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Full text of "Festschrift Friedrich Carl Andreas zur Vollendung des siebzigsten Lebensjahres am 14. April 1916"

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9. 


THE  LIBRARY 
OF 

THE  UNIVERSITY 

OF  CALIFORNIA 

LOS  ANGELES 


FESTSCHRIFT 


FUB 


FRIEDRICH  CARL  ANDREAS 


FESTSCHRIFT 


FRIEDPJCH  GAEL  ANDREAS 

ZUR  VOLLENDUNG  DES   SIEBZIGSTEN   LEBENSJAHRES 
AM   14.  APRIL    1916 

DARGEBRACHT 

VON  FREUNDEN  UND  SCHULERN 


MIT  2  TAFELN 


LEIPZIG 

OTTO    HARRASSOWITZ 

1916 


PJ 

A  5^ 


Am  14.  April  feiert  Fiiedrich  Carl  Andreas  seinen  siebzig'sten 
Geburtstag.  Langst  war  im  Kreise  der  Freunde  und  Schiller 
geplant,  diesen  Tag  festlicli  zii  begehen  imd  dem  liochverehrteii  Jubilar 
eine  Festschrift  zu  iiberreichen.  In  Anbetracht  des  Ansehens.  das  er 
weit  liber  die  Grenzen  Deutschlands  hinaus  genieSt,  und  der  weithin 
reichenden  Wirkung  seiner  Arbeiten  sollten  die  Fachgenossen  aller 
Lander  uni  ilire  Mitarbeit  gebeten  werden.  Da  zwangen  die  kriege- 
rischen  P^reignisse  zur  Beschi-ankung.  Urn  doch  etwas  zn  bieten, 
einigte  man  sich  sclilieBlich  dahin,  nur  die  Gottinger  Kollegen  und 
Schiller  und  die  Mitglieder  des  dem  Festfeiernden  besonders  nahe- 
stehenden  Gelehrtenkreises  von  Kopenhagen  zu  Worte  kommen  zu 
lassen.  so  ilberzeugt  man  Avar,  da6  viele  ausgezeichnete  Forscher  es 
bedauern  Averden.  ihrer  Hochschatzung  nicht  audi  in  dieser  ^^'eise 
Ausdruck  geben  zu  konnen. 

Moge  der  hochverehrte  Freund  auch  die  kleinere  Gabe  mit 
freundlichem  Auge  anblicken  und  darin  ein  Zeichen  der  Dankbarkeit 
sehen,  die  alle  die  filr  ilin  empfinden,  denen  das  Gillck  zuteil  ward, 
neben  ihm  und  unter  ihm  zu  arbeiten. 

In  einem  Anhange  der  Festschrift  ist  der  Versuch  geniacht,  die 
gelehrten  Arbeiten  zu  verzeichnen,  mit  denen  Andreas  an  die  Offent- 
lichkeit  getreten  ist.  -Tedermann  Aveifi,  da6  darin  nur  ein  kleiner  Teil 
seiner  Lebensarbeit  zum  Ausdruck  kommt,  und  daB  daraus  nur  ganz 
ungenilgend  ersichtlich  wird,  in  welchem  Ma6e  er  bereichernd  und 
umgestaltend  auf  die  iranistische  Wissenschaft  gewirkt  hat.  Ermessen 
konnen  diesen  seinen  EinfluB  die  Unzahligen.  die  er  aus  der  Feme 
aus  den  wahrhaft  unbegrenzten  Schatzen  seines  Wissens  belehrt  und 
beraten  hat,  am  besten  aber  diejenigen,  die  durch  seinen  Unterricht  und 
den  personlichen  Austausch  mit  ihm  nicht  bio 6  in  vielem  Einzelnen 
gefordert,  sonderu  auf  ganz  neue  Bahnen  gefilhrt  worden  sind. 

Moge  es  ihm  vergonnt  sein,  noch  lange  Jahre  zu  forschen  und 
zu  lehren  und  die  iranistische  Wissenschaft  auf  eine  noch  hohere 
Stufe  dadurch  zu  heben,  da6  er  ihr  die  Arbeiten  schenkt,  die  nur  er 
ihr  schenken  kann.  Und  mogen  sich  seine  Freunde  noch  lange  an 
dem  milden  Scheine  seiner  wahrhaft  liebenswerten  Personlichkeit  er- 
freuen  dilrfen. 


INHALT. 

Seite 

J.  Wackernagel,  Zu  den  Vervvandtschaftsuamen 1 

H.  Oldenberg,  Arkasati-,  inedhasati- 10 

A  Deb  runner.  Griechische  Bedeutuugslehnworter  im  Latein 16 

R.  Reitzen stein,    Himmelswandening    und    Drachenkanipf    in    der    alche- 

mistischen  und  frlihchristlichen  Literatuf 33 

A.  Bertholet,   Zur  Frage  de.s  Verhaltnisses   von  per.sis(;beni   mid  jildischem 

Auferstehungsglauben o\ 

A.  Christensen,  Reste  von  Manu-Legenden  in  der  iraniscben  Sagenwelt  .    .  63 

E.  Littmann,  Harut  und  Marut 70 

E.  Schwartz,  Ein  altes  Participium  perfecti  im  Griecbiscben 88 

B.  Geiger,  Zur  Beurteilung  der  awestischeu  Vulgata 91 

H  Lorn m el,  Vervvecbslung  von  r:  und  k  im  Awesta 97 

K.  Setbe,  Die  alteste  Erwabnung  des  Haushubns  in  einem  iigyptiscbeu  Texte  109 

S.  Lars  en ,  Alte  Sassanidenmuster  in  nordiscber  Xacbbilduug.    Mit  zwei  Tafeln  117 
A.  Rahlfs,    Uber   Beeinfiussung    der    alttestamentlichen  Vokalisation    durcb 

jiingere  Spracbpraxis 129 

J.  Ej'ser,  Beitrage  zu  einer  Andreas -Bibliograpbie 137 


ZU  DEN  VERWANDTSCHAFTSNAMEN. 


1.    Altiiuliscli  hhratrvya- 

bedeutet  nacli  den  Petersburger  Worterblicliern,  soweit  es  eigentliches 
Verwandtscliaftswort  ist,  „Vaterbruderssobn,  Vetter",  iind  diese  Deutung' 
wird  jetzt  allg^emein  angenommen  z.  B.  von  Monier  Williams  Sanskrit- 
English  Dictionary  s.  v.,  Delbriick  Verwandtscliaftsn.  123,  Darmesteter 
Zend-Avesta  2,189  Anm.  G,  Bartholomae  Altiran.  Worterbucli  Sp.  972. 
Abei-  die  alteren  Lexika  deuten  es  mit  „Bruderssolm".  So  Wilson  im 
Dictionary  1819  und  Benfey  im  Glossar  1851;  ebenso  nocli  Apte  1890. 
Monier  Williams  stellt  in  der  ersten  Auflage  diese  Deutung  wenigstens 
neben  diejenige  von  Bohtlingk  und  Eotli.  Nur  diese  Deutung  „Bruders- 
solm"  entspricht  den  Angaben  der  einlieimisclien  Lexikograplien :  Sas- 
vata  616,  Amarasimba  III  4.  24.  148,  Hemacandra  Abh.  543  (S.  99  Bo.). 
An.  3,489  und  Halayudha  2,351  sind  darin  einstimmig,  das  Wort  mit 
hhratyja-,  hhratrputra-,  hhrafur  afmajd-  wiederzugeben.  —  Wolier  dieser 
Widerspruch?  und  was  ist  das  Richtige? 

Der  sparliche  literarische  Gebrauch  lafit  nichts  Genaueres  er- 
kennen.  Zweimal  kommt  das  Wort  im  Atharvaveda  vor.  V  22, 12 
steht  bhrdtrvije/ui  mit  hhrcitra  und  svdsra  parallel  und  wird  von 
Whitney  mit  „cousin"  iibersetzt.  Zwingend  ist  diese  Erklarung  nicht; 
auch  ,,Bruderssohn"  ware  hier  moglich.  Nichts  lafit  sich  aus  X3,  9  b 
bhrdtrnja  me  sdhdndharah  entnehmen,  wo  Whitney  es  gar  nicht  als 
eigentlichen  Verwandtschaftsnamen  anerkennt.  Das  dritte  Zitat  bei 
BR.  Rajat.  8,  2842  enthalt,  obwohl  bei  Monier-Williams  wiederholt, 
einen  unheilbaren  Druckfehler. 

Mafigebend  ist  die  Stelle  des  Panini,  wo  die  Bildung  des  Wortes 
gelehrt  wird.  IV  1, 144  hhratiir  vyac  ca  „von  hJiratr-  wird  die  Be- 
zeichnung  des  Abkommlings  (auBer  durch  -iya-)  auch  durch  -ri/d-  ge- 
bildet".  Hieran  ist  nichts  herumzudeuten.  Hatte  das  Wort  die  Be- 
deutung  „ Vetter"  gehabt,  so  hatte  sich  Panini  nicht  so  ausdrlicken 
konnen. 

Andreas  -  Fcstscliriit.  X 


2  J.  Wackeruagel, 

Bolitlingks  „(Vater)bruderssolin"  wird  audi  durcli  die  Folgerung 
widerlegt,  die  er  aus  seiner  Erklaniiig  zielien  mu6.  Wenn  bhrdtrnja- 
„Vaterbrnderssolin"  bedeiitet,  so  mu6  audi  das  nadi  Panini  damit 
gleidiwertig-e  hhratrlya-  di^sen  Sinn  baben.  Das  nimmt  Bohtlingk  an, 
setzt  sidi  aber  hierdurch  nicht  blo6  wie  bei  hlirdtrvya-  niit  der  lexiko- 
g-raphisdien  Uberlieferung  in  Widersprudi,  sondern  audi  darait,  da6 
das  von  hhyatriya-  nidit  zu  trennende  srasriya-  von  TS.  2,  5,  1,  1 
(=^  Kath.  12, 10  S.  172,  5)  an  nie  etwas  anderes  als  „Sdiwestersolin" 
bedeutet. 

Die  fiir  das  Altindisdie  gesidierte  Bedeutung  ..Bruderssohn" 
reidit  in  die  indoiraniscbe  Zeit  zurilck.  Sie  ist,  wie  niicli  Andreas 
belehrt,  die  im  Iranisdien  flir  das  entsprechende  Wort  einzig  be- 
legte.  In  Betradit  kommt  zimachst  die  Textstelle  Vendidad  12,  13 
yai  hratuiryo  para-irii)yeiti  hrcituirye  va  para-iriOyeiti.  Hier  kanii  das 
dem  indisdien  hlirdtrvya-  entsprediende  Maskulinuni  nicht  „Vetter" 
und  das  dazu  gebildete  Femininum  nidit  „Cousine"  bedeuten.  Denn 
12,  17  werden  in  gleichartigem  Passus  eben  diese  Verwandten  mit 
tuiryo-piidrd,  tuirya-duyda  (wortlich  „01ieimssohn",  „Obeimstoditer") 
bereits  deutlidi  bezeidinet.  Dagegen  pa6t  „Bruderssohn",  „Brudei's- 
toditer"  auf  die  angeflilirte  Vendidadstelle  vorzliglich.  Vorher  werden 
Vater  und  Sohn,  Bruder  und  Sdiwester,  Gatte  und  Gattin,  Grofivater 
und  GroBmutter,  Enkel  und  Enkelin  genannt;  daran  schlieBen  sidi 
Neffe  und  Nichte  passend  an.  —  Dazu  kommt  zweitens  das  Zeugnis 
des  Afg'hanisdien ;  rrarq  ,,Bruderssohn",  vrera  „Bruderstoditer''  setzen 
uriran.  hraHruia'^-,  -a^-  fort. 

Nun  freilidi,  wenn  man  nodi  weiter  zurilckgeht,  mu6  man 
Bolitlingk  redit  geben.  Ein  Wort  wie  hhrdtrnja-  kann  von  Hans 
aus  nicht  „Bruderssohn"  bedeutet  haben,  weil  -vya-  in  xntrvya-  auch 
nicht  patronymisch  ist,  und  weil  ferner  die  zweite  Bedeutung  von 
bhrdfrrya-,  in  der  es  viel  liaufiger  ist  als  als  Verwandtschaftswort, 
„Gegner,  Nebenbuhler"  aus  dem  Grundbegriff  „Bruderssohn"  nicht 
ableitbar  ist.  Vielmehr  fiihrt  beides  auf  die  von  Bohtlingk  und  Eoth 
geforderte  Bedeutung.  Denn  pitrcyd-  „patruus"  bezeichnet  denjenigen, 
der  fast  wie  der  Vater,  eine  Art  Vater  ist  (Delbrlick,  Verwandtschafts- 
namen  129).  Also  mu6  bhrdtrvya-  urspriinglich  etwa  „Quasi-Bruder" 
bedeutet  haben.  Das  pa6t  auf  keinen  besser  als  auf  den  Vetter,  der 
lateinisch  frater  patruelis  oder  auch  blo6  frater  heiCt,  und  auf  den 
auch  sonst  der  Ausdruck  ,,Bruder"  sehr  gern  angewandt  Avird  (Del- 
briick  a.  a.  0.  24.  129.  135).  Anderseits  wird  so  erst  die  abgeleitete 
l^edeutung   „ Nebenbuhler"   verstiindlich.     Vettern   geraten  leiclit  in 


Zu  den  Verwaiultschaftsnamen.  3 

Zwietraclit  und  Rival itat,  da  sie  fiir  verscliiedene  Vater  und  Familien 
eintreten.  Delbriick  a.  a.  0.  129:  „Der  Vetter  ist  derjenige  Grad,  bei 
welchem  naturgemaB  der  Streit  um  die  Erbscliaft  beginnt."  Freimd- 
liclie  Mitteilungen  Littmanns  maclien  es  mir  inoglicli.  dies  diircli 
tatsachliche  Belege  zu  begriinden. 

Ini  semitischen  Orient  wird  feindliclies  Yerhaltnis  zwischen 
Vettern  vielfacli  bemerkt.  Erstens  bei  den  Arabern.  Am  lehr- 
reiclisten  sind  die  Stellen  aus  der  Hamasa.  So  in  der  Ubersetzung 
Riickerts  z.  B.  I  12G  (Nr.  129:  an  die  Vettern):  „.  .  .  So  stelits  unter 
uns,  dafi  keiner  dankt,  wenn  einer  griifit,  oder  sagt  'zum  Wolil- 
bekommen',  wenn  der  andre  niest";  I  174  (Nr.  158  Anm.):  „und  wo 
dicli  ein  Oheimsolin  zum  Streit  reizt.  da  streite";  11163  (Nr.  591): 
,,Icli  bin  ein  Mann,  der  niclit  mit  Vettern  lierum  sich  zaust".  Freilicli 
auBern  sich  die  Dicliter  dariiber  oft  so,  daC  mit  der  Feindschaft  das 
eben  dock  bestehende  verwandtschaftliche  Band  in  Kontrast  gesetzt  ist. 
So  I  64  f.  (Nr.  50)  in  einem  Lied  an  feindlicli  sich  gebahrende  Vettern, 
das  mit  den  Worten  schlieBt:  „Jedweder  wei6,  warum  er  Groll  auf 
den  andern  fafit;  nun  denn  in  Gottes  Namen  haSt  uns  und  seid  ge- 
ha6t",  wird  doch  gesagt:  „Gemach,  ihr  lieben  Vettern,  und  leget 
nicht  die  Axt  an  unsern  Banm,  dafern  ihr  wollt,  da6  ihr  selber 
wachst".     Und  I  128  (Nr.  131): 

Den  Vetter  stofi  ich  nicht,  seh  ich  am  Rand  ihn  stehn, 
hab  ich  von  seiner  Tiick  ein  Probchen  auch  geselin. 
Ich  la6  ihn  lieber  gehn,  und  seh  ihm  manches  nach; 
vielleicht  bringt  mir  ihn  heim  zur  guten  Stund'  ein  Tag. 
Denn  libel  ist  es  schon  und  grofi  genug  die  Schmach, 
mit  deni  Verwandten  dann  zu  brechen,  wann  er  brach. 

Auf  ahnlichen  Ton  ist  z.  B.  auch  das  Drohlied  Nr.  94  I  95  und 
Nr.  418  II  18  f.  gestimmt.  Ja  es  gibt  auch  Stellen,  die  geradezu  den 
Vetter  als  besonders  nahen  Freund  kennen,  wie  1254  (Nr.  219): 

Verbriidre  dicli.  mit  wem  du  magst,  im  Frieden;  doch  dein  Retter 
im  Kriege  bleibt,  das  merke  dir,  kein  andrer  als  dein  Vetter. 
Dein  Vetter  ist's,  dein  Vetter,  der,  wo  du  ihm  rufst  im  Streite, 
antwortet  willig-  und  sein  Blut  verspritzt  an  deiner  Seite. 
Darum  verlafi  den  Vetter  nie,  ob  Frevel  ihn  bestricke; 
denn  er  ist  deines  Kleides  Ri6  und  deines  Kleides  Flicke. 

Ahnlich  II  17  (Nr.  416,2)  und  besonders  II  287  (Nr.  730).  Aber 
solche  Stellen  heben  die  Beweiskraft  jener  anderen  nicht  auf,  aus 


4  .T.  Wackernagel, 

deneii  eben  docli  folgt,  wie  g'ern  unci  leicht  trotz  der  verwandtscliaft- 
liclien  Bande  aiis  Vetterscliaft  Feindschaft  erwuclis. 

Ebenso  weiterhin  Shuqair  Amtlial  el-'awamm  fi  Misr  was -Sudan 
wash -Sham  (Cairo  1894)  S.  16,  Nr.  209:  „ich  und  mein  Binder  sind 
gegen  den  Sohn  meines  Olieims,  und  icli  und  der  Solin  nieines  Olieims 
sind  gegen  den  Fremden". 

Ganz  gangbar  ist  es  im  Abessinischen.  das  Wort  fiir  „Vater- 
bruderssolm"  im  Sinne  von  „Feind"  zu  verwenden:  Publications  of 
the  Princeton  Expedition  to  Abyssinia  by  Enno  Littmann  IV  21, 7 
(S.  37),  272,  2  (S.  411),  328,  9  (S.  510),  337,  3  (S.  522),  366, 17  (S.  557), 
519,  5  (S.  775),  677, 1  (S.  1037). 

Es  ist  merkwiirdig,  dafi  in  dieser  Auffassung  des  Vetterschafts- 
verhaltnisses  die  Inder  mit  den  Semiten  zusammengehen.  Den  bei 
uns  herrschenden  Begriffen  widerspricht  sie.  Vetterschaft  gilt  uns 
durchaus  und  ausschliefilich  als  Grund  des  Zusammenhaltens.  Und 
das  scheint  iiberhaupt  fiir  die  europaischen  Indogermanen  zu  gelten, 
Schon  bei  Homer  versteht  es  sich  von  selbst,  daS  die  drtfioi  eng 
verbunden  sind.  Hektor  wird  durch  den  Tod  des  Kaletor,  Sohnes 
von  Priamos  Bruder  Klytios,  besonders  nahe  berilhrt,  well  er  sein 
ch'tipi(k  ist  (0  422).  Ebenso  macht  er  seinem  Vetter  Melanippos,  da 
der  gemeinsame  Vetter  Dolops  gefallen  ist,  gerade  in  Rlicl<:sicht  auf 
diese  Verwandtschaft  Vorwiirfe  (0  558  f.):  ovtoj  ch]  Mthcnxjie  inO/j- 
ooittv:  ovdt  rr  ooi  jrf(>  IvTQtJitrai  ff'ilov  i)toq  (b'^ipior  xTtc/n'roio. 
Ferner  weckt  Apollo  K  518  nach  Rhesos  Totung  gerade  den  Hippo- 
koon  auf,  'P/joov  drtfior  loOXov,  offenbar  als  den  dem  gemordeten 
Konige  am  niichsten  stehenden,  der  denn  auch,  als  er  die  Mordstatte 
sieht,  ojjioj^u'  t'  «(>'  hjitira  (fiXor  t'  ovofUjrtr  hTaiQor.  Endlich  er- 
scheinen  /  464  trai  xal  dverjiLoi  als  diejenigen,  die  den  aufgeregten 
Phoinix  beruhigen  sollen.  Ich  zweifle,  ob  es  aus  der  antiken  Welt 
entgegenstehende  Zeugnisse  gibt.  Jedenfalls  wenn  Cicero  in  der 
Caeliana  §  60  sagt:  quonam  modo  ille  (Q.  Metellus)  furenti  fratri  suo 
(seinem  Vetter  Clodius)  consularis  restitisset,  qui  consul  incipientem 
furere  atque  conantem  sua  se  manu  interfectiirmn  dixerit?,  so  folgt 
daraus  gerade,  daS  Wohlwollen  zwischen  fratres  patrueles  bei  den 
Romern  das  Gegebene  war. 

Bleibt  zu  fragen,  wie  hhrdtrvya-,  wenn  es  urspriinglich  „ Vetter" 
bedeutete,  schon  von  indoiranischer  Zeit  an  unter  Aufgabe  der  alten 
Bedeutung  Bezeichnung  des  Bruderssohnes  werden  konnte.  Nun 
linden  sicli  bei  den  Verwandtschaftswortern  Iiberhaupt  oft  Ver- 
scliiebungen  der  Bedeutung.     Eine   der  hier  vorliegenden  entgegen- 


Zu  den  Verwaudtschaftsnameii.  5 

gesetzte  liegt  iiii  deiitscheu  Vetter  vor.  Die  altgermanisclieii  Furineii 
des  Wortes  bezeichnen  durchweg  den  Vaterbruder.  Aber  mittelhoch- 
deutscli  gilt  das  Wort  audi  fiir  Brudersohn  und  fiii  Vetter.  Und 
diese  letzte  Bedeutuiig  ist  in  der  Schriftspraclie  allein  iibrig  ge- 
blieben.  Genau  dasselbe  aber  wie  bei  hhrdtrvya-  ist  bei  drtfiog  ein- 
getreten.  Im  x41tgriecliisclien  von  Homer  an  im  Sinne  von  frater 
patruelis  gebrauclit,  bedeutet  drn(H<k  nebst  seinem  Femininum  bei 
den  Byzantinern  „Nefl:e",  „Niclite".  Nacligewiesen  haben  dies  die 
Erforsclier  des  spatgriechischen  Reclits,  Cuiacius  voran:  worliber  ein- 
gehend  Reitz  im  Glossar  zu  Tlieophilus  Antecessor  Paraplirasis  II 1251 
(zu  I  19,  294).  Zablreiclie  Belege  gibt  Sopliokles'  Lexikon.  In  den 
griechisch-lateinischen  Glossaren  werden  dementsprechend  dr^iiHog 
und  drtrpid  nicht  blo6  mit  consohrinus,  consohrina,  sondern  auch  mit 
nepos,  nept{i)a  gedeutet. 

Einen  fast  gleichartigen  zweiten  Fall  bieten  das  Spanische  und 
das  Portugiesische.  Hier  sind  die  lateinischen  Bezeiclmungen  fiir 
Vetter  und  Oousine  zweiten  Grades  sohrimis,  sohrina  zu  solchen  von 
Neffe  und  Nichte  geworden  (Tappolet,  Die  romanischen  Verwandtschafts- 
namen  111). 

Da6  gerade  indoiranisch  hhru-''trviya''-  seine  Bedeutung  verscliob, 
mag  erstens  damit  zusammenhangen,  dafi  in  dieser  Sprachgruppe 
anders  als  in  den  anderen  indogermanischen  Sprachen  das  Wort  fiir 
Enkel  nicht  audi  zur  Bezeichnung  des  Neffen  diente,  also  liier  eine 
Liicke  auszuf iillen  war  (vgl.  Tappolet  a.  a.  0.) :  wenn  nicht  umgekehrt 
jener  weitere  Gebrauch  von  indogerm.  nepot-  erst  durch  das  Auf- 
kommen  der  jiingeren  Bedeutung  von  hhr(Ptrvija'-'-  beschrankt  wurde. 

Ferner  pafite  zu  der  begrifflichen  Entsprechung  zwischen  Onkel, 
Vaterbruder  und  Neffe,  Brudersohn  der  Reini  zwischen  pitrvija-  und 
hhrdtrvya-.  Inimerhin  bleibt  die  Bedeutungsversdiiebung  schon  darum 
auffallend,  well  das  Wort  selbst  w^ohl  erst  indoiranischen  Ursprungs, 
kein  Erbwort  aus  der  Grundsprache  ist.  Denn  das  spatlateinische 
(in  logudoresisch  fradele  nocli  heute  lebende)  fridnielis  „ Vetter"  ist 
eine  junge  Umbildung  aus  patruelis,  die  dadurch  bewirkt  war,  dafi 
man  den  Vetter  auch  mit  frater  und  mit  frater  patruelis  bezeichnete. 

In  den  akzentuierten  Texteu  ist  ai.  hhrdtrvya-  sowohl  als  Ver- 
wandtschaftswort  wie  in  der  Bedeutung  „Nebenbuhler"  auf  der  ersten 
Silbe  betont.  Dagegen  hat  das  zufallig  nicht  vor  den  Stltras  belegte 
pitrvyd-  nach  dem  unzweideutigen  Zeugnis  von  Vartt.  1  zu  Pan.  IV  2,  30 
den  Svarita  auf  der  Schlufisilbe;  pitrvya-  bei  Bohtlingk-Eoth  ist  ein 
Druckfehler.     Offenbar  gehort   -vya-   zu   den  Sufflxen   nach  Art  von 


6  J.  Wackernagel, 

-vant-,  die  in  Bildungen  aus  Barytona  imbetont  siiid  —  daher  bkrdtr-ri/a-, 
aber  in  solclien  ans  Oxytona  auf  i,  u,  r,  n  den  Ton  erlialten  —  dalier 
pitr-v{i)ya-  (vg-1.  Verf.  Gottinger  Naclir.  1909,  50  ff.;  1914,  22  ff.).  In 
der  klassischen  Spraclie  hat  hhratrnja-  in  der  Bedeutnng  ..Neben- 
bnhler"  seine  Anfangsbetonnng  It.  Pan.  IV  1,145  bewahrt;  dagegen 
als  Verwandtschaftswort  sie  dnrcli  Svaritierung  der  Endsilbe  ersetzt 
(Pan.  IV  1, 144):  offenbar  war  hierfiir  pitrrua-  Muster  i). 

2.    Eiue  alte  Bezeichiiuiig  der  Erbtocliter. 

Im  Rigveda  IX  46,  2  liest  man  pdrishiasa  indavo  yoseva  intrya- 
vatl  vdyum  soma  asrksata  „zureclitgemacht  wie  ein  AVeib,  das  pitrya- 
vati  ist,  sind  die  Tropfen  des  Soma  dem  Vayu  zugestromt".  Sayana 
deutet  intryavati  als  pitrmaU,  was  natiirlich  nicbt  angeht.  Zutreffend 
die  Petersbnrger  Worterbiicher  „vaterliches  Gut  besitzend";  vgl.  I  48,  7 
pitryasya  ray  ah  und  I  73.  1.  9  rayih  pitrrittaJj,.  Es  fragt  sich  nur,  was 
nun  dies  wieder  eigentlich  bedeuten  soil.  Nach  Ludwig  ,,vom  Vater 
ausgestattet".  Aber  weder  gab  es  bei  den  vedischen  Indern  das 
Institut  der  Mitgift,  noch  kann  die  Mitgift  mit  pitrya-  bezeichnet 
sein.  In  Besitz  von  vaterlichem  Gut  kann  man  nur  durch  Erbschaft 
gelangen;  daher  Grafimann  im  Worterbuch  ganz  richtig  „vom  Vater 
ererbtes  Gut  besitzend"  (in  der  Ubersetzung  unklar  „Maid  im  Vater- 
sitz").  Aber  eine  Tochter  erbt  nach  altem  Brauche  nur,  wenn  keine 
Sohne  da  sind.     Also  kann  yosa  pitryavaU  nichts  anderes  heifien  als 


^)  Eine  dritte  Bilduug  mit  -mja-  will  Bartholoinae  Altiran.  Worterb.  Sp.  1689 
ill  dem  sdmaoid  erkeimeu,  das  mit  dem  Glossem  ddmat  im  Frahang  i  Oim  ed. 
Keichelt  20  (Wiener  Zeitschr.  14,  204  Z.  10.  15,179)  iiberliefert  ist.  Es  soil  1.  fiir 
2dmavi/a-  stehen,  2.  aus  ^zdma-  „so  viel  als  zdmatar-'''  abgeleitet  sein,  3.  „Bruder 
des  Schvviegersohns"  bedeuten,  4.  in  afg.  zum  ,.Schwiegersohn"  fortlebeu.  Von  diesen 
vier  Annabmen  ist  die  erste  natiiiiicb  moglich,  und  zweitens  auch  ein  zdma-  als 
Form  des  zngrunde  liegenden  Stammes  denkbar,  sei  es  als  Klirzung  von  zdmriiar-, 
sei  es  als  ein  letzter  Rest  des  sich  aus  den  verwaiidteii  Sprachen  ergebenden 
ursprilnglichen  Nomiuativs  indoir.  zci^uia^,  der  sonst  scbou  indoiraniscb  unter  dem 
Einflusse  der  anderen  Verwandtscbaftsworter  zu  za-^ma^td^  erweitert  ist.  Im  iibrigen 
ist  die  Erklarung  unannebmbar.  Hat  es  denii  in  irgend  einer  Spracbe  ein  Sonder- 
wort  gegeben  znr  Bezeicbnung  des  Bruders  des  ScbwiegersohnsV  AVas  gebt  einen 
der  an!  Und  ganz  deutlicb  gibt  die  Uberlieferung  dem  Worte  die  Bedeutung 
„Scbwiegersobn".  Eben  das  wiirde  aucb  aus  dem  von  Bartbolomae  auf  ^zdwuvya- 
zuriickgefiihrten  afg.  zum  folgen,  wenn  es  wirklich  so  zu  erklaren  ware.  Aber 
natiirlich  lebt  darin  zdmcitur-  fort.  —  Wahrscheinlich  gab  es,  wie  Andreas  vermutet, 
ein  altes  zanioi  (als  Hypokoristikum  von  zdrndUtr-),  an  das  irrtlimlicb  -o  an- 
geheftet  Avurde. 


7a\  den  VerwaiKltscbaftsuaiueii.  7 

„Erbtoehtei'".  Im  L'igv.  I  124,7a  unci  IV  5,5(1  wird  an  den  brudei- 
losen  Frauen  Lusternlieit  und  Willfalirig-keit  liervorg'ehoben.  Hier 
Avird  die  yom  jntnjavdti  mit  den  Somatropfen  vergliclien  wegen  ihres 
Gesclimiicktseins  (vielleicht  zugleicli  weg-en  des  Zueilens  auf  jemand). 
Offenbar  wird  an  ihr  Bereitstehen  fiir  die  Verlieiratung  gedacht.  So 
kann  als  Erkliirung  der  Rigvedastelle  Vasistha  17,  17  dienen,  wo 
vom  Vater  der  Erbtochter  zu  deren  kiinftigem  Gratten  gesagt  wird: 
ahhratrlmm  pradasyami  tiibhyam  hanyam  alamliftam,  asycini  yo  jay  ate 
putrah  sa  me  initro  hhaved  iti  „ dieses  brnderlose  Madclien  will  icli 
dir  unter  der  Bedingung  gesdimiickt  iibergeben,  da6  der  Solin,  der 
von  ihr  geboren  wird.  mein  Solm  ist".  Das  alamhrtam  entspricht 
dem  pdrishrtam  der  vedisclien  vStelle.  Allerdings  wird  nicht  bloB  die 
Erbtochter  zur  Vermahlung  gesdimiickt  und  zureclitgemacht  (vgl. 
AGS.  16,  If.);  aber  dal3  sie  ganz  besonders  geschmiickt  war,  scheint 
in  der  Natur  der  Sache  zu  liegen. 

Diese  Deutung  von  p/tryarati  steht  auf  sich  selbst  und  scheint 
mir  unumganglich.  Aber  erfreulich  ist  es,  dafi  sich  bei  den  Griechen 
eine  ganz  gleichartige  Bezeichnung  der  Erbtochter  nachweisen  laBt. 
Durcli  das  Gesetz  von  Gortys  hat  man  dafiir  den  Ausdruck  .TraTQfou'jyog 
kennen  gelernt.  Dieselbe  Bezeichnung  bringt  Herodot  VI  57,  20  fiir 
Sparta.  In  unseren  Handschriften  steht  zwar  jrargovyog,  und  dies  haben 
schon  die  antiken  Lexikographen  vorgefunden  (Pollux  3,  33 ;  Timaios 
lex.  Platon.  ed.  Rulmken  208;  vgl.  Eustath.  zu  //  171  S.  614,  28).  Aber 
wir  konnen  und  miissen  nunmehr,  wie  Rohl  erkannt  hat,  die  sinnlose 
unverstandliche  Form  zu  jraTQ{ojt)ovyj^g  verbessern;  es  ist  seltsam,  da6 
noch  kein  Herausgeber  dies  in  den  Text  aufzunehmen  gewagt  hat. 
Offenbar  war  es  der  den  Lakedaimoniern  mit  den  Kretern  gemein- 
same  Ausdruck.  Sonst  scheint  er  nicht  iiblich  gewesen  zu  sein. 
Wenn  ihn  Hesych  s.  v.  kf/jraifori  und  Liriyayog  (entstellt  aus  tjri- 
jraffog)  zur  Glossierung  anderer  Worter  fiir  Erbtochter  verwendet,  so 
geschieht  dies  nicht,  well  er  im  Spatgriechischen  noch  lebendig  ge- 
wesen ware  —  die  Sache  selbst  war  nicht  niehr  lebendig  —  sondern 
um  das,  was  andere  Mundarten  boten,  mit  dem  gleichzusetzen,  was 
durch  Herodot  als  lakonisch  allgemein  bekannt  war. 

Die  Ahnlichkeit  des  griechischen  Ausdrucks  mit  dem  vedischen 
springt  in  die  Augen.  Allerdings  finden  sich  zwei  Abweichungen. 
Die  Anwendung  von  jTccTQcjiog  statt  des  dem  ptfrya-  entsprechenden 
jTiiTQiog  beruht  auf  dem  allgemeinen  Vordringen  der  ersteren  Form. 
Das  Hinterglied  -oyog  ist  volleren  Begriffs  als  -rati;  die  Erbtochter 
wird   als   die  bezeichnet,   die   das  Stammgut  festhalt  und  inne   hat. 


8  J.  Wackernagel, 

Es  ware  denkbar  iind  an  sicli  das  nachstliegende,  der  Grundsprache, 
die  fiir  das  urindogermanisclie  Institut  des  Epiklerats  ein  bestimmtes 
Wort  besessen  liaben  muB,  aiif  Grund  der  vedisclien  Stelle  ein 
pdtri{t)uvnU  zuzntrauen  und  anzunehmen,  da6  das  Griechisclie  einfach 
beide  Glieder  durch  ein  verwandtes,  aber  scharferes  Ausdrucksmlttel 
ersetzt  hatte.  Nur  bliebe  zn  beweisen,  da6  die  Adjektive  auf  -uent- 
gTimdsprachlich  als  Attribute  von  Personen  verwandt  werden  konnten. 

])itryavati,  ob  nun  vollig  ererbt  oder  blo6  an  ein  Erbwort  an- 
gelelint,  stimmt,  weil  es  die  Erbtocliter  nacli  ilirer  vermogensrecht- 
lichen  Stellung'  bezeichnet,  niclit  zu  der  Auffassung,  die  der  Inder 
sonst  von  der  Bedeutung-  und  dem  Wesen  einer  Erbtocliter  liat. 
P]r  nennt  sie  putriha,  was  man  niit  „Solines- Ersatz"  umsclireiben 
kann,  und  sieht  ilire  eigentlidie  Aufgabe  darin,  ihrem  solmlosen 
Vater  durch  die  von  ihrem  Manne  empfangene  Leibesfrucht  fiir  einen 
Sohn  zu  sorgen  und  so  die  Fortdauer  des  Geschlechts  und  damit  auch 
den  Almenkult  zu  sichern.  Dagegen  j)itryavati  stimmt  vollig  zur 
griechischen  Anschauung.  Das  dem  'pHriidratl  zunachst  entsprechende 
jTaTofof)vyoQ  hat  sehr  viele  Ausdriicke  neben  sich:  alle  gehen  auf 
die  Vermogensverhaltnisse :  attisch  schon  bei  Solon  tjrixhjQog  (nebst 
ljrixX7]QiTiQ)  „der  das  Erbgut  anhaftet"  gebildet  wie  IjTf'iQiTfwg,  oder 
„zum  xlfjQog  gehorig"  (so  Harpokration,  vgi.  Beauchet  a.  u.  a.  0. 
und  Plassart  Bull.  Corresp.  hellen.  38,  131  f.),  gebildet  wie  IjTioxfjroc:; 
vgl.  Isaios  gegen  Aristokr.  4  tjil  jtccvtI  toI  or/.n  tjrlxh/Qog  tytvtro. 
Dazu  fyx?jjQog  „im  xlF/gog  sitzend"  bei  Euripides  Iph.  Taur.  682. 
Ferner  auBerhalb  des  ionisch-attischen  Sprachgebiets  aus  jrdfia  „(Erb)- 
besitz"  analog  dem  attischen  Ausdruck  tjiijta^cov  Ijrixanarig,  analog 
mit  lyxXriQog  if/jraftcor,  endlich  avTOjtd^Kov  „die  durch  sich  selbst 
Erbgut  besitzt",  vgl.  peeress  in  her  own  fiyht,  wahrend  Liridixog  nur 
dann  zur  Verwendung  kommt,  wenn  die  Erbtochter  Gegenstand  eines 
Rechtsstreites  wird. 

Es  ist  iiblich  geworden,  die  bei  den  Indern  herrschende  Auf- 
fassung  schlechtweg  als  die  urspriingliche  hinzustellen  und  in  der 
den  Griechen  eigenen  Betonung  des  vermogensrechtlichen  Moments 
eine  jiingere  Entwickhmg  zu  sehen  (Uareste-Haussoulier-Reinach, 
Inscriptions  juridiques  469  f.;  Beauchet,  Droit  prive  de  la  republique 
athenienne  1,  402ff. ;  Plassart,  Bull.  Corresp.  hellen.  38,132  Anm.  4; 
Schrader,  Worterbuch  der  indogermanischen  Altertumskunde  s.  v.). 
Eichtiger  wird  man  sagen,  da6  von  Haus  aus  beide  Momente,  das 
verm(3gensrechtliche  und  das  familiar -religiose,  von  Bedeutung  Avaren 
und  sich  beides  ohne  bewuBte  Sonderung  durchdrang.     Da6  auch  das 


Zu  den  Verwandtschaftsnamen.  9 

erstere  alt  war,  ergibt  sicli  mm  aus  dem  gewomienen  Tei'iiiiims,  emp- 
fiehlt  sich  iibrigens  durcli  die  Analogie  z.  B.  des  alten  israelitisclien 
Reclits  (Nmiieri  86).  Griechen  und  Inder  liabeii  dann  das  ihnen  fremd 
Oder  unwichtig  gewordeue  ausgesclialtet  und  nur  Riidimente  davon 
bewalirt:  die  Griechen  tragen  dem  Prinzip  der  Fortsetzung  der 
Familie  Reclmimg  in  der  Vorsclirift  regelmaBigen  elielichen  Yerlielirs 
niit  der  Erbtocliter  und  dem  Recht  der  Erbtocliter,  an  Stelle  eines 
impotenten  Mannes  einen  anderen  Verwandten  zum  Gatten  zu  walilen 
(Beaucliet  1,  456  ff.).  Umgekehrt  zeigt  bei  den  Indern  der  Ausdruck 
pHryavatl,  dafi  sie  praktiscli  um  die  okonomisclie  Seite  der  Einrichtung 
nicht  so  unbekiimmert  waren,  wie  es  die  sakral  orientierten  Reclits- 
biicher  erscheinen  lassen. 

Basel.  J.  Wackeruagel. 


ARKASATI-,   MEDHASATI-0. 


In  arJidsati-  gebeii  einige  Forscher  deni  Vordcrglied  die  Be- 
deutung-  ,.Soiine".  Das  Wort  ist  fiir  Hillebrandt  iiiclit  treunbar 
von  snrijasya  sati-,  svarsati-,  und  zwar  von  der  Verwendung  dieser 
Ansdrlicke,  die  nicht  auf  den  mythischen  Kampf  nm  den  Sonnenball 
gelit,  sondern  anf  irdisclie  Kampfe;  „Ersiegung  der  Sonne"  bedeute 
da  den  Gewinn  des  Preises,  den  man  eingesetzt  hat:  des  eignen 
Lebens. 

Icli  halte  zunachst  entgegen,  dafi  ich  fiir  arM-  „Sonne"  im  Rv. 
keinen  iiberzengenden  Beleg  finde.  Neben  der  in  jedem  Fall  weit 
vorherrsclienden  Bedeiitnng  „Hymnus"  mag  zwar  —  ich  neige  dieser 
Auffassung  abweichend  von  Bergaigne  zu  —  auch  eine  Bedeutung 
„Strahl,  Glanz"  (vgl.  arci-,  arcis-)  anznerkennen  sein.  Von  da  bis  zu 
J.Sonne"  ist  aber  doch  noch  ein  Schritt.  Das  zeigt  sich  in  VI,  4,  6 
d  suryo  net  hhanmnddhhir  arhair  dgne  tatdntlia  rodasi  vi  hhasa:  also 
die  Sonne  besitzt  arM-s;  sie  ist  nicht  arM-.  Geldner  (Glossar) 
gibt  fiir  arJcd-  „Sonne"  einen  Beleg  X,  107,  4-)-  Da  stelit  arkdm 
svarvidam:  der  arkd-  ist  wieder  nicht  die  Sonne,  sondern  er  erlangt 
sie3);  es  handelt  sich  hier  urn  die  Bedeutung  „Hymnus",  vgl.  etwa 
somam  . . .  svarvidam  IX,  84,  5;  mutdyah  svarvklah  X,  43,  1.  So  wiirden 
wir  fiir  arkdsdti-,  wenn  wir  nicht  an  „ErIangung  des  Hymnus"  denken 
wollen,   die  Bedeutung  erhalten    ,,Erlangung  des  Glanzes  (Strahls)": 

ij  Literatur  auBer  den  Worterbucheni  uiul  Ubersetzuugeu :  Bergaigne,  Rel. 
vedique  I,  279  A.,  Journ.  as.  1884,  II,  194  ff. ;  Pischel,  Ved.  Stud.  1,24;  Oldenberg, 
ZDMG.  LY,  326f.;  Hillebrandt,  Album  Kern  263  f. 

*)  Dieselbe  Stelle  als  Beleg  fiir  „Sonne"  schon  im  Pet.  Wb  ;  dort  daneben  aus 
dem  Rv.  noch  VIII,  101,  14;  X,  68,  4,  welche  Stellen,  Avie  auszufiihren  iiberfliissig 
ist,  nichts  fiir  die  in  Rede  steheude  These  ergeben. 

=•)  svar-  ist  „Sonne".  nicht  „Lichtreich",  vgl.  meine  Note  zn  X,  189.  1. 


H.  Oldenberg.  Arkasati-,  medhasati-.  11 

was  sich  von  der  erwiilmten  Deutung  Hillebrandts  stark  entfernen 
wiirde. 

Nun  aber  scheinen  mir  die  drei  Belege  von  arhlsrtti-  (I,  174,  7; 
VI,  20,  4;  26,3),  wenn  man  ihre  charakteristisclien  Ziige  priift,  auch 
ihrerseits  die  von  Hillebrandt  ang'enommene  Beziehung  auf  den  im 
tagliclien  Gang  der  Dinge  sein  Leben  einsetzenden  Kampfer  zn  wider- 
raten.  dagegen  die  Deutung  von  arM-  als  Hymnns  dringend  zu 
empfehlen. 

An  alien  drei  Stellen  flihrt  die  Ausdrucksweise  darauf,  da6  Ver- 
gangeues,  Legendarisclies  erzahlt  wird.  1,174,7:  „Es  redete  der  lavi- 
bei  der  arJcdsati-;  (da)  machtest  dn  (Indra;  oder:  maclite  er  [Indra]) 
die  Erde  dem  Dasa  zum  Lager";  in  der  zweiten  Vershalfte  folgt  die 
dunkle  Erzalilung  von  den  fisro  ddnucitrah  und  von  der  Bandigung 
des  Myavac-.  VI,  20,  4:  „Durcli  hundert  Streiclie  fielen  liier  die  Panis, 
0  Indra,  fiir  Dasoni,  den  Icavi-,  bei  der  arMsriti-" ;  es  folgt  die  Be- 
kampfung  des  Susna.  VI,  26,  3:  ,,Du  (Indra)  hast  den  hia-  angetrieben 
bei  der  arhisati-'';  es  folgt  die  Bekampfung  des  Su^?na  zugimsten  des 
Kutsa,  die  des  amarmdn-  (Sambara)  zugunsten  des  Atithigva.  Die 
arMsati-  sclieint  sich  da  iiberall  deutlich  als  ein  bestimmter,  mit  einer 
GroBtat  Indras  verkniipfter  Vorgang  zu  erweisen. 

Eine  Hauptperson  dieses  Vorgangs  lernen  wir  kennen:  den  JmcI-. 
Schon  friiher  (s.  die  Anfiihrung  S.  10  A.  1)  niachte  ich  darauf  auf- 
merksam,  da6  an  alien  drei  a;7irts«^i-Stellen  vom  kari-  die  Rede  ist. 
Hillebrandt  sieht  das  als  seiner  Deutung  keineswegs  entgegenstehend 
an:  „Ein  Kavi  hilft  beschworend  und  singend  bei  alien  Unter- 
nehmungen ;  auch  bei  den  Schlachten,  wo  man  urn  das  Leben  kampf t, 
wird  sein  Beistand  nicht  gefehlt  haben."  "Wenn  sich  so  die  gelegent- 
liche  Nennung  eines  Jcccvf-  in  der  Tat  erklaren  lafit,  bleibt  es  darum 
doch  hochst  auffallend,  da6,  wo  es  sich,  wie  man  sagen  konnte,  dem 
Wesen  der  Sache  nach  bei  der  arMsati-  um  die  mrasati-  handelte. 
mit  dieser  durchgehenden  RegelmaBigkeit  jedesmal  nicht  der  Held, 
sondern  sein  Assistent,  der  Imv'i-  hervorgehoben  wurde.  DaB  das  in 
der  Tat  kein  Zufall  ist,  wird  nun  welter  dadurch  bestatigt,  daB  auch 
abgesehen  von  diesen  Stellen  die  Vorstellungen  von  Imvi-  und  arhd- 
(und  zwar  dies  im  haufigeren  Sinne  des  Worts,  als  ,,Hymne")  be- 
merkenswerte  Neigung  zeigen  sich  zu  verbinden.  So  wird  X,  112,9 
Indra  angeredet:  tvdni  ahur  ripratammu  JcavJndrn,  worauf  die  Bitte 
folgt:  niaJidm  arkdm  maghacan  citrdm  area.  An  Soma  IX,  25,  6: 
a  ixicasva  .  .  .  hare,  arlcdsya  yonhn  asddam.  Im  Trca  VIII,  63,4 — 6 
kommt  Vers   fiir  Vers   arlcd-  vor;   in  V.  4  soil  Indra  arlcdsya  homani 


12  H.  Oldenberg, 

zii  uns  kommen;  da  wird  er  als  kavivrdhdh  bezeicliiiet.  X,  15,  9 
werden  die  Vater  hotravida  stomatasiaso  arhaih  genannt;  dann  lieiBt 
es:  Agni  komme  Ixavyaih  pitrhhih.  Dazu  dann  die  Stellen,  an  denen 
arM-  mit  ungefahren  Synonymen  von  l-ad-  wie  vipra-  oder  ImtiI-  in 
Verbindung  tritt  (YIII.  51, 10;  92,19  etc.),  und  endlich  liberhaupt  die 
evidente,  spezieller  Nachweisungen  niclit  bediirftige  Ubereinstimmung- 
der  Sphare,  innerhalb  derer  die  Vorstellungen  von  Mvi-  und  arM- 
liegen.  Damit  nun  scheint  mir  fiir  das  steliend  mit  lavt-  ziisammen- 
hangende  arMsati-  die  Wahl  zwisclien  den  beiden  Bedeutungen  von 
arM-  gesichert:  dieses  heifit  „Hymnus".  Ein  l-aii-,  irgendwie  in 
Kampfe  verwickelt,  erlangte  den  Besitz  eines  wunderwirkenden 
Hymniis;  da  sanken  vermoge  Indras  Hilfe,  die  vermutlicli  eben  durch 
jenen  arid-  ei'wirkt  wurde,  oder  vermoge  seiner  Kraft,  die  durch 
jenen  gestarkt  wurde,  die  Panis,  der  Dasa  zu  Boden:  das  etwa  mag 
die  Geschichte  von  der  arldsati-  des  lavi-  sein ').  Ein  groBter  Jcavi- 
war  bekanntlicli  Brhaspati  {havim  havindm  upamdsravastamam  II, 
23,  1),  der  samt  seinen  priesterlichen  Genossen,  wie  bekannt, 
arlmih  grofie  Taten  vollbracht  hat.  Von  ihm  heiBt  es  snrijam  (jam 
arhdm  viveda  X,  67,  5  (vgl.  68,  9) :  da  steht  nebeneinander,  was  man 
als  svdrsdti-,  gosati-,  arMsati-  dieses  kavi-  bezeichnen  konnte.  Schon 
Bergaigne  hat  auf  VII,  39,  7  =  62,  3  verwiesen,  wo  die  priesterlichen 
Sanger  die  Gotter  anrufen:  ydccJiantu  candrd  upamdm  no  arkdm. 
Die  Erfiillung  solches  Wunsches  liefie  sich  fiiglich  als  arMsati-  be- 
nennen.  Von  Erzahkmgen  iiber  die  miihevolle  Erlangung  derartigen 
geistlich- priesterlichen  Besitzes,  wie  ein  arM-  ist,  durch  Priester 
der  Vorzeit  sind  bekanntlich  die  Biahmanatexte  voll.  Ayasya  hatte 
sich  eine  sue-  zugezogen;  da  libte  er  Tapas  und  erschaute  die 
beiden  Ayasyasaman;  so  befreite  er  sich  von  der  sue-  (Pane.  Br. 
XI,  8,  10):  solche  Geschichten  waren  leicht  in  beliebiger  Masse 
zusammenzubringen.  Sie  stehen  mit  der  arMisati-  des  Imd-  etwa  auf 
einer  Linie. 

tJber  die  kaum  mit  voller  Sicherheit  entscheidbare  Frage,  ob 
der  in  diesem  Zusammenhang  auftretende  Mvi-  Usana  ist,  und  event, 
iiber  das  Verhaltnis  von  Dasoni  und  Usana  habe  ich  ZDMG.  LV,  327 
einiges  bemerkt.  Handelt  es  sich  in  der  Tat  um  Usana,  wiirde  die 
ganze  Geschichte  wohl  mit  der  Su.snabezwingung  und  Sonnenerlangung 
zusammenhangen   bezw.   in   diese    verlaufen.     Ein   havi-  erscheint  im 


')  Wieso   diese  Auffassung  in  VI,  20,  4  zu  Schwierigkeiten  flihren  soil  (Hille- 
brandt),  entgeht  mir. 


Arkasati-,  medhasati-.  13 

Zusammenhang"  iiiit  der  svarsati-  IV,  16,  W  Nacli  dem  oben  Aus- 
g-efiihrten  werden  "wir  daraus  iiaturlicli  nicht  anf  Bedentungsgleichlieit 
von  rtr/M- uiul  srar- schlieBen;  immeihin  kann  eine  aykdsati-  natiirlich 
insofern  ancli  svarsati-  sein,  als  der  ((rhi-  znr  Gewinnung  des  svar- 
verlielfen  kanii  (X.  107,  4).  — 

Wenn  icli  inbezug-  aiif  arldsati-  zum  selben  Ergebiiis  komme 
wie  Bergaigne,  der  ,.obteiition  de  I'liynine"  erklarte.  kann  ich  diesem 
Forscher  in  der  Auffassinig  von  medhasati-.  nach  ilim  „ acquisition  du 
sacrifice"  —  Geldner  (Glossar):  „das  Gewinnen  des  Opfers,  Opfer- 
konkurrenz,  Wettstreit"  —  nicht  folgen.  Hillebrandt  versteht  das 
Wort  ahnlicli;  bestimmter  sielit  er^)  in  medhd-  ein  Opfertier:  der 
Konig  zieht  auf  Bente  aus,  von  der  er  dann  ein  Stiick  Vieli  der 
lielfenden  Gottheit  opfert. 

Alles  hangt  davon  ab,  ob  man  im  Vorderglied  des  Kompositums 
medJia-  (als  Simplex  so  akzentniert!)  oder  mit  dem  Pet.  Wb.  medhd- 
sielit.  Fiir  das  erste  spriclit  die  Qiiantitat  des  -a-,  fiir  das  letztere 
der  Akzent  von  medhasati-.  Docli  sowohl  Vokalquantitat  wie  Akzent 
ist  ja  der  Verscliiebung  fahig  (Wackernagel,  Gramm.  II,  134.  232). 
Gewichtige  Momente  sclieinen  mir  nun  fiir  medhd-  zu  entscheiden. 

Die  Darbringnng  eines  Tieropfers  wird  docli  nur  im  selteneren 
Fall  mit  einem  vorangegangenen  Beutezug  zusammenhangen ;  in  der 
Regel  wird  der  Herdenbesitzer  das  Opfertier  einfach  aus  seiner  Herde 
herausgreifen.  Und  fiir  den,  der  einen  Beutezug  zu  vollbringen  wiinsclit, 
ware  es  eine  selfsame  Bezeichnung  ..nacli  einem  Tieropfer  (oder  Opfer- 
tier 2))  strebend",  indem  fiir  die  Hauptsache  ein  Nebensachliches  gesetzt 
ware,  das  mit  vielen  andern  Situationen  sich  genau  so  gut  verbindet 
wie  mit  der  liier  gemeinten,  fiir  diese  also  in  keiner  Weise  cliarakte- 
ristisch  ist. 

Aber  audi  wenn  man  die  Vorstellung  des  ein  Opfertier  liefernden 
Beutezuges  beiseite  latU^)  und  einfacli  versteht  „Erlangung  eines  Tier- 


*)  Wenigstens  an  einer  Anzabl  von  Stelleu ;  vgi.  Anni.  3. 

2)  Welche  Unterlagen  hat  iibrigens  die  Ansetzung  der  Bedeutung  „Opfertier" 
fiir  nu'dha-?  Ait.  Br.  II,  6,  3  upaimtjula  .  .  .  mfdhapaUhhi/ain  medhaw  beweist  fiir 
sich  allein  nicbts.  Ebensoweuig  uatiirlicb  die  darau  auscblieBende  Eemerlvung  jinsur 
vai  medhah.  Man  beacbte  Stellen  wie  Sat.  Br.  IX,  4,  3,  15  pamv  eva  sa  madh/fato 
vie  llio  dhlyate. 

3)  Hill,  will  iibrigens  nur  an  einem  Teil  der  Stellen  verstehen  „um  ein  Opfer- 
tier zu  gewinneu" ;  auderwarts  soil  es  sich  einfach  „um  den  Erfolg  des  eigeneu 
Opfers  iiber  den  opferuJen  Rivalen"  handeln.  Ist  solche  Zweiheit  der  Auffassung 
wahrscheinlich? 


14  H.  Oklenberg, 

opfers",  bleibt  cler  Ausdruck  befremdend.  Icli  wiifite  nicht,  da6  die 
Vorstellung-  des  „Erlang-ens"  (san-)  eines  solchen  im  Veda  irgend  eine 
Rolle  spielte,  irgend  koiikret  aiisgemalt  ware. 

Ganz  anders  verhalt  es  sich  mit  medhd-  (etwa  „Geisteskraft"). 
Dies  Wort  verbiiidet  sicli  in  typischer  Eegelmafiigkeit  mit  san-.  Ich 
verweise  auf  folg-ende  Stellen:  1,18,6  sanim  medhtmi  ayasisam; 
II,  34,  7  (die  Marut  sollen  geben)  isam  stotfhhyo  vrjdnesu  lardve 
sanim  medhdm;  V,  27,  4  dddad  red  sanim  yate  dddan  medJidm  rtayate; 
IX,  32,  G  (Soma,  verleihe)  sanim  medhdm  utd  srdvah]  endlicli  mit 
dem  Imperativ  von  san-  IX,  9,  9  (an  Soma)  sdna  medhdm  sana  svah. 
Da6  Stellen  wie  diese  die  anschauliche  Auslegung'  von  medhdsati-  ent- 
lialten,  drangt  sich  auf.  Man  beachte  nocli  folgendes.  medJuisati-  wird 
parallelisiert  mit  dem  selir  haufigen  rdjasafi-:  gdmad  a  vdjasataye 
ydmad  d  medhdsUtaye  VIII,  40,  2.  Dieser  Parallelisierung  entspriclit 
es  offenbar  genaii,  wenn  der  Wunsch  des  Beters  einerseits  sicli  auf 
sanim  vdjam  VI,  70,6  riclitet,  andererseits,  in  vollkommen  entsprecliender 
Ausdrucksweise,  auf  sanim  medhdm  (s.  die  obigen  Anfiihrungen):  womit 
die  Zugeliorigkeit  von  medhdsati-  zu  medhd-  gegeben  ist^).  Audi  im 
iibrigen  zeigt  sich  vielfach  die  Gleichartigkeit  der  urn  medhdsati-  und 
der  um  medhd-  gelagerten  Phraseologie.  So  mit  mati-  und  mdnman-: 
einerseits  VII,  66,  8,  andererseits  VII,  104,  6;  VIII,  52,  9;  X,  91,  8;  mit 
Mru-  einerseits  VIII,  3,  18,  andererseits  I,  165,  14;  II,  34,  7;  mit  dht- 
einerseits  IV,  37,  6;  VIII,  3,  18;  69, 1 ;  103,  3,  andererseits  VIII,  43. 19; 
mit  gir-  einerseits  VII,  94,  6,  andererseits  V,  42,  13.  Ein  Teil  der  hier 
zusammengebrachten  Stellen  laBt  auch  von  diesen  Parallelisierungen 
abgesehen  die  Hineingehorigkeit  von  medhdsati-  in  die  Vorstellungs- 
sphare  priesterlicher  Geistestatigkeit  deutlich  hervortreten.  Dafiir 
kann  auch  die  mehrfach  erscheinende  Verbindung  von  medhdsati-  und 
vipra-  angeflihrt  werden  (VII,  66,  8;  VIII,  3, 18;  71, 5).  Die  Vorstellungen 
der  Erlangung  der  medhd-  und  der  Ei'langung  der  vei'moge  der  medhd- 
zu  gewinnenden  Guter  schwimmen  natiirlich  ineinander.  Gegeniiber- 
stelluug  des  in  erster  Linie  priesterlichen  medhdsati-'Rrtolges  durch 
die  dhiyah  und  des  weltlichen  Erfolges  drvaia  liegt  IV,  37,  6  vor: 
auch  VIII,  40,  2  ist  offenbar  so  zu  verstehen.  Auf  fallen  konnte,  da6 
I,  129, 1  von  der  medhdsati-  im  Zusammenhang  mit  der  Bitte  an  Indra 
um  Siegverleihung   fur   den  Wagen   die  Rede   ist.     Aber   einerseits 


1)  Man  kann  entsprechend  auch  aiif  Grund  des  oben  angefiihrten  IX,  9,  9  sdna 
medhdm  sdna  srdh  argumentieren.  Die  zweite  Halfte  des  Satzes  spricht  von  srdr- 
^fiii-;  es  drangt  sich  auf,  dafi  die  erste  in  gleicher  Weise  von  iiiedhdsati-  spricht. 


Arkasati-,  medhasati-.  15 

mag-  audi  dem  Wagenkampfer  niedhd-  ein  wertvolles  Gut  sein  (vgl. 
medhaiji'im  nd  snrnm  IV,  38,  3),  wie  ja  auBer  Agni,  der  vor  alleu 
anderen  medhirah  ist,  gelegentlicli  audi  Indra  so  lieiCt.  Und  ferner 
sdieint  an  jeiier  Stelle,  wie  der  weitere  Inhalt  des  Liedes  wohl  walir- 
sdieinlidi  maclit,  der  zum  Sieg  strebende  Wagen  nur  ein  Bild  fiir 
die  dem  CTewinn  nadijagende  priesterlidie  Tatigkeit  zu  sein,  vgl. 
VII,  34,  1  etc. 

Gottingen.  H.  Oldenberg. 


GRIECHISCHE  BEDEUTUNGSLEHNWORTER 
IM  LATEIN. 

Abgekurzt  zitierte  Werke: 
Grandgeiit  =  C.  H.  Grandgeiit,  An  introduction  to  vulgar  Latin.    Boston  1907. 
Lofstedt  Komm.  =  E.  Lofstedt,  Philologischer  Kommentar  zur  Peregrinatio  Aetheriae. 

Untersuchungen  zur  Geschichte  der  lateiuischen  Sprache.    Uppsala  und  Leipzig 

191L 
Lofstedt  Spl.  St.  =  E.  Lofstedt,   Spatlateinische  Studien.     Uppsala  1908.     (Skrifter 

utgifna  af  K.  Humanistiska  Vetenskaps-Sainfundet  i  Uppsala  XII  4.) 
Eonsch  It.  =  H.  Konsch,  Itala  und  Vulgata.    Marburg  und  Leipzig  1869. 
Eonscli  SB  =  H.  Eonsch,  Semasiologische  Beitrage  zum  lateinischen  Worterbuch. 

3  Hefte.    Leipzig  1887—1889. 

Die  Geschichte  des  Studiuras  der  sprachlichen  Beziehungen 
zwischen  dem  Griechischen  und  dem  Lateinischen  ist  auffallend  reich 
an  Fehlgriffen,  auffallend  bei  dem  jahrhundertealten  lebhaften  Inter- 
esse,  das  beide  Sprachen  genossen  haben.  Aber  vielleicht  ist  gerade 
die  weite  Verbreitung  der  Kenntnis  beider  Sprachen  schuld  daran, 
da6  die  Versuche,  ihre  Beziehungen  genauer  festzulegen,  ofter  mit 
unzureichenden  Mitteln  unternommen  worden  sind.  Als  feststehendes 
Ergebnis  der  Forschung  kann  man  heute  jedenfalls  auBer  der  Zu- 
teilung  beider  zur  indogermanischen  Sprachfamilie  nur  eine  stattliche 
Anzalil  griechischer  Lehnworter  im  Hoch-  und  Volkslatein  und 
lateinische  Lehnworter  im  Spatgriechischen  betrachten,  sodann  einen 
maBgebenden  EinfluB  der  griechischen  Syntax  und  Stilistik  auf  ge- 
wisse  Klassen  der  lateinischen  Literatur.  Dagegen  haben  die  Theorien 
von  einer  vorgeschichtlichen  engeren  grako-italischen  Sprachgemein- 
schaft  und  von  einem  genetischen  Zusammenhang  der  spat-  und 
neugriechischen  Entwicklung  mit  der  vulgarlateinisch- 
spatlateinisch-romanischeni)  keinen  Anklang  gefunden.    In  den 


1)  G.  Kdrting,  Neugriechisch  und  Eomanisch,  Berlin  1896  (rair  nur  aus  der 
ablehnenden  Besprechung  von  W.  Meyer-Llibke  im  Archiv  f.  d.  Studium  der  neueren 
Sprachen  98, 174  ff .  bekannt) ;  K.  Dieterich,  Neugriechisches  und  Eonianisches  (Kuhns 


A.  Dehnimier,  (iriechisclie  Bedentuiigslehnwortor  im  Latoin.  1  ( 

letzteu  Jaliren  ist  das  letztgenannte  Problem  in  etwas  veranderter 
Gestalt  mit  Nachdi-uck  von  nenem  gestellt  nnd  tastend  erortert 
worden  i).  Man  stellt  zahlreiche  z.  T.  wirklich  iiberrascliende  Parallelen 
aus  den  spateren  Stadien  der  klassischen  Spraclien  zusamraen  nnd 
fragt  sicli:  Analogic  oder  Genealogie?^),  olme  da6  bislier  eine 
znversichtliche  Antwort  gewagt  oder  eine  genauere  Untersuclning 
der  Einzelfalle  vorgenommeu  worden  ware.  Ancli  icli  liabe  liier 
durclians  nicht  die  Absicht,  eine  absclilieBende  Losnng  zn  geben  oder 
Beispiele  zn  liaufen,  sondern  anf  einem  besonderen  Gebiet  einige 
Gesichtspnnkte  liervorznheben,  die  beim  Studinm  der  Frage  beriick- 
sichtigt  werden  miissen.  Icli  walile  dazn  ein  Kapitel,  das  im  Lateinisclien 
nocli  wenig  Beachtung  gefnnden  hat:  das  Bedentiingslehnwort, 
d.  h.  die  Ubernalime  einer  fremdspracliliclien  Bedeutnng  anf  ein  Wort, 
das  in  anderer  Bedentung  mit  dem  fremden  synonym  ist^). 

Ich  bin  mir  dabei  wolil  bewnfit,  daB  micli  die  Liickenliaftigkeit 
der  Belegreihen  nnd  der  Literatnrbenutznng  da  nnd  dort  zu  falschen 
Einzelschllissen  fiiliren  kann;  aber  wer  die  Unzulangliclikeit  nnserer 
AVorterbiicher  fiir  die  spateren  Sprachepoclien  und  den  Umfang  der 
Spezialliteratnr  iiber  diese  Gebiete  kennt,  wird  nicht  zu  streng  ur- 
teilen,  und  der  grnndsatzliche  Wert  der  einzelnen  Gesichtspnnkte 
bleibt  auch  so  bestehen. 

Freilich  hat  schon  Hieronymus  diese  Art  der  Entlehnung  klar 
erkannt.  So  sagt  er  im  Kommentar  zu  Eph.  4, 24:  quod  apiid  nos 
.,conditio",  apud  (rraecos  ..creatio"  sonat  „das  Wort  (xtujiq),  das  bei 
uns  conditio  (Griindung)  bedeutet,  bedeutet  bei  den  Griechen  creatio 
(Schopfung,  Geschopf)";  s.  S.  31.  iVhnlich  Augustin  iiber  jm<5  im 
Sinne  von  miser icors;  s.  Ronsch  SB  II  39.    Unklar  ist  mir  die  Stellung 

Zeitschr.  37  [1904],  407—423;  39  [1906],  81—136),  der  sogar  mit  dera  Unterschied 
von  „primaren"  und  „sekundaren"  Sprachen  operiert  (KZ  37,  422  Amu.). 

1)  0.  Imuiisch ,  Sprach-  und  stilgeschichtliche  Parallelen  zwischen  Griechisch 
und  Lateinisch  (N.  Jalirb.  29  [1912],  27—49);  Fr.  Pfister,  Vulgarlateinisch  und  Vulgiir- 
griechisch  (Rhein.  Mus.  67  [1912],  195  —  208)  und  an  verschiedenen  anderen  Orteii: 
Woch.  f.  kl.  Phil.  1911,  809  ff.;  1915,  328—336.  832  -838;  Berl.  phil.  Woeli.  1914, 1149  f. 

2)  Fr.  Pfister,  Rhein.  Mus.  67,  208. 

^)  Uber  lateiniscbe  Bedeutungslehnworter  im  Griechischen,  die  hier  nicht  be- 
handelt  werden  sollen  (aiQartjyoq  =  praetor,  ^(-[iaatoq  =  Augustus  u.  dgl.),  ver- 
gleiche  man  D.  Magie,  De  Romanorum  iuris  public!  sacrique  vocabulis  soUemnibus 
in  Graecum  sermonem  conversis,  Leipzig  1905;  zum  Neuen  Testament  speziell  s. 
BlaB-Debrunner,  Gramm.  des  neutest.  Griech.,  4.  Aufl.,  Gott.  1914,  §  5,  3  b.  Uber  das 
Deutsche  vgl.  S.  Singer,  Die  deutsche  Kultur  im  Spiegel  des  Bedeutungslehnwortes 
(Aufsatze  und  Vortrage  [Tiibingen  1912]  104—122). 

Andreas -Festschrift.  2 


18  A.  Debrunner, 

von  Eonscli,  clessen  Schriften  ich  die  meisten  der  folgenden  Beispiele 
verdanke,  ziini  Bedeutungslehnwort;  einerseits  reclmet  er  gelegentlich 
damit^  iind  fiigt  fast  immer  das  gTiechische  Aqiiivalent,  das  den 
Anlafi  zur  Bedeutungsiibertragung  gegeben  hat,  bei,  audererseits  aber 
spricht  er  sicli  weder  in  „Itala  und  Ynlgata",  wo  im  Absclinitt 
„Grazismen"  giite  Gelegenheit  war,  nocli  in  den  „Semasiologischen 
Beitragen"  dentlicli  dariiber  ans.  Hervorgehoben  und  spraclilicli 
richtig-  erklart  liat  die  Ersclieinnng  M.  Bonnet  2).  Von  neneren,  die 
das  Problem  geselien  haben,  erwahne  icli  nocli  C.  H.  Grandgent  S.  8 
iiber  virtiites  =  aQtrai  „Wnnder",  0.  Immisch,  N.  Jahrb.  29,  42f.  liber 
creimre  =  ipo(f8ir  „krepieren,  sterben"  und  W.  Heraeus  (s.  utilitas  S.  22). 

I. 

Bedeutungslelmworter  wird  man  in  erster  Linie  in  der  Uber- 
setzungsliteratur  suchen,  und  bei  dieser  stelit  die  lateinische 
Bib  el  3)  obenan.  Beispiele  daraus  lieBen  sicli  mit  Leicbtigkeit  zu 
Dutzenden  anfiihren.  Manche  werden  unten  bei  anderen  Gelegenlieiten 
zur  Spraclie  kommen;  liier  bescliranke  ich  mich  auf  ganz  weniges. 

Am  begreiflichsten  ist  es,  wenn  die  Ubersetzer  in  der  Wieder- 
gabe  von  allbekannten  griecliischen  Wortern,  die  in  der  Bibel  eine 
besondere  religiose  Far  bung  angenommen  batten,  sich  gern  an 
die  griechischen  Worter  mogliclist  eng  anschlossen.  So  haben  sie 
fiir  jTioToq  (iiTKjTog  „glaubig,  unglaubig"  das  fiir  jnarog  ajnorog 
„treu,  untreu"  passende  i^delis  infuJelis  eiugesetzt  (daneben  incredulus 
und  incredibiUs]  Ronsch  It.  3321,  SB  11211),  und  dies  ist  stehender 
Sprachgebraucl)  der  abendlandischen  Kirche  geworden.  Ein  anderer 
Yersucli  der  Wiedergabe  ist  fidus  in  deo  =  jriOTog  Ir  {htco  „an 
Gott  glaubig",  das  Bonnet  (s.  Anm.  2)  262  aus  Gregor  von  Tours 
und  anderen  belegt  (anders  fidus  =  confisus  bei  Ammianus  Marcellinus 
und  Gregor  von  Tours,  woriiber  Lofstedt  Spl.  St.  52 1).  Fides  mit 
seiner  langst  vorhandenen  Doppelbedeutung  „Treue"  und  „Vertrauen  — 
Glaube"  erleichterte  natlirlich  die  Erweiterung  der  Bedeutung  von 
{in)fidelis  wesentlich. 

')  SB  I  35  iiber  fmiis  =  o/olvoq  „eiii  Wegraafi",  III  85  iiber  nsitcoifihioi 
=  xolq  ovoiv. 

2)  Le  latin  de  Gregoire  de  Tours  (Paris  1890)  S.  263—265 ;  als  Beispiele  fiihrt 
er  an  accipere  =  ).a^(iuvfLv  „nehmen",  conquirere  =  avrtrjitir  „disputieren"  (vgl. 
S.  20),  iwessuru  =  O^'/.liihq  „Triibsal". 

3)  Und  zwar  sowohl  die  vorhieronj'mianischen  Fragmente  (Itala  oder  Vetns 
Latina),  als  auch  die  Vulgata  des  Hieronymus. 


Griechische  Bedeutniigslelinworter  iiii   liatein.  lit 

Alls  der  religiosen  Sphare  der  Bibel  erwiilme  icli  noch 
communicare  ^=^  xoivorv  ,,(ritiiell)  unrein  maclien,  beflecken" 
(Ronscli  It.  354;  Thesaurus  III  1957;  vgi.  besonders  Mark.  7, 15  Yulg., 
wo  zuerst  coinqmnare  =  xoircoaai,  naclilier  (ptae  communicant  =  tu 
y.oirocvra  und  vs.  18,  20.  23  nur  noch  commimicare). 

repufare  =  ?.oyi^eo^}^ai  ,,anrechnen  als" 
(Georges  s.  v.  II B  0,  Ronsch  SB  III  73). 

testamentum  =  diaOtjxr/   ,,Bund,  Yertrag". 
rirtutes  =  uQtTai  „Wuiider" 
(s.  die  Lexika  und  oben  S.  18). 

Besondere  Hervorhebiing   verdienen  Falle,   in   denen   eine   un- 
gewohnliche   Bedeutung    von    einer   einzigen    biblischen    Stelle 
aus  sich  mehr  oder  weniger  verbreitet  hat.     So 
adiacere  alicui  =  „nahe  liegen,  zur  Verfiigung  stehen,  in 
jemandes  Macht  stehen". 

Rom.  7, 18  TO  yao  (i^tltiv  jraQc'r/.tiTai  (loi  iind  21  or/  l;io\  to  y.axor 
jraQaxeiTcu  ist  in  der  Vulgata  wortlich  wiedergegeben  mit  nam  velle 
adiacet  miJii  und  (juoniam  mihi  maltim^  adiacet.  Bei  der  "SVichtigkeit, 
die  dieser  Stelle  in  der  Dogmatik  zukommt,  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern,  da6  die  Kirchenschriftsteller  den  Ausdruck  gelegentlich 
ilbernehmen,  auch  etwa  ohne  direkten  AnschluB  an  die  genannte 
Bibelstelle  (Beispiele  bei  Ronsch  SB  III  5  f.  und  im  Thesaurus  I  665). 

Weil    die    griechischen    Ubersetziingen    heiliger    Schriften    der 
Juden   sich   oft   auch  ihrerseits  eng  an  ihr  Original  anschlieBen  und 
so   Bedeutungshebraismen    schaffen.    kann    durch    Weiteriibersetzung 
ein  soleher  Hebraismus  auch  ins  Lateinische  iibergehen. 
celle  aliquem  =  ,,gern  haben". 

Das  hebraische  fsn  entsprach  sehr  oft  dem  griechischen  {^tl^ir 
c.  inf.  :=  „\vo]len";  da  es  aber  niit  Akk.  oder  a  auch  „Gefallen  haben 
an  jemand  oder  etwas"  bedeutete,  koniite  eine  wortliche  Ubersetzuiig 
das  einmal  als  Aquivalent  charakterisierte  d-tXsir  auch  so  brauchen: 
z.  B.  Ps.  21,  9  (hebr.  22,  9)  (tvoaoB^o)  avTov,  ocooaToj  avTor,  otl  dtXii 
avTov,   vgl.   Matth.  27,43,   Ps.  17  (18),  200.     Kein   Wimder,   dafi   die 


1)  Die  Papiniaiistelle  aus  den  Digesten  be^veist  uichts  gegen  meiue  Auf f assiing ; 
vgl.  Jors  bei  Pauly  -Wissowa  V  526  f.  ilber  Grazismen  Avie  const/tutKS  =  xccx^eotw.: 
ill  den  Digesten. 

2)  Ignat.  ad  Magu.  3,  2  elg  ii/iriv  oiv  ixelrov  zov  &£?.7'jaca'Tog  fjfiug  „zu  seinen 
Eliren,  der  ims  erwablt  bat"  verwendet  den  Ausdruck  selbstaiidig. 

2* 


20  A.  Debrunner, 

Vulgata  den  Hebraismns  iibernimmt:  Ps.  21,9  salvum.  faciat  eum,  quo- 
niam  vuU  eimi;  vgl.  ebeufalls  Matth.  27,43  imd  Ps.  17,20,  dazu 
Ps.  40  (41),  12  iind  Mai.  3, 1  ')•  Dem  profanen  Griecliisch  ist  dtXur 
rird  tiberhaupt  fremd'^),  das  eclite  Latein  kennt  mir  te  volo  „dicli 
wunsche  icli  zn  sprechen,  von  dir  will  ich  etwas"  u.  dgl.  Etwas 
anders  liegt  die  Saclie  bei  velle  aliquid  :  lioc  volo,  si  quid  vellet  u.  dgl. 
sind  alltagliclie  Phrasen,  auch  Ding'-Substantiva  als  Objekt  kommen 
vor:  aquam  velim  Plautus,  si  siiam  gratiam  vellent  Casar,  usw.  Also 
ist  misericordiam  volo  {volui)  et  non  sacrificium  Matth.  9,  13  =  12,7 
=  Hos.  6,  6  imd  ahnliches  nicht  imlateinisch.  Dagegen  ist  BtXtir  tl 
ungriecliisch  3),  also  auch  die  griechische  Vorlage  der  eben  angefiihrten 
Vulgatastellen:  iXto^  {^tXco  xal  ov  (Hos.  //)  0  volar.  Es  trifft  sich 
also  zufallig,  da6  das  Bedeutungslehnwort  bei  der  weiteren  Entlehnung 
weniger  fremd  wird.  Als  Gegensatz  beachte  man  den  krassen  Uber- 
setznng-shebraismus  Ps.  Ill  (112),  1  tr  tcuq  trroXaig  avmv  fhth}<j^i. 
(a  i^sn)  acfodQci  LXX  =  in  mandatis  eius  volet  nimis  Vulg. 

Aufier  der  religiosen  Literatur  des  Lateinischen  steht  bekanntlich 
die  wissenschaftliche  jeder  Art  in  hohem  Grad  unter  dem  sprachlichen 
EinfluB  des  Griechischen.  An  die  Bedeutungslehnworter  der 
Grammatik,  aus  denen  ja  noch  wir  den  GroSteil  unserer  gram- 
matischen  Termini  bestreiten,  brauche  ich  nur  eben  zu  erinnern: 
adiectivum  =  tJiiOiTor,  casus  =  jircoOig,  verbum  =  (>fj/'(h  ^^i^w.  Auch 
auf  die  iibersetzten- philosophischen  Termini  will  ich  nicht 
eingehen:  indi/ferens  =  d6idg:oQoi',  essentia  ^=  orota,  conquirere 
=  avry/jTuv  „wissenschaftlich  disputieren"  ^),  usw. 

Zu  wenig  Aufmerksamkeit  schenkt  man  wohl  gewohnlich  dem 
sprachlichen  Einflu6  des  Griechischen  auf  die  lateinische  medizinische 
Literatur.  Als  Beispiele  fiir  Bedeutungslehnworter  aus  diesem  Ge- 
biet  mog-en  folgende  dienen: 

adiectus  =  „iibertrieben,  erkilnstelt" 
(eig-entlich   „nachtraglich  oder  von   auCen  angefligt")   als  Gegensatz 
zu   natnralis  wird  von  Ronsch  SB  II  1   und  dem  Thesaurus  aus  An- 

')  Nicht  Sach.  3, 1,  wie  Ronsch  SB  III  8G  steht. 

")  Ahgeseheii  von  Ellipsen  wie  Horn.  Od.  1-1, 171  f.  avrccf)  Y)<SvaaerQ 

l'?.x)^oi,  onojq  fiiv  lyu)  j''  ^S^i'ho  (scil.  k?.O^eif). 
^)  Wenn  nicht  ein  Inf.  vorschwebt  wie  z.  B.  Herodot  I  71  amorTai  ovx  oaa 

*)  Bei  Cic.  rep.  Ill  (17)  nnd  oft  in  der  Bibel;  hier  auch  conquisitio  und  -for 
(Ronsch  SB  I  20,  III  19  f. ;  Thesaurus  IV  356).     S.  auch  oben  S.  18  Anm.  2. 


Giiechisclie  Bedeutungslebiiworter  im  Lateiii.  21 

thimus  (Arzt,  YI.  Jaliiii.  n.  Chr.)  mit  einer  einzigen  Stelle  belegt; 
Ronsch  fiigt  richtig-  bei:  „Einen  ahnliclien  Gebrauch  kanii  man  beini 
griechischen  IrriihtToc  beobachten".  In  der  Tat  kommt  ajrltHrog  seit 
Isokrates  ofter  als  Gegensatz  zu  jrarQioc  „altererbt'',  dhjihroq.  „eclit, 
wirklich"  nsw.  vor;  vgl.  audi  Menander  fr.  534, 13  (III  158  Kock) 
tjTidtTa  Tfi  (fiObi  yur/M,  Dionys.  Hal.  tJtiBtroi  xoo/ioi,  xaTaoxtvf)  tjri- 
dsTOQ.  ZugTunde  liegt  das  Verbum  adicere,  das  normale  Aquivalent 
von  ijTiTix^trai  „beifUgen".  Man  erinnere  sich  audi  an  adiectimm 
=  Ixid^trov. 

facere  m.  Dat.  mid  mit  ad  =  ,,"\virken,  helfen  gegen  eine 

Krankheit"', 
das  H.  Ahlqvist,  Studien  zur  Mulomedidna  Chironis  (Uppsala 
Univ.  Arsskrift  1909)  S.  33  und  60  aus  Chiron  i)  erwalint,  ist  Uber- 
setzung  der  griediisdien  Medizinerplirase  to  (fdQiiaxov  jrotei  (Plato 
Phaedon  117  B,  jtqoc  rt  Strabo  und  Dioskor.).  Der  Dativ  bei  facere 
ist  wolil  der  Erinnerung  an  mederi  zu  verdanken.  Flir  ,,dienen 
(im  Sinne  unseres  hoflidien  ,es  dient  mir  nidit'),  passen"  kennt  das 
Griechische  jroaiv  nvi,  jtqoq  ti  oder  jTQrk  riva  und  das  Lateinisdie 
facere  (aUcui)  und  ad  alkiuid.  Vermutlich  geliort  das  zu  den  Be- 
deutungsentlelinungen  des  Umgangskomments,  von  denen  unteu  S.  25  f. 
die  Rede  sein  wird.  In  der  medizinisdien  Formel  ware  dann  die 
Entlehnuiig  in  nodi  melir  eingeengtem  Sinne  wiederliolt  worden. 

Eine  besondere  Untersudiung  verdienen  die  Bedeutungslehn- 
worter  in  den  Glossen.  Eine  riditige  Einsdiatzung  der  Tragweite 
soldier  Beispiele  stofit  auf  die  Sdiwierigkeit,  da6  ilire  Herkunft  un- 
bekannt  ist;  es  kann  sidi  ebensogut  um  Vulgares  liandeln  wie  um 
literarisches  Gut  aller  Gattungen. 

implicare  =  „frisieren". 
fc//jr/txo>  implico  innexo  Corp.  Gloss.  Lat.  11296,34;  tfLT/.txTouc 
implicatrix  ornatrix  33  (Ronsdi  SB  III  45),  vgl.  implicuit  bViJcXtB,tr 
1185,18,  implicare  pro  ornare  (cod.  perornare)  V  642, 55  (Nonius); 
dazu  Hon  implicata  capiUorum  1.  Petr.  3,  3  (bei  Ambros.)  ==  ovy  .  .  . 
t(L-T}j)xiy  TQiyojv.  Unter  den  editlateinisdien  Bedeutungen  von  im- 
pMcure  stelit  am  nadisten  „ins  Haar  flediteu,  bekranzen"  (crinem  auro, 
tempora  ramo  Vergil).  Vgl.  tifjrt.TAr/itti'OJ:  ,,mit  gelloditenem  Haar" 
bei  Atlienaus  und  Ii/jt/Jxtquc  mit  der  Erklarung  xoi(i(ojT{>ia  bei  Moeris 

')  Nach  dem  Thesaurus  s.  v.  Tiodw  S.  1297  f.  gibt  der  Mediziiier  Plinius  noiei 
n^jo^  unter  anderem  auch  durch  facH  ad  wieder. 


22  A.  Debruniier, 

iind  Suidas  und  im  Etym.  Magn.,  ferner  tfijr/oxtj  bei  Strabo  XVII, 
S.  828  und  1.  Petr.  3,  3.  Die  Verwendung  von  implicare  fiir  die  be- 
sondere  Bedeutung  von  liutXtxtir  ist  jedenfalls  durcli  die  leiclit  er- 
kenntliclie  etymologische  Identitat  der  beiden  Worter  verursacht 
worden. 

Endlicli  muclite  ich  einen  Yermittler  von  Bedeutungsgrazismen 
in  den  Grabinschriften  seheni).  Folgende  Beispiele  scheinen  mir 
fiir  diese  Griippe  in  Betracht  zu  kommen: 

decipere  =  „toten". 

Beispiele  aus  spaterer  Zeit  finden  sich  bei  E.  Lofstedt  Spl. 
St.  72 — 74  und  im  Tliesaurus  Y  178.  Am  gebrauchlichsten  sclieint 
dece2)tus  =  „gestorben"  in  Grabinscliriften  zu  sein,  vgl.  z.  B.  CIL 
IX  5012,  5  (=  Biicheler,  Carm.  epigr.  649,  5)  priynis  deceptus  in  annis, 
11114644,3  fato  deceptus,  non  ah  homine.  Ich  vermute  stark,  es 
handle  sich  hier  urn  ein  vorzugsweise  durch  die  Grabinschriften  ver- 
mitteltes  Bedeutungslehnwort:  decipere  =  oaaV.eir  ,,zu  Fall  bringen*', 
weil  decipere  =  GqalXtiv  „tauschen".  Leider  steht  mir  fiir  eine  dem 
decexitiis  entsprechende  Verwendung  von  GffaXdc  in  Grabinschriften 
nur  ein  Beispiel  zur  Verfiigung:  Kaibel,  Epigr.  Graeca  ex  lap.  conlecta 
Nr.  208  b,  14  =  IG  XII  8,441  (p.  140)  (Thasos,  ca.  100  v.  Clir.): 

y.artldt  d'  oitl  )'i\urfix(o}'  Ir/ifaQoi^ 
jraOTor  ydifcor  jruQedgor,  d)JJ  cljc^  okl^kor 
Gf/alt'iL;  iitldd-QOJV  orr/?'or  t'l'Ai}'  r.T'  'Aider 

,,aus  einem  gliicklichen  Familienkreis  weggestorben". 

memoria  =  ,,  Grabmal" 
(Bibel,  Kirchenschriftsteller,  Persiusscholien,  Inschr. ;  s.  Ronsch  SB  1 44  f .) 
gibt   das  griechische  jiv/jfui  wieder,   das  am  haufigsten  „Erinnerung" 
=  monoria  bedentet,  aber  auch  synonym  mit  ifr/'jua  [(Djiitlor  ,,Grab- 
mal"  vorkommt. 

utilitas  =  „Bravheit". 
CIL  VI  30248  totius  utiUtatis  entspricht,  wie  W.  Heraeus,  Gott. 
Gel.  Anz.  1915,  478  f.  bemerkt,  einem  griechischen  .-tuoijc  '//ji/otot/jtoc: 
vgl.  CIL  XII  2085, 3   iiteletas  miranda   vero,    laudanda   columtus  (sic! 

')  Ygl.  Kaibel,  Sepulcralia  (Hermes  35  [19001,  507—572);  Bruno  Lier,  Topica 
carmiimm  sepnlcralium  latinorum  (Philologns  62  [1903],  445—477.  563— G03;  63  [1904J, 
54  —  65),  der  die  griechischen  Vorbilder  der  Schmerzens-  und  Trostwendungen 
nachweist. 


(xnecbische  Bedeutungslehnworter  im  Lateiu.  23 

Vers!)   uiid  ahnlich  XIII  2484,  5 1).    A'(>//oroc  „brauclibar''  ist  idoneiis 
und  ntilis]  daher  werden  beide  audi  fiir  „brav"  gebraucht^). 

Alle  bislier  erwahnten  Falle  sind  streng  g-enommen  Ubersetzungs- 
fehler,  indem  auf  ein  lateinisches  Wort  eine  ihm  nicht  eigene  Be- 
deiitung  des  griechisclien  Sj'nonjaiis  iibertragen  wurde.  Daneben  gibt 
es  aber  nocli  eine  grobere  Art  von  U bersetzungsfehlern,  solclie, 
die  auf  einem  direkten  Mifiverstandnis  eines  griechisclien 
Wortes  beruhen.  Nach  meiner  Ansicht  sind  sie  gerade  deswegen 
wichtig.  Denn  erstens  bewahrt  die  Erkenntnis  soldier  Fiille  vor 
falschen  Scliliissen  auf  die  Volksspraclie ;  zweitens  gewinnt  man  da- 
durcli,  wie  liberhaupt  durcli  das  Studium  von  Ubersetznngsliteratur, 
manclien  Einblick  in  die  Vorgange  der  individuellen  Spracliscliopfung 
und  Bedeutungsverscliiebung,  die  ja  ein  Fundament  der  Spracli- 
entwicklung  bildet. 

adsistere  =  „darbieten". 

Ein  Fragment  der  Vetus  Latina  hat  Hosea  9, 13  die  Worte 
Efrem,  quemadmodum  vidi,  in  hestiam  adstiterunt  filios  suos  (Ronsch 
SB  III  6);  das  ist  Wort  fiir  Wort  =  'Er/^iaiif,  or  tqojtov  tidov,  du 
fh/Qav  jraQtOtiiOav  tcc  Ttxi'a  avTVJV  der  Septuaginta  niit  der  Ab- 
weichung,  daB  dijQav  mit  dTjQa  verwechselt  ist.  Trotz  den  Schwierig- 
keiten  der  Stelle,  die  in  den  groBen  Yerschiedenheiten  des  griechisclien 
und  hebraischen  Textes  zuni  Ausdruck  kommen,  niufite  im  Septuaginta- 
text  doch  so  viel  klar  sein,  daB  jncQtOTijOfw  bedeuten  sollte  „sie 
stellten  zur  Verfiigung" ;  der  Ubersetzer  hat  aber  wohl  jra^itaTijoav 
intransitiv  =  „sie  traten  hinzu"  gefaBt.  Es  ist  daher  schwerlich 
richtig,  wenn  der  Thesaurus  (II  902)  nach  dem  Vorbild  des  transitiven 
sistere  ein  assistere  ^=  exhibere  praebere  konstruiert;  seine  zweite  Stelle, 
Iren.  I  13, 6  rationem  tamquam  \te\  imam  {unum  trad.)  exsistentem 
mdici  assiste  =  loyor  cjg  I'ra  orru  to)  xQirfj  jnniuar/jOu)',  zeigt  wohl 
denselben  Fehler  noch  etwas  vergrobert  (assiste  =  jra()doT9]th  oder 
hellenistisch  jraQdoTa),  und  die  dritte,  Passio  Rogatiani  6  confessores 
Christi  in  conspedii  populi  praecepit  assisti,  kann  auch  einfach  ein  Beleg 
fiir  die  bekannte  spatere  Vertauschung  von  Aktiv  und  Deponens  sein. 

')  Anders  die  ebenfalls  von  Heiaeus  zitierte  Stelle  des  Itiueraiium  Alexaudri 
S.  16, 10  Volkm.  qiioniain.  voti  commimis  utilitas,  nun  privatuc  iactantiac  (jloria 
petebdtur  „da  ich  im  Ange  hatte,  was  iinserin  gemeinsamen  Wuusche  dieulich  ist, 
nicht  was  meineni  privaten  Ehrgeiz  zum  Erfolg  verhilft". 

''')  Zu  idonciis  „ehiiicli,  brav"  bei  Kirchenschriftstelleru  und  in  (ilossen  s. 
Ronsch  SB  II  18. 


24  A.  Debnmner, 

bene  sentire  in  aliquo  =  „Gefallen  finden  an  Jeniand" 
entspringt  einer  falsclien  Zerlegimg  von  tvdoxm^  in  6t^  und  doxur. 
Belege  bei  Ronscli  SB  III  11  und  im  Thesaurus  II  1891  aus  der 
Vetus  Latina  und  dem  lateinischen  Irenaus;  letzterer  wendet  den 
Ausdruck  wie  andere  Biblizismen  audi  selbstandig-  an.  Die  Vulgata 
libersetzt  ti'6oxtir  in  der  Regel  mit  bene  complacere. 

mut'us  „Maulkorb". 
Der  einzigen  Vulgatastelle  Sirach  20,  31  zuliebe,  wo  mntus  als 
Ubersetzung  von  qiiioc  vorkommt,  brauclit  man  sich  niclit,  wie  Eonscli 
SB  I  48  f.  es  tut,  viele  Miihe  zu  geben,  ein  vulgarlateinisclies  mutiis 
=  „Maulkorb"  walirscheinlicli  zu  machen,  obschon  dafiir  nirgends 
ein  greifbarer  Anlialtspunkt  zu  finden  ist.  Warum  sollte  nicht  aus 
der  gelaufigen  Wiedergabe  von  c/iffova&ai  durcli  ohmutescere  ein 
falsches  miitiis  =  qiffog  lierausdestilliert  worden  sein? 

patria  =  „Farailie,  Generation", 
von  Ronsch  SB  I  54   aus   einigen  Text-  und  Randlesarten  der  Vetus 
Latina  zitiert,  ist  besonders  kiihn:    Das  eclitlateinische  ^j«fr/ff  nimmt 
die  Bedeutung   des   plionetisch  identischen,    aber  semasiologisch  nie 
entsprechenden  jtcctqu'c  an. 

Viel  wiclitiger  als  alle  diese  literarisclien  oder  gebildeten  Be- 
deutungslelinworter  waren  freilich  solclie  Entlehnungen  aus  der 
Umgangssprache,  falls  sie  nacliweisbar  waren.  Ich  wage  mit 
einigen  Wortern  diesen  Versuch,  im  vollen  BewuBtsein  der  Schwierig- 
keiten. 

facers  =  „(Zeit)  zubringen". 

Seit  Demosthenes  19,  163  ord'  tjroiyoa)'  yQorov  ovdtra  „und  sie 
hielten  sich  gar  nicht  auf"  gehort  jtoiuv  mit  Zeitangabe  als  Objekt 
gar  nicht  zu  den  Seltenlieiten.  Das  Lateinische  alimt  das  seit  Ovid 
und  Seneca  mit  fecit  tria  quinquennia  usw.  nacli  i)  (Ronsch  It.  366  f . ; 
SB  III  39;  Grandgent  8;  Lofstedt  Komm.  166  f.).  Uber  das  Problem 
„utnim  Graeci  Latinos,  an  cero  hi  illos,  sint  imitati'',  audi  iiber  die 
Ansicht  „hene  Graecam,  bene  Latinam  Jiaberi  ptosse  {Jianc  It^iry 
referiert  schon  G.  Dindorf  im  griechischen  Thesaurus  unter  jtoihv 
S.  1293  sehr  ausf ilhrlich ;  er  entscheidet  sich  im  AnschluB  an  ('asau- 
bonus  fur  die  Prioritat  des  Griechischen. 


*)  Der  Ablativ  cum  qua  fecit  uuitis  ...  in  Grabiuschriften  (Ronscli  SB  III  39) 
iieben  fecit  .  .  .  annos  stammt  von  der  Doppelheit  vixit  annos  —  vixit  minis;  vg'l. 
Lofstedt  Komm.  167  und  52  —  56.    • 


Griechiscbe  Be(leiitung.sleliiiwurter  iin  Lateiu.  25 

ministerium  =  „  Service". 

Audi  Eonscli  SB  I46f.,  der  die  Beispiele  von  Georges  durcli 
zwei  aus  der  Yulgata  und  durch  mehrere  profane  und  christliche  aus 
der  spateren  Sprache  vermelirt,  hat  niclit  beachtet,  dafs  diese  Be- 
deutung  entlehnt  ist;  und  doch  liatte  ihn  der  Vergleicli  der  von  ilim 
zitierten  Vulgatastelle  1.  Makk.  11,  58  et  misit  illi  vasa  aurea  in 
ministerium  mit  der  griechischen  Vorlage  xai  djrtorttAir  avrro  ygv- 
cojftaTa  y.al  diaxorlar  auf  die  richtige  Fahrte  fiiliren  sollen;  vgl. 
Moschion  bei  Athenaus  V208a:  s^^ZoOr/xai  y.ai  xQi(iaroi  xal  ajxTavtla 
'Acu  iirloi  xa)  jT?.eiovc:  triQui  diaxoviai. 

vexare  ■=  „bemiilien". 

Das  griechische  axv^Miv  „zerkratzen,  zerreifien,  plagen"  ist  in 
der  hellenistischen  Umgangsspraclie  in  Hofliclikeitsphrasen  zur  Be- 
deutung  „beniiilien"  verflacht.  So  Mark.  5,  35  tI  tn  cxvlXeia  tor 
di6a(jXiUMv\  Vulg.  quid  ultra  vexas  3Iagisfrum?  Luk.  8,  49  in/xtri 
(jxvXXe  tov  6i6('«)xalor  =  noli  vexare  ilium]  7,  6  xvqh,  in)  axvlXov 
=:  Bomine.  noli  vexari  „bemiihe  dich  nicht".  Mehrmals  kommt  das 
Wort  auf  Papjaiis  so  vor:  Pap.  Oxyrli.  I  123,  10  (3.  oder  4.  Jahr- 
hundert  n.  Clir.)  jrohjoov  avrdr  oxvPS/rai  .TrQog  Tifiod^eoi^  ,,veranlasse 
ihn,  sich  zu  T.  zu  bemiihen";  I  63, 12  (2.  oder  3.  Jahrhundert  n.  Chr.) 
ovroxvXr/di  avrfo  „unterstiitze  seine  Bemiihungen";  II  295,  5  (zirka 
35  n.  Chr.)  ///}  oxXvXXe  (sic)  f-aT/jV  „bemiihe  dich  nicht";  weitere  Bei- 
spiele bei  J.  H.  Moulton,  Expositor  VI  3,  274;  VI  7,  120.  Auch  der 
Historiker  Herodian  (um  240  n.  Chr.)  kennt  das  Wort^).  Viele  Bei- 
spiele aus  spateren  Autoren  gibt  der  Thesaurus,  der  auch  schon 
auf  unser  ,,sich  bemiihen"  hinweist.  —  Nun  finden  wir  dieselben 
A\^endungen  des  guten  Tones  bei  Lateinern  mit  vexare  ,,mi6handeln" 
ausgedriickt.  AuBer  den  oben  angefiihrten  Stellen  aus  der  Vulgata 
und  den  Glossen  cjxvXjxo  fatigo  vexo  Corp.  Gloss.  Lat.  II  434,  21,  vexat 
oyXti  oxvXX.hi  207,  51  verweise  ich  auf  Martial  I  117,  5 

nan  est,  quod  puerum,  Luperce,  vexes 
„du  brauchst  den  Jungen  nicht  zu  bemiihen,  L.".  Fronto  S.  94  Naber 
2)eto  a  te  .  .  .  ne  te  .  .  .  Lorium  rexes  „ich  bitte  dich,  dich  nicht  nach 
L.  zu  bemiihen".  Peregrinatio  Aetheriae  8,  5  ipse  ergo  cum  se  dig- 
natus  fuisset  vexare  et  ihi  nos  occurrere  .  .  .  „da  er  nun  selbst  geruht 
hatte,    sich   zu   bemiihen   und   uns   dorthin   entgegenzukommen   .  .  ." 


')  Lukian  Lexipb.  21  fulirt  oxv/J.8ai)^ai  uiiter  einigen  preziciseii  Wortern  an; 
fur  die  Bedentung  ergibt  sich  daraus  nichts. 


26  A.  Debniniier, 

iind  9,  3  et  ideo  iam  non  fuit  neeesse  vexare  milites  „deslialb  brauclite 
man  die  S.  niclit  mehr  zu  bemiihen".  Ob  die  Verfasserin  der  Pere- 
grinatio  die  Wendung  aus  ihrer  Bibel  (Meister,  Rhein.Mus.  64  [1909],  373) 
Oder  aus  der  Umgangssprache  genommen  hat  (Lofstedt  Komm.  189),  ist 
fiir  uns  gleicligiiltig;  siclier  ist,  da6  audi  auBerhalb  der  Mogliclikeit 
biblischen  Einflusses  die  griechisclie  uiid  die  lateinische  Umgangs- 
spraclie  die  Wendiingen  keiint.  Hire  Werbekraft  erweist  sicli  glanzend 
durcli  ilire  Eiiialtuiig  ini  Italienischeii  imd  Spanisclien  (Lofstedt  a.  a.  0.) 
und  ihre  Naclibildung  in  nnserer  Hofliclikeitsspraclie. 

Zum  Beweis  jedocli,  wie  vorsichtig  die  Beurteilung  vorgelien 
muB  und  wie  leiclit  man  gelegentlich  eine  spatere  Ersclieinung  in 
die  klassisclie  Zeit  zuriickversetzt,  nioge  folgendes  Beispiel  liier 
seinen  Platz  finden: 

colligere  =^  „aufnelimen,  belierbergen" 
belegt  Konscli  It.  353  und  SB  III  15  aus  der  Bibel  und  aus  kirch- 
liclien  Autoren,  z.  B.  Mattli.  25,  35  (vgl.  25,38.43)  Vulgata:  hosjjcs 
eram  et  coUegistis  me  =  s^i'og  S'lurjr  xdi  ovi'rp/dyiTt  //,<^.  Der  The- 
saurus (III  1011)  fligt  mehrere  pi'ofane  Stellen  bei;  wenn  man  sie  aber 
genauer  betrachtet,  so  sind  sie  anders  geartet:  Die  alteste  davon, 
Ovid.  met.  XI  380,  gehort  liberhaupt  nicht  hierher;  denn 

nee  Pelea  damna  movehant; 
sed,  memor  admissi,  Nereida  colligit  orham 
damna  sua  inferias  exstincto  mittere  PJioco 
bedeutet:  „doch  auf  Peleus  machte  der  Verlust  (seiner  Einder  durch 
einen  Wolf)  keinen  Eindruck;  sondern  in  Erinnerung  an  sein  Ver- 
brechen  (die  Ermordung  seines  Stiefbruders  Pliokos)  schloB  er,  die 
kindeiiose  Nereide  (Psamathe,  die  Mutter  des  Phokos)  schicke  seine 
(des  Peleus)  verlorenen  Tiere  dem  ermordeten  Phokos  als  Toten- 
opfer"  (vgl.  Siebelis-Polle  zur  Stelle).  An  anderen  Stellen  ist  vom 
Aufnehmen  (im  wortlichsten  Sinne  des  ,,Zusamnienlesens")  von  Aus- 
gesetzten  die  Rede;  so  Quintilian  decl.  372.  Lact.,  Aug.,  Cod.  Theod.  usw., 
auch  Froiitin.  aq.  10  virginem  .  .  .  in  agro  LucuUiano  collectam,  Vir. 
ill.  1,  3  max  Faustulus  ji^istor  coUectos  (soil.  Romuliim  et  Betnum)  Accae 
Larentiae  coniugi  educundos  dedit,  Dictys  5,  9  coUectum  eum  .  .  .  <id 
se  deducit,  audi  Vulg.  Micha  4,  6  eam,  qtiam  eieceram,  colUgam 
(=  tlod&softai;  unmittelbar  vorher  ist  Gvrdsfo  durch  congregaho  iiber- 
setzt)  0.  Alle  anderen  Stellen  konnen  auf  den  aus  Matth.  25  stammenden 

*)  Sil.  It.  10,  3  i.st  fcra  colligit  hostem  unklar ;  man  ervvartet  ein  Verljuiu  ^\'ie 
„angreifen"  oder  „toten"  {covripH  vermiitet  Schrader). 


Griechische  Bedeutuiigslehinvorter  im  Latein.  27 

kirchlichen  Gebrauch  zuruckg-efiihrt  werden,  also  in  letzter  Linie  auf 
aiwdyuv.  Freilicli  liegt  das  echtlateinisclie  expositum  coUujere  niclit 
weit  ab;  urn  so  leicliter  erklart  sicli  die  starke  Yerbreitiing  der  ent- 
lehnten  Bedeiitung  imd  ilir  Ubergaiig  in  die  romanisclien  Sprachen: 
franz.  accueillir  ,,aufnehmen"  =  adcoUigere.  —  Kein  Zweifel  kann 
dariiber  bestelien,  dafi  colli(ji  mit  oder  obne  ad  patres  im  Sinne  von 
„sterben"'  (Thesaurus  a.  a.  0.)  aus  der  L^bersetzung  des  Alten  Testa- 
ments stamnit. 

II. 

Bisher  haben  wir  hauptsacblicli  die  auGeren  A^'ege,  auf  denen 
die  Bedeutmigslehnworter  ins  Lateinisclie  eingedrungen  sind,  be- 
trachtet.  Jetzt  soil  etwas  anderes  ins  Auge  gefafit  werden:  die 
Verscliiedenartigkeit  der  bedeutungsgeschichtliclien  Wand- 
lungen,  die  bei  der  Entlelmung  stattgefunden  haben. 

Am  meisten  wird  die  Entlehnung  aus  der  Sphare  des  Gram- 
matischen  in  die  des  Begrifflichen  hiniibergeriickt ,  wenn  ein  Wort 
von  dem  fremdsprachlichen  Aquivalent  lediglich  eine  bildliche 
Verwendung  iibernimmt,  also  nicht  neue  BegrifEe  sich  angliedert, 
sondern  den  vorhandenen  nach  einer  bestimmten  Seite  erweitert,  Avas 
ja  audi  in  der  einzelsprachlichen  Sonderentwicklung  liberaus  haufig 
ist.    Nur  beispielshalber  verweise  ich  auf 

e  r  u  c  t  (u)  a  r  e  „  e  r  b  r  e  c  h  e  n  " , 
das  in  der  Bibel  nach  dem  Vorbild  von  tQtvysoi^^ai  die  Bedeutung 
„(Worte)  hervorbringen  =  sprechen"  angenommen  hat;  ahnlich,  aber 
noch  in  malam  partem  und  als  derben  Ausdruck  und  durch  den  Zu- 
sammenhang  besonders  gerechtfertigt  {vino  langiiidi,  conferti  ciho), 
sagt  Cicero  Cat.  II  5,  10  eructant  (etwa  ,.sie  geifern  aus*')  sermonihus 
siiis  caedem  bononim  atque  urhis  incendia. 

Im  iibrigen  lafit  sich  sagen:  je  enger  die  fremde  Bedeutung 
sich  an  eine  vorhandene  anschliefien  kann,  um  so  mehr  sind 
der  Entlehnung  die  Wege  geebnet,  um  so  schwieriger  allerdings  wird 
audi  der  Nachweis  der  Entlehnung.     So  bei 

adt-ocare  =  „trosten". 

IlaQayMAuv  ist  eigentlich  advocare  „(zu  Hilfe)  herbeirufen" ;  die 
Ableitung  rraQuxlt/To.^  trifft  mit  advocatus  auch  in  der  Spezial- 
bedeutung  „ Rechtsbeistand  (vor  Gericlit),  Heifer"  zusammen  (The- 
saurus I  892).  Sodann  heiBt  jraQcrAalHr  „(zur  Ermunterung,  zum 
Trosten)  herbeirufen  =  ermuntern,  trosten" ;  deshalb  setzen  die  Bibel- 


28  A.  Debnimier, 

ilbersetzungeii  und  andere  cliristliclie  Schriftsteller  audi  dafiir  bis- 
weilen  advocare  eiii  (Eonscli  It.  348,  SB  HI  6,  Thesaurus  I  894,  38  ft.), 
ebenso  fiir  die  Ableitungen  jragcixXTjOiQ  „Trost"  advocatio  (Ronscli 
It.  305,  ders.  Das  N.  Test.  Tertullians  595,  Thesaurus  I  890  f.O)  und 
fiir  jTaQaxXrjTcoQ  (Hiob  16,  2  und  spate  Autoren)  „Troster"  advocator 
(Tertullian,  s.  Ronsch  SB  I  6,  Thesaurus  I  891).  Ein  MiBverstandnis 
hat  diese  Anwendung  von  advocare  sicher  unterstiitzt :  der  johanneische 
jrccQcr/chjTog  ist  schon  friih  als  „Troster"  aufgefaBt  worden  (so  noch 
Luther)  infolge  einer  Verwechslung  mit  jtaQayJj'irojQ  und  weil  ja  der 
jtaQ('(x?j]TOQ  tatsachlich  jrccQaxXj/oig  spendet,  und  damit  hat  audi  ad- 
vocatus  etwas  vom  Begriff  des  „Trostens"  erhalten. 

Von  Fallen,  wo  ein  lateinisdies  Wort  eine  neue  Bedeutung  an- 
iiimmt,  um  ein  etymologisch  und  semasiologisch  ahnliches, 
aber  nicht  identisches  griechisches  AVort  zu  iibersetzen,  fiihre 
ich  an: 

quattuorvir  =  TetQciQ'/ijg 
Luk.  9,  7  im  codex  Palatinus  (e)  der  Vetus  Latina  (Ronsdi  SB  I  61). 
Sonst  bezeichnet  ja  quattuorvir  ein  Mitglied  eines  Viererkollegiums, 
wahrend  rtrQaQy/jQ  der  Herrsdier  eines  vierten  Teiles  eines  Landes 
Oder  iiberhaupt  ein  Kleinfiirst  ist.  Die  Ubersetzung  beruht  auf  der 
genieinsamen  Grundvorstellung  „einer  von  vieren". 

quinquagenarius  =  jihmiy.ovTaQyoc. 
ist  Lesart  der  Vulgata  4.  Reg.  1,  9.  11.  13.  14  und  von  Origenes- Rutin 
Jes.  3,3;  vgl.  dazu  die  Erklarung  des  Hieronj^mus  zu  Jes.  3,3  (Ronsdi 
SB  I  61).  Hier  ist  die  Ankniipfung  eine  rein  auBeiiiche  durdi  die 
Zahl  50;  eine  innere  Verbindung  von  quinquagenarius  „50  Jahre  alt" 
und  :^i:rTrf/J)rra()y()g  ..Kommandant  von  50  Soldaten"  kann  ich  nicht 
entdecken. 

Ein  Kapitel  fiir  sich  bilden  die  Bedeutungsverschiebungen,  die 
mit  dem  Wechsel  des  Genus  verbi  zusammenhangen.  Bekanntlich 
ist  die  Unsicherheit  im  Gebrauch  des  Genus  verbi  ein  wichtiges 
Charakteristikum  des  Spatlateins  und  hat  schlieBlich  zum  Verlust  der 
Deponentia  gefiihrt.     ]\Ian   wird  in  den  Zeiten  des  Schwankens  dem 

')  Der  hier  zitierte  „Merc."  ist  Marius  Mercator,  eiu  cbristlicher  Alitor  des 
V.  Jahrhunderts;  ich  bemerke  das  deswegen,  weil  ich  im  Autoren verzeichnis 
des  Thesaurus  vergeblich  „Merc."  gesucht  und  Marius  Mercator  nur  zufallig  ge- 
funden  babe. 


Griechische  Bedeutuiigslehnworter  im  Latein.  29 

Griechischen  aucli  gem  gelegentlichen  Einflufi  darauf  zug-estehen.    So 
fasse  ich  z.  B.  auf 

((bundare  trans.  =  „reichlicli  spenden,  iiberschweng-lich 

machen" 
an  drei  Stellen  in  Handschriften  der  Yetus  Latina  (Ronsch  SB  III  2). 
Das  ist  Naclialimung'  der  Doppelheit  des  transitiven  und  intransitiven 
Gebrauchs  von  .-rtQioOtveu'.  Anders  abnndare  aliquid  =  ahunde  habere 
(Thesaurus  I  235);  das  ist  entweder  g-razisierender  Akkusativ  der  Be- 
ziehung  oder  vulgarer  Ersatz  des  Ablativs  durch  den  Akkusativ  — 
Oder  beides. 

Das    Umgekehrte,    intransitive    Umdeutung   eines   Transitivums 
nacli  dem  Muster  des  aquivalenten  griechischen  Wortes  ist 
continere  =  „lauten". 

Beispiele  bei  Eonsch  SB  III  21  und  im  Thesaurus  IV  706  von 
Lucifer  Calaritanus  und  der  Vulgata  an  bis  zum  Grammatiker 
Priscian  und  zur  Lex  Visigothorum.  Auszugehen  ist  von  dem  transi- 
tiven jTtQuysir  =  continere  „enthalten"  (/)  /?//3-?.oc  jxtQityti  rag  :rTQcc^ei'J: 
Diod.  Sic.  2,  1);  daraus  leitet  sich  die  intransitive  Verwendung  ab: 
rreQif^yj-w  ror  TQo.Tor  tovtov  Oder  of'rwc  (Josephus  und  LXX^))  oder 
(oq  jriQttyti  (cog  y  (di(r/(ifi(fO'j:  jrQaOig  jrsQuyei  Pap.  Oxyrh.  I  95,  33 
[95  n.Chr.])  oder  mit  direkter  Rede  (L  Petr.  2,  6  jTtQitytL  tr  yQacf.fj'^)  — 
continet  scriptura).  Alle  diese  buchtechnischen  Phrasen  kehren  im 
Lateinischen  wieder:  primus  {liber)  continet  res  gestas  regum  j)oimli 
Fiomani  Nepos  Cato  3,3;  edictiim  .  .  .  hunc  continens  moduli/  Vict. 
Vit.  2,  3;  misit  iussiones  .  .  .  ita  continentes  Lib.  pontif.  S.  146,  16; 
sicut  principinm  epistulae  continet  Ruric.  epist.  2,  30  S.  414,  20. 

III. 

Zum  SchluB  noch  einige  Worte  iiber  die  Bildungslehnworter, 
wie  S.  Singer  (Zeitschr.  f.  deutsche  Wortforsch.  Ill  220  if.  =  Aufsiitze 
und  Vortrage  105  f.)  die  Nachahmung  fremdsprachiger  Wortbildung- 
nennt  Uber  die  Nachahmung  griechischer  Nominalkompo- 
sition  in  alien  Perioden  des  Lateinischen  kann  ich  hier  hinweg- 
gehen  unter  Verweisung  auf  Fr.  Stolz,  Lat.  Gramm.^  §  95  Anm.  2  und 
A.  Grenier,  Etude  sur  la  formation  et  Vemploi  des  composees  nominaiix 


»)  M.  Johannessohn ,   Der  Gebrauch   der  Kasus   \\m\  der  Priip.  in  der  LXX. 
I.  Tail,  Dissertation,  Berlin  1910,  S.  69. 

-)  Zum  N.  Test.  s.  Blafi-Debrnnner,  Gramm.  des  nt.  Griech.  §  308. 


30  A.  Debrnniier, 

dans  le  latin  archdique  (Nancy  1912).  Icli  will  iinr  bemerken,  da6 
das  Kompositum,  das  durch  wortliche  tjbertragung  der  einzelnen 
Kompositionsglieder  entsteht,  zugleich  als  Ganzes  ein  Bedeutungs- 
grazismus  sein  kann.    So  ist 

longanimis  =  „langmiitig,  gednldig" 
nebst  Jonganimiter  und  -mitas  (alles  nur  bei  cliristlichen  Autoren;  das 
Vorkommen  in  den  Notae  Tironianae  gehort  zu  den  christliclien  Spuren 
in  diesem  Werke)  voni  Lateinischen  aus  niclit  verstandlicli,  dagegen 
oline  weiteres  als  Ubersetzung  von  iiaxQ<')t)v[toc,  -ih\ufoc,  -.Vr///«. 

Gegeniiber  den  Nominalkomposita  werden,  wie  mir  scheint,  die 
znsammengesetzten  Verba  nnd  die  abgeleiteten  Nomina  und  Verba 
ungebiilirlich  vernachlassigt.  Ein  genaues  Studinm  der  Ubersetzungs- 
literatur  unter  diesem  Gesichtspunkt  wlirde  oline  Zweifel  interessante 
Ergebnisse  zu  Tage  fordern;  offenbar  gab  es  gewisse  konventionelle 
Prafix-  und  Suffixentsprechungen,  wie  «r«-  =  re-,  ovr-  =  con-'^), 
-iL^iLV  ^=  -are,  -//a  und  -Gig  =  -tio  und  -ura,  substantivisches  -lor  = 
-ale  {-are;  z.  B.  vjTO^vyiov  —  subiugale,  ocoti'jqiov  —  salutare;  Ronsch 
It.  104),  -Tog  =  -ihilis,  -{x)iy.6Q  =  -{t)ivus.  In  selir  vielen  Fallen  bleibt 
dabei  die  Neubildung  durcliaus  im  normalen  Geleise  des  Lateinischen, 
so  dafi  das  lateinische  Wort  nur  durch  die  Zeit  oder  den  Ort  seines 
ersten  Auftretens  in  den  Verdacht  des  Bildungslehnwortes  kommt. 
Manchmal  freilich  hat  die  wortliche  Ubersetzung  weitere  Folgen; 
z.  B.  kann  man  das  Prafix  con-  selber  in  gewisser  Verwendung 
als  Bedeutungslehnwort  bezeichnen:  well  con-  im  Sinne  der  Ver- 
einigung  deni  griechischen  orr-  entsprach,  wurde  es  auch  fiir  ow- 
vor  Verben  =  „zusanimen  mit  jmd.  {cum  aliquo  oder  [griech.]  Dativ) 
etwas  tun"  gebraucht:  so  in  commatiducare  =  ow^oOhir,  comperire 
=  OvvajTollvoiicti,  congaudere  und  congraUilari  =  (jvyy^caQtir,  con- 
surgere  =  ovvavioTaoiiaL  (nicht  so  Lucan.  1580!),  comhihere  =  oi\u- 
:rlnir,  rompermanere  =  GvicTaQaiitreir;  s.  Eonsch  SB  III  und  The- 
saurus. 

Die  Ubersetzung  wird  erst  recht  zum  Bedeutungslehnwort,  wenn 
das  griechische  AVort  nicht  mehr  den  urspriinglich  durch  die  Ab- 
leitung  oder  Praflgierung  gegebenen  Sinn  hat  und  so  die  wortliche 
Wiedergabe  im  Lateinischen  den  Bedeutungswandel  mit- 
niachen  mu6,  Dem  lateinischen  -tio  z.  B.  ist  neben  der  altesten 
Abstraktbedeutung  der  konkrete  (zunachst  kollektive)  Sinn  des  ent- 

1)  Vgi.  Fritzsche- Nestle  in  Ilerzog-Hancks  Eealeuzyklopiidie.  Artikel  Bibel- 
iibersetzuiigen,  S.  35. 


Griechische  Bedeiitniigslehnworter  im  Lutein.  31 

sprechenden  -aic  iiiclit  fremd  (vgl.  natio);  damit  ist  aber  iiocli  nicht 
jede  Ubersetzung'  eines  konkreten  -aic  durch  -tio  gut  lateinisch:  so 
creatio  =  xt'kjiq  ,,das  Gescliaffene,  das  Geschopf"  (nocli  griecliischer 
conditio,  well  xtiC^iv  „grundeii"  ^  condere;  vg'l.  oben  S.  17  die  Be- 
merkimg  des  Hieronymus ;  Ronsch  SB  I  18). 

Endlicli  noch  eins:  Das  Bildung-slelinwort  fallt  manclimal 
mit  in  aiiderer  Bedeutiing  vorliandenen  lateinischen  Worterii 
zusammen;  vg'l.  oben  combibere,  consurgere  iind  besonders  comperire, 
wo  sog-ar  lantliclie  Gleicliheit  mit  einem  etymologisch  total  ver- 
scliiedeneu  Wort  lierauskommt.  Hier  nur  noch  zwei  Beispiele  von 
besonderem  Interesse : 

relegere  =  „lesen.  vorlesen". 

An  den  von  Ronsch  SB  III  71  zitierteu  Stellen  aiis  Rutins 
Josephusiibersetzung-  hat  die  Auffassung  nichts  Befreradliches,  daS 
hier  relegere  die  Bedeutung  von  re-  abgelegt  habe,  weil  es  dem  cam- 
yon  drayiyrcoox^tr  zu  entsprechen  scliien,  oder,  was  auf  dasselbe 
hinauslauft,  dafi  legere  wegen  (h-ayiyrojoxeiv  mit  der  Yorsilbe  re-  aus- 
g-estattet  worden  sei.  Bedenklicher  ware  diese  Meinung,  wenn  die 
bei  Georges  und  Forcellini  angefiihrten  Stellen  wirklich  hierher  ge- 
horten.  Ich  halte  sie  jedoch  fiir  falsch  angebracht:  1)  Martial  IV  29,  9 
kann  der  Sinn  von  releges  ganz  gut  der  sein:  ,,Die  groBe  Zahl  der 
Schriften  steht  ihrer  Verbreitung  unter  dem  Publikum  im  Wege; 
darum,  wenn  du.  Pudens,  eine  von  meinen  Schriften  noch  einmal 
lesen  willst,  so  denke  dir,  es  sei  die  einzige."  2)  Vopiscus  Aurelian  24,  7 
haec  ego  ef  a  gravihus  viris  comperi  et  in  Ulpiae  bibliothecae  libris 
relegi  et  pro  maiestate  ApoUonii  magis  credidi.  Sollte  sich  das  re- 
won  relegi  nicht  auf  comperi  zuriickbeziehen :  „nachher  habe  ich  es 
durch  die  Lektlire  von  neuem  erfahren"?  3)  tu,  qui  via  Flaminea 
(sic)  fransis,  resfa  (ic  reJege  in  der  Grabschrift  Orelli  Collectio  inscr. 
Lat.  4836,  9  f .  =  Bilcheler  carm.  epigr.  1 152,  9  f.  fallt  deswegen  nicht 
ins  Gewicht,  weil  die  Verse  der  Inschrift  klaglich  zusammengestoppelt 
sind.  Bilcheler  vermutet  als  Grundlage  einen  Trimeter:  tu,  qui  Fl. 
tr.,  resta  ac  perlege,  und  E.  Bormann  im  CIL  XI  S.  69*  Nr.  654* 
(Falsae)  geht  noch  weiter:  ..Cum  plura  in  inscriptione  {et  in  indica- 
tione  loci)  offendant,  earn  sine  certa  auctoritate  inter  genuinas  referre 
non  ausus  sum." 

potare  =  „tranken,  zu  trinken  geben*'. 

Reichliche  Stellen  aus  der  Vetus  Latina,  der  Vulgata,  Tertullian 
und  anderen  Kirchenschriftstellern  und  aus  Theodorus  Priscianus  (Arzt 


32  A.  Debruiiner,  Griechische  Bedeutungslehmviirter  im  Latein. 

urn  400  n.  fJhr.)  gibt  auBer  Georges  Konscli  It.  376,  SB  III  64  f.  Die 
Schnld  an  dieseni  Bedeutiing'SAvandel  von  „trinken,  zeclien"  zu  „tranken" 
schreibe  ich  dem  EinfluS  von  jroti^eo'  zu,  indem  das  Bestreben,  -iyeiv 
durcli  -are  wiederzugeben,  auf  pofare  fiilirte  {potus  =  jtotoq);  vgl. 
emeduUare  =  ixiiv&^J^tn\  exemplare  =  dtiy^iariL^tiv,  pessimare  i)  = 
xaxiCeir  „sclimalien,  herabsetzen",  potionare  =  jroriC,^ir,  tubicinare  = 
OaXjci^siv  (Ronsch  It.  157.  159.  190;  SB  III  34.  36.  63). 


1)   Der  Ubersetzer  von  Ignatius  (ad  Phil.  6,2.3,  ad  Epli.  16,  2),   der  dieses 
Wort  biidet,  war  doch  offenbar  nicbt  kiilin  genng,  um  ■■'malare  zu  riskiereu. 

Ziirich.  A.  Debrnnner. 


HIMMELSWANDERUNG  UND  DRACHENKAMPF 

IN  DER  ALCHEMISTLSCHEN  UND  FRUHCHRIST- 

LICHEN  LITERATUR. 


Wer  sich  mit  dem  heiclnischen  nnd  cliristlichen  Gnostizismns 
der  ersten  Jalirliuiiderte  iinserer  Zeitrecliniiiig'  beschaftigt,  die  oft 
fast  unimterscheidbar  ineinander  iibergehen,  mii6,  um  den  Zusammen- 
hang"  der  beiden  Griindbegriffe  /rojor/xo'c  und  jri'tv/zaTixog  zii  ver- 
stelien,  die  alten  Volksvorstellungen  untersiiclien,  wie  der  Mensch 
geheimes  Wissen  und  gottliches  Wesen,  d.  h.  Wunderkraft,  erwerben 
kann.  Auf  eine  friiher  wenig  beaclitete  Quelle  dafiir,  namlicli  auf 
die  alcliemistisclien  Offenbarungsschriften,  die  aus  griechischer,  syrischer 
und  arabischer  Uberlieferung  M.  Bertlielot,  leider  in  etwas  unzulang- 
licher  und  schwer  benutzbarer  Form  herausgegeben  liati),  konnte 
ich  in  den  Xachtragen  meines  Buches  'Poimandres'  eben  noch  ver- 
weisen  und  zeigen,  da6  in  ilinen  die  eigentlich  religiosen  Offenbarungs- 
schriften nachgeahmt  oder  ausgeschrieben  sind.  Ich  kehre  bei  dieser 
Gelegenheit  zu  ihnen  um  so  lieber  zuriick,  als  audi  der  Philologe 
gern  einmal  einen  Blick  in  die  bunte  My  then-  und  Marchenwelt 
des  Orients  wirft.  Freilich  wird  er  dabei  sich  wohl  immer  bewuBt 
sein,  dafi,  was  er  selbst  erreichen  und  bieten  kann,  Bedeutung 
erst  gewinnt,  wenn  es  der  Orientalist  aufnimmt,  berichtigt  und 
weiterflihrt. 

In  der  syrisch  erhaltenen  Schrift  des  angeblichen  Pibechios"^) 
bittet  dieser  agyptische  Weise  den  persischen  Magier  Osron,  ihm  zur 


')  Collection  des  anciens  Alcliimiates  grecs,  Paris  1888  unci  La  chimie  au 
moyen  age,  Paris  1893.  Es  handelt  sich  fiir  mich  dabei  in  der  Eegel  um  die  theo- 
logischen  Einkleidungen,  die  Berthelot  am  weuigsteu  schiitzt. 

2)  Berthelot,  La  chimie  an  moyen  age  II  309.  Der  iSame  Pibechios  (der  Sperber) 
ist  zwar  in  Agjpteu  haufig,   soil  aber  bier  zweifellos  denselben  Mann  bezeichuen, 

Androas-Fostsfhrift.  3 


34  Richard  Eeitzenstein, 

Deutiing-  der  persisch  gescliriebenen  lieiligen  Schriften  des  Ostanesi) 
zu  verlielfen^  die  er  in  Agypten  gefunden  habe.  Osron  erfilllt  die 
Bitte  imd  Pibecliios  veroffentlicht  nun  griechisch  und  agyptisch  das 
'Die  Krone'  benannte  Werk  des  Ostanes.  Der  Anfang  ist  uns  ver- 
loren,  docli  erkennen  wir,  da6  Hermes  Trismegistos  dem  Konige  von 
Agypten  Amon  eine  Schrift  von  365  Abschnitten  gegeben  hat,  welche 
die  Scliiiler  des  Hermes  erklart  haben-).  Amon  lieC  die  gottliclie 
Lehre  auf  sieben  Stelen  sclireiben  und  barg  sie  in  einem  advTor, 
das  sieben  Tore  verschlieCen ;  das  erste  ist  von  Blei,  das  zweite  von 
Elektron,  das  dritte  von  Eisen,  das  vierte  von  Gold,  das  fiinfte  von 
Kupfer,  das  sechste  von  Zinn,  das  siebente  von  Silber,  nach  Farbe 
und  Wesen  der  sieben  Sternengotter.  Amon  zeichnete  auf  die 
Pforten  wunderbare  Bilder,  wie  das  einer  gewaltigen  Schlange,  die 
sicli  in  den  Schwanz  beiCt''),  das  heifit  iibertrug  symbolisch  derartigen 
Wunderwesen  die  Bewacliung.  und  befalil  die  Tore  niemandem  zu 
offnen  als  waliren  Schiilern  des  Meisters,  die  sich  durch  Geburt  und 
Unterriclit  der  Gnade  wiirdig  erwiesen.  Die  Schrift  bricht  damit  ab; 
man  erwartet,  da6  Ostanes  nun  berichtet,  wie  er  selbst  in  den  Tempel 
(den  Himmel)  gekommen  ist.  Eben  dies  erzahlt  eine  in  arabischer 
Ubersetzung  vorliegende  'Schrift  des  weisen  Ostanes '4).  In  Fasten 
und  Gebet  hatte  sich  Ostanes  um  das  tiefste  Wissen  gemiiht,  da  er- 
schien  ihm  eines  Nachts  im  Traum  'ein  Wesen'  und  flihrte  ihn  empor 
bis  zu  den  sieben  Pforten  des  Himmels,  sieben  Pforten  von  wunder- 
barer  Schonheit,  welche  die  Schatze  der  yvcjoig-')  bergen;  die  Schliissel 
zu  ihnen  hiitet  ein  seltsames  Ungetiim  mit  einem  Elefantenkopf, 
Schlangenschwanz  und  Geierfliigeln'*),  das  sich  selbst  zu  verschlingen 


der  in  dem  groBeii  Pariser  Zauberpapyrus  Z.  3007  (Wessely,  Denkschr.  d.  Wiener 
Akad.  1888  S.  120)  genannt  wird. 

')  Vgi   iiber  ihn  jetzt  W.  Bousset,  Archiv  f.  Religionswissenschaft  XYIII 168  ff. 

-)  Eine  ahnliche  Hanptfiktion  liegt  dem  erhaltenen  Corpns  religioser  Her- 
metischer  Schriften  zngrunde  (Poimandres  S.  366). 

^)  Eine  'endlose  Schlange',  wie  es  in  agyptischen  Erzahlungen  heifit. 

*)  Berthelot,  ebenda  III  119  ff. 

^}  Noch  in  der  monchischen  Mystik  wird  die  yrwaig  immer  als  der  verborgene 
Schatz  Oder  der  Schatz  aller  Schatze  bezeichnet,  vgl.  z.  B.  Rufius  Historia  monacJwritm 
cap.  16  S.  438  A  Migne. 

'■)  Wenn  sich  die  Himmelswanderung  spiiter  als  Wandernng  ins  Totenreich 
erklart,  ist  die  Vermutung,  dafi  die  'endlose  Schlange',  die  es  hiitet,  hier  nach  den 
griechischen  Vorstellnngen  von  dem  dreigestaltigen  Kerberos,  die  freilich  dann 
wieder  orientalisiert  sein  miifiten,  umgeformt  ist,  vielleicht  nicht  ganz  abzuweisen. 
Etvvas   anders   ist   die   Vorstellung   in    der   griechischen    Baruchapokalypse   Kap.  i 


Himmelswanderung  unci  Dracheiikanipt'.  35 

sclieint  (wie  die  Schlange).  Auf  GeheiB  seines  Fiilirers  tritt  er  lieran 
und  fordert  von  ilim  im  Namen  des  allmiichtigen  Gottes,  das  hei6t, 
indem  er  dieseii  Namen  ilber  ihm  spriclit.  die  Schlilssel,  erlialt  sie, 
offnet  die  Tore  und  findet  liinter  dem  letzten  eine  in  alien  Farben 
strahlende  Melallplatte  mit  sieben  Inscliriften  in  sieben  verschiedenen 
Spraclieni).  Plotzlicli  erschallt,  wiilirend  er  liest,  eine  Stimme: 
'Mensch,  gehe  hinaus,  bevor  die  Pforten  sich  schlieSen;  die  Zeit  ist 
gekommen.'  DrauCen  findet  er  einen  Greis  von  wunderbarer  Schon- 
lieit  —  es  ist  Hermes  Trismegistos^)  — ,  der  ilin  zu  sich  ruft  und 
ihm  eine  Erkliirung  alles  dessen,  was  ihm  noch  dunkel  geblieben  ist, 
verheifit.  Aber  eine  solche  erfolgt  in  dieser  Schrift  nicht;  Hermes 
fa6t  nur  seine  Hand  und  schwort,  da6  Ostanes  jetzt  alle  yroloig  be- 
sitze.  Da  briillt  das  dreigestaltige  Ungetiim:  'Ohne  mich  konnte  man 
die  yrcoaig  nicht  vollkommen  erwerben,  denn  ich  habe  die  Schliissel' 
Hermes  mahnt:  'Gib  ihm  einen  Geist  fiir  deinen  Geist,  eine  Seele 
fiir  deine  Seele,  ein  Leben  fiir  dein  Leben,  so  wird  es  dir  geben,  was 
du  brauchst'  und  erlautert  seine  Worte:  'Nimm  den  Leib,  der  dir 
gleicht,  raube  ihm,  was  ich  bezeichnet  habe,  und  gib  es  ihm.'  Ostanes 
tut  so  und  hat  nun  alle  ynooic  wie  Hermes  selbst. 

Eine  dritte  Fassung  ist  auf  einem  arg  verstlimmelten  und  ent- 
stellten  syrischen  Blatt  erhalten^).  Der  Adept  findet  den  Fiihrer, 
der  ihm  den  Weg  zu  dem  verborgenen  Scliatz  weisen  will.  Vor  dem 
ersten  Tor  mu6  der  Adept  'Seele  fiir  Seele  und  Korper  fiir  Korper' 
geben  und  vor  jedem  weiteren  vierzig  Tage  fasten;  ausdriicklich  wird 
gesagt,   da6  er  dabei  stirbt*).     Hierdurch  wird  der  Sinn  der  Formel 


(Robinson,  Texts  and  Studies  VI  S.  86):  in  einem  mdlov  neben  dem  Hades  liegt 
ein  ungeheurer  Drache,  der  sich  von  den  Leibern  derer  nahrt,  die  siindhaft  gelebt 
baben  (Hesiod  Theog.  773  vom  Kerberos  ia^lsi  ov  xe  id^yqi  nvUtov  extoa&ev  iovxa). 
Wieder  anders  ist  die  Vorstellung  in  den  Acta  Thomae  cap.  32,  auf  die  micb 
W.  Bousset  verweist.  Der  Drache  bezeichnet  sich  dort:  lAoq  £i/.ii  sxeivov  xov  xrjv 
OipalQav  'CcuvrvovTog,  <jvyytvi)q  (Si-  el/n  txeivov  xov  {'^wSer  xov  coxf-arov  orxoc,  ov  }/ 
ov(ja  I'yxeirai  xw  Uun  (jrojiaxL  (die  endlose  Schlange). 

>)  Die  agyptische  Inschrift  entspricht  der  Einleitung  des  Buches  des  Pibechios, 
zeigt  also  den  Zusammenbaiig  beider  Traktate. 

■'')  Ein  zweiter,  urspriinglich  selbstandiger  Typus  der  Offenbarungsliteratur 
wirkt  ein.  Die  erste  Erziihlung  kannte  nur  noch  das  Opfer  an  das  schatzhiitende 
Ungetiim.  Die  Anweisung  dazu  gab  offeiibar  der  friihere  Fiihrer.  Die  zweite  laBt 
den  Besucher  im  Hinimel  den  Unterricht  des  Hermes  Trismegistos  geniefien,  der 
mit  einer  Art  Freisprache  des  Schiilers  endet. 

=*)  Berthelot,  ebeiida  II  320.     Das  Original  war  noch  heidnisch. 

*)  Auch  in  der  monchischen  Mystik  erzwingt  man  die  Offenbarung  durch  ein 
vierzigtiigiges ,  vollkommenes  Fasten,  das  dem  freiwilligeu  Tode  gleichgestellt  wird 

3* 


36  Richard  Reitzenstein, 

in  der  Erzahlung  des  Ostanes  klar:  aus  dem  eig-enen  Leibe  soil  er 
das  pliysische  Leben,  Seele  mid  Geist  geben;  er  stirbt  imd  erstelit 
wieder  als  jivsvf/a'^).  Die  religiose  Mystik,  mid  zwar  die  lieidnisclie 
wie  die  cliristliclie,  gibt  bekanntlicli  die  Erklanmg. 

Die  Einleitiing"  des  Pibecliios  lafit  mis  mit  Siclieiiieit  erkennen, 
dafi  der  Urtext  griecliiscli  war.  Die  Gnmdflktion  ist  jimgagyptisch, 
docli  iiiisclieii  sicli,  entsprecliend  der  Ursprmigsangabe,  wirklicli  per- 
sisclie  Elemente  ein.  Sclion  Bertlielot  hat  aiif  die  Aiigabe  des  Celsus 
liber  die  Mitlirasiiiysterien  verwiesen  (Origenes  Contra  Celsum  Yl  22): 
urn  in  den  hoclisten  Himniel  zu  gelangen,  niu6  der  Myste  sieben  iiber- 
einander  liegende  Tore  durclisclireiten,  die  aus  verscliiedenem  Metall, 
namlicli  Blei,  Ziiin,  Erz,  Eisen,  y.tQUijrbv  i'6fii6f/a,  Silber  und  Gold 
liergestellt  sind'^).  Den  ratselliaften  Ansdruck  xtgaordr  v6{aO{^ia  er- 
klart  der  Alchemist  Zosinnis  (Berthelot  a.  a.  0.  II 261)  diirch  die  An- 
gabe,  Alexander  der  GroBe  habe  zuerst  fiir  seine  Mlinzen  das  Misch- 
nietall  Elektron  benutzt,  mid  diesen  Miinzen  wohne  geheime  Kraft 
inne.  Pibechios  nennt  also  genau  die  gleichen  Metalle  wie  Celsus. 
Der  Tempel  der  sieben  Tore,  den  er  schildert,  enthalt  demzufolge 
notwendig  sieben  Hallen,  in  die  man  nacheinander  gelangt.  Es  ist 
die  hellenistisch-agyptische  Vorstellung  von  dem  Himniel  und  von  der 
Unterwelt,  wie  sie  mis  in  den  spater  zu  besprechenden  Erzahliingen 
der  Hohenpriester  von  Memphis  (Geschichte  des  Si-Osiris)  und  in  dem 
groBen  demotischen  Zauberpapyrus  (ed.  Fr.  LI.  Griffith  20.  32,  vgl. 
unten  S.  46,  3)  vorliegt.  In  alterer  Zeit  konnen  wir,  wie  mich  K.  Sethe 
belehrt,  nur  die  Vorstellung  von  sieben 3)  Toren  der  Unterwelt  nach- 
weisen,  ohne  sagen  zu  konnen,  ob  sie  in  sieben  verschiedene  Hallen 
fiihren  oder  ob  diese  eine  ahnliche  Stufenfolge  ergeben.  Yon  sieben 
Spharen  ist  nicht  ^ie  Rede  und  kann  gar  niclit  die  Eede  sein^). 


und  oft  zu  ihm  fiilirt  (vgl.  die  Erzalilung  in  den  Apopliihecjmata  iKitrum,  CoteJier 
Ecdesiae  gruecae  monumenta  I  S.  702,  PJiocas  1.2  und  raeiu  demnachst  erscheinendes 
Buch  'Historia  monachoram  und  Historia  Lrtusiaca'  S.  107  A3.  259).  Ahnliches  ini 
spaten  Judeutum  verzeichnet  Bousset,  Archiv  fiir  Eeligionswissenschaft  152  —  153. 

1)  Ursinlinglich  mag  es  sieh  wirklicb  urn  Menscbenopfer  geliandelt  liaben; 
spater  tritt  die  Opferung  des  eigenen  Icbs  eiu. 

■■')  Vgl  Fr.  Oumont,  Textes  et  monuments  relatifs  aux  mysteres  de  Mithra  I36ff., 
II 30;  Anz,  Texte  und  Untersucbungen  XV  4:  S.  83ff.  und  vor  allem  W.  Bousset, 
Arcbiv  f.  Eeligionswisseuscbaft  IV  165.  Der  siebentorigen  Leiter  der  Mitbrasmysterien 
entspricbt  bekanntlicb  der  siebeustockige  Unterbau  des  Tempels  von  Babel  (Borsippa), 
dessen  einzelne  Stock  werke  bestimmte  Far  ben  zeigen. 

^)  Oder  vierzebn  oder  einundzwanzig  oder  zweiundvierzig. 

*)  Die  zugrnnde  liegende  Siebenzabl  scbeint  bier  andere  Bedeutung  zu  liaben. 


Hinimelswanderuiig  iind  Drachenkampf.  37 

Ein  Gegenstiick  zu  der  Sclirift  des  Ostanes  oder  Pibecliios  bietet 
das  arabisch  erhaltene  Bucli  des  Krates^).  Es  trug  nacli  der  Vorrede 
urspriinglicli  den  Titel  'Schatz  der  Scliatze'  und  ward  mit  anderen 
Biicliern  in  einem  I'cdvror  des  Serapis  aufbewahrt;  zur  Zeit  Konstan- 
tins  ranbte  es  ein  junger  Agypter,  der  die  Liebe  einer  Tempeldienerin 
gewonnen  liatte.  Der  'gottliche  Krates'  erzahlt  in  ilim,  da6  er  einst 
gebetet  liabe,  Gott  moge  ihm  den  Versncher  fern  halten  und  die  Ab- 
fassung  eines  Buches  ermoglichen,  als  er  sich  plotzlich  in  die  Luft 
erlioben  den  Himmel  durchwandern  flihlte  wie  Sonne  und  Mond.  In 
seiner  Hand  hielt  er  dabei  ein  Bucli,  in  welchem  die  sieben  Hiramel 
dnrcli  die  sieben  Sterngotter  dargestellt  waren-).  Da  erblickte  er 
einen  Greis,  den  sclionsten  der  Mensclien,  in  weiBem  Gewand  in  einer 
xafhtdQcc  sitzen  und  in  einem  Buche  lesen.  Auf  seine  Frage  sagt 
man  ihm 3)^  dal3   es  Hermes  Trismegistos  ist,  der  in  dem  Bucli  der 


1)  Berthelot,  ebeuda  III  4i.  Er  wird  als  gottliche  Personlickkeit  angesprocben 
(S.  51  Crates  as-samfnvi,  was  sich  nach  E.  Littmann  durch  6  i^  ovgavov  wiedergeben 
liefie  und  durchaus  nicht  eine  iibliche  Bezeichnimg  fiir  einen  Menscben  ist,  aucb 
wenu  er  Lebrer  oder  Prophet  ist).  Derselbe  Name  erscbeint  in  der  gleichen  Be- 
deutuug  in  dem  Zauberpapyriis  V  von  Leyden  (Dieterich,  Jahrbiicher  Siipplem.  XVI 807). 
Der  Zauberer  setzt  sich  in  der  herkommlicben  Weise  bestimmten  Gottheiten  gieicb, 
rait  denen  er  sich  vereinigt  fiihlt,  und  sagt  dabei  unter  anderem  iyea  slfii  .  .  .  o 
ciyiog  6  exne<pvxojg  ex  rov  (Svd-ov,  tyoj  elfti  6  xQazrjg  6  necpvxwg  ix  zov  S-aov  aylov, 
iyio  el/m  6  d^eog,  ov  ovSelg  OQa  ovdh  TiQonezdJg  ovofxccQei,  eyui  eifxi  to  leQov  oqveov 
(polvig,  i-yo)  £i/iii  0  xQcatjg  6  ay  tog  nfJoaayoQtvof^erog  /uaQfiavcoO-.  Es  ist  also  aus- 
geschlossen,  dafi  in  den  arabiscben  Schriften  der  Name  eines  Alchemisten  herzustelleu 
ist,  wenn  aucb  die  Erzahlung  jetzt  Krates  als  Mensch  scbildert  (vgi.  die  Gotter  in 
der  Hermetischen  Literatur).  Fast  sicber  scbeint,  daB  die  Bezeicbnung  des  Horus 
als  'Kind'  {chrat)  von  einem  Griechen  zunachst  seiner  Sprache  angepafit  ist  (vgl. 
Harpokrates;  abnlicb  nennt  sich  ein  unter  Hadrian  lebender  Zauberer  Pachrates, 
das  Kind,  d.  h.  Horus,  vgi.  Wessely  a.  a.  0.  S.  106  Z.  2447;  in  der  griecbischen 
Novellistik  wird  daraus  weiter  Pankrates,  vgl.  Lukian,  Philopseudes  Kap.  34).  Da 
Horus  neben  Hermes,  Agathodaimon ,  Osiris,  Asklepios  u.  a.  als  Offenbarung.';gott 
und  Verfasser  beiliger  Schriften  erscbeint,  ist  es  durchaus  moglicb,  ja  wahrscbeinlich, 
daB  er  geraeint  ist  und  eine  agyptische  Tradition  zunachst  in  die  griecbische  Sprache, 
dann  in  andere  orientalische  Spracheu  liberging. 

-)  Es  soil  ihn  oft'enbar  die  Formeln  lehreu,  durch  die  er  den  Eintritt  in  die 
Himmel  gewinnt;  sein  Titel  ist  'Verjager  der  Finsternis  und  Spender  des  Lichtes' 
(der  das  Licht  leuchtend  macht).  In  der  agyptischen  Erzahlung  von  Neneferkaptab 
(s.  unten)  erleucbtet  das  Buch  das  finstere  Grab  wie  die  Sonne.  Die  Vorstellung 
kebrt  auf  das  ni'tvfia  iibertragen  in  der  Gnosis  wieder.  Das  Gebet  (wie  die  Zauber- 
formel)  stromt  den  Geist  aus  und  erleucbtet  finstere  Raume.  —  Ein  drifter  Typus 
der  Offenbarungsliteratur  wirkt  hier  ein;  wer  'das  Buch'  schon  hat,  braucht  nicht 
in  dem  Buche  des  Hermes  zu  lesen. 

3)  Auch  Krates  hatte  also  ursprlinglich  einen  Fiihrer  wie  Ostanes. 


38  Kiehard  Eeitzeiistein, 

Gelieimnisse  liest  ')•  Hermes  laBt  ihn  mit  liineinscliauen  und  diktiert 
ihm  daraus  Absclinitte  fiir  seiii  Buch.  Plotzlicli  entscliwand  sein 
Berater,  Krates  kam  zii  sich  selbst  und  fiihlte  sicli  wie  aus  einem 
schweren  Traiim  erwacht.  Aber,  da  sein  Biich  nocli  unvoUendet  war, 
bat  er  Gott.  ihn  jenem  Engel  (dem  bislier  unsichtbaren  Plihrer)  zu 
empfelilen,  damit  er  die  Offenbarung-en  vollende^).  Audi  ersclieint 
der  Engel  wirklicli  wieder  und  spendet  ihm  lange  Belehrungen.  Dann 
heiCt  es:  'Wahrend  ich  mit  ilim  spracli  und  ihn  um  weiteren  Auf- 
schluB  bat,  verlor  ich  plotzlich  das  BewuBtsein  und  fiililte  mich  wie 
im  Traum  in  einen  anderen  Himmel  g-etragen.'  Er  steigt  zum  Heilig- 
tum  des  Ptah  (Hephaistos)  empor.  ein  Standbild  der  Aphrodite  gibt 
ihm  Belehrungen  und  Weisungen;  sie  fiihren  ihn  zunachst  durch  die 
siidliche  Pforte  in  das  Heim  (den  Himmel)  der  Aphrodite  selbst,  wo 
er  eine  Art  Festversammlung  findet^).  Wie  er  die  AVunder,  die  er 
dort  erschaut,  beschreiben  will,  stllrzen  Damonen  in  Gestalt  von 
Indern  auf  ihn  zu,  vertreiben  ihn  und  schlagen  ihn;  vor  Schreck 
schlieBt  er  die  Augen  und  entschlummert.  Im  Traum  sieht  er  ein 
Gegenbild  der  Aphrodite,  das  ihm  weitei-e  Belehrung-  spendet,  und 
erwacht  wieder  an  derselben  Stelle  des  Himmels.  Der  Engel,  der 
ihn  geflihrt  hat,  tritt  zu  ihm,  mahnt  ihn  sein  Buch  zu  vollenden 
und  nimmt  seinen  Unterricht  wieder  auf.  Wieder  sinkt  Krates  in 
den  Sclilaf  und  glaubt  plotzlich  an  den  Ufern  des  Nils  zu  sein 4). 
Von  einem  Felsen  sieht  er  jenseits  des  Wassers  einen  jungen  Mann 
mit  einem  ungeheuren  Drachen  kampfen  und  eilt  auf  dessen  Ruf  ihm 
zu  Hilfe.  Er  dringt  mit  einer  Waffe  auf  das  Ungetiim  ein,  wird 
aber  durch  dessen  schnaubenden  Atem  zu  Boden  geworfen.  Wie  er 
sich  wieder  erhebt,  schleudert  jener  Jiingling  Wasser  auf  den  Drachen, 

')  Das  Buch  beginnt  mit  der  ScMlderung  der  'zwei  Wege',  des  Weges  des 
Pneumatikers ,  der  zur  uotn']  fiihrt,  und  des  Weges  des  Weltmenschen ,  vgi.  die 
Jida/t]  anoaio'/.ojv.  Gnostischer,  aber  nicht  notwendig  christlich-gnostischer  Einllufi 
scheint  einzuwirken. 

'■')  Man  vergleicbe  fiir  diesen  und  andere  Ziige  den  ersten  Teil  des  Hirten  des 
Hermas. 

•■')  Die  Beschreibung  verliert  sich  in  niarchenhafte  Ziige,  die  schwerlich  alt 
sind;  selbst  der  Erwahnung  der  zahlreichen  Kastchen  aus  Gold  oder  Edelsteinen 
mochte  ich  keine  Bedeutung  beimessen.  Wolil  aber  sind  die  Ausschniiickungen  dieser 
Sagen,  wenn  auch  ihre  Zeit  zum  Teil  spiiter  fiillt,  lehrreich  fiir  die  Ausgestaltungeu, 
die  in  fruhhellenistischer  Zeit  eine  orientalische  Sage  in  dem  Marchen  vou  Psyche 
und  Cupido  gefundeu  hat  (vgl.  Sitzungsber.  d.  Heidelberger  Akademie  1914  Nr.  12, 
erganzt  'mstoria  momichorum  und  Historic  Laus/aca'  S.  233). 

*)  Auch  der  Himnielsozean  wird  so  bezeichnet. 


Himmelswandenuig  mid  Dracheiikaiupf.  39 

der  alsbald  tot  ziisammensiiikt;  aus  seinem  Leibe  holt  der  Jung-ling- 
ein  Krokodilsei,  das  nach  seiner  Angabe  Zauberkraft  besitzt.  Die 
Erzahlung-  wird  dann  unklar.  Der  Drache,  der  matt,  fast  ohne  zu 
atmen,  lag,  belebt  sicli  plotzlich  wieder,  wird  aiifs  neue  liberwaltigt 
und  von  dem  Jiingling  in  Stiicke  zerleg-t,  die  er  nacli  den  Farben 
znsammenlegt;  seclis  Farben  werden  dabei  ausdrttcklicli  erwahnt. 
Aber  noch  einmal  erliebt  sich,  plotzlich  neu  belebt,  das  Ungetiim. 
schnaubt  gegen  sie  an  und  hatte  sie  getotet,  wenn  nicht  Krates 
'lebendiges  Wasser'  gegen  es  geschleudert  hatte.  Es  bewirkt,  da6 
der  Kopf  ihm  vom  Leibe  fallt;  der  Jiingling  kann  es  jetzt  mit  Zauber- 
formeln  in  Staub  auflosen.  Dann  wendet  er  sich  zu  Krates,  sagt 
ihm,  da6,  was  er  hier  gesehen  habe,  das  Geheimnis  des  Hermes  Tris- 
megistos  sei,  der  es  in  seinem  Buche  verborgen  habe,  damit  es  kein 
Ung-eweihter  kenne,  offenbart  sich  dann  selbst  als  der  Fiihrer,  der 
ihn  durch  die  Himmel  geleitet  habe,  und  fiigt  —  selir  zur  Uberraschung 
des  Lesers  —  hinzu:  Hattest  du  die  Geheimnisse  nicht  bewahrt,  die 
icli  dich  gelehrt  habe,  ich  hatte  dich  getotet.  Hast  du  in  deinem 
Bucli  beschrieben,  was  du  gesehen  hast,  und  willst  es  verbreiten,  so 
sieh  diesen  Drachen,  den  ich  zu  Staub  gemacht  habe  und  dessen 
Farben  sich  dir  offenbart  haben:  in  ihm  ist  Ungliick  fiir  deine  Seele 
und  Trennung  zwischen  deinem  Leibe  und  deiner  Seele  i).  Der  Leser 
des  Buches  muB  danach  annehmen,  da6  die  Drohung  sich  inzwischen 
erfiillt  hat  und  Krates  von  seinem  Leibe  geschieden  und  zum  jrrtvfac 
geworden  ist  2). 

Mit  dem  nach  Berthelot  (a.  a.  0.  Ill  9)  etwa  im  neunten  Jahr- 
hnndert  n.  Chr.  in  seiner  jetzigen  Gestalt  geschriebenen  Krates -Buch 
berilhrt  sich  nun  eng  eine  Erzahlung  aus  der  demotisch  erhaltenen 
und  im  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  aufgezeichnetens)  Sammlung 
der  Erzahlungen  der  Hohenpriester  von  Memphis,  die  ich  in  den 
•Hellenistischen  Wundererzahlungen'  S.  114ff.  besprochen  habe^).    Der 


')  Wortlich:  du  bast  beschrieben  .  .  .  und  in  ibm  ist  Ung-liick  fiir  deine  Seele 
usw.  So  E.  Littmami,  der  die  Giite  hatte,  diese  Stelle  fur  mich  nachzuseheu. 
Berthelots  tJbersetzung  ist  miBverstandlich. 

'-)  Vgl.  den  Schlufi  des  Ostanes- Buches,  sowie  die  Visionen  des  Zosimus 
(Poimandres  S.  9  ff.).  Die  Trennung  vom  Leibe  kann  je  nach  der  Auffassung  des 
Erzahlers  als  Strafe  oder  Lohn  erscheinen;  sie  macht  ja  zum  nvsvfia. 

•')  So  datiert  den  Text  nach  giitiger  Mitteilung  K.  Sethe  aus  palaographischen 
Griinden. 

*)  Vgl.  F.  LI.  Griffith,  Stories  of  the  High  Briests  of  Memphis  S.  83  ff.,  G.  Maspero, 
hes  co)ites  populaires  tie  VEgypte  uncienne'^  1911  S.  123  ff. 


40  Eichard  Eeitzenstein, 

Konigssolin  Neneferkaptali  verbringt  alle  Zeit  mit  Erforscliung  der 
Schriften  in  der  Totenstadt  von  Memphis  nnd  der  Stelen  im  'Hause 
des  Lebens'').  Wie  er  einmal  ira  Tempel  des  Ptali  betet,  eine 
Prozession  zu  Eliren  des  Gottes  mitniacht.  nnd  dabei  an  alien  Heilig- 
tiimern  die  Aufschriften  liest,  trifft  er  einen  alten  Priester,  der  ilim 
verspricht,  ilim  gegen  eine  groBe  Summe  den  Ort  zn  bezeiclinen^), 
wo  Thot  (Hermes)  ein  eigenliiindig  gescliriebenes  Bucli  verborgen  hat. 
Es  enthalt  zwei  Formeln;  wenn  man  die  eine  liest,  gewinnt  man 
Gewalt  iiber  Himmel,  Erde,  Unterwelt,  Berge  und  Meere,  versteht 
was  die  Vogel  des  Himmels  nnd  die  Tiere  der  Erde  reden,  und  sieht 
die  Fische  im  Abgrund;  wer  die  andere  liest,  kann,  wenn  er  in  der 
Unterwelt  ist,  zur  Erde  zuriickkehren  und  schaut  Gott  Ee  und  seinen 
Gotterkreis^)  leibhaftig.  Das  Buch  liegt  auf  einer  Insel  mitten  in 
dem  Meer  bei  Koptos  (dem  Nil  bei  Koptos*))  in  einer  Kiste  von  Gold, 
diese  steht  in  einer  Kiste  von  Silber,  diese  in  einer  Kiste  von  Elfen- 
bein  und  Ebenholz  (ursprilnglich  offenbar  einer  Kiste  von  Elfenbein, 
die  in   einer  Kiste  von  Ebenholz   steht),   diese  wieder  in  einer  Kiste 

1)  Die  Stelen  mit  Zaubertexten;  eine  Priesterbibliothek  wird  vorausgesetzt, 
vgi.  Maspero  125,3  und  131,1. 

'^)  Er  wird  dadurch  zum  Tnbrer'  des  Neneferkaptah.  Abulicb  wird  der 
Fiibrer  in  dem  syrischen  Fragment  (oben  S.  35)  gewonnen. 

3)  In  theologischer  Fortbildnng  in  der  Hermetischen  Prophetenweibe,  Corp. 
Herm.  XIIIll,  Poiraandres  343,17  (pavzaQofiai  ovx  OQCiaei  6(p9-a?.fi(5v,  cO.la  xy  diu 
^vvcqietov  voy]xiyy  trsQyelq'  tv  ovQavw  elfii.  fV  y?],  eV  vdazi,  tv  ca-Qi '  iv  ttooig  elf^ii, 
tv  (pvxoXq  ■  tv  yaaz()i,  tiqo  yaoxQoq,  [X£xa  yaaxtQa,  navxayov,  vgl.  XI 20  o^avxov  Tjyrjocu 
aO^dvaxov  xul  navxa  dvvufievov  vo'ioul,  naauv  fxev  xs/vjjv,  naoav  6h  i7iiaxrjfi7]v, 
narxog  'Qwov  ?j&og.  navxog  dh  viporg  vrpijJ.oxsQog  ysvov  xtcl  navxoq  (id&ovg  xanei- 
vnxtQoq.  ndauq  dh  xdq  alad-i^aeiq  xcHv  7ioirjX(5v  Gv).).ap£  tv  oeavxo),  nvQoq,  vdaxoq, 
iilQov  xal  iygov,  xcd  o/aov  navxuyj]  eirai,  tv  y^,  tv  Q^aXdxxy,  ev  ovquv<5,  /i7]dtnaj 
ytyevfjof^ui,  hv  t^/  yuaiQl  eivai ,  vtog,  ye(JODV,  xe9-vt]xtvai,  xd  f/exu  xov  S-uvaxov. 
xav  xavxa  ndvxu  6/nov  voriO'^g,  '/Qovovg,  xonovg,  nQcly/itcaa,  noioxtjxaq,  noaoxtjxccg, 
dvvaoai  voTjoca  xov  ^edv.     Es  ist  die  Bescbreibung  der  wabren  yraiotg. 

*')  So  Maspero  133,2.  Ursprunglicb  ist  es,  wie  die  ganze  Erzilblung  zeigt, 
die  Toteninsel,  die  Insel  in  dem  bimmlischen  Strom  oder  Meer,  vgl.  Hellenistische 
Wundererzahlnngen  S.  114.  Maspero  (a.  a.  0.  S.  136,  2)  tut  Unrecbt,  lediglicb  an  die 
Vorstellung  von  Scblangen  als  Scbatzhiitern  zu  deuken,  die  sicb  in  Agypten,  Avie 
in  vielen  anderen  Landern,  ftndet.  Der  Grundgedanke  der  Erzablung  ist  nacb  dem 
ganzen  Zusammenbang,  da6  maa  das  geheime  Wissen  in  seiner  hochsten  Vollendung 
nur  im  Totenreicbe  erwirbt.  Aucb  bier  sind  Schlangen  die  Hliter  (vgl.  aucb  die 
von  Maspero  selbst  beigebrachten  Stellen).  Bezeicbnend  ist,  dafi  der  Konigssolin 
bis  Koptos  auf  seines  Vaters  Scbiff  mit  dessen  Be,satzung  fiibrt;  fiir  die  Fahrt  von 
da  zu  der  Insel  muB  er  .sicb  Scbifl'  und  Bemannung  aus  Wacbs  raaclien  und  sie 
durcb  Zauber  belebeu. 


Himmelsvvanderuiig  uiid  Dracbeiikanipf.  41 

von  anderem  Holz,  diese  in  einer  Kiste  von  Bronze  nnd  diese  endlich 
in  einer  Kiste  von  Eisen.  Neneferkaptah  fahrt  auf  seines  Vaters, 
des  Konigs,  Boot  nacli  Koptos,  feiert  dort  im  Tempel  der  Lsis  und 
des  Harpokrates  (rhrat,  Horns)  niit  den  Priestern  ein  Fest  (nrspriing-- 
lich:  Mysterinm  ?)  nnd  fahrt  auf  eineni  Zauberboot  iiber  die  See  nacli 
der  Insel.  Die  Nattern,  Skorpione  nnd  Gewiirme,  die  ilin  hier  auf 
dem  Wege  zu  dem  Buck  bedrohen,  maclit  er  dnrcli  einen  Zauber- 
spruch  nnschadlich  und  kommt  zu  der  'endlosen'  Schlange,  kiimpft 
mit  ihr,  ersclilagt  sie,  aber  sie  lebt  wieder  auf  und  'erneuert  ihre 
Gestalt'  Er  ficht  zum  zweitenmal  mit  ihr,  totet  sie  wieder,  und 
wieder  gewinnt  sie  Leben.  Beim  dritten  Kanipf  schlagt  er  sie  mitten 
entzwei  und  streut  zwischen  die  Stilcke  Sand;  da  ist  sie  wirklich  tot 
und  kann  ihre  Gestalt  nicht  wieder  erneuern.  Dann  offnet  er  die 
sechs  (urspriing'lich  sieben)  Kisten,  nimmt  das  Buch,  liest  die  Formeln, 
kehrt  heim  nach  Koptos,  feiert  von  neuem  ein  Fest  der  lsis  und  will 
nun  in  seines  Vaters  Boot  zu  diesem  nach  Memphis  zurllckkehren. 
Aber  Gott  Thot  beklagt  sich  bei  den  anderen  Gottern,  da6  sein  Buch 
ihm  geraubt  und  dessen  Wachter  erschlagen  ist,  und  empfangt  die 
Maclit,  sich  zu  rachen.  Neneferkaptah  verliert  bei  der  Rilckfahrt 
Weib  und  Kind  in  dem  Nil,  stiirzt  sich  selbst  mit  dem  Buch  in  den 
Strom,  wird  in  Memphis  gefunden  und  mit  seinem  Zauberbuch  begraben. 

Da6  sich  die  Erzahlung  von  Krates  fast  restlos  aus  der  ihrer 
Uberlieferung  nach  etwa  ein  Jahrtausend  alteren  iigyptischen  Novelle 
herleiten  laBt,  oder  vielmehr,  nicht  aus  ihr  selbst,  sondern  aus  einem 
Gegenbild,  in  welchem  statt  der  sieben  Kisten  aus  verschiedenem 
Stoff  die  sieben  Hallen  oder  Himmel  aus  verschiedenem  Metall  be- 
schrieben  waren,  scheint  mir  von  Bedeutung  flir  die  Beurteilung 
dieser  ganzen  syrisch-arabischen  Geheimliteratur.  Jeder  Versuch, 
den  Drachenkampf  des  Krates  als  symbolische  Darstellung  chemischer 
Vorgange  zu  fassen,  wird  damit  unmoglich;  die  Vermutung,  da6  gerade 
in  diesen  erzahlenden  Einkleidungen  alte  religiose  Anschauungen  und 
alte  Tradition  erhalten  ist,  wird  zur  GewiBheit.  Aber  noch  beruht 
die  Behauptung,  dafi  die  Krates -Erzahlung  auf  einen  griechischen 
Text  zuriickgehe,  nur  auf  der  immerhin  nicht  vollkommen  gesicherten 
Erklarung  des  Namens.  Eine  weitere  Umschau  mu6  sie  bestatigen 
und  kann  zugieich  noch  wichtigere  Ergebnisse  bieten. 

In  der  zweitaltesten  christlichen  Schrift  des  Abendlandes,  die  in 
einzelnen  Gegenden  als  kanonisch  gait,  dem  Hirten  des  Hernias,  berichtet 
der  Verfasser  im  SchluB  einer  langeren  Reihe  von  Visionen  und  Offen- 
barungen  (Vis.  IV),  daB  er  iiber  Land  gehend  Gott  um  weitere  Offen- 


42  Eichard  Eeitzenstein, 

baruiigen  gebeten  liabe.  Plotzlicli  erblickte  er  eine  iiiigelieure  Staub- 
wolke,  als  ob  eine  ganze  Herde  auf  ilin  zukame,  iind  gewahrte  endlich 
ein  riesiges  Meerungetiim  (yS/Tog),  aus  dessen  Eachen  feurige  Heu- 
schrecken  liervorgingen.  Schnanbend  stiirmte  es  auf  ihn  ein,  aber 
als  er  ermntigt  durch  eine  Gottesstimme  ilim  entgegentrat,  stlirzte 
es  plotzlicli  wie  leblos  zusammen  und  streckte  nur  nocli  die  Zunge 
aus  dem  Maul  hervor,  riihrte  sich  aber  niclit,  als  er  vorliberging. 
An  dem  Kopf  trug  es  vier  Farben,  sdnvarze,  Feuer-  und  Blutfarbe, 
Goldfarbe  und  weiBe  Farbe^).  Hennas  begegnet  daun  weiter  einer 
gottliclien  Jungfrau,  die  wie  eine  Braut  gesclimlickt  ist,  erkennt  in 
ihr  nacli  den  friiheren  Visionen  die  Kirche  und  liort  von  ihr,  daS 
er  nur  durch  den  Namen  Gottes,  den  maclitigen  und  beriilimten 
Namen  gerettet  worden  sei,  Gott  den  Engel  der  Tiere,  Tliegri  mit 
Namen,  gesendet  und  da6  dieser  dem  Ungetiim  den  Eachen  zu- 
gehalten  habe,  zugleich  aber  da6  dies  Ungetiim  eine  nahende 
Christenverfolgung  bedeute.  Er  fragt  nach  der  Bedeutuug  der 
Farben  an  seinem  Kopfe  und  hort:  SSchwarz  ist  die  Welt,  in  der 
ihr  wohnt;  durch  Feuer  und  Blut  wird  sie  zugrunde  gehen;  wie 
Gold  miiBt  ihr  selbst  gepriift  werden;  das  WeiC  bedeutet  den  Glanz 
des  kommenden  Aions,  in  dem  ihr  leben  sollt.'  Der  SchluB  des  Be- 
richtes  scheint  auf  eine  Befreiung  oder  Wiederbelebung  des  Untiers 
zu  deuten:  Hennas  hort  iu  seinem  Eiicken  plotzlich  Getose,  ver- 
mutet,  da6  das  Untier  wieder  heranstiirme,  und  wendet  sich  nm;  da 
ist  die  Jungfrau  mit  einemmale  entschwunden ;  die  Vision  bricht  ab, 
wie  in  der  Krates-Erzahlung  die  einzelnen  Visionen  mit  dem  Ent- 
schlummern  oder  Erwachen  des  Krates. 

Klar  sollte  zuniichst  sein,  dafi  der  traumhafte  Charakter  der 
Visionen  hier  verwischt  ist,  und  da6  der  Christ  nicht  mehr  verstand, 
dafi  das  xz/toc  am  Himmelsozean  hausen  muB'^)  und  hier  den  Zugang 
zu  den  Offenbarungen  hiitet.  Der  Engel  ferner  mu6  ihm  ursprlinglich 
mehr  angetan  haben;  schreitet  doch  auch  Hernias  ihm  wie  zum  Kainpf 
entgegen;  die  vier,  bzw.  flinf  Farben  miissen  schon  in  einer  Vorlage 
gegeben  gewesen  sein  und  sind  nicht  etwa  der  symbolischen  Deutung 
zuliebe  von  dem  Verfasser  erfunden.  Denn  diese  Deutuug  ist  ja  er- 
zwungen,  ja  widersinnig;  die  einzig  natlirliche  Symbolik  hatte  das  Tier 
selbst  auf  die  Verfolgung  oder  ihren  Urheber  bezogen,  und  dieser  hatte 


')  Eig-entlich  also  fihif  Farben. 

2)  Gerade  dies  war  ja  in  dem  Krates -Buch  uicbt  klar  ausgedriickt;   die  Er- 
wHbnung-  des  >;ii  konute  mifiverstanden  werdeu. 


Himmelswaiuleruiig'  nnd  Draclieukanipf.  43 

die  Symbole  des  kommenden  Aion  mid  der  christlicheu  Standhaftigkeit 
niclit  an  sicli  tragen  diirfen.  Wenn  Fr.  Spitta  (Zur  Geschichte  iind 
Literatur  des  Urcliristentums  II  292)  und  leider  audi  GroBe-Brauck- 
mann  {I)e  compositione  Pastoris  Hermae,  Gottingen  1910.  S.  27  sqq.) 
sowohl  die  erste  Erwalinung  der  Farben  (17s.  IV  1,  10)  als  audi  ilii-e 
Erklarung  (Vis.  IV  3)  einer  spateren  Bearbeitung  zusdireiben,  so  be- 
gehen  sie  damit  einen  methodisdien  Fehler.  Deu  AulaB  linden  beide, 
etwas  spitziindig,  darin,  daB  es  seltsam  sei,  da6  diese  Farben  erst 
erwahnt  werden,  als  das  Ungelieuer  regungslos  daliegt;  Hernias  liatte 
sie  doch  sdion  friiher  gewahren  niUssen.  Aber  die  Erklarung  bietet 
der  Krates-Bericht:  erst,  nadidem  der  gottlidie  Heifer  das  Ungetum 
hingestreckt  hat,  erwahnt  der  Schriftsteller  die  Farben  an  ihiii,  well 
jener  es  nun  zersdmeidet  und  die  Stiicke  nach  den  Farben  zusanimen- 
legt.  Niclit  einnial  die  Deutung  der  Farben  wiirde  idi  einer  Be- 
arbeitung zusdireiben,  da  gerade  in  dem  Krates-Budi  der  gottlidie 
Heifer  zugleich  ininier  die  Erklarungen  gibt.  Um  so  niehr  freue  ich 
niidi,  dafi  der  Philologe  wenigstens  in  eineni  Puiikte  das  Urspriingliche 
getroffen  hat:  die  Person  der  Kirdie  ist  nur  den  friiheren  Visionen 
zuliebe  eingefiihrt;  urspriinglidi  gab  der  gottlidie  Heifer  —  freilich 
nicht  Thegri,  der  Engel  der  Tiere,  sondern  ein  Gott,  wohl  Hermes  — 
die  Deutung.  Wir  diirfen  diese  ungesdiickten  Kopien  nach  meist 
verlorenen  phantastischen  Erzahlungen  nicht  nach  denselben  Grund- 
satzen  behandeln  wie  die  freien  Erfindungen  oder  Visionsberichte 
wirklicher  Schriftsteller  i).  Festen  Boden  unter  den  FiiBen  haben 
wir  nur,  wo  wir  die  Vorlage  nocli  annahernd  bestiiiimen  konnen. 
Fiir  den  Beginn  der  fiinften  Vision  liabe  ich  sie  einst  in  einer  reli- 
giosen  Offenbarungsschrift,  dem  Poimandres,  nachgewiesen^)  und 
gegeniiber  den  Bedenken  theologischer  Kritiker  die  Freude  gehabt, 
dafi  schon  damals  Wendland  (Die  urchristlichen  Literaturformen  -  S.  387) 
und  Wilamowitz  (Kultur  der  Gegenwart  I  8  1905  S.  187)  mir  zustimmten; 
ich  hoffe,  der  voile  Beweis,  wie  phantasielos  und  wie  uuselbstandig 
der  Christ  gegeniiber  den  nicht  jlidischen,  sondern  heidnischen  Vor- 
lagen  war,  ist  jetzt  erbracht.  Nur  weil  wir  immer  noch  meist  nur 
als  Gegensatze  empfinden  konnen,  Avas  sich  doch  zugleich  aufs  engste 
beriihrt,  konnen  wir  den  hellenistischen  Grundcharakter  der  Gesamt- 
darstellung  und  der  Einzelschilderung  verkennen.  Fiir  das  Krates- 
Bucli  ist  zugleich  als  Vorlage   eine  griechisch  geschriebene,   ihrem 


')  Vgl.  Fr.  Bolls  schunes  Buch  'Aus  der  Offeubaruug  Johaimis',  Leipzig  1914. 
■'')  Poimandres  S.  11  ff.    Helleuistische  Wuudererzablnngen  126. 


44  Richard  Reitzeustein, 

Charakter  nacli  religiose  Offenbarung-sschrift,  die  vor  das  zweite  Jalir- 
Imndert  n.  Chr.  fallen  muB,  gesichert,  damit  zugleicli  aber  die  Er- 
kenntnis,  daB  o  KQdx7]c.  wirklicli  die  Bezeichnung  eines  Grottwesens, 
wahrsclieinlicli  des  Horns,  ist.  Dann  aber  hat  es  liochste  AVahr- 
sclieinliclikeit,  dafi  jene  Offenbarnngssclirift  mid  die  Zanbernovelle 
von  Neneferkaptah  einen  Myth  us  spiegeln.  Ob  wir  ihn  wieder- 
gewinnen  konnen,  wird  freilich  fraglich  bleiben.  Zeigen  docli  schon 
die  knrzen  Proben,  wie  die  nrspriinglich  mj^thischen  Wnndererzahlnngen 
sich  mit  anderen  zu  immer  nenen  Einheiten  verbinden,  wie  sie  sich 
bei  der  Verweltlichnng  miirchenhaft  ausgestalten  nnd  doch  immer 
wieder  die  nrspriingiiche  religiose  Bedentnng  znriickgewinnen  konnen, 
endlich,  wie  sie  von  einem  Lande  znm  andern  wandern  oder  audi 
zuriickwandern  9-  Einen  Versuch  habe  ich  friiher  gewagt  und  mochte 
ihn  hier  erganzen. 

Einen  Mythus,  freilich  in  marchenhafter  Ausgestaltung  und 
Farbenpracht,  bietet  der  in  die  friihchristlichen  Thomasakten  auf- 
genommene  sogenaniite  Hymnus  der  Seele2).  Ein  Herrscherpaar  im 
Osten  beiiehlt  seineni  altesten  Sohn,  der  noch  Kind  ist,  nach  Agypten 
zu  Ziehen  und  die  Perle  (das  Kleinod)  zu  holen,  'die  im  Meer  ist  in 
der  Umgebung  der  schnaubenden  Schlange';  dann  soli  er  der  Erbe 
des  Eeiches  werden.  In  Yerkleidung  eilt  er  hin  und  sucht  sie  zu 
belaueni;  aber  obwohl  ihn  ein  Berater  und  Heifer  vor  den  Agyptern 
warnt,  lafit  er  sich  von  ihnen  iiberlisten,  geniefit  ihre  Speise  und 
sinkt  in  hilflosen  Schlaf,  Ein  Brief  seiner  Eltern  und  der  versammelten 
Grofien   des  Eeiches,   der   dabei  ganz   als  eine  Art  gottlicher  Person 


')  Fur  die  Typologie  der  orientalischen  Wundererzabluiig  ist  dabei  das  leichte 
Ubergehen  in  den  Visionsbericbt  bemerkenswert.  Beispiele  babe  ich  in  dem  Buch 
^Historia  monachorum  und  Historia  Lausiaca''  S.  178, 1  und  261  angefiihrt.  Dem 
Visionsbericbt  steht  dann  die  Zavibervorschrift  nahe;  aus  der  Erzahlung  'ich  tat  das 
und  erlebte  das'  wird  die  Vorscbrift  'tue  das,  so  wirst  du  das  erleben'. 

-)  Vgl.  meine  Hellenistischen  Wuudererzablungen  S.  107  ff.  (dort  aucb  die 
Literatur).  Die  Bezeichimug  riihrt  von  der  ungllicklicben  Auffassuug  des  Liedes 
als  Allegorie  oder  symboliscber  Erzablung  her,  bei  der  freilich  alle  Hauptziige 
dunkel  und  widerspruchsvoU  bleiben.  Sie  ist  jetzt  wobl  noch  unwahrscheinlicher 
geworden.  Es  ist  ein  Mythus,  der  urspriiuglicb  in  einem  Bescbworungsliede  ver- 
wendet  war.  Das  Lied  ist  syrisch  und  griecbisch  erhalten,  doch  kennt  der  Verfasser 
die  Verhjiltnisse  des  partbischen  Reiches  so  trefflicli  und  orientiert  derart  von  hier 
seine  ganze  Darstellung,  dafi  Cumonts  Vermutung  (a.  a.  0.  115,  vgl.  A  5),  der  Ver- 
fasser des  alten  Originals  sei  Perser,  vie!  Wabrscbeinlicbkeit  bat.  Nur  ist  fiir  den 
Ursprung  des  Mythus  damit  noch  wenig  gewonnen.  DaB  der  christliche  Verfasser 
der  Akten  trotz  der  widerstrebenden  Ziige  in  dem  Kiinigssohn  Cbristus  sah,  hat 
zuerst  E.  Preuschen  richtig  betont. 


Himmelswaiidening-  uiid  Draclienkampf.  45 

erscheint,  erweckt  ilin  aus  dem  Todesschlummer  und  bringt  seinen 
Aiiftrag-  ilim  wieder  ziim  BewuBtsein;  er  verzaubert  die  schnaubeude 
Schlange,  indem  er  den  Nameii  seines  gottliclien  Vaters  iiber  ihr 
spriclit,  entreifit  ihr  die  Perle,  empfangt  bei  der  Heimkelir  sein 
himmlisclies  Prnnkgewandi)  und  wird  als  Erbe  des  Reiclies  anerkannt. 
Der  Form  nacli  ist  es  ein  Ich-Bericht  wie  die  Erziihlung-  des  Krates 
(des  gottliclien  Kindes);  auf  eine  Wanderung'  in  die  Totenwelt  weisen 
Einzelzilge,  wie  das  Verbot  des  Essens  im  Lande  der  Unliolde,  der 
Verlust  des  Gedaclitnisses,  der  Zauberschlaf,  die  Verklarung  bei  der 
Heimkehr.  In  der  Hanptform  wie  in  manchem  Einzelziig-  stimrat 
hiermit  eine  agyptisclie  Erzalilung'  von  Horns  iiberein,  die  am  voll- 
standig-sten  in  dem  von  Griffith  herausgegebenen  demotischen  Zanber- 
pap3^rus  voi'liegt^).  Horns,  der  alteste  Sohn  des  gottliclien  Konig-spaares 
ist  in  die  Unterwelt  g-ezogen,  dort  von  einem  Tier  gestochen  (oder  wie 
Dionysos  von  den  Titanen  iiberlistet)  und  getotet  worden.  Seine  Mutter 
Lsis  bringt  ihm  das  Herz  (die  Seele)  wieder  und  verkiindet  ihni,  da6 
alle  Gro6en  des  Laudes  versammelt  sind  '^),  um  seinem  Vater  (wieder) 
zu  huldigen.  Offenbar  kehrt  er  nun  siegreich  lieim,  nm  Erbe  dieses 
Reiclies  zu  werden.  In  dem  erlialtenen  kurzen  Zaubertext  ist  nicht 
gesagt,  wefiwegen  Horns  die  Wanderung  gemacht  hat  und  was  er 
dadurch  erwirbt.  Nur  eine  Spur  (bei  Diodor  I  25)  weist  darauf,  da6 
er  erst  dadurch  die  Unsterblichkeit,  d.  h.  zugleich  die  voile  gottliche 
Natur,  erlangt  hat.  Eine  innere  Kraft  oder  Verklarung  erlangt  offen- 
bar  auch   der  Konigssohn   in   dem  Hymnus   von   der  Seele.     Stammt 

')  Es  ist  das  nr^vfianxoi'  oder  S^slor  (vSvua  der  mystischen  Literatur.  Es 
scliwebt  ilim  eutgegeii,  er  scbaut  sich  in  ihm  wie  in  einem  Spiegel,  es  ist  ein  Teil 
seiner  selbst  und  an  Gestalt  ihm  immer  gleich.  Eine  ahnliche  Vorstellung  begegnet 
in  der  Paradieses -Wanderung  des  Zosimus,  die  gleichzeitig  Vassiliew  in  den  Anec- 
dota  gruecohyzantina  und  M.  Rh.  James  in  Eobinsons  Texts  and  Studies  II 3,  letzterer 
mit  trefflicher  Einleitung,  herausgegeben  haben.  Die  Gerechten  im  Paradiese  sind 
zwar  nackt,  aber  iiber  ihnen  schwebt  ihr  himmlisches  Lichtgewand,  das  sie  bei  der 
vollen  Vereinigung  mit  Gott  anlegen  Averden.  Auch  im  Hymnus  der  Seele  sieht 
der  Konigssohn  dies  Gewand  erst  wieder,  als  er  das  Reich  des  Vaters  betritt;  an- 
legen wird  er  es  erst  bei  dem  Zusammentreffen  mit  ihm. 

'^)  Vgl.  Hellenistische  Wundererzahluugen  S.  105  ff.  Die  weiteren,  dort  an- 
gegebenen  Spuren  des  Mythus  fixhren  bis  in  den  Anfang  der  hellenistischen  Zeit. 
Der  alte  Horusmythus  kennt  weder  die  Unterweltswanderuug  noch  einen  Drachen- 
kampf,  wohl  aber  einen  Kampf  mit  Seth,  eine  Gotterversammlung,  in  der  Thot  den 
Horus  als  Sieger  und  echteu  Erben  des  Reiches  erklart,  und  die  Wiederbelebung 
des  Osiris  (Erman,  Agyptische  Religion*  S.  40  ff.). 

3)  Auch  in  dem  Hymnus  der  Seele  wird  bei  der  Botschaft  eine  solche  Ver- 
sammlung  erwahnt,  nur  ist  dort  ihre  Bedeutung  fiir  den  Helden  klarer. 


46  Richard  Reitzenstein, 

dieser  Avirklicli  aiis  dem  Persischen,  so  darf  man  wohl  daraiif  liin- 
weisen,  dafi  das  arab.-persische  Wort  gauhar  so  wohl  die  Perle,  das 
Kleinod,  wie  audi  das  Innerste  (audi  Seele,  geistige  Kraft)  bedentet  i). 
Die  Ubereinstimmungen  eiiierseits  zwisdien  dem  Hymiius  von  der  Seele 
und  dem  Horus-Mythus,  andererseits  zwisdien  der  Novelle  von  Nenefer- 
kaptah  und  der  Krates-Sclirift  (bzw.  Horns -Sdirift)  und  weiter  die 
Alinlidikeiten  dieser  beiden  Grundtypen  liefien  sidi  bei  der  Annalime 
eines  gemeinsamen  mythologisdien  Hintergrundes  am  leiclitesten  er- 
kliiren.  Ebenso  lieCe  sidi  der  Unterschied  der  beiden  Typen  wolil 
verstelien.  Der  Mensdi,  der  in  dem  einen  fiir  den  Gott  eing'etreten 
ist,  mu6,  um  zu  etwas  Neuem,  Gottlidiem  zu  werden  (zum  jrrtrjta), 
seinen  Leib  verlieren^);  der  Gott  kann  nur  sein  urspriinglidies  Wesen 
Aviedergewinnen  oder  in  voller  Ausgestaltung  gewinnen.  So  meinte 
icli  friiher  annelimen  zu  duifen,  ein  Horus-Lied  sei  einfadi  in  den 
Osten  ubertragen  und  dort  zu  dem  sogenannten  Hymnus  der  Seele 
umgediclitet  worden.  AUes  andere  sei  agyptisdi.  Seit  sicli  aber  in 
dem  zweiten  Typus  dieser  Erzahlung  die  Miscliung  persischer  oder 
persisdi-babylonisdier  Elemente  mit  agyptisdien  gezeigt  hat  3),  ist  die 
Frage  nidit  mehr  abzuweisen,  ob  sidi  zwei  My  then  versdiiedeneu 
Ursprungs,  ein  agyptisdier  und  ein  dem  ferneren  Osten  entstammender, 
in  friihhellenistisdier  oder  vielleidit  sogar  vorhellenistisdier  Zeit 
wediselseitig  beeinfluBt  haben  und  hierdurch  der  alte  Horus-Mythus 
in  Agypten  umgestaltet  ist.  LieBe  sidi  diese  Frage  je  mit  Sicherheit 
bejahen,  so  wiirde  diese  Erzahlung  fiir  unsere  Vorstellungen  von  Alter 
und  Art  des  orientalischen  Synkretismus  allerhodiste  Bedeutung  ge- 
Avinnen. 

Diese  Frage  scheint  nun  der  Hauptsadie  nacli  sogar  schon  be- 


')  Arabisch  audi  Substanz,  Natnr,  qnod  in  quaqtte  re  nitet  nc  2)raestnt(Freytag), 
wie  athiopisch  hahrey  neben  Perle,  Edelstein  auch  Substanz,  Natur,  ja  Hypostase 
(Gottes)  bedeutet.  Die  weitere  Verbreituiig  der  Vorstellung  im  Orient  verfolgt 
H.  Grefimann,  Zeitschrift  d.  Deutschen  Morgeulandiscben  Gesellschaft  Bd.  60  S.  671. 
672  (giitige  Mitteihing  von  E.  Littmaun).  Da  auch  das  geheime  Wissen  immer  mit 
dem  Erwerb  einer  hoberen  Natur  im  Menschen  verkniipft  scbeint,  liefien  sicb  auch 
die  anderen  Erzahlungen  hiermit  in  Einklang  bringen  oder  aus  derselben  Gruud- 
vorstellung  begreifen. 

")  Die  Anscbauung  wecbselt  dabei,  vgi.  oben  S.  39,  2. 

^)  Auch  in  dem  ersten  ist  sie  wenigstens  fiihlbar.  Jene  Erwabnung  der 
sieben  Hallen  der  Totenwelt,  bzw.  des  Himniels,  in  dem  demotiscben  Zauberpapyrus 
(20,  32 ,  vgl.  oben  S.  36)  f allt  in  dies  Stuck :  Horus  heifit  he  tvho  is  in  the  seven 
heavens,  who  standeth  in  the  seven  sanchoaries  (im  Innersten),  the  son  of  the  god, 
who  liceth. 


Himmelswanderung  und  Drachenkampf.  4' 

antwortet.  Schon  Bousset  hat  (Hauptprobleme  der  Gnosis  S.  252  ff.) 
auf  Ubereinstimmung-en  zwisclien  dem  Hjaiinus  von  der  Seele  und 
dem  sechsten  und  acliten  rechten  Genza  der  Mandaer  hingewiesen, 
die  bis  in  kleinste  Einzelheiten  gelien  und  gar  nicht  zufallig  sein 
konnen.  Nur  liiltte  er  die  Darstellung  des  Horns- M3^thus  mit  liinzu- 
nelimen  miissen;  in  ilim  finden  sicli  all  die  Ziige,  die  in  dem  Genza 
fehlen;  erst  eine  Vereinigung  beider  erkliirt  den  Hymnus  von  der 
Seele  restlos  i)-  Den  My tlius  des  Genza  hat  schon  ^^^  Brandt  iiber- 
zeugend  als  Fortbildung  und  Umgestaltung  des  altbabylonischen 
Mythus  von  Mardnk  und  Tiamat  erkannt.  Religiose  Zusammenhange 
liegen  hier  tatsachlich  vor,  welche  die  alte  Sage  bis  in  spatere  Zeit 
erhalten  konnten.  Andererseits  war  ich  selbst,  noch  ehe  ich  Boussets 
Ausfiihrungen  kannte  und  an  die  Mandaer  audi  nur  gedacht  hatte, 
auf  die  Fiille  der  Motive  aufmerksam  geworden,  welche  die  von  mir 
rekonstruierte  jiingere  Horussage  mit  dem  babylonischen  Mythus  teilt 
(in  der  Gotterversammlung  wird  die  Herrschaft  als  Kampfpreis  be- 
willigt;  auf  den  Himmelsdrachen  weisen  die  verschiedenen  Farben; 
aus  seinen  Stiicken  Avird  ein  Neues  zusammengesetzt ;  die  Siegesbeute 
bilden  die  Schicksalstafeln).  Nur  die  auBere  Verbindung-,  die  ein 
Heriiberwirken  erklaren  konnte,  und  eine  literarische  Ausgestaltung, 
die  einen  unmittelbaren  Vergleich  mit  dem  Horus- Mythus  gestattete, 
vermifite  ich  und  wagte  darum  keine  Schliisse  zu  machen.  Beides 
bietet  der  Hinweis  auf  die  Mandaer  und  iliren  achten  Genza.  Freilich 
ist  letzterer  jetzt  jung  und  phantastisch  ausgestaltet;  verschiedene 
iiltere  und  jiingere  Rezensionen  desselben  Mythus  sind  aneinander- 
gereiht;  nur  die  alteste  beriihrt  sich  noch  handgreiflich  mit  der 
Tiamat -Sage.  Aber  aus  ihr  laBt  sich  eine  mit  Sicherheit  herzustellende 
jiingere  Fassung  erklaren,  in  welcher  der  gottliche  Hibil-Ziwa  die 
sieben  Hallen  der  Unterwelt  durchwandert,  in  jeder  von  einer  Gottheit 
geheimes  Wissen  erlauscht  und  in  der  letzten  mit  der  Hollenfiirstin 
um  ein  Kleinod  kampft,  an  welches  ihre  Macht  und  ihr  ^^'issen  ge- 
knlipft  ist.  Mit  dieser  Darstellung  beriihrt  sich  der  Horus -Mythus, 
den  wir  aus  der  Novelle  des  Neneferkaptah  und  der  Vision  des 
Krates  herstellen  konnen,  derart,  da6  sogar  einzelne  Ziige  in  ihnen 
engere    Beriihrungen    mit    der    babylonischen   Sage    zeigen    als    der 


')  Der  Genza  gibt  nur  die  Schilderung  von  dem  Niedersteigen  eiues  Gottes 
in  das  Totenreich,  dem  Kampf  mit  seinen  Herrschern  und  der  Erwerbung  des  eut- 
scheidenden  Kleinods.  Dafi  der  Gott  selbst  Kind  ist,  dafi  er  leblos  hinsinkt  und 
durch  eine  himmlische  Botin  wieder  erweckt  wird,  stammt  aus  dem  Horus -Liede. 


48  Rieliard  Reitzenstein, 

Genzai)-  ]3aB  man  m  Agypten  den  Gott,  der  die  bosen  Maclite  iiber- 
wiinden  und  aus  dem  Kampf  mit  ilinen  seinem  Vater  'Kraft  imd 
Festigkeit'  gebraclit  bat,  mit  Horus  identifizierte,  ist  begreiflich. 
Der  Mythus  von  ihm  wurde  danach  umgestaltet  und  ausgestaltet 
und  wirkte  in  dieser  jiingeren  Form  dann  auf  den  Osten  zuriick. 
Beide  Hergiinge  waren  allerdings  scbwer  erklarbar,  wenn  wir  nicht 
fiir  die  jiingere  Zeit  literariscbe  Darstellungen  der  alten  Mj^then  an- 
nehmen  diirften;  der  Hymnus  von  der  Seele,  die  Erzahlung  des 
Krates  und  die  Novelle  von  Neneferkaptab  setzen  ja  auch,  wenigstens 
meines  Erachtens,  kunstmilBige  literariscbe  Darstellungen  von  Anfang 
an  voraus.  Um  so  erfreulicber  ist  mir,  da6  soeben  W.  Spiegelberg 
eine  solcbe  novellenartige  Ausgestaltung  und  Darstellung  eines  alten 
Mj'^tlius  in  j lingerer  Zeit  wenigstens  fiir  Agypten  erwiesen  bat 2).  Seit 
dieser  aucb  fiir  die  Gescbiclite  der  Gnosis  wicbtigen  Entdeckung 
scbeint  mir  der  Annabme  einer  wecbselseitigen  Beeinflussung  eines 
agyptiscben  und  eines  auf  babyloniscbe  Einfliisse  zurlickgebenden 
ostlicben  Mytbus  nicbts  mebr  entgegenzusteben ;  die  nacbste  Aufgabe 
wird  sein,  andere  Fassungen  oder  Spiegelungen  dieses  ostlicben  Mytbus 
in  religioser  oder  weltlicber  Tradition  nacbzuweisen  und  damit  die 
Kette  zu  scbliefien. 

Eine  Einzelbeit  erwabne  icb  zum  Scblu6  der  Vollstandigkeit 
balber.  Die  eine  der  mandaiscben  Eezensionen  laCt  —  in  der  jetzigen 
Fassung  des  acbten  recbten  Genza  bei  der  Riickkebr  Hibil-Ziwas 
durcb  die  dritte  Halle  —  den  Unterweltsdamon  Qin  dem  Hibil-Ziwa 
eine  abgrundtiefe  Quelle  und  in  ibr  den  Spiegel  zeigen,  in  welcbem 
die  Macbte  der  Finsternis  sicb  bespiegeln,  um  jedesmal  zu  wissen, 
was  sie  zu   tun   baben^).     Diesen   Spiegel   bat  Hibil-Ziwa  vor  den 

')  Man  denke  an  die  Schildernng  des  Ungetiims.  Eiue  Spur  in  der  Krates- 
Yision  verglicheu  mit  der  Baruch-Apokalypse  zeigt  sogar  nock  Erinnerung  daran, 
da6  es  sich  ursprilngiich  um  zwei  miteinander  verbuudene  Unholde  handelte. 

-)  Der  agyptiscbe  Mythus  vom  Sonnenauge  in  einem  demotischen  Papyrus  der 
romischen  Kaiserzeit,  Sitzungsbericht  der  Berliner  Akademie  1915  S.  876  ff.  Es 
handelt  sicb  bier  sogar  um  eine  Bearbeitung  nicht  mebr  zu  religiosem,  sonderu  zu 
rein  ergotzlicbem  Zweck.  Spiegelbergs  Beschreibung  der  Stilmiscbung  in  der  Dar- 
stellung (S.  890  ff.)  entspricht  derart  dem  Charakter  des  Marcbens  von  Amor  und 
Psyche  bei  Apuleius,  dafi  man  wohl  annehmeu  darf,  der  erste  griecbische  Bearbeiter 
dieser  ursprlinglicb  religiosen  Erzahlung  babe  einen  abulicben  Text  mit  seinen 
Mitteln  nacbahmen  woUen.  Welcbe  EinfiUsse  dann  die  weitere  Ausgestaltung  be- 
stiramten,  babe  icb  versucht,  in  dem  Vortrag  „Das  Marchen  von  Amor  und  Psyche 
bei  Apuleius",  Leipzig  1912,  naber  nacbzuweisen. 

=')  W.  Brandt,  Mandaische  Schriften  S.  IGO.  Auch  sonst  wird  ein  solcher 
Zauberspiegel  in  dem  Genza  erwabnt,  so  Brandt  S.  176:   die  Ruba  liifit  ibren  Sohn 


Himmelswanderung-  und  Drachenkampf.  49 

Augen  der  Qin  verborgen  unci  mil  sicli  g-enommen,  und  mit  ilim  ist 
'Kraft  imd  Festigkeit'  der  Unterweltsgotter  verscliwunden.  Zu  den 
Berichten  des  Ostanes  und  Pibechios,  von  denen  ich  ausging  und  in 
denen  die  •/r(~Kjic,  das  kraftspendende  Wissen,  durcli  das  Lesen  der 
Inschrift  auf  einer  Stele  von  wuuderbar  glanzendem  Metall  in  dem 
Innersten  der  sieben  Himmelsliallen  vermittelt  wird,  bietet  Zosimus, 
der  agyptische  Alchemist  aus  dem  Ende  des  dritten  oder  Anfang  des 
vierten  Jahrliunderts  n.  Chr.,  in  dem  z  wolf  ten  Buche  jxtgl  dQeTF/g  (iiber 
die  Wunderkraft)  ein  Gegenbildi).  Alexander  der  GroBe  hat  einen 
Zauberspiegel  aus  Elektron  besessen,  der  ihm  die  Zukunft  voraus- 
zeigte  und  ihn  dadurch  gegen  alles  Unheil  und  alle  Feinde  schiitzte. 
Dieser  Spiegel  kam  nach  seinem  Tode  in  einen  Tempel.  Es  ist  klar, 
daB,  wie  der  Konigssohn  Neneferkaptah  fiir  den  Gott  Horus,  so  der 
Weltiiberwinder  Alexander  fiir  einen  Gott,  oder  besser  fiir  den  hollischen 
Damon  eingetreten  ist,  der  gegen  den  hochsten  Gott  kampfen  will 
(vgl.  einerseits  den  Genza,  andererseits  die  Auffassung  Alexanders 
z.  B.  bei  Lucan  Phars.  X  20ff.)2).  Denn,  dafi  der  Tempel  den  Himmel 
bedeutet,  sagt  Zosimus  sofort  selbst:  'Der  Spiegel  steht  iiber  dem 
Tempel  der  sieben  Tore,  welche  den  sieben  Himmeln  ent- 
sprechen,  an  der  Westseite,  so  daiS,  wer  hineinschaut,  den  Osten 
erblickt,  wo  das  geistige  Licht  aufgeht-').  Der  Tempel  steht  iiber 
der  sichtbaren  Welt,  iiber  den  zwolf  Hausern  (des  Himmels)  und  iiber 
den  Plejaden,  der  Welt  der  Dreizehn.  Uber  ilmen  steht  dies  Auge 
des  Geistes,  das  allgegenwartig  ist.  Man  sieht  dort  das  m'tvfta 
Thhior,  in  dessen  Gewalt  alles  ist,  von  jetzt  bis  zum  Tode.'  Die 
ubliche  Opfergabe  des  Spiegels  an  den  Gott  oder  des  Horus -Auges 


in  dem  Zauberspiegel  sein  Antlitz  und  zngleich  die  Welten  der  Finsternis,  seine 
Vater  und  die  Welten  des  Lichtes  seheu.  Der  Spiegel  lehrt  ihn,  was  er  tun  soil, 
und  gibt  ihm  die  yrcSoig,  vgl.  zu  der  gauzen  Vorstellung  vou  dem  gottlicben 
Spiegel  mein  Bucb  ' Historia  3Lonachorum  und  Historia  Laiisidca'  S.  24rl:ff.  262. 

*)  Nur  in  syrischer  Ubersetzung  erbalten  bei  Berthelot  a.  a.  0.  II  262  ff. 

2)  Die  Einwirkung-  dieser  Vorstellung  auf  die  Alexandersage  liefie  sicb  leicht 
weiter  verfolgen;  doch  ist  bier  nicbt  der  Ort  dafiir. 

=*)  Zusatz:  'er  stebt  ebenso  an  dem  Slidtor  und  an  alien  anderen  Toreu'. 
Hier  sind  es  also  sieben  Spiegel.  Man  erinnere  sicb,  da6,  wabrend  Ostanes  von 
einer  Tafel  redet,  Pibecbios  deren  sieben  erwabnt.  Die  altagyptiscbe  Vorstellung, 
dafi  in  die  eiue,  nicbt  stockwerkartig  in  sieben  Spbaren  ixbereinandergetiirmte 
Unterwelt  sieben  Tore  fiibren,  scheint  nacbzuwirken.  Von  &vqc'.i  rfjq  yrvjoewg  ist 
in  der  religiosen  Mystik  immer  die  Eede,  und  eine  x?.elq  Ttjg  yrcoatcug  erwjihnt, 
■vvie  micb  Bousset  erinnert,  Lucas  an  einer  Stelle  (11,  52),  deren  Original  nacb 
Mattb.  23, 13  sicber  x/.etg  r/jg  l^uGileiug  zwr  ovqccvwx'  bot. 

Andreas- Festschrift.  4 


50  Richard  Reitzenstein,  Himmelswanderung  iiiul  Drachenkampf. 

an  Osiris,  die  der  Agypter  so  oft  in  seinen  Tempeln  dargestellt  oder 
in  heiligen  Texten  erwalmt  fand,  sclieint  liier  religios  aiisgedeutet ; 
dennocli  glaube  icli  zugleicli  die  letzte  Nachwirkung  des  Mardnk- 
Mythus  und  der  'Scliicksalstafeln'  zu  empflnden.  So  hocli  die  Vor- 
stellung  dabei  gesteigert  ist,  die  nacli  j lingerer  Ausdentung  dann  den 
Geist  Oder  den  Solm  des  hochsten  Gottes  selbst  zu  dem  Spiegel  maclit, 
beschrankt  sie  sich  doch  nocli  auf  Mantik  und  Zauber;  Wirkung  der 
yi'cdaig  ist  das  jrQoyr/rcnjx^iv,  das  nocli  in  der  alteren  volkstliniliclien 
Moncliserzalilung  den  Hauptvorzug  des  riXtiog  bildet.  Aber  sclion 
hat  die  griecliisclie  Pliilosophie  und  die  Verinnerliclmng  der  alten 
religiosen  Anschauungen  durch  die  orientalische  Mystik  audi  auf  diese 
Kreise  gewirkt.  Derselbe  Zosimus  hat  in  einem  frliheren  Werke,  das 
er  liier  anfiihrt,  dem  xrx^.oc  r(ov  hQtcor,  die  sittliche  Wirkung  der 
yrcooiq  betont:  die  Seele,  die  sich  in  diesem  Zauberspiegel  sieht,  er- 
kennt  ihre  Makel  und  reinigt  sich  von  alien  Flecken  (allem  Schatten); 
sie  bildet  sich  nach  dem  Spiegel,  dem  .Tj-tvf/a  llyior,  und  wird  selbst 
.-rrtv^fa.  So  besitzt  sie  die  voile  Leidenschaftslosigkeit  {iljrdfhHa)  und 
gehort  jener  hoheren  Ordnung  an,  in  der  man  Gott  kennt  und  von 
ihm  gekannt  wird  (yiyrojaxti  ihtor  y.ai  yiyrvny/.txai  tvV  aKrov).  Es 
sind  die  Grundgedanken  auch  der  monchisehen  Mystik;  sie  lassen 
sich.  wie  ich  hoffe  an  anderem  Ort  erwiesen  zu  haben,  bis  in  die 
Werdezeit  des  Christentums  zurlickverfolgen.  Doch  liegt  ein  Ein- 
gehen  auf  sie  jenseits  meiner  diesmaligen  Aufgabe;  von  Marchen  und 
Mythen  wollte  ich  liier  allein  berichten. 

Gottingen.  Richard  Reitzenstein. 


ZUR  FRAOE  DES  VERHALTNISSES  VON  PERSISCHEM 
UND  JUDLSCHEM  AUFERSTEHUNGSGLAUBEN. 


In  dem  leider  nocli  so  dimkeln  Kapitel  von  den  Beziehnngen 
zwischen  persisclier  und  jiidischer  Religion  ist  wolil  keine  Frage  so 
viel  verhandelt  worden  wie  die  nacli  dem  Veilialtnis  des  beider- 
seitig-en  Auferstelmugsglanbens.  Und  das  ist  niclit  verwunderlich. 
wenn  man  sicli  die  Bedeutung-  des  Anfersteluingsglaubens  in  der 
jiidischen  Religion  vergegenwartigt,  maclit  er  darin  docli  so  sehr 
Epoche,  da6.  wie  niclit  unrichtig  gesagt  worden  isti).  darnacli  die 
ganze  Religionsgescliiclite  Israels  in  zwei  Telle  zerfallt:  vorher  und 
nachlier.  Ist  er  denn  also  ein  genuines  Erzeugnis  jiidischen  Denkens, 
Oder  ist  er  unter  persischem  EinfluB  aufgekommen?  Im  Grunde  ist, 
trotz  den  vielen  Erorterungen,  die  sich  an  diese  Fragen  geknlipft 
haben,  die  Sachlage  noch  wenig  geklart.  Auf  der  einen  Seite  ist 
man,  znm  Teil  vielleiclit  unter  der  unbewuBteu  Nacliwirkung  alter 
dogmatisclier  Yorurteile,  in  der  Ablehnung  fremder  Einflusse  auf  die 
jiidisclie  Religion  allzu  zahe  geblieben,  auf  der  anderen  hat  naive 
Freude  an  der  Entdeckung  und  Bebauung  religionsgeschichtlichen 
Xeulandes  zu  einer  gewissen  Sorglosigkeit  in  der  einseitigen  Be- 
jaliung  solcher  Einflilsse  gefiihrt.  In  Wahrheit  diirfte  gerade  die 
Erkenntnis,  daS  keine  der  extremen  Ansichten  die  abschliefiende 
Antwort  zu  geben  vermag,  eine  Hauptlockung  bilden,  sich  mit 
der  Frage  erneut  zu  beschaftigen.  liegt  doch  ein  besonderer  Reiz 
religionsgeschichtlicher  Arbeit  in  der  Durchforschung  jener  Zwischen- 
gebiete,  die  nicht  ein  einf aches  Ja,  ja  und  Nein,  nein  sagen  gestatten. 

Am  sichersten  geht  man  vielleicht  von  der  Beobachtung  einzelner 
peripherischer  Punkte  aus,  an  denen  die  Beriihrung  mit  Handen  zu 
greifen  ist.    In  der  Apokalypse  des  El  dad  und  Modad,  einer  jiidischen 

*)  H.  Gunkel  zu  IV.  Esra  7,  32  (in  Kautzschs  Pseudepigraphen). 


52  Alfred  Bertholet, 

Weissagung,  deren  uiitere  Zeitgrenze  diirch  eine  Zitation  im  Hirten 
des  Hernias  1)  festgelegt  wird,  heifit  es,  die  (aiiferstandenen)  Israeliten 
wlirden  mit  Wonne  von  dem  Stier,  der  ilinen  von  Anbeginn  bereitet 
war,  geniefien.  Die  in  diesen  Worten  ausgesprocliene  Erwartnng  liiBt 
sicli  aiis  innerjlidischen  Pramissen  niclit  restlos  erklaren.  Wolil  kennt 
jiidische  Eschatologie  seit  Jes.  25, 6  2)  die  Vorstelhmg  einer  Mahlzeit  der 
Seligen,  nnd  in  Ps.  74, 14  fand  jiidische  Haggada  den  Beweis,  da6 
dabei  der  Leviathan  als  Speise  dienen  solle.  Aber  das  ist  so  kiinstlich, 
da6  man  ohne  weiteres  vermuten  darf,  der  Gedanke  sei  von  der 
jlidischen  Haggada  in  die  Psalmstelle  anderswoher  erst  hineingelesen 
worden^).  Wie  liberdies  aus  Leviathan,  dem  fabelhaften  Wassertier,  der 
Stier  werden  sollte,  ist  zunachst  gar  nicht  abzusehen;  es  bedarf  schon  des 
mit  Leviathan  ofter^)  zusammengestellten  Behemoth  als  Mittelgliedes  ■^). 
Aber  da6  Behemoth,  nrspriinglich  das  FlnB-  oder  Nilpferd  6),  seinerseits 
zur  Speise  der  Seligen  wird,  ist  aus  jiidischen  Voraussetzungen  wieder 
nicht  erklarlich.  Um  so  willkommener  ist  hier  die  persische  Parallele, 
die  man  aus  dem  Bundahish")  kennt:  „Soshyans  und  seine  Gehilfen 
vollziehen  ein  Opfer,  wiihrend  sie  die  Toten  wiederherstellen,  und 
schlachten  den  Stier  Hadhayosh  bei  dem  Opfer.  Von  dem  Fett  dieses 
Stieres  und  vom  weifien  Hom  bereiten  sie  das  Lebenselixier  und 
geben  es  alien  Menschen,  und  alle  Menschen  werden  unsterblich  fiir 
immer  und  ewig."  Denkt  man  an  die  Bedeutung,  welche  das  Rind 
fiir  die  Perser  hatte,  so  ist  doch  wohl  klar,  dafi  der  „von  Anbeginn 
an  bereitete  Stier"  der  einheimischen  persischen  Vorstellungswelt  an- 
gehort. 

Des  weiteren  gibt  der  Bundahish  die  Zahl  der  mannlichen 
Heifer  des  Soshyans  auf  15  an®).  Wenn  man  Succa  52a  liest,  dafi 
15  Gesalbte  die  Toten  auferwecken,  so  diirfte  schon  diese  liberaus 
merkwurdige  Ubereinstimmung  den  letzten  Zweifel  an  einer  Beein- 
flussung  jiidischen  Auferstehungsglaubens  von  persischer  Seite  beheben; 


1)  Visio  II  3. 

2)  Jes.  24 — 27,  die  sogeuaiiiite  Jesaja-Apokalypse,  ist  eines  der  spiitesteu 
Stiicke  des  Jesajabuches. 

3)  Vgl.  Gunkel  zu  IV.  Esra  6,  52  (a.  a.  0.). 

*)  Syr.  Baruchapok.  29,4  vgl.  IV.  Esra  6,52;  vielleiclit  Heu.  60,  24;  dock  ist 
hier  der  Text  schlecht  uberliefert. 

'■>)  Vgl.  Archiv  fur  Religionswissenschaft  XIV  (1911),  S.  38  ff. 

«)  Hiob  40, 15. 

')  30,  25.  Nach  Gelduers  Ubersetznug  in  lueinem  Religionsgeschiclitlicheii 
Lesebuch,  S.  358. 

«)  30, 17.     Ebenda  S.  357. 


Persischer  und  jixdischer  Auferstehungsglaube.  53 

denii  wie  kame  der  Jude  gerade  auf  diese  Zalil  ? ')  Daneben  sei 
gleicli  die  Meinimg  eines  Teiles  der  Eabbinen  gestellt,  da6  die  Aiif- 
ersteliung-  114  Jahre  in  Anspruch  nelimen  werde'^).  Diese  Zalil  laBt 
sicli  wolil  iiiclit  aiiders  verstehen  denn  als  Verdoppelung-  der  573),  ^i^ 
wiederum  der  Bimdahisli  als  Zalil  der  Jahre,  welche  die  Wieder- 
lierstelluiig'  der  Toten  daiiert,  kennt^).  Anderes  liefie  sich  anfiiliren. 
So  iindet  iiacli  Bundaliish  30,  26  in  der  Aufersteliung-  keine  Kinder- 
zeugung  melir  statt;  ebeuso  Mattli.  22,  30:  Iv  yaQ  rfj  draoxdoti  ovrt 


')  An  sich  schon  konnte  die  Beteiligung-  eiiier  Mehrzahl  von  Urhebern  beim 
Akt  der  Auferstehung  —  so  z.  B.  auch  Pesachim  68  a  —  auf  persischen  EinfluB 
zuriickgehen. 

-)  E.  Bokleu ,  Die  Verwandtschaft  der  jlidisch  -  christlichen  mit  der  persischen 
Eschatologie,  Gottiugen  1902,  S.  109. 

3)  Dieselbe  Verdoppelung  auch  im  Dinkart  VII  11,4;  vgl.  Boklen  a.  a.  0. 
Anm.  2. 

*)  30,  7,  a.  a.  0.  S.  356.  Die  Zahl  57  erfordert  selber  eine  Erklarung.  Schwerlich 
genligt  die  Auskunft,  es  handle  sich  dabei  vielleicht  urn  eine  ParaUele  zur  Geschichte 
der  Entstehung  des  Menschengescblechtes,  wo  50  Jahre  verlaufen,  ohne  dafi  Maschia 
und  Maschiane  zeugen,  worauf  sie  dann  7  Paare  hervorbringen ,  was  7  Jahren  ent- 
spreche  (Fr.  Windischmann,  Zoroastrische  Studien,  Berlin  1863,  S.  242f.);  denn  es 
sieht  stark  darnach  aus,  als  bezwecke  diese  Darstellung  selber  nur,  ein  schon  fest- 
stehendes  Schema  von  57  Jahren  mit  Inhalt  zu  fuUeu.  Tatsachlich  kehren  die 
57  Jahre,  wie  Windischmann  (a.  a.  0.)  zeigt,  anderwarts  wieder,  so  namentlich  in 
der  Sage  von  Epimenides :  so  lange  namlich  dauert  nach  Plinius  H.  N.  VII  57  sein 
Hohlenaufenthalt.  Windischmann  weist  darauf  bin,  dafi  57  ^  7  +  10  +  40  und 
wiederum  =  3  +  (6x9)  sei,  und  dafi  jenes  drei  mj^stische  Zahlen,  dieses  die  drei 
zarathustrischen  Grundzahlen  seien.  Beide  Erklarungen  scheinen  niir  unbefriedigeud. 
DaB  durch  Addition  einer  Mehrzahl  von  Posten,  die  iiberdies  ebensogut  anders 
lauteu  konnten  (z.  B.  fehlt  in  der  ersten  Eeihe  die  Dreizahl),  und  erst  recht,  da6 
durch  eine  Kombination  von  Addition  und  Multiplikation  eine  neue  bedeutsame 
Zahl  gewonnen  wird,  ist  meines  Wissens  ohne  Beispiel.  Auch  weifi  ich  nicht,  was 
es  rait  den  augeblichen  „zarathustrischen  Grundzahlen"  aiif  sich  hat.  Ich  vermute, 
das  Entscheidende  sei,  dafi  57  =  3  x  19  ist,  und  dabei  denke  ich  an  die  Bedeutung 
der  19 -Zahl  als  Kalenderzahl,  wie  man  sie  aus  dem  19jahrigen  Mondzyklus  des 
Meton  (um  432  v.  Chr.)  kennt,  dessen  Verbreitung  nach  Osten  schon  durch  die  Tat- 
sache  bekundet  wird,  dafi  die  19jahrige  Schaltung  auf  dem  Boden  spatbabj'lonischer 
Kultur  nachgewiesen  ist  (vgl.  A.  Jeremias ,  Haudbuch  der  altorientalischen  Geistes- 
kultur,  Leipzig  1913,  S.  158).  Ein  solcher  fester  Jahreszyklus  konnte,  mochte  ich 
meiuen,  so  gut  wie  z.  B.  eine  Jahrwoche  (vgl.  u.  a.  Dan.  9,  Henoch  93.  91,  12 — 17, 
IV.  Esra  7,  43)  zur  apokalyptischen  Einheitszahl  werden ,  die  sich  beliebig  steigern 
liefi.  Verdreifachuug  als  Steigerung  ist  gerade  im  Persischen  besonders  beliebt, 
vgl.  z.  B.  Dahakas  3  Mauler,  3  Schadel,  6  Augen  (Yasna  9,  8)  oder  Yimas  dreimalige 
Erweiterung  der  Erde,  durch  welche  den  sich  mehrenden  Geschopfen  Kaum  ge- 
schaffen  wird  (Vend.  2).  6  x  19  =  114  ware  dann  einfach  als  Aveitere  Steigerung 
der  apokalyptischen  Grundzahl  z\\  verstehen. 


54  Alfred  Bertliolet, 

yajjovair  oi'ts  yafiiCoi'Tcci^).  Nach  Biindahish  30,  7  auferstehen  die 
Menschen  in  ganz  bestimmter  Ordnung;  von  einer  solchen  wei6  audi 
I.  Kor.  15,  23:  txaaroc  tv  rr;7  idico  Ticyfatri.  Wiederum  sind  die  Be- 
weise  fiir  die  Moglichkeit  der  Auferstelumg  hiiben  nnd  driiben  gleiche. 
So  antwortet  auf  die  Zweifel  eines  Sadduzaers  Gebia  ben  Pesisa: 
„Welie  eucli,  ilir  Sclnildigen,  da6  ilir  sagt,  die  Toten  leben  niclit 
wieder  auf;  wenn  schon  das,  was  noch  niclit  war,  Leben  bekommt, 
wie  viel  nielir  das,  was  schon  Leben  liatte!"^)  Und  im  Bundaliisli^) 
argumentiert  Ormazd:  „Wenn  das,  was  noch  iiicht  war,  damals  (bei 
der  Schopfnng)  geschaffen  wurde,  warum  sollte  man  nicht  das  wieder 
hervorbringen  konnen,  was  schon  war?" 

Vereinigt  sich  das  nicht  alles  zum  Beweis,  dafi  jiidischer  Auf- 
erstehungsglaube  iiberhaupt  vom  persischen  abhange?  Aber  so  ein- 
fach  liegen  die  Dinge  niclit.  Tatsachlich  betreffen  die  angefiihrten 
Beriihrungen  docli  ziemlich  nebensachliche  Dinge,  und  vielleicht  stellt 
sich  auf  die  Hauptsache  besehen  das  Verhaltnis  noch  anders  dar. 
Was  schon  zu  denken  gibt,  ist  die  Tatsache,  da6  die  jlidischen  Auf- 
erstehungsvorstellungen  weit  davon  entfernt  sind,  einheitlich  zu  sein. 
Da  springt  vor  allem  in  die  Augen  das  unmittelbare  Nebeneinander 
der  Erwartuug  einer  allgemeinen  Auferstehung  und  einer  blo6  parti- 
ellen,  wahrend  der  Parsismus  ausschlieClich  eine  allgemeine  kennt; 
unwesentlicher  ist,  und  namentlich  ist  es  nicht  ganz  ohne  parsistische 
Paralleled),  dafi  bald  der  Messias,  bald  Gott  selber  als  Totenerwecker 
erscheint.  Nun  liegt  vielleicht  gerade  in  der  Unausgeglichenheit  der 
jiidischen  Vorstellungen  ein  Hauptbeweis  fiir  die  Annahme  fremden 
Einflusses. 

Aber  ehe  nach  dieser  Seite  liin  ein  Entscheid  gefallt  wird, 
will  —  eine  der  Selbstverstandlichkeiten,  die  gelegentlich  zu  betonen 
doch  nicht  ganz  iiberfliissig  ist  —  die  Moglichkeit  einer  organischen 
Entwicklung  eiuheimischer  jiidischer  Gedanken  wohl  erwogen  sein. 
Dabei  mag  gerade  jenes  Nebeneinander  der  Erwartung  einer  partiellen 
und  einer  allgemeinen  Auferstehung  den  Ausgangspunkt  bilden.  Hat 
jiidischer  Glaube    an    eine    allgemeine  Auferstehung   seine    persische 

0  Vgl.  schon  Hen.  15,  7. 

^)  b.  Sanhedrin  Ola.  Weiteres  Material  bei  P.  Volz,  Judische  Eschatologie 
von  Daniel  bis  Akiba,  Tubingen  und  Leipzig-  1903,  S.  133. 

'')  30,  6 ;  a.  a.  0.  S.  35f3.  Weitere  Analogien  zu  dieser  Stelle  bei  N.  Soederblom, 
La  vie  future  dapres  le  Mazdeisme  1901,  S.  262 f. 

*)  Zwar  stellen  Soshyans  und  seine  Gebilfen  die  Toten  wieder  her  (Bund.  30,  7); 
aber  Ormazd  kann  (ebenda  5)  sagen,  dafi  er  die  Auferstehung  mache. 


Persischer  uud  judischer  Auferstehungsglaube.  55 

Parallele,  so  fragt  sich  zunaclist,  ob  niclit  wenigstens  zur  Erklarung 
des  Glaubens  an  eine  partielle  die  inner jiidisclien  Pramissen  aus- 
reichen.  Und  liier  ist  man  meines  Erachtens  iiber  die  beriilimte 
Vision  Hesekiels  von  den  zum  Leben  zuriickkehrenden  Totengebeinen 
(Kap.  37)  aus  einer  allerdings  ebenso  natiirliclien  wie  berechtigten 
Reaktion  gegen  eine  traditionelle  Auffassung,  der  das  Kapitel  zum 
locus  classicus  des  Aufersteliungsglaubens  im  vSinne  christlicher  Dog- 
mat  ik  geworden  war,  neuerdings  vielfacli  zu  leiclit  hiuAveggeglitten. 
Wohl  sind  die  ,.Totengebeine"  der  Vision  keine  Toten,  sondern 
Lebende,  die  im  Exil  zerstreuten  Glieder  des  Volkes,  und  dem- 
entsprecliend  bedeutet  ihre  Wiederbelebung  lediglicli  die  politische 
Wiederherstellung  des  Volkes.  Aber  daB  dieser  Gedanke  sclion  um 
586  unter  dem  Bilde  einer  Auferstehung  der  einzelnen  Volksglieder 
ausgesprochen  wird,  ist  eine  Tatsache,  die  immerhin  Beach tung  ver- 
dient,  zumal  wenn  man  sich  vergegenwartigt,  wie  schwer  es  antikem 
Denken  fiel,  die  Grenzen  zwischen  Bild  und  Wirklichkeit  scharf  zu 
Ziehen.  Nebensachlicher  ist  fiir  uns  die  sich  sofort  anschlieBende 
weitere  Frage,  wie  Hesekiel  auf  dieses  Bild  gekommen  sei.  Ist  es 
als  geistige  Neuschopfung  im  Spiegel  seines  visionaren  Schauens  vor 
ihm  aufg-etaucht,  oder  stammt  es  aus  vorhandenem,  am  Ende  selber 
wieder  auslandischem  Gedankenbesitz  ?  Bedenkt  man,  wie  auch  sonst 
mannigfach  gelehrte  Elemente  in  Hesekiels  Visionen  hineinspielen,  so 
liegt  die  Vermutung  nicht  fern,  es  melde  sich  hier  die  Erinnerung 
an  das  Wort  eines  alteren  Propheten,  von  dem  sich  Hesekiel  ofter 
abhangig  zeigt,  Hoseasi):  „er  wird  uns  beleben  nach  zwei  Tagen, 
am  dritten  Tag  uns  auferstehen  lassen,  dafi  wir  vor  ihm  leben". 
DaB  es  sich  dabei  von  Haus  aus  wahrscheinlich  nur  um  das  Bild  des 
zum  Leben  zuriickkehrenden,  von  seinem  Lager  wieder  aufstehenden 
Kranken  handelt^),  tut  wieder  nichts  zur  Sache;  denn  wer  vermag 
zu  sagen,  ob  Hesekiel  nicht  doch  vielleicht  schon  mehr  aus  den 
"Worten  herauslas?  Sei  dem  wie  ihm  wolle,  es  bleibt  bei  seinem 
Bilde:  die  Volksglieder  durch  Auferstehung  zum  neuen  Volk  sich  ver- 
einend,  das  Trager  der  kiinftigen  Herrlichkeit  werden  soil.  Gedanken 
sind  Eealitaten  und  als  solche  eine,  wenn  auch  verborgene,  Saat  auf 
Zukunft.     In   der  Zwischenzeit  stachelte  zunehmender  Vergeltungs- 


>)  6,  2. 

2)  Zu  n;;iri  =  von  Krankheit  genesen  vgl.  Jes.  38, 16  b,  zu  c^ip  =  vom  Kranken- 
lager  aufstehen  Ps.  41, 11  und  i;  vor  allem  ist  der  Zusammenhang  mit  'inn  uud  NB'i 
Hos.  6, 1  zu  beachteu,  vgl.  Dtn.  32,  39. 


56  Alfred  Bertholet, 

giaube  die  jiidischen  Gemiiter,  walirend  zugieicli  die  Ansprilche  des 
religiosen  Individuums  wuchseni).  Als  eiidlich  in  den  Tagen  der 
syrischen  Bedriickung  unter  Antioclins  Epiphanes  die  Not  der  Frommen 
den  Gipfelpunkt  erstieg,  scliien  es,  als  konne  die  Wende,  da  das 
Reich  „dem  Volk  der  Heiligen  des  Hoclisten"  zufallen  sollte^),  nicht 
melir  langer  saumen.  Sollten  dann  aber  bei  seinem  Erscheinen  die 
Volksglieder,  welche  iliie  Frommigkeit  mit  ilirem  Leben  besiegelt 
batten,  ganz  leer  ausgehen  und  umgekehrt  die  Abtriinnigeu  um  niclits 
von  den  verstorbenen  Frommen  verschieden  sein?  Die  Losung-  dieser 
unertraglichen  Spannung  bringt  die  bekannte  Verkiindignng  in  Dan.  12,2, 
in  welcher  der  Durclibrnch  vom  Gedanken  einer  bildlichen  zur  Er- 
wartung  einer  wirklichen  Auferstehuug  ,,Vieler"  vollzogen  ist^). 

AVie  man  sieht,  hat  es  nichts  Unmogliches,  sich  diesen  Auf- 
erstehungsglauben  auf  dem  Wege  einer  rein  inneren  Entwicklung  auf 
jiidischem  Boden  erwachsen  zu  denken.  Es  ist  richtig  bemerkt 
worden-"),  die  Doppelseitigkeit  der  Auf  erst  ehung  in  Dan.  12  sei  ein 
Zeichen  dafiir,  da6  der  Auferstehimgsglaube  durch  den  Vergeltungs- 
gedanken  in  seiner  Anwendung  auf  das  Individuum  genahrt  worden 
sei.  Die  beste  Probe  aufs  Exempel  liefert  Hen.  22, 13,  wo  von  einem 
besonderen  Aufenthaltsort  flir  die  Siinder  die  Eede  ist,  die  nicht  mit 
auferweckt  werden  sollen.  Aus  einem  Vergleich  mit  dem  10.  Vers 
desselben  Kapitels  ergibt  sich,  da6  es  sich  um  die  handeln  mu6,  iiber 
welche  „ein  Gericht  schon  zu  ihren  Lebzeiten  eingetroffen  ist", 
Wollte  man  in  einem  solchen  Auferstehungsglauben  dagegen  eine 
persische  Anleihe  sehen,  so  ware  erst  zu  erklaren,  wie  aus  der 
Erwartung  einer  Auferstelmng  der  Menschen  schlechthin  die  Be- 
schrankung  auf  die  ,,Vielen"  entstanden  ware.  Vielleicht  bliebe  man 
die  Antwort  schuldig. 

Und  docli  hieBe  es  moglicherweise  zu  weit  gehen,  persischem 
Auferstehungsglauben  jeden  EinfluB  bereits  auf  die  Entstehung  des 
jiidischen  absprechen  zu  wollen.  Es  ist  an  sich  schon  nicht  wahr- 
scheinlich,  da6  den  Juden,  welche  fiir  die  religiosen  Anschauungen 
ihrer  Beherrscher  ein  feines  Organ  hatten,  persischer  Auferstehungs- 
glaube  verborgen  geblieben  sei.    In  wie  weit  freilich  Anregungen.  die 


')  Dafiir  ist  Hi.  19,  25  ff .  ein  klassischer  Beleg ,  welches  audi  der  genauere 
Sinn  der  dunkeln  Stelle  sei.   In  denselbeu  Zusammenhang  gehort  vermutlich  Jes.  53, 11. 

2)  Dan.  7, 27. 

*)  Der  andere  alttestamentliche  Hauptbeleg  flir  AHferstehungserwartung  (Jes. 
26, 19)  ist  vielleicht  etwas  jiinger,  vgl.  oben  S.  52  Anm.  2. 

*)  Volz,  a.  a.  0.  S.  129. 


Persischer  uiul  judischer  Auferstehungsglaube.  57 

von  soldier  Seite  kamen,  positiv  mit  in  Rechnnng  zn  stellen  sind. 
wird  nie  genauer  zn  bestimmen  sein.  Es  ware  aber  verkehrt,  GroBen 
in  ilirem  Gewiclit  darnm  unterscliatzen  zn  wollen,  weil  sie  ihrer 
Natnr  nach  Imponderabilien  sind.  Uberdies  ist  niclit  zu  vergessen, 
da6  zu  den  charakteristischen  Ziigen  des  Spatjudentnms  das  Streben 
geliort,  das,  was  die  Fremden  an  geistigen  Giitern  besafien,  in  den 
Eigenbesitz  aufznnehmen,  ware  es  ancli  nnr,  nm  sicli  von  Niclitjuden 
in  nichts  beschamen  zn  lasseni).  Vielleicht  ist  schon  in  der  Aus- 
malnng  der  Aufersteliungserwartnng  in  Daniel  ein  gewisser  persischer 
Einschlag  niclit  zu  verkennen:  da6  die  Auferstandenen  lencliten  sollen 
wie  der  Glanz  der  Himmelsveste  oder  wie  die  Sterne,  ist  viel  elier 
als  aus  innerjiidisclien  Pramissen  ans  einer  Religion  herans  zn  ver- 
stelien,  die  wie  die  persisclie  das  Liclit  zn  ilirem  Elemente  hat. 
Ferner  mag  es  fraglich  erscheinen,  ob  der  Gedanke  einer  ewigen 
Daner  der  Auferstandenen,  wie  er  in  der  Danielstelle  dnrchsclieint2), 
rein  jiidischer  Vorstellungsweise  entstammt.  Sie  ist  sonst  so  real.istisch, 
da6  sie  sich  auch  das  Leben  der  Seligen  nicht  anders  als  begrenzt 
denkt,  z.  B.  so,  da6  es  der  Jllngste  auf  wenigstens  100  Jahre  bringen 
werde^).  Dagegen  scheint  die  neue  Ewigkeit  der  Auferstandenen 
innerlicli  zusammenzuhangen  mit  der  Eingliederung  der  Anferstehung 
in  eine  allumfassende  kosmische  Umgestaltung  und  Neuordnung,  die 
als  Gauzes  vermutlich  iiberhaupt  auBerjiidischen  Gedankenkreisen  ent- 
lehnt  ist. 

Erwagungen  dieser  Art  mahnen  zur  Vorsicht,  wenn  man  etwa 
denken  wollte,  der  Fortschritt  vom  Glanben  an  eine  partielle  Anf- 
erstehung zum  Glauben  an  eine  universale  sei  in  sich  so  natlirlich, 
daB  man  ihn  sich  am  besten  als  organische  inner jlidische  Ent- 
wicklnng  vorzustellen  habe.  Ware  solche  Entwicklung  wirklich  so 
natlirlich  gewesen,  so  begriffe  man  schon  nicht,  da6  sich  der  Glaube 
an  eine  allgemeine  Anferstehung  iiur  mit  vieler  Mlihe  durchsetzte. 
Ganz  unzweideutige  Aussprilche  alterer  Rabbiuen,  die  die  Anferstehung 
aller  Menschen  behaupten  wiirden,  linden  sich  iiberhaupt  nicht \),  und 
wo  dieser  Glaube  in  der  spatjiidischen  Literatur  auftritt,  da  stoBt  er 
sich  zunachst,  zum  Teil  innerhalb  einer  und  derselben  Schrift,  ja 
einer   und   derselben   Anssage,   mit   entgegengesetzten  Vorstellnngen 


^)  Vgl.    meine   Ausfuhrung-en   iu    ,,  Das    religionsgeschichtliche   Problem    des 
Spatjudentuins"  1909. 

2)  „Auf  immer  und  ewig"  Dan.  12,  3. 

•')  Jes.  65,  20. 

*)  Volz,  a.  a.  0.  S.  247. 


58  Alfred  Bertholet, 

aiifs  empfindlichste  1) :  so  wenig  einheitlich  laufen  hier  die  Linien, 
da6  man  immer  wieder  zur  Annahme  einer  Kreuziing  jiidisclier  imd 
aiiBerjudischer  Gedanken  gedrangt  wird,  bei  der  denn  audi  die  Be- 
riihrungspniikte,  von  denen  wir  ausgegangen  sind,  nicht  weiter  be- 
fremden  kunnen. 

Bei  alledem  ist  Voraussetzung,  da6  persischer  Auferstehungs- 
glanbe  zeitlieli  hoch  genug  hinaufreiche,  um  den  Glauben  des  vor- 
cliristliclien  Judentums  liaben  beeinflussen  zu  konnen.  In  dieser  Hin- 
sicht  ist  es  erfreulicli,  da6  man  nicht  nur  vom  Zengnis  von  Stellen 
des  Avesta,  deren  Dentuug  oder  deren  Alter  zum  Teil  nmstritten  ist, 
abhangt-),  sondern  aus  den  Mitteilungen  griechisclier  Autoren  gewisse 
chronologisclie  Anhaltspnnkte  gewinnt.  Und  hier  darf  man  iiber  Theo- 
pomp  zuriick,  welchen  Diogenes  von  Laerte^)  und  Aeneas  von  Gaza  4) 
als  Zeugen  fiir  eine  Kenntnis  persischen  Auferstehungsglaubens  an- 
sprechen,  hochstwahrscheinlich  schon  Herodot  nennen;  denn  wenn  er 
an  einer  in  ihrer  Bedeutung  zuerst  von  Windischmann  •^)  erkannten 
Stelle^)  dem  Perser  Prexaspes  die  Worte  in  den  Mund  legt:  „wenn 
dann  die  Toten  auferstehen,  so  mache  dich  (Kambyses)  gefafit,  da6 
audi  Astyages  der  Meder  gegen  didi  aufstehen  wird;  wenn  es  aber 
ist  wie  vordem,  so  wird  dir  von  ihm  nidits  Neues  erspriefien",  so 
beweisen  diese  Worte  zwar  nidit,  dafi  Prexaspes  an  eine  Toten- 
auferstehung  geglaubt  habe;  aber  „sie  erklaren  sich  am  un- 
gezwungensten,  wenn  Herodot  das  persische  Dogma  kannte  und  sidi 
seiner  zur  Kolorierung  der  Eede  eines  persisdien  Mannes  bediente" '). 
Unter  soldien  Umstanden  hat  es  weniger  gegen  sidi,  wenn  wir  im 
obigen  zum  Vergleich  des  persischen  und  des  jiidischen  Auferstehungs- 


')  Vgl.  z.B.  in  Test.  XII  Patr. :  allg-eineiiie  Aufei'stelnnig'  Test.  Beiij.lO;  partielle 
Test.  Juda  25,  Sim.  6,  Seb.  10;  in  der  syr.  Baruchapokalypse:  allgemeine  42,7.  50,2; 
partielle  30,1—3,  wahrscheinlich  21,  23f.  —  Apok.  Moys.  10.  41  setzt  allgemeine 
voraus;  dagegen  lieifit  es  13:  alles  Fleisch  von  Adam  bis  zu  jenem  groBen 
Tag  wird  auferstehen,  alle,  welche  beiliges  Volk  sind! 

2)  Vor  allem  kommen  in  Betracht  die  Stellen  Yasbt  19,  88ff.  und  Fragment  IV 
bei  Westergaard,  Zendavesta,  Copenhagen  1852  —  54,  S.  332  (in  meinem  Beligions- 
geschichtlichen  Lesebuch  S.  355  f.).  Ob  z.  B.  Yasna  48,  4  eine  Anspielung  auf  die 
Auferstehung  enthalte,  steht  nicht  fest  (vgl.  am  letztgenannten  Ort  S.  329  Anm.  4). 

=>)  Prooemium  9  (S.  2). 

••)  Dialog,  de  animi  immortalitate,  S.  77.  —  Wie  es  sich  mit  Plutarchs  (de  Is. 
et  Os.  47)  xlXoq  6'  anolEinEaO-ai  ror^AidTjv  verhalte  (vgl.  E.  Boklen,  a.  a.  0.  S.  102ff.), 
wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

••)  Zor.  Studien  1863,  S.  236. 

6)  III  62. 

')  Vgl.  C.  Clemen  im  Archiv  fiir  Religionswissenscbaft  XVI  (1913),  S.  120  f. 


Persischer  uiul  jiidisclier  Auferstehuugsglaube.  59 

glaubens  ein  so  spates  Buch  wie  den  Bundahish,  der  anerkannter- 
maCeii  alte  Traditionen  treii  wiedergibt,  starker  lierangezogen  liaben. 

Gegeii  parsistische  Beeiullussung  des  jiidisclien  Aufersteliimgs- 
glaubens  darf  man  nicht  einwenden,  dal3  im  Judentum  der  Gedanke 
der  djioxaxdoraijn;,  der  im  Parsismus  mit  der  Auferstehungserwartiing- 
innerlich  verkniipft  ist,  schlecliterdings  fehle^).  Hier  ist  einfach  zu 
sagen,  dal3  er  jlidiscliem  Empfinden  zu  wenig  „lag",  um  assirailiert  zu 
werden.  Umgekehrt  freilich  darf  man  der  Erkenntnis  eklektisclien 
Verfahrens  bei  der  Uberualime  persischer  Yorstellungen  ins  Jiidische 
die  uns  niclit  nnwillkommene  Bestatigung  entnelimen,  dal3  persisclier 
Aufersteliungsglaube  nicht  wohl  die  primare  Quelle  fiir  eine  Auf- 
erstehungserwartung  auf  jiidischer  Seite  gewesen  sein  kann. 

SchlieUlich  bleibt  aber  noch  eine  Schwierigkeit  im  Rest,  an  der, 
soviel  ich  sehe,  alle.  die  sich  mit  den  einschlagigen  Fragen  befafit 
haben,  mit  Ausnahme  des  Graf  en  Baudissin-),  mehr  oder  minder 
achtlos  voriibergegangen  sind.  Bei  den  Juden  erscheint  die  Auf- 
erstehung,  sei  es  partielle,  sei  es  allgemeine,  als  ein  Erwachen  ans 
dem  ..Schlaf  im  Erdenstaube"^).  ,,Die  Erde  gibt  wieder,  die  darinnen 
ruhen"^).  Gerade  dieser  Gedanke  aber  ist  den  Persern  fremd  und 
muBte  ihnen  fremd  sein,  da  sie  ihre  Toten  ja  nicht  begruben,  sonderu 
aussetzten.  Bei  dieser  Bestattungsart  verliert  sich  der  Korper  an 
die  Ellemente,  wie  denn  audi  im  Bundahish  •')  seine  Wiederherstellung 
folgerichtig  so  dargestellt  wird,  daS  er  von  ihnen  zuriickgefordert  er- 
scheint, die  Gebeine  vom  Geist  der  Erde,  das  Bint  vom  Wasser,  die 
Haare  von  den  Pflanzen,  das  Leben  vom  Feuer**).  So  folgerichtig 
vom  persischen  Standpunkt  aus  eine  derartige  Auffassung  von  der 
Riickkehr  zum  Leben  ist,  so  nimmt  sie  sich  doch  wie  eine  aus  ge- 
lehrter  Reflexion  heraus  geborene  Yermittlungsauskunft  aus,  unter 
der  nur  lialb  verhlillt  das  Problem  durchscheint,  wie  es  denn  eigentlich 
unter  einem  Volke,  das  seine  Leichen  auszusetzen  pflegte,  iiberhaupt 
zum  Glauben  an  Auferstehung.  d.  h.  doch  unverkiirzte  Wiederherstellung 


')  Hochstens  fiir  Siinder  aus  den  Juden  erwartet  man  gelegentlich  eine  Be- 
gnadigung,  weil  sie  als  Juden  Anspruch  auf  Seliglieit  liaben:  so  z.  B.  Edujoth  II 10; 
aber  gerade  von  dieser  Stelle  gilt  im  iibrigen:  „hen  is  eternal''  (Castelli  in  Jewisb 
Quarterly  Review  I,  18S9,  S.  345). 

•^)  Adonis  und  Esmun  1911,  S.  419  ff. 

3)  Dan.  12, 2. 

*)  IV.  Esra  7,  32. 

5)  30,  6,  a.  a.  0.  S.  356. 

^)  Dazii  mag  allerdings  wiederum  die  jiidische  Parallele  im  slaviscben  Hen.  30 
herangezogen  werden. 


60  Alfred  Bertholet, 

der  Leiblichkeit '),  liabe  kommen  konnen.  Aiiferstehnngsglaube  sclieint 
doch  niir  an  eine  Bestattungsart  anknupfeii  zu  konnen,  die  den  Korper 
so  viel  wie  moglich  in  seinem  Zustande  erhalt,  wie  es  demi  aiicli  kein 
Zufall  ist,  dafi  z.  B.  in  Agypten  mit  der  Erwartiing  einer  Toten- 
auferstehung  die  Sitte  der  Leiclieneinbalsamiening  Hand  in  Hand 
geht.  Dagegen  ist  niclit  abzusehen,  wie  von  der  Praxis  der  Leiclien- 
aussetznng  ans  ein  Weg  organisclier  Entwicklung  znr  Aufersteliungs- 
erwartnng  gefiilirt  liaben  sollte.  So  weit  liegen  diese  und  jene  aus- 
einander,  dafi  sich  der  Vermntung  im  Grnnde  nur  die  Alternative 
anfdrangen  kann:  entweder  liaben  die  Perser  den  Auferstehungs- 
glanben  ilirerseits  ans  fremder  Quelle  bezogen,  oder  der  Zeit,  da  sie 
ihre  Leiclien  aussetzten,  ging  eine  voraus,  in  der  sie  sie  zn  begraben 
pflegten. 

Es  diirfte  nicht  leiclit  sein,  eine  fremde  Quelle  aufzudecken,  aus 
der  den  Persern  Anfersteliungsglaube  zugeflossen  ware.  An  diesem 
Punkt  versagt  nicht  bloB  das  Arisclie,  sondern  audi,  Avie  es  sclieint, 
das  Babylonisclie^). 

Uni  so  inelir  wiire  ich  geneigt,  der  zweiten  Vermntung  Rauni 
zu  geben:  da  spricht  denn  schon  die  Tatsache  der  Acliameniden- 
graber  laut  genug  in  ilirem  Sinn.  Daneben  besitzen  wir  in  Angaben 
klassisclier  Autoren  einige  bemerkenswerte  Zeugnisse,  die  nacli  einer 
gleiclien  Eiclitung  liinweisen.  Zwar  wird  man  Xenoplion  nicht  zu 
viel  Glauben  schenken.  wenn  er  dem  sterbenden  Cyrus  die  Worte  in 
den  Mund  leg^t,  man  solle  seinen  Leib  so  rasch  wie  moglich  der  Erde 
libergebeii;  ri  yaQ  tovtov  (laxaQUOTSQor  rov  yfj  {fer/Orjrai;^)  Audi 
seine  Anspielungen  auf  eine  Erdbestattung  des  Abradates-")  sind  nicht 
darnach,  groBes  Vertrauen  zu  erwecken.  Nach  Ktesias^)  begrabt 
Parysatis  wenigstens  Haupt  und  Hand  des  jiingeren  Cyrus.  Be- 
merkenswerter  scheint  mir  die  Unterscheidung,  die  Herodot^)  und 
deutlicher  nocli  Strabo  zwischen  dem  Branch  der  Magier  und  dem 
der   iibrigen  Perser  inachen.     Nach  Strabo')  namlich  Avaren  nur  die 


1)  Vgl.  Bundahish  30,9  (a.  a.  0.  S.  357):  Die  Auferstandeneu  erkeiineu  ein- 
aiider  wieder.  Im  Judentum  betont  z.  B.  namentlich  die  syrische  Baruchapokalypse 
K.  50  das  unveraiiderte  Aussehen  der  Auferstandeneu. 

'^)  Vgl.  H.  Zimmern  in  E.  Scbrader  ,,Die  Keilinschriften  und  das  Alte  Testa- 
ment" ^  1902,  S.  6i3. 

=>)  Cyropaedie  VIII  7,  25.  *)  Ebenda  VII  3. 

5)  Persica  59.  «)  I  140. 

')  XV  3,20:  &U71T0V0L  dh  xt]Q(p  neQin'/.uaavxeq  xa  GWf^iura,  xovq  6\  Mayovq 
ov  Q^anxovoiv,  d?.?.'  ouovo^Qcozovq  ewoi. 


Persischer  und  judischer  Auferstebinigsglaube.  61 

Leichen  der  Magier  ausgesetzt,  die  librigen  dagegen  begraben  worden, 
iind  zwar  mit  der  Eigentiiinliehkeit,  da6  man  sie  erst  mit  Wachs 
iiberzogen  liatte.  Man  hat  dies  letztere  ans  deni  Bestreben  lieraus 
erkliiren  wolleni),  eine  durcli  die  unmittelbare  Berilhrung  sicli  er- 
gebende  Veruureinigung  der  Erde  zii  verliiiten.  1st  diese  Erklarung 
aber  nicht  sclion  zu  tlieologiscb  gefarbt,  urn  die  urspriingliche  zu 
sein?  Eichtiger  dlirfte  bereits  Cicero-^)  den  Sinn  des  Branches  ver- 
standen  haben.  wenn  er  als  seinen  Zweck  einfach  die  lange  Er- 
haltnng  der  Leiche  angibt.  Er  stellt  sich  dann,  was  Cicero  nicht 
entgangen  ist,  als  eine  Parallele  neben  die  agyptische  Sitte  der 
Leicheneinbalsamierung,  und  wenn  wir  eben  auf  den  inneren  Zu- 
sammenhang  dieser  Sitte  mit  dem  Glauben  an  Auferstehung  auf- 
merksam  zu  machen  hatten,  so  unterlassen  wir  nicht,  diesen  Zu- 
sammenhang  hier  wenigstens  noch  einmal  in  Erinnerung  zu  bringen. 
Ubrigens  laBt  sich,  selbst  wo  die  Leichenaussetzung  niclit  zweifelhaft 
ist,  teilweise  der  Branch  nachweisen,  da6  die  des  Fleisches  ent- 
bloBten  Gebeine  noch  irgendwie  begraben  wurden^).  Das  sieht  nach 
einem  KompromiB  aus,  wie  es  sich  leicht  einstellt,  wo  eine  altere 
Sitte  durch  eine  abweichende  jiingere  abgelost  wird.  SchlieBlich 
wei6  ich  nicht,  ob  man  nicht  in  einem  bis  heute")  in  einigen 
Gegenden  des  Gujarat  beobachteten  avestischen  Branch  die  Nach- 
wirkung  der  alteren  Sitte  des  Erdbegrabnisses  zu  erkennen  hat:  es 
handelt  sich  urn  eine  Zeremonie,  die  vor  der  Uberfiihrung  der  Leiche 
zum  Dakhma  stattfindet.  Der  Vendidad 5)  beschreibt  sie:  „Dort  soUen 
die  Mazdahanbeter  in  der  Erde  eine  Grube  ausgraben:  bis  zur  Mitte 
der  Beinhohe  in  hartem  Erdboden,  bis  zur  Leibesmitte  eines  Mannes 
in  weichem  Erdboden;  hinbringen  sollen  sie  ihm  als  Lager  Asche 
Oder  Mist;  oben  liber  ihm  sollen  sie  Staub  von  Ziegel  oder  Stein 
Oder  von  trockenen  Erdarten  hinbringen.  Dort  nun  sollen  sie  den 
leblosen  Leib  niederlegen  auf  die  Dauer  von  zwei  oder  drei  Tagen 
oder  von  einem  Monat''  . . . 


1)  z.  B.  Rapp  in  ZDMG  XX  (1866),  S.  56. 

2)  Tusc.  I  45. 

3)  „iiuda  dernum  ossa  terra  obnumt",  heifit  es  in  Jun.  Justini  Epitoma  His- 
toriarum  Philippicarum  Porapei  Trogi  XLI  3,  5.  Vgl.  ferner  die  von  Rapp  (a.  a.  0. 
S.  54  Anm.  6)  angefUhrte  Stelle  aus  den  Acta  Martyr.  S.  78.  Namentlich  wird  die 
vielbesprochene  Herodotstelle  (1 140)  ov  tiqotsqov  S^ametai  arSQog  TliQGeoj  6  vixvq 
TiQiv  uv  V7i'  OQviQ^og  7]  xvvog  hXavaH^y  in  diesem  Siune  zu  versteben  sein. 

*)  Siehe  N.  Soederblom  in  Hastings,  Encyclopaedia  of  Religion  and  Etbics  IV, 
S.  503  a. 

=)  Yin  S  f.  (Fr.  Wolff). 


02  Alfred  Bertholet,   Persischer  und  judischer  Auferstehungso-laube. 

Nach  diesen  Andeiitungen,  die  sicli  unschwer  vermeliren  lieBeni), 
mochte  es  sicli  leiclit  so  verhalten,  da6  es  sich  bei  der  von  den 
„Mag'iern"  anfg-estellten  Forderung  der  Leichenaussetzung,  wie  sclion 
Spiegel 2)  vermntet  hat,  nm  einen  Brancli  handle,  der  von  Haus  aus 
ein  lokal  beschriinkter  war  und  erst  allmahlich,  zum  Teil  durch  Kom- 
promisse  hindurch,  zu  allg-emeiner  Anerkennung  durchdrang.  Dann 
begriffe  sich  meines  Erachtens  die  Anferstehungserwartiuig  als  hervor- 
gegangen  aus  Kreisen,  in  denen  urspriinglich  die  Erdbestattung  iiblich 
war.  Aber  ich  bin  mir  wohl  bewufit,  da6  dariiber  das  entscheidende 
Wort  zu  reden  nur  dem  Iranisten  zusteht. 

Und  so  wird  der  Alttestamentler,  der  auf  dem  Gebiete  des 
Spatjudentums  arbeitet,  iiberhaupt  immer  wieder  urn  Auskunft  an 
ihn  gewiesen.  Als  ein  Ausdruck  personlicher  Dankbarkeit  flir  das  in 
dieser  Hinsicht  vom  Empfanger  dieser  Schrift  Ausgegangene  mochten 
die  obigen  i^usfiihrungen  verstanden  sein. 


')  Vendidad  1 12  berichtet  selbst  davon,  daB  man  in  Harahvati  die  Toten  be- 
g-rabe.  Vgl.  ferncr  z.  B.  die  Ang-abe  des  Agathias  II  23  von  den  „tv/jj3oi  xcu  ^Tjxai 
Tuir  ncO.ai  TE&veaiTior^'  tv  T{j  Mijdixy. 

-)  Erauisclie  Altertumskunde  III,  1878,  S.  705:  „Wir  glauben,  daB  die  Sitte,  die 
Toten  den  Hunden  und  Vogehi  hinziiwerfen,  zuerst  am  Nordrande  Irans  einheimisch 
war,  wo  die  Nahe  einer  groBen  Wiiste  eine  solche  Bestattung  sehr  einfacb  machte, 
da6  aber  in  den  bebauten  Teilen  Irans,  namentlich  in  Sudiran,  andere  Arten  der 
Bestattung  im  Gebraucbe  waren,  die  aber  durcb  den  EinfluB  der  Magier  uacb  und 
nacb  verdrangt  wurden."  Abnlicb  audi  Wilbelm  Geiger,  Ostiraniscbe  Kultur  im 
Altertura  1882,  S.  266  f. 

Gottingen.  Alfred  Bertholet. 


RESTE  VON  MANU-LEGENDEN  IN  DER  IRANLSCHEN 

SAGENWELT. 

Dem  Forscher,  der  die  iranische  Sagengeschiclite  durclimiistert. 
ergibt  es  sich  bald,  da6  eine  ganze  Reilie  von  sag'engescliiclitlicheii 
Figuren  ursprlingliche  Typeii  des  ersten  Mensclieii  sind,  die  von  ver- 
schiedenem  Ursprung  sind,  und  von  denen  die  meisten  im  Lanfe  der 
Zeiten  sich  so  stark  verandert  haben,  da6  z.  B.  in  der  Fassung,  in 
welcher  sie  bei  FirdausT  erscheinen,  kaum  etwas  iibriggeblieben 
ist,  woraus  man  gleich  beim  ersten  Anblick  schliefien  konnte,  daS 
sie  sicli  ans  dem  Typus  des  ersten  Mensclien  entwickelt  batten'). 

Von  den  indischen  Urmenschen  sind  ims  Vivas  vat  und  Yam  a 
aus  den  iranisclien  Legenden  sebr  wohl  kekannt.  Man  fragt  sich  dann 
natiirlich,  ob  nicht  auch  der  Urmensch  Mann  sich  in  der  iranischen 
Sagenwelt  nachweisen  lassen  sollte.  Falls  die  gewohnliche  Theorie^), 
da6  dieser  Manu  derselbe  ist  wie  der  germanische  Urmensch  Mannus, 
der  Sohn  des  Gottes  Tuisco,  des  Sohnes  der  Erde  (Tac.  Germ.  2), 
richtig  ist,  ware  Manu  eine  urindoeuropaische  Gestalt,  also  wohl 
iiberhaupt  der  alteste  Typus  des  ersten  Menschen,  der  sich  auf  indo- 
europaischera  Boden  nachweisen  lieBe.  In  Indien  hat  man  den  Manu 
ebenso  wie  den  Yama  zum  Sohn  des  Vivasvat  gemacht;  ob  dies  die 
gewohnliche  Auffassung  schon  zur  Zeit  des  Rgveda  war,  ist  unsicher, 
nach  01denberg3)  aber  nicht  unwahrscheinlich.  Bei  Manu  wie  bei 
Vivasvat  wird  die  sakrifikale  Seite  des  Urmenschen  betont;  Manu  ist 
der  erste  Opferer,  sein  Opfer  ist  der  Prototypus  des  gegenwartigen 
Opfers.  Indra  trinkt  den  Soma  des  Manu,  drei  Teiche  voll,  urn  sich 
zum  Kampf  gegen  Vrtra  zu  stiirken.  Agni  ist  der  von  Manu  ein- 
gesetzte,  von  Manu  entflammte;  man  bittet  diesen  Gott,  beim  gegen- 
wartigen Opfer  seines  Amtes   zu  walten,  wie  er  es  fUr  Manu  getan 


^)  Eine  ausfilhrliche  Untersuchung-  lil)er   die  verschiedeiien  Typen  des  ersten 
Menschen  bei  den  Iraniern  bereite  ich  vor. 

-)  S.  z.  B.  Schrader,  Indog-erm.  Eeallex.,  Artikel  „Manu". 
3)  Religion  d.  Veda,  S.  275  Fufinote. 


64  Arthur  Christensen, 

liat,  als  dieser  die  Getter  ,,mit  der  ersten  Opferspende  verehrt  liat, 
entflammten  Feuers,  aiifmerksamen  Geistes,  mit  den  siebeii  Priestern"  i). 
An  Manu  kniipft  sich  die  indisehe  Sintflntsage.  Die  Eolle,  die 
der  fabelliafte  Fisch  in  dieseni  Bericht  spielt,  deutet  daranf  hin,  da6 
die  Inder  die  Sage  von  den  Bab3^1oniern  bekommen  liaben'^),  mit 
denen  sie  ja  in  einera  sclion  friihen  Altertum  auf  dem  Seewege  einen 
regen  Handelsverkelir  gepflogen  haben.  Mann  ist  der  Urvater  der 
Menschen,  wird  aber  oft  besonders  als  der  Stamnivater  des  Arya- 
Volkes  genannt.  Bisweilen  werden  die  Plnralformen  manavah  und 
manushah  audi  im  Rgveda  zur  Bezeiclinnng  der  Gotter  gebrauclit, 
nnd  diese  Ausdriicke  werden  dann  durcli  manu-jata  „von  Mann  ge- 
boren"  kommentiert,  ein  Epitlieton,  das  ancli  vom  Gottergeschleclit 
gebrauclit  wird^). 

In  der  iranisclien  Sagengescliichte  sind  nnr  wenige  Spuren  des 
Urmensclien  Manu  iibrig  geblieben.  Denkard  V  4.  3  kommt  Manns 
als  Personenname  vor.  Hier  werden  in  der  Reilie  der  Urgestalten, 
nacli  Ta/moruw,  Yim  und  FreSiln,  genannt:  Erec,  das  Kleinod  von 
Iran,  und  Manus,  Manus;^' arnar  und  Manuscihr*).  An  einer  anderen 
Stelle  des  Denkard  (VII  2.  70),  bei  der  Aufzalilung  der  Vorvater  von 
Zoroaster,  wird  Manuscilir,  Konig  von  Iran,  als  Sohn  des  Manus;f^arnar 
genannt,  des  Solines  des  Manus/'arna/,  welclier  im  neunten  Grad  dem 
Erec  entstammte,  dem  Sohne  des  den  ganzen  X'anlras  beherrsclienden 
FreSun.  Dieser  Stammbaum  kommt  audi  in  den  Scliriften  des  Za9- 
sparam  (XIII  5)  und  ansfiihrlicher  im  Bundaliisn  (XXXI  11—14)  vor. 
Manuscilir  ist  hier  der  Solm  des  Manus/^arnar^),  welclier  der  Sohn 
des  Manns/^arna/  —  auch  Manus-i-;f'^arse6-venT7  genannt,  well  das 
Licht  der  Sonne  (;j'*arse6)  bei  seiner  Geburt  auf  seine  Nase  (veni/) 
fiel  —  und  seiner  Schwester  und  Gattin")  ist.  West  schreibt  in 
einer    Note    zur    Stelle'),    die    Bezeichnung    ;^'arna7    scheine    nnr 


1)  Oldenberg,  Rel.  d.  Veda,  S.  275—76. 

^)  Vgl.  den  Fischiiienscben  Oannes  bei  Beros.sos  und  den  Gott  Ea  im  Scbuppeu- 
gewand;   F.  Jeremias  in  Chantepie  de  la  Saussaye,   Lebrb.  d.  Eeligionsgescb.^  1283. 

^)  Bergaigne,  Religion  vedique  I  69. 

■*)  So  nach  der  Lesart  bei  Madan;  Pesbotans  Text  bat  nur:  Erec,  das  Kleinod 
von  Iran,  Manus/varnar  und  Manuscibr. 

*)  Die  Lesart  ymrnar,  nicht  etwa  yjarrnr^  stlitzt  sicli  auf  die  Pazendscbreibung 
in  K.  20. 

'^)  In  der  Handscbr.  TD:  ;,[Sobn]  des  Manus  und  seiner  Scb wester",  in  K.  20  b: 
„[Sohn]  des  Manusbucibr  und  des  Manus;;var.se8". 

■)  Pablavi  Texts  1131. 


Keste  von  Maim-Legenden  in  der  iranischen  Sagenwelt.  65 

eine  Umschreibung'  des  Awestawortes  zii  sein.  wo  von  /^arsed-veiiT/ 
eine  Ubersetzimg  sei.  Dies  Awestawort  wird  dann  von  Justin)  durch 
*ManusliYaranaDha  wiedergegeben. 

Die  im  Bund,  gegebene  Erklarung-  vom  Ursprung  des  Namens 
Manus/'arna/  ^  Manus;^'^arse6yenl7  ist  ganz  offenbar  eine  iitiologisclie 
Sage.  Das  Wort  /'arna/  ist  als  aus  aw.  luar-  und  nah-,  nanhan-  ent- 
standen  ausgelegt  worden,  und  man  hat  dann  durcli  falsclie  Uber- 
setzung  die  Form  Mauus/^arsedvenT/  bekommen,  zu  deren  Erklarung 
die  alberne  Sage  erfunden  worden  ist.  In  Wirkliclikeit  hat  ;j'arna/ 
sicher  nichts  mit  aw.  hvar-  und  nah-,  nanhan-  zu  tun;  es  laCt  sich 
am  einfachsten  erklaren  als  eine  Transkription  des  awestischen 
X'arsnanh-  mit  Pehlevi- Suffix.  Und  y^arnar  ist  wohl  audi  nur  eine 
durcli  Volksetymologie -)  umgestaltete  Wiedergabe  desselben  Awesta- 
wortes. Sonst  konnte  man  audi  Manus^^arnar  fur  eine  falsche  Lesart 
fiir  Manus/'arvar  halten,  indem  /'arvar  eine  adjektivische  Bildung  zu 
dem  aus  /^arananli-  transkribierten  ;<'ar(n)  ware.  Manus;^'arna/  und 
Manus/'*arnar  (oder  -/'arvar)  waren  somit  Dubletten  und  beide  gleicli 
Manus. 

Diese  Vertreter  des  alten  Manu  sind  aber  eigentlicli  nur  leere 
Namen.  Die  einzige  Erinnerung  daran,  daB  sie  einen  Urmenschen 
repriisentieren,  liegt  in  ihrer  iibernatiirlidien  Geburt.  Nadi  dem 
Denkard  (YII  2.  70)  und  den  Sdiriften  des  Za6-sparam  (XIII  6)  war 
der  Vater  des  Manus;f^arna}'  der  Gott  Nerjosang,  wahrend  die  Mutter 
Viza/  eine  Toditer  des  Erja/  war,  [des  Sohiies]  des  Srita/^),  [des 
Sohnes]  des  Bita/,  [des  Sohnes]  des  Frazusa/,  [des  Sohnes]  des  Zusa/, 
[des  Sohnes]  des  Fraguza/,  [des  Sohnes]  der  Guza/,  [der  Tochterj  des 
Erec.  Tabarl  hat-*)  zwei  Beridite;  in  eiuem  sind  alle  neun  Zwisdien- 
glieder  zwisdien  Erec  und  Manus/'' arna/-^)  Manner,  in  dem  andern 
sind  sie  alle  Frauen,  und  es  wird  dann  erziihlt,  da6  Fredun,  der  Vater 
des  Erec,  sich  mit  der  Tochter  des  Erec  paart;  sie  gebiert  eine  Tochter, 
mit  welcher  Fre5un  sich  wieder  paart,  und  so  geht  es  fort,  bis  die 
letzte  in  der  Reihe,  Viza/,  einen  Sohn  und  eine  Tochter  (hier  Manus- 

1)  Namenbuch,  S.  193. 

-)  ]\Ianus;,f\ar  +  nar.  In  verschiedenen  Tabarl -Handschrif ten  linden  sich  Les- 
arten,  die  auf  eine  Form  Manusp^^ar  zurtickgehen. 

=*)  art-  transkribiert  aus  av.  d^ri-. 

'*)  I  430—432. 

5)  Die  Namen  sind  natiirlich  in  der  arabischen  Schrift  ein  wenig  verstihnmelt, 
lassen  sich  aber  leicht  erkennen.  Erja/  ("^Z')  und  Srita/  (ji!.ij^)  sind  in  der 
ersten  Version  umgetauscht  worden. 

Andreas -Festschrift.  5 


66  Arthur  Christensen, 

X'^'arna/  imd  Mannsp^'ara/  g-enannt)  gebiert,  welche  sich  miteinander 
paaren  und  eineii  Solni  iind  eine  Tochter  (Manus/^'arnar  und  Manus- 
;^'*'arva/  [?]  i))  bekommen,  die  miteinander  den  Manuscihr  zeugen.  Nach 
diesem  letzten  Bericlit  ware  FreSun  also  zur  selben  Zeit  der  Vater 
des  Maniis/'^arna/  und  der  Stammvater  im  neunten  Gliede  der  Mutter 
des  Manus/'arna/.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dafi  die  Form  der 
Sage,  nach  der  der  Yater  des  Manus/^arna/  ein  Gott  (Nerjosang)  war, 
die  urspriingliclie  ist:  Manus  als  erster  Menscli  muB  einen  Yater  ge- 
habt  liaben,  der  niclit  dem  Menschengeschleclit  angehort.  Die  zweite 
Yersion  bei  TabarT  —  welche  iibrigens  auch  bei  anderen  islamischen 
Schriftstellern  vorkommt  —  ist  natiirlich  eine  priesterliche  Legende, 
die  dem  Geschlecht  des  Manuscit9ra  einen  besonderen  Glanz  verleihen 
soil,  indem  sie  ihn  aus  einer  fabelhaften  Eeihe  von  /^'eOva/das-Ehen 
hervorgehen  lafit.  Wenn  aber  der  Bericht,  welcher  Nerjosang  zum 
Yater  des  Manus/' arna/  macht,  der  alteste  ist,  dann  ist  Yiza/, 
das  letzte  der  sieben  Zwischenglieder  zwischen  Erec  und  Manus;{'arna/, 
im  Gegensatz  zur  ersten  Yersion  des  Tabarl,  eine  Frau.  Dasselbe 
gilt  gewiS  von  Guza/,  welche  Bund.  XXXI  9  ausdriicklich  als  die 
Tochter  des  Erec  bezeichnet  wird^).  Guza/  ist  aber  einfach  eine 
spatere  Form  des  Namens  Yiza/.  Guza/  und  Yiza/,  das  erste  und 
das  letzte  Glied  der  Reihe,  sind  dieselbe  Person,  und  alle  da- 
zwischen  eingeschobenen  Namen  sind  von  den  priesterlichen  Genea- 
logen  erdichtet^).  Diese  Genealogie  ist  augenscheinlich  erst  zu  einer 
Zeit  ausgekliigelt  worden,  wo  der  Ubergang  der  Silbe  ri  im  Anlaut 
in  gu  sich  vollzogen  hatte,  ist  also  ziemlich  spat. 

Der  Sohn  des  Manus/^arnar,  Manuscihr,  der  „Manu-Spro6",  ist 
also  in  Wirklichkeit  der  „Manu-Sohn".  Die  alteste  uns  bekannte 
iranische  Quelle,  wo  Manusci»9^ra  erwahnt  wird,  ist  der  Fravardin 
Yast  (Yt.  13.  131).  Er  ist  hier  einfach  der  Sohn  des  Airyava  (Erec). 
tJbrigens  enthalt  die  Stelle  nichts  anderes  als  eine  Anrufung  des 
Fravahr   des  Manusci.'Ira.     In   der  spateren  Literatur  kniipft  sich  an 


1)  Geschrieben  Manusrarva/. 

-)  Bund.  XXXI 14  bat  dieselbe  Eeihe  wie  Denkard  VII 2.  70  und  Zafi-sparam 
XIII 6.  Eine  Vergieichung  mit  den  genanuten  Denkard-  und  Za6-sparara  -  Stellen 
zeigt,  dafi  man  mit  TD  lesen  mufi:  ke  mad  Guzay  „[Manus;{varnay],  dessen  Mutter 
die  Guza/  war",  und  nicht,  wie  West  gelesen  hat:  „[Manus//arna/],  welcher 'Mani- 
sozay  (d.  h.  Mutterbrenner)  war". 

^)  Erjay,  Vater  der  Vizaj'  (Bund.:  Guza/),  ist  offenbar  derselbe  Avie  Erec;  die 
beiden  Nanien  sind  Variauteu,  aus  Airjava  entstanden. 


Reste  von  Maiui-Legenden  in  der  irauischen  Sagenwelt.  67 

ilin  eine  Keilie  von  Sagen,  die  sicli  um  die  folgeiiden  Haupttliemen 
gruppieren:  1.  er  nimmt  Raclie  fiir  seinen  Urvater  Erec,  den  Eponymos 
nnd  ersten  Sondeikonig  des  iranisclien  Volkes,  welcher  von  seinen 
beiden  Briidern  getotet  worden  war  (eine  nicht  urspriingliche  Ankniipfung- 
an  die  weit  verbreitete  Dreibriider-Stammsage);  2.  er  wird  vom 
Turanierkonig  Frasijav  angegriffen,  nnd  der  Krieg  wird  uacli  einer 
langen  Reilie  von  Kampfen  dnrcli  einen  wunderbaren  PfeilsclniB  des 
Sclmtzen  Aris,  wodnrcli  die  Grenze  zwisclien  den  zwei  Reichen  fest- 
gestellt  wird,  beendet  (Erinnerung  an  die  fortwahrenden  Einbrliclie 
der  Xordvolker  in  Iran,  mit  der  audi  anderswo  vorkonimenden  Pfeil- 
schu6-Sage  verkniipft);  3.  er  entfaltet  mancherlei  zivilisatorische 
Tatigkeit  (spate,  gelehrte  Spekulation). 

Es  gibt  aber  audi  nocli  andere  gelehrte  Manuseihr-Legenden, 
die  nur  in  der  priesterlichen  Literatur  vorkommen.  Nadi  Bund.  XII 10 
wird  Manuscihr  am  Berge  Manus  geboren,  ein  walirsdieinlidi  reclit 
spitter  Zug;  der  Berg  Manus  kommt  im  Avesta  vor  (Yt.  19,  1),  lieiBt 
aber  liier  Manusa  und  scheint  etj^mologisch  mit  Mann  in  keinem  Zu- 
sammenhang  zu  stelien.  —  Der  Citrada6-nask  beriditete^)  von  einer 
Zusammenkunft  des  Manuscihr  mit  der  Gottin  Spendarma(5,  welclie 
also  sprach:  „Audi  das  sclinellste  Pferd  bedarf  der  Peitsdie,  der 
scharfste  Stalil  bedarf  des  AVetzsteins,  und  der  weiseste  Mann  hat 
Ratsdilage  notig."  Es  ist  vielleidit  dieselbe  Zusammenkunft,  von 
der  Zaa-sparam  (XII  3  ff.,  West  P.  T.  V  S.  134—135)  spridit:  Zur  Zeit, 
wo  Frasijav  den  ZufluB  der  Gewasser  nach  Iran  gesperrt  hatte,  offen- 
barte  sidi  SpendarmaG  in  der  Form  eines  Madchens  und  predigte 
die  Religion  im  Hause  des  ]\Ianuseilir.  Ihr  herrliches  Kleid,  weldies 
nach  alien  Seiten  ein  Hasar  oder  Parasang  weit  strahlte,  wird  ge- 
sdiildert,  ebenso  ihr  goldener  heiliger  Giirtel,  weldier  die  ganze 
Religion  der  Mazda -Anbeter  in  sidi  sdiliefit. 

Im  Pehlevibudie  von  den  Wundern  des  Landes  Sa/astan  (§  7 — 8, 
Modis  Ubersetzung  S.  125)  wird  die  Geburt  von  Manuscihr  in  einer  von 
der  gewohnlidien  Erziihlung  etwas  abweidienden  Weise  beriditet:  Von 
den  Kindern  des  von  seinen  Briidern  ermordeten  Erec  war  nur  eine 
Tochter  iibrig  geblieben.  FreQun  filhrte  sie  nach  dem  See  Frazdan 
in  Sa/astan  und  hielt  sie  und  ihre  Xachkommen  bis  zum  zehnten 
Glied  hier  verborgen.  Von  dieser  Fran,  die  im  zehnten  Gliede  von 
der  Tochter  des  Erec  herstammte,  wurde  ein  Sohn,  Manuscihr,  ge- 
boren.    FreOun  flehte  nun  die  Anahi(3  und  die  anderen  Gottlieiten 

')  Nach  dem  Sajast,  ne-sajast,  West  P.  T.  IV  S.  468. 


68  Ai'tliur  Cbristensen, 

an  und  erliielt  die  Guiist.  da6  Manuscilir  der  Wiederliersteller  von 
Iran  werden  sollte. 

Bund.  XIV  15  werden  fiinf  Gattungen  von  Schafen  aufgezalilt, 
unter  ihnen  das  Kurisk-Schaf,  welches  groCe  Horner  hat  nnd  so  groB 
wie  ein  Pferd  ist.  „Es  wird  gesagt,  dafi  Maniiscihr  einen  Knrisk  an 
der  Stelle  eines  Rosses  benntzte." 

Von  besonderem  Interesse  ist  eine  Stelle  in  den  Schriften  des 
Za5-sparam  (XV  2,  AVest  P.  T.  V  S.  143),  wo  die  Karape  und  Usi/se  als 
verderbliche  Feinde  der  Iranier  erwahnt  werden,  und  es  weiter  heifit: 
„Die  Verwlister  der  Iranier  entstammen  dem  Ko;fare5,  und  Ko/are6 
wurde  von  Aesm  und  Manusa/,  der  Schwester  des  Manuscihr,  geboren." 
Mit  dem  Namen  Ko/are6  (ka/^araQa  Y  61.  2)  wird  eine  Art  damonischer 
Gestalten  oder  boser  Zauberer  bezeichnet.  In  einer  Anmerkung  zur 
Stelle  betont  West  mit  Recht  den  Parallelismus  mit  Bund.  XXIII  1, 
wo  berichtet  wird,  daS  Baren  und  Affen  einer  Verbindung  zwischen 
einem  Damon  und  Jima/,  der  Schwester  des  Jim,  entstammen.  Wie 
Jima/  das  weibliche  Gegenstiick  zu  Jim  ist,  mu6  Manusa/  urspriinglich 
das  weibliche  Gegenstiick  zu  Manus  gewesen  sein.  Eine  uralte  Sage 
hat  erzahlt,  wie  Unholde  oder  schadliche  Tiere  der  Verbindung  der 
Schwester  des  Urmenschen  mit  irgend  einem  teuflischen  Wesen  ent- 
stammten,  und  diese  Sage  ist  sowohl  mit  dem  Legendenkreise  des 
Manus  wie  mit  dem  des  Jim  verkniipft  worden.  An  die  Stelle  des 
Manus  ist  in  diesem  Falle  Manuscihr  getreten. 

Die  Reste  der  Manu-Legende  sind  somit  an  Manus/' arna/,  Manus- 
;f^"arnar  und  Manuscihr  verteilt  worden,  von  denen  die  zwei  ersten  in 
der  Sage  niemals  recht  lebendig  geworden  sind,  wahrend  der  dritte 
im  Gegenteil  zu  einem  der  glorreichsten  Sagenhelden  heraufgewachsen 
ist.  Wie  ist  es  nun  gekommen,  dafi  dieser  letzte,  welcher  „Manus- 
Sohn"  benannt  ist,  also  nicht  einmal  einen  eigenen  Namen  fiihrt, 
seinen  Vater  verdrangt  und  einen  solchen  schonen  Platz  in  der  Sagen- 
welt  erobert  hat?  Das  Material,  ilber  welches  wir  verfiigen,  genligt 
nicht,  um  zu  einer  nur  einigermaBen  sicheren  Losung  dieser  Frage  zu 
gelangen.  Eine  Hypothese  werde  ich  mit  allem  Vorbehalt  wagen. 
Manuscihr  ist  das  Bindeglied  zwischen  dem  Geschlecht  der  alten 
Sagenkonige  und  dem  Priestergeschlecht.  Im  traditionellen  Stamm- 
baum  haben  die  iranischen  Konige  und  die  groBen  Priesterfamilien 
gemeinsame  Stammvater  bis  Manuscihr;  von  diesem  zweigt  die  Priester- 
linie  ab:  von  Durasraw,  dem  Sohne  des  Manuscihr,  stammt  Zoroaster 
im  dreizehnten  oder  vierzehnten  Glied  (Bund.  XXXII 1;  Denk.  VII  2.  70; 
Za5-sp.  XIII 6),   und   die   groBen   Priestergeschlechter   zur   Zeit   der 


Eeste  von  Maim  -  Legeuden  in  der  iranischen  Sagenwelt.  69 

Sasaniden  kniipften  iliren  Stammbaiim  an  die  Familie  des  Zoroaster 
(vgl.  Bund.  XXXIII).  Manu  (der  erste  Opferer  bei  den  Indern)  hat 
wohl  sclion  in  uralter  Zeit  besonders  als  Staramvater  der  Priester- 
geschlecliter  gegolten;  die  Priestergesclilechter  waren  „manu-geboren", 
,,manuscii9ra"'.  Aus  diesem  Epitlieton  ist  eine  besondere  Gestalt  ent- 
standen,  der  ,.Mann-Sohn-',  Avelclier  der  Trager  verschiedener,  ur- 
sprtinglich  dem  Manu  niclit  geliorender  Ursagen  geworden  ist.  Manu 
selbst  hat  sich  in  zwei  Gestalten  zerteilt,  Manus/'arna/  und  Manus- 
/■"arnar.  In  der  Genealogie  dieser  drei  Personen  ist  die  urspriingliche 
Vorstellung  von  der  iibernatiirlichen  Geburt  des  Urmenschen  in  ver- 
schiedenen  Yariationen  erhalten  worden.  Um  aber  dem  Manuscihr,  dem 
Urvater  der  Priestergeschlechter.  einen  besonderen  Ruhm  zu  geben, 
haben  die  priesterlichen  Genealogen  und  Bearbeiter  der  Sagengeschichte 
schon  sehr  friih  —  vor  der  Redaktion  des  Fravardin  Yast  —  den 
Manuscihr  in  die  Reihe  der  Konige  eingeschoben.  und  zwar  an  der 
ersten  Stelle,  wo  es  tunlich  war,  niimlicli  unmittelbar  nach  der  Teilung 
der  Welt  zwischen  den  drei  Sohnen  des  FreSun,  durch  welche  Iran 
als  ein  besonderes  Reich  sich  ausbildete.  also  unmittelbar  nach  dem 
heros  eponj^mos  der  Iranier,  dem  Erec.  Dadurch  liel  die  Rolle  als 
Racher  des  ermordeten  heros  eponymos  von  Iran  natilrlich  dem 
Manuscihr  zu,  und  seine  Regierung  wurde  von  den  Turanierkampfen 
erfiillt,  welche  bei  der  Teilung  der  ^Yelt  anflngen  und  sich  durch  die 
ganze  Sagenzeit  fortsetzten. 

Obwohl  der  Urmensch  Manns  in  Iran  schon  friih  verschollen 
war,  hat  der  Name  sich  erhalten.  In  der  Genealogie  der  Kajanier 
kommt  er  vor,  indem  ein  Kai  Manus  als  Sohn  des  Kai  Pisin,  des 
Bruders  von  Kai  Kaiis,  aufgestellt  worden  ist.  Und  Personennamen 
Avie  Manuee  und  Manusan.  die  in  der  Sasanidenzeit  vorkommen. 
zeugen  von  der  einstigen  Popularitat  des  Manus.  Wir  finden  sogar 
(Ibn  ^urdaObeh  40.  10)  einen  tiirkischen  Flirsten,  welcher  den  Namen 
Manus-/aqan  filhrt. 

Cliarlottenlund,  Danemark.  Artliur  Christensen. 


HARUT  UND  MARUT. 


Der  hochverehrte  Freund  unci  Gelehrte,  dem  wir  zu  seinem 
70.  Geburtstage  unsei'e  herzlichsten  Gliickwiinsche  darbringen  und 
unseien  Dank  fiir  die  so  unendlicli  reicheu  Anregungen  und  Be- 
lehrungen  bezeugen,  erklilrte  withrend  des  Sommers  1915  die  Lieder 
des  Hafiz.     Da  begegnete  uns  audi  der  Vers 

In  der  Ubersetzung  des  Ritters  v.  Rosenzweig-Schwannau  lautet  er: 

Ist's  zu  wundern,  weun  am  Himmel, 
Durch  Hafisens  Wort  erregt, 
Der  Sohre  Gesang  zum  Tanze 
Den  Messias  selbst  bewegt? 

Im  Anschlusse  daran  erzahlte  mir  Herr  A.  Siddiqi,  unser  gemein- 
samer  Scliiiler,  daB  nach  der  Legende  seiner  Heimat  Zuhra  und 
Mustari  zwei  beriihmte  Tiinzerinnen  gewesen  seien,  und  dal)  sie  es 
seien,  die  in  der  Vorzeit  den  Hariit  und  den  Marut  verfiihrt  batten. 
Ich  bat  ibn  mir  diese  Erzahlung  in  persischer  Sprache,  die  ihra  wie 
eine  zweite  Muttersprache  ist,  aufzuscbreiben.  Seine  Erziiblung  sei 
hier  zunachst  mitgeteilt. 

J^XXJ^\>      JPr!"      (J,'"*«^     u5^'"?     ^^^"^^     <^^     CIj^)^^^     O^^'--*     i>.i>_j.>     (^A!Xo  J     a> 

^"^^3    <S^_/  J^^^J^    O^sl^sL    (_,.^-«a-L^^    \j^>\   ^Xi     U^^    Jp^\     i^JliL     ^\    d-S 

^Lix^,l  ^^=^  C)3^  J^5  i*  l5^^^    -^^^^^  L^  ^^-^.J  >^-*;    ^^^i  t^-?)}"  0"° 
bc-s^^^fj  *^'^^  ur^^'*^/*  I;  ^^.)  ^^T*  <**^  c>.^Lixi  ^2;r^^   vAX^  J^i"^  O-fr*}   r^  j'-?5 


E.  LittiiKuiu,  Harut  luid  Marut.  71 

Lo    \\  ^0^^.i\  Lj     JU    ^I^XjI    \\    ^-Jcl^l    I )j    b    <*.$"   ^i>^^i  J^r''3  ^■^•^r^  SJ^aL-*^ 

»>.$"  3^3*^.  <^^  o'"*^  ^_)^^^  Cj^^I^  t3r*~^  CLi\j^^<jt^^  ysi^  y^  dS  uX-^XiLLuix^ 

j-Ja*,     ^-«Ofc    iS^-i  y.J^     Uo\     tXJj>-^    ^_J,^oa    SwX-t*    >^.J^,<XO     I )l,.^x*!: 


b'^    (_]-^b    sl_2>.    \>   yXi^xZi    i>  yS   j-«;-aj\    ^j-io_^iL    ^J-^i   1^^*-^    )-*    O^^'-'^^    ^3)'"*' 5 

Zu  deutsch: 

..Die  Gescbichte  von  Harut  unci  Marut,  die  in  Hindustan  bekannt 
ist,  ist  kurz  folgende. 

Es  waren  zwei  Engel,  Hariit  und  Mrirut,  die  vor  den  Thron  des 
crliabenen  Herrschers  mit  einer  Bitte  traten:  „0  Erschaffer  Himmels 
und  der  Erden,  du  hast  die  Menschenkinder  durch  das  Arat  der 
„Stellvertretung"  i)  erlioht  und  in  die  Welt  gesandt.  Aber  sie  erfiillten 
in  der  „Stellvertretung"  nicbt  ihre  Pflicbt;  denn  sie  handelten  gegen 
deinen  Befehl  und  liefien  es  am  Preis  gegen  dich  und  am  Bekenntnis 
zu  dir  raangeln.  Wenn  du  uns,  die  wir  Engel  sind,  gesandt  battest, 
so  batten  wir  dein  Gebot  zur  Ausiubrung  gebracbt  und  aucb  der 
Frommigkeit  und  der  Gottesfurcbt  ibr  Recbt  widerfabren  lassen."  Als 
Gott  der  Allmacbtige  und  Erbabeue  ibre  Rede  borte,  befabl  er,  jene 
soUten  in  menscblicber  Gestalt  zur  Erde  geben  und  unter  den  Meuscben 
ganz  wie  Menscben  leben,  nur  mit  dem  Unterscbied,  dali  sie  durcb 
Aussprecben  des  „grobten  Namens"  zum  Hiramel  fliegen  und  wieder 
auf  die  Erde  binabsteigen  konnten;  aber  es  war  ibnen  verboten,  den 
Bund  Gottes  zu  brecben  und   irgend  jemand  von  den  Menscben  den 


1)  Vgl.  qoran  2,  28 ;  38,  25. 


72  E-  Littmann, 

„grofiteii  Naiueii'S  der  eiii  Gelieimnis  der  Gottbeit  ist,  zu  lehren.  Die 
beiden  Engel  warfeii  sich  aiibetend  nieder  und  sagten  in  Demut:  „0 
Herr  der  Welten.  von  Anfang  der  AVelt  an  bis  zu  dieser  Zeit  ist  von 
uns  eine  Handlung  gegen  das  gottliche  Gebot  nie  gesclielien.  Wis  ware 
es  raoglicli,  dali  wir  wie  die  Menschen  unerliorte  Silnde  begingen  oder 
durch  die  Ott'enbarung  des  Gelieimnisses  der  Gottbeit  ein  Gegenstand 
des  Zornes  des  groBten  Schopfers  wurden?-'  Schlielilicb  wurden  sie  in 
Menschengestalt  in  diese  Welt  gesandt  und  bielten  sick  in  der  Stadt 
Babil  auf.  Nacb  einer  Weile,  als  sie  die  Sitten  dieser  Welt  kennen 
gelernt  batten,  da  vergalJen  sie,  in  der  Hingabe  an  die  weltlicben  Ge- 
niisse,  Gott  zu  preisen  und  zu  bekennen ;  und  sie  wurden  bingerissen 
von  Liebe  zu  zwei  scliongestalteten  Freudenmadcben,  namens  Zulira 
und  Mustari,  die  in  der  Kunst  des  Gesanges  und  des  Tanzes  die  voll- 
komraenste  Fertigkeit  besal-ien.  Diese  beiden  Madcben,  die  zugleicb 
mit  der  Zierde  klugeu  Verstandes  und  scharfen  Geistes  begabt  waren, 
merkten,  da(i  Harut  und  Marut  der  Magio  und  der  Zauberkiinste  und 
der  ubernatiirlicben  Dinge  macbtig  waren,  da  sie  fliegend  zum  Himmel 
fuliren  und  wieder  zurtickkebrten.  Nun  wollten  sie  das  verborgene 
Gebeimnis  durch  eine  List  kennen  lernen;  da  sie  [sonst]  ibr  Ziel  nicbt 
erreichen  kounten,  gaben  sie  [ihnenj  das  Versprecben.  sicb  in  Lielje  zu 
vereinen.  Aber  das  Getrank  der  Liebesvereinigung  und  der  Freude 
wollten  sie  nur  mit  dem  Trunke  des  Trankes  vom  Wcinstock  und  von 
den  Trauben  bereiten.  ScblieBlicb,  diirstend  nacb  Liebesvereinigung, 
kosteten  jene  den  bitterschmeckenden  Wein  und  tranken  Becber  auf 
Becber.  Als  die  Trunkenbeit  iiberwaltigend  wurde  und  der  Saum  des 
Verstandes  [ilmen]  aus  den  Hilnden  fiel,  da  erkannten  die  frechen 
Freudenmadcben  die  Gelegenbeit  und  verscbafften  sicb  das  ersebnte 
Gebeimnis.  Durcb  Aussprecben  des  „grofiten  Namens"  flogen  sie  zum 
Himmel  und  erlangten  die  AV'^urde  von  Gliicksgestirnen.  Harut  und 
Marut  aber  wurden  zur  Strafe  fiir  ibr  eigenes  Tun  gefangen  gesetzt 
in  einem  Brunnen  in  Babil,  und  sie  bleiben  dort  bis  zum  Tage  des 
jungsten  Gericbts." 


Die  Qoran-Stelle,  an  die  diese  Erzablung  und  aucb  alle  anderen 
islamischen  Gescbichten  von  Harut  und  Mariit  ankniipfen,  ist  Sure  2, 
Vers  96:  „Und  sie  folgten  dem,  was  die  Satane  wider  Salomos  Reicb 
lelirten;  nicbt  daB  Salomo  ungliiubig  Avar,  vielmebr  waren  die  Satane 
unglaubig,  indem  sie  die  Leute  Zauberei  lebrten,  und  was  den  beiden 
Engeln  in  Babil,  dem  Harut  und  Marut,  ofi'enbart  war." 


Hariit  und  Marut.  73 

Die  Qoran-Kommentare  zu  clieser  Stellc  gehen  raelir  ocler  minder 
aust'ulirliclic  Bcnicrkuiigcn  ilber  Harut  und  Marut.  J)er  ausfiihrlicliste 
Kommentar  ist  der  TaJ'slr  des  Tabari,  des  grolien  Kompilators,  der 
ini  Jalire  923  n.  Clir.  starb.  Dieser  Tafslr  liegt  nun  vor  in  der  vor- 
treff lichen  Ausgabe  des  wiirdigen  Cairiner  Buchliiindlers  'Omar  el-Has- 
sab,  Cairo  1323  1329  d.  H.  (19U5  lyjl).  Durt  in  Band  i,  auf  S^  nr 
—no,  finden  sich  verscbiedene  Fassungen  der  Harut-Manit-Gescbichte, 
die  ich  bier,  wo  es  mir  zunilcbst  auf  Darbietung  von  Material  an- 
komiut,  in  wortlicber  (jbersetzung  aus  dem  Arabiscben  mitteile. 

Die  einzelnen  Versiouen  sind  wie  gewobnlicli  durcb  eine  langere 
oder  kiirzere  Kette  von  Gewabrsraannern  bezeugt.  In  bistoriscben 
Fragen  baben  AVellbausen  und  Goldziber  aus  diesen  Gewabrsiuiinner- 
ketten  wiclitige  Schliisse  gezogen,  Aber  um  solcbe  Fragen  bandelt 
es  sicli  bier  ja  nicbt;  icb  gebe  daber  nur  immer  den  letzten  Gewabrs- 
luann  in  Klammern  vor  den  einzelnen  Versionen  der  Geschichte. 

I. 

(Ibn  'Abbas).  Gott  macbte  fiir  seine  Engel  den  Himmel  offen, 
dainit  sie  das  Tun  der  Menscbenkinder  scliauen  konnten.  Als  sie  sie 
nun  erblickten,  wie  sie  Sunde  taten,  sagten  [die  Engel  |:  „0  Herr,  jene 
Kinder  Adams,  den  du  mit  deiner  Hand  gescbaffen,  dem  du  deine 
Engel  dienstbar  gemacbt,  und  den  du  die  Namen  aller  Dinge  gelehrt 
hast,  bandeln  siindbaft!"  Er  antwortete:  „Wenn  ibr  an  ibrer  Stelle 
waret,  wiirdet  ibr  ebenso  bandeln!"  Sie  spracben:  „Dir  sei  Preis!  — 
Das  wiirde  uns  nicbt  geziemen".  Darauf  bescblossen  sie,  es  soUe  ge- 
wjlblt  werden,  wer  auf  die  Erde  hiuabsteigen  sollte;  und  sie  wiiblten 
den  Harut  und  Marut.  Die  stiegen  also  zur  Erde  hinab,  nacbdem 
Gott  ihnen  alles  erlaubt  hatte;  nur  sollten  sie  Gott  keinen  Genossen 
geben,  nicbt  stehlen,  nicbt  buhlen,  keinen  Wein  trinken,  eine  Seele 
nicbt  gegen  Gottes  Gebot  toten,  sonderu  allein  von  Recbts  wegen. 
Es  dauerte  nicbt  lange,  da  begegnete  ihnen  eine  wunderscbone  *)  Fran, 
namens  Bedubt.  x\ls  sie  die  erblickten,  da  verlangten  sie  mit  ihr  zu 
buhlen.  Aber  sie  sagte:  „Nein!  Nur  wenn  ihr  Gott  eineu  Genossen 
gebt,  Wein  trinkt,  eine  Seele  totet  und  diesen  Gotzen  anbetet!"  Sie 
spracben':  ,,Wir  sind  nicbt  Leute  danach,  Gott  einen  Genossen  zu  geben". 
Danu  meinte  einer  der  beiden  zum  andern:  „Versucb  es  nocb  mal  mit 
ihr!"-')  Sie  aber  sagte:  „Nein.  nur  wenn  ihr  Wein  trinkt!"  Da  tranken 
die   beiden,  bis   daB   sie  trunken  waren.     Darauf  kam  ein  Warner  zu 

»)  Wurtlich:  „LGottJ  liefi  ihnen  eine  Fnui  liegeynen,  dev  cr  die  Halite  [allci-| 
iScliuulieit  zuerteilt  luitto."  '^  Wiirilieli:  „]\elire  zu  ihr  zuriick!-' 


74  E.  Littnianii, 

ilinen  binein;  den  schlugen  sie  tot.  Als  jene  nun  alle  diese  Siinden 
begangen  batten,  macbte  Gott  den  Himmel  fiir  seine  Engel  offen. 
Die  riefen:  „Dir  sei  Preis!  Du  wuBtest  es  am  besten."  Dann  oft'en- 
barte  Gott  dem  Salomo,  David's  Sobn,  er  solle  die  beiden  wablen 
lassen  zwiscben  der  Strafe  in  dieser  Welt  und  der  Strafe  in  jener 
Welt.  Sie  wablten  die  Strafe  in  dieser  Welt  und  wurden  von  den 
FiiBen  bis  zum  Hals  gefesselt,  so  wie  die  Halse  der  baktriscben 
Kamele^).     Ihre  Statte  wurde  Babil. 

11. 

(Ibn  Mas'ud  und  Ibn  'Abbas).  Als  die  Menschen  viel  geworden 
waren  und  sich  vergingen,  da  riefen  wider  sie  die  Engel  und  die  Erde 
und  der  Himmel  und  die  Berge:  „0  Herr,  vernicbte  sie  doch!"  Da  sprach 
Gott  zu  den  Engeln:  „Wenn  icb  die  Begierde  und  den  Teufel  in 
euren  Herzen  wolmen  liefie  und  ihr  stieget  binab,  so  wiirdet  ibr  ebenso 
bandeln."  Sie  aber  sagten  zu  einander,  wenn  sie  in  Versucbung  ge- 
rieten,  wurden  sie  standhaft  sein.  Nun  spracb  Gott  zu  ibnen:  „Wablt 
zwei  Engel  von  den  trefflicbsten  unter  eucb!"  Da  wablten  sie  den 
Harut  und  Marut,  und  die  beiden  stiegen  zur  Erde  binab.  Zugleicb 
wurde  aucb  die  Zubra  zu  ibnen  binabgesandt  in  der  Gestalt  einer 
persiscben  Frau;  die  Perser  aber  nannten  sie  Bedubt.  Und  sie  ver- 
fielen  der  Siinde,  Aber  die  Engel  pflegten  um  Verzeihung  zu  bitten 
fiir  die  Glaubigen:  „Unser  Herr,  du  umfassest  alle  Dinge  in  Barm- 
berzigkeit  und  Wissen;  so  verzeihe  denen,  die  sicb  bekebren!"  2)  Und 
als  die  beiden  der  Sunde  verfallen  waren,  baten  sie  um  Verzeibung 
fiir  die,  so  auf  Erden  sincl.  1st  nicbt  Gott  der  Yergebende,  der  Barra- 
berzige?'')  Darauf  wurde  den  beiden  die  Wabl  gelassen  zwiscben  der 
Strafe  in  dieser  Welt  und  der  Strafe  in  jener  Welt:  sie  wablten  die 
Strafe  in  dieser  Welt. 

III. 

('Alij.  Zubra  war  eine  scbone  Frau  unter  den  Persern.  Sie 
fuhrte  einen  Recbtsstreit  vor  den  beiden  Engeln  Hariit  und  Mariit. 
Die  wollten  sie  namlich  verfiibren,  aber  sie  wollte  ibnen  nur  zu  Willen 
sein,  wenn  sie  ibr  das  Wort  verrieten,  durcli  dessen  Ausspracbe  man 
zum  Himmel  emporsteigen  kann.  Da  verrieten  sie  es  ibr;  sie  sprach 
es  aus  und  stieg  zum  Himmel  empor.  Dann  wurde  sie  in  einen 
Stern  verwandelt. 

1)  Die  Stcllc  ist  iiiclit  gunz  klar. 

2)  Aus  Qoran  40,  7.  3)  Aus  Sure  42,  B. 


Harut  urid  ]\[arut.  75 

IV. 

(Ka'b).  Die  Engel  erziihlten  von  den  Taten  der  Menschen  und 
wie  sie  sundigten.  Da  ward  ilinen  gesagt:  „Wahlt  zwei  von  eiich  aus!" 
Da  wahlten  sie  den  Harut  und  Marut.  Ilinen  wurde  gesagt:  „Sielie, 
icli  schicke  Gesandte  zu  den  Menschen;  aber  zwischen  mir  und  eucli 
ist  kein  Gesandter.  Steigt  hinab!  Gebt  mir  keineu  Genosseu;  buhlet 
nicht;  trinkt  keiuen  Wein!"  Aber  —  bei  Gott!  — -  ehe  der  Abend 
desselben  Tages  kam,  an  dem  sie  auf  die  Erde  hinabgestiegen  waren, 
batten  sie  alles  das  getan,  was  ihnen  verboten  war. 

V. 

(Ka-b  al-Al.ibar).  Die  Engel  wunderten  sich  iiber  die  Taten 
der  Menschen,  und  wie  sie  sich  auf  Erden  vergingen.  Da  spracli 
Gott  zu  ihnen:  „Wahrlich,  wenn  ihr  an  ihrer  Stelle  waret,  so  wiirdet 
ihr  ebenso  slmdigen  wie  sie.  Wahlet  drum  zwei  Engel  von  euch  aus!" 
Sie  wahlten  den  Harut  und  Marut.  Nun  sprach  Gott  zu  den  beiden: 
„Ich  schicke  meine  Gesandten  zu  den  Menschen,  aber  zwischen  mir 
und  euch  ist  kein  Gesandter.  Steiget  zur  Erde  hinab!  Gebt  mir  keiuen 
Genossen  und  buhlet  nicht!"  Aber  —  bei  dem,  in  dessen  Hand  Ka'b's 
Seele  ist  —  ehe  sie  den  Tag,  an  dem  sie  hinabgestiegen  waren,  vollendet 
batten,  waren  die  beiden  dem,  was  Gott  ihnen  verboten  hatte,  verfallen. 

VI. 

(As-Saddi).  Harut  und  Marut  verleumdeten  die  Leute  der  Erde 
wegen  ihres  Wandels.  Da  Avurde  ihnen  gesagt:  „Ich  babe  den 
Menschen  zehn  Begierden  gegeben,  und  durch  diese  vergehen  sie  sich 
gegen  mich."  Haiut  und  Marut  sagten:  „0  Herr,  wenn  du  uns  die 
zebn  Begierden  gabest  und  wir  dann  hinabstiegen,  so  wiirden  wir  in 
Gerechtigkeit  richten."  Er  antwortete  ihnen:  „So  steiget  hinab.  Ich 
gebe  euch  jene  zehn  Begierden.  Nun  richtet  unter  den  Menschen!" 
Darauf  stiegen  sie  in  Babil  Dunbawand  hinab  und  richteten;  wenn 
es  Abend  ward,  so  stiegen  sie  empor,  und  wenn  es  Morgen  ward,  so 
kamen  sie  wieder  herunter.  Das  taten  sie  so  lange,  bis  eine  Erau  zu 
ihnen  kam,  die  mit  ihrem  Maune  in  Unfrieden  lebte,  und  der  en  Schon- 
heit  den  beiden  gefiel.  Ihr  Name  war  auf  Arabisch  az-Zuhra,  auf 
nabataisch  Beduht  und  auf  Persisch  Anahid.  Der  eine  von  den  beiden 
sagte  zu  seinem  Gefahrten:  „Furwahr,  die  gefallt  mir."  Da  sagte 
der  andere:  „Das  wollte  ich  dir  auch  gerade  sagen;  aber  ich  schamte 
mich  vor  dir."  Der  erste:  „SolI  ich  um  sie  werben?"  Jener:  „.Jawohl! 
Aber  wie  steht's  mit  der  Strafe  Gottes  an  uns?"  Der  erste  wiederum: 


76  E.  Littmann, 

„Wir  hoffen  doch  aiif  die  Barmhei'zigkeit  Gottes!"  Als  sie  nun  kam, 
um  gegen  ihren  Mann  zu  klagen,  warben  die  beiden  um  sie.  Sie  gab 
zur  Antwort:  ,,Niclit  eher,  als  bis  ihr  fiir  mich  gegen  meinen  Mann 
entscheidet."  Da  entscliieden  sie  fiir  sie  gegen  ihren  Mann.  Danach 
verabredete  sie  mit  den  beiden,  sie  sollten  in  einem  von  den  ver- 
lassenen  Hausern ')  zu  ihr  kommen.  Das  taten  sie.  Als  nun  der  eine 
ihr  beiliegen  wollte,  sagte  sie:  ,,Das  tu  icli  nicht,  bis  ihr  mir  sagt, 
durch  welches  Wort  ihr  zura  Himmel  steigt  und  durch  welches  Wort 
ihr  wieder  von  dort  herabsteigt?-'  Da  nannten  sie  es  ihr.  Sie  sprach 
es  aus  und  fuhr  gen  Himmel.  Gott  aber  liel^  sie  das  Wort  vergessen, 
durch  das  sie  hinabsteigen  konnte.  So  blieb  sie  an  ihrer  Stelle,  und 
Gott  machte  sie  zu  eineiu  Stern.  —  'Abdallfih  b.  'Omar  pflegte,  so 
oft  er  sie  sah,  sie  zu  verfluchen  und  zu  sagen:  „Die  ist  es,  die  Harut 
und  Mariit  in  Versuchung  gebracht  hat!"  —  Als  es  nun  Nacht  ge- 
worden  war,  wollten  die  beiden  wieder  emporsteigen;  aber  sie  konnteu 
es  nicht.  Da  merkten  sie  das  Unheil.  Dann  wurde  ihnen  die  Wahl 
gelassen  zwischen  der  Strafe  in  dieserWelt  und  der  Strafe  in  jener  Welt. 
Sie  zogen  die  Strafe  dieserWelt  der  Strafe  jener  Welt  vor  und  wurden 
in  Babil  aufgehaugt.  Dann  begannen  die  beiden  mit  den  Menschen  in 
ihrer  [englischen]  Sprache  zu  reden,  und  die  ist  das  Zauberunwesen. 

VII. 

(Ar-Rabf).  Wegen  der  vielen  Falle  von  Ungehorsam  und  Un- 
glauben  gegen  Gott,  die  unter  den  Menschen  nach  Adam  vorkameu, 
sagten  die  Engel  im  Himmel:  „0  Herr,  diese  [Menschen  der]  Welt 
hast  du  doch  nur  geschaffen  zu  deinem  Dienste  und  zum  Gehorsam 
gegen  dich.  Aber  sie  sind  dem  Unglauben  verfallen;  sie  toten  zu 
Uurecht,  sie  nehmen  unrecht  Gut,  sie  stehlen,  sie  buhlen  und  trinken 
Wein."  So  begannen  sie,  die  [Menschen]  zu  verklagen  und  nicht  zu 
entschuldigen.  Da  ward  ihnen  gesagt:  „Jene  sind  im  Irrtum."  Aber 
sie  entschuldigten  jene  nicht.  Dann  ward  ihnen  gesagt:  „Wahlet  unter 
euch  zwei  Engel  aus,  denen  will  ich  meine  Befehle  geben  und  ver- 
bieten,  ungehorsam  gegen  mich  zu  sein."  Sie  wahlten  Harut  und  Mariit 
aus,  und  die  stiegen  auf  die  Erde  hinab.  Sie  erhielten  auch  die 
menschlichen  Begierden,  aber  zugleich  den  Befehl,  Gott  zu  dienen, 
ihm  keinen  Genossen  zu  geben,  keine  Seele  zu  Unrecht  zu  toten,  kein 
unrecht  Gut  zu  nehmen,   nicht  zu  stehlen  noch  zu  buhlen  oder  ^\'ein 


')  Die  verlasseneu  Hiiusor  aulJerhalb  der  Stadt  dieiien  in  Pcrsieu  oft  /.u 
Weinhausern ;  vgl.  Jacob,  in  Orientalise  lie  Stiidien  S.  1060.  Das  arabisehc 
Wort  I'iir  „Kiunen"  bcdeutet  im  I'ersisclien  luid  Tiirkiselien  oft  „\Veinliaus". 


Harut  im<l  ]\r;u'iit.  77 

zu  trinken.  Dies  beiblgten  sie  auf  Erden  eiue  Zeit  lang,  indem  sie 
unter  den  Menschen  mit  Gerechtigkeit  richteten.  Das  war  zur  Zeit 
des  Idrls.  Zu  jener  Zeit  lebte  eine  Fran,  deren  Sclionheit  war  unter 
den  Meuscheu  gleichwie  die  Sclionheit  der  Zulira  unter  den  Sternen. 
Sie  kam  zu  den  beiden,  und  die  gaben  ihr  siifie  Worte  und  woUteu 
sie  verfiihren.  Aber  sie  woUte  ihnen  nur  willfahren,  wenn  sie  ihr  ge- 
horchten  und  ihre  Religion  annilhmen.  Da  fragten  sie  sie  nacli  ihrer 
Religion.  Sie  zeigte  ilmen  einen  Gotzen  und  sprach:  „Den  bete  ich 
an."  Sie  erwiderten:  „Den  konuen  wir  nicht  anbeten",  und  gingen 
fort.  Dann  warteten  sie,  so  lange  wie  Gott  wollte.  Danach  gingen 
sie  wieder  zu  ihr,  gaben  ihr  siilie  Worte  und  wollten  sie  verfiihren. 
Aber  sie  sprach  zu  ihnen:  „Nein!  Nur  wenn  ihr  denselben  Glauben 
habt  wie  ich."  Die  beiden  sagten  wiederum:  „Den  kounen  wir  nicht 
anbeten!"  Als  sie  nun  sah,  dal5  die  beiden  den  Gotzen  nicht  anbeten 
wollten,  sprach  sie  zu  ihnen:  „Wahlt  eins  von  den  dreien:  betet  den 
Gotzen  an,  totet  einen  Menschen,  oder  trinkt  Wein!"  Sie  sagten: 
„Alles  drei  ist  verboten;  aber  Weintrinken  ist  doch  das  leichteste 
von  den  dreien!"  Nun  gab  sie  ihnen  Wein  zu  trinken,  und  schlielilich. 
als  der  AVein  sie  umfing.  lagen  sie  ihr  bei.  Da  kam  ein  Mensch  an 
ihnen  vorbei,  wahrend  sie  in  solchem  Tun  begrift'en  waren.  Sie  I'iirch- 
teten,  er  wiirde  sie  verraten;  darum  erschlugen  sie  ihn.  Als  aber 
der  Rausch  von  ihnen  gewichen  war,  erkannten  sie,  was  fiir  eine 
Sunde  sie  begaugen  batten.  Sie  wollten  gen  Himmel  fahren,  und  da 
konnten  sie  es  nicht;  denn  ein  Hindernis  war  dazwischen  gekommen. 
Nun  wurde  auch  die  Decke  zwischen  ihnen  und  den  Himmelsbewohnern 
weggenommen:  da  sahen  die  Engel,  was  fiir  eine  Schuld  jene  begaugen 
hatten.  Sie  wunderten  sich  sehr,  und  sie  erfuhren,  dali  wer  in  der 
Feme  ist,  am  wenigsten  zu  fiirchten  hat.  Darauf  begannen  sie  um  Ver- 
zeihung  zu  bitten  fiir  die,  so  auf  Erden  sind ').  Als  jene  beiden  nun 
der  Siinde  verfallen  waren,  ward  zu  ihnen  gesagt:  „VVahlet  die  Strafe 
dieser  Welt  oder  die  Strafe  jener  Welt!"  Sie  sprachen:  „Die  Strafe 
dieser  Welt  geht  zu  Eude;  aber  die  Strafe  jener  Welt  hat  keiu  Ende." 
So  wahlten  sie  die  Strafe  dieser  Welt.  Und  die  Stiltte,  an  der  sie 
die  Strafe  verbiilien,  ward  Babil. 

VIII. 

(Nafi').  Ich  reiste  eiust  mit  Ibn  'Omar  zusammen.  Als  es 
gegen  Ende  der  Nacht  war,  sagte  er:  „0  Nati',  schau,  ist  die  Helle 
aufgegangen?"    Das    sagte    er    zwei    bis    drei  Mai.     Dann    sagte   ich: 

0  S.  74,  Anin.  ;5. 


78  E.  Littmann, 

„Jetzt  ist  sie  aufgegangen."  Er  darauf:  „Kem  Willkommen  und  kein 
GruB!"  Ich  rief:  „Gott  sei  gepriesen,  ein  dienstbarer,  gehorsamer,  folg- 
samer  Stern!'- 1)  Er  antwortete:  „lch  babe  dir  nur  gesagt,  was  icb  von 
dem  Gesandten  Gottes  —  Gott  segne  ibn  und  gebe  ihm  Heil!  —  gebort 
babe.  Mir  erzablte  der  Gesandte  Gottes  —  Gott  segne  ibn  usw. ! — : 
Die  Engel  sagteu  einst:  ,0  Herr,  wie  kannst  du  es  rait  den  Menscben 
ausbalten  bei  all  ibren  Siinden  und  Vergebungen?'  Er  antwortete: 
,Icb  babe  sie  er^jroben  wollen,  eucb  aber  babe  icb  davor  bebiitet!' 
[Die  Engel]  erwiderten:  ,AVenn  wir  an  ibrer  Stelle  waren,  so  wiirden 
wir  nicbt  ungeborsam  sein  gegen  dich!'  Er  aber  spracb:  ,So  wablet 
denn  zwei  Engel  von  eucb  aus!'  JSIun  wablten  sie  obne  Verzug,  und 
zvvar  den  Hariit  und  den  Marut." 

IX. 

(Mugabid).  Die  Sacbe  mit  Harut  und  Mrirut  [war  folgendermaBen]. 
Die  Engel  wunderten  sich  dariiber,  daB  die  Menscben  Unrecbt  taten, 
wabrend  docli  die  Propbeten  und  die  Biicber  und  die  Zeicben  zu  ibnen 
gekommen  waren.  Da  spracb  ibr  Herr  zu  ibuen:  „  Wablet  zwei  Engel 
von  eucb  aus;  die  will  icb  binabseuden,  damit  sie  auf  Erden  unter 
den  Menscben  ricbten!"  Da  Avablten  sie  den  Hariit  und  den  Marut. 
Er  spracb  zu  den  beiden,  als  er  sie  liinabsandte:  „Ibr  babt  eucb  iiber  die 
Menscben  und  iiber  ibr  Unrecbttun  und  ibren  Ungeborsam  gewundert. 
Aber  zu  ibnen  kommen  die  Propbeten  und  die  Biicber  immer  nur 
einzeln,  wabrend  zwisclien  mir  und  eucb  kein  Gesandter  ist.  Tut  so 
und  so,  unterlalit  das  und  das!"  So  gebot  und  verbot  er  ibnen.  Dann 
stiegen  sie  hinab,  und  es  gab  keine  geborsameren  Diener  Gottes  als  die 
beiden.  Sie  ricbteten  in  Gerecbtigkeit.  Tags  iiber  richteten  sie  uuter 
den  Menscben;  aber  wenn  es  Abend  wurde,  stiegen  sie  empor  und 
waren  bei  den  Engeln,  dann  am  nacbsten  Morgen  stiegen  sie  binab 
und  ricbteten  in  Gerecbtigkeit,  bis  dafi  die  Zubra  zu  ibnen  binab- 
gescbickt  wurde  in  der  scbonsten  Frauengestalt.  Die  kam  in  einem 
Kecbtsstreit,  und  die  beiden  entscbieden  gegen  sie.  iVls  sie  aufstand, 
geriet  jeder  von  beiden  in  Erreguug.  Da  spracb  einer  zum  andern: 
„Bist  du  ebenso  erregt  wie  icb?"  Der  antwortete:  „Ja!"  Dann  sandten 
sie  zu  ibr  und  liefien  ibr  sagen:  „Komme  zu  uns,  wir  wollen  fiir 
dicb  entscbeiden!"  Als  sie  zuriickgekebrt  war,  entscbieden  sie  fiir  sie 
und  spracben  zu  ibr-):   „Komm  zu  uns!"    Da  kam  sie  zu  ibnen.     Sie 


1)  Qoraii  16,  12. 

-)  Iiii  IVxte  stclieu  die  Ijeidfii   Vt'rl)ii  in   uiiigckflii-tei'  Kcilicululge. 


Harut  und  SraiTit.  79 

deckten  ilire  Scliam  vor  jener  auf;  abor  ihre  Begierde  war  nur  in 
ihrer  Seele,  und  sie  waren  niclit  Avie  die  Menschen  in  ihrer  Begierde 
nach  den  Frauen  und  im  LiebesgenuB.  Als  sie  soweit  gekommen 
waren  und  dergleichen  fur  erlaubt  gehalten  batten  und  auf  die  Probe 
gestellt  waren,  flog  die  Zubra  wieder  dorthin,  wo  sie  gewesen  war. 
Am  Abend  wollten  sie  emporsteigen,  aber  sie  w'urden  zuriickgewiesen, 
und  es  war  ihnen  nicht  erkiubt,  und  ihre  Eliigel  trugen  sie  nicht.  Da 
suchten  sie  Hilfe  bei  einem  Menschen  und  traten  zu  ihni  ein.  Sie 
baten  ihn:  „Bete  fiir  uns  zu  deinem  Herrn!"  Er  antwortete:  „Wie 
konnen  die  Erdenbewohner  fiir  die  Himmelsbewohner  Furbitte  leisteu?" 
Sie  sprachen:  „Wir  haben  gehort,  dafi  dein  Herr  deiner  im  Guten 
im  Himmel  gedenkt."  Da  versprach  er  ihnen,  er  wolle  einen  Tag  und 
den  folgenden  fiir  sie  beten.  Dann  betete  er  fiir  sie  und  ward  erhort. 
Ihnen  wurde  die  Wahl  gelassen  zwischen  der  Strafe  dieser  Welt  und 
der  Strafe  jener  Welt.  Darauf  blickten  die  beiden  einander  an  und 
sprachen:  „Wir  wissen,  dali  die  Arten  der  Strafen  Gottes  in  jener 
Welt  so  und  so  sind  in  der  Ewigkeit,  und  bei  dieser  Welt  siebenmal 
so"  1).  Dann  wurde  ihnen  befohlen,  sie  sollten  in  Babil  absteigen, 
und  dort  war  ihre  Strafe.  Man  glaubt,  sie  seien  aufgehangt  in  eisernen 
Fesseln,  zusammengerollt,  und  schliigen  mit  den  Fliigeln. 

Dann  erwahnt  Tabari  noch  eine  Tradition,  nach  der  Hariit  und 
Marut  Menschen  gewesen  sein  sollen.  Ferner  gibt  er  an,  da6  nach 
einigen  Babil  Dunbawiind,  nach  anderen  Babil  im  'Iraq  gemeint  sei. 
(S.  no  unten). 


Die  Version  hei  an-Nisdhtirl. 

Das  Werk  (jamih  al-(2iir'dn  von  Hasan  b.  Muhammad  b.  Husain 
an-Nisaburi  (f  1015  n.  Chr.)  ist  auf  deni  Rande  des  Tafsir  von  at- 
Tabari  abgedruckt.  In  Band  i,  auf  dem  Rande  von  S.  ror,  findet 
sich  die  Geschichte  von  Harut  und  Mariit.     Sie  lautet: 

Was  die  Geschichte  von  Hariit  und  Marut  angeht,  so  wird  nach 
der  Autoritiit  von  Ibn  'Abbas  iiberliefert:  Als  die  Engel  sagten:  „Hast 
du  auf  ihr  (d.  i.  der  Erde)  Leute  geschaffen,  die  Unrecht  auf  ihr  tun 
und  Blut  vergiefien?-',  da  sagte  Gott  zu  ihnen:  „Siehe,  ich  weili,  was 
ihr  nicht  wisset"  -).  Dann  setzte  er  iiber  sie  (d.  i.  die  Menschen)  eine 
Schar  von  Engeln,  und  das  sind  die  geehrten,  die  Schreiber;  die 
brachteu  Berichte  iiber  die  bosen  Taten  [der  Menschen]  gen  Himmel. 

1)  Hier  felilt  etwas,    audi  iiacli  der  Auiialniie  des  avabiseheu  Herausgebers. 

2)  Vgl.  Qoraii  2,  24. 


80  E.  LIttmann, 

Da  wunderten  sicli   die  Engel  iiber  sie  und  uber  die  Geduld  Gottes 
rait  jenen,  trotzdera  ihre  Schlechtigkeiten  offenbar  waren.     Dann  iiigten 
sie  1)  auch  uoch  die  Zauberei  hinzu.     Da  ward  die  Verwunderung  der 
Engel  noch  grower.     Gott  aber  wollte  die  Engel  priifen  und  sprach 
zu    ilmen:    „Wa]ilt   unter    euch   zwei  Engel   aus,    von    denen,    die  an 
Wissen,    Frommigkeit   und  Gottesverehrung   die  GrofHen   sind,  damit 
ich   sie  auf  die  Erde  liiuabsende   und   erprobe."     8ie  wiihlten  Hariit 
und  Marilt   aus.     Er   legte    in    sie    die   Begierde    der   Menschen   und 
schickte   sie   auf  die  Erde    hinab,   naclidem    er  ihnen  verboten  hatte, 
Gott   einen  Genossen   zu   geben,   zu  toten,   zu  bublen   und  [Weiu]  zu 
trinken.     Nun  stiegeu  sie  hinal).     Gott  der  Erhabene  befahl  zugleich 
dem  Sterne,  der  az-Zuhra  heil^t,  und  dem  Engel,  der  "iiber  ihn  gesetzt 
ist,  auf  die  Erde   liinabzusteigen.     Die  Zuhra  verwandelte  er  in  eine 
Fran  und  den  Engel  in  einen  Mann.     Darauf  bereitete  sich  die  Zuhra 
eine  Wohnstatte,  schmiickte  sich,  und  lud  die  beiden  zu  sich  ein.    Der 
Engel  aber  stellte  sich  selbst  in  ihrer  Wohnung  in  der  Gestalt  eines 
Gotzen  auf.     Da  karaen  jene  beiden  zu  ihr  und  verlangten  [von  ihr] 
das  Schlechte.     Sie  wollte  ihnen  nur  willfahren,  wenn  sie  Wein  triinken. 
Die  beiden  sagten:  „AVir  trinken  keinen  Wein."     Dann  ward  die  Be- 
gierde machtig  iiber  sie  und  sie  tranken  Wein.    AViederum  verlangten 
sie  nun  dasselbe  von  ihr.     Da  sprach  sie:  „Es  bleibt  noch  eine  Saclie. 
die  ihr  tun  miilit,  ehe  ich  mich  euch  hingeben  kann!"  Als  sie  fragten: 
;,Was  ist  das?"    antwortete  sie:    „Ihr  miiCit  diesen  Gotzen  anbeten!" 
Beide  erwiderten:    „Wir    geben  Gott  keinerlei  Genossen."     x'^ber  die 
Begierde   ward   wieder   machtig   iiber    die  beiden    und    sie    sprachen: 
„Wir  woUen  es  tun;  nachher  werden  wir  Gott  um  Verzeihung  bitten." 
Also  beteten  sie  den  Gotzen  an.     Da  kam  plotzlich  ein  Warner  herein. 
Sie   rief:    „Wenn   dieser  Mann    den  Menschen  offenbart,    was   er  von 
uns  gesehen  hat,   so  steht  es  schlimm  um  uns.     Weim  ihr  zu  rair  ge- 
langen  wollt,    so   totet  diesen  Mann!"    Erst  hielten  sie  sich  von  ihm 
zuriick,    aber    dann   gingen   sie  dran,   ihn  zu  toten.     Als  sie  mit  dem 
Toten  fertig  waren,  stiegen  die  Zuhra  und  ihr  Engel  zu  ihrer  Stelle 
am  Himmel  empor.     Da  erkannten  die  beiden,   dafi  dies  [alles]  ihnen 
nur  passiert  war,  weil  sie  die  Menschen  geschmaht  liatten. 

Nach  einer  anderen  Uberlieferung  aber  war  die  Zuhra  ein  Freu- 
denmadchen  unter  den  Erdenbewohnern;  und  die  beiden  lagen  ihr 
})ei,  nachdem  sie  Wein  getrunken,  eine  Seele  getotet,  den  Gotzen  an- 
gebetet  und  ihr  den  „groMen  Namen"  offenbart  batten,  durch  den  sie 


')  ]m  Ti'xte  steht  nucii  „ibiien  beiden";  wolil  verdi"uckt. 


Harut  unci  Marut.  81 

2um  flimmel  emporstiegen.  Da  sprach  die  Frau  jenen  Namen  aus 
und  stieg  zum  Himmel  enipor;  Gott  verwandelte  sie  uud  maclite  sie 
zu  diesem  Stern. 

Darauf  lie£j  Gott  die  beiden  wahlen  zwischen  der  Strafe  jener 
Welt,  fiir  die  Ewigkeit,  und  der  Strafe  dieser  Welt,  fur  die  Erdenzeit. 
Sie  wablten  die  Strafe  dieser  Welt.  Da  lieB  er  sie  in  Babil  bleiben, 
umgekebrt,  in  einem  Brunnen,  bis  zum  Tage  der  Auferstehung.  Die 
beiden  aber  lebren  wabrenddessen  die  Menscben  das  Zaubern  und 
verfiibren  sie  dazu.  Und  es  siebt  sie  keiner  aufier,  wer  gerade  zu 
jeneni  Orte  gebt,  um  die  Zauberei  zu  erlernen. 


Nocb  zwei  andere  Versionwi  sind  von  Georg  Rosen  in  seiner 
Ubersetzung  des  Mesnevi  mitgeteilt,  eine  kiirzere  nacb  dem  Kommen- 
tar  zum  Mesnevi,  als  Anmerkung  218,  eine  langere  nacb  der  Rauzat 
es-safa,  im  Anbang.  Die  erstere,  kiirzere  ist  dann  von  v.  Rosenzweig- 
Scbwannau  in  seiner  Hafiz-Ausgabe  und  tlbersetzung,  Bd.  I,  S.  747  f 
wiedergegeben.  In  der  Neuausgabe  des  „Mesnevi  oder  Doppelverse 
des  Scbeicb  Mewlana  Dscbelal  ed  din  Rumi.  Aus  dem  Persiscben  iiber- 
tragen  von  Georg  Rosen,  mit  einer  Einleitung  von  Friedrich  Rosen, 
1913,  Miincben  bei  Georg  Miiller"  iindet  sicb  die  kiirzere  Version  auf 
S.  116,  die  langere  auf  S.  237 — 240.  Die  kiirzere  stimmt  ungefabr  mit 
der  Version  VII  des  Tabari  iiberein,  besagt  aber,  daI5  Zubra  die  Engel 
aufgefordert  babe,  ibren  Gatten  zu  toten.  Die  langere  verdankt  ibre 
Lange  im  Wesentlicben  dem  bliibenden,  pbrasenreicben,  iiberladenen 
Stil  ibres  Verfassers  Mirliond.  Audi  sie  gebt  im  allgemeinen  auf 
Tabari  VII  zuruck,  nur  dafj  bei  Tabari  die  Verwandlung  der  Zubra 
in  den  Stern  vergessen  ist.  Aber  bei  Mirbond  ist  ein  neuer  Zug 
binzugekommen:  es  wurden  anfangs  nicbt  zwei,  sondern  drei  Engel  auf 
die  Erde  gesandt;  sie  bielien  Gbyra,  Gbyraja  und  Gbyrar,  von  denen 
einer  bald  in  den  Himmel  zuriickkebrte,  weil  er  die  drobende  Gefabr 
erkannte,  wabrend  die  anderen  beiden  auf  der  Erde  blieben,  die  Bei- 
namen  Harut  und  Mariit  erbielten  und  dann  der  Sunde  verfielen. 

In  einem  Liede  des  Hafiz,  dessen  Ecbtbeit  aber  zweifelbaft  ist, 
■wird  Bekanntscbaft  mit  der  Gescbicbte  von  Harut  und  Mariit  voraus- 
gesetzt;  mit  ibren  Namen  werden  dort  Wortspiele  gemaclit.  Dies 
Lied  ist  bei  Brockbaus  No.  14;  v. Rosenzweig-Scbwannau  I,  S.  36—37; 
Ubersetzung  von  AVilberforce- Clarke,  Vol.  I,  S.  56—57.  Clarke  gibt 
aucb    eine   kurze  Version    der  Gescbicbte  von  Harut  und  Marut;    an 

Anclreas-Festsclirilt.  H 


82  E.  Littmaun, 

dieser  ist  nur  ein  Zug  iieu  gegenuber  dem  oben  Mitgeteilten,  camlich 
da£>  die  Engel  den  Gatten  der  Zuhra  wirklich  erschlagen  hatten. 

Das  eigentlich  Interessante  und  Wichtige  an  dieser  ganzen  Ge- 
schichte  sind  naturlich  die  volkstiimlichen  Sagen,  Mythen  und  Zauber- 
lehren,  die  bier  zu  einem  merkwiirdig  bunten  Gewande  zusammen- 
gewoben  sind.  Bereits  in  den  Versionen,  in  denen  iins  die  Gescbichte 
vorliegt,  sind  bewuPjte,  theologisch-tendenziose  Umdeutungen  vorge- 
nommen;  sie  sind  sebr  cbarakteristiscb  und  von  Wert  fiir  die  religions- 
gescbicbtlicbe  Betracbtung.  Aber  den  mubammedaniscben  Rabbinen 
auf  diesem  Wege  zu  folgen,  danacb  stebt  mir  nicbt  der  Sinn.  Es  sei 
nur  nocb  auf  eine  Stelle  aus  einem  modernen  Urdu-Kommentar 
zum  Qoran  bingewiesen,  die  mir  Herr  Siddiqi  freundlicbst  ins  Per- 
siscbe  iibersetzt  bat.  Bereits  oben  S.  79  saben  wir,  dafi  Tabari  am 
Ende  der  Wiedergabe  seiner  Bericbte  darauf  binweist,  dafi  Harut 
und  Marut  aucb  als  Menscben  bezeicbnet  waren.  Die  tlberlieferung 
bat  er  aucb  auf  S.  roi,  Z.  5  v.  u.,  bei  der  Besprecbung  der  Zauberei 
erwabnt.  Der  Urdu-Kommentator,  Nadblr  Abmed,  sagt  in  seinem 
Werke  Bama'U-i  Mtdcmjam,  Debli,  1329  d.  H.,  S.  24: 

v>vi>^->      ^XaOj_9      *>      d^^     iXX^%.S      |->O.JO         '.^iiy^       l^»vL/Ca      C1J5)La      J^4       T-^3-**'     )^ 
sLio^b        a>       Jw-O^      ^S^>       .Cjr^^     d^yiJ^yi     CI-J~.«a^     l-tLiJ      >  yfO    ^>     i^-saJO      >'r^^ 

iJX**j1  i^^t-^  (c?";^*-^  ^'•^■^    Cf"^'^    c?'^-*?.)  f-*  f"^    r-**^    i^^^r*    ^^   "^^    ^''3rt 

Zu  deutscb: 

„In  der  Stadt  Babil  waren  Hariit  und  Mariit.  Einige  sagen,  daB 
sie  zwei  Engel  waren;  aber  nach  anderen  zwei  Menscben  von  treff- 
licben  Eigenscbaften  und  engelgleicbem  Lebenswandel.  Nocb  andere 
sagen,  sie  seien  zwei  Herrscber  gewesen,  denn  die  Lesart  mit  i  beim  /, 
d.  h.  maliliain  („zwei  Konige")  anstatt  malahcun  („zwei  Engel")  ist 
aucb  iiberbefert.  Daraus  gebt  bervor,  dafi  sie  zwei  Menscben  ge- 
wesen sind,  die  der  Zauberkiinste  kundig  waren,  und  dali  sie  auf 
instandiges  Bitten  der  Menscben  [sie]  darin  unterricbteten." 


Es  ist  zur  Zeit  wohl  nocb  unmoglicb  und  fallt  aucb  aufierbalb 
des  llabmens  dieses  kurzen  Artikels,  alle  die  Faden  zu  entwirren,  die 
in  der  Geschicbte  von  Harut  und  Marut  zusammenlaufen.  Es  scbeint 
mancbmal,  als  ob  in  jedem  Satze  und  in  jedem  Gedanken  dieser  Ge- 
scbicbte  die  Mytlieu,  Legenden  und  tJberlieferungeu  verscbiedenster 
Kulturkreise  sicb  widerspiegehi  und    sicb    in  iieuer  Gestalt  vereinen; 


Harut  und  iMarut.  83 

die  Geschiclite  ist  gewissermalien  das  Sediment  eines  iiber  1000  Jahre 
dauernden  Entwicklungsprozesses.  Immerliin  sei  hier  auf  einige  der 
Hauptprobleme,  die  sich  der  kritischen  Analyse  darbieten,  hingewiesen. 
1.  Die  Engel.  Es  ist  bereits  langst  erkannt,  dali  die  Geschichte 
der  Engel-Ehen  mit  Menschentochtern  in  der  jiidisch-islamischen 
ijberlieferung  Ictzten  Grundes  auf  Genesis  6,  1 — 4  zuriickgeht.  In 
den  kurzen  Versen  liaben  wir  freilich  aiicli  nur  das  Bruchstuck  eines 
groBeren  Mythus.  Dalj  Riesen,  Helden,  grolie  Manner,  Konige  als 
Soline  der  Gottheit  und  irdischer  Mutter  angesehen  werden,  ist  volks- 
tiimlicher  iVnschauung  ini  Orient  und  ira  klassischen  Altertum  ganz 
gelaufig.  Diese  Anschauung  begegnet  uns  in  t'reier  Form  bis  auf  den 
heutigen  Tag  in  Heldenliedern,  namentlich  bei  den  Abessiniern;  sie 
hat  aber  auch  schon  friih  feste  Eormen  angenommen  in  —  ich  mochte 
sagen  —  religiosen  und  staatsrechtlichen  Leliren.  Urspriinglich  waren 
es  die  Gotter  selbst,  die  auf  die  Erde  hinabstiegen,  wie  wir  besonders 
in  Griecbenland  sehen ;  dann  werden  es  Engel,  wie  bereits  in  Genesis  6 
und  alien  davon  abhangigen  Erzahlungen.  Schlielilich  aber  nahm  die 
weiter  schreitende  Anschauung  auch  daran  AnstoCi  und,  wohl  unab- 
hangig  von  einander,  deuteten  auf  der  einen  Seite  judisch-christliche, 
auf  der  anderen  Seite  islamische  Theologen  die  Engel  in  Menschen 
um.  Fiir  die  judisch-chiistliche  tjberlieferung  vergleiche  man  die 
Kommentare  zu  Gen.  6;  fiir  die  islamische  oben  S.  79. 

Die  spiitere  judisch-christliche  Spekulation  iiber  die  Engel-Ehen, 
das  Tun  und  das  Geschick  der  Engel  auf  Erden,  ihre  vorlaufige  und 
kiinftige  Bestrafung  findet  sich  im  Buche  Henoch,  Kap.  6ff.  Auch 
dort  laufen  schon  verschiedene  Traditionen  durch  einander.  Wichtig 
ist,  dali  Henoch  7,  V.  1  gesagt  wird,  die  Engel  batten  die  Menschen 
in  der  Zauberei  unterrichtet;  das  ist  ja  gerade  der  Punkt,  wegen 
dessen  Muhammed  an  Harut  und  Mfirut  Interesse  hatte.  Nach  dem 
Buche  Henoch  ist  der  Strafort  der  Engel  teils  eine  Wuste,  teils  ein 
Ort,  in  dem  man  deutlich  den  Krater  eines  Vulkans  erkennen  kann. 
Nach  Henoch  ]51f,  leistet  Henoch  selbst  fiir  die  Engel  Fiirbitte, 
wahrend  doch  eigentlich  die  Engel  fiir  die  Menschen  bitten  soUten; 
dieser  Zug  findet  sich  bei  Tabari  IX,  oben  S.  79,  wieder,  geht  also 
in  der  islamischen  tjberlieferung  auch  auf  die  jiidische  zuriick.  Die 
Beziehung  der  Engelgeschichte  zu  Henoch  tritt  auch  noch  in  Tabari's 
Version  VII  hervor,  oben  S.  77,  denn  dort  heiC>t  es,  die  Engel  seien 
zur  Zeit  des  Idrls  (=  Henoch)  auf  die  Erde  gekommen. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  die  ganze  Harut-Mariit-Sage  auf  jiidische 

(oder  jiidisch-christliche)  Vorbilder  zuriickgeht.     Die  Namen  sprechen 

6* 


84  E.  Llttmanu, 

dagegen;  denn  sie  sind  eranisch.  Das  erkannte  Andreas  sofort,  unab- 
hangig  von  Lagarde,  der  bereits  friiher  darauf  hingewiesen  liatte;  vgl. 
Paulus  Boetticher,  Horae  aramaicae,  S.9,  Paul  beIj agarose,  Gesammelte 
Ahliandlungen,  S.  15;  Nestle  in  ZeitscJir.  d.  Deutsch.  Monjenlmid.  Ge- 
sellsch.  55,  S.  692.  Man  setzt  sie  awestischem  harvotdt-  und  amurtdt- 
gleich  (so  ist  nach  Andreas  zu  lesen;  Bartliolomae  hat  in  seinem 
Worterbuch  haufvatdt-,  Sp.  1791,  und  anm-dtdt-,  Sp.  143),  Diese  wurden 
spater  zu  Inirddd  und  niurddd.  Aber  Herr  Siddiqi  teilt  mir  mit,  dafi 
die  jetzt  in  Haiderabad  gebrauchlichen  Monatsnamen  hitrddd  imd  amar- 
dad  gesprochen  werden;  in  dem  zweiten  Namen  scheint  eine  gelehrte 
Uberlieferung  vorzuliegeni).  Die  beiden  Namen  lieiCien  „Ganzheit,  Voll- 
kommenbeit"  und  „Unsterblicbkeit"  (wortlich  nach  Andreas  „Zustand 
des  Nicht-Gestorben-Seins").  Es  unterliegt  wohl  keineni  Zweifel,  daB 
Harut  und  Marut  dem  Namen  nach  auf  das  persische  Engelpaar  zuriick- 
gehen.  Da  TiarvotCd-  und  amurtcd-  eben  auch  oft  zusammen  vorkommen, 
wird  man  in  Marut  nicht  eine  innerarabische  Analogiebildung  zu  Harut 
sehen,  trotzdem  diese  Bildungen  mit  m-  auch  bei  Eigennamen  nicht 
selten  sind. 

Ferner  weist  der  Name  Dunbawand  natiirlich  nach  Mazanderan 
im  nordlichen  Persien,  dem  Geisterlande.  An  den  dort  hausenden 
Zohak  0  I  ahhak)  erinnerte  mich  Andreas.  In  der  Nahe  des  Dema- 
wand  flieM  der  Babul.  An  diesen  denkt  die  Sage  vielleicht,  wenn 
sie  von  Babil  Dunbawand  spricht  (oben  S.  75  u.  79).  Der  Demawilnd 
ist  ja  auch  ein  Krater,  also  wie  bei  Henoch  zum  Aufenthaltsort  von 
Dilmonen  geeignet.  Uber  Zohak  vgk  auch  Taeschner,  im  Islam  YI, 
S.  289  ff. 

Die  Frage,  warum  und  wann  und  wo  die  beiden  Eugel,  die  sich 
irdischer  Liebe  hingeben,  mit  Hurdad  und  Murdad  identifiziert  wur- 
den, sei  den  Eranisten  iiberlassen.  Nach  Tabarl  und  Nisaburi  waren 
es  gerade  die  frommsten  und  vollkommensten  Engel,  die  auf  die  Probe 
gestellt  wurden;  das  konnte  auf  jene  beiden  passen,  kaun  aber  wohl 
bier  nur  in  Ermangelung  genauerer  Kenntnis  als  Grund  angefiihrt 
werden.  Ebenso  bleiben  noch  zwei  andere  Fragen  ungelost:  1)  woher 
die  von  Mirhond  angefiihrten  drei  Engel  stammen;  2)  ob,  wie  Nestle 
a.a.O.  annimmt,  Harut  und  Marut  mit  Hillit  und  Milllt  identisch  sind. 
Neben  Babil  Dunbawand   wird   bei  Tabari    aber   auch  Babil  im 


1)  Vgl.  audi  E.  W.  West,  The  Book  of  the  Mainyo-i-Khard,  1871,  Glossary 
and  Index,  S.  7,  s.  v.  Amerddd.  Die  so'dte  Form  mit  aiilautendem  a  ist  noch  ge- 
nauer  zu  untersucheu. 


Harut  und  Marut.  85 

'Iraq  genannt.  Der  Ziig,  da(5  Hariit  und  Mririit  mit  iliren  Fliigeln 
schlagen,  konnte  auf  irgend  cin  babylonisches  Bildwerk,  das  Zauber- 
wesen  mit  Fliigehi  darstellt,  zuriickgehn;  Sagen,  die  an  alte  Bilder- 
werke  anknupfen,  koramen  oft  genug  vor.  Und  schlieBlich  war  ja 
auch  Babylonien  das  Land,  wo  der  judische  mit  dem  babylonischen 
und  persisclien  Kulturkreis  zusammentraf.  Somit  werden  auch  die 
persischen  Elemente  der  alten  Sage,  ehe  sie  nach  Arabien  kam,  in 
Babylonien  mit  den  jiidischen  eine  Einlieit  eingegangen  sein. 

2.  Zuhra.  Die  Zuhra  ist  bei  Hafiz,  wie  auch  anderswo  im  Mittel- 
alter,  die  Tanzerin  und  Silngerin  des  Himmels.  AuDer  in  dem  oben 
S.  70  angefiibrten  Verse  kommt  sie  nach  des  so  friih  verstorbenen 
Freundes  Veit  handschriftlichem  Hafiz-Index  noch  einmal  vor,  und 
zwar  Brockhaus,  686,  V.  29 

Nach  V.  Rosenzweig-Schwannau  (Bd.  Ill,  S.  471): 

Denn,  laBt  Hafiz  im  trunk'nen  Stande  ertonen  seinen  Saug, 
Griifit  ilm  herab  vom  Hiramelsrade  Sohre  mit  Saitenklang. 

Wenn  also  Zuhra  es  ist,  die  sich  mit  den  beiden  Engeln  in  Liebe 
vereint,  so  ist  im  urspriinglichen  Mytlius  sicher  die  Gottin  „yenus" 
gemeint  gewesen,  moglicherweise  in  einem  Sternenmythus.  Dati  sie 
eine  irdische  Frau  gewesen  sei,  die  dann  an  den  Himmel  geflogen 
ware,  ist  eine  spatere  Umdeutung.  Der  Gledanke,  daB  eine  Buhlerin 
zum  Himmel  emporgestiegen  sei,  ist  dem  frommen  Nisaburi  ein  Greuel. 
Die  Namen  Beduht  und  Anahid  (oben  S.  75)  weisen  wieder  nach 
Persien.  Den  Namen  Beduht  hat  Andreas  —  richtig,  wie  gewohn- 
lich,  —  als  „Gottestochter"  gedeutet  (Zeitschr.  d.  Deutsch.  Morgenh 
Ges.  Bd.  57,  S.  170).  Ubrigens  geht  auch  aus  Qoran  Sure  53  hervor, 
daB  al-'Uzza,  die  altarabische  Venus,  zu  den  „Tochtern  Gottes"  ge- 
rechnet  wurde. 

Nach  jiidischer  Uberlieferung  waren  es  aber  gerade  irdische 
Frauen,  mit  denen  sich  die  Engel  vergingen,  Der  Eintritt  der  Zuhra 
gibt  sich  also  deutlich  als  ein  dem  Mythus  der  Engel-Ehen  fremdes 
Element  zu  erkennen.  Die  Naht  in  der  Geschichte  kennzeichnet  sich 
in  dem  Ausweg,  daB  Zuhra  urspriinglich  am  Himmel  gewesen  sei 
(oben  S.  74,  78,  80). 

Aber  es  muB  eine  Sage  oder  einen  Mythus  gegeben  haben,  nach 
dem  Zuhra-Beduht-Anahid-Ischtar  mit  Engeln  oder  gottlichen  Wesen 
ein  Liebesverhaltnis   einging.     Da  wir  bereits  sahen,  dafi  Babylonien 


86  K-  Littiuauu, 

wahrscheinlicli  das  Ursprungsland  der  Hariit-Mrinit-Geschichte  war, 
so  liegt  es  sehr  nalie,  audi  hier  an  das  Fortleben  eines  babylonischen 
Mythus  zu  denken.  Ein  Mythus,  in  dem  zwei  „Heroen"  mit  der 
Liebesgottin  zusammentreffen ,  hat  bekanntlich  im  Gilgamescb-Epos 
seine  literarische  Auspragung  gefunden;  da  sind  es  Gilgamesch, 
Eabani  und  Ischtar.  Hier  das  Nahere  zu  bestinimen,  muB  ich  natur- 
gemafi  den  „Akkado]ogen"  iiberlassen. 

Nun  sind  es  aber  in  der  Hindustani-Erzahlung  (oben  S.  71  f.) 
Zuhra  und  Mustari,  zwei  Freudenmadchen ,  die  sich  mit  Harut  und 
Marut  zusammengefunden  haben.  Mustari's  Eintritt  in  die  Sage  fallt 
noch  spater  als  der  Zuhra's.  Er  ist  aus  dem  Bedurfnisse  der  Sym- 
metrie  entsprungen.  Wir  haben  im  Orient  nicht  nur  architektonische, 
bildnerische,  metrische  und  graphische  Symmetrie,  sondern  audi  er- 
zahlend-literarisdie.  Den  beiden  Engeln  mufjten  zwei  Freudenmadchen 
entsprechen.  Die  eine  war  Zuhra,  deren  Bild  der  hellste  Stern  am 
Himmel  ist:  was  war  natiirlicher,  als  den  nadisthellen  Stern,  den 
Jupiter,  hinzu  zu  nehmen?  AufJerdem  sind  ja  beide  Gliickssterne; 
Venus  ist  ^-i-^l  kXj»-»>o,  Jupiter  -ySX  o^a^.  Hier  sind  wir  nun  in  der 
glucklichen  Lage,  das  Ursprungsland  dieses  neuen  Sagenelementes 
durch  eine  grammatische  Tatsadie  festzunageln.  Im  Arabisdien  liaben 
alle  Sterne  ihr  bestimmtes  Geschlecht,  nur  Merkur  ist  zweigesdiledi- 
tig;  danadi  ist  Zuhra  weiblich,  al- Mustari  aber  mannlich.  Auch  das 
Hindustani  kennt  ein  grammatisches  Geschledit.  Also  raiissen  Mustari 
und  Zuhra  in  einer  Sprache,  die  kein  grammatisches  Geschlecht 
kennt,  beide  als  Feminina  aufgefaBt  sein.  Und  das  ist  das  Neu- 
l)ersische.  DaB  Mustari  erst  im  Hindustani  seiner  Endung  •%  wegen  als 
weiblich  aufgefaBt  sei,  ist  deswegen  unwahrscheinlich,  weil  dann  Zuhra 
seiner  Endung  wegen  dort  wohl  mannlich  sein  miilite;  auBerdem  gibt  es 
im  Urdu  sowohl  Masculina  auf  -i  wie  Feminina  auf  -a.  Endlich  sei  noch 
bemerkt,  daCi  nach  A.  Siddiqi's  Mitteilungeii  heute  in  Indien  Zuhra 
und  Mustari  haufige  Namen  fur  Tanzerinnen  und  Freudenmadchen 
sind;  Mustari  kommt  daher  fiir  Tochter  guter  Familien  gar  nicht  vor, 
Zuhra  jedoch  hie  und  da,  weil  man  dabei  auch  an  Zahra,  „die 
Glanzende",  den  Beinamen  der  Fatima,  denkt. 

3.  Der  „groGte  Name".  Die  Bedeutung  des  „  Nam  ens"  fiir 
Zauberei  und  Aberglaube  im  Morgenlande  und  im  Abendlande  ist 
genugsam  bekannt.  Wenn  also,  wie  wir  bereits  aus  dem  Henochbuch 
wissen,  die  Engel  den  Menschen  geheiraes  Wissen  und  Zauberkiinste 
raitteilten,  so  war  es  ganz  natiirlich,  da(^  der  geheime  Name  der  Gott- 
heit  auch  mit  dazu  gehorte.     Es  scheint  aber,  dali  dieser  Zug  in  der 


Harut  mid  Marut.  87 

Harut-Marut-Geschichte  erst  spiiter  ist,  da  er  nur  in  wenigen  Versionen 
Yorkommt,  und  da  er  hier  hauptsachlicli  da/.u  dient.  zu  erklaren,  wie 
die  irdische  Zuhra  an  den  Himmel  kommt.  An  und  fiir  sich  hatte 
er,  ebenso  wie  die  Umdeutung  der  Engel  in  Menschen,  auch  unab- 
hangig  einmal  in  der  judisch-christlichen,  ein  ander  Mai  in  der  isla- 
mischen  Sage  liinzukommen  konnen.  Nach  dem  athiopischen  Buche 
Arde'et  („die  Jiinger"),  das  ich  im  Journal  of  the  American  Oriental 
Socieiy  1904,  S.  1 — 48  lierausgegeben  und  iibersetzt  habe,  teilt  Jesus 
selbst  seinen  Jiingern  den  gro&en  Namen  der  Gottheit  mit.  DaC>  man 
durch  Aussprechen  irgend  eines  Zauberwortes  plotzlicb  durcb  die  Luft 
fliegen  kann,  ist  in  Marchen  und  Legende  ein  nicbt  seltener  Fall. 
Der  „groBte  Name"  der  Gottheit  jedoch  muBte  fiir  Hrirut  und  Manlt, 
fiir  Zuhra  und  Mustari,  in  erster  Linie  fur  ihre  Fliegerkunst  in  Be- 
tracht  kommen.  In  modernster  Zeit  hat  aber  auch  in  diese  Phan- 
tasie-Welt  der  Rationalismus  seinen  Einzug  gehalten;  denn  im  Winter 
1914/15  wurde  in  Cairo  erziihlt,  der  von  den  Englandern  abgesetzte 
Khedive  'Abbas  Hilmi  kame  jede  Nacht  mit  einer  Flugmaschine  in 
seinen  Palast  geflogen. 

Zu   der   ganzen  Sage   ist   noch  W.  Bo  us  set,    Die  Religion  des 
Judentums  im  neutestamentlichen  Zeitalter'-,  S.  560,  zu  vergleichen. 


Ob  Mohammed  die  jiidisch-christlich-persische  Geschichte  in  der 
Form,  wie  sie  uns  spater  iiberliefert  wird,  bereits  gekannt  hat,  und  ob 
sie  von  Juden  oder  von  Christen  oder  von  Persern  nach  Medina  ge- 
bracht  wurde,  ist  vielleicht  eine  miiGige  Frage.  Nur  sei  darauf  hin- 
gewiesen,  daB  auch  der  direkte  Weg  vom  persischen  'Iraq  denkbar 
ist,  da  wir  ja  von  einem  persischen  Geschichtenerzahler  wissen,  der 
Mohammed  Konkurrenz  machte  bei  der  Unterhaltung  der  Menge. 

Es  ist  ein  feiner  und  raenschlich  sympathischer  Zug  der  Sage, 
wie  sie  uns  im  islamischen  Gewande  vorliegt,  daC)  die  Engel,  die  sich 
sUndenfrei  fiihlen  und  pharisaisch  auf  die  schwache  Menschheit  hinab- 
sehen,  fiir  ihren  Hochmut  bestraft  werden  dadurch,  daE>  sie,  mit 
menschlicher  Schwache  behaftet,  dieser  auch  nicht  widerstehen  konnen. 
Dieser  ethische  Zug  liegt  dem  urspriinglichen  Mythus  ganz  fern. 

Dem  Manne,  der  wie  kaum  ein  anderer  Gelehrter  den  alten  und 
den  neuen  Orient  kennt,  der  die  Sprachen.  Volker  und  Lander  von 
Indien  bis  Armenien  umspannt,  sei  dies  kurz  angedeutete  Ergebnis 
der  Analyse  der  Geschichte  von  Hariit  und  Marut  ein  Abbild  seiner 
eigenen  weit  umfassenden  Tatigkeit! 

Gottingen.  E.  Littmann. 


EIN  ALTES  PARTICIPIUM  PERFECTI 
IM  GRIECHISCHEN. 


Dafi  im  attisclien  Dialekt  nach  v,  wie  zii  erwarten,  rj,  niclit  a 
purum  steht,  beweisen  vor  allem  die  Ortsnameii:  <PXvrj&tp  CIA  I  299, 
^lvr]6i  ebenda  III  61,  Ei-Qvr/Xog  bei  Thnkydides  [6,97,  7,2.43],  wahrend 
die  epicliorisclie  Namensform  Eurijalus  bei  Liv.  25,  25  aus  Polybius  er- 
lialten  ist,  ferner  "Yrjc,  das  Pliot.  s.  v.  aus  Kleidemos  imd  Aristophanes 
aiiflilirt.  Dazii  kommen  noch  lyyvri,  yvri^  [Eur.  Heraklid.  839  tor 
"AQytkov  yhii'],  vtjvog  und  v/jvelv  bei  Plato,  ebenda  [Tim,  75'^]  audi 
osv/]xooc.  Keine  Gegeninstanz  bildet  qh'-aQog  mit  Ableitungen;  das 
ist,  wie  ff'Xvas  [vgl.  die  Stellen  bei  Kaibel,  poet.  com.  1,  1831]  zeigt, 
ein  dorisclies  Wort,  das  ins  Attische  eingedrungen  ist;  Herodots 
(flvijiiHg  [7,  108]  ist  so  wenig  echtes  loniscli,  wie  ovoh/g  ovahjr  1,  92. 

Infolge  der  hellen  Ausspraclie  des  v  geriet  das  Spracligefiilil  ins 
Schwanken  und  fing  an  a  fiir  /j  zu  setzen.  Spuren  dieser  Unsiclierlieit 
zeigen  z.  B.  die  Handschriften  Arist.  Ri.  1297,  wo  neben  dem  allein 
richtigen  aijtvyg  oijtvag  auftauclit,  ferner  die  Lexika:  Bekk.  AG  47229 
d(pva  xaX  dg)V9],  daneben  473-  chpvag  jrhjd-vrTixfog  ItyovGi,  ojrario')- 
rara  61  clcpvijv  (audi  wir  pflegen  von  den  Sardinen  im  Plural  zu 
reden),  Steph.  Byz.  ^Ivklg  .  .  .  4>XvTjOi:V  .  ra  rojrixa  (pliHcOer  (plvd^t 
(richtig,  da  ein  Ace.  PI.  zu  Grunde  liegt)  <PXv7joiv.  Es  fehlt  aber 
audi  niclit  an  Stellen,  an  denen  t/  als  das  riditige  und  iiberlieferte 
bezeugt  wird:  Phrynich.  Bekk.  AG  55  dsvtj  to  dtrdgov  dice  rov  v  xca 
Tj ,  dlX'  ovx  ogsa  .  xal  osvirov.  Phot.  drpQvyi^  to  iitrkoQor.  Evqi- 
jiidrjg  [Heraklid.  394].  Falsche  (c  sind  endlich  eingedrungen  in  die 
byzantinischen  Kanones,  die  Paroxytona  aufzahlen,  deren  vorletzte 
Silbe  mit  einfachem  r,  d.  h.  niclit  mit  ot  zu  schreiben  sei.  Der  aus- 
fiihrlichste  solcher  Kanones,  den  Lentz  Herodian  nicht  zuschreiben 
durfte,  liegt  vor  bei  Theognost  [Cramer,  AO  2,  106'']:  r«  did  rof  vd 
rjrfc(>    dt'o    ovA?Mi^dg    jiaQo^vrora    did    rov    f    ipiAov    yQdfporrca    oloi^ 


E.  Schwartz,  Ein  altes  Participiuni  perfecti  im  Griechischen.  89 

ost'«  tidog  si'Xo^' '  ^^"^  yovv  ts  civrov  xaraOxivao&t'rTa  due  ror  f/, 
o^vfj  '  oiGvcc  '  y.ojdva  xTjC.  fnjxcoj'oc  y  xtffah'j  '  xccqvcc  '  i^i'a* 
aijcva  ■  OLXva  "  fnXardQva  •  Aarva  /)  jrohg  '  lyvva  '  oQva, 
yiglOTaQxoQ  OvoxtXXti  ro  d  xa)  txrtlrii  to  v  xcu  jiQOjcaQOsvrti 
IvaXXayijr  tovov  jr£jiou]xo')Q,  o'jq  (ptjOw  '^IlQcodiavoq.  Klirzer  AO  2, 
329  =  et.  ra.  p.  770  ^^  tcc  vjiIq  dvo  ovXla^aq  {jiuqosvtovcc)  due  rov  v 
tpiXov  y(>('c(/tTai  oiov  oixva'  xcodva'  i^va'  OiJtva'  xaQva'  drpva, 
Ot]f/cuv8i  dt  rijv  tyyQavhr. 

Falsch  sind  oijn'a  [audi  bei  Phot.  Harp.]  und  df/va,  die  siclier 
als  attisclie  Worte  mit  //  zu  sclireibeu  sind;  die  Differenziernng  von 
osva  und  Ssv?]  ist  ein  Pedanteneinfall.  olova  (vgl.  Apoll.  soph.  p.  119^-^ 
tx  xtjQ  olovac)  wird  durch  Phrynichos  widerlegt  [Bekk.  AG  57]: 
olovov  ovdtTtQcoc  '  ol  dh  O-ijXvxvjc.  XtyovTiq  olova  dianaQxdrovOiv  ' 
oijfiaivei  dh  ()d^dovg  tXcodeic.  Auch  [itXavdQva  ist  falsch  akzentuiert 
fiir  i/sXMv6()ra,  Plural  von  inXdrSQvor.  Dorisch  sind  xaQi'cc,  vgl.  die 
lakonische  Stadt  KaQvai,  und  oixva,  wofiir  nach  Athen.  2  p.  59*"  die 
Athener  xoXMxvvTr/  sagten,  vgl.  I^ixvojv,  oder  alter  ^ixvcov  die 
Gurkenstadt.  Woher  t|t'«,  Nebenform  zu  l^vg,  wie  offQih/  zu  offQvc, 
und  Airrra  aufgelesen  sind,  wei6  ich  nicht;  wenigstens  der  Ortsname 
ist  sicher  nicht  attisch. 

Herodian  behauptete,  da6  in  lyrvti  der  Akzent  'ionisch'  ver- 
schoben  sei,  schol.  N  212  iyrvriv  l<orix<~jq  fartiiaXt  rov  roror,  Ijitl 
TO  dx('))Mvihov  lyvva  Iot'iv,  cog  '^HQcodicawg  li'  xcoi  la  trjg  KadoXov, 
Vgl.  schol.  fp  242  ravra  o  Ilgcodiavbg  tv  rfji  Ta  t/)c  Kad^oX.ov  .... 
(einige  akzentuieren  im  Akkusativ  jrreXet'jv,  und  danach  auch  jtreXe/j) 
xal  dTjXjyv  on  xard  [itTal^oXtjr  rovov  Sojceg  xcu  tJii  rov  ^^XO-t  xar' 
lyvvr]v  ^hiiX^jitrog  \_N  212]  Tijv  [itra[ioXJ]v  rijg  rdoeog  hjtoi^oavro  [so 
ttberliefert].  Wahrscheinlich  verlangte  der  Grammatiker  lyrva  =  r/vvta 
wegen  des  langen  v;  langes  r  und  kurzes  a  deuten  auch  die  Schreiber 
an,  die  Poll.  2,  189  iyrra  fiir  lyrrt/  setzten.  Zweifellos  hielt  Aristarch 
OPYA,  den  Titel  einer  epicharmischen  Komodie  [p.  110  Kaibel],  fiir 
eine  solche  Bildung.  Ob  diese  Auffassung  besser  begrlindet  Avar  als 
die  sicher  verkehrte  Umsetzung  des  fest  bezeugten  iyrvij,  lafit  sich 
nicht  entscheiden;  richtig  ist  sie  fiir  xc'xSnc  (Mohnkopf)  =  xo'jdnn, 
dessen  a  fiir  das  Attische  durch  Inschriften  feststeht  [vgl.  Meisterhans 
§  17];  das  l  des  diphthongischen  vi  wird  in  der  Orthographic  des  4.  Jahr- 
hunderts   auch   im  Partizipium   des  Perfekts  regelmafiig  weggelassen. 

Neben  der  Endung  -via  (=  -usja)  hat  das  Partizipium  des  Perfekts 
im  Dorischen  und  der  Kovvr]  bekanntlich  auch  -tia  (=  -vesja);  ebenso 
steht  neben  xrodvia  die  Form  xojdtia  [,5  499],  aus  der  xokh]  [Bekk. 


90  E.  Schwartz,  Ein  altes  Participium  perfect!  im  Griechischen. 

AG  274  31  =  et.  m.  p.  550  ^j  kontrahiert  ist.  to  -xfodvor  [Theophr.  hist. 
pi.  6,  8^]  diirfte  sekundar  aus  xojdvta  g-ebildet  sein.  Das  Maskulinum 
ist  y.fodcor,  wie  dyc'tv  neben  ayvia;  liier  ist  das  alte  Suffix  -vons 
in  die  Nasalstamme  libergetreten ,  wahrend  in  f/tjXQojg,  das  durch 
tnjTQVKi  in  die  gleiclie  Bildimgsreihe  gewiesen  wird,  der  Nasal 
regular  ausgef alien  und  der  s-Stamm  bewalirt  ist. 

Sowolil  'Ao')6o)v  Avie  xcoSna  weisen  den  hochtonigen  Perfekt- 
stamm  auf;  zu  ihm  g-ehort  audi  der  im  Spricliwort  luoddXov  yoins 
[Hesycli.  Diogen.  5,  G9J  erhaltene  Name;  vgl.  ferner  Suid.  zodaXovyog 
/a'TQor  yfjc.  Die  tieftonige  Form  des  Stammes  ist  in  xadoc,  erhalten. 
Ob  der  hochtonige  Praesensstamm  in  dem  Namen  eines  Sklaven  des 
Hephaestos,  Krjd-aXUov  [Eratosth.  catast.  32.  scliol,  Nic.  Ther.  5]  vor- 
liegt,  will  icli  daliingestellt  sein  lassen. 

StraBburg  i.  Els.  E.  Schwartz. 


ZUR   BEURTEILUNG   DER  AWESTISCHEN  VULGATA. 


Die  scliarfsinnigen  Beobaclitungen  von  Andreas  uber  den  Laut- 
wcrt  der  Zeichen  des  Awesta-Alphabetes  haben  mich  zu  eigenen  Unter- 
suclmngen  angeregt,  die  in  mir  die  tjberzeuguug  gefestigt  haben,  dal) 
Andreas' Entdeckungen  einen  uberaiis  wichtigen  Fortschritt  der  Awesta- 
forschung  bedeuten.  Die  Einwendungen,  die  Bartholomae  (Zum  altiran. 
Worterbuch  6ff.;  WZKM  24,  129 ff.)  und  Reichelt  (WZKM  27,  53 ff.) 
erhoben  haben,  scheineu  mir  keineswegs  geeignet,  die  Ergebnisse,  zu 
denen  Andreas  vor  allem  auf  Grand  palaeograi)hischer  Untersuchungen 
gelangt  ist,  in  Frage  zu  stellen  oder  gar  umzustofien.  Der  ablehnende 
Standpunkt  von  Bartholomae  und  Reichelt  ergibt  sich  mit  Notwendig- 
keit  aus  der  Anschauuug,  daB  der  aus  einer  groBen  Zahl  von  Hand- 
schriften  hergestellte  Text  fur  uns  maCigebend  sei  und  dafi  im 
allgemeinen  Eiustimraigkeit  der  Uberlieferung,  die  Haufigkeit  des  Vor- 
kommens  einer  Lesung  oder  auch  die  Lesungen  der  „besten"  Hand- 
schriften  entscheiden.  Es  wird  nur  eingeraumt,  daS  die  iiberlieferten 
Texte  sine  grolie  Anzahl  von  fehlerhaften  Schreibungen,  von  ,,Ab- 
kiirzungen  und  anderen  die  Aussprache  verdunkebiden  Schreibungen" 
aufweisen,  die  sich  groBtenteils  aus  dem  Umstande  erklaren,  daft  die 
awestischen  Texte  urspriinglich  in  einem  .,,weniger  ausgebildeten"  Al- 
phabet niedergeschrieben  waren  (Brthl.  Grundr.  I,  153  f.;  Reichelt, 
Awest.  Elementarb.  30).  Die  Untersuchungen  von  Andreas  und  Wacker- 
nagel  haben,  wie  ich  glaube,  den  Beweis  erbracht,  dali  der  nach  den 
Grundsatzen  wissenschaftHcher  Textkritik,  vielfach  aber  auch  nach 
subjektivem  Ermessen  hergestellte  Text  in  zahllosen  Fallen  irrefuhrend 
ist,  da(-)  in  die  Zahl  der  durch  §  268  des  Grundrisses  und  durch  das 
Altiran.  Wtb.  approbierten  „ Schreibungen  und  die  urspriingliche 
Aussprache  verdunkelnden  Abkiirzungen"  auch  viele  Formen  einzu- 
beziehen  sind,  aus  denen  man  eine  Reihe  von  Lautgesetzen  abgeleitet 
hat,  und  da(i  die  —  vielfach  falschlich  behauptete  —  Regelmaftigkeit, 
rait   der    gewisse   lautliche  Erscheinungen  auftreten,   nichts  weiter  ist 


92  Beruliard  Geiger. 

als  eine  RegelmaCiigkeit  der  Sclireibung.  Bleiben  auch  inlblge  der 
Uuzuverlassigkeit  der  Uberlieferung  manche  Einzelheiten  zweil'elliaft, 
so  steht  doch  das  Verfahren,  das  Andreas  iind  Wackernagel  ein- 
geschlagen  haben,  um  den  urspriinglichen  Text  zu  gewinnen,  auf  einer 
festeren  Grundlage  als  die  bisherigen  Methoden,  weil  es  audi  den 
Eigentiimlichkeiten  des  dem  Awesta-Alphabet  zugrunde  liegenden  ara- 
maischen  Schriftsystems  i)  Rechnung  tragt  und  so  eine  groCie  Zahl  von 
imwahrscheinlichen  Erklarungen  durcli  oft  recht  weit  hergeholte  sprach- 
liche  Analogien,  diircli  Lautausgleichungen,  durch  Annahme  von  Neu- 
bildungen  u.  a.  m.  entbehrlich  macht.  Niir  durch  dieses  Verfahren  hxssen 
sich  unter  anderem  diejenigen  „Schreibungen",  welche  nicht  als  Versehen 
der  Abschreiber  gedeutet  warden  konnen,  sondern  schon  von  den 
Transkriptoren  herriihren  miissen,  in  einwandfreier  Weise  erklaren. 
Daraus,  dafi  solche  Irrttimer  der  Transkriptoren  sich  in  groBer  An- 
zahl  schon  in  den  Ghathas  finden,  ergibt  sich  zur  Geniige,  daf5  es  um 
die  von  Reichelt  behauptete  „wortgetreue"  gedachtnismafiige  Uber- 
lieferung der  heiligen  Worte  des  Propheten  schlecht  bestellt  ist.  Da- 
gegen  kann  der  Umstand,  daCt  der  „Frahang  i  oim"  noch  zwischen 
der  Schreibung  yd  der  Ghathas  und  der  Schreibung  yb  des  jilngeren 
Awesta  zu  unterscheiden  weiB,  nicht  ernstlich  geltend  gemacht  werden. 
Denn  der  Frahang  hat  im  iibrigen  die  Irrtiimer  der  Transkriptoren 
des  Awesta  „wortgetreu"  iibernommen.  Zudem  beweist  die  scharf- 
sinnige  und  einleuchtende  Erklarung  einzelner  Zeichen  des  Awesta- 
Alphabetes,  die  wir  Andreas  verdanken,  daB  die  iiberlieferten  Awesta- 
texte  tatsachlich  als  eine  Umschrift  durch  Transkriptoren  anzusehen 
sind,  die  in  die  Form  en  der  alten  Sprache  vielfach  diejenigen  Laut- 
werte  eingesetzt  haben,  welche  sie  in  ihrer  eigenen,  siidwestiranischen 
Mundart  vorfanden. 

Der  Standpunkt,  den  Andreas  und  Wackernagel  vertreten,  wird 
schlieCdich,  wie  ich  besonders  betouen  mochte,  auch  durch  eine  kri- 
tische  Prilfung  der  handschriftlichen  Varianten,  die  unverdientermalien 
ein  unbemerktes  Dasein  im  „Apparat"  fristen,  in  oft  tiberraschender 
Weise  gerechtfertigt.  Ich  hoffe,  die  Ergebnisse  soldier  Untersuchungen 
in  absehbarer  Zeit  vorlegen  zu  konnen.  In  diesem  notgedrungen  kurzen 
Beitrag,  den  ich  meinem  hochverehrten  Lehrer  darbringe,  konnen  nur 
einige  ausgewahlte  Beispiele  gegeben  werden. 


1)  Reichclt  gegeuuber  sei  betont,  dafi  das  urspriingliclic  Alphabet  zweil'el- 
los  oin  arainaisclies  gewesen  ist.  Dies  wird  durch  die  Schriftgeschichte  und  uiclit 
etwa  durch  Zeugnisse  der  —  Parscntradition  bewiesen. 


Zur  Beurteiluiig  der  awcstisclieu  "\'ulgata.  93 

I.    Die  Zeicheu  ^,  -^  unci  aj^  . 

Zu  den  wichtigsten  palaeographischen  Beweiseii  fiir  die  Richtig- 
keit  der  Theorie  von  Andreas  gehort  das  Zeichen  ^*o,  das  Andreas 
als  Ligatur  aus  im,  der  mitteliranischen  Entsprechung  von  iudo- 
iranisch  rt,  gedeutet  hat.  Demgegeniiber  haben  Bartliolomae  (Zuni 
airan.  Wtb.  8)  und  Reichelt  (WZKM  27,  58)  aus  der  Proportion 
rk,  ri):  hrk,  hrj)  =  rt:  S  fiir  s  den  Lautwert  hrt  erschlossen  und  l)e- 
hauptet,  dafi  wj  sicli  tatsachlicli  in  die  Elements  hrt  zerlegen  lasse. 
In  Wirklichkeit  ist  diese  Deutuug  palaeograpbisch  ganz  undenkbar. 
Dalj  das  Zeichen  auf  ein  r  und  ein  t  ausgehen  konnte,  ist  vollstiiudig 
ausgeschlossen.  Auch  die  iibrigen  palaeographischen  Bemerkungen  von 
Reichelt  sind  hochst  anfechtbar.  Der  „Querstrich"  in  dem  Zeichen 
dient  ebensowenig  wie  in  dem  Pilhlavl-ldeogramm  uj  (]"'2)  dazu,  die 
Ligatur  als  „Einzellaut"  zu  kennzeichnen.  Ich  nehme  an,  daB  er  in 
>H^  ein  untergeschriebenes  1  ist^).  Die  Erkliirung  von  Andreas,  dali 
dieses  Zeichen  nur  wegen  seiner  Ahnlichkeit  mit  dem  wirklichen  ^--Zeichen 
(J^)  mit  diesem  verwechselt  worden  ist,  ist  durchaus  einleuchtend. 
Davon,  daI5  nur  J^  {^)  urspriiuglich  zur  Bezeichnung  von  d  gedient 
haben  kann,  iiberzeugt  man  sich  leicht  durch  einen  Blick  in  Eutings 
vortreffliche  „Tabula  scripturae  aramaicae"  zu  Chwolson,  Syr.-nestor. 
Grabinschr.  (Petersb.  1890).  Auch  der  Umstand,  dafi  in  Ligaturen 
(^00  ^isw.)  nur  J^  vorkommt,  verdient  Beachtung. 

Das  Zeichen  aj^  ist,  wie  Andreas  festgestellt  hat,  teils  Ligatur 
aus  J(_5  und  ^  (>•  und  k),  teils  Ligatur  aus  ,y  und  ij  und  wird 
in  der  zweiten  Bedeutung  vor  Iblgendem  y  geschrieben,  obwohl  ein  // 
sclion  in  der  Ligatur  entbalten  ist  2);  die  Handschriften  bieten  aber 
noch  haufig  die  ursprungliche  Schreibung  aJ(^  ohne  folgendes  y  (JJ). 
Die  Annahme,    dafi  44(^  bestimmt  sei,    einen  phonetisch  (und  etyrao- 


1)  Der  „Q,uerstricli"    in    uj^    sollte  nicht  mit  dem   der  Zeichen    u   und  jaj 

zusammengeworfen  werden.     Das  gelit  sclion  aus  der  alteren,  von  Andreas  (Hanib. 
Or.  Kongr.  102)    wiedergegebeuen,   in  Handschriften  haufig  vorkommendeu  Form 

des  Zeichens   jm   liervor. 

2)  Es  liegt  also  einer  der  interessanten  Fiille  von  Buchstabenhaufung  vor, 
auf  die  Andreas  aufmerksam  gemacht  hat.  Diese  Eigentiinilichkeit  der  Schreibung' 
niufi  auch  l)ei  der  Beurteilung  auderer  .,Lautgesetze"  beriicksichtigt  werden. 


94  Bemhard  Geiger, 

logisch)  von  .^  =  J^  verschiedenen  8-Laut  darzustellen  (Grundrifi  I,  153 
iind  102;  Element arb.  29),  ist  somit  unlialtbar.  Die  Schreiber  haben 
^1(5  bekanntlich  vielfach  nicht  nur  mit  ^(j,  sondern  aiich  mit  der  von 
ihnen  als  n  gedeuteten  Ligatur  >^  verwechselt.  Denselben  Fehler 
begehen  Bartholomae  und  Eeichelt,  wenn  sie  (Grundr.  I,  38;  Elemen- 
tarb.  85)  annebmen,  dali  im  Satzanlaut  und  bei  aso  („scblecbter" : 
Y.  59,  31,  gegeniiber  gAw.  ahjd)  aucb  im  Inlaut  iran.  ^l  zu  aw.  x 
warden.      So   korrigiert  Bartbolomae  Y.  60,  11    (=  71,  29)    sydto  mit 

Berufung  auf  Pt4  in  Mto^  obwobl  Pt4  in  l)eiden  Stellen  4^''^3-H3'  ^1^^ 
sydto  bat.  Nur  einige  wenige  Hss.  bieten  oauji^,  die  meisten  baben 
°jLujj^a(^j  einige  °jujjjj(^.  Vsp.  7,  3  haben  alle  Hss.  ^^^iut^ ,  aber 
im  Vend,  sade  scbreiben  zwei  Hss.  °ijjjjaj^.    Alle  iibrigen  Ableitnngen 

von  6'//a-  werden  durcbwegs  mit  °ii^  geschrieben.  Aucb  auf 
u^^jjj»ii>H^  im  Y.  29,  3  (Varianten  mit  ^(j)  wird  man  das  „Laut- 
gesetz"  nicht  stiitzen,  wenn  man  erwagt,  dali  fiir  JAu»jjjjAJi^  in  Y.  33,  8 

die  Varianten  die  Schreibungen  °JJJ(^,    "JAJ^,    Jjw»jj>^und  jau».uj^ 

(so  Pt4  u.  a.)  bieten  i),  In  alien  Fallen,  in  denen  nur  J^  oder  >vj 
geschrieben  wird,  ist  demnach  fehlerhat'te  Schreibung,  vielleicht  aucb 
Beeinflussung  der  Schreiber  durch  den  sicherlich  nachawestischen 
Wandel  von  sy  zu  6'  anzunehmen-). 

II.    Das  Zeichen  p. 

Auf  die  Erklarung  dieses  Zeichens  ist,  wie  mir  scheint,  viel  Scharf- 
sinn  nutzlos  verwendet  worden.  Aucb  bei  diesem  Zeichen  erweist  sich 
die  Annahme,  dati  die  Parsenpriester  dank  ihren  „sprachwissenschaft- 
lichen  Kenntnissen"  durch  regelmafiig  an  bestimmten  Stellen  wieder- 
kehrende  Schreibungen  bestimmte  phonetische  Eigentiiralichkeiten  zum 
Ausdruck  bringen  wollten,  als  vollkommen  irrig.  Am  deutlichsten 
wird  dies  durch  das  Zeichen  m»  bewiesen,  das  mit  Vorliebe  vor  folgen- 
dem  y  geschrieben  wird,  und  das  nicht  —  Avie  Grundr.  I,  153;  Elemen- 
tarb.  29    und    sonst   noch    angenommen  wird  —    „eine  nicbt  genauer 


1)  Andreas   und  Wackernagel    liaben    also  (Nachr.  GilU.    Ges.  d.  Wiss.  liMl, 
ii72j  ndt  Kecht  das  y  eiugesetzt. 

2)  Klieuso  wii'd  audi  iiber  den  angebliclien  awestischon  Wauilel  von  fit/  zu  .s 
(Brtlil.  und  Reicbelt,  11.  cc.)  xu  urteilen  seiu. 


Zur  Beurteilung  cler  awestischeu  Vulgata.  95 

bestimmbare  Modifikation  ties  It  vor  ?/",  sondern  zweifellos  Ligatur 
aus  in  ist,  die  zu  einer  Zeit  fur  h  (H)  eiugesetzt  wurde,  in  der  hv  {yy) 
zu   X  geworden  war.     Es  ware  nun  denkbar.    dafi  das  |a,    das  —  wie 

Andreas    festgestellt  hat  —  ebenso  wie  O^uud  (o  auf  n  zuriickgeht 

und  vor  allem  fast  regelmiiftig  im  Auslaut  ersclieint,  von  den  Tran- 
skriptoren  im  Sinne  eines  5  fiir  auslautendes  awestisches  t  eingesetzt 
worden  ist,  weil  dieses  in  ihrer  Sprache  zumeist  zu  o  geworden  war. 
Im  Pahlavi  der  Biicher  wird  umgekehrt  fiir  o  „historisch"  t  geschrieben. 
Ich  zielie  es  jedocli  vor,  u  als  Finalbuchstaben  zu  co  zu  be- 
trachteu,  der  irrtiimlich  aulierdem  im  Inlaut  fiir  0  und  o  und  im  An- 
laut  fiir  6  (tbaesah-  usw.)  oder  ganz  unbereclitigt  (tkaeSa-)  geschrieben 
wurde.  Wenn  nach  S  und  s  nicht  p,  sondern  ^  erscheint,  so  liegt 
dies  daran,  da(i  fiir  H  und  st  die  Ligaturen  ^^yij  und  ^^  (wie  die 
Handschriften  zeigen)  verwendet  wurden.  Fragt  jemand  etwa,  warum 
man  gerade  fiir  t  einen  Finalbuchstaben  verwendet  haben  sollte,  so 
weise  ich  darauf  hin,  daB  die  aramaische  Schrift  just  fiir  D,  0,  i,  D 
und  5J  (und  fur  keinen  anderen  Buchstaben)  im  Auslaut  die  Final- 
buchstaben "7,  D,  ],  f]  und  Y  gebraucht,  die  iiberdies  die  alteren  Zeichen 
sind  (Lidzbarski,  Nordsemit.  Epigraphik  I,  191). 

III.    Zu  (leu  awestischen  Vokalzeiclien. 

Bei  der  Beurteilung  der  iiberlieferten  Vokale  darf  man  —  es  ist 
dies  eine  selbstverstandliche  Forderung  —  nicht  vergessen,  den  Eigen- 
tiimlichkeiten  des  aramaischen  Schriftsystems  Rechnuug  zu  tragen. 
Nur  dann  versteht  man  z.  B.  Schreibungen  wie  guhodum  und  ha^Blm 
fur  nmti'15  und  DTin,  d.  i.  "hi(d)m  und  "bi/(d)m.  Dann  wird  man  aber 
auch  nicht  zu  dfdntdm  (DinilD^X  „Avasserreich"')  einen  Stamm  dfant- 
ansetzen  und  iran.-awest.  „Nullstufe"  zu  ar.  u  (Grundr.  1,29;  Elementb. 
71)  annehmen.  Das  a  ist  hier  ebensowenig  IS^uUstufe  zu  n  wie  etwa 
das  u  in  tdmcujituntdm  (Diniimo'in),  das  fiir  t9nia)dJiv(d))itdtn  geschrieben 
wurde.  In  diesen  und  zahllosen  anderen  Fallen  wurden  1  und  %  weil 
diese  nicht  nur  zur  Bezeichnung  der  Halbvokale,  sondern  auch  als 
matres  lectionis  fiir  die  entsprechenden  A^okale  dienten,  und  weil  im 
Urtext  die  Vokale  hinter  1  und  ■•  nicht  ausgedriickt  waren,  falschlich 
durch  Vokalzeichen  transkril)iert.  Auch  dort,  wo  1  mater  lectionis 
fiir  Vokale  ist,  wird  bekanntlich  bald  d,  bald  ii  geschrieben.  Hierher 
gehort  die  von  Bartholomae,  Airan.  Wb.  mit  einem  Fragezeichen  rer- 
sehene  Form  niarozi/aiiind,  die  fiir  mdresydmna  (und  nicht  nidrezi/amna, 


96  Bei'iiliard  Geiger;  Zur  Beurteiluiig  der  awestisclien  Yulgata. 

wie  Geldner   zu   den  Varianten   vermutet)    steht  und   „die  geputzten" 
(Frauen)  bedeutet,  wie  Agni  R.Y  X,  69,  7  nfbhir  mrjydmanah  lieil.it. 

Das  1  des  Urtextes  bezeichnete  bekanntlich  sehr  haufig  auch  den 
Diphthong  an,  der  in  der  Yulgata  gewohnlich  als  ao  erscheiut.  Daher 
kommt  es,  dafi  in  einer  Reihe  von  Fallen  ft  fur  ao  und  umgekehrt  ge- 
schrieben  wird.  Dies  gilt  einerseits  z.  R.  auch  fiir  kdrduusi  (2.  sing.), 
das  als  Bildung  aus  dem  schwachen  Stamm  (Grundr.  I,  203)  schlecht 
erklart  ist,  da  alle  anderen  starken  Formen  dieser  Wurzel  aus  dem 
starken  Stamm  gebildet  werden,  andrerseits  fiir  Bildungen  wie  a^ivi.drao- 
Xoo  (Yt.  10,  17),  das  nicht  Part.  fut.  pass.  (Airan.  Wtb.)  ist,  zumal  da 
einige  Hss.  u  fur  ao  bieten,  fiir  mraotd  (2.  pi.),  sraotd  (Nachr.  Gott. 
Ges.  W.  1911,  13f.j  u.  a.  m.  Hierher  gehoren  m.  E.  auch  gukiijat- 
U'/Zo  (Yt.  13,  16,  wo  eine  offenbar  nicht  ganz  „geringwertige"  Us.  gao" 
hat),  ''radoijata  (Y.  44,  20;  und  '*rripai/ehiti  (Y.4S,  10).  AYas  das  letzte 
Wort  betriflt,  so  sei  hier  bemerkt,  dafi  es  gewilj  nicht  mit  ai.  rfifpd- 
und  rupayati  verwandt  ist,  wie  Airan.  Wtb.  gegen  Grundr.  I,  195  an- 
nimmt.  Abgesehen  davon,  dafi  alle  Bedeutungen  von  ai.  rupd-  von 
der  Bedeutung  „betrugen"  sehr  weit  entfernt  sind,  ist  es  nicht  eben 
wahrscheinlich,  dafi  die  „Karapans"  durch  den  Rauschtrank  „betriigen" 
wollten.  Geldners  Ankniipfung  des  Wortes  an  ai.  rupyati  (KZ.  30,  530) 
triift  gewili  das  .Richtige.  Zur  Begriindung  dieser  Auffassung  weise 
ich  darauf  hin,  da6  rupyati  nicht  „krank  sein"  bedeutet,  sondern,  wie 
das  Petersb,  Wtb.  richtig  angibt,  sich  auf  das  ,,Rei&en'-  im  Leibe, 
und  zwar,  wie  die  dort  zitierten  Stellen  zeigen,  nacli  dem  Genusse 
von  Gift  bezieht.  Beachtenswert  ist  insbesondere,  daC»  Ath.  V.  4,  6,  3 
Kausativformen  von  rup-  und  mad-  (also  ..Reiljen  verursachen"  und  ,,be- 
rauschen,  betauben'-:  vom  Gift)  nebeneinder  stehen,  wie  Ath.  Y.  9,  8,  19 
maddyatdi  neben  ropanCis.  Durch  den  Rauschtrank  {mada-)  verur- 
sachen die  Karapans  also  Reifjen  (im  Leibe)  gleichwie  durch  einen 
Gifttrank.  Ich  nehme  demnach  an,  dalo  das  a  des  awestischen  Wortes 
fillschlich  fur  ao  geschrieben  ist,  wiewohl  mir  bekannt  ist,  dali  auch 
im  Altindischen  Kausativformen  von  einer  und  derselben  Wurzel  mit 
und  ohne  Guna  vorkommen.  Bartholomae  halt  die  Liinge  des  d  unserer 
Kausativformen  fur  „wesentlich"  und  nimmt  an,  "f«j>°  neben  ai.  rupyati 
sei  Neubildung  nach  Mustern  wie  ai.  tdpyati  itdpdyati  (Grundr.  I,  195). 
Das  wird  wohl  noch  mancher  andere  aulier  mir  fiir  mehr  denn  un- 
wahrscheinlich  halten. 

Vieles  andere,  insbesondere  kritische  Bemerkungen  iiber  a  und  « 
der  Yulgata,  muii  ich  fiir  spater  aufsparen. 

Wien.  Bernhard  Geiger. 


VERWECHSLUNG  VON  H  UND  ^  IM  AWESTA. 


Y.  32.  14:f.  liahen  Andreas  imd  AVackeruagel  (Nachrichten  der 
Gottinger  Gesellschal't  d.  Wiss.,  Pliil.-hist.  Kl.  1913,  385)  im  „i:rtext" 
Jui'voi  statt  (v'vo  eingesetzt  imd  iibersetzeu  ,,bei  der  Kelterung".  Der 
Zusammenbang  laiit  eineii  derartigen  Sinn  erwarten,  und  die  zwiefache 
Verderbnis,  die  damit  in  dem  uberlieferten  avo  angenommen  wird,  lafit 
sicli  erklaren  aus  Angleichung  an  das  richtige  avo  „zu  belfen"  am 
Ende  der  Zeile  ''.  Diese  Angleichung  ist  eine  doppelte:  einerseits  in 
der  Endung,  die  so  zu  reimender  Ubereinstimmung  gebracht  ist,  andrer- 
seits  im  Anlaut,  wo  av-  statt  hav-  nicbt  eigentlich  eine  Textverderbnis 
zu  sein  braucht,  sondern  nur  eine  —  durch  das  vorberige  av-  besonders 
nahegelegte  —  Verlesung  des  annahernd  oder  vollstandig  gleichen 
Schriftbildes.  Denn  in  der  unserer  Vulgata  zugrund  liegenden  Text- 
form  sahen  N  und  n,  die  am  Anfang  der  Worter  a'^vo  und  lia-^vol  standen, 
annahernd,  wenn  nicht  vollkommen  gleich  aus.  Zwar  sind  diese  beiden 
Zeichen  sowohl  auf  den  arsakidischen  wie  auf  den  sassanidischen  In- 
schriften  nocli  deutlich  zu  unterscheiden  («  ars.:  iJ  sass.:  ^J,  n  ars.:  N 
sass.:  jyj),  und  "wir  konnen  auch  nicht  geradezu  behaupten,  daS  im 
anzunehmenden  arsakidischen  Text  des  Awesta  der  im  Buchpahlavi 
vollzogene  Zusammenfall  beider  Buchstaben  schon  angebahnt  war. 
Wir  miissen  jedoch  vor  der  endgiiltigen  sassanidischen  Redaktion  des 
Awesta,  fur  die  das  mit  zahh-eichen  Vokalzeichen  und  reich,  ja  iiber- 
reich  mit  ditferenzierten  Konsonantenzeichen  versehene  Awestaalphabet 
geschaffen  wurde,  eine  Ilmschrift  des  arsakidischen  Awesta  in  dem- 
selben  Schriftsystem  (Pahlavi),  jedoch  in  sassanidischem  Ductus  an- 
nehmen.  Von  den  Formen  dieser  Schrift,  des  iilteren  sassanidischen 
Pahlavi,  haben  wir  jetzt  durch  den  sassanidischen  Pilhlilvipsalter  eine 
hinreichende  Anschauung  bekommen,  und  in  diesem  Psalter  sind  K 
und  n  zwar  noch  nicht,  wie  im  zarathustrischen  Buchpahlavi.  vollstandig 
zusammengefallen,  aber  einander  doch  schon  sehr  angeahnlieht,  und 
zwar  gibt  es  da  von  n  zwei  Eormen,  eine  altertumlichere  s\j  und  eine 
kursivere  a,  welche  letztere  mit  tS  jj  schon  fast   ganz  gleich  ist.     So 

Andreas -Festschrift.  / 


98  H.  Lommei, 

ist  es  denn  kaum  eine  Konjektur  zu  nennen,  sondern  eiiie  zwar  von 
der  Transkriptorentradition  abweichende,  aber  auf  dem  arsakidischen 
Text  fu(5ende  Lesung,  wenn  wir  in  der  Weise  wie  bei  a'^vo:  ha-'-'vo(i) 
Y.  32,  14  einem  ansclieinend  vokalisch  anlautenden  Wort  /i-Anlaut 
zuerkennen,  oder  umgekehrt.  Es  ist  fast  ubeiJlussig  ausdrllcklich  her- 
vorzuheben,  daft  dabei  jeder  andere  vokalische  Anlaut  ebenso  in  Be- 
traclit  kommt  wie  a-.  Denn  in  alien  Fallen  stand  ja  «  als  spiritus 
lenis,  gleichviel  ob  ^  oder  1  als  mater  lectionis  zur  Bezeichnung  der 
yokal-(Diphthong-)farbung  folgte  oder  nicht. 

Zu  diesem  Verfahren  sind  wir  um  so  raelir  berechtigt,  als  wir 
sehen,  dali  beides,  die  Deutung  als  «  und  die  Deutung  als  n,  ofters 
nebeneinander  in  der  Vulgattiberlieferung  vorliegt.  Die  Verlesung  lag 
besonders  nahe,  wenn  Worter  mit  vokalischem  oder  /t-Anlaut  in  der 
Sprache  vorhanden  waren.  So  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn 
statt  des  seltenen  haem  „Eigenscliaft,  Naturanlage"  i)  Vend.  13,  44 f. 
in  einigen  Handschriften  das  gelilufige  aem  d.  i.  o/'^yom  „dieser"  steht.  — 
Ahnlich  verlialt  es  sich  mit  ha^d-rd-^  „auf  einmal"  und  a^'d-ra-^'  „dort''. 
Vend.  17,  5  hat  Mf  2  haO-ra  anstatt  ad-ra.  Diese  Handschrift  bietet 
ha&ra  auch  Vend.  5,  19  und  Y,  10,  11,  je  zusammen  mit  noch  einer 
anderen  Handschrift,  an  Stelle  von  ad-ya.  Dieses  ist  auch  das  Ricli- 
tige  Vend.  2,  25 ff.    Da  heilJt  es:    „mache  eine  Umwallung,  .  .  .  dorthin 

(had-ra)  bringe  einen  Stamm  von  Kleinvieh  und  Grof5vieh  (25), 

dorthin   (ha&ra)   leite  AVasser, dort   (hcUhra)   lege  Wiesen   an, 

dort  (had-ra)  baue  Hauser  (26), dorthin  (ha&ra)   bringe 

einen  Stamm  von  alien  Mannern  und  Frauen, dorthin  (hadra) 

bringe  einen  Stamm  von  alien  Tierarten  (27), dorthin  (JiaOnt) 

bringe  den  Samen  von  alien  Pfianzen, dorthin  (ha&ra)  bringe 

den    Samen    aller   Nahrungsmittel (28).     Dort   (ad-ra)   sollen 

nicht   sein (allerlei    Bresthafte) (29)."     Es   ist   nicht   zu 

leugnen,  daft  der  Begriff  von  ha'&nV  „insgesamt,  zu  gleicher  Zeit" 
an  einigen  dieser  Stellen  sich  einfiigen  liefte:    „Dorthin  bringe  einen 


1)  Icli   umschreibe  ■^U^J^O'     "^    ^'^^^    herkommliclien    Weise,   da    es    niclit 

moglich  ist,  die  altawestische  'Lautibrm  anzugebeu.  Der  arsakidische  Text  hatte 
DTI,  also  genau  dasselbe  wie  die  Pahlavischreibung,  wo  xem  zu  lesen  ist.  DaI5  mittel- 
persisch  xem,  ncupersisch  sdm  niclit  auf  einen  awest.  nom.  sg.  \iiv*]icv^yom  von 
einem  Stamnie  '^har'yo-  zuriickzuflihren  sei,  hat  Hiibschmann  Pers.  Stud.  59  riclitig 
gesehen,  aber  nicht  die  Folgerung  aus  der  uuleugbareu  fUeichheit  von  aw.  haeni  und 
mp.  np.  xetn  gezogen,  dafi  nainlich  ini  Awesta  ein  endungsloser  Stamm,  also  eine 
mitteliranischc  Form,  vorliegt,  wie  das  in  di-n  jiingsten  Teilen  des  Awesta  nicht 
selten  ist. 


Vcrwcclisliing  voii  n  and  N  iiu  Awesta.  99 

Starara   von   Mensclien, dorthin   bringe   zugleich    auch    eineu 

Stamm  von  alien  Tier-  unci  Pflanzenarten,  etc.",  jedoch  ist  daneben 
die  Ortsbestimmung  kaum  zu  entbehren,  die  in  25.  26  Anfang  zweit'el- 
los  in  dem  haO-ra  steckt  und  in  29  als  a&ra  iiberliefert  ist.  Uber- 
haupt  sind  die  Falle  unter  sich  so  gleichartig,  dali  die  verschiedenen 
Schreibungen  had-ra  und  aO-ra  als  Varianten  desselben  Wortes 
gelten  konnen,  wenngleich  an  jeder  einzelnen  Stelle  nur  eine  Form 
vorkommt  1).  Schwanken  kann  man  in  Bezug  auf  die  Lesung  Yt.  13,  49, 
wo  jede  der  beiden  Formen  von  einer  Gruppe  von  Handschriften  ge- 
boten  wird.  In  der  Neuausgabe  bat  Geldner  jetzt  adra  recipiert'-). 
K.  Z.  25,  541.  558  iibersetzt  Geldner  jedoch  hafd-rd\  und  dieser  Auf- 
fassung  ist  dem  Zusammenhang  nacb  wohl  der  Vorzug  zu  geben.  Es 
handelt  sich  uiclit  um  eine  bestimmte  Ortliclikeit,  woraut"  sich  ft'i^-ra'' 
beziehen  konnte,  sondern  das  Wesentliche  ist,  dafi  alle  Schutzgeister, 
die  zum  Fest  gerufen  werden,  zusammenkommen.  Ahnlich  steht  es 
Yt.  19,  69,  wo  dem  adra,  das  mehrere  Handschriften  bieten,  ha&ra  in 
D  und  ha&re  in  J  10  gegeniiber  steht.  Wohl  wegen  der  Autoritat 
der  besseren  und  mehreren  Handschriften  hat  Geldner-)  uihra  vor- 
gezogen.  Die  Awestaiiberlieferung  ist  aber  derart,  dali  wir  gegeniiber 
der  Masse  der  Varianten  eklektisch  verfahren  und  das  Gute  nehmen 
miissen,  wo  wir  es  finden.  Dabei  wird  man  nun  gerade  finden,  dali 
J  10,  mit  welcher  Handschrift  D  oft  zusammengeht,  hiiufig  sehr  gute 
Lesarten  bewahrt.  So  glaube  ich  auch  hier,  dad  haS'ra,  worauf  diese 
beiden  Handschriften  fiihren,  das  Richtige  ist.  Im  vorhergehenden 
Abschnitt  (68)  wird  namlicli  dem  Fluli  Haitumant  besondere  Starke 
zugesprochen,  und  die  Kraft,  vermoge  der  in  ihm  wohnenden  Konigs- 
gewalt  die  nichtarischen  Volker  auf  einmal  (ha'Jca-H)  fortzuschwemmen. 
„Sie  alle  zusammen  (ha'd-riV)  wiirden  dann  weggerissen"  •'•)  schliefit 
sich  daran  unmittelbar  und  sinngemaft  an,  wahrend  a'^dra-^  „dort"  olme 


1)  So  iibersetzt  Gekliier  K.  Z.  25,  188  uml  gibt  elienJa  8.  381  ausdriicklich 
a&ra  als  \^(aria)  l(ectio)  an.  In  der  inHien  Ausgabe  aber  ist  diese  Variante  iiicht 
l)eg"laubigt. 

2)  Bartholomae  folgt  ilim  dariii. 

3)  Ich  lialte  va-'-'vztrom  (oder  va-^iizJrom,  ttlinn)  fiir  Opt.  Perf.  im  Sinne  des 
Conditionalis  (vgl.  Reiclielt,  Aw.  Elementarbuch  S.  323),  wie  schou  Geldner,  Drei 
Yaslit  S.  44  tibersetzte.  Die  Sekundarendung  -rohi  ist  im  Opt.  Perf.  ebenso  be- 
rechtigt,  wie  im  ved.  Plusquamperfekt  asasrgram.  Bei  dieser  Auffassung  maclit 
das  t  keine  Scliwierigkeit,  wahrend  der  „Bindevokal"  i,  den  Bartholomae  A.  F.  II  97. 
Gruudrifi  ir.  Phil.  I  1,  87  darin  erkenneu  will,  im  Iranischen  keine  Stiitze  findet. 
Die  Erkenntnis,  dafi  es  sich  um  eine  Form  des  Porfektstamms  von  vaz-  handelt, 
stammt  von  Bartholomae  A.  F.  T  135. 


100  H.  Lummoi, 

vorherige  lokale  Bestimraung  vollig  ziisammenhangslos  dastunde.  — ■ 
Yt.  10,  117  ist  statt  omohyo  (amahe)  a-'^i/m  zu  lesen  homohyo  (hamahe), 
wie  schon  Spiegel  Comm.  II  573  gesehen  hat,  vgl.  Yt.  1,  18  homohyo 
a-^yon  „au  jedera  Tag"  i).  Derselben  Art  ist  vielleiclit  der  Fehler, 
wenn  Yt.  13,  53  in  K  14  ahamya  imd  Yt.  13,  55  in  P  13  alimya,  beides 
statt  hamaya,  geschrieben  ist.  An  der  ersten  Stella  werden  die  Fro- 
vuhri  gepriesen  als  „die  den  gotterschaffenen  Gewassern  die  sclionen 
Pl'ade  anweisen,  welclie  vorher  lango  Zeit  an  demselben  Ort  (honioi 
(F  cjaHou  lint^J)  standen,  zwar  schon  erschaffen,  aber  nicht  flielJend"; 
tlhnlich  13,55  als  „die  deuPflanzen  ihre  schonenStandorte(?)  anweisen, 
welche  vorher  lange  Zeit  an  demselben  Ort  standen,  zwar  schon  er- 
schaffen, aber  nicht  sich  ausbreitend  (?  oder  „gedeihend")."  Das 
ah(a)iHya  der  Varianteu,  transkribiert  aus  «''»ns,  das  im  arsakidischen 
Text  stand  oder  gelesen  wurde,  lafU  sich  allerdings  nicht  auf  N'^ttn 
zuriickfiihren,  sondern  nur  auf  eine  Schreibung,  die  die  Zeichen  fiir 
sn  nebeneinander  hatte.  Fiir  diesen  Tatbestand  sind  zwei  Erkliirungen 
moglich.  Es  kann  namlich  die  Verlesung  jiinger  sein  als  die  hier  be- 
handelten  Falle  und  erst  in  dem  schon  transkribierten  Text  stattge- 
funden  haben,  in  welchem  a  iiberall  da  eingel'iigt  ist,  wo  die  Redaktoren 
eiuen  kurzen  Vokal,  der  im  arsak.  Text  unbezeichnet  war,  annehmen  zu 
miissen  glaubten.  Wenn  nun  auch  im  transkribierten  Text,  also  in 
der  ausgebildeten  Awestaschrift  all-  statt  ]ia-  verlesen  wurde,  so  kann 
das  nur  auf  falscher  Auflosung  von  Ligaturen  beruhen,  wie  solche  ja 
auch  in  der  entwickelten  Awestaschrift  noch  gebrauchlich  sind-).  Es 
kann  jedoch  die  Schreibung  ah(a)mya  statt  hamaya  auch  aus  einem 
«''ONn  des  arsakidischen  Textes  hergeleitet  werden,  da  das  Wort  homo- 
„derselbe"  manchmal  mit  N  in  der  Stammsilbe  geschrieben  wird.  Nur 
halte  ich  das  gerade  an  diesen  Stellen  fiir  unwahrscheinlich,  weil  hier 
keine  Variante  mit  hcima-  vorliegt.  Umgekehrt  aber  glaid^e  ich  das 
hdrne  Y.  16,  10  als  Korrelativ  zum  vorausgehenden  yolimi,  d.  h.  als  ohmi 
auffassen  zu  diirfen,  in  welchem  Falle  "'»n«  als  ^DSn  verlesen  wJlre. 
yohmi  .n  M^cit  tonnnbm 
dra^zistom  ohmi  ma^id-onoi  midna^'t 

1)  Ob  der  Hergang  bei  der  Verderbnis  dieser  Stelle  so  war,  wie  Caland  K.  Z. 
3],  205  meint,  lialte  ich  fiir  mindestens  zweifelliaft.  Die  Veranlassung  liir  den 
„8clireibfehler"  amahe  statt  hamahe  ist  siclier  die  Verwechslung  von  n  iiiid  «, 
also  ein  Lesefehler. 

2)  Beispiele  fiir  Verlesungen,  wie  die  oben  angenommene,  finden  sicli  iiiancli- 
iiial  in  den  Varianten,  z.  B.  Y.  16,  10  am  Knde:  liama  „im  Sommer"  (fiir  homnl  luf.) 
auch  ahma  und  ahml  geschrielien.  Ancli  JiaJiiiia  an  dcrsellten  Stelle  ist  vielleiclit 
falsclie  Aufiosuu''-  eiuer  Ligatur. 


Vci'woflisluiiL;'  Villi  n  mill  N  im  Awcsta.  101 

„ln  welclu'iii  Haus  irgcud  cin  (jcschopf  wohnt,  in  (k'lu  soil  cs  inug- 
lichst  king  wohneii".  Solche  korrelative  Verbindungen  liabeu  oft  ver- 
allgeiueiucrnden  Sinn,  und  eben  in  der  allgemeingiiltigen  Form  liegt 
die  religiose  Kraft  derartiger  Wiinsche  oder  VerlieiGungen.     Vgl.  z.  B. 

Yt.  10,  19  .^olimdH  na^imafl  ushisoti  miO-ro yohm(Vi  ua'^imdndm 

mi&roSrux^''  d.L.  nicht  etwa:  „gerade  nur  dahin  zielit  Mithra  aus,  wo 
ein   Betriiger  weilt",    sondern:   ,,wo  immer  ein  Betriiger  weilt,    dahin 

zieht  Mithra  aus".    Yt  10,  28  aH  olimd'i  nnwndi  ^a'M-^ti vortd-ro 

....  !io]iu  iV  Xdnnto  /3a-'-'vaHi  ,,und  deiu  Haus  verleiht  er  Herden  .... 
Avo  (immer)  man  ihn  bekennt".  RV.  7.  11,  2  /jdsi/a  devdir  dsado  harlth- 
CKjne  lidnij  asmai  sudind  hliavanti  „auf  wessen  Streu  du  dich  mit 
den  Gottern  niedergelassen  hast,  o  Agni,  dem  warden  festliche  Tage". 
Ahnlich  ist  auch  die  Stelle  Y.  16,  10  mit  dem  Sinn:  ,,Wo  immer  Mensch 
oder  Tier  ihre  VVohnstatte  habeu  mogen,  dauernd  mogen  sie  darin 
wohnen".  Die  Betonung  einer  einzelnen  bestimmten  Ortlichkeit,  homoi 
nuv^id-onoi  „in  ebenderselben  Wohnstatte",  scheint  mir  umsoweniger 
angebraeht,  als  kurz  vorher  ohne  Einschriinkung  die  Genie  der  Erde, 
Aromuti,  als  Wohnstatte  angerut'en  und  unmittelbar  davor  im  all- 
gemeinen  die  Verleihung  gesunder  AVohuungen  t'tir  Mensch  und  Vieh 
von  Ohrmuzd  erbeten  wird. 

Von  den  Frovuhri  heifit  es  Yt.  13,  42,  dali  sie  gedankenschuell 
von  der  Hohe  des  Himmels  zur  Hilt'e  herbeieilen,  wenn  man  sie  richtig 
(oder  tiichtig?)  anrut't.  Im-zhdtd  bietet  richtig  eine  Gruppe  von  Hand- 
schrifteu,  die  allerdings  insofern  unzuverlassig  in  der  Uberlieferung 
dieser  Stelle  sind,  als  sie  um  eine  Zeile  ^)  reicher  sind  als  die  andern 
Handschriften,  welcher  Zusatz  von  Geldner  mit  Recht  als  Umbildung 
des  echten  Verses,  der  mit  denselben  VVorten  beginnt,  ausgeschieden 
ist.  Dali  aber  Geldner  -)  die  Lesung  uzhatci  aus  den  nicht  erweiterten 
Handschriften  in  den  Text  aufuimmt,  ist  nicht  berechtigt,  erst  recht 
nicht,  dali  Bartholomae  es  aus  "^'us-zodta-  herleitet,  wonach  also  die 
im  Himmel  wolmenden  Gottheiten,  die  nach  Yt.  13,  69  wie  ein  schon- 
beschwingter  Vogel  zum  Fiirsten  herabfliegen,  „herauf"gerufen  werden 
miiliten.  -  Das  umgekehrte  Verhaltnis  besteht  Yt.  5,  6,  wo  statt  az^a'-roi 
(Geldner  K5/'>-"50)    alio   Handschriften    aulier   J  10'*)    eine  mit  h  o* 

•)  Von  9  Silbeii.     Daher  «ugc  iuli  uiclit  „V(a-s". 

2)  K.  Z.  25,  557  hat  (icldner  huzhdta  mit  Rcclit  t'usigclialten,  jcducli  S.  540 
iibersetzt  „die  sich  gern  rufeu  lasseii",  woriu  ich  ihin  uiclit  folgeu  kanu. 

3)  An  der  Parallelatelle  Ny.  4,  7  (uicht  2,  7)  bicteu  nichrere  Haiidschrilten 
das  Kichtiue. 


102  H.  Loinmel, 

beginnende  Form  bieten.  Anlalilich  dieses  Worts  mticht  Geldner 
K.  Z.  25,  387  auf  die  Erscheinung  aufmerksam,  da(i  im  Wortanfang 
bisAveilen  unberechtigtes  h  geschrieben  ist.  Da  er  die  Ursache  da- 
von,  die  Ahnlichkeit  der  Schriftzeichen  n  und  K,  nicht  in  Betracht  zieht, 
entgeht  ihm  die  umgekehrte  Erscheinung,  der  Anfangsvokal  statt 
eines  wortanlautenden  h.  —  Yt.  13,  89  ist  huta^- 1)  „Geschlecht"  in 
zwei  Handschriften  falschlich  aota-  transkribiert.  —  Die  Perfektformen 
von  han-  „verdienen"  werden  in  vielen  Handschriften  luit  anhiutendem 
a-  statt  h-  geschrieben:  Y.  8,  2  liohbna  (liaidhdna)  in  M  2.  L  13. 
K  11.  C  1.  B  2  cmliane]  Yt.  13,  88  homhononcii,  in  J  10  aidhanandi, 
in  K  37  iDdliandi,  K  14  ahaidhcmandi  ist  wohl  nur  eine  von  Abschreibern 
gemachte  Kombination  aus  beiden  vorliegenden  Schreibungen.  Yt.  13, 
188  JiomhonuMi  haben  Lb  5.  K  37  in  der  Form  cmhaniiM.  —  Y.  53,  4 
ist  monoho  vohous  xvonvut  ohuS  „des  guten  Geistes  lichtvolle  Welt" 
statt  haidhus  zu  lesen,  wie  ebenialls  Geldner  a.  a.  O.  S.  381  richtig  ge- 
sehen  hat,  vgl.  Y.  28,  2  und  43,  3.  Ebenso  ist  Vend.  5,  38  zu  beurteilen, 
wo  oliouS  zu  lesen  ist  2)  und  Geldner  a.  a.  O.  S.  207  richtig  iibersetzt: 
„stiehlt Leben,  Brot,  Kleidung,  etc.". 

hi-  statt  i-  ist  geschrieben  in  liisvavasma  Yt.  14,  2(»  statt  isu- 
vasma,  worauf  Geldner  K.  Z.  25,  381  aufmerksam  gemacht  hat.  Seine 
Ausdeutung  von  hisasat  Y.  32,  13,  die  er  dort  gibt,  ist  jedoch  nicht 
anzuerkennen,  vgl.  Andreas  und  Wackernagel,  Nachrichten  der  Got- 
tinger  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  Phil.-hist.  Kl.  1913,  383.  Da- 
gegen  findet  Geldners  treffende  Erklarung  (3  Yasht  S.  40)  von  iSohaita 
Yt.  19,  53  als  hUvhaita,  Desiderativ  von  han-  =  ai.  simseta,  in  diesem 
Zusammenhang  ihre  Bestatigung  3).  Besondrer  Art  ist  die  Schreibung 
hi  fiir  a"-  (a  =  n  privativum)  mit  folgendem  epenthetischem  Vokal,  der 
in  diesem  Fall  zum  alleinigen  Silbentrager  wird  in  hid-ijajaidha  der 
Handschrift  D  statt  a^'d'yozoho  Yt.  19,  15. 

Eine  sorgfaltige  Durchsicht  der  Handschriften  wiirde  gewilj  noch 
mehr  der  Fiille  ergeben,  wo  einige  Varianten  am  AVortanfang  m, 
andere  ^    aufweisen.     Schwieriger  zu  erkennen,  namlich  nur  mittels 


1)  Die  Handschrifteu  liabeu  -^^^  und  -M)U^  fiir  "nin.  Die  Hochstufe 
koiiutc  zur  Not  an  lauten,  jedoch  nur  in  Vertretung  von  ai.  -ari-,  arisch.  -a^va- 
(vgl.  ai.  sdvitave  AV.  nobeu  mtave  RV.  AV.).  Nonnal  ist  aber  in  dicser  Bildung 
nur  die  Tiefstui'e. 

2)  Die  Varianten  Ji(^>{0*3JJ0*>  ■^OJO'J-^O*  ■»0>0*3"»*  (NB)  gelien  auf 
ty(l)in(1)N  zuriick. 

3)  Bartholoniae  begrihidct  seine  Ablehnung  A.  F.  2,  93  niit:  ,,/t  kann  nicht 
fchlen"  und  sucht  in  deni  AVort  eine  sonst  nicht  bekannte  Wur/.el. 


Verwcclislunj^-  vuii  n  uml  X  im  Awesta.  108 

eiiior  geiiaueu  Interpretation,  sind  solche  Falle,  wo  alle  Handscbriften 
ubereinstimmend  h  statt  a  (oder  umgekehrt)  am  Wortanfang  haben. 
Icb  muBte  es  fur  jetzt  dabei  bewenden  lassen,  mit  einigen  Fallen,  die 
mir  zur  Hand  waren,  auf  die  Erscbeinung  binzuweisen.  Dali  es  sicb 
bei  Verwecbslung  von  n  und  S  um  die  Wiedergabe  von  wortanlau- 
tendem  spiritus  asper  oder  lenis  bandelt,  ist  das  Gemeinsame  an  alien 
bislier  beliandelten  Fallen.  Es  ware  nun  treilicb  kein  Grund  dat'iir 
einzuseben,  daft  dieser  Febler  —  wenn  er  wirklicb  nur  auf  der  Abn- 
licbkeit  der  Scbriftzeicben  berubt,  —  nicht  audi  im  Wortinnern  vor- 
kommen  solltei).  Da  jedocb  (wirklicbes  oder  vermeintliches)  S  des 
arsakidischen  Textes  im  Wortinnern  als  Lange  gelesen  werden  muBte, 
so  mu(^  sicb  die  Verwecbslung  von  n  und  i<  im  A\^ortinnern  im  tran- 
skribierten  Text  geltend  machen  als  a  an  Stelle  von  li  (oder  umge- 
kebrt).  Icb  glaube  nun  aucb  dafiir  einige  Beispiele  geben  zu  konnen. 
Zunacbst  zraijdi:  ,,Im  See  Vorukuhra"  lautet  awestiscb  zra-'i/oJii 
vornkahrol  a''.  So  ist  es  ein  acbtsilbiger  Vers,  der  Y.  65,  4,  Yt.  5,  4.  38, 
Yt.  8,  8.  81  in  Verbindung  mit  gleicbartigen  Versen  stebt.  Uber  die 
ricbtige  Form  des  loc.  sing,  bat  wobl  nie  ein  Zweifel  bestanden  (vgL 
ap.  Srai/ahiz-d),  wobl  aber  iiber  den  AVert  der  Varianten.  zrcu/a  ist 
bloli  eine  vokalisierte  (mit  a  versebene)  Umscbreibung  der  in  den  Text 
gedrungenen  mpers.  Form  ''"it.  Die  andern  Varianten  zeigen  den  nom.- 
acc.  sg.  zrayo  in  verscbieden  ausfiibrlicber  plenarer  Scbreibung  (zrai/o 
Vlt,  zraijd  X"!*!!,  zra//d  IN'^lt)  an  Stelle  des  erforderlicben  Kasus.  Beide 
Falle,  vollige  Endungslosigkeit  oder  nom.  sg.  an  Stelle  eines  andern 
Kasus,  sind  jedem  aufmerksamen  Awestaleser  reicblicb  bekannt.  Audi 
wenn  wir  nur  die  genannten  Scbreibungen  vorfanden,  so  diirften  wir 
bier  wie  in  andern  abnlicben  Fallen  nicbt  zogern,  die  spracbricbtige 
Form  dem  Text  zuzuscbreiben,  der  oftmals  durcb  dieses  Verfabren 
seine  urspriinglicbe  metriscbe  Gestalt  bekommt.  Hier  aber  baben 
Avir  zur  Herstellung  des  Ricbtigen  einen  Aubalt  an  der  Scbreibung 
zra[/d/,  die  Geldner  Yt.  5.  4  und  Yt.  8,  31  mit  Recbt  in  den  Text  auf- 
genommen  bat.  Es  ist  die  lectio  difficillima,  deren  Bestandteile,  wie 
man  sie  aucb  auflosen  mag,  nicbt  wobl  zufallig  angetlogen  sein  konnen. 
Sie  berubt  auf  arsakidischem  "TT^It,  in  welcbom  n  falscblich  als  N  ge- 
lesen und  a  umscbrieben  ist.    Bartboloraae  bat  also  Z.  D.  M.  G.  43.  (i(j9 


')  Die  doppelscitige  Vcrbiiidung  der  Zcichen  I'iir  n  und  N  im  Wortiuuern, 
die  sich  audi  im  altcreii  Pahliivi  bri  kuiTuutt'iu  Scliruil)eu  ergcbcu  mufote,  kunnte 
dieselbeu  vur  Verweclisluug  keiiiesfalls  bewahren,  sondcrn  ihr  eber  uoch  in  hoherem 
Grade  als  im  Worta:il'aii<r  aussetzen. 


104  H.  Lominel, 

die  riclitige  Erklariing ')  dieser  Schreibung  gegeben.  Nur  braucbt  dieso 
nicht  gerade  von  der  Aiiuabme  einer  Ligatur  TT'  abbiiiigig  gomacbt 
zu  werden. 

lu  gewissem  Umfang  kann  im  Awesta  dcr  Dativ  die  Funktiun 
des  Genetiv  iiberiiebmen.  Dal)  dies  aber  zu  der  syntaktiscben  IJii- 
geheiierHcbkeit  I'iihren  konne,  Dativformen  in  unmittelbar  appusitio- 
neller  Verbindung  mit  Genetiven  zu  stellen,  kann  icb  nicbt  zugebcu. 
a/^po  ifot  sna'^izlnd'ijai^i  ccv^  sra'^scind'i/dH  ca'''  „des  Scbuee-  iiud  Regen- 
wassers"  Vend.  6,  36  kann  nicht  richtig  sein.  Die  Genetivform,  die 
beim  ersteren  (sna'^iMn&i/ds  ca-"-')  in  den  Handschriften  L  2.  Ml  4 
iiberliefert  ist,  ist  auch  bei  sra''sciiid'//ds  va-^  einzusetzen.  Ebenso  un- 
statthaft  ist  die  Bezeicbnung  des  Thraitauna  als  zontd-"^  a'^oiS  Sa^'JuV- 
hcv^i.  Hier  kommt  dazu,  dai^  diese  siebensilbige  Zeile  sich  in  metri- 
schem  Zusammenhang  2)  mit  meist  acbtsilbigen  Versen  lindet.  Es  ist 
Sa^'IuVkoJujo  einzusetzen.  Aber  wie  konnte  sich  neben  einem  so  oft'en- 
sichtlichen  Genetiv  wie  tt^zoi^^  ein  Dativ  an  Stelle  des  Genetivs  ein- 
schleichen?  Nahe  liegt  die  Erklarung,  dali  auch  hier  a  an  Stelle  von 
li  steht,  und  der  Genetivausgang  -ohijo  defektiv  Tl-  geschrieben  war. 
Fiir  gewohnlich  weist  -ohyo  viererlei  Schreibungen  auf.  1.  Der  Stanun- 
vokal  war  gar  nicht,  der  anslautende  Yokal  mit  1  bezeichnet,  VHOin 
haumahijo.  2.  Der  Stainmvokal  war  gar  nicht,  der  auslautende  Vokal 
mit  «  bezeichnet,  ^Tnins  almrahijd.  3.  Der  Stammvokal  war  mit  1, 
der  auslautende  ebenfalls  mit  T  bezeichnet,  VriVJ  yatjolnjo.  4.  Der 
Stammvokal  war  mit  "I,  der  auslautende  mit  N  bezeichnet,  KTIVJ  ya//oh//a. 
Dafi  die  einfachste  Schreibung,  die  olme  irgend  welche  Vokalbezeich- 
nung  fiir  gewohnlich  nicht  vorkommt,  ist  kein  Zufall.  Auslautender 
Vokal  wurde  friiher  und  regelmaliiger  durch  matres  lectionis  ange- 
deutet,  als  inlautender.  Dennoch  diirfen  wir  fiir  die  Erklarung  des 
-di,  das  statt  -ohijo  geschrieben  ist,  wolil  mit  einer  Schreibung  ^n- 
rechnen,  und  vermuteu,  da(4  eben  die  relative  Seltenheit  mangelnder 
Bezeicbnung  des  auslautenden  Vokals  zu  einer  Mihdeutung  dieser  sel- 
teneren  Falle,  wo  der  Genetivausgang  so  stark  defektiv  geschrieben 
war,  gefiihrt  habe.  —  Weitere  Fiille  des  Genetivs  auf  -di  sind,  urn 
mit  einem  spaten  Text  zu  beginnen,  Vist.  Yt.  22  paO-ru  kava  viMdspdi 
neben  dem  haufigen,  vollig  flektionslosen  vlUdspa  in  derselben  Ver- 
bindung, statt  des  Genetivs  ka'voiS  vistd'-'spoh/jo\~  Yt.  13,  95  zaraO-uUrdi 

1)  V<rl.  Jucksou,  Avesta  Grammar  S.  102  (98)  uiid  Bartliulomae  Z.D.M.G.-tS,  149. 

2)  Daft  die  Landcriiamen  mit  ilireii  Epitlieta,  oileubar  der  Grundstuck  des 
priesterlich  Uberarbeitetcu  geograijhisclicu  Pargard,  eiiie  Reiiie  von  Versen  bilden, 
liat  Geldncr  in  seiner  Ausgabe  angcdeutet,  al)cr  niclit  durohgelulirt. 


Vi'rwn-li^luiij;-  voii  n  iirnl  S  iiu   A\V(>sta.  105 

mtiOr^ni  „clas  Wort  ties  Zaratlmstra"   statt  ziira'O'uhd'rolnjo  monO-rom; 
—  Yt.  17,  5  haouidi  in  clem  metrischen  Stiick: 

Jia'^umoliijo  ra""  nomo  monO-rohuo  ra" 
uhra'vnohf/o  ')  ra"  Ziira'd-mO-rohijo 
CiH  cit  (Sd^  nomo  hw^iimohyo. 
Yeiul.  19,  39  ist  zu  Icsen:  xca'rno  ijomolnjo  xkv^ltolino  JiiironO-rohijo , 
statt  der  scheinbareu  .Dative  auf  -di. 

Die  Verbindung  almrdi  Jitazddi,  wo  sie  in  genetivischer  Bedeutung 
vorkommt,  ist,  wie  icli  glaube,  in  ohurohijo  umzdd  zu  ilndern.  Darauf 
fiihren  Yt.  13,  87  die  Lesungen  ahurdhe  in  L  18  und  ma^ddi  in  K  13 
iind  Y^t.  13,  157  ahurahe  in  W  2,  ahmahe  mazda  in  Kb  l-).  Y"t.  13, 157, 
Yt.  15,  44  und  Vend.  19,  4  furdert  der  zugehorige  Genetiv  dad-uso  die 
Einsetzung  von  oluuoh/fo^),  und  Y^t.  lU,  89  ist  auf  diese  AVeise  die 
tJbereinstimmung  der  beiden  Verse: 

za-^'utd-'^  olmrohyo  muzdb 
za^utd'^  a-^'muhrondin  spontonom 
herzustellen^).     Damit   kommt  zugleich   das  Metrum  in  Ordnuug,  Yt. 
10,89  ein  achtsilbiger,  Yt.  13, 157  '=)  und  Y^t.  15,  44  ein  zebnsilbiger  Vers. 
Mit  Absicht  liabe   ich  mich  bisher  auf  das  jungere  Awesta  be- 
scbrankt,  wo  defektive  Scbreibung  bekanntlicli  viel  baufiger  ist  als  in 
den  Gatlia's,  wo  speziell  auslautendc  Kilrze  in  der  Regel  durch  «(«) 
bezeicbnet  ist.    Dennoch  glaube  ich,  da(^  auch  in  den  Gatha's  auf  diese 
Weise  sclieinbare  Dative   auf  -dl  an  Stelle  von  Genetiveu  auf  -ohyo 
getreten  sind.     Die  beiden  Glieder  in 
siiitd^  aV  ohurd'l 
yosniijd-^  ca''  volious  iiwnoho 
„die  Lobpreisungen  des  Herrn  und  die  Verehrungen  des  guten  Sinnes" 


')  8o  die  Handsclirii't  J  10.  Die^c  Form  ist  diirchs  Metruiu  ge«iclicrL  uud 
diircliHus  niclit  ungewijhnlich ;  vgl.  die  nietiiscli  gesiclierten  tliematischeu  Geuctive 
a'^^ivoizda'^yontohyo,  a'^pa'^ijontohyo  Y.  9,  31,  visohyo  Yt.  5,  (>,  xruvisyontohyo  Yt. 
10,  ;36,  aufJer  aiidcren  tlieinatischen  Foniien  vou  kousouaiitischen  Staiamcii. 

2)  Man  mag  viellcicht  bezweifehi,  ob  die  juugen  Haudsclirifteu  W  2  und  Kh  1 
liier  wii-klich  alte  tJbei'lieferang  bewahrt  habeu.  Die  Besscrung  liegt  niclit  so  fern, 
dafi  sic  uicht  eiueni  Abschreiber  zugetraut  werden  konntc.  Weuu  cs  sich  so  ver- 
hielte,  so  spriiclie  das  nicht  so  scbr  gegen  die  Lesungen,  wie  lur  die  Abschreiber. 

3)  Westergaard  Lat  ahurahe  aufgenonimen. 

4)  Havers,  Untersucliungen  zur  Kasussyntax  S.  58  nininit  zaotd  almrdi  als 
synipathetischen  Dativ  und  hebt  die  Besonderheit  licrvor,  dali  dieser  liier  adno- 
miual  stelie. 

5)  Yt.  13,  87  yo  purviyo  ohurohyo  muzdb  kanu  cbenfalls  zebnsilbiger  Vers  scin. 
Wegcn  der  metriscli  unregelmal6igcnUuigcbung  ist  aber  hicriiul"kcin  Gewiclit  zu  legen. 


106  H.  Lommel, 

Y.  30,  1  sincl  so  gleichgestellt,  dafj  das  Nebeneiaauder  von  Dativ  und 
Genetiv  in  hohem  Grad  befremden  muL  Dazu  kommt,  daB  der 
genetivische  Dativ  ohuraf'i,  sowie  die  ebenfalls  genetivisch  fungierenden 
Formeu  olmrd'l  und  soviMaH  in  Y.  28,  5  fiir  den  Vers  je  um  eine  Sill)e 
zii  kurz  sind.  Die  Annahme  einer  Zerdehnung  der  Dativendung  ist 
nicht  zulassig.  Sie  kommt  im  Rgveda  nur  in  den  Pronominalformen 
asmai  asyai  vor  (Oldenberg,  Prolegomena  188,  Noten  zum  RV.  s. 
Index),  und  es  geht  nicht  an,  sie  von  hier  aus  auf  nominale  a-Stamme 
zu  iibertragen.  Daher  haben  auch  Andreas  und  Wackernagel  an  der 
letztgenannten  Stelle  (ISachr.  d.  Gott.  Gesellscbaft  d.  Wissenschaften, 
Phil.-hist.  Kl.  1913,  S.  367)  die  Zerdehnung  von  -d'i  nur  zweifelnd  zu- 
gelassen  und  mit  der  Moglichkeit  gerechnet,  daB  es  sich  um  dei'ektiv 
geschriebene  Dative  auf  •d'^jja'^  handle.  Nun,  mangelnde  Bezeichnung 
auslautenden  Vokals,  das  gerade  ist  es  ja,  was  auch  ich  fiir  meinen 
Erklarungsversuch  annehmen  mufi.  Die  Verbesserung  olniroliijo  so- 
viUohyo  in  Y.  28,  5  bringt  allerdings,  wie  an  den  vorgenannten  jung- 
awestischen  Stellen,  die  Anderung  von  muzSil-^i  in  muzSo  mit  sich'). 
uhnVi  (urtiYi)  Y.  29,  8,  dessen  Endung  metrisch  einsilbig  ist,  lilljt 
sich  vielleicht  als  dat.  sympathet.  (neben  gen.  no\)  verteidigen. 

Endlich  sind  in  diesem  Zusammenhang  die  Formen  der  2.  pers. 
sing.  conj.  mit  -di  statt  -dhi  zu  erwahnen,  in  denen  man  friiher  Schwund 
des  li  annahm-).  Bartholomae  gibt  Altiran.  Verbum  S.  30  f.  die  voll- 
standigste  Liste  der  in  Betracht  kommenden  Formen  und  erkennt 
einige  derselben  noch  im  altiran.  Worterbuch  als  2.  pers.  sing,  an, 
ohne  ihren  Modus  zu  bestimmen.  Andre  erklart  er  jetzt,  wie  so  mauche 
schwierige  Form,  z.  T.  recht  gezwungen,  als  Infinitive. 

Einige  derselben  sind  nun  ganz  sicher  2.  pers.  sing,  conj.,  und  es 
ist  fiir  die  Beurteilung  dieser  Formeu  wichtig,  dafi  -di  ofters  als 
Variante  fiir  -aki  des  Konjunktivs  vorkommt.  Y.  62,  10  javdi  in  J  1 
fiir  jvdM  (Hvdhi),  Vend.  5,  16  vazdi  in  K  9.  Pvs.  (s.  Westergaard) 
fiir  vazdlii  Vend.  8,  75  frasocaydi  in  L  1.  2.  Br  1.  M  2  fiir  frasaoai- 
ydhi,  Vist.  Yt.  4  havdi  in  K4  fiir  bavdhi.  Die  Bedeutung  einer  Variante 
hat  es  auch  nur,  wenn  der  Satz  Vend.  19,  18  nrva'ronmi  rnd-ydnbm 
[a'-'va-^JzHsdhl  (avajasdhi)'^)  „gehe  zu  den  sprossenden  Pflanzen"  im  Vist. 
Yt.  22  wiederkehrt  mit  dem  Verb  in  der  Form  Jasdi.    Bei  einem  der- 


1)  In  der  AulTassung  dieser  Fonncii  als  Geiictive  trclTe  ich  im  WcscntliclR'ii 
mit  Horn  B.  B.  17,  152  zusainmen,  seine  sprachhisturisclie  ErRlarung  dafiir  kanu 
ich  jcdocli  nicht  annehmen. 

2)  Spiege],  althaktr.  Gramm.  213. 

3)  Das  verdcrbte  ja&-di  in  L  4.  K  1  zcigt  diesclbe  .SclireilHing  der  Endung, 


Vcrwcchsluiig  vuu  n  iiiul  N  im  Awesta.  107 

artigeu  Verhaltnis  der  Variautcii  ist  es  ersichtlicli,  dali  es  sicli  um 
verschiedenartige  Transkription  des  arsakidischen  Textes  handelt, 
welcher  TIK"  gehabt  hat.  Es  sieht  so  aus,  als  ob  nicht  das  Zeiclien 
liir  n  allein  als  S  geleseu  und  mit  a  umsclirieben  wordeii  sei,  sundern 
die  Verbindung  von  N  und  n  zusammeni).  —  Nur  mit  der  Schreibung 
-dl  belegt  sind:  vandi  und  apaijasai  Vend.  19,  8.  9  in  der  Anrede  „du 
wirst  uberwinden,  veruichten",  worauf  die  Antwort  in  1.  pers.  conj. 
vandnl  apai/dni  lautet;  vlsdi  Vend.  2,  4  in  dH  mol  visd^'hi  yoi&onom 
{J-rdHd"  „Du  sollst  herbeikommen  (=  sein)  [als]  der  Hiiter  meiner 
Welt".  Audi  Yt.  10,  140  halte  ich  an  der  alter  en  Auffassung  von 
i/azdi  als  2.  sing.  conj.  fest,  und  ziebe  aucb  bei  vinddi  Vend.  19,  6  diese 
Auffassung  derjenigen  Bartliolomaes  als  Infinitiv  vor  („schwore  ab  die 
gute  mazdayasnische  Religion,  so  wirst  du  Gnade  linden  .  .  .")  -).  — 
Sicker  2.  pers,  sing,  sind  auch  framravdi  Y.  71,  15  und  inutihinvdi 
Vend.  9,  14,  beide  in  Bedingungssatzen,  welche  sowohl  Indikativ  wie 
Konjunktiv  zulassen,  vielleicht  ersteren  bevorzugen.  Das  Vorhanden- 
sein  der  unzweifelbaften  Konjunktive  auf  -di  kann  uns  nicht  hindern, 
die  Auffassung  der  beiden  letztgenannten  als  Indikative  wenigstens 
fiir  zulassig  zu  bezeichnen,  umsomehr  als  die  Verlesung  -di  bei  dem 
Indikativausgang  Tl^  nacli  allein  Vorhergehenden  leichter  ist,  als  bei 
dem  ^nK°  des  Konjunktivausgangs,  Mills,  der  Z.  D.  M.  G.  49,  483  auf 
dera  rechten  Weg  war  zur  Erklarung  dieser  Formen,  hat  also  das 
Problem  zu  sehr  vereinfacht,  indem  er  die  Eormen  visdi,  vinddi,  die 
Konjunktive  sein  mussen  (die  einzigen,  die  er  erwahnt),  als  2.  sing, 
indie.  =  visahi,  vindahi  nimmt. 

Wenn  ich  nach  Mills'  Versuch,  Textfehler  paliiographisch  zu 
erkliiren,  noch  eineu  andern,  bei  dem  es  sich  gleichfalls  um  Ver- 
wt'chslung  von  n  und  «  handelt,  anfiihre,  so  geschieht  es,  um  daran 
(leutlich  zu  zeigen,  dafi  die  rein  paliiographischen  Erwiigungen  ohne 
Beriicksichtigung  der  sonstigen  Uberlieferungstatsachen  nicht  zum  Ziel 
fuliren.  —  vlspdvauidm  Yt.  12,  24  setzt  Bartholoraae,  air.  Worterbuch 
Sp.  1469  mit  Recht  gleich  vispovahindni  Yt.  5,  96  uud  bemerkt  zur 
Erklarung  des  Fehlers,    dafi    „im   Urkodex   das  Kurzzeichen  fur   km 


>)  Vcrmutlicli  in  Ligatur,  Im  eiuzeluen  bleibt  der  Vorgaug  Ijei  dieser 
Verlesung  unklar.  Ohne  eiuen  Schreibfehler ,  etwa  Pehlen  eines  Hakens  in  der 
Ligatur,  der  wohl  audi  das  abschliefJende  ''  angehortc,  ist  sie  niir  nichl  vcr- 
standlicb. 

2)  &ivaesdi  Yt.  13,  20  als  2.  sing.  conj.  (Geldner  K.  Z.  2-5,  555)  ware  nietriscli 
muglich  und  syutaktisch  erwiinscbt.  Die  nieistbezeugte  Lesung  ist  Oioaesa,  womit 
man  sich  auch  abtinden  kann. 


108  H.  Loiiuiirl,  .ViTWCclisliiiiii'  vuii  n  uikI  N  ill)  AwesUi. 

gestaiuleii  haben  mag".  Dafi  iin  „Ilrkudex"  die  Ligatur  p  stand, 
ist  richtig  i),  aber  weim  dariii  das  m  falschlich  als  i<  gedeutet  wurdcu 
ware,  so  hatte  sich  -vain-,  iiiclit  -vam-  daraus  ergeben,  da  «  des  arsa- 
kidischeii  Textes  niemals  als  a  gclesen  utid  umschriebeii  wurde.  Es 
kanu  sich  also  bei  dem  Felilcr  in  vispbvania-  niclit  um  eine  Veilesung 
handeln,  sondeni  nur  um  eine  gemeine  Konuptel,  don  Wegt'all  des 
Zeichens  fiir  //.  Es  zeigt  also  dieses  Beispiel,  daCi  die  gelegentliche 
Betrachtung  der  Buchstabent'orm  uns  der  alteren  Textgestalt  des 
Awesta  nicht  nalier  bringt  ohne  stete  Beriicksiciitigung  der  Haupt- 
tatsache  der  awestischen  IJberlieferungsgescliichte,  die  uns  Andreas 
reclit  zu  wiirdigen  gelehrt  hat,  der  Umschreibung  aus  einem  semiti- 
schen  Schriftsystem  in  ein  grundsiltzlich  verschiedenes,  das  mit  dem 
alteren  nur  in  der  Buchstabenforni  Gemeinsamkeiten  hat. 


1)  Abor  nicht,  wenn  das  gemeint  sein  solltc,  duB  das  Ji  in  der  Ligatur 
(„Kurzzeichen"!)  V**  cine  Verkiirzuiig  des  awestischen  ^  sei.  Viehnehr  ist  uni- 
gekehrt  aw.  ^  eiiic  jiingcre  Uniforniung  des  pahL  U  in  der  Bcdcutung  h  zur 
Unterschcidung  von    U  in  der  Bcdeutung  a. 

Gottingen.  H.  Lommel. 


DIE  ALTESTE  ERWAHNUNG  DER  HAUSHUHNS  IN 
EINEM  AGYPTISCHEN  TEXTE. 


Victor  Helm  hat  in  seinem  klassisclien  AVerke  „Kultiirpflanzen 
mid  Haustiere  in  ilneni  Ubergange  aus  Asien  nach  Griechenland  und 
Italien,  sowie  in  das  iibrige  Europa"  ^  S.  321ft'  gezeigt,  dafi  sicli  das 
Hausliubn,  das  aus  Hinterindien  staramt,  erst  mit  den  medisch-per- 
sisclien  Eroberungsziigen  von  Persien  aus,  wo  seine  Zucht  noch  lieute 
besonders  bliiht 'j,  weiter  nach  Westen  ver])reitet  und  in  der  2.  Hall'te 
des  r>.  Jh.  V.  Chr.  den  Weg  nach  Europa  gefunden  liat.  Den  Griechen 
gilt  das  Hubn  noch  Ende  des  5.  Jh.  v.  Chr.  als  „persischer  Vogel" 
(flepaixo;  opvic),  und  der  Halin  wird  von  Aristophanes  in  den  „Vogeln" 
scherzweise  als  „Meder"  (Myjoo;)  bezeichnet,  von  dem  man  sich  wundert, 
wie  er  als  solcher  ohne  Kamel  herbeigekommen  sei"-). 

Diesem  Tatbestande  eutspricht  es,  dafi  sich  das  Huhn  weder  in 
Westasien  noch  in  Agypten  vor  der  Perserzeit  bisher  hat  nach- 
weisen  lassen.  Im  alten  Testament  komrat  es  nicht  vor.  In  Agypten, 
wo  es  heute  stark  verbreitet  und  die  kiinstliche  Ausbriitung  der 
Eier  seit  langer  Zeit  bekannt  ist,  hat  sich  in  keinem  der  unziihligen 
Grabbilder,  die  die  dem  alten  Agypter  bekannte  Tierwelt  in  Hans 
und  Hof,  Feld  und  FluCi,  vielfach  mit  der  Vollstiindigkeit  eines  zoolo- 
gischen  Handbuches,  darstellen,  eine  Abbildung  des  Huhues  gefunden. 
In  keinem  der  vielen  Texte,  die  von  der  Ernahrung  des  Toten  handeln 
(z.  B.  in  der  stereotypen  Speisekarte,  die  wir  als  Opl'erliste  bezeichnen), 
ist  von  dem  Tiere  oder  den  Eiern,  um  derentwillen  man  es  so  sclultzt, 
eine  Spur  zu  finden.  Man  hat  freilich  in  der  Hieroglyphe  ^,  die 
den  Buchstaben  iv  bezeichnet,  das  Bild  eines  fiuhnerkiikens  sehen 
und  darin  ein  Zeugnis  fiir  die  uralte  Bekanntschat't  der  Agypter  mit 


')  A^gl.  (lie  vou  Helm  a.  a.  O.  8.  333  zitierteii  Worte  des  enolisclien  Ge- 
lelirlcn  'I'homas  Hyde  vom  J.  1760:  Usque  Jiodie  gallinis  adeo  scatet  Media,  nt 
CO  fere  solo  cibo  et  eariDU  oois  (una  rum  rariie  ovina)  exriplautur  nostrdtes  Ihi 
l)ereyrinantes. 

2)  Helm  a.a.O.  S.  3^^;"). 


110  Kurt  Setlie, 

dem  Haushuhn  erblicken  wollen^).  Tatsachlich  ist  es  jedoch  selir 
zweifelhaft,  ob  damit  niclit  ein  anderer  Hiihnervogel  gemeint  ist  -). 
Griffith  sieht  in  ilim  eine  junge  Wachtel  oder  ein  junges  Rebhuhn, 
wozu  auch  die  Farbengebung,  die  die  Hieroglyphe  oft  erhalt  (gelb- 
braun  mit  blauen  Flecken),  stimmen  wiirde  '^). 

Entscheidend  fiir  die  Unbekanntschaft  der  Agypter  rait  dem 
Hausliulm  diirfte  aber  sein,  dafi,  wie  gesagt,  in  den  Texten  nirgends 
der  Eier  als  Nahrungsmittel  Erwahnung  geschielit  4). 

Wie  alt  das  Vorkommen  des  Haushuhns  in  Persian  und  seinen 
Nachbarlandern  Babylonien  und  Assyrien  ist,  war  bisher  ungewifi. 
In  der  Religion  des  Zarathustra  spielt  der  Hahn  als  der  Vogel,  der 
morgens  das  Tageslicht  begriiM  und  die  Schliifer  weckt,  bereits  eine 
grolie  Rolle.  Damit  konnte  unter  Umstanden  ein  Terminus  ante  quem 
gegeben  sein,  der  das  Aui'treten  des  Tieres  in  Iran  vor  das  8.  Jh. 
hinaufriicken  wiirde. 

Auf  assyrisch-babylonisclien  Gemmen  und  Siegelzylindern  hat 
man  Darstellungen  des  Hahnes,  der  dort  als  Gegenstand  gott- 
licher  Verehrmig  erscheint.  Diese  Darstellungen  sind  aber  ver- 
haltnismafiig  jung;  sie  gehoren  dem  7.  bis  6.  Jh.  v.  Chr.  an'-).  Den 
Namen  des  Hahnes  hat  man  wegen  der  Bedeutung,  die  ira  Spiit- 
hebraischen  das  Wort  tarnegul  hat,  in  dem  babyl.  Vogelnamen  far- 
lugallu  vermutet''),  wie  auch  der  buntgefiederte  Vogel  tarru''),  der 
wie  andere  Vogel  zu  Tieromina  gebraucht  wurde,  als  Hahn  gedeutet 
worden  ist  ^).  In  beiden  Fallen  liegt  indeB  kein  ernstlicher  Grund, 
geschweige  denn  eine  Notwendigkeit,  fiir  diese  Deutung  vor.  Dasselbe 
gilt  auch  von  einem  andern  Worte,  in  dem  man,  wie  mir  H.  Ranke 
freundlichst  mitteilte,  gleichfalls  das  Haushuhn  hat  erkenneu  wollen  '■*), 
dem  Worte  kurku,  das  bereits  in  den  Inschriften  des  Gudea  (2340 
V.  Chr.)    zusammen    mit    andern   Vogelnamen   in    der  Aufzahlung  von 

1)  z,  B.  WiedcTiiann,  Herodot's  2.  Bucli  S.  545. 

2)  Griffith,  Beni  Hasan  III  S.  8  Fig.  15;  Hieroglyplis  S.  21  Fig.  5.  189; 
Davies,  Ptalilietep  I  S,  20.  Fig.  98.  411;  Murray,  Saqqara  Mastal)as  I  S.  41. 
Taf.  37,  Fig.  14.  Taf.  42. 

3)  In  diesem  Sinne  spriclit  sicli  audi  Ed.  Halm,  Die  Haustiere  und  ihre 
Bezieliungen  zur  WirtscLaft  des  Menscben  S.  307,  aus. 

4)  StrauBeneier  werden  im  neuen  Reich  unter  den  nuhisclion  Tiilmten  dar- 
gestellt  Urk.  IV  949.  1097. 

'•>)  Layard,  Ninive  und  Babjdon,  deutscli  von  Zenker  S.  4101. 

^)  Delitzsch,  Handworterb.  8.  303b.  -)  Delitzsch  a.  a.O. 

8)  Hunger,  Babylonisclie  Tieromina  (Mitt,  der  Vorderasiat.  Ges.  14)  S.  42. 

9)  Winckler,  Die  KeiJsclirifttexte  Sargons  S.  212b. 


I)ie  iilteste  Erwahnuiig  des  Haushulius  in  cinom  agyptischen  Trxte.  .      Ill 

Opfertieren  vorkommt  (Keilinschr.  Bibl.  Bd.  3  S.  64/5,  Z.  3).  Es  zeigt 
in  der  Tat  auGerlich  eine  gewisse  Almliclikeit  mit  den  Benennungen 
des  flaushuhns  in  raanclien  indogermanischen  Sprachen  (s.  Helm 
a.  a.  O.  S.  330/1).  Da  aber  einmal  vom  Fett  des  knrku-Yogeh,  das 
aus  dem  Gebirge  gebracht  wird,  die  Rede  ist'),  ist  es  einigermaBen 
zweifelliaft,  ob  die  wohl  eben  von  jener  iiufieiiichen  Alinlichkeit  der 
Namensform  ausgehende  Deutung  Haushuhn  zutrifft,  flir  die  es  an 
einem  sacblichen  Grunde  zu  feblen  scheint. 

Bei  diesem  unbestimmten,  fur  die  itlteren  Zeiten  ganz  negativen 
Befund  muB  das  im  Folgenden  zu  besprechende  Zeugnis  eines  alt- 
iigyptiscben  Textes,  durch  das  das  Dasein  des  Haiisliubns  fiir  eiu 
Land  in  der  Nachbarscbaft  Babyloniens  fiir  das  15.  Jh.  bezeugt  zu 
werden  scheint,  umso  willkommener  sein. 

In  den  Annalen  Konig  Thutmosis'  III.  (1501 — 1447  v.  Chr.),  die 
sich  uns  im  Auszuge  auf  den  Wanden  des  groGen  Aniun-Tempels  von 
Karnak  aufgezeichnet  erhalten  liaben  -),  werden  Jabr  ftir  Jabr  eiu 
kiirzer  Bericbt  iiber  den  Feldzug,  den  der  Konig  in  dem  betr.  Jabre 
unternahm,  sowie  Verzeicbnisse  der  Tribute,  die  in  demselben  Jabre 
eingingen,  gegeben.  Diese  setzen  sicb  zusaramen  aus  Gescbenken  {Imv 
„Bringung"),  die  die  Fursten  der  nicbt  geradezu  unterworfenen  Lander 
Asiens  dem  iigyptischen  Konig  unter  dem  Eindruck  seiner  Macbt  als 
Ergebenbeits-  oder  Freundscbaftszeicben  sandten,  und  aus  der  Einte 
und  den  regelmaBig  festgesetzten  Abgaben  {hJctv  „Arbeiten")  der  den 
Agyptern  festunterworfenen  Gebiete,  namlich  des  Libanongebietes  mit 
seinen  Seebafen,  Palastinas  {JJJi,  gescbrieben  Iji-lij)''),  Ober-  und 
Unternubiens  (Kuscb,  WiWi.t).  Die  Reibenfolge,  in  der  diese  Dinge 
aufgefiibrt  werden,  ist  im  Allgemeinen  immer  dieselbe. 

Fiir  das  Jabr  33  des  Konigs  (1469  v.  Cbr.)  wird  in  diesen 
Annalenausziigen  nun  Folgendes  l)ericbtet ').     Zunilcbst  wie  iiblicb  der 


')  Delitzsch,  Handworterb.  s.  v.  mathii. 

2)  Neuestc  Ausgabe  des  Textes  von  .Sethe,  Urk.  I^"  (')45  iV.  Uborsctznng 
bei  Breasted,  Ancient  records  of  Egypt  II  §  391  if. 

3)  Dafi  dieser  Di-hj  oder  Di-hi  (d.  i.  beides  Ph  zu  leseu)  gescliriebene 
Name  Palilstina  und  nicht  Plionizien  bezeiclinet,  wie  man  allgemeiu  annimmt,  gebt 
aus  einer  uubefangenen  Betracbtung  der  vou  W.  Max  MiJller,  Asian  und  Europa 
S.  176  if.  gesammelten  Zeugnisse  klar  hervor.  Scbon,  dalo  es  von  der  Residenz 
die  sich  Ramses  II.  in  der  Gegend  von  Tanis  im  Lande  Gosen  anlegte,  heilit,  sie 
liege  zwischen  JDi-ln  und  Ti-mrl  (Agypten,  IlTt|j.'jpt;),  liifit  ja  l<einen  Zweifel 
daran.  Niemand  wird  von  der  Stadt  ^laastricbt  oder  von  Aacben  sagen.  sie  liege 
zwiscben  Frankreicb  und  Deutscjdand,  anstatt  zu  sagen  zwiscben  Belgien  und 
Deutscbland.  *)  Urk.  IV  (J9(i  If. 


112  Kurt  SoUie, 

Feldzug  des  Jahres,  uiid  zwar  entsprechend  seiner  besondern  Bedeu- 
timg  ausfiihrlicher  als  sonst.  Denn  dieser,  im  Lande  Btniv,  d.  i. 
Syrien  im  weitesten  Sinnei),  gefiihrte  8.  Feldzug  des  Kouigs,  fiihrte 
ihn  zum  ersten  und,  wie  es  scheint,  einzigen  Male  tief  in  das  Land 
Naharain  oder  Naharen,  das  Zweistroniland  (MeooTCoxajxta,  heute  el- 
Oezire),  hinein,  wo  er  neben  dem  Siegesdenkstein  seines  Vaters  Thut- 
mosis  1.  einen  z^Yeiten  aufstellte.  Der  Euplirat  (ilg.  Phr-tvr)  ward  an 
der  Spitze  des  siegreichen  Heeres  iiberschritten,  der  Feind  geschlagen 
und  zu  Scliiff  stromabwarts  verfolgt.  Auf  die  Aufzahlung  der  Sieges- 
beute  folgt  der  Bericlit  liber  die  Riickkehr  dnrcli  das  Land  litmii. 
Daran  scldiefjen  sich: 

1)  das  Verzeichnis  derGeschenke  {Inw)  derFiirsten  dieses  Landes, 

2)  die  iibliclien  Bemerkungen  iiber  die  Seehafen  Phoniziens  und 
den  Tribiit  des  Libanon, 

3)  Verzeichnisse  der  Gesclionke  {lim^  der  Fiirsten  anderer  asia- 
tischer  Lander,  namlich 

a)  eines  unbekannten  Landes,  dessen  Name  leider  verloren  ist, 

b)  des  Landes  Sngr  (d.  i.  Sinear,  Babylonien), 

c)  eines  Landes,  dessen  Name  wieder  niclit  erhalten  ist,  in  deni 
man  aber  nach  seinen  Produkten  (Lapislazuli)  mit  Wahrscheinlichkeit 
Assur  (Assyrien)  vermnten  darf,  und  endlich 

d)  von  „Gro(i-Cliatti",  dem  Reiche  der  Cliethiter,  dessen  Mittel- 
punkt  Kai)padokien  Avar. 

Hierauf  folgt  dann  der  kurze  Bericht  iiber  die  liiickkehr  des 
Konigs  nach  Agypten  „als  er  aus  Naharain  kam  und  die  Greuzen 
Agyptens  erweitert  hatte";  also  der  Abscbluli  des  Feldzuges,  ein 
Zeicben,  dafi  die  im  Vorbergehenden  gegebenen  Verzeicbnisse  mit 
dem  Feldzug  aufs  Engste  zusamraenhiingen.  Die  Verzeichnisse  der 
Beute  einer  Expedition  nach  dem  ostafrikanischen  Lande  Pivn.t  (an 
der  Somalikiiste)  und  der  wie  alljiibrlicb  eingebenden  Abgabcn  von 
Kusch  und  Wnvi.t  beschlielieu,  wie  iiblich,  den  Jabresbericht. 

Fiir  uns  von  Interesse  ist  nun  der  Tribut  des  unbekannten  Landes. 
das  zwiscben  Rlnw  (Syrien)  und  Babylonien  und  Assyrien  genannt 
war  (oben  mit  3  a  bezeicbnet)  und  das  nacli  dem  ganzen  Zusammen- 
bang  in  der  Nacbbarscbaft  von  Naharain  gesucht  werdcn  mul5.  Es 
konnte  eventuell  das  damals  von  Lidoariern  beherrschte  Mitanni  oder 

1)  Nach  Urk.  IV  668.  671  gehorte  audi  Assur  (Assyrien)  dazu.  (Tleii'liwolil 
werileu  andcrfrseits  ebendort  „der  Fiirst  von  Assur"  und  „(lie  Fiirsten  vim  Rtniv'" 
unterschioden.     Es  ist  wohl  so,  wie  wenn  man  im  18.  Jli.  deii  „Konig  vmi  I'rcnljcn" 


Din  iiltestf!  Erwiihnung  dfs  Haiisliulins  in  oinem  iigyiitisi-lion  Texto.        113 

Naharain  selbst,  die  Ed.  Meyer  beide,  schwerlich  mit  E,echt,  einander 
gleichsetzt,  gewesen  sein  i). 

Erlialten    sind   von    dem  Verzeichnis    der  Gabeu    dieses  Landes 
(Lh'k.  IV  700)  nur  die  beiden  letzteu  Posten: 


b.      V\  ^g^  I  I  I  I  /w«A^A  U  |ls=3|L-,ii^ 

0\  I    AA/V\AA 


a.  „2 -Vogel,  die  man  nicht  kennt." 

b.  ,,4  jj9d- Vogel  dieses  Landes;  sie  tun jeden  Tag." 

Der  erste  Posteu  (a)  nannte  2  den  Agyptern  unbekannte  Vogel, 
deren  Benennung  verloren  ist  bis  auf  das  Deterrainativ,  das  zeigt, 
daB  es  sicb  um  Raiib vogel  bandelte. 

Der  zweite  Posten  (b)  nennt  dagegen  4  dem  betreffenden  Lande 
eigentiimliche  Vogel,  die  als  iyd  bezeichnet  sind.  n^d,  ist  die  gewohn- 
liche  Sammelbezeicbnung  fur  das  Nutzgefliigel,  das  im  Niltal  haupt- 
sachlich  aus  allerlei  Arten  von  Enten  und  Giinsen  bestand  2).  Das  Wort 
bezeicbnet  daher  in  erster  Linie  Vogel  dieser  Art  und  findet  sicb  so 
auch  noch  im  Kopt.  als  ojiiT^).  Daneben  ist  es  aber  audi  friih  zum 
allgemeinen  Ausdruck  tur  Vogel  aller  Art,  mit  Ausscblufi  der  Raub- 
vogel,  geworden.  Wie  an  unserer  Stelle  wird  es,  seiner  Grundbedeutung 
entsprechend,  stets  mit  dem  Bilde  einer  Gans  determiniert.  Der  Be- 
deutungserweiterung  von  jjx?  folgend,  ist  das  Bild  dieses  Vogels  seit  dem 
mittleren  Reich  (c.  2000  v.  Chr.)  zum  allgemeinen  Determinativ  nicht 
nur  fur  alle  Arten  von  Vogeln  geworden,  sondern  auch  fiir  alles,  was 
fliegt,  iiberhaupt,  z.  B.  auch  fiir  Heuschrecken,  Miicken  und  Kafer,  die 


1)  Vgl.  die  Nennung  der  „Landei*  von  Mitanni"  in  der  wabrsclieinlicb  ans 
demselben  Jahre  33  des  Konigs  Thutmosis  III.  stamnienden  uud  den  Sieg  iiber 
Nabarain  verberrlicbenden  Inscbrift  Urk.  IV  589.  Aucb  Urk.  IV  617  lalit  die 
„Lauder  voji  Mitanni"  zitternd  den  Kcinig  seben  „als  Krokodil,  den  Herrn  des 
Scbreckens  im  Wasser,  dem  man  sicb  nicbt  nabt".  Das  konnte  auf  die  Kampl'e 
an  und  auf  dem  Eupbrat  geben. 

2)  i'gd  wird  daber  im  alten  Reicb  in  seiner  Pluralform  oft  mit  drei  ver- 
scbiedenen  Giinse-Vogeln  (Ganse  oder  Enten)  determiniert,  gerade  wie  die  Sammel- 
bezeicbnungen  rmt.w  ,,Menscben",  mhj.t  ,,Fiscbe'',  ninmn.t  „E.erde",  Hv.t  „Wild'', 
,,Kleinvieb"  mit  drei  verscbiedenen  Wesen  ibrer  Kategorie  gescbrieben  werden. 
In  den  Speiselistcn  („Opferlisten")  und  den  Tierbildern  der  alten  Graber  erscbeint 
es  deun'  aucb  niemals  in  den  Bezeicbnungen  fiir  die  besonderen  Sorten  Ganse  oder 
Enten,  wie  trp,  si.t,  sr,  r  usw.,  die  dort  aufgefiibrt  werden. 

3)  In  der  Verbindung  tOT  IJ-COBT  „Gansefett",  worunter  sicberliob  Fett  von 
aUen  moglicben  Ganse-  oder  Enteusorten  gemeint  ist. 

Andreas-Festschrift.  8 


114  Kurt  Sethe, 

man  in  alterer  Zeit  mit  ihren  eigenen  Bildern  geschrieben  batte.  Noch 
friiber  zeigt  sicb  uns  die  Gans  als  allgemeiner  Reprasentant  der 
Yogelwelt  in  der  Hieroglypbe  fiir  das  Wort  „fliegen"  (pi),  die  scbon 
im  alten  Reicbe  aucb  als  pbonetiscbes  Zeicben  fiir  die  Konsonanten- 
folge  pi  in  der  Scbrift  fest  eingebiirgert  ist.  Diese  Hieroglypbe  stellt 
eine  fliegende  Gans  dar:   ^k^. 

Von  diesen  „4  ipd-Y ogeln  dieses  Landes",  die  unser  Text 
nennt,  wird  nun  etwas  Besonderes  ausgesagt  in  einem  durcb  die  Par- 
tikel  ist  eingeleiteten  Nominalsatz,  dessen  Subjekt  das  Pronomen 
3.  plur.  st  (kopt.  (ie)  war,  und  dessen  Pradikat  aus  der  Proposition 
hr  „auf"  mit  einem  femininalen  Infinitiv  bestand,  der  iiblicben  Um- 
scbreibung  fiir  das  Verbum  finitum  von  Tatigkeitsverben  („icb  bin  auf 
dem  Horen"  d.  h.  „icb  bore").  Das  Verbum  selbst  ist  zerstort  bis 
auf  einen  Zeicbenrest,  der  indessen  geniigt,  um  das  ganze  Wort  sicber 
wieder  berzustellen.  Es  ist  das  untere  Ende  eines  boben  Zeicbens, 
bestebend  aus  3  parallelen  senkrecbten  Stricben,  wie  sie  sonst  als 
Determinativ  des  Pluralis  dienen.  Daneben  mufi  ein  scbmales  bobes 
Zeicben  gestanden  haben. 

Dieser  Befund  scblieM  die  Erganzung,  die  von  Bissing  an- 
genommen   bat,    fi  0  I  si^ingen"  i),   von  vorn  bereiu  aus.     Sie  ist  aucb 

orthograpbisch  und  spracblicb  unmoglicb,  da  Ijsj  „singen"  nicbt  ohne 
das  Determinativ  der  Tatigkeit  mit  dem  Munde  gescbrieben  sein 
wiirde  und  sonst  m.  AV.  aucb  niemals  vom  Singen  der  Vogel  gebraucbt 
wird,  bezeicbnet  es  docb  aucb  von  Haus  aus  den  mit  Taktklatscben 
der  Hande  begleiteten  sogen.  „Gesang"  der  Menscben,  wie  er  nocb 
lieute  im  Orient  geiibt  wird,  d.  b.  ein  naselndes  Rezitieren  von  Worten. 
Es  ist  keineswegs  selbstverstandlicb,  dali  der  Ausdruck  fiir  diese  be- 
sondere  musikaliscbe  Leistung  ohne  Weiteres  aucb  auf  den  Gesang 
der  Vogel  iibertragen  worden  sei.  Uberdies  bat  aber  aucb  hsj  „singen" 
seit  dem  mittleren  Reicb  nicbt  mebr  seinen  alten  weiblicben  Infinitiv 
(im  alten  Reicb  hs.t  gescbrieben);  dieser  ist  damals  bereits  durcb 
eine  mask.  Neubildung  hsj  ersetzt,  die  uns  aucb  kopt.  als  ecoc  er- 
halten  ist  '^). 

Der  an  unserer  Stelle  erbaltene  Zeicbenrest  lafit  sicb  in  der  Tat 
nur  zu  einem  Zeicben  vervollstandigen,  der  Hieroglypbe  |T|  ms.  Er- 
ganzt   man    das    dazu    geborige  Komplement    1  .s,  so  erblilt  man  in  111  I' 

1)  von  Bissing,  Die  statistisclie  Talel  S.  3ti.  —  Ebenda  S.  XXXVI  iiber- 
setzt  er  frei  „z\vitscliern".  2;  Sethe,  Verbum  II  §  681. 


iJio  illtesto  Erwahiiuug  des  Haushiilins  in  eincm  agyptiscliou  Toxtc.        115 

eine  durchaus  passende  Form  in  normaler  Schreibung:  m.s' J  „gebaren" 
(kopt.  uice),  Infinitiv  von  insj.  Gerade  dieses  Verbum  msj  ist  eines 
der  wenigen  Verben,  die  man  in  den  hieroglypliischen  Texten  des 
neuen  Reichs  fast  immer  ohne  Deterniinativ  schreibt,  wie  es  hier  an 
unserer  Stelle  der  Fall  gewesen  sein  muG. 

Auf  das  so  erraittelte  Verbum  tblgt,  als  Beschlufj  des  Satzes, 
der  adverbielle  Ausdruck  r'  nh  „jeden  Tag",  „alltaglicli". 

Es  stand  also  ohne  jedenZweifel  da:  „sie  gebaren  (bzw.  gebaren) 
jeden  Tag".    Was  das  bedeutet,  ist  klar:  sie  legten  taglich  Eier. 

Das  aber  ist  eines  der  hervorstechendsten  Merkmale  des  Haus- 
huhns,  dafi  es  einen  grofien  Teil  des  Jahres  fast  taglich  Eier  legti). 
Von  4  Hiihnern  zusammen  wird  man  selbst  in  den  weniger  guten 
Monaten  (von  den  ganz  ergebnislosen  abgesehen)  noch  jeden  Tag  Eier 
bekommen.  Nun  gelingt  es  zwar  guten  Zuchtern  wohl  auch  bei  Enten 
sehr  gute  Ergebnisse  im  Eierlegen  zu  erzielen^);  doch  erreichen  sie 
nie  den  Grad,  der  das  Haushuhn  vor  alien  andern  Vogeln  auszeichnet 
und  der  es  rechtfertigt,  dali  man  von  ihm  auch  bei  uns  allgemeiu 
sagt,  es  lege  taglich. 

Wir  dlirften  also  in  unserer  Stelle  mit  grolier  Wahrscheinlichkeit 
ein  Zeugnis  fiir  die  Anwesenheit  des  Haushuhns  im  Bereiche  oder  in 
der  Nachbarschaft  der  Euphratlander  im  15.  Jh.  v.  Chr.  .besitzen.  Ist 
das  aber  der  Fall,  so  zeigt  die  Bezeichuuug  „j^(Z-Vogel  dieses  Landes" 
sowie  der  ganze  Zusammenhang  klar,  dalj  das  Tier,  von  dem  hier  die 
Rede  ist,  daraals  in  Agypten  noch  nicht  zu  Hause  war,  wie  das  fiir 
das  Haushuhn  oben  mit  einem  argumentum  ex  silentio  als  sehr  wahr- 
scheinlich  geschlossen  werden  konnte.  Wann  die  Einbiirgerung  des 
Haushuhnes  in  Agypten  in  der  Folgezeit  eingetreten  ist,  lafit  sich,  wie 
gesagt,  nicht  feststellen  ^).  Sie  konnte  sehr  wohl  erst  im  7.  Jh.  v.  Chr. 
durch    die  Assyrer-  oder   im    6.  .Jh.   durch  die  Perserzuge  verursacht 

1)  Eiu  Huhn  legt  in  seinen  guten  Jaliren  (vom  2.  Jahre  seines  Lebeus  ab) 
bei  gutei"  Pflege  ca.  150 — 160  Eier  im  Jahre,  in  den  besteu  Monaten  (Sommer) 
je  etwa  20  bis  25  Eier.    S.  Lenz,  Die  Vogel^  S.  412  ff. 

2)  90  bis  100  Eier  das  Jahr. 

3)  Wie   das  mit  dem  Bilde   der  Gans  und  den  Pluralstriclien  determinierte 

Wort    nHflfl  fe^    t'lsj   in  der  Stelle  Anast.  V  11,3  (Schulheft  der  19.  Dynastie) 

„gib  eine  10  von  ijjd-Yogeln  meinen  Leuten  zum  msf-  zu  verstelien  ist,  ob  es  eben- 
lalls  ,, Eierlegen"  bedeutet  oder  „Briiten",  bleibe  dahingestellt.  Dali  es  sich  hier 
aber  nicht  um  Hiihner,  soudern  um  Ganse  oder  Enten  handelt,  scheint  das,  was 
nachher  folgt,  zu  zeigen:  ,,du  unterlafjt  zu  gehen  und  zu  konimen  zu  dem  weifieii 
ipd-Yogel  zu  (oder:  an)  diesem  kiihlen  Krokodilgewasser". 

8* 


116      Kurt  Sethe,  Die  iiltcste  Erwalinung  d.  Hauslinlms  in  e.  agypt.  Texte. 

sein.  Die  kopt.  Bezeichnungen  ftir  die  Hiihner,  die  die  koptisch- 
arabischen  Vokabulare  aus  dem  Mittelalter,  die  sogen.  „Slvalen",  ver- 
zeichnen,  zeigen,  daB  der  Halm  ('JX^o.}\)  einfach  mit  dem  griech.  Worte 
dXsxxtop,  das  Kiiken  (^y^^)  mit  der  ag.  Bezeichnung  fur  „Kind"  uao 
bezeicbnet  wurdeu  (Kircher,  Lingua  aegyptiaca  restituta  S.  168). 
Fur  die  Henne  (.i^lawv>vJl)  werden  mebrere  Namen  bezeugt,  die  agyp- 
tiscbes  Ausseben  zeigen,  aber  ohne  alte  Aquivalente  dasteben.  In  der 
von  Kircber  (a. a.  0.)  veroffentlicbten  bohairiscben  Skala  sind  zwiscben 
Habn  und  Kiiken  genannt^): 

iiiep^y  jr'-4-^-'^  r^lie  Hlibner"  (Habn,  Henne,  Kiiken). 

'I'AiJAnAi  ^4-'^'^-'^   wdie  Henne"  (vgl.  unten  iiAntui?). 

■I'epxco  ^;^ULj>.J\  „die  Henne". 
Alls  den  beiden  noch  immer  unveroffentlicbten  sabidiscben  Skalen 
fiibrt  Peyron  in  seinem  Lexikon  folgende  Worter  an: 
CTAiue  ^iLjvJl  Cod.  Par.  43.  44. 
uoTKiiAio  ^j^\  -lL>  Cod.  Par.  40. 
In    dem    sabidiscb    abgefafiten  „Triadon"  (ed.  v.  Lemm)  Stropbe 
517    bezeicbnet    uao    die  Kiicblein  (-I^Jl),    nAncoi'^),  das  anderwarts 
(Levit.  14,  4,  s.  Peyrous  Lexikon),  deutlicb  als  Maskulinum  bebandelt, 
das  griecb.  ^pvi&iov  (j-^i)  wiedergibt  •'),  die  Henne  (<i4-'^^-'0' 

')  Ml  ist  die  plur.,  'I*  die  fem.  Form  des  bestimmten  Artikels. 

2)  Ohne  den  zu  erwartenden  bestimmten  Artikel,  vermutlicli  woil  das  an- 
Jautende  n  des  Stammes  als  solcher  angesehen  wurde. 

•J)  Es  scheint  eine  reduplizierte  Form  des  Stammes  j;j  ,,fliegen"  darzustellen, 
vgl.  Setlae,  Verbum  I  §  418. 

Gottingen.  Kurt  Setbe. 


ANDREAS  FESTSCHRIFT. 


ZU  SOFUS  LARSEN,  ALTE  SASSANIDENMUSTER 
IN  NORDISCHEE  NACHBILDUNG. 


ALTE  SAS8ANIDENMU8TER  IN  NORDISCHER 
NACHBILDUNG. 

MIT  ZWEI  TATELX. 


Das  Historisclie  Museum  des  Staates  zu  Stockliolm  besitzt  einige 
ganz  eig-enartig-e  Kirclienteppiclie  aus  clem  spateren  Mittelalter.  In 
kunstlerischer  Hinsiclit  bilden  sie  eine  kleine,  scharf  abgegreuzte 
Gruppe.  die  sicli  sowolil  durch  die  technische  Ausfiilirung  als  durcli 
die  Eigenart  der  Muster  auszeiclinet.  Die  Technik  ist  olme  Zweifel 
einlieimiseli :  mil  den  dilrftigen  Mitteln.  die  ihr  zu  Gebote  standen. 
ist  sie  bestrebt  gewesen,  von  der  Farbenpraclit  der  Originale  so  viel 
wie  moglicli  zu  bewaliren.  Die  Muster  dagegen  sind  augensclieinlich 
Abkommlinge  einer  fremdartigen  und  stilvollen  Kunst.  Hire  Vorbilder 
diirften  einem  dem  nordischen  Mittelalter  auBerordentlicli  fernstelienden 
Kulturkreise  angehoren.  Die  Teppiclie  sind  seinerzeit  fiir  verschie- 
dene  rituelle  Zwecke  verwendet  worden,  und  das  Zeitalter,  das  sie 
schuf,  nannte  sie  deshalb  „K3'rkepeller",  ein  Name,  deu  man  damals 
fiir  kostbare  Kirclienteppiclie  insgemein  brauchte  olme  Rilcksicht 
darauf,  dafi  das  Wort  Pell  (d.  h.  Pfellel)  urspriinglicli  nur  purpur- 
farbige  Seidenstoffe  bezeiclmete.  Aufierlialb  des  Kreises  der  nordischen 
Forsclier  ist  die  Existenz  dieser  Teppiclie  walirsclieinlicli  selir  wenig 
bekannt;  eine  eingehende  Besclireibung  von  zwei  Exemplaren  dieser 
Gattung  dlirfte  demnacli  vielleicht  von  Interesse  sein. 

Das  eine  —  jetzt  nur  ein  Fragment  —  stammt  aus  der  Ostra 
Stenby  Kirclie  in  der  Diozese  Linkoping  und  wurde  1846  dort  von 
N.  M.  Mandelgren  zufallig  unter  einem  Haufen  Gewander  entdeckt, 
der  seit  vielen  Jahren  auf  dem  Altar  unbeaclitet  lag.  In  seinen 
„Samlingar  til  svenska  konst-  ocli  odlingsliistorien"  H.  I  (I86(i)  hat 
er  eine  farbige  Abbildung  desselben  veroftentlicht,  von  der  ich  auf 
nebenstehender  Tafel  eine  etwas  verkleinerte  Kopie  gebe. 


118  Sofus  Larsen, 

Nacli  der  Buchstabenform  seiner  Iiischriften  zu  urteilen,  stammt 
dieser  Teppicli  wahrsclieinlich  aus  der  Zeit  um  das  Jahr  1400  imd  ist 
ebensowenig-  ein  Origmal  wie  das  spater  zu  erwahnende  zweite,  etwas 
jiingere  Stiick.  von  deni  unten  bei  S.  126  eine  Abbildung*  nacli 
Hildebrandt,  Sveriges  medeltid  III,  706  gegeben  wird. 

Der  Teppicli  besteht  aus  g^roben,  in  Muster  g'eschnittenen  oder 
ausg'ebauenen  Tuchstiicken  von  verschiedener  Farbe,  die  zu  einem 
Ganzen  zusammengenaht  und  mit  fein  ausgesclmitteuen,  mittels 
weifien  Zwirns  angenahten  Riemen  aus  Tierfellen  bestickt  sind. 
Wenn  Mandelgren  in  seiner  Darstellung  behauptet,  daC  der  Stil 
rein  gotisch  sei,  so  wird  er  lieutzutage  kaum  viele  Proselyten  flir 
seine  Ansicht  gewinnen.  Weit  einsichtsvoUer  lautet  Hildebrandts 
vorsiclitige  AuBerung  (1.  1.  Ill,  706):  „Die  Tierbilder  aiif  diesen 
Teppichen  tragen  alle  ein  sehr  altertiimliclies  Geprage.  Es  sclieint, 
dafi  man  das  ganze  Mittelalter  hindurch  die  alten  Muster  beibehalten 
bat."  Doch  deutet  er  in  keiner  Weise  an,  woher  seiner  Meinung 
nach  diese  alten  Muster  stammen.  Gerade  dies  mochte  ich  hier 
nachzuweisen  versuchen. 

Vor  der  Zeit  Alexanders  des  Grofien  hatte  die  antike  Welt  nur 
eine  sehr  geringe  Kenntnis  der  Seidenstoffe  und  der  Seidenindustrie. 
Erst  die  Eroberung  des  Perserreiches  und  die  kolossale  Beute  an 
gewebten  und  goldgestickten  Stoffen,  die  bei  der  Beschlagnahme  und 
Pliinderung  der  Sdiatze  des  persischen  Konigs  und  seiner  Magnaten 
gemaclit  wurde^),  fiihrten  der  Industrie  des  Westens  neue  An- 
regungen  zu. 

Scbon  wahrend  der  Diadochenzeit  macliten  die  Webereien  Syriens 
und  iigyptens  diesbezligliche  Versuche;  die  Bemiihungen  scheiterten 
aber  stets  an  demselben  Hindernis :  es  stellte  sich  als  auBerordentlicti 
schwierig  heraus,  das  erforderlicbe  Eolimaterial,  das  nur  im  aller- 
fernsten  Osten  hergestellt  wurde,  herbeizuschaffen.  Die  Ptolemaer 
gaben  sich  die  groBte  MUhe,  auf  dem  Seewege  eine  HandelsstraBe 
nach  dem  gelobten  Lande  zu  eroffnen.  Von  Agyptens  siidlichsten 
Hafen  am  Roten  Meere  aus  versuchten  griechische  Schiifer,  an  der 
Kiiste  entlang  vorsichtig  vorwarts  zu  segeln,  und  erreichten  wahr- 
scheinlich  schon  damals  das  nordwestliche  Indien  (Indoskythien),  das 
auf  BergstraCen  einen  sehr  unsicheren  Verkehr  mit  China  unterhielt-). 


')  Vg-1.  Diodori  Bibl.  hist,  recogu.  Fischer  XVIT,  70,  3.   —   Onrtiiis,   Hist. 
Alexandri.  Ill,  13,  5—12. 

2)  Periplus  maris  Erythraei  ed.  B.  Fabricius  (1888)  §  64. 


Alte  Sassauidenmuster  in  uordisclier  ^'achbildung.  119 

Der  groBte  Teil  der  Rohseide,  welche  die  Webereien  braiichten.  muSte 
jedocli  immer  liber  Laud  durch  Asien  bezogen  werden,  und  hier 
liinderten  zuerst  die  Arsaciden,  spater  die  Sassaniden  nach  Kraften 
jeden  direkteu  Yerkehr  zwischen  Osten  und  Westeu.  Uuter  keiuen 
Urastanden  wollteu  sie  es  auderen  erlauben,  sich  an  dem  eintraglichen 
Seideuhaudel  zu  beteiligeu,  den  sie  von  alters  lier  auf  Karawanen- 
straBen  dnrcli  das  Tarimbecken  mit  dem  westlichen  Cliina  betrieben. 
Dieser  Handel  bildete  namlich  eiuesteils  die  Grundlage  ilirer  eigeueu 
Seidenindustrie  und  ermog-lichte  es  ilinen  andernteils,  das  romisclie  Reich 
beinalie  nach  Belieben  zu  brandschatzen,  indem  sie  einen  uugeheureu 
Zwischenhandlergewinn  nahmen.  Auch  nachdem  sich  Justinian  durch 
ein  paar  nestorianische  Monche  Seidenraupenbrut  —  wahrscheinlich 
aus  Khotan  —  durch  List  erworben  hatte,  verstrichen  lange  Jahre, 
bis  die  Lander  des  Westens  imstande  waren,  ihren  Bedarf  an  Seide 
selbst  zu  decken.  und  Persien  blieb  aus  diesem  Grunde  immer  der 
Hauptsitz  der  Seidenindustrie.  Es  beherrschte  den  chinesischen  Markt, 
seine  Muster  waren  im  romischen  Kaiserreich  schon  lange  Mode  und 
hatten  auf  den  Stil  des  Westens  einen  bedeutenden  und  dauernden 
EinfluB  geiibt.  Ein  alter  Kirchenvater,  der  Bischof  Asterius  von 
Amasea,  schildert  um  das  Jahr  400  in  einer  seiner  Homilien  zutreffend 
und  mit  scharf  ausgesprochener  Entrtistung  die  Ornamentik  dieser 
sehr  gesuchten  sassanidischen  Stoffe.  die  zu  seiner  Zeit  in  den 
griechischen  Webereien  eine  bedeutende  Rolle  spielteni):  ,.Man  sielit 
dort  Lowen  und  Leoparden,  Stiere  und  Hunde,  Walder,  Felsen  und 
Jager,  die  wilde  Tiere  erlegen."  Wir  sind  in  der  Lage.  die  Richtig- 
keit  seiner  Beschreibung  dokumentarisch  erweisen  zu  konnen.  Eine 
Jagdszene  dieser  Art  ist  auf  einem  in  Agypten  aufgefundenen. 
spatklassischen ,  wollenen  Tuchrest  wiedergegeben  2) ;  sie  erinnert  in 
hohem  Grade  an  sassanidische  Darstellungen  ahnlicher  Vorwilrfe  auf 
den  Reliefs  von  Taq-i-B6stan^). 

Der  Sophist  Philostratos  aus  Lemnos  fiigt  einen  weiteren  Zug 
zum  Bilde  hinzu^),  wenn   er  in  seinen   „Imagines"   von  den  wilden 

1)  S.  Asterii  Episcopi  Araaseae  Homiliae.  Or.  &  Lat.  ed.  Ph.  Rubeuius. 
Antw.  1615.  Horn.  I  p.  4.  —  Ibid.  p.  3  werden  dieselben  Gewander  als  zee  twv 
TleQGixwv  G!(io?.rjxa)v  vij/ncaa  bezeichnet. 

-)  Abg-ebildet  bei  Hampe,  Kat.  d.  Gewebesamml.  des  germauischen  National- 
uuiseums.    Xiirnberg.    I  (1896)  S.  46-48  Nr.  332  — 335. 

3)  Flan  din  &  Coste,  Voyage  en  Perse.  Tables  I  — II.  Tak-i-Bostan. 
PI.  10  &  12. 

*)  Philostrati  maioris  Imagines.    Lipsiae  1893.    P.  385,  29—30  (=11,  31). 


120  Sofus  Larsen, 

Fabeltieren  spricht,  welclie  die  Barbaren  in  Babylon  anf  ilire  Kleicler 
sticken  liefien,  und  Ammian  bezeugt^),  dafi  Tnnikas  mit  solchen  viel- 
formigen  Fabeltiergestalten  zu  seiner  Zeit  (4.  Jahrh.)  die  hocliste 
Mode  gewesen  seien.  Ubrigens  sind  diese  Dekorationsmnster  weder 
unter  der  Herrschaft  der  Sassaniden  noch  unter  der  der  Arsaciden 
erfunden.  Sie  waren  eine  alte  Erbschaft  aus  dem  Perserreiclie,  deren 
Ursprung  wir  walirscheinlich  weit  zuriick  in  der  Kunst  der  Enphrat- 
lander  suchen  miissen.  Quintus  Curtins  berichtef^),  dafi  das  Gewand 
des  Perserkonigs  mit  gestickten  Tiergestalten  geschmiickt  war,  nnd 
in  den  Skulpturresten  aus  Persepolis  treffen  wir  ebenfalls  ihre  Vor- 
bilder^). 

Ziemlich  friili  waren  sie  bereits  ini  Westen  bekannt:  sclion 
Plautus  erwalmt '»)  diese  helluata  tapetia  nnd  nennt  Alexandria  als  die 
Stelle,  wo  sie  vorzugsweise  angefertigt  wnrden.  Wie  friih  sie  ein 
standiges  Glied  der  ornamentalen  Motive  der  griecliiscli-romischen 
Webekunst  wurden,  wissen  wir  niclit  mit  Sicherheit;  gewiB  ist  aber, 
dafi  sie  sich  sehr  lange  erlialten  haben  nnd  nicht  selten  in  der 
byzantinischen  Kunst  zu  finden  sind,  von  welclier  sie  sich  spaterhin 
nach  alien  Fabrikzentren  des  Westens  verbreiteten.  Icli  will  liier 
teils  auf  einzelne  Stiicke'')  verweisen,  deren  griechische  Herkunft 
durcli  die  Inschriften,  die  sie  tragen,  gesicliert  ist  —  fehlen  solclie, 
so  ist  die  Anfertigungsstelle  in  der  Kegel  unsicher,  berulit  jedenfalls 
auf  Vermutung  — ,  teils  darauf  aufmerksam  machen,  daB  das  Inventar 
Gregorius'  des  Acliten  aus  dem  Jabre  1295  6)  eine  Eeilie  von  „panni 
de  Romania"    (d.  li.   im  byzantinischen  Eeiche  hergestellten  Seiden- 


1)  Ammiani  Renim  gest.  libri  qui  supersunt.  Ed.  Clark  (1910)  XIV,  6,  9: 
„tunicae  .  .  .  uarietate  liciorum  effigiatae  in  species  aniiiialium  multiformes." 

-)  Curtins,  Hist.  Alex.  Ill,  3,  17:  ,,pallain  anro  distinctam  aurei  accipitres, 
velut  rostris  inter  se  concurrerent,  adornabant." 

3)  Flandin  &  Coste,  Voyage  en  Perse.  Tables  III  — IV.  Persepolis.  PI. 
123,  124,  152.  F.  Stolze  &  F.  C.  Andreas,  Persepolis  Bd.  I  Berlin  1882  Fol. 
T.  4.  7.  30.  62. 

♦)  Pseudolus.     V.  146  ff. 

•"')  Das  Stiick  mit  den  Elefanten  aus  dem  Grabe  Karls  des  GroBen  zu  Aachen 
(G.  Mi g eon,  Les  arts  du  tissu.  P.  26);  das  Stiick  mit  den  affrontierten  Lowen 
aus  der  Abteikirche  in  Siegburg  (Migeon.  P.  16).  Fragmente  einer  etwas  spateren 
Eeproduktion  desselben  Musters  finden  sich  in  den  Museen  zu  Dlisseldorf,  (Jrefeld 
und  Berlin. 

")  Herausgegeben  von  E.  Molinier  in  der  Bibliotheque  de  I'Ecole  des  Cbartes. 
Vgl.  z.  B.  Nr.  816  (Bd.  46,  S.  19);  Nr.  1181-1192  (Bd.  47,  S.  647). 


Alte  Sassanidenmuster  in  nordischer  Nacbbildnug.  121 

stoffen)  erwahnt  uiid  besclireibt,  die  grol3enteils  mit  derartigen  Mustern 
(stilisierten  Lowen  imd  Vogeln,  Greifen  und  anderen  Fabeltieren,  bis- 
weilen  paarweise  in  runde  Ralimen  g-estellt)  g-eschmlickt  waren. 

Im  Jalire  (328,  als  Dastadsclierd  vom  Kaiser  Heraklios  gepliindert 
wurde,  und  einige  Jalire  spater,  als  das  Sassanidenreich  den  an- 
stiirmeuden  Arabern  unterlag,  wiederliolten  sicli  in  vielen  Beziehiingen 
die  Ereignisse  von  Alexanders  Eroberungszuge:  die  reiclien  Scliatze 
des  Konigsliauses  und  der  Vornehmen  an  gewebten  und  gestickten 
Praclitstoffen  wurden  von  den  rolien  Horden  erbeutet  und  zum  Teil 
spottwolilfeil  in  alle  Winde  zerstreut  —  es  liegen  einzelne  Nacli- 
richten  hieriiber  vor.  Uberrestchen  und  Stiickclien  davon  wanderten 
durcli  Zwischenliandler  westwarts,  wurden  von  den  Agenten  der  welt- 
lichen  und  geistliclien  Maclitliaber  aufgekauft  und  im  7.  und  8.  Jahr- 
liundert  als  kostbare  Scliatze  den  Kirclien  und  Klostern  geschenkt, 
welclie  im  Mittelalter,  wie  die  Inventarlisten  bezeugen,  oft  wahre 
Raritatenkabinette  von  gewebten  und  gestickten  Stoffen  aus  alien 
Landern  und  Zeiten  waren.  Hier  liaben  sie  dann  in  Reliquienschreinen 
und  lieimlichen  Facliern  jahrhundertelang  vergessen  und  unbeaclitet 
gelegen,  bis  sie  in  neuerer  Zeit  wieder  zu  lioher  Ehre  gelangten  und 
zum  Teil  Museen  und  offentliclien  Sammlungen  iiberwiesen  wurden. 

So  erging  es  alien  diesen  wunderbaren  Scliatzen.  Die  Kiinstler 
aber  und  die  durch  eine  jahiiiundertealte  Tradition  gescliulte 
Arbeiterscliaft  gingen  nicht  in  dera  politisclien  Gewitter  unter,  welches 
das  Reich  zertriimmerte.  Dank  der  eifrigen  Pflege  der  'Abbasiden 
bllihten  die  Seidenweberei  und  die  Kunst  des  Stickens  ringsumher  in 
den  Industriezentren  Persiens  auf,  und  durch  administrative  Ver- 
pflanzung  groBer  Mengeu  von  Arbeitern  entstanden  neue  Heimstatten 
dieser  Kiinste.  So  wurden  z.  B.  zu  Anfang  des  8.  Jahrhunderts  die 
das  gauze  Mittelalter  hindurch  beriilimten  Weberschulen  von  Bagdad 
ins  Leben  gerufen.  Dies  ist  auch  der  Grund,  weshalb  viele  von  den 
aus  der  alteren  Kalifenzeit  erhaltenen  Seidenstoffen  den  Eindruck 
machen,  nicht  nur  von  sassanidischen  Kunsttraditioneu  stark  beeintiuBt, 
sondern  geradezu  mehr  oder  weniger  gelungene  Nachahmungen  der 
alten  Muster  zu  sein.  Wir  linden  hier  dieselbe  phantastische  Fabel- 
tier-Fauna:  Greife,  Einhorner  und  gefliigelte  Lowen,  dieselben  dekorativ 
behandelten  Vogel  und  stilisierten  Adler.  Wie  friiher  sehen  wir  sie 
hauflg  streng  symmetrisch  geordnet,  je  zwei  und  zwei  mit  Riicken 
Oder  Front  gegeneinander,  bisweilen  je  einen  reclits  und  links  des 
heiligen  palmalmlichen  Baunies,  und  beinahe  immer  in  runde,  mit 
Laubornamenten   oder   geometrischen  Figuren  geschmiickte  Rahmen 


122  Sofus  Larseu, 

eingesclilossen.  Selbst  die  alteii,  ratselhaften,  symbolisclien  Zeiclieii, 
welche  die  Kiinstler  der  Sassanidenzeit  so  haufig-  an  den  Tieren  an- 
brachten,  flnden  wir  hier  wieder,  wahrend  sie  auf  den  byzantinischen 
Exemplaren  dieser  Gattung  so  gut  wie  immer  fehlen. 

Da6  die  Entwickehmg  sich  so  gestalten  muBte,  ist  verstandlicli 
genug-.  Es  war  ja  in  der  Tat  die  persische  Bevolkerung,  die  unter 
der  nenen  Regierung  uud  Eeligion  die  Traditionen  der  Vorfaliren 
weiter  fiihrte.  Einen  Einsatz  von  Kulturwerten  auf  dem  Gebiete 
der  Kunst  brachten  die  Araber  nicht  mit.  Deslialb  vermochten  sie 
auch  weder  neue  Anregungen  zu  geben,  nocli  an  den  jahrhnnderte- 
alten  kunstgewerblichen  Traditionen  zu  rlitteln,  welche  die  Perser 
wahrend  ihrer  Sonderentwickelung  geschaffen  hatten:  der  Strom 
floB,  anfangs  in  wenig  geanderter  Gestalt,  innerhalb  des  alten  Bettes 
ruhig  weiter. 

Diese  eigentiimlichen  Verhaltnisse  haben  das  Ihrige  dazu  beige- 
tragen,  dafi  es  hentzutage  mit  den  groBten  Schwierigkeiten  verbunden 
ist,  echt  sassanidische  Stoffe  und  spiitere  persisch-arabische  Nach- 
ahmungen  oder  Kopien  aus  der  alteren  Kalifenzeit  voneinander  zu 
unterscheiden. 

Es  fallt  nicht  schwer,  sa>ssanidische  Motive  in  alten  Gewebe- 
resten  nachzuweisen.  Sie  treteu  deutlich  genug  zu  Tage.  und  hier 
haben  wir  ja  auch  eine  nicht  unbedeutende  Stiitze  an  den  oben  zitierten 
literarischen  Nachrichten  aus  dem  klassischen  Altertum.  Einige  Auf- 
schliisse  gewiihren  uns  auch  die  erhaltenen  Metallarbeiten  und  die 
Uberreste  der  sassanidischen  Skulpturen.  So  zeigt  z.  B.  Khosroes 
Mantel  auf  dem  Basrelief  von  Taq-i-B6stani)  ein  phantastisches 
Tierornament  in  rundem  Rahmen,  welches  dem  auf  einem  Geweberest 
im  Victoria  and  Albert  Museum  in  South  Kensington  befindlichen 
ganz  ahnlich  ist ;  und  zu  dem  kleineren  Kreise  mit  dem  Halbmond  in 
der  Mitte  auf  demselben  Stiick  gibt  es  auf  dem  Gewand  einer  anderen 
Figur  von  Taq-i-Bostiin -)  eine  ziemlich  genaue  Parallele. 

Wer  aber  kann  zwischen  einer  alten  Nachahmung  aus  der  Kalifen- 
zeit und  einem  sassanidischen  Original  die  Grenze  Ziehen  ?  Auf  diesem 
Gebiete  sind  wir  auf  unsicheres  Ermessen  angewiesen,  das  auf  ganz 
unzulangliches  Material  baut:  armselige  Uberreste  einer  reichen  Pro- 
duktion,   die   in  iliren  kiinstlerischen  Wirkungsmitteln  ohne  Zweifel 

0   Flan  din   &   Coste,    Voyage    en    Perse.     Tables  I  — II.     Tak-i-Bostan 
ri.  8.  —  Fischbach,  Ornamente  der  Gewebe  T.  IV.     PL  171.  A. 
2)  Tak-i-Bostan  PI.  11. 


Alte  Sassanidenmuster  in  iiordisdier  Nachtiildung'.  123 

weit  raaniiigfal tiger  gewesen  ist.  als  man  sich  jetzt  g-ewohiilich  vor- 
stellt.  Hier  gibt  es  und  wircl  es  wahrsclieinlicli  iiiimer  eine  groBe 
Liicke  in  unserem  Wissen  geben. 

Anders  stellt  sich  die  Saclie.  wo  es  gilt,  sassanidische  Originale 
nnd  Stoffe  aus  byzantinisclien  Fabriken  voneinander  zu  nntersclieiden. 
Ans  den  literarischen  Bericliten  geht  ja  deutlich  genng  liervor,  da6 
es  wiihrend  der  romisclien  Kaiserzeit  —  wahrsclieinlicli  aber  ancli 
sowohl  vorher  als  nachher  —  einen  lebhaften  Import  von  persischen 
Seidenstoffen  gegeben  hat,  und  es  ist  iiber  jeden  Zweifel  erhaben, 
da6  die  griechischen  Webereien,  deren  Hauptsitze  damals  Syrien  nnd 
Alexandria  waren,  von  dieseu  eigentiimlichen  orientalischen  Mustern 
stark  nnd  dauernd  beeinfluBt  wnrden :  die  stilisierten  Adler  nnd  Lowen, 
die  Greife  nnd  andere  geflligelte  Ungeheuer  unbestimmbarer  Art 
biirgerten  sich  auch  in  der  griechischen  Kunst  ein.  Daher  stammen 
ferner  die  in  alten  Beschreibnngen  gewebter  Stoffe  erwahnten  soge- 
nannten  alexandi'inischen  Teppiche  mit  Jagdszenen,  Schlaugen,  Leo- 
parden,  Lowen,  Tigerii,  Elefanten,  Enten  und  Fasanen  ').  und  endlich 
die  streng  sjanmetrische  Ordnnng  der  dekorativen  Elemente  innerlialb 
runder  Rahmen.  Aber  es  ist  etwas  anderes,  ob  es  sich  um  Entlehnung 
stilistischer  Einzelheiten,  znin  Teil  nnter  dem  Druck  der  Mode,  und 
eine  langsame,  sich  dnrch  mehrere  .Tahrhunderte  erstreckende  Assimi- 
lation handelt.  oder  um  minutiose  Kopierung  und  genaue  Nachahmung 
importierter  Muster  einer  fremden  und  in  religioser  Beziehung  feind- 
lichen  Kulturwelt.  Was  die  Zeit  zwischen  dem  G.  und  8.  Jahrh.  n.  Chr. 
betrifft,  bin  ich  kein  Anhiinger  des  bei  vielen  modernen  Kunst- 
historikern,  wie  es  scheint,  eingewurzelten  Glaubens  an  derartige 
byzantinische  Kopien  nach  sassanidischen  Mustern,  deren  einzelne 
dekorative  Elemente  ja  schon  langst  in  die  griechisch-romische  Orna- 
mentik  eingearbeitet  waren  und  im  Vergleich  mit  den  einheimisch- 
christlichen  Elementen  dieser  Zeit  keine  wesentliche  Eolle  mehr 
spielten.  Beides  laCt  sich,  dank  den  im  alten  Liher  pontificalis  ent- 
haltenen,  verhaltnismaBig  ausfiihrlichen  Berichten  iiber  die  Produktion 
der  byzantinisclien  Webereien  dieser  Zeit,  mit  Sicherheit  feststellen. 
Alle  diese  vela,  corthiae  und  restes.  die  in  langen  Reihen  aufgezalilt 
und  beschrieben  werden,  stellen  das  Resultat  des  Kampfes  dar,  der  sich 


1)  Liber  poutificalis  S.  190,  208,  228,  236,  237,  238,  239.  Die  Aiisgabe,  die 
ich  beimtzt  babe,  tragt  folgenden  Titel:  Anastasii  Bibliothecarii  Historia  de 
vitis  Eomanonim  pontilicuni  a  b.  Petro  apostolo  usqiie  ad  Jsicolauni  1.  cet.  Moguu- 
tiae.    1602,  4". 


124  Sofns  Larsen, 

in  den  friiheren  Jahrhunderten  zwischen  der  dekorativen  Kunst  des 
Westens  nnd  des  Ostens  abgespielt  hat:  zahlenmaBig-  spielt  die  letztere 
damals  eine  diirchaiis  nntergeordnete  Rolle,  und  die  Mnster  mit  sassa- 
nidisclien  Motiven  bilden  keine  scharf  abgegrenzte  Gruppe,  was  siclier 
der  Fall  sein  wiirde,  wenn  es  sich  nm  Kopien  liandelte.  Fabeltiere 
des  Orients  und  christliclie  Symbolik  linden  sich  auf  demselben  Stiick 
nnd  Seite  an  Seite,  wie  es  z.  B.  aus  folgender  Schilderung-  ans  der 
Zeit  um  das  Jahr  800  hervorgeht  9 :  „Ebenfalls  stiftete  er  (Leo  III) 
in  die  Pfarrkirche  der  Eudoxia  ein  Altartuch  aus  tyrischem  Purpur 
mit  groBen  Greifgestalten  und  zwei  Radern  von  Chrysoclavus- 
Gewebe  mit  einem  Kreuz  so  wie  einer  Borte  aus  dunkelviolettem 
Purpur  und  Chrysoclavus."  Ganz  dieselbe  Mischung  von  einheiraischen 
nnd  fremden  (sassanidischen)  Formelementen  und  Motiven  finden  wir 
in  mehreren  byzantinischen  Geweberesten  aus  sehr  frliher  Zeit,  deren 
Herkunft  audi  aus  diesem  Grunde  nicht  in  Zweifel  gezogen  werden 
kann2).  Die  Stiicke  aber,  die  g-ewohnlich  fiir  byzantinische  Kopien 
nach  sassanidischen  Mustern  ausgegeben  werden,  tragen  ein  ganz 
anderes  Geprage:  es  ist  in  der  Tat  unmoglich,  sie  von  Originalen  zu 

')  Lib.  pout.  P.  178:  „Item  fecit  (Leo  III)  vestem  in  titulo  Eudoxiae  super 
altare  tyriam  bal»eutem  grypas  raaiores  et  duas  rotas  chrysoclabas  cum  cruce 
et  periclysiu  blatbiu  et  cbrysoclauum."  —  Der  Grand  der  Borte  (periclysis)  bestand 
somit  wabrscheinlicb  aus  dunkelvioletter  Purpurseide,  in  welcbe  zahlreiche  kleine 
Goldoruamente  von  der  Gestalt  eiues  Nagelkopfes  hineingewebt  waren;  sie  wareu 
derartig  zusammengestellt,  dafi  sie  ein  geometrisches  Muster  bildeten. 

2)  Vgi.  z.  B.  folgende  bei  G.  Migeon,  Les  arts  du  tissu  (1909)  abgebildete 
Gewebereste : 

S.  17.  Aus  dem  Musee  du  Pare  du  Cinquantenaire  a  Bruxelles  (=  Fisclibach, 
Ornam.  d.  Gew.  T.  IV,  PL  164),  einen  gekronten  Wagenlenker  in  rundem  ornamen- 
tiertem  Eahmen  darstellend.  Keiu  sassanidischer  Fiirst  erscbeint  als  Wagenlenker; 
sie  werden  immer  entweder  zu  Fufi  oder  zu  Pferde  abgebildet.  Sie  tragen  auch 
nicht  eine  Krone  wie  die  hier  wiedergegebene.  Aber  die  ganze  Aufstellung  der 
Figuren  erinnert  an  ein  Sassanidenmuster,  und  zu  deni  kleinen  gefliigelten  Genius 
mit  dem  Krauze  gibt  es  auf  einer  sassanidischen  Skulptur  eine  merkwurdige  Parallels 
(Flandin  &  Coste,  Voyage  en  Perse.    Tables  I— IL     Tak-i-Bostau  PI.  7). 

S.  22.  Aus  dem  St.  Servatius-Dom  zu  Maastricht,  wabrscheinlicb  eine  Szene 
aus  dem  Zirkus  darstellend.  Byzantinisch  (griechisch)  ist  die  Sauls  mit  den  beiden 
SpieBtragern ,  sassanidisch  die  Eahmen,  die  Wildtiere  und  die  symmetrische  Auf- 
stellung. 

S.  25.  Aus  der  Kathedrale  zu  Sens.  Wahrscbeinlich  byzantinische  Bearbei- 
tung  eines  baliylouiscben  Motives  (Gilgamesch  im  Kampf  mit  Lowen).  Dieses  Motiv 
ist  auf  christlichen  Mustern  recht  haufig,  wahrscbeinlich  weil  es  als  Daniel  in  der 
Lowengrube  gedeutet  wurde.  Die  Lowen  hier  sind  nur  sehr  weitlaufige  Verwandte 
der  sassanidischen  Wildtiere. 


Alte  Sassanidenmuster  in  nordiscber  Naclibildung".  125 

untersclieiden  i).  Waruiii  soil  man  sie  dann  aber  iiiclit  als  echte  Uber- 
reste  aus  der  Sassanideiizeit  betracliten?  Nach  meinem  Dafiirhalten 
g-eben  sie  uns  in  A^erbindung  niit  den  von  alien  als  edit  anerkannten 
.Stlicken  eiiie  allerdings  fragmentarisclie  und  enge,  aber  doch  branch- 
bare  Grnndlage  znm  Verstandnis  dieser  orientalischen  Webeknnst, 
die  in  jenen  Zeiten  eine  Herrscherrolle  spielte  nnd  dnrcli  ihre  pliantasie- 
voUe  ornamentale  Beliandlung-  von  Tiergestalten  nnd  Pflanzenmotiven, 
dnrcli  ilire  iippige  Naturfreude,  erstannlichen  Farbensinn  nnd  iiber- 
legene  Teclinik  ilir  Herrsclierrecht  betatigte. 

Wie  Fnnken  nnd  verkolilte  Holzstiickclien  einer  nngelienren 
Fenersbrnnst  sind  diese  Uberreste  einer  entscliwundenen  Herrliclikeit 
iiber  das  Abendland  liinansgeflogen  nnd  in  den  damaligen  groBen 
Knltnrlandern  Dentschland,  Frankreich.  England  nnd  Italien  nieder- 
gefallen.  Die  nordisclien  Reiclie  besitzen  niclits  derartiges;  aber  die 
beiden  oben  erwahnten  „Peller"  ans  dem  Historischen  Museum  des 
Staates  zu  Stockholm  sind  wahrscheinlich  Kopien  —  moglicherweise 
mit  mehreren  Zwischengliedern  —  nach  ecliten  alten  sassanidischen 
Prachtstoffen. 

Hiervon  zeugen  zunachst  die  Wildtiere  mit  den  grimmigen 
Antlitzen,  den  ungestiimen  Bewegungen  nnd  phantastisch  gestalteten 
Schwanzen,  die  Fabeltiere  —  Greife,  Einhorner  und  Khilintiere  — , 
die  ganze  eigenartige  symbolische  Fauna,  die  dnrch  die  Kunst  des 
Sassanidenreiches  iiber  die  muhammedanische  und  cliristliche  Welt 
verbreitet  wurde.     Audi  die  eigentiimlichen  hieratischen  Zeichen  am 

1)  Zu  dieser  Klasse  ziihle  ich  verscbiedeiie  Gewebereste  aus  der  pilpstlicben 
Kapelle  Sancta  sanctorum,  die  erst  in  der  allerneuesteu  Zeit  bervorgezogen  und  der 
Forscbung  zugauglicb  gemacbt  worden  sind.  Sie  sind  alle  um  Eeliquien  aus  sebr 
friiber  Zeit  gewickelt  gewesen.  Abbildungen  derselben  gibt  es  bei  Lauer  (Extrait 
des  Monuments  et  Memoires  publics  par  I'Academie  des  Inscriptions  et  Belles  Lettres 
T.  XV,  1906) ;  Hartmaun  Grisar,  Die  romiscbe  Kapelle  Sancta  sanctorum  und  ibr 
Scbatz,  1909;  Fiscbbacb,  Ornamente  der  Gewebe  T.IV:  1.  Jagdszene(Fiscbbacb  PI.  166; 
Grisar  8.126);  2.  Das  Stuck  mit  den  Lowen  (Lauer  PI.  16;  Fiscbbacb  PI.  172  A; 
Grisar  S.  129) ;  '3.  Der  Pfauenteppicb  (Lauer  S.  167) ;  4.  Der  Habnenteppicb  (Lauer 
PI.  17;  Grisar  S.  127).  Der  Habn  gebort  nicht  in  die  altcbristlicbe ,  sondern  in  die 
persiscbe  Symbolik.  Im  Awesta  wird  er  als  ein  beiliger  Vogel  gepriesen,  der  mit 
seinem  Kraben  die  bosen  Geister  der  Nacbt  verscbeucbt;  5.  Die  Jagdszene  aus  der 
Kircbe  zu  Mozat  (Migeon  S.  27) ;  6.  Die  Jagdszene  aus  der  Kircbe  zu  Sackingen 
(Fiscbbacb  PI.  165) ;  7.  Fragment  einer  Jagdszene  aus  dem  Aachener  Dom  (Fiscb- 
bacb PL  167  A) ;  8.  Der  Mantel  Karls  des  Grofien  aus  der  Katbedrale  zu  Metz 
(Migeon  S.  30). 


126  Sofus  Larsen, 

Hinter-  und  Vordeiieib,  die  sicli  auf  so  gut  wie  alien  ecliten  Sassa- 
nidenstoffen  nachweiseu  lassen,  felilen  liier  iiicht.  Was  sie  eigentlicli 
bedeuten,  ist  nocli  niclit  aufgeklart.  Selbst  eine  Autoritat  wie  Ferdi- 
nand Justi  gibt  seine  Unwissenheit  iiber  diesen  Punkt  off  en  zu '). 
Endlich  will  icli  darauf  aufmerksam  maclien,  da6  diese  „Peller''  ancli 
von  der  rein  ornamentalen  Seite  dentlicli  zeigen,  woher  sie  stammen : 
die  Tiergestalten  sind  in  runde  Ealimen  eingesclilossen,  die  dreiteiligen 
Palmettenoniamente  mit  zuriickgebogenen  Seitenblattern,  welclie  die 
AMnkel  schmiicken,  linden  sich  sowolil  auf  anderen  Geweberesten  von 
unzweifelhafter  Echtheit  als  audi  auf  sassanidischen  Metallarbeiten  2). 
Zu  der  lilibsclieu  Borte  des  Teppichs,  von  dem  icli  auf  nebensteliender 
Tafel  eine  Abbildung  nacli  Hildebrand,  Sveriges  medeltid  III,  706  gebe. 
haben  wir  audi  ein  genaues  Gegenstiick  in  dem  Seidenstoff  von  dem 
Sdireine  Eridis  des  Heiligen,  der  audi  ein  editer  Abkommling  dieses 
Kunststiles  ist  und  walirsdieinlicli  aus  einer  der  Webereien  der  Kalifen- 
zeit  heriiilirt.  Dagegen  liabe  icli  nirgends  ein  den  wunderbaren 
ornamental  beliandelten  Dradiengestalten  entsprecliendes  Seitenstilck 
linden  konnen,  die  die  Borte  des  in  Farben  abgebildeten  Teppichs 
bilden.  Der  Grund  dllrfte  vielleiclit  der  sein,  da6  mit  Ausnalime  des 
Mantels  Karls  des  GroBen  zu  Metz  ilberliaupt  kein  gauzes  Stlick 
sassanidischen  Seidenstoff es  erhalten  ist,  sondern  nur  abgeschnittene 
Fragmeute  ohne  Borte.  Von  der  Borte,  die  sich  an  einem  der  seidenen 
Stoffe  aus  der  Kapelle  Sancta  sanctorum  befindet,  bemerkt  Hartmann 
Grisar,  der  den  Fund  selir  genau  untersucht  hat,  dafi  sie  spater  an- 
genaht  sei  und  urspriinglich  zu  einem  anderen  Stoffe  gehort  habe. 

Es  sind  nocli  zwei  Fragen  librig,  die  eine  kurze  Erorterung  be- 
anspruchen  diirften:  die  lateinische  Insdirift,  welche  sechs  der  neun 
Medallions  auf  dem  farbigen  Stlick  umgibt,  und  die  beiden  Kreise 
ebendort,  deren  Figuren  von  den  Tierdarstellungen  der  iibrigen  ver- 
schieden  sind.  Die  Inschrift  ist  iiberall  gleichlautend  und  gibt  den 
Gru6  des  Engels  an  Maria  ,,Ave  Maria  gratia  plena,  dominus  tecum'' 
mehr  oder  weniger  vollstandig  wieder.  Falls  meine  Vermutung  liber 
den  Ursprung  des  Musters  richtig  ist,  mu6  sie  natiirlich  von  dem- 
jenigen,  der  das  Original  kopierte,  an  diesem  Platz  eingesetzt  worden 

>)  Zeitschrift  filr  christl.  Kuiist  XT,  362. 

2)  T.  L.  Arne,  La  Suede  et  TOrient  (1914J  p.  180:  ,,Sur  les  vases  d'arg-ent 
d'origine  sassanide  et  persane-islamique  ancienne,  on  voit  souvent  line  espece  de 
pahnette,  a  trois  ou  cinq  feuilles  on  davantag-e,  dont  les  feuilles  exterieures  sout 
enroulees  vers  le  has  et  en  dedans,  tandisqne  les  feuilles  interieures  sont  en  general 
un  pen  recourhees  vers  le  liaut  et  en  dedans"  (Abbildungen  ibid.  p.  132—133). 


ANDEEAS  -  FESTSCHRIFT. 


ZU  SOFUS  LARSEN,   ALTE  SASSANIDENMUSTER 
IN  NORDISCHER  NACHBILDUNG. 


Alte  Sassanidenmiister  in  nordiscber  Nacbliiklnng.  127 

sein,  und  icli  lialte  es  flir  wahrscheinlich ,  claB  sie  eine  urspriingliclie 
Pelilewi-lnsclirift  verdrangt  liat.  Zur  Stiltze  dieser  Amialime  sei 
folg"endes  angefulirt:  die  Inschrift  stelit  nielit  in  der  entferntesten 
Bezieliimg-  zu  dem  Inlialte  der  bildliclien  Darstellungen ;  audi  fehlt 
sie  bei  dreien  der  neuii  Medaillons.  imd  der  Raiini,  wo  sie  stelien 
sollte,  wird  von  einem  edit  sassanidisclieii  Oruamente  eingenommeii. 
Wenn  dies  Ornament  im  Originale  audi  auf  den  sechs  jetzt  mit  In- 
scliriften  versebenen  Medaillons  angebradit  gewesen  ware,  wesbalb  sollte 
es  dann  der  Kopist  mit  einer  Inscbrift  vertausdit  baben,  wenn  er  docb 
an  drei  Stelien  das  Ornament  steben  lieB  ?  Der  Grimd  fiir  die  dreimalige 
Beibebaltung-  des  Ornamentes  kann  nicht  darin  gesucbt  werden,  da6 
es  ibm  an  passenden  Insdiriften  feblte;  denn  konnte  er  dieselbe  In- 
sdirift  secbsmal  wiederbolen,  wesbalb  dann  nidit  neunmal?  Die  In- 
konsequenz  und  Willkiir,  die  man  ibm  beimessen  miifite,  sdieint  um 
so  nierkwiirdiger.  als  er  in  anderen  Beziebungen  offenbar  seinem  Vor- 
bilde  sebr  genau  gefolgt  ist.  Nelimen  wir  dagegen  an,  da6  um  die 
secbs  Medaillons  des  Originals  berum  urspriingiicb  eine  Inscbrift  in 
fremdartigen  Bucbstaben  gestanden  bat,  so  wird  das  Verfabren  des 
Kopisten  durcbaus  verstandlicb  und  natiirlicb:  was  ibm  selbst  und 
seinem  Publikum  als  sinnloser  Krimskrams  erscbien,  wurde  durcli  eine 
Inscbrift  ersetzt,  weldie  seine  Zeitgenossen  lesen  konnten,  und  welcbe 
dem  von  dem  Teppicb  zu  macbenden  Gebraucb  entspracb. 

Die  in  den  beiden  oben  erwabnten  Kreisen  abgebildete  Gestalt 
ist  bodist  merkwiirdig.  Sie  erscbeint,  soviel  idi  weiB.  iiberbaupt  auf 
keinem  der  aus  der  Sassanidenzeit  erbaltenen  Gewebereste  und  aucb 
nidit  auf  irgendeiner  der  zablreicben  spateren  Nacbabmungen  und 
Auslaufer  dieser  Kunst.  Sie  geliort  niditsdestoweniger  ihreni  T3'pus 
und  Stile  nacb  in  denselben  Formen-  und  Vorstellungskreis  wie  die 
Tiergestalten.  und  das  merkwiirdige,  mit  der  spitzen  Mlitze  deko- 
rierte  Gesidit  finden  wir  meines  Eracbtens  aucb  als  Dekorations- 
motiv  auf  Kbosroes  AVaffenbemd  auf  dem  Basrelief  von  Taq-i-B6stan 
wieder ') ;  es  ist  wabrscbeinlicb  eine  symboliscb-religiose  Figur.  Icb 
konnte  mir  denken,  da6  es  eiu  Mitbragesicbt  mit  spitzer  Miitze  vor- 
stellen  solle,  von  welcbem  mit  Sonnenzeicben  versebene  Strablenblindel 
ausgeben.  Die  Greifengestalt  unter  dem  einen  ..Mitbragesicbt''  mit 
dem  symboliscben  Zeicben  am  Hinterleib  pa6t  ja  gut  in  das  Ensemble 
binein  und  gebort  wobl  in  den  Tierkreis  des  Gottes.  Dagegen  fallen 
in  diesem  Zusammenbange  die  unter  dem  zweiten  Gesicbt  augebracbten 


')  Flandin  &  Coste,  Voj'age  en  Perse,  Tables  I— 11.     Tak-i-Bostan  PI.  8. 


128  Sofns  Larseii,  Alte  Sassanidenmnster  in  nordisclier  ISaclibildung. 

Zeiclien  anf.  Moglicherweise  konnte  ein  Forscher,  dei*  in  die  religiose 
Symbolik  jenes  Zeitalters  eine  groBere  Einsiclit  besitzt  als  icli,  eine 
wahrscheinliche  Auslegung  derselben  geben.  Fliichtig  betrachtet 
scheiiien  sie  fast  lieraldisch  zu  sein;  dies  beruht  aber  wolil  eher 
daraiif,  da6  wir  liier  einer  verstandnislosen  Wiedergabe  von  Zeiclien 
gegeniiberstehen,  die  dem  Kopisten  wenigstens  ebenso  ratselhaft 
waren,  wie  sie  uns  sind. 

Wie  dem  audi  sein  mag,  leugnen  laBt  sicli  niclit  die  sclion  von 
Hildebrandt  wahrgenommene  Tatsaclie,  dafi  derjenige  oder  diejenigen, 
welclie  diese  Tierbilder  kopierten,  augenscheinlich  bestrebt  gewesen 
sind,  die  Einzellieiten  des  Originals  sorgfaltig  wiederzugeben.  Daher 
ist  der  Charakter  der  Typen  audi  nicht  verwisdit,  wie  es  bei  so 
vielen  anderen  Nadialimungen  dieses  Kunststiles  der  Fall  ist:  die 
Haltnng  und  das  Geprage  der  Figuren  verraten,  da6  sie  edit  em 
Sassanidenblut  entsprungen  sind. 

Es  ist  sdiwierig  zu  entsdieiden,  ob  diese  Teppidie  direkt  nadi 
dem  Original  kopiert,  oder  ob  melirere  Zwisdienglieder  anzunelimen 
sind,  was  idi  zu  glauben  geneigt  bin.  Die  Voraussetzung  fiir  dieses 
wie  jenes  ist,  da6  es  im  friilien  Mittelalter  originale  sassanidisdie 
Praclitstoffe  in  Sdiweden  gegeben  hat.  Da6  es  mehrere  gegeben  liat, 
sdilieBe  idi  u.  a.  daraus,  dafi  die  Tiertypen  so  wie  di»  Bortenmuster 
der  beiden  Teppidie  versdiieden  sind. 

Wie  bekannt,  stand  Sdiweden  —  und  in  etwas  geringerem  Grade 
audi  der  ilbrige  Norden  —  sdion  selir  friili  (etwa  seit  800  n.  Clir.) 
liber  Novgorod  und  das  Land  der  Cliazaren  niit  dem  Osten  in  lebhaftem 
Verkehr,  und  dieser  Yerkebr  wurde  lange  Zeit  liindurcli  unterlialten. 
Unter  den  Erzeugnissen,  weldie  die  Fiirsten  des  Nordens  durdi  Ge- 
sandte  und  Agenten  in  bedeutenden  Mengen  dort  aufkauften,  waren, 
wie  wir  mit  Sidierlieit  wissen,  praditvoll  gesdimlickte,  goldgestickte 
Seidenstoffe.  Auf  diesem  Wege  konnen  somit  sassanidisdie  Originale 
nadi  dem  Norden  gekommen  sein. 

Kopenhagen.  Sofus  Larsen. 


TIBER  BEEINFLUS8UNG 

DER  AUr  rE8TA]\lENTLICHEN  VOKALISATION 

DURCH  JUNGERE  SPRACHPRAXIS. 


Die  uns  iiberliefeite  Vokalisation  des  Alten  Testamentes  ist, 
obwolil  ihre  schriftliche  P'ixiernng  bekanntlicli  erst  einer  sehr  jungen 
Zeit  angehort,  doch  im  g'anzen  aul3erordentlich  zuverlassig*  und  auf 
jeden  Fall  das  wertvollste  Hilfsmittel  fiir  das  Verstandnis  des  x\lten 
Testamentes,  das  wir  besitzen.  Trotzdem  ist  sie  iiatlirlicli  niclit  olme 
Feliler.  Die  Qiiellen  dieser  Fehler  sind  verschieden.  Manchmal  hat 
man  sicli  zu  meclianiscli  an  die  liberlieferten  Buchstaben  gelialten 
und  infolgedessen  z.  B.  defektiv  geschriebene  Imperfektformen  wie 
^on  Gen  4,o  als  Jussive  vokalisiert  ("c'n),  wiilirend  es  gewohnliclie 
Imperfekta  sein  mlissen  (qpri;  man  beachte,  daS  audi  die  erste  Silbe 
defektiv  gesdirieben  ist),  vgl.  (Tesenins-Kautzsdi,  Hebr.  Gramm.. 
28.  Aufl.  (1909),  §  109  d.  In  anderen  Fallen  liat  man  Parallelstellen 
einander  angeglidien  und  so  z.  B.  in  Gen.  8, (,.,2  -n^.^  und  i:ri;']  statt 
^ri'T  und  "^r^"!'.  vokalisiert,  obwohl  bn^i  nicht  von  bri,  sondern  von  b-n 
Oder  b^n  lierkommt,  und  "-n^n  eine  ganz  unmOgliclie  Form  ist.  In 
wieder  anderen  Fallen  war  man  eine  altliebraische  Form  oder  Aus- 
drucksweise  nicht  mehr  gewolmt  und  ersetzte  sie,  wenn  der  Konso- 
nantentext  sie  nidit  unzweideutig  forderte,  durdi  eine  jiingere.  So 
waren  den  Spiiteren  z.  B.  die  Partizipia  in  perfektisdiem  Sinne  wie 
nN2n  „die  gekommene"  Gen.  18  21  offenbar  nicht  mehr  gelaufig;  daher 
betonten  sie  nxzn  auf  der  vorletzten  Silbe  und  stempelten  es  dadurcli 
zum  Perfekt;  der  Artikel  muBte  dann  natiirlich  im  Sinne  eines 
Relativs  gefaBt  werden,  was  moglich  ist,  aber  erst  in  den  jiingeren 
Biichern  des  A.  T.  vorkommt,  s.  Gesenius-Kautzsch  §  138  A-.  Einige 
Fehler  dieser  letzten  Art,  wo  also  die  Vokalisation  durcli  jiingere 
Sprachpraxis  beeinfluGt  ist,  mochte  icli  liier  kui'z  besprechen. 

Andreas -Festschrjlt.  9 


130  ~  Alfred  Eahlfs, 

1.    Die  Bezel chnuiig  des  ersteii  Menschen. 

In  der  jahwistischen  Urgeschichte  Gen.  2.  3  unci  4 ,  heiBt  der 
erste  Mensch  regelmaBig  nnsr:  ,,der  Mensch";  bloB  in  220.  Si;.,,  stelit 
ens  ohne  Artikel,  also  als  Eigenname  „Adani".  Man  hat  das  mit 
Recht  beanstandet  und  ancli  hier  die  Form  mit  Artikel  hergestellt, 
und  diese  Anderung  macht  in  der  Tat  niclit  die  geringsten  Scliwierig- 
keiten,  da  man  an  alien  drei  Stellen  nnr  die  Vokalisation  zu  andern 
und  anxb  in  c-xb  zu  korrigieren  braucht.  Hier  liaben  sicli  die  Pnnk- 
tatoren  offenbar  durcli  die  ihnen  gelaufige  jiingere  Praxis  beeinflussen 
lassen.  Wie  o  -/qiotoc  „der  Gesalbte"  zum  Eigennamen  Xqiot('i^ 
„Christus",  so  ist  cixn  „der  Mensch"  mit  der  Zeit  zum  Eigennamen 
CIS  „Adam''  geworden.  Als  soldier  iindet  sich  c-ii<  schon  im  Alten 
Testamente  selbst  in  jlingeren  Schriften,  namlich  im  Priesterkodex 
Gen.  5,.  3. 4. 5  und  in  Chron.  I  1 , ,  ja  einmal  sogar  schon  in  einem 
jahwistischen  Verse  Gen.  4-25,  wo  aber  die  Fortlassung  des  Artikels 
wohl  (mit  Budde)  auf  den  Eedaktor  zuriickzufiihren  ist.  Den  Spateren 
war  als  Bezeichnung  des  ersten  Menschen  nnr  der  Eigenname  „Adam" 
gelaufig;  charakteristisch  ist,  daS  schon  die  Septuaginta  in  Gen.  2  f. 
cnxn  nur  anfangs,  wo  mehr  von  dem  Genus  Mensch  die  Rede  ist, 
durch  o  arihQfojTog  wiedergibt  (2;  zweimal.  ^  i.v  is),  nachher  aber  stets 
o  'Addji  Oder  auch  blol5es  'Adafi  ohne  Artikel  verwendet  (2|(,.  1,,  zwei- 
mal. 20  zweimal.  21  usw.  bis  4,).  Nun  konnten  zwar  die  Punktatoren 
cnxn  mit  ausdriicklich  dastehendem  Artikel  nicht  wohl  anders  als 
c-xn  vokalisieren.  Wo  jedoch  die  zweideutige  Form  cnsb  stand,  liaben 
sie  an.s  nach  der  ihnen  gelauiigen  Praxis  als  Eigennamen  gefafit  und 
=7x-  ohne  Artikel  vokalisiert.  Wir  machen  hier  also  dieselbe  Be- 
obachtung  wie  bei  der  Phrase  „das  Augesicht  Gottes  sehen",  welche 
bekanntlich  als  den  Spateren  ungewohnt  und  auch  wolil  dogmatisch 
anstoBig  nur  da  anerkannt  ist,  wo  der  Konsonantentext  sie  unzwei- 
deutig  anzeigte,  sonst  dagegen  durch  Vokalisierung  der  betreffenden 
Form  von  nsi  als  Niph'al  in  ,.vor  dem  Angesichte  Gottes  erscheinen" 
verwandelt  worden  ist,  s.  Gesenius-Buhl,  Hebr.  u.  aram.  Handworter- 
buch  unter  nx^. 

2.   Die  Zahlworter  11—19. 

„12"  heiBt  im  Mask,  meistens  -nus-  n^:^,  selten  nu;v  -:r,  im  Fem. 
meistens  n->'j;y  dtu;,  selten  r\-yc-j  -^nc,  s.  Gesenius  -  Kautzsch  §  97  d. 
c-^iu  und  CTU   stehen   natiirlich   im  Status   absolutus,   sind   also   c"':^:: 


i'ber  Bf^einrtussiuiii'  il.  nltte«tanieiitl.  \'okalisatioii  dnrcli  jiliigere  Spiacbpraxis.      131 

und  =-]rr  zu  sprechen;  aber  man  hat  sie  n'-rr  und  c-r^-^-  vokalisiert. 
also  mit  der  Vokalisation  des  Status  constructus  'rr  und  ■^nd  versehen. 
Der  Grund  ist  darin  zu  siichen.  dal5  den  Spateren  die  einfache.  asj^n- 
detische  Nebeneinanderstellung  der  beiden  Zahlworter  ,,zwei,  zelin" 
nicht  melir  gelaufig-  war.  Aus  ilirer  aramaisclieu  Mutterspraehe 
waren  sie  gewolint,  diese  beiden  Zalilen  zu  einem  Komposituni  zu 
verbinden.  wobei  der  voransteliende  Einer  in  den  Status  constructus 
trat:  -"^i^ri,  Fem.  ■'~c-p-:ri  oder  ■'■)c"ir.  (G.  Dalman,  Aram.- neuhebr. 
Worterbucii  [1901],  S.  427  f).  Dalier  erschien  ilinen  audi  von  den 
beiden  im  Alten  Testamente  vorkommenden  Formen  die  Form  mit 
-:•:;  und  -rr  im  Status  constructus  als  die  allein  richtige,  und  sie  ver- 
sahen,  wo  z-vc  und  o-rr  im  Status  absolutus  iiberliefert  war.  dies 
wenigstens  mit  der  Vokalisation  des  Status  constructus. 

Ahnliclie  Beobaclitungen  lassen  sicli  nun  aber  audi  an  den 
iibrigen  mit  „10"  znsammengesetzten  Zalilen  niadien.  Bei  den  mann- 
liclien.  d.  h.  in  Verbindung  mit  miinnliclien  Substantiven  gebrauchten 
Zalilen  13  — 19  stelit  der  Einer  gewolinlicli  im  Stat,  abs.:  -ibs'  n-cbr  usw.; 
doch  kommt  daneben  zuweilen  der  Stat,  constr.  vor:  zweimal  bei  15 
(h'^s'  r-::-zr),  einmal  bei  18  (-r^"  r:^^:3),  s.  Gesenius-Kautzscli  §  97  e. 
Wir  finden  liier  also  genau  dasselbe  Verhaltnis  wie  bei  12:  beide 
Ausdrucksweisen  sind  moglich,  aber  der  Stat.  abs.  iiberwiegt  weit. 
Ist  es  da  nicht  liochst  verwunderlich.  daS  es  bei  den  weibliclien 
Zalilen  13—19  und  bei  der  mannlichen  Zalil  11  i)  nicht  ebenso  ist, 
sondern  daS  liier  einzig  und  allein  der  sonst  so  seltene  Stat,  constr. 
Yorkommt:  13—19  nits-  -c-r  usw..  11  -^'■::v  ins?  Da6  dieser  ganz 
sinnlose  Unterschied  urspriinglich  sein  sollte,  kann  ich  nicht  glauben. 
Er  erklart  sich  audi  ganz  einfach.  Bei  --"•  nrb'w-  usw.  war  der 
Stat.  abs.  durch  die  Schrift  unzweideutig  angezeigt,  und  man  konnte 
die  Formen  nicht  einmal,  wie  bei  12,  nach  Analogic  des  Stat,  constr. 
vokalisieren.  da  eine  Bildung-  wie  n-f-n  (mit  Betonung-  der  vor- 
letzten  Silbe)  gar  zu  uiimijglicli  gewesen  ware;  daher  muBte  man 
hier  den  Stat.  abs.  wolil  oder  libel  gelten  lassen.  Bei  m-c-  ^^  usw. 
und  -w-r  -IPS  aber  wies  nichts  in  der  Schrift  auf  den  Stat.  abs. 
hin;  daher  hat  man  in  diesen  Formen  stets  den  gewohnten  Stat, 
constr.  angenommen. 


')  Das  Fem.  nnbr  rriN;  mufi  aus   ilem   Spiele   l)leil)eii,    well    bei   rnx   kein 
Unterschied  zwiscben  cleu  beiden  Status  ist. 


9? 


132  Alfred  Rahlfs 


3.    Die  Form  qattal. 

Vgl.  p.  de  Lagarde,  Ubersicbt  liber  die  im  Aramaischen,  Arabischeu 
imd  Hebraiscben  iiblicbe  Bildung  der  Nomina  (1889),  S.  88—90.  —  J.Bartb, 
Die  Nomiualbilduiig  in  den  semitiscben  Spracben  (1889/01),  §  33.  — 
C.  Brockelmann,  GrundriB  der  vergleicbenden  Tlrammatik  der  semi- 
tiscben Spracben  1  (1908),  §  149.  —  W.  Geseniiis'  bebraiscbe  (Trammatik, 
28.  Anfl.  von  E.  Kautzscb  (1909),  §  81  ^,  Absatz  h. 

Wenii  man  im  Alten  Testamente  Formen  wie  i-^  ,,Ric'hter", 
N'^n  jjSiindig',  Sunder",  rnn  „Handwerker".  rH  „Scliiffer",  -c-s  „Reiter", 
N2P  „eifersuehtig'"  findet,  so  muBte  man,  da  hebraiscbes  a  regelrecht 
Dehnung  eines  semitischen  a  ist,  auf  Urformen  der  Bildung  qultid 
schlieBen.  und  in  der  Tat  sclieint  liierfiir  der  Stat,  constr.  ■,^t';  '^IT;-,  '■^^e 
zn  sprechen.  Aber  dem  stelien  zwei  Tatsaclien  entgegen:  1.  Ware 
das  a  der  zweiten  Silbe  von  Hans  ans  knrz,  so  miiCte  es  im  Stat. 
constr.  des  Plurals,  sowie  auch  im  Plural  mit  „scliweren"  Suffixen  zn 
Schwa  werden;  es  bleibt  aber,  wie  -x-^n  Amos  Gm,  "^t^'""  Sam.  115,, 
u.  6..  D-T-s-o  Ezecli.  27,,  lehren.  2.  Die  entsprechenden  Bildungen  der 
librigen  semitischen  Sprachen  weisen  durchweg  die  Form  qaml  auf. 
Daher  miissen  wir  auch  jene  hebraischen  Worter  flir  Bildungen  der 
Form  qatffd  halten  und  das  kurze  a  in  der  zweiten  Silbe  des  Stat, 
constr.  i!",  •jnn,  -i-c  als  sekundar  betrachten;  die  Yerklirzung  erklart 
sich  daraus,  da6  einem  langen  a  in  der  SchluBsilbe  des  Stat.  abs. 
regelmaBig  ein  kurzes  a  im  Stat,  constr.  entsprach,  z.  B.  -n^  :  n^n. 

Wenn  aber  die  Urform  qattal  hiefi,  so  muBte  daraus,  wie  Lagarde 
und  Barth  richtig  bemerkt  haben,  im  Hebraischen  nach  dem  bekannten 
Lautgesetz  qattol  werden.  Dafi  dieser  Ubergang  nicht  erfolgt  ist, 
suchen  Barth  und  Brockelmann  auf  verschiedene  AVeise  aus  inner- 
hebrjiischen  Griinden  zn  erklai'en.  Mir  scheint  das  verfehlt.  Meines 
Erachtens  hat  vielmehr  Lagarde  recht,  wenn  er  aus  dem  Vorkommen 
einer  Nebenform  t<':p  neben  n|j?  „eifersiichtig"  schlieGt,  da6  die  Formen 
mit  a  „aus  dem  Aramaischen  entlehnt,  oder  aramiiischen  Bildungen 
nachgeahmt"  sind  i).  Nur  mochte  ich  in  dem  a  dieser  Formen  in  der 
Reffel  niclils  weiter  als  eine  durcli  das  Aramaische  veranlafite  faische 


')  Genauer  allerdings  spriebt  Lagarde  S.  89  nur  von  ..nrr.  [,Dieb'],  rs:: 
[.Scblacliter']  usw.-',  wabrend  er  in  ■*'n,  ■i~n,  ^ns  ecbthebriiiscbe  Bihlnngea  der 
Form  qallat  .sieht  (S.  88).  —  Neben  n:;^  iiennt  Lagarde  p'rn  ,.Kette";  ilies  lasse  icb 
als  zn  unsicber  bei.seite. 


t'ber  Beeiuflussmig  d.  alttestamentl.  Vukalisation  dnrcli  jiiiigere  Sprachpraxis.     133 

Vokalisation  selien.  Den  Beweis  liefert  m.  E.  die  von  Lagarde  selb.st 
selir  gut  angefiihrte  verscliiedene  Vokalisation  von  N:p. 

N:p  „eifersuclitig"  kommt  an  sieben  Stellen  des  Alten  Testamentes 
vol',  und  zwar  stets  in  der  Verbindnng  s:p  bs  „eifer.siichtiger  Gott";  nur 
in  Exod.  34 , ,  findet  sich  einmal  wsrp  allein :  -^r  N:p  nin^  „  Jaliwe,  Eif er- 
silclitiger  ist  sein  Name"',  aber  audi  liier  wird  es  unniittelbar  darauf 
in  jener  stereotypen  Verbindung  wiedeiiiolt:  sin  n:p  ha  ,,ein  eifer- 
siiclitiger  Gott  ist  er".  An  den  fiinf  iStellen,  wo  es  im  Pentateuch 
vorkommt,  Exod.  20 5.  34 14.  Dent.  4.24.  5,,.  61,5,  ist  defektiv  n:p  ge- 
sclirieben,  an  den  beiden  Ubrigen  Stellen,  Jos.  24,,,.  Nali.  1-2,  dagegen 
plene  Ki:p.  Dieser  Unterschied  der  Sclireibung  ist  aber  gewlB  rein 
ortliographiscli :  der  Pentateuch  hat  iiberall  die  altere  defektive,  Jos. 
und  Nah,  die  jiingere  Pleneschreibung.  Da6  die  Aussprache  selbst 
bei  einem  stets  in  jeuer  festen  Verbindung  vorkommenden  Worte  ver- 
schieden  gewesen  sein  sollte,  scheint  mir  vollig  ausgeschlossen.  Das 
plene  geschriebene  x-p  lie6  liber  die  beabsichtigte  Aussprache  keinen 
Zweifel;  daher  konnte  man  nicht  umhin,  es  richtig  x-::p  zu  vokali- 
sieren.  Das  defektiv  geschriebene  N:p  dagegen  war  zweideutig;  daher 
sprach  man  es  Nrp,  wie  man  derartige  Formen  im  Aramaischen  zu 
sprechen  gewohnt  war. 

Wenn  aber  N:p  audi  da,  wo  es  defektiv  geschrieben  ist,  x-p  ge- 
sprochen  werden  mu6,  so  konnen  ^t,  n-jh  usw.  ebensogut  i^'^,  st:- 
gesprochen  werden.  Die  jetzige  Vokalisation  wiirde  sich  dann  einfach 
daraus  erklaren,  da6  man  diese  Worter,  da  man  sie  stets  defektiv 
geschrieben  vorfand,  auch  stets  nach  aramaischer  Weise  mit  a  sprach. 
Hierbei  kann  zweierlei  mitgewirkt  haben:  1.  Viele  hebraische  Worter 
der  Form  qatml  kommen  ebenso  im  Aramaischen  vor.  Ich  habe  oben 
S.  132,  ohne  bereits  an  das  hier  Auszufiihrende  zu  denken,  sechs 
Beispiele  ausgewahlt:  -^^  ,,Richter",  x-^n  „Siinder",  •---  „Handwerker", 
r.h-c  „Schiffer'',  ir-2  „Reiter",  xip  „eifersiichtig".  AUe  sechs  finden 
sich  nach  G.  Dalman,  Aram.-neuhebr.  Worterbuch  (1901)  auch  im 
Jikiischen  Aramaisch,  i-^n  allerdings  in  anderer  Bedeutung  (,,Zauberer"). 
Das  beweist,  dafi  diese  Worter,  obwohl  sie  nicht  alle  echtaramaisch, 
sondern  z.  T.  aus  dem  Alten  Testamente  ins  Jiidisch-Aramaische  iiber- 
nommen  sind,  doch  auf  jeden  Fall  bei  den  Juden  in  aramaischer  Aus- 
sprache weitergelebt  haben.  Um  so  leichter  konnten  sie  auch  im 
alttestamentlichen  Texte  nach  aramaischer  Weise  ausgesprochen 
werden.  2.  Von  den  hebraischen  AVortern  der  Form  qaffal  sind  einige 
wohl  wirklich,  wie  Lagarde  vermutete,  direkt  aus  dem  Aramaischen 
entlehnt.    Speziell  wird  man  in  dem  nur  bei  Ezechiel  und  Jonas  vor- 


134  Alfred  Rablfs. 

kommendeii  rr-;  ..Scliiffer"  ein  solches  aramaisclies  Lelinwort  sehen 
dlirfen.  vgl.  E.  Kautz'^ch,  Die  Aramaismen  im  Alten  Testament,  I 
(OsterprogT.  Halle  1902),  S.  58f.  Daun  aber  wird  dieses  Wort  audi 
im  Hebraisclieii  nie  rik-g.  sondern  stets  rs-c  gespiochen  worden  sein. 
Und  ebendieser  Umstand,  dafi  es  neben  den  echthebraischen  Wortern 
mit  6  ancli  Lehnworter  mit  a  gab,  kann  sehr  wolil  dazu  beigetragen 
habeu,  da6  die  echthebraischen  Worter  allmahlich  die  aramaische 
Aussprache  ihrer  Doppelganger  annahmen.  Wann  dieser  ProzeB  sich 
vollzogen  hat,  konnen  wir  natiirlich  nicht  ausmachen.  Gehort  er, 
was  keineswegs  ausg-eschlossen  scheint,  schon  einer  ziemlich  friihen 
Zeit  an,  so  wiirde  man  daraus  die  immerhin  etwas  auffallige  Tatsache 
erklaren  konnen,  da6,  obwohl  in  jiingerer  Zeit  viele  Lesemiitter 
in  den  alttestamentlichen  Text  eingesetzt  sind,  doch  gerade  diese 
Bildungen  auBer  N"i?  nirgends  eine  Lesemutter  abbekommen  haben. 

Zu  si5p  stellt  Lagarde  -'-^j  „Held"  :=  syr.  und  arab.  gahhar  (oder 
ganhar),  und  audi  Brockelmann  sieht  in  ni^r,  eine  Bildung  der  Form 
qaticil  Dag-egen  weist  Barth  dieses  Wort  einer  anderen  Klasse  zu: 
§  134  „intrans.  quttal,  qiMV.  Ich  mocbte  glauben,  dafi  letzterer 
recht  hat.  Denn  das  i  der  ersten  Silbe  dieses  Wortes  ist  nicht  nur 
im  liebr.  n-^sr.  iiberliefert,  sondern  audi  in  dem  bibl.-aram.  ^^■zi  Dan.  3  on 
und  vor  allem  in  dem  jiid.-ai'am.  x-ar. ,  dessen  i  durch  haufige  Plene- 
sdireibung  durchaus  gesichert  ist,  s.  A.  Merx,  Chrestomathia  targu- 
mica  (1888),  S.  178  Knur-,  -p-^^^s,  xr.i^::-.-.  innr-.in-j,  Gr.  Dalman,  Gramm. 
des  jiid.-palast.  Aramaisch,  2.  Aufl.  (1905),  S.  181  unter  „kif/dl''  aus 
dem  Cod.  Socini  -n-'-i--.;.  vgl.  audi  christl.-aram.  ^a^Ioi-a-*^  bei 
Fr.  Schulthefi,  Lexicon  s3'ropalaestinum  (1903),  S.  34.  Daher  wird 
Brockelmann  im  Irrtiim  sein.  wenn  er  jenes  /  fiir  spezifisdi  hebraisch 
lialt  und  das  Auftreten  desselben  Vokals  im  bibl.-aram.  ■-2r«  aus  Be- 
einllussimg  durch  das  Hebraische  erklart  (S.  361  Anm.  1).  Uberhaupt 
ist  es  mir  sehr  zweifelhaft,  ob  wirklich  „im  syr.  gabhard  die  altaram. 
Form  erhalten  ist".  Ebensogut  kann  man  m.  E.  annehmen,  da6  gihbdr 
auch  im  Aramaischen  das  Urspriingliche,  und  gahhar  erst  durch  tJber- 
gang  des  Wortes  aus  der  seltenen  Bildung  qiml  in  die  gerade  im 
Aramaischen  so  haufige  Bildung  qattul  entstanden  ist.  Auf  jeden  Fall 
erscheint  es  mir  geraten,  n-^a?.  hier,  wo  es  sich  um  die  hebraischen 
Bildungen  der  Form  qattul  handelt,  aus  dem  Spiel  zu  lassen. 

Dagegen  mochte  ich  die  Vermutung  wagen,  da6  die  echthebriiische 
Form  qaiidl  in  einigen  anderen  Fallen  vorliegt,  welche  die  Punktation 
allerdings  ganz  anders  aufgefafit  hat.  In  Jer.  ^i-  finden  wir  das  ^\^)l't 
■,-n3  ..Priifer",  in  Jer.  22;,  p-'r:>-  „Erpresser,  Bedriicker''  und  in  Jer.  3;.  ,(, 


t'ber  Beeiuflussuiig  d.  alttestamcntl.  Vokalisation  (lurch  jiingere  Sprachpraxis.     135 

ein  Fern.  n--:.2  ..Trenlose"  i).  Barth  §  27  g  und  Brockelmann  §  131  b 
sehen  hierin  Bilduiigen  der  Form  qataJ.  Aber  daun  mlifite  es,  wie 
sie  selbst  i-ichtig  bemerken.  r--:z  lieiBeii.  Brockelmann  erklart  das 
regelwidrige  a  in  ni-^z  aus  ,,dem  EinfluS  des  aram.  Xom.  agentis 
qd/ol''.  Mir  sclieint  die  ganze  Vokalisation  von  yrz,  -■•rr.  ri-i-^  ebenso 
wie  die  von  i^-  etc.  rein  aramaisch,  und  ich  moclite  vermuten,  da6 
ursprilnglicli  Bildungen  der  Form  qaf/dl,  also  yr^.  p'""^'^,  "7"-?,  be- 
absichtigt  Avaren.  nnd  da6  man  anch  das  passivische  --nr  „zu  zer- 
storende(?)"  Ps.  137  s,  falls  man  es  in  ein  Aktiv  korrigieren  will, 
iiiclit,  wie  vorgesclilagen,  in  i-i--iti\  sondern  in  ni-^r  korrigieren  mn6. 
i'brigens  ist  nocli  darauf  liinzuweisen,  da6  in  Jer.  3  die  Pleneschrei- 
bnng  mva  7.  ,0  niit  der  Defektivschreibung  mjiv;.  h  wecliselt,  und  da6 
die  Punktatoren  nur  bei  der  Pleneschreibnng  die  flir  das  Hebraische 
immerhin  reclit  singulare  Aussprache  n-i-;>2  einzufUliren  gewagt  liaben, 
walirend  sie  das  defektiv  gescliriebene  ni:D  als  Partizipium  fasten 
und  rr,::z  vokalisierten.  In  Wirkliclikeit  mu6  natiirlicli  bei  beiden 
Sclireibungen  dieselbe  Aussprache  beabsichtigt  sein;  denn  rn{-):^z  er- 
sclieint  liier  iiberall  als  Spitzname  Judas,  und  ein  soldier  Spitzname 
kann  nicht  von  Vers  zu  Vers  wechseln.  m-sa  und  m;n  stehen  neben- 
einander  wie  si:p  und  N:p.  Wechsel  der  Orthographie  in  demselben 
Zusammenhange  kommt  audi  sonst  liaufig  vor;  eine  selir  geuaue 
Parallele  zu  Jer.  3;  rrns-,  ^  ms^,  ,„  m-:::,  ,,  m:^  bietet  die  Fabel 
Jotliams  in  Richt.  9,  in  der  „werde  Konig"  zuerst  plene  geschrieben 
wird:  s  ^-"'^'^  (nacli  dem  K^^tliibli),  dann  defektiv:  11,'"=^";,  dann  wieder 
plene:   ,2  ^="^"2  (nach  dem  K^thibli),   und  schlieBlich  wieder  defektiv: 

1 1    I'-- 

Zum  ScliluB  nocli  eine  Bemerkung  ilber  eine  sekundare  Folge 
der  aramaischen  Vokalisation  der  g^a//aZ-Formen.  Es  gab  im  Hebra- 
isclien  urspriinglicli  zwei  verscliiedene  Worter:  paras  „Pferd''  und 
parras  ,,Reiter".  Jenes  mufite  nach  den  Lautgesetzen  zu  ri^s  werden; 
dieses  wnrde  infolge  der  aramaischen  Aussprache  gleichfalls  zu  c-is. 
So  fielen  Pferd  und  Reiter  zusammen,  und  man  bildete  nun  von  u-s 
,,Pferd"  ebenso  wie  von  dns  „Reiter"  den  Plural  n-'dns,  obwohl  der 
Plural  von  c-b  „Pferd"  =  paras  natlirlich  n^nns  lielBen  milGte.  Das 
ist  ein  ganz  ahnlicher  Fall  wie  bei  dem  Verbuni  i<h-Q.  Ursprlinglich 
mu6  es  im  Hebraischen  wie  im  Arabischen  zwei  Verba  xb-2  gegeben 

')  AuSerdem  kauie  noch  "|'"-n  „Bedrucker"  Jes.  1,,  in  Betracht,  doch  lasse 
ich  dies  beiseite,  da  man  es  aiich  mit  alien  alten  Ubersetzern  als  passives  Partizipium 
(y'^sn)  auffassen  kann. 


13G     A.  Rahlfs,  f  ber Beeinflnss.  d.  alttest.  Vokalisation  diircli  jung-ere  Spraclipiaxis. 

liabeu,  eiii  Zustandsverbnm  ah^  „voll  werden"  und  ein  Tiitigkeits- 
verbum  iib-o  „fulleii".  Aber  jetzt  hat  das  liauflgere  Ziistaiidsverbum 
xb^  das  Ta'tigkeitsverbum  n^^  aufgesogen,  imd  sogar  in  Jes.  6,,  wo 
docli  l:=-Mri-px  c-'xbo  ■-'brr  ganz  iinzweideutig  „ seine  Schleppen  fiillten 
den  Tempel"  lieifit,  ist  niclit  n^xV;  „fiinend",  sondern  D-xb^;  „voll" 
vokalisiert;  blo6  in  -s^^  „er  fiillte  ihn"  Est.  7,  hat  sich  nodi  eine 
Spur  des  Tatigkeitsverbums  erhalten. 

Gottingen.  Alfred  Rahlfs. 


BEITRAGE  ZU  EliNEK  ANDREAS -illBLIOGRAPHlE. 


1869.    Anzeig-e  von:  Vilh.  Thomsen,  Den  gotiske  sprog'klasses  indfiy- 
clelse    pa   den   finske   (Kobenhavn    1869):     Fa?drelandet    1869, 
Nr.  88  (17.  April). 
1877.    [Opinion    (nnter:    Opinions    of    Oriental    Scholars).]     Palilavi, 
G-ujarati  and  English  Dictionary.    By  Jamaspji  JJastnr  Mino- 
cheherji  Jamasp  Asana.   Volume  1.   Bombay,  S.  CXLVI-CXLYII. 
1882.    The  book  of  the  Mainyo-i-khard,   also  an  old  fragment  of  the 
Bundehesh,   both  in  the  original  Pahlavi,  being  a  facsimile  of 
a  manuscript  brought  from  Persia  by  the  late  Professor  Westcr- 
(jaard  and  now  preserved  in  the  University-Library  of  Copen- 
hagen. Edited  by  Frederic  Charles  Andreas.  Kiel, Till  +  80S.,  4". 
Rezensioneu:  GiJttingisclie  gelehrte  Anzeigen  1882  Bd.  1,  S.  961- 
980,  von  Th.  NOldel-e.  —  Zeitschrift  der  Deutscheu  Morgenlandischen 
Gesellschaft   Bd.  37,   1883,  S.  292,  von   Chr.  Bartlwlomae.  —  Lite- 
rarisches  Centralblatt  1883,  Nr.  3(13.  Jan.),  Sp.  89-90.  —   Deutsche 
Litteraturzeitung  1883  (15.  Sept.),  8p.  1285-1286,  von  II.  Zimmcr.  — 
Le  Museon  Tome  2,    1883,   S.  381-392,  von  E.  W.  West.  —  Revue 
critique    d'histoire    et    de    litterature   Tome  17,   1884,  S.  97-98,  von 
James  Darmestetet: 
1882.    Persepolis.    Die  achaemenidischen  und  sasanidischen  Denkmaler 
und  Inschriften  von  Persepolis,  Istakhr,  Pasargadae,  Shahpur. 
Zum   ersten  Male  photographisch   aufgenommen  von  F.  StoUe. 
Im  Anschlusse  an  die  epigraphisch-archaeologische  Expedition 
in  Persien  von  F.  C.  Andreas.    Herausgegeben  auf  Veranlassung 
des  fiinften  internationalen  Orientalisten- Congresses  zu  Berlin. 
Mit  einer  Besprechung  der  Inschriften  von  Th.NoIdeJce.  Bd.  1-2. 
Berlin,  7  S.  m.  73  Lichtdruck-Tafeln  und  73  Bl.  Tafel-Erkla- 
rungen;  VI  +  12  S.  m.  77  Lichtdr.-Taf.  u.  77  Bl.  Taf.-Erkliirgn., 
Fol.  max. 


138  Jolian  Eyser, 

Rezension:  Deutsclie  Tvitteraturzeitiing  188.':5  (21.  April),  Sp. 
550-551,  von  [Ebcrhard]  Schradcr. 

Vgl.  auch  Stohe,  Persepolis.  Bericht  iiber  meine  Aufnaliraen 
achamenidischer  unci  sasanidischer  Denkmiiler  in  Fars:  Vorhandlungen 
der  Gesellschaft  fiir  Erdknnde  zu  Berlin  Bd.  10,    1883,   S.  251-27l>. 

1885.  Die  Handelsverhaltnisse  Persiens,  mit  besonderer  Berlicksich- 
tigung'  der  deutschen  Interessen.  Von  F.  Stohe  und  F.  C.  Andreas. 
Mit  einer  Karte.  (Erganziingsheft  No.  77  zu  ,,Petermauns  Mit- 
teiliingen".)     Gotlia,  IV  -f-  86  S.,  4'\ 

Kezensionen:  The  Academy  1885,  No.  675  (11.  April),  8.263. 
—  The  Athenseam  1885,  No.  2998  (11.  April),  S.  476.  —  Procee- 
dings of  tlie  Royal  Geographical  Society,  New  Scries,  Vol.  7,  1885, 
S.  404-405,  von  /.  Scott  Keltic.  —  Tijdschrift  van  het  Nederlandsch 
Aardrijksknndig  Genootschap,  Ser.  2,  Deel  2,  Afdeeling:  Verslagen 
en   Aardrijkskundige  Mededeelingen,   188t,  S.  278-280. 

1891.  tlber  den  Babismus  in  Persien.  Voitrag.  gehalten  am  24.  April 
1891  im  „Centralverein  f.  Handelsgeographie  usw."  von  Herrn 
Dr.  F.  C.  Andreas:  Export.  Organ  des  C'entralvereins  fiir 
Handelsgeographie  nnd  Forderung  deutscher  Interessen  im 
Auslande  zu  Berlin.  Jalirg.  13,  Berlin  1891,  Nr.  24  (9.  Juni) 
bis  Nr.  29  (14.  Juli),  S.  384-385.  402-403.  418-419.  432-433. 
449-451.  462-464. 

18J)1.  Konigliclie  Museen  zu  Berlin.  Mittheilungen  aus  den  orienta- 
lisclien  Sammlungen.  Heft  IV:  Sassanidisclie  Siegelsteine,  lieraus- 
gegeben  von  Faul  Horn  und  Georg  Steindorff.  Berlin,  VI  -f  49  S., 
m.  6  Tafeln  Abbildungen  und  1  Sclirifttafel,  Fol.  —  Laut  S.  II 
hat  Andreas  ursprlinglich  die  Absicht  gehabt,  die  Berliner 
Siegelsteine  zu  bearbeiten,  dann  aber  die  Arbeit  seinem  Schiller 
Horn  iiberlassen.  Horn  hat  „uach  den  gleiehen  Prinzipien"  wie 
Andreas  gearbeitet  und  mehreres  direkt  von  ihm  iibernommen. 

1S93.  Oslmr  Mann,  Anzeige  von:  GrundriB  der  neupersischen  Etymo- 
logie  von  Paul  Horn  (Strafiburg  1893):  Zeitschrift  der  Deutschen 
Morgenlandischen  Gesellschaft  Bd.  47,  S.  698-706.  —  Laut  S.701 
gibt  Mann  hier  haufig  Ansichten  und  Resultate  seines  Lehrers 
Andreas  Avieder. 

1894 -%.  In  FauJijs  Real  -  Encyclopadie  der  classischen  Altertums- 
wissenschaft.  Neue  Bearbeitung.  Unter  Mitwirkung  zalilreicher 
Farhgenossen  herausgegeben  von  Georcj  Wissowa.  Stuttgart, 
M.  1  (1894)  die  Artikel:  Abakaina,  Sp.  11-12.  —  Abina  [Nr.]  1, 
Sp.99.  —  Achaimenia,  Sp.  199-200.  —  Adarbigana,  Sp.  345-347. 


Beitrag-e  zn  einer  Andreas -Ribliographie.  130 

—  Adima,  Sp.  435-436.  —  A^aiizana,  Sp.  731-733.  —  Ag'aira. 
Sp.  7o5-7o(3.  —  Agiuis,  Sp.  810-816.  —  Agra  [Nr.]  1,  Sp.  886-887. 

—  Ainiana  (Aiiiia),  Sp.  1025-1027.  —  Akessaia,  Sp.  1165-1166. 

—  Akidane  (Acidane),  Sp.  1167-1168.  —  Akola,  Sp.  1175-1177.  — 
Akra  [Nr.]  1,  Sp.  1186.  —  Albania  [Xr.]  2,  Sp.  1304-1305.  — 
Alexandreia  [Nr.]  13,  Sp.  1390-1395.  —  Alikadra,  Sp.  1481-1482. 

—  Alinza  [Nr.]  1-2,  Sp.  1490-1493.  —  Alisdaka,  Sp.  1495-1496. 

—  Aliiaka,  Sp.  1698-1704.  —  Amardoi,  Sp.  1729-1733.  — 
Amardos,  Sp.  1734-1740.  —  Amariakai,  Sp.  1741.  —  Ambara, 
Sp.  1790-1795.  —  Ampe,  Sp.  1877-1880.  —  Andriaka,  Sp.  2138- 
2140.  -  Aiige  [Nr.]  2,  Sp.  2185-2188.  —  Aniarakai,  Sp.  2195.  — 
Anuchtlia,  Sp.  2650.  —  Aple,  Sp.  2810-2812.  —  Apobataua, 
Sp.  2812-2814.  —  Bd.  2  (1896):  Apostana,  Sp.  176-181.  -  Ara- 
driplie,  Sp.  372-373.  —  Arsagalitae,  Sp.  1267-1268.  -  Arteatai. 
Sp  1327-1328.  —  Artoarta,  Sp.  1459-1460. 

18tM).  Die  Babi's  in  Persien.  Ihre  Geschichte  und  Lelire,  qnellen- 
mafiig-  und  nacli  eigener  Anschaimng  dargestellt.  Leipzig  und 
Berlin,  68  S.,  8^^. 

189(>.  Karl  Marti,  Kiirzgefafite  Grammatik  der  biblisch-aramaisclien 
Spraclie.  Litteratur,  Paradigmen,  kritisch  bericlitigte  Texte  und 
Glossar.  (Porta  linguarum  orientalium.  Pars  XVIII.)  Berlin, 
XIV  +  134  +  90*  S.  —  In  dem  Glossar  S.  51*- 89*  stammen 
die  mit  .,A."  gezeichneten  Erklarungen  der  im  Biblisch-Ara- 
maisclien  vorkommenden  persischeu  Worter  (s—n,  -uinx,  ^'^"'7-^; 
usw.)  von  Andreas,  s.  die  Vorrede  S.  VII.  —  In  der  2.  Auflage 
(Berlin  1911)  hat  Marti  laut  S.  VII  die  von  Andreas  stanimen- 
den  Artikel  „nach  dessen  neueren  Bemerkungen  (namentlich 
in  der  Ephemeris)  revidiert  und  erganzt,  gelegentlicli  allerdings 
audi  etwas  gekiirzt". 

lSl)6-*.>7.  Martifi  Hartniann,  Bolitan.  Eine  topographiscli-historische 
Studie:  Mitteilinigen  der  Vorderasiatischen  Gesellschaft  1896 
[Heft]  2  und  1897  [Heft]  1,  Berlin,  164  S.  —  Laut  S.  104  Anni.  1 
hat  Andreas  dem  Verfasser  bei  mehrfaclien  Besprechungen  liber 
die  Arbeit  eine  Reihe  wertvoller  Bemerkungen  beigesteuert. 
Sie  finden  sich  teils  im  Werke  selbst,  siehe  z.  B.  S.  20.  23.  25. 
95-96.  103;  teils  in  den  Naclitragen  und  Berichtigungen,  siehe 
S.  119.  124.  127.  130.  131.  132.  143-146. 

1898.  "Was  lehrt  der  Koran  iiber  Jesus?:  Das  Reich  Cliristi.  Zeit- 
schrift    fiir   Verstjinduis    und   Verkiindigung  des  Evangeliums. 


140  .Toban  Ey^ser, 

Heransgeber:  Johannes  Lepsius.  Jalirg'.  1,  1898,  Nr.  1.  2.  4, 
Sp.  23-27.  55-58.  115-123.  —  Andreas  gibt  liier  eine  teilweise 
klirzeiicle,  teilweise  aber  audi  erweiternde  ,.freie  Ubertrag'iiiig" 
cles  Artikels  „Jesus  Christ"  aus  dem  „Dictionary  of  Islam" 
von  Thomas  Patrick  Hughes. 

Wiederabdriick :  Hefte  zum  Christlichen  Orient.  II.  Serie,  Mu- 
hammedanermission,  Pleft  2.  Was  lelirt  der  Koran  iiber  Jesus?  Nach 
Th.  P.  Hughes.    Mit  3  Abbildungen  im  Text.    Potsdam,  1909,  16  S.,  8". 

1903.  Friedrich  Sarre,  Die  altorientalisdien  Feldzeiclieii,  mit  besoii- 
derer  Beriicksiditiguiig  eiiies  imveroffentlichteii  Stiickes:  Klio. 
Beitrage  zur  alten  Gesdiiclite,  lieraiisgegeben  von  C.  F.  Lehmami 
und  E.  Kornemann,  Bd.  3,  S.  333-371.  —  Darin  S.  354-355  Aus- 
fiilirungen  von  Andreas  iiber  den  Adler  und  Falken  als  Feld- 
zeicheu  der  Farther  und  Armenier. 

1903.  C.  F.  Lehmann,  Hellenistisdie  Forschungen :  Klio.  Beitrage 
zur   alten   Geschidite,   herausgegeben  von  C.  F.  Lehmann  und 

E.  Kornemann,  Bd.  3.  S.  491-547.  —  Darin  auf  S.  505-506  eine 
Mitteilung  von  Andreas  iiber  Sparda  =  Sardes. 

1904.  Ueber  einige  Fragen  der  iiltesten  i)ersischen  Gesdiiclite:  Ver- 
handlungen  des  XIII.  international  en  Orientalisten-Kongresses, 
Hamburg  September  1902.    Leiden  1904,  S.  93-97. 

1904.  Die  Entstehung  des  Awesta-Alphabetes  und  sein  urspriinglicher 
Lautwert:  Verhandlungen  des  XIII.  internatioualen  Orienta- 
listen-Kongresses,  Hamburg  September  1902.  Leiden  1904, 
S.  99-100. 

1904.  F.  W.  K.  Mi'dler,  Handsdiriften-Reste  in  Estrangelo-Sdirift  aus 
Turfan,  Chinesisdi-Turkistan.  II.  Teil :  Abhandlungen  der  Konig- 
licli  Preufiischen  Akademie  der  Wissensdiaften  1904.  —  Auf  S.UO 
-HI  teilt  Midler  Verbesserungen  von  Andreas  mit;  vgl.  auch 
S.  97.  —  Auf  S.  HI  hezeichnet  Andreas  die  Spradie  der  Frag- 
mente  als  ..soghdisdi".  Siehe  dariiber  ferner  F.  IF.  K.  Midler, 
Neutestamentliche  Brudistiicke  in  soghdischer  Spradie:  Sitzungs- 
beridite  der  Koniglidi  PreuBisdien  Akademie  der  Wissen- 
sdiaften   1907,     S.    260    Anm.    2    und    S.    261    Anm.    3,    und 

F.  W.  K.  Mailer,  Uigurica:  Abhandlungen  der  Koniglidi 
Preufiisdien  Akademie  der  Wissensdiaften,  Philosophisdi- 
historisdie  Classe  1908,  S.  3  Anm.  3,  wo  Midler  nadi  Mit- 
teilung von  Andreas  die  Kennzei(dien  angibt,  nadi  welcheu 
dieser  die   Spradie    als   soglidisdi    bestimmt   liatte   (vgl.   audi 


Beitrfig-e  zu  einer  Andreas- Bibliographie.  141 

ebeiida  Anm.  2  iiber  die  Scheidung-  zweier  mittelpersisclier 
Dialekte  diircli  Andreas). 

1905.  F.  W.  K.  Miiller.  Eine  Hermas-Stelle  in  manicliaischer  Version : 
Sitzungsbericlite  der  Koniglicli  PreuBisclien  Akademie  der 
Wissenscliaften  1905,  S.  1077-1088.  —  Auf  S.  1083  finden  sicli 
zwei  weitere  Verbesserungen  zu  der  vorigen  Nummer  von 
Andreas. 

19(K).  Epliemeris  fiir  semitische  Epigrapliik  von  Marh  Lidsharshi 
Bd.  2,  Heft  2.  —  Die  FuBnoten  auf  S.  212-215.  221-223.  226 
entlialten  Erklarungen  persiseher  Worter,  die  in  aramaisclien 
Texteu  vorkommen,  von  Andreas. 

1{)07.  Friedrich  SchuUhe/^,  Anzeige  von:  Aramaic  papyri  discovered 
at  Assnan,  ed.  by  A.  H.  Sayce  etc.  (London  1906):  Gottingische 
gelehrte  Anzeigen  1907,  S.  181-199.  —  In  den  Anmerknngen 
auf  S.  185-188  finden  sicli  Erklarungen  einiger  in  diesen  Papyri 
vorkommender  persiseher  Worter  von  Andreas.  Sielie  auBerdem 
S.  195  Anm.  1. 

1007.  F.  W.  K.  MiiUer.  Die  „persischen"  Kalenderausdrlicke  im 
chinesischen  Tripitaka:  Sitzungsbericlite  der  Koniglicli  PreuBi- 
schen  Akademie  der  Wissenscliaften  1907,  S.  458-465.  Mit 
einer  Tafel.  —  Der  Inhalt  des  liier  mitgeteilten  manicliaiscli- 
soghdischen  Brucbstiickes  wurde  laut  S.  459  ,,in  gemeinsamer 
Arbeit  mit  Prof.  Andreas  festgestellt''. 

lt)08.  Notiz  ilber  eine  Streitschrift  des  Herrn  Ter-Mikaelian:  Nach- 
richten  von  der  KiJniglichen  Gresellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Gottingen.    Philologisch-historisclie  Klasse  1908,  S.  375-376. 

HUM).  Die  di'itte  Ghatha  des  Zura^tusthro.  (Josno  30.)  Versucli  einer 
Herstellnng  der  alteren  Textfonnen  nebst  Uebersetzung.  I: 
Nachricliten  von  der  Konigliclien  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Gottingen.  Philologisch-historische  Klasse  1909, 
S.  12-49. 

1900.  /.  Wacl-erna(jel,  Akzentstudien,  I:  Nachricliten  von  der  Konig- 
liclien Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Gottingen.  Pliilo- 
logisch-historische  Klasse  1909,  S.  50-63.  —  In  der  Anmerkung 
auf  S.  60-61  handelt  Andreas  iiber  die  angeblichen  mittel- 
persischen  Formen  dit  und  dut. 

1910.  Nachwort  [zu:  W.  Bang,  Beitrage  zur  Erklarung  des  koma- 
nischen    Marienhvmnus] :     Nachrichten    von     der    Koniglichen 


142  Johan  Eyser,  Beitrage  zn  einer  Andreas -Bibliographie. 

Gesellschaft    der   Wissenscliafteii    zu   GOttingen.     Pliilologiscli- 
historische  Klasse  1910,  S.  74-78. 
1910.    Zwei   soghdische  Exkurse  zu  Vilhelm  Thomsens:   Ein  Blatt  in 
tiirkischer  Runenschrift:  Sitzungsberichte  der  Koniglicli  PreiiBi- 
sclieii  Akademie  der  Wissenschaften  1910,  S.  307-314. 

Rezensiou:  Journal  asiatiqne  Ser.  10,  Tuiue  15,    1910,  S.  540-544, 
von  Robert  Gaufhiot. 

1910.  Mehmed  3Ieshid,  Ein  muhammedanischer  Katechismus.  Be- 
arbeitet  von  F.  C.  Andreas:  Hefte  zum  Christlichen  Orient. 
II.  Serie,  Muliammedanermission,  Heft  4.  Potsdam,  32  S.  m. 
3  Abbild.,  8"  (S.  29-32  von  Johannes  Lepsius). 

1910.  Bruchstiicke  einer  Pelilewi-tlbersetzung  der  Psalmen  aus  der 
Sassanidenzeit:  Sitzungsberichte  der  Koniglicli  PreuBisclien 
Akademie  der  Wissenschaften  1910,  S.  869-872. 

Bericht    hieritber:    Revue    de  I'liistoire  des  religions,    31.  annee. 
Tome  62,   1910,  S.  411-412,  von  RfeneJ  D[ussaud]. 

1911.  Die  vierte  Ghatlia  des  ZuraHlmsthro.  (Josno  31.)  Versucli  einer 
Herstellung  der  alteren  Textformen  nebst  Ubersetzung.  Von 
F.  C.  Andreas  und  J.  Wackernagel:  Nachrichten  von  der  Konig- 
lichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Gottingen.  Philo- 
logisch-historische  Klasse  1911,  S.  1-34. 

Rezension:  Journal  asiatiqne  Ser.  10,  Tome  18,  1911,  S.  638-644, 
von  A.  Meillet. 

1918.  Die  erste,  zweite  und  flinfte  Ghatha  des  ZuraHhusthro  (Josno 
28.  29.  32).  Versucli  einer  Herstellung  der  alteren  Textformen 
nebst  Ubersetzung.  Von  F.  C.  Andreas  und  J.  WacJcernagel : 
Nachrichten  von  der  Koniglichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Gottingen.    Philologisch-historische  Klasse  1913,  S.  363-385. 

1910.  Vier  persische  Etymologien:  Nachrichten  von  der  Koniglichen 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Gottingen.  Philologisch- 
historische  Klasse    1916,  S.  1-6. 

Kopenhagen.  Johan  Eyser  i). 


')  F\\v  freundliche  Hilfe  bei  der  Sammlung  dieser  bibliographischen  Notizen 
spreche  ich  Herrn  Professor  Alfred  Ralilfs,  sowie  audi  den  Herren  Professoren 
Alfred  Bertholet,  Enno  Littmann,  Jacob  Wackernagel  und  Herru  Dr.  Herman 
Lomniel  nieinen  herzlichen  Dank  aus. 


Druck  von  Elirbardt  Karras  G.  m.  b.  H.  in  Halle  (Saale). 


Los  Angeles 
This  book  is  DUE  on  the  last  date  stamped  below. 


1 

1  I  f  ; 


JUN]. 


81973 


Form  L9-a7?n-3,'57(C5424s4)444 


PJ       Festschrift  Fried- 
26       rich  Carl  Andreas 
A55 


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L  009  522  44S