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Full text of "Falco"

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1  FOR  THE  PEOPLE 
FOR  EDVCATION  | 
FORSCIENCE 

LIBRARY 

OF 

THE  AMERICAN  MUSEUM 

OF 

NATURAL  HISTORY 

Bound 
A.M.N. 
Id24y 


rH.I 


FÄLCO,       } 

unregelmäßig  im  Anschluß  an  das  Werk 

„BERAJAH, 

Zoographia  infinita" 

erscheinende  Zeitschrift. 


XI.  Jahrgang,  1915 
in  3  Heften. 


Herausgeber : 

0.  Kleinschmidt, 

Dederstedt,  Bez.  Halle  a.  d.  S. 


Preis  für  Berajah  und  Falco  jährlich  9  Mark. 


Kommissionsverlag  Gebauer -Schwetschlie,  Druckerei  u,  Verlag  m.  b.  H. 
Halle  a.  d.  S.,  Gr.  Märkerstr.  10. 


-^f-qS-OSL^i-     |u<^^. 


FALCO. 


Elfter  Jahrgang. 


Nr.  1.  Februar.  isis. 

Schriftleiter:   0.  Kleinschmidt,  Dederstedt,  Bez.  Hallo  a.  d.  S.  —  Kommis- 
sionsverlag: Gebauer-Schwetschke Druckerei  u.  Verlag  m.b.H.,  Halle  a.  d.S., 
Gr.  Märkerstr.  10.  —  Preis  aller  Veröffentlichungen  von  Berajah  u.  Falco: 
jährlich  9  Mark. 


1915. 

Ein  Singen  und  ein  Klingen 
braust,  blut'ge  Zeit,  dein  Zug. 
Dein  Ringen,  Vorwärtsdringen 
wie  Blitz  in  Schwüle  schlug. 

Nun  schlage  rasche  Schwingen 
zu  deinem  Siegesflug. 
Gott  laß  es  uns  gelingen : 
„Tod  jedem  Lug  und  Trug!" 

„Falco"  beginnt  mit  dieser  Nummer  das  zweite  Jahr- 
zehnt. Ich  danke  allen  denen,  die  meine  Absichten  in  den 
verflossenen  zehn  Jahren  verständnisvoll  unterstützt  haben. 
Denen,  die  sie  nicht  verstanden  haben,  sollen  sie  von  nun  an 
deutlich  werden.  Wie  der  brausende  Flug  der  Wandervögel 
schließlich  selbst  die  ZurückgebUebenen  weckt  und  mitreißt, 
so  redet  jetzt  der  Zug  der  Zeit  so  deuthch,  daß  jede  Programm- 
rede über  die  zehn  folgenden  Jahre  gespart  werden  kann. 
0.  Kl. 

Die  wissenschaftliche  Minderwertigkeit  von  Dar- 
wins Werk  über  die  Entstehung  der  Arten. 

Ich  nenne  Darwins  bekanntestes  Werk  wissenschaftlich 
minderwertig,  zunächst  deshalb,  weil  Darwin  die  Gregner,  die 
er  bekämpfte,  nicht  gekannt  und  nicht  verstanden  hat.  Ich 
mache  denselben  Vorwurf  allen  seitherigen  Gregnern  Darwins. 
Was  ist  der  Hauptgedanke,  sozusagen  die  spezifische  Eigenart 
jenes    Buches    des    vielbewunderten    Briten  ?    Die    natürliche 


2        Die  wissenschaftliclie  Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  usw. 

Zuchtwahl,  die  Selektion,  so  meinte  man,  und  der  Kampf 
ums  Dasein.  Aber  man  findet  bei  Darwin  auch  den  gegen- 
teiligen Gedanken,  nämlich  die  Annahme  der  schon  bei  der 
Entstehung  der  Varietäten  einsetzenden  direkten  Bewirkung. 
Alles,  was  man  auf  dem  seitherigen  Wege  gegen  Darwin 
geltend  machen  konnte,  findet  ein  aufmerksamer  und  gewissen- 
hafter Leser  schließlich  irgendwo  an  einer  Stelle  der  vielfach 
gewundenen  Ausführungen  in  Darwins  eigenen  Worten.  Eines 
jedoch  gibt  es,  das  sich  wie  ein  roter  Faden  durch  Darwins 
Buch  zieht,  zu  dem  er  immer  wieder  zurückkehrt  und  worin 
er  konsequent  bleibt.  Das  ist  seine  Polemik  gegen  die 
damals  schon  vorhandene  Formenkreislehre.  Darwins 
These  lautet :  Arten  und  Varietäten  sind  dasselbe.  Es  gibt 
zwischen  ihnen  nur  graduelle  Unterschiede  in  der  Abstands- 
weite und  in  der  Konstanz.  Mit  Darwins  Worten:  „Der 
einzige  Unterschied  zwischen  Arten  und  wohlausgeprägten 
Varietäten  ist  der,  daß  man  von  letzteren  weiß  oder  glaubt, 
sie  seien  durch  Zwischenstufen  miteinander  verbunden,  während 
es  die  ersteren  früher  waren". 

Die  echte  Formenkreislehre  aber  lautet:  Verwechslung 
von  Realgattungen  und  Rassen  verwirrt  und  trübt  das  ganze 
Naturbild  und  macht  fortschreitende  wissenschaftliche  Arbeit 
unmöglich.  Man  könnte  sagen,  Darwin  habe  ausgearbeitete 
Formenkreise  nicht  gekannt.  Ich  werde  weiter  unten  zeigen, 
daß  er  sie  kannte  und  daß  er  eigensinnig  bei  seiner  ver- 
kehrten Theorie  blieb. 

Wieso  ist  nun  Darwins  Werk  wissenschaftlich  minder- 
wertig ?  Seither  wurde  es  vielfach  als  ein  Muster  vornehmer 
und  vorsichtiger  Untersuchung  aller  Gründe,  Gegengründe 
und  Einwürfe  gerühmt.  Diese  Lobreden  blendeten  die  Augen 
der  Kritik.  Kritisch  betrachtet  erinnert  die  Beweisführung 
des  Buches  an  die  britischen  und  französischen  Kriegs- 
berichte, in  denen  kleine  Vorteile  aufgebauscht  und  große 
Mißerfolge  ganz  verschwiegen  oder  abgeschwächt  werden. 
Das  fossile  Material  ist  da,  wo  es  widerspricht,  immer  „lücken- 
haft". Daß  das  rezente  Material  in  den  Museen  noch  lücken- 
hafter ist,  wird  verschwiegen.  Im  VI.  Kapitel  wird  unter 
den  besonderen  Schwierigkeiten  erwähnt,  daß  zwei  Menschen 
zuweilen  unabhängig  voneinander  dieselbe  Erfindung  machen 


Die  wissenschaftliche  Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  usw.        3 

und  daß  so  auch  ähnliche  Organe  in  verschiedenen  orga- 
nischen Wesen  hervorgebracht  sein  könnten.  Er  denkt  an 
elektrische  Organe,  Leuchtorgane,  Augen.  In  Kapitel  XV 
wird  bei  den  Streifen  der  Pferde  umgekehrt  argumentiert 
und  der  Tiger  nicht  zum  Vergleich  herangezogen.  In  dem- 
selben Kapitel  wird  die  Möglichkeit  zugegeben,  daß  „beim, 
ersten  Beginn  des  Lebens  viele  verschiedene  Formen  ent- 
wickelt wurden".  Der  Theorie  zuliebe  wird  aber  ange- 
nommen, daß  „nur  sehr  wenige  modifizierte  Nachkommen 
hinterlassen  haben". 

Die  solide  Ruhe  deutscher  wissenschaftlicher  Arbeit,  die 
festen  Boden  unter  den  Füßen  spürt,  ist  dem  Buche  fremd. 
Nach  dieser  Seite  hin  hat  Fleischmann  Darwin  kritisiert. 
Ich  richte  meine  Kritik  gegen  andere  Schwächen  seines 
Werks.  Die  Feststellung  von  Darwins  Grrundthese  ermög- 
licht erst  die  kritische  Feststellung  seiner  Hauptfehler. 

I.  Falsche  Front. 
Darwin  wendet  sich  gegen  die  Theorie  besonderer 
Schöpfungsakte.  Arten  sind  nach  seiner  Meinung  nicht  ver- 
schiedene Geschöpfe,  sondern  stark  ausgebildete  Varietäten. 
Die  Begriffe  Schöpfung  und  Geschöpf  nimmt  man  meist  in 
theologischem  Sinne.  Protest  gegen  Darwin  erscheint  dann 
als  „Rückkehr  zum  kirchlichen  Dogma".  Nein,  die  Sache 
steht  heute  so:  Falls  oder  sagen  wir  Wenn  einmal  die 
deutsche  Zoologie  sich  endgültig  vom  Banne  britischer  For- 
meln frei  gemacht  hat,  werden  immer  noch  Jahrzehnte  ver- 
gehen, ehe  Theologen  sich  entschließen  können,  ihre  Sym- 
pathie für  die  Gedanken  Darwins  aufzugeben,  da  ihnen  von 
jeher  Begriffe  wie  Entwicklung,  Auswahl  des  Besten  u.  dgl. 
zum  täglichen  Handwerkszeug  bei  ihren  historischen  Studien 
gehören  ^.)  Ich  bitte  den  Leser,  bei  dem  Begriff  Schöpfung 
einmal  jeden  theologischen  Gedanken  beiseite  zu  lassen  und 
an  zwei  Bilder  zu  denken.  Das  eine  möge  groß  sein,  das 
andere  klein,  das  eine  farbig,    das    andere  schwarz,   das   eine 


1)  Vgl.  Prof.  D.  Dr.  Karl  Beth :  Der  Entwicklungsgedanke  und 
das  Christentum,  1909,  und  Prälat  D.  Pud.  Schmid:  Das  naturwissen- 
schaftliche iTlaubensbekenntnis  eines  Theologen,  1906. 


4        Die  wissenschaftliclie  Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  usw. 

eine  Steinzeiclinung,  das  andere  ein  Zinkdruck.  Trotz  all 
dieser  Verschiedenlieiten  kann  es  sich  um  zwei  Verviel- 
fältigungen desselben  Bildes  handeln,  was  man  dann  auf  den 
ersten  Blick  erkennt.  —  Zwei  andere  Bilder  zeigen  vielleicht 
völlig  gleiche  Größe  und  Technik,  aber  sie  sind  zwei  selb- 
ständige Schöpfungen  des  Künstlers  oder  verschiedener  Ur- 
heber. Dasselbe  Bild  kann  nun  eine  Vervielfältigung  sein, 
eine  bloße  Wiedergabe  und  doch  selbständige  Schöpfung  des 
Künstlers,  ersteres,  wenn  es  mit  dem  Original  oder  einem 
anderen  Abzug  von  derselben  Platte,  letzteres,  wenn  es  mit 
einem  ganz  anderen  Bilde  verglichen  wird.  So  ist  auch 
der  Artbegriff  relativ.  Man  kann  gar  nicht  sagen : 
diese  Form  ist  eine  Art  oder  eine  Varietät.  Die  britische 
Weidenmeise  ist  neben  dem  britischen  Glanzkopf  eine  Art, 
neben  dem  schwedischen  Mattkopf  nur  eine  Rasse.  Für  sich 
allein  hingestellt  ist  eine  Form  weder  Art  noch  Rasse.  Hätte 
Darwin  dies  wissen  müssen?  Ja,  denn  er  wußte,  daß  „zweifel- 
hafte Formen  kaum  in  ein  und  demselben  Lande  vorkommen, 
aber  auf  gesonderten  Gebieten  oft  zu  finden"  sind  (II.  Ka- 
pitel). Im  VI.  Kapitel  (Schwierigkeiten  der  Theorie)  schreibt 
er:  „Bereist  man  einen  Kontinent  von  Norden  nach  Süden, 
so  begegnet  man  gewöhnlich  von  Zeit  zu  Zeit  anderen  eng 
verwandten  oder  repräsentativen  Arten  (weiter  unten  sagt  er 
„Rassen"),  die  sicherlich  eine  gleiche  Stelle  im  Haushalt  der 
Natur  jenes  Landes  einnehmen.  Diese  repräsentativen  Arten 
treffen  oft  auch  zusammen  oder  greifen  in  das  andere  Gebiet 
über;  und  in  dem  Maße,  wie  die  einen  immer  seltener  werden, 
zeigen  sich  die  anderen  immer  häufiger,  bis  schließlich  die 
eine  die  andere  ersetzt". 

Der  Darwinsche  Satz,  zwischen  Art  und  Varietät  sei 
kein  Unterschied,  hat  nur  Geltung  im  einreihigen  Katalog- 
system, das  vorläufig  Reihen  gleichförmiger  Wesen  zusammen- 
stellt. Wo  es  sich  auf  diese  Aufgabe  beschränkt  (Reichenow), 
ist  es  vöUig  korrekt.  Linnes  Natursystem  ist  kein  Natur- 
system, sondern  ein  Katalogsystem.  Das  kritisch  vergleichende 
Natursystem  kommt  nachher  und  urteilt  z.  B.:  Katalogart  a 
ist  das  männliche  Kleid  von  Katalogart  b,  die  das  weibliche 
Kleid  darstellt.  Katalogart  c  gleichgebildeter  Einzelwesen  ist 
das  Jugendkleid.     Katalogart  d  ist   eine  geographische  Rasse 


Die  wissenschaftliche  Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  usw.       5 

neben  c.  Unsere  seitherigen  Systeme  sind  in  der  Tat  Dar- 
winsche Arten.  Diese  Arten  können  gar  nicht  in  der  Natur 
entstanden  sein,  denn  sie  existieren  nicht  in  der  Natur.  Sie 
entstehen  nicht  durch  Variieren,  Daseinskampf,  Zuchtwahl, 
sondern  sie  entstehen  durch  Schrotkörner,  Arsenik,  Tinte, 
Papier,  Druckerschwärze,  lateinische  oder  deutsche  Diagnose 
und  Nomenklaturstreit. 

Die  eigentlichen  natürlichen  Arten  existierten  in  voller 
Realität  schon  lange,  ehe  in  Balgform  oder  in  Gestalt  von 
Druckpapier  die  Existenz  Darwinscher  Arten  begann.  Ein 
Buch  über  die  Entstehung  der  Arten,  das  bei  seiner  Hypo- 
these das  Katalogsystem  verwendet,  ist  ein  köstliches  Beispiel 
naiver  Ignoranz,  denn  es  gab  vor  Darwins  Geburt  deutsche 
Meister,  die  zu  voller  Klarheit  über  diesen  Holzweg  ge- 
kommen waren  und  vor  ihm  gewarnt  hatten.  Die  blinde 
Auslandsbewunderung  ließ  diese  warnende  Stimme  vergessen. 
Jeder  Versuch  deutscher  Kritik  wurde  als  „dogmatische  Rück- 
wärtsbewegung" abgewiesen.  Das  wissenschaftlich  Minder- 
wertige triumphierte  über  klares  deutsches  Wissen.  Der  reine 
Quell  des  Naturstudiums  wurde  für  50  Jahre  zugeschüttet. 

Darwins  Front  richtet  sich  gegen  eine  Behauptung,  die 
von  dem  ihm  allein  bekannten  Katalogsystem  gar  niemand 
aufstellt.     Sie  ist  also  nicht  wissenschaftlich.     Sie   ist  falsch. 

Darwins  Front  richtet  sich  ferner  gegen  die  Konstanz 
der  Art.  „Ist  etwa  jemand  hier,  der  noch  an  die  Konstanz 
der  Art  glaubt?"  So  fragte  ein  Dozent  auf  der  Versammlung 
eines  wissenschaftlichen  Vereins,  bei  der  ich  als  Student  zu- 
gegen war.  „Ich'^  hätte  ich  gar  zu  gern  gerufen,  aber  ich 
wäre  als  lebendes  Fossil  ausgelacht  worden.  Ich  "schwieg. 
Ich  schwieg  auch,  wenn  ich  bei  einer  Vorlesung  über  Ab- 
stammungslehre wußte :  Diese  fünf  Sätze  waren  von  Taschen- 
berg, diese  von  N,  N.  abgeschrieben.  Es  war  damals  hoff- 
nungslos, die  zu  bekehren,  die  Darwin  in  eine  Art  natur- 
wissenschaftlichen Heiligenstandes  und  Aposteltums  erhoben. 
Inzwischen  hat  man  doch  angefangen,  die  Konstanzlehre  nach 
beiden  Seiten  hin,  statt  nur  einseitig  zu  prüfen.  Was  heißt 
denn  Konstanz  der  Art?  :  Die  liebe  deutsche  Sprache  ist  so 
viel  klarer  und  deutlicher  als  die  Fremdwörter,  die  so  oft  Irr- 
tümer und  Torheiten    mit   dem  Schimmer   der  Wissenschaft- 


6  F.  Tischler. 

lichkeit  verhüllen.  Unter  Konstanz  verstellt  man  zwei  ganz 
verschiedene  Dinge.     Man  versteht  darunter: 

1.  einmal  die  Grieichmäßigkeit   einer  Reihe  gleich- 
zeitig lebender  Wesen  in  G-estalt,  Größe  und  Färbung; 

2.  die    Unveränderlichkeit     innerhalb     einer    Nach- 
kommenreihe in  der  Zeit. 

Diese  beiden  Begriffe  der  Beständigkeit  nebeneinander  und 
der  Beständigkeit  nacheinander  wurden  oft  durcheinander 
geworfen.  Man  hat  z.  B.  meine  Arbeiten,  in  denen  ich  nach- 
wies, daß  die  Natur  jetzt  bis  in  ihre  Subtilformen  und  bei 
jeder  derselben  bis  auf  den  Millimeter  im  Maximum  und  Mi- 
nimum konstant  ist,  als  Beweis  gegen  Nr.  2  angeführt,  da  „die 
Linnesche  Art  m  von  mir  in  n  Formen  zerlegt"  werde.  Eine 
tollere  Begriffsverwechslung  ist  kaum  denkbar.  Von  Vertre- 
tern dieses  Standpunktes  hört  man  oft  das  mitleidsvolle  Urteil, 
es  sei  doch  unnötig,  die  längst  aufgegebene  Konstanz  der  Art 
noch  durch  weitere  Subspeziesstudien  zu  widerlegen.  Wie 
sieht  es  denn  nun  wirklich  in  der  Natur  aus. 

1.  Betreffend  Gleichmäßigkeit  der  Arten. 
Ich  bin,  während  ich  dies  schreibe,  mit  der  Nachprüfung 
der  Auflage  mehrerer  Berajah-Tafeln  beschäftigt.  Wie  schwer 
wird  es  —  selbst  mit  demselben  Pinsel  und  demselben  Farben- 
tropfen —  für  den  Koloristen,  die  Farbenabstufungen  gleich- 
mäßig zu  halten.  Die  Natur  dagegen  liefert  gleichmäßige 
Maschinenarbeit.  Das  Bussardbraun  ist  trotz  aller  Abstufungen 
bei  weit  entfernt  erbrüteten  Vögeln  so  gleich  wie  das  so  schwer 
definierbEire  Falkengrau,  das  ich  nie  treffen  kann,  und  das 
die  Natur  immer  trifft.  0.  Kl. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Das  männliche  Jugendkleid  der  Schellente 
(Nyroca  clangula). 

Von  F.  Tischler. 

Im    „7.  ornith.  Bericht  über  Mecklenburg  (und  Lübeck) 

für  das  Jahr  1909"  wirft  Clodius  die  Frage  auf,  wann  der 

weiße  Fleck    zwischen  Schnabel   und  Augen   bei  den  jungen 

cfcf   ^^^  Schellente  zuerst  auftritt.     Er  nimmt  an,   daß  diese 


Das  männliche  Jugendkleid  der  Schellente  (Nyroca  glangiila).        7 

den  Fleck  jedenfalls  erst  im  zweiten  Herbst  ihres  Lebens  er- 
hielten, also  dann,  wenn  sie  zum  ersten  Male  ihr  Prachtkleid 
anlegten.  Das  trifft  jedoch  nicht  zu.  Am  8.  Juni  1913  schoß 
ich  auf  dem  Kinkeimer  See  bei  Bartenstein  in  Ostpreußen 
zwei  Schellenten  auf  einen  Schuß.  Die  Vögel,  die  dort  nicht 
brüten,  hielten  sich  im  Fliegen  und  im  Sitzen  stets  zusammen, 
so  daß  ich  annahm,  es  handele  sich  um  ein  gepaartes  Paar. 
Die  Sektion  ergab  jedoch,  daß  beides  (^  (^  waren.  Eines  ist 
ein  altes,  völlig  ausgefärbtes  cf  im  Prachtkloide,  das  andere 
ein  vorjähriges  Exemplar  mit  abgenutzten  S('hwung-  und 
Schwanzfedern  und  braunem  Kopf  in  dem  dem  weiblichen 
sehr  ähnlichen  Jugendkleide.  Der  weiße  Fleck  an  den  Backen 
ist  jedoch,  schon  deutlich  zu  erkennen;  er  ist  allerdings  an 
Umfang  etwas  kleiner  als  der,  den  das  cT  ini  ausgefärbten 
Kleide  besitzt;  auch  finden  sich  zwischen  den  weißen  noch 
sehr  viele  braune  Federn ;  einzelne  sind  auch  weiß  mit  braunen 
Spitzen.  Der  braune  Kopf  zeigt  im  übrigen  viele  neue 
schwarze  Federchen.  Auch,  sonst  kommen  vielfach  neue 
Federn  zum  Vorschein,  so  auf  dem  Rücken  zwischen  den 
braunen  schwarze,  an  den  Schultern  schwarze  und  weiße  und 
an  den  Weichen  weiße  und  graugestreifte.  Am  Kropf  stehen 
noch  viele  graue  alte  Federn.  Die  Flügeldecken  sind  durch- 
weg grau.  Das  ist  um  so  auffälliger,  als  Naumannn  (neue 
Ausgabe  Bd.  X  p.  159)  ein  im  Mai  erlegtes  einjähriges  cf  be- 
schreibt, bei  dem  die  Flügeldecken  schon  wie  im  Alterskleide 
ein  weißes  Feld  zeigten;  ja  selbst  die  jungen  (^ (^  ito.  ersten 
Jahre  sollen  nach  diesem  Forscher  schon  auf  den  Flügel- 
decken viel  Weiß  zeigen.  Im  übrigen  hatte  das  von 
Naumann  beschriebene  cf  auch  schon  den  weißen  Backen- 
fleck. R.  Blasius  erwähnt  im  neuen  Naumann  aus  der 
Sammlung  E.  v.  Homeyers  ein  junges  (^  im  Übergangs- 
kleide, erlegt  am  20.  Januar  18G8  auf  Borkum,  bei  dem  der 
Kopf  noch  braun,  die  weißen  Flecke  an  den  Wangen  je- 
doch schon  deutlich  sind,  und  ein  bei  Vechelde  erlegtes  junges 
(/  vom  27.  Januar  1887,  das  ähnlich,  gefärbt  ist,  aber  am 
Kopf  schon  schwarze  Federchen  zeigt,  also  vermutlich  meinem 
cf  vom  8.  Juni  1913  einigermaßen  gleicht. 

Hiernach  scheint  es  doch,  als  ob  der  woiße  Fleck  schon 
im  ersten  Winter  bei  den  jungen  (^ (J   auftritt,   so   daß  er 


"  Zur  Pinguin-Mauser. 

für  sie  in  dieser  Zeit,  wo  sie  im  übrigen  noch  durchaus  das 
weibchenfarbige  Jugendkleid  tragen,  das  beste  Kennzeichen 
darstellt.  Festzustellen  bleibt  nun  noch,  ob  der  Fleck  sich 
nicht  schon  im  Herbst  zeigt,  und  ob  die  alten  (^  (^  im 
Sommerkleide  ihn  gleichfalls  besitzen.  Daß  das  oben  er- 
wähnte junge  cf  vom  8.  Juni  noch  ein  besonderes  Sommer- 
kleid angelegt  hätte,  glaube  ich  nicht;  es  hätte  jedenfalls  all- 
mählich gleich  aus  dem  Jugendkleide  in  das  erste  Pracht- 
kleid gemausert.  Die  erste  Mauser  scheint  also  bei  den 
Schellenten  sehr  langsam  vonstatten  zu  gehen*). 


Zur  Pinguin-Mauser. 

(Brief  an  den  Herausgeber.) 

Zoologischer  Garten 
der  Stadt  Halle.  29.  XII.  14, 

Der  letzte  Pinguin  ist  mitten  in  der  Mauser  eingegangen,  und 
ich  habe  den  Balg  konservieren  lassen.  Man  sieht  deutlich 
die  Kontinuität  des  Federwachstums.  Theoretisch  bildet  jede 
Feder  ein  Band,  welches  bei  jedem  Wechsel  ein  Stück  ab- 
reißt und  wieder  nachgeschoben  wird.  Man  kann  das  wun- 
dervoll sehen**) 

,    .    .   •      • W.  Staudinger. 


*)  Anm.  des  Herausgebers.  Herr  Eüdiger  schickte  mir  interes- 
santes Material,  das  icli  vielleicht  später  in  einem  Berajahheft  abbilde. 
Hiernach  gibt  es  bei  der  Schellente  wie  bei  Hausrotschwanz  und  Wander- 
falk  ein  cairei- Kleid  und  ein  paradoxus- Kleid,  d.  h.  eine  Schwankung 
zwischen  früherer  und  späterer  Reife.  0.  Kl. 

**)  Anm.  des  Herausgebers.  Also  volle  Bestätigung  meiner  An- 
nahme. Ähnliches  beobachtete  ich  an  den  jetzt  in  meiner  Pflege  befind- 
lichen Friesschen  Tauben,  und  zwar  an  den  Schwungfedern.  Samuel 
(Archiv  für  pathal.  Anat.  50.  Band,  1870)  p.  340  hat  an  Tauben  solche 
Bildungen  (siehe  letztes  Berajahheft  Fig.  13)  künstlich  durch  Abschneiden 
von  Blutkielen  hervorgerufen.  Auch  bei  Klee  (Zeitschr.  f.  Naturwissen- 
schaften, Halle  a.  S.  1886,  p.  148)  und  Davies  (Morphol.  Jahrb.  15.  Bd. 
1889,  p.  570)  erwähnt.  (Siehe  auch  p.  568  daselbst.)  Samuel  zitiert 
die  Worte  Reils:  „Die  Natur  scheint  hier  den  Bildungsgang,  den  sie 
überall  in  ihren  Tiefen  fast  unzugänglich  gemacht  hat,  nackt  vor  un 
hingelegt  zu  haben."  0-  Kl. 

Druck  von  Gebauer-Schwetsctke  Gr.  m.  b.  H.,  Halle  a.  S. 


FALCO. 


KIfter  Jahrgaiifi:. 


Nr.  2.  Dezember.  1915. 


Schriftleiter:  O.  Kleinschmidt,  Dederstedt,  Bez.  Halle  a.  d.  S.  —  Kommis- 
sionsverlag: (Jebauer-Scliwetsch.ke  Druckerei  u.  Verlag  m.b.H.,  Halle  a.d.S. 
Gr.  Märkerstr.  10.  —  Preis  aller  Veröffentlichungen  von  Berajah  u.  falco: 
jährlich  9  Mark. 


I  All  die  Abonnenten.  J 

4  Die  Verwaltung   eines   zweiten   Pfarramtes,  dessen  1 

I   Inhaber  im  Felde  steht,  und  die  vielseitige  Kriegsarbeit  » 

'   in  fünf  Gemeinden  lassen  mir  begreiflicherweise  wenig  l 

I    Zeit  für  eine  regelmäßige  Drucklegung  der  Berajah-  und  5 

*  Falcohefte.  Trotzdem  ist  es  eine  patriotische  Ehrensache,  1 
I  daß  auch  wissenschaftliche  Arbeit  ihren  ruhigen  G-ang  » 
4  bei  uns  weitergeht  und  daß  keine  Erhöhung  des  Preises  | 
I  für  das  Werk  eintritt.  5 
i  Alle  Schwierigkeiten,  selbst  die  Störung  ausländischer  1 
I    Verbindungen,   müssen  überwunden  werden.    Der  Leiter  ■ 

*  der  lithographischen  Anstalt,  der  seit  Jahren  genau  auf  1 
4  meine  Wünsche  eingearbeitet  war,  steht  in  der  Front,  und  5 
I   die  Anstalt  ist  geschlossen.    Auch  dieses  für  mich  größte  5 

*  Hindernis  soll  dem  Werke  nicht  zum  Schaden  gereichen.  1 
I  Nur  in  zwei  Punkten  bitte  ich  die  Leser  um  Nach-  5 
i  sieht.  Die  lange  geplante  häufigere  und  regelmäßigere  I 
I    Ausgabe,  wenn  auch  in  kleineren  Heften,  und  das  gleich-  * 

*  zeitige  Erscheinen   der  zusammengehörigen   Tafeln  und  I 

I 

I  geliefert   werden  müssen.      Ich  bitte  stets  zu  bedenken,  5 

4  daß    Berajah    keine    Zeitschrift    in    fortlaufenden    Jahr-    I 

I  gangen,  sondern  ein  allmählich  erscheinendes,  aber  plan-   • 

*  mäßig  angelegtes  Lieferungswerk  ist.  0.  Kl.        1 


I  Textbogen  läßt  sich  unter  den  jetzigen  Zeitumständen 
I:  noch  nicht  durchführen,  denn  ich  kann  z.  B.  nicht  vor- 
I  aussehen,  ob  die  Tafeln  28 — 32  alle  bis  zur  Ausgabe 
der  diesjährigen  Lieferung  fertig  werden  oder  1916  nach 


10  Vom  Scheideufer. 

Vom  Scheideufer. 

Glutsonniger  Pfingstabend  am  Ostdamm  der  breiten 
Scheide  oberhalb  Antwerpens  mit  einem  brennenden  Leuchten 
der  Farben  auf  den  zerknitterten  und  zu  Boden  gebeulten, 
nun  verrosteten  Petroleumtanks  der  alten  Brandstätten  am 
Hafenende. 

Unter  mir  frische  Wiesenpolster  und  alte  Lachen,  Rohr 
und  Sumpf,  Brennesseldickichte  uud  Weidengebüsche,  alle 
vom  heißen,  steifen  Ostwind  bewegt. 

In  den  aufgepflanzten  Seitengewehren  der  ferne  wan- 
delnden Posten  blitzt  die  Abendsonne. 

Das  Flugbild  des  träge  abstreichenden  Fischreihers  ver- 
schwindet im  Sonnendunst;  die  großen  Seemöven  und  die 
Lachmöven  sind  aufs  Meer  hinaus  gezogen.  Rohrammern 
fliegen,  ein  Wachtelkönig  schnarrt,  die  Flußuferläufer  trillern, 
und  der  Kuckuck  ruft  in  der  Ferne. 

Ich  aber  achte  ihrer  aller  kaum,  denn  mein  Herz  ist 
gedrückt  über  das  Spiel  Italiens  und  läßt  in  mir  keine  Pfingst- 

ruhe  aufkommen. —  — 

Da:  über  mir  auf  dem  Telegraphendraht  der  mir  fremde, 
verwunderliche  Liebesgesang  eines  Vogels,  der  sich,  den 
Schwanz  hoch  aufgerichtet,  mit  Mühe  gegen  den  Wind  be- 
hauptet; leise  Strophen  gemischt  aus  Klängen,  die  mich  an 
Feldlerche,  an  Heidelerche,  an  Baumpieper,  Kanarienvogel, 
schwaches  Dichten  der  Nachtigall  erinnern;  und  dann  hebt 
sich  der  Sänger  steil  empor  und  senkt  sich  zitternd  wie  ein 
Nachtschmetterling,  im  Balzflug  schwirrend,  immer  lullend 
und  zwitschernd  herab  auf  den  rohrbesetzten  Sandboden  der 
Uferhalde:  ein  Blaukehlchen!  und  dort  ein  zweites  in  vollem 
Uesang.  —  Weg  mit  den  beengenden  G-edanken  an  Italien! 
Hier  kommt  mir  ja  nun  doch  noch  eine  Pfingstfreude. 

Und  mit  einem  Male  auch  unter  mir  aus  einem  einzigen 
Eschengebüsch  ein  ganzes  Vogelkonzert;  bunt  durcheinander 
im  Wechsel  Töne  der  Nachtigall,  des  Finkenschlages,  der 
Rauchschwalbe,  Kohlmeise,  Grasmücke,  des  Sperlings  und 
Teichrohrsängers:  0  du  altvertratiter  Spötter;  Sumpfrohr- 
sänger!  der  du  hier  die  Klänge  aus  aller  Nachbarschaft 
gesammelt  heraussprudelst,  wie  schlicht  singt  gegen  dich 
der  ferne  unermüdliche  Teichrohrsänger!      Blaukehlchen  und 


Vogelwelt  und  Krieg.  11 

Sumpfrohrsänger,  beide,  Dichter  und  Spötter  vereint,  im  leuch- 
tenden Frieden  des  Ptingstabends  in  Feindesland.  — 

Klingt  da  nicht  im  Rohrdrosselgeschnarre  ein  bündiges 
Urteil  über  Italien  ? 

„Karre  karre  kit. 
Warte  du  Bandit!" 
Fortgürtel  von  Antwerpen,  Dr.  Rud.  Thielemann, 

Pfingsten  1915.  Stabsarzt  L.  II. 


Vogelwelt  und  Krieg. 

Stellenweise  liegen  wir  nur  50  m  von  den  Russen 

Interessieren  wird  es  Dich,  daß  sich  die  Vögel  um  das 
viele  Geschieße  gar  nicht  kümmern.  Über  dem  Eingange 
unseres  Unterstandes,  der  nur  ca.  500  m  hinter  dem  Schützen- 
graben liegt  und  des  Nachts  viel  Infanteriefeuer  bekommt, 
brüten  Schwalben.  Auch  alle  anderen  Vögel  trifft  man  direkt 
am  Schützengraben.  Sehr  viele  Lerchen  gibt  es  hier.  Ich 
sah,  wie  welche  kurz  vor  unseren  donnernden  Geschützen 
hochstiegen  und  ihr  Liedchen  sangen. 

l-l.  VI.  15.      (Aus  e.  Feldpostbriefe  m.  Bruders  Lt.  L.  Kleinschmidt. 

0.  Kl.) 

Die  wissenschaftliclie  Minderwertiglieit  von  Dar- 
wins Werk  über  die  Entstehung  der  Arten. 

1.  Fortsetzung.     (Siehe  Seite  6.) 

Die  Färbung  kann  selbstverständlich  schwanken.  Meine 
Sammlung  zeigt  davon  schönere  Beispiele  als  manches  große 
Museum.  Und  doch  bleiben  die  Farbstoffe  der  Art  dieselben, 
gerade  so,  wie  Vogeleier  bei  großer  Variabilität  einen  aus- 
geprägten Charakter  haben  können. 

Noch  deutlicher  ist  die  gleichmäßige  Übereinstimmung  der 
Gestalt  und  der  Größen  Verhältnisse*)  vielgebrauchter 
Organe.     Die  Flügellänge  schwankt  bei  jeder  Form  in  einer 


*)  Daß  Vogeleier  in  der  Größe  mehr  variieren  als  Vögel,  liegt  wohl 
zum  Teil  daran,  daß  ihie  Größe  unter  anderem  von  der  schwankenden 
Menge  des  aufgespeicherten  Nährstoffes  abhängig  ist.  Ebenso  schwankt 
das  Gewicht  der  Vögel  mehr  als  ihre  Größe,  je  nachdem  die  Körper  fett 
oder  mager,  Kropf  und  Magen  gefüllt  oder  leer  sind. 


12     Minderwertigkeit  von  Darwins  "Werk  über  Entstehung  der  Arten. 

gewissen  Pendelweite.  Wo  Größenangaben  in  zwei  ornitliolo- 
gischen  Werken  desselben  Landes  nicht  übereinstimmen,  liegt 
dies  daran,  daß  entweder  das  Material  unvollständig  war  oder 
mindestens  einer  der  beiden  Autoren  nicht  messen  gelernt  hat. 
Man  steht  oft  staunend  vor  dieser  Grieichförmigkeit 
der  Natur  wie  vor  einem  Wunder.  Ridgway  und  ich  fanden 
die  Flügellänge  der  Uferschwalbe  bis  111  mm.  Flückiger 
sammelte  in  Algerien  eine  stattliche  Reihe  der  Wüstenknacker- 
lerche,  Ramphocorys  clotbey.  Die  Flügellänge  schwankte 
zwischen  130  und  119  mm.  Hartert  und  Rothschild  sammelten 
erneut  eine  Reihe  dieser  Vögel.  Auch  bei  dieser  Reihe 
schwankte  die  Flügellänge  genau  zwischen  130  und  119  mm. 
Ich  könnte  ein  paar  Seiten  lang  ähnliche  Beispiele  mitteilen. 
Seit  mehr  als  25  Jahren  habe  ich  Vögel,  die  ein  Schwanken 
der  Artmerkmale  darzubieten  schienen,  zum  Gegenstand  inten- 
siven SpezialStudiums  gemacht.  Immer  war  das  Ergebnis: 
„Pendelschwankung  mit  konstanter  Pendelweite".  Keiner,  der 
meine  Arbeiten  kennt,  wird  mir  den  Einwurf  machen  können, 
daß  ich  wie  andere  Systematiker  „Nicht  Konstantes"  von 
vornherein  von  meinem  Interesse  aus  geschlossen  hätte.  Ich 
untersuchte,  was  viele  andere  als  „nicht  konstant"  wegwarfen 
und  unter  den  Tisch  fallen  ließen.  Daß  die  Arten  gleich- 
förmig sind,  ist  kein  Wunder,  wenn  man  von  vornherein  nur 
Gleichförmiges  zu  Arten  macht.  Ich  studierte  aber  das  Un- 
gleichförmige und  fand  die  Konstanz  der  Pendelweite  als 
unerwartete  Tatsache  in  der  Variation,  wo  ich  auch  sondierte. 
Wer  es  anders  findet,  möge  mich  belehren.  Darwin  ist  hierbei 
auf  meiner  Seite,  insofern  er  den  alten  Satz  von  der  größeren 
Einförmigkeit  des  Charakters  bei  echten  wildlebenden  Arten 
(„uniformity  of  character  in  true  species",  vgl.  Reclam  p.  41  *) 
anerkennt.  Er  „glaube,  daß  Arten  ein  leidlich  gut  abgegrenztes 
Objekt  darstellen  und  zu  gar  keiner  Zeit  ein  unentwirrbares 
Chaos  von  variierenden  und  vermittelnden  Gliedern  bieten" 
(228)**). 


*)  Ich.  zitiere  im  folgenden  nach  dieser  Ausgabe,  weil  sie  die  be- 
kannteste und  wohlfeüste  ist. 

**)  In  der  populär-darwinistischen  Literatur  (z.  B.  Günther,  D.  Dar- 
winismus u.  d.  Probleme  d.  Lebens,  p.  103)  wird  mit  Vorliebe  betont,  Darwin 
habe  die  „Arten  als  "Wirklichkeiten  zertrümmert''.     In  der  Tat  findet  sich 


Falsche  Front  (gegen  Konstanzlehre).  13 

Die  tatsächliche  Konstanz  der  Extreme  veranlaßte  Christian 
Ludwig  Brehm,  in  vielen  individuellen  Varietäten  rein  sich 
paarende  und  rein  züchtende  Familienschläge  zu  erblicken.  Ein 
Weilchen  kann  das  der  Fall  sein,  dann  tritt  Vermischung  ein.  Ich 
habe  ein  wunderbar  gleichgefärbtes  weißliches  Bussardpaar,  aber 
unter  meinen  gepaarten  Paaren  von  Lanius  collurio  ist  das 
größte  Männchen  mit  dem  kleinsten  Weibchen  und  das 
grau  rückigste  Männchen  mit  dem  rotrückigsten  Weibchen 
zusammen  geschossen.  Zwei  ganz  gleiche  semmelgelbe  Haus- 
sperlingsweibchen aus  zwei  Nachbardörfern  können  aus  dem- 
selben Gelege  stammen.  Daß  ich  aber  von  der  deutschen 
Rabenkrähe  ganz  genau  dieselben  Eiervarietäten  besitze,  die 
Bendire  von  der  amerikanischen  Rabenkrähe  abbildet,  erklärt 
sich  durch  die  Konstanz  der  Pendelweite,  nicht  dadurch,  daß 
ein  Stamm  von  Krähen  mit  einfarbig  braunen  Eiern  über  den 
Ozean  wanderte.  Die  amerikanischen  Krähen  sind  ja  ganz 
andere  Rassen  als  unsere.  So  gut  wie  ein  Kristall  seine  Flächen 
hat,  hat  das  Variationsbild  seine  Grenzen  und  damit  seine 
regelmäßige  Gestalt.  Schade,  daß  dies  Krause  in  seinem  mühe- 
vollen Eierwerk  nicht  deutlich  darzustellen  wußte.  Im  Studium 
der  Variation  liegt  ja  der  wissenschaftliche  Wert  der  Oologie. 
Eiervarietäten  wiederholen  sich,  nicht  nur  in  denselben  Gelegen 
und  nicht  nur  in  den  Produkten  derselben  Weibchen.  Die 
Form  variiert,  ihre  Variation  ist  konstant,  sobald  die  Sammlung 
groß  genug  ist.  In  diesem  Sinne  sind  selbst  die  variabelsten 
Naturgebilde  gleichförmig  =  konstant.  Maximalmaße  wären 
sonst  nicht  möglich.  Es  tauchen  mit  wunderbarer  Konstanz 
immer  wieder  unabhängig  voneinander  dieselben  Extreme  auf. 

Die  Konstanzfrage  im  Sinne  einer  Unveränderlich- 
keit  der  Arten  in  der  Zeit. 
„Konstanz    der    Arten"    bedeutet    etwas    ganz    anderes, 
wenn    man    von    der    Gleichförmigkeit   gleichzeitiger   Wesen 

neben  der  oben  zitierten  Meinung  die  entgegengesetzte  Gedankenlinie. 
Darwin  zitiert  zustimmend  (S.  83)  den  Satz  Candolles :  „Sie  sind  im  Irr- 
tume,  die  da  wiederholen,  daß  die  Mehrheit  unserer  Arten  deutlich  be- 
grenzt sind."     Also 

Seite  83,  Seite  228. 

=    Candolle:    „Mehrheit    der  Arten  leidlich  gut  abgegrenzt 

Arten   nicht   deutlich    begrenzt      („well  defined  objects'').  — 
(nicht:  „clearly  limited").  — 


1 4     Minderwertigkeit  von  D  arwins  Werk'  über  Entstehung  der  Arten . 

absieht  und  an  die  Gleichförmigkeit  einer  Nachkommen- 
reihe denkt. 

Darwins   hier   kritisiertes  Werk   schließt   mit  dem  Satz: 

„Es  liegt  etwas  G-roßartiges  in  dieser  Ansicht", „daß, 

während  dieser  Planet  gemäß  den  bestimmten  Gesetzen  der 
Schwerkraft  im  Kreise  sich  bewegt,  aus  einem  so  schlichten 
Anfang  eine  endlose  Zahl  der  schönsten  und  wundervollsten 
Formen  entwickelt  wurden  und  noch  entwickelt  werden"  („have 
been  and  are  being  evolved").  Schärfer  ausgedrückt  heißt 
das:  die  Erde  bewegt  sich  jetzt  in  festem  Kreislauf.  Das 
Leben  auf  ihr  ist  dagegen  noch  in  Veränderung  begriffen*). 
Zunächst  stehen  sich  also  zwei  Behauptungen  gegenüber : 

a)  die  Lehre  von   der  zeitlichen  Konstanz  (Un Veränder- 
lichkeit) in  der  Gegenwart  bzw.  Neuzeit; 

b)  die  Lehre    von    der   Neubildung   von  Arten   noch   in 
der  Gegenwart. 

Welche  Ansichten  findet  man  darüber  heute? 

1.  Besonders  in  populären  Schriften  ist  die  leichtfertige 
Behauptung  nicht  selten,  es  sei  in  mehreren  Fällen  gelungen, 
die  Entstehung  neuer  Arten  in  der  Gegenwart  direkt  zu 
beobachten.  Diese  Arten  sind  aber  erstens  keine  wirklichen 
Arten,  zweitens  sind  sie  nicht  gründlich  untersucht,  und 
drittens  ist  keine  dabei,  von  der  behaujjtet  werden  könnte,  sie 
sei  in  der  Natur,  d.  h.  ohne  Zutun  des  Menschen  entstanden. 
Bemerkenswert  ist  schon  hier  die  Beschränkung  auf  wenige 
schwer  kontrollierbare  Fälle,  womit  Konstanz  in  der  Gegen- 
wart als  Regel  unfreiwillig  zugegeben  ist. 

2.  Die  Anhänger  von  de  Vries  lehren,  daß  neue  Arten 
plötzlich  auftauchen  und  dann  sofort  konstant  weitererben 
können.  Es  handelt  sich  hier  nur  um  Isolierung  von  Varie- 
täten und  um  Meinungen,  die  auf  ornithologischem  Gebiet 
seit  60  Jahren  widerlegt  sind.  Die  Verdienste  der  de  Vries - 
sehen  Schule  will  ich  hiermit  nicht  herabsetzen,  so  wenig 
wie  die  von  C.  L.  Brehm. 

3.  Ernste   Naturkenner   wissen,    daß   Neubildungen    von 


*)  Es  ist  sehr  bemerkenswert,  daß  Darwin  den  Glauben  „an  ein 
eingeborenes  und  nötiges  Gesetz  der  Entwicklung"  (275),  wonach  die 
Natur  „im  ganzen  vorgeschritten  sei"  (492)  ablehnt  oder  doch  anderen 
zuschiebt  und  diesen  Glauben  von  seiner  Zuchtwahllehre  fern  hält. 


Falsche  Front  (gegen  Konstanzlehre).  15 

Arten  in  der  Gegenwart  nicht  feststellbar  sind.  Dies  führte 
zur  Aufstellung  der  Uhrzeigerhypothese.  Die  Neubildung, 
d.  h.  Umbildung  der  Arten  in  der  Gegenwart  soll  hiernach 
so  langsam  und  allmählich  stattfinden,  daß  sie  unsichtbar 
ist,  wie  die  Bewegung  eines  Uhrzeigers,  die  sich  erst 
nach  einiger  Zeit  feststellen  läßt.  Diese  Ansicht  vertreten 
viele  moderne  Zoologen,  z.  B.  Herr  Dr.  Gengier.  Er  empfiehlt 
genaue  Beschreibung  der  Abweichungen,  wie  sie  in  Berajah 
erfolge,  weil  sich  dann  später  die  Veränderungen  erkennen 
ließen. 

4.  Was  mann  sagt  (Die  moderne  Biologie  und  die  Ent- 
wicklungstheorie, zweite  vermehrte  Auflage  1904,  Seite  207): 
„Die  paläontologischen  Befunde  deuten  uns  zur  Genüge  an, 
daß  auch  die  früheren  Erdepochen  längere  Perioden  der  Kon- 
stanz mit  kürzeren  Perioden  der  Umbildung  der  organischen 
Formen  abwechselten.  Wenn  wir  uns  daher  gegenwärtig 
in  einer  Periode  der  relativen  Un Veränderlichkeit 
der  organischen  Formen  befinden,  so  werden  wir  uns 
vergebens  nach  tatsächhchen  Umwandlungen  der  uns  um- 
gebenden Arten  umsehen;  aber  daraus  folgt  noch  nichts  gegen 
die  Deszendenztheorie." 

Dies  kommt  eigentlich  der  Ansicht  Darwin s  am  nächsten. 
Darwin  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß  „jede  Form  lange 
Perioden  hindurch  unverändert  bleibt  und  dann 
wieder  Modifikationen  unterliegt"  (Seite  161).  Er 
spricht  davon,  daß  Organe  „im  Lauf  der  Zeit  konstant  werden" 
daß  sie  wie  die  Flügel  der  Fledermaus  „schon  seit  unermeß- 
lichen Zeiten  fast  in  demselben  Zustand  vorhanden"  sind 
(Seite  205).  Die  generative  Veränderlichkeit  sei  nur  in  der 
Jugendzeit  der  Abänderung  noch  in  hohem  Grade  vorhanden. 

Darwin  läßt  es  gelten,  daß  „keine  der  uns  bekannt  ge- 
wordenen Tiere  und  Pflanzen  Ägyptens  während  der  letzten 
drei  oder  vier  Jahrtausende  sich  verändert  haben",  daß  „viele 
Tiere  seit  Beginn  der  Eiszeit  unverändert  geblieben  sind", 
daß  „wenige  oder  gar  keine  Abänderungen  seit  der 
Eisperiode  bewirkt  wurden"  (Seite  275).  Darwin  wider- 
spricht hier,  vielleicht  von  sachlichen  Einwürfen  seiner  Gegner 
in  die  Enge  getrieben,  dem  oben  zitierten  Schlußsatze  seines 
Werkes. 


16      Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  über  Entstehung  der  Arten . 

5.  Eine  viel  radikalere  Ansicht  findet  man  da,  wo  man 
es  am  wenigsten  erwarten  sollte,  in  den  Kreisen,  die  Darwin 
und  Häckel  eine  geradezu  schwärmerische*)  Verehrung  zollen, 
aber  durch  Angriffe  in  neuerer  Zeit  zu  sorgfältigerer  Formu- 
lierung ihrer  Behauptungen  gezwungen  sind.  Ich  las  in  einer 
Veröffentlichung  von  dieser  Seite  den  Ausdruck  „Erstarrung 
seit  dem  Tertiär".  Im  VI.  Jahrgang  der  Zeitschrift  „Der 
Monismus"  findet  sich  auf  Seite  114/115  ein  Artikel  von 
A.  Scholta,  Dresden,  mit  der  Überschrift :  „Warum  findet  heute 
keine  Bildung  neuer  Arten  mehr  statt?"  Der  Verfasser  sagt, 
das  Leben  sei  immer  konstanter  geworden  durch  Abnahme 
der  Umwandlungsfähigkeit  und  Abnahme  sowie  Konstant- 
werden der  Einflüsse. 

Ob  man  diese  völlige  Erstarrung  oder  periodische  Er- 
starrung oder  die  Uhrzeigerhypothese  annimmt,  der  in  der 
Gegenwart  bei  all  diesen  Ansichten  tatsächlich  beobachtete**) 
Normalzustand  ist  die  Konstanz,  über  die  dann  jeder  seine 
eigenen  Gedanken  ausspinnt. 

Wollte  man  Machetes,  Buteo,  Pernis  und  ähnliche  Bei- 
spiele als  Arten  betrachten,  die  noch  in  Umbildung  begriffen 
sind,  so  müßte  hier  die  Natur  mit  Siebeumeilenstiefeln  vor- 
wärts laufen.  Ich  kaufte  kürzlich  von  Schlüter  einen  alten 
Wespenbussard  von  so  dunkler  Färbung,  wie  ich  sie  nur  ein- 
mal vor  Jahren  auf  einer  Jagdausstellung  in  Kassel  sah.  Vom 
alten  Brehm  liegt  mir  aber  noch  ein  zerfetzter  Pernisbalg 
vor,  der  diesem  extremen  Pendelausschlag  aufs  genaueste 
gleicht.  An  eine  Artspaltung  in  der  Gegenwart  ist  hierbei 
so  wenig  zu  denken,  wie  etwa  an  eine  gegenwärtige  Spaltung 
Deutschlands  in  eine  blonde  und  eine  braunharige  Nation. 

Wird  für  die  Gegenwart  Konstanz  der  Arten  angenommen, 
so  bleiben  zwei  weitere  Ansichten  zu  besprechen: 


*)  In  der  neuesten  Nummer  des  „Monistischen  Jahrhunderts"  ver- 
steigt sich  diese  zu  der  Bemerkung,  daß  „Kants  Kritiken  durch  den 
Darwinismus  geradezu  torpediert  worden"  seien  (Jahrg.  4,  pag.  244). 

*♦)  De  Vries  sagt:  „Die  Konstanz  ist  Beobachtungstatsache"  (Vor- 
trag Hamburg  1901,  pag.  8).  Buekers  bemerkt  am  Schluß  seiner  „Ab- 
stammungslehre" (Leipzig,  Quelle  &  Meyer  1909,  pag.  343):  „Die  Kon- 
stanz der  Arten  beruht  auf  Erfahrung.  In  der  historischen  Zeit  hat 
man  nie  eine  neue  Art  entstehen  sehen." 


Falsche  Front  (gegen  Konstanzlehre).  17 

c)  die  Meinung,   die  jetzt  konstanten   Arten   seien   auch 
früher  konstant  gewesen ; 

d)  die  Meinung,  die  jetzt  konstanten  Arten  seien  früher 
veränderlich  gewesen. 

Die  Meinung  c  wird  von  ihren  Gegnern  meist  so  ver- 
standen, als  ob  nach  ihr  die  Tiere  aus  Porzellan  wären.  Es 
wird  dabei  ein  Strohmann  zurechtgemacht,  den  man  in  die 
Vorstellungen  kleiner  Kinder  einkleidet.  Dieser  Strohmann 
ist  die  angebliche  Konstanzlehre.  So  hat  man  einen  leichten 
Sieg,  einen  Sieg  über  Fünfjährige.  Man  sagt:  „Seht,  wie 
sinnlos  wäre  eine  stillstehende  tote  Welt  aus  Porzellan!"  Man 
vergißt,  daß  eine  Welt,  die  zeitlebens  mit  der  Trennung  der 
Arten  sich  abplagte,  noch  viel  sinnloser  und  rückständiger 
wäre.     Sie  wäre  in  ihren  Anfängen  stecken  geblieben. 

Die  wissenschaftliche  Konstanzlehre  ist  etwas  ganz 
anderes.  Nach  Darwin  sind  die  Arten  permanent  gewordene 
Varietäten,  deren  Konstanz  sich  erst  durch  Zuchtwahl  regelt. 
Die  Natur  war  aber  immer  militaristisch.  Sie  arbeitete  mit 
uniformierten  Armeen,  mit  Arten. 

Professor  Dr.  Otto  Jaekel,  meines  Wissens  der  erste 
Paläontologe,  der  die  fossilen  und  lebenden  Wirbeltiere  in 
einer  Übersicht  zusammenstellte  („Die  Wirbeltiere",  Berlin 
1911),  urteilt  in  den  Verhandlungen  des  V.  Internationalen 
Zoologenkongresses,  Seite  1060  (über  die  Bildung  der  Arten), 
daß  es  in  der  Paläontologie  geradesogut  feste  Arten 
gibt  wie  heute  und  daß  die  Variationsbreite  fossiler  Schnecken 
„nicht  größer  ist  als  die  variabler  Landschneckenarten  der 
Gegenwart".  Die  Paläontologie  zeigt  nicht  ein  Chaos, 
sondern  Arten.  Diese  Gleichförmigkeit  der  Arten  in  ihren 
gleichzeitig  lebenden  Individuen  beweist  natürlich  nichts  gegen 
die  Annahme  von  Veränderungen  der  ganzen  Nachkommen- 
reihe in  der  Zeit. 

„Constare"  bedeutet  nicht  nur  ein  Stillstehen,  ein 
Haltmachen  z.  B.  von  Soldaten  oder  von  fließendem  Wasser, 
sondern  ein  Sich-treu-bleiben  in  der  Bewegung,  in  der  einmal 
eingeschlagenen  Richtung.  In  der  letzteren  Bedeutung  gibt 
das  Wort  Konstanz  das  wieder,  was  mit  den  Arten  in  der 
Vergangenheit  geschah,  in  der  ersten  Bedeutung  etwas,  was 
vielleicht  in  der  Gegenwart  der  Fall  ist. 


18  Strix  hostilis,  form.  nov. 

In  diesem  Sinne  wird  sich  ein  Kenner  der  Natur  stets 
zur  Konstanzlekre  bekennen  müssen. 

Diese  Konstanzlehre  nimmt  größere  Veränderungen  der 
Arten  an  als  der  Darwinismus.  Man  vergleiche  in  Falco  1914 
pag.  4  Martorellis  Bemerkung  über  Falco  candicans  und  biar- 
micus,  die  ich  vereinige.  Wir  werden  auf  diesem  Wege  end- 
lich entdecken,  was  die  Arten  sind,  deren  Wesen  Darwin  „un- 
entdeckbar"  nannte  (Seite  655).  Ihre  wirkliche  Entstehung 
wird  dann  klar  vor  unsern  Augen  liegen. 

Man  hat  Darwins  Hauptfront  in  der  Ablehnung  der 
Zweckmäßigkeitslehre,  der  Katastrophenlehre  und  pseudo- 
wissenschaftlicher Spielereien  mancher  Systematiker  sehen 
wollen.  Auf  die  erstere  komme  ich  am  Schlüsse  dieses  Artikels 
zu  sprechen.  Die  Katastrophentheorie  fand  Darwin  bereits 
aufgegeben  vor  (Seite  461).  Die  gekünstelten  Systeme  oder 
Schöpfungspläne  waren  schon  vor  Darwins  Geburt  abgetan 
von  den  drei  deutschen  Meistern,  denen  ich  unten  ein  beson- 
deres Kapitel  widmen  werde.  0.  Kl. 
(Fortsetzung  folgt.) 


Strix  hostilis,  form.  uov. 

Sechs  englische  Schleiereulen  (zwei  in  Coli.  KL,  vier  in 
Coli.  V.  Erl.)  zeigen  gegenüber  zehn  S.  alba  von  Siena  und 
Ravenna  (Coli.  v.  Erl.)  sowie  gegenüber  vielen  S.  ernesti  von 
Sardinien  (Coli.  Kl.)  eine  Lauflänge,  die  zwischen  niedrigeren 
Extremen  schwankt.  Ich  nenne  die  englische  Form  hostilis 
(Typen  cf  9  in  Coli.  Kl.).  Ich  hatte  Harte rt  darauf  auf- 
merksam gemacht.  Vergleiche  dessen  Bemerkungen  in  V. 
p.  F.  Skeletmaße  sind  sicherer  als  Balgmaße.  Der  einfachste 
Weg  zu  exaktester  Feststellung  der  Pendelweite  für  England, 
Italien,  Ägypten,  Nubien  würde  darin  bestehen,  daß  man  vom 
langläufigsten  und  kurzläufigsten  Stück  jedes  Landes  am  Balg 
einen  Mittelfußknochen  auslöst  bzw.  freilegt,  oder  daß  man 
gleich  bei  der  Präparation  die  Beinlängen  mißt,  wie  ich  das 
immer  mit  der  Schwanzfedernlänge  zu  tun  pflege.  Eine  Vogel- 
sammlung darf  nicht  nur  Bälge  enthalten.  Ich  bewahre  schon 
lange  möglichst  zu  jedem  Stück  Skeletteile   auf.     Es    ist   un- 


Passer  hostilis.  form.  nov.  19 

wissenschaftlich,  aus  Bequemlichkeit  Skeletunterschiede  (vgl. 
Tafel  X  meiner  Schleiereulen-Monographie)  glatt  zu  ignorieren, 
denn  Ignorieren  führt  zur  Ignoranz.  Das  kurzläufige  Extrem 
der  weißen  Schleiereulenformenreihe  Sennaar  -  England  darf 
nicht  nomenklatorisch  ignoriert  werden*).  Genaueres  später 
in  Berajah!  0.  Kleinschmidt. 


Passer  hostilis,  form.  nov. 

Die  Scheu,  wenig  verschiedene  Nachbarformen  zu  trennen, 
führt  leicht  zu  deren  Gleichsetzung  und  damit  zur  Gleich- 
setzuug  entfernter  Glieder  einer  Formenkette.  So  haben  die 
vorsichtigen  Amerikaner  den  Haussperling  Passer  domesticus 
genannt.  Dabei  messen  jedoch  14  amerikanische  Stücke  nach 
Ridgway  71,63  bis  78,99  mm,  357  deutsche  Stücke  75  bis 
86  mm  (Flügellänge).  Ich  schoß  und  präparierte  1897  in 
Tring  einige  Haussperlinge,  mit  derselben  Variation  des  Rücken- 
gefieders wie  unsere.  Vielleicht  ist  die  weißstreifige  Variation 
etwas  ausgeprägter.  An  diesen  Vögeln  fiel  mir  die  sehr  ge- 
ringe Größe  schon  in  der  Gesamterscheinung  auf.  Ich  sam- 
melte etwa  90  Bälge  kontinentaler  Stücke.  Außerdem  habe 
ich  bis  jetzt  von  357  mitteldeutschen  Vögeln,  die  ich  sorg- 
fältig wog  und  maß,  je  einen  Flügel  präpariert.  Ferner  be- 
sorgte mir  die  Firma  Schlüter  50  Haussperlingsflügel  aus 
Schweden.  Genaue  Tabellen  gebe  ich  später  in  Berajah.  Die 
Schweden  stehen  den  deutschen  Vögeln  nahe,  sind  aber  etwas 
kleiner.  Vielleicht  kann  man  daher  sogar  den  mitteldeutschen 
Sperling  vom  Schweden  als  pagorum  Brehm  sondern.  Jeden- 
falls aber  ist  der  englische  trennbar  und  wolil  mit  dem 
Amerikaner  identisch,  dessen  Maße  noch  etwas  über  79  hin- 
ausgehen dürften.  Ich  nenne  beide  hostilis'^*).  Ich  würde  zu- 
nächst den  Amerikaner  so  benennen,  wenn  er  nicht  als  im- 
portierter Vogel  ein  unnatürliches  Faunenglied  wäre.  Ich 
hatte    Hart  er  t    aufgefordert,    eine    große    Serie    englischer 


*)  Die  Ornithologie  ist  nicht  zum  bequemen  Sortieren  von  Vogel- 
arten da,  sondern  zum  Prüfen  von  Abstammungsfragen  der  Natur- 
geschichte („Physiogonie"). 

**)  Typus  Tring  in  Coli.  Kl. 


20     Wie  nnterscheiden  sich  die  Pulli  von  Tordalk  und  Trollumme? 

Sperlingsflügel  und  -gewichte  zu  sammeln.  Er  konnte  aber 
in  England  keine  Grammwage  auftreiben  und  schien  der 
Frage  skeptisch  gegenüberzustehen.  Dagegen  kam  S  t  r  e  s  e  - 
mann  zu  demselben  Resultat,  wie  ich,  ließ  sich  aber  durch 
den  Widerspruch  englischer  Ornithologen  von  einer  Veröffent- 
lichung abschrecken.  Die  stete  Wiederkehr  derselben  Zahlen 
in  meinem  Material  und  die  zu  niedrigen  Maßangaben  Har- 
te r  t  s  machen  mein  Ergebnis  nun  sicher.  Es  wäre  inter- 
essant, ob  der  Sperling  auch  lokal,  d.  h.  in  Stadt  und  Land, 
variiert  oder  nicht*).  Jedenfalls  bildet  die  Kleinheit  ameri- 
kanischer Stücke  nicht  einen  Beweis  für  rasche  Veränderlich- 
keit, sondern  einen  Beweis  für  die  von  Virchow  festge- 
stellte Persistenz  des  Rassencharakters,  denn  der  amerikanische 
Sperling  stammt  wohl  hauptsächlich  aus  England. 

Die  hostile  Schleiereule  und  der  hostile  Sperling  werden 
sicherlich  in  ihrer  Heimat  eine  hostile,  d.  h.  ablehnende,  Be- 
handlung erfahren.  Uns  mag  das  gleichgültig  sein,  da  wir 
sie  nicht  im  Interesse  britischer  Ornithologen  benannt  wissen 
wollen,  sondern  im  Interesse  der  Gründlichkeit  deutscher 
Wissenschaft.  0.  Kleinschmidt. 


Wie  unterscheiden  sich  die  Pulli  von  Tordalk 
und  Trollumme? 

Hierzu  Tafel  I  und  11. 

Es  macht  vielen  Ornithologen  Schwierigkeiten,  junge 
Alca  torda  und  Uria  troille  im  Balg  zu  unterscheiden.  Im 
Leben  ist  das  sehr  leicht:  der  Tordalk  ist  schwärzer  und  hat 
einen  kürzeren  höheren,  vorn  stumpferen  Schnabel  als  die 
hellgefärbte  Lumme,  also  eigentlich  dieselben  Kennzeichen, 
wie  im  Alter,  nur  weniger  ausgeprägt. 

Zufällig  erhielt  ich  auf  Helgoland  vom  Lummenfelsen  auch 
mal    einen   jungen  Tordalken,    von    denen  jährlich  nur  noch 


*)  Die  von  einem  Laien  stammende  Beliauptung,  der  französische 
Sperling  sei  viel  größer  als  der  deutsche,  die  unlängst  in  der  Orn.  Mo- 
natsschrift auftauchte,  wurde  dort  schon  widerlegt.  Übrigens  konnte 
ich  die  Ansicht  des  Freiherrn  von  Berlepsch,  daß  die  Männchen  an 
Zahl  erheblich  überwiegen,  bisher  an  meinem  Material  nicht  bestätigt 
finden. 


Falco  1915. 


Taf.  I. 


^"^fm 


Junge  Lumme  und  junger  Tordalk. 

Helgoland. 


Falco  1915. 


Taf.  II. 


Junger  Tordalk. 

Helgoland. 


Phaetoniis  fuliginosus  muß  Phaetoreis  fumosus  Schlüter  heißen.      21 

ca.  3  Stück  ausgebrütet  werden.  Seine  Bilder  in  verschiedenem 
Alter,  zumal  im  Vergleich  zu  einer  gleichalterigen,  allerdings 
etwas  kränklichen  Lumnie,  werden  besser  als  viele  Worte  die 
Unterschiede  zeigen*). 

Vogelwarte  der  Bioh  Anstalt  Dr.  Hugo  Weigold. 

auf  Helgoland. 


Phaetoniis  fuligiiiosus  Schlüt  (nee  Siiiioii) 

muß 

Phaetornis  fumosus  Schlüter 

heißen.  Als  ich  im  Falco  1913  pag.  32  eine  neue  Phaetornis- 
art  unter  dem  Namen  „Ph.  fuliginosus"  beschrieb,  war  mir 
nicht  bekannt,  daß  E.  Simon  in  der  „Ornis"  vol.  XI  pag. 
201  bereits  eine  andere,  bis  dahin  unbekannte  Phaetornisart, 
als  Ph.  fuliginosus  beschrieben  hatte!  Erst  kürzlich  machte 
mich  Herr  C,  E.  H  e  1 1  m  a  y  r ,  Kustos  der  zool.  Samml.  d. 
St.  in  München,  darauf  aufmerksam,  daß  der  Name  Ph.  fuli- 
ginosus bereits  durch  Simon  in  der  oben  angegebenen  Zeit- 
schrift präokkupiert  sei. 

Da  nun  beide  Arten  grundverschieden  sind,  sehe  ich 
mich  veranlaßt,  den  von  mir  beschriebenen  Phaetornis  nun- 
mehr „Phaetornis  fumosus"  zu  nennen. 

Halle  a.  S.,  im  April  1915.  Willy  Schlüter. 


Einige  Beobachtungen  von  Parus  Salicarius. 

1.  Mitte  März  dieses  Jahres  (1915)  beobachtete  ich  mit 
meinem  Neffen  in  Kulmbach  unweit  der  Stadt  im  Maintale 
ein  Pärchen  Weidenmeisen,  das  sich  ziemlich  unstät  im  lichten 
Weidengebüsch  umhertrieb.  Hier  hörte  ich  außer  dem  mir 
schon   bekannten  Locki'uf   zum   ersten  Male  auch    den  über- 


*)  Ich  hatte  Herrn  Dr.  Weigold  empfohlen,  darauf  zu  achten, 
da  der  Fall  im  Hinblick  auf  die  „biogenetische  Regel"  von  Interesse  ist. 
Die  hier  abgebildeten  Vögel  befinden  sich  schon  im  zweiten  Kleide.  Im 
ersten  Kleide  sehen  kleine  Lummen  anders  aus.  Sie  haben  dann  eine 
auffallende  Streifenzeichnung  an  der  Kehle.  Vom  Tordalk  besitze  ich 
das  Kleid,  in  dem  er  das  Ei  verläßt,  noch  nicht,  von  der  Lumme  da- 
gegen alle  Stadien.  O.  Kl. 


22  Erinnermigen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch. 

raschend  weiclieii,  melodisclieii  Gesang;  die  einzelne  Strophe 
besteht  aus  einem  6 — 12  mal  in  schneller  Folge  wiederholten 
flötenartigen,  fast  gepfiffen  klingenden  „dsi".  —  Hang  mit 
Kiefern  in  der  Nähe! 

2.  Ende  August  höre  ich  (an  derselben  Örtlichkeit  mit 
P.  palustris)  in  einem  Seitenteile  mit  Nadelwald  (Fichten  und 
Kiefern)  und  Erlen,  in  dem  an  einer  Stelle  in  Felsspalten  das 
seltsame  Leuchtmoos  vorkommt  (Schistotega  osmundacea)  eben- 
falls verschiedene  Weidenmeisen. 

3.  Ungefähr  in  derselben  Zeit  begegne  ich  unserm  Vogel 
an  mehreren  Stellen  zwischen  dem  Fichtelgebirge  und 
Wunsiedel;  ja  eine  ganze,  recht  flüchtige  Familie  überrascht 
mich  in  W.  selbst,  wo  der  Weg  nach  der  Luisenburg  abgeht. 

In  Franken  dürfte  P.  Salicarius  stellenweise  beinahe 
häufig  sein. 

4.  Daß  ich  um  Oberstdorf  i.  Allgäu  die  Weidenmeise 
nicht  selten  beobachtet  habe  (im  September),  hat  mich  nicht 
entfernt  so  überrascht,  als  auf  dem  Rücken  des  fast  ganz  mit 
Schnee  bedeckten  „Nebelhorn"  (2400  m)  eine  vereinzelte  Saxi- 
cola  oenanthe  anzutreffen.  Dagegen  war  mir  es  eine  beson- 
dere Freude,  als  ich  Mitte  Oktober  gelegentlich  einer  bryo- 
logischen  Fahrt 

5.  an  der  Saale  bei  Maua  (1  Std.  saaleaufwärts  von  Jena) 
ein  Pärchen  kurz,  aber  hinreichend  beobachten  konnte.  Ob 
diese  Art  in  der  Zunahme  begriffen  ist? 

Naumburg.  C.  Lindner. 


Erinneriiiigeii  an  Graf  Haus  von  Berlepsch 

t  am  27.  Februar  1915. 

(Mit  Bildnis.) 
Ein  Ahnherr  der  alten  Ritter  von  Berlepsch  wählte  den 
Edelsittich  (Palaeornis)  zum  Wappentier.  Nach  vielen  Gene- 
rationen erwacht  in  einem  Sproß  des  Hauses  das  Interesse  für 
die  farbenprächtige  tropische  Vogelwelt.  Ob  das  Zufall 
ist?  Und  ob  es  Zufall  ist,  daß  gleichzeitig  ein  Namensvetter, 
einer  anderen  Linie  desselben  Stammes  angehörig,  sich  für 
den  Vogelschutz   begeistert   und    auf  diesem  Gebiet  ebenso 


Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch.  23 

reichen  Lorbeer  erntet,  wie  der  andere  durch  die  Erforschung 
der  Urwaldgeheimnisse  Südamerikas? 

Graf  Hans  von  Berlepsch  richtete  seine  zahlreichen 
Veröffentlichungen  nicht  an  das  große  Publikum,  nicht  ein- 
mal an  alle  Vogelkenner.  Er  schrieb  für  einen  kleinen  Kreis 
eingeweihter  Spezialisten.  Daraus  erklärt  sich  die  merk- 
würdige Tatsache,  daß  der  Ornithologe  und  Ornithogeograph 
von  weitestem  Weltruf  in  seinem  Vaterlande  vielen  Ornitho- 
logen  und  Zoologen  wenn  auch  nicht  ein  Unbekannter,  so 
doch  ein  Fremder  blieb.  Von  Fernerstehenden  wurde  er  viel- 
fach mit  seinem  Vetter,  dem  Freiherrn  Hans  von  Berlepsch, 
für  ein  und  dieselbe  Person  gehalten.  Dies  ging  so  weit,  daß 
einmal  ein  französischer  Orden  zurückgesandt  wurde,  weil 
weder  der  Empfänger  noch,  wie  es  schien,  der  Absender 
wußte,  ob  die  Ehrung  dem  „Kolibri-Berlepsch"  oder  dem 
„Vogelschutz-Berlepsch"  galt.  Der  gleiche  Vorname  und 
der  Umstand,  daß  auch  der  Graf  vor  Antritt  des  Majorates 
den  Freiherrntitel  trug,  werden  selbst  für  die  Nachwelt  zu 
mancher  Verwechslung  führen.  Dazu  kommt  die  Ironie  des 
Schicksals,  daß  der  Seebacher  Vetter  Paraguay  und  Brasilien 
bereist  hat,  während  der  intimste  Kenner  südamerikanischer 
Urwalds-Avifaunen  den  Tropen  fernblieb*). 

Graf  von  Berlepsch  hatte  wenige  Schüler.  Ich  weiß 
nur  vier,  und  vielleicht  war  es  keiner  ganz,  auch  ich  nicht, 
aber  ich  bin  stolz  darauf,  zu  ihnen  zu  gehören.  Fast  zwei 
Jahre  hatte  ich  den  Vorzug,  mit  dem  Meister  der  Systematik 
und  der  Sammeltechnik  als  sein  angestellter  wissenschaftlicher 
Assistent  zu  arbeiten.  Ein  Monat  bei  Graf  Berlepsch  ist  mehr 
wert  als  ein  Jahr  zoologischen  Universitätsstudiums.  Wer 
den  Verstorbenen  näher  kannte,  weiß,  daß  damit  nicht  zuviel 
gesagt  ist,  denn  es  handelt  sich  ja  um  Practica,  die  auf  keiner 
Universität  gelehrt  werden  und  auf  keiner  Universität  der 
Welt  bekannt  sind. 

Im  diesjährigen  Oktoberheft  des  Journals  für  Ornitho- 
logie hat  Hellmayr  ein  sympathisches  Lebensbild    des  Ver- 


*)  Vielleiclit  blieb  ihm.  eine  Enttäuschung  erspart,  Baron  fand, 
den  Wald  bei  Schloß  Berlepsch  schöner,  frischer  als  den  tropischen. 
„Hier  sind  die  Blätter  wie  gewaschen",  sagte  er. 


24  Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch. 

storbenen  gezeichnet  und  seine  Leistungen  für  die  wissen- 
schaftliche Ornithologie  allseitig  besprochen,  so  daß  daran 
nichts  zu  verbessern  ist.  Ich  verweise  den  Leser  auf  diesen 
warm  empfundenen  Nachruf  und  das  ihm  beigefügte  Ver- 
zeichnis von  Graf  Berlepschs  Veröffenthchungen. 

In  nachstellendem  teile  ich  einiges  von  meinen  persön- 
lichen Erinnerungen  mit,  wovon  ich  annehme,  daß  es  von 
allgemeinem  Interesse  ist,  d.h.  nicht  nur  für  den  ornitho- 
logischen  Spezialisten,  sondern  für  jeden  zoologischen 
Sammler  und  Forscher. 

Für  einen  Privatsammler  ist  jedes  Stück  seiner 
Sammlung  mit  eigenen  Erlebnissen  der  Erbeutung  oder  der 
oft  schwierigen  Erwerbung  verknüpft.  Daraus  erwächst  eine 
Liebe  zur  Sache  und  eine  Vertrautheit  mit  dem  Untersuchungs- 
material, wie  sie  selbst  die  gewissenhafteste  Beschäftigung 
mit  fremdem  Material  schwerlich  zu  geben  vermag.  Diese 
liebevolle  Sorgfalt  zeigte  sich  schon  in  den  Äußerlichkeiten 
der  Sammeltechnik.  Die  Originaletiketten  wurden  nicht 
entfernt  und  durch  Museumsetiketten  ersetzt,  sondern  als 
wertvolle  Urkunden  an  den  Bälgen  belassen.  Die  daneben 
sicher  festgebundenen  Museumsetiketten  ließen  durch  Zusätze, 
wie  Geschlecht  „nach  Sektion",  Fundort  „nach  Originaletikett", 
Fundort  „nach  Präparation",  „erhalten  von  N.  N.",  „gesam- 
melt von  N.  N.",  „erlegt  und  präpariert  von  N.  N.",  „fide 
N.  N."  usw.,  genau  erkennen,  wieweit  jede  Angabe  zuverlässig 
war.  Durch  langjährige  Übung  gewann  der  Graf  ein  großes 
Geschick,  aus  der  Präparationsweise  die  Herkunft  unsicherer 
Bälge  zu  bestimmen,  denn  die  Präparation  ist  wie  eine  Hand- 
schrift und  manchmal  ein  sichererer  Wegweiser  als  leicht- 
fertige Angaben.  Die  Heimatangabe  wurde  durch  Einklam- 
mern ausdrücklich  von  Fundortsangaben  unterschieden*). 


*)  Auf  älteren  Museumsetiketten  ist  so  oft  niclit  zu  ersehen,  ob 
die  angegebene  Lokalität  die  Heimat  der  Art  oder  den  Fundort,  d.  h. 
die  wirkliclie  Herkunft  des  betreffenden  Stückes,  bezeichnen  soll.  Da- 
durch wird  so  mancher  seltene  Vogel  wissenschaftlich  geradezu  ent- 
wertet. 

(Fortsetzung  in  Nr.  3  [Schlußnummer]  des  Jahrgangs.) 


Druck  von  Gabauer-Schwetsohke  Q.  m.  b.  H.,  Halle  a.  S. 


yv^-?'- 


FALCO. 


Elfter  Jahrgang. 


Nr.  3.     Schlußnuminep  des  Jahrgangs.      i^i^- 


Sckriftleiter:   O.  Kleinschmidt,  Dederstedt,  Bez.  Halle  a.  d.  S.  —  Kommis- 
sionsverlag :  Gebauer-Schvvetschke Druckerei  u.  Verlag  m. b. H.,  Halle  a.  d.  S., 
Gr.  Märkerstr.  10.  —  Preis  aller  Veröffentlichungen  von  Berajah  u.  Falco: 
jährlich  9  Mark. 


Eriimeriingen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch. 

(Fortsetzung.) 

Und  wie  „sauber  und  appetitlich"  sahen  die  Bälge  aus. 
Graf  von  Berlepsch  hielt  es  nicht  für  „Zeitverschwendung" 
oder  für  „niedere  Präparatorenarbeif^,  einen  geschossenen 
Vogel  selbst  zu  balgen,  einen  Blutfleck  mit  Spiritus  aufzu- 
weichen, einen  gekauften  Balg  mit  Benzin  zu  waschen.  Er 
kannte  unzählige  Kunstgriffe,  um  die  Schönheit  des  Gefieders 
wiederherzustellen  und  scheute  sich  nie,  sie  eigenhändig  an- 
zuwenden. 

Dieselbe  reinliche  geduldige  Sorgfalt  übte  er  beim  Be- 
stimmen. Es  gingen  ihm  fortwährend  von  Museen  und 
Privatpersonen  Sendungen  zu  mit  der  Bitte  um  die  Namen 
der  betreffenden  Vögel.  Er  vermochte  solche  Sendungen  bei 
seinem  ausgezeichneten  Gedächtnis  in  überraschend  kurzer 
Zeit  zu  erledigen.  Aber  in  jedem  ungewissen  Fall  verglich 
er  aufs  Genaueste  die  Originalbeschreibung.  Bei  nomenkla- 
torischen  Zweifeln  ließ  er  nicht  ab,  bis  alles  sonnenklar  war, 
und  wenn  es  Tage  kostete.  Dann  häuften  sich  die  alten 
Bände  zu  Bergen  rechts  und  links  von  seinem  Sitz.  Er  be- 
stimmte nicht  nach  Handbüchern,  sondern  ging  jeder  Sache 
selbst  auf  den  Grund.  Daher  war  seine  Bibliothek  so  reich, 
auch  an  seltenen  älteren  Werken. 

Wo  Unsicherheit  herrschte,  war  er  vorsichtig.  „Da  muß 
man  große  Serien  haben!*)  hörte  ich  ihn  in  solchen  Fällen 
sagen.  Bei  einem  Federhändler  hat  er  oft  stundenlang  ge- 
sessen,   um    Kolibriserien    durchzusehen.     Ich    hörte    Leute 

*)  Hieraus  darf  nicht  gefolgert  werden,  daß  immer  große  Serien 
nötig  oder  erwünscht  seien. 


26  Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch. 

darüber  spotten.  Aber  welche  großartigen  wissenschaftlichen 
Gelegenheiten  waren  in  unseren  Großstädten  geboten.  Solche 
Serien,  wie  sie  da  zur  Verfügung  standen,  hat  nie  ein  Museum 
besessen.  Warum  benutzen  unsere  Großstadtornithologen 
Wild-  und  Federhandlungen  nicht?  Sie  bieten  das,  was 
einem  Naumann  der  Vogelherd  bot,  und  was  es  sonst  heute 
nicht  mehr  gibt. 

Das  in  einem  Seitengebäude  des  Schlosses  untergebrachte 
Museum  bestand  anfangs  aus  fünf  Räumen:  Packraum,  Biblio- 
thek, Sammlung,  Präparierzimmer  und  Kolibrizimmer.  Später 
wurde  sein  Umfang  fast  auf  das  Doppelte  erweitert.  Im 
Kolibrizimmer  befand  sich  eine  Balgsammlung  und  daneben 
eine  besondere  Sammlung  ausgestopfter  Kolibris  (meist  Ba- 
ron'sehe  Präparate),  alle  in  der  naturgetreuen  buckligen 
Haltung,  nicht  in  der  verrückten  Stellung,  die  man  so  oft  in 
Museen  sieht  (eingesunkenei^ Sattelrücken  und  emporgefächerter 
Schwanz). 

Auf  einem  Brettchen  wurde  eine  Anzahl  sorgfältigst 
ausgewählter  Stücke  derselben  Art  eigenhändig  so  gruppiert, 
daß  die  Farben  wie  in  einem  Blumenstrauß  oder  Blumenbeet 
eine  Gesamtwirkung  hervorbrachten  und  der  Charakter  der 
Art  oder  Form  viel  deutlicher  hervortrat  als  am  einzelnen 
Exemplar.  Ich  hatte,  ehe  ich  nach  Schloß  Berlepsch  ging, 
meine  eigene,  schon  damals  nicht  unbedeutende  Sammlung 
systematisch  geordnet  und  katalogisiert  und  hätte  gar  zu 
gern  diese  Arbeit  an  einer  so  viel  größeren  Sammlung  fort- 
gesetzt. Ich  begriff  erst  später,  warum  der  Graf  diesem 
Wunsche  nicht  nachgab.  Die  Kolibris,  die  deutschen  Vögel 
und  die  Nordamerikaner  waren  systematisch  geordnet,  die 
übrigen  Sachen  blieben  meist  in  Sendungen  zusammen,  wie 
sie  ankamen.  In  der  Tat  hatte  man  so  ein  deutlicheres  Bild 
der  betreffenden  Fauna  vor  Augen,  man  sah  den  geogra- 
phischen Charakter,  den  das  Land  oder  eine  Inselwelt  ver- 
schiedenen Arten  aufprägte.  Es  kam  dem  Besitzer  dieser 
Sammlung  nicht  auf  die  systematische  Frage  an,  wo  der 
Vogel  hingehörte  —  das  war  für  seinen  Blick  leicht  wie  ein 
Kinderspiel  —  sondern,  wo  er  zu  Hause  war.  Er  fand  sich 
in  dieser  Anordnung  zurecht,  wie  ein  Klavierspieler  auf  den 
Tasten.     Noch  ehe  ich  Zettel  an  die  Balgkästen  geklebt  hatte, 


Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch.  27 

konnte  er  jeden  Vogel  finden.  Einmal  suchte  er  im  Nu  für 
Deichler  alle  Bekassinen  heraus.  Selbst  seine  Lieblinge, 
Kolibris,  ließ  er  damals  zuweilen  bei  den  Sendungen  liegen, 
um  das  faunistische  Bild  nicht  zu  zerreißen.  Der  größere 
Teil  der  Sammlung  befand  sich  also  in  einzelnen  Kästen, 
ähnlich  denen,  welche  die  Schmetterlingssammler  benutzen*). 
Sie  trugen  die  Aufschrift  des  Fundorts,  des  Sammlers  und 
das  Datum  der  Erwerbung. 

Es  war  ungemein  reizvoll,  solch  einen  Kasten  zu  öffnen 
und  nicht  eine  Reihe  ähnlicher,  systematisch  geordneter  Tiere 
zu  erblicken,  sondern  dasselbe  Vergnügen  zu  empfinden,  das 
man  beim  Auspacken  einer  neu  angekommenen  Sendung 
empfindet.  Zumal,  wenn  vorm  Fenster  die  Schneeflocken 
durch  den  Winterwald  fegten  und  die  Buchenklötze  im  Ofen 
krachten,  wie  wunderbar  berührte  es  dann,  wenn  im  Gegen- 
satz zu  der  nordischen  Winterwelt  die  glühenden  Farben  der 
Tropen  dem  Auge  in  ihrer  ganzen  Buntheit  und  Mannig- 
faltigkeit entgegenstrahlten,  ein  Bericht  von  dem  Weg,  den 
der  betreffende  Reisende  genommen  hatte**).  Mit  dieser 
Sammelmethodo  hing  es  wohl  zusammen,  daß  Graf  von  Ber- 
lepsch die  geographische  Bedingtheit  des  Subspecies  erkannte. 


♦)  Die  Balgkästen,  die  der  Tischler  Ebel  in  Gertenbach  nach 
den  Vorschriften  des  Grafen  in  verschiedenen  Größen  anfertigte,  sind  in 
ihrer  Art,  d.  h.  für  ihren  Zweck  ebenso  praktisch  wie  die  Nistkästen 
des  Vetters.  Ich  habe  dieselben  neben  drei  anderen  Einrichtungen 
in  meiner  Sammlung  in  Gebrauch  und  finde,  daß  sie  den  sichersten 
Schutz  gegen  Motten  bieten.  Nur  müssen  sie  in  einem  im  Winter  trocken 
geheizten  Ilaum  oder  auf  einem  Flur  im  Luftzug  stehen ,  da  sich  soust 
bei  dem  dichten  Verschluß  leicht  etwas  Schimmel  bildet,  der  jedoch  nicht 
viel  schaden  kann.  Die  Kästen  sind  für  Sammlungen,  die  Arbeits- 
zwecken und  nicht  Schauzwecken  dienen,  sehr  zu  empfehlen.  Sie  lassen 
sich  leicht  umgruppieren.  Man  braucht  also  die  Sammlung  nicht  umzu- 
kramen.  Auch  kann  man  getrost  einige  Zeit  von  Hause  verreisen,  ohne 
bei  der  Bückkehr  Schäden  in  der  Sammlung  zu  finden.  Die  Arsenik- 
vergiftnn^-  allein  reicht  nicht  aus,  Vogelbälge  vor  Schaden  zu  schützen.. 
Eine  Vogelsammlung  bedarf  zwar  stets  einer  pflegenden  Hand,  denn  die 
sauberste  Sammlung  kann  mit  Baubinsekten  infiziert  werden.  Bei  den 
Berlepsch"schen  Balgkästen  bleibt  aber  der  Schaden  immer  auf  einen 
kleinen  Teil  der  Sammlung  beschränkt. 

**)  Mancher  der  Kästen  wuide  dadurch  zu  einer  persönlichen, 
gleichsam  biographisclien  Erinnerung. 


28  Eriniierungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsct. 

einen  Satz,  in  dem  andere  weiter  gingen  und  der  von  größter 
Bedeutung  geworden  ist. 

Seine  Grundsätze  über  das  Sammeln  hat  der  Verstorbene 
nocli  in  letzter  Zeit  zu  Papier  gebracht.  Er  las  mir  Rat- 
schläge vor,  die  er  an  das  Senckenberg-Museum  senden  wollte 
oder  gesandt  hatte. 

Die  Ergebnisse  seiner  Einzelstudien  pflegte  er  sofort 
niederzuschreiben.  Nur  einen  geringen  Teil  seiner  Arbeiten, 
die  sich  zu  ganzen  Stößen  von  Maßtabellen  u.  dgl.  aufhäuften, 
hat  er  veröffentlicht. 

Er  packte  jede  Sache  großzügig  an  und  nahm  meines 
Erachtens  einen  zu  großen  Teil  der  Arbeit  auf  die  eigenen 
Schultern.  So  blieb  mancher  schöne  Plan  unvollendet.  Ob 
er  wohl  von  jenen  Gedanken  etwas  aufgezeichnet  hat,  die 
gerade  sein  Lieblingsthema  bildeten  in  unzähligen  Tisch- 
gesprächen oder,  wenn  er  Gästen  seine  Sammlung  zeigte  und 
erklärte?  Wenn  Ornithologen  ihn  besuchten,  waren  ornitho- 
logische  Detailfragen  zu  sehr  der  ausschließliche  Gesprächs- 
stoff, als  daß  jene  Dinge  berührt  worden  wären.  Auch  wußte 
er  genau  und  sprach  es  dutzendmale  aus,  wie  wirr  und  unge- 
klärt die  Mehrzahl  der  Zoologen  auf  gewohnten  Irrwegen 
einhertrottet.  Vielleicht  verschwieg  er  sein  Bestes  mit  Ab- 
sicht. Aber,  wo  er  gebildeten  Nicht- Ornithologen  gegenüber 
ein  williges  Ohr  und  ein  Interesse  für  allgemeinere  zoologische 
Fragen  fand,  da  kehrte  er  immer  wieder  zu  diesem  Lieblings- 
thema zurück:  Zur  Kritik  der  Mimikry -Lehre,  zur  Kritik  der 
Zuchtwahltheorie  und  zur  Kritik  des  übertriebenen  Vogel- 
schutzes. Es  handelte  sich  dabei  nicht  um  Gelegenheits- 
plaudereien, sondern  um  längere  zusammenhängende  Vorträge 
in  wohlgesetzter  Rede,  die  nur  das  Ergebnis  sorgfältigen  stillen 
Nachdenkens  sein  konnten.  Mit  dem  ihm  eigenen  kritischen  Auf- 
lachen höre  ich  ihn  noch  den  Ausspruch  eines  bekannten  Zoo- 
logen zitieren,  wonach  die  Negerrasse  vielleicht  doch  dadurch 
entstanden  sei,  daß  „immer  der  Schwärzeste  die  Schwärzeste 
geheiratet  habe".  Wohl  mehr  als  hundertmal  stand  ich  dabei, 
wenn  er  die  Schmuckfedern  der  Paradiesvögel  durch  die  Hände 
gleiten  ließ  und  erklärte,  wie  diese  Prunkgebilde  durch  das 
Sträuben  des  Gefieders  beim  Balztanze,  nicht  durch  Zucht- 
wahl  entstanden    seien.      Solche    Gedankenreihen   waren   der 


Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepech.  29 

festgeprägte  Ertrag  einer  geistigen  Arbeit,  wie  sie  wenige  ge- 
leistet und  einer  Formenkenntnis,  wie  sie  wenige  besessen  haben. 
Er  sprach  zuweilen  davon  —  und  darin  bin  ich  ganz  seiner 
Meinung  —  daß  erst  eine  ferne  Zukunft  sich  von  den  wirk- 
lichen Tatsachen  überzeugen  lassen  werde  und  daß  es  erst 
einer  sehr  geschickten  Darstellungsgabe  in  ferner  Zukunft 
gelingen  werde,  den  allseitigen  Widerspruch  gegen  die  bessere 
Einsicht  zu  überwinden. 

Dem  Gedanken  Darwins,  bei  dem  meine  Kritik  einsetzt, 
hat  Graf  Berlepsch  dem  äußeren  Buchstaben  nach  zugestimmt, 
indem  er  der  Subspecies  nui'  graduelle  Verschiedenheit  gegen- 
über der  Species  zuerkannte.  Es  war  ihm  eine  große  Freude 
und  Genugtuung,  als  sein  Freund  Reichenow  von  der  „Auf- 
teilung der  Art"  zum  Begriff  der  „Conspecies"  zurückkehrte. 
Er  übernahm  diesen  Ausdruck  Reichenows  in  seine  Arbeiten*). 

Bei  meinem  letzten  Besuch  auf  Schloß  Berlepsch  im  August 
1913  hat  mir  Graf  Berlepsch  an  einer  Formengruppe  ganz 
genau  seine  Ansichten  gegenüber  denen  Harterts  aus- 
einandergesetzt. Ich  hoffe  diese  Formengruppe  später  in 
Berajah  abzubilden  und  habe  mir  dazu  gleich  genaue  Auf- 
zeichnungen gemacht.  Der  Begriff  Species,  so  sagte  er  etwa, 
ist  nicht  da,  um  verwandte  Formen  zusammenzufassen;  dies 
ist  Zweck  der  Gattung.  Er  widersprach  aber  einst  Meyer, 
als  dieser  z.  B.  Parotia  als  eine  Gruppe  mit  gemeinsamem 
Stammvater  auffassen  wollte.  Wo  Graf  Berlepsch  Darwins 
Hauptthese  zuzustimmen  scheint,  liegt  also  in  Wirklichkeit 
nur  der  Gedanke  zugrunde,  daß  die  binäre  Nomenklatur 
nicht  als  Darstellung  der  Verwandtschaft  angesehen  werden 
darf.  Dabei  war  es  ihm  jedoch  nicht  gleichgültig,  wenn  ein 
Vogel  wegen  äußerer  Ähnlichkeit  „in  ein  falsches  Genus" 
gestellt  wurde. 

Ich  freute  mich,  ihn  bei  diesem  letzten  Besuch  wieder  so 
frisch  und  heiter  zu  finden  wie  in  der  ersten  Zeit,  wo  ich 
ihn  kennen  lernte. 

Die  vielerlei  andern  Interessen,  die  ihn  in  Anspruch 
nahmen,  ließen  ihm  immer  weniger  Muße  für  seine  Lieblings- 


*)  Vgl.    die   Einleitung   zur   Tanagridenarbeit  in  Verh.  V.  Intern. 
Omith.  Kongr.  p.  1007  u.  1008. 


30  Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch. 

Studien.  Eine  Zeitlang  litt  er  unter  Kränklichkeit  uift  Ver- 
stimmung. Das  begann  schon  während  meiner  Assistentenzeit, 
Dazu  kamen  gewisse  Gegensätze.  Er  konnte  den  mir  unge- 
mein sympathischen  Christian  Ludwig  Brehm  als  ornitho- 
logischen  Autor  wegen  seiner  „Unordentlichkeit"  nicht  leiden, 
wollte  aber  seine  von  mir  damals  sozusagen  ausgegrabene 
Sammlung  kaufen,  weil  die  Sammlung  der  Schlüssel  zur 
Klärung  vieler  nomenklatorischer  Fragen  war.  Der  Kauf  zer- 
schlug sich  leider,  und  die  Sammlung  ging  nach  England. 
Er  hatte  viele  Studien  über  die  Nomenklatur  der  deutschen 
Vögel  gemacht.  Auf  meine  verschwiegene  Veranlassung  hin 
wurde  ihm  die  Bearbeitung  der  Nomenklatur  für  den  Neuen 
Naumann  angeboten.  Er  lehnte  den  ehrenvollen  Auftrag,  der 
ihn  in  den  Mittelpunkt  der  heimatlichen  Ornithologie  gestellt 
hätte,  ärgerlich  ab,  denn  die  Naumannbearbeitung  war  ihm 
nicht  gründlich  genug.  Er  hatte,  wie  sich  später  zeigte,  recht. 
Den  Vogelschutzbestrebungen  seines  Vetters  stand  ich  sym- 
pathischer gegenüber  als  er.  Meine  Pläne,  denen  ich  treu 
bleiben  mußte,  gingen  darauf  hinaus,  in  den  50er  Jahren  ab- 
gerissene Fäden  in  der  Geschichte  der  deutschen  Ornitho- 
logie neu  fortzuspinnen.  Die  exotische  Ornithologie  trat  dabei 
zunächst  noch  nicht  in  den  Vordergrund.  Der  Abgrund,  der  sie 
von  der  ornithologischen  Heimatkunde  trennte,  sollte  erst  später 
überbrückt  werden.  —  Der  Neue  Naumann  und  Vogelschutz- 
fragen nahmen  mich  neben  der  wichtigen  Vorbereitung  auf 
meinen  künftigen  Beruf  und  meine  künftige  Lebensstellung 
in  Anspruch.  Aus  diesen  und  anderen  Gründen  war  eine 
Entfremdung,  die  zwischen  uns  eintrat,  natürlich,  bis  Zu- 
sammentreffen auf  Kongressen  und  die  Liebenswürdigkeit, 
mit  der  mir  der  Graf  Material  seiner  Sammlung  für  Berajah 
zur  Verfügung  stellte,  die  alten  freundschaftlichen  Beziehungen 
wieder  in  voller  Herzlichkeit  anknüpfte. 

In  der  Beurteilung  der  Vogelschutzfragen  stehe  ich  heute 
den  Ansichten  von  Graf  Berlepsch  viel  näher  als  früher.  Ich 
hätte  gern  schon  längst  eine  Aussprache  von  selten  sach- 
kundiger Kritiker  herbeigeführt  (vgl.  Falco  1907,  p.  26).  Ich 
hätte  auch  gar  zu  gern  Graf  von  Berlepsch  veranlaßt,  mehr 
zu  veröffentlichen  als  nur  einzelne  systematische  Proben  aus 
seinem  reichen  Arbeitsertrage.     Er  war  zu  vornehm,  um  für 


Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepscli.  31 

populäre  Zeitschriften  zu  schreiben  und  verschwieg  sein 
Bestes. 

Fachornithologen  kommen  so  leicht  in  den  Verdacht, 
sie  redeten  pro  domo,  wenn  sie  gegen  die  Übertreibungen 
des  Vogelschutzes  vorgehen.  Darum  schweigen  sie.  Warum 
hat  man  nie  einen  so  einzigartigen  Kenner  der  exotischen 
Vogel  weit  und  des  Federhandels  gefragt,  ehe  man  Gesetze 
beantragte?  Graf  Berlepsch  hätte  da  ein  Gutachten  abgeben 
können,  wie  kein  anderer.  Jetzt  ist  es  zu  spät.  Doch  noch 
in  seiner  letzten  Veröffentlichung  hat  Graf  Berlepsch  sich 
wenigstens  zu  einer  Vogelschutzfrage  geäußert,  zur  Winter- 
fütterung der  Vögel.  Mag  der  Artikel  im  Witzen häuser 
Kreisblatt*)  nur  für  seine  Waldgegend  bestimmt  sein.  Er 
hat  allgemeines  Interesse. 

Mit  gewohnter  Gründlichkeit  gibt  der  Verfasser  einen 
hübschen  Überblick  über  die  ganze  Avifauna  seiner  Heimat 
und  fragt,  welche  Vögel  überhaupt  für  die  Winterfütterung 
in  Betracht  kommen**),  ob  die  Mahnung  „der  hungernden 
Vögel  zu  gedenken"  jetzt  zeitgemäß  ist.  Möge  der  Artikel 
Anlaß  geben,  selbst  die  besten  Arbeiten  über  Vogelschutz 
einer  gewissenhaften  Reinigung  von  den  bald  unerträglichen 
Übertreibungen  zu  unterwerfen.  Es  ist  so  vieles  am  Vogel- 
schutz gut  gemeint,  aber  Einbildung. 

Dieser  Zeitungsartikel  ist  in  dem  Tone  der  oben  be- 
sprochenen kritischen  Tischreden  gehalten.  Mir  ruft  er  lebhafter 
als  alle  andern  Veröffentlichungen  das  Bild  des  Verstorbenen  und 
schöne  vergangene  Tage  vor  Augen,  die  malerische  alte  Ritter- 
burg, die  fröhliche  Kinderschar,  die  mit  Singdrosseln  und 
Meisen  wetteiferte,  die  Waldeinsamkeit  zu  beleben.  Die  bunten 
Exoten  ziehen  alle  fort  —  ob  in  ein  deutsches  Museum  oder 
über  den  Ozean  zurück?  Von  den  Kindern  bleibt  nur  einer  da. 
Einer,  der  ein  lieber  kleiner  Junge  war,  liegt  in  Rußland  be- 
graben.    Die  alten  Eschen,  die  der  Förster  nicht  fällen  lassen 


*)  1915,  Nr.  32  und  33.  Ich  empfehle  den  Lesern,  sich  die  Num- 
mern kommen  zu  lassen. 

**)  Es  bleiben  schließlich  nur  Amsel  und  Kohlmeise.  Er  schließt: 
„Das  Vogelfüttern  ist  nichts  weiter  als  ein  hübscher  Sport,  der  dem 
Städter  wohl  zu  gönnen  ist  .  .  .  Nur  soll  er  sich  nicht  einbilden,  daß  er 
damit  ein  großes  nützliches  Werk  vollbringt". 


32  Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch 

durfte,  werden  einmal  morscli.  Nur  die  Vögel  singen,  auch 
ohne  Schutz,  immer  dasselbe  Lied  weiter,  die  Vögel,  denen 
das  erste  jugendliche  Interesse  und  das  letzte  Wort  des 
Schloßherrn  galt.  Sie  werden  weiter  singen  vor  den  Fenstern 
des  leeren  Museums,  wo  er  begraben  liegt  neben  der  kleinen 
Schloßkirche.  Wer  in  das  reiche  wissenschaftliche  Innenleben 
geschaut  hat,  das  sich  in  einer  Privatsammlung  verkörpert, 
den  packt  da  eine  schmerzlich-ehrfürchtige  Trauer. 

Die  Sammlung  war  längst  über  den  Umfang,  der  für 
eine  Privatsammlung  vorteilhaft  ist,  hinausgewachsen.  50  000 
Exemplare  soll  sie  enthalten.  Es  ist  sehr  verständig,  daß 
gleich  Schritte  zu  ihrem  Verkauf  und  damit  zu  ihrer  Er- 
haltung unternommen  wurden.  Die  alte,  inzwischen  wohl 
bereits  aufgegebene  Anordnung  nach  kleinen  Einzelkollek- 
tionen (Garlepp  -  Sammlung,  Kubary  -  Sammlung  usw.)  kann 
natürlich  in  einem  öffentlichen  Museum,  wo  jeder  sich  muß 
orientieren  können,  nicht  beibehalten  werden. 

Das  Idealste  wäre  eine  nur  in  einem  ganz  großen 
Museum  mögliche  Anordnung,  bei  der  sich  die  systematische 
Anreihung  mit  der  geographisch-faunistischen  kreuzte. 

Hoffentlich  wird  man  dort  keine  Etiketten  abschneiden, 
sondern  einen  dritten  Anhänger  hinzufügen.  Dann  bleibt  der 
Sammlung  ihr  besonderer  Wert  und  der  persönliche  Reiz. 

Die  zoogeographischen  Eindrücke  in  Süd- 
amerika waren  einst  grundlegend  für  Darwins 
Q-edanken,  und  Darwins  Gredanken  sind  grund- 
legend geworden  für  den  heute  von  den  biolo- 
gischen Wissenschaften  beschrittenen  Weg. 
Wenn  die  Richtigkeit  dieses  Weges  ernsten 
Forschern  zweifelhaft  wird,  dann  muß  das  von 
grundlegender  Wichtigkeit  sein,  was  nicht  ein 
Reisender,  sondern  die  lange  gründliche  Le- 
bensarbeit eines  gediegenen  Fachmannes  aus 
der  Arbeit  vieler  Reisenden  über  das  zoogeo- 
graphische Bild  Südamerikas  erarbeitet  hat. 
Möchte  einmal  eine  Zeit  kommen,  wo  deutsche  Samm- 
lungen nicht  mehr  vor  der  Alternative  stehen,  ins  Ausland 
verkauft  zu  werden  oder  daheim  der  Vergessenheit  anheimzu- 
fallen, wie  einst  diejenige  Christian  Ludwig  Brehms! 


Dr.  D.  F.  Weinlaud  f.  33 

Das  Deutschland,  das  Geld  genug  hat,  um  der  gesamten 
feindlichen  Welt  Schach  zu  bieten,  muß  auch  künftig  Geld 
genug  haben,  ein  Zentralmuseum  zu  errichten,  in  das  nam- 
hafte Privatsammlungen  nicht  hineingeschlachtet  werden,  son- 
dern wo  sie  so  Aufnahme  ünden,  wie  einst  die  kleinen  Einzel- 
kollektionen in  dem  eigenartig  eingerichteten  Museum  H.  v. 
Berlepsch.  Man  setze  ein  paar  Denkmäler  weniger.  Dann 
ist  das  Geld  überreichlich  da.  0.  Kleinschmidt. 


Dr   D.  F.  Weinland  t- 

Gerne  hätte  ich  dem  Nestor  unserer  württembergischen 
Zoologen  die  letzte  Ehre  erwiesen,  als  sie  ihn  am  19.  Sep- 
tember 1915  nahe  bei  seinem  langjährigen  Wohnsitze  Hohen- 
wittlingen  zur  letzten  Ruhe  bestatteten.  Allein  der  Krieg 
legt  auch  da  Opfer  auf  und  gebietet  Entsagung.  So  konnte 
ich  nur  im  Geiste  der  Bahre  des  verehrten  Mannes  folgen, 
dessen  Name  mir  wie  jedem  Schwabenkinde  seit  früher  Jugend 
geläufig  war  und  den  ich  seit  mehr  als  20  Jahren  persönlich 
zu  kennen  das  Glück  hatte.  David  Friedrich  Weinland  war 
ein  echter  Schwabe,  treu  der  Erde,  die  ihn  gebar.  Im  Pfarr- 
haus zu  Grabenstetten  auf  der  Rauhen  Alb  erblickte  er  am 
30.  August  1829  das  Licht  der  Welt,  und  auf  seinem  Land- 
gut in  Hohen wittlingen,  unweit  seinem  Geburtsort,  schloß  er 
am  16.  September  1915  die  müde  gewordenen  Augen.  For- 
schend und  klug  schauten  sie  in  die  Welt  hinein,  gütig,  zu- 
weilen in  schalkhaftem  Humor  aufleuchtend,  sahen  sie  dem 
entgegen,  der  ihren  Träger  näher  kennen  lernen  durfte. 

Nach  Beendigung  des  theologischen  Studiums  auf  der 
hohen  Schule  zu  Tübingen  wandte  sich  der  junge  Vikar  den 
Naturwissenschaften  zu.  Er  hörte  auf  der  heimatlichen  Uni- 
versität bei  Quenstedt,  Rapp,  Mohl,  Gmelin,  Schloßberger  und 
Luschka  und  doktorierte  mit  einer  Arbeit  über  die  „Urzeugung", 
generatio  spontanea.  Nachdem  er  mehrere  Jahre  in  Berlin 
als  Assistent  am  Zoologischen  Museum  und  auf  dem  Privat- 
laboratorium des  Physiologen  Johannes  Müller  gearbeitet 
hatte,  folgte  er  im  Jahre  1855  einer  Einladung  des  Professors 
Louis  Agassiz    an    die   amerikanische   Universität  Cambridge 


34  Dr.  D.  F.  Weinland  f. 

bei  Boston.  Dort  schrieb  er  für  das  große  Werk,  in  dem 
Agassiz  die  Fauna  der  Vereinigten  vStaaten  behandelte,  über 
vergleichende  Anatomie  der  Schildkröten.  1856  besuchte 
Weinland  die  Seen  von  Kanada,  1857  Haiti,  um  die  Korallen 
zu  studieren,  deren  Wachstum  damals  die  Seehäfen  am  Mexi- 
kanischen Golf  bedrohten.  Im  Herbst  1858  kehrte  er,  an 
einem  Halsleiden  erkrankt,  nach  Deutschland  zurück.  Im 
Jahre  darauf  wurde  -er  nach  Frankfurt  a.  M.  berufen,  wo  er 
die  wissenschaftliche  Leitung  des  neu  errichteten  zoologischen 
Gartens  übernahm  und  Vorlesungen  über  Zoologie  am  Sencken- 
bergischen  Museum  hielt.  Er  begründete  daselbst  die  Zeit- 
schrift ;,Der  Zoologische  Garten",  in  deren  ersten  Jahrgängen 
er  eine  große  Reihe  von  Abhandlungen  naturwissenschaft- 
lichen und  auch  besonders  ornithologischen  Inhalts  veröffent- 
lichte. Zu  letzteren  gehören  folgende  Arbeiten:  „Eine 
Straußenbrut  in  Europa",  „Über  die  neuen  Adler"  (1.  Jahrg. 
1859  S.  102  und  S.  118);  „Vogelgesang",  „Verzeichnis  der- 
jenigen Vögel,  die  sich  in  Europa  in  Gefangenschaft  fort- 
gepflanzt haben",  „Sektion  eines  Straußen"  (Struthio  camelus 
L.)  (2.  Jahrg.  1860  S.  14  u.  28,  S.  22,  S.  176);  „Noch  einige 
Worte  über  den  Vogelgesang"  (3.  Jahrg.  1862  S.  138);  „Aus- 
sterbende Tierarten",  „In  Gefangenschaft  brütende  Störche 
und  Reiher",  ;,Notizen  aus  unserm  Tagebuch",  „Der  Greif 
von  Solenhofen"  (Archaeopterj'x  lithographica ,  H.  v.  Meyer), 
„Unsere  Araras"  (4.  Jahrg.  1863  S.  1 ,  25,  49;  S.  47,  S.  94, 
S.  118,  S.  244).  Im  „Tiergarten"  Jahrg.  1864  schrieb  Wein- 
land „Über  das  Steppenliuhn,  ein  Einwanderer  in  Deutsch- 
land" und  „Zum  Andenken  an  Pastor  Brehm",  im  Journal 
für  Ornithologie  (4.  Jahrg.  1856  S.  125)  „Zur  Verfärbung  der 
Vogelfeder  ohne  Mauserung",  in  der  Erinnerungsschrift  an 
die  Vm.  Versammlung  der  Deutschen  Ornithologischen  Ge- 
sellschaft 1855  p.  LXIX  „Über  Pinselzungen  der  Papageien". 
Zahlreiche  Arbeiten  auf  vielen  anderen  Gebieten  der  Zoo- 
logie, deren  Erwähnung  ich  mir  hier  versagen  muß,  in  deut- 
scher und  englischer  Sprache,  welch  letztere  er  vollkommen 
beherrschte,  entstanden  seiner  fleißigen  Feder.  Im  Jahre  1863 
nötigte  ihn  die  Wiederkehr  eines  chronischen  Halsleidens 
seine  Stellung  in  Frankfurt,  woselbst  er  auch  seine  Lebens- 
gefährtin gefunden  hatte,  aufzugeben.     Er  verlegte  zunächst 


Dr.  T).  F.  Weinland  f-  ^^ 

seinen  Wohnsitz  auf  das  elterliche  Landgut  in  Hohenwittlingen, 
das  er  bewirtschaftete.  In  den  Jahren  1876  bis  1886  lebte 
er  in  Eßlingen  und  Baden-Baden,  sich  der  Erziehung  seiner 
vier  Söhne  widmend,  kehrte  er  dann  wieder  in  seinen  stillen 
Erdenwinkel  auf  Hohenwittlingen  zurück,  den  er  nun  nicht 
mehr  verließ.  Der  Spruch,  den  sich  einstens  der  Tübinger 
Botaniker  Hegelmaier  über  den  Eingang  seines  Hauses  hatte 
einmeißeln  lassen:  „Bene  vixit,  qui  bene  latuit",  galt  auch  für 
Weinlands  Leben  auf  seinem  wald umrauschten  Sitze.  Hier 
sann,  forschte  und  schrieb  er  in  stiller  Beschaulichkeit.  Dort 
entstanden  auch  seine  beiden  prächtigen  Jugendschriften 
„Rulaman"  und  „Kuning  Hartfest",  mit  denen  er  sich  die 
Herzen  der  Jugend  weit  über  die  schwarz-roten  Grenzpfähle 
hinaus  eroberte.  Was  er  in  diesen  Schriften  bot,  war  echte 
Heimatkunst.  Heiße  Liebe  zur  angestammten  Scholle  atmen 
diese  dichterischen  Erzeugnisse,  die  von  tiefem  Eindringen  in 
die  Vergangenheit  zeugen.  Mehrfach  wurden  diese  beiden 
Bücher  aufgelegt;  der  Rulaman  wurde  ins  Schwedische,  Let- 
tische, Holländische  und  Spanische  übersetzt.  Ein  dunkler 
Schatten  fiel  in  das  stille  Gelehrtenleben  dort  oben  auf  der 
Schwäbischen  Alb,  als  Weinlands  ältester  hoffnungsvoDer 
Sohn  auf  Neuguinea  im  Jahre  1891  einer  tückischen  Krank- 
heit erlag.  Einigen  Trost  mögen  ihm  die  wissenschaftlichen 
Ehrungen  gewährt  haben,  die  ihm  in  reichem  Maße  zuteil 
wurden.  Viele  gelehrte  und  naturforschende  Gesellschaften 
ernannten  ihn  zu  ihrem  Ehrenmitglied,  die  Universität  Tü- 
bingen erneuerte  im  Jahre  1902  feierlichst  das  Doktordiplom, 
1905  wurde  ihm  die  große  goldene  Medaille  für  Kunst  und 
Wissenschaft  am  Bande  des  Friedrichsordens  verliehen.  Und 
wenn  er  auch  ganz  verborgen  lebte,  so  fanden  doch  viele 
Freunde  und  Männer  der  Wissenschaft  den  Weg  zu  ihm  hin- 
auf durch  die  Buchenwälder  der  Alb,  deren  Tierwelt  zu  er- 
forschen er  nicht  müde  wurde.  Wertvolle  Beiträge  lieferte 
er  zu  der  Neuausgabe  des  Naumann,  und  ab  und  zu  ergriff 
er  auch  noch  in  hohem  Alter  die  Feder,  um  eine  der  All- 
gemeinheit zugute  kommende  Abhandlung  über  seine  natur- 
wissenschaftlichen Forschungen  und  Beobachtungen  zu  ver- 
fassen. Seine  Aufsätze  „Einige  Tatsachen  zum  Vogelschutz" 
Schwäbische    Chronik    1909    Nr.  88)    und    „Nordische  Gäste" 


36  Literaturbesprechungen. 

(Blätter  des  Schwäbischen  Albvereins  1910  Nr.  3)  dürften  die 
letzten  Arbeiten  gewesen  sein,  die  er  veröffentlichte.  Hatte 
er  in  jungen  Jahren  die  Welt  durchstreift,  so  genügten  dem 
Ältergewordenen  Wald  und  Flur  seiner  schwäbischen  Heimat. 
Ihm,  dem  Weisen,  war  die  selbstgewählte  Enge  weit  genug! 

W.  Bacmeister. 


Literaturbesprechungen. 

I.Francesco     Chigi:     Spezie-Razze-Varietä     II 
Passer    domesticus   le   sue    forme  ei  suoi  rap- 
porti  con  le  specie  congeneri.     Dal  Bolletino 
della  „Societa  Zoologica  Italiana"    Roma  1914. 
Die  Arbeit,  die  turmhoch  über  andern  italienischen  Ar- 
beiten steht,    gibt   eine  geschickte  graphische  Übersicht  über 
die  Formen   der  Haus-,   Weiden-   und  Rotkopfsperlinge,    die 
ganz    richtig    als    eine  Gruppe  zusammengefaßt  werden.     Da 
ich    in    Berajah    später    auf    die   interessante  Arbeit   zurück- 
komme, sei  sie  hier  nur  vorläufig  erwähnt. 

2.  E.  Arrigoni  degli  Oddi:  Elenco  degli  ucelli 
Italiani.  Estr.  dal  Bolletino  ufficiale  del 
Ministerio  die  Agr icoltura,  Industria  e  Com- 
mercio.     Roma  1913. 

Die  Liste  wurde  mir  vom  italienischen  Ackerbauministe- 
rium liebenswürdigst  übersandt.  Ich  konnte  mich  nicht  ent- 
schließen, darauf  zu  antworten.  Die  Arbeit  wimmelt  von 
Fehlern  und  bedeutet  einen  Schlag  ins  Gesicht  für  die  fort- 
schritthche  deutsche  Ornithologie.  Sie  schließt  sich  getreu 
an  altenglische  Methode  an.  Um  nur  ein  Beispiel  von  vielen 
zu  erwähnen:  Nicht  weniger  als  sechs  Lanius  excubitor- 
Formen  werden  als  Arten  aufgezählt.  Der  auf  Sardinien 
brütende  Lanius  Senator  badius  wird  dagegen  unhöflichst  an- 
gezweifelt. Er  ist,  wie  meine  Sammlung  zeigt,  ein  häufiger, 
ganz  konstanter  Brutvogel  dort.  Graf  Arrigoni  wirft  viel- 
fach Brut-  und  Zugvögel  durcheinander.  Dann  hat  es  keinen 
Sinn,  die  Raubwürger  zu  Arten  zu  machen. 


Literaturbesprechungeu.  37 

3.  E.  Tischler,  Amtsrichter  in  Heilsberg :  Die  Vögel 
der  Provinz  Ostpreußen.  Bei  W.  Junk,  Berlin  W 15 
1914.     Preis  12  Mark. 

Nach  Ostpreußen  waren  so  manchmal  unsere  Blicke  und 
Gedanken  gerichtet.  Zum  Glück  sind  Tischlers  Sammlungen 
und  Belegstücke  unter  den  Kriegsleidon ,  die  auch  er  durch- 
machen mußte,  verschont  geblieben.  Schade,  daß  sein  aus- 
gezeichnetes Buch  in  so  ungünstiger  Zeit  erscheint.  Andrer- 
seits wird  es  dadurch  interessanter.  Auch  in  der  Vogelwelt 
handelt  es  sich  um  die  Frage,  ob  die  russischen  Formen  dort 
im  Schwanken  oder  Zurückweichen  sind.  Daher  ist  es  dank- 
bar zu  begrüßen,  daß  die  ostpreußische  Ornis  eine  so  gründ- 
liche und  sorgfältige  Bearbeitung  gefunden  hat.  305  Arten, 
davon  5  frühere  Brutvögel,  sind  festgestellt.  Auf  331  eng- 
gedruckten Seiten  wird  das  Vorkommen  jeder  Art  eingehend 
besprochen.  Überaus  interessant  ist  es,  die  Zugnotizen  mit 
denen  aus  dem  Westen  zu  vergleichen.  Systematische  Be- 
merkungen sind  an  vielen  Stellen  eingefügt.  Kurz,  das  Buch 
bietet  jedem,  der  sich  mit  der  deutschen  Vogelwelt  beschäf- 
tigt, eine  Fülle  von  Anregungen.  Es  ist  keine  rasch  hinge- 
schriebene Lokalfauna,  sondern  eine  auf  jahrelanger  Arbeit 
beruhende  Provinzialornis.  Zu  statten  kam  dem  Verfasser 
der  Reichtum  der  ostpreußischen  Natur  und  die  weitgehende 
ornithologische  Durchforschung  des  Landes  durch  verschie- 
dene Ornithologen  und  durch  die  Tätigkeit  der  Vogelwarte 
Rossitten.  So  ließ  sich  hier  etwas  Vollständiges  und  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  Abgeschlossenes  leisten.  Im  Gegensatz 
zu  manchen  andern  Avifaunen  steht  die  Arbeit  ganz  auf  dem 
Standpunkt  moderner  ornithologischer  Wissenschaft. 

4.  Tiere,  32  Malereien  von  Bruno  Liljefors. 
Mit  Text  von  Franz  Servae  s.  Bei  Albert 
Bonnier,   Stockholm. 

Auf  der  durch  den  Krieg  gestörten,  verödeten  Inter- 
nationalen Buchgewerbeausstellung  in  Leipzig  war  die  schwe- 
dische Ausgabe  dieses  Liljefors -Albums  das  erste,  was  ich 
herausgriff.  Das  schöne  Wanderfalkenbild  fehlt  in  der 
deutschen  Ausgabe,  die  ich  mir  kommen  ließ.  Um  so  er- 
freulicher   ist    es,    daß    ich    es    für    Berajah    er- 


38  Hugo  Oskar  Grimm  f. 

werben  konnte.  Die  32  andern  Drei-  oder  Vierfarben- 
drucke zeigen  ebenfalls  meist  einen  ornithologischen  Gegen- 
stand. Die  Eiderenten  auf  der  überspülten  Schäre,  die 
auffliegenden  Q-änsesäger,  die  Polartaucher  (nicht  Eistaucher, 
wie  irrig*)  unter  dem  Bilde  steht)  auf  bewegtem  Wasser  sind 
Meisterwerke  des  schwedischen  Künstlers.  Die  Fuchsfamilie 
mit  der  gestohlenen  Gans  und  dem  fein  ausgeführten  Hinter- 
grund gefällt  mir  besser  als  spätere  Werke,  bei  denen  an- 
scheinend der  Pariser  Aufenthalt  und  japanische  Vorbilder 
das  von  reiner  Naturanschauung  erzogene  germanische  Auge 
des  Malers  beeinflußt  haben.  Die  Natur  lehrt  noch  besser 
künstlerisch  zu  sehen  als  die  Kunst.  Dafür  ist  Liljefors' 
Malweise  der  beste  Beweis.  Mir  wenigstens  scheint  das 
Schwedische  wertvoller  als  das  Französisch-Japanische  an  ihr. 
Der  Falke  ist  ganz  schwedisch.  Der  Text  hat  da  nicht  ganz 
recht,  auch  in  der  Deutung  der  Bilder  ist  er  nicht  immer 
glücklich.  Die  Auerhenne  im  Herbstlaub  ist  gewiß  von  Zucht- 
wahlgedanken frei.  Ein  hübsches  Beispiel  dafür,  wie  Dar- 
winsche Theorien  in  die  Natur  hineingelegt  werden  und  wie 
verbreitet  sie  bei  naturwissenschaftlichen  Laien  sind.  Dem 
künstlerischen  Wert  des  Albums  tut  das  keinen  Abbruch. 
Dem  Beschauer  wird  es  im  Gegenteil  Vergnügen  machen, 
wenn  er  des  Künstlers  Absichten  besser  errät  und  versteht. 
Das  Album  ist  ein  schönes  Weihnachtsgeschenk.        0.  Kl. 


Hugo  Oskar  Grimm  t« 

Am  7.  November  1913  hatte  er  Weigold  vor  dessen  Aus- 
reise nach  China  hierher  begleitet.  Ich  sehe  es  noch,  wie 
die  Freunde  sich  ernst  die  Hand  reichten  zu  kurzem  Ab- 
schied: „Auf  Wiedersehen!"  Wir  dachten  dabei  nur  an 
Weigolds  Zukunft.  —  Den  anderen  traf  das  Schicksal. 

Anfangs  November  1914,  vermutlich  am  13.,  ist  Grimm 
an  der  Nordwestfront  gefallen.  Er  war  nur  als  vermißt  ge- 
meldet.    Ein  Jahr  lang  hofften  wii-,  er  sei  nur  in  Gefangen- 


*)    Der    deutsche  Name  „Polar "-Tau eher    ist    freilich    sachlich 
noch  irriger. 


Inhalt  des  elften  Jahrgangs.  39 

Schaft  geraten  und  durch  irgendeinen  Umstand  am  Schreiben 
verhindert. 

Erst  im  November  1915  kam  die  Nachricht  —  von 
seinem  Grabe.  Er  hinterläßt  Frau  und  kleine  Kinder.  Grimm 
war  Lehrer  an  der  V.  Realschule  in  Leipzig.  Er  war  einer 
von  uns  „Balgsammlern",  deren  verschwindende  Zahl  in 
Deutschland  man  an  den  Fingern  rasch  herunterzählen  kann, 
war  einer  der  wenigen,  die  nicht  einseitige,  sondern  „ganze 
Ornithologen"  sind.  Noch  kurz  vor  seiner  Einberufung  zur 
Fahne  hat  er  in  Oberösterreich  photographische  Aufnahmen 
vom  Brutplatz  des  Parus  Salicarius  submontanus  für  Berajah 
besorgt.  Er  konnte  sie  mir  nicht  mehr  senden.  Er  war  ein 
lieber,  treuhei'ziger  Mensch  und  einer,  der  Augen  hatte  für 
vieles,  was  andere  nicht  sehen.  Die  ihn  gekannt  haben,  wer- 
den schmerzlich  um  ihn  trauern.  0.  Kl. 


Inhalt  des  elften  Jahrgangs. 


Seite 
Die  wissenschaftliche  Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  über  die 

Entstehnng  der  Arten 1 

Das  männliche   Jngendkleid    der  Schellente  (Nyroca  clangula)   von 

F.  Tischler 6 

Zur  Pinguin-Mauser.     Brief  von  W.  Staudinger 8 

An  die  Abonnenten 10  "'1 

Vom  Scheideufer  von  Dr.  Ilud.  Thielemann 11  Oi^) 

Vogel  weit  und  Krieg  (Briefauszug  von  L.  Kleinschmidt) 11 

Die  wissenschaftliche  Minderwertigkeit  von  Darwins  Werk  über  die 

Entstehung  der  Arten.     1.  Fortsetzung 11 

Strix  hostilis  form.  nov.  von  O.  Kleinschmidt 18 

Passer  hostilis  form.  nov.  „      „             „                 19 

"Wie  unterscheiden  sich  die  Pulli  von  Tordalk  und  TroUummeV  von 

Dr.  Hugo  Weigold 20 

Phaetomis  fuligiuosus  Schlüt.  (nee  Simon)  muß  Phaetomis  fumosus 

Schlüter  heißen  von  Willy  Schlüter • 21 

Einige  Beobachtungen  von  Parus  Salicarius  von  C.  Lindner     ...  21 
Erinnerungen  an  Graf  Hans  von  Berlepsch,  f  am  27.  Februar  1915. 

(Mit  Bildnis) 22 

Dr.  D.  F.  Weinland  f  von  W.  Bacmeister •   .    .  33 


40  Inhalt  des  elften  Jahrgangs. 

Seite 
Literaturbesprechungen : 

1.  Francesco  Chigi,  Passer  domesticus    .    • 36 

2.  Arrigoni  degli  Oddi,  Elenco  di  ucelli  Italiani 36 

3.  E.  Tischler,  Die  Vögel  der  Provinz  Ostpreußen 37 

4.  Tiere,  82  Malereien  von  Liljefors 37 

Hugo  Oskar  Grimm  f ^ 


Abbildungen: 

Tafel    I.    Lumme  und  Tordalk zu  Seite  20 

„      IL    Tordalk „      „  20 

Bildnis:  Graf  Hans  v.  Berlepsch,  Erbkämmerer  von  Hessen,  „      „  22 


Neu  beschriebene  Formen 


Strix  hostilis Seite  18 

Passer  hostilis „      19 

Phaetomis  fumosus „      21 


Ausgegeben  wurde: 

von  Falco  Nr.  1  im  Februar,  Nr.  2  und  3  im  Dezember,  Titel  später; 
von  Berajah  Falco  Peregrinus    Seite  23—30    und    Taf.  XXXII— XXXV 
im  Dezember.    Taf.  XXVIQ— XXXI  folgen  1916. 


Druck  von  Gebauer-Schwetschke  G.  m.  b.  H.,  Halle  a.  S. 


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