konnte ich in meinen der Geſchichte Beethovens 
gewidmeten Arbeiten einer unſerer Literatur beſonders eignenden Dichter— 
gattung, der Muſiker-Dichter, eingedenk ſein. Zu ſolchen muſikaliſchen 
Dichtern gehören vornehmlich: Jean Paul, Leopold Schefer, Nikolaus 
Lenau, Franz Grillparzer, Otto Ludwig, Ludwig Rellſtab und Theodor 
Körner. Nicht wenige von ihnen, wie Grillparzer, Körner, Lenau, 
ſind denn auch mehr oder weniger mit der Geſchichte des größten Ton— 
meilters unjeres Jahrhunderts, mit Yudwig van Beethoven verbunden. 
Bon diefem Gefichtspunfte aus habe ich Grillparzers, Nellftabs und 
Körners Beziehungen zu Beethoven bereits eingehend behandelt. 

Zu jolchen Mufifer-Dichtern gehört auch der ebenjo geniale als 
unglücjelige Clemens Brentano, der ebenfalls zu jeinem um einige 
‚jahre älteren ZJeitgenofjen Beethoven in mannigfache Beziehungen trat. 


A. Chr. Kaliſcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 37 


Clemens Brentano, geboren 1778, teilte jeine muſikaliſche Be— 
gabung, wie jo vieles Andere, mit jeiner geliebten gleichartigen jüngeren 
Schwejter Elifabeth (Bettina), ohne diefe in genialifcher Erkenntnis 
der Mufifweisheit auch nur annähernd zu erreichen. 

Das Yieblingsinftrument fin Dilettanten, zumal für vomantijche 
Dichter, bildete damals die Guitarre. Wie Theodor Körner, jo bejaß 
auch Brentano eine bedeutende Fertigkeit auf diefem Inſtrumente. „Und 
überall bezauberte der junge Dichter mit Gefang und Guitarrejpiel und 
noch ſchönerem Vorleſen beſonders die Herzen der Frauen“ — heißt 
es in einem biographiſchen Abriſſe über unſern Dichter (Geſammelte 
Schriften 8, 44). Die Harfe, das ſymboliſche Inſtrument für alles 
Singen, Sagen und Klingen der Dichtergeiſter, muß in dieſen Zeiten 
immer mehr der Guitarre weichen, ohne jedoch als Wortbegriff von 
ſeiner ewigen Weihe einzubüßen. Schreibt doch auch der guitarrekundige 
Brentano einmal — im Jahre 1812 — beſonders ſchön an Fouqué 
(Gejammelte Schriften 8, 167): „Ich war eine Goldharfe mit ani— 
maliſchen Saiten bez zogen, alles VB Wetter verjtimmte mich, und der Wind 
jpielte mich, und die Sonne jpannte mich. Und die Yiebe jpielte jo 
leidenschaftlich Forte, daß die Saiten zerriffen, jo dumm zerriſſen, daß 
ich kaum ein Spinnvad mit dem Uebrigen bejaiten fan. Dohnen draus 
zu jtellen, jind fie zu jtarf gewejen. Nun habe ich die Harfe mit euer 
ausgeglüht und jie mit Metall bejaitet, und jpiele jie jelbjt.” — — 

Ueber Brentanos vieljeitige mufifaliiche Begabung weiß uns be- 
jonders Frau von Suckow (Emma von Niendorf) anmutig zu erzählen. 
Der Dichter jang und fomponierte. Die jehöne Stimme hielt ihm bis 
zum ummachteten Abend jeines Dajeins aus. Dieje Erzählerin ver- 
lebte ihre „Sommertage mit Clemens Brentano“ erſt ein Jahr vor 
dem Tode desjelben — im Auguft 1841. Und da fang ex manchmal 
noch jo wunderjchön. Dabei jagte er: „sch habe viele Melodien ex 
funden, aber immer nur auf der Straße oder wenn ich traurig bin.“ t) 
Der greife Dichter jingt unter Anderem eine Stompofition Bettinas über 
“ eines jeiner Gedichte, deren Geſang er bei diejer Gelegenheit bis in 
die entlegenjten Sterne erhob. „Gegen ihren Gejang“ jagt der ent 
zückte Bruder, „war miv aller anderer, auch der der Gatalani u. j. w. 
ledern” (a. a. D. ©. 90). Die Erzählerin hat in jenen Sommer- 
tagen eine wunderjame Sängerin Magneta bei ich, deren Yied den 
armen Dichter verjüngend begeiftert. Ex lehrt diefe holdjelige Sängerin 
Bettinas Yieblingsmelodie. Clemens und Magneta duettieren. „Beider 
Stimmen vereint“, erzählt Emma von Niendorf, „das war als ob ein 
ſernes Sa Bhilomelen geijterhaft antworte. Seltfam! Das Yied 


B Yus der Gegenwart. Bon Emma von Niendorf. Berlin 1844, ©. 90. 


38 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 
) / or) - 0) ) 


lautete — den Zwiſchenſatz abgerechnet — Note für Note wie ein 
Sang, den Magneta als Kind fomponierte“ (a. a. O. ©. 92). 

Wie ein vorahnender Chopin preilt Brentano das eigentümliche 
Weſen der Polonaiſe-Muſik, als die jcheinbare Ruhe über Seelenftürmen 
ausdrückend. Im Jahre 1816 jchreibt er einmal in diefem Sinne an 
eine tief in jein Yebensgejchick eingreifende Dame!): „oft bin ich wie 
ein alter Greis, dejjen Hände jo zittern, daß die Kinder freudig dar- 
nach tanzen, und Nichts ift rührender, als wenn jie, müde zu tanzen, 
ſich miv nahen, und mir danken, daß ich ihnen jo ein luſtiges Tempo 
angegeben mit den Händen, mir auch jagten, ich jollte nur aufhören 
zu zittern, fie könnten nicht mehr tanzen. Vielleicht ift es aus dieſem 
meinem Zuftande zu erklären, daß ich ein bejonderes Wohlgefallen an 
der Bolonatjenmufif habe, weil fich in ihr die jchnelle Melodie?) im 
ruhigen Taft, wie jene meine Yebendigfeit in Melancholie oder, ehr— 
licher gejagt, in begründeter Schwermut über meinen Unwert und meine 
jchwere Schuld bewegt.“ 

Vleberhaupt giebt wie für jo manche auserlejene Geijter, jo auch 
fir Brentano die Muſik mit ihren Stimmen- und Akkordmyſterien die 
befte Bafis fir das Gleichnis des Dajeins ab: die Tonfunft als Spiegel- 
bild, als Abglanz des Weltwejens. So jchreibt der noch jugendlic) 
ichwärmende Dichter einmal an jeine Schwejter Bettina (Clemens 
Brentanos Frühlingskranz ©. 160 F.): „Die Konſequenz aber, welche 
etwas wert ijt, ja allein den Wert des Menſchen bejtimmt, iſt eine 
Muſikaliſche, jie ift Harmonie im weitejten Sinne, und wird, injofern 
er mehr oder weniger das ganze Yeben berührt, mehr oder weniger 
Tonarten und Modulationen umfaljet, doch immer nur in harmoniſchen 
Uebergängen wechjeln. Inſofern er nun bloß das Thema der ganzen 
Muſik ift, iſt jein Gang aus jich felbjt, und kann er einen Charakter 
haben, aber injofen er die Harmonie des ganzen mitbegriindet, hat 
er nur den Charakter jeines Inſtruments; jein Yeben aber ijt ohne 
Charakter, bloß ein Teil der ganzen Harmonie. Bon diejer Konſequenz 
der Harmonie fann aber nur die Rede jein bei umfajjenderen Menfchen, 
denn um harmonijch zu werden, muß man jchon eine gewilje Anzahl 
von Tönen umfafjen, und iſt hier die Nede nicht von jener Gattung, 
die nur injofern leben als ihrer etliche taujend wohl, wenn ſie zu— 
jammentreten, eben jo leicht alle zu einem tüchtigen Menſchen gehörigen 


) Geſammelte Schriften, 8, S. 209. Brief „An eine Ungenannte.“ Die 
Ungenannte ift Yuife Henjel. 

>) Die „schnelle Melodie im ruhigen Takte“ könnte als eine Art contra- 
dietio in adieeto angejehen werden. Würde ftatt „ichnelle Melodie“ nur 
„bewegliche Melodie“ gejetst, jo verjchwindet das Mikverjtändmis leicht. 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 39 


Eigenjchaften, als eine vollitändige Sriegsfontribution zufammenbringen 
fünnten.“ — 

So jehen wir Clemens Brentano praftijch wie theovetifch wohl 
vorbereitet und befähigt, einem  Tongenius von der Singularität 
Beethovens Begeifterung und Verſtändnis -entgegenzubringen. 


ul; | 

Wann die perjönlichen Beziehungen Brentanos zu Beethoven 
ihren Anfang genommen haben, das läßt jich nicht mit Gewißheit an- 
geben, weil feinerlei Dokument darüber vorhanden ift. Hier müfjen 
Mutmaßungen, mehr oder weniger gut begründet, aus dev Mißlichkeit 
verhelfen. 

‚sch bin nun dev Meinung, daß Clemens bereits bei Gelegenheit 
jeines erjten Aufenthaltes in Wien im Jahre 1804 mit Beethoven 
perjönlich befannt ward. Schon bier jei furz erwähnt, daß ich die 
neuerdings namentlich von Reinhold Steig — vertretene Anficht, 
wonac Brentano im Jahre 1804 gar nicht in Wien gewefen fei, nicht 
annehmen fann; die nähere Begründung hiefür wird weiter unten bei 
der Darjtellung des direkten Verkehrs Brentanos mit Beethoven in 
den jahren 1813 und 1814 vorgetragen werden. 

Borausgejegt aljo, daß Brentano bereits 1804 oder ein wenig 
jpäter flüchtig die jchöne Donauftadt berührte: jo mußten ihn Hundert 
Gründe dazu bejtimmen, den jungen Tonmeifter Beethoven aufzufuchen. 

Seine angebetete Schwägerin Antonie Brentano gehörte mit feinem 
Bruder Franz, ihrem Oatten, ſeit lange zu den bevorzugtejten Freunden 
des Tondichters. Lebten diefe auch 1804 nicht in Wien, fondern in 
Frankfurt, jo blieben fie doch in unausgeſetztem brieflichen Verkehr mit 
Beethoven. Wie follte fich alſo der mufifalifche Dichter jeßt, wo er 
jeine Komödie „Ponce de Yeon“ auf die Bühne bringen wollte, die 
Gelegenheit entjchlüpfen lafjen, den damals jchon jehr einflußreichen 
Komponiſten aufzufuchen, — aus objektiven wie jubjeftiven Gründen! 
Dazu kommt ein anderes wichtiges Wioment. Brentanos damalige Gattin, 
die Dichterin Sophie Mereau, jtand jelbjt bereits mit Beethovens Ton 
muje in Verbindung. Eines ihrer veizenditen Yieder ift von Beethoven 
— wohl noch in jeiner legten Bonner Zeit — fomponiert worden. 
Es iſt Sophiens „Feuerfarb“, deſſen erſte Strophe alfo lautet: 





Ich weiß eine Farbe, der bin ich hold, 

Die achte ih höher als Silber und Gold; 

Die trag’ ich jo gerne um Stirn und Gewand, 
Und habe fie Farbe der Wahrheit genannt! — 


Die einfache, herzige, schlichte Kompoſition erſchien mit jieben 
anderen Liedern als op. 52 erft im Juni 1805, Das Yied wird 


40 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


höchitwahrjcheinlich noch in Bonn im Herbſt 1792 furz vor Beethovens 
Abreife von dort (Ende Dftober) entjtanden jein;!) Ende des Jahres 
oder Anfang 1793 wird ſie Beethoven, wie das jo jeine Gepflogenheit 
war, als Manuffript an feine Bonner Freunde gejchickt haben. 

Sophie, auf diefe Weiſe mit Beethovens Tonjchaffen in Stontaft 
gebracht, wird gewiß nicht ermangelt haben, bei einer jo jchwerwiegenden 
Beranlajjung, wie es die Aufführung eines dramatijchen Erzeugnifjes 
bedeutet, ihren Gatten auf Beethoven in Wien Hinzumeijen. 

Koch ein drittes Moment möchte ich zum Beweije anführen, 
daß Brentano wirklich um die Zeit von 1804 in Wien in die Kreiſe 
Beethovens getreten jei. 

Im Sabre 1804 bildete in der Wiener Mufifwelt die neueſte 
große Schaffensthat Beethovens — die Sinfonia Eroica (op. 55) 
das alles Andere Hintanjeßende Ereignis. Diejes ſymphoniſche Werk, 
das uns Beethoven zum erjten Male in feiner ganzen gewaltigen Eigen- 
art als Symphonifer offenbart, iſt höchjtwahrjcheinlich bereits 1803 in 
Angriff genommen worden, jo daß es 1804 wohl nur noch vom Meijter 
gefeilt und vedigiert ward ; jedenfalls verjtand man die Eroica zu Anfang 
abjolut nicht, jo daß fich Beethovens Mäcen Fürft von Yobfowig entjchloß, 
das Werf auf längere Zeit behufs Brivataufführungen anzufaufen. So 
fam es, daß der um dieje Zeit in Wien anweſende felbjt fomponierende 
Prinz Yonis Ferdinand von Preußen dieje Schöpfung als höchjte Narität 
„Saviar fürs Volk“ durch des Fürſten Yobfowis Kapelle zu hören be- 
fam und — an einem Male lange nicht genug — jogleich drei Male 
hintereinander das gewaltige Werk in fich aufnahm. ?) 


Gewiß — jo meine ich nun — wird auch Clemens Brentano 
während jeines erſten Wiener Aufenthaltes im Palais des Fürſten von 
Yobfowiß die Eroica gehört und dabei Beethoven gejprochen haben, um 
dann, voll von jolchen Doppeleindrücen, die Eroica poetijch zu befingen. 
Unter jeinen Gedichten befindet jich nämlich eines mit der Aufjchrift 
„Symphonie“, welches offenbar, ohne daß Beethoven oder die Eroica 
nit Namen genannt werden, den Gang der Heldenjymphonie zeichnet. 


!) Die Korrefpondenz Charlotte von Schillers mit Bartholomäus Fiſchenich — 
im Jahre 1795 — macht ſolche Annahme evident. — G. Nottebohm meint freilich: 
„Ir. 2 (Feuerfarb, op. 52) entjtand um 1793“; vergl. deſſen thematifches Ver— 
zeichnis der im Druck erfchienenen Werke von Ludwig van Beethoven, 2. Auflage, 
Leipzig 1868, ©. 50. 

2) Bgl. 2. Nohl: Beethovens Yeben (Leipzig 1867), 2, 73 f.; 185 ff. — 
Siehe auch hinfichtlich der Entftehungszeit (1803— 1804): A. W. Thayers Chrono» 
logisches Verzeichnis der Werke Ludwig van Beethovens, Berlin 1865, ©. 97 
(Jr. 115). — Derjelbe, Ludwig van Beethovens Leben, 2, 251, Berlin 1872, 


A. Chr. Kaliſcher, Klemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 4] 


Brentanos Symphonie-Gedicht umfaßt folgende jechs fünfzeilige Strophen 
(Schriften, 2, 346): 


Ruhe! — die Gräber erbeben; 
Ruhe! — und heftig hervor 
Stürzt aus der Ruhe das Yeben, 
Strömt aus fich felbften empor 
Die Menge, vereinzelt im Thor! 


Schaffend eröffnet der Meifter 
Gräber. — Geborener Tanz 
Schweben die tünenden Geifter, 
Schimmert im eigenen Glanz 

Der Töne bunt wechjelnder Kranz ! 


Alle in einem verſchlungen, 

Jeder im eigenen Klang, 

Mächtig durchs Ganze geichwungen, 

Eilet der Geifter Geſang, 

Seftaltet die Bühne entlang! 

Heilige, braufende Wogen, 

Ernſt und wollüftige Glut, 

Strömet in ſchimmernden Bogen, 

Sprühet in klingender Wut 

Des Geiſtertanz ſilberne Flut. 

Alle in einem erſtanden, 

Sind ſie ſich ſelbſt nicht bewußt, 

Daß ſie ſich einzeln verbanden, 

Fühlt in der eigenen Bruſt 

Ein Jeder vom Ganzen die Luſt! 

Aber im inneren Leben 

Feſſelt der Meiſter das Sein; 

Läßt ſie dann ringen und ſtreben; 

Handelnd durcheilet die Reih'n 

Das Ganze im einzelnen Schein! 
Das Eröffnen der Gräber und Aehnliches in der Dichtung deutet auf 
den tiefſinnigen Trauermarſch (Marcia funebre) hin, des „Geiſter— 
tanzes ſilberne Flut“ verfinnbildlicht das Scherzo mit feinem geheimnis- 
voll vorüberhufchenden Anfang im Bianiffimoe. Das „Ringen und 
Streben“, das rajtloje Handeln, braufendes Wogen und ähnliches drücken 
den Hauptgeift des heldenhaften Inhalts aus. 


II. 
Erjt das Jahr 1811 macht uns mit neuen pofitiven Beziehungen 
zwijchen Clemens Brentano und Beethoven befannt. 
Wir jehen Glemens in Berlin, wo ev von neuem zehrenden 
Familienunglück Erholung juchte und fand. Einige jahre nach dem 


42 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


Tode feiner aufs innigjte — Gattin Sophie (Mereau, fie ſtarb 

35 Jahre alt — am 31. October 1806) hatte ſich Clemens mit 
der phantaſtiſch abenteue lichen Auguſte Busmann, einer Nichte des 
Frankfurter Banquiers Bethmann, vermählt: im Spätherbſte des Jahres 
1809 ward in Berlin die Scheidung dieſer Ehe eingeleitet und Anfang 
1810 zum Abſchluſſe gebracht (Diel-Kreiten 1, 292). Neue ernſte 
Weiſen Re jeßt aus Brentanos befreiter Bruft. 

Der Tod der allgeliebten, allverehrten Königin Luiſe von Preußen 
(r am 19. Juli 1810) begeifterte auch unfern Dichter zu einer aus 
tiefiter Seele ftannmenden Huldigung. So entjtand Brentanos Yuifen- 
Bantate, deren Anfang alſo lautet: 

O Herr! fie ift bei Dir, fie ift bei Dir, 
Im Glanz der Himmliſchen, 
Im Kranz der Seligen! 
Tief unter ihr 
Ruht dieſe dunkle Erde. 
Und aller Klagen Schall 
Und aller Thränen Fall 
Kauft fie nicht los, 
Allmächtiger, aus Deiner Yiebe Schoos. 
Aber wir dürfen weinen, 
Weinen um fie; 
Uns gehöret die Erde noch 
Und das Leid und die Trauer! — 

Dit Necht hatte Brentano die Empfindung, mit dieſer Cantate 
etwas Bedeutendes gejchaffen zu haben, das würdig jei, von einem be- 
dentenden Tonmeijter die Mufitweihe zu empfangen. Auf wen anders 
fonnten jich jeine Blicke hinlenfen als auf Beethoven, den ja bereits jo 
mannigfache Fäden mit jeiner Familie verfnüpften ? Hie Neichardt, hie 
Beethoven! Brentano wollte mit ſeiner Yuijenfantate dem ſonſt unvermeid- 
lichen Neichardt entgehen. Er wandte jich daher an jeine Schwägerin 
Antonie Brentano (die Toni), die damals mit ihrem Gatten Franz wieder 
in Wien lebte. 

Unterm 10. Januar 1811, in demjelben Briefe, worin Clemens 
die Berlobung Arnims mit ſeiner Schwejter Bettine vermeldet (Ge- 
—— Schriften, 8, 162 F.), trägt derſelbe auch folgende Bitte vor: 
„Um Dir doch etwas von mir jichtbar zu machen, jehiefe ich Div hier- 
bei meine Cantate auf den Tod der herrlichen Königin von Preußen 
für Beethoven. Wenn jie Div gefällt, jo laſſe ſie Div abjchreiben und 
lege jodann das Driginal wieder in den Brief und jchließe ihn und 
jtelle ihn Beethoven zu. Ich möchte jie gern der Kaiſerin von Dejter- 
veich widmen, weil ich weiß, daß mein Yied nicht jchlecht ift und daß 
Die Kaiſerin unjere Königin jehr geliebt hat, und weil Nichts den Dichter 


* 


A. Chr. Kaliſcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 43 


mehr erfreuen kann, als der Gedanke, Herzen, die die Welt meiſtens 
dem Menſchlichen entfernt, in den Minuten zu rühren, wo die Trauer 
oder die Freude die kalten Mauern erſteigt, in denen ſie lebendig be— 
graben ſind. Iſt es Dir daher möglich zu machen, daß mein Lied dieſer 
guten Fürſtin zu Handen komme, ſo laſſe eine ſchöne zweite Abſchrift 


davon machen und der Kaiſerin übergeben. Clemens.“ 
Daß Beethoven durch dieſe Vermittlung die Luiſen-Kantate 
wirklich erhalten und auch — wenigſtens indirekt — ſeine Meinung 


in einer Antwort fund gethan hat, iſt längſt bekannt.) 

Gerade einen Monat nach dem Datum des ebenerwähnten 
Briefes jah jich Beethoven wieder einmal veranlaft, an jeine liebe 
Freundin Bettina nach Berlin zu jchreiben. ES ijt dies der zweite 
jener viel umjftrittenen und viel bejprochenen drei Briefe Beethovens 
an Bettina von Arnim, deren Authenticität wenigjtens in Betreff der 
erjten zwei jeßt allgemein anerkannt ift: nur Hinfichtlich des dritten 


(aus Teplig 1812) — adhuc sub iudice lis est. — 
In diefem zweiten Briefe — datiert aus Wien vom 11. Fe— 
bruar 1811?) — fommt nun auch unjer Clemens nebjt jeiner Stantate 


vor. Da heißt es denn: „Wegen Clemens vielen Dank fin jein 
Entgegenfommen. — Was die Kantate betrifft, jo ift der Gegenjtand 
für hier nicht wichtig genug, ein amderes ift fie in Berlin; was die 
Zuneigung, jo Hat die Schwefter dieje jo jehr eingenommen, daß dem 
Bruder nicht viel übrig bleiben wird, ift ihm damit auch gedient ?“ ?) 

Clemens Brentanos „Entgegenfommen“ läßt ſich wohl nur jo 


vw. 


) Wonach Diels Bemerkung 1, 314 zu berichtigen it. 
) Diefer Beethovenbrief trägt meist das Datum „Wien am 10. Februar 1811“ 
(Anvede: „Geliebte, liebe Bettina“), befonders deshalb, weil die Meiſten ſich dabei 
nach der Ausgabe in Bettinas „Ilius Pamphilius und die Ambroſia“ vichten, 
wo diefer Brief — vgl. die 2. Auflage Berlin 1853, 2, 215—217 — aljo datiert 
ift. Sp datieren umter Anderen Die Beethovenbiographen 8. Nohl und A. W. 
Thayer. Anders aber Mofcheles und Schindler, denen A. B. Marx folgt. — 
Die von Moſcheles bejorgte engliiche Ausgabe des Schindlerfchen Beethoven (The 
life of Beethoven, edited by Ignace Moscheles, Yondon 1841) hat denn 
auch, Diveft von Bettina dv. Arnim inſpiriert, — 11. Februar (1,265 f. und vorber). 
Ebenſo darnah Schindler in jenem Buche: Beethoven in Paris, Münſter 1842, 
©. 159; desgl. in feiner Beethovenbiographie, 3. Auflage (1860), 2, 348; ebenfo 
auch A. B. Marx darnach: Beethovens Leben und Schaffen, 2. Auflage, 2, 117, 
wo jogar die Anrede „Geliebte, liebte Bettina“ zu lejen ift. 

>) In Bettinas „Ilius Pamphilius und die Ambrofia“ hat diefer Paſſus 
folgenden, etwas abweichenden Wortlaut (die Anvede lautet: „eltebte, Tiebe 
Freundin“): „Wegen Clemens vielen Dank für fein Entgegenfommen. Was 
die Kantate — jo ift der Gegenftand für hier nicht wichtig genug, ein andres 
its in Berlin; was die Zımeigung, jo hat die Schweiter davon eine jo große 
Portion, daß dem Bruder micht viel übrig bleiben wird, ift ihm damit auch 
gedient?" — 


> 


44 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


erfläven, daß auch diefer Dichter, wie jo viele andere, unſerem Ton— 
meijter eine Operndichtung angeboten haben wird. In jenen Tagen 
fonnte Beethoven ob jolchen Entgegenfommens noch jehr erbaut jein. 
Die Kantate jelbjt, Brentanos obenerwähntes „Driginal“ befindet fich 
übrigens noch gegenwärtig in der mufifalifchen Abteilung der Königlichen 
Bibliothef zu Berlin. Dort wird unter anderen Beethovenjchägen auch 
der gejamte Schindleriche Beethoven-Nachlaß aufgehoben. In der 
Mappe III diejes Nachlajjes (Autogr. 37) — mit der Aufjchrift: 
„Papiere aus Beethovens Nachlaß, ihm zugejchickte Gedichte, Dpern- 
texte u. j. w., von ihm jelbjt gefammelt und jo verpacdt“ — befindet 
jich auch dieſe Luiſen-Kantate von Brentanos Hand. Diejes Manujfript 
(Nr. 42 der erwähnten Mappe III) Hat aber noch zu Anfang ein 
bejonderes Zueignungsgedicht von Brentano, jo daß troß jenes Briefes 
an Antonie Brentano der Schluß gevechtfertigt erjcheint: Brentano 
habe an Beethoven nicht fein oben erwähntes Fouvertiertes „Driginal“ 
gelangen laſſen, jondern vielmehr eine eigenhandige Abjchrift davon, 
welcher der Dichter zugleich ein Einleitungsgedicht an die Kaiſerin von 
Dejterreich beigab. Das Mianujfript hat folgende Aufjchrift: 
Kantate auf den Tod Ihrer Königlichen Majeftät Lonife pon Preußen 
Der rührenden Zuneigung 
Ihrer Majejtät der Kaiſerin von Deftereich 
für die Verewigte gewidmet. 
Und min folgt dieſes — bisher unbefannte — Gedicht in DOttaven. U) 
Zueignung. 

Sieh mild, o hohe Frau, auf dieſe Zeilen 

Du liebteft Sie, wenn gleich Dir unbekannt 

Als Du, von ird'ſchem Schmerze Dich zu heilen 

Zur Baterländ’schen Duelle Di) gewandt 

Erweckte, Deine Liebe Ihr zu theilen 

In Deiner Bruft, die Sehnjucht Gottes Hand. 

Auch Sie war krank in Sehnfucht, Did zu jehen, 

Sie wollt! zu Dir, Sie mußt! zum Himmel gehen. 

Und weil auf Erden würdig feine Stelle, 

Bon Sünde und von Lüge umentweibt, 

Daß Unschuld fih und Hoheit fromm gejelle 

Sicch zuzufpieglen eine ſchön're Zeit, 

1) Diel, der die herrliche Luiſen-Kantate nach einem Manuffripte „aus 
dem Böhmerfchen Nachlaß“ vollftändig abdrudt (1, 427—441) erwähnt nichts 
von diefem Zueignungsgedichte. Die gefammelten Schriften enthalten befanntlich 
diefe Kantate überhaupt nicht. Uebrigens weiſt das Manuffript der Berliner 
Hofbibliothef erhebliche Abweihungen vom Abdrucke bei Diel dar. Bei diefem um— 
faßt das Ganze 450 Versreihen, im Brentanoſchen Manuffripte nur 389 Vers— 
zeilen; auch jonft giebt es der Varianten nicht wenige, jo daß eine Kollationierung 
des Dielſchen Tertes mit dem Manufkripte im Beethoven-Schindlerſchen Nachlaſſe 
eine wohl zu unternehmende Arbeit wäre. 


A. Chr. Kaliſcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 45 


Nief Sie der Herr zu alles Lichtes Quelle. 
Dort bleibt ein ſeelig Anſchau'n auch bereit, 
Wenn unter Div auch ruht Dies dunkle Leben, 
Dem Deine Tugend neh muß Schimmer geben. 
Berzeihe, daR der Tod mir herrlich fcheinet 
Erfüllet von des Schickſals Bitterfeit, 

Hab ich als Menſch um deutſche Noth geweinet, 
Als Chriſt erkannt des Lebens Eitelkeit — 
Doch iſt zum Felſengrab die Zeit verſteinet 
Durchbricht ſie Chriſti Sieg mit Herrlichkeit. 
Mit ihm erſtehn, die treu mit ihm geſtorben, 
Es hat ſolch Heil, die Seelige erworben. 

Wenn es nun auch Beethoven abgelehnt hat, Brentanos Luiſen— 
dichtung in Muſik zu ſetzen, ſo mag er doch wohl mit einem ſolchen 
Kompoſitionsgedanken getragen haben. Vielleicht iſt unter den Sfizzen- 
blättern Beethovens, von denen die Berliner stönigliche Bibliothek eine 
große Zahl beſitzt, die Skizze zu einer Geſangsk zwei 
Blätter umfaſſend — ein Hinweis, daß Beethoven doch wohl an eine 
derartige Kompoſition gedacht hat. Dieſe Skizze enthält nämlich unter 
den Noten, einmal auch ſeitwärts am —— mehrfach den Namen 
Louiſe; die ſonſtigen wenigen Worte ſind nicht zu entziffern. (Autogr. 
Nr. 28: Konvolut „56 Blatt Skizzenblätter“; auf dem Deckel ſteht 
der Name „Fiſchhof“.) 

Wahrend diejes Aufenthaltes in Berlin ift im Jahre 1811 auch 
Clemens Brentanos draftijch komiſches Lied „Der Mufifanten ſchwere 
eu für Zelters Liedertafel entſtanden (Geſammelte Schriften, 
2, 552 ff., vgl. unten ©. 90). In dieſem Liede werden verjchiedene 
Tonkünſtler, wie Zelter, Himmel, “Stud, Reichardt und Andere teils 
durchgehechelt, teils gepriejen. Ein Soliſte (Einer, eine Art Choragus) 
intoniert immer aufs neue; jobald der Chor einen Komponiſten ins Ge— 
fecht führt. Am beiten fommen Gluck und Beethoven fort. Ueber 
leßteren beginnt der Soliſte aljo: 

Ja auf Beethovens Spur 
Fängts oft zu dunkeln an —, 





worauf der Chor mit jeinem Refrain einſetzt: 
Er hat ihm nicht verjtanden, 
Der Wein macht ihn zu Schanden, 
Klar, Kar, Har, Klar, Klar 
Sei der Wein — 
um dann fortzufahren : 
Ein Ferkel torfel ich 
Trunfen die Stoppelbahn 
Jedweden Kork zähl' ich, 
Wirt, ſchreib nicht doppelt an — 


46 N. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


Und damı verjegt unfer „Einer“: 
Was hör von Sterfel id, 
Daß er nur ftoppeln kann! 

Dffenbar wollte Brentano hier in guter Abjicht dem Komponiſten, 
Virtuoſen und Abbe Sterfel eins auswijchen. oh. Franz Kaver Sterfel, 
1750 zu Würzburg geboren, war lange Zeiten als Klavierſpieler ton- 
angebend; bejonders waren jeine in leichter gefälliger Manier gejchriebenen 
Stlavierfompofitionen jehr beliebt. Auch er gehörte zu den Talent- 
männern, welche allerhand ritifer dem eigene Wege wandelnden Genius 
Beethovens als nachahmenswerte Exempel ans Herz legten. — Biel- 
leicht nahm der Beethovenbegeijterte Klemens auf diefe Weije ein wenig 
Mache an Sterfel, der um dieje Zeit als Stapellmeifter des Fürſten 
Primas von Dalberg zu Regensburg wirkte. Sterfel jtarb als Kanonikus 
und Hofkaplan des Kurfürjten von Mainz im Dftober 1817. — Wie 
man übrigens weiß, war Beethoven noch al$ junger Bonnenjer Muſiker 
einmal auf einer Neife von Bonn nach Mergentheim mit Sterfel in 
Ajchaffenburg zufammengetroffen. Die beiden Romberg, Simrod, Ries 
und andere Mitglieder der Bonner Hoffapelle laufchten dem Spiele 
Sterfels, der „jehr leicht, höchſt gefällig und, wie Bater Nies ich aus- 
drückt, etwas damenartig“ jpielte.) Endlich mußte auch Beethoven 
ipielen, trug dabei jeine neueſten der Gräfin von Hatzfeld gewidmeten 
Bariationen über das Nighinische Thema „Vieni amore* und andere 
damals für jehr jchwierig angejehene Ktlavierwerfe vor „und dies, zur 
größten Ueberrajchung dev Zuhörer, vollfommen und durchaus in der 
nämlichen gefälligen Manier, die ihm an Sterfel aufgefallen war. So 
leicht ward es ihm, jeine Spielart nach der eines andern einzurichten.“ 
Mit Schindler werden auch viele Andere Beethovens Spielummandlungs- 
fähigfeit in Zweifel ziehen. — 


IV. 


Noch in demjelben Jahre 1811, in welchem Clemens wegen jeiner 
Luiſen-Kantate mit Beethoven in Verbindung trat, verließ der Dichter 
Berlin, um fich nach Böhmen zu begeben. Sein Bruder Chrijtian 
bejaß dort mit anderen Gejchwiltern das Gut Bufowan, zu dejjen Mit— 
bewirtjchaftung Clemens vom älteren Bruder Franz eingeladen ward. 
Bufowan im Prachiner Kreife beſaßen die Gejchwifter Brentano jeit dem 
Jahre 1808. Den Sommer 1810 hatte Clemens bereits dajelbjt in 
großem Behagen zugebracht. Jetzt jollte ev alſo abermals die böhmiſche 

1) Siehe Dr. F. G. Wegeler und Ferd. Ries. Biographiiche Notizen über 
Ludwig van Beethoven, Koblenz 1838, ©. 17. 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 47 


Beſitzung aufjuchen. Im Juli 1811 verließ der Dichter Berlin und 
traf Anfang Auguft in Bufowan ein. (Vgl. Diel, 1,338; auch 337 
und 344.) 

Auf diefer Dinfahrt fam Brentano nun auch nach Tepliß, wo ex 
die Befanntjchaft Varnhagens von Enje machte. Da wir nun jattjam 
willen, daß auch Beethoven im Sommer 1811 in Teplig weilte und 
eine gefeierte Verjönlichfeit inmitten des dortigen Barnhagen-Nahelichen 
Kreiſes bildete, ) jo liegt es auf der Hand, daß auch Brentano und 
Beethoven jich daſelbſt näher treten fonnten. Dort aljo wird der Dichter 
die triftigen, entjcheidenden Gründe aus Beethovens Munde vernommen 
haben, die ihn von der Kompofition der Luiſen-Kantate zurüchalten 
mußten. 

In dem Bortrait, das Barnhagen von Elemens aus diejer Tepliger 
Zeit entwirft, ?) erſcheint das Dichterbild nichts weniger denn gejchmeichelt. 
„Endlich“ — jo erzahlt Varnhagen — „im Sommer 1811, zu Töoplitz, 
trat unerwartet Clemens zu mir ins Zimmer, nannte jeinen Namen, 
und jagte er wolle mich kennen lernen da ex die nächjte Zeit in Böhmen 
und vorzüglich in Prag zu leben denfe. Ich empfing ihn aufs bejte, 
er benahm jich äußerſt liebenswürdig, jeine gute Yaune, dev Wiß und 
die Schärfe jeiner Bemerfungen erhöhten jeden Augenblic mein Wohl- 
gefallen.” — Doch bald trat eine arge Mißſtimmung ein; Varnhagen 
entließ Clemens mit Worten, nach denen er „glauben mußte, ihn nicht 
wiederzujehen.“ — Doch Brentano fand jich bald nach Barnhagens Rück- 
fehr nach Prag ebendort bei diefem ein — und ein Scheinfriede war 
hergejtellt. — Auch Beethoven hielt jich jeßt furze Zeit in Prag auf, 
wie Barnhagen jelbjt in jeinem Nahel-Buche erzählt: aljo immer neue 
Gelegenheiten für den weiteren Verkehr auch zwifchen Beethoven und 
Clemens Brentano. 

In elegijcher Stimmung tritt Clemens in das Jahr 1812 ein, 
wie aus einem Briefe an Schwägerin Antonia zu erjehen it. (Prag, 
1. Sanuar 1812): „Bivat Neujahr! Seit fünf Monaten fige ich ſchon 
in Böhmen, mit vielem VBergnügen gewiß nicht. Dies Yand und der 
Charakter jeiner Bewohner find mir in dev Seele zuwider, und doch 
muß ich immer da hocen und an Chriftian zerven, um ihn zur Abveije 
zu Savigny zu bewegen; ex hält mich von Termin zu Termin hin, und 


1) Ich verweife hiev auf meine Studie: „Beethoven und der Varnhagen— 
Rahel'ſche Kreis“ in der Illuſtrierten Berliner Wochenfchrift „Der Bar’ Nr. 1—4, 
Oftober 1857, wo auch Clemens Brentano unter dev dort aufgeführten Geiftes- 
Elite genannt iftz auch im Verkehr mit Barnhagen in Prag. 


2) Biographifche Portraits von Barnhagen von Enſe. Nebſt Briefen 
von Roreff, Clemens Brentano etc. Leipzig 1871, ©. 62 f. 


48 A. Ehr. Kaliſcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


ich verzweifle faft. US ich hier wegen Päſſen auf der ‘Polizei war, 
jah ich, daß Du in Karlsbad warſt.“ (Geſammelte Schriften 8, 163 F.) 

Barnhagen ift im jeinem Urteile über Clemens ebenjo wetter- 
wendifch, voller Widerjprüche, wie über dejjen Schweiter Bettina. Ein 
Wort aus jeinen Denfwiürdigfeiten jei jedoch auch hier verzeichnet: 
„Beethoven, der von Toplig in Begleitung feines und meines Freundes 
Dliva nach Wien zurückreiſte, hielt jich nicht lange in Prag auf; da- 
gegen fam Glemens Brentano in der Abficht, den ganzen Winter hier 
zu verleben, und gönnte mix täglich feine zwar überaus erfveuende, 
aber, wie ich zu meinem Schaden erfahren jollte, auch gefährliche Gejell- 
ſchaft; gefährlich, injofern fie das tiefjte Vertrauen hervorlockte, ohne 
diefem doch Sicherheit zu gewähren.“ N) Natürlich jieht jedes Jahr, 
das Brentano auf dem Bufowaner Gut verbringt, den Dichter auch immer 
wieder in Prag, jo auch das folgende Jahr 1813. Hier in Prag will er 
den Ausgang der Kriegsereigniſſe abwarten. 

Daß die Chronologie in Brentanos Yebensgange troß Diel und 
anderer Biographen des Dichters noch vecht im Argen liegt: lehren 
auch die Jahre 1813 umd 1814, zu denen wir hiermit gelangen. 

Ein mannigfach anvegendes Yeben eröffnete fich für Brentano in 
Prag mit jeinem diesmaligen Aufenthalte daſelbſt im Jahre 1813. 
Bon Barnhagen war beveitS die Nede. Jetzt verfehrt Brentano be- 
jonders viel mit Yudwig Tief und dejjen Streife. Die Kenner des 
Nudolf Köpfejchen Buches über Ludwig Tieck werden wiljen, wie an- 
ziehende Bilder das Werf auch über Clemens’ Charafterwefen und über 
jein Zufammenwirfen mit Tief darbietet. Bermutlich durch das Köpkeſche 
Buch ivregeleitet jchreibt Bater Diel in feinem Brentanowerfe (1, 383): 
„Durch Tied wurde er“ (sc. Clemens) „wiederum in andere literarijche 
und künſtleriſche Kreiſe eingeführt und lernte befonders auch Beethoven (?) 
ud Maria Weber fennen.“ 

Nun ift aber durchaus nichts davon befannt, daß Beethoven 
auch im Jahre 1813 Prag berührt habe; im Sommer 1813 hielt 


ı) K. A. Barnhagen von Enſe: Dentwürdigfeiten meines Lebens. 2. Auf- 
lage, Leipzig 1843; 2, 356 (Kapitel: Prag 1812; vorher Töplitz 1811). — 
Man vergl. auch: Briefe von Stägemann, Metternich, Heine und Bettina von 
Arnim, nebft Briefen, Anmerkungen und Notizen von VBarnhagen von Enje, 
Leipzig 1865 (aus dem Nachlaſſe), S. 273, wonach Barnhagen unterm 
12. März 1837 über Bettina jchreibt: „Vertrauen that ich ihr aber von jeher 
nicht; Dagegen hatte mich früh ihres Bruders Clemens Bekanntſchaft gewarnt 
und der arme Schelm hat mir im Voraus für alle Gefchwifter gebüßt, mic) 
aber doch auch mit in die Strafe gezogen, denn die rohe Gewaltſamkeit, zu der 
er mich gegen fich gereizt, fteigt in meiner Erinnerung oft genug unwillkommen 
und als ein häßlicher Flecken auf, den ich mit Widerwillen längſt beweint habe!“ 
— Das ift bezeichnend! — 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 49 


jich der Meifter in Baden bei Wien auf, wo ihn bejonders jeine 
Schlachtiymphonie — auf Wellingtons Sieg bei Viktoria — (uni 1813) 
bejchäftigte. Ueberdies brauchte, wie wir bereits wifjen, Clemens 
Brentano nicht erſt auf Tief zu warten, um mit Beethoven befannt 
zu werden: jelbjt wenn man nicht zugeben möchte, daß Brentano bereits 
während feines erſten Bejuches in Wien im Jahre 1804 die Befannt- 
ichaft Beethovens gemacht habe. 

Nur Tied, nach Köpkes Aufzeichnungen (1, 356 }.), läßt Beethoven 
im jahre 1813 in Prag fein und will jelbjt hier des Tonmeijters 
Befanntjichaft gemacht haben. Da jedoch Tieck hierbei Vorkommniſſe 
aus Beethovens Yeben erwähnt, die jchlechterdings in eine weit frühere 
Zeit hingehören — etwa 1806/1808 —, jo wird es begreiflicher, daß 
jich dexjelbe in Bezug auf Beethovens Prager Anmwejenheit im Jahre 1813, 
wie überhaupt über feine Beziehungen zu Beethoven der Zeit nach jo 
jehr irren konnte. Die Tiecf- Beethoven - Angelegenheit will ich ein 
andermal erörtern. 

Auch Karoline Pichler ift geeignet, diejen Tieck Köpkeſchen chrono- 
logijchen Irrtum bejeitigen zu helfen. In ihren „Denkwürdigkeiten“ 
erzählt diejelbe, daß jich „Klemens von Brentano“ bei ihr im ‘Jahre 
1813 „mittelft eines Briefes von Tieck“ einführte, (2, 239 Fi.) und 
dabei lejen wir: „Tieck war im Jahre 1808 oder 1809 mit feiner 
Schwejter öfter bei ung gewejen, und ich darf wohl nicht exit jagen, 
daß dieſe Befanntjchaft für mich großen Wert Hatte und noch hat, 
und daß ich jtolz darauf bin, daß Tieck meiner noch öfter freundlich 
gedacht, und mir die Befanntjchaft bedeutender Perſonen, wie z. B. noc) 
viel jpäter, des edlen umvergeplichen Carl Maria von Weber ver- 
ichaffte.“ Der Berfehr Tiefs mit Beethoven wird demnach wohl 
1808 in Wien ftattgefunden haben, mit nichten 1813 in Prag. 

Brentanos Prager Aufenthalt währte bis Juli 1813. In der 
eriten Halfte diejes Monates befand er jich bereits in Wien bei feinen 
Verwandten. Gleich das erjte Jeugnis, ein Brief an Tieck, fünnte bei- 
nahe auf den Gedanken bringen, daß Brentano die üppig jchöne Donau- 
jtadt hier zum erſten Male erblickte, womit die pofitiven Berficherungen 
jeiner beiten Biographen zu Schanden würden, daß er im Jahre 1804 
jelbjt in Wien die Einftudierung ſeiner Komödie „Bonce de Yeon“ be- 
werfjtelligte. Man fünnte, wie gejagt, auf jolche Gedanken fommen, 
wenn man Brentanos außergewöhnliche Zerjtreutheit und Zerfahrenheit 
außer Acht ließe. 

Unterm 12. Juli 1813 jchreibt unſer Dichter aljo an Tied 
(Holtei 1, 103): „Ich bin nach einer dreitägigen Neife, auf welcher 
mich das Leben jehr en Bagatelle traftierte, in Wien angefommen, 
in der jo mannigfach gepriefenen Stadt, der Eindruck, den fie mir 

Euphorion II., Ergänzungspeft. 4 


50 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


gemacht, ift ganz von meiner Crwartung verjchieden, die Stadt, Die 
ich bereits nach allen Seiten durchjchritten, macht einen Eindruc wie 
Yeipzig, Dresden und München durch einander, der herrliche Münſter 
jteht wunderbar, wie ein altes Gejpenft, im modernen Getiimmel, da 
fit die Spinne drinn, in deren Geweb alle die modernen Fliegen 
hängen, und gäb es einen ewigen wandelnden Jeſus wie einen Juden, 
jo jtände jie da, wie ein jolcher unter den Jeſuiten.“ Derſelbe Brief 
jchildert uns jeine Wohnung im Birfenftodichen Haufe, Erdberggajje 
Nr. 98 umd führt uns in jeine Stimmung er jenen Tagen ein. 

Auch an die Nahel jchrieb Brentano im Juli und Auguft desjelben 
jahres jehr interefjante Briefe von Wien — Dresden. — 

Hier iſt nun der Ort, die kleine Streitfrage zu erörtern, ob 
unſer Brentano ſeine Komödie erſt oder nur im Jahre 1814 in 
Wien zur Aufführung brachte, oder ſowohl im Jahre 1804, als auch 
im Jahre 1814. Ich bin der Anſicht, daß der Dichter ſein Luſtſpiel 
im Jahre 1804 in Wien unter dem urſprünglichen wirklichen Titel 
„Ponce de Leon“, im Jahre 1814 aber neu bearbeitet unter dem neuen 
Titel „Valeria“ ebendaſelbſt zur Aufführung brachte.) Die Gründe ſind 
folgende: 

In einem Briefe Brentanos an eine Verwandte (Antonie Bren- 
tano) aus Marburg, den 22. Februar 1804, heißt es am Schlufje: 
„Meine Frau wird dort“ (in Dresden) „ihr Beichentalent weiter üben, 
und von da eile ich einmal über Brag nach Wien, oder weiter. Das 
ind Pläne! Sophie grüßt Dich und Franz herzlich.” (Geſammelte 
Schriften 8, 121.) 

Die dem achten Bande von Brentanos Gejammelten Schriften 
beigegebene „Lebensbeſchreibung des Dichters“ (1855) vermeldet mit 
Beftimmtheit, daß der Dichter in jenen Tagen — 1804 — Wien be- 
jucht habe. „Während Brentano,“ heißt es da (8, 38 f.), „von 1800 
bis 1804 viel veifte, bald in Jena, bald in Marburg bei Savigny 
oder auf dejjen Gut Trages, bald in Frankfurt, dann in Wien und 
auch viel an der Lahn und am Rheine war,“ u. ſ. w. 

Derjelbe Gewährsmann jpricht auch dort unmittelbar vorher von 
einer erjten Aufführung des Bonce in Wien, alfjo: „— — wurde 
der Dichter doch, nachdem ex die Niejenarbeit überjtanden, das Schau- 
jpielerperjonal dafür zu ſtimmen und es mit demjelben einzujtudieren, 
bei der erjten Aufführung in Wien von einem an die geijt- und 
poejielojejten Fadaiſen gewöhnten Bublifum ausgepfiffen, was für den 
Dichter jelbjt und die Fruchtbarkeit feiner dramatijchen Poeſie nur von 
nachteiligen Folgen jein konnte.“ Dieſer Biograph würde, wenn es 


!) Vergleiche dagegen die Ausführungen unten ©. 77. 
Anmerfung des Herausgebers. 


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A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 51 


bei diejer „erjten“ Aufführung (1804) jein Bewenden gehabt hätte, jicher- 
lich gejagt haben: bei der erjten und einzigen Aufführung in Wien. 

Aehnlich jprechen jich die Biographen Diel und Streiten aus (1877). 
Da lejen wir (1, 150): „Sm Jahre 1804 arbeitete Clemens den 
Bonce für das Theater um. Man wollte in Wien die Aufführung 
übernehmen.“ Dann folgen weitere interejjante Einzelheiten über die 
damalige Wiener Aufführung (1804). 

Merkwürdigerweiſe muß für die im Jahre 1804 geplante Auf— 
führung gerade N. Steigs Brentanobuch zeugen, der doch gerade gegen 
das Jahr 1804 in Bezug auf die Bonce-Aufführung in die Arena tritt. 
In einem Briefe Brentanos an Achim von Arnim vom 28. Augujt 1804 
— Gedichte und der Ponce waren beigegeben — heißt es: „lieber 
Freund, ich fomme bald zu Dir.“ (Steig, Achim dv. Arnim und Bren- 
tano ©. 110 f.) Im November it Brentano in Berlin und jchreibt 
unterm 19. November 1804 an jeine Gattin Sophie: „Arnim und 
ich arbeiten jeßt, den Ponce zujammenzuziehen, um ihn 
womöglich aufs Theater zu bringen. uch Haben wir einen 
Plan, unſre Yieder zufammen herauszugeben, den ich dir nächjtens 
mitteile. Reichardt habe ich gejtern nebjt Arnim bejucht; er wird 
die Yieder in dem PBonce componiren, wenn es dazu 
fommt” (Steig ©. 121% 

Gewiß iſt es nun — 1804 — dazu gefommen, oder jollten 
Arnim und Brentano damals ins Blaue hinein eine jolche Bearbeitung 
unternommen haben? Brentanos Reiſe nach Wien kann demnach wohl 
im Dezember 1804 jtattgefunden haben; möglicherweije aber auch erſt 
im „jahre 1805. 

Auch der „Rheiniſche Antiqguarius“ fann für Brentanos Auf- 
enthalt in Wien im jahre 1804 zeugen. Dort erzählt Chr. von Stram- 
berg unter Brentano: „Von jeinem Aufenthalte in Wien, namentlich 
1804, weiß ich nicht viel zu berichten.“ (II 1, 115.) Hieraus ift zu 
folgern, daß auch dieſer Berfajjer einen mehrfachen Aufenthalt Bren- 
tanos in Wien annimmt. — Bejonders ergötzlich ift dort Strambergs Freilich 
etwas phantaftijch-verworrene Schilderung von der erſten Aufführung 
des Ponce zu Wien im jahre 1804 zu lejen (S. 116—117). — 
Aber derjelbe Autor erzählt in feinen Ergänzungen zum Brentano- 
Artifel eine artige Brentano-Anefdote aus des Dichters Wiener Leben, 
die doch wohl nur in das Jahr 1804 hineinpafjen kann, nicht in die 
Jahre 1813 und 1814. „in jener unheimlichen Zeit, an einem Sonn- 
tage“ — jo wird dort erzählt (©. 782), jucht dev Dichter Zerſtreuung 
im Wiener Prater. Die Yangeweile treibt ihn in die Einjamfeit des 
Augartens. Brentano ſtreckt jich ins Gras und vertieft jich in die 
Lektüre eines Buches, als er von einem Bolizeidiener inquiviert wird: 

4* 


52 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


„Wos mochens do?“ fragt der Jünger der Hermandad. „Ich leſe.“ — 


„So, was lejens guts?“ — „Schlegels Yucinde, ein nichtsnußiger 
Roman.“ — „Gebens amohl her.” — Der Wächter der Ordnung 


blättert im Büchlein und jagt nach einer Weile: „recht brav, foahrens 
furt, das zerftreut den Herrn und vertreibt die übl'n Gedvanfen. ch 
will ihna nimma jtörn.“ Brentano darf vorerjt ruhig weiter leſen. — 
Wird ich Brentano noch 1813 oder 1814 ein einjames Pläßchen 
ausgejucht haben, um die im Jahre 1799 erjchtenene „Lucinde“ zu 
leſen? Schwerlich. Im Jahre 1804 aber fann das wohl gejchehen jein. 

Uebrigens ließ der Policeman den Dichter nicht allzulange lejen. 
„Jetzt hoab'ns gnua gleſ'n“ — jagt derjelbe zum Dichter. „Dep 
vüli Studien thut Ihna fan guat, ſetz'ns Ihna kani Grilln in Kopf, 
So wer'n davon tiefſinni, und ſpringa auf d'letzt in Dona. Geng's 
lieba zruck in Proata obi, und trink'ns a holbi Liſinga Märzn Bier, 
und führ'ns a vernünftigs Gſpräch mit vernünftigi Leut.“ — Und — 
ſo ſchließt v. Stramberg dieſe Erzählung — „den Augarten mußte 
der junge Mann räumen.“ — Der „junge Mann“ paßt nun wieder 
wohl noch auf das Jahr 1804, nimmermehr auf 1814. — 

In ſelbſtändigen Büchern mag es zuerſt Emma von Niendorf 
geweſen ſein, die (1544) merkwürdigerweiſe erwähnt: „Während des 
Stongrejjes in Wien wurde Brentanos Yuftjpiel Ponte di Leonce aus- 
gepfiffen, was vielleicht auf jein ganzes Yeben Einfluß hatte, weil der 
Dichter bald nachher abreijte” (a. a. O. ©. 44). 

Dann folgt Heinrich Schmidt (1856), der in jeinen „Erinnerungen 
eines weimarijchen Veteranen“ viel Wunderliches über Brentanos 
Aufenthalt in Wien im Jahre 1813 auftischt (©. 209 *ff.). Sein 
Buch dürfte aber das erſte jein, welches von einer Bonce-Aufführung 
aus diejer Zeit Spricht, und dies unter dem neuen Titel: „Waleria.“ 
Schmidt jchreibt (S. 210): Das Yustipiel „Fam unter dem Namen 
„Baleria“ zur Aufführung auf dem Burgtheater.“ Der Berfafjer ijt 
jehr jchlecht auf Brentano zu jprechen, verfaßte auch einen Aufſatz 
„In der Nacht nach dem verhängnisvollen Valerinabend. Wien, den 
18. Februar 1814”, betitelt „Bon dem Theaterfritifer und Dichter 
aus Yangenjalza.“ Unter legterer Ueberſchrift jchrieb befanntlich Brentano 
jeine Theaterkritifen für Bernards Theaterzeitung (Dramaturgijcher Be- 
obachter). — Das Bofitive hieran ift, daß Brentanos Ponce de Yeon 
als „Valeria“ am 18. Februar 1814 in Scene ging. Schmidt, der 
übrigens in chromologijchen Dingen jehr unzuverläfjig ift, giebt aber 
weder an, daß Brentano bereits früher in Wien gewejen, noch auch, 
daß er 1804 nicht in Wien gewejen ift. 1804 wirkte Schmidt in 
Eijenjtadt im Dienfte des Fürſten von Eſterhazy. 

Reinhold Steig will nur von einer Aufführung des Ponce 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 53 


etwas willen, von der durch Schmidt jüngst bekannt gegebenen „Valeria“-— 
aufführung am 18. Februar 1814. Steig jchreibt: „Mit feiner 
„Baleria“ aber, wie Brentano die bühnengerechte Bearbeitung des 
Bonce de Yeon nannte, erlebte er die argjte Enttäufchung. Nach Nro. 39 
des nahen Beobachters wurde das Yuftjpiel „nur einmal“ 
am 18. Februar 1814 im Theater nächjt der Burg gegeben. Es 
fiel gänzlich durch. Eine Flut von Zeitungsartifeln folgte; Clemens 
wurde im dramaturgiichen Beobachter Nro. 24; 29; 39 in eine un— 
erquickliche Polemik verwickelt.“ (©. 332.) 

„sedenfalls nimmt Steig pojitiv an, daß Brentanos Yuftjpiel 
nur als „Valeria“ im Jahre 1814 zur Aufführung gelangte, „nicht 
jchon im Jahre 1504, wie noch in den jüngſten Arbeiten über Brentano 
zu leſen iſt“ (©. 366). — Das ijt nicht überzeugend. Vielmehr 
rechtfertigt jich die Anmahme, daß Brentanos Luſtſpiel als „Bonce de 
Yeon“ wirklich um das Jahr 1804 in Wien zum erjten Mal in Scene 
ging. Um nun die unliebjamen Reminiſcenzen an die Aergerniſſe und 
Miperfolge des Jahres 1804 nicht ſchon durch den Titel wieder wach- 
zurufen, wird ſich Brentano, da ev jeßt 1813/1814 aufs neue an 
eine Darftellung jeines Werfes denfen mußte, entjchloffen haben, das- 
jelbe umzutaufen: und jo gab ex ihm nicht mehr den Namen des 
Helden, jondern der Heldin Baleria, der Tochter jeines armen Bürgers 
Valeriv de Campaceo. — 

Immerhin bedarf diefer Gegenftand noch weiterer Unterfuchung 
und Aufklärung. Es find doch zu viele gewichtige Stimmen vorhanden, 
welche Clemens jchon 1804 in Wien fein lajjen, als daß dies Alles 
jo mit einem Schlage über den Haufen geworfen werden fünnte. Bis 
aljo nicht zwingende Beweije vorliegen, bleibt es dabei: Klemens Brentano 
befand jich um das Jahr 1804 und 1813 in Wien. — 


Ve 

Auch über den diveften Berfehr Clemens Brentanos mit Beethoven 
in diefem Jahre 1813 läßt fich nunmehr Ihatjächliches mitteilen. 

In allerjüngjter Zeit fand ich bei neuem forgfältigen Durch— 
juchen des Schindlerjchen Beethoven-Nachlafjes in der bereits erwähnten 
Diappe III zwei Manuffripte von Clemens Brentano. Wie fchon an- 
gedeutet, enthält dieſes Konvolut mannigfache Gedichte und S Operntexte, die 
dem Tondichter zur Kompoſition zugegangen waren. Des einen Manu- 
jfriptes von Brentano (Nr. 42 diefer Mappe), der Yuifen-Santate nebft 
Zueignungsgedicht an die Kaiſerin von Dejterreich, war bereits oben ge— 
dacht. Das zweite Manuffript, Nr. 28 diefes Paquets (Beethoven- 
Auographe Nr. 27), enthält vier bisher nicht beachtete Gedichte Bren 
tanos an Beethoven, welche in der Ausgabe feiner Schriften fehlen. 


54 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanes Beziehungen zu Beethoven. 


Zum allgemeinen Berjtändnis oder zur Erklärung der Entjtehung 
diefev Gedichte ift zu bemerfen, daß Beethoven im Hochjommer 1813 
Wellingtons Sieg bei Vittoria über die Franzoſen (21. uni) durch 
ein ſymphoniſches Werk verherrlichte. Trotz der bejonders drangvollen 
Umftände in Beethovens Yebensgange im Jahre 1813 jchuf Beethoven 
mit jeinem op. 91 „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“ 
fir Orcheſter ein Werf, das einen glüclichen Wendepunft für feine 
ganze fünftleriiche Exiſtenz bedeuten jollte. 

Der langjährige Gefährte und Biograph des Meijters, Anton 
Schindler, leitet den 5. Abfchnitt des 1. Bandes jeiner Beethoven- 
Biographie, wie folgt, ein (3. Auflage, 1, 191): „Wir ftehen nun 
vor einem der wichtigjten Momente im Leben des Meijters, in welchem 
alle bisher diffentivenden Stimmen, mit Ausnahme weniger Fachmänner, 
jich endlich dahin geeinigt hatten, ihn des Yorbeers würdig zu halten. 
Wir haben nämlich über die am 8. und 12. Dezember 1813 in der 
Aula der Univerfität jtattgehabten Aufführungen dev A-dur - Sinfonie 
und der Sinfonie ‚Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria‘ 
zu jprechen, welche Feierlichfeit von dem f. f. Hofmechanifer Mälzel 
zum Vorteile der in der Schlacht bei Hanau invalid gewordenen öſter— 
veichifchen und bayrijchen Krieger veranftaltet worden war.“ 

Der Erfolg der Schlacht-Symphonie war ein ganz erjtaunlicher. 
Alles jubelte und grüßte dem Tonfürften zu; in ganz hervorragender 
Weiſe nachher Journaliſten und Dichter. 

Schon im Januar 1814 erfolgte die Wiederholung diejer beiden 
jymphonifchen Erzeugnifje, diesmal im großen Redoutenſaale; am 
7. Februar, in demjelben Naume, Wiederholung diefer Werfe, wozu 
fich aber die erjte Aufführung der 8. Symphonie (F-dur, op. 93) 
gejellte und die eines neuen Terzetts für Sopran, Tenor und Baß, 
Tremate, Empij, tremate (op. 116), vorgetragen von Frau Anna 
Milder-Hauptmann und den Sängern Siboni und Weinmüller. „Die 
ubel-Ausbrüche während der A-dur- Sinfonie und der Schlacht bei 
Vittoria“, jchreibt Schindler (1, 195), „in welch leßterer alle Teile in- 
folge wiederholter Aufführungen jchon präcije in einander griffen, tiber 
jtiegen alles, was man bis dahin im Stonzertjanle erlebt haben wollte.“ 
Außerordentlich beveutfam erjcheint namentlich das umeingejchräntte Yob 
in der damals tonangebenden Yeipziger Allgemeinen Muſikzeitung, worin 
der Neferent über diefe Dezember - stonzerte (im Ar. + vom 26. Ja— 
nuar 1814) unter anderen Yobeshymnen jubelnd verfündet: „Yangit 
im In- und Auslande als einer der größten Inſtrumental-Komponiſten 
geehrt, feierte bei diefen Ausführungen Sr. dv. B. feinen Triumph. 
Ein zahlveiches Orcheſter, durchaus mit den erſten und vorzüglichiten 
biefigen Tonkünſtlern befeßt, hatte fich wirklich aus patriotijchem Eifer 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 55 


und innigem Danfgefühl für den gejegneten Erfolg der allgemeinen 
Anftrengungen Deutjchlands in dem gegemwärtigen Striege zur Mit- 
wirfung ohne Entjchädigung vereinigt und gewährte, unter der Yeitung 
des Komponiſten, durch jein präcifes Zuſammenwirken ein allgemeines 
Vergnügen, das ich bis zum Enthuſiasmus ſteigerte.“ 

Zu den Dichtern, welche in diefen Zeiten den Tonmeiſter und 
jeine Schlacht-Symphonie feierten, gehört in hervorragenditer Weije 
Glemens Brentano. Ich laſſe nunmehr diefe Gedichte nach dem Ber- 
liner Manujfripte folgen 9: 


Vier Yieder von Beethoven an fich jelbft. 
(Bon Clemens Brentano.) 
15 


Einfamfeit, du ſtummer Bronnen 
Heil’ge Mutter tiefer Quellen 
Zauberjpiegel innrer Sonnen, 
Die in Tönen überjchwellen, 

5 Seit ich durft in Deine Wonnen 
Das bethörte Leben ftellen, 
Seit Du ganz mich überronnen 
Mit den dunklen Wunderweleır, 
Hab’ zu funkeln ich begonnen 

10 Und num Elingen all die hellen 
Sternen Sphären meiner Seele, 
Deren Takt ein Gott mir zähle. 
Alle Sonnen meines Herzens, 
Die Planeten meiner Luft, 

15 Die Kometen meines Schmerzens 
Tönen laut in meiner Bruft. 

1) Es empfiehlt ſich, die Einheitlichkeit des Berliner Manuftriptes in dem 
Abdruck nicht zu zerftören. Nr. 1, 2 und 4 erfchienen mit zwei anderen Gedichten 
unter der Ueberſchrift „Nachklänge Beethovenſcher Muſik“ und mit der Chiffre 
C. B. ummittelbar nach der Beiprehung der oben erwähnten Akademie aus 
der Feder des mit Beethoven befreumdeten Dichters Karl Bernard in deſſen 
„Dramaturgifchem Beobachter” vom 7. Januar 1814, worauf zuerſt Nohl in 
jeinen Neuen Briefen Beethovens 1867 ©. 76, jedoch ohne Brentanos Autor— 
Ihaft zu erkennen, aufmerffam machte Ich teile die Abweichungen dieſes 
Drudes (B) von der Handſchrift in den Anmerkungen mit; die beiden anderen 
Gedichte folgen in der Beilage ©. 68. Ich kann nicht umhin, dem Herausgeber 
diefer Zeitfehrift für die Kollationirung des Berliner Manuffriptes mit den im 
Dramaturgiichen Beobachter enthaltenen gleichartigen Gedichten Brentanos meinen 
innigſten Dank abzuftatten. Die Berliner Königliche Bibliothek befitst den Drama 
turgiſchen Beobachter nicht. 


Erjtes Lied. 1 du Geifter Bromnen, B 2 Mutter aller heilgen 
Quellen, B 4 Die beraufchet überjchwellen B 6 bethörte] betrübte B 
’ funfelt] tönen B 11 Sternenchöre B 16 Klingen hoch B 
19 Muß] Kann B 22 den Gipflen] der Allmacht B 233 Dei, 


o Em’ger, mich erinnern! B 


56 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


In dem Monde meiner Wehmuth 

Alles Glanzes unbewußt 

Muß ich fingen und in Demuth 
20 Bor den Schätzen meines Innern 
Bor der Armuth meines Lebens 
Bor den Gipflen meines Strebens, 
Ewger Gott! mich dein erinnern. 
Alles andre ift vergebens. 

2, 

Gott! Dein Himmel faßt mich im den Haaren, 
Deine Erde reißt mich in die Hölle, 
Herr, wo joll doch mein Herz bewahren, 
daß ich Deine Schwelle ſicher ſtelle. 
Alſo fleh' ich durch die Nacht, da fließen 
Meine Klagen hin wie Feuerbronnen, 
Die mit glühnden Meeren mich umſchließen, 
Doch in Mitten hab ich Grund gewonnen, 
Rage hoch gleich räthſelvollen Rieſen, 
Memnons Bild, des Morgens erſte Sonnen, 
Fragend ihren Strahl zur Stirn mir ſchießen 
Und den Traum, den Mitternacht geſponnen, 
Ueb' ich tönend, den Tag zu grüßen. 


10 


. 
Du haſt die Schlacht geſchlagen, 
Ich habe die Schlacht getönt, 
Es raſſelt dein Sichelwagen, 
Der über das Schlachtfeld dröhnt, 
5 Sch hab’ ihn hinüber getragen 


Zweites Lied. 2 reißt] zieht B 3 Gott, wie joll ih doch B 
ı Schwelle] Schätze B 5 Alfo fleht der Sänger und es fließen B 6 Seine 
Klagen B 7 weiten Meeven ihn B shat er B 9 Rage hoch 
gleih] Und er wächlt zum B 10 Morgens] Aufgangs B 11 Ihre 


Strahlen Div zur Stirne ſchießen, B 
11a länge, die die alte Nacht erſonnen 
12 Töneſt dur, den jüngften Tag zu grüßen: 
12a Auserwählt find wen’ge, doch berufen 
12p Alle, die da hören, an die Stufen. — B 


Drittes Lied. Hiermit wendet fich der Dichter zur SR 
jelbft. In B als fünftes und letztes iS 1 Wer hat B 


hat B > Wer hat den Sichelmagen, B 4 Blutfeld B 5 San 
moniſch hinüber getragen, B 6 Daß ſich der Schmerz verfühnt? B 

7 Wen hat in B s Ein ſolcher Kranz B 9 Wer darf jo herrlich 
ragen, B 10 Bon Sieg und Kunſt verihönt. B 12 Woget und mallet 
die B 14 Sternennadt. B 15, 16 fehlt 2 17 Er ſpannt 
div das Roß aus dem B 18 Und zieht dich mit Wunderafforden B 

19 Dur ewig tönende Pforten. B 20 Triumpf, auf Klängen ges 


tragen! B 2ı Wellingthon, * 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 57 


Und habe den Schmerz verjühnt, 
Ich jeh Dich in heißen Tagen 
Mit blut’gem Kranz gekrönt, 
Und ich werd’ ewig ragen, 
10 Der Dih im Ton verfchönt. 
Wellingthon, in Tones Welle 
Wog’ ih und wall’ ih die Schlacht 
Wie eines Bulfanes Helle 
Durch Die heilige Sternennadt, 
15 Daß an der Zeiten Schwelle 
Die Shlummernde Zukunft erwadt. 
Die Roſſe entfpann’ ih dem Wagen 
Triumpf! auf Tönen getragen, 
Zieht mein Held ein, der Emigfeit Pforten 
20 Rufen in meinen Akkorden, 
Wellington, Viktoria! 
Beethoven! Gloria! 
4. 
Meine Lyra iſt umkränzet 
Und ich fing in hohem Ton, 
Daß es flinget, daß es glänzet 
Für den hohen Wellingthon! 


5 Daß wir im dem Herzen tragen 
Hohes Wort, Biltoria, 
Hat er aus dem Feind gejchlagen 
Siegreich bei PVittoria! 


Laßt uns fingen, klingen, trinken 
10 Für Hilpaniens heilge Schaar, 

immer wird die Schwelle finken, 

Kämpft dies Bolf am Hausaltar. 


immer auf des Herfuls Säulen 

Baut fi) des Tirannen Thron, 
15 Bor Gibraltars Fels, dem jteilen, 

Steht der David, Wellingthon. 


Biertes Lied. Diefes Lied hat Brentano — mannigfach verändert — 
jpäterhin im feine große Dithyrambe „Nheinübergang, Kriegsrundgefang“ mit 
Refrain (Gejammelte Schriften 2, 33—42) aufgenommen. Diejes Chorlied hat 
42 Strophen. Mit Strophe 15 beginnt der auf Wellington bezügliche Teil. 
Ich bezeichne die Lesarten mit 6. 

1-3 Aber nun den Becher kränzet 
Stoßet an im hohen Ton, 
Daß er flinget, daß es glänzet & 
4a Wellington, die Wellen tönen 
b Wogend dich um Albion, 
e Und Hifpanien, dich zu Frönen, 
d Treibet Porberhaine Schon. 


5 Daß] Was C 7 Haft du C 8 Bittoria. C 9 Und dann 
laßt uns jubelnd trinken & 14 Bauet fich ein fremder Thron, & 


17 Hoch ſchon auf Ü 19 Und fein Rieſe bleibt ihm jtehen, & 


58 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentauos Beziehungen zu Beethoven. 


Oben auf den Pirenäen 
Sucht er feiner Schleuder Stein 
Und der Feind bleibt ihm nicht jtehen 

2» Scheinet gleih der Gegner klein. 
Groß ift nicht, wer viele, viele 
Wie ein Xerres überjchifft, 

Groß ift, wer zur heil’gem Ziele 
Mit gerechtem Wurfe trifft. 

25 Groß ift nicht wer breit und lange 
Schatten in die Welt hinftreut, 
Bor dem Somnenuntergange 
Wächſt der Schatten alle Zeit. 
Seht, wie Joſua begehrte 

30 Einft der Sonne Stilleftand, 

Hat der Held mit jeinem Schwerde 
Spaniens Somme auch gebannt. 
Und wie einft die Mauern ſanken 
Bor Trometten Gideons, 

>55 Sehn wir alle Bejten wanken 
Bor dem Siegsſchall Wellingthons 
Klinge Lyra, ewig leben 
Joſua, David, Gideon 
Und die Pyrenäen heben 

410 Div ein Dentmahl Wellingthon. 


Dieje Gedichte im Manuffripte bergen noch ein weiteres Intereſſe 
in jich. Sie find offenbar vajch und feurig fonzipiert und jogleich mit 
begleitenden Zeilen, die hier ebenfalls im Manuffripte unter den 
Yiedern jtehen, an den Tonmeiſter gejandt worden. 


Dieje Zeilen, das einzige brieflichde Dofument Brentanos an 
Beethoven, lauten: 
„Ich habe diefe Lieder eine Stunde eher ich im ihre Muſik gebe, geſchwinde 
hingejchrieben, jpäter würden fie beffer geworden fein, das letzte Lied ift nicht ge— 


21 Aber groß ift nicht, wer Viele C 31 feinem] frommem € 34 Po⸗ 
ſaunen C 37 Klinge Lyra] Trinkt dem Helden C 38 David, 
Sojua, C 10 ein] das C. Nach 40 folgen in C noch weitere 17 Strophen. — 


Wie gerade diejes vierte ſchwungkräftige Lied ganz im Geifte Beethovens gejchaffen 
it, jo beweifen Ddiefes vornehmlich Sätze wie V. 25, 24, die das heilige Wefen 
der göttlichen Gerechtigkeit verkünden. Davon find namentlih auch die Briefe 
Beethovens voll. So lefen wir 3. B. in einem Briefe an den Negiftraturdireftor 
Tſchichka in Wien (1817) das wunderbare hohe Wort: „Sch könnte auch jehr 
empfindlich jein, aber der Gerechte muß auch Unvecht leiden können, ohne fi im 
Mindeſten vom Nechte zu entfernen. Sm Diefem Sinne werde ich jede Probe 
bejtehen md man wird mich nicht warten machen.“ 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 59 


jchloffen, denn Daniels Harfe, Gideons Pojaune gehört Ihnen, Sie müffen 
den haßenden Saul heilen, verzeihen Sie, es ift lauter Liebe und ich werde beifer 
kommen 
ihr 
Clemens Brentano.“ 


Dieſe wenigen prächtigen Worte laſſen den angenehmen Schluß 
ziehen, daß der Verkehr zwiſchen Sänger und Dichter in jenen Tagen 
ein ebenjo hHerzlicher als auch namentlich für Clemens exjprießlicher 
gewejen jein muß. Die veinigende, erhebende Kraft, die von Beethoven 
aus auf jo viele überging, muß jich auch an Clemens Brentano offen- 
bar gemacht haben. Da ein Teil diefer Gefänge ſchon am 7. Januar 
im Drucke erjchienen, jo geht man faum fehl, wenn man annimmt, 
daß ſie unmittelbar vor der großen Beethoven-Afademie in den erſten 
Januartagen 1814 entjtanden find. — Gerade bei diefer Veranlafjung 
jei auf die merkwürdige Achnlichfeit hingewiejen, welche die Bildnifje 
Deethovens und Clemens Brentanos erkennen lafjen. 


v1 
Clemens Brentanos Aufenthalt in Wien dürfte etwa ein Jahr 
gedauert haben — vom Juli 1813 bis zum Juli 1814 — etwa 


bis zu der Zeit, wo auch jeine Gefchwilter Franz und Antonie das 
Wiener Heim fin immer aufgaben. 

Sp weit Zeugnijje darüber vorhanden jind, war dieſe Wiener 
Epoche für Brentanos Yeben von nachhaltig günftigem Einfluffe. Er 
jah ich in Wien von den hevvorragenditen Geiftern geehrt und geliebt, 
gefiel auch, troß mancher jeiner Abjonderlichfeiten, dem Wiener Phäaken— 
Bölfchen ungemein gut. Seine fritijche und jchöpferifche Kraft brachten 
in Wien manch fojtbares Stück zuftande. Die Zeit des allgemeinen 
friegerifchen Auffchwunges weckte auch in Brentano die Tyrtäiſchen 
Saiten zum Tönen herrlicher Kriegslieder. Beſonderen Erfolg hatte 
der Dichter mit jeinem Bühnenfeftipiel „Am Rhein, am Nhein“, das 
im Jahre 1814 über die Bretter ging und dem beglückten Berfaffer 
jogar den offiziellen Dank der faiferlichen Familie eintrug (Diel 1, 405). 
Noch am Abend jeines YVebens — jo belehrt uns Diel — xedete 
Brentano oft von den Wiener treuen Freunden und von der Yiebe, 
die ihm dort zu teil geworden war. 

Auch Karoline Pichler verjagt ihm nicht ihre Bewunderung und 
Anerkennung. Brentano gehörte ihr freilich — der neuen Geiftesrichtung 
an, „und obwohl jeine jehr markierte Driginalität, ſein poetiſches 
Talent und jeine geiftreiche Unterhaltung“ ihr manch angenehme Stunde 
bereitete, fand jie freilich auch Vieles jo heterogen in der beiderfeitigen 


30 A. Chr. Kaliſcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 
) IT, h) ( 3 


Denkungsart, daß ſie ihn oft mit ſtillem Staunen zuhörte, „und eben 
jo oft ganz und gar nicht begriff, was ev meinte und ſagte“. (Denk— 
windigfeiten 2, 240 f.). 

Daß fich Clemens’ Andenken im Herzen feiner Wiener Freunde 
jehr lebendig behauptete, |prach noch bejonders Franz Gräffer einige Jahre 
nach des Dichters Tode in den Fleinen Wiener Memoiren (Wien, 1545, 
2, 37) aus. 

Mach dem Friedensjchluffe wünjchten Clemens’ Berwandte, daß 
ex fich ihmen wieder in Berlin anſchlöſſe. „Clemens war gegen Ende 
des Jahres 1314 mit Arnim und Bettina von Wiepersdorf nach Berlin 
übergejiedelt und wohnte bei jeinem Schwager Savigny in der Ober— 
wallſtraße.“ (Diel 2, 4.) Schon dieſer Biograph wies auf Brentanos 
Zeit der „ſtrengen Theaterkritik“ in dieſer Berliner Periode hin. „Leider 
konnte nicht ausfindig gemacht werden, in welchem Blatte dieſe Aufſätze 
erſchienen“ klagt Diel (2, 93). 

Glücklicherweiſe konnte hier Ludwig Geiger im Jahre 1890 
etwas Poſitives ausfindig machen und darbieten, was direkt mit 
Beethoven in Verbindung ſteht. Dieſer Literarhiſtoriker fand in der 
Berliner Spenerſchen Zeitung 1815 eine mit C. B. unterzeichnete, 
offenbar von Clemens Brentauo herſtammende Kritik des Dichters 
über Beethovens damals zum erſten Male in Berlin aufgeführten 
„Fidelio“, die ich, da mir der betreffende Jahrgang der Spenerſchen 
Zeitung unzugänglich iſt, nach ſeinem Abdruck citiere. Durch Ver— 
öffentlichung dieſer Kritik konnte Geiger meine darüber veröffentlichten 
Arbeiten ergänzen. !) 


1) Bgl. des Berfaffers Aufſatz: Die erſten FidelioAufführungen in Berlin 
in der Illuſtrierten Berliner Wochenschrift „Der Bär” vom 10. und 17. April 1886 
(Nr. 28 und 29); ferner 2. Geigers Artikel im der „Beilage zur Allgemeinen 
Zeitung“, (München) Nr. 331, vom 29. November 1890, unter dem Titel: 
„Clemens Brentano und Beethoven“, ein Titel, der freilih durch den Inhalt des 
Artikels keineswegs gerechtfertigt erſcheint. — Wenn hiev ferner Geiger u. a. be- 
merkt: „Daß er (Brentano) aber in dieſer thätigen, innerlich und äußerlich 
bewegten geit auch muſikaliſches Intereſſe bewies und unter die Berliner Zeitungs- 
jchreiber ging, war bisher völlig unbekannt. Weder feine noch die Biographen 
Beethovens wiſſen Das Geringfte davon” — ſo iſt dieſe Unrichtigkeit durch die 
oben mitgeteilte Bemerkung Diels (2, 93) bereits feſtgeſtellt. Ja, ſchon beträcht— 
lich lange vor der Dielſchen Biographie war dieſe Brentanoſche Thätigkeit aus 
den von Holtei edierten Briefen an Tieck (1864) zu entnehmen. Dort wird ein 
Brief von Ludwig Robert an Tieck aus Berlin, 30. März 1816 mitgeteilt (3,143 f.), 
worin es heißt: „Die unberufene Feder, Die fich in den Zeitungen über Dekorationen 
hat vernehmen lafjen, ift die des konfuſen, aberwißigen, aber witzigen Brentanos, 
der mir als Schriftfteller und Dichter höchſt zumider, als litterarifcher Hanswurit 
und Iuftiger Nat am Hofe des Apolls aber doch gar nicht übel ift.“ — In den 
Berliner Neudrnden (3. Serie 1. Band, Berlin 1892: Ludwig Achim von Arnim. 
Unbekannte Aufſätze und Gedichte. Mit einem Anhang von Clemens Brentano 


A. Chr. Ralifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 61 


Diejer höchſt interejjanten Kritik Brentanos über Beethovens 
Fidelio gleich nach der erjten Aufführung an der Berliner Oper 
(11. Dftober 1815) entnehme ich folgende Süße: — — „ryidelio 
ift aufgeführt — meifterhaft aufgeführt — unfer braver Weber !) hat 
dirigirt und zujammengehalten wie ein Ehrenmann, wie ein Freund 
aller Genialität — ich mag das Theater nicht jo wie es heutzutage 
in der Welt iſt — aber heute erfreute es mich durch Mark und Bein — 
heute habe ich gefühlt, was es vermag, wenn der Zufall ihm etwas 
Bortreffliches zumutet und das Bortreffliche das Talent und den bejten 
Willen zu Haufe findet.“ — — — „aber jie (sc. die Dper) hat 
jich anhören laſſen, als wäre jte leicht, fie machte durchaus einen edlen 
einfachen großartigen Eindruck, alles ward verjtanden umd gefühlt, 
und die entjeßliche Abjonderlichkeit bejtand höchjtens darin, daß heute 
Abend nicht Vetter Michel da war, der uns rührte, jondern, daß es 
einem manchmal zu Mute wurde, als wäre es der Erzengel Michael 
jelbjt und denft euch, wir verjtanden ihn alle, er war uns nicht zu 
hoch, er war uns eben qut genug. Das ijt aber die Aufgabe und 
der Sieg der Kunſt, daß fie das Höhere zum Meenjchlichen macht, jo 
jteigen die Götter zur Erde nieder, jo fünnen wir jie lieben, jo werden 
wir zum Himmel ermuthigt. Dank div, guter einfamer, in div und 
deinen Tönen einfamer Beethoven ?) für dein Werk, Danf dir geift- 
voller und: das Beſte vedlich und tüchtig wollender Weber und euch 
allen, ihr braven Künſtler, ihr habt eine Menge das Beſte liebende 
Herzen begeiftert und gerührt entlafjen.” 

Wenn man fich mm nochmals Brentano als Verherrlicher der 
Beethovenjchen Schlachtiymphonie vergegenwärtigt, dann begreift man 
die legten jchwungvollen Worte jener Fidelio-Kritik als einen feierlichen 
Kachhall der hochgehenden Wiener Zeiten im Winter 1813/1814. 
Man höre: „In Beethovens Schlacht von Vittoria machte fich der 
ehrwindige Salieri eine Freude daraus, das Chor der franzöſiſchen 
Trommeln, Weigl das der englijchen angeführt zu haben, und alle 
eriten Birtuofen Wiens füllten das Oxcheiter.?) Es giebt eine Größe 


©. 130 ff.) ift jeßt ſowohl dieſe FidelioKritik als auch manch ein anderes Gedicht 
Brentanos aus jener Berliner Zeit ans Tageslicht gezogen. Der Jahrgang 1816 
der Spenerfchen Zeitung böte Stoff zur Nachlefe. 

1) Bernhard Anfelm Weber, der 1766 zu Mannheim geboren ward und 
als Königl. Hoffapellmeifter zu Berlin im Jahre 1821 ftarb. 

?) Diefe Worte erinnern an das erfte der oben mitgeteilten Gedichte 
Brentanos an Beethoven, welches den einfamen Meifter befingt. 

°) Die Stelle des befannten von Beethoven abgefaßten Dankſchreibens 
nach jenen Afademien am 8. und 12. Dezember 1813, jpricht wohl von Salieri, 
aber nicht von Weigl, — nämlich: „Wenn Herr Schuppanzigh an der Spite 
der erjten Violine und durch feinen fenrigen, ausdrudspollen Bortrag das Orchefter 


62 A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 


in der Kunſt, welche wie die Seligfeit feinen Nang erkennt. Bei jenem 
Werk war ein ähnliches Gerede voraus, aber die heilige Woge, die 
Flut und Ebbe des Genius trug fie alle jelig dahin, alle waren eins, 
es gab feinen Künftler, ja feinen Beethoven mehr und die Geifter, 
die über der Woge jchwebten, liegen jich auf alle herab. Das Werk 
ward lebendig, es ward gejchaffen und erlebt. So aber wird ein 
Kunſtwerk hoher Art allein zu jtande gebracht.“ 

Die erjte Yeonore in Berlin war befanntlich Frau Juſtizrat 
Joſephine Schulze - silligichiy, die in Reichardts Bertrauten Wiener 
Briefen gefeierte „ſchöne Böhmin mit der jchönen Stimme“; erſt in 
der zweiten Aufführung (14. DOftober) erjchien Frau Anna Milder- 
Hauptmann, um als Fidelio die höchjten Triumphe zu feiern. — Wach 
ihrem erſten Auftreten widmete ihr nun Clemens Brentano in der 
Spenerjchen Zeitung einige etwas wunderliche Strophen, die von Y. 
Geiger aus derjelben Quelle aufs neue zum Abdruck gebracht worden jind. 

Uns mag es genügen, die dritte Stanze diejes vierjtrophigen 
Gedichtes hier fennen zu lernen: 

Bifarrheit wär” Pizarro der Tirann, 
Der uns Beethoven, Herrn der tiefen Kunft, 
Gefangen hielte gleih dem Floreſtan? 
Mein, Schlendrian und Neid und Brettergumft 
Berdrängten ihn; doch alten Leierbann 
Brad) nicht vergebens feine heil’ge Brunft, 
Die Feffeln und der Menge Taubheit jpringen, 
Sie hört ihn milder als Fidelio fingen. — !) 

Auch die Schluß-Dttaven bringen noch viermal das Epitheton 
„milder“ vor, um Anna Milderjche Künftlereigenjchaften in das ge- 
bührende Yicht milder Verklärung zu jeßen. 


mit fich fortriß, ſo jchenete ſich ein Herr Ober-Slapellmeifter Salteri nicht, den 
Takt der Trommeln und Canonaden zu geben; Herr Spohr und Herr Mayſeder, 
jeder durch feine Kunft der oberften Leitung würdig, wirkten an der zweiten umd 
dritten Stelle mit, und Herr Siboni und Giuliani ftanden gleichfalls an unter- 
geordneten Pläten.“ (Bei Schindler, 1, 195.) 

ı) Durch Steigs Güte bin ich in der Lage, aus Brentanos Handjchrift, 
die als Drucdvorlage für die Spenerfhe Zeitung 1815, 21. Oftober diente, folgende 
Anmerkung mitzuteilen, die dieſer dritten Strophe hätte Hinzugefügt werden follen, 
im Drud aber wegblieb: „Die dritte Stanze bezieht fih auf die ungemeinen 
Schifanen, die Bethoven erleiden mußte, biß er feine Oper in Wien auf der 
Bühne feftftellte. ES war ein Lerm voraus, als würde die ganze menschliche 
Gejellihaft darüber zu Grund gehn. Und wir würden gewis beveit3 eine Menge 
herrlicher Opern von ihm haben, wäre es ihm cher gelungen, Aufführer zu 
gewinnen. Uebrigens war die heutige Aufführung des Fidelio nur dadurd von 
der erjten umterichieden, daß Fidelio durch das Uebergewicht der Künſtlerinn ein- 
jamer ftand als das erftemal, des Tiranns Stimme jchien zu ohnmächtig, da er 
fich nicht wie Floreftan Durch lange Kerkerleiden entſchuldigen läßt.“ 

A. Sauer. 


A. Chr. Kalifcher, Clemens Brentanos Beziehungen zu Beethoven. 63 


Seitdem Brentano hier noch einmal — geijtesverwandt mit feiner 
Schwejter Bettina — Beethoven als „Herrn der tiefern Kunſt“ ge- 
feiert hat, verraten jeine jonftigen jchriftjtelleriichen Exrzeugnifje, jo weit 
jie uns überliefert find, nicht, daß er ſich noch viel um die Beethovenjche 
Kunſt gefümmert habe. Die Stetigfeit des Mufifempfindens, ebenfo 


der damit verbundene Enthufiasmus jür Beethoven — unverwelfliche 
Nuhmesblätter in Bettinens Geijtesleben — fehlen ihrem Bruder Cle— 


mens freilich. 

Konnte ich auch nicht den Jahrgang 1815 der Spenerjchen Zeitung 
zu Gefichte befommen, jo doch den von 1816, worin ich zu meiner 
Freude auch noch dem Namen Clemens Brentano als Mitarbeiter in 
musicis begegnete. Sp in Wr. 124 von Dienftag den 15. Dftober 1816 
mit einer Kritif über die Sängerin Clara Megger, „als fie die Mirrha 
im unterbrochenen Opferfefte darjtellte. Bei ihrer Anweſenheit in Berlin 
in Begleitung ihres Yehrers und Pflegevaters, des fünigl. Baierjchen 
Stapellmeifters Ritter von Winter.“ Erſt fommen zwei Strophen Berfe 
— höchſtwahrſcheinlich ſonſt nicht wieder gedructt — und dann hoch- 
poetijche Broja. Zu Ende: „Berlin den 13. Dftober 1816 Klemens 
Brentano.“ 

Daß dem Dichter die Gabe des Gejanges wie in Worten jo 
auch in Tönen bis zum Spätabend feines zuleßt jo unglüdjeligen und 
doch jo inbrünftig jehnjuchtsvollen Dajeins treu blieb, wiljen wir be- 
jonders aus Emma Niendorfs Aufzeichnungen, welche in ihm gevade 
damals (1841) „Etwas von Goethe im Gefichte“ fand (a. a. D. 
©. 3). — Er hatte, ganz wie Beethoven, bei all jeinen Schroffheiten, 
im Grunde etwas abjolut Weines, Heiliges und darum Verjühnendes. 
So berichtet diejelbe (©. 37 F.): „Niemand in der Welt hat mix jo 
bittere Kränfungen und graufame Worte gejagt, als Clemens, und doch 
fonnte ich mich nicht zümend von ihm wenden. Er jprudelte das fo 
heraus wie im Wahnfimm. Ich wußte es genau, wenn wieder der 
rechte Brentano in ihm jprach und über den dämoniſchen fiegte. Nie 
vermochte ich Groll zur hegen — war es doch Bettinas Bruder.” — 

Auch weniger romantiſche Naturen verfannten unter manchen 
Brentanojchen Seltjamfeiten und Wirrungen nicht den tiefen Goldgehalt 
jeines Geifteswejens, der zu denfen giebt. So auch Gubitz, der viel 
Intereſſantes über den vätjelhaften Clemens erzählt. „Mir war er” — 


jo belehrt uns derjelbe (Erlebniſſe 2, 149) — „bei aller Sonderbar- 
feit in jeinem — von ihm nur läjfig benügten — Geiftreichtum immer 


eine anziehende Erjcheinung, und daß er mix vätjelhaft blieb, ver- 
mindert das Anziehende gewiß nicht, giebt mir vielmehr noch jeßt zu 
denfen und zu erwägen.“ 

Daß Clemens Brentano, der am 28. Juli 1842 morgens halb 


64 N. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


9 Uhr von jeinem Erdenleiden erlöft ward, noch heute mit gutem 
Grunde „zu denfen und zu erwägen“ giebt, das beweiſt gerade das 
vege, mannigfache Intereſſe, welches ſich in unjerer Zeit um diejes 
Dichters Yeben und Weben bewegt. 


Beilage. 


Aleber Clemens Brentunos Beiträge zu 
Carl Bernards Dramaturgiſchem 
Beobachter, 


An Reinhold Steig in Berlin, 

Aus äußeren Gründen, des voranftehenden Aufjages wegen, jah 
ich mich veranlaßt, mich mit einer bisher noch wenig aufgeflärten Periode 
im Leben jenes Dichters zu bejchäftigen, dem Sie, Hochverehrter Herr, 
im Yaufe der legten jahre jo eindringliche Studien gewidmet haben. 
Auf Ihre Mahnung hin ließ ich mich tiefer in die Sache ein, als meine 
nächte Pflicht und Abjicht gewejen war. Geſtatten Sie mir daher, daß 
ich die vorläufigen Ergebniſſe meiner Forſchung in erjter Neihe an Sie 
als den warmen Freund und werfthätigen Förderer diefer Zeitjchrift und 
den ſtets hilfsbereiten Berater ihres Herausgebers richte. Vielleicht 
jeßen Sie dort ein, wo meine Belejenheit und Kenntnis verjagt. 

Der „Dramaturgijche Beobachter“, dejjen einziges mir befannte 
Exemplar aus der Wiener Hofbibliothef ich durch Herrn Hofrat Hartels 
Güte mehrere Monate lang um mich haben durfte, iſt eine furzlebige und 
bisher wenig beachtete Wiener Zeitjchrift, über die jich weder in Zenkers 
Geſchichte dev Wiener Journaliſtik noch bei dejjen fenntnisreichem Necen- 
jenten im Anzeiger für deutjches Altertum etwas Näheres findet. Sie 
beginnt am 15. September 1813 mit einer Doppelnummer, die das im 
Titel gegebene Brogramm ausführlich umjchreibt, und ſchließt an Bernards 
zwei Monate vorher eingegangene Zeitjchrift gleicher Tendenz „Thalia“ 
unmittelbar an. Bis Ende Dezember erjchienen 48 Nummern; vom 
Jahrgang 1814 liegen 36 Nummern vor (Nr. 27 fehlt im Wiener 
Sremplar), die legte vom 23. März. Mehr ift auch faum davon er- 
Ichienen, obwohl es in der Anzeige am Schluß des Jahrgangs 1813 
heißt, daß das Blatt vorläufig bis Ende 1816 begründet jei. Wenn Sie 


99 


auf ©. 333 Ihres Buches „Arnim und Brentano“ die Nummer 39 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 65 


erwähnen, jo darf ich dies bloß als einen Druckfehler für er. 30 an- 
nehmen; denn in diefer Nummer vom 11. März jchliegt Brentano die 
Polemik über die Aufführung der „Valeria“ mit feiner „Erklärung“ ab. 
Das Blatt erſchien dreimal in dev Woche, zuerſt bei tupfer und Winmer, 
jeit Neujahr in der Geiftingerjchen Buchhandlung. Der Herausgeber ift 
nicht genannt. J. C. Bernards Name erjcheint 1813 Wr. 11 unter 
einem Gedicht „Preis der Geliebten“. Es ift der befannte Textdichter 
des Spohrſchen Kauft und der Kreuzerſchen Libuſſa (1780—1850), ein 
vieljeitiger aber oberflächlicher Wiener Yiterat, der Herausgeber der 
Wiener HZeitjchrift, jpäter Hauptredaftenr der Wiener Zeitung, dem 
man aber auch in anderen Zeitjchriften und Almanachen jener Tage 
häufig begegnet. Auch in Schreyvogels Aglaja. Durch Schreyvogel 
(oder Deinharditein?) mag er auch mit Grillparzer in Berührung ge- 
kommen jein oder wenigjtens von dejjen ungedruckten Gedichten Kenntnis 
erhalten haben. Die „Inſchriften unter Bildniffe deutfcher Dichter“ am 
Ende der Aglaja für 1820, Diftichen auf Klopſtock, Goethe, Schiller, 
Wieland, Leſſing, Herder, 2 Voß, die Stolberge, Werner, 9. Collin, Müllner, 
Stoßebue, Iffland jcheinen mir durch Grillparzers Kenien auf Goethe, 
Schiller, Leſſing, Müllner 2c. aus dem jahre 1815 (Sämtliche Werfe 
>3, 89 ff.) angeregt zu fein, die ungedruckt waren, aber wahrjcheinlich 
in jenen literariich angeregten Tagen ebenjo die Runde durch Wien 
machten, wie in den jpäteren politijch aufgeregten Zeiten die politischen 
Epigramme des jcharfen Spötters. Die beiden Inſchriften auf Werner 
und Müllner jendet Schreyvogel in dem Briefe vom 24. Juni 1819 
als Probe des Ganzen an Grillparzer nach Italien GJahrbuch der 
ae Oeleiipit 17 181,97334)) 

Das erſte I ierteljaht des Deobachters, das wohl im wejentlichen 
auf Bernards Rechnung zu jeßen iſt, macht feinen bedeutenden Eindruck. 
Der Manı Hat jeinen Schlegel und Engel gelefen, greift auch noch 
auf den guten Nitter von Klein zuriick. Mean erhält ziemlich getveue 
Berichte über das Geleijtete, ruhig, Klar; jelten eine jchärfere epigram- 
matische Wendung, nirgends eine wißige Bemerfung. Er exrhißt jich 
gegen den Schwuljt der „Räuber,“ der ihn in den ewnfthafteiten 
Scenen zum Yachen veizt und jondert ſich dadurch als Aufgeklärter 
von dem Pöbel, der allein an dem Stück jeiner Meinung nach Gefallen 
finde. Wie Schreyvogel eifert er gegen die Berwendung der Pferde 
auf der Bühne. Gegen Körner ift er unduldſamer als die fonftige 
Wiener Kritik, vielleicht aus perjünlichen Grimden: „Der vierjährige 
Poſten“ wird als gereimte Proſa abgethan, „Zriny“ abfällig beurteilt; 
jedoch findet ſich ein kurzer Nekrolog auf den Helden, ſpäter wird das 
Schwertlied abgedruckt und ſeine Gedichtſammlung anerkennend beſprochen. 
Mit Vorliebe ſtürzt er ſich auf ſchlechte Ueberſetzungen, ſticht pedantiſch 


Euphorion IL, Ergänzungsheft. 5 


66 A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


einzelne Ueberjeßungsfehler, unedle Ausdrüce, falſche Neime auf. Mit 
einem Wort: Das Blatt erhebt fich, jo lang er den Ton angibt, 
nicht über die Mittelmäßigkeit. Neben Bernard kommen auch andere 
Beunteiler zu Worte. In Mr. 16, 19, 20 wird der Senjationstragddie 
jener Zeit, der „Schuld“, der jchuldige Tribut entrichtet (Arnim und 
Brentano ©. 318). In Wr. 17/18 wird das jatirische Schreiben 
eines Schaujpielers abgedruckt. Von andern Beiträgern nennt jich 
Deinhardjtein, dev mehrere Gedichte, Broben aus jeinem Alerandriner- 
luſtſpiel „Frauenliſt,“ Aphorismen („Meinungen eines Dilettauten über 
das Theaterwejen“) u. a. beigejteuert hat. 

Ein %., dev 1813 Wr. 28/29 die Frage: „Was ift bei einer 
Dper die Hauptjache? Text oder Muſik?“ beantwortet, bleibt mit 
andern anonymen Einſendern im Dunkeln, ebenjo F—d in 1813 
Nr. 47/48. V. N. ©., der 1813 Wr. 26 „Noch einige Worte über 
dramatifche Muſik“ äußert, entpuppt jich jpater als der Schaujpieler 
V. R. Grüner und liefert Proben aus jeinen poetijchen Werfen, 
darunter Bruchjtüce aus einem Jambendrama „Orijeldis.“ Chr. Kuffner 
ift 1814 Wr. 1 durch das Fragment eines didaktiſchen Gedichts „Die 
theatralifche Deflamation“ und am Ende des zweiten Vierteljahres durch 
ein „Tragiſches Drama“: „Andromache“ vertreten. Mehr zur Signatur 
der Zeit als zur Charafterijtif der Mitarbeiter jeien die patriotijchen 
Stüce erwähnt, die beiprochen werden: ein Schaufpiel der Weißenthurn 
„Hermann,“ ein hiftoriiches Mtelodrama „Hermann, Germaniens 
Netter“ von Matthäus Stegmayer. 1814 Wr. 5 vereint ein gewiſſer 
Mayhofen „die teutjchen Stämme” im Yiede; 1814 Wr. 10 findet 
fich auch Arndts „Wo ift das deutſche Vaterland“ abgedruckt. Darin 
fünnte man aber vielleicht jchon Brentanos Einfluß erkennen. 

Die Teilnahme Brentanos an dieſer Zeitjchrift ift zunächjt durch 
jeine eigene Aeußerung gegen Arnim jicher gejtellt, 5. April 1814 
(Arnim und Brentano ©. 336). „Ich habe zwei Monate lang in 
einem Blatt, der dramatiſche Beobachter genannt, weitläufige Iheater- 
fritifen umſonſt gejchrieben, das Publikum z0g fie den Leſſingſchen 
vor! ! und das Blatt ward unterdrückt durch Komödiantenfreunde 
und Freundinnen.“ Much lagen Ihnen einzelne Blätter der Zeitjchrift 
in Brentanos Nachlaß vor. In früherer Zeit zug man die Möglichkeit 
jeinev Mitarbeiterjchaft hauptjächlich deswegen weniger in Betracht, weil 
jeine Hauptchiffev C. B. auch auf Carl Bernard gedeutet werden fonnte. 
Brentanos Teilnahme jcheint erjt mit dem neuen ‘Jahrgang 1814 be- 
gonnen zu haben. Im alten Jahrgang deutet nichts auf ihn hin. Nur bei 
dem Gedicht „Turenne und Montecuculi“ in der legten Nummer 47/48 
vom 31. Dezember 1813 könnte man vielleicht Brentanos Autorjchaft 
in Erwägung ziehen. Es ift kräftig, anſchaulich, trog mancher Anklänge 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobadter. 67 


an nenere Kunftdichter, volfstüimlich im Ton: „Machmet Kuprogli“ im 
Keim auf Montecuculi erinnert an alte hiſtoriſche Bolfslieder („Monfteur 
Kiuprili“ Ditfinth 1877 ©. 33). Die kurze, vierzeilige Strophe ift der 
im Wellingtonlied und in anderen patriotifchen Gedichten von ihm ver- 
wendeten nicht unähnlich. Es wäre gewijjermaßen eine hiſtoriſche Vor— 
jtudie zu diejen Zeitgedichten. ber Redensarten wie „Da fam das 
Heer zu zagen,“ die Ihnen bei Brentano nicht begegnet jind, entjcheiden 
wohl für das Gegenteil. 

Uebernahm Brentano mit dem neuen Jahr in dem neuen Verlag 
vielleicht die Redaktion der Zeitjchrift? Die Biographie in den ge- 
jammelten Schriften 3, 54 meldet: „Auch Bernhards Theaterzeitung in 
Wien joll er damals einige Wochen lang vedigiert haben.“ Es wäre ganz 
gut damit vereinbar, daß er jeine Kritifen an den Herausgeber „des 
dDramaturgijchen Beobachters“ richtet, der Bernard geblieben wäre. Es 
ließe jich dann auch das Blatt bezeichnen, mit dem Bernard die Redaktion 
wieder übernommen hätte. 1814 Wr. 19 (14. Februar) heißt es unter 
‘der Ueberjchrift „Chronik der Wiener Theater” : „Statt einer unnügen 
und langweiligen Bolljtändigfeit in Anzeige aller, auf allen Theatern 
gegebenen Stüde, in denen ewig wiederholt wird, wie vortrefflich oder 
wie minder gut Herr oder Madam W. gejpielt haben, oder wie lang und 
furzweilig das Stüd jey, haben wir es für unterhaltender und der Kunſt 
fürderlicher gehalten, die gründlichen und genialen Bemerkungen eines 
befannten Gelehrten und originellen Denfers über ein Theater zu geben, 
in der Ueberzeugung, daß dadurch auch die übrigen, ja das Theater und 
die Schaufpielfunft überhaupt, eine wahre und eingreifende Beurtheilung 
gewinne.“ Zur Ergänzung wird nachträglich eine Hijtorijche Ueber- 
jchrift über die Yeiftungen aller fünf Wiener Theater gegeben. 

Mit Nr. 1 des neuen Jahrganges beginnt aljo Brentanos Mit- 
arbeiterfchaft und ex weiht das Blatt jogleich mit einem wertvollen 
poetijchen Beitrag ein, den ich ihm mit Ihrer Zuftimmung zumeije: 


Geheime Siebe. 


Unbeglücdt muß ich durch's Leben gehen, 
Meine Nechte find nicht anerkannt; 
Aus der Liebe ſchönem Weich verbannt, 
Muß ich dennoch ftets ihr Schönftes jehen! . 
Nicht die ſchwache Zunge darf's geitehen, 
Nicht der Blick verftohlen zugefandt, 
Was fich eigen hat das Herz ernannt, 
Nicht im Seufzer darf's der Bruft entmwehen ! 
Tröftung juch’ ich bey der fremden Nacht, 
Wenn der leere lange Tag vergangen, 
Ihr vertrau' ich mein geheim Verlangen ; 

5* 


68 A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


Iſt in Thränen meine Nacht durchwacht, 
Und der lange leere Tag kommt wieder, 
Still in's Herz fteigt meine Liebe nieder. 


b) B 


Es iſt Brentanos zarter, ſüßer, melancholiſcher Ton. Sie haben 
aber auch ſogleich den Lebenszuſammenhang erkannt, in den das Gedicht 
zweifellos gehört. Es iſt Ihrer Meinung nach an die Schauſpielerin 
Madame Brede gerichtet und darnach in die Prager Zeit des Jahres 1811 
zu ſetzen. Drei Wochen ſei er in ſie verliebt geweſen und habe ihr 
viel Lieder und Briefe geſchrieben, auch eine ganze Nacht unter ihrem 
Fenſter den Kometen angeſchaut. Sie habe alle beſcheiden und mit 
Grazie und vertraulich aufgenommen; er aber habe die Paſſion zierlich 
abgebrochen, weil zu viele Leute in ſie verliebt ſeien und ſie allen 
gleich artig ſei. Uebrigens werde er ſie immer ſehr hoch halten, ſie 
ſei eine der anmutigſten Holdſeligkeiten in der Welt. So berichtet er 
im Briefe an Arnim vom 10. Dezember 1811 (Arnim und Brentano 
S. 295). Sie haben den Brief Werke 8, 175 richtig als an Auguſte 
Brede adreſſiert gedeutet und haben uns das an ſie gerichtete Gedicht 
„Durch die ſtummen Wälder irrte“ (Werke 2, 182) erſt verſtehen 
gelehrt (Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1894 Nr. 178/148). Die 
Brede war ihrem Geliebten Graf Noftik treu ergeben, Brentano liebte 
entjagungsvoll: das paßt zu der Situation unjeres Gedichtes. Und 
auch die um ihretwillen durchwachte Nacht fehrt darin wieder. Es 
trifft jich hübjch, dag Madame Brede auch in dem Recenſionsteil unferer 
Zeitjchrift von Brentano flüchtig, aber lobend erwähnt wird. „Madam 
Brede“ — heißt es 1814 Nr. 7 — „hat eine der fleinjten Stimmen, 
und weiß doch in vielen Rollen den aaa Beyfall zu verdienen.“ 

Daran on ih mun in Nr. 3 (7. Januar), mit C. B. unter- 
zeichnet, die „Nachflänge Beethovenjcher Muſik“, welche den 
Anstoß zu diejer Unterfuchung gegeben haben. Ich lajje zur Ergänzung 
des oben ©. 55 gejagten die beiden mittleren Stüce 3 und 4 hier folgen: 


Seelig’, wer ohne Sinne 

Schmwebt, wie ein Geift auf dem Waffer, 
Nicht wie ein Schiff — die Flaggen 
Wechslend der Zeit, und Segel 
Blähend, wie heute der Wind weht. 
Nein ohne Sinne, dem Gott gleich, 
Selbft fih nur wiffend und dichtend 
Schafft er die Welt, die er ſelbſt ift, 
Und es jündigt der Menſch drauf, 
Und es war nicht fein Wille! 

Aber getheilet iſt Alles. 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernard Dramat. Beobachter. 69 


Keinem ward Alles, denn Jedes 

Hat einen Herrn, nur der Herr nicht; 
Einfam ift er und dient nicht, 

Sp auch der Sänger! 


4. 
Nichts weiß ich von div, o Wellingthon, 
Aber die Welle 
Tönt deinen Nahmen jo brittifch. 
Kleinod der Erde, England 
Eiland, vom Meere gegürtet 
Jungfräulich, Arche auf grünenden 
Hügeln ruhend, der Sündfluth 
Bift Dur entrücet, Dich lieb ich, 
Nicht um bandelbequeme 
Geſtalt in mancher Vollendung, 
Nein um dich nur, denn heilig 
Sind wohl die Inſeln. Die Sterne 
Gürtet umfonft nicht das Blau, 
Und die fehenden Augen, 
Wunderinfeln des Lichtes, 
Schwimmen umfonft nicht im Glanz; 
Was umarmt ift, ift Tempel, 
Freiſtatt des Geiftes, der die Welt trägt. 
(OR Y g 
Wer möchte fonft leben ? 

Zwei andere Gedichte, die ihm jicher gehören, jeien hier gleich 
angejchlojjen. In Mr. 21 vom 18. Februar 1814 fteht unter der 
Chiffer C. B. das Gedicht „Die drei Namen der Liebe des Oeſt— 
veichers“, das Sie Arnim und Brentano ©. 332 aus der Handjchrift 
mitgeteilt haben. In dem darauf folgenden, Bericht über die Feſt— 
vorjtellung jagt Brentano jelbjt darüber, daß es in der Form der drei 
Worte des Glaubens von Schiller abgefaßt jei. Voran geht ihm in 
derjelben Nummer eine zweite bei dem gleichen Anlaß entjtandene 
Gelegenheitsdichtung, die ſeitdem nicht wieder gedruct ift und die im 
Stil an das Feſtſpiel „Victoria und ihre Geſchwiſter“ (Schriften 7, 
279) aus dem „jahre 1813 erinnert: 


Prolog. 
Am Geburtstag unfers Kaifers in einer PBrivatgejellichaft vor dem Bilde 
Sr. Majeſtät; geiprochen Durch einen Defterreicher. 


Zum jchönften Worte ift es mir vergönnt 

Bor euch geliebte Fremde hier zu treten. 

Bon ihm, dem jedes Herz in Liebe bremit, 

Bon ihm, für deffen Heil wir alle beten, 

Bon ihm, den jeßt der Sieg don ung getrennt, 

Bon unferm milden, weijen Bater darf ich reden! 
Wir ftehen tief gerührt vor feinem Bilde, 

Ihn trägt Viktoria auf ſtarkem Schilde, 


70 A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


Heut ift der Tag, der uns den Herrn gebracht, 

8) jegnender ift nie ev aufgegangen, 

Als heute aus verhängnißvoller Nacht. 

In Siegesſonnen ſehn ſein Bild wir prangen, 

Das hohe Glück hat unſerm Herrn gelacht, 

Und um ſein heilges Haupt ſich Lorbeern ſchlangen; 
Nichts können wir zu ſeinem Kranz ihm bieten 

Als fromme Wünſche: Himmel! gib den Frieden. 

O Vaterherz, das gleiche Wünſche hegt 

Mit allen ſeinen Kindern, mit uns allen, 

Wie reich ſind wir! was dir die Bruſt bewegt, 
Fühlt jeder auch in ſeinem Blute wallen, 

Wie groß iſt Franz, wofür ſein Herz hochſchlägt, 
Muß aus Millionen Herzen wieder ſchallen. 

So wirkt der Sonne Feuer, Licht und Glanz, 

So wirkt ein Herrſcher, Freund und Vater — Franz! 
Aus ſeinem Geiſt ſtrömt uns in hoher Milde 
Ein Quell des Rechts, ein Spiegel voller Güte, 

Und unter ſeiner Vorſicht treuem Schilde, 

Wie auch des Weltzorns Meerſturm uns umwüthe 

Und Völker rings verwilde und verbilde, 

Reift doch zur Frucht, o Deftreich, deine Blüte! 

Laß, Himmel, Ihn die goldne Frucht genießen, 

Den Lorbeerkranz Ihn mit dem Oehlzweig ſchließen! 

Laß bald, o bald ſein treues Volk ihn grüßen! C. B. 

Mit Nr. 8 (19. Januar 1814) beginnen Brentanos — 
berichte. Er führt ſich in Briefform als „Theaterkritiker aus Langen— 
ſalza“ ein, was, wie ich Ihnen nicht erſt zu ſagen brauche, natürlich nicht 
mit dem weimariſchen Veteranen blos als ein Wortjpiel zu erklären iſt 
(Heinrich Schmidt, Erinnerungen ©. 215: „Salz und langes Salz — 
zu verführerifch für einen wortjpielenden Wortfänger als Kritiker“), 
jondern eine heitere Neminiscenz an jeinen denkwürdigen Jugend— 
aufenhalt in Yangenjalza bedeutet, wie jich auch jpecielle Anſpielungen 
an jeine Naufmannszeit, an den Prediger in Yangenjalza ze. in den 
Stritifen vorfinden. Aber natürlich laßt ſich Brentano jelbjt den Wort- 
wis nicht entgehen. Am Schluß einer überlangen Einleitung (1814 
Nr. 9) wißelt er: „isch bin, wie Sie willen, von Yangenjalza, ver- 
zeihen Sie aljo den langen I Vorbericht — die Salza (italienijche Sauce) 
deutjche Brühe oder Salzjole, welche ich Ihnen immer erſt über taufend 
Dorne laufen lajje, um ſie zu quadiren, daß die Kritik herauskomme, 
welche folgende iſt.“ 

Seine Ktritifen gehen mm zunächjt in zujammenhängender Folge 
bis Ar. 23 (23. Februar), die Einfleivung wird aber nach mehreren 
Kummern fallen gelaffen. Er unterzeichnet C. B. oder EBHLM. 
d. h. Clemens Brentano der Yangenjalzer Necenjent. Zweimal fehlt 
die Unterjchrift. In Nr. 31 (14. März) folgt noch vereinzelt eine kurze 





A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter, 71 


Beſprechung des Luſtſpiels „Die Kolonie“, B. B. — en was 
entweder ein Druckfehler für C. B. oder abfichtliche ° Vermummung it. 
Alles zufammen find 15 Iheaterabende bejprochen und zwar nur Auf- 
führungen des Burgtheaters. Sie überblicen die bejprochenen Stücke 
am bejten in folgender Tabelle, in der ich jeine Beiträge und was mit 
ihm zufammenhängt oder möglicherweije von ihm herrührt zuſammenſtelle. 




















Nr. Datum | Titeliber Beiträge Unterſchrift. 
| San. | | 
1.| 3. | Geheime Liebe. . . — B. 
3 7. Muſik. Ludwigs van Beethoven Akademie. | 
Nachklänge Beethovenſcher Muſik 1-5... C. B. 
6. 14. | Theater. (8. Januar.) Das Jutermezzo. Kotsebue. | 
(An den Herausgeber des dramaturgifchen | 
Beobadhters) ET: ED —— Schluß folgt.) 
7.| 17. | — Dasgfelbe. Schluß.) €. B. 
8. 19. | Theater. (10. Januar.) Der Bürgermeifter. Graf 
| Brühl. (Bon dem Theaterkrititer aus Langen— 
jalza.) 5 Wr ER | (Der Schluß folgt.) 
9, 21. — Dasjelbe. (Schluß. ) — —— RR REN ER. 
— (11. Januar.) Bürgerglück. Babo. 20. (Der Schluf folgt.) 
10. 24. | — Dasjelbe. (Schluß) . | C. B. 
11. 26. | Theater. (12. Januar.) Die Braut von Meifina, 
12.1 28. | An den Herausgeber des dramaturgifchen Bez | 
obachters . . UISEHMRE UNE 5 ION ARE REN R. F. 
Theater. (14. Januar. Der Ning. Schröder . | (Der Schluf; folgt.) 
13 3l. — Dasſelbe. (Schluß.) . . | CBOEN. 
Schöne Literatur. Almanach dramatifcher Spiele, | 
Kurländer. | 
Febr | 
14. 2. | Theater. (15. Januar.) Die Hageftolzen. Iffland. 
(16. Januar.) Der Lorbeerkranz. Ziegler. C. B. 
4. | Theater. (17. Januar.) Die unglückliche Ehe durch 
Delitateffe. Schröder J C. B. 
(22. Januar.) Das Mädchen von Marien- 
DIVO ätte ne Pan Der Schnig Tome) 
16. 7. — Dasjelbe. (Schluf.) AT 
(18. Januar.) Dthelo.. . —* C. B. 
EL: 9. | Theater. (21. Sanuar.) Kabale und Liebe — C. B. 
Charade. 
18. 11. | Theater. (24. Yanuar.) Das Räthſel. Conteffa. 
Der Berräther. Die Proberollen . . . . | (Der Schluf folgt.) 
19714. — ‚Dasielge., (ShuR, E20 Kan C. B. 
Chronik der Wiener Theater. 
— 6 Prolog — 9— C. B. 
Die — Nahmen der Liebe des Oeſterreichers 9 C. B. 


Schauſpielabend im k. k. Hoftheater am 12. Februar, 
dem Geburtstag unſeres allgeliebten Monarchen. | 6. 2. 


25. 


2. 


fehlt, 
29a 


0. 


or 


39. 


56. 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernard Dramat. Beobachter, 





| | 





, Datum | the Dex Biertriängre Unterjchrift. 
Febr. 
21. | Theater. (25. Januar.) Die Kleinen Auverguaten. | 
Die feltfame Audienz . . N C. B. 
An den ornithologiſchen Langenſalzer A. P. 
23. | Theater. (27. Januar.) Der Mann vom Wort. 
Iffland. 
Eliſene im Wald bey Hermannſtadt. .. Ap. 
25. An den Herausgeber des dramaturgiſchen Be 
obachters (Das Luftipiel: Valeria betreffend) C. B. 
An den Herausgeber des dramaturgiſchen Be— 
obachters — — 


Ein Wort über die Tauglichkeit der Februare“ 
für die öffentliche Bühne. 

28. | Theater. Die Bürger in Wien und der Kurier. 
Bäuerle. Leopoldjtadt. 

Damon und Pytheas. Ein Leiften für griechtich- 


moderne Luſt- und Scaufpiele. 1. II. II. A. P. 
März 
2, | Schöne Literatur. Leyer und Schwert von Theodor 
Körner. 


Kurzgefaßte Anweifung, ein jedes Schaufpiel, es 
jey von welchen Werthe es wolle, auf eine 
unfehlbare Art durchfallen zu machen. Bon 
einem alten Praktikus. 

Die Charade im 17. Dlatte des dramaturgiſchen 


Denbadhteish 2. ee RR A. P. 
Palindrom. (Um in dem ganzen Umfang es zu 
fernen) | 





9. An den Herausgeber des dramaturgiſchen Bes 
obachters — ER Fe Friedrich Noofe. 
11. | Erflärung des Verfaſſers der Valeria an den ver— 
ehrten Leſer in Hinſicht der Vertheidigung des 
Herrn Rooſe gegen das, was dieſer als un— 
richtig in der — Niseinanderſehung über 
die Art, wie dies Luſtſpiel auf die Bühne ge— 


kommen ſey, erklärt . 5. B. — 
14. | Theater. Die Kolonie ee B. 8. 
18. | Baleria. De BET OR ISSN IRA S. v. M. 
Johanna Kobler, als Venernmgn in dem liſtigen 
ne ne ET ART REN P. A 
21. Die Eſelshaut oder die blaue Inſel. 10. März. | 
Theater an der Wien . . | Eunm. 
Das Publikum. Einzig mögliche hiich Theater- | (Die Fortjeßung 
zeiſungg — folgt.) 
23. asjelbe. Fortſetzung.) ESG St) yet) 


D 
29.;| Dasielben «(SHuB.) 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Benbadter. 13 
r 0} 


Wenn man aber auch wichts über die Autorjchaft diefer Necen- 
jionen wüßte, jo müßte einem die gänzlich veränderte Art der Be— 
Iprechung, der ganz verjchiedene Ton auffallen. Und taujenderlei weiſt 
unverfennbar auf Brentano hin. Die Pedanterie und Yangeweile des 
erjten Teil macht der genialjten Ungeniertheit und Burjchifofitat Platz. 
Heiterjte Yaune, heller Mutwille tummeln ſich; dev Mutwille der Ge- 
jundheit, den er jelbjt vom Yujtipieldichter verlangt. Stein ftarres 
Referentenſchema, feine genauen Inhaltsangaben ; einmal allerdings 
beim Mädchen von Marienburg — eine genaue Erzählung des hifto- 
riſchen Faktums; ſonſt greift ev aber das heraus was ihm paßt, meijtens 
jeßt er die Stücke als bekannt voraus, einmal jagt ev gar: ex habe 
den Titel des Stückes und die Namen der Schaufpieler vergejjen. 
Dder er macht Borjchläge zur Umarbeitung, dichtet die Situationen 
weiter. „Ich habe nicht leicht ein Schaufpiel gejehen,“ jagt er von 
Brühls „Bürgermeilter“, „in dem jo gänzlich ordentlich mit Stunft eine 
Menge guter Scenen, die mir während dem Zufchauen einftelen, ver- 
mieden wären.“ Gr läuft aus dem Theater, wenn es ihm zu bunt 
wird, bleibt den Yejern den Bericht über den Schluß des Abends jchuldig 
und bricht mit einem rückſichtsloſen „u. j. w.“ ab oder ex jchließt gar mit 
Berjen auf eine Schaufpielerin. Bernard blieb immer bei der Stange, 
Brentano jpringt immer über die Schnur. Er unterbricht jeine Berichte 
durch alles mögliche, um jeine Yejer zu unterhalten. Es wimmelt von 
ſpaßhaften Anekdoten; ev citiert Sprichwörter, Volkslieder, parodiert 
Stinderlieder, jpielt auf Märchen au. Er läßt mehrere junge Handlungs- 
Diener beim Herausgehen aus dem Iheater Über das Stück miteinander 
veden. Er vergißt jeinen Gegenftand manchmal jo gänzlich, daß er z.B. 
an den Spott iiber die Vignette des Blattes (eine Eule auf einer Yeier von 
der tragijchen und komiſchen Maske umgeben) einen ornithologijchen Ex- 
kurs anfnüpft und jich aus der Stiefluft des Iheaters in eine veizende 
ländliche Idylle hineintväumt, oder zur Illuſtration eines Vergleichs eine 
ausführliche Erklärung des Golems einjchiebt, die uns an \jafob Grimm, 
an Arnims Iſabelle von Aegypten erinnert. Er ſteckt voller Schnacen 
und Schnurren, treibt allerlei Allotria, verjchreibt oder verjpricht fich 
abfichtlich, wie in der Satire Guſtav Waſa, ſtellt abjichtlich die para- 
doxeſten Behauptungen auf, gefüllt jich in allen möglichen Wortjpielen, 
Wortverdrehungen, Neubildungen (entjoffen = — u. a.) Was 
ſteckt nicht alles in ſo zwei, drei Zeilen: „Die Eule hat zwar kein 
Geſicht, welches lautet wie dramaturgiſch, es it etwas Traumeriſches 
und Urgentes, etwas von der Here Urganta drinn, aber doch mehr Bhan- 
tasmaturgijches und Urgijches in jedem Sinn.“ Und jo fort in wißiger, 
pointierter Nede. Daß es an originellen Bildern und Vergleichen nicht 
fehlt, fünnen Sie fich denfen. Ich greife aufs Gerathewohl eine Stelle 





74 N Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


heraus: Von Madame Nenner jagt er in Ar. 16: „Sie hat alle Komö— 
dDiantenfofetterien, Minauderien, Affektationen, Nührereyen, Effektquicke— 
reyen, Naivanzereyen und dergleichen abgedrojchene Theatermanieren dev 
Stimme, die einem das Herz par force wie einen Nefjonanzboden mit 
allerley füßen Katzenjammertönen zerjchneiden wollen, höchitens aber eine 
Ohrenkolik hervorbringen, gänzlich aus ihrem Spiele verbannt, und das 
iſt Heut zu Tag, wo jolcher Tonflitter beynah der ganze Schmuck der erjten 
Viebhaberinnen geworden ift, unendlich viel und bejcheiden.“ Seine Yieb- 
(ingsausdrüce würden gerade Sie am leichtejten mwiedererfennen. Ich 
weije auf das mehrmals vorfommende Berbum „edeln“ hin, das ich 3. D. 
Werfe 4, 445 in den „Briefen über das neue Theater“ gefunden habe. 
Gerne sticht er auch, wie Schon oben erwähnt, perjönliche Erinnerungen ein; 
er jpricht vom großen Waſſer von 1784, citiert einen Ausſpruch von Goethes 
Mutter, zieht die Weimarifche Aufführung der „Braut von Meſſina“ zum 
Vergleich heran, verwertet jeine Berliner, Prager und jonftigen Theater- 
erfahrungen: Schröder, led, Iffland, Yiebich, die Bethmann werden 
erwähnt. 

Seine literarijchen Urteile jind im Ganzen ziemlich gemäßigt. 
Er begegnet ſich mit dem jungen Grillparzer in der Verurteilung von 
„Kabale und Yiebe,“ dem ev Bombaft und Unnatur vorwirft, hebt dagegen 
die „Braut von Meſſina“ auf den Schild. Die Verachtung Kogebues, die 
bei aller Schärfe d es Urteils im Einzelnen doch wohlwollende Anerkennung 
Ifflands, wie jonjt bei ihm. In einer Parallele zwifchen Iffland, Kogebue 
und Schiller gipfelt das Yiterariiche Nr. 17): „Iffland Ddichtete be- 
jchränfend, Kotzebue zerjtreuend, Schiller befreiend und erweckend. Iffland 
ijt der Bhilifter oder Bürger, Kotzebue der galante, leichte Pflajtertreter 
und in den Taghineinleber, Schiller iſt der Prophet, der Hiftorifer, der 
Bhilofoph, der Herold bejjerer Zeit 20.“ 

Breiter ift der dramaturgiſche und ſchauſpieleriſche Teil. Mit 
großer Theaterkenntnis ausgeſtattet, hat ex ein hohes deal von der 
deutjchen Bühne vor Augen, das er in der Wirklichkeit nicht erreicht jteht. 
Nie werde etwas aus dem deutjchen Theater werden, wenn es nicht von 
der Wurzel aus reorganiſiert wird. Er verlangt einen einheitlichen Stil 
und in Folge deſſen eine einheitliche Aufſicht, etwas wie einen Vortrags— 
meiſter. Er polemiſiert gegen das moderne Theaterfachwerk, gegen die 
Abgranzung der Nollenfächer, c gegen t die Nollenjägerei, gegen Virtuoſentum 
und Paraderollen; auch, um eine Einzelheit zu erwähnen, gegen die Be— 
joffenen auf dev Bühne. Mit Glück und Geſchick wirft er ſich zum Er- 
zieher der Schaufpieler auf, wie ex das in dev Abhandlung „Der Philijter“, 
die jich in den Partieen über das Theater auch jonjt nahe mit diejen 
Necenfionen berührt, 1811 an Goethe gerühmt hatte, rüct ihnen 
ihre Fehler bis ins einzelne vor, lobt fie, wenn ev eine Beſſerung ver- 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 75 


gr 


ſpürt, Flopft fie bei Rückfällen in die alte getadelte Manier gleich auf 
die Finger und wird als echter Pädagoge nicht müde, immer wieder das- 
jelbe zu wiederholen. Der Ernſt muß manchmal aber auch dem Spott 
und der Bosheit weichen. Dazu veizt ihn bejonders die übertrieben 
hochdeutjche Aussprache, die zum faljchen Bathos führe, man fünne nicht 
hochdeutjcher als hochdeutjch jprechen. Stoberwein halt ev es immer von 
neuem vor, Daß er jedes i zum ü, jedes ei zum eu, jedes eu zum Au 
verüppiche. „Das ift das größte Unglück, welches einem hochdeutjchenden 
Heros begegnen kann; dänn 88 üft eugentlich um feun Haar böfjer, als 
wönn eun ödler Provünzüaldialöktſpröcher, um hochdäutſch zu röten jtatt 
Noth, Nath, ſtatt Brod, Brad, ſtatt Perſon, Perſan ſprücht.“ Er ehrt 
die Veteranen, er achtet die reifen, wahren Künſtler, er bleibt kühl gegen 
die bloſſen Routiniers, er iſt nachſichtig gegen die Anfänger, er verfolgt mit 
leidenſchaftlichem Anteil die Fortſchritte talentvoller jüngerer Kräfte. 
Nirgends aber iſt er hinreißender und liebenswürdiger, als wenn er aus 
ganzer Seele loben kann. So findet er für die bezaubernde Anmut und 
rührende Herzlichkeit der Toni Adamberger Worte, wie ſie Körner ſelbſt 
ſchöner nicht hätte finden können (feiert er ſie — nach Ihrem Hin— 
weiſe — doch auch gleichzeitig in den herrlichen Verſen, die er/dem!Ge- 
fallenen in den Mund legt, Theodor Körner an Bictoria,: Schriften 
7, 587); freilich meint er, daß mehr die Natur als die Kunft an ihren 
Erfolgen Anteil habe. Immer neue Kränze des Yobes veicht ev Madame 
Korn dar, bis er endlich den Griffel des Stritifers mit der Yeier des 
bewundernden Dichters vertaufcht und, als jie ein jeinev Meinung nach 
ganz unbedeutendes Stüd, Ifflands „Der Mann von Wort“, durch 
ihr Spiel allein gevettet und geadelt hat, jie in einem Akroſtichon 
beſingt (Wr. 23): 
Weil die Künfte groß und Elein 

Jetzt wie blinde Hühner find, 

Leuchtet vecht das Sprichwort ein: 

Heute hat ein Huhn, das blind, 

Ein vortreflich Korn gefunden. 

Leierlieder lahmer Leiden 

Meilenlanger Weile Wunden, 

Iulie, lieblich und bejcheiden 

Nur du haft fie heut geheilt. 

Es wär heut der Diamant, 

Kluges, Eleines, klares Weſen, 

Ohne deine Zauberhand 

Richtig Spinne nur geblieben, 

Nur du fonnteft ums erlöfen. 


Darum wollen wir dich lieben, 
Und um div genug zu thun, 
Noch ein tröftlich Sprichwort jagen: 


1 
er) 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


Es iſt für ein hungernd Huhn 
Für die Kunſt in unfern Tagen 
Größern Werths, als ein Demant, 
Ein jo edles Korn erkannt. 


Brentano veiht ſich durch dieſe Necenfionen unter die bejten 
TIhenterfritifer des Jahrhunderts ein. Und ich meine, daß wir ihren 
Wert für die Theater- und Yiteraturgefchichte nicht Leicht zu hoch au- 
ichlagen fünnen. Statt der blutleeven Schemen der zünftigen Kritif 
zeichnet ex wirkliche, anjchauliche Geftalten. Aus tauſenden von älteren 
Wiener Theaterkritiken, die ich gelejen habe, Fonnte ich für die wahr- 
hafte Erkenntnis der damaligen Schaufpieler nicht jo viel Gewinn 
ziehen als aus der einen finzen Charakteriſtik Ochjenheimers (als 
Finanzrat Wolrad in Babos Bürgerglück): „echt natürlich macht es 
jich, wenn ex aus jeiner trockenen Monotonie plöglich in ein höchites, 
heftiges Quiden fam. Es ilt als wenn man einen Stoß bejtaubter 
Aften rückte und einem plößlich ein pfeifendes Mausneft über den Yeib 
läuft.“ Ich wünfchte nun, daß er Raimund gejehen und jo charafterijixt 
hätte wie Noch und Krüger, Korn und Stoberwein, Heurteur umd 
Schwarz, die Weißenthurn u. a. Es erhöht den Wert diejer Kritiken, 
daß ſie aus einer der wichtigjten Perioden des deutjchen Theaters 
ſtammen. Schreyvogels meifterhafte Kritiken endigen mit dem Jahre 1809, 
Coſtenobles unjchägbares Tagebuch beginnt erſt 1818. Mitten hinein 
in dieſe Lücke fallt die furze Kritiferlaufbahn Brentanos. Gerade zu 
der Zeit, da Schreyvogels Iheaterleitung beginnt, entwirft Diejer 
geniale Schilderer ein Bild von dem Zuftand der Truppe, welche 
Schreyvogel zum Siege führen jollte. Wir jehen das Wiener Burg- 
Theater zu der Zeit des Wiener Stongrejjes, zu der Zeit als es 
Wilhelm v. Humboldt fennen lernte, zu der Zeit als der junge Grill- 
parzer, den wir uns auch gerne als Yejer dieſer herrlichen Kritiken 
denfen möchten, jich die entjcheidenden Eindrücke fürs Leben holte. 

Gewiß werden diefe Necenfionen einft einen wejentlichen Bejtand- 
teil von Brentanos Projajchriften in einer vollftändigen Ausgabe jeiner 
Werke bilden. Aber dürfen wir eine jolche Ausgabe bald erwarten ? 
Wie machtlos der einzelne — Herausgeber und Berleger — jolchen 
gewaltigen Aufgaben gegenüber ift, haben wir alle jchon erfahren. 
Die Negierungen, die Akademien haben jich dieſer Pflichten noch nicht 
befonnen. Auch literariſche Privatvereine, die jich hiſtoriſchen Studien 
widmen, befigen wir noch viel zu wenige. Vergebeus bemühe ich mich 
jeit Jahren um die Beranftaltung von Gejamtausgaben der Werke 
namhafter öſterreichiſcher Schriftfteller, wie Schreyvogels und Ents. 
Vor nicht gar langer Zeit habe ich im der Zeitjchrift für die öſter— 
veichijchen Gymnaſien auf die Dringlichkeit einer Sammlung deutjcher 


U. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 17 


Proſaiker — oder Projaiften wie ich mit dem vorigen Jahrhundert 
lieber jage — hingewiejen, ohne einen lauteren Nachhall meines Auf— 
rufes verfpint zu haben. Vielleicht daß die Jahresberichte, wenn Die 
Neihe daran fommt, meinen Anregungen weitere Berbreitung und Be- 
achtung bei den Fachgenoſſen verjchaffen. Sp wird auch unjer Wunſch 
nach einer Gejamtausgabe Brentanos der Erfüllung noch eine Weile 
harren müſſen. Warum jollen aber diefe wertvollen Dofumente für 
die deutjche Iheatergejchichte, dieje lehrreichen umd zur Nachfolge an- 
veizenden Zeugniſſe des edeljten Journalismus, dieſe Prachtſtücke unferer 
deutjchen Proja noch jahrelang im Dumfel liegen, nachdem ſie acht 
Decennien lang verjchollen gewejen jind? Hätte ich diejes Heft um 
3—4 Bogen ftärfer machen dürfen, jo hätte ich Ihnen die zufammen- 
hängende Neihe dieſer Kritiken in der That jchon jegt zu bequemerer 
Benugung vorgelegt. Soll ich in jpäteren Heften Naum dafür ſchaffen? — 

Die offene freimütige Art Brentanos jcheint Auſtoß erregt, ins— 
bejondere jeine Urteile über die Schaujpieler manchen Widerjpruch her— 
vorgerufen zu haben. Man warf ihm PBarteilichfeit vor. So mischt 
ſich in jeine Kritiken allmälich ein polemifcher Ton ein und die leßte 
größere Bejprechung, die ex gejchrieben, in Ver. 23, jchließt nach dem 
Gedicht an die Korn mit den ironiſchen Worten: „Wie immer lauter 
Bartheilichfeit.” Ob dies nur auf mündliche Aeußerungen zurückgeht 
oder ob diejer Gegenjaß im anderen Wiener Zeitjchriften Spuren zu— 
rückgelajjen hat, das vermag ich zur Zeit noch nicht anzugeben. Der 
offene Bruch Brentanos mit den Schaufpielern und dem Publikum datiert 
jedesfalls von dem Fläglichen, jfandaldjen Mißerfolg der „Valeria“, 
unter welchem Titel der „Ponce de Yeon“ im Burgtheater am 14. Fe— 
bruar 1814 aufgeführt winde.!) Die Nummern unferer Heitjchrift, 
welche davon handeln, lagen auch Ihnen im Nachlajje Brentanos vor; 
ich berühre fie daher nur furz. Brentano macht in feiner funzen Zu- 
jchrift an den Herausgeber in Ar. 24 die Schaufpieler für die Auf— 
führung mit verantwortlich. Deinhardſtein findet die Urjache des Miß— 
erfolgs in einer faljchen Bejeßung. Der Schaufpieler Nooje verteidigt 
jich und jeine Stameraden gegen beider Vorwürfe im Nr. 29 und be- 

I) An eine Wiener Aufführung des Stüdes im Jahre oder um das Jahr 1804, 
die Kaliſcher oben ©. 50 ff. zu erweisen fucht, glaube ich ebenfo wenig wie Sie. 
Brentano hätte ihrer ficherlih im Sabre 1814 Erwähnung gethan. In keinem 
Wiener Theater läßt fih die Aufführung nachweisen; Gloſſy hat auf meine Bitte 
das geſamte Nepertoive vergeblich darnach durchſucht. Und ebenſo wenig glaube 
ih an einen erften Wiener Aufenthalt Brentanos vor 1814. Im Dezember 1804 
bleibt am wenigften Raum dafür. Wir wiffen es faft für jeden Tag genau, 
wo fi Brentano aufhielt. Und dasselbe gilt für das ganze Jahr 1804, wie ſich 
aus Ihrem Buche leicht zeigen läßt. Das Mißverftändnis geht auf Stramberg 
zurüd, den alle folgenden kritiklos ausichrieben. 


78 A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


vichtigt Brentanos Darjtellung in einigen unmejentlichen Punkten, die 
diefer in Ar. 30 zugiebt, ohne im übrigen feine Behauptung zurück— 
zunehmen. Dat er Jich aljo eigentlich Diveft über das Stück im Be- 
obachter nicht ausgejprochen, jo hat er doch jeinem Aerger in jatirifcher 
Weiſe darin Yuft gemacht, in der kurzgefaßten Anweifung . . in 
Ar. 26, die ich ihm — ſie ift ohne Unterjchrift — unbedenklich zu- 
weile. Hier befommen die Schaujpieler ihre Siebe: „Mache es, wie 
gewöhnlich gejchiehet, bey denen Komödiantenbanden. Halte über das 
neue Stück eine Yejeprobe, in welcher die Personae Dramatis ihre 
Barten oder Rollen ablejen, doch unter fontinuirlichem Geplauder und 
Aus- und Einlaufen der eben nicht Yejenden, auch halte diejenigen, 
die etwa in einer oder anderen Scene nichts zu agieren haben, nicht 
dazu an, gegenwärtig zu jeyn, oder laſſe einzelne gänzlich ausgeblieben 
jeyn, damit auf jeden Fall die meiften gar nichts von dem ganzen 
Contexte des zu agierenden Dramatis verjtehen, und aljo ihr Bart 
nur nach beliebter Manier herleiern, 3. B. der erſte Viebhaber, wie 
ein Lelio, die erſte Yiebhaberin, wie eine Iſabella, Hanswurſt wie 
Hansmwurjt und Grethel wie Grethel, ganz 202 der Form und Weije, 
worauf jelbige engagivet jeyn, es jey auf Quicken, Strächzen oder 
Krähen oder Brüllen, es mag jolches mit dem Charakter der Parten 
harmoniven oder nicht. Diejes ift gleich das erſte Stuck ein wohl- 
gegründetes Durchfallen zu procuriren.“ Und in ähnlicher Weiſe wirft 
er ihnen ein zu geringes Studium ihrer Rollen, überſtürzte Proben, 
Mangel einer Generalprobe ꝛc. vor. 

Es iſt nun gewiß kein Zufall, daß mit dem Mißerfolg dieſes 
Stückes die regelmäßigen Berichte Brentanos ter jeiner Chiffre auf- 
hören. Wie unjere Liſte ausweilt eben mit Wr. 23. Cr wollte mit 
dem Theater, in dem ex eine jolche N ——— erlitten hatte, wenigjtens 
offiziell nichts mehr zu thun haben. Was gehört ihm alſo in diejem 
Schlußteile noch zu? In Nr. 31 die furze Necenfion mit B. B., wie ſchon 
erwähnt. In Mr. 24 möglicherweife das jatirijch gefärbte „Wort über 
die Tauglichkeit der 2c. Februare für die öffentliche Bühne“ gegen Werner 
und Müllners Stücke. Daß der Berfaffer beide Stücke furz auf einander 
im Auguft 1812 in Halle und Yeipzig gejehen haben will, jpricht gegen 
Brentanos Autorjchaft, dev damals aus Böhmen nicht hHerausgefommen 
war, ebenjo die zahlreichen Gitate des Aufjaßes; den Schluß: ex jehe 
nicht, was fich noch für ein Februar fchreiben ließe, außer etwa ein 
„Dreißigſter“, welcher aber notwendig ein Yuftjpiel jeyn müßte — könnte 
man ihm wohl zutrauen. Weniger fraglich bleibt die jativijche Schluß⸗ 
abhandlung über das a in Nr. 34—36. In der (Form einer ge- 
(ehrten, ſyſtematiſchen, in 228 abgeteilten Abhandlung macht fich der Ver— 
faffer über Schaufpieler und Publikum luſtig. Ex definiert den Begriff 


A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 79 


Bublifum, ex unterjcheidet nach den Gegenjtänden ein politijches, ein 
literariſches, ein Sittenpublifum, ein Kunſtpublikum und erörtert fpeciell 
den Begriff des TIheaterpublifums u. |. w. ine Anekdote über Julius 
von Boß, den er perjünlich von Berlin her kannte umd der ihn gleich- 
falls in feinen Schriften erwähnt, ein Citat aus Goethe deuten, wie 
die launige, karikiert trockene Form auf Brentano. Much das, daß er 
die jeiner Manier am ſtärkſten widerjprechende bloß chronifalifche Art 
der Berichterftattung ironiſch empfiehlt und daß er als Redakteur dem 
Baragraphiften ins Wort fällt und abbricht. An den „Philiſter“ feheinen 
mir aber dieſe jcherzhaften Abhandlungen doch nicht ganz hinanzureichen. 
Hergerlich und enttäufcht eilt der interimiſtiſche Redakteur dem Schluffe 
jeiner angefeindeten Zeitjchrift zu. 


Die beiden Kritiken über die Borjtadt-Theater in Ir. 25 und 34 
haben jchwerlich mit Brentano etwas zu thun; ich weiß aber auch nicht, 
wer jich unter der Bezeichnung „Eunm.“ in Ar. 34 verſteckt. Dagegen 
verlangt eine andere Chiffer für einen Augenblick unfere prüfende Auf- 
merfjamfeit. In Ir. 22 begegnen zum erjten Male die Buchjtaben 
U. P. unter einem ſatiriſchen Aufjaß, der gegen Brentanos Berfiflage 
der Vignette polemiſiert. Brentanos Ton iſt darin nicht übel parodiert. 
Daß man ähnliches in Wien damals zu thun pflegte, beweiſt Heinrich 
Schmidts allerdings witzloſerer Aufſatz über die Valeria, der „dem 
Theaterkritiker und Dichter aus Langenſalza“ ſelbſt untergeſchoben iſt. 
(Erinnerungen eines weimariſchen Veteranen S. 213). Aber dieſer Auf— 
ſatz erſchien in einem anderen Blatt, das Brentano nicht ſelbſt redigierte. 
Verſchwände Brentano von da ab ganz aus der Zeitſchrift, ſo wärs auch 
hier nicht er, der ſpricht. So aber läßt ſich annehmen, daß wir hier 
einen humoriſtiſchen Selbſtangriff vor uns haben. In Mr. 23 beſingt 
derſelbe A. P. die Schauſpielerin Koberwein in einer einzelnen Rolle 
Eliſene im Wald bei Hermannſtadt) in einem Sonett, das nicht gerade 
hervorragend, aber auch jo gut ift wie die Neimerei auf der vorhergehenden 
Seite über den „Mann von Wort“, die jicher von Brentano herrührt. 
Sie werden Al aber doch jchtwerlich dazu entjchliegen, ihm eine Wendung 
iwie die: „Das ift der Punkt, der einet alle Triebe“ zuzumuten. Noch 
jchwerer wird es uns an ihn zu denfen bei der dialogijchen Satire: 
„Damon und Pytheas. Ein Yeijten für griechijch-moderne Yuft- und 
Schauſpiele,“ in Wr. 25, die man aber vielleicht einmal beſſer verjtehen 
lernt, wenn man die jpecielle Beranlafjung dazu jich klar machen fann. 
Auch begegnen wir dev oaung des öſterreichiſchen Dialekt um jene 
Zeit mehrmals bei ihm. In Nr. 25 macht ſich derjelbe AU. P. über die 
Charade in Ir. 17 des Beobachters, die dann wohl auch Brentano zu- 
fiele, in einer Weiſe luftig, die wir bei ihm jchon kennen: 


SO A. Sauer, Ueber Brentanos Beiträge zu Bernards Dramat. Beobachter. 


„Dachte hernach, ob Spurzheim für das Charadenerrathen 
Einen eigenen Sinn gebe dem menschlichen Haupt. 
Spurzheim, Wurzel der Sphinx, dich hämiſch Heimliche brauch' ich — 
Spurzheim, alſo daheim, fand ich die heimliche Spur.“ 
und er hätte ſich in Nr. 33 nur auf den Kopf geſtellt, wenn er als P. X. 
nach den Schaufpielerinnen die Tänzerin befingt. Ich füge das Gedicht 
hiev ein, um Ihnen und andern die Nachprüfung zu erleichtern : 


Johanna Kobler, 
als Bauernjunge, 
un dem liſtigen Gärtnermädchen. 
Spring’ ein zievlich Böckchen aus der Hede, 
Bey den Blumenftöcchen jteht dein Döckchen; 
In dem Tambouru das Glöckchen wede, 
Männlich deine Füß' und Arme ftrede. 
Lieber Knab' in Dir dich felbit verftece, 
Nimm zur Haube noch das Frauenröckchen 
Als ein Blumentöpfchen, Haubenftöcchen 
Jenen kecken Gecken ſchelmiſch necke. 
Mit der Ruhe die Bewegung tauſchet, 
Augenlichter von dem Tiſche ſcheinen, 
Sieht der Geck, und muß im Fieber beben. 
Seh' ich bitlend dich, die Arm' erheben, 
Iſt's als wollteſt du die Gnad' erweinen, 
Daß ein Spiel das Leben dir verrauſchet. SL 
Hier fünnte uns die Vorliebe für die Innen- und Binnenveime, die 
Verwendung der Diminutiva und Wortjpiele anal verführen Brentano 
als Verfaſſer anzunehmen und dieſes letzte Berschen zöge dann Die 
andern nach jich. Unter den befannteren Wiener Literaten jener Zeit finde 
ich einen A. P. nicht. Anton Bannajch, an den man vielleicht denfen 
fonnte, war damals fern von Wien und tritt erſt Mare in die Yiteratur 
ein. Aber freilich, fennen wir denn den Verfajjer des Epigrammes, 
Ch., in ler Nr. 47/48, den Recenſenten des Erichſonſchen Muſen— 
almanachs, DD. f, in 1814 Mr. 20, den Recenſenten des 
Gaftellifchen Al — Selam, Dr. — ) in derſelben Nummer? 
Es genügt mir hier, darauf hingewiejen zu haben, daß Brentano 
vielleicht unter verjchiedenen Geſtalten in dem Schlußteil diejer Blätter 
jpufe, umd ich glaube, daß die Unterjuchung auch dann nicht an Reiz ver- 
(öre, wenn es jich um minderwertige, vajchhingeworfene Produkte der 
en Thätigkeit eines Mannes handelte, der durch jeine genialen 


) Ein Groſſing gab in den Achziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
in ee das Staaten-Journal heraus. Bol. Fürft, Meißner S. 44. Einen 
Augenblid lang habe ich wegen des Namens Groffinger in der Geſchichte vom 
braven Kasperl an ein Brentanofches Pſeudonym gedacht. 


Ye ee ee an 


N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 81 


Blitze auch das kleinſte und niedrigſte zu beleuchten wußte. Dem - 
finftigen Herausgeber der Werfe Clemens Brentanos wird niemand 
die Mühe, den Dramaturgifchen Beobachter jelbjt in die Hand zu 
nehmen, völlig erſparen können. 


Brag, Oſtern 1895. Auguft Sauer. 


au 
Theodor Rörners Leben und Dichten. 


Bon Reinhold Steig in Berlin. 


1. Tod und Hdwerflied. 


Theodor Körners Yeben und Dichten liegt in klarer Einfachheit 
vor unjvem Auge da. Seine Familie war mit den geiftig am höchjten 
Itehenden Berjünlichfeiten ihrer Zeit verbunden, und daher find Nach- 
richten von ihm und über ihn in veichem Maße vorhanden. Die Dar- 
jtellung jeines Yebens war für die Biographen immer eine leichte und 
dankbare Aufgabe. 

Anders jtand es mit dem, was man über jeinen Tod wiljen 
fonnte. Körner fiel am 26. Auguſt 1813, noch nicht zweiundzwanzig 
Jahre alt, bei Gadebuſch in Mecklenburg. Die erjte „authentijche 
Nachricht” über jeinen Tod gab Theodors Freund Wilhelm Kunze in 
der Borrede der „Zwölf freien deutjchen Gedichte von Theodor Körner, 
nebjt einem Anhang“, die ev im November 1813 erjcheinen ließ. 
„Wir verdanken die Nachricht (bemerkte ex) einem Augenzeugen, dem 
Grafen Dohna, einem Freund und Waffenbruder des geliebten Toten, 
und wir geben fie abjichtlich jo, wie wir fie von ihm erhielten, weil 
wir überzeugt find, daß alle, die ihn fannten, wohl zu willen ver- 
langen, wo und wie ev ſtarb — und wo er jchläft.” Kunzes Dar 
jtellung verblieb, wiewohl jich allmählich abjchwächend, allen jpäteren 
biographijchen Arbeiten über Theodor. Sie ging wörtlich in Brockhaus' 
„Deutjche Blätter” (4. Dezember 1813), inhaltlich in Gottfried Körners 
„Biographiſche Notizen“ über jeinen Sohn, jowie in Streckfuß' und 
in Förſters Vorreden zu ihren Ausgaben der Werfe Theodors über. 
Im Yaufe eines halben Jahrhunderts kamen dann immer neue Einzel- 
heiten Hinzu, und aus all’ diejen an innerem Werte durchaus ver- 
jchiedenen Berichten bildete jich die uns heute geläufige Borftellung 
von dem Tode Körners. in jchriftitelleriich-äfthetijches Intereſſe war 
in gleicher Weife wie menjchliche Teilnahme und patriotiiches Hoch— 
gefühl an der Bildung dieſer Borftellung beteiligt. 

Euphorion II., Ergänzungsheft. 6 


82 N. Steig, Zu Theodor Körners Peben und Dichten. 


Wilhelm Kunze jchied, wie wir jahen, deutlich zwijchen Theodors 
Fall im Gefecht und der jpäter folgenden Bejtattung. Ueber dieje 
(etere war, bei der ruhigen Anweſenheit vieler Kameraden, eine Mei— 
nungsverjchiedenheit nicht möglich. Dagegen fonnte jein Fall im Ge- 
fecht naturgemäß bloß von wenigen wahrgenommen worden jein, und 
deshalb zog es Kunze vor, ſich ausdrüclich auf die Autorität des 
Grafen Dohna zu berufen. Graf Heinrich zu Dohna-Wundladen, nach- 
mals Negierungspräfivent von Cöslin, war Volontaroffizier im Frei— 
forps und ein Schwager des Majors von Lützow, von dem er vielfach 
nit politifchen Miſſionen und Berwaltungsgejchäften betraut wurde. 
Theodor Körners, 1893 von Emil Peſchel ediertes, Kriegstagebuch er- 
wähnt ihn zweimal, am 27. und 28. Mai 1813. Der Graf war den 
Angehörigen Theodors gewiß als ein diefem nahe jtehender Kamerad 
befannt. 

Auf welchem Wege Kunze zu der „authentijchen Nachricht” jeiner 
Vorrede gefommen war, blieb unaufgeflärt, und deshalb war weder eine 
Stontrole jeiner Angaben noch ihre Wertbejtimmung möglih. Man 
überſah jie zuleßt ganz und gar, ımd der Name des Grafen Dohna 
wurde faſt nicht mehr evwahnt. Ich Habe nun die Duelle Kunzes 
aufgefunden. Es iſt die eigentliche offizielle Urkunde über Körners 
Tod. Sie fteht gedruckt im „Preußiſchen Gorrefpondenten“ vom 
22. Dftober 1813. 

Der „Preußiſche Correſpondent“ war eine vom 1. April 1813 
bis zum Ende des jahres 1814 täglich in Berlin erjcheinende Zeitung. 
Niebuhr hatte ſie auf Scharnhorjts Anregung gegriindet, in der Abficht, 
jie für die Zeit der großen Kämpfe zu einem hiftorischen Nationalblatt 
auszubilden. Vorübergehend führten in jeinev Abwejenheit Göſchen 
und Schleiermacher die Nedaftion, bis Achim von Arnim am 1. OF 
tober 1813 auf vier Monate an Niebuhrs Stelle trat; auch Ernſt 
Mori Arndt umd Jahn waren am Correſpondenten thätig. Bon der 
Negierung und aus der Armee gingen zahlreiche Berichte ein, die heute 
einen quellenmäßigen Wert befigen. Aber neben den großen allgemeinen 
Greigniffen der Zeit wünſchte Niebuhr auch die einzelnen Falle feit- 
zuhalten, wo ein Offizier oder Soldat fich vor dem Feinde hervorragend 
auszeichnete, mit genauer Bezeichnung des tapferen Mannes, wie es 
in der öfterreichiichen militärischen Zeitjchrift damals üblich war. In 
dieſem Sinne bat er jeine einflußreichen Freunde fir das Blatt thätig 
zu fein. Diejelbe Bitte wird er auch dem Grafen Dohna ausgejprochen 
haben, bevor diefer, wie Niebuhr in den „Yebensnachrichten“ (1, 546) 
jchreibt, am 10. April 1813 von Berlin zum Freiforps feines Schwagers 
ging. Graf Dohna war, wie Niebuhr und Arnim, Mitglied der von 
Buttmann gegründeten Gefellfchaft der „Geſetzloſen“ geweſen. Er hatte 


N. Steig, Zu Theodor Körners Leben umd- Dichten. 33 


auch an Arnims „chriftlich-deutjcher” ZTijchgejellichaft Teil genommen. 
So findet es jeine natürliche Erklärung, daß der Graf einen Nachruf 
Körners an den „Preußiſchen Eorrejpondenten“ einjchickte. 

Eine erſte kurze Notiz von Körners Tode jtand im „Corre— 
jpondenten“ freilich jchon am 8. September 1813, während die Voſſiſche 
und Spenerjche Zeitung erſt am folgenden Tage Berichte bringen 
konnten. Die neuerdings allgemein befolgte Angabe Guſtav Partheys 
in feinen Jugenderinnerungen (1, 380), daß die Nachricht jchon am 
3. September nach Berlin gefommen fei, halte ich diefen Ihatjachen 
gegenüber für einen Irrtum, durch Schreib- oder Druckfehler hervor- 
gerufen. Einer der Berliner Zeitungsartifel wurde Theodor Pater 
zugejchidt. Da aber jpäter ein Widerruf erfolgte, jo blieben die 
Eltern in langer Ungewißheit über das Schickſal ihres Sohnes; noch) 
am 3. November hatten fie, wie die Mutter an Kunze jchrieb, feine 
entjcheidende Nachricht. Dieſe ward ihnen endlich am 8. November 
in Großenhayn, erſt durch den Hofrat Friedrich Parthey aus Berlin, 
dann durch Kunze und andere. „Uns allen (fchrieb der Vater am 
I. November an Kunze) war eine große Beruhigung, daß jein Ende 
jo ſchmerzlos gewejen ift. Parthey jchreibt mir, daß feine einzigen 
und legten Worte waren, als man ihn fand: ‚Sch bin nur leicht 
verwundet.‘“ Dieje tröftliche Mitteilung entnahm der Vater der Nach- 
jcehrift zu einem Briefe Wilhelm Beuths aus dem Bivouaf bei Wöbbelin 
vom 27. Auguft 1813, die mit einem „PB.“ unterzeichnet ift und lautet: 
„Die unglücliche Kugel iſt erſt durch den Hals des Pferdes gegangen. 
Zu dem erſten Jäger, der ihn auf der Erde liegend gefunden, hat er 
geſagt: ich bin nur leicht verwundet. — Das ſind ſeine einzigen und 
letzten Worte geweſen.“ Es iſt ſomit erwieſen, was Peſchel auf S. 99 
ſeiner Publikation vermutungsweiſe äußerte, daß die Nachſchrift zu Beuths 
Briefe von Hofrat Parthey herrührt, dieſer alſo der Empfänger iſt und 
den Brief unter dem 29. Oktober von Berlin aus an den Vater Körner 
weitergegeben hat. 

Beuths Brief war alſo von Mecklenburg bis Berlin wohl acht 
Wochen unterwegs geweſen. Eine ſchnellere Beförderung machte der 
damals noch geſtörte Poſtenlauf unmöglich, und deshalb kann die früheſte 
Nachricht im September nur durch einen direkt reiſenden Kurier mit 
— Berlin gebracht worden ſein. Die Poſt, mit der Beuths Brief 
im Oktober anlangte, war ohne Zweifel die erſte, die von den Lützowern 
nach Berlin durchkam; und da fie natürlich noch eine weitere Anzahl 
Lützower Briefe enthielt, jo erklärt es fich, daß anfangs November 
den Eltern die Bejtätigung des Todes gleichzeitig von den verjchiedenften 
Seiten zugehen fonnte. Dieſe Poſt brachte auch den Nachruf des 
Grafen Dohna mit, der am 22. Dftober im „Breußifchen Corre- 

6* 


84 N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 


ipondenten“ erjchien. Es iſt jehr wahrjcheinlich, daß Parthey dieſe 
Zeitungsnummer zugleich mit dem Briefe Beuths an Gottfried Körner 
nach Sachſen ſchickte, der ſeinerſeits ſie wieder an Wilhelm Kunze 
mitgeteilt haben mag. Der Nachruf lautet: 


Am 26. Auguſt fand Theodor Körner, Adjutant des Majors 
von Lützow, gleich zu Anfange eines Gefechtes, (wodurch in einem, 
im Rücken der franzöſiſchen Armee gelegenen Verſteck ohnweit Roſen— 
berg an der Straße von Schwerin nach Gadebuſch, eine bedeutende 
‚Anzahl Wagen mit der Bededung, den Franzoſen abgenommen wurden), 
den bon ihm oft bejungenen Schönen Soldatentod. Wir verlieren in 
ihm einen vedlichen Freund, die vaterländiihen Waffengefährten, die 
literarifche Welt einen hoffnungspollen Dichter, deffen Talent noch in 
dev Blüthe jtand. Won zwei ſchweren KRopfwunden, die er bei Riten 
erhielt, Kaum hergeftellt, hatte er die Waffen mit eben dem edlen Feuer— 
eifer wieder ergriffen, mit welchem er den Mufen diente. Sein letztes 
Gediht an fein Schwerdt fette er furz vor dem erwähnten Gefecht 
auf, und ftürzte dann mit hohem, zu ftürmifchen Muthe gegen die 
feindlichen Bajonette. Eine Kugel, die vorher den Hals feines Pferdes 
durchbohrt hatte, traf ihn tödtlih im den Unterleib, und nach wenigen 
Minuten hörte er auf zu athmen, die jehr jchnell angewandte Hülfe 
eines Wundarztes blieb leider ohne Erfolg, und wir haben mur die 
traurige Pflicht erfüllen können, die förperliche Hülle des liebenswürdigen 
Mannes nah unjerm Staabsquartier Lübelow zu befördern, wo ſie 
mit militairiſchen Ehrenbezeugungen unter einer Eiche beſtattet worden 
iſt. Unten folgt ſein vorhin erwähnter Schwanengeſang. Witten— 
burg, den 30. Aug. 1813. 

Graf zu Dohna-Wundlacken, 
im Namen der Freunde und Waffen— 
gefährten des tapfern Körner. 


Hier haben wir die Urkunde, auf Grund deren Wilhelm Kunze 
— aber unter Hinzunahme anderer ihm vorliegender Berichte — noch 
im November 1813 ſeine „authentiſche Nachricht“ über Körners Tod 
verfaßte. Eine Vergleichung beider Texte, die hier unterbleiben darf, 
jeßt dies Verhältnis für jeden außer Zweifel. Kunze mäßigte jedoch 
mit vichtigem Takte den Ueberjchwang des Nachrufes und ließ das für 
jeine Zwecke nicht Geeignete bei Seite, wodurch es ich erklärt, daß 
der Vater Körner über den ruhigen Ton diejes Vorwortes jich be- 
friedigt außen konnte. AndererfeitS war Kunze, entgegen der Dar- 
jtellung des Grafen Dohna, auf eine jchärfere Hervorhebung der ein- 
zelnen Momente bedacht gewejen. Schon heißt es bei ihm: daß Theodor 
— nicht zu Anfang des Gefechts, jondern — Morgens um 8 Uhr 
gefallen jei, während doch Beuth in dem erwähnten Briefe die Stunden 
zwijchen 11 und 1 Uhr angiebt; daß Theodor ferner jein Schwert- 
lied — nicht furz vor dem Gefecht aufgejegt, jondern — eine Stunde 
vor dem Anfang des Gefechtes beendigt und jeinen Freunden vor— 


N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 85 


gelejen habe, während wiederum durch Beuth unanfechtbar fejtiteht, 
daß das Schwertlied zwei Tage vorher in Kirch-Jeſar gedichtet ift.!) 
Ein faljcher Schluß Kunzes aber war es, daß Graf Dohna ein Augen- 
zeuge des Vorganges gewejen jei. Streng genommen hätte jich Kunze 
nicht mit ſolcher Ausjchließlichfeit auf den Grafen Dohna bexufen 
dürfen; die Form dieſer Berufung iſt zum mindejten ungenau und 
mißverjtandlich. 

Dem Nachruf folgt dann im „Preußiſchen Eorrejpondenten“ noch 
das Schwertlied. ES ijt der allererjte Druck desjelben. Freilich Fehlers 
haft genug: aber ein Bli auf die bei Peſchel nachgebildete Urſchrift 
zeigt, wie leicht Graf Dohna, oder wer jonft die Abjchrift herſtellte, 
ivven fonnte. Kunze dructe im Anhang der „Zwölf freien Lieder“ das 
Schwertlied gleichfalls ab, jedoch nicht nach dem Texte des „Preußiſchen 
Correſpondenten“, jondern nach Dem der unvechtmäßigen, aus „Weimar, 
13. November 1813 datierten Bublifation aus „Theodor Körners 
Nachlaß“. Die hier gewählte Ueberſchrift „Schwerdtlied. Theodor 
Körners Sy end gejungen am 26. Auguft 1813“ umd Die 
Anmerkung dazu „Diejes Yied Ddichtete Körner wenig Stunden vor 
jeinem Tode“ Hat Kunze wörtlich übernommen und Gottfried Körner 
dann in jeiner „einzigen vechtmäßigen“ Ausgabe von Yeyer und 
Schwerdt (1814) beibehalten. In einem mit dev Wahrheit jich ivgend- 
wie berührenden Berhältnis zu diejen Dingen jteht die Angabe Adolf 
Wolffs (4, 146), daß Theodor Körner „einem Corpsgefährten, dem 
Grafen zu Dohna, furz vor jeinem Tode die jpäter gedichteten Yieder 
übergeben“ habe. Yeider ijt die ganze Stelle bei Wolff verwirrt. Er 
jpricht dort von Kunzes „Zwölf freien Liedern“ ohne Sachkenntnis; 
er hatte vielmehr, wie es ſcheint, die unrechtmäßige Ausgabe aus 
„Theodor Körners Nachlaß” in dem Sinne. 

Ich nehme keinen Anſtand zu bekennen, daß ich an die, nament— 
lich unter Friedrich Förſters Pflege entwickelte, Legendenbildung über 
Körners Tod nicht glauben kann. Sie iſt zu kompliziert geworden, 
als daß ſie vor einer abſichtsfreien Vergegenwärtigung der einfachen 
Gefechtslage beſtehen könnte, ganz abgeſehen davon, daß die einzelnen 
Berichte und Erinnerungen ſich in Haupt- und Nebenſachen widerſprechen. 
Die Darſtellung des Grafen Dohna hat dagegen die einfache Wahr- 
ſcheinlichkeit für ſich. Sie enthält, was durch Nachfrage und Ausjage 
der Kameraden mit genügender Sicherheit fejtzuftellen war, und was 
Graf Dohna für fich und die iibrigen Offiziere mit jeinem Namen ver- 
treten konnte — weiter nichts! Ja, diefer Nachruf konnte natürlich nur 


1) Rudolf Brodhaus hat in feinem foftbaren Druckwerke „Theodor Körner. 
Zum 23. September 1891%, ©. 128, die einzelnen Angaben zufanmengeftelt. 


86 N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 


mit Vorwiljen und im Einverſtändnis des Majors von Lützow in die 
Deffentlichfeit gegeben werden. Er bedeutet aljo den offiziellen Bericht 
des Freikorps jelbft. In Zukunft wird man auf ihn als die eigentliche 
Urkunde zuriczugreifen haben. Mit diefer Wirfung verbindet jich noch 
eine andre. Als wir vor vier jahren Körners Hundertjährigen Ge- 
burtstag feierten, und die allgemeine Aufmerkjamfeit auf ihn gerichtet 
war, gingen über feinen Tod ganz neue, angeblich gut verbürgte Be- 
vichte durch die öffentlichen Blätter. Was ſie enthielten, jtand zum Teil 
im ſchärfſten Gegenjag zu dem bisher Geglaubten. Es Lohnt fich 
nicht, auf jie zurüiczufommen. Denn durch den offiziellen Bericht des 
Grafen Dohna jind jie endgültig widerlegt und abgethan.t) 


2. Theodor Körner und die Liedertafel in Berlin. 


Im Frühjahr 1811 erjchien Theodor Körner in Berlin, um 
jeine Studien fortzufeßen. Er jchloß ſich namentlich an die ihm und 
den Seinigen befreundete Familie des Hofrats Friedrich Parthey an. 
Durch Zelter, den Diveftor der Singafademie, erhielt ev Zutritt zu 
dem Kreiſe erwählter Männer, die fich allmonatlich zur „Yiedertafel“ 
verjammelten. 

Man findet die legtere Angabe am bejtimmtejten, wiewohl nicht 
ganz forreft, in Guſtav Partheys Jugenderinnerungen (1, 200) aus- 
geiprochen. Die Biographen aber pflegen ſie, zumal da neuerdings 
unternommene Schritte nach dieſer Richtung Hin erfolglos geblieben 
waren (Jonas, Chr. G. Körner ©. 219, 397), zu übergehen oder doch 

1) Auf Theodor Körner it vielfach Uhlands Wort „zugleich ein Sänger 
und ein Held“ angewendet worden, aus der Einleitungsjtrophe jeiner 1816 am 
Jahrestag der Leipziger Schlacht den Deutichen zugerufenen Mahnungen: went 
„ein folcher, dev im heiligen Kriege gefallen auf dem Siegesfeld“ hermiederſtiege, 
der würde — nicht jo, wie er (der Dichter) es künden werde, fondern — 
himmelskräftig, Donmergleich fein Yied fingen. Uhland trifft hier in Ausdruck und 
Gedanken merkwürdig mit Novalis zujammen. Im Ofterdingen (Schriften 1815, 
1, 161 f.) jagt Ddiefer: „Der Krieg Scheint miv eine poetische Wirfung. Die Leute 
glauben fich für irgend einen armſeligenBeſitz jchlagen zu müffen, und merken 
nicht, daß jie der romantische Geift aufregt. . . Sie führen die Waffen für die 
Sache der Poeſie. . . Viele Kriege, befonders die vom Nationalhaß entjpringen, . . 
find Ächte Dichtungen. Hier find die wahren Helden zu Haufe, die, das edelfte 
Hegenbild der Dichter, nichts anders, als unwillkürlich von Poeſie durchdrungene 
Weltfräfte find. Ein Dichter, der zugleich Held wäre, ijt jhon ein gütt- 
lichev Gejandter, aber jeiner Darjtellung iſt unſere Poeſie nit ges 
wachſen.“ Ob Ubland al3 ev dichtete dieſe Stelle, voll tiefer Poefie und Wahr- 
heit, vielleicht im Sinne hatte? Novalis fpricht wie ein Prophet. Das ift ja 
das Große unſrer deutjchen Kriege, daß fich der „vomantifche Geift“ mit Friege- 
riſchem Heldenthum verband. Dieje Berbindung ehrt und liebt daS deutſche Volk 
an Theodor Körner, 


N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 87 


als unverbürgt und nebenjächlich zu ‚behandeln. Und dennoch bejteht 
jie vollauf zu Necht, wie fich aus den Akten der Berliner Liedertafel 
(deren Benußgung ich Herrn Profeſſor Blumner danke) und ander- 
weitigem Quellenmaterial ergiebt. 

Die Yiedertafel, welche zur Rückkehr des aeg nach Berlin 
von Zelter gejtiftet worden war, zählte außer ihrem „Meiſter“ Zelter 
nur dierumdzwanzig ordentliche Mitglieder. Aber Dan, daß eine 
außerordentliche Mitgliedſchaft eingerichtet wurde und die Zahl der ein- 
zuführenden Gäſte, auch Damen bei gewifjen Gelegenheiten, eine un- 
bejchränfte war, bildete jie bald einen Vereinigungspunkt für die ge- 
jamte gute Gejellichaft in Berlin. Sogar nach auswärts erjtredte fich 
ihre Wirkſamkeit. In vielen Städten wurden ähnliche Gejangvereine 
in das Yeben gerufen. Bekanntlich bezeigte auch Goethe ein thätiges 
Intereſſe für Zelters Yiedertafel, das ſich naturgemäß auf diejenigen 
übertrug, die ihm nahe ftanden. Zu diejen gehörte die Familie Körner 
in Dresden. 

Im uni 1810 weilte Zelter, auf einer Badereije nach Teplig, 
vierzehn Tage zu Dresden, in täglichen — mit Körners, bei 
denen die Pflege der Muſik und des Geſanges heimiſch war. Während 
dieſer Zeit dichtete Theodor ein Lied, das Zelter kurz nach ſeiner An— 
kunft in Teplitz, am 26. Juni 1810, nach Berlin ſandte, mit folgenden 
Begleitzeilen: „Meinem lieben Freunde, dem Vizemeiſter der löblichen 
Liedertafel, Gruß und Achtung. Ich ſende dies Lied als ein Zeichen 
meines Lebens und Wohlſeyns. Laßen Sie es ſich dabey ſo wohl ſeyn 
wie mir das Andenken iſt an meine lieben Genoßen und Freunde, die 
Mitglieder der Singakademie und der Liedertafel. Ich habe geſtern das 
warme Bad zum zweiten Male genommen und hoffe und glaube an 
meine Beſſerung.“ Es muß dem Liede auch bereits Zelters Kompoſition 
beigelegen haben; denn ſchon am 3. Juli ließ es der Vizemeiſter Gern 
an der Liedertafel ſingen.!) 

Theodors Gedicht iſt in den „Geſängen der Liedertafel“ vom 
Jahre 1811 (S. 126) abgedruckt, aber ungenau und unter der will— 
kürlich geänderten und noch dazu durch einen entſtellten Ueber— 
ſchrift „Dithyrambe, von Görner und Zelter“. Darum blieb es auch 
wohl fir die Werke Theodors unbeachtet, obwohl es die erſte, bedeut— 
ſamſte Geſtaltung ſeines „Weinliedes“ deſſen Anlaß und Abſicht 
nur im Sl mit der Yiedertafel verjtändlich wird. Dem 


2) Am 5. Juli schloß Zelter feinem Briefe an Goethe nad Karlsbad 
(Briefwechjel 1, 408) eine Einlage für die inzwiichen gleichfalls in Karlsbad ein 
getroffene Familie Körner bei, worin „etwas Mußttaliſche⸗ befindlich ſei“: wahr 
ſcheinlich war es Zelters Kompoſition des Weinliedes, die alſo hier durch Goethes 
Hand ging. 


38 N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 


Abdruck lag nämlich nicht das Original zu Grunde, jondern eine fin 
Zelters handjchriftliches Exemplar der Geſänge der YViedertafel (jebt 
auf der Mufifabteilung der Stöniglichen Bibliothef Berlin) hergejtellte 
Kopie. Körners eigenhändige Niederjchrift befindet jich in den Akten 
der Yiedertafel. Hier die genaue Wiedergabe: 


Meinlied! 





Einer. Gläſer klingen, Nektar glüht 
In dem vollen Becher, 
Und ein trunknes Götterlied 
Tönt im Kreis der Zecher. 
Mächtig ftürmt das Evoe 
Fröhlicher Gefellen, 
Und das Blut braußt in die Höh, 
Alle Sinne jchwellen. 


Chor. Im Nebenfaft 
Glüht Götterfvaft, 
In Nektar's Gluth 
Braußt ſtolzer Muth 
Drum, der uns Kraft und Muth verleiht 
Dem WeinGott ſey dies Glas geweiht. 


Einer. Becher, Deinen Purpurſaft 
Schlürf ich froh hinunter, 
Denn des Herzens ſtolze Kraft 
Lodert im Burgunder. 
Glüht er nicht mit deutſchem Muth, 
Und mit deutſchen Flammen, 
Eint er doch des Südens Gluth 
Mit dem Ernſt zuſammen. 


Chor Ber in ſich Muth 
Und Thaten Gluth, 
Und ftolze Kraft 
Zuſammenraft 
Und wer im Wollen fühlt die Macht 
Dem ſey der Becher zugebracht. 


Einer. Aber jetzt braußt Jugendluſt 
Im Champagners Schäumen, 
Wie die junge muth'ge Bruſt, 
Kühn in kühnen Träumen. 
Leichtes Blut, verwegnes Herz, 
Stolzes Selbſtvertrauen. 
Froher Sinn bey Leid und Schmerz, 
Muthig vorwärts ſchauen, 


R. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 


Einer. 


Eier, 


Einer. 


Chor. Das Auge jprüht, 
Die Wange glüht, 
Es wogt die Bruſt 
In trunkner Luft. 
Der ſchönen frohen Jugendzeit, 
Der ſey dies volle Glas geweiht. 


Doch des Südens ganze Pracht 
Und ein ſchöner Feuer, 

Und der Liebe ſüße Macht 
Lodert im Tokayer. 

Golden ſchäumt er im Pokal, 
Hell, wie Himmelskerzen, 

Wie der Liebe Götterftrahl 
Glüht im Menjchenherzen. 


Chor. Der Liebe Glüf 
Wie Sonnenblif 
Sm Paradies, 
Sp hold, jo ſüß! 
Der höchſten Erdenſeeligkeit, 
Der Liebe ſey dies Glas geweiht. 


Aber jetzt der letzte Trank, 
Rheinwein glüht im Becher! 
Deutſcher Barden Hochgeſang 
Braußt im Ruf der Zecher. 
Freyheit, Kraft und Männerſtolz, 
Männerluſt und Wonne 

Reift am deutſchen Rebenholz, 
Reift in deutſcher Sonne! 


Chor. Am Rhein, am Rhein 
Reift deutſcher Wein, 
Und deutſche Kraft 
Im Rebenſaft. 
Dem Baterland, mit voller Macht 
Ein dreyfach donnernd Hoch gebracht! 


Unſern frohen Zecherkreis 
Daß er ewig bliebe, 

Führe auf des Lebens Gleis 
reiheit, Kraft und Liebe! 
Drum, eh wir zum letermal 
Unjre Gläſer leeren, 

Soll der Brüder volle Zahl 
Diefen Bund bejchwören ! 


Chor. Ein feites Herz 
In Luft und Schmerz, 
In Kampf und Noth, 
Frey — oder todt! — 
Und daß der Bund auch ewig währt, 
Drauf jey dies letzte Glas geleert, 


89 


90 N. Steig, Zu Theodor Körners Peben und Dichten. 


Das Yied bejingt aljo in aufjteigender Yinie die Macht des Weines, 
jo, daß dem deutjchen Rheinwein der höchſte Preis —— Nun hatte 
Zelter, nach Ausweis der Akten der Liedertafel, am 18. Dezember 1809 
drei zu ſeinem Geburtstag ihm geſchenkte Flaſchen Wein — Rheinwein, 
Champagner und Burgunder — als Prämien für Lob- und Ehren— 
gefänge auf des Königs Majeſtät ausgejegt, und zwar jollte dev Rhein— 
wein dem erjten, der Champagner und Burgumder dem zweiten und 
dritten Sieger zufallen. Die Preiſe wurden auch in einer Feſtver— 
ſammlung vom 16. Januar 1810, bei der eine glänzende Gaſtgeſell— 
ſchaft gegenwärtig war, verteilt, und diejer ſchöne Brauch ie ſich 
zum Geburtstag der Königin, am 10. März 1810. Körners Weinlied, 
das nur noch den Tokayer einſchließt, iſt alſo ein Weihelied zur Feier 
der Preisverteilung, wie Zelter es ſich wünſchen mochte. Auf Zelters 
Einfluß deutet auch dev Ausdruck Evoe (an Goethe 3, 373. 5, 285), 
und der „frohe Zecherfreis“ des Körnerſchen Weinliedes ift der Kreis 
der Liedertafel in Berlin. 


Als Theodor nun in der legten Märzwoche des folgenden Jahres 
nach Berlin kam, war es jelbjtverjtandlich, daß er zur Yiedertafel hin- 
zugezogen wurde. Much der Hofrat Parthey ſaß, nach Ausweis des 
Gaftbuches, fat regelmäßig an der Viedertafel, und Theodor empfahl 
jich außerdem durch feine fräftige und Flangvolle Bakjtimme. Er muß 
der Verfammlung vom 9. April 1811 beigewohnt haben. In dieſer, 
bejagt das Protofoll, wurde ein neues Yied von Clemens Brentano, 
fomponiert von dem Arzte Friedrich Ferdinand Flemming, gejungen: 
„Der Muſikanten En Weinzunge“ (in den „Geſängen der Yieder- 
tafel“ 1811 auf ©. 236); Brentano, der zugegen war, las es jelber 
vor; Die Gefellichaft war — mehrere hieſige und auswärtige Gäſte 
vermehrt, zahlreich, und ſchienen die Auswärtigen vorzüglich mit Liebe 
und Teilnahme aus der Yiedertafel zu ſcheiden. Die Aufzeichnung der 
Hüfte in das Fremdenbuch konnte nicht gejchehen, weil dasjelbe aller 
Nachfrage ohmerachtet, nicht hexbeizufchaffen war.“ Durch das Fehlen 
des Fremdenbuches erklärt es jich, daß von Theodors Anwejenbheit 
feine äußerlich fichtbare Spur in den Akten der Yiedertafel zu finden 
ift. Aber eine Schilderung Zelters und der fir den jungen Dichter 
interefjanteren Gäfte, wie außer Brentano gewiß auch Arnims und viel- 
leicht Fouques, muß ein — anjcheinend für uns verloren gegangener — 
Brief Theodors an die Seinigen enthalten haben, auf den das Schreiben 
des Vaters Körner vom 18. April (bei Adolf Wolff, 4, 193) die Ant- 
wort 1jt.!) 


) Clemens Brentano kannte alſo von Berlin aus Theodor Körner perfünlic. 
In Wien, wo ev 1815 nach Körners Abreife eintraf, verkehrte ev im denfelben 


N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 9] 


Theodor auch die Mai-Berfammlung bejucht hat, läßt jich 
nicht ausmachen; ein immer heftiger auftretendes Fieber zwang ihn, 
Berlin nach kurzem Aufenthalte wieder zu verlajjen. In jpäterer Zeit 
jang man noch jein Bundeslied 


Freudig traten wir zuſammen 
Mit des Liedes hohem Gruß ꝛc. 


und die Eingangsftrophe „der drei Sterne“, zu welcher Bornemann, 
der Vater des preußijchen Juſtizminiſters, noch drei andere Strophen 
hinzugedichtet hatte; beide Gedichte ſind in den „Geſängen der Lieder— 
tafel“ vom Jahre 1818 gedruckt. Als dann der Vater Körner nach 
Berlin überſiedelte, nahm auch er an den Verſammlungen der Lieder— 
tafel eifrig Teil; am 20. Juni 1815 ſteht ſein Name zum erſten 
Dale im Fremdenbuch verzeichnet, und ſein in den Akten erhaltener 
Brief, mit dem er fich um die ordentliche Mitgliedjchaft bewarb, datiert 
vom 10. Januar 1816. Vom Bater Körner rührt ohne Zweifel auch 
die in De „Bejängen“ vom Jahre 1818 (©. 451) unter dem Namen 
Körner abgedructe freie Nachbildung dev Horazijchen Ode Integer 
vitae her; denn da die Ode in Flemmings Melodie zum exjten Male 
im November 1S11 gejungen wurde, jo kann Theodor, der um dieje 
Zeit bereits in Wien war, nicht mehr der Verfaſſer geweſen jein. 
Andererjeits wiljen wir, daß der Vater Körner für die Singafademie 
einen Palm aus dem Italieniſchen in das Deutjche übertragen hat. 
Es wären aljo die von Adolf Stern gejammelten Schriften Gottfried 
Körners auch um diefe Nachbildung dev Horazijchen Dde zu vermehren. 
Sie ift freilich nicht gewandt, aber jingbar bleibt fie immerhin, und 
für den lebendigen Geſang, der die Härten des gejprochenen Wortes 
mildert, war ſie allein bejtimmt. 

Somit jteht Theodor Körners Zuſammenhang mit der Berliner 
Yiedertafel außer allem Zweifel, und es fragt ich, welche Folgen fich 
daraus für den jungen Dichter ergaben. Die Yiedertafel war zwar 
eine muſikaliſche Vereinigung, aber vor allem pflegte und ftärfte fie 
in ihrem Schoße den nationalen Gedanken, in duldender Hoffnung auf 
fünftige Erhebung. Dieſer preußiiche Geift ergriff hier Theodor in 
lebendiger Berührung mit Männern, die er liebte und jchäßte. Bon 
nun an vegt fich mächtiger in ihm der vaterländiiche Freiheitsdrang. 


Kreifen wie jener. Hier dichtete er noch für jein klingendes Spiel „Victoria und 
ihre Geſchwiſter“ die tiefempfundenen Strophen „Theodor Körner an Bictoria“ 
(Schriften 7, 387) mit dem feierlichen Nahmort: „Schön war jein Tod, ich 
traure nicht um ihn!“ 20. Da das klingende Spiel erft 1817 in Berlin gedruckt 
wurde, fanden Brentanos Strophen in der vom Bater Körner „Fir Theodor 
Körners Freunde“ bereiteten Quartpublikation feine Aufnahme. 


92 N. Steig, Zu Theodor Körners Leben und Dichten. 


Die Spealgeftalten der preußifchen Sriegspartei, Königin Yuife und 
Prinz Louis Ferdinand, find fortan auch jeine Ideale, die ex preift. 
Unter Preußens Fahnen zieht ev in den Freiheitsfampf. 


3. Das Sonett an Henriette Hendel-Shit. 


Um die gleiche Zeit wie Theodor Körner traf in Berlin Frau 
Henriette Hendel-Schüß, geborene Schüler, ein, dem Publikum als 
Schaufpielerin von früherher befannt. 

Diefe Frau lenfte Damals durch mimiſche Darjtellung von Meifter- 
werfen der Kunſt die allgemeine Aufmerkſamkeit und Bewunderung auf 
ſich; die Tagesjchriften jener Zeit jind voll der begeiftertiten Berichte 
iiber fie. Sie hatte fich, durch die Attitüden der Yady Hamilton ver- 
anlaßt, mit Eifer auf die Ausbildung ihres mimiſchen Talentes verlegt 
und eine Bollfommenheit und Sicherheit der Kunſtausübung erreicht, 
die in Erſtaunen jegte, und vor der die ähnlichen Yeiftungen der rau 
Elife Bürger, des Dichters dritter Gattin, faſt verſchwanden. Mit einer 
Berwandlungsfähigfeit jondergleichen Sin die Hendel-Schüß aus einer 
Darftellung in die andre über. Man leſe nur die Schilderung Wilhelm 
von K ügelgeı ns im den „ugenderinnerungen eines alten Mannes“, wie 
fie in jeinem Elternhaufe zuerſt als Sibylle ein bekauntes Bild feines 
Vaters nachahmte, dann fich niederſtreckend eine Sphinx darftellte, die 
Sphing zur Jammergeſtalt einer büßenden Magdalena jich verwandelte, 
diefe zur mater dolorosa jich erhob, um endlich in eine heitre, ſtrahlend 
ſchöne Himmelskönigin ſich zu verklären: mit einem Ruck, mit einem 
Schütteln ihrer Glieder war immer die Verwandlung vollendet. Selbſt 
Goethe gab ihrer „bewegten“ Plaſtik in den „Tag- und Jahresheften 
für 1810“ ſeinen Beifall. Er ſchenkte ihr ein Stammbuchblatt, auf 
dem die Worte ſtanden: 


Dem lieben, unvergleichlichen 
weiblichen Proteus 
Henrietten Hendel-Schütz 
dankbar 

| für jehr ſchöne, nur zu kurze Stumden. 

Weimar. Goethe. 
Er wird es ihr am 29. Januar 1810 geſchrieben haben, als ſie nach 
kurzem Aufenthalt in Weimar von ihm, laut ſeines Tagebuches, Ab⸗ 
ſchied nahm. 

Dieſe Zeilen Goethes ſind unbeachtet geblieben, wenigſtens ver— 
mißt man ſie in unſeren Kommentaren. Sie ſtehen in einem ſeltenen 
Büchlein, der „Blumenleſe aus dem Stammbuche der Frau Henriette 
Hendel⸗Schütz“ (Leipzig, bei Brockhaus 1815). Das Stammbuch, das 


N. Steig, Zu Theodor Körners Leben md Dichten. 93 


viele Blätter von der Hand bedeutender PBerjonen aufzumeijen hatte, 
war den Freunden der Künſtlerin längjt als eine Stoftbarfeit befannt 
gewejen. Schon im Miorgenblatt von 1508 und 1809 (Nr. 291 und 5) 
fand ich Mitteilungen und Auszüge aus demjelben; in Kinds „Harfe“ 
(1815, 1, 344; vgl. 3, 391) lieferte Karl Neinhard zwei jonft nicht 
befannt gewordene Diftichen „an Frau Profeſſorin Schüg, auf ein 
Stammbuchblatt,“ datiert aus Altona, 19. Juli 1811. Im Jahre 1815 
jtellte Henriettens Gatte, der Profejjor Karl Julius Schüß, die „Blumen- 
leſe“ her. Darin findet ich auch, auf Seite 88, das Sonett von Theodor 
Körner: er preift die „jchönen Götterjtunden“, in denen jich durch die 
Macht ihrer Kunſt das Irdiſche zum Himmliſchen verklärte. Durch 
Sterns Ausgabe (Kürjchners Deutjche National-Literatur 152, 1, 279) 
gehört es jeßt dem Gedicht-Bejtande Körners an. Stern hat es zwijchen 
Gedichte der Jahre 1808 und 1809 eingereiht. Die Zeitbejtimmung, 
die jich hieraus ergäbe, trifft indeh nicht zu. In dieſen Jahren find 
Theodor Körner und die Frau Hendel-Schüg nirgends an einem Ort 
zujammen gemejen. 

Wir müfjen von der bei Stern fehlenden Unterjchrift des Sonettes, 
wie jie die „Blumenleje“ bietet, ausgehen: „Wien. Iheodor Körner.” 
Aber während Körner, vom Auguft 1811 bis in den März 1813, in 
Wien lebte, befanden jich die Frau Hendel-Schüg und ihr Gatte auf 
einer großen Kunſtreiſe durch den Norden, die jie über Danzig (Mai 1811), 
Stönigsberg, Petersburg nach Stodholm und Kopenhagen ausdehnten, 
und von der jie erſt im Mai 1813 nach Deutjchland zurückehrten. 
Stonnte ich dieje Daten aus damaligen Journalen und aus der Vor— 
vede der „Blumenleje“ gewinnen, jo ergab ſich mir aus dem Morgen- 
blatt (1809, Wr. 6), daß die Künſtlerin bis dahin Wien nur im 
Jahre 1809 bejucht hat. Auf diejen Aufenthalt dajelbjt beziehen jich 
auch einzelne Wiener Stammbuchblätter, die die Blumenleje bietet, 
3. B. das des (im juli 1811 verjtorbenen) Dichters 9. J. v. Collin, 
defjen „Regulus“ Goethe beiprochen hat. Das Sonett Körners kann 
aljo unmöglich in Wien entjtanden jein; es gehört vielmehr nach Berlin, 
in den April des Jahres 1811. 

Wie die damaligen Zeitungen ausweijen, gab Frau Hendel-Schüß 
am 8. April 1811 ihre erjte pantomimijche Vorjtellung in Berlin. Dem 
Bericht des „Freimüthigen“ zufolge, habe ihre Darftellung der Ver— 
flärung, nach der italienischen Schule jowohl wie nach der altdeutjchen, 
die Zufchauer entzüct. Theodor Körner wohnte jedenfalls einer ihrer 
Borftellungen bei und jchrieb an die Seinigen — in uns nicht erhaltenen 
Briefen — begeijtert über das, was er gejehen hatte. So erklärt jich, 
daß der Vater am 18. April bei Theodor anfragte: „Was ift denn das 
für eine Verklärung, die die Schü darftellt ? Die von Naphael fordert 


94 A. Neichl, Grabbes und Grillparzers „Hannibal“. 


ja viele Figuren. Wie macht fie das?” Damals aljo in Berlin wınde 
Theodor mit der Künſtlerin befannt und dichtete das Spnett auf fie. 
Als Schüß die „Blumenleſe“ zujammenftellte, war jeiner Borftellung 
nach die geijtige Exiftenz des im Stampfe gefallenen Dichters an Wien 
gefnüpft, wohin er deshalb auch das vielleicht undatierte — Stamm- 
buchblatt verſetzte. Dies that er gewiß in gutem Willen. Mir aber 
macht es Freude, das Sonett für Körners Berliner Zeit zurückzufordern, 
als einen kleinen Zuwachs zu den Erinnerungen, die an Berlin in Körners 
Poeſie verblieben ſind. 





Grabbes und Grillparzers 
„Hannibal“, 


Bon Anton Reichl in Brüx 


R8 


(Böhmen). 





Auf Seite 132 des 12. Bandes der 5. Ausgabe von Orillparzers 
Werfen findet ich nachfolgende jedesfalls aus dem Jahre 1835 ftammende 
Bemerfung des Dichters: „Ein Yiebhaber, ein Krieger, dejjen Ehr— 
gefühl durch die Vorwürfe feiner Geliebten vege geworden, und der 
binzieht, mit Hannibal zu kämpfen, nimmt begeiftert Abjchied von dem 
Mädchen durch einen Kuß auf ihren Bufen!“ 

Man exblict in diejer Notiz gewöhnlich ein Motiv, welches der 
Dichter zu Papier gebracht, um es bei einer jpäteren Fortſetzung jeines 
unvollendet gebliebenen „Hannibal und Scipio“ zu verwerten. 

Gegen diefe Anficht läßt fich jedoch manches einwenden. 

Auffällig iſt zunächſt, daß „Buſen“, wie Herr Profeſſor Sauer 
mir mündlich mitzuteilen die Güte Hatte, in des Dichters Handſchrift 
unterſtrichen iſt, auffällig ferner das Rufzeichen hinter dem Worte: 
in Bemerkungen wie die vorliegende pflegt ſich Grillparzer nachweislich 
des Punktes zu bedienen. 

Endlich, man erwäge den Sinn: ein Liebhaber, welcher Vor— 
wife, die jein Ehrgefühl anftacheln, mit einem Kuß erwidert — einem 

Kuß auf den Buſen ſeines Mädchens! — Sollte man nicht eher er— 
werten, daß er ſie anfleht, ihn ihren Liebe nicht für unwürdig zu er- 
achten, nachdem jein Ehrgefühl eines jolchen Spornes bedurft hat? 

ft nicht ein Kuß, jollte man glauben, ehrfurchtsvoll auf ihre 
Hand gedrückt, das Höchjte, was der Zerknirſchte erbitten darf? 

Der Kuß auf den Bufen, zumal jo verwendet, ijt Grillparzers 
umvirdig. Was jollen wir alſo mit der Notiz beginnen ? 

Im jelben Jahre, wo diefelbe niedergefjchrieben wurde, erjchien 
Grabbes „Hannibal“. Im erſten Aufzuge diefer Tragödie nimmt der 


A. Neihl, Grabbes und Grillparzers „Hannibal“. 95 


junge Karthager Brafidas von Alitta, jeiner Geliebten, die ihm Un- 
männlichfeit und Feigheit zum Vorwurf gemacht hat, Abjchied, um 
ihrem Wunfche gemäß nach talien zu Hannibal zu gehen. Bevor er 
jie verläßt, drüct er einen Kuß auf ihren — Buſen.) Nehmen wir 
endlich noch Hinzu, daß fich Grillparzer im „Tagebuch auf der Reife nach 
Frankreich und England“ (1836) über Grabbes Driginalitätsjucht luſtig 
macht,?) jo fann es feinem Zweifel mehr unterliegen, daß unjer Dichter 
mit jeiner im Jahre 1835 niedergejchriebenen Bemerfung an der Grabbe- 
chen Stelle hat Kritik üben wollen, allerdings ohne das verjpottete 
Werk oder jeinen Verfaſſer näher zu bezeichnen. 

Ja wir jind berechtigt, noch einen Schritt weiter zu gehen! 
Nicht bloß in dieſer furzen, flüchtigen Notiz, auch in dem großen 
Fragmente „Hannibal und Scipio“ dürfen wir Aritif erbliden, welche 
Srillparzer an dem ihn nicht zufriedenftellenden Werke Grabbes geübt hat. 

Statt in profaischer Erörterung im einzelnen die Mängel der Grabbe— 
ichen Behandlung aufzuzählen, zeigt uns der Dichter, was aus einem 
Hauptmotiv der Grabbeſchen Tragödie fich hätte machen lafjen, und über— 
läßt es uns, auf Grund beider Bearbeitungen desjelben gejchichtlichen 
Faktums uns ein Urteil auch über die Darftellung Grabbes zu bilden. 

Es it aljo wahrhaft jchöpferijche Nritif, welche in unjerem 
Dichter durch die Lektüre Grabbes angeregt worden ift, Stritif, wie fie 
nur ein Dichter zu üben vermag. Zur Begründung dieſer Anficht 
diene eine Vergleichung von Grillparzers Fragment und der ihm ent- 
iprechenden Scene bei Grabbe.?) Wir geben zunächjt den Anfang der 
Grabbejchen Scene wörtlich wieder: 


Hannibal (mit zwei Hauptleuten). 


Er kommt alſo — — das währte lange. — Nun muß ich auch noch das 
Warten lernen? — Ha! 


(Scipio der Jüngere tritt auf mit zwei Hauptleuten ; Hannibal winft die Seinigen in 
einige Entfernung zurüd, Scipio die Seinen ebenjo. Beide Feldherren treten einander 
gegenüber und ſehen ſich lange ftumm an.) 


Hannibal. 
— — Scipio, ih muß wohl der erfte fein, welcher in diefer Stunde vedet, 
denn ich bin der ältere. 
Scipio der Füngere. 

Du bift es. 

) Grabbes Sämtliche Werke, herausgegeben von Oskar Blumenthal 3, 
386, unten: „Brafidas. So nehm’ ich diefen Kuß auf deinen Bufen mit in 
das Feld, und oft noch wird er mich wärmen, lieg’ ich zeltlos in Falter Nacht.“ 

2) Grillparzers Sämtliche Werfe 20, 84: „engliſch . . . worin meine 
Ausſprache, aus dem pronouneing dietionary zufammengelefen, fo originell ift, 
als Grabbes Tragödien oder die Nomane des jungen Deutſchland.“ 
3) Srillparzers Sämtlihe Werke 12, 125 fi. und Grabbes Sämtliche 
Werke 3, 367 ff. 





96 A. Neichl, Grabbes und Grillparzers „Hannibal“. 


Wenden wir uns nunmehr zu Grillparzer. Den wenigen Worten 
Hannibals bei Grabbe vor Scipios Auftreten entjpricht hier das aus- 
i ihrliche, für Expofition amd Charafterzeichnung jo bedeutjame Gejpräch 
Hannibal mit dem Unterfeldheren Mago. 

Bei aller DVerjchiedenheit der Anlage und Durchführung beruht 
es doch auf demjelben Grundmotiv: auch bei dem Wiener Dichter ift 
Hannibal der erjte am Plage, auch bei ihm — und dies ift die Haupt- 
jache it ev umvillig, daß der Römer ihn warten lafje. 

Diejen legteren Zug juchen wir vergebens bei den Schriftellern 
des Altertums: er ijt eine Erfindung Grabbes, und von ihm hat ihn 
jedesfalls Grillparzer entlehnt. Während jedoch bei Grabbe, wie wir 
jahen, die Feldherren einander exit „lange jtumm betrachten“, ehe der 
Bunter das Wort ergreift, — ein dem Yivius (XXX, 30) entnommener 
Zug — hören wir andererfeits in dem Fragmente von Scipio, daß ſich 
der Karthager von des Gegners Anfchauen abiwendet, was ſich aus 
antifer Weberlieferung nicht belegen läßt. 

Was nun den Gang der Berhandlungen zwijchen den beiden 
Gegnern betrifft, jo finden wir in diefer Partie bei den zwei Dichtern 
bei auffallenden Abweichungen doch wieder jo merfwirdige Ueberein- 
ſtimmung, daß es unmöglich ift, an einen Zufall zu glauben. Dan 
vergleiche: bei Grabbe jagt Hannibal): „Wozu längerer Kampf zwijchen 





1) Ich kann es mir unmöglich verjagen, an dieſer Stelle darauf hinzu— 
weifen, wie ſtark ſich gerade im dieſer Scene der auf jeine Originalität jo ftolze 
Grabbe an die alten Gejchichtiehreiber anſchließt; abgejehen von der obgedachten 
Entlehnung aus Livius vergleihe man mit Hannibals Einleitung der Unter- 
handlungen Polybius XV, 6, 4 fi. (791): AsSıwodueros dE zo@ros "Ayvißas 
jgSaro heyew 0— Eßobkero sv ar wajte Poualovs Zudounoaı umdfzore umdsvös 
zov ERTOS Traklas wire Kaoyndovi LOUS 0 ERTOS Aıßo NS" dup oTEgoLS yao Eva 
zal zal.liotas öv WAOTElaS zal ov)lnpönv ar el TEOLWOLOUEVAS UNO ns pÜloews. 
Bemerfenswert ift vor allem, daß Grabbe hier jogar die Sentenzen dem alten 
Geſchichtſchreiber entnimmt. Mean vergleiche nachfolgende Worte des Grabbejchen 


Hannibal: „.... Du, jugendlicher Feldherr, ftehjt auf der Höhe deines Ruhms, 
alles, was du bisher unternahmft, ift div geglüdt — Doch bedenfe, wie leicht 


wechjelt die launiſche Fortuna, wie ſchnell kann ſich alles wenden in den centner— 
ſchweren Augenblicken, die über unſſre Häupter heraufzieh'n! — Siehe mich: den 
Hannibal, der Land mit euren Niederlagen füllte, jetzt —“ mit Polybius 
XV, 6, 8 und 7 ie 7) vo wuev oby ETOLLLOS elıu To zeigav elimpeyaı öl aurov 
oVv oayudrom 8 ev yusraderds EoTıV N zu N za ao0 1200 eis EXATEOQ 
TOLEL neyahas doxds, zadanso ei vnrioıs TaLol 100m" 08 OR ayovı®, Hozhız, 
)lav, EN) zal dıa TO vEor Ewa zoMdN zul dıa TO avra 001 zara Aöyov 
z24wonzEvaı 2. r. 4. und 7, 3: Elui toıyaooov ’Avvißas Exelvos, Ös uera mv 
Ev Kavvars udynv oysdov andons "Iraklas Eyzoarıjs yerousvos“ z. rt. 4. Und 
ganz bejonders die Rede Hannibals bei Grabbe: „Der Weife wählt das beſte 
Gut und das geringſte Uebel, muß er einmal unter beiden wählen. Siegſt du 
heut', macht es dich glüclicher ? Du haft Lorbeers genug. Verlierft du heut‘, 
ift all dein erworbener Ruhm dahin“ mit Polybius XV, 7,5 ff.: Eis a PAr- 


I 


A. Reichl, Grabbes und Grillparzers „Hannibal“. 97 


Nom und Karthago? Haben die endlojen Kriege nicht beiden einjeben 
lernen, daß ſie am glücklichiten ſind, wenn Rom ich auf Italien, 
Karthago auf Afrifa bejchränft?” worauf Seipio höhniſch erwidert: 
„Dachtejt du jo, als du Spanien exobertejt und die Alpen überſchritteſt?“ 
Und daneben halte man nun die Barallelitelle bei Grillparzer : 
Hannibal. Theils eigner Antrieb, theils Karthagos Auftrag, 

Das Mitleid fühlt ob des vergofinen Bluts — 

Scipio. Fühlt' es das Mitleid auch bei Cannae jchon ? 

Am Trafimen und —? Doch verzeih die Unterbrechung. 
Im weiteren Berlaufe zeigen ich indeß die jtärfiten Verjchiedenheiten: 
engjter Anjchluß an Bolybius bis zu wörtlichev Neberjegung gehend — 
bei Grabbe; völlig freie Geſtaltung, in völliger Unabhängigfeit von der 
Ueberlieferung bei Grillparzer. Sachlich ift vor allem das eine wichtig: 
bei Grabbe bietet Hannibal dem Römer aus freien Stücden „alle Be- 
figungen außer Afrifa“ im Einklang mit der Ueberlieferung. Im Bruch- 
jtüicke hingegen, wo ex überhaupt nicht wie in der Tragddie als demütig 
stehender jondern als ſtolz Gewährender auftritt, will ev zunächit bloß 
Italien räumen und Hasdrubal abziehen lajjen, um fich dann, von 
Scipio gedrängt, auch noch zur Abtretung von Sicilien zu verftehen ; 
aufs entjchiedenfte verweigert er indeß Hiſpanien, „die Wiege feines 
Geiſtes,“ noch ehe der andere es verlangt. 

An diefer Weigerung zerjchlagen jich die Unterhandlungen, und 
die Scene hätte ihr Ende evreicht, wenn jie Grabbes Mufter folgte. 
Denn auch bei diefem fommt es zu feiner Cinigung zwijchen den 
Gegnern: als namlich) Hannibal jein Angebot gemacht, fordert der 
Nömer, davon nicht zufriedengeftellt, Hannibal und Karthago müßten 
jich unbedingt römiſcher Gnade übergeben. „Römiſcher Gnade!” — 
erwidert Hannibal voll Hohn — „Eher wollen wir es mit eurer Un- 
gnade zum leßtenmal verjuchen!” Und Scipio „falt“ im Abgehen: 
„Dann erwarte mit deinen dünnen Haufen das Schickjal der Schlacht. 
Du, hätteft du mein überlegenes Heer, handeltejt nicht anders, ſtändeſt 
du an meiner Stelle.“ Und Hannibal, ihm nachrufend: „Es erwarten ? 
Nein ich ruf' es, es war mix oft eine helfende Göttin. (Gegen jein 
Heer:) Schlaht! (Ab. Die Schlacht beginnt.)“ 

Auch bei Grillparzer zwar wendet ſich Scipio nach dem Scheitern 
der Unterhandlungen mit einem „Lebe wohl!” zum Gehen, aber damit 


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cavrou dö&n ‚Era Ti Toooljasıs oV TE 127] zjs zaroidos, jremdeis Ö8 
aavra ta noö tovrov osuva zal zalda dı' abror doönv Avaron]osıs. 


Euphorion II, Ergänzungsheft, q 


98 A. Neil, Grabbes und Grillparzers „Hannibal“. 


hat die Scene noch nicht einmal ihren Höhepunkt, gejchiweige denn ihr 
Ende erreicht; alles Bisherige war vielmehr nur Borbereitung für 
diefen Höhepunkt, den gewaltigen Kern der ganzen Dichtung, jenen 
großartigen Prineipienftreit zwijchen den beiden Gegnern, der in Seipios 
jiegverheißenden Worten gipfelt: 

Wenn Hannibal erliegt, erliegt Karthage — 

Wenn Scipio fällt, doch triumphieret Rom, 


Berje, die nur der feurigen Ueberzeugung des jungen Feldherrn jchlagen- 
den Ausdrucd geben, daß Roms Heil nicht wie das Karthagos, auf den 
zwei Mugen eines einzelnen alle überragenden Mannes beruhe, jondern 
auf der Straft, Tüchtigfeit und dem Opfermute aller Bürger des 
Sejamtjtaates. 

Diejer ebenjo tiefen wie poetijch fruchtbaren Idee entbehrt jedoch 
völlig die Scene Grabbes, und nicht ſie allein, jondern das ganze Werk; 
nicht ift wie bei Srillparzer die Frage gejtellt, „wie viel ein Mann 
fann, und wie viel ein Staat,“ jondern was ein treffliches Bürgerheer 
vermag, das für den heimijchen Herd fümpft, was eine Schar von 
Söldlingen und Sflaven, geführt von einem genialen Feldherrn, den 
die Vaterſtadt nur ganz unzureichend unterjtügt. Man ſieht: es ijt 
ein Aehnliches und doch ein ganz Anderes. — 

Hinzumweijen auf Grabbes bettelhafte Armut in der Charakteriſtik 
jeiner beiden Gejtalten, auf den Mangel an innerem dramatijchen 
Leben jeiner Figuren, auf die Dürftigfeit jeiner Erfindung, die es nicht 
verſchmäht, ſich mit antifem Sentenzenflitter aufzupugen: dürfte über- 
flüſſig ſein; überflüffig auch, daneben zu halten den föniglichen Reichtum 
des Srillparzerjchen Meifterwerfes mit feiner glänzenden Zeichnung eigen- 
tümlichev Charaftere, feiner Fülle an innerer Handlung, jeiner mächtigen, 
ächt tragijchen Steigerung ! 

Faſſen wir aber nunmehr alle die gewonnenen Umjtände zu- 
jammen: die jpottende Kritik über eine Grabbejche Epifode (Brafidas 
und Alitta), das geringfchägige Urteil über Grabbe als Dichter über- 
haupt, andererjeits die unverfennbaren Anklänge an die Grabbeſche 
Barallelfcene, welche „Hannibal und Scipio“ aufweilt: jo ergibt ſich 
gerade aus Grillparzers Abweichungen mit Bejtimmtheit, daß er den 
von eimem anderen gefundenen, aber nicht gewürdigten Klumpen von 
Solderz zu jchmelzen und auszumünzen gedachte. — Wie paßt dies 
doch jo ganz zu der Art des Dichters, der in „Medea“, in der „Jüdin 
von Toledo“ und jonft, jchon von anderen bearbeitete Stoffe vertieft, 
ihnen eime vollig neue Seite abgewonnen hat! 


NR. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 99 


Studien 
zu Eduard Klörikes Gedichten, 


Von Rudolf Krauß in Stuttgart. 





Die „Gedichte“ von Eduard Mörike, wie fie den erjten Band 
jeiner gefammelten Schriften ausmachen, bilden eine in jich abgejchlofjene 
Sammlung, eine von dem Dichter jelbjt bejorgte Auswahl des Beiten 
von dem, was er gejchaffen hat. Mörike hat diefer Sammlung in 
der 1867 erjchienenen 4. Auflage, der leßten, die ex jelber "redigiert 
hat, ihre endgiltige Gejtalt gegeben. Die zahlreichen Neuauflagen, 
die die Gedichte jeit Mörifes Tod erfreulicherweije erlebt haben, find 
nur Abdrüce dieſer 4. Auflage; erſt in den legten Ausgaben ift ein 
fleinev aus acht Nummern bejtehender Nachtrag Hinzugefommen. Die 
Summe dejjen, was Mörife in jeinem Yeben gedichtet hat, ift freilich 
jehr viel größer, als die Summe der in die Sammlung aufgenommenen 
Stüde. Manches von dem, was darin nicht zu finden ift, hat unfer 
Dichter jelbjt an andrer Stelle der Deffentlichkeit übergeben: teils in 
verjchiedenen Blättern, teils in den älteren Ausgaben jeiner Gedichte ; 
jorgfältig und vorfichtig, wie er jedoch in der Auswahl feiner Erzeug- 
nifje für die Veröffentlichung war, hat ev dann jene Sachen bei der 
legten Redaktion jeiner Gedichte nicht berückſichtigt. Weit größer ift 
jedoch diejenige Zahl von Mörifes Gedichten, welche ex überhaupt niemals 
dem Drud übergeben hat. Erſt nach jeinem Tod ift ein Teil davon 
im Yauf der Zeit zerſtreut an die Deffentlichfeit getreten. Gewiß 
muß alles, was von Eduard Mörike herrührt, unjere Teilnahme er— 
wecken, verdient auch das relativ Minderwertige Beachtung, weil es 
irgend eine Seite an ihm neu zu beleuchten, irgend einen individuellen 
Zug aufzuweiſen pflegt; gewiß fteht manches nicht in der Gedicht- 
jammlung, was ihr ganz wohl anftinde: aber dennoch ift in ihr das 
enthalten, was den großen Yyrifer ausmacht; fie ift das wahre Ver— 
mächtnis jeines Geiftes, Die Quinteſſenz jeines poetifchen Wefens und 
Wirfens. Dieſer Gedichtfammlung muß fich darum die Aufmerkjamfeit 
des Forſchers in erſter Yinie zuwenden. Aeſthetiſche Würdigung hat 
fie jchon zur Genüge gefunden; dagegen iſt ihr eine hiſtoriſche Be- 

7* 


100 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 


trachtungsweife in größerem Maßjtab noch niemals zu teil geworden. 
Und doch bildet dieje die zuverläffigite Grundlage jener. Mit nach- 
jtehenden Unterjuchungen, die zum größeren Teil auf bislang un- 
benugtem bandjchriftlichen Material fußen, joll der Anfang gemacht 
werden, die vorhandene Lücke in der Kenntnis Mörikes auszufüllen. 


1. Zeit der Entftehung. 


In den 3 erjten Auflagen der Gedichte Mörikes (1838, 1848, 
1856) finden ſich feinerlei Angaben über die Abfafjungszeit. Erſt bei 
der 4. Auflage (1867) entjchloß fich der Dichter, im Inhaltsverzeichnis 
hinter jedem einzelnen Stüc zu vermerken, wann es entjtanden ijt. 
Er jchrieb darüber am 28. Februar 1867 an feinen befannten Freund, 
den Pfarrer Wilhelm Hartlaub: „Ich ſtecke wirklich!) mitten in der 
Storreftur der Gedichte, und man it bereit3 am 20. Bogen. Es wird 
vermöge der Drudeimrichtung ein ziemlich ftarfer Band. Der von Dir 
empfohlene „Scherz“ ?) ift aus dem Chamiſſo-Schwabiſchen Muſen— 
almanach?) unverändert aufgenommen. In dem Inhaltsverzeichnis jollen 
nach dem Wunſch mehrerer Freunde die Jahre der Entjtehung beigejeßt 
werden; Du, lieber W., haft mir früher einmal deshalb Notizen gejchickt, 
die ich jedoch nicht finde, und möchte Dich auf's neue darum bitten. 
Es muß aber bald gejchehen.“ Mörike jelbjt war demnach außer 
Stand, die Entjtehungszeit jeinev Gedichte fejtzuftellen. Niemals hat 
er Über jeine Erzeugnifje genau Buch geführt, ja man darf annehmen, 
daß er fie nicht einmal alle aufbewahrt hat. Dagegen hatte ex die 
GSepflogenheit, jeine Schöpfungen alsbald irgend einem guten Freund 
oder Bekannten — meift in mehrfachen Ausfertigungen — mitzuteilen. 
Namentlich ift an Hartlaub jedes Gedicht Mörifes jofort nach der 
Vollendung gejandt oder doch zum mindejten dariiber Bericht exjtattet 
worden. Und da jener alles, was von des Freundes Hand herrührte, 
jorgfam aufbewahrte, war er wohl in der Yage, die erwähnten Notizen, 
dem Wunſch des Dichters entjprechend, zu liefern. So find die chrono- 
logischen Angaben, wie jie der 4. Auflage der Gedichte beigegeben und 
aus diefer wörtlich in alle folgenden Ausgaben herübergenommen worden 
jmd, im wejentlichen Hartlaubs Werk. Schon die Art, wie die Yifte 
zuftande gefommen ift, läßt nichts Bollfommenes erwarten. In der 
That ift ſie weder vollftändig noch von Irrtümern frei. Im folgenden 
jollen nun auf Grumd des Mörike-Hartlaubſchen Briefwechjels und mit 

!) Schwäbiſch für „gegenwärtig“. 

2) Gedichte ©. 122. (Wo „Gedichte ohne Zuſatz citiert iſt, find ftets 
die neuen Stereotyp-Ausgaben gemeint.) 

) 5. Jahrgang, für das Jahr 1834. 








— 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 101 


Beiziehung andrer Hilfsmittel einige "Ergänzungen und Verbejjerungen 
gegeben werden. Wo mehrere Faſſungen desjelben Gedichts vorliegen, 
ijt für die Datierung natürlich die ältefte maßgebend. Denn wenn 
auch manche Schöpfung Mörikes jich in formaler Hinficht unter feiner 
nachbejjernden Hand allmählich bedeutend umgewandelt hat, jo hat fich 
ihm dabei doch die leitende “dee niemals verjchoben: er hat alle Gaben 
dev Muje nach Inhalt umd Wejen mit Einem Schlag empfangen. 
Anders jteht es in den Fällen, wo die Erfindung des Stoffs und dejjen 
künſtleriſche Gejtaltung zeitlich auseinanderliegen, wie 3.B beim Märchen 
vom jichern Mann, das Mörike jchon 1824 im Kopf zurecht gelegt, 
aber erſt 1838 zur Darftellung gebracht hat. Hier fann nur die Zeit 
der wirklichen Ausführung in Betracht fommen. 


a) Zu folgenden im Negifter umdatierten Stücken fonnten jichere 
Daten ermittelt — 


An den Schlaf (S. 172) 1838 (nachdem ſchon 10 Jahre 
vorher en ee Re gemacht worden waren). 

An — (©. 297) 1837. 

Auf ein Ei gefehrieben (©. 315) 1847. 

Crux fidelis (©. 402) 1846. 


(An Herrn Dr. Albert Zeller (©. 406) 1831; das Datum fteht vichtig 
unter dem Gedicht, aber nicht im Negifter.) 


b) Eine Aenderung der Angaben über die Entjtehungszeit im 
Regiſter iſt bei nachſtehenden Gedichten notwendig: 


Rat einer Alten (S. 14) 18321) nicht 1833. 
Fägerlied (S. 18) 1838 1837 
Ein Stündlein wohl vor Tag (S. 18) 18372) „1838. 
Stordenbotichaft (©. 19) 1837) „1838. 
Schön Rohtraut (S. 58) 1838 m 
Der Fenerreiter (©. 67) 1824 erſte Faſſung 


1841 zweite Faſſung nicht 1847. 
Des Schloßküpers Geiſter 


zu Tübingen (S. 70) 18279 „1837. 
Lofe Ware (S. 105) 18375) 
Charwoche (S. 127) 1830 „ 1832 
Zwei Dichterifchen Schweſtern (S. 275) 1845 — 
Der — demer (S. 292) 1844 „1845. 
Abſchied (©. 324) 1837) ul 


ı) Am 5. Juni 1852 als „Eirzlic gemacht“ an J. Mährlen gejandt. 

2) Bergl. Briefwechjel zwijchen Hermann Kurz und Eduard Mörike ©. 21. 

>) Vergl. Briefwechiel zwifchen Kurz und Mörike S S.22 (wo unter „Märchen: 
botſchaft“ die „Storchenbotichaft” zu derftehen it) und ©. 32. 

+, Wenigftens wüßte ich die bezuglich Bemerkung im Briefwechſel zwiſchen 
Kurz und Mörike S. 11 nicht anders zu deuten. 

5) Vergl. ebenda ©. 11 und 22. 

0) Vergl. ebenda ©. 8 und 22. Mörike jandte das Gedicht am 6. Juni 1837 
an Kurz Fans dem Titel „Der kommt nimmer,“ 


mn 


102 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 


2. Art der Entjtehung. 

Die Art, wie eine Anzahl hervorragender Gedichte Mörifes ins 
Dafein getreten find, kennen zu lernen, verlohnt fich wohl der Mühe, 
zumal da die einzelmen Beijpiele allgemeine Nücjchlüffe zulaffen. Be— 
jonderen Neiz muß es vollends gewähren, dieſen Werdeprozeß aus des 
Dichters eigenem Mund, aljo in unanfechtbarer Darjtellung, zu ver- 
nehmen. Ueber die Entjtehung der allbefannten und viel gefungenen 
Ballade Schön Rohtraut (Gedichte S. 58) berichtet ev in einem Brief 
vom 18. Juli 1868 an Moriz von Schwind folgendermaßen: !) 
„. + . Solche Momente plößlicher Eingebung find gerade nicht jelten. 
Das Stärkſte diefer Art, was ich an mir erfuhr, iſt die Entjtehung 
der Ballade „Rohtraut.“ ch jtieß einmal — es war in Gleverjulz- 
bach — zufällig in einem Fremdwörterbuch auf den mir bis dahin 
ganz unbekannten altdeutjchen Srauennamen. Er leuchtete mich an 
als wie in einer Nojenglut, und jchon war auch die Königstochter da. 
Bon diefer Borjtellung erwärmt, trat ich aus dem Zimmer zu ebener 
Erde in den Garten hinaus, ging einmal den breiten Weg bis zur 
hinterjten Yaube hinunter und hatte das Gedicht erfunden, fajt gleich- 
zeitig damit das VBersmaß und die erjten Zeilen, worauf die Aus— 
führung auch wie von jelbjt erfolgte.“ Damit jtimmt freilich nicht 
überein, daß Mörike die Ballade alsbald nach ihrer Bollendung an 
Freund Hartlaub mit dem Vermerk geſchickt Hat: „Gedichtet Clever- 
julzbach den 31. März 1838 morgens im Bette.” Wir find natürlich 
von vornherein geneigt, der erſtern Erklärung vecht zu geben, doch 
jpricht unleugbar auch mancherlei für die andere. Bor allem der Um— 
itand, daß fie zeitlich dem Ereignis ganz nahe liegt, während jene 
30 Jahre davon entfernt ift. Auch ift es Ihatjache, dag Mörike das 
Bett jehr geliebt und häufig, ohne es zu verlafjen, morgens nach dem 
Erwachen gedichtet hat. Immer aber bleibt das jehr wahrjcheinliche 
Ausfunftsmittel, daß jich die beiden Darjtellungen vereinigen lajjen 
und Mörife die Ballade nach dee und Stoff jo empfangen hat, wie 
er es in dem Schreiben an Sihwind jchildert, während die Ffürmliche 

Ausführung andern Tags im Bett zuftande gefommen ift. 

„Im Frühling“ (Gedichte ©. 32) wurde zu Scheer in Ober- 
ichwaben, wo Mörife damals bei jeinem Bruder, dem Amtmann Karl 
Mörike, zu Bejuch weilte, am 13. Mai 1828 früh morgens in Einem 
Zug gedichtet und jofort an Freund Johannes Mährlen mitgeteilt. Der 
Dichter bemerkt dazu: „Hier ſitz' und schreib’ ich in dem bejonnten Garten 
des hiefigen fatholifchen Pfarrers. Die Yaube, wo mein Tiſch und 
Schreibzeug jteht, läßt durch's junge Geißblatt die Sonne auf mein 


!) Vgl. Blätter für literarifche Unterhaltung 1894 Ar, 10 ©. 146, 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 103 


Papier jpielen. Der Garten liegt etwas erhöht; über die niedrige 
Mauer weg, auf der man fich, wie auf einem Geſimſe, — kann, 
ſieht man unmittelbar auf den Wieſenplan, auf welchem die Donau 
ihre Scheere bildet. Links mild anſteigende Hügel, rechts ein weiter 
Bogen von Bergwald. Eine Wachtel ſchlägt in der jungen Saat.“ 
Das ſind Oertlichkeit und Situation, wie ſie ſo recht zu jenem herr— 
lichen Iyrifchen Erguß paſſen. 

„Fußreiſe“ (Gedichte ©. 34) iſt im September 1828 entſtanden. 
Mörife ging zur Zeit mit dem Gedanfen um, fich ganz von der Theologie 
loszujagen, und befam darüber von jemand „her rzbrechende Vorwürfe“ 
zu hören. Um den unangenehmen Eindruck, den dieſe auf ihn gemacht 
hatten, zu verwiſchen, trat ev alsbald von Stuttgart, wo ex gerade 
weilte, eine fleine Fußreiſe an und machte ſich „zum Troſt“ die er- 
wähnten Berje. 2 

Ueber das 4 Wochen nach jeiner Mutter Tod verfertigte Gedicht 
„An Bhilomele“ (Gedichte ©. 295) jchreibt Mörike an Hartlaub 
jolgendes:!) „Am 22. Mai (1841) abends ſaß ich im Dahinfelder?) 
Wald nicht weit vom Eingang unter einer hohen Eiche und las eine 
Zeit lang in der Bibel (es war meiner lieben Mutter ihre). Ganz 
nah bei mir ſchlug eine Nachtigall. Ich machte das Buch endlich zu, 
hing meinen eigenen Betrachtungen nach und hörte dazwiſchen auf den 
Geſang der Vögel. Die Nachtigall wiederholte einigemal jene ſchöne 
Stufenreihe gezogener Töne, welche, allmählich mit Gewalt anwachſend, 
aus der Tiefe in die Höhe gehen und mit einer Art von Schnörfel 
oder Sprüger jchliegen. Dabei fiel miv von ungefähr ein fomifches 
Gleichnis ein, und während des Heimgehns war ich, ganz im Gegen- 
jaß zu dem, was mich jegt einzig bejchäftigen jollte, durch den Geift 
des Widerjpruchs genötigt, den Gedanken in ein paar Strophen aus⸗ 
zubilden, indem mir unaufhörlich das alkäiſche Versmaß in den Ohren 
ſummte. Die erſte Strophe hat ſich ſozuſagen von ſelbſt ohne mein 
Zuthun zuſammengefügt. Das Komiſche liegt teils in der poetiſchen 
Anwendung einer an ſich treffenden, jedoch proſaiſchen Vergleichung, 
teils im Kontraſt der feierlichen Versart. ch ſprach es auch dem 
Mayer?) vor, der jehr davon ergögt war.“ 

„Die Schweitern“ (Gedichte ©. 64) wurden am 7. November 1837 
an Hartlaub gejandt. In dem Begleitjchreiben heißt es: „Etwas 
Nettes Hab’ ich erlebt, das muß ich Div gleich frifchweg mitteilen. 
sch ging heute Morgen, etwa um halb elf, bei ziemlichem Wind, 
aber ſehr ſchöner Sonne, am Bach hinunter ſpazieren. Wir beide, 


) ) Dal. Prefiel, das Pfarrhaus in Cleverſulzbach. ©. 31. 
2) Dahenfeld (O en Neckarſulm) liegt nahe bei Cleverſulzbach. 
+) Dem Dichter Karl Mayer, Uhlands und Kerners Jugendfreund. 


104 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 


glaub’ ich, haben den Weg nie zufammen gemacht. Er ift auf der 
vechten Seite des Bachs, hart am Vörrenberg Hin, und man jieht 
durch das Erlengebüjch über die Wiejen weg auf die nahe Chaufjee 
(die Neuenftadter nämlich), mit der man lang in gleicher Linie bleibt. 
Auf einmal höre ich Mäpdchengejang, mehrere Stimmen, vom Städtchen 
her, und ich bleibe ftehen. Es dauert kurze Zeit, jo fommen ihrer 
drei Hinter dem Borjprung jener hohen Wand herum, an der Du 
mit Konſtanze ſchon vorübergingft. Die eine, die jchlanfjte des Klee— 
blatts, lief in dev Mitte und jang bejonders klar und keck im vüjtigen 
Daherjchreiten, die andern wenigjtens nicht falſch. Die Melodie ſchön, 
eigentümlich, was man nur jagen fan. Bom Text verjtand ich nur 
von Zeit zu Zeit ein Wort: „Wir Schweitern — wir ſchönen.“ — 
Dies fehrte immer wieder. Endlich hörten fie auf. Im Heimgehen 
ſann ich nach, wie ich den Text am ſchicklichſten bekomme. Und ſieh! 
in weniger als zehn Minuten hatte ich ihn. ch gehe nämlich durch 
den Garten umd finde die ledige ——— B., die uns gewöhnlich 


arbeitet, mit Schoren beſchäftigt. — „Hanne, kann ſie nicht ein 
Lied? — es kommen die und die Worte drin vor.“ — Sie beſann 
ſich ein wenig. „Ja wohl kann ich's, Herr Pfarr.“ — „So ſag 
ſie's her! Nur ohne Anſtand.“ — Was ſagſt Du zu dieſem Ge— 
ſchichtchen Was aber das Liedchen von vorhin betrifft, da 


hab' ich Dir einen kleinen Bären aufgebunden. Es iſt von mir und 
hat ſich neulich morgens im Bett unmittelbar nach dem Erwachen wie 
von ſelbſt gemacht. Ich wollte nur, daß Du es unbefangen leſen 
ſollſt (was nun geſchehen iſt) und mir dann ſchreiben, ob es den Ein— 
druck eines Volkslieds auf Dich machte oder nur halb oder gar nicht.“ — 
Vielleicht iſt die Annahme nicht zu gewagt, daß die Erzählung doch 
nicht bloß, wie Mörike ſelbſt es hinſtellt, nachträgliche Erfindung iſt, 
daß er vie i Sängeri zwar nicht in Wirk— 
lichkeit, aber in Gedanken, nach dem Erwachen vor ſich hinträumend — 
geſehen und gehört hat und auf dieſe Weiſe zu ſeinem Lied inſpiriert 
worden iſt. 

Jedenfalls erhellt aus dieſen Beiſpielen allen,!) wie unmittelbar 
Mörike aus dem reinſten Quell der Poeſie geſchöpft hat, wie ſich ihm 
die Gegenftände feiner Dichtungen von ſelbſt ohne eigenes Zuthun 
aufgedrängt haben, wie mühelos, fait jpielend er produciert hat. 





3. Berjchiedene Faſſungen. 


Mörike hat bei feinen meijten Gedichten die Erfindung des Stoffs 
der en Stimmung, der plöglichen Eingebung verdankt, und 


!) Einige weitere finden fi bei Günthert, Mörike und Nottev ©. 7 ff. 


R. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 105 


gewöhnlich ift, jich unmittelbar daran anjchliegend, die erſte Ausführung 
ſehr raſch erfolgt. Nicht immer aber ließ es fich der Dichter an dieſem 
erſten Entwurf genügen, häufig bildete und glättete ex eifrig daran, 
bis er ihn fertig aus feiner künſtleriſchen Werkſtatt hervorgehen ließ. 
Dft winden noch nach Jahren ganze Strophen oder doch einzelne Aus- 
drücfe geändert. Man braucht, wenn man von diefer Thätigkeit Midrifes 
die richtige Vorjtellung erhalten will, nur einzelne Stücke, wie ſie im 
„Maler Nolten“ (1832) oder in der erjten Ausgabe der Gedichte 
(1838) jtehen, mit dem jeßigen Text zu vergleichen. 

So ift, um auf bejtimmte Fälle überzugehen, namentlich die 
Gejtalt der PBeregrinalieder bedeutendem Wechjel unterworfen gewejen. 
In ihrer mejprünglichen Faſſung (1824) jind jie niemals befannt ge- 
worden; als der Dichter jie zum exjtenmal (1832 im „Maler Nolten“ 
©. 557 ff.) Drucken ließ, waren fie beveitS überarbeitet. er. 1 (Ge- 
dichte ©. 129) 1) bejtand anfangs aus 2 Strophen, die (nach einer 
Handjchrift in der St. öffentl. Bibliothef zu Stuttgart) alfo lauten: 


Agnes, die Komme. 


Der Spiegel dieſer treuen, brammen Augen 

St wie von innrem Gold ein Widerſchein; 

Tief aus dem Buſen ſcheint er's anzufangen, 
Dort mag ſolch Gold in heil'gem Gram gedeih’n. 
In Diefe Nacht des Blickes mich zu tauchen, 
Unwiſſend Kind, du jelber läd'ſt mich ein, 

Willſt, ih ſoll Feclich Dich und mich entzünden — 
Weg, reuebringend Liebesglüd in Sünden! 


Einſt ließ ein Traum von wunderbarem Leben 
Mich jpriegend Gold im tiefer Erde jeh'n, 
Geheime Lebensträfte, die da weben 

In dunkeln Schachten, ahnungsvoll verftehn; 
Mich drang's hinab, nicht konnt' ich widerſtreben, 
Und unten, wie verzweifelt, blieb ich ſtehn: 

Die goldnen Adern konnt' ich nirgend ſchauen, 
Und um mich ſchüttert ſehnſuchtsvolles Grauen. 


Bon dem 2. Stück dev Peregrinalieder (Gedichte ©. 130), das 
im „Maler Nolten“ von 1832?) und in der erſten Auflage dev Gedichte 
(©. 231) einerlei Gejtalt hat, aber jpäter verändert worden ijt, liegt 

!) In der 1. Auflage der Gedichte (S. 231) völlig gleichlautend wie in 
den neuen. In „Maler Nolten“ (1832) jteht das Gedicht unter den Separat- 
titel „Warnung“ an 2. Stelle. Die einzige Variante it im 7. Vers „Dich md 

el „a g g ‚ 

mich“ ftatt „mich und Dich.“ 

2) Hier Nr. 1 unter dem Sepavattitel „Die Hochzeit,“ 


106 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten, 


feine ältere Faffung vor, wohl aber von dem dritten (©. 132). Diejes 
lautet in der Niederfchrift vom 6. Juli 1824 aljo: 


Ein Irrſal fam in die Mondicheinsgärten 
Einer faft heiligen Liebe, 

Und mit weinenden Blick 

Hieß ih nun das zauberhafte 

Schlanfe Mädchen 

Fern von mir gehen. 

Und ihre weiße Stirn, 

Drin ein Schöner, ſündhafter Wahnſinn 
Aus dem dunkeln Auge blidte, 

War geſenkt, denn fie liebte mic). 
Aber fie zog mit Schweigen 

Fort im die graue, 

Stille Welt hinaus. 


Bon der Zeit an 

Kamen mir Träume voll ſchöner Trübe, 
Wie gejponmen auf Silbergrund, 

Wußte nimmer, wie mir geichab, 

Und war feliger, leidender Krankheit voll. 
Oft in den Träumen zog ſich ein Vorhang 
Finſter und groß in's — 

Zwiſchen mich und die dunkle Welt. 
Hinter ihm ahnt' eine Haide ich, 

Hinter ihm hört' ich mit einemal 

Halb verhalten, wie Nachtwind, ſauſen. 
Auch die Falten des Vorhangs 

Fingen bald im Sturme an ſich zu regen; 
Gleich einer Ahnung ſtrich es dahinten. 
Ruhig blieb ich und bange doch; 

Immer leiſer wurde der Heideſturm. — 
Siehe! da kam's. 

Aus einer Spalte des Vorhangs 

Guckte plötzlich der Kopf des Zaubermädchens, 
Lieblich war er und doch ſo beängſtend. 
Soll ich die Hand ihr geben 

In ihre weiße Hand? 

Bittet ihr Auge nicht, 

Sagend: „Da bin ich wieder 
Hergekommen aus weiter Welt?“ 


Ein ſpäterer, ebenfalls handſchriftlich erhaltener Text weit einige 
Zufäße auf, und noch mehr Erweiterungen hat das Gedicht in der 
Faſſung erfahren, in der Mörike es zuerſt drucken lieg (im „Maler 
Nolten“ von 18321) und damit gleichlautend in der 1. Ausgabe der 
Gedichte ©. 232. So, wie wir das Gedicht jetzt leſen (Gedichte 
S. 132), ift es ſtark gefünzt, das ganze Gleichnis mit dem Vorhang, 


1) Unſer dem bejondern Titel „Scheiden von ihr.“ 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 107 


* 


das dem reiferen Geſchmack Mörikes zu undeutlich und verſchwommen 
dünken mochte, iſt geſtrichen. Schade darum! Das Gedicht iſt auf 
diefe Weiſe klarer, aber auch nüchterner geworden. 

Nr. 4 ſtammt aus etwas jpäterer Zeit. Es findet fich im 
„Maler Nolten“ von 1832 noch nicht, wohl aber in der Gedicht- 
ausgabe von 1838 (©. 234); es hat nachträglich (©. 133) nur 
geringfügige Veränderungen erlitten. Das 5. und legte der Peregrina- 
lieder ift in 3 verjchiedenen Gejtalten gedruckt (1. im „Maler Nolten“ 
von 1832;1) 2. in der eriten Gedichtausgabe ©. 234; 3. in den 
neueren Ausgaben ©. 134); eine ältere handſchriftliche Faſſung ift 
mir nicht befannt. 

Bon 7 Sonetten, die Mörike an jeine Braut Luiſe Mau?) gerichtet 
hat, hat er jelbjt nur 5 feiner Gedichtjammlung eingereiht (Am Walde, 
Viebesglüd, Zu viel, Nur zu! An die Geliebte. ©. 167— 171). Die 
urjprüngliche Geſtalt des vierten dieſer Sonette hat Nichard Weitbrecht 
in einem „Aus Mörikes Dichterwerkftatt“ betitelten Auffas,?) der auch 
jonft danfenswerte Beiträge zu dieſem Gegenstand liefert, mitgeteilt. 
Bei den 4 übrigen Stücken ift der Unterjchied zwijchen den handjchriftlichen 
und gedruckten Faſſungen ganz unbedeutend, erwähnenswert iſt höchitens, 
daß in „Zu viel“ die 2. Strophe urſprünglich alſo gelautet hat: 

„Wenn ich dem Blick nun zu den Bergen vichte, 
Die duftig meiner Liebe Thal umhegen — 

D Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen, 
Daß all der Wonne herber Streit ſich ſchlichte!“ 

Das 6. Sonett hat zuerſt R. Weitbrecht“) bekannt gegeben, und 
es ſteht nun auch unter dem Titel „An L.“ im Nachtrag der Gedichte 
(©. 404). Das T. ift dagegen in jeiner erſten Form noch nirgends 
veröffentlicht worden. Später hat es Mörike umgedichtet und feiner 
Braut Margarete von Speth, jeiner nachmaligen Gattin, gewidmet. 
In dieſer Geſtalt ift es gedruckt.“) Der urſprüngliche Text ift folgender: 

Ich ſehe Dich mit rein bewußtem Willen 

Gelaſſen Dich in Deinem Kreis bewegen, 

Noch ſanft durchglüht vom letzten Vaterſegen, 

Mit Heiterkeit des Tages Pflicht erfüllen. 

Du magſt ſo gerne unbelauſcht im ſtillen 

Die zarten Blüten Deines Geiſtes pflegen 

Und kindlich, um das höchſte Wort verlegen, 
u Den Reichtum Deiner tieferen Bruft verhüllen, 

) Mit der Meberichrift „Und wieder“. 

*) Die Verlobung wurde nach mehr als jähriger Dauer (1829—1833) 
wieder rückgängig gemacht. 

) Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1888 Nr. 32 f. 

*, Am genannten Ort. 

) Deutfche Dichtung Band 10 (1891) ©. 269. 





108 R. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 


Wer jo Dich kennet, ja, der glaubt aufs neue, 
Daß Unſchuld, Wahrheit, Demut, fromme Treue 
Noch immer nicht von diefer Erde jchieden. 
Doc wenn es wahr ift, daß ein güttlih Walten 
Den ſchönſten Kranz der Tugend vorbehalten: 
Wer wäre würdig, Div ihn darzubieten ? 


Wir lernen ferner aus dem erwähnten Aufjag Weitbrechts die 
Ummwandlungen fernen, welche die Gedichte „Charwoche“ (©. 127), 
„An einem N dintermorgen, vor Sonnenaufgang“ (©. 3) und „An 
den Schlaf“ (©. 172) durchgemacht Haben. Beſonders charakteriſtiſch 
ift der Entwicklungsprozeß des zuleßt genannten Gedichts für Mörikes 
künſtleriſche Gewiljenhaftigfeit. Gin ebenjo interejjantes Seitenſtück 
hierzu bildet die Entjtehung von „Crux fidelis“ (©. 172), die der 
— in einem (noch ungedruckten) Brief an ſeinen Bruder Karl vom 
22. Februar 1832 ſchildert. 

Auch der — zu den Elementen, wie er in der erſten Ausgabe 
der Gedichte (S. 158) ſteht, weicht weſentlich von der urſprünglichen 
Form ab. Namentlich ſtehen hier an Stelle der dortigen erſten Strophe 
zwei, die folgendermaßen lauten: 


Am ſchwarzen Berg da ſteht der Rieſe, 
Steht hoch der Mond harüiber her, 
Die weißen Nebel auf der Wiefe 

Und Waffergeifter, die vom Meer 
Gekommen zu der Erde Räumen 
Nach mancher ungeſtümen Wacht, 
Und mm in halben dumpfen Träumen 
Bewegen fte ſich in der Nacht. 

Hier u eh’ fie das Thal bedecten, 
Der Tod ein Feſt im naſſen Grün, 
Und bleiche, Schöne Leiber ſtreckten 
Sich von erſchlagnen Menſchen hin. 
Und jene ſaugen in die feuchten 
Todwunden ſich begierig ein, 

Die wunderbar von Blute leuchten 
In Nebelduft und Mondenſchein. 


Für die zweite Auflage ſeiner Gedichte unterzog Mörike „die 
Elemente“ einer nochmaligen Ueberarbeitung. Er legt darüber in einem 
Brief vom 3. Dezember 1841 an Hartlaub Rechenſchaft ab. „Ich habe 
neulich angefangen, meine Gedichte für den Fall einer neuen Ausgabe 
durchzugehen und mit aller Diskretion für das Gute, das der urſprüng— 
liche Wurf im allgemeinen hat, verſchiedene Verbeſſerungen vorzunehmen. 
Am meiſten ſchien mir deren die Romanze vom Feuerreiter und das 
Gedicht „Die Elemente“ zu bedürfen. Beide ſind noch in Tübingen 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 109 


im Sahr 18241) gemacht (dev exjtere im Sommer auf einem jchönen 
Najenplägchen beim Philoſophenbrunnen, das andere im Winter). Dieje 
Stüde genießen bei Freunden und Bekannten eines gewiljen herkömm— 
lichen Anjehens, das ohne Zweifel dazu beitrug, mich gegen ihre Fehler 
blind oder, ſofern ich fie zum Teil ganz deutlich fühlte, ficher und 
gleichgiltig zu machen. Auch gejchieht es einem bei Altern Gedichten 
manchmal, daß eine Art von Pietät jede Kritif verdrängt. Der Rieſe 
in den Elementen jteht offenbar der Natur zu äußerlich gegenüber, 
oder vielmehr jeine Thätigkeit iſt Lediglich an eine außere Maßgabe, 
an die Weiſung eines engen Schicjals, einer ängftlichen Vorjehung 
gebunden. Dies hat mich von jeher geniert. Mit 4 veränderten 
Zeilen in der 4. Strophe und einer Korrektur in der 8. iſt diejem 
Uebelſtand vollfommen abgeholfen. Es tritt nun die freiere Anficht, 
die mir jchon bei der erjten Stonzeption vorjchwebte, Klar und be- 
friedigend heraus, jo daß mir das Gedicht erſt jet wirkliche Freude 
macht.“ In dieſer Form jtehen „Die Elemente“ auch in den neuejten 
Ausgaben von Mörikes Gedichten (S. 177). 
„Der Feuerreiter“, heißt es dann weiter in jenem Schreiben, 
„hat einen neuen Vers?) zwijchen dem 2. und 3. erhalten, wodurch 
er ohne Note und ohne das Prädikat „wahnfinnig“ in der Aufjchrift 
verjtändlich wird. Auch möchte ich das grillende Jammerglöcklein mit 
einem ordinären Feuerglöcklein vertaufchen.” So wurde die urjprünglich 
dreiftrophige Nomanze (Maler Nolten von 1832 ©. 45 und Gedichte, 
1. Auflage, ©. 35) in eine vierjtrophige verwandelt. Bei der Reviſion 
jeiner Gedichte für die 3. Auflage nahm Mörike abermals Verbefjerungen 
an dem „Feuerreiter vor. Er jchreibt im Jahr 1855?) darüber an 
Freund Hartlaub: „m Feuerreiter Strophe 2 ift es nötig, daß vor 
der Phantafie des Yejers der Zwiſchenraum bis zur Brandftätte mit 
einem Wortchen im Flug vorübergehe. Auch ſtört die Windsbraut, 
zumal weil kurz vorher ein anderes Bild (die Feuerleiter) ſteht. Dem— 
nach heißt es fünftig: 
a En Feuerleiter! 
Querfeldein durch Qualm und Schwüle 
Rennt er ſchon und iſt zur Stell'. 
Drüben aber ſchallt es hell: 
Hinter'm Berg — — X. 
sch war auch verjucht, aus dem grillenden Glöcklein in der 
erjten Strophe ein gellendes zu machen, ließ es aber beiwenden, be- 


> 


!) „Die Elemente“ nah dem Inhaltsverzeichnis 1823. Welche Jahres— 
angabe richtig ift, vermag ich nicht zu entjcheiden. 

2) Mörike meint: Strophe. 

°) Der Brief ift nicht datiert. 


110 R. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 


jonders in Ermanglung pajjender Neime. Dazwijchen hörte ich einmal 
den jeligen Profurator !) in dem befannten Tone jagen: „Wenn Div’s 
an einem Wörtle fehlt zu „gellt“, wie war's? — Du fünnteft ja jagen: 
Seht ihr dort nicht im Gewühle 
Nottenmeifter Seyfferheld ?“ 

Als Mörike jeine Gedichte für die 4. Auflage von 1867 einer 
legten Reviſion uuterzog, tilgte er doch noch das grillende Glöcklein 
und jeßte dafür: 

Und auf einmal welch Gemwühle 
Bei der Brüde, nah dem Feld! 
Horch! das Feuerglöcklein gellt u. ſ. w. 

„Im bisherigen Text war das „toll Gewühle“ immer ſtörend,“ 
bemerkt er dazu; „beſonders aber iſt der Ausdruck „das Glöcklein 
grillt“ unpaſſend, viel zu ſtark.“ Gleichzeitig ſtellte er am Schluß 
die urſprüngliche, eine Zeit lang verdrängte Lesart „Ruhe wohl, Ruhe 
wohl drunten in der Mühle!“ wieder her. 

Zu den lyriſchen Erzeugniſſen Mörikes, die beſonders ſtarke 
Wandlungen durchgemacht haben, gehören auch „Der junge Dichter“ 
und „Erinnerung. An K. N.“ Erſteres Gedicht lautet in ſeiner 
ülteften Form alfo: 

Der junge Dichter. 


(Sm September.) 





Jetzo find die ernten Tage, 
Wo der wunderfam verjchlofine 
Nätjelgeift jelbft der Natur, 
Der im Nebelgrau des Herbites 
Wehmutspollen Ganges jchreitet, 
Nun mit tief und ſüßen Tönen 
An die morgenfriiche Seele 
Leiſe anzufchlagen jcheinet, 

Jede tonverwandte, liebe 
Stimme der Erinnerungen 
Lang entjchlafner Kindheit weckt. 


Und wenn mie num jold Empfinden 
Nicht jo rein und völlig immer, 
Wie es in der Seele lebte, 

In des Dichters zweite Seele, 

Den Gejang, hinüberjpielte; 


Wenn zu groß die innre Stimme 
Und zu ungeduldig mahnend: 

Sollt' ich dann nicht mutlos werden, 
Sollte mich nicht felbft verklagen, 
Daß ich oft mir nicht genüge? 





1, Obertribunalprokurator Mörike, ein Onkel des Dichters. 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. jejel: 


Aber, Mädchen, jteh! bei dir 
Bin ich plötzlich wie verwandelt. 
In der Kleinen, ftillen Kammer 
Bei dem Dämmer diejer Yampe, 
Wo ich neben dir darf weilen, 
In dem reife, wo dur atmeft, 
Ach, fo hold bejcheiden redeft. 


Wie du dann geruhig deine 
Lieben Locdenhaare jchlichteft, 
Alfo legt fih, Schön geglättet, 
All dies ungeftillte Dichten, 

AU des Herzens ander Sorgen, 
Bielzerteiltes Thun und Denken, 
Und wie Piyche, leicht gefiedert, 
Flieg' ih aus der Dichtung engen 
Roſenbanden, daß ich nur 

Noch in ihrem reinen Dufte, 
Wie im Elemente, ſchwebe. 


Oder jage mir, o Kind! 

Biſt du gar die Muſe ſelber, 
Die mich hält in ihren Armen, 
Daß ich ſelber, eins mit ihr, 
Nur ein zart Gedicht erſcheine? 


Allerlieblichſte, du lächelſt, 

Schüttelſt, küſſend mich, das Köpfchen 
Und begreifſt nicht, was ich meine; 
Möcht' ich ſelber es nicht wiſſen! 
Wiſſen nur, daß du mich liebeſt, 
Daß ich in dem Flug der Zeit 

Dieſe kleinen Hände halte. 


Zunächſt wurde nun das Gedicht bedeutend erweitert und erhielt 
folgende neue Faſſung: 
Der junge Dichter. 
(Im September.) 

Wenn der Schönheit ſonſt, der Anmut 
Immer flüchtige Erſcheinung 
In dem Schattenſpiel des Lebens, 
Wie ein heller Glanz der Sonne, 
Einmal vor die Sonne wieder 
Mit der Neuheit Zauber trat, 
Daß ein ſtille trunken Jauchzen 
Wie der Ausruf lautern Dankes 
An ſolch ſüßes Daſein war; 


Oder kam einmal die Stunde, 
Wo der wunderſam verſchloſſne 
Rätſelgeiſt ſelbſt der Natur, 
Der im Nebelgrau des Herbſtes 
Unſichtbaren Ganges ſchreitet, 


112 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 


Nun mit tiefverhaltuen Lauten 
An die morgenfriiche Seele 
Dunkel anzufchlagen fcheinet 
Und durch die erregte Glode 
Diefer Seele unaufhaltſam 
Yauter ſtets und voller vinget, 
Jede tonverwandte, liebe 
Stimme der Erinnerungen 
Yang entjchlafner Kindheit wedt, 
Dis er plößlich in dem Hauche 
Kühnerer Begeifterung, 
Weithin jehweifender Gedanken 
Ungeſtümer wächft und kreiſet, 
Daß die überdrängte Glocke 
An die ſtillen goldnen Saiten 
Meiner Leier ſich zu legen, 

Zu entladen, nimmer ruhet: 


So wenn all dies reiche Leben 

In dem Herzen auf und nieder 
Ruhelos ſich mir bewegte, 

Drang's mich, dieſes auch in ſchöner 
Abgeſchloſſener Geſtaltung 

Und durch Klänge ſo in Einklang 
Mit mir ſelber zu erſchaffen, 

Daß ich heiter, wie ein Gott, 

Ueber der gediegnen Schöne, 

Die aus mir herausgetreten, 

Die ich ganz mein eigen nenne, 
Ruhig, klaren Auges ſchwebe. 

Denn zu ſchaffen, ward der Geiſt ja, 
Und zu einen liebt er, was erſt 

In bedeutſam loſen Streifen 

Ihm das helle Licht des eignen 
Stets bewegten, wirkſamen 

Himmels augenblicklich ſandte, 

Ach, was ihm des Lebens Gunſt 
Reizendes an Farben zeigte. 


Aber wenn ein ſolch Empfinden 
Nicht alsbald jo rein und völlig, 
Wie e8 in der Seele lebte, 

In des Dichters zweite Seele — 
Den Gejang hinüberjpielte, 

Wenn zu groß die innre Stimme 
Und zu ungeduldig mahnend, 
Sollt' ih dann nicht mutlos werden, 
Sollte mich nicht jelbft verklagen, 
Weil ich oft mir micht genüge? 
Und ich kann es doch nicht laſſen, 
Kann es nicht jo ftumm ertragen. 


Aber, Piebehen, fieh! bei dir 
uam: 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 113 


Der Schluß des Gedichts ijt jich gleich geblieben, von einigen 
geringfügigen und einer größeren Aenderung abgeſehen; jtatt des einen 
Berjes 

„Die mich Hält in ihren Armen“ 


jtehen in der Neubearbeitung die drei: 
Die, wie wahre Dichtung pflegt, 


Selbft unwiſſend, wo fie iſt, 
Mih in ihren Armen hält. 


Später mußte fich das Gedicht wieder bedeutende Kürzungen ge- 
fallen lafjen: in jolcher Gejtalt wınde es zum erjtenmal (Gedichte, 


1. Auflage, ©. 9) gedruckt. Endlich erhielt es die Faſſung, in der 
wir es jeßt lejen (Gedichte ©. 10). 


„Erinnerung. An 8. N.“ iſt das älteſte Stück (aus dem 
Jahr 1822), das Mörife in jeine Gedichtiammlung aufgenommen hat. 
1865 wurde es einer grimdlichen Ueberarbeitung unterzogen (Gedichte 
©. 5), über die er Hartlaub gegenüber Nechenjchaft ablegt: „„Denn 
das Herz ſchlug zu gewaltig, Beide merften wir es jchweigend’ geht 
noch an. Aber ‚jedes jchob im jtillen des Gefichtes glühnde Nöte 
Auf den Widerjchein des Schirmes‘ — wie fonnte dies jo bejtimmt 
von ihr ausgejagt werden. Ferner: Die Beziehung der farbigen Negen- 
ſchirme auf den Regenbogen iſt doch läppijch und mußte durchaus ent- 
fernt werden. Mit dem, was dafür eingejchaltet ijt, erhalt nun das 
Gedicht eine zweifache Erinnerung, wovon die frühere auf Klärchens 
Geburtsort Benningen geht, die andere auf einen Bejuch, den jie von 
Bernhaufen aus in Stuttgart machte. Da waren beide feine Kinder 
mehr. In der neuen Faſſung wurde das Stüd nur um vier Zeilen 
vermehrt. Durch den Wegfall der zwei legten wird der Schluß nur 
gewonnen Haben.“ Aber auch der erſte Druck (Gedichte, 1. Auflage, 
©. 3) weicht in wejentlichen Punkten von der urjprünglichen Gejtalt 
ab. Das Gedicht iſt zuerſt aus der Hand des Dichters folgendermaßen 
hervorgegangen: 


Erinnerung. 





Jenes war zum leßtenmale, 
Daß ich mit dir ging, o Klärchen; 
‘sa, das war das lettemal, 
Daß wir uns wie Kinder freuten! 


AlS wir durch die jonnenbellen 
Negneriihen Straßen Tiefen, 
Unter'm ſeidnen Schirme eilend, z 


Endlih einmal Arm in Arme! 
Euphorion II. Ergänzungsheft. 8 


114 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 


Wenig wagten wir zu veden, 

Denn das Herz Ichlug zu gewaltig, 
Beide merkten wir es ſchweigend, 

Und ein jedes ſchob im ftillen 

Des Gefichtes glühnde Nöte 

Auf den Widerjchein des Schiemes. — 
Ad, ein Engel warft du da! 

Wie du auf dem Boden immer 
Blickteſt und die blonden Locen 

Um den hellen Nacen fielen. 


Wie in einem Feenftübchen 
Ganz allein wir auf der Erden, 
Und du ganz mic hingegeben! 


„Jetzt ift wohl ein Regenbogen 

An dem Himmel,“ jagt’ ich einmal; 
Dann in meinem frohen Mute 
Sprach ich weiter diefe Worte: 
„Käm' auch feiner mehr am Himmel, 
Wär’ es gar nicht zu verwundern, 
Denn die Leute ziehn ja felber 
Seine bunten Bogenftreifen 

Zu fich nieder auf die Gaffen. 
Sieh nur, wie fie fih beeilen! 
Feder mit dem Regenſchirme 
Führet einen andern Farben— 
Bogen über feinem Haupte, 

Feder jpringt mit feinem Raube, 
Blaue, grüne, diolette — 

Alles nehmen fie mit fort.“ 


Und du lächelteft und bogeft 

Mit mir um die letzte Ecke. 

Darauf janı ich Findijch weiter 
Ueber jene Farbendeutung: 

Feder nehme doch dom Himmel, 
Was der hat an Schönen Gaben, 
Bald die Hoffnung, bald die Freude, 
Unschuld, Demut, aber mir 

Ward das hohe Not der Liebe, 
Ward der Inbegriff von allem. 

An dem fremden Haus, wohin 

Ich Dich zu begleiten hatte, 

Standen wir nun; weißt? ich drückte 
Dir die Hand und wankte heimmwärts. 
Diefes war zum leßtenmale, 

Daß ich mit dir ging, o Klärchen; 
Fa, das war das letztemal, 

Daß wir uns als Kinder freuten! 


N ee u a a 


en nn m nn u Te Dr 


R. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 115 


Das Gedichtchen „Zum Neujahr” (Gedichte ©. 288), als Glück 


ma 

wunjch zum 1. Januar 1845 mit einem Tafjchenfalender an Wilhelm 

Hartlaub gejandt, Hatte nachjtehende längere Faſſung: 
Grüßt ein Philifter „Proſ't Neujahr !“, 
Bon Kindheit ging mir's wider die Haar; 
Verlegen freundlich, ſtumm beinah’ 
Und wie ein Simpel fteh’ ich da. 
(Dagegen hatt! mich's nie verdroffen, 
Wenn mir ein Manı von Lebensart 
„Geneſung!“ vief, weil ich genoffen, 

a Und brummte mein „Schön Dank!“ in Bart.) 

An jolhe Wünſche federleiht u. j. w. 

Die Kürzung wurde jchon durch die faljche Participialbildung 
„genofjen“ (von niejen), einen übrigens in Schwaben jehr gebräuch- 
lichen Brovinzialismus, notwendig. 

Bon dem Gedicht „Tag und Nacht” (Gedichte ©. 175 und damit 
fajt ganz gleichlautend 1. Auflage der Gedichte ©. 156) jind zwei ab- 
weichende Strophen des urjprünglichen Textes mitteilenswert. 


2. Strophe. Auch der Saiten janftes Tönen 
Kanı man nächtlich laufchend hören; 
Doch ſcheint alles feiner Schönen, 
Seiner Teuren zu gehören. 
Wenn fih Schatten tiefer ſenken, 
Muß er der Geliebten denken, 
Träumt fi in ein ander Land. 
6. Strophe. Auch die Mutter kennt fein Sehnen, 
Iſt dem Fremdling wohl gewogen, 
Trocknen fann fie nicht die Thränen, 
Doch fie zieht den Friedensbogen, 
Und ihm ift, als fühlt’ ev Frieden, 
Aber jene find gejchieden, 
Sind getrennt wie Tag und Nacht. 
Der Anfang von „Nat einer Alten“ (Gedichte ©. 14 und ſchon 
in derjelben Gejtalt 1. Ausgabe ©. 14) lautet im erſten Entwurf: 
Ihr hübſchen Mädchen, 
Ihr ſaubern Knaben, 
Wollt ihr mich hören? 
Ich weiß euch was. 


Schön rote Kirſchen 
Am Bäumchen hangen, 
Da wäſſert einem 

Der Mund nur fo. 


Bin jung gemefen, 
Kann auch mit veden, 
Und alt geworden, 
Drum gilt mein Wort. 


8* 


116 R. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 


Endlich jollen hier noch einige bemerkenswerte Einzelheiten ver- 
zeichnet werden. In der früheften Niederjchrift, die jich von „ung 
Bolfers Lied“ (Gedichte ©. 55) erhalten hat, heißt es im 3. Vers 
der erjten Strophe: „Sie war ein jchlanf Zigeunerweib“; das ift ſchon 
beim erjten Druck (Maler Nolten von 1828 ©. 453) in das ungleich 
charakteriftiichere „Sie war ein jchön frech braunes Weib“ umgeändert. 
In der urſprünglichen Faſſung von „Gute Lehre“ ift der Held nicht 
wie im der jpäteren (Gedichte ©. 314 und ebenjo 1. Auflage der 
Gedichte ©. 210) ein Bauer, jondern ein Schneider, wodurch auch 
jonftige Fleine Varianten bedingt jind. Was die Idylle „Der alte 
Turmhahn“ betrifft, jo jchiette Midrife den Anfang im Mai 1840 an 
Hartlaub mit der Bemerkung: „Hieraus erjeht ihr, was ich für eine 
Hecquifition gemacht habe. Ihr könnt nicht glauben, wie der alte Kerl 
jich freut, bis er euch den Brettacher Weg herfahren ſieht!“ Das 
Gedicht beginnt: 

„zu Klepperfeld !) im Unterland 
An die 200 Fahr ich ftand 
Auf dem Kicchenturn ein guter Hahn“ 


u. ſ. w. mit dem jeßigen Text — von geringfügigen Varianten ab- 
gejehen — gleichlautend bis „noch andre Com“. Daran reihen ich 


die beiden Verſe: 
„Ich, auf des Pfarrers Taubenjchlag, 
Beſchließ' in Frieden meine Tag’!“ 


jo day Mörike damals offenbar das Gedicht als abgejchlofjen betrachtet hat. 


Eine Umwandlung, wie man jie jich grimplicher faum denfen 
fann, hat das Gedicht „Auf einer Wanderung“ (Gedichte ©. 136, 
erſter Druck in der 2. Auflage der Gedichte von 1848 ©. 138) 
erfahren. Wenn man die Art kennen lernen will, wie Mörike gearbeitet 
hat, muß man die beiden Faſſungen?) diefes Stücks genau miteinander 
vergleichen. Es diente ehedem als Eintrag in das Poeſiealbum von 
Stau Dr. Marie Mörife in Neuenftadt am Kocher, einer Kouſine des 
Dichters. 


4. Idylle vom Bodenjee. 


Schließlich dürfte es von Intereſſe fein, einiges über den Werde— 
prozeß der Bodenſee-Idylle an der Hand von Auszügen aus Briefen 
des Dichters an Hartlaub zu erfahren. Einzelne Motive, wie 3. DB. 

!) So pflegte Mörike feinen Pfarrfits Cleverſulzbach jcherzhaft zu nennen. 

?) Die ältere bei Günthert, Mörike und Notter ©. 10 und bei Krauß, 
Mörike als Gelegenheitsdichter ©. 128. 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörifes Gedichten. 117 


der des Glodendiebjtahls, !) veichen offenbar in jehr frühe Zeit zurück. 
Die Ufer des Sees fannte Mörike von wiederholten Ausflügen dort- 
hin. Die eigentliche Erfindung des Stoffs, die, wie ex jelbjt betont 
wijjen wollte, ohne Einſchränkung jein geijtiges Eigentum ift, dürfte 
in den Anfang der Mergentheimer Zeit fallen, und die Ausführung 
ift ihr auf dem Fuß gefolgt. Herbſt 1843 hatte Mörike Kränklichkeit 
halber jein Eleverjulzbacher Pfarramt aufgegeben, hatte dann den nächften 
Winter bei feinem Freund Hartlaub im Pfarrhaus zu Wermuthshaufen 
bei Mergentheim zugebracht und war im Frühjahr 1844 nach Hall 
verzogen. In diejer ganzen Zeit — namentlich) war ihm auch das 
Klima in legtgenannter Stadt unzuträglich — ließ fein unbefriedigendes 
förperliches Befinden feine Luſt zn poetijcher Arbeit auffommen. Erſt 
nachdem Mörike im Spätjahr 18544 nach Mergentheim übergefiedelt 
war und jich in der dortigen milden Yuft zu erholen begonnen hatte, 
mehrte fich ihm die Fünftlerijche Schaffensfreude wieder. So reifte 
die liebliche „Idylle vom Bodenjee“ heran. In den Briefen Mörikes 
an Hartlaub ift zum erjtenmal am 16. Juli 1845 davon die Rede; 
dabei ift indejjen zu bedenfen, daß bei der Nähe von Mergentheim 
und Wermuthshaufen die Freunde fich haufig perfünlich trafen und 
jedenfalls unter ihnen jchon vorher mündlich von der werdenden Dichtung 
die Rede gewejen war. Unter dem genannten Datum jchreibt der 
Dichter: „In der Glocken-Idylle habe ich geſtern die Erzählung des 
alten Fiſchers von dem ZTeufelsjpuf und dem ländlichen Aufzug zur 
Stapelle jamt deren Einweihung vollendet. Im ganzen jtehn 230 Hexa- 
meter jegt auf dem Papier; was weiter fommt, wird ungefähr eben- 
joviel betragen.“ In einem Schreiben vom 30. Auguft 1845 heißt 
es: „Für die Glocenidylle werde ich exit in Wermuthshaufen die ge- 
hörige Stimmung wieder finden, die mir gänzlich verjchwunden tft.“ 
Am 10. Auguft war nämlich Oberjtlieutenant von Speth, Mörikes 
Hausgenofje, dev Bater jeiner nachmaligen Oattin, nach jchwerem Yeiden 
verjchieden. Aus einem Brief vom 29. September 1845: „Die Glocfen- 
Diebe, deren Arbeit eine große Pauſe erlitt, werden doch in der 
Kürze fertig jein, wenn ich zum legtenmal hinter fie fomme. Ich 
ließ einige Lücken (Uebergänge, welche aufhielten), auch fehlt noch der 
Schwanz.“ 

Am 24. Dftober 1545 jchreibt Mörike an Hartlaub: „Wenn 
Stlärchens?) Uebel länger als bis Anfang November dauern jollte und 
jte auch fahrend nicht hinüber fünnte, jo fomm’ ich jedenfall3 auf ein 

') Bgl. den Brief Mörikes an Kauffmann im dev Deutfchen Rundſchau 
April 1895 (Heft T) ©. 75. 

?) Mörikes Schweiter. 


8 R. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 
ö 7 


paar Tage umd bringe mein Gedicht bei Div in’S Reine. Es wird, 
glaub’ ich gewiß, euern Beifall erhalten. Durch die ausführlicheve 
Behandlung der epijodijchen Yiebesgefchichte (welche ausdrüclich der 
ländlichen Muſe jelbjt in den Mund gelegt wind), erhält fie mehr ge- 
mütliche Fülle, leidenschaftliche Bewegung und Zartheit, auch größere 
Ausdehnung. ES werden immer 700 Verſe werden, die jich von jelbjt 
in 3 Geſänge (zwei größere und einen kleinern „Schlußgejang“) teilen. 
Auf welche Art das Stück erjcheinen fol, ob einzeln oder mit anderm, 
wollen wir alsdann bald ausgemacht haben. Das exjtere gefiel mir 
nicht übel ; in Form einer fleinen eleganten Broſchüre mit Goldſchnitt 2c. 
und — wie 3. B. Voßens Theofrit oder Schwends homeriſche Hymmen — 
immer nur 12 Hexameter gebrochen, alſo 24 Zeilen auf die Seite.“ 
In einem Brief vom 4. Februar 1846 jteht zu leſen: „Cotta, dem 
ich die 4 erjten Geſänge meiner Idylle, ſoviel in's Reine gearbeitet 
und abgejchrieben war, zur vorläufigen Einficht mitgeteilt habe, wird 
ſie ohne Zweifel verlegen. Ich fand für nötig, jte in 6 Gefänge zu 
teilen: es wird ein ziemlich anjehnliches Stück Arbeit, und ich will 
jorgen, daß es auch in der Ausjtattung etwas Apartes befomme. Ich 
will Div das Gejchriebene nicht jehiefen, jondern lieber vorlejen.“ Am 
11. Mai 1846 zeigte Mörife dem Freunde jeine demnächjtige Ankunft 
in Wermuthshaufen an. „. . . . . Und damı zum zweiten brauch’ 
ich in Beziehung auf mein Gedicht, wovon das Manujfript noch vor 
Ende des Monats an Cotta abgehn muß, notwendig Deinen Nat: 
ich möchte vorzüglich den Stontraft, die Einrichtung des Drucks und 
eine projeftierte Dedifation (an den Kronprinzen) 20. mit Dir be— 
jprechen. “ 

Wider Erwarten fam indejjen eine Einigung zwijchen dem Dichter 
und dem Gottajchen Verlag nicht zu jtand, und jo überließ jener feine 
Dichtung dem Stuttgarter Buchhändler Schweizerbart. Für Mörike 
unterhandelte ein alter Bekannter von ihm, Heinrich Brußer aus Riga, 
Profeſſor am Stuttgarter PBolytechnifum, der die Intereſſen jeines 
Klienten jehr qut wahrzunehmen wußte und die Sache vafch zum 
Abjchluß brachte. ES würde zu weit führen, das buchhändlerijche Ge— 
Ichäft und die darüber gepflogenen Verhandlungen ins einzelne zu ver- 
folgen. Leber das endliche Ergebnis berichtet Mörife an Hartlaub am 
Ss. Juli 1846: „sch habe jeine (Schweizerbarts) nachträglichen Wünſche, 
wonach jede Auflage 1500 Exemplare jtarf und von der zweiten an 
eine jede definitiv mit 550 fl. honoriert werden ſoll, erfüllt und den 
Kontrakt auf diefe Weife unterzeichnet, da ich mir jelbjt die Billigfeit 
jeinev Gründe, wie fie dir jchon bekannt find, nicht Habe leugnen 
fünnen, und 50 Karoline für ein Büchlein von wenig über 7 Bogen 
von Zeit zu Zeit ohne weitere Müh' einzunehmen, ift wahrlich jchön 


N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 119 


genug.“ Die Herftellung des Buchs ging num ohne Unterbrechung vor 
jich. Schon am 21. September 1846 fonnten die Aushängebogen der 
Iylle nach Wermuthshauſen geſandt werden, und am 24. Oktober ging 
ein fertiges Exemplar dorthin ab mit der Bemerkung: „Hier wäre denn 
das mehr bejprochene Büchlein, das vom Verleger immer noch nicht an- 
gezeigt und verlegt werden darf.” Die Erlaubnis, das Werk dem Kron— 
prinzen Karl zu widmen, war namlich aus dem Königlich en Kabinet 
noch nicht eingetroffen. Sie verzögerte ſich noch 14 Tage. Endlich am 
10./11. November fonnte Mörike dem Freund die erwünjchte Mitteilung 
machen. „Am legten Samjtag, nachdem Tags zuvor die offizielle Nach- 
vicht von der Genehmigung der Dedifation durch einen Brief des Sefre- 
tariats an mich gefommen war, ſchickte ich mein Begleitungsjchreiben 
für die drei fürjtlichen Berjonen (den Kronprinzen, jeine Gemahlin und 
die Prinzeſſin Marie) an Schweizerbart, welcher den Einband dieſer 
Exemplare in Stuttgart nach meiner Angabe bejorgte. Dem König von 
Preußen wollte ich nach bejjerer Ueberlegung feines ſchicken; es hieße 
jich doch wirklich weggeworfen nebjt dem Geld. So unterblieb auch 
die bejchlofjene Sendung an A. Humboldt und an Tief. Dafür haben 
Hetjch, ) A. Stahr in Oldenburg?) . . . und andre um jo eher be- 
dacht werden fünnen. Im ganzen hab’ ich 32 Exemplare verjchickt.“ 
Der Kronprinz überjandte dem Dichter zum Dank für die Widmung 
einen wertvollen Brillantring, die Kronprinzeſſin eine Geldjpende. Dazu 
bemerft Mörike Hartlaub gegenüber: „Das Goldgejchenf der Kron 
prinzejfin, weil es Geld war, hat mich nur halb gefreut. Hätte ſie's 
lieber in irgend einen jchönen Gegenjtand verwandelt. Eigentlich habe 
ich von ihr faum was erwartet. 

Nicht zu hart und nicht zu weich, 

Glitzig, rund und flach zugleich, 

Ohne Salz und ohne Schmalz — 

Eſſen wir es jedenfalls.“ 

Benlage. 
Ein ungedrucktes Jugendgedicht Nörikes. 

Die folgende kleine epiſche Dichtung Mörikes, die einer auf der 
Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart befindlichen Handſchrift 
entnommen tft, iſt wahrſcheinlich bald nach ſeinem Abgang von der Hoch— 

Der Komponiſt Ludwig Hetſch (1806—1872), der zahlreiche Lieder 
ſeines una Mörike in Muſik geſetzt bat. 


>) Adolf Stahr (18905—1876), damals Konrektor am Gymnaſium in 
Oldenburg. 


120 N. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 


ichule (Hexbft 1826), möglicherweije aber auch jchon in den Univerfitäts- 
jahren entjtanden. Sie jei hier als merkwürdige Spiegelung der politi- 
ichen Ereigniffe anhangsweije mitgeteilt. 


Nachtgeſichte. 


A. 
Hörſt Du die Winde nicht raſen? Sie freuen mich, wenn ſie bei Nacht oft 
Mich erwecken; ich bilde mir ein, daß nun in den Lüften 
Losgelaſſ'ne Geſpenſter ſich würgen und laut mit Geheule 
Sich verfolgend begegnen, ein gräßlich verſchlungener Knoten, 
Der dann pfeifend zerſtäubt. Es ſchüttern Die lockeren Scheiben 
Sich am Kammerfenfterchen, und fein grünlicher Vorhang 
Hellt fih auf Augenblicde beim aufgeriffenen Mondlicht. 
Und ich halte die Augen mir wach, indeß die Gedanken 
Ferne ſchweifen; ich jchwebe zum Meer, ich jchaffe mir jelber 
Furcht und Gefahren: mein Haus verwandelt fich eilig zum Schiffe, 
Sich zur Kajüte die Kammer, ich fühle das Schwanken des Fahrzeugs, 
Und des Matrojen Pfeife vernehm’ ich, die dumpfe Bewegung 
Auf dem Berdede, man eilet vor meine Thür’ — 


B. 
O halt inne! 
Plötzlich erweckeſt Du mir ein Geſichte, das heutige Nacht mich 
Und nun auf's neue mit Luſt wie mit Entſetzen erfüllt. 
Denn ſeit längerer Zeit zum erſtenmal zeigte ſich wieder 
Mir Napoleon, ihn hab' ich, wie lebend, erblickt. 
Siehe! nach Griechenland war ich geſchifft. In einſamer Gegend 
Herbſtlicher Haiden und fern, ferne von Menſchengeräuſch 
Lief ich mit ſtaunender Luſt, und zweifelnd fragt' ich mich öfters, 
Liſpelnd: Iſt es gewiß, daß Du in Griechenland biſt? 
Aber nicht Eine Ruine! kein halber Tempel! man rät nur 
Aus der Berge Geſtalt dieſes gefeierte Land. 
Froſtig wehet die Luft; warum auch mußt' ich am Abend 
Erſt anlanden! O komm, Sonne, noch einmal herauf! 
Aber gen Weſten — was ſchimmert? Ein leuchtender Streif nun mit einmal 
Legt ſich, noch ſcheidend, dort auf die entferntere Bucht. 
Eine Reihe von Säulen erkenn' ich: ſchlanke Geſchwiſter, 
Klären ſie ruhig nunmehr heller und heller ſich auf, 
Golden bräunt ſich ihr Raſen am letztverglühenden Strahle, 
Und violettes Gebirg' dunkelt im hinterſten Grund. 
Ja, dies iſt wirklich. Du biſt es, mein Hellas. O drückt euch, ihr Hände 
Feſt auf die Augen! denn dies dürfen die meinen nicht ſehn. 
Dieſes Herrliche — nein, ich ertrüg' es nicht, nicht ſo alleine. 
Ohne Genoſſen, weh! dem ich es zeigte, bin ich 
Feige, Dies Wunder zu ſchauen, das wie im Rauſch mich betäubet, 
Und ohne Zeugen — ich weiß — glaubt man zu Haufe miv nicht. 
Aber umjonft. In die Ferne, die Nähe hinfchweifen die Blice, 
Und ich eratine mich tief im der helleniſchen Luft. 
Borwärts eilend und laut auflachend, im Fluge berühr' ich 
Griechischen Boden, ich jelbft fühle Sandalen am Fuß. 


R. Krauß, Studien zu Eduard Mörikes Gedichten. 121 


Dunkel ward es indeß. Bald ſteht ein koloſſiſch Gebäude 
Vor mir, welches ſich als Amphitheater entdeckt. 
Grauliche Steine lagen zerſtreut und im inneren Raume 
Sproßte dorrendes Gras zwiſchen den Platten hervor. 
en, Stille num herrſcht; es ſchaut ein wolfiger Himmel 
In das offene Rund, und ich bewege mich nicht. 
Jetzo erhebt ſich gelinde der Nachtwind, es ftreichet ein ſcharfer 
Negen dazmwifchen, der jchräge die Wand mir trifft. 
Und in demjelben Momente gewahr’ ich tief im Theater 
Stehend eine Geſtalt, ganz mit ſich felber allein, 
In den Mantel gehüllt, das Haupt um etwas gejenfet, 
Aber ich kenne den Hut, kenne das blaſſe Geficht. 
Wie ich bebte, daß nur fein Auge nicht auf mich falle! 
Sa, ich betete fast, machte mich jelber zu Stein. 
Angefefjelt, atemlos an einem Pfeiler 
Stund ich umd zählte mir faft jeglichen Puls in der Bruft. 
Endlich bewegt er fich, ſieht dich — noch nicht! — er fchreitet nach hinten. 
Weh mir! wo ift es? Hinweg! — Fa, jo verfhwindet ein Geift. 
Und nun ergriff mich unnennbares Schrecken, ich ftürzte zu Boden, 
Schrie um Hilfe; ſogleich werd’ ih von Regen erſtickt. 


Wimmernd ſtreng' ich mich an. — Sieh da! es beugt ſich die Schweſter 
Ueber mich her, und es ſtehn alle Geſchwiſter um mich: 
„Ach, was haft du doch? raffe dich auf!“ — „Ja, laſſet uns eilen!“ — 


Und im Sturme ſogleich flogen wir ſauſend hinweg. 
Vorwärts liegend beſtreifen wir kaum mit der Zehe den Boden 
Ueber Gebirge davon, über Gewäſſer dahin, 

Angſtvoll und öfters kreuzend, ein wunderbares Geſchwader; 
Grau liegt die Ferne, es liegt unten ein gelbliches Meer. — 
„Dorthin nicht! ich beſchwöre, laßt rechts die Inſeln! Aegypten 

Liegt dorthin, es erneut eine geſpenſtiſche Schlacht 
Sich um die Pyramiden, denn nimmer ruht auch der Tote; 

Kriegeriſch Schattenſpiel zeigt ihm entſchwundenen Ruhm, 
Klanglos rührt ſich die Trommel, man ziehet totes Geſchütz auf, 

Und ein verhallend Geſchrei ſchwingt ſich mitunter empor. 
Haltet, o höret mich an! Ich könnte den Mächtigen jetzo 

Nicht ertragen vor Angſt, Mitleid und Jammer zugleich. 
auch dorthin nicht! Denn jetzt Italiens Küſte 

Wandelt der fürſtliche Geiſt Julius Cäſars entlang. 
Wendet nach Norden um! wir laſſen die Kette der Alpen 

Links vorbei — — was iſt dies?“ — Plötzlich erhub ſich um uns 
Ein entſetzliches Lachen, und ich erwachte vor Schrecken. 


122 W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von F. Freiligrath. 


Unbekanntes und Ungedrucktes 
von Ferdinand Freiligrath. 
Dütgeteilt von Wilhelm Buchner m Eiſenach. 


Im erjten Teile des 1882 bei M. Ochauenburg in Yahr er— 
Ichienenen zweibändigen Werkes „Ferdinand Freiligrath. Ein Dichter- 
(eben in Briefen“ habe ich eine Anzahl von Gedichten mitgeteilt, die 
der etwa zwanzigjährige Jüngling in weftfälifchen Yofalblättern, dem 
Soeſter Wochenblatt und dem Mindener Sonntagsblatt, al3 Erftlinge 
abdrucen ließ, darunter Dichtungen von trefflicher Schönheit, wenn 
auch der achtundzwanzigjährige Freiligrath in der erjten Auflage feiner 
Gedichte 1838 nur ganz weniges als das Vollendetite aufnahm. Cs 
hat mich viel Mühe gefoftet, von dieſen ein halbes Jahrhundert alten, 
damals wohl mur im engften Kreiſe gelejenen, zum größten Teile 
längit zerflatterten Unterhaltungsblättern einen Abdruck wieder auf- 
zufinden; das Ergebnis der Nachforfchungen war jedesfalls, daß wir 
über F. Freiligraths dichterifche Anfänge jo genau unterrichtet find, 
wie das bei wenigen deutjchen Dichten der Fall ift. 

Nach Stellen jeiner Briefe zu jchliegen, hat Freiligrath Ende 
der zwanziger Jahre noch ein drittes in Weftfalen erjcheinendes Unter: 
haltungsblatt zur Veröffentlichung jeiner Erftlinge benußt; es wird 
bald „die zu Hamm erjcheinenden Unterhaltungsblätter“, bald „die 
Münſter'ſchen Unterhaltungsblätter” genannt. Trotz umfafjender Be— 
mühungen war es mir bei Abfaſſung meines Werfes 1880 nicht 
gelungen, dieſe Unterhaltungsblätter aufzufinden. Dagegen befand 
jich, wie das 1, 69 meiner Arbeit mitgeteilt ift, „unter den hinter- 
lafjenen Bapieren des Dichters ein gedructes Doppelquartblatt, ©. 95 
bis 98 bezeichnet, zweifpaltig, welches mit dem Soeſter Wochenblatt 
und Mindener Sonntagsblatt große Aehnlichfeit hat, aber nicht dazu 
gehört; Ddasjelbe enthält 41/, Spalten eines mit Freiligraths Namen 
unterjchriebenen Gedichtes; eine Anzahl Druckfehler find von jeiner 
zierlichen Hand verbejjert. Wir fünnen den Anfang nur ewraten: 
Der Teufel fommt zum Dichter mit einem Höllenvoß und erklärt jich 


W. Buchner, Unbefammtes und Ungedrucktes von %. Freiligrath. 123 


bereit, ihm Ddasjelbe zu einem Ritt in weite Ferne zu leihen; das 
Bruchſtück beginnt mitten in des Dichters Antivort: 
Auch wünsch’ ich nicht zu eilen um die ganze Kugel im Flug! 

Nein, ein paar hundert Meilen find ſchon für mich genug! 

So jchnell, es wäre jehade! Nein, im gemäßigten, jachten 

Galopp will mit Pomade die Welt ich mir betrachten !“ 

Es folgt nun in meinem Buche das Bruchjtücd, 23 ftattliche 
Strophen in jehr frei behandeltem Nibelungenmaß. Der Teufel ift 
mit der Bedingung des jungen Dichters einverftanden und jchlägt ihm 
zumächjt einen Nitt nach des Südens prangenden Auen vor, deſſen 
Herrlichkeit ev in elf prachtvollen bilderreichen Strophen, die an 
Freiligraths beſte tropische Dichtungen erinnern, jchildert. Aber der 
Dichter weift den Verſucher mit jeinen üppigen Bildern von Yebens- 
und Yiebesluft zurück und begehrt einen Nitt nach dem Norden. Der 
Teufel ift auch damit zufrieden; der Nappe wird fertig gemacht, und 
der Dichter jteigt auf zum hölliſchen Fluge. 

Was weiter fich begeben und mit mir zugetragen, 
Will ich, bei Luft und Leben, im zweiten Liede jagen! — 
Dies erfte? — nur beflommen hab’ ich es euch bejcheert! 
Darf ich auch wiederfommen? habt ihr mich gern gehört? 

Daran jchliegt mein Buch die Bemerkung: „Wir brauchen das 
Bruchjtüc nur zu überlefen, um zu erkennen, daß wir es hier mit 
einem nächjten Zeitgenofjen des „Moosthee“, mit einem Gedicht 
Freiligraths zu thun haben, welches deutlich die Spuren einer Erftlings- 
arbeit an jich trägt in der Lleberfülle der aneinander gereihten Scenerien 
aus der Tropen- und Bolarwelt, in dem bisweilen dreiſten Ausdruck, 
unregelmäßigen Bersbau, zugleich aber eine überreiche Phantaſie, eine 
merkwürdige Sprachgewalt befundet. Freiligrath hat bier offenbar 
alle Farben feiner Palette gleichzeitig auftragen wollen. Möge es 
einem Glücklicheren bejchieden jein, das unbefannte Blatt und damit 
vielleicht noch andere verjchollene Jugenddichtungen Freiligraths auf- 
zufinden!“ 

Auch nach dem Abſchluſſe meines Buches ließ mir der Reiter 
des teufliſchen Roſſes keine Ruhe, wenn ich mich auch erſt im Mai 1888 
an den Beſitzer der Grote'ſchen Buchhandlung zu Hamm, Herrn 
J. Griebſch, mit der Bitte um erneute Nachforſchung wandte. Es 
gelang ihm zwar nicht, am Druckorte ſelbſt ein Exemplar der Unter: 
haltungsblätter aufzutreiben, aber der freundliche Mann nannte mir 
als eine Fundgrube alter weſtfäliſcher Literatur die Bücherſammlung 
des Herin Apothefers W. Grevel zu Steele an der Nuhr. 

Auf meine Zujchrift an diefen Herrn erhielt ich jofort eine Reihe 
von Jahrgängen des jo lange gejuchten Unterhaltungsblattes; es ift 


124 W. Buchner, Unbekanntes und Ungedructes von %. Freiligrath. 


daraus im Nachfolgenden alles Wejentliche mitgeteilt. Sofern Herr 
Grevel noch unter den Lebenden weilt, jei ihm nochmals von Herzen 
Danf gejagt; ift es nicht der Fall, jo wird doch wohl dafiir Sorge 
getragen jein, daß jein wejtfäliicher Bücherfchag hübjch beiſammen ge- 
blieben ift. Außerdem teilte Herr Grevel mit, daß gerade zu der— 
jelben Zeit in Herford eine andere Zeitſchrift erſchien, „Weſtfalen und 
Rheinland“, die ebenfalls Gedichte von Freiligrath enthalte; ein voll— 
ſtändiges Exemplar der Zeitſchrift beſitze Freiherr von Vely-Jungken 
auf Haus Hüffe bei Preußiſch-Oldendorf (Minden). Ich habe es ſelt— 
ſamerweiſe unterlaſſen, mich an ihn zu wenden, daher auch hier möglichen— 
falls eine Nachleſe zu halten iſt; über den Jahrgang 1837 des Her— 
forder Blattes, den ich ebenfalls von Steele erhielt, werde ich nach— 
ſtehend berichten. 

Die ſo lange vergeblich geſuchte Zeitſchriſt heißt: Allgemeine Unter— 
haltungsblätter für Verbreitung des Schönen, Guten und Nützlichen, 
Münſter in der G. A. Wundermannſchen Buchhandlung; ſo in den 
nn erjten Jahrgängen 1827— 1829; jeit 1830 ift dagegen als Dit 

3 Erjcheinens Münfter und Hamm genannt, und es erklärt Jich auf 
— Weiſe der Widerſpruch in den Aeußerungen des jungen Dichters. 

Der Jahrgang 1827 hat mir nicht vorgelegen; indes da der 
folgende nichts mit Freiligraths Namen enthält, auch nichts was nach 
Form oder Inhalt auf ihn hinwieſe, ſo iſt anzunehmen, daß Freiligrath 
erſt Frühjahr 1829 mit der Veröffentlichung ſeiner Gedichte begaun, 
wie das auch im Soeſter Wochenblatt der Fall war, meijtens Ueber— 
— aus dem Engliſchen, nur ab und zu ein Driginalgedicht. 

Betrachten wir den Inhalt der Miünfterjchen Unterhaltungs = Blätter 
näher. 

Der Jahrgang 1329 bringt zunächjt im zweiten — ©. 223f. 
drei Gedichte nach Walter Scott, Noras Gelübde, Der — und 
Das Mädchen von Toro, jo formvollendet, daß Freiligrath ſie in Die 
Sammlung feiner Gedichte aufnahm. Hier find fie unterjchrieben > 
(vejt) 89. Ein weiteres Gedicht nach Walter Scott, Der Troubadom, 
mit derjelben Unterjchrift, bringt das Weite Juliheft S. 35. Dagegen 
finden wir im erſten Septemberheft ©. 105 das erxjte 3 Driginalgedicht 
„Ibrahim vor Miffolunghi“, bezeichnet als „Skizze nach einem Kupfer— 
jtich“, mit derſelben Unterjchrift in griechifchen Buchjtaben. Wir jehen, 
daß der Freiheitsfrieg der Hellenen auf den jungen Dichter nur als 
Anregung der Phantafie wirkte, ihn ganz und gar nicht zu fittlicher 
Teilnahme entzündete. Es ift, joweit ich überſchauen kann, das exjte 
Gedicht morgenländiſchen Stoffes, techniſch trotz der reichen Sprache 
noch ſkizzenhaft, wie er denn in der 1. und 5. Strophe den Vollreim 
durch den Stlangreim erſetzt; im übrigen tjt die Sem flott genug 


W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von F. Freiligrath. 125 


für den 18 jährigen Poeten. So mag es fich erfläven, daß wir das 
verjchollene Gedicht hier wiedergeben. 


Ibrahim vor Miffolunghi. 


An der Spitze feines Heeres 
Hält der Paſcha Ibrahim; 

Dumpf wie das Gebraus des Meeres, 
Sammelt fih die Schaar um ihn. 


Hoch vor feiner Krieger Menge 
Nagt der Führer ftolz hervor ; 
Wild, im ſtürmiſchen Gedränge, 
Stehn fie vor der Feſte Thor. 


Horh! Die dumpfe Trommel vühret 
Dort der Janitſcharen Schwarm: 
„Ibrahim, zum Siege führet 
Uns dein ftarfer Heldenarm!“ 


Auf Arabias leichtem Roſſe 
Schwenkt fich Fed der Mameluf; 
Mit der Spahis wilden Troffe, 
Reich in blanfer Waffen Schmuck. 


Und an ihrer aller Spitse 
Hält der Paſcha Ibrahim; 

Seine Augen flammen Blitze, 
Wolfen jene Stirn umziehn. 

Weiß jein Kaftan wie die Flocen 
Friſchen Schnees — ein ſchönes Rund 
Schlingt fi um die dunkeln Locken 
Roth und weiß — des Turbans Bund. 


Seine Damascenerflinge, 
Scharf und feft, von hartem Stahl, 
Und des Panzers Schuppenringe 
Funkeln in des Frühroths Strahl. 


Seine Nechte, hochgeſchwungen, 
Zeigt auf Miffolunghis Schloß; 
Und die Linke, marfdurhdrungen, 
Zügelt leicht das muth’ge Roß. 


Dort, beim Zelte des Nomaden, 
Auf Arabias wüjten Strand, 
Auf des Schilfmeers Uferpfaden 
War des Nofjes Vaterland. 


Seht, es horcht mit offnen Nüftern 
Auf der Schlachtdrommeten Ruf; 
Durch des Windes ſäuſelnd Flüftern 
Tönt jo feſt fein leichter Huf. 


126 W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von %. Freiligrath. 


Seht, wie voll und dicht die Mähne 
Um den jchlanfen Hals jich legt; 
Wie es um die fcharfen Zähne 
Kaum der Stange Zwang noch trägt. 
Wie es nur mit Müh gezügelt, 
Keck und troßig um fich blidt; 
Und, als wäre e8 geflügelt, 
Kaum des Grajes Spitze Fnidt. 


Das 2. Dftoberheft bringt ©. 177 eine Romanze von Dunois 
nach Walter Scott, das zweite Novemberheft ein Trauergedicht 
Freiligraths auf den Tod jeines väterlichen Förderers Clojtermeier; 
dasjelbe zeigt uns zur Abwechjelung den jungen Poeten auf Höltys 
Spuren in antifem Odenmaß; das Gedicht ift ©. 30 ff. meines Buches 
mitgeteilt.  Cnpdlich das erſte Dezemberheft enthält die auch in die 
Sejammelten Gedichte aufgenommene meifterliche Verdeutſchung von 
Walter Scotts Donald Caird ift wieder da. Im übrigen machen 
F. Freiligraths Beiträge zwijchen den movelliftiichen und Iyrijchen 
Süchelchen, den Anekdoten, gejchäftlichen und naturwiſſenſchaftlichen 
Anzeigen 2c. des Blattes eine ‚gleich überrajchende Wirkung, wie das 
in den anderen wejtfälifchen Zeitjchriften der Fall ift. 

Der Jahrgang 1830 der Münſter-Hammſchen Unterhaltungs- 
blätter wird eingeleitet durch das treffliche Wiegenlied auf den Sohn 
eines jchottijchen Häuptlings, nach Walter Scott; eine Ueberjegung 
von dejjen PBilgrim findet jich im erſten Maiheft. Das erſte Oftober- 
heit ©. 151 bringt wieder eine nachmals verworfene Driginaldichtung 
Freiligratds, die Ballade Offian, eine in der Sprache treffliche, aber 
gedehnte und vollig handlungsloje Arbeit; doch verdient fie immerhin 
aus der Vergejjenheit wieder auferwect zu werden. 


Offian. 





Es jteht auf fels’gem Meeresſtrand 

Ein hoher blinder Greis. 

Die Harfe hält er in der Hand; 

Sein Haar ift filberweiß. 

Er fteht auf grünem Uferhang, 

Am Fuße grauer Klippen, 

Und Schlachtenlied und Skaldenſang 
Entftrömet jeinen Lippen. 


Er fingt von Morvens Eichenthal 
Und feiner Haiden Duft; 
Bon Selmas altem Heldenfaal 
Und Gormals jäher Kluft. 


> N a 


—Aã———— 


W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von %. Freiligrath. 127 


Er fingt von Erins grüner Au 
Und feiner Buchten Spiegel; 

Er fingt der Meereswellen Blau 
Und Cromlas wald’gen Hügel. 


Er fingt den fturmdurchtobten Forſt, 
Der Haide welf Gejtripp, 
Des Adlers mwolfennahen Horft, 
Der Brandung Felsgeflipp. 
Er fingt der Sonne letten Strahl 
Auf laub'gem Waldesfegel, 
Gefallner Helden graues Mal 
Und weiße Schiffesfegel. 


Er fingt den wilden Ocean, 
Wenn er fih thürmend bäumt; 
Er fingt den ſchwachen fühnen Kahn, 
Den weiß die Fluth umſchäumt. 
Er fingt des Stromes Wellenfchoof, 
Des Waldbachs lautes Rauſchen; 
Singt grauer Eichen flüfternd Moos 
Und fcheuer Rehe Laufchen. 


Er fingt des Donners dumpfen Schall, 

Wenn er das Thal dDurchdröhnt, 

Wenn ihm der Feljen Wiederhall 

Durch Lena's Haide tünt; 

Er ſingt der Nebel feuchten Kranz, 

Wenn fie fih wirbelnd kräuſeln; 

Er fingt der Frühlingswinde Tanz, 

Wenn fie die Flur durchſäuſeln. 


Er fingt voll Muth und Kampfesluſt 
Die Helden allzumal, 
Auf hohem Haupt den Helm, die Bruſt 
Umhüllt vom blauen Stahl. 
Er fingt die Helden auf der Jagd 
Mit Pfeil und Frummem Bogen; 
Er fingt fie in der Männerſchlacht 
Und auf des Meeres Wogen. 


Er fingt des Vaters Kampfesgluth, 
Singt Fingals gutes Schwert; 
Wie es vergießt des Starken Blut, 
Doch mild den Schwachen ehrt. 
Er fingt, wie bang vor Fingals Kraft 
Das Banner Yochlins zittert, 
Wie Swarans ficht'ner Lanzenſchaft 
An Fingals Schild zerſplittert. 


Er ſinget Morins graues Haar, 
Gauls wilde Schlachtenluſt, 
Cuthullins blaues Augenpaar 
Und Cathbas weiße Bruſt. 


128 W. Buchner, Unbekanntes und Ungedructes von %. Freiligrath. 


Er fingt Duchomars finftre Brau 
Und Oskars ſchnelle Hüfte, 

Wie er durchſchießt der Haide Grau, 
Raſch wie ein Hauch der Lüfte, 


Er fingt, wie fie mit Schwert und Schild 
Ins Schlachtgetüümmel ziehn, 
Bon Thatendurft und Kampfluft wild 
Auf brauner Wange glühn; 
Wie ihrer Streiter lange Neihn, 
Gejchaart in finftre Gaſſen, 
Sic mit erhob’nem Arm bedräun, 
Gleich Schwarzen Wolkenmaſſen. 


Er ſingt die Helden nach der Schlacht 
In Selmas grauem Saal. 
Da ſitzen ſie bis in die Nacht 
Beim frohen Muſchelmahl. 
Da lauſchen ſie in ſüßer Ruh — 
Geſtillt iſt ja ihr Sehnen 
Nach Kampf — dem Lied der Barden zu 
Und Ullins Harfentönen. 


Und auch der Helden Liebesſpiel 

Singt er, ſo heiß, ſo warm. 

Er ſingt der holden Mädchen viel 
Mit weißem weichem Arm. 

Er ſingt ihr braunes Feueraug', 
Singt, wie ihr Haar ſich kräuſelt, 
Wenn es des Abendwindes Hauch 
Mit leiſem Kuß durchſäuſelt. 


u BU. 


Er finget ihren rothen Mund 
Und ihre weiche Hand, 
Und ihre vollen Brüfte rund, 
Wie an des Meeres Strand 
Zwei Hügel; weiß wie Schneees Flaum 
Auf Gormals Bergeshöhen; 
Weiß wie der Wellen Silberihaum 
Auf rohrumrauſchten Seeen. 


Doc was er jingt, e8 ift entflohn, 
Wie Spreu im Wind entfleucht, 
Allein fteht Fingals grauer Sohn, 
Bon tiefem Schmerz gebeugt. 
Erloſchen ift der Augen Licht: 

Was glühend er gefungen, 
Das Schauen feine Augen nicht, 
Weckt nur Erinnerungen. 


Vier Steine ſtehn am Bergesſee, 
Vom nahen Wald umrauſcht, 
Auf Fingals Grab; das braune Reh 
Huſcht drüberhin und lauſcht. 





W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von F. Freiligratd. 129 


Die Helden, die ihn einft umringt, 
Sie alle find gefallen. 

Er fteht allein, der fie befingt, 
Der legte noch von allen. 


Auch Oskar, jugendlic ummallt 
Bon blonden Locken, fiel; 
Sein letter Schmerzensruf verhallt’ 
Im wirren Schladhtgewühl. 
Horch, wie des Greifes Harfe gellt; 
Berftummt find feine Lieder, 
Und von der grauen Wimper fällt 
Heiß eine Thräne nieder. 


Des Dichters Name erjcheint zum evjtenmale im zweiten Dftober- 
heft ©. 180 mit einer metrijchen Uebertragung von Byrons Mazeppa, 
dazu die Anmerkung: „Herr Freiligrath Hat auf unſere Veranlafjung 
die Uebertragung des trefflichen Byronſchen Gedichtes übernommen; 
daß die Ueberjeßung gelungen, werden die Leſer diefer Blätter ſelbſt 
ermefjen.“ Die beiden November- und die beiden Dezemberhefte bringen 
den Schluß der meifterlichen Arbeit, die Freiligrath ſelbſt nachmals 
nicht in jeine Gedichte aufnahm. Dagegen ift dev Mazeppa mit der 
einzigen Novelle, die der Dichter jemals jchrieb, „die Eggeſterſteine“, 
1883 von Frau Ida Freiligrath in einem artigen Büchlein „Nach— 
gelajjene8 von ‚Ferdinand Freiligrath“ bei Göſchen in Stuttgart wieder 
abgedruckt worden. 


Endlich im Jahrgang 1831 fommen wir zu dev Gejchichte vom 
hölliſchen Roß, die zu diefer ganzen Unterfuchung Anlaß gab. Das 
Gedicht ift jo lang, daß ich es auch hier nicht vollftandig mitzuteilen 
wage; es geht vom 2. anuarheft ©. 30 bis ins 2. Heft des Februar, 
in drei großen Abteilungen. Der Anfang lautet: 


Da draußen wirbeln Floden, da ftarren Fluß und Bad, 
Die Spindel und der Rocken durchfchnurren das Gemad). 
Die Mädchen und Weiber jpinnen und hüten fröftelnd das Haus, 
Am warmen Ofen finnen und heden fie Gejchichten aus. 


Da tönen alte Mähren von alter Weiber Munde; 
Da kann man erzählen hören vom ſchwarzen Kmüppelhunde, 
Don VBorgefhichten ımd Zwergen und von der weißen Fraıı, 
Und vom bezauberten Bergen und von der Bräutigamsjchau; 


Bon Rieſen und von Rittern, von Elfen und von Fern; 
Und wie die Bauern zittern, wern Nachts im Mondenfchein 
Mit Schaudererregendem Gellen des wilden Jägers Horn erjchaltt, 
Wenn feine Rüden bellen ımd feine Peitiche knallt. 


Euphorion II., Ergänzungsheft. 9 


130 3. Burner, Unbekanntes und Ungedrudtes von %. Freiligrath. 


In diefer behaglich erzählenden Weile geht noch durch jechs 
Strophen die Schilderung der Spinnftube und der in derjelben von 
Mund zu Mumd gehenden Gejpenjtergefchichten. Dann fährt der 
Dichter fort: 

Jetzt tft die Zeit dev Mähren! gern kürzt man mit Gefchichten 

Den Abend. Wollt ihr mich hören, fo will ich euch eine bericgten ! 

Da jollt ihr Wunder ſchauen — Geduld, ich jchneide die Feder! — 

Doch wollt ihr euch vecht dran erbauen, jo hört fie beim Schnurren 

der Räder. 

Merkt auf und jpitt die Ohren! zwar Nittev nicht und Knappen, 

Zwar nicht perlengefchmückte Mohren, doch Sampjeden umd Lappen 

Und Eisberge will ich euch zeigen, und die Wolfen, meine ofen, 

Und am Pol das ewige Schweigen und meinen jüngft gefetten Ofen. 

Ja, geftern Abend glühte mein Ofen von außen und innen; 

Ein Inftig Feuer ſprühte und fnifterte, praffelte drinnen; 

Und vor dem Ofen jaß ich und jchürte mitunter das Feuer; 

Am warmen Ofen vergaß ich, daß grimmige Kälte heuer; 

Und daß ich den Teich überflogen auf geſchnäbeltem Schuh von Stahl, 

Und daß ich jubelnd durchzogen das weiß bereifte Thal; 

Und daß ich den Eichbaum, dem fejten, in wilder Puft gerüttelt, 

Und daß ich von Tannenäſten den laftenden Schnee geichüttelt. 

Eine milde Wärme durchwallte das Kleine trauliche Zimmer; 

Meine gelbe Lampe, die alte, verbreitete Dänmernden Schimmer ; 

Die Bilder an den Wänden, halb bejchattet, Halb erhellt, 

Sie fhienen mir Grüße zu jenden aus einer andern Welt. 

Der Byron dort, der finnend Hinblict auf Meer und Boot, 

Der alte Hebel, der minnend der Heimen Schwäbin drobt, 

Der Goethe und der Schiller und Avons fürer Schwan 

Und der Waldhornifte Müller, fie jahn mich alle au, 

Und lächelten jo behäglich herab aus der obern Luft, 

Es freute fie unfäglich der bratenden Aepfel Duft, 

Die ich ihnen allein zu Ehren auf meinem Ofen briet, 

Um ſtracks fie zu verzehren, wenn fie genug durchglüht. 

Der Dichter fährt nun fort in der etwas lang ausgejponnenen 
Bejchreibung jeines Zimmers. An der Wand hängt ein Bild der 
heimijchen Eggejterfteine ; Freiligrath widmet ihnen ein Preislied von 
zehn Strophen; er jchildert ihre malerische Schönheit, ex jieht die 
Dermannsjchlacht an jich vorüberbraufen, ex hört die frommen Geſänge 
chriftlicher Pilger vor den uralten Steingebilden im Felſen. Und jo 
endet mit vollen 27 wuchtigen Nibelungenftrophen das erſte Drittel 
des Gedichtes. 

Im folgenden Hefte, ©. 63, nimmt der Dichter feine Erzählung 
wieder auf. Ein anderes Bild an der Wand erinnert ihn an jein 
jtilles liebes Detmold und das verlorene Paradies der Kindheit. 


W. Buchner, Unbelanntes und Ungedructes von F. Freiligratb. 131 


Sp faß ich denn und wärmte am warmen Ofen mid) baß; 
Das Feuer heulte und lärmte; ich dachte dies und das. 
Ich dachte alter Zeiten und mußte mich härmen und freuen, 
Und dachte: Was bereiten dir fürder wohl die neuen ? 


Und daß ich bei Grabbe, dem Gährenden, verwichne Oftern war, 
Ber dem Sprudler, dem Dramengebärenden, mit dem wirren, weiß- 
ihen Haar. 
Er ließ fih juft vafiren vom blaffen Tonſor Schmerz, 
Und wies mir feine Orgel und fein jogenanntes zerriſſ'nes Herz. 


Ich dachte: Wie find die Kränze beim Spiegel dort ſchon fo trocken! 
Und dachte der Se in Lenze umd meiner naffen Soden, 
Und daß ich ach jo gerne Die Welt, die prangend geſchmückte, 
Und den Glanz, den Schimmer der Ferne, das Meer und die Alpen 
erblickte. 


Da klopft es in tiefer Nachtſtille ans Fenſter. Der Dichter 
tritt heran, aber er kann durch die gefrorenen Scheiben nicht ſehen. 
Von draußen gellt der Ruf: Du fauler Geſell, wach' auf! Der Dichter 
nimmt ſein Terzerol und öffnet das Fenſter: 


Schnell ſind die Flügel offen; die Waffe drück' ich los! 
Doch zurück fahr' ich betroffen, denn hoch und rieſengroß — 
Aus ſeinen Nüſtern ſprüht Feuer, das hell die Finſterniß macht — 
Schwebt vor mir ein Ungeheuer, ein Roß, ſchwarz wie die Nacht. 


Mit perlenbeſetztem Leder iſt es gar reich gezäumt; 
Bon Muth ftrotst fein Geäder um Naſ' und Stirn; es ſchäumt. 
Um die filbevne Stange fidert hervor des Schaumes gemug, 
Und den ſchneeweißen jchlidert e8 auf den rabenſchwarzen Bug. 


Es wiehert und weift die Zähne, als röch' es Stut' ımd Heu; 
Tief wallt herab die Mähne bis auf die Wolfenftren, 
Auf der es fteht. — Ja Wolken, die tragen das jtampfende Roß, 
Blauweiße, wie frifch gemolten die Milch, die dem Euter entfloß. 


Und ein Mann mit Feuerbliden, im Koller von rothem Leder, 
Sitt auf des Hengftes Rüden; eine rothe Hahnenfeder 
Schmückt den Hut; fein Fuß, — o Wehe! O Weh dir, frommer Chrift, 
Und nod einmal div: Wehe, nun weißt du, wer es ift! 


Wie's dumpf, dumpf, dumpf, dumpf dröhnend durch das Orcheſter 
rauſcht, 
Wenn Samiel verhöhnend den Gimpel Max belauſcht, 
So pochte dumpf an die Wände der Bruſt mein Herz, von Furcht 
gepackt, 
Und ſchlug die Rippen behende, als wären es Saiten im Sechzehnteltakt. 


Doch — mit Wölfen muß man heulen! ſpricht ein gutes altes Wort, 
Drum bitt' ihn zu verweilen und weiſ' ihn ja nicht fort! 
Hübſch ſonder Scheu und Zweifel! Es lächelt dir ja ſein Blick! 
Sonſt dreht dir, beim Teufel! der Teufel den Hals noch um im 
Augenblick! 


9* 


132 W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von F. Freiligrath. 


Ich wollt’ ihn höflich grüßen; doc eh’ ich’S noch gethan, 
Sprang fchon mit flinken Füßen der feurige Kumpan 
Herab und ſagte: Bange nicht, Burſch! ich komm’ herein! 
Und band an die Ninnenftange das. Roß bei der Nüftern Fackelſchein. 


Und drauf behende hüpfte Durchs Fenfter ev ins Zimmer, 
Ward immer Kleiner, jehlüpfte in den Ofen, von dem Schimmer 
Der Flammen umglüht, umfächelt, jperrt auf des Ofens Thür, 
Und ſpricht: Mich friert! und lächelt, und grinjet aus dem Ofen herfür, 


Ich fee mich mit Bangen an meinen alten Pla. 
Was das gibt, joll mich verlangen. — Er ſpricht: Merk auf, mein 
Schatz! 
Und legt dann, ohne zu kratzen, — ein Gleiches ſah ich nie! — 
Seine lang bekrallten Tatzen auf meine zitternden Knie. 


„Ich möchte gern dir dienen! du reiſ'teſt gar zu gerne! 
Drum bin ich dir erſchienen; es friert! hell blitzen die Sterne! 
Beſteige mein Roß zur Stunde, wofern es dir gefällt; 

Das trägt dich in einer Sekunde rund um die ganze Welt.“ 


Das wäre gar nicht übel! ſprach lächelnd ich dagegen. 
Doch ſteht nicht in der Bibel, du brächteſt keinen Segen? 
Und warnte mich meine Mutter nicht vor dem Satanas? 
Und warf nicht Doctor Luther nach dir das Dintenfaß? 


Vielleicht für den Gefallen, dein Rößlein zu beſchreiten, 
Müßt' ich in deinen Krallen einſt zappeln ewige Zeiten! 
Du drückteſt mir zu die Kehle, zerbrächſt mir das Genick! 
Zur Hölle führ' die Seele — Ade dann, Himmelsglück! 


Nein, nein! — „Nun, welch Gewinſel!“ rief er und lachte laut. 
„Traun, ſolchen zagen Pinſel hab' ich noch nie geſchaut! 
Nein! wenn du auch die Erden auf meinem Gaul umritten, 
Magſt du doch ſelig werden in der lieben Englein Mitten! 


Magſt Abrahams Bart berupfen, magſt fromme Hymnen ſingen! 
Magſt den Engel Gabriel zupfen an ſeinen güldnen Schwingen! 
Und reicht dir auch jetzt Mephiſto in Gnaden die krallige Hand, 

So bleibſt du doch in Chriſto ein Himmelsaſpirant!“ 


Das Geſpräch zwiſchen Dichter und Teufel wird auf S. 94 des 
folgenden Heftes alſo fortgeſetzt: 


„Drum magſt du ſonder Bangen auf meinem Gaule ſchwärmen, 
Nichts will ich dafür verlangen, als daß ich hier mich wärmen 

Und braten kann; denn wiſſe, daß ich die Höllengluth 
Hier oben ſehr vermiſſe — ich habe kaltes Blut!“ 

Wohlan, jo will ich's wagen! — „Ha, nun biſt du mein Mann!“ 
Ich lange meinen Kragen und ſchnalle die Sporen an. 
Wie? ſagſt du, in einer Sekunde um die ganze Welt? Nein, lieber 
Wär's mir, eine ganze Stunde zu Roß, und wär's auch drüber. 


Auch wünſcht' ich nicht, zu eilen um die ganze Kugel im Flug 
—— 


W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrucdtes von F. Freiligrath. 133 


Es folgt nun jene glänzende Neihe von Schilderungen, in welchen der 
Teufel dem Dichter den Nitt in den jonnigen Süden empfiehlt, der 
Dichter dagegen das Eismeer und das Graufen des Nordpols vorzieht, 
ein Prachtjtüc von Poeſie, welches ich bereits auf ©. 69 ff. des erſten 
Bandes meines Freiligrath-Buches mitgeteilt habe. Der Dichter fitt 
auf und der Höllenrappe trägt ihn von dannen. 
Was weiter fich begeben und mit mir zugetragen, 
Will ich, bei Puft und Leben, im zweiten Liede jagen! 

Soweit mir befannt, hat Freiligrath diejes zweite Yied nicht ge- 
dichtet. Was hätte ev auch noch den beiden früher erwähnten Schilde- 
tungen Indiens und des Eismeeres hinzufügen jollen? So jehr das 
Gedicht Fiir die glänzende Beherrſchung der Form, die Fülle der Phan— 
tafie des zwanzigjährigen Dichters Zeugnis ablegt, jo leidet es Doch 
an dem Mangel des Weberreichtums, der allzu großen Yänge. So ijt 
es TR auch in die Gedichte nicht aufgenommen worden. 

as zweite Aprilheft desjelben Jahres 1831 bringt Das Mädchen 
von nach Walter Scott, das auch in den Gedichten exjcheint, 
das erjte Maiheft ein nachmals unterdrücktes Gedicht „Maria Stuarts 
Klage“, nach dem Englifchen, das erjte Juniheft zu umjerer großen 
Ueberraſchung eine Verdeutſchung der erſten Ode des dritten Buches 
der horaziſchen Oden in vierzeiligen Reimſtrophen. Das zweite Juni— 
heft enthält dann wieder ein Originalgedicht, „Das Schiff über- 
Ichrieben; es bringt eine Neihe von Gedanken, die in einigen jpäteren 
Gedichten der erjten Sammlung reicher entwickelt werden, jo daß Freilig- 
rath diejes jein erſtes Meergedicht wohl verwerfen fonnte. Es iſt gleich 
einer Anzahl früherer mit 2. 29. unterzeichnet; es lautet: 


Das Schiff. 


Die Segel flattern, blähn ſich auf, 
Der Wind vaufcht in den Seilen; 
Fort fliegt das Schiff im schnellen Lauf — 
O könnt' ich mit div eilen! 

Du eileft hin, dur eileft her 
Bon Stande wohl zu Stramde; 
Ein Bote auf dem grünen Meer, 
Eilft du von Land zu Lande! 

Du fliegit, du ſchwimmſt von Port zu Port, 

mtr bald, bald geborgen, 
Bon Nord gen Süd, von Sid gen Nord, 
Gen Abend und gen Morgen! 


O könnt' ich, Schifflein, mit div gehn 
Nach nie gejchauten Fernen, 


15 
— 


Buchner, Unbekanntes und Ungedrucktes von F. Freiligrath. 


Nach andern Thalen, andern Höhn, 
Beſtrahlt von andern Sternen. 


Wie kühlig würde mir die Fluth 
Den Buſen dann umwallen! 
Tief unten ſäh' ich, roth wie Blut, 
Die zackigen Korallen. 


Und Fiſche, ſeltſam, mancherlei, 
Die nahten Schiffes Kiele; 
Sie kämen allzumal herbei 
Im wimmelnden Gewühle. 


Tief, tief wohl in der Wellen Blau 
Säh' ich mit den Tritonen 
kühlen Muſchelgrottenbau 
Den Erdumgürter wohnen; 


Wie er, verſenkt in ſüße Luſt, 
Des Stürmens müd', und träge, 
An Amphitritens keuſcher Bruſt, 
Der Alte, ſchlummernd läge. 


Am fernen, fernen Mohrenland 
Schwämm' ich wohl auf und nieder! 
Mir wehte zu vom ſand'gen Strand 
Der Wind der Neger Lieder. 


Nachts brüllten mir ein Schlummerlied 
Am Ufer zott'ge Löwen; 
Mich weckte, eh' der Morgen glüht, 
Der Flügelſchlag der Möven. 


Bald hie, bald dort, bald dort, bald hie 
Würd' ich herum dann irren; 
Janeiros bunten Kolibri 
Säh’ ih um Blüthen ſchwirren. 


Tahitis blauer Golf, o Luſt! 
Wär' mir aus Stürmen Retter; 
Der Landhauch trieb' mir um die Bruſt 
Der Kokospalme Blätter. 


Durch Nordens Trübe, Südens Glanz 
— weiter auf dem Meere! 
Der Ganges zeigt' im üpp'gen Tanz 
Mir ſeine Bajadere. 


Mir lachte an der Hoffnung Cap, 
— im dunkeln Laube, 
Von ihren Hügeln ſchön he ab 
Sonftantias volle Traube. 


Mich wiegte immerdar die Flut) — 
Ach, seh’ ſchon fern dich treiben! 
Ade, ade! Du Scifflein gut! 
Muß wohl zu Haufe bleiben ! 


W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von F. Freiligrath. 135 


Das zweite Juliheft 1831 enthält die nachmals verworfene Ver— 
deutjchung eines Gedichtes von Walter Scott Auf das Blutbad von 
Glencoe. Durch zwei Hefte des Auguft und September geht ein 
langatmiges exzählendes Gedicht „Die Zerſtörung von Berjepolis“, 
nicht weniger als 36 ftolzgebaute Stanzen. Das Gedicht zeigt deutlich, 
wie Freiligrath während der Spefter Zeit noch zwijchen jeinem eigenen 
Pfade und der Nachahmung fremder Dichtung jchwanft. So dürfen 
wir an dem Gedicht vorübergehen; die beiden Kingangsjtrophen teilt 
reiligrath mit einiger Selbjtgefälligteit am 27. Juli 1829 einem 
Freunde mit; der Brief ſteht S. 77 meines Buches. 

Im zweiten Oktoberheft finden wir in gelungener Ueberſetzung 
ein längeres Gedicht von James Hogg, Malcolm von Lorn; Freiligrath 
hat wohl wegen des allzu weichlichen Inhaltes das Gedicht nachmals 
nicht in ſeine Sammlung aufgenommen, wohl aber die glänzende Ueber— 
ſetzung von Coleridges Altem —— welcher wir in den beiden 
Novemberheften und dem erſten D ezemberheft begegnen. Das Schluß— 
heft des jahres bringt eine lange Ballade „Schloß Cadyow“ nach 
Walter Scott. 

Sp reich das jahr 1831 an Beiträgen von %. Freiligrath ift, 
jo arm dagegen das Jahr 1532, wohl aus dem Grunde, weil der 
junge Dichter mit Eingang des Jahres in Amſterdam eingetreten war. 
Sp finden wir nur im erjten Maiheft eine jchöne Verdeutſchung von 
Wordsworths veizendem Gedicht „Wir find unſerer jieben“ ; Freiligrath 
hat ſie auffallenderweije nicht in die Sammlung jeiner Gedichte auf- 
genommen. Da der ganze Übrige Jahrgang nichts von F. Freiligrath 
bringt, jo ift wohl anzunehmen, daß ev von da ab jeine Beziehungen 
zu den Unterhaltungsblättern abbrach, die im Uebrigen mit Ende des 
Jahres zu erjcheinen aufhörten. 

Wie jchon erwähnt, habe ich leider verabjäumt, die zu Herford 
im — von A. Helmich erſchienene ſchöngeiſtige Zeitſchrift „Weſt— 
falen und Rheinland“ in gleicher Weiſe eingehend zu prüfen; denn 
auch an dieſer Zeitſchrift beteiligte ſich Freiligrath, wenn auch allem 
Anſcheine nach nur mit Ueberſetzungen, zu ſchließen nach dem mir von 
Steele zugegangenen Jahrgang 1837. Er bringt ein Gedicht nach 
Lamartine, fünf nach Reboul, darunter das wunderſchöne Gedicht „Der 
Engel und das Kind“, eines nach Victor Hugo, eines nach Felicia 
Hemans. ES hat feinen Zweck, für eine Zeit, in welcher Freiligrath 
bereits die ihm eigene dichterifche Nichtung eingejchlagen hatte, einzelnen 
Gedichten nachzugehen; mag es mit diefer Erwähnung genug jein umd 
anderen überlaſſen bleiben, wenn jie es für wünjchenswert halten, 
etwa dieje Zeitfchrift aus den früheren dreißiger jahren nach Original- 
gedichten von Freiligrath zu durchſpüren. 


136 3%. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von 75. Freiligrath. 


Und num von dem jugendlichen zu dem alten Freiligrath, vom 
Dichter des Löwenritts zum Dichter von Hurrah Germania! Wie 
Freiligrath durch jein -Glaubensbefenntmis 1844 mit der bisherigen 
Dichtungsweife brach und fich in die politische Lyrik warf, wie er als 
deren leidenjchaftlicher und jedenfalls begabtejter Vertreter dauernd auf 
die Heimat verzichten mußte, in der Schweiz und mit einer furzen 
Pauſe Jahrzehnte lang in England verweilte und exit, al3 die Zeit 
der politifchen Kämpfe durch die große Entjcheidung von 1866 bejchlojjen 
war, in die Heimat wiederfehrte, um 1870 mit voller Jugendfriſche 
jeine Yieder in den Franzoſenkrieg hinauszufchmettern, das iſt befannt. 
Nicht befannt aber ift, daß der Mann, der ſonſt nicht die Gewohnheit 
hatte, fin Fürften zu ſchwärmen oder Fürſten anzufingen, unter dem 
unmittelbaren Eindruck der erſten Siegesnachrichten im Auguſt 1870 
zu Ehren des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, des Helden 
von Weißenburg und Wörth, dejjen Ausgang im Jahre 1885 in jo 
traurigem Gegenjaß zu jeiner Heldenlaufbahn ſteht, ein Neiterliedchen 
dichtete. So mag denn, nachdem beide, der Kaiſer und der Dichter, 
lange dahingegangen find, diejes bisher von der Familie zurückgehaltene 
Lied in die Oeffentlichkeit treten, ein raſch hingeworfenes Gedicht, aber 
ein neues Zeugnis für F. Freiligraths warmes deutſches Herz; nur die 
freudig erregte konnte dem bis ans Ende republikaniſch 
geſinnten Mann die Feder zum Preis eines Fürſtenſohnes in die Hand 
geben. 

Die Kunde von den ruhmreichen erſten Siegen am 4. und 
6. Auguſt 1870 ſcholl durch das Land; in tiefſter Seele freudig 
bewegt, ſchrieb F. Freiligrath am 8. Auguſt folgendes Gedicht 
nieder: 


Ein Reiterftüdchen für die dritte Armee. 


Trarah! Nun ſchwingt euch in den Sitz! 
Trarah! Nun ſchwenkt die Mützen! 

Es gilt heut nicht dem alten Fritz, 

Es gilt dem jungen Fritzen! 


Trarah! Bei Weißenburg und Wörth, 
Wie ließ er da es blitzen! 

Da machten die Franzoſen Kehrt 
Mit ihren Kugelſpritzen! 


Trarah! Nun wird bald in Paris 
Sein junger Säbel blitzen! 

Marſch, en die Trompete blieg! 
Borwärts ınit unferm Fritzen! 


> 


W. Buchner, Unbekanntes und Ungedrudtes von F. Freiligrath. 137 


mög’ ihm Ted 
Hoch Fritz! Und wird ihm einft die Mütz' 
grauem Haar noch 
Auf grauen Haaren fitzen, 
Dann 
Sp avancirt der junge Friß, 
Trarah! Zum alten Friten! 


Ferd. Freiligrath jchrieb gerade in denjelben Tagen an jeinen 
Schwiegerfohn Wiens in Yondon und legte dem Briefe das Yiedchen 
noch warn aus der Eſſe bei, jogar noch ohne den Wortlaut der legten 
Strophe ganz fejtgejtellt zu haben. Als der Brief fort war, famen 
ihm Bedenken, die durch politiich Gleichgejinnte aus den achtundvierziger 
Jahren beſtärkt wurden; er telegraphierte nach Yondon, man möge bis 
auf weiteres feinen Gebrauch von den Verſen machen; im nächjten 
Briefe, 22. Auguft 1870, jchrieb er dem Schwiegerfohn: 

Lieber Heinz! Habe Dank für Deine willfonmenen Zeilen vom 

16. d. M. Ich freue mich, daß Du meinen Wink im Bezug auf das 

Reiterſtückchen nod rechtzeitig empfingeft. Du wirft inzwijchen, nachdem 

Du das Pied gelefen, jelbjt herausgefunden haben, warum ich dasfelbe 

nicht mit meinem Namen bekannt gemacht jehen mag. Ich nehme (und 

glaube es bewiejen zu haben) an dem gegemvärtigen Kampfe gewiß fo 

yatriotifchen Anteil, tDie nur irgend ein Menſch in ganz Deutſchland: id 

g g ) 
bin aber auch zugleich immer noch der alte 48er und halte feft an den 
revolutionären Traditionen, die mir die poetische Verherrlichung irgend 
welcher hoch- und böchftitehenden Berfönlichkeiten verbieten. 

Ich erfeime die Tapferkeit und die Intelligenz unſerer Führer im 

Streite gewiß an, aber ih muß mich im acht nehmen, das in einer Weife 
auszusprechen, die mißdeutet werden könnte. Das blutende, mutig fich 
opfernde Volk thut ja doch die Hauptjache. Alfo haltet den Wit denn 
die paar Verſe find ja eben nur dem luſtigen Einfall zulieb gejchrieben 
worden) hübjh für Euch in der Familie und verbreitet fie wicht 
weiter. Sch verlajie mid darauf. 

So blieb das „Neiterjtücichen“ fortan im Pulte verjchloffen, und 
das tft jchade. ES ift zu bedauern, daß Freiligrath die friſchen luftigen 
Strophen nicht gleich damals hinausgehen ließ, daß ex der warmen 
begeifterten Aufwallung feines Herzens nicht folgte und fich durch über- 
große DBedenflichfeit bejtimmen ließ, fie zurüczubalten,; getragen von 
einer glücklich erfundenen Weiſe, wäre das Yied mitgezogen bis Paris, 
wäre vielleicht heute noch eine lebendige Erinnerung an jene große Zeit. 


138 G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 


Der Apotheker von Chamouny 
oder 
Der kleine Romanzero. 
Bon Gottfried Keller.) 


Boxrrtense. 

In den gleichen Tagen, in welchen Heine's „Romanzero“ erſchien, lief 
durch die Zeitungen die Geſchichte von dem Apotheker von Chamouny, deſſen 
tragikomiſches Geſchick dem nachfolgenden Scherze zur Einfaſſung dient. Die 
Zeitungsromanze vom Montblanc ſchien für ein Requiem poetifchev Willkür 
einen guten Rahmen abzugeben und jo wurde er demm, wie vorliegendes Büchlein 
zeigt, allmählig ausgefüllt und zwar immer in Zeiten, wo die alten „Schwarn- 
geiſter“ Durch Die Luft flirrten, vor und mach Heine’s Hingang. 


Zürid im Januar 1860. 


Ik 
In dem Thal von Chamouny Unbefangener Anfang der 
Nohte 3. —— eigentlichen Romanze. 
Lebten zwei geſchworne Liebſte 
Kußvertraut und herzergeben; 
Und ſie lebten, wie ſie's freute. 
Laura hieß ſie und er Bertram, 
Beide waren ſchön und feurig; 
Apotheker von Chamouny?) 
War er und zugleich ein Jäger. 
Darum hieß er froh willkommen Planmäßige Einführung 
a: (Kr : urn eines Hauptmotives. 
Die Erfindung jener jchlauen, . 
Weißen, weichen Schießbaummolle, 
Die er reichlich num verfertigt. 


1) Die ältere Faſſung der großartigen Literatur-Farce von Gottfried Keller 
ift in ihren Abweichungen und Zufäten troß aller Uebereinftimmung mit der jeit 
1883 bekannten Form jo charakteriftiih, daß der Literaturhiſtoriker einen Abdrud 
an dieſer Stelle nicht ungern jehen wird. Ueber alles Weitere vgl. meine Keller- 
Biographie 2, 325 ff. 

Züri, März 189. JB: 


2) Keller fcandiert den Namen: _. und — 


5. Keller, Der Apothefer von Chamounh. 


Wenn er nicht die Wache hatte 
Nächtlich in der Apotheke 

Bei dem dürren Krofodille, 
Sägefiih und Straußenet, 


Stand er unter hohen Tannen, 

Wo der Mond den Schnee beglänzte, 
Weiße Wolle in der Büchſe; 

Weiß ftieg aud der Berg zum Himmel, 


That er aber keins von beiden, 
Yag er, wo's noch weißer war: 
An dem troßig wilden Buſen, 

An dem jchlanfen Leibe Lauras. 


Dort vergaß er Schnee und Bären, 
Krofodill und Balfambüchien; 

Denn dies Alles, Glanz und Balfan, 
Fabelei und hohe Jagd, 


Fand er dreimal jchöner wieder 
In dem Bette der Geliebten; 
Die Geheimnifje und Wunder, 
Fährlichkeiten, Abenteuer, 


Leidenschaften, Seligkeiten 
Waren unergründlich neu 

In dem ſtählern feſtverſchränkten 
Federarmen Donna Lauras. 


Wenn die wilde Tiefe ihres 
Weſens er nicht mehr begriff, 
Und berauſcht es ihr geſtanden, 
Schloß vergnügt ſie ihre Augen, 


Legt ihr Kinn auf ſeine Achſel, 
Lächelt neben ſeiner Wange 
Still in ſeine goldnen Locken, 
Daß er es nicht ſehen konnte. 


139 


Einftmals aber lag ſein Kinn Eintritt des Verhängniſſes. 


Sleicherzeit auf ihrer runden 
Marmorjchulter; während Laura 
In die goldnen Locken lächelt, 


Flüftert ev in das Gewirre 
Ihrer ſammetſchwarzen Locken, 
Dicht an ihrem roſ'gen Oehrchen 
Zitternd: O du ſüße Klara! 


Und ſie ſperrte auf die Augen, 
Hörte auf zu lächeln, horchte, 

Ließ die Arme etwas locker, 

Faſt unmerklich, um den Aermſten, 


140 


G. Keller, Der Apotheter von Cham. 


Der ob feinem Wort erichroden, 
Doch zu ſpät, nun mäuschenftill war. 
Still blieb er den Reſt der Nacht, 
Daß Fein Athem war zu hören. 


JUL 
Eine kleine füge Klara Kae, OHIO Der aan 
7 ’ ar . —F x 1 
Wohnte wirklich in dem Thale, ae = 


Doc abfeits, man jah fie jelten, 
Eine ſeltne Bergesblume. 


Ihre Augen glänzten tief, 

Wie das Blau der Genziane, 
Hochroth waren ihre Lippen, 
Gleich dem Kelch der Alpenroſe. 


Aber wenn der ſchöne Bertram 
Auf der Jagd vorüberſtreifte, 
Glühten auch die weißen Wangen 
Und der Hals bis in den Buſen 


Reizend roſenröthlich an, 

Gleich dem milden Schnee der Berge 
Nach dem Untergang der Sonne. 
Und der Jäger ſah die Röte. — 


Aber Laura ſah ſie auch; 

Und ſie ſetzte eine Bläſſe 

Gleich dem Gletſchereis dagegen, 
Welches bleich im Mondſchein ſtarret. 


Grünlich fahl erglänzet dieſes, 
Wenn die Mondnacht auf ihm lagert, Segenfäge. 
Und dazwifchen kracht's und donnert's 
Manchmal in den tiefen Schründen. 
111. 
Eine lange warme Binde Zunehmende Entwidelung 


Stridte Laura nun für Bertram, JEnee Rune 


Nahm dazu die feinſte Wolle Romantiſche Ausführung. 
Bon der Jris ſieben Farben. 
Künftlich ließ zu Schlangenringen 
Sie die Mafchen fich gejtalten; 
Und die Schwarzen Fiſchbeinnadeln 
Tanzten eifrig in den Nächten, 


Wo der Liebite, wie er jagte, 
In's Gebirg auf Anſtand ging. 
Als die Schöne Binde fertig, 
Nahm fie viele Schießbaumwolle, 


a ⏑—D‚D 


G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 141 


Weiß und zart, die nach und nach — ann 
Sie aus Jaͤgers Taſch' entwendet; — — Ks 


Damit ftopft fie dicht die Binde, 
Daß fie noch viel wärmer wurde, 


Eines herbſtlich fühlen Morgens 
ALS fih Bertram von ihr trennte 
Schlang fie diefen warmen Bierrath 
Kojend zweimal um den Hals ihm. 


Und die bunten Zipfel fielen 
Stattlich nieder bis zum Gürtel, 
Daß er ausfah wie ein Brite, 
Der den Montblanc will beſteigen. 


Srente fi des warmen Schmuckes 
Für die Jagd an Wintertagen; 

Die Beſorgnis jener Nacht 

Schwand nun ganz aus ſeinem Herzen. 


Männiglich hat ihn beſtaunt in 

Chamouny, wo er einherging, 

Und am Abend jelben Tages 

Spielte Klara mit der Binde. Scharfe Pointe, 


IV. 
Traurig wadelte der Sägfiſch 


Im Gewölb der Apotheke, 
Traurig war der Apotheker 


Und ev wußte nicht warım. Stimmungen 
Denn daß wegen ihrer Sünden und moraliſche Entdeckung. 


Ihnen unbehaglich wäre, 
Dieſes kommt den ſchnöden Männern 
Leider niemals in den Sinn. 


Zwiſchen zwei geliebten Frauen 
Unſtät wie ein Weberſchiffchen 
Flog ſein Herze hin und wieder, 
Daß es irr und ſchmerzlich wurde. 


Und im Ueberfluß beſchlich ihn 
Das Gefühl der nackten Armuth, 
Als ob er ſich ſelbſt verloren; 
Auch ſah er kein Ende ab. 


Aber Laura ſah das Ende, 
Wußte, daß die Todesſchlange 
Lauernd ihm am Halſe liege 
Und des Funkens ruhig harre. 


142 G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Und fie jelbft glich dieſer Schlange; 
Alle Reize ihrer Schönheit, 

Alle Farbe ihres Witzes 

Ließ erhöht fie wechſelnd ſpielen, 


Wärmte Bertram mit den Gluten 
Der in Haß verkehrten Liebe, 
Wie man einem armen Sünder 
Gern das Henkermahl geſtattet. 


Ja, in ſeiner tiefen Trauer 

Und in feiner Todesweihe 

Liebte fie ihn wie ein Kleinod, 
Wie die Schlange das Kaninchen. 


Leidend ließ er es geichehen; Romantische Stimmungen 
Aber al’ das tolle Treiben, 

Die gejpenftigen Manieren 

Und des Todes krauſe Wolluft 


Trug er aus der Kammer Lauras und weitere Verwicklungen. 
In die ftille Kammer Klaras, 

Klaras mit den unſchuldvollen 

Blauen Genzianenaugen. 


Und im ihre ftille, veine 
Quellenklare Mädchenliche 

Streute er die Peidenfchaft 

Der Verzweiflung und der Sünde. 


Wie wenn man ein junges Täubchen Gleichniſſe und 
Speif’t mit weingetränften Brode, 

Dder eine weiße Nofe 

Taucht in ſchwärzlich rothen Wein, 


Sp verlor fie Halt und Farbe 

Ihrer eignen guten Art; 

Ohne Schuld und deren Ahnung - 
Beigte fie die Art dev Schuld'gen. 


Doc) der zarte Körper folgte pitante Wendung. 
Nicht der oftroyirten Richtung; 
Er ging feine eignen Wege 
Auf den Kirchhof Chamouny's. 
V. 

Auf dem Kirchhof in Chamouny Bedenklicher Dualismus 

- : nie oa RR } auf einem Mädchengrabe ; 
Liegt ein Grab, ein Hleines Wäldchen —— Ausführungund 
Steht darauf von hochgewachſ'nen Bejchreibung desjelben. 
Engverſchränkten Alpenrofein. 


Kleine Däumlingsgemslein weiden 
In dem Innern diefes Wäldchens, 
Kleine Brummebärden reiben 

Sich vergnüglich an den Stämmchen. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 143 


Niedlich Heine Amoretten Heidniſche umd chrifkliche 
Jagen nach den wilden Thieren, wmonen 

Aus Verſehen ſchießen ſie 

Chriſtenelfchen in die Herzchen. 


Chriſtenherzen gleichen freilich Ungehörige Einſchaltung, 
Auch den Bären, die ſich kraͤtzen eben jo trivial, als gemein. 


Wo fies juckt und den erdroffelt, 
Der fie im Gejchäfte ftört. 


Und in einem Baumesfrönlein Fortgang der Erzählung. 
Hat ein Gnom fich angeſiedelt, 

Swifchen purpurrothen Blüthen 

Ein Kapellchen fich gebaut, 


Yäffet dort zu Gottes Ehre 

Jeden Tag ein Glöcklein jchallen, 
Daß es lieblich in dem Wäldchen 
Mit dem Jagdhorn harmoniret; 


Hält das Hochamt, peitjcht den Rücken 
Mit dem langgeflocht'nen Bärtchen, 
Welches er beim Bibellefen 

In das Buch als Zeichen legt, 


Wenn er ımerket, daß ihn jchläfert. 
Alsdann ſchläft ev vor der Bibel, 
Denn er legt ſich mie zu Bette; 
Aber aus dem Baume jchlüpfet 


Nächtlich leife eine Dryas, 

Neſtelt auf jein langes Bärtchen, 
Kämmt und ſalbt und fliht es neu, 
Zierend es mit rothem Bändchen. 


Kraut ihn jachte hinter'm Ohre, 

Daß er gar behaglich träumet, 

Knurrt und ſchnurrt gleich einem Kätschen, 
Bis das Nymphchen lachend weghuſcht. 


Und am Morgen jchreibt er zierlic) 
Auf das feinste Pergamentchen 

Ein Legendchen mit gemalten 
Goldenen Initialen: 


ie die Königin des Himmels 
Ihm allnächtlich jei erjchienen 

Und fein Bärtchen hab’ geflochten 
Und mit frifchem Band gejchmücdet. 


Und er hängt die bunten Blätter 
Auf zum Trocknen an die Zweige 
Rings um feine luft'ge Zelle, 

Daß fie in der Sonne flimmern. 


144 


G. Keller, Der Apotheker von Champumy. 


Und er weiht fein Gotteshäuschen 
Nach dem zarten Wunder fromm 
Unf’ver lieben Frau vom Bärtlein. 
In dem Bäumchen lacht die Dryas, 


Daß das Stämmchen jammt der Krone 
Wild ſich jehüttelt und die Kelche 
Ihren hochgefüllten Thau dem 
Mönchlein auf die Slate gießen. 


Alſo ſpukt die tolle Wirthichaft 

In dem Wäldchen auf dem Grabe ; 
Manchmal vaufchen alle Wipfel 
Bom Gelächter der Dryaden, 


Gemslein ſpringen, Bärlein brummen, 
Jäger jagen, Hörner fchallen, 

Pfeile ſchwirren, Elfen jeufzen 

Und des Vaters Glöcklein bimmelt. 


Doch das Grab ift hohl und leer. Die Fabel eröffnet neue, 
Hoch am Montblanc ragt ein Baden ie fjenmige Zr ALESEENe 
Lautren Eifes in die tiefe, 
Kalte, blaue Himmelsdede. 


In der klar durchſicht'gen Säule, a als DE 
RENTE en in welchen eine eigentüm— 

Die in’s Thal wie Silber glänzet, liche Kaffe von Sündern 

Sitst gebannt umd eingejchloffen, nad) ihrem Tode gereinigt 

Bleich und ftill die todte Klara. wird. 

Dorten büßt fie die Manieren Nämlich diejenigen Menschen, 


* — me welche durch unterjchiedliche Zu— 
Der Verzweiflung umd der Sünde, zätigteiten, bei einem jonft (öb- 


Die fie bei unſchuld'gem Herzen lichen Innern, zu einem ſchlim— 

Einft auf Erden angenommen. men Ausjehen gerieten und ſich 
\ ale Taugenichtje gerirten, 

Denn die Schlimmen, die mit frommen 

Worten einft die Welt betrogen 

Mit Manieren der Gerechten, 

Braten ewig in der Hölle, 


Doch die Guten, die im ſchlimme 
Sitten einſt fich eingehüllet, 

Müſſen fih von dieſen vein’gen, 

Bis fie weiß find, wie der Montblanc. 


Nicht der Wolf im Läammleinspelze 
Iſt allein ein Schlimmer Tartüff, 
Auch das Lamm im Zigerfelle 
Macht fih großer Sünde fehuldig. 


Und der ganze Berg ift mit ee Bar: blos — 
| üß deßolfer einer ſchiefen Richtung ihres 
Solchen Büßenden bevölkert, — hinieden ein böſes 
Die für böſe Teufel galten Teufelthum zur Schau, 
Und im Herzen Lämmchen waren. trugen, während fie innerlich 


mehr gute Teufel waren. 


a —5— 


G. Keller, Dev Apotheker von Chameumy. 145 


An den himmelhohen Wänden, 
Auf den wolfigen Geſimmſen 
Steh’n fie längs im Eis gereihet 
Gleich des Apothefers Büchfen. 


Manch ein pfiff'ger Mackhiavelli, 
Manch geriebner Staatsminifter, 
Der als Schlaufopf fich gerivte 
Und im Grumd ein Efel war, 


Manch ein rother Kopfabichneider, 
Der fein Hühnchen würgen konnte 
Und den Finger dumm emporhielt, 
Wenn er fich darein gejchnitten, 


Mancher Spötter, der mit alten 
Witzen alte Frauen jchredte, 
Doch vor witgen Schickſalspfeilen 
Ernithaft und empfindfam floh: 


Alle jolhe Teufelsbraten 
Werden auf die angeborne 
Unſchuld des harmlojen Herzens 
Hier gemüthlich veduziret. 


Das Kriftallhaus Klaras aber 
Schmilzt ſchon an der Sonnenfeite; 
Bald wird in den blauen Aether 
Ihre Lichtgeftalt entſchweben. 


Doch ihr Eiszapf ſchließt ſich wieder; 


Klaras Purgatorium 
Iſt zum Voraus ſchon beſtellet 
Ach! für einen deutſchen Dichter, 


Deſſen Tod die Welt belauſchet, 

Höll' und Himmel ſtill erwarten; 
Doc der letzt're wird ihn haben 
Und am Montblanc pußen laffen. 


v1. 


Im gebenedeiten Fahre 
Achtzehnhundert ein und fünfzig 
Füllte Deutfhland ein aufdringlich 
Scharfer Duft von Patſchuli, 


ALS die Gräfin Ida Hahn-Hahn 
Mit Geräuſch Fatholifch wurde; 
Was dies heißen will, weiß Jeder, 
Der im Traum pferdlos geritten. 
Hochgeftellte Neformirte 

Kun turnivten mit der Gräfin, 
Und das kräft'ge Lutherthum 
Stritt mit einem Franken Weibe. 


Kupborion IT., Ergänzungsheit. 


Gute Hausväter, aber ge— 
fährliche Staatslenfer, 


Theoretifche Blutrichter, 
aber friedliche Liebhaber 
einer heilen Haut an aller 
streatur, 


und verrufene Spaßvögel, 

die gar feinen Spa ver- 

ftehen und es nicht fo ſchlimm 

meinen, wenigſtens mit ſich 
ſelbſt nicht, 


u. j. mw. 


Hier nähert ſich der Heine 
NRomanzero jtarf feinen Ab— 
fichten. 


Eine ungemefjene Abs 
ſchweifung beginnt, welche 
den polemiſchen Teil dieſer 
romantiſchen Dichtung ent— 

hält. 


10 


146 


G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 


Und im felben Jahre jtieq Eee — — groben 
* £ — no NRomanzero wird bier un 

Eine Wolte Rojenduftes im Folgenden — 

Auf gen Himmel, und dazwiſchen 

Roch's nach jungem Moſt von Chios. 


Denn nach vielen glaubensloſen 
Und verpönten Heidentagen 
Dachte ſich mit höchſtem Glanze 
Heinrich Heine zu bekehren 


Und er baute kunſtreich einen 
Berg aus griech'ſchen Tempeltrümmern, 
Den behing er mit Tapeten, 
Wundervoll geſtickt in Seide, 


Wo auf glänzend grünem Raſen, 
Abgetheilt durch Silberbäche, 

Mit Granat- und Mandelbäumchen 
Auf das Artigſte beſetzt, 


Ein Gewimmel ſich bewegte 
Bunter menſchlicher Figuren 
Von der allerfeinſten Hoſen— 
Träger und Pantoffelarbeit: 


Schwarze Nonnen, hüllenloſe 
Weiße Nymphen, braune Mönche 
Ritter und brokatumſtarrte 
Frauen mit geſchwung'nen Hüften. 


Heil'genſcheine und Agraffen, 
Kreuze, Kämme, Säbelſcheiden 
Und das Licht der blonden Haare 
Waren ächt in Gold gewoben. 


Und in brennendrother Seide 
Glänzten all die ſchönen Lippen; 
Doch das Fleiſch in blaſſer Seide 
Mahnte an Pariſer Trikot. 


Doch die Tropfen hellen Blutes, 
Welche mancher Bruſt entquollen, 
Waren köſtliche Rubinen 

Und die Thränen ächte Perlen. 


Ebenfo der Thau der Blumen; 
Er beftand aus Solitären; 
Feder Jude nähm' die Sachen— 
Unbedenklich in Verſatz. 


Die Tapeten hingen etwas 

Schlottrig auf dem griech'ſchen Schutte, 
Mancher Ritter hingefaltet, 

Wie ein alter Unterrock. 


G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 


Ein Nabbiner zeigte jchredlich 
Wie ein Dromedar zwei Höder; 
Diejes waren zwei verborg'ne 
Mächt'ge Raryatidenbrüfte. 


Einem ſchmalen Schmadtetafjo 
Ragte lächerlich ein Hängbauch, 
Weil er über eines Satyrs 
Dickes Steingefäß gejpannt. 


Alfo war der Berg bejchaffen 
Und der Dichter rief dem Volke; 
Ein brillantes Publikum 
Sammelte fih auf der Fläche: 


Ritterſchaft der Gourmandife, 
Bourgeoiſie des falſchen Witzes 
Mit der Serviett' im Knopfloch 
Und dem Stocher in den Zähnen, 


Aufgeputzte Hungerſchlucker, 
Schnüffelnd in den dünnen Lüften 
Nach dem Flug gebratner Tauben 
Eines Witzes A tout prix; 


Sungfräulihe dumme Jungen 
Flüfternd: Ach, der ſchlimme Heinrich! 
Oder alte Amateurs, 

Die mit Grund den Schein verehren. 


Denn der Pfeil des wahren Witzes 
Sit aus ganzem Holz gefchnitten, 
Und er birgt den feinen Marfftreif 
Innerer Berechtigung, 


Führt nicht tüdifch in den Rücken 
Oder tölpifeh in den Bauch, 

Auch nicht zwedlos in den Stiefel, 
Sondern in das Herz der Sadıe. 


Als die Völker nun verfammelt, 
Da beftieg er, ein Bouquet 
Friſcher Blumen in den Händen, 
Feierlich den hübſchen Berg, 


Lächelt' lieblich von der Höhe, 
Warf den Blumenſtrauß herunter, 
Nahm die ſchöngeſchweifte Lyra; 
Stille ward es plötzlich unten. 


Und er griff mit weißer Hand 
In die ſchöngeſchweifte Lyra, 
Rührte raſch die neuen Saiten, 
Daß ſie blitzten im Ertönen 


147 


Beſchreibung eines gewiſſen 
Publikums, 


welches mit witzigen 
Brocken 


und mit Schnurrpfeifereien 
an der Naſe herumgeführt 
ird. 


Eine beiläufige Be— 
trachtung. 


Weitere Thaten. 


10* 


148 


G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 


Gleih dem ſonnigen Geflimmer 
Eines Quells auf Frühlingsbergen; 
Schön ift’S, wenn die junge Sonne 
Spielet auf den Wafferfaiten. 


Diefe Weife kennt ex wohl, 

Und fie wird ihm nachgeſungen 
Auf den vhein’schen Uferbergen, 
Auf des Meeres fernen Dünen; 


Und der Studio im Grünen 

Singt fie, wenn die Luft ihn vühret. 
Jetzo aber fpielte Heinrich 

Haftig ein Präludium, 


Riß die Finger durch die Saiten, Eine Verkündung Gottes 
Und im gleihen Zug mit Grazie Sach meneNee PIRODe. 
Schwenft die Hand er in die Lüfte, 

Schlug ein Schnippchen, rümpft die Nafe, 


Und, inden der Ton verflungen 
Und die Nafe fich verzogen, 
Rief er aus den Namen Gottes, 
Defretirt das höchſte Weſen. 


Seit der Advofat von Arras 
Das Vergnügen fi gewährte, 
Aus dem fouderänen Witze 
Eine Gottheit zu verfaffen, 


Hatte (freilich ausgenommen 

Mafter Smith, Haupt der Mormonen, 
Der im Weften ganz gemüthlich 

Auch ein bischen fomponirte) 


Niemand jolcherlei Genüſſe 

Sich geftattet. Angenehmes 
Grauen fuhr in die Gebeine 
Der Blafirten, die da unten 


Sehnlih auf den Wit geharret. 
Aufgehoben ward zum Spaſſe 
Wiedermals der elegante 
Kammeratheismus, luſtig 


Gährt's und brodelt’S in den Häuptern, 
Und goutirt ward das Vergnügen 
Mytholog'ſcher Urzuftände, 

Welche Götter einft gebaren. 


Tauſendfach entftanden Götter, 
Die fih in den Haaren lagen, 
Sp viel Köpfe, jo viel Sinne! 
Sp viel Herzen, fo viel Götter! 


5. Keller, Dev Apotheker von Chamouuy. 149 


Fische zeugen keine Vögel, Abermalige Betradhtungen 
Feigen wachſen nicht auf Difteln, 

Närr'ſche Menſchen, närr'ſche Götter! 

Keiner kann aus ſeiner Haut! 


Keiner kann aus ſeiner Haut; von Streit und Geräuſch 
Aber unverſchämt iſt Jeder, 

Jeder tanzt auf ſeinem Seile, 

Seine kurze Spanne Zeit! 


Jeder ſchnappet nach dem Andern, 
Schreit und ruft: Ich tanze gut! 

Schreit und fällt und — hält das Maul 
Nun durch alle Ewigkeit. 


Denn des Schweigens hohe Schule und endlicher Stille, 
Iſt das Grab, und Chrift wie Heide, 

Pfaff und Hanswurft, alte Schreier 

Lernen ſchweigen unter'm Gras. 


Cl: 


Doch im Ernſt zu reden, Heinrich Eine Kranfengefchichte. 
Heine war mit Pein gefchlagen, 

Und er lag in tiefen Schmerzen 

Auf dem vollen Lorbeerfiffen, 


Auf dem drallen Lorbeerfade; Vom Ruhme 
Theuer ift ein ſolches Bett, 

Fährlich ift ein folder Hausrat, 

Sei's zur Hochzeit, ſei's zum Sterben. 


Hochzeit hat er wohl gehalten 

Auf demfelben Lorbeerbette 

Manche Nacht; jedoch es nun 

Ging an's Sterben, mocht' er nicht, 


Und verfiel dem unvermeidlich und anderen, minder au— 
Menſchlichen Gedankengange genehmen Dingen, 
Der Gebrechlichen und Kranken, 

Wie noch Manchem wird gefchehen. 


Wer da jtirbt, der wünscht zu Teben, 
Wer da hungert, wünfchet Brod; 
Aber macht der Wunſch ihn fatt, 
Und ift Keiner noch verhungert ? 


Ein Narr fragt befanntlich mehr, 

Als zehn Weife wiffen können; 

Doch Ein Menfchenherz wünfcht mehr, 
ALS zehn Götter geben künnen. 


Frage die verſchmähte Liebe, 

Ob ihr Wünfchen jei Gejeß ? 

Und mit Thränen wird fie jagen: 
Leider nein! Niemand befolgt es. — 


50 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Ueber ſich hinaus zu ſchnappen ‚der Gefchichte 
Iſt des Menjchen große Gabe, in 


Die ihn von dem Thiere fcheidet, 
Ft die Hälfte der Geſchichte; 


Bon dem Schnapp zurüdzufonmen 
Der Gefhichte andre Hälfte, 

Welche anfängt zu beginnen. 

Doc zurücd zu Heinrich Heine! 


Sind die grünen Bäume weifer Fragen ohne Antwort. 
Oder jene, welche dorren ? 

Pfeift der Vogel, der den Pips hat, 

Schöner, als wenn er gefund tft? 


Heinrich Heine hat den Pips, 
Und der Tod ift ihm verfchrieben; 
Ohne fih nun zu geniren, 
Wendet er fich gleich zu Gott, 


Seine Seele zu verfichern; 
Denn ex hat fich nie gezieret, 
In dergleichen zarten Sachen 
Nie ein Freund vom Refigniven. 


Und ex hebt ſich mitternächtig 
Schwantend von dem Schmerzenslager, 
Hüllt fih in das weiße Laden, 

Zieht ein langes Yorbeerreis 


Aus dem Kiffen feines Ruhmes, 
Schlingt es zierlich ineinander 

Um den ſchöngewölbten Scheitel; 
Auch das Büchlein Romanzero, 


Fromm in ſchwarzen Sammt gebunden 
Und mit feierlihem Goldſchnitt, 
Nimmt er zwifchen beide Hände; 
Und er macht fi auf zu Gott. 


VII. 


Mitternächtig wandelt er Auch eine Himmeljahrt 
In dem Laden, mit dem Buche DM EDFIES 
Auf dem wunderbaren Pfade 

Und jpazieret gravitätifch 


Aus der guten Welt hinaus. 
Wo die letsten Lebensbäume 
Säufelnd an dem Wege jteh'n 


Und die letzten Silberwölfchen Er —— bie wirkliche 


Dur die grünen Kronen weh'n, 
Sitzet dort die Nachtigall 

In dem luſt'gen Laub verborgen, 
Und ſie ſingt mit ſüßem Spotte: 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 151 


Fintin t sh! und die Kreaturen ver— 
ur an tüüh er Hofe jpotten den ungern 
Heinrich Heine will nicht ſterben, Sceidenden, 


In den Himmel will ev gehen, 
Und iſt doch die Welt fo ſchön!“ 


Zornig nimmt er einen Stein was ihn ärgert. 
Wirft ihn nach des Baumes Krone; 

Doch die Nachtigall erhob fich, 

Welteinwärts entflob fie lachend. 


Und ein fleines Stückchen weiter 
In dem legten Waffertümpel, 

Der im letsten Sternchen ſchimmert, 
Sitt ein lautvergnügter Froſch. 


„Kroax kroax, ruft er fröhlich, 
Zweimal ift im Jahr nicht Kicchweih ! 
Befjer ein lebend’ger Hund, 

Wahrlich, als ein todter Löwe! 


„Mehr iſt ein lebend’ger Froſch, 
Als ein todtes Menſchenherz! 
Heinrich Heine will nicht ſterben. 
Kroax kroax! lacht ihn aus!“ 


Heinrich ſtrampelt in den Tümpel, 
Um das Fröſchlein platt zu treten; 
Doch das tauchet gurgelnd unter 
Und ſtößt Blaſen in die Höhe, 


Die noch leis des Armen ſpotten. 
Jetzo iſt er ganz am Rande, 

Wo auf allerletztem Schöllchen 
Nächtlich ſchwarz ein Heimchen zirpet: 


„Zirpe zirpe zirpe zirp! 
Dichterherz und Heimchenleben 
Brechen, wenn ſie ausgezirpet — 
Heinrich Heine, wo hinaus?“ 


Heftig ſpuckt er nach dem Heimchen; 
Doch es ſpringt ihm auf den Kopf, 
Und um dort es zu vertreiben, 
Schlägt er einen Purzelbaum 


Wüthend zweimal oder dreimal Ein Uebergang vom Ends 
In das leere Nichts hinaus; lichen in's Unendliche, 
Als er wieder aufrecht ſtand, 

Glänzt vor ihm die Himmelspforte. 


IX. 
Ragend in der dunklen Nacht tige — 
— es Wing " = 
Stand das ungeheure Thor, * — 
Seine eh'rnen Flügel glänzten 
Wie von fernem Morgenroth. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Hart und kalt erglänzten fie, 
Wie benegt von Silberthau; 
Diefes war der Niederichlag 
Bon den umngezählten Seelen, 


Die hinein zu dringen ftrebten Bon wahrhaft Glücklichen. 


Und am falten Erz zerfloffen, 
Seelen, die in ihrem Leben — 
Weder Meifter noch Gefellen — 


Nichts gekonnt und nichts erjonnen 
Und hier in kryſtall'nen Tropfen, 
Schuldlos, wie ein Frühlingsregen, 
Und bewußtlos niederfloffen. 


Doch als unſer Wandrer Fed 
Mit dem Büchlein Romanzero 
Dreimal an die Thüre jchlug, 
That fie lautlos weit fih auf. 


Er betrat die Dämmerhalle 
Schweigender Unfterblichkeit, 
Wo die Schuld des Selbſtbewußtſeins 
Bitterfüß den Geift bejeligt. 


Denn, was Einer einft gefchaffen, 
Schwindet hier in Nichts zufammen 
Gegen das, was er num einfieht 
Und was dort er umterlaffen. 


Schweigjam und beinahe mürriſch Es geht guv nicht jo 
Geh'n die Meifter auf und nieder, us) Br 
Dentend an die vielen Böcke, 

Die fie ſchmählich einft geſchoſſen. 


Und ihr wdiish Thun und Wirken 
Liegt jo duftig leicht beifammen 
ie ein Bündel trockner Blumen, 
Ren’ und Sehnfucht nur erwedend. 


Reu- und ſehnſuchtsvoll verbejjern 
Sie die Werke ihrer Tage; 

Jeder ſpinnet in Gedanken 

Eifrig ſeine Welt nun fertig. 


Aber nichts wird mehr gedruckt 

Und noch weniger „beſprochen“; 

Alles bleibet ſchattenhaft, 

Und ſie ſelber ſind nur Schatten. 


Keinen einz'gen ſchlechten Vers Betrübliche Thatſache. 
Können in der That ſie ändern, 

Und die dämlichſten Gedanken 

Bleiben leider nun unſterblich. 


G. Keller, Dex Apotheker von Chamouny. 153 


X, 
Umabjehbar war der Raum ee Seioprenbung eine2 
Und mit feinem Duft erfüllet, ziemuich ame a 


Der fi) dämmernd weit ergoß 
Und die Schatten leicht umhüllte. 


Dünn gefät fpazierten fie 
Weithin durch dies ew'ge Leben, 
Und den Dunft erhellte Feder 
Farbig um fich in die Runde, 


Spiegelnd drin fein einſam Denken, 
Malend drauf fein Welterinnern, 
Wie in ird'ſchen Nebelnächten 

Da umd dort Paternenträger 


Durch die ftillen Gaffen gehen, 
Singen die berühmten Herren 
An einander hier vorüber, 

„Jeder fill im eig'nen Scheine. 


Doch als Heinrih nun erfchien, 
Rochen fie fein vothes Blut 

Und den Flachs von feiner Leinwand 
Umd den Lorbeer feines Hauptes. 


Ja die trock'nen Lorbeerblätter, 
Die auf Erden einft gewachfen, 
Auf bethaut' Iebend’gen Fluren, 
In befonnten grünen Hainen, 


Ach, jie dufteten allmächtig 

Und gewaltig duch die Räume, 
Daß ein lüſtern' und ein ſehnlich' 
Späh’n und Wittern vings begann. 


Gleich am Eingang wacht’ ein Schatten Beine begegnet einen alten 
Jählings auf aus ftillem Brüten; Selannten, 

Und es war der edle Platen, 

Plöslih Hub er an zu fingen: 


„Lorbeer wächſt auf meinem Grabe, bei dem er nicht viel aus— 
Und das Grab liegt an dem Meere, Sıceh: 

Das da blaut jo tief und himmliſch 

Und wie Gottes Seele leuchtet! 


„Ehr= und Freiheitsliebe trank ich 
Aus demfelben Klaren Brunnen; 

Denn mein Herz vertrug nicht Beides: 
Dichter und ein Hund zu fein! 


„Manch ein schön und jilberklingend 
vied gelang mir im Gefang: 

Und mein Schatten wallt mm glänzend 
Jenes deutſche Volk entlang!“ 


154 G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 


Zornig ſtutzte unſer Heinzchen 

Und erſah den ſtolzen Schatten. 
Und er rief mit hellem Aerger: 
„Alſo rühmſt du dich noch immer?“ 


Doch mit duft'gen Geiſterhänden 
Winkte Jener ihm zur Ruhe, 

Und faſt traurig ſang er weiter: 
„Schmäher! wohl erkenn ich dich! 


„Aber laß, o Thor! dir ſagen: 
Nichts auf Erden, noch im Himmel 
Wird durch Worte je erzwungen; 
Was er iſt, das gilt ein Jeder, 


„Gilt ein Jeder doch am Ende 
Und kein Jota mehr noch minder! 
Keine Witze und kein Selbſtlob 
Können einen Mann vermindern, 


„Oder einen Werth erhöhen! 

Und kein Eifern hilft, kein Schmähen, 
Auch kein Rühmen und kein Lügen: 
Was er iſt, das gilt ein Jeder! 


„Hier in dieſer kühlen Luft 
Wird kein Narrenwerk getrieben; 
‘Feder weiß, woran er iſt, 

Und die Willfür hat ein Ende!“ 


Diefe Himmlifche Moral, 

Ah! fo einfach und begreiflich, 
Nicht verftand fie Heinrich Heine, 
Denn noch war er ja nicht todt! 


Schnöd erwiedert’ er dem Schatten: 
„Dies verlangt’ ich nicht zu hören! 
Sag’ mir lieber, wo iſt Er, 

Unfer aller Herr und Meifter, 


„Der die Welt ſammt allen Meiftern 
Hat erfunden und gejchaffen ? 

Ich bin unwohl und ich möchte 
Drum zum rechten Doktor gehen!“ 


Doch mit leichten Geifterhänden 
Winkte Jener ihm von binnen, 
Schüttelte das Haupt uud jehwieg, 
Sih in lichte Nebel hüllend. 


XI. 
Murrend ging Herr Heinrich weiter, Er fieht veridiedene große 
Viele kurze Menjchenfchritte; ner 


Er paffirte manche farbig 
Hingehauchte Nebelmelt, 


G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 


Die ein mehr und minder großer 
Todter emfig um fich ſpann. 

Da gewahrt’ er eine ftarfe 
Lieblich heit're Säule Lichtes, 


Die in allen Farben ftrahlte 
Und von taufend Bildern lebte, 
Felsgebirg und gold'ne Auen, 
Feſtes Yand und weite Meere, 


Land und Leute, Meer und Schiffe, 
Grüne Bäume, fede Männer, 

Liebe Frau'n und weiße Wolken 
Und die zahllos ſchlanken Thiere: 


Ei! das zog und flog jo fleißig, 
Raſch und fleißig unabläffig, 
Klug und innig, jacht und leife, 
Ruhig ftrahlend in einander, 


Daß ein blindgebornes Auge 

Daran wäre jehend worden. 

Doc wer jchafft und webt das Alles? 
Zwei weitoff’ne Sonnenaugen 


Webten, webten unermüdlich, 

Wie zwei gold'ne Schweſterſpinnen. 
In der Mitt' all dieſes Mährchens 
Glühte dieſer Doppelſtern. 


Und es webt ſich und es dreht ſich — 
Plötzlich aber ſteht es ſtill. 

Und der ganze Spuk verſchwindet, 
Bis auf diefe Zauberaugen, 


Angehörig einem jchönen, 

Alt und hohen jhlichten Mann; 
Ohne Reu umd heiter jteht er, 

Und er fagt: „Hier wehet Erdduft!“ 


Heine grüßet: „Diefer kommt bon 
Mir, o großer Herr und Goethe! 
Doch entſchuld'ge, daß zugleich ich 
Auch nach Medizinen dufte!“ 


155 


Jener drauf: „Sie viechen lieblich! Der große Goethe wird 


Und ich jeh’ die vielgeliebten 


durch) Heines Arzneigeruch 
nur an die blühenden Ge— 


Pflanzen all' der Höh'n und Tiefen wächfe der Erde erinnert, 


Mit den duftig feinen Delen, 


„Dit den heilſam edlen Salzen; 
Duft’ges Harz in laut’ven Tropfen 
Seh’ ih in der Sonne blinken. 
Sehet jenen weißen Tropfen! 


156 G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


„ie Kryſtall hängt er am Baume,“ 
Gelbes Licht durchblitzt ihn Fröhlich 
Und es wird azurnes Blau. — 
Froh und lehrreih war die Erde!“ 


Er verſank in tiefes Summen; 

Und damı jprach er, leicht erſeufzend: 
„Eines nur bereu' ich dennoch, 

Aber wahrlih nur das Eine! 


„Die Geſchichte mit den Weibern 
Ließ ich mir zu Herzen gehen, 

Und von Anfang bis zum Ende 
War mein Blut zu ernft und ehrlich ! 


„Wo ein Herz ift, wie das meine, 
Da verfammeln fich die Naben, 
Naben mit den jchönen Augen 

Und den anſpruchsvollen Schnäbeln. 


„Und ich) ward um mich betrogen 
Bon den Kleinen, von den Großen, 
Und am Ende war ich König 
Aber ohne Königin!“ 


XI. 


„Allzu gut ift gar nicht gut, 
Golden ift die Mittelſtraße!“ 
Nief ein andrer hehrer Schatten, 
Der fih unverſehens nabte. 


„Feurig wußt' ich auch zu fingen, 
Aber ohne mich zu brennen. 

Spärlic) war mein Liebeskummer, 
Niemals raubt' er mir den Schlaf. 


„Danklos Schmachten liebt' ich nicht; 
Aber als ein munt'res Schwäblein 
Ging ih handlich an das Freien. 
Spaß ließ ich mir nicht gefallen. 


„Alſo baut’ ich meinen Herd, 

Saß daran und jehürt” und jchaffte, 
Und zunächſt am hellen Feuer 

Saß mir gar ein holdes Weib. 


„Sp verlor ich feine Zeit, 

Und das Herz war mir beruhigt; 
Nöthig war mir diefe Weife, 
Denn mein Leben war zu Fury. 


„Wohl die Hälfte meiner Bahn 
Iſt mit Sternenlicht gezeichnet; 
Doch das End’, das mir entrifjen, 
Bleibt ein diamant'nes Räthſel. 


verfällt auf feine alten 
phyſikaliſchen Schnurren, 


auf die Farbenlehre 


und jchlieglich auf Die 
Weiber. Die Gedanten, 
welche er iiber dieſe Materie 
äußert, werden dem Ver— 

fafjer als unächt umd 
Parador ausgelegt Werden, 


Schiller geſellt ſich Hinzu 
und jagt jeine Meinung. 


ee 


G. Keller, Dev Apotbefer von Chamouny. 157 


„Schön und tfich it das Räthſel. Mämtidh ver Gedante au das 
Und es ſchimmert mir zum Nuhme nad geleiftet Hätte, Das 
Doch zu furz war mir das Leben! Umbetannte glänzt in ge⸗ 


lag’ und tanz’ mit mir, o Bruder!“ heimnißvollem Lichte, 


Und vereint begammen Beide 
Sid in Einem Kreis zu Drehen, 
Und fie webten Em Gemebe 
Wie mit tauſend Weberjchiffchen, 


Daß Geftalten an Gejftalten 
Leuchtend jich porüberjagten 
Und die beiden guten Helden 
Dit in ihre Kreife hüllten. 


Mit im Tanze ging Mtephifto, 
Zranjparent, wie glüh'ndes Eijen, 
Eine weiß erglühte Klinge, 

Eben aus der Eſſ' gezogen! 


Und jo grimmig war der Teufel: — nn — ——— 
Bram! RG * Heinri 3 
Heinrich wäre fait gejtorben. pifantere Gejellen jchon vor ihm 
Er, der felber prahl’rifch glaubte geaeven hat, welche mit mehr Ruhe 


Weidlich ſchlimm und bös zu ſein. auch einen „ſtarken Tabak“ rauchten. 


Solcherlei Gedankenſtärke Dies gefällt ihm nicht, 
Wollt’ ihm nimmermehr behagen — 

„Hier ift nicht zum Wort zu kommen!“ 

Brummt er und begab fich fürbas. 


XIII. 


Als er lange Zeit gegangen, 

Sah er einen einzlen Mann Leſſing erſcheint. 
Ohne Schein und Bilder gehen, 

Feſt und dunkel ſchritt der hin. 


Leſſing hieß der tapfre Waller 

Mit dem kräft'gen Zopf im Nacken; 
Freudlos, doch auch kummerlos, 
Feſt und dunkel ſchritt er hin. 


Und er ſummte dieſe Worte: 

„Was ich werth bin, weiß die Welt. 
Was ſie werth iſt, weiß ich auch. 
Das iſt meiner Weisheit Ende! 


„Vom Bedürfniß müd gehetzt, 
Sehnte ſich mein Sinn nach Gold, 
Ach, an dem wir alle hiengen, 
Einen Hauch von Glück zu kaufen! 


„Daß ich mich nach Golde ſehnte, 
Ruh' und Frieden nur zu kaufen, 
Das verzeih' der Welt ich nimmer, 
Die mich hämiſch dazu zwang. 


158 G. Meller, Der Apotheker von Chamouny. 


„Nicht verzeih' ich’S! aber zornlog, 
Ohne Groll mag ich es jagen. 
Denn Berzeih'n und nicht Verzeihen, 
Keines vühret mehr mein Herz ! 


Mild und ftreitbar, Mann und Kind, 
Sah ih in der Nacht die Sonne; 
Emwig geh’ ich mit der Helle 

Eines frühen Morgeniterns.“ 


„Lieber Mann! Könnt Ihr mich weifen: Seinrich unterbricht 
Iſt der liebe Gott zu finden an 
Hierum oder Ddiefer Enden ?"“ x 
Alfo fragt ihn unfer Heinz. 


Jener drauf erwidert freundlich: 
„Was ein Mann ift, hilft fich felber. 
Suchet, wefjen Ihr bedürfet 

Und was fi will finden laffen ! 


„Doch ih rath' Euch, thut die Kräuter 
Dort dvorerft von Eurem Kopfe! 

Denn Er ift ein großer Herr, 

Der fih nicht läßt imponiren ! 


„Ferner ftellt Euch ftramm und feit 
Und vernichtet Euer Siechthum! 

Denn, wer einem Gott will nahen, 
Muß den Menſchen erſt perwinden. 


„Könnt Ihr's nicht, jo geht und fterbt erſt 
Und das Weit’ve wird ſich finden! — 
Gebt indefjen miv das Buch dort, 

Neugier quälet mich darnach! 


„Iſt's ein geiftlih Buch?" „„Gewiß! 
Leit es nur!““ ſprach Heinrich foppend; 
Denn weil jener Eindlich blidte, 

Slaubte Heinz, es fei ein Kindskopf! 


XIV. 
Heinrich gab den Romanzero, Ein gerechter Stol; 
Für fich felber alfo ſagend: erfüllt ihn, 


„Lies, du Prahlhans! und bewund’re, 
Was wir heutzutage jchaffen! 


„Schaffen auf dem Bett des Todes, welcher nicht zu 
Abgewelkt vor Schmerz die Glieder; nungen I 
Wie die Echo, fait vernichtet, 

Wiederhallte laut von Liedern. 


„Schau’ die luſt'ge Geifterflamme, 

Die aus einem traurig thönern’ 
Lampenſcherben hoch aufleuchtet, 

Und dann nenn’ mich einen Schwädling! — 


G. Keller, Der, Apothefer von Chamouny. 159 


„Suchen muß ic) aber dennoch, 
Wie ich einen Troſt gewinne! 
Unter diefen Selbjtvergnügten, 
Freilich, weilet kaum ein Gott!“ 


Suchend gieng er wieder weiter, 
ALS ein ſeltſam kühles Wehen 
Und ein ſchneidend Windesbraufen 
Ihm das blaſſe Antlitz fegte, 


Und ſein weißer Leintuchmantel 
Flattert', wie ein Blatt im Sturme, 
Aus dem Sturme rief ein Weſen: 
„Folge mir, ſo wirſt du finden!“ 


„„Endlich, endlich!““ ſagte Heinrich, 
„„Scheint ſich etwas zu ereignen! 
Seltſam ſchlottert mir die Seele, 
Und doch bin ich guten Muthes!““ 


Umverdrofjen und begierig 

Schwankt er mit dem Wirbelwinde, 
Hielt ſich mühſam kämpfend aufrecht, 
Ohr und Naſe ward ihm eiſig. 


Eiſig ſeine Naſenſpitze, 

Daß er an der dicken Finſtre 
Faſt ſie abgebrochen hätte, 

Denn es ward erbärmlich dunkel. 


Und der Wind mit rauhen Händen 
Rieb jo gröblich feine Ohren, 

Wie fein ird'ſcher Schultyrann 
Seiner Buben Köpfe walfet. 


Zaumelnd, ſchwindelnd ächzte Heinrich: 


„ch, was find das für Manieren! 
Geht es alfo zu im Himmel, 
Möcht' ich erft die Hölle ſehen!“ 


Doch jetst legte fich das Wetter; 
Es begann ein feines Tönen, 
Und ein lieblich vother Glanz 
Strahlte ruhig durch das Dunkel, 


Diefem Glanze folgt’ ex eifrig, 
Näher Fam er ihm und näher, 
Bis er ſelbſt im rothem Scheine 
Glüht' wie in bengal'ſchem Feuer. 


Und dem Herde dieſes Feuers 
Stand er endlich gegenüber: 

Ein Altar ftand aufgerichtet 

Und darauf von rothem Glaſe — 


Er beginnt der Gegenftand 
einer jonderbaren Behand— 
lung zu werden. 


Ein Licht ſcheint ihm aufs 
zugehen, 


welchem er hoffend folgt. 


Ein höchſtes Myſterium 
ſcheint ſich zu zeigen. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Seltfam freilich und befremdlih — 
Stand ein mächtig großer Teller, 
Auf dem Teller eine Glocke 

Bon demjelben rothen Glafe. 


Und darunter war der Glanz. 

Heinrich jehüttelte den Kopf; 

„Solche Dinge, ſprach er heimlich, 
Braucht’ ich grad’ nicht hier zu juchen!“ 


Doch das Glas erflang melodiich, 
Wie ein fernes Feftgeläute, 

Und darumter glüht es jtärter, 
Wie ein Sonntagsmorgenvoth. 


Aus der Glocke tünte jetzo 

Jene Stimme freundlich wieder: 
„Hebe dieſe Glod’ empor 

Und du wirst das Leben ſchauen!“ 


„„Ländlich, ſittlich! jagte Heinrich, 
Die ſkurrile Form, fte ſoll mich 
Nie und mimmermehr verhindern, 
Einen guten Kern zu ſuchen!““ 


Und er griff die Glod’ am Knopfe 
Ked und fühn mit beiden Händen; 
Was nicht wi und was nicht wantte, 
War jedod die Wunderglocke. 


Wie er zog auch umd fich jtemmte, 

Daß ihm bald die Arme fchmerzten, 

Haftet’ unverrückt die Glode. 

Dennoch plößlic) gab fie nad), 

Und fo plößlih: auf dem Boden _ Allein dev Held dieſer 
Saß Herr Heinrich von dem Rucke, Störung jiebs ic neraurz 
Keine Glode in den Händen, 

Und fein Altar war zu fehen. 


Sondern dicht ihm gegenüber durch einen alten Bekannten. 
Saf der And’re, Yudwig Börne, 

Der ihn jo gehänfelt hatte, 

Und jetst lachte wie ein Dämon. 


XV. 


Doch bald hört’ er auf zu lachen, 
Als ihm Heinrih in's Geſicht pie. 


Und erboft wie wilde Raten, Alte Liebe vojtet nicht. 

Pruſteten die Zwei fih a. 

Schneuzten, daß es weithin zifchte. Leſſing erſcheint abermals 
mit alter Lernbegierde und 

Leſſings Schatten, angelocket, —— 


Kam herbei und ſah dem Streite 
Menſchlich liebenswürdig zu. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 161 


Doch es wollt ihm nicht gefallen, Er ſtellt Vergleichungen an 
Schüttelte den Kopf und jagte: 
„Andre Juden jah mein Auge, 
Als ich meinen Nathan fchrieb! 


„Wo find jene ruhevollen, welche zum Bortheil älterer 
Wohlgeſinnten Morgenländer, ann 

Ein Spinoza, jelbft mein guter, 

Sanfter Mojes Mendelsjohn ?“ 


Alfo ſprach er; doch dann ward er 

Plötzlich zornig ob dem Ziſchen, 

Und er pacdte alle Beide, Und itbt ſich unverjehens in 
Den Lebend’gen und den Todten, OrEUT Lane, 


Beide mit der einen Fauſt, 

Hielt am Kragen in die Luft fie, 
Wie ein Jägersmann zwei Hafen 
Fröhlich den Gefährten zeigt. 


Und er rief: „Ihr Schwerenöther! 
Welche Eöftlih Schönen Gaben 

Habt ihr nicht verzifcht, verichliffen, 
Welch’ ein Pfund habt ihr vergraben! 


„Was wir unf’rer Zeit faum ahnten, 
Solche Federfraft der Schönheit 
Sonnbeglänzter Stahl der Sprache, 
Welch’ ein Wit war Euch gegeben! 


„Doch ihr war’t nicht Schwerterfchmiede, 
Sondern Scheer- und Meſſerſchleifer, 
Nadler; und mit Nadelftichen 

Habt ihr Fein genug hantiert! 


„alt jo Klein, daß jeder Schneider 
Fähig ift, Euch nachzunähen; 

Und es pfeifet manches Bübchen 
Unverdrofjen euer Lied!“ 


Alfo grollt' ex umd er fchüttelt’ 
Abermals die beiden Zappler, 

Die fih unverfühnt befämpften 
Und behend zu beißen fuchten. 


„Wollt ihr ruhig fein? vief jener, 
Wahrlich wär't ihr nicht gefrönte 
Meijter, und mit Necht gefrönet, 
Beide ſchmiſſ' ih in die Tinte! 


„Wißt ihr, was die Tinte ft? 
Seh’t hier!“ und mit wenig Schritten 
Trug er fie zu einem Pförtchen, 
Einer Art von Hinterthüre, 
Euphorion II, Ergänzungsheit. 11 


162 


&. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Die ſich umverjehens zeigte ; 
Stieß fie auf und ftellte beide 
Arme Sünder flugs darunter. 
„Sehet hier die and're Seite 


Unfers wohlbejorgten Himmels!“ 


Und fie ſah'n im fahlen Lichte Die — A — 
TOURER - Br icht 3 D 
Weißlich grau ein todtes Feld, en Sr 


Das ſich hier und da bewegte. 


Denn es war die Schimmeldede 
Ueber einem Tintenmeere ; 

Manchmal hob fie fih und zudte, 
Wie vom Kampf der Abgrumdsthiere. 


Einen langen Eifenhafen 

Nun ergriff der tapfre Leſſing, 
Riß damit ein tüchtig Loch 

In den mweißlich grauen Schimmel, 


. Daß die gallig bittve Fluth 


Schwarzaufquellend fich erzeigte, 
Und auch ftrads zwei, drei Skandäler 
Auf im falben Zwielicht tauchten, 


Abgebrühte Ungeheuer, 
Abenteuerlihe Würme, 

Sp die triefend Schwarzen Häupter 
Grinjend aus den Wellen hoben. 


Und dazwischen ſchwammen traurig 
Abgebiß'ne Bein’ und Arme, 
Abgeſchnitt'ne Menjchenehren 
Und zerfreſſ'ne gute Namen. 


Und der tapfre Leffing rief: 
„Sehet hier die Willfürbeftien ! 
Wie fie ewig Tinte faufen, 

Alle, die nicht Necht thun mochten ! 


„Die's nicht fonnten und nicht wollten, 

Wenn fies fonnten, doch nicht wollten, Eine Strophe voll pindo- 
Wenn ſie's wollten, erſt nicht konnten ! EaBij Der SREIEnunene 
Alle, die nicht Recht thun mochten! 


„Dankt dem Schöpfer, ihr zwei Lümmel! 
Daß er euch Talent verliehen! 

Denn bei eurem fonft’gen Weſen 

Kämt ihr zu den dummen Teufeln, 


„Die hier in der Tinte patjchen!“ 
Heinrich ſchaut' verduzt hinunter, 
Sorglih feinen weißen Mantel 

Bor den Zintenfprigen wahrend; 





G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 163 


Denn fie patjchten und fie plumpten 

Gar zu grauslih in der Schwarzfluth ; 

Manchmal famen ganze Klumpen, Verſchiedene Erſcheinungen. 
Rattenkönige zum Vorſchein; 


Manchmal jagten ganze Schaaren 
Hinter einem einzeln, fetten, 
Rundgeſchwoll'nen Tintenmolch, 
Oder zauſ'ten einen Mag'ren, 


Daß er noch elender wurde. 
Jezuweilen ſchlug der gute 

Leſſing ſeinen Eiſenhaken, 

Wie im Traum vergang'ner Tage, 


Einem Seehund auf dem Kopf. 
Doch ſo bunt und manigfaltig 
Das Gewürm ſich auch bewegte, 
Dennoch fehlte ihm der König, 


Der es mächtig wird beherrſchen. — — 
EN — ebenden Uebelthäter, der 
Fener große Tintendrache, ſich und Andern Tängft das 
Der jeit fünfundzwanzig Jahren Leben zur Hölle macht und 
Nun durch Deutjichland wurmifiret. derhalb dem jchwarzen 


Sumpfe nicht entgehen wird. 
Fünf und zwanzig Jahre fchreibt er, 
Und noch denkt er wie ein unge! 
Immer zankt ex, aber taftlos, 
Ungeſchickt zu Schub und Angriff. 


Sogar wo er Recht hat, jcheint er Schlimmes Geſchick. 
Eitel Unrecht nur zu haben; 

Aber wo er Unrecht hat, 

Iſt er völlig unerträglich. 


Mit den Jungen und den Jüngſten Unruhe, Angft, Zorn und 
Keift und balgt er fich alltäglich); — 

Auf der literar'ſchen Gaſſe 

Läuft und lärmt er unabläſſig. 


Kein Gewicht in ſeinem Herzen, Perſönliche Mangel⸗ 
Keine Weih' auf ſeinem Haupte, haftigteit 
Wird er nie ein Herze treffen, 

Ob er hundert Jahre ziele! 


Von Papier iſt ſeine Welt und dürftige Erziehung. 
Und papieren iſt ſein Witz, 

Nie ſaß er an friſchen Quellen, 

Er, der Mann aus zweiter Hand! 


Am natürlichſten noch paßt ihm Natürliche Anlagen 
Jene näfelnde Malice ; 
Aber wo er brav mill fein, und unglücklicher Verrath. 


Zeigt er ſeine Eſelsohren! 


1) Karl Gutzkow. 


1 


164 G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 


Auf den Kopf wird er och jtehen Krampfhafte Anftrengungen. 
Und mit feiner Füße Zehen 

Bücher an der Dede jchreiben, 

Nur um. obenauf zu bleiben! 


Doch dann ift die Zeit gekommen, Ende 
Wo man ihn zu aller Frommen 

Endlich bei den Beinen packt 

Und bier in die Tinte ftecet! 


Grämlich wird er auf dem Grunde 

Wie die alte Seeſchlang' liegen; 

Aber kömmt ein neuer Tintrid), und ewige Pein! 
Wird er fürchterlih rumoren! — 


An dem Meere ftand Herr Heinrich, 
Und es ward ihm bang zu Muthe; 
Er beihaute jeine Hände, 

Wie die bange Lady Mafbeth. 


Und er rief mit ſchlauem Lächeln: 
„Rein ift meine Hand von Tinte, 

Denn ſchon lang ſchreib' ich mit Bleiftift 
Meine allerfhlimmiten Sachen !* 


Da erhielt er einen Stoß, Tückiſche Rache, 
Rücklings, unverjehns von Börne, 

Daß er küpflings untertauchte 

In die ſchwarze, bittre Nacht. 


Und mit jchredigelähmter Seele Höllenfahrt 
Fuhr er endlos in die Tiefe, 
Die jo unerforſchlich dunkelt', 
Wie der Sat im Tintenfaffe 


Eines ſchlimm objfuren Schmierers! 
Plötzlich aber jah er Licht, 
Hochaufathmend ſchaut' er um fich 
In der ſchönſten Morgenſonne. 


Freundlich ſchien ſie auf ſein Bett und nochmalige Gnaden— 
In der alten Stadt Paris, friſt 

Und er lag auf dieſem Bette 

Wohlgepflegt und ziemlich munter. 


Freundliche Eckermännchen ftanden in en 
Aufmerkſam an ſeinem Lager, Und wo ein Fauſt zum Teufel fährt, 
Schreibbereit mit ihren Griffeln, Fühlt fi das Wagnertum verflärt. 


Die fie ftill im Aermel hielten, 


Jetzt befann er fih und jagte: 

„Liebe Herren und edle Freunde! 

Nur Geduld noch! und dann bitt’ ich: 
Unterjchiebt mir feine Wite! 


G. Keller, Der Apotheker von Chamoumy. 165 


„Denn joeben träumt ich ſeltſam, 
Und ich werd’ im Simmel froh fein, 
Wenn ich nicht noch fremde Späffe 
Einjt auf dem Gewiſſen habe! 


„Ja, mir ſchwanen böfe Dinge: 
Wenn die Säue wieder grafen 
Uud die tollen Tiſche tanzen, 
Wird man mein Gejpenft zitiven. 


„Spuken werd’ ich in Berlin, 
Wo das tollfte Holz wird Elopfen, 
Und Sottifen werd’ ich jagen 
Aus dem Hirne alter Weiber. 


„Schmachgeſellen werden fommen, 
Die fih meine Freunde nennen, 
Und in meine Todtenhände 

Ihre schlechte Feder drücken. 


„Werden jo mich jehreiben laſſen 
Oh! die fchnödeften der Berfe, 
Und mit felben Handel treiben, 
Schnöden Handel und Trafit.“ 


XVI. 


Viele Tage lag der Dichter 
Witzig lächelnd noch am Sterben; 
Veilchen blühten und verwelkten, 
Endlich aber brach ſein Herz. 


Und er ſtarb unwiderruflich. Der Tod, des Einzelnen 
Seine Sterne blieben ſtehen, UN, 
Wie ein Uhrwerk ftille ftehet; 

Dod ihr Glanz wird rofig flimmern, 


Bis all’ unſ're Stern’ erbleichen aber der Tod Aller. 
Und in and’rer Tage Sonnen 

Eine Sage werden fein; 

Denn vergänglich find wir Aermſten! 


Unterdeffen aber zogen 

Schwarze Nöflein feine Leiche 
Durch's Gewühl der großen Babel 
In die ftille Todtenftadt, 


Die fih auf den Höhen lagert, 
Fu dag Meer von Marmorblöcken, 
Bon Cypreſſen, Syfomoren, 
Trauerweiden überwachen, 


Und von Nofen, die das Jahr durch 
Einen Wald von Dornen bilden 
Und nur wenig Sommertage 
Blumen tragen und evröthen. 


{er} 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Welch ein Heervolk liegt hier oben! 
Leicht und bunt, wie Waldesblätter, 
Die der Hauch des rauhen Herbites 
Auf den Boden hat gejchüttet. 


Wohl bedarf's der Marmorlaften, 
Sol ein Heerpolf zu befchweren; 
Denn ein Lufthauch jagte fonft 
AU das FFlattergebein von dannen! 


Angeſchürft wird das Planetchen 
Nun um eines Menjchen Länge 
Und ein Bettchen aufgelodert 
In der duftig weichen Erde. 


‘a, die alte braune Mutter 

Duftet freundlich in die Nafe; Aber wenn fie einft ſatt iſt, 
Und fie frißt die todten Kinder wirb bie Zeit erfüllt jein. 
Selber wieder, wie die Katzen! 


Und der Dichter, kaum verjenket, 
Wird von ihr mit Haft umarmet, 
Und wie Goethe einjt auf weißen 
Naden hat zu Rom jkandivet, 


So jfandirt fie Dichterlich Gelehrte Uebungen der 
Set mit Schollen auf dem Sarge, ur 

Auch ein Schädel poltert hurtig 

Auf dem Dedel zwei Trochäen. 

Aber endlih wird es ftille; 

Und der Hügel ift errichtet, Sie vergeiftigt ihre Kinder 
Und der Gute liegt beruhigt, rn um 


Unfichtbar ift ev geworden, 


Unfichtbar für jegt und immer! 

Und der Fuhrmann fährt von hinnen während das jihtbare Yeben 
Mit dem ſchwarzen Leichenwagen ſich in a ae 
Und den ſchwarz verhüllten Gäulen. i 


Und er reitet auf dem Einen, 
Läßt die Peitſche luftig knallen, 
Fährt im Trab den Berg hinunter, 
Daß die Tücher weit ſich bauſchen. 


Röthlich glühet ſeine Naſe, Die Roſe iſt todt, es Lebe 
Lebensfroh und luftgebadet; ——— 

An der erſten Schenke hält er, 

Einen feur'gen Schluck zu nehmen. 


Freunde fommen und er ſchwinget 
(eo wir A ’ 
Seinen mächt'gen, florbehang’nen 
Trauerdreiſpitz voller Freuden, 

Und er nimmt ein zweites Gläschen, 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Doch die Stunde ift zu günftig; 
Eine Flaſche wird geftochen, 
Auch von Beranger ein Liedchen 
Singen fie geſchwind dazıı. 


Und fie trinken und fie fingen, 
Bis die Sonne niedergehet; 

Ihre braunen Pfeifchen glühen, 
Und die Aeuglein funkeln liſtig. 


Aber oben auf dem Berge 
Nöthet fih das weiße Steinmeer, 
Und die Wipfel rauſchen leife 
Ueber einem neuen Grabe. 


XVII. 


Unabſehbar in der Runde 

Schwimmt Paris im Abendgolde, 

Das den Rauch und Duft durchflimmert, 
Draus die alten Thürme ragen. 


Da und dort erblinft die Seine, 
Eine Magd, die ewig wandert 

Und doch nicht den Herrn entrinnet, 
Die ihr an der Schürze bangen. 


Dort erjtredet Malepartus 
Grau verjchleiert feine Zinnen, 
Wo der große Rattenfänger 
Seine pfiff’ge Pfeife bläf't. 


Seht die Künfte, die er treibt! 

Wie ein Storh auf einem Beine 
Steht er, mit dem Fuß des andern 
Neibt er fich vergnügt die Wade. 


Fetzo dreht er das Geficht 

In's Genid und bläſ't nach hinten, 
Gräulich anzufeh'n; nad) vornen 
Nickt ev mit dem Hinterfopfe ; 


Wirft die Pfeife in die Lüfte 
Fängt fie auf mit jeiner Naſe, 
Bon der Spiße bis zur Wurzel 
Muß fie auf md nieder tanzen. 


Wieder hält er fie im Munde; 
Doch er bläf’t nicht, Todtenftille 
Herrfchet ringsum, feine Augen 
Glüh'n wie Die der Klapperſchlange. 


Läſſig jpielt er mit dem Fingern; 
Doch es tönt nicht, ftechend blickt er, 
Und mit aufgeriff'nem Munde 
Gafft Europia, der Maulaff! 


167 


168 


G. Keller, Dev Apotheter von Chamouny. 


Plötzlich gellt ein Schriller Triller — 
Gleich darauf wird’S wieder ftille, 
Und Europa's Millionen 

lüften: Hört, es hat gepfiffen! 


Wenig ift’S womit er wirfet, 

Faft zum lachen jchlicht und einfach. 
Denn er fennet feine Leute 

Und die Dummheit jchlechten Volkes. 


Und die feiner Pfeife laufchen, 
Die ihm in die Augen ftarren, 
Alle wird der Teufel holen, 
Wird fie holen, und mit Recht! 


Kinder, Kinder find fie alle, 
Aber leider ohne Unschuld! 

Und mit Recht erwürgt er Alle, 
Die nad) feiner Pfeife tanzen. 


Eine Metze ift die Welt. 

Doch ich habe ftets vernommen, 
Daß die Mähre fchlechter jei, 
Als der Reuter, der fie reitet! — 


Aber hinter Malepartus, 
Weiterhin im fernen Süden 
Naget, in dem rothen Dunſte 
Slühend, eine runde Kuppel. 


Pantheon bat fie geheißen Nachdem ſich der Romancier 
C ; = fdas Ei ei 
In den Tagen, die verſchwunden; A hen 
Auf der edlen Rundung ſcheinet erreicht er wieder ungefähre 
Jetzt ein goldnes Kreuz zu funkeln. lichen Boden. 


Wie's auch funkle, nur die hohle 
Hirnſchal' eines todten Rieſen, 
Deren Inhalt iſt vertrodnet, 
Dünfet mich die ferne Kuppel. 


Und vertrocknet hängen drinnen 
Zwei, drei Fafern, die einft lebten; 
Bon Gedanken ſind's Gefpenfter: 
Voltaire, Rouffeau, Mirabeau. 


Und gejpenjterhaft erſcheinet 

Drüben jeßt die rumde Wölbung 
ALS ein grauer bleiher Schemen, 
Da die Sonne ift verjchwunden. 


Und der letzte Dämmerſchein 
Auf dem Gräberberg verglühet. 
In der Heimath ftillen Schatten 
Schöner ift ein trautes Grab. 


G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 169 


XVII. 
Weſtlich ſank die rothe Sonne; Das Gedicht erhebt ſich aber⸗ 
Doc im Often, Ion Ser Rhein geht mals in die Geiſterwelt. 
Und die deutſchen Wälder ſchlafen, 
Steht der Mond am blauen Himmel. 


Leiſe kommt der weiſe Wandler, 
Traurig kommt der traute Träumer 
Aus den Eichen, aus den Linden, 
Tauchend aus dem Sängerſtrome. 


Und er kommt, Gericht zu halten 
Weiſe über ſeinen Todten, 

Und mit ſeinem Silberſchlüſſel 
Schließt er auf die ſtillen Gräber, 


Oeffnet er die Marmormäler, 
Und es ſteigt die todestrunk'ne 
Wohnerſchaft rings aus der Tiefe, 
Nachbar und Frau Nachbarin. 


Nachbarsleut' aus Nord und Süden, 
Aus dem Oſt und aus dem Weſten, 
Unruhvoller Kirmeströdel, 

Der erſtarrt im tollen Tanze. 


Sieh, das Haar der Trauerweide, Pariſer Todtenvolf, 
Bis zur Erde niederhängend, 

Oeffnet ſich, aus feinem Schatten 

Tritt die Tänz'rin von Granada, 


Schlägt zurüd den langen Mantel 
Ihrer ſchwarzen Sammethaare, 
Daß aus ſeinem tiefen Schatten 
Arm und Buſen ſilbern glänzen. 


Und ſie ſchlägt die Caſtagnetten 
Mit vier weißen Todtenbeinchen, 
Feine Knöchel eines Kindes, 

Welche hell und lieblich klingen. 


Und vom Schatten der Cypreſſe, 
Schlank und dunkel, wie ſie ſelber, 
Löſet ſich des Tibro Tochter, 

Die den Saltarello tanzet. 


Kaum geſellt ſie ſich zu Jener 

Mit geſchwung'nem Tamburine, 
Deſſen Reif der Mond durchleuchtet, 
So erbrauſt die Sykomore; 


Denn aus ihren Wurzeln windet 
Heftig ſich die Bajadere, 

Und ſie ſchwingt ſich auf die Sohlen, 
Die am Ganges einſt geflogen. 


170 G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Mit den feinen Saffranarmen 
Schlägt fie Elivrend wild die Eymbeln, 
Wie wenn große Nachtigallen 
Wüthend ihre Schnäbel weten. 


Bald liegt ihr Gewand am Boden, 
Doch fein Aug’ fieht ihre Reize; 
Denn nur Einen bleichen Lichtftreif 
Zeigt der Wirbel ihres Tanzes. 


Bon dem wilden Schall der Beden 
Zittert eine hohe Tanne, 

Deren Aefte, Schwarz und düſter, 
Einen Nafen tief bejchatten. 


Aus dem Raſen fteigt die Böhmin, 
Steigt die böhm'ſche Muſikantin 
Mit den böhm'ſchen Diamanten: 
Um den Hals md an den Armen. 


An den weißen Handgelenfen 

Funkelt es mit fieben Farben, 
Wenn fie auf der Geige fpielet, 
Die fie an die Schulter drüdt; 


An die Schulter rund und blemdend, 
Wie fie quillt aus grünem Sammet; 
Und im Schatten ftarker Brauen 
Glüh'n die Augen füß und dunkel. 


Alfo zieht fie mit dem Bogen 
Klagend, fingend lange Töne, 
Welche zitternd, immer ftärker, 
Endlich einen Walzer fingen. 


Manch gedieg’'nes Mutterfühnchen 
Hat fie mit dem Fiedelbogen, 

Mit dem Glühn der dunklen Augen 
Wortlos und bebend verführt. 


Jetzo rauſcht es in der Fichte, 
Und es knacken ihre Aeſte, 

Aus der wilden Krone ſpringet 
Hohen Sprungs die Amazone, 


Springt die ſchöne Neiterpolin, 
Die getanzt auf der Schabrafe 
Manchesmal, daß die Barifer 
Außer fih vor Freuden klatſchten. 


Tadellos am ganzen Yeibe, 

War fein Teil, den fie nicht tollfühn 
In der Luft zur zeigen mußte, 

Hod ob dem gejagten Pferde. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Ueber'n Handſchuh, Durch das Keifchen 
Vor- und rüdwärts, eine Schlange, 
Und das Unterfte zu oberft, 

Stob und flog fie um fich felber. 


Alles dies genügt’ ihr nicht; 
Einen Großen zu gewinnen, 
Der im Cirfus mächtig prunkte, 
Wagte fie das Unerhörte, 


Fort jest mit der alter Leier! 

Fort jet mit dem Nacheinander! 
Rief fie; jet Das Nebeneinander 
Gilt's mit Einem Blitz zu zeigen! 


Und ſchon ſchwebt fie in den Lüften, 
Unbejchreiblih in der Yage — 

Dod den Gaul erreicht fie nimmer, 
Und im Sand brad) fie den Hals. 


Aber lachend jpringt die Poli 
Nun auf Heinrihs neuen Hügel 
Und fie tanzt darauf, als wär’ es 
Eines Renners ſchmaler Rüden. 


Aber jieh! ein Grabmal öffnet 
Glänzend feine gold'ne Thüre, 
Und in ſtarrer Schwarzer Seide 
Rauſcht hervor die falſche Gräfin. 


Rauſcht die veizende Lorette, 
In Yutetia geboren, 

Welche ihre lange Grabſchrift 
Leider jelber nicht kann lefen. 


Eine Million gewonnen 

Hat fie in den Blüthetagen 
Jenes Kaijerreihs des Friedens, 
Spielend im Champagnerraufce. 


Da entgieng ein Mann ihr nicht, 
Stattlih mit Manfchett” und Degen; 
Und nah Kirchen und Spitälern 
Fuhr fie fürhin mit zwei Füchſen. 


Doch die allzu jtrenge Tugend 
Knickte vor der Zeit ihr Leben; 
Der Gemahl ließ fie beftatten, 
Wie es einer Gräfin ziemte. 


Aber jet erwachen wieder 

Ihre vielgeliebten Nücken 

Von dem Ball der großen Oper, 
Aus den Sommergartennächten. 


171 


172 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Und fie ſchüttelt ihre Locken, 
Ihre braunen Seiwenloden, . 
Und fie wiegt die ſchönen Schultern, 


Und fie jchürzt das Kleid zum Tanze. 


Und fie ſchwingt die runden Hüften, 
Und ſie wirft den fen chauſſirten 
Fuß empor zum Sternenhimmel 
Dreimal wohl in der Sekunde, 


Daß der feufhe Mond mit Grauen 
Blitzen fieht den anmuthreichen 
Arg entweihten weißen Schooß 
Die mißbrauchten edlen Glieder. — 


Jetzo rauſchen alle Bäume 

In dem mitternächt’gen Winde, 
Welcher kalt die Luft durchwehet, 
Daß die Gräber in fih fehaudern. 


Und die todten Nymphen alle 
Geben fich die weißen Hände, 
Die nur Zucderbrod gebrochen 
Und darum jo weiß geblieben. 


Und fie mischen ihre Tänze 

AU zu einem Todtentanze 

Um das Grab des todten Sängers; 
Und fie hören auf zu lachen. 


Wunderlich geftaltet fich 

Nun der Tanz, und die Gefichter, 
Sie verziehen fih unfäglich, 

Und ſie fingen ftöhnend, Hagend: 


„Moder find wir, Staub und Moder! 
Klagt ihr Armen! Klaget Schweitern ! 


In den zierbegabten Brüften 
Hat uns nie ein Herz geſchlagen! 


Moder find wir! Staub und Moder! 


Hätten wir ein Herz befeffen, 
O, wie hätten wir's gezeiget, 
Stolz gepfleget wie ein Kindlein! 


Moder find wir, Staub und Ajche ! 
Herzlos, ungelehrt und kindiſch 
Lebten wir ein fündig Leben, 

Wie wir's befjer nicht verftanden. 


Moder find wir, Staub und Afche! 
Doch wir fehienen, was wir waren; 
Ohne Herz und ohne Wiffen, 
Gaben wir uns, wie wir waren, 


Nachdem die Nationen nun 

verſammelt, konſtituiren fie 

ſich unter dem Vorſitz der 

keuſchen Yıma zum Gerichts— 
hofe. 


Klaglied der Herzloſen. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 173 


Und der Ejel hier, der Dichter, Anklage. 
Der ein wohlgebildet Herz, 

Das getaucht in edle Rheinfluth, 

In der reihen Bruft getragen, 


Kindiſch hielt er es verborgen, 
Mühte fih mit Staubgeberden 
Uns zu gleichen umd den reichen 
Schatz beharrlich zu verläugnen! 


Moder find wir, Staub und Ajche! 
Aber unverfälfchter Moder! 
Schweftern! Duldet feinen Heuchler, 
Der ein Herz in's Grab geihmuggelt! 


Er, der fi mit Prahlen rühmte, 
Tigerfrallen zu befiten, 

(Mäufe fing er mit dem Krallen 
Zierlich freilich, wie ein Kätschen) 


Diejer große Herzperläugner 
Sei von uns heraufbefjhworen, 
Daß er büße fein Bergehen, 
Eh’ er fih des Schlafs erfreut! 


Wache auf und fteig’ herauf 

An das kluge Licht des Mondes! 
Mancher narrt die gold’'ne Sonne; 
Doc der Mond, er fieht die Herzen. 


Manches glaubt die gold’ne Sonne, 
Denn fie funfelt jelbjtzufrieden ; 
Das beſcheid'ne Mondespiertel 
Zwinkert ftill duch Menſchenrippen. 


XIX. 
Leiſe vegen fich die Schollen Der Angetlagte erſcheint und 
5 —— fällt der reinigenden Buße 
Und entlaſſen Heinrichs Schatten, \ — ve 


Leicht und luftig ſchon die Füße, 
Doch noch erdenſchwer Die Augen. 


Wie ein Kind, aus erjtem Schlafe 
Aufgeſchreckt, die Augen reibet, 
Unwirſch klagt und nicht erkennt, 
Meder fih, no wo es ift, 


Drüdt er die gerumg’nen Hände 
An die ſchwer umflorten Augen, 
Und er feufzet tief und fcehüttelt 
Schlafestrunfen, matt das Haupt. 


Doch wie eine Windsbraut wirbelt 
Sich empor mit ihm der Reigen, 
In die Luft wie eine Lerche 
Fählings ſchießt die blaffe Schaar. 


174 G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Und nah Süden geht der Flug; 
Ueber monderhellten Wolfen 

Und vorbei den gold’nen Sternen 
Schwebt.der nene Frauenlob. 


Sechs enthüllte Schultern tragen, Die Nationen entführen 
Zwölf verfchränfte Arme wiegen a 
Ihn durch die azurnen Höhen, 

Und ſchon lacht der Dichter wieder. 


Dod er fieht nichts von den Sternen; 
Denn die weh'nden Rabenhaare 
Seiner Trägerinnen hüllen 

Ihn in duftig dunkle Nacht. 


Unter ihm evglänzen filbern 

Zwölf beflügelt leichte Füße, 

Sleih den Schwingen weißer Tauben 
Schimmern weithin ihre Sohlen. 


Alles flattert, weht und leuchtet, 
Haar, Gewänder, Kırie' und Füße; 
S' ift ein aufgeflog'nes Grabmal, 
Doch bedenklich ift der Styl. 


Könnt’ er ewig alfo ſchweben, 
Fahren durch den weichen Aether, 
Ah, dem Schelmen wohl gefiel es, 
Und er würde fich nicht rühren ! 


Doch ein minder gutes Ziel 

Iſt ihm ja ſchon längft bejchieden ; 
Nah Südoften unaufhaltiam 

Durch die Lüfte fährt die Sippfchaft. 


In der Tiefe dunkelt Frankreich, 
Rechts hin blinfet die Loire; 

Und jchon bellen auch die Füchje 
In den Wäldern der Cöte d’or. 


Auf den Weiden der Saone 

Schlafen träumend Thier' und Hirten; 
Doch dort raufhen Schon die Tannen 
Schwarz am Furaberg empor. 


Schau dort vor dem hellen Spiegel Helvetiſches Idyllion. 
Ihres Sees die edle Genf! 

Wahrlich ein Griſettenhäubchen 

Trägt ſie traurig auf dem Ohr, 


Während ihre alte Krone, 
Ihre gold'ne Mauerkrone 
Auf dem grünen Tiſch verſchleudert, 
Dort ein Schächer und ein Thor.!) 





!) James Fazy. 


G. Keller, Dev Apotheker von Chamouny. 175 


Weiter! laut erbrauf’t die Arve, 


Schäumend durch Geftein und Klüfte; 


Wände ragen über Wolfen, 
Dumpf verhallt Lauinenchor. 


set aus ihren Niefenfchleiern 
Endlich glänzt die nadte Wüfte, 
Und mit allen jeinen Schreden 
Tritt der weiße Berg hervor. 


Slattert dort vom Sturm entführet, 
Eine Hand voll Schmetterlinge 

An dem ew'gen Eis der Firne, 
Auf dem taufendjähr'gen Schnee ? 


Nein! es find die Todtenmädchen 
Bon Paris mit ihrem Dichter, 
Dem fie einen Kerker furchen, 
Daß er büßend im fich gehe. 


Wie es vorgefagt in dieſer 
Dichtung, welche rühmlich endlich 
In die Gegend wieder einlenkt, 
Wo fie prahlend ausgegangen! 


Denn das Beft’ ift nicht das Waffer, 


Wie einft Pindar hat behauptet. 
Daß ein Ende naht den Dingen 
Und ein Ende den Trodhäen, 
Diejes dünket mich das Befte! 


XX. 
Von Granit ſchwarz und verwittert, 
Zieht ſich weit ein Felsgeſimſe; 
Wunderliche Eisgebilde 
Stehen längs darauf gereiht. 


Auf dem ſchmalen Gletſcherſteige 
Wandeln jetzt die Tänzerinnen, 
Und ſie tragen unverdroſſen 

Ihre leichte Schattenbürde. 

Aus dem Berge tritt ein Männchen 
Ihnen weiß und ſtarr entgegen; 
Von der Scheitel bis zur Zehe 


Klirrt von Eis ihm Haar und Bart. 


Und ein Büſchel ſeines Bartes 
Hält er hoch wie eine Ruthe 
Von bereiftem Birkenreiſig; 
Glashell glänzen feine Augen. 


Freundlich ſchwingt er feine Nuthe, 
Und er ruft mit guter Laune: 


„Kommt ihr, meine Schaar zu mehren, 


Meine Heerde, die ich hüte? 


Nomantifche Selbitironie, 
welche in diejem Gedichte 
nicht fehlen darf. 


Eishölle und Aufenthalt der 
verjtellten Grimmigen, 


von einem gemüthlichen 
Zwerg bewacht, 


der fie mit einigen gee 
frovenen Barthaaren regiert. 


176 G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


„Meine Schäflein, meine Lämmlein, 
Meme Bosheitsdilettanten, 

Die ich hier im Fühlen Eife 

Für den Himmel temperire ? 


„Seht! fie ſitzen mwohlgeordnet 

Dir im DBlod, in Zad’ und Nadel, 
Und das böfe Höllenmüthchen 
Kühlt fih langjam, aber ficher!“ 


Alle Mädchen rufen lachend: 
„„Freilich! dieſen tollen Burſchen 
Bringen wir, mit Höllenkünſten 
Hat die Schwachen er geärgert! 


„„Hinter einer Satyrmaske 
Hielt er ſtörriſch ſich verborgen, 
Und durch ihre leeren Augen 
Schabte er den Leuten Ruͤbchen. 


„„Wie ein volles Beilchentöpfchen Wiederhofte Anklage. 
Bar fein Herz, das aufgegangen 

Juſt am ſchönſten Frühlingsmorgen, 

Alle Kelche ſchwabblich voll 


„„Von dem klarſten Thaugeflunfer! 
Aber gräuliche Geſichter 

Schnitt er, als ob er im Buſen 
Schnöd ein Neſt von Diſteln trüge!““ 


„Her mit ihm! ich kenn' die Sorte! 

Rief das weiße Männchen fröhlich. 

Folgt mir nur! es iſt ein Deutſcher, 
Wie ich an den Augen ſehe! 


„Seht! der Schlingel will die Maske 
Auch im Tod nicht laſſen fahren! 
Wart' nur, in Kryſtall gedrückt 
Sollſt du ſie zurück mir laſſen! 


„Hab' ſchon eine ſchöne Sammlung 
Solcher Larven, die poſſierlich 
Oder grämlich mich beluſt'gen, 
Während ihre wack'ren Eigner 


„Lange ſchon auf Himmelsauen 
Harmlos wie die Zicklein ſpielen. 
Vorwärts mit dem guten Kauze, 
Daß wir ſein Quartier beſorgen!“ 


Und er führt den Zug der Mädchen 
Munter fort durch das Gefrorne, 
Drin gar wunderlich und ſchnurrig 
Allerlei Geſtalten ſitzen. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 177 


Manche fletichen noch die Zähne, aonigialtige Sullände der 
Manche ſtrecken noch die Zunge, NEN: 

Andre jiten ftill gefauert, 

Wie das Kind im Mutterleibe, 

Und beginnen in den Urftand d Liebliche 

Ihrer ünſchuld rückzukehren, — 


Und ſie werden klug und weislich 
Mit ſich ſelber wieder einig. 


Jetzo ragt ein langer jchmaler 
Zinfen mädtig in die Lüfte, 

Gleih der Stange eines Landsknechts 
Spießt er eine Nebelflode. 


„„Halt! hier ift ein leerer Zaden! 
Schreien unverweilt die Weiber; 
Prächtig kann da unſer Wildfang 
In die höchſte Spitze fahren!““ 


Doch der Alte ruft: „Mit Nichten! 
Dieſer lange, lange Zapfen 

Muß noch lang zur Höhe wachſen 
Für den längſten aller Sünder. 


„Denn e8 wird ihm einft bewohnen 
Jener lange Karl, dev Heinzen, 
Der feit fünfzehn langen Jahren 
Theoretifch Köpfe ſchneidet, 


„Aber friedevollen Herzens 

Noch fein Tröpflein Bluts vergojjen, 
Während ſchweigend die Tyrannen 
Morden, daß die Erde raucht! 


„ber hier ift, was wir juchen! 
Ein verführtes Mädchen fitst mir, 
Schön geläutert, hier im Eiſe; 
Laffen wir das Täubchen fliegen! 


„Und den wildgeword’nen Dichter 
Sperren wir an feine Stelle 

In den fühlen Mädchenzwinger, 
In's kryſtall'ne Kämmerlein!“ 


Alſo ſprach der kleine Hüter, 
Und er hielt mit ſeiner Schaar 
Unverſeh'ns vor einer Säule, 
Die mit klaren Silberkanten, 


Zierlich eingefaßt vom Reife, 

Und mit ſchönen Spiegelflächen 

In der Bergnacht tiefes Schwarzblau 
Sich erhob und lieblich glänzte. 


Euphorion II., Ergänzungsheft. 12 


178 G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 


Alle ftanden vor dem Thürmchen, 
Heinrich auch ward aufgeftellt. 
Und ſie ſah'n ein Schönes Wunder 
Dit verblüfften Todtenaugen. 


Hinter dem durchſicht'gen Eife Beſchreibung von Heinrichs 
Stand der Morgenſtern am Himmel, geee— 
Groß und glänzend, und ſein Licht 

Strahlte durch die klare Wohnung. 


Emen zarten Mädchenumriß 
Zeichnete der Glanz des Sternes 
Freundlih im das klare Prisma 
Der gefeiten Himmelswafler. 


Ohne deren Lauterkeit 

Nur um einen Hauch zu trüben, 
Schwebt darin das Lichtgebilde 
Gleich dem Umriß eines Engels, 


Den ein Meifter in das Trinkglas 
Seiner Liebften leis gegraben. 
Doch in dunkelblauem Feuer 
Glühten zwei gar ſüße Augen 


Still, als wären es zwei Sterne, 
Die im fernen Oſten ftänden. 
Alles Andre war jo farblos, 


Wie das Waffer junger Quellen. 


Jetzt erichloß das Hütergreischen 
Leis umd janft die lichte Zelle, 
Klatſchte freundlih in die Hände, 
Und das jchöne Bild entfloh 


Lächelnd im den tiefjten Himmel, 
Wo die großen Sterne flammten. 
Diejes war die ſchöne Klara 

Aus dem Thal von Chamouny. 


„Raſch jett, eh’ das Neſt erfaltet, 
Raſch hinein den Verjedrechsler! 
Einen wadern Harfenengel 

Will ih aus dem Sünder machen!“ 


Alſo vief der alte Weiße, 

Und fie Schoben ihn zur Stelle; 
Aber fiehe da! mein Heinrich 

Ward auf einmal wild und munter. 


Sperrte fih mit Hand’ und Füßen, Er will aber nicht hinein. 
Strampelte mit beiden Beinen, 

Schlug um jih und jchrie gewaltig: 

„Macht mir feine jchlechten Wiße! 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 179 


„Ihr erträumtes, ſchlecht erfund'nes Letzter Widerſtand und letzte 
Lumpenpack der Phantaſie — 

Eines ſchnöden Nachgebornen! 

Was? Ihr wollt mich maltraitiren? 


„Laßt mich! daß aus meinem todten 
Armen Hirn ich ſchnell euch ſolche 
Höhniſch grimm'ge Spottgeburten 
Auf den magern Buckel jage, 


„Daß ihr heulend mir davonſtäubt! 
Froh, wenn in den hohlen Schädel, 
Dem ihr unbedacht entflohen, 
Wieder könnt zurücke kriechen!“ 


„„Ruhig, ruhig! ſprach der Alte, Vernünftige Vorſtellungen 
Schicke dich! du haſt geſprochen! 

Nun mußt du durchaus erdulden 

Spruch und Rede auch der Andern! 


„„Kein Atom von deinem Werthe Alb — qus Re 
Min — — — geſprochene Wahrheit, welche 
Wird man dir herunterkratzen! die Iebenden Schreihälfe 


Wie du bift, wirst dir bejtehen! nicht beherzigen. 
Einjpazirt nun ohne Zaudern!““ 


Und den Scheltenden berührte 
Er mit feiner Silberruthe ; 
Sogleich gieng ev till und willig 
In die funkelnde Behanfung. 


Schon erglänzten von Kryſtallen 
Leichenhemd und Kranz und Locken; 
Und der Alte Schloß die Wohnung 
Mit dem Hauche feines Mundes, 


Mit dem Hauche ſtarr md eifig. 
Aus der Tiefe vief das Schneehuhn 
Durch die ftillen Alpentriften 
Seinen erjten Morgengruß. 


Plötzlich ſchvanden jene Nymphen 
Aufgeſchreckt in alle Lüfte, 

Schneller als ein Flug von Spatzen 
Einem Flintenſchuß entflattert. 


Und der Alte, ſtill und einſam, 
Reinigte mit ſeinem Barte 
Wohlgefällig noch die hellen 
Spiegelſcheiben an dem Eiſe, 
Welches ſchon der Frühſchein ſtreifte, 
Daß es anfieng zu erglühen 
Zwiſchen dunkelblauem Aether 

Und der dunkelblauen Tiefe. 


12* 


180 


G. Keller, Der Apotheker von Chamoumy. 


Und die weißbereiften Haare 
Krrifternd auf dem Boden fchleppend 
Gieng das gute Zaubermännchen 
Endlih in den Berg hinein. — 


Zierlich ift das Silbermüdlein, 

Das im gold’nen Bernftein fitet; 
In der heitren Oftfeefonne 
Schimmert es am Hals der Franc; 


Und erhaben ift der Mamuth, 

Der im Eistoloß verfchloffen, 

Bon dem Nordlicht falb erhellet, 
Auf den dunklen Meeren ſchwimmt. 


Eine Million von Fahren 

Künden beide, Müd und Mamuth; 
Doch das Maaß für ihre Größe 
Neichet über meinen Sinn. 


Manchmal jcheint das Rüſſelthier 
Winzig mir, wie eine Mücke; 
Manchmal aber jchwillt die Mücke 
Mir zum Elephanten an! 


Aber mein in Eis gejeßter 

Wohl verwahrter deutſcher Dichter : 
Menſchlich fittlich tritt ev mir 

Und belehrend freundlich nahe! 


XXI. 
Jetzo kann die Bergromanze 
Füglih ihren Schluß eveilen, 
Und vergnüglich lauf’ ich mit ihr 
Heimmwärts durch die Alpenrofen. 


Denn der Kropf der Epifode, 
Der jo gräulich überwuchert, 
Glücklich ift ev eingebunden 
In der Willtür weiten Kragen, 


In die bunte Schidfalsbinde, 
Die der arme Apotheker 

Bon Chamouny, wenn er jagt, 
Immer noch am Halfe trägt. 


Denn noch immer geht ev fährlich 
In dem ſchnöden Bann des Todes, 
In der Schlinge, womit Laura 
Tödtlich Shmollend ihn umwunden. 


Und ev wußte nicht, warum fie, 
Wenn er nädhtlich ſie befuchte, 
Sorglich ihm die Binde löfte 
Und fie weit vom Feuer legte. 


Mit einer ethijchen Er— 
wägung jchließt endlich die 
ungemefjene polemijche Ab— 

ſchweifung des Kleinen 

NRomanzero. 


Und die Erzählung kehrt zu 
ihrem urjprünglichen Thema 
zurite, 


das ſchießbaumwollene 
Motiv wieder aufnehmend 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 181 


Statt der tück'ſchen Todesihlinge 
Schlang fie dann die weichen Arme 
Wieder um die breiten Schultern 
Und bejtridend um den Hals ihm. 


Uud fein Wort von Klaras Leben 
Und fein Wort von Klaras Tode 
Ward je zwifchen ihnen laut, 
Und fie wußten's alle Beide. 


Und fie koſ'ten falſch und glühend, Liebesleben 
Und fie jpielten grimmig lüftern 

Mit den Leibern, wie mit Puppen, 

Während fih die Seelen haften. 


Nicht verzieh fie ihm die Untreu, 
Nicht verzieh fie ihn fein Schweigen, 
Nicht verzieh er ihr das Wiſſen 
Um die Untreu und das Schweigen. 


Nicht verzieh er ihr, daß fie nicht 
War fo gut und fein wie Klara, 
Die er in den Tod verdorben, 
Die er in das Grab gejendet. 


Ausgezogen war die Liebe und Weltſchmerz. 
Aus den Herzen und die Freude 

Und der Friede; mit der Schönheit 

Spielten grimmig zwei Gejpenfter. 


Und fie foj’ten falſch und glühend, Weltſchmerz 
Und ſie tranken ſüße Küſſe 

Ohne Dank und ohne Güte; 

Jedes ſchlang für ſich den Honig. 


Jedes ſchlang für ſich den Honig, und Liebesleben. 
Gleich zwei nächtlichen Dämonen, 

Die entzweit, doch an einander 

Feſtgebunden und verdammt ſind, 

Aus demſelben Topf zu naſchen. 


XXII. 
Eines Tages lief die Kunde Eine neue Perſon tritt auf 
Hundertftimmig durch die Thäler, ua SI 
Daß ein alter und gewalt’ger 
Steinbod auf den Flühen haufe. 


Einſam jpringe dort der Steinbod 
Auf den hohen Felſenſpitzen, 

Wie ſeit einem Menfchenalter 
Keiner jei gefehen worden. 


Und die Jäger jprangen gierig 
Wie die Teufel von den Siten; 
Fach das edle Tier zu fällen, 
Griffen fie zu ihren Büchjen. 


182 


G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 


Alfo wirft ſich die Gemeinheit 

Auf das Selt'ne und das Edle, 
Ihm die Haut vom Leib zu ziehen 
Und es jchleunig zu zerlegen. 


Gleich den Kindern, die ihr Spielzeug 
Ungeduldig demoliven, 

Das Zerftörte nun begaffend. 

Und das nennt man Böde ſchießen! 


Bertram auch entriß fich eilig 
Seiner Feindin üpp’gen Armen, 
Und für viele Tage ſtieg ex 
Jagend in's Granitgebirge. 


Jagte hin und jagte wieder 

Auf und nieder durch die Gletſcher, 
Wild erregt durch edle Fährten. 
Kühn und liſtig floh das Thier. 


Maunchmal ſah er's oben ſtehen 

In des Herbſtes Roſenſonne, 
Wie ein Traum von hohen Zinnen 
Sah es lauſchend in die Thäler. 


Doc jobald die Büchje blitste, 
Schwand e8, eh der Knall erfolgte, 
In die Wolfen, in den Bergduft, 
Und die Kugel ſchlug auf Felſen. 


So geihah es, daß der Jäger 
Finſter auf den Firmen irrte, 
Und das fühne Wild, es äffte 
Seine dunkle Leidenschaft 


Unerreicht auf Himmelsklippen, 

An dem Nand der Todesschluchten; 
Und er taumelt ohne Sinne 

Ueber taufendfache Gräber. 


Underdeſſen faßte Laura 
Plötzlich Neubegier und Unruh, 
Daß fie auffuhr und ihn juchte, 
Den fie im den Flühen wußte. 


Ahnend, daß ein Ende nahe, 
Wußt' fie jelbft nicht, ob die Rachluſt, 
Ob ein Nettungstrieb fie packe 

Und nach feinen Spuren jage. 


Und begierig, wie es komme 
Und was da gejchehen würde, 
Schnöd getheilten hohlen Herzens 
Lief fie an den wilden Bächen ' 


Sträflider Vorwitz. 


Borwigige Unruhe 


Uuruhige Jagd. 


Jagendes Verhängniß. 


G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Aufwärts im die große Bergmelt; 
Höher ftieg fie, immer höher, 
Daß die Schuhe bald in Feten 
An den zarten Füßen hiengen. 


Und die Hände, nur gewöhnt an 
Yeichtes Thun umd leichte Spiele, 
Bluteten vom rauhen Steine, 
Aber haftig ftieg fie aufwärts. 


Grau gethürmte Wände hüllten 
Ihren Pfad in kalte Schatten; 
Doch auf jonnig grünem Raſen 
Sah fie die Marmotten fpielen. 


In der Somme vor dem Haufe 
Saß die Murmelfrau und ſäugte 
Ihre Buben, die zu nafchen 

Ab und zu vom Spiele famen. 


Doch der Mann, der ſcharf bemwehrte, 

Rüſtig mäht' er Gras und Kräuter; 

Kundig, wie ein Apotheker, 

Wählt' er nur, was fein und würzig. 


Ausgebreitet lag die Aerndte, 
Trocknend in dem warmen Scheine, 
Und die Kinder ſchlugen fröhlich 
Purzelbäume auf den Mahden. 


Doch der alte Schwiegervater 

Legt fi) jeto auf den Rüden, 
Der jchon lange kahl gejcheuert, 
Und er ſtreckt empor die Beine. 


Und mit Heu, das herrlich duftet, 
Wird er emſig hoch beladen, 

Daß ein Fuder zierlich ſchwillt 
Faſt von eines Zwerges Höhe. 


Und am Schwänzel mit den Zähnen 
Wird das Fuhrwerk jetzt gezogen, 
Stattlich jchwanft es nach der Tenne, 
Nach der klug gebauten Hofftatt. 


Luſt und Freude rings umbüpft es, 
Nur die Mutter hegt Beforgniß, 

Denn hoch oben auf dem Heuberg 

Sitzt ein Bübchen, macht ſein Männchen. 


Und es wird den Kopf fich ſtoßen 
An des Thores niederm Bogen; 
Aber fich! der Schelm, er duckt fich, 
Jubelnd fährt er mit hinunter, 


Zerriſſenheit. 


Fremdes Glüd, 


183 


184 G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 


Und ſie jprangen und fie fangen, 
Tranfen aus den Haren Quellen, 
Und der Alte froh zu Tage, 
Putzte lachend ſich den Pelz. 


Yaura ſchaut' dem gold’nen Frieden 
Diefer guten Murmelleute; 

Doch die Wächterpfeif’ ertünte, 
Und das Volk floh in den Berg. 


Wieder Komm fie ruhlos aufwärts 
Und fie fam in eine Wolfe 
Schweren Nebels, der die Loden 
Und die Kleider ihr benette. 


Dunkel wards vor ihren Augen, Verforenheit. 
Suchend jtredte fie die Hände, 

Wo fie mit dem Fuße tappte, 

Gähnte vings der dunkle Abgrund. 


Graue Flechten, von der Arven 
Knorrigen Aeften miederhängend, 
Triefend wie Tritonenbärte, 
Schlugen ihr die heiße Stirne, 


Denn fie ftand auf einem ſchmalen, 
Hohen, ſchwarzen Felfenthurme, 
D’ran die Nebel niederthauten, 
Die fein Haupt in Dunkel hüllten. 


Doch auf einer and'ren Kuppe, 
Die im hellen Schein erglühte, 
Ragte vegungslos der Fäger, 

Apotheker von Chamouny. 


Um den Hals die bunte Schlinge, 
Roth umd weiß und blau erglänzend, 
Schaut er jpähend in die Ruͤnde, 
Ob das edle Wild ſich zeige. 


Und wahrhaftiglich, den Steinbod Yegte Täuſchung— 
Sieht er dort auf dunkler Klippe 

Zierlih auf den Füßen ftehen, 

Halb im grauen Duft verjchleiert. 


Die geferbten Rieſenhörner 
Mächtig auf den Rücken lehnend, 
Wittert er im weite Ferne, 
Abgekehrt vom gier’gen Jäger. 


Ahnend nicht, daß nur die Sonne 
Auf den filbergranen Nebel 

Sich ein Spiegelbild gemalet, 
Sandte diefer hin die Kugel, 


G. Keller, Dev Apothefer von Chamouny. 185 


Dicht im Nüden ihm entſchwand 
Hohen Sprungs der wahre Steinbod. 
Doch von jener Shwarzen Säule 
Hallt’ ein greller Menfchenfchrei, 


Widerhallend durch Die Wüſte, 

In der Einjamteit des Berges: 
Nüdlings jtürzet dort ein Weib 
Aus der Wolfe in den Abgrund. 


Doch der Jäger jah es nimmer. 
Hauptlos ſank er in die Tiefe; 


Denn ein Funke feines Schlofjes Graunvolles Ende, 
Hatte Lauras Shwal entzündet. 

XXI. 
Dieſes ift das Lied der Willkür, Fabula docet. 


Und es ſei nun ausgefungen, 
Ausgeflungen num umd immer, 
Und begraben jei die Leier! 


Legt fie unter grünen Raſen, 
Blumen laffet drüber wachen! 
Aber wendet eure Augen 
Nach der Sonne des Gefeßes! 


Ihm, dem Todten, jei die Ehre; 
Doch die Lehre den Lebend'gen! 
Laſſet uns Die Blicke wenden 
Nah der Sonne des Gefetzes! 


Und es gibt nur Eine Some, 
Die von Anbeginn gejchienen, 
Und es gibt nur Eine Schönheit 
Und in reiner Schale ftrahlt fie! 


Die ihr euch der Jugend freutet, 
Lebt und weihet euch dem Morgen! 
Sorgenbrecher, Herzerneuerer 
Bleibt der ewig reine Morgen. 


Täglich fteigt ev aus den Meeren, 
Reich an Ehren, friſchen Glanzes; 
Täglich ſchenkt er euch die Macht 
Ueber das beſchmutzte Geſtern. 


Tragt des Morgens klare Fahne 
Aufrecht über Wahn und Nöthen! 
Röthen werden ſich dann wieder 
Ungebrochner Greiſe Wangen. 


Firn und edel wird der Wein 
Guter Berge mit den Jahren, 
Ein gemeiner Säuerling 

Wird am Ende ſchnödes Waſſer. 


186 


G. Keller, Der Apotheter von Chamouny. 


Schwinde das Gejchlecht der Stümper, 


Das mit halber Kraft gefahren 
Und der Jahre Mitte — 
Mit geſtrichner Flagge ſah! 


Flieht den Midas, den Beherrſcher 
Uebermüthig ſchlechter Zeiten, 

Wo die Mode völlig toll wird, 
Ehe das Verhängniß naht! 


Ungeſchmack it Hofes Sitte, 
Wo das Lajter König ift; 
In der Mitte der Verfehrten 
Lernet wieder einſam fein! 


FJeder ſei für fih ein Mann, 

Schöpfend aus des Guten Urguell! 
Was er kann, mit innern Gluthen 
Bring’ er's ruhig zu dem Ganzen! 


Wollt ihr eure Zeit erbauen, 
Laßt ſie ſchauen lichte Züge! 
Frauen, die in — leben, 
Zeigt man weislich ſchöne Bilder. 


Abgefang.!) 
November 1859.) 


Jüngſt war e8 auf braunen Bergen, 
Schnee und Negen floß hernieder, 
Troſtlos vangen alle Gipfel 

Mit den jchweren grauen Wolten. 


Bon den Büſchen troff es klagend; 
Jeder Dorn war eine Traufe, 

Die herab von Dorn zu Dornen 
Unaufhörlich floß und weinte, 


Und fen Schimmer frohen Lichtes 
War im weiter Welt zu ſchauen, 
Aber tief ins Herz hinein 
Schauerte Die feuchte $ Kälte. 


Sieh! aus dunklen Forſten wankte 
Irren Schritts ein Weib hervor, 
Zart gebaut, in dünnem Kleide, 
Aber fruchtbeſchwerten Leibes. 


Schlotternd und mit ſtarren Fingern 
Las ſie naſſes Laub und Reiſig; 
Mühſam ſich zur Erde bückend, 
Sammelt' ſie ein zaghaft Büſchel. 


Vgl. Gottfried Kellers Geſammelte Werke 10, 


153. 


G. Keller, Der Apothefer von Chamouny. 


Und der Brombeer' wirre Schlingen 
Hiengen fid) an ihre Füße, 
Daß ſie ftrauchelt’, md das Weinen 
Hieng ihr im den Augenlidern. 


Kam ein zweites Weib gegangen, 

Groß und ſtark und jehwangern Yeibes; 
Schwere Hölzer auf dem Haupte, 
Schritt fie aufrecht her und trotzig. 


Und fie vief mit lauten Lachen: 
„Ei, Gevatt’rin! wie ich ehe, 
Sind wir beide guter Hoffnung ? 
Hei! wahrhaftig muß ich lachen!“ 


Doc die Andre fing urplötzlich 
Bitterlih mun an zu weinen, 

Und die regenjchwere Schürze 
Drückt' fie Schluchzend an die Augen. 


„Wieder foll ich nun gebäven !“ 
Sprach fie fummervoll in Thränen, 
„And ich habe nicht, wovon ich 
Mir ein warmes Süppehen koche! 


„And ich) weiß nicht, wie das endet, 
Leben joll zu Leben kommen, 

Und das drängt fich und das mengt fich, 
Und das Herz ift Frank zum Tode! 


„Wie ein Thier auf wilder Haide 
Schein’ ich mir, das ohne Gott, 
Ohne Gott und ohne Sterne 
Hungernd irrt und fich vermehrt!“ 


„„Hei! was ficht Dich an, du Blöde? 
Rief die And're, heller lachend, 
Luftig bau'n wir unſ're Wölbung, 
Luftig in das Neich hinaus! 


„„Fäuſte geb’ ich meinen Kindern 

Und gefunde weiße Zähne, 

Sieh! das Jüngste hat mir neulich 
Hier den Ohrlapp weggebiſſen!““ 


„Du bift ſtark und du bift frech!“ 
Sagte wiederum die And're, 
„Ich bin zag, und das Gewiſſen 
Liegt mir leider im der Art.“ 


Alfo ftanden beide Weiber 
Hohen Leibs fich gegenüber, 
Und je lauter jene lachte, 
Deſto bittrer meinte Diefe. 


187 


188 G. Keller, Der Apotheker von Chamouny. 


Und es Fam der Nordlandswind 
Mächtig vaufchend über die Berge, 
Und die Thränen der Bedrängten 
Trocknete fein ſcharfes Wehen. 


In der Höhe ſchwamm im Blauen 
Plößlic die Novemberjonne, 

Und im hellen Golde flammten 
Wie ein Morgenroth die Wälder. 


In der Tiefe trieben wogend 
Aufgejagt die zerriffenen Nebel, 
Und vor'm wehenden Niejenhauce 
Stürmten fie verfcheucht empor. 


Doch ein prächtiges Feftgeläute 
Ueberflang das mächtige Rauschen, 
Und im Glanze der blitenden Sonne 
Stand im Thal eine ftrahlende Stadt. 


Lang hinwallende Bürgerzüge 

Sah man jehimmernd fich drin bewegen, 
Und es wehte die fliegende Seide 
Neichgebildeter Banner voran. 


Herrlich rvaufchte der Wind von Norden 
Und die Glocken erflangen mit Macht, 
Da ertönten auch ſtarke Pojaunen, 
Helle Trommeten in jehwellender Pracht. 


Und die fingende Menjchenftimme 
Deutlih man dazwifchen vernahn, 
Seltfam neu und herzerſchütternd, 
Wie der jelig gewordene Gran. 


„Freude, Schöner Götterfunfen!“ 

Hallte herüber der Elingende Sturm; 
War fein Kirchenlied und Fein Kriegslied, 
Doch die Gloden ſchallten vom Thurn. 


Horhend fanden die armen Frauen, 
Und die Lacherin wurde ftill, 

Und fie Sprach: „Wer doch nur wüßte, 
Was das Alles bedeuten will ? 


„Einer vief, den zu Thale laufen 
Ich mit eiligen Schritten ſah: 
Daß die befjere und die jchönere 
Und die größere Zeit jei nah! 


„Aber fonım’, du zage Klagende! 
Was es immer bedeuten mag, 
Freuen wir uns im meiner Hütte 
Ueber den unbekannten Tag! 


Miscellen. 189 


„Bringe die mweinenden, deine Kleinen 
Zu den meinigen ſchnell zur Stell’! 
Wir entfachen ein luftiges Feuer, 
Daß es brenne warm und heil! 


„Brod und Wein hab’ ich im Haufe, 
Nüffe für die junge Brut; 

Und bei'm frohen Mütterſchmauſe 
Faffen wir einen guten Muth!“ 


Sriedrih Alt an Ereuzer. 


Landshut, 3. Auguft 1806. 

. . . . Gegenwärtig befchäftigt mich die Ausarbeitung dev Encyklopädie 
der philologischen Wiſſenſchaften, die ich vielleicht herausgeben werde. Außerdem 
ift der Platon mein nächftes Studium und wird es für alle Zeiten bleiben. Sch 
bin geneigt, den Phädrus mit einem Kommentar herauszugeben, der hauptfächlic) 
eregetifch fein fol, alfo zunächſt die philoſophiſche Idee erläutern wird. Denn 
durch die Heindorf’fche Bearbeitung, die mehr auf die Kritif des Einzelnen geht, 
hat der eigentliche Platon wenig oder gar nichts gewonnen, ſowie auch Schleier- 
macher's Ueberjegung und Einleitung den Phädrus, wie ich glaube, noch nicht 
richtig dargeftellt hat, denn ſowohl im Ganzen kann ich dev Schleiermacher'ſchen 
Anfiht von Phädrus nicht beiftimmen, als auch in mehreren einzelnen Stellen 
jeinen oder Heindorf's Erklärungen, Berbefferungen u, ſ. w. nicht Recht geben. 
Schleiermacher ift nicht tief genug in den Geift der Platonifchen Philofophie und 
Platonifhen Schriften eingedrungen und jcheint mir überhaupt auch nicht Die 
nötigen gründlichen Vorkenntniffe der griechiſchen Philofophie zu haben, fo jehr ich 
ihn jonft als einen Mann von geiftreichen Kenntniſſen ſchätze. Heindorf aber ift 
ein guter in der Wolf’ichen Schule gebildeter Kritiker, aber für einen vollendeten 
Philologen kann ich ihn nicht halten, da ihm grade der höhere Geift der Philo- 
logie abgeht, und er diefen Mangel an Philofophie nicht wie andere große 
PVhilologen durch andere Talente exjett, wie z. B. Wolf den Mangel an Philo- 
fophie durch feinen Spürfinn und die Gelehrfamfeit erſetzt und die Holländer 
durch die Profundität ihrer grammatifchen und lericographifchen Kenntniffe, wenn 
fie es auch ſonſt nicht einmal bis zur Heynefchen Aefthetif d. i. Geſchmacks— 
Philologie gebracht haben. Voß ift zwar auch ein großer Philolog, ebenfalls in 
dem Sinn, daß er zwar weder poetifchen noch philologifchen Geift befigt, aber 
jehr gründliche und kritiſch geläuterte Altertums-Kenntniffe als in der Mythologie, 
Geographie, Sprachen u. j. w. hat. Bei feinem der Philologen aber, die mir 
bekannt find, und die jett einen großen Auf genießen, finde ich die höhere und 
geiftigere Bildung, die die Menfchen jelbft verflärt, und nicht bloß äußerer Prunk 
einer mühſam zufammenftudierten Gelehrſamkeit ift. So iſt Wolf bei feinen 
großen Naturgaben doch nichts weniger als ein gebildeter und mufitalifcher Mann, 
vielmehr ein gebildeter Cynifer. Voß ift ein Pedant, denn das Gemütliche, das 
ev hat, und das den Schein des Edlen in ſich trägt, ift nichts Anderes als eine 
natürliche Gutherzigfeit und ländliche Anhänglichkert an feine Bekannten, die jo 
wenig innere Bildung offenbart, daß fie ſich vielmehr augenblidlih in Empfind- 
lichkeit und Bitterfeit verwandelt, wenn fie nicht Die gleihe Anhänglichkeit findet 
und ein Widerfpruch fich ihr entgegenftellt. Eichftädt ift ein gemeiner Menſch. 
Wer mir intereffant zu fein jeheint, ift Hermann in Leipzig, in deffen Schriften 
fich ein Wahrheitsfinn und eine Gradheit darjtellt, wie fie jelten find. Ich bedaure, 


190 Miscellen. 


daß ich ihn nicht bejuchen konnte, als ich das leiste Mal in Leipzig war. Bed 
ift ein gelehrter, aber ſchwachherziger Mann und Schütz ein unnützer Schwäter. 
Liebenswürdig und mit Schönen Talenten geſchmückt ift mein Lehrer Jacobs in 
Gotha; jeine Talente find nicht eminent, wie dies ſich einzeln bei großen Philo- 
logen findet, 3. B. in Kritik und Gelehrfamteit fteht er anderen weit nad, in 
archäologischen und hiſtoriſchen Kenntniffen übertrifft ihn ein Böttiger, ein Voß u. ſ. w. 
bei weiten, aber eine ſchöne Mifhung von vorzüglichften Eigenfchaften, die ein 
Philologe befiten muß, ift der Charakter jeiner Bildung. 

Der Schreiber diefes Briefes ©. A. F. Aſt 1778—1841, ſeit 1805 in Yands- 
but, war in Gotha geboren, — daher die Befanntihaft mit Jacobs — und drei 
Jahre Dozent der Philologie in Jena gewejen. Dort war er zur Philologie durch 
Eichftädt gewonnen worden, der wohl nicht das jchroffe Urteil verdient, das er 
bier erhält. Eine Encyklopädie der Philologie der Wifjenfchaften von Aft ift nie 
erichtenen, wohl aber wenige Jahre nah unferm Briefe 1808 „Grundlinien der 
Grammatik, Hermeneutif und Kritif“, ein, wie auch die übrigen Aſtſchen Lehr- 
bücher, damals beliebtes Kompendium. Die Platoftudien des Briefjchreibers, die 
ihm das obenftehende harte Urteil über die Fachgenoſſen abnötigten, bilden fein 
Lebenswerk; bis zu ihrem Erſcheinen vergingen freilich viele Jahre, ja Jahrzehnte. 
Auf Platos Leben und Schriften, (Leipzig 1816) folgte eine Ausgabe der Werte 
des Platon mit lateinifcher Ueberſetzung (9 Bände, Leipzig 1819 — 27), Anno- 
tationes zu Protagoras, Phardrus, Gorgias und Phaedo (1829—1832), endlich 
daS Lexicon Platonieum (3 Bände, Leipzig 18354 — 1838, vgl Allgemeine 
deutiche Biographie 1, 626 f. und Burſian, Geſchichte der klaſſiſchen Philofophie 
©. 735 ff.) 

In dem bier nicht veröffentlichten übrigen Teil des Briefes fpricht der Schreiber 
über feine Stellung, mit der er ebenjomwenig zufrieden ift, wie mit feinem Aufent- 
baltsort Yandshut, ferner über die politifhe Yage. Am Schluffe grüßt er, auch im 
Namen feiner Frau, den Adreffaten, dem er mit „theuerfter Freund“ anredet, und 
deffen Frau unbekannter Weife, außerdem feine Heidelberger Bekannten Thibaut 
umd Fries, „vorzüglich auch Herrn Brentano und feine Frau Gemahlin“ (gemeint 
iſt Clemens Brentano und Sophie Mereau). Geht ſchon daraus hervor, daß 
der Brief an einen Heidelberger Philologen gerichtet ift, jo fann die Bermutung, 
Creuzer als Adreffaten anzunehmen, nicht gewagt fein. Die Schrift, für die ſich 
der Brieffhreiber in dem ausgelaſſenen Anfang des Briefes bedankt — er nennt 
fie niemals ausdrüdlid — wären dann die Historicorum graecorum anti- 
quissimorum fragmenta (Heidelberg 1806); der Briefjchreiber erwartete von 
dem Adrefjaten eine Darftelung der Fragmente des Timaeos und der Pytha— 
goräer. Merkwürdigerweife gedenkt Creuzer weder in feiner Selbitbiographie 
Deutſche Schriften V, 1) noch in feinen Skizzen zur Gefhichte der Philologie 
(ebenda V, 2) Afts. Das Letztere ift um jo auffallender, da an einer Stelle 
(S. 228) viele der hier von Aft befprochenen Platoniter zufammengeftellt werden. 

Die Urteile, die Aft fällt, jollen hier nicht im einzelnen geprüft, beftätigt 
oder widerlegt werden. Nur zur Erklärung des jchroff abweiſenden Urteils über 
Eichftädt, mehr den Menjchen als den Philologen, ſei darauf hingewiefen, daß in 
der von Eichftädt herausgegebenen Jenaiſchen Yiteraturzeitung 1804 Nr. 256 ff. 
Voß' Recenſion der Sophofles-Ueberjegung von Aſt geftanden hatte, Die viel 
Iharfen Tadel enthielt. Dagegen veröffentlichte Aft eine Erklärung, in der er 
die „Autorität des deutichen Homers“ abwies: eine „Antwort des Necenjenten“, 
an der Goethe mitbeteiligt war (vergleiche Goethes Briefe an Eichitädt ©. 106, 
267 ff.), war maßvoll und vornehm kurz. Es iſt jehr wahrjcheinlich, daß Aſt 
wegen beider Zurechtweifungen dem Herausgeber der Zeitichriften wie dem Re— 
conjenten grollte. 2. ©. 


Miscellen. 191 


Ein Sprachdenfmal aus den Befreiungsfriegen. 
Mitgeteilt von Emil Fromm in Aachen. 

In Goedefes Grundriß, 2. Auflage Band 5, iſt in 8 279 unter Nr. 90 
Karl Juſtus von Grumer nen aufgenommen. Neben Notermund hätte auf Erſch 
und Gruber I, 95, 254 - 292 verwiefen werden müſſen, da gerade hier eine ein- 
gehende Würdigung Grumers als Schriftiteller durch NR. Pallmann verſucht iſt. 
Bon den Schriften Gruners war außer dem umvollendet gebliebenen Roman 
„geidenjchaft und Pflicht. Eine Sammlung moraliiher Gemälde“ (erſter und 
einziger Teil, Berlin 1800) ficherlih auch die romanhaft eingekleidete Reiſe— 
bejgreibung „Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung oder Schilderung des 
fittlichen und bürgerlichen Zujtandes Weitphalens am Ende des 18. Jahrhunderts“ 
(2 Teile, Frankfurt a. M. 1802/35) zu nennen. Während über den Roman „der 
Genius der Langweiligkeit feine bleiernen Fittige breitet” (vgl. Neue Allgemeine 
deutjche Bibliothet 64, 376), hat ſchon Pallmann mit Recht den ftimmungspollen 
Ton und die glüdlihe Gruppierung der Perfonen in den einzelnen Genrebildern 
der „Wallfahrt“ hervorgehoben und dei Berfaffer wegen dieſer intereffanteften 
feiner Schriften unter die deutfchen Klaſſiker zählen wollen. Anführenswert waren 
aber auch die zahlreichen Erlaſſe Grumers aus den Jahren 1813 und 1814, 
welche faft jämtlih durch die edle deutjche Gefinnnng, Die fie ausjprechen, md, 
was hier mehr wiegt, durch ihre ſchwungvolle, enthuſiaſtiſche Sprache hervor- 
vagen. Während die Erlaffe aus dem Jahre 1814 im Rheiniſchen Merkur von 
Görres abgedrudt find, ift eine „Aufforderung“, welche Gruner am 17./29. No- 
vember 1813 als proviforifcher Generalgouverneur des Großherzogtums Berg 
„an die deutfchen SJünglinge und Männer zum Kampfe für deutiche Freiheit“ 
vichtete, bisher, joweit ich ſehen kann, nur bruchjtücweife und in diefen Bruch— 
ftüden ungenau von Rud. Goede in jeiner Schrift über das Großherzogtum 
Berg 1806—1813 (Köln 1877, ©. W f.) mitgeteilt. Diefer feurige, in feiner 
fraft- und poefievollen Faſſung gevadezu hinveißende Aufruf verdient aber als 
ein deutſches Sprachdenfmal im den Annalen unſerer Literatur verzeichnet zu 
werden umd ich laſſe den Text daher nach einem mir vorliegenden Originaldruck 
(4 ©. 4°), von dem ſich gewiß nur wenige Exemplare erhalten haben, bier folgen: 

Die Stunde der Rache hat gejchlagen; die Morgenröthe der Freiheit ift 
aufgegangen; nach einer langen, dunkeln Nacht voll Drud und Elend, voll 
Schmach und Noth, voll Verfolgung und Entehrung bricht endlich der helle Tag 
eines neuen fünftigen Yebens an. 

Deutjchland ift frei! Deutjchland ift wieder geboren! Bon den Ufern des 
Niemen bis zu den Fluthen des alten ehrwürdigen Aheins tönt der einftimmige 
Ruf der Freude, der Freiheit, der Liebe, der alten Treue, der neuen Einigkeit. 
Untergegangen ift in den bodenlojen Meere fremde Unterjohung, jegliche Zwie— 
tracht, jede Kleine Eiferfucht. Die deutſchen Zungen find gelöfet; die deutſchen 
Herzen haben fi) wieder gefunden und für immer vereint. Ein Bund ift ge 
ſchloſſen, ein Heiliger, hehrer Bund, ohne Wort und Form, nicht durch das Aeußere 
entftanden, noch für das Aeußere gebildet. Er ift ausgegangen von dem höchften 
und herrlichiten, was die Welt gejehen, von dem dreifachen Bunde der erhabenften 
Beherricher der Erde. Er hat die Gemüther erfaßt und über das irdiſche Daſein 
erhoben. Freudig opfern fie dieſes, um ein höheres zu erringen, und unfterblich 
glänzen die Namen beifpiellofer Helden in den Geſchichtsbüchern unferer Zeit. 

Ein fremdes, treues, tapferes, felbftändiges Volk hat Deutfchland den 
Anklang gegeben; freudig find feine Völker gefolgt. Oeſterreich, Preußen, Sachen, 
Bayern und Hefjen, alle Theile des gemeinfamen Baterlandes, haben fich mit 
begeifterter Kraft und Heldenmuthe erhoben für die gemeinfame Freiheit. Gott, 
der ımmandelbare, ewige, gerechte Gott hat fie gefegnet und bis hieher geführt. 


192 Miscellen. 


Sie find gefommen und haben die ſchmachvollen Feſſeln gebrochen, unter denen 
diefes Land jo jammervoll jeufzete; fie haben die fremden Räuber verjagt, welche 
das Mark der Völker ausfogen, das Necht zur leeren Form entwürdigten, feinen 
Zweck der Verwaltung hatten, als ihre Geldgier zu befriedigen, mit frevelnder 
Hand bei ihrer Flucht jelbit der Wittwen geheiligtes Gut mit fich fchleppten, fein 
Andenken hinterließen, als den tiefften Schauder von den unnatürlihen Berfolgern 
deutjcher Freiheit und Ehre. Der Fluch ift ihnen gefolgt; die Thränen der Ver— 
zweiflung haben fie begleitet. Sie haben uns nichts gelaffen, als die Kraft und 
den Entihluß der Rache. 

Auf denn, meine Mitbürger! eilen wir ihn auszuführen. Befreiet find 
wir, aber noch nicht für immer frei. Wollen wir bewahren, was die fiegreichen 
Heere uns gewährt, jo müfjen wir felbften es fichern. 

Nur der verdient der Freiheit heiliges Gefchenf, der es zu erhalten wagt und 
weiß. Diefes ift jetst unfere Pflicht. Ste fei unfer angeftrengtes und jchleuniges 
Bemühen. Was ıumfere deutſchen und vuffischen Brüder gethan, müſſen auch wir 
thun; wie fie uns, müfjen auch wir unfern Brüdern jenfeit des Rheins Freiheit 
und Frieden bringen. Ihre Wiedervereinigung mit uns ift die alleinige fichere 
Baſis unſerer Selbtftändigfeit; ihre Freiheit die einzige Bürgſchaft der umfrigen. 

Auf denn zum Kampfe! zum freiwilligen Kampfe für des Baterlandes 
Rache, Ehre und Sicherheit! Piel haben wir zu rächen; viel haben wir zu 
ihüten. Kein Jahrhundert wird das Andenken von. tiefen Leiden verwifchen, 
welches dieſes deutjche Land erduldete: Sein tief gefunfener, einft jo blühender 
Gewerbfleiß, fein zerrütteter Handel, feine zahllofen Steuerbedrüdimgen, die lange 
Vertilgung unferer Nationalſprache, die Entehrung unferer Sitten, die Verfolgung 
der Deutfchen durch Deutſche und Fremdlinge bis in unfere geheimſten Berbindniffe. 

Sind dieſe Gränelevinnerungen nicht hinreichend, zum ernten, blutigen 
Kampfe uns zu mahnen! Giebt es einen Deutfchen am Nhein, an der Sieg, 
Wupper, Dill und Lahn, der jene Gräuel, der die verfloffenen furchtbaren fteben 
Jahre wieder erleben möchte? Wäre nicht der Tod für Vaterland, für Weib 
und Kind, für Eigenthum und Ehre, für Wahrheit und Tugend taufendmal 
willfommener, als ein ſolches Leben voll Schande, Furcht und Elend ? 

Brüder! Söhne des Vaterlandes! eilet herbei; jehet unſere märfifchen 
Nachbarn, wie fie in zahllofen Haufen Hinziehen für ihren König zu fterben, ihre 
unvergeßliche Königin zu vächen, und fi) dem Kampfe zu weihen für Recht umd 
Ehre; laffet uns, gleich ihnen und mit ihnen, ziehen. Wir alle fämpfen für eine 
Sache, für der Menjchheit heiligjte, theuerjte Güter, für Freiheit und Vaterland. 
Wer leben und fterben will für diefe, dev trete freiwillig herzu. Alle, die jo 
fommen, werden den Kern unſerer Verteidiger bilden unter dem Namen: 

Schaar deutſcher Freiwilligen vom Rhein und der Sieg. 

Die äußern Beftimmungen diefer Bildung ergeben die nachfolgenden Feſt— 
jegungen. Wer Theil an ihnen nehmen will, der eile. Schon haben fi viele 
gemeldet; ſchon Hat fih in Dillenburg ein edler Haufen auserlejener, herrlicher 
junger Männer aus freiem Antriebe dazu geftellt und eine eigene Jägercompagnie 
gebildet; ſchon haben angeſehene Väter ihre einzige, und eine eben jo angefehene 
Wittwe ihre drei Söhne dargeboten; und wen diefer hohe Sinn fih fortpflanzet, 
jo werden wir es, obgleich nicht an Zahl, doch an Eifer und Erfolg, jedem unſerer 
deutſchen Mitvölker gleich thun. 

Wie die unſterbliche Schaar jener dreihundert Helden, die einſt unter dem 
unſterblichen Leonidas für ihr Vaterland fielen, ſo ſei und handele auch unſere 
Schaar der Freiwilligen. Fallen dann auch unſere Brüder, wie die heldenmüthigen 
Thebaner, ſo leben ſie doch ewig, ſo lange Deutſchland beſteht und ein Männer— 
herz in deutſcher Männerbruſt ſchlägt. 


Drud von Lorenz Elwanger, vorn. Th. Burger, Bayreuth. 














BINDING 27-7. sep 8 


PN Euphorion; Zeitschrift für 
4 Literaturgeschichte 
E8 

Bd.2 


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