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9.
THE LIBRARY
OF
THE UNIVERSITY
OF CALIFORNIA
LOS ANGELES
FESTSCHRIFT
FUB
FRIEDRICH CARL ANDREAS
FESTSCHRIFT
FRIEDPJCH GAEL ANDREAS
ZUR VOLLENDUNG DES SIEBZIGSTEN LEBENSJAHRES
AM 14. APRIL 1916
DARGEBRACHT
VON FREUNDEN UND SCHULERN
MIT 2 TAFELN
LEIPZIG
OTTO HARRASSOWITZ
1916
PJ
A 5^
Am 14. April feiert Fiiedrich Carl Andreas seinen siebzig'sten
Geburtstag. Langst war im Kreise der Freunde und Schiller
geplant, diesen Tag festlicli zii begehen imd dem liochverehrteii Jubilar
eine Festschrift zu iiberreichen. In Anbetracht des Ansehens. das er
weit liber die Grenzen Deutschlands hinaus genieSt, und der weithin
reichenden Wirkung seiner Arbeiten sollten die Fachgenossen aller
Lander uni ilire Mitarbeit gebeten werden. Da zwangen die kriege-
rischen P^reignisse zur Beschi-ankung. Urn doch etwas zn bieten,
einigte man sich sclilieBlich dahin, nur die Gottinger Kollegen und
Schiller und die Mitglieder des dem Festfeiernden besonders nahe-
stehenden Gelehrtenkreises von Kopenhagen zu Worte kommen zu
lassen. so ilberzeugt man Avar, da6 viele ausgezeichnete Forscher es
bedauern Averden. ihrer Hochschatzung nicht audi in dieser ^^'eise
Ausdruck geben zu konnen.
Moge der hochverehrte Freund auch die kleinere Gabe mit
freundlichem Auge anblicken und darin ein Zeichen der Dankbarkeit
sehen, die alle die filr ilin empfinden, denen das Gillck zuteil ward,
neben ihm und unter ihm zu arbeiten.
In einem Anhange der Festschrift ist der Versuch geniacht, die
gelehrten Arbeiten zu verzeichnen, mit denen Andreas an die Offent-
lichkeit getreten ist. -Tedermann Aveifi, da6 darin nur ein kleiner Teil
seiner Lebensarbeit zum Ausdruck kommt, und daB daraus nur ganz
ungenilgend ersichtlich wird, in welchem Ma6e er bereichernd und
umgestaltend auf die iranistische Wissenschaft gewirkt hat. Ermessen
konnen diesen seinen EinfluB die Unzahligen. die er aus der Feme
aus den wahrhaft unbegrenzten Schatzen seines Wissens belehrt und
beraten hat, am besten aber diejenigen, die durch seinen Unterricht und
den personlichen Austausch mit ihm nicht bio 6 in vielem Einzelnen
gefordert, sonderu auf ganz neue Bahnen gefilhrt worden sind.
Moge es ihm vergonnt sein, noch lange Jahre zu forschen und
zu lehren und die iranistische Wissenschaft auf eine noch hohere
Stufe dadurch zu heben, da6 er ihr die Arbeiten schenkt, die nur er
ihr schenken kann. Und mogen sich seine Freunde noch lange an
dem milden Scheine seiner wahrhaft liebenswerten Personlichkeit er-
freuen dilrfen.
INHALT.
Seite
J. Wackernagel, Zu den Vervvandtschaftsuamen 1
H. Oldenberg, Arkasati-, inedhasati- 10
A Deb runner. Griechische Bedeutuugslehnworter im Latein 16
R. Reitzen stein, Himmelswandening und Drachenkanipf in der alche-
mistischen und frlihchristlichen Literatuf 33
A. Bertholet, Zur Frage de.s Verhaltnisses von per.sis(;beni mid jildischem
Auferstehungsglauben o\
A. Christensen, Reste von Manu-Legenden in der iraniscben Sagenwelt . . 63
E. Littmann, Harut und Marut 70
E. Schwartz, Ein altes Participium perfecti im Griecbiscben 88
B. Geiger, Zur Beurteilung der awestischeu Vulgata 91
H Lorn m el, Vervvecbslung von r: und k im Awesta 97
K. Setbe, Die alteste Erwabnung des Haushubns in einem iigyptiscbeu Texte 109
S. Lars en , Alte Sassanidenmuster in nordiscber Xacbbilduug. Mit zwei Tafeln 117
A. Rahlfs, Uber Beeinfiussung der alttestamentlichen Vokalisation durcb
jiingere Spracbpraxis 129
J. Ej'ser, Beitrage zu einer Andreas -Bibliograpbie 137
ZU DEN VERWANDTSCHAFTSNAMEN.
1. Altiiuliscli hhratrvya-
bedeutet nacli den Petersburger Worterblicliern, soweit es eigentliches
Verwandtscliaftswort ist, „Vaterbruderssobn, Vetter", iind diese Deutung'
wird jetzt allg^emein angenommen z. B. von Monier Williams Sanskrit-
English Dictionary s. v., Delbriick Verwandtscliaftsn. 123, Darmesteter
Zend-Avesta 2,189 Anm. G, Bartholomae Altiran. Worterbucli Sp. 972.
Abei- die alteren Lexika deuten es mit „Bruderssolm". So Wilson im
Dictionary 1819 und Benfey im Glossar 1851; ebenso nocli Apte 1890.
Monier Williams stellt in der ersten Auflage diese Deutung wenigstens
neben diejenige von Bohtlingk und Eotli. Nur diese Deutung „Bruders-
solm" entspricht den Angaben der einlieimisclien Lexikograplien : Sas-
vata 616, Amarasimba III 4. 24. 148, Hemacandra Abh. 543 (S. 99 Bo.).
An. 3,489 und Halayudha 2,351 sind darin einstimmig, das Wort mit
hhratyja-, hhratrputra-, hhrafur afmajd- wiederzugeben. — Wolier dieser
Widerspruch? und was ist das Richtige?
Der sparliche literarische Gebrauch lafit nichts Genaueres er-
kennen. Zweimal kommt das Wort im Atharvaveda vor. V 22, 12
steht bhrdtrvije/ui mit hhrcitra und svdsra parallel und wird von
Whitney mit „cousin" iibersetzt. Zwingend ist diese Erklarung nicht;
auch ,,Bruderssohn" ware hier moglich. Nichts lafit sich aus X3, 9 b
bhrdtrnja me sdhdndharah entnehmen, wo Whitney es gar nicht als
eigentlichen Verwandtschaftsnamen anerkennt. Das dritte Zitat bei
BR. Rajat. 8, 2842 enthalt, obwohl bei Monier-Williams wiederholt,
einen unheilbaren Druckfehler.
Mafigebend ist die Stelle des Panini, wo die Bildung des Wortes
gelehrt wird. IV 1, 144 hhratiir vyac ca „von hJiratr- wird die Be-
zeichnung des Abkommlings (auBer durch -iya-) auch durch -ri/d- ge-
bildet". Hieran ist nichts herumzudeuten. Hatte das Wort die Be-
deutung „ Vetter" gehabt, so hatte sich Panini nicht so ausdrlicken
konnen.
Andreas - Fcstscliriit. X
2 J. Wackeruagel,
Bolitlingks „(Vater)bruderssolin" wird audi durcli die Folgerung
widerlegt, die er aus seiner Erklaniiig zielien mu6. Wenn bhrdtrnja-
„Vaterbrnderssolin" bedeiitet, so mu6 audi das nadi Panini damit
gleidiwertig-e hhratrlya- di^sen Sinn baben. Das nimmt Bohtlingk an,
setzt sidi aber hierdurch nicht blo6 wie bei hlirdtrvya- niit der lexiko-
g-raphisdien Uberlieferung in Widersprudi, sondern audi darait, da6
das von hhyatriya- nidit zu trennende srasriya- von TS. 2, 5, 1, 1
(=^ Kath. 12, 10 S. 172, 5) an nie etwas anderes als „Sdiwestersolin"
bedeutet.
Die fiir das Altindisdie gesidierte Bedeutung ..Bruderssohn"
reidit in die indoiraniscbe Zeit zurilck. Sie ist, wie niicli Andreas
belehrt, die im Iranisdien flir das entsprechende Wort einzig be-
legte. In Betradit kommt zimachst die Textstelle Vendidad 12, 13
yai hratuiryo para-irii)yeiti hrcituirye va para-iriOyeiti. Hier kanii das
dem indisdien hlirdtrvya- entsprediende Maskulinuni nicht „Vetter"
und das dazu gebildete Femininum nidit „Cousine" bedeuten. Denn
12, 17 werden in gleichartigem Passus eben diese Verwandten mit
tuiryo-piidrd, tuirya-duyda (wortlich „01ieimssohn", „Obeimstoditer")
bereits deutlidi bezeidinet. Dagegen pa6t „Bruderssohn", „Brudei's-
toditer" auf die angeflilirte Vendidadstelle vorzliglich. Vorher werden
Vater und Sohn, Bruder und Sdiwester, Gatte und Gattin, Grofivater
und GroBmutter, Enkel und Enkelin genannt; daran schlieBen sidi
Neffe und Nichte passend an. — Dazu kommt zweitens das Zeugnis
des Afg'hanisdien ; rrarq ,,Bruderssohn", vrera „Bruderstoditer'' setzen
uriran. hraHruia'^-, -a^- fort.
Nun freilidi, wenn man nodi weiter zurilckgeht, mu6 man
Bolitlingk redit geben. Ein Wort wie hhrdtrnja- kann von Hans
aus nicht „Bruderssohn" bedeutet haben, weil -vya- in xntrvya- auch
nicht patronymisch ist, und weil ferner die zweite Bedeutung von
bhrdfrrya-, in der es viel liaufiger ist als als Verwandtschaftswort,
„Gegner, Nebenbuhler" aus dem Grundbegriff „Bruderssohn" nicht
ableitbar ist. Vielmehr fiihrt beides auf die von Bohtlingk und Eoth
geforderte Bedeutung. Denn pitrcyd- „patruus" bezeichnet denjenigen,
der fast wie der Vater, eine Art Vater ist (Delbrlick, Verwandtschafts-
namen 129). Also mu6 bhrdtrvya- urspriinglich etwa „Quasi-Bruder"
bedeutet haben. Das pa6t auf keinen besser als auf den Vetter, der
lateinisch frater patruelis oder auch blo6 frater heiCt, und auf den
auch sonst der Ausdruck ,,Bruder" sehr gern angewandt Avird (Del-
briick a. a. 0. 24. 129. 135). Anderseits wird so erst die abgeleitete
l^edeutung „ Nebenbuhler" verstiindlich. Vettern geraten leiclit in
Zu den Verwaiultschaftsnamen. 3
Zwietraclit und Rival itat, da sie fiir verscliiedene Vater und Familien
eintreten. Delbriick a. a. 0. 129: „Der Vetter ist derjenige Grad, bei
welchem naturgemaB der Streit um die Erbscliaft beginnt." Freimd-
liclie Mitteilungen Littmanns maclien es mir inoglicli. dies diircli
tatsachliche Belege zu begriinden.
Ini semitischen Orient wird feindliclies Yerhaltnis zwischen
Vettern vielfacli bemerkt. Erstens bei den Arabern. Am lehr-
reiclisten sind die Stellen aus der Hamasa. So in der Ubersetzung
Riickerts z. B. I 12G (Nr. 129: an die Vettern): „. . . So stelits unter
uns, dafi keiner dankt, wenn einer griifit, oder sagt 'zum Wolil-
bekommen', wenn der andre niest"; I 174 (Nr. 158 Anm.): „und wo
dicli ein Oheimsolin zum Streit reizt. da streite"; 11163 (Nr. 591):
,,Icli bin ein Mann, der niclit mit Vettern lierum sich zaust". Freilicli
auBern sich die Dicliter dariiber oft so, daC mit der Feindschaft das
eben dock bestehende verwandtschaftliche Band in Kontrast gesetzt ist.
So I 64 f. (Nr. 50) in einem Lied an feindlicli sich gebahrende Vettern,
das mit den Worten schlieBt: „Jedweder wei6, warum er Groll auf
den andern fafit; nun denn in Gottes Namen haSt uns und seid ge-
ha6t", wird doch gesagt: „Gemach, ihr lieben Vettern, und leget
nicht die Axt an unsern Banm, dafern ihr wollt, da6 ihr selber
wachst". Und I 128 (Nr. 131):
Den Vetter stofi ich nicht, seh ich am Rand ihn stehn,
hab ich von seiner Tiick ein Probchen auch geselin.
Ich la6 ihn lieber gehn, und seh ihm manches nach;
vielleicht bringt mir ihn heim zur guten Stund' ein Tag.
Denn libel ist es schon und grofi genug die Schmach,
mit deni Verwandten dann zu brechen, wann er brach.
Auf ahnlichen Ton ist z. B. auch das Drohlied Nr. 94 I 95 und
Nr. 418 II 18 f. gestimmt. Ja es gibt auch Stellen, die geradezu den
Vetter als besonders nahen Freund kennen, wie 1254 (Nr. 219):
Verbriidre dicli. mit wem du magst, im Frieden; doch dein Retter
im Kriege bleibt, das merke dir, kein andrer als dein Vetter.
Dein Vetter ist's, dein Vetter, der, wo du ihm rufst im Streite,
antwortet willig- und sein Blut verspritzt an deiner Seite.
Darum verlafi den Vetter nie, ob Frevel ihn bestricke;
denn er ist deines Kleides Ri6 und deines Kleides Flicke.
Ahnlich II 17 (Nr. 416,2) und besonders II 287 (Nr. 730). Aber
solche Stellen heben die Beweiskraft jener anderen nicht auf, aus
4 .T. Wackernagel,
deneii eben docli folgt, wie g'ern unci leicht trotz der verwandtscliaft-
liclien Bande aiis Vetterscliaft Feindschaft erwuclis.
Ebenso weiterhin Shuqair Amtlial el-'awamm fi Misr was -Sudan
wash -Sham (Cairo 1894) S. 16, Nr. 209: „ich und mein Binder sind
gegen den Sohn meines Olieims, und icli und der Solin nieines Olieims
sind gegen den Fremden".
Ganz gangbar ist es im Abessinischen. das Wort fiir „Vater-
bruderssolm" im Sinne von „Feind" zu verwenden: Publications of
the Princeton Expedition to Abyssinia by Enno Littmann IV 21, 7
(S. 37), 272, 2 (S. 411), 328, 9 (S. 510), 337, 3 (S. 522), 366, 17 (S. 557),
519, 5 (S. 775), 677, 1 (S. 1037).
Es ist merkwiirdig, dafi in dieser Auffassung des Vetterschafts-
verhaltnisses die Inder mit den Semiten zusammengehen. Den bei
uns herrschenden Begriffen widerspricht sie. Vetterschaft gilt uns
durchaus und ausschliefilich als Grund des Zusammenhaltens. Und
das scheint iiberhaupt fiir die europaischen Indogermanen zu gelten,
Schon bei Homer versteht es sich von selbst, daS die drtfioi eng
verbunden sind. Hektor wird durch den Tod des Kaletor, Sohnes
von Priamos Bruder Klytios, besonders nahe berilhrt, well er sein
ch'tipi(k ist (0 422). Ebenso macht er seinem Vetter Melanippos, da
der gemeinsame Vetter Dolops gefallen ist, gerade in Rlicl<:sicht auf
diese Verwandtschaft Vorwiirfe (0 558 f.): ovtoj ch] Mthcnxjie inO/j-
ooittv: ovdt rr ooi jrf(> IvTQtJitrai ff'ilov i)toq (b'^ipior xTtc/n'roio.
Ferner weckt Apollo K 518 nach Rhesos Totung gerade den Hippo-
koon auf, 'P/joov drtfior loOXov, offenbar als den dem gemordeten
Konige am niichsten stehenden, der denn auch, als er die Mordstatte
sieht, ojjioj^u' t' «(>' hjitira (fiXor t' ovofUjrtr hTaiQor. Endlich er-
scheinen / 464 trai xal dverjiLoi als diejenigen, die den aufgeregten
Phoinix beruhigen sollen. Ich zweifle, ob es aus der antiken Welt
entgegenstehende Zeugnisse gibt. Jedenfalls wenn Cicero in der
Caeliana § 60 sagt: quonam modo ille (Q. Metellus) furenti fratri suo
(seinem Vetter Clodius) consularis restitisset, qui consul incipientem
furere atque conantem sua se manu interfectiirmn dixerit?, so folgt
daraus gerade, daS Wohlwollen zwischen fratres patrueles bei den
Romern das Gegebene war.
Bleibt zu fragen, wie hhrdtrvya-, wenn es urspriinglich „ Vetter"
bedeutete, schon von indoiranischer Zeit an unter Aufgabe der alten
Bedeutung Bezeichnung des Bruderssohnes werden konnte. Nun
linden sicli bei den Verwandtschaftswortern Iiberhaupt oft Ver-
scliiebungen der Bedeutung. Eine der hier vorliegenden entgegen-
Zu den Verwaudtschaftsnameii. 5
gesetzte liegt iiii deiitscheu Vetter vor. Die altgermanisclieii Furineii
des Wortes bezeichnen durchweg den Vaterbruder. Aber mittelhoch-
deutscli gilt das Wort audi fiir Brudersohn und fiii Vetter. Und
diese letzte Bedeutuiig ist in der Schriftspraclie allein iibrig ge-
blieben. Genau dasselbe aber wie bei hhrdtrvya- ist bei drtfiog ein-
getreten. Im x41tgriecliisclien von Homer an im Sinne von frater
patruelis gebrauclit, bedeutet drn(H<k nebst seinem Femininum bei
den Byzantinern „Nefl:e", „Niclite". Nacligewiesen haben dies die
Erforsclier des spatgriechischen Reclits, Cuiacius voran: worliber ein-
gehend Reitz im Glossar zu Tlieophilus Antecessor Paraplirasis II 1251
(zu I 19, 294). Zablreiclie Belege gibt Sopliokles' Lexikon. In den
griechisch-lateinischen Glossaren werden dementsprechend dr^iiHog
und drtrpid nicht blo6 mit consohrinus, consohrina, sondern auch mit
nepos, nept{i)a gedeutet.
Einen fast gleichartigen zweiten Fall bieten das Spanische und
das Portugiesische. Hier sind die lateinischen Bezeiclmungen fiir
Vetter und Oousine zweiten Grades sohrimis, sohrina zu solchen von
Neffe und Nichte geworden (Tappolet, Die romanischen Verwandtschafts-
namen 111).
Da6 gerade indoiranisch hhru-''trviya''- seine Bedeutung verscliob,
mag erstens damit zusammenhangen, dafi in dieser Sprachgruppe
anders als in den anderen indogermanischen Sprachen das Wort fiir
Enkel nicht audi zur Bezeichnung des Neffen diente, also liier eine
Liicke auszuf iillen war (vgl. Tappolet a. a. 0.) : wenn nicht umgekehrt
jener weitere Gebrauch von indogerm. nepot- erst durch das Auf-
kommen der jiingeren Bedeutung von hhr(Ptrvija'-'- beschrankt wurde.
Ferner pafite zu der begrifflichen Entsprechung zwischen Onkel,
Vaterbruder und Neffe, Brudersohn der Reini zwischen pitrvija- und
hhrdtrvya-. Inimerhin bleibt die Bedeutungsversdiiebung schon darum
auffallend, well das Wort selbst w^ohl erst indoiranischen Ursprungs,
kein Erbwort aus der Grundsprache ist. Denn das spatlateinische
(in logudoresisch fradele nocli heute lebende) fridnielis „ Vetter" ist
eine junge Umbildung aus patruelis, die dadurch bewirkt war, dafi
man den Vetter auch mit frater und mit frater patruelis bezeichnete.
In den akzentuierten Texteu ist ai. hhrdtrvya- sowohl als Ver-
wandtschaftswort wie in der Bedeutung „Nebenbuhler" auf der ersten
Silbe betont. Dagegen hat das zufallig nicht vor den Stltras belegte
pitrvyd- nach dem unzweideutigen Zeugnis von Vartt. 1 zu Pan. IV 2, 30
den Svarita auf der Schlufisilbe; pitrvya- bei Bohtlingk-Eoth ist ein
Druckfehler. Offenbar gehort -vya- zu den Sufflxen nach Art von
6 J. Wackernagel,
-vant-, die in Bildungen aus Barytona imbetont siiid — daher bkrdtr-ri/a-,
aber in solclien ans Oxytona auf i, u, r, n den Ton erlialten — dalier
pitr-v{i)ya- (vg-1. Verf. Gottinger Naclir. 1909, 50 ff.; 1914, 22 ff.). In
der klassischen Spraclie hat hhratrnja- in der Bedeutnng ..Neben-
bnhler" seine Anfangsbetonnng It. Pan. IV 1,145 bewahrt; dagegen
als Verwandtschaftswort sie dnrcli Svaritierung der Endsilbe ersetzt
(Pan. IV 1, 144): offenbar war hierfiir pitrrua- Muster i).
2. Eiue alte Bezeichiiuiig der Erbtocliter.
Im Rigveda IX 46, 2 liest man pdrishiasa indavo yoseva intrya-
vatl vdyum soma asrksata „zureclitgemacht wie ein AVeib, das pitrya-
vati ist, sind die Tropfen des Soma dem Vayu zugestromt". Sayana
deutet intryavati als pitrmaU, was natiirlich nicbt angeht. Zutreffend
die Petersbnrger Worterbiicher „vaterliches Gut besitzend"; vgl. I 48, 7
pitryasya ray ah und I 73. 1. 9 rayih pitrrittaJj,. Es fragt sich nur, was
nun dies wieder eigentlich bedeuten soil. Nach Ludwig ,,vom Vater
ausgestattet". Aber weder gab es bei den vedischen Indern das
Institut der Mitgift, noch kann die Mitgift mit pitrya- bezeichnet
sein. In Besitz von vaterlichem Gut kann man nur durch Erbschaft
gelangen; daher Grafimann im Worterbuch ganz richtig „vom Vater
ererbtes Gut besitzend" (in der Ubersetzung unklar „Maid im Vater-
sitz"). Aber eine Tochter erbt nach altem Brauche nur, wenn keine
Sohne da sind. Also kann yosa pitryavaU nichts anderes heifien als
^) Eine dritte Bilduug mit -mja- will Bartholoinae Altiran. Worterb. Sp. 1689
ill dem sdmaoid erkeimeu, das mit dem Glossem ddmat im Frahang i Oim ed.
Keichelt 20 (Wiener Zeitschr. 14, 204 Z. 10. 15,179) iiberliefert ist. Es soil 1. fiir
2dmavi/a- stehen, 2. aus ^zdma- „so viel als zdmatar-''' abgeleitet sein, 3. „Bruder
des Schvviegersohns" bedeuten, 4. in afg. zum ,.Schwiegersohn" fortlebeu. Von diesen
vier Annabmen ist die erste natiiiiicb moglich, und zweitens auch ein zdma- als
Form des zngrunde liegenden Stammes denkbar, sei es als Klirzung von zdmriiar-,
sei es als ein letzter Rest des sich aus den verwaiidteii Sprachen ergebenden
ursprilnglichen Nomiuativs indoir. zci^uia^, der sonst scbou indoiraniscb unter dem
Einflusse der anderen Verwandtscbaftsworter zu za-^ma^td^ erweitert ist. Im iibrigen
ist die Erklarung unannebmbar. Hat es denii in irgend einer Spracbe ein Sonder-
wort gegeben znr Bezeicbnung des Bruders des ScbwiegersohnsV AVas gebt einen
der an! Und ganz deutlicb gibt die Uberlieferung dem Worte die Bedeutung
„Scbwiegersobn". Eben das wiirde aucb aus dem von Bartbolomae auf ^zdwuvya-
zuriickgefiihrten afg. zum folgen, wenn es wirklich so zu erklaren ware. Aber
natiirlich lebt darin zdmcitur- fort. — Wahrscheinlich gab es, wie Andreas vermutet,
ein altes zanioi (als Hypokoristikum von zdrndUtr-), an das irrtlimlicb -o an-
geheftet Avurde.
7a\ den VerwaiKltscbaftsuaiueii. 7
„Erbtoehtei'". Im L'igv. I 124,7a unci IV 5,5(1 wird an den brudei-
losen Frauen Lusternlieit und Willfalirig-keit liervorg'ehoben. Hier
Avird die yom jntnjavdti mit den Somatropfen vergliclien wegen ihres
Gesclimiicktseins (vielleicht zugleicli weg-en des Zueilens auf jemand).
Offenbar wird an ihr Bereitstehen fiir die Verlieiratung gedacht. So
kann als Erkliirung der Rigvedastelle Vasistha 17, 17 dienen, wo
vom Vater der Erbtochter zu deren kiinftigem Gratten gesagt wird:
ahhratrlmm pradasyami tiibhyam hanyam alamliftam, asycini yo jay ate
putrah sa me initro hhaved iti „ dieses brnderlose Madclien will icli
dir unter der Bedingung gesdimiickt iibergeben, da6 der Solin, der
von ihr geboren wird. mein Solm ist". Das alamhrtam entspricht
dem pdrishrtam der vedisclien vStelle. Allerdings wird nicht bloB die
Erbtochter zur Vermahlung gesdimiickt und zureclitgemacht (vgl.
AGS. 16, If.); aber dal3 sie ganz besonders geschmiickt war, scheint
in der Natur der Sache zu liegen.
Diese Deutung von p/tryarati steht auf sich selbst und scheint
mir unumganglich. Aber erfreulich ist es, dafi sich bei den Griechen
eine ganz gleichartige Bezeichnung der Erbtochter nachweisen laBt.
Durcli das Gesetz von Gortys hat man dafiir den Ausdruck .TraTQfou'jyog
kennen gelernt. Dieselbe Bezeichnung bringt Herodot VI 57, 20 fiir
Sparta. In unseren Handschriften steht zwar jrargovyog, und dies haben
schon die antiken Lexikographen vorgefunden (Pollux 3, 33 ; Timaios
lex. Platon. ed. Rulmken 208; vgl. Eustath. zu // 171 S. 614, 28). Aber
wir konnen und miissen nunmehr, wie Rohl erkannt hat, die sinnlose
unverstandliche Form zu jraTQ{ojt)ovyj^g verbessern; es ist seltsam, da6
noch kein Herausgeber dies in den Text aufzunehmen gewagt hat.
Offenbar war es der den Lakedaimoniern mit den Kretern gemein-
same Ausdruck. Sonst scheint er nicht iiblich gewesen zu sein.
Wenn ihn Hesych s. v. kf/jraifori und Liriyayog (entstellt aus tjri-
jraffog) zur Glossierung anderer Worter fiir Erbtochter verwendet, so
geschieht dies nicht, well er im Spatgriechischen noch lebendig ge-
wesen ware — die Sache selbst war nicht niehr lebendig — sondern
um das, was andere Mundarten boten, mit dem gleichzusetzen, was
durch Herodot als lakonisch allgemein bekannt war.
Die Ahnlichkeit des griechischen Ausdrucks mit dem vedischen
springt in die Augen. Allerdings finden sich zwei Abweichungen.
Die Anwendung von jTccTQcjiog statt des dem ptfrya- entsprechenden
jTiiTQiog beruht auf dem allgemeinen Vordringen der ersteren Form.
Das Hinterglied -oyog ist volleren Begriffs als -rati; die Erbtochter
wird als die bezeichnet, die das Stammgut festhalt und inne hat.
8 J. Wackernagel,
Es ware denkbar iind an sicli das nachstliegende, der Grundsprache,
die fiir das urindogermanisclie Institut des Epiklerats ein bestimmtes
Wort besessen liaben muB, aiif Grund der vedisclien Stelle ein
pdtri{t)uvnU zuzntrauen und anzunehmen, da6 das Griechisclie einfach
beide Glieder durch ein verwandtes, aber scharferes Ausdrucksmlttel
ersetzt hatte. Nur bliebe zn beweisen, da6 die Adjektive auf -uent-
gTimdsprachlich als Attribute von Personen verwandt werden konnten.
])itryavati, ob nun vollig ererbt oder blo6 an ein Erbwort an-
gelelint, stimmt, weil es die Erbtocliter nacli ilirer vermogensrecht-
lichen Stellung' bezeichnet, niclit zu der Auffassung, die der Inder
sonst von der Bedeutung- und dem Wesen einer Erbtocliter liat.
P]r nennt sie putriha, was man niit „Solines- Ersatz" umsclireiben
kann, und sieht ilire eigentlidie Aufgabe darin, ihrem solmlosen
Vater durch die von ihrem Manne empfangene Leibesfrucht fiir einen
Sohn zu sorgen und so die Fortdauer des Geschlechts und damit auch
den Almenkult zu sichern. Dagegen j)itryavati stimmt vollig zur
griechischen Anschauung. Das dem 'pHriidratl zunachst entsprechende
jTaTofof)vyoQ hat sehr viele Ausdriicke neben sich: alle gehen auf
die Vermogensverhaltnisse : attisch schon bei Solon tjrixhjQog (nebst
ljrixX7]QiTiQ) „der das Erbgut anhaftet" gebildet wie IjTf'iQiTfwg, oder
„zum xlfjQog gehorig" (so Harpokration, vgi. Beauchet a. u. a. 0.
und Plassart Bull. Corresp. hellen. 38, 131 f.), gebildet wie IjTioxfjroc:;
vgl. Isaios gegen Aristokr. 4 tjil jtccvtI toI or/.n tjrlxh/Qog tytvtro.
Dazu fyx?jjQog „im xlF/gog sitzend" bei Euripides Iph. Taur. 682.
Ferner auBerhalb des ionisch-attischen Sprachgebiets aus jrdfia „(Erb)-
besitz" analog dem attischen Ausdruck tjiijta^cov Ijrixanarig, analog
mit lyxXriQog if/jraftcor, endlich avTOjtd^Kov „die durch sich selbst
Erbgut besitzt", vgl. peeress in her own fiyht, wahrend Liridixog nur
dann zur Verwendung kommt, wenn die Erbtochter Gegenstand eines
Rechtsstreites wird.
Es ist iiblich geworden, die bei den Indern herrschende Auf-
fassung schlechtweg als die urspriingliche hinzustellen und in der
den Griechen eigenen Betonung des vermogensrechtlichen Moments
eine jiingere Entwickhmg zu sehen (Uareste-Haussoulier-Reinach,
Inscriptions juridiques 469 f.; Beauchet, Droit prive de la republique
athenienne 1, 402ff. ; Plassart, Bull. Corresp. hellen. 38,132 Anm. 4;
Schrader, Worterbuch der indogermanischen Altertumskunde s. v.).
Eichtiger wird man sagen, da6 von Haus aus beide Momente, das
verm(3gensrechtliche und das familiar -religiose, von Bedeutung Avaren
und sich beides ohne bewuBte Sonderung durchdrang. Da6 auch das
Zu den Verwandtschaftsnamen. 9
erstere alt war, ergibt sicli mm aus dem gewomienen Tei'iiiiims, emp-
fiehlt sich iibrigens durcli die Analogie z. B. des alten israelitisclien
Reclits (Nmiieri 86). Griechen und Inder liabeii dann das ihnen fremd
Oder unwichtig gewordeue ausgesclialtet und nur Riidimente davon
bewalirt: die Griechen tragen dem Prinzip der Fortsetzung der
Familie Reclmimg in der Vorsclirift regelmaBigen elielichen Yerlielirs
niit der Erbtocliter und dem Recht der Erbtocliter, an Stelle eines
impotenten Mannes einen anderen Verwandten zum Gatten zu walilen
(Beaucliet 1, 456 ff.). Umgekehrt zeigt bei den Indern der Ausdruck
pHryavatl, dafi sie praktiscli um die okonomisclie Seite der Einrichtung
nicht so unbekiimmert waren, wie es die sakral orientierten Reclits-
biicher erscheinen lassen.
Basel. J. Wackeruagel.
ARKASATI-, MEDHASATI-0.
In arJidsati- gebeii einige Forscher deni Vordcrglied die Be-
deutung- ,.Soiine". Das Wort ist fiir Hillebrandt iiiclit treunbar
von snrijasya sati-, svarsati-, und zwar von der Verwendung dieser
Ansdrlicke, die nicht auf den mythischen Kampf nm den Sonnenball
gelit, sondern anf irdisclie Kampfe; „Ersiegung der Sonne" bedeute
da den Gewinn des Preises, den man eingesetzt hat: des eignen
Lebens.
Icli halte zunachst entgegen, dafi ich fiir arM- „Sonne" im Rv.
keinen iiberzengenden Beleg finde. Neben der in jedem Fall weit
vorherrsclienden Bedeiitnng „Hymnus" mag zwar — ich neige dieser
Auffassung abweichend von Bergaigne zu — auch eine Bedeutung
„Strahl, Glanz" (vgl. arci-, arcis-) anznerkennen sein. Von da bis zu
J.Sonne" ist aber doch noch ein Schritt. Das zeigt sich in VI, 4, 6
d suryo net hhanmnddhhir arhair dgne tatdntlia rodasi vi hhasa: also
die Sonne besitzt arM-s; sie ist nicht arM-. Geldner (Glossar)
gibt fiir arJcd- „Sonne" einen Beleg X, 107, 4-)- Da stelit arkdm
svarvidam: der arkd- ist wieder nicht die Sonne, sondern er erlangt
sie3); es handelt sich hier urn die Bedeutung „Hymnus", vgl. etwa
somam . . . svarvidam IX, 84, 5; mutdyah svarvklah X, 43, 1. So wiirden
wir fiir arkdsdti-, wenn wir nicht an „ErIangung des Hymnus" denken
wollen, die Bedeutung erhalten ,,Erlangung des Glanzes (Strahls)":
ij Literatur auBer den Worterbucheni uiul Ubersetzuugeu : Bergaigne, Rel.
vedique I, 279 A., Journ. as. 1884, II, 194 ff. ; Pischel, Ved. Stud. 1,24; Oldenberg,
ZDMG. LY, 326f.; Hillebrandt, Album Kern 263 f.
*) Dieselbe Stelle als Beleg fiir „Sonne" schon im Pet. Wb ; dort daneben aus
dem Rv. noch VIII, 101, 14; X, 68, 4, welche Stellen, Avie auszufiihren iiberfliissig
ist, nichts fiir die in Rede steheude These ergeben.
=•) svar- ist „Sonne". nicht „Lichtreich", vgl. meine Note zn X, 189. 1.
H. Oldenberg. Arkasati-, medhasati-. 11
was sich von der erwiilmten Deutung Hillebrandts stark entfernen
wiirde.
Nun aber scheinen mir die drei Belege von arhlsrtti- (I, 174, 7;
VI, 20, 4; 26,3), wenn man ihre charakteristisclien Ziige priift, auch
ihrerseits die von Hillebrandt ang'enommene Beziehung auf den im
tagliclien Gang der Dinge sein Leben einsetzenden Kampfer zn wider-
raten. dagegen die Deutung von arM- als Hymnns dringend zu
empfehlen.
An alien drei Stellen flihrt die Ausdrucksweise darauf, da6 Ver-
gangeues, Legendarisclies erzahlt wird. 1,174,7: „Es redete der lavi-
bei der arJcdsati-; (da) machtest dn (Indra; oder: maclite er [Indra])
die Erde dem Dasa zum Lager"; in der zweiten Vershalfte folgt die
dunkle Erzalilung von den fisro ddnucitrah und von der Bandigung
des Myavac-. VI, 20, 4: „Durcli hundert Streiclie fielen liier die Panis,
0 Indra, fiir Dasoni, den Icavi-, bei der arMsriti-" ; es folgt die Be-
kampfung des Susna. VI, 26, 3: ,,Du (Indra) hast den hia- angetrieben
bei der arhisati-''; es folgt die Bekampfung des Su^?na zugimsten des
Kutsa, die des amarmdn- (Sambara) zugunsten des Atithigva. Die
arMsati- sclieint sich da iiberall deutlich als ein bestimmter, mit einer
GroBtat Indras verkniipfter Vorgang zu erweisen.
Eine Hauptperson dieses Vorgangs lernen wir kennen: den JmcI-.
Schon friiher (s. die Anfiihrung S. 10 A. 1) niachte ich darauf auf-
merksam, da6 an alien drei a;7irts«^i-Stellen vom kari- die Rede ist.
Hillebrandt sieht das als seiner Deutung keineswegs entgegenstehend
an: „Ein Kavi hilft beschworend und singend bei alien Unter-
nehmungen ; auch bei den Schlachten, wo man urn das Leben kampf t,
wird sein Beistand nicht gefehlt haben." "Wenn sich so die gelegent-
liche Nennung eines Jcccvf- in der Tat erklaren lafit, bleibt es darum
doch hochst auffallend, da6, wo es sich, wie man sagen konnte, dem
Wesen der Sache nach bei der arMsati- um die mrasati- handelte.
mit dieser durchgehenden RegelmaBigkeit jedesmal nicht der Held,
sondern sein Assistent, der Imv'i- hervorgehoben wurde. DaB das in
der Tat kein Zufall ist, wird nun welter dadurch bestatigt, daB auch
abgesehen von diesen Stellen die Vorstellungen von Imvi- und arhd-
(und zwar dies im haufigeren Sinne des Worts, als ,,Hymne") be-
merkenswerte Neigung zeigen sich zu verbinden. So wird X, 112,9
Indra angeredet: tvdni ahur ripratammu JcavJndrn, worauf die Bitte
folgt: niaJidm arkdm maghacan citrdm area. An Soma IX, 25, 6:
a ixicasva . . . hare, arlcdsya yonhn asddam. Im Trca VIII, 63,4 — 6
kommt Vers fiir Vers arlcd- vor; in V. 4 soil Indra arlcdsya homani
12 H. Oldenberg,
zii uns kommen; da wird er als kavivrdhdh bezeicliiiet. X, 15, 9
werden die Vater hotravida stomatasiaso arhaih genannt; dann lieiBt
es: Agni komme Ixavyaih pitrhhih. Dazu dann die Stellen, an denen
arM- mit ungefahren Synonymen von l-ad- wie vipra- oder ImtiI- in
Verbindung tritt (YIII. 51, 10; 92,19 etc.), und endlich liberhaupt die
evidente, spezieller Nachweisungen niclit bediirftige Ubereinstimmung-
der Sphare, innerhalb derer die Vorstellungen von Mvi- und arM-
liegen. Damit nun scheint mir fiir das steliend mit lavt- ziisammen-
hangende arMsati- die Wahl zwisclien den beiden Bedeutungen von
arM- gesichert: dieses heifit „Hymnus". Ein l-aii-, irgendwie in
Kampfe verwickelt, erlangte den Besitz eines wunderwirkenden
Hymniis; da sanken vermoge Indras Hilfe, die vermutlicli eben durch
jenen arid- ei'wirkt wurde, oder vermoge seiner Kraft, die durch
jenen gestarkt wurde, die Panis, der Dasa zu Boden: das etwa mag
die Geschichte von der arldsati- des lavi- sein '). Ein groBter Jcavi-
war bekanntlicli Brhaspati {havim havindm upamdsravastamam II,
23, 1), der samt seinen priesterlichen Genossen, wie bekannt,
arlmih grofie Taten vollbracht hat. Von ihm heiBt es snrijam (jam
arhdm viveda X, 67, 5 (vgl. 68, 9) : da steht nebeneinander, was man
als svdrsdti-, gosati-, arMsati- dieses kavi- bezeichnen konnte. Schon
Bergaigne hat auf VII, 39, 7 = 62, 3 verwiesen, wo die priesterlichen
Sanger die Gotter anrufen: ydccJiantu candrd upamdm no arkdm.
Die Erfiillung solches Wunsches liefie sich fiiglich als arMsati- be-
nennen. Von Erzahkmgen iiber die miihevolle Erlangung derartigen
geistlich- priesterlichen Besitzes, wie ein arM- ist, durch Priester
der Vorzeit sind bekanntlich die Biahmanatexte voll. Ayasya hatte
sich eine sue- zugezogen; da libte er Tapas und erschaute die
beiden Ayasyasaman; so befreite er sich von der sue- (Pane. Br.
XI, 8, 10): solche Geschichten waren leicht in beliebiger Masse
zusammenzubringen. Sie stehen mit der arMisati- des Imd- etwa auf
einer Linie.
tJber die kaum mit voller Sicherheit entscheidbare Frage, ob
der in diesem Zusammenhang auftretende Mvi- Usana ist, und event,
iiber das Verhaltnis von Dasoni und Usana habe ich ZDMG. LV, 327
einiges bemerkt. Handelt es sich in der Tat um Usana, wiirde die
ganze Geschichte wohl mit der Su.snabezwingung und Sonnenerlangung
zusammenhangen bezw. in diese verlaufen. Ein havi- erscheint im
') Wieso diese Auffassung in VI, 20, 4 zu Schwierigkeiten flihren soil (Hille-
brandt), entgeht mir.
Arkasati-, medhasati-. 13
Zusammenhang" iiiit der svarsati- IV, 16, W Nacli dem oben Aus-
g-efiihrten werden "wir daraus iiaturlicli nicht anf Bedentungsgleichlieit
von rtr/M- uiul srar- schlieBen; immeihin kann eine aykdsati- natiirlich
insofern ancli svarsati- sein, als der ((rhi- znr Gewinnung des svar-
verlielfen kanii (X. 107, 4). —
Wenn icli inbezug- aiif arldsati- zum selben Ergebiiis komme
wie Bergaigne, der ,.obteiition de I'liynine" erklarte. kann ich diesem
Forscher in der Auffassinig von medhasati-. nach ilim „ acquisition du
sacrifice" — Geldner (Glossar): „das Gewinnen des Opfers, Opfer-
konkurrenz, Wettstreit" — nicht folgen. Hillebrandt versteht das
Wort ahnlicli; bestimmter sielit er^) in medhd- ein Opfertier: der
Konig zieht auf Bente aus, von der er dann ein Stiick Vieli der
lielfenden Gottheit opfert.
Alles hangt davon ab, ob man im Vorderglied des Kompositums
medJia- (als Simplex so akzentniert!) oder mit dem Pet. Wb. medhd-
sielit. Fiir das erste spriclit die Qiiantitat des -a-, fiir das letztere
der Akzent von medhasati-. Docli sowohl Vokalquantitat wie Akzent
ist ja der Verscliiebung fahig (Wackernagel, Gramm. II, 134. 232).
Gewichtige Momente sclieinen mir nun fiir medhd- zu entscheiden.
Die Darbringnng eines Tieropfers wird docli nur im selteneren
Fall mit einem vorangegangenen Beutezug zusammenhangen ; in der
Regel wird der Herdenbesitzer das Opfertier einfach aus seiner Herde
herausgreifen. Und fiir den, der einen Beutezug zu vollbringen wiinsclit,
ware es eine selfsame Bezeichnung ..nacli einem Tieropfer (oder Opfer-
tier 2)) strebend", indem fiir die Hauptsache ein Nebensachliches gesetzt
ware, das mit vielen andern Situationen sich genau so gut verbindet
wie mit der liier gemeinten, fiir diese also in keiner Weise cliarakte-
ristisch ist.
Aber audi wenn man die Vorstellung des ein Opfertier liefernden
Beutezuges beiseite latU^) und einfacli versteht „Erlangung eines Tier-
*) Wenigstens an einer Anzabl von Stelleu ; vgi. Anni. 3.
2) Welche Unterlagen hat iibrigens die Ansetzung der Bedeutung „Opfertier"
fiir nu'dha-? Ait. Br. II, 6, 3 upaimtjula . . . mfdhapaUhhi/ain medhaw beweist fiir
sich allein nicbts. Ebensoweuig uatiirlicb die darau auscblieBende Eemerlvung jinsur
vai medhah. Man beacbte Stellen wie Sat. Br. IX, 4, 3, 15 pamv eva sa madh/fato
vie llio dhlyate.
3) Hill, will iibrigens nur an einem Teil der Stellen verstehen „um ein Opfer-
tier zu gewinneu" ; auderwarts soil es sich einfach „um den Erfolg des eigeneu
Opfers iiber den opferuJen Rivalen" handeln. Ist solche Zweiheit der Auffassung
wahrscheinlich?
14 H. Oklenberg,
opfers", bleibt cler Ausdruck befremdend. Icli wiifite nicht, da6 die
Vorstellung- des „Erlang-ens" (san-) eines solchen im Veda irgend eine
Rolle spielte, irgend koiikret aiisgemalt ware.
Ganz anders verhalt es sich mit medhd- (etwa „Geisteskraft").
Dies Wort verbiiidet sicli in typischer Eegelmafiigkeit mit san-. Ich
verweise auf folg-ende Stellen: 1,18,6 sanim medhtmi ayasisam;
II, 34, 7 (die Marut sollen geben) isam stotfhhyo vrjdnesu lardve
sanim medhdm; V, 27, 4 dddad red sanim yate dddan medJidm rtayate;
IX, 32, G (Soma, verleihe) sanim medhdm utd srdvah] endlicli mit
dem Imperativ von san- IX, 9, 9 (an Soma) sdna medhdm sana svah.
Da6 Stellen wie diese die anschauliche Auslegung' von medhdsati- ent-
lialten, drangt sich auf. Man beachte nocli folgendes. medJuisati- wird
parallelisiert mit dem selir haufigen rdjasafi-: gdmad a vdjasataye
ydmad d medhdsUtaye VIII, 40, 2. Dieser Parallelisierung entspriclit
es offenbar genaii, wenn der Wunsch des Beters einerseits sicli auf
sanim vdjam VI, 70,6 riclitet, andererseits, in vollkommen entsprecliender
Ausdrucksweise, auf sanim medhdm (s. die obigen Anfiihrungen): womit
die Zugeliorigkeit von medhdsati- zu medhd- gegeben ist^). Audi im
iibrigen zeigt sich vielfach die Gleichartigkeit der urn medhdsati- und
der um medhd- gelagerten Phraseologie. So mit mati- und mdnman-:
einerseits VII, 66, 8, andererseits VII, 104, 6; VIII, 52, 9; X, 91, 8; mit
Mru- einerseits VIII, 3, 18, andererseits I, 165, 14; II, 34, 7; mit dht-
einerseits IV, 37, 6; VIII, 3, 18; 69, 1 ; 103, 3, andererseits VIII, 43. 19;
mit gir- einerseits VII, 94, 6, andererseits V, 42, 13. Ein Teil der hier
zusammengebrachten Stellen laBt auch von diesen Parallelisierungen
abgesehen die Hineingehorigkeit von medhdsati- in die Vorstellungs-
sphare priesterlicher Geistestatigkeit deutlich hervortreten. Dafiir
kann auch die mehrfach erscheinende Verbindung von medhdsati- und
vipra- angeflihrt werden (VII, 66, 8; VIII, 3, 18; 71, 5). Die Vorstellungen
der Erlangung der medhd- und der Ei'langung der vei'moge der medhd-
zu gewinnenden Guter schwimmen natiirlich ineinander. Gegeniiber-
stelluug des in erster Linie priesterlichen medhdsati-'Rrtolges durch
die dhiyah und des weltlichen Erfolges drvaia liegt IV, 37, 6 vor:
auch VIII, 40, 2 ist offenbar so zu verstehen. Auf fallen konnte, da6
I, 129, 1 von der medhdsati- im Zusammenhang mit der Bitte an Indra
um Siegverleihung fur den Wagen die Rede ist. Aber einerseits
1) Man kann entsprechend auch aiif Grund des oben angefiihrten IX, 9, 9 sdna
medhdm sdna srdh argumentieren. Die zweite Halfte des Satzes spricht von srdr-
^fiii-; es drangt sich auf, dafi die erste in gleicher Weise von iiiedhdsati- spricht.
Arkasati-, medhasati-. 15
mag- audi dem Wagenkampfer niedhd- ein wertvolles Gut sein (vgl.
medhaiji'im nd snrnm IV, 38, 3), wie ja auBer Agni, der vor alleu
anderen medhirah ist, gelegentlicli audi Indra so lieiCt. Und ferner
sdieint an jeiier Stelle, wie der weitere Inhalt des Liedes wohl walir-
sdieinlidi maclit, der zum Sieg strebende Wagen nur ein Bild fiir
die dem CTewinn nadijagende priesterlidie Tatigkeit zu sein, vgl.
VII, 34, 1 etc.
Gottingen. H. Oldenberg.
GRIECHISCHE BEDEUTUNGSLEHNWORTER
IM LATEIN.
Abgekurzt zitierte Werke:
Grandgeiit = C. H. Grandgeiit, An introduction to vulgar Latin. Boston 1907.
Lofstedt Komm. = E. Lofstedt, Philologischer Kommentar zur Peregrinatio Aetheriae.
Untersuchungen zur Geschichte der lateiuischen Sprache. Uppsala und Leipzig
191L
Lofstedt Spl. St. = E. Lofstedt, Spatlateinische Studien. Uppsala 1908. (Skrifter
utgifna af K. Humanistiska Vetenskaps-Sainfundet i Uppsala XII 4.)
Eonsch It. = H. Konsch, Itala und Vulgata. Marburg und Leipzig 1869.
Eonscli SB = H. Eonsch, Semasiologische Beitrage zum lateinischen Worterbuch.
3 Hefte. Leipzig 1887—1889.
Die Geschichte des Studiuras der sprachlichen Beziehungen
zwischen dem Griechischen und dem Lateinischen ist auffallend reich
an Fehlgriffen, auffallend bei dem jahrhundertealten lebhaften Inter-
esse, das beide Sprachen genossen haben. Aber vielleicht ist gerade
die weite Verbreitung der Kenntnis beider Sprachen schuld daran,
da6 die Versuche, ihre Beziehungen genauer festzulegen, ofter mit
unzureichenden Mitteln unternommen worden sind. Als feststehendes
Ergebnis der Forschung kann man heute jedenfalls auBer der Zu-
teilung beider zur indogermanischen Sprachfamilie nur eine stattliche
Anzalil griechischer Lehnworter im Hoch- und Volkslatein und
lateinische Lehnworter im Spatgriechischen betrachten, sodann einen
maBgebenden EinfluB der griechischen Syntax und Stilistik auf ge-
wisse Klassen der lateinischen Literatur. Dagegen haben die Theorien
von einer vorgeschichtlichen engeren grako-italischen Sprachgemein-
schaft und von einem genetischen Zusammenhang der spat- und
neugriechischen Entwicklung mit der vulgarlateinisch-
spatlateinisch-romanischeni) keinen Anklang gefunden. In den
1) G. Kdrting, Neugriechisch und Eomanisch, Berlin 1896 (rair nur aus der
ablehnenden Besprechung von W. Meyer-Llibke im Archiv f. d. Studium der neueren
Sprachen 98, 174 ff . bekannt) ; K. Dieterich, Neugriechisches und Eonianisches (Kuhns
A. Dehnimier, (iriechisclie Bedentuiigslehnwortor im Latoin. 1 (
letzteu Jaliren ist das letztgenannte Problem in etwas veranderter
Gestalt mit Nachdi-uck von nenem gestellt nnd tastend erortert
worden i). Man stellt zahlreiche z. T. wirklich iiberrascliende Parallelen
aus den spateren Stadien der klassischen Spraclien zusamraen nnd
fragt sicli: Analogic oder Genealogie?^), olme da6 bislier eine
znversichtliche Antwort gewagt oder eine genauere Untersuclning
der Einzelfalle vorgenommeu worden ware. Ancli icli liabe liier
durclians nicht die Absicht, eine absclilieBende Losnng zn geben oder
Beispiele zn liaufen, sondern anf einem besonderen Gebiet einige
Gesichtspnnkte liervorznheben, die beim Studinm der Frage beriick-
sichtigt werden miissen. Icli walile dazn ein Kapitel, das im Lateinisclien
nocli wenig Beachtung gefnnden hat: das Bedentiingslehnwort,
d. h. die Ubernalime einer fremdspracliliclien Bedeutnng anf ein Wort,
das in anderer Bedentung mit dem fremden synonym ist^).
Ich bin mir dabei wolil bewnfit, daB micli die Liickenliaftigkeit
der Belegreihen nnd der Literatnrbenutznng da nnd dort zu falschen
Einzelschllissen fiiliren kann; aber wer die Unzulangliclikeit nnserer
AVorterbiicher fiir die spateren Sprachepoclien und den Umfang der
Spezialliteratnr iiber diese Gebiete kennt, wird nicht zu streng ur-
teilen, und der grnndsatzliche Wert der einzelnen Gesichtspnnkte
bleibt auch so bestehen.
Freilich hat schon Hieronymus diese Art der Entlehnung klar
erkannt. So sagt er im Kommentar zu Eph. 4, 24: quod apiid nos
.,conditio", apud (rraecos ..creatio" sonat „das Wort (xtujiq), das bei
uns conditio (Griindung) bedeutet, bedeutet bei den Griechen creatio
(Schopfung, Geschopf)"; s. S. 31. iVhnlich Augustin iiber jm<5 im
Sinne von miser icors; s. Ronsch SB II 39. Unklar ist mir die Stellung
Zeitschr. 37 [1904], 407—423; 39 [1906], 81—136), der sogar mit dera Unterschied
von „primaren" und „sekundaren" Sprachen operiert (KZ 37, 422 Amu.).
1) 0. Imuiisch , Sprach- und stilgeschichtliche Parallelen zwischen Griechisch
und Lateinisch (N. Jalirb. 29 [1912], 27—49); Fr. Pfister, Vulgarlateinisch und Vulgiir-
griechisch (Rhein. Mus. 67 [1912], 195 — 208) und an verschiedenen anderen Orteii:
Woch. f. kl. Phil. 1911, 809 ff.; 1915, 328—336. 832 -838; Berl. phil. Woeli. 1914, 1149 f.
2) Fr. Pfister, Rhein. Mus. 67, 208.
^) Uber lateiniscbe Bedeutungslehnworter im Griechischen, die hier nicht be-
handelt werden sollen (aiQartjyoq = praetor, ^(-[iaatoq = Augustus u. dgl.), ver-
gleiche man D. Magie, De Romanorum iuris public! sacrique vocabulis soUemnibus
in Graecum sermonem conversis, Leipzig 1905; zum Neuen Testament speziell s.
BlaB-Debrunner, Gramm. des neutest. Griech., 4. Aufl., Gott. 1914, § 5, 3 b. Uber das
Deutsche vgl. S. Singer, Die deutsche Kultur im Spiegel des Bedeutungslehnwortes
(Aufsatze und Vortrage [Tiibingen 1912] 104—122).
Andreas -Festschrift. 2
18 A. Debrunner,
von Eonscli, clessen Schriften ich die meisten der folgenden Beispiele
verdanke, ziini Bedeutungslehnwort; einerseits reclmet er gelegentlich
damit^ iind fiigt fast immer das gTiechische Aqiiivalent, das den
Anlafi zur Bedeutungsiibertragung gegeben hat, bei, audererseits aber
spricht er sicli weder in „Itala und Ynlgata", wo im Absclinitt
„Grazismen" giite Gelegenheit war, nocli in den „Semasiologischen
Beitragen" dentlicli dariiber ans. Hervorgehoben und spraclilicli
richtig- erklart liat die Ersclieinnng M. Bonnet 2). Von neneren, die
das Problem geselien haben, erwahne icli nocli C. H. Grandgent S. 8
iiber virtiites = aQtrai „Wnnder", 0. Immisch, N. Jahrb. 29, 42f. liber
creimre = ipo(f8ir „krepieren, sterben" und W. Heraeus (s. utilitas S. 22).
I.
Bedeutungslelmworter wird man in erster Linie in der Uber-
setzungsliteratur suchen, und bei dieser stelit die lateinische
Bib el 3) obenan. Beispiele daraus lieBen sicli mit Leicbtigkeit zu
Dutzenden anfiihren. Manche werden unten bei anderen Gelegenlieiten
zur Spraclie kommen; liier bescliranke ich mich auf ganz weniges.
Am begreiflichsten ist es, wenn die Ubersetzer in der Wieder-
gabe von allbekannten griecliischen Wortern, die in der Bibel eine
besondere religiose Far bung angenommen batten, sich gern an
die griechischen Worter mogliclist eng anschlossen. So haben sie
fiir jTioToq (iiTKjTog „glaubig, unglaubig" das fiir jnarog ajnorog
„treu, untreu" passende i^delis infuJelis eiugesetzt (daneben incredulus
und incredibiUs] Ronsch It. 3321, SB 11211), und dies ist stehender
Sprachgebraucl) der abendlandischen Kirche geworden. Ein anderer
Yersucli der Wiedergabe ist fidus in deo = jriOTog Ir {htco „an
Gott glaubig", das Bonnet (s. Anm. 2) 262 aus Gregor von Tours
und anderen belegt (anders fidus = confisus bei Ammianus Marcellinus
und Gregor von Tours, woriiber Lofstedt Spl. St. 52 1). Fides mit
seiner langst vorhandenen Doppelbedeutung „Treue" und „Vertrauen —
Glaube" erleichterte natlirlich die Erweiterung der Bedeutung von
{in)fidelis wesentlich.
') SB I 35 iiber fmiis = o/olvoq „eiii Wegraafi", III 85 iiber nsitcoifihioi
= xolq ovoiv.
2) Le latin de Gregoire de Tours (Paris 1890) S. 263—265 ; als Beispiele fiihrt
er an accipere = ).a^(iuvfLv „nehmen", conquirere = avrtrjitir „disputieren" (vgl.
S. 20), iwessuru = O^'/.liihq „Triibsal".
3) Und zwar sowohl die vorhieronj'mianischen Fragmente (Itala oder Vetns
Latina), als auch die Vulgata des Hieronymus.
Griechische Bedeutniigslelinworter iiii liatein. lit
Alls der religiosen Sphare der Bibel erwiilme icli noch
communicare ^=^ xoivorv ,,(ritiiell) unrein maclien, beflecken"
(Ronscli It. 354; Thesaurus III 1957; vgi. besonders Mark. 7, 15 Yulg.,
wo zuerst coinqmnare = xoircoaai, naclilier (ptae communicant = tu
y.oirocvra und vs. 18, 20. 23 nur noch commimicare).
repufare = ?.oyi^eo^}^ai ,,anrechnen als"
(Georges s. v. II B 0, Ronsch SB III 73).
testamentum = diaOtjxr/ ,,Bund, Yertrag".
rirtutes = uQtTai „Wuiider"
(s. die Lexika und oben S. 18).
Besondere Hervorhebiing verdienen Falle, in denen eine un-
gewohnliche Bedeutung von einer einzigen biblischen Stelle
aus sich mehr oder weniger verbreitet hat. So
adiacere alicui = „nahe liegen, zur Verfiigung stehen, in
jemandes Macht stehen".
Rom. 7, 18 TO yao (i^tltiv jraQc'r/.tiTai (loi iind 21 or/ l;io\ to y.axor
jraQaxeiTcu ist in der Vulgata wortlich wiedergegeben mit nam velle
adiacet miJii und (juoniam mihi maltim^ adiacet. Bei der "SVichtigkeit,
die dieser Stelle in der Dogmatik zukommt, ist es nicht zu ver-
wundern, da6 die Kirchenschriftsteller den Ausdruck gelegentlich
ilbernehmen, auch etwa ohne direkten AnschluB an die genannte
Bibelstelle (Beispiele bei Ronsch SB III 5 f. und im Thesaurus I 665).
Weil die griechischen Ubersetziingen heiliger Schriften der
Juden sich oft auch ihrerseits eng an ihr Original anschlieBen und
so Bedeutungshebraismen schaffen. kann durch Weiteriibersetzung
ein soleher Hebraismus auch ins Lateinische iibergehen.
celle aliquem = ,,gern haben".
Das hebraische fsn entsprach sehr oft dem griechischen {^tl^ir
c. inf. := „\vo]len"; da es aber niit Akk. oder a auch „Gefallen haben
an jemand oder etwas" bedeutete, koniite eine wortliche Ubersetzuiig
das einmal als Aquivalent charakterisierte d-tXsir auch so brauchen:
z. B. Ps. 21, 9 (hebr. 22, 9) (tvoaoB^o) avTov, ocooaToj avTor, otl dtXii
avTov, vgl. Matth. 27,43, Ps. 17 (18), 200. Kein Wimder, dafi die
1) Die Papiniaiistelle aus den Digesten be^veist uichts gegen meiue Auf f assiing ;
vgl. Jors bei Pauly -Wissowa V 526 f. ilber Grazismen Avie const/tutKS = xccx^eotw.:
ill den Digesten.
2) Ignat. ad Magu. 3, 2 elg ii/iriv oiv ixelrov zov &£?.7'jaca'Tog fjfiug „zu seinen
Eliren, der ims erwablt bat" verwendet den Ausdruck selbstaiidig.
2*
20 A. Debrunner,
Vulgata den Hebraismns iibernimmt: Ps. 21,9 salvum. faciat eum, quo-
niam vuU eimi; vgl. ebeufalls Matth. 27,43 imd Ps. 17,20, dazu
Ps. 40 (41), 12 iind Mai. 3, 1 ')• Dem profanen Griecliisch ist dtXur
rird tiberhaupt fremd'^), das eclite Latein kennt mir te volo „dicli
wunsche icli zn sprechen, von dir will ich etwas" u. dgl. Etwas
anders liegt die Saclie bei velle aliquid : lioc volo, si quid vellet u. dgl.
sind alltagliclie Phrasen, auch Ding'-Substantiva als Objekt kommen
vor: aquam velim Plautus, si siiam gratiam vellent Casar, usw. Also
ist misericordiam volo {volui) et non sacrificium Matth. 9, 13 = 12,7
= Hos. 6, 6 imd ahnliches nicht imlateinisch. Dagegen ist BtXtir tl
ungriecliisch 3), also auch die griechische Vorlage der eben angefiihrten
Vulgatastellen: iXto^ {^tXco xal ov (Hos. //) 0 volar. Es trifft sich
also zufallig, da6 das Bedeutungslehnwort bei der weiteren Entlehnung
weniger fremd wird. Als Gegensatz beachte man den krassen Uber-
setznng-shebraismus Ps. Ill (112), 1 tr tcuq trroXaig avmv fhth}<j^i.
(a i^sn) acfodQci LXX = in mandatis eius volet nimis Vulg.
Aufier der religiosen Literatur des Lateinischen steht bekanntlich
die wissenschaftliche jeder Art in hohem Grad unter dem sprachlichen
EinfluB des Griechischen. An die Bedeutungslehnworter der
Grammatik, aus denen ja noch wir den GroSteil unserer gram-
matischen Termini bestreiten, brauche ich nur eben zu erinnern:
adiectivum = tJiiOiTor, casus = jircoOig, verbum = (>fj/'(h ^^i^w. Auch
auf die iibersetzten- philosophischen Termini will ich nicht
eingehen: indi/ferens = d6idg:oQoi', essentia ^= orota, conquirere
= avry/jTuv „wissenschaftlich disputieren" ^), usw.
Zu wenig Aufmerksamkeit schenkt man wohl gewohnlich dem
sprachlichen Einflu6 des Griechischen auf die lateinische medizinische
Literatur. Als Beispiele fiir Bedeutungslehnworter aus diesem Ge-
biet mog-en folgende dienen:
adiectus = „iibertrieben, erkilnstelt"
(eig-entlich „nachtraglich oder von auCen angefligt") als Gegensatz
zu natnralis wird von Ronsch SB II 1 und dem Thesaurus aus An-
') Nicht Sach. 3, 1, wie Ronsch SB III 8G steht.
") Ahgeseheii von Ellipsen wie Horn. Od. 1-1, 171 f. avrccf) Y)<SvaaerQ
l'?.x)^oi, onojq fiiv lyu) j'' ^S^i'ho (scil. k?.O^eif).
^) Wenn nicht ein Inf. vorschwebt wie z. B. Herodot I 71 amorTai ovx oaa
*) Bei Cic. rep. Ill (17) nnd oft in der Bibel; hier auch conquisitio und -for
(Ronsch SB I 20, III 19 f. ; Thesaurus IV 356). S. auch oben S. 18 Anm. 2.
Giiechisclie Bedeutungslebiiworter im Lateiii. 21
thimus (Arzt, YI. Jaliiii. n. Chr.) mit einer einzigen Stelle belegt;
Ronsch fiigt richtig- bei: „Einen ahnliclien Gebrauch kanii man beini
griechischen IrriihtToc beobachten". In der Tat kommt ajrltHrog seit
Isokrates ofter als Gegensatz zu jrarQioc „altererbt'', dhjihroq. „eclit,
wirklich" nsw. vor; vgl. audi Menander fr. 534, 13 (III 158 Kock)
tjTidtTa Tfi (fiObi yur/M, Dionys. Hal. tJtiBtroi xoo/ioi, xaTaoxtvf) tjri-
dsTOQ. ZugTunde liegt das Verbum adicere, das normale Aquivalent
von ijTiTix^trai „beifUgen". Man erinnere sich audi an adiectimm
= Ixid^trov.
facere m. Dat. mid mit ad = ,,"\virken, helfen gegen eine
Krankheit"',
das H. Ahlqvist, Studien zur Mulomedidna Chironis (Uppsala
Univ. Arsskrift 1909) S. 33 und 60 aus Chiron i) erwalint, ist Uber-
setzung der griediisdien Medizinerplirase to (fdQiiaxov jrotei (Plato
Phaedon 117 B, jtqoc rt Strabo und Dioskor.). Der Dativ bei facere
ist wolil der Erinnerung an mederi zu verdanken. Flir ,,dienen
(im Sinne unseres hoflidien ,es dient mir nidit'), passen" kennt das
Griechische jroaiv nvi, jtqoq ti oder jTQrk riva und das Lateinisdie
facere (aUcui) und ad alkiuid. Vermutlich geliort das zu den Be-
deutungsentlelinungen des Umgangskomments, von denen unteu S. 25 f.
die Rede sein wird. In der medizinisdien Formel ware dann die
Entlehnuiig in nodi melir eingeengtem Sinne wiederliolt worden.
Eine besondere Untersudiung verdienen die Bedeutungslehn-
worter in den Glossen. Eine riditige Einsdiatzung der Tragweite
soldier Beispiele stofit auf die Sdiwierigkeit, da6 ilire Herkunft un-
bekannt ist; es kann sidi ebensogut um Vulgares liandeln wie um
literarisches Gut aller Gattungen.
implicare = „frisieren".
fc//jr/txo> implico innexo Corp. Gloss. Lat. 11296,34; tfLT/.txTouc
implicatrix ornatrix 33 (Ronsdi SB III 45), vgl. implicuit bViJcXtB,tr
1185,18, implicare pro ornare (cod. perornare) V 642, 55 (Nonius);
dazu Hon implicata capiUorum 1. Petr. 3, 3 (bei Ambros.) == ovy . . .
t(L-T}j)xiy TQiyojv. Unter den editlateinisdien Bedeutungen von im-
pMcure stelit am nadisten „ins Haar flediteu, bekranzen" (crinem auro,
tempora ramo Vergil). Vgl. tifjrt.TAr/itti'OJ: ,,mit gelloditenem Haar"
bei Atlienaus und Ii/jt/Jxtquc mit der Erklarung xoi(i(ojT{>ia bei Moeris
') Nach dem Thesaurus s. v. Tiodw S. 1297 f. gibt der Mediziiier Plinius noiei
n^jo^ unter anderem auch durch facH ad wieder.
22 A. Debruniier,
iind Suidas und im Etym. Magn., ferner tfijr/oxtj bei Strabo XVII,
S. 828 und 1. Petr. 3, 3. Die Verwendung von implicare fiir die be-
sondere Bedeutung von liutXtxtir ist jedenfalls durcli die leiclit er-
kenntliclie etymologische Identitat der beiden Worter verursacht
worden.
Endlicli muclite ich einen Yermittler von Bedeutungsgrazismen
in den Grabinschriften seheni). Folgende Beispiele scheinen mir
fiir diese Griippe in Betracht zu kommen:
decipere = „toten".
Beispiele aus spaterer Zeit finden sich bei E. Lofstedt Spl.
St. 72 — 74 und im Tliesaurus Y 178. Am gebrauchlichsten sclieint
dece2)tus = „gestorben" in Grabinscliriften zu sein, vgl. z. B. CIL
IX 5012, 5 (= Biicheler, Carm. epigr. 649, 5) priynis deceptus in annis,
11114644,3 fato deceptus, non ah homine. Ich vermute stark, es
handle sich hier urn ein vorzugsweise durch die Grabinschriften ver-
mitteltes Bedeutungslehnwort: decipere = oaaV.eir ,,zu Fall bringen*',
weil decipere = GqalXtiv „tauschen". Leider steht mir fiir eine dem
decexitiis entsprechende Verwendung von GffaXdc in Grabinschriften
nur ein Beispiel zur Verfiigung: Kaibel, Epigr. Graeca ex lap. conlecta
Nr. 208 b, 14 = IG XII 8,441 (p. 140) (Thasos, ca. 100 v. Clir.):
y.artldt d' oitl )'i\urfix(o}' Ir/ifaQoi^
jraOTor ydifcor jruQedgor, d)JJ cljc^ okl^kor
Gf/alt'iL; iitldd-QOJV orr/?'or t'l'Ai}' r.T' 'Aider
,,aus einem gliicklichen Familienkreis weggestorben".
memoria = ,, Grabmal"
(Bibel, Kirchenschriftsteller, Persiusscholien, Inschr. ; s. Ronsch SB 1 44 f .)
gibt das griechische jiv/jfui wieder, das am haufigsten „Erinnerung"
= monoria bedentet, aber auch synonym mit ifr/'jua [(Djiitlor ,,Grab-
mal" vorkommt.
utilitas = „Bravheit".
CIL VI 30248 totius utiUtatis entspricht, wie W. Heraeus, Gott.
Gel. Anz. 1915, 478 f. bemerkt, einem griechischen .-tuoijc '//ji/otot/jtoc:
vgl. CIL XII 2085, 3 iiteletas miranda vero, laudanda columtus (sic!
') Ygl. Kaibel, Sepulcralia (Hermes 35 [19001, 507—572); Bruno Lier, Topica
carmiimm sepnlcralium latinorum (Philologns 62 [1903], 445—477. 563— G03; 63 [1904J,
54 — 65), der die griechischen Vorbilder der Schmerzens- und Trostwendungen
nachweist.
(xnecbische Bedeutungslehnworter im Lateiu. 23
Vers!) uiid ahnlich XIII 2484, 5 1). A'(>//oroc „brauclibar'' ist idoneiis
und ntilis] daher werden beide audi fiir „brav" gebraucht^).
Alle bislier erwahnten Falle sind streng g-enommen Ubersetzungs-
fehler, indem auf ein lateinisches Wort eine ihm nicht eigene Be-
deiitung des griechisclien Sj'nonjaiis iibertragen wurde. Daneben gibt
es aber nocli eine grobere Art von U bersetzungsfehlern, solclie,
die auf einem direkten Mifiverstandnis eines griechisclien
Wortes beruhen. Nach meiner Ansicht sind sie gerade deswegen
wichtig. Denn erstens bewahrt die Erkenntnis soldier Fiille vor
falschen Scliliissen auf die Volksspraclie ; zweitens gewinnt man da-
durcli, wie liberhaupt durcli das Studium von Ubersetznngsliteratur,
manclien Einblick in die Vorgange der individuellen Spracliscliopfung
und Bedeutungsverscliiebung, die ja ein Fundament der Spracli-
entwicklung bildet.
adsistere = „darbieten".
Ein Fragment der Vetus Latina hat Hosea 9, 13 die Worte
Efrem, quemadmodum vidi, in hestiam adstiterunt filios suos (Ronsch
SB III 6); das ist Wort fiir Wort = 'Er/^iaiif, or tqojtov tidov, du
fh/Qav jraQtOtiiOav tcc Ttxi'a avTVJV der Septuaginta niit der Ab-
weichung, daB dijQav mit dTjQa verwechselt ist. Trotz den Schwierig-
keiten der Stelle, die in den groBen Yerschiedenheiten des griechisclien
und hebraischen Textes zuni Ausdruck kommen, niufite im Septuaginta-
text doch so viel klar sein, daB jncQtOTijOfw bedeuten sollte „sie
stellten zur Verfiigung" ; der Ubersetzer hat aber wohl jra^itaTijoav
intransitiv = „sie traten hinzu" gefaBt. Es ist daher schwerlich
richtig, wenn der Thesaurus (II 902) nach dem Vorbild des transitiven
sistere ein assistere ^= exhibere praebere konstruiert; seine zweite Stelle,
Iren. I 13, 6 rationem tamquam \te\ imam {unum trad.) exsistentem
mdici assiste = loyor cjg I'ra orru to) xQirfj jnniuar/jOu)', zeigt wohl
denselben Fehler noch etwas vergrobert (assiste = jra()doT9]th oder
hellenistisch jraQdoTa), und die dritte, Passio Rogatiani 6 confessores
Christi in conspedii populi praecepit assisti, kann auch einfach ein Beleg
fiir die bekannte spatere Vertauschung von Aktiv und Deponens sein.
') Anders die ebenfalls von Heiaeus zitierte Stelle des Itiueraiium Alexaudri
S. 16, 10 Volkm. qiioniain. voti commimis utilitas, nun privatuc iactantiac (jloria
petebdtur „da ich im Ange hatte, was iinserin gemeinsamen Wuusche dieulich ist,
nicht was meineni privaten Ehrgeiz zum Erfolg verhilft".
''') Zu idonciis „ehiiicli, brav" bei Kirchenschriftstelleru und in (ilossen s.
Ronsch SB II 18.
24 A. Debnmner,
bene sentire in aliquo = „Gefallen finden an Jeniand"
entspringt einer falsclien Zerlegimg von tvdoxm^ in 6t^ und doxur.
Belege bei Ronscli SB III 11 und im Thesaurus II 1891 aus der
Vetus Latina und dem lateinischen Irenaus; letzterer wendet den
Ausdruck wie andere Biblizismen audi selbstandig- an. Die Vulgata
libersetzt ti'6oxtir in der Regel mit bene complacere.
mut'us „Maulkorb".
Der einzigen Vulgatastelle Sirach 20, 31 zuliebe, wo mntus als
Ubersetzung von qiiioc vorkommt, brauclit man sich niclit, wie Eonscli
SB I 48 f. es tut, viele Miihe zu geben, ein vulgarlateinisclies mutiis
= „Maulkorb" walirscheinlicli zu machen, obschon dafiir nirgends
ein greifbarer Anlialtspunkt zu finden ist. Warum sollte nicht aus
der gelaufigen Wiedergabe von c/iffova&ai durcli ohmutescere ein
falsches miitiis = qiffog lierausdestilliert worden sein?
patria = „Farailie, Generation",
von Ronsch SB I 54 aus einigen Text- und Randlesarten der Vetus
Latina zitiert, ist besonders kiihn: Das eclitlateinische ^j«fr/ff nimmt
die Bedeutung des plionetisch identischen, aber semasiologisch nie
entsprechenden jtcctqu'c an.
Viel wiclitiger als alle diese literarisclien oder gebildeten Be-
deutungslelinworter waren freilich solclie Entlehnungen aus der
Umgangssprache, falls sie nacliweisbar waren. Ich wage mit
einigen Wortern diesen Versuch, im vollen BewuBtsein der Schwierig-
keiten.
facers = „(Zeit) zubringen".
Seit Demosthenes 19, 163 ord' tjroiyoa)' yQorov ovdtra „und sie
hielten sich gar nicht auf" gehort jtoiuv mit Zeitangabe als Objekt
gar nicht zu den Seltenlieiten. Das Lateinische alimt das seit Ovid
und Seneca mit fecit tria quinquennia usw. nacli i) (Ronsch It. 366 f . ;
SB III 39; Grandgent 8; Lofstedt Komm. 166 f.). Uber das Problem
„utnim Graeci Latinos, an cero hi illos, sint imitati'', audi iiber die
Ansicht „hene Graecam, bene Latinam Jiaberi ptosse {Jianc It^iry
referiert schon G. Dindorf im griechischen Thesaurus unter jtoihv
S. 1293 sehr ausf ilhrlich ; er entscheidet sich im AnschluB an ('asau-
bonus fur die Prioritat des Griechischen.
*) Der Ablativ cum qua fecit uuitis ... in Grabiuschriften (Ronscli SB III 39)
iieben fecit . . . annos stammt von der Doppelheit vixit annos — vixit minis; vg'l.
Lofstedt Komm. 167 und 52 — 56. •
Griechiscbe Be(leiitung.sleliiiwurter iin Lateiu. 25
ministerium = „ Service".
Audi Eonscli SB I46f., der die Beispiele von Georges durcli
zwei aus der Yulgata und durch mehrere profane und christliche aus
der spateren Sprache vermelirt, hat niclit beachtet, dafs diese Be-
deutung entlehnt ist; und doch liatte ihn der Vergleicli der von ilim
zitierten Vulgatastelle 1. Makk. 11, 58 et misit illi vasa aurea in
ministerium mit der griechischen Vorlage xai djrtorttAir avrro ygv-
cojftaTa y.al diaxorlar auf die richtige Fahrte fiiliren sollen; vgl.
Moschion bei Athenaus V208a: s^^ZoOr/xai y.ai xQi(iaroi xal ajxTavtla
'Acu iirloi xa) jT?.eiovc: triQui diaxoviai.
vexare ■= „bemiilien".
Das griechische axv^Miv „zerkratzen, zerreifien, plagen" ist in
der hellenistischen Umgangsspraclie in Hofliclikeitsphrasen zur Be-
deutung „beniiilien" verflacht. So Mark. 5, 35 tI tn cxvlXeia tor
di6a(jXiUMv\ Vulg. quid ultra vexas 3Iagisfrum? Luk. 8, 49 in/xtri
(jxvXXe tov 6i6('«)xalor = noli vexare ilium] 7, 6 xvqh, in) axvlXov
=: Bomine. noli vexari „bemiihe dich nicht". Mehrmals kommt das
Wort auf Papjaiis so vor: Pap. Oxyrli. I 123, 10 (3. oder 4. Jahr-
hundert n. Clir.) jrohjoov avrdr oxvPS/rai .TrQog Tifiod^eoi^ ,,veranlasse
ihn, sich zu T. zu bemiihen"; I 63, 12 (2. oder 3. Jahrhundert n. Chr.)
ovroxvXr/di avrfo „unterstiitze seine Bemiihungen"; II 295, 5 (zirka
35 n. Chr.) ///} oxXvXXe (sic) f-aT/jV „bemiihe dich nicht"; weitere Bei-
spiele bei J. H. Moulton, Expositor VI 3, 274; VI 7, 120. Auch der
Historiker Herodian (um 240 n. Chr.) kennt das Wort^). Viele Bei-
spiele aus spateren Autoren gibt der Thesaurus, der auch schon
auf unser ,,sich bemiihen" hinweist. — Nun finden wir dieselben
A\^endungen des guten Tones bei Lateinern mit vexare ,,mi6handeln"
ausgedriickt. AuBer den oben angefiihrten Stellen aus der Vulgata
und den Glossen cjxvXjxo fatigo vexo Corp. Gloss. Lat. II 434, 21, vexat
oyXti oxvXX.hi 207, 51 verweise ich auf Martial I 117, 5
nan est, quod puerum, Luperce, vexes
„du brauchst den Jungen nicht zu bemiihen, L.". Fronto S. 94 Naber
2)eto a te . . . ne te . . . Lorium rexes „ich bitte dich, dich nicht nach
L. zu bemiihen". Peregrinatio Aetheriae 8, 5 ipse ergo cum se dig-
natus fuisset vexare et ihi nos occurrere . . . „da er nun selbst geruht
hatte, sich zu bemiihen und uns dorthin entgegenzukommen . . ."
') Lukian Lexipb. 21 fulirt oxv/J.8ai)^ai uiiter einigen preziciseii Wortern an;
fur die Bedentung ergibt sich daraus nichts.
26 A. Debniniier,
iind 9, 3 et ideo iam non fuit neeesse vexare milites „deslialb brauclite
man die S. niclit mehr zu bemiihen". Ob die Verfasserin der Pere-
grinatio die Wendung aus ihrer Bibel (Meister, Rhein.Mus. 64 [1909], 373)
Oder aus der Umgangssprache genommen hat (Lofstedt Komm. 189), ist
fiir uns gleicligiiltig; siclier ist, da6 audi auBerhalb der Mogliclikeit
biblischen Einflusses die griechisclie uiid die lateinische Umgangs-
spraclie die Wendiingen keiint. Hire Werbekraft erweist sicli glanzend
durcli ilire Eiiialtuiig ini Italienischeii imd Spanisclien (Lofstedt a. a. 0.)
und ihre Naclibildung in nnserer Hofliclikeitsspraclie.
Zum Beweis jedocli, wie vorsichtig die Beurteilung vorgelien
muB und wie leiclit man gelegentlich eine spatere Ersclieinung in
die klassisclie Zeit zuriickversetzt, nioge folgendes Beispiel liier
seinen Platz finden:
colligere =^ „aufnelimen, belierbergen"
belegt Konscli It. 353 und SB III 15 aus der Bibel und aus kirch-
liclien Autoren, z. B. Mattli. 25, 35 (vgl. 25,38.43) Vulgata: hosjjcs
eram et coUegistis me = s^i'og S'lurjr xdi ovi'rp/dyiTt //,<^. Der The-
saurus (III 1011) fligt mehrere pi'ofane Stellen bei; wenn man sie aber
genauer betrachtet, so sind sie anders geartet: Die alteste davon,
Ovid. met. XI 380, gehort liberhaupt nicht hierher; denn
nee Pelea damna movehant;
sed, memor admissi, Nereida colligit orham
damna sua inferias exstincto mittere PJioco
bedeutet: „doch auf Peleus machte der Verlust (seiner Einder durch
einen Wolf) keinen Eindruck; sondern in Erinnerung an sein Ver-
brechen (die Ermordung seines Stiefbruders Pliokos) schloB er, die
kindeiiose Nereide (Psamathe, die Mutter des Phokos) schicke seine
(des Peleus) verlorenen Tiere dem ermordeten Phokos als Toten-
opfer" (vgl. Siebelis-Polle zur Stelle). An anderen Stellen ist vom
Aufnehmen (im wortlichsten Sinne des ,,Zusamnienlesens") von Aus-
gesetzten die Rede; so Quintilian decl. 372. Lact., Aug., Cod. Theod. usw.,
auch Froiitin. aq. 10 virginem . . . in agro LucuUiano collectam, Vir.
ill. 1, 3 max Faustulus ji^istor coUectos (soil. Romuliim et Betnum) Accae
Larentiae coniugi educundos dedit, Dictys 5, 9 coUectum eum . . . <id
se deducit, audi Vulg. Micha 4, 6 eam, qtiam eieceram, colUgam
(= tlod&softai; unmittelbar vorher ist Gvrdsfo durch congregaho iiber-
setzt) 0. Alle anderen Stellen konnen auf den aus Matth. 25 stammenden
*) Sil. It. 10, 3 i.st fcra colligit hostem unklar ; man ervvartet ein Verljuiu ^\'ie
„angreifen" oder „toten" {covripH vermiitet Schrader).
Griechische Bedeutuiigslehinvorter im Latein. 27
kirchlichen Gebrauch zuruckg-efiihrt werden, also in letzter Linie auf
aiwdyuv. Freilicli liegt das echtlateinisclie expositum coUujere niclit
weit ab; urn so leicliter erklart sicli die starke Yerbreitiing der ent-
lehnten Bedeiitung imd ilir Ubergaiig in die romanisclien Sprachen:
franz. accueillir ,,aufnehmen" = adcoUigere. — Kein Zweifel kann
dariiber bestelien, dafi colli(ji mit oder obne ad patres im Sinne von
„sterben"' (Thesaurus a. a. 0.) aus der L^bersetzung des Alten Testa-
ments stamnit.
II.
Bisher haben wir hauptsacblicli die auGeren A^'ege, auf denen
die Bedeutmigslehnworter ins Lateinisclie eingedrungen sind, be-
trachtet. Jetzt soil etwas anderes ins Auge gefafit werden: die
Verscliiedenartigkeit der bedeutungsgeschichtliclien Wand-
lungen, die bei der Entlelmung stattgefunden haben.
Am meisten wird die Entlehnung aus der Sphare des Gram-
matischen in die des Begrifflichen hiniibergeriickt , wenn ein Wort
von dem fremdsprachlichen Aquivalent lediglich eine bildliche
Verwendung iibernimmt, also nicht neue BegrifEe sich angliedert,
sondern den vorhandenen nach einer bestimmten Seite erweitert, Avas
ja audi in der einzelsprachlichen Sonderentwicklung liberaus haufig
ist. Nur beispielshalber verweise ich auf
e r u c t (u) a r e „ e r b r e c h e n " ,
das in der Bibel nach dem Vorbild von tQtvysoi^^ai die Bedeutung
„(Worte) hervorbringen = sprechen" angenommen hat; ahnlich, aber
noch in malam partem und als derben Ausdruck und durch den Zu-
sammenhang besonders gerechtfertigt {vino langiiidi, conferti ciho),
sagt Cicero Cat. II 5, 10 eructant (etwa ,.sie geifern aus*') sermonihus
siiis caedem bononim atque urhis incendia.
Im iibrigen lafit sich sagen: je enger die fremde Bedeutung
sich an eine vorhandene anschliefien kann, um so mehr sind
der Entlehnung die Wege geebnet, um so schwieriger allerdings wird
audi der Nachweis der Entlehnung. So bei
adt-ocare = „trosten".
IlaQayMAuv ist eigentlich advocare „(zu Hilfe) herbeirufen" ; die
Ableitung rraQuxlt/To.^ trifft mit advocatus auch in der Spezial-
bedeutung „ Rechtsbeistand (vor Gericlit), Heifer" zusammen (The-
saurus I 892). Sodann heiBt jraQcrAalHr „(zur Ermunterung, zum
Trosten) herbeirufen = ermuntern, trosten" ; deshalb setzen die Bibel-
28 A. Debnimier,
ilbersetzungeii und andere cliristliclie Schriftsteller audi dafiir bis-
weilen advocare eiii (Eonscli It. 348, SB HI 6, Thesaurus I 894, 38 ft.),
ebenso fiir die Ableitungen jragcixXTjOiQ „Trost" advocatio (Ronscli
It. 305, ders. Das N. Test. Tertullians 595, Thesaurus I 890 f.O) und
fiir jTaQaxXrjTcoQ (Hiob 16, 2 und spate Autoren) „Troster" advocator
(Tertullian, s. Ronsch SB I 6, Thesaurus I 891). Ein MiBverstandnis
hat diese Anwendung von advocare sicher unterstiitzt : der johanneische
jrccQcr/chjTog ist schon friih als „Troster" aufgefaBt worden (so noch
Luther) infolge einer Verwechslung mit jtaQayJj'irojQ und weil ja der
jtaQ('(x?j]TOQ tatsachlich jrccQaxXj/oig spendet, und damit hat audi ad-
vocatus etwas vom Begriff des „Trostens" erhalten.
Von Fallen, wo ein lateinisdies Wort eine neue Bedeutung an-
iiimmt, um ein etymologisch und semasiologisch ahnliches,
aber nicht identisches griechisches AVort zu iibersetzen, fiihre
ich an:
quattuorvir = TetQciQ'/ijg
Luk. 9, 7 im codex Palatinus (e) der Vetus Latina (Ronsdi SB I 61).
Sonst bezeichnet ja quattuorvir ein Mitglied eines Viererkollegiums,
wahrend rtrQaQy/jQ der Herrsdier eines vierten Teiles eines Landes
Oder iiberhaupt ein Kleinfiirst ist. Die Ubersetzung beruht auf der
genieinsamen Grundvorstellung „einer von vieren".
quinquagenarius = jihmiy.ovTaQyoc.
ist Lesart der Vulgata 4. Reg. 1, 9. 11. 13. 14 und von Origenes- Rutin
Jes. 3,3; vgl. dazu die Erklarung des Hieronj^mus zu Jes. 3,3 (Ronsdi
SB I 61). Hier ist die Ankniipfung eine rein auBeiiiche durdi die
Zahl 50; eine innere Verbindung von quinquagenarius „50 Jahre alt"
und :^i:rTrf/J)rra()y()g ..Kommandant von 50 Soldaten" kann ich nicht
entdecken.
Ein Kapitel fiir sich bilden die Bedeutungsverschiebungen, die
mit dem Wechsel des Genus verbi zusammenhangen. Bekanntlich
ist die Unsicherheit im Gebrauch des Genus verbi ein wichtiges
Charakteristikum des Spatlateins und hat schlieBlich zum Verlust der
Deponentia gefiihrt. ]\Ian wird in den Zeiten des Schwankens dem
') Der hier zitierte „Merc." ist Marius Mercator, eiu cbristlicher Alitor des
V. Jahrhunderts; ich bemerke das deswegen, weil ich im Autoren verzeichnis
des Thesaurus vergeblich „Merc." gesucht und Marius Mercator nur zufallig ge-
funden babe.
Griechische Bedeutuiigslehnworter im Latein. 29
Griechischen aucli gem gelegentlichen Einflufi darauf zug-estehen. So
fasse ich z. B. auf
((bundare trans. = „reichlicli spenden, iiberschweng-lich
machen"
an drei Stellen in Handschriften der Yetus Latina (Ronsch SB III 2).
Das ist Naclialimung' der Doppelheit des transitiven und intransitiven
Gebrauchs von .-rtQioOtveu'. Anders abnndare aliquid = ahunde habere
(Thesaurus I 235); das ist entweder g-razisierender Akkusativ der Be-
ziehung oder vulgarer Ersatz des Ablativs durch den Akkusativ —
Oder beides.
Das Umgekehrte, intransitive Umdeutung eines Transitivums
nacli dem Muster des aquivalenten griechischen Wortes ist
continere = „lauten".
Beispiele bei Eonsch SB III 21 und im Thesaurus IV 706 von
Lucifer Calaritanus und der Vulgata an bis zum Grammatiker
Priscian und zur Lex Visigothorum. Auszugehen ist von dem transi-
tiven jTtQuysir = continere „enthalten" (/) /?//3-?.oc jxtQityti rag :rTQcc^ei'J:
Diod. Sic. 2, 1); daraus leitet sich die intransitive Verwendung ab:
rreQif^yj-w ror TQo.Tor tovtov Oder of'rwc (Josephus und LXX^)) oder
(oq jriQttyti (cog y (di(r/(ifi(fO'j: jrQaOig jrsQuyei Pap. Oxyrh. I 95, 33
[95 n.Chr.]) oder mit direkter Rede (L Petr. 2, 6 jTtQitytL tr yQacf.fj'^) —
continet scriptura). Alle diese buchtechnischen Phrasen kehren im
Lateinischen wieder: primus {liber) continet res gestas regum j)oimli
Fiomani Nepos Cato 3,3; edictiim . . . hunc continens moduli/ Vict.
Vit. 2, 3; misit iussiones . . . ita continentes Lib. pontif. S. 146, 16;
sicut principinm epistulae continet Ruric. epist. 2, 30 S. 414, 20.
III.
Zum SchluB noch einige Worte iiber die Bildungslehnworter,
wie S. Singer (Zeitschr. f. deutsche Wortforsch. Ill 220 if. = Aufsiitze
und Vortrage 105 f.) die Nachahmung fremdsprachiger Wortbildung-
nennt Uber die Nachahmung griechischer Nominalkompo-
sition in alien Perioden des Lateinischen kann ich hier hinweg-
gehen unter Verweisung auf Fr. Stolz, Lat. Gramm.^ § 95 Anm. 2 und
A. Grenier, Etude sur la formation et Vemploi des composees nominaiix
») M. Johannessohn , Der Gebrauch der Kasus \\m\ der Priip. in der LXX.
I. Tail, Dissertation, Berlin 1910, S. 69.
-) Zum N. Test. s. Blafi-Debrnnner, Gramm. des nt. Griech. § 308.
30 A. Debrnniier,
dans le latin archdique (Nancy 1912). Icli will iinr bemerken, da6
das Kompositum, das durch wortliche tjbertragung der einzelnen
Kompositionsglieder entsteht, zugleich als Ganzes ein Bedeutungs-
grazismus sein kann. So ist
longanimis = „langmiitig, gednldig"
nebst Jonganimiter und -mitas (alles nur bei cliristlichen Autoren; das
Vorkommen in den Notae Tironianae gehort zu den christliclien Spuren
in diesem Werke) voni Lateinischen aus niclit verstandlicli, dagegen
oline weiteres als Ubersetzung von iiaxQ<')t)v[toc, -ih\ufoc, -.Vr///«.
Gegeniiber den Nominalkomposita werden, wie mir scheint, die
znsammengesetzten Verba nnd die abgeleiteten Nomina und Verba
ungebiilirlich vernachlassigt. Ein genaues Studinm der Ubersetzungs-
literatur unter diesem Gesichtspunkt wlirde oline Zweifel interessante
Ergebnisse zu Tage fordern; offenbar gab es gewisse konventionelle
Prafix- und Suffixentsprechungen, wie «r«- = re-, ovr- = con-'^),
-iL^iLV ^= -are, -//a und -Gig = -tio und -ura, substantivisches -lor =
-ale {-are; z. B. vjTO^vyiov — subiugale, ocoti'jqiov — salutare; Ronsch
It. 104), -Tog = -ihilis, -{x)iy.6Q = -{t)ivus. In selir vielen Fallen bleibt
dabei die Neubildung durcliaus im normalen Geleise des Lateinischen,
so dafi das lateinische Wort nur durch die Zeit oder den Ort seines
ersten Auftretens in den Verdacht des Bildungslehnwortes kommt.
Manchmal freilich hat die wortliche Ubersetzung weitere Folgen;
z. B. kann man das Prafix con- selber in gewisser Verwendung
als Bedeutungslehnwort bezeichnen: well con- im Sinne der Ver-
einigung deni griechischen orr- entsprach, wurde es auch fiir ow-
vor Verben = „zusanimen mit jmd. {cum aliquo oder [griech.] Dativ)
etwas tun" gebraucht: so in commatiducare = ow^oOhir, comperire
= OvvajTollvoiicti, congaudere und congraUilari = (jvyy^caQtir, con-
surgere = ovvavioTaoiiaL (nicht so Lucan. 1580!), comhihere = oi\u-
:rlnir, rompermanere = GvicTaQaiitreir; s. Eonsch SB III und The-
saurus.
Die Ubersetzung wird erst recht zum Bedeutungslehnwort, wenn
das griechische AVort nicht mehr den urspriinglich durch die Ab-
leitung oder Praflgierung gegebenen Sinn hat und so die wortliche
Wiedergabe im Lateinischen den Bedeutungswandel mit-
niachen mu6, Dem lateinischen -tio z. B. ist neben der altesten
Abstraktbedeutung der konkrete (zunachst kollektive) Sinn des ent-
1) Vgi. Fritzsche- Nestle in Ilerzog-Hancks Eealeuzyklopiidie. Artikel Bibel-
iibersetzuiigen, S. 35.
Griechische Bedeiitniigslehnworter im Lutein. 31
sprechenden -aic iiiclit fremd (vgl. natio); damit ist aber iiocli nicht
jede Ubersetzung' eines konkreten -aic durch -tio gut lateinisch: so
creatio = xt'kjiq ,,das Gescliaffene, das Geschopf" (nocli griecliischer
conditio, well xtiC^iv „grundeii" ^ condere; vg'l. oben S. 17 die Be-
merkimg des Hieronymus ; Ronsch SB I 18).
Endlicli noch eins: Das Bildung-slelinwort fallt manclimal
mit in aiiderer Bedeutiing vorliandenen lateinischen Worterii
zusammen; vg'l. oben combibere, consurgere iind besonders comperire,
wo sog-ar lantliclie Gleicliheit mit einem etymologisch total ver-
scliiedeneu Wort lierauskommt. Hier nur noch zwei Beispiele von
besonderem Interesse :
relegere = „lesen. vorlesen".
An den von Ronsch SB III 71 zitierteu Stellen aiis Rutins
Josephusiibersetzung- hat die Auffassung nichts Befreradliches, daS
hier relegere die Bedeutung von re- abgelegt habe, weil es dem cam-
yon drayiyrcoox^tr zu entsprechen scliien, oder, was auf dasselbe
hinauslauft, dafi legere wegen (h-ayiyrojoxeiv mit der Yorsilbe re- aus-
g-estattet worden sei. Bedenklicher ware diese Meinung, wenn die
bei Georges und Forcellini angefiihrten Stellen wirklich hierher ge-
horten. Ich halte sie jedoch fiir falsch angebracht: 1) Martial IV 29, 9
kann der Sinn von releges ganz gut der sein: ,,Die groBe Zahl der
Schriften steht ihrer Verbreitung unter dem Publikum im Wege;
darum, wenn du. Pudens, eine von meinen Schriften noch einmal
lesen willst, so denke dir, es sei die einzige." 2) Vopiscus Aurelian 24, 7
haec ego ef a gravihus viris comperi et in Ulpiae bibliothecae libris
relegi et pro maiestate ApoUonii magis credidi. Sollte sich das re-
won relegi nicht auf comperi zuriickbeziehen : „nachher habe ich es
durch die Lektlire von neuem erfahren"? 3) tu, qui via Flaminea
(sic) fransis, resfa (ic reJege in der Grabschrift Orelli Collectio inscr.
Lat. 4836, 9 f . = Bilcheler carm. epigr. 1 152, 9 f. fallt deswegen nicht
ins Gewicht, weil die Verse der Inschrift klaglich zusammengestoppelt
sind. Bilcheler vermutet als Grundlage einen Trimeter: tu, qui Fl.
tr., resta ac perlege, und E. Bormann im CIL XI S. 69* Nr. 654*
(Falsae) geht noch weiter: ..Cum plura in inscriptione {et in indica-
tione loci) offendant, earn sine certa auctoritate inter genuinas referre
non ausus sum."
potare = „tranken, zu trinken geben*'.
Reichliche Stellen aus der Vetus Latina, der Vulgata, Tertullian
und anderen Kirchenschriftstellern und aus Theodorus Priscianus (Arzt
32 A. Debruiiner, Griechische Bedeutungslehmviirter im Latein.
urn 400 n. fJhr.) gibt auBer Georges Konscli It. 376, SB III 64 f. Die
Schnld an dieseni Bedeutiing'SAvandel von „trinken, zeclien" zu „tranken"
schreibe ich dem EinfluS von jroti^eo' zu, indem das Bestreben, -iyeiv
durcli -are wiederzugeben, auf pofare fiilirte {potus = jtotoq); vgl.
emeduUare = ixiiv&^J^tn\ exemplare = dtiy^iariL^tiv, pessimare i) =
xaxiCeir „sclimalien, herabsetzen", potionare = jroriC,^ir, tubicinare =
OaXjci^siv (Ronsch It. 157. 159. 190; SB III 34. 36. 63).
1) Der Ubersetzer von Ignatius (ad Phil. 6,2.3, ad Epli. 16, 2), der dieses
Wort biidet, war doch offenbar nicbt kiilin genng, um ■■'malare zu riskiereu.
Ziirich. A. Debrnnner.
HIMMELSWANDERUNG UND DRACHENKAMPF
IN DER ALCHEMISTLSCHEN UND FRUHCHRIST-
LICHEN LITERATUR.
Wer sich mit dem heiclnischen nnd cliristlichen Gnostizismns
der ersten Jalirliuiiderte iinserer Zeitrecliniiiig' beschaftigt, die oft
fast unimterscheidbar ineinander iibergehen, mii6, um den Zusammen-
hang" der beiden Griindbegriffe /rojor/xo'c und jri'tv/zaTixog zii ver-
stelien, die alten Volksvorstellungen untersiiclien, wie der Mensch
geheimes Wissen und gottliches Wesen, d. h. Wunderkraft, erwerben
kann. Auf eine friiher wenig beaclitete Quelle dafiir, namlicli auf
die alcliemistisclien Offenbarungsschriften, die aus griechischer, syrischer
und arabischer Uberlieferung M. Bertlielot, leider in etwas unzulang-
licher und schwer benutzbarer Form herausgegeben liati), konnte
ich in den Xachtragen meines Buches 'Poimandres' eben noch ver-
weisen und zeigen, da6 in ilinen die eigentlich religiosen Offenbarungs-
schriften nachgeahmt oder ausgeschrieben sind. Ich kehre bei dieser
Gelegenheit zu ihnen um so lieber zuriick, als audi der Philologe
gern einmal einen Blick in die bunte My then- und Marchenwelt
des Orients wirft. Freilich wird er dabei sich wohl immer bewuBt
sein, dafi, was er selbst erreichen und bieten kann, Bedeutung
erst gewinnt, wenn es der Orientalist aufnimmt, berichtigt und
weiterflihrt.
In der syrisch erhaltenen Schrift des angeblichen Pibechios"^)
bittet dieser agyptische Weise den persischen Magier Osron, ihm zur
') Collection des anciens Alcliimiates grecs, Paris 1888 unci La chimie au
moyen age, Paris 1893. Es handelt sich fiir mich dabei in der Eegel um die theo-
logischen Einkleidungen, die Berthelot am weuigsteu schiitzt.
2) Berthelot, La chimie an moyen age II 309. Der iSame Pibechios (der Sperber)
ist zwar in Agjpteu haufig, soil aber bier zweifellos denselben Mann bezeichuen,
Androas-Fostsfhrift. 3
34 Richard Eeitzenstein,
Deutiing- der persisch gescliriebenen lieiligen Schriften des Ostanesi)
zu verlielfen^ die er in Agypten gefunden habe. Osron erfilllt die
Bitte imd Pibecliios veroffentlicht nun griechisch und agyptisch das
'Die Krone' benannte Werk des Ostanes. Der Anfang ist uns ver-
loren, docli erkennen wir, da6 Hermes Trismegistos dem Konige von
Agypten Amon eine Schrift von 365 Abschnitten gegeben hat, welche
die Scliiiler des Hermes erklart haben-). Amon lieC die gottliclie
Lehre auf sieben Stelen sclireiben und barg sie in einem advTor,
das sieben Tore verschlieCen ; das erste ist von Blei, das zweite von
Elektron, das dritte von Eisen, das vierte von Gold, das fiinfte von
Kupfer, das sechste von Zinn, das siebente von Silber, nach Farbe
und Wesen der sieben Sternengotter. Amon zeichnete auf die
Pforten wunderbare Bilder, wie das einer gewaltigen Schlange, die
sicli in den Schwanz beiCt''), das heifit iibertrug symbolisch derartigen
Wunderwesen die Bewacliung. und befalil die Tore niemandem zu
offnen als waliren Schiilern des Meisters, die sich durch Geburt und
Unterriclit der Gnade wiirdig erwiesen. Die Schrift bricht damit ab;
man erwartet, da6 Ostanes nun berichtet, wie er selbst in den Tempel
(den Himmel) gekommen ist. Eben dies erzahlt eine in arabischer
Ubersetzung vorliegende 'Schrift des weisen Ostanes '4). In Fasten
und Gebet hatte sich Ostanes um das tiefste Wissen gemiiht, da er-
schien ihm eines Nachts im Traum 'ein Wesen' und flihrte ihn empor
bis zu den sieben Pforten des Himmels, sieben Pforten von wunder-
barer Schonheit, welche die Schatze der yvcjoig-') bergen; die Schliissel
zu ihnen hiitet ein seltsames Ungetiim mit einem Elefantenkopf,
Schlangenschwanz und Geierfliigeln'*), das sich selbst zu verschlingen
der in dem groBeii Pariser Zauberpapyrus Z. 3007 (Wessely, Denkschr. d. Wiener
Akad. 1888 S. 120) genannt wird.
') Vgi iiber ihn jetzt W. Bousset, Archiv f. Religionswissenschaft XYIII 168 ff.
-) Eine ahnliche Hanptfiktion liegt dem erhaltenen Corpns religioser Her-
metischer Schriften zngrunde (Poimandres S. 366).
^) Eine 'endlose Schlange', wie es in agyptischen Erzahlungen heifit.
*) Berthelot, ebenda III 119 ff.
^} Noch in der monchischen Mystik wird die yrwaig immer als der verborgene
Schatz Oder der Schatz aller Schatze bezeichnet, vgl. z. B. Rufius Historia monacJwritm
cap. 16 S. 438 A Migne.
'■) Wenn sich die Himmelswanderung spiiter als Wandernng ins Totenreich
erklart, ist die Vermutung, dafi die 'endlose Schlange', die es hiitet, hier nach den
griechischen Vorstellnngen von dem dreigestaltigen Kerberos, die freilich dann
wieder orientalisiert sein miifiten, umgeformt ist, vielleicht nicht ganz abzuweisen.
Etvvas anders ist die Vorstellung in der griechischen Baruchapokalypse Kap. i
Himmelswanderung unci Dracheiikanipt'. 35
sclieint (wie die Schlange). Auf GeheiB seines Fiilirers tritt er lieran
und fordert von ilim im Namen des allmiichtigen Gottes, das hei6t,
indem er dieseii Namen ilber ihm spriclit. die Schlilssel, erlialt sie,
offnet die Tore und findet liinter dem letzten eine in alien Farben
strahlende Melallplatte mit sieben Inscliriften in sieben verschiedenen
Spraclieni). Plotzlicli erschallt, wiilirend er liest, eine Stimme:
'Mensch, gehe hinaus, bevor die Pforten sich schlieSen; die Zeit ist
gekommen.' DrauCen findet er einen Greis von wunderbarer Schon-
lieit — es ist Hermes Trismegistos^) — , der ilin zu sich ruft und
ihm eine Erkliirung alles dessen, was ihm noch dunkel geblieben ist,
verheifit. Aber eine solche erfolgt in dieser Schrift nicht; Hermes
fa6t nur seine Hand und schwort, da6 Ostanes jetzt alle yroloig be-
sitze. Da briillt das dreigestaltige Ungetiim: 'Ohne mich konnte man
die yrcoaig nicht vollkommen erwerben, denn ich habe die Schliissel'
Hermes mahnt: 'Gib ihm einen Geist fiir deinen Geist, eine Seele
fiir deine Seele, ein Leben fiir dein Leben, so wird es dir geben, was
du brauchst' und erlautert seine Worte: 'Nimm den Leib, der dir
gleicht, raube ihm, was ich bezeichnet habe, und gib es ihm.' Ostanes
tut so und hat nun alle ynooic wie Hermes selbst.
Eine dritte Fassung ist auf einem arg verstlimmelten und ent-
stellten syrischen Blatt erhalten^). Der Adept findet den Fiihrer,
der ihm den Weg zu dem verborgenen Scliatz weisen will. Vor dem
ersten Tor mu6 der Adept 'Seele fiir Seele und Korper fiir Korper'
geben und vor jedem weiteren vierzig Tage fasten; ausdriicklich wird
gesagt, da6 er dabei stirbt*). Hierdurch wird der Sinn der Formel
(Robinson, Texts and Studies VI S. 86): in einem mdlov neben dem Hades liegt
ein ungeheurer Drache, der sich von den Leibern derer nahrt, die siindhaft gelebt
baben (Hesiod Theog. 773 vom Kerberos ia^lsi ov xe id^yqi nvUtov extoa&ev iovxa).
Wieder anders ist die Vorstellung in den Acta Thomae cap. 32, auf die micb
W. Bousset verweist. Der Drache bezeichnet sich dort: lAoq £i/.ii sxeivov xov xrjv
OipalQav 'CcuvrvovTog, <jvyytvi)q (Si- el/n txeivov xov {'^wSer xov coxf-arov orxoc, ov }/
ov(ja I'yxeirai xw Uun (jrojiaxL (die endlose Schlange).
>) Die agyptische Inschrift entspricht der Einleitung des Buches des Pibechios,
zeigt also den Zusammenbaiig beider Traktate.
■'') Ein zweiter, urspriinglich selbstandiger Typus der Offenbarungsliteratur
wirkt ein. Die erste Erziihlung kannte nur noch das Opfer an das schatzhiitende
Ungetiim. Die Anweisung dazu gab offeiibar der friihere Fiihrer. Die zweite laBt
den Besucher im Hinimel den Unterricht des Hermes Trismegistos geniefien, der
mit einer Art Freisprache des Schiilers endet.
=*) Berthelot, ebeiida II 320. Das Original war noch heidnisch.
*) Auch in der monchischen Mystik erzwingt man die Offenbarung durch ein
vierzigtiigiges , vollkommenes Fasten, das dem freiwilligeu Tode gleichgestellt wird
3*
36 Richard Reitzenstein,
in der Erzahlung des Ostanes klar: aus dem eig-enen Leibe soil er
das pliysische Leben, Seele mid Geist geben; er stirbt imd erstelit
wieder als jivsvf/a'^). Die religiose Mystik, mid zwar die lieidnisclie
wie die cliristliclie, gibt bekanntlicli die Erklanmg.
Die Einleitiing" des Pibecliios lafit mis mit Siclieiiieit erkennen,
dafi der Urtext griecliiscli war. Die Gnmdflktion ist jimgagyptisch,
docli iiiisclieii sicli, entsprecliend der Ursprmigsangabe, wirklicli per-
sisclie Elemente ein. Sclion Bertlielot hat aiif die Aiigabe des Celsus
liber die Mitlirasiiiysterien verwiesen (Origenes Contra Celsum Yl 22):
urn in den hoclisten Himniel zu gelangen, niu6 der Myste sieben iiber-
einander liegende Tore durclisclireiten, die aus verscliiedenem Metall,
namlicli Blei, Ziiin, Erz, Eisen, y.tQUijrbv i'6fii6f/a, Silber und Gold
liergestellt sind'^). Den ratselliaften Ansdruck xtgaordr v6{aO{^ia er-
klart der Alchemist Zosinnis (Berthelot a. a. 0. II 261) diirch die An-
gabe, Alexander der GroBe habe zuerst fiir seine Mlinzen das Misch-
nietall Elektron benutzt, mid diesen Miinzen wohne geheime Kraft
inne. Pibechios nennt also genau die gleichen Metalle wie Celsus.
Der Tempel der sieben Tore, den er schildert, enthalt demzufolge
notwendig sieben Hallen, in die man nacheinander gelangt. Es ist
die hellenistisch-agyptische Vorstellung von dem Himniel und von der
Unterwelt, wie sie mis in den spater zu besprechenden Erzahliingen
der Hohenpriester von Memphis (Geschichte des Si-Osiris) und in dem
groBen demotischen Zauberpapyrus (ed. Fr. LI. Griffith 20. 32, vgl.
unten S. 46, 3) vorliegt. In alterer Zeit konnen wir, wie mich K. Sethe
belehrt, nur die Vorstellung von sieben 3) Toren der Unterwelt nach-
weisen, ohne sagen zu konnen, ob sie in sieben verschiedene Hallen
fiihren oder ob diese eine ahnliche Stufenfolge ergeben. Yon sieben
Spharen ist nicht ^ie Rede und kann gar niclit die Eede sein^).
und oft zu ihm fiilirt (vgl. die Erzalilung in den Apopliihecjmata iKitrum, CoteJier
Ecdesiae gruecae monumenta I S. 702, PJiocas 1.2 und raeiu demnachst erscheinendes
Buch 'Historia monachoram und Historia Lrtusiaca' S. 107 A3. 259). Ahnliches ini
spaten Judeutum verzeichnet Bousset, Archiv fiir Eeligionswissenschaft 152 — 153.
1) Ursinlinglich mag es sieh wirklicb urn Menscbenopfer geliandelt liaben;
spater tritt die Opferung des eigenen Icbs eiu.
■■') Vgl Fr. Oumont, Textes et monuments relatifs aux mysteres de Mithra I36ff.,
II 30; Anz, Texte und Untersucbungen XV 4: S. 83ff. und vor allem W. Bousset,
Arcbiv f. Eeligionswisseuscbaft IV 165. Der siebentorigen Leiter der Mitbrasmysterien
entspricbt bekanntlicb der siebeustockige Unterbau des Tempels von Babel (Borsippa),
dessen einzelne Stock werke bestimmte Far ben zeigen.
^) Oder vierzebn oder einundzwanzig oder zweiundvierzig.
*) Die zugrnnde liegende Siebenzabl scbeint bier andere Bedeutung zu liaben.
Hinimelswanderuiig iind Drachenkampf. 37
Ein Gegenstiick zu der Sclirift des Ostanes oder Pibecliios bietet
das arabisch erhaltene Bucli des Krates^). Es trug nacli der Vorrede
urspriinglicli den Titel 'Schatz der Scliatze' und ward mit anderen
Biicliern in einem I'cdvror des Serapis aufbewahrt; zur Zeit Konstan-
tins ranbte es ein junger Agypter, der die Liebe einer Tempeldienerin
gewonnen liatte. Der 'gottliche Krates' erzahlt in ilim, da6 er einst
gebetet liabe, Gott moge ihm den Versncher fern halten und die Ab-
fassung eines Buches ermoglichen, als er sich plotzlich in die Luft
erlioben den Himmel durchwandern flihlte wie Sonne und Mond. In
seiner Hand hielt er dabei ein Bucli, in welchem die sieben Hiramel
dnrcli die sieben Sterngotter dargestellt waren-). Da erblickte er
einen Greis, den sclionsten der Mensclien, in weiBem Gewand in einer
xafhtdQcc sitzen und in einem Buche lesen. Auf seine Frage sagt
man ihm 3)^ dal3 es Hermes Trismegistos ist, der in dem Bucli der
1) Berthelot, ebeuda III 4i. Er wird als gottliche Personlickkeit angesprocben
(S. 51 Crates as-samfnvi, was sich nach E. Littmann durch 6 i^ ovgavov wiedergeben
liefie und durchaus nicht eine iibliche Bezeichnimg fiir einen Menscben ist, aucb
wenu er Lebrer oder Prophet ist). Derselbe Name erscbeint in der gleichen Be-
deutuug in dem Zauberpapyriis V von Leyden (Dieterich, Jahrbiicher Siipplem. XVI 807).
Der Zauberer setzt sich in der herkommlicben Weise bestimmten Gottheiten gieicb,
rait denen er sich vereinigt fiihlt, und sagt dabei unter anderem iyea slfii . . . o
ciyiog 6 exne<pvxojg ex rov (Svd-ov, tyoj elfti 6 xQazrjg 6 necpvxwg ix zov S-aov aylov,
iyio el/m 6 d^eog, ov ovSelg OQa ovdh TiQonezdJg ovofxccQei, eyui eifxi to leQov oqveov
(polvig, i-yo) £i/iii 0 xQcatjg 6 ay tog nfJoaayoQtvof^erog /uaQfiavcoO-. Es ist also aus-
geschlossen, dafi in den arabiscben Schriften der Name eines Alchemisten herzustelleu
ist, wenn aucb die Erzahlung jetzt Krates als Mensch scbildert (vgi. die Gotter in
der Hermetischen Literatur). Fast sicber scbeint, daB die Bezeicbnung des Horus
als 'Kind' {chrat) von einem Griechen zunachst seiner Sprache angepafit ist (vgl.
Harpokrates; abnlicb nennt sich ein unter Hadrian lebender Zauberer Pachrates,
das Kind, d. h. Horus, vgi. Wessely a. a. 0. S. 106 Z. 2447; in der griecbischen
Novellistik wird daraus weiter Pankrates, vgl. Lukian, Philopseudes Kap. 34). Da
Horus neben Hermes, Agathodaimon , Osiris, Asklepios u. a. als Offenbarung.';gott
und Verfasser beiliger Schriften erscbeint, ist es durchaus moglicb, ja wahrscbeinlich,
daB er geraeint ist und eine agyptische Tradition zunachst in die griecbische Sprache,
dann in andere orientalische Spracheu liberging.
-) Es soil ihn oft'enbar die Formeln lehreu, durch die er den Eintritt in die
Himmel gewinnt; sein Titel ist 'Verjager der Finsternis und Spender des Lichtes'
(der das Licht leuchtend macht). In der agyptischen Erzahlung von Neneferkaptab
(s. unten) erleucbtet das Buch das finstere Grab wie die Sonne. Die Vorstellung
kebrt auf das ni'tvfia iibertragen in der Gnosis wieder. Das Gebet (wie die Zauber-
formel) stromt den Geist aus und erleucbtet finstere Raume. — Ein drifter Typus
der Offenbarungsliteratur wirkt hier ein; wer 'das Buch' schon hat, braucht nicht
in dem Buche des Hermes zu lesen.
3) Auch Krates hatte also ursprlinglich einen Fiihrer wie Ostanes.
38 Kiehard Eeitzeiistein,
Gelieimnisse liest ')• Hermes laBt ihn mit liineinscliauen und diktiert
ihm daraus Absclinitte fiir seiii Buch. Plotzlicli entscliwand sein
Berater, Krates kam zii sich selbst und fiihlte sicli wie aus einem
schweren Traiim erwacht. Aber, da sein Biich nocli unvoUendet war,
bat er Gott. ihn jenem Engel (dem bislier unsichtbaren Plihrer) zu
empfelilen, damit er die Offenbarung-en vollende^). Audi ersclieint
der Engel wirklicli wieder und spendet ihm lange Belehrungen. Dann
heiCt es: 'Wahrend ich mit ilim spracli und ihn um weiteren Auf-
schluB bat, verlor ich plotzlich das BewuBtsein und fiililte mich wie
im Traum in einen anderen Himmel g-etragen.' Er steigt zum Heilig-
tum des Ptah (Hephaistos) empor. ein Standbild der Aphrodite gibt
ihm Belehrungen und Weisungen; sie fiihren ihn zunachst durch die
siidliche Pforte in das Heim (den Himmel) der Aphrodite selbst, wo
er eine Art Festversammlung findet^). Wie er die AVunder, die er
dort erschaut, beschreiben will, stllrzen Damonen in Gestalt von
Indern auf ihn zu, vertreiben ihn und schlagen ihn; vor Schreck
schlieBt er die Augen und entschlummert. Im Traum sieht er ein
Gegenbild der Aphrodite, das ihm weitei-e Belehrung- spendet, und
erwacht wieder an derselben Stelle des Himmels. Der Engel, der
ihn geflihrt hat, tritt zu ihm, mahnt ihn sein Buch zu vollenden
und nimmt seinen Unterricht wieder auf. Wieder sinkt Krates in
den Sclilaf und glaubt plotzlich an den Ufern des Nils zu sein 4).
Von einem Felsen sieht er jenseits des Wassers einen jungen Mann
mit einem ungeheuren Drachen kampfen und eilt auf dessen Ruf ihm
zu Hilfe. Er dringt mit einer Waffe auf das Ungetiim ein, wird
aber durch dessen schnaubenden Atem zu Boden geworfen. Wie er
sich wieder erhebt, schleudert jener Jiingling Wasser auf den Drachen,
') Das Buch beginnt mit der ScMlderung der 'zwei Wege', des Weges des
Pneumatikers , der zur uotn'] fiihrt, und des Weges des Weltmenschen , vgi. die
Jida/t] anoaio'/.ojv. Gnostischer, aber nicht notwendig christlich-gnostischer Einllufi
scheint einzuwirken.
'■') Man vergleicbe fiir diesen und andere Ziige den ersten Teil des Hirten des
Hermas.
•■') Die Beschreibung verliert sich in niarchenhafte Ziige, die schwerlich alt
sind; selbst der Erwahnung der zahlreichen Kastchen aus Gold oder Edelsteinen
mochte ich keine Bedeutung beimessen. Wolil aber sind die Ausschniiickungen dieser
Sagen, wenn auch ihre Zeit zum Teil spiiter fiillt, lehrreich fiir die Ausgestaltungeu,
die in fruhhellenistischer Zeit eine orientalische Sage in dem Marchen vou Psyche
und Cupido gefundeu hat (vgl. Sitzungsber. d. Heidelberger Akademie 1914 Nr. 12,
erganzt 'mstoria momichorum und Historic Laus/aca' S. 233).
*) Auch der Himnielsozean wird so bezeichnet.
Himmelswandenuig mid Dracheiikaiupf. 39
der alsbald tot ziisammensiiikt; aus seinem Leibe holt der Jung-ling-
ein Krokodilsei, das nach seiner Angabe Zauberkraft besitzt. Die
Erzahlung- wird dann unklar. Der Drache, der matt, fast ohne zu
atmen, lag, belebt sicli plotzlich wieder, wird aiifs neue liberwaltigt
und von dem Jiingling in Stiicke zerleg-t, die er nacli den Farben
znsammenlegt; seclis Farben werden dabei ausdrttcklicli erwahnt.
Aber noch einmal erliebt sich, plotzlich neu belebt, das Ungetiim.
schnaubt gegen sie an und hatte sie getotet, wenn nicht Krates
'lebendiges Wasser' gegen es geschleudert hatte. Es bewirkt, da6
der Kopf ihm vom Leibe fallt; der Jiingling kann es jetzt mit Zauber-
formeln in Staub auflosen. Dann wendet er sich zu Krates, sagt
ihm, da6, was er hier gesehen habe, das Geheimnis des Hermes Tris-
megistos sei, der es in seinem Buche verborgen habe, damit es kein
Ung-eweihter kenne, offenbart sich dann selbst als der Fiihrer, der
ihn durch die Himmel geleitet habe, und fiigt — selir zur Uberraschung
des Lesers — hinzu: Hattest du die Geheimnisse nicht bewahrt, die
icli dich gelehrt habe, ich hatte dich getotet. Hast du in deinem
Bucli beschrieben, was du gesehen hast, und willst es verbreiten, so
sieh diesen Drachen, den ich zu Staub gemacht habe und dessen
Farben sich dir offenbart haben: in ihm ist Ungliick fiir deine Seele
und Trennung zwischen deinem Leibe und deiner Seele i). Der Leser
des Buches muB danach annehmen, da6 die Drohung sich inzwischen
erfiillt hat und Krates von seinem Leibe geschieden und zum jrrtvfac
geworden ist 2).
Mit dem nach Berthelot (a. a. 0. Ill 9) etwa im neunten Jahr-
hnndert n. Chr. in seiner jetzigen Gestalt geschriebenen Krates -Buch
berilhrt sich nun eng eine Erzahlung aus der demotisch erhaltenen
und im zweiten Jahrhundert v. Chr. aufgezeichnetens) Sammlung
der Erzahlungen der Hohenpriester von Memphis, die ich in den
•Hellenistischen Wundererzahlungen' S. 114ff. besprochen habe^). Der
') Wortlich: du bast beschrieben . . . und in ibm ist Ung-liick fiir deine Seele
usw. So E. Littmami, der die Giite hatte, diese Stelle fur mich nachzuseheu.
Berthelots tJbersetzung ist miBverstandlich.
'-) Vgl. den Schlufi des Ostanes- Buches, sowie die Visionen des Zosimus
(Poimandres S. 9 ff.). Die Trennung vom Leibe kann je nach der Auffassung des
Erzahlers als Strafe oder Lohn erscheinen; sie macht ja zum nvsvfia.
•') So datiert den Text nach giitiger Mitteilung K. Sethe aus palaographischen
Griinden.
*) Vgl. F. LI. Griffith, Stories of the High Briests of Memphis S. 83 ff., G. Maspero,
hes co)ites populaires tie VEgypte uncienne'^ 1911 S. 123 ff.
40 Eichard Eeitzenstein,
Konigssolin Neneferkaptali verbringt alle Zeit mit Erforscliung der
Schriften in der Totenstadt von Memphis nnd der Stelen im 'Hause
des Lebens''). Wie er einmal ira Tempel des Ptali betet, eine
Prozession zu Eliren des Gottes mitniacht. nnd dabei an alien Heilig-
tiimern die Aufschriften liest, trifft er einen alten Priester, der ilim
verspricht, ilim gegen eine groBe Summe den Ort zn bezeiclinen^),
wo Thot (Hermes) ein eigenliiindig gescliriebenes Bucli verborgen hat.
Es enthalt zwei Formeln; wenn man die eine liest, gewinnt man
Gewalt iiber Himmel, Erde, Unterwelt, Berge und Meere, versteht
was die Vogel des Himmels nnd die Tiere der Erde reden, und sieht
die Fische im Abgrund; wer die andere liest, kann, wenn er in der
Unterwelt ist, zur Erde zuriickkehren und schaut Gott Ee und seinen
Gotterkreis^) leibhaftig. Das Buch liegt auf einer Insel mitten in
dem Meer bei Koptos (dem Nil bei Koptos*)) in einer Kiste von Gold,
diese steht in einer Kiste von Silber, diese in einer Kiste von Elfen-
bein und Ebenholz (ursprilnglich offenbar einer Kiste von Elfenbein,
die in einer Kiste von Ebenholz steht), diese wieder in einer Kiste
1) Die Stelen mit Zaubertexten; eine Priesterbibliothek wird vorausgesetzt,
vgi. Maspero 125,3 und 131,1.
'^) Er wird dadurch zum Tnbrer' des Neneferkaptah. Abulicb wird der
Fiibrer in dem syrischen Fragment (oben S. 35) gewonnen.
3) In theologischer Fortbildnng in der Hermetischen Prophetenweibe, Corp.
Herm. XIIIll, Poiraandres 343,17 (pavzaQofiai ovx OQCiaei 6(p9-a?.fi(5v, cO.la xy diu
^vvcqietov voy]xiyy trsQyelq' tv ovQavw elfii. fV y?], eV vdazi, tv ca-Qi ' iv ttooig elf^ii,
tv (pvxoXq ■ tv yaaz()i, tiqo yaoxQoq, [X£xa yaaxtQa, navxayov, vgl. XI 20 o^avxov Tjyrjocu
aO^dvaxov xul navxa dvvufievov vo'ioul, naauv fxev xs/vjjv, naoav 6h i7iiaxrjfi7]v,
narxog 'Qwov ?j&og. navxog dh viporg vrpijJ.oxsQog ysvov xtcl navxoq (id&ovg xanei-
vnxtQoq. ndauq dh xdq alad-i^aeiq xcHv 7ioirjX(5v Gv).).ap£ tv oeavxo), nvQoq, vdaxoq,
iilQov xal iygov, xcd o/aov navxuyj] eirai, tv y^, tv Q^aXdxxy, ev ovquv<5, /i7]dtnaj
ytyevfjof^ui, hv t^/ yuaiQl eivai , vtog, ye(JODV, xe9-vt]xtvai, xd f/exu xov S-uvaxov.
xav xavxa ndvxu 6/nov voriO'^g, '/Qovovg, xonovg, nQcly/itcaa, noioxtjxaq, noaoxtjxccg,
dvvaoai voTjoca xov ^edv. Es ist die Bescbreibung der wabren yraiotg.
*') So Maspero 133,2. Ursprunglicb ist es, wie die ganze Erzilblung zeigt,
die Toteninsel, die Insel in dem bimmlischen Strom oder Meer, vgl. Hellenistische
Wundererzahlnngen S. 114. Maspero (a. a. 0. S. 136, 2) tut Unrecbt, lediglicb an die
Vorstellung von Scblangen als Scbatzhiitern zu deuken, die sicb in Agypten, Avie
in vielen anderen Landern, ftndet. Der Grundgedanke der Erzablung ist nacb dem
ganzen Zusammenbang, da6 maa das geheime Wissen in seiner hochsten Vollendung
nur im Totenreicbe erwirbt. Aucb bier sind Schlangen die Hliter (vgl. aucb die
von Maspero selbst beigebrachten Stellen). Bezeicbnend ist, dafi der Konigssolin
bis Koptos auf seines Vaters Scbiff mit dessen Be,satzung fiibrt; fiir die Fahrt von
da zu der Insel muB er .sicb Scbifl' und Bemannung aus Wacbs raaclien und sie
durcb Zauber belebeu.
Himmelsvvanderuiig uiid Dracbeiikanipf. 41
von anderem Holz, diese in einer Kiste von Bronze nnd diese endlich
in einer Kiste von Eisen. Neneferkaptah fahrt auf seines Vaters,
des Konigs, Boot nacli Koptos, feiert dort im Tempel der Lsis und
des Harpokrates (rhrat, Horns) niit den Priestern ein Fest (nrspriing--
lich: Mysterinm ?) nnd fahrt auf eineni Zauberboot iiber die See nacli
der Insel. Die Nattern, Skorpione nnd Gewiirme, die ilin hier auf
dem Wege zu dem Buck bedrohen, maclit er dnrcli einen Zauber-
spruch nnschadlich und kommt zu der 'endlosen' Schlange, kiimpft
mit ihr, ersclilagt sie, aber sie lebt wieder auf und 'erneuert ihre
Gestalt' Er ficht zum zweitenmal mit ihr, totet sie wieder, und
wieder gewinnt sie Leben. Beim dritten Kanipf schlagt er sie mitten
entzwei und streut zwischen die Stilcke Sand; da ist sie wirklich tot
und kann ihre Gestalt nicht wieder erneuern. Dann offnet er die
sechs (urspriing'lich sieben) Kisten, nimmt das Buch, liest die Formeln,
kehrt heim nach Koptos, feiert von neuem ein Fest der lsis und will
nun in seines Vaters Boot zu diesem nach Memphis zurllckkehren.
Aber Gott Thot beklagt sich bei den anderen Gottern, da6 sein Buch
ihm geraubt und dessen Wachter erschlagen ist, und empfangt die
Maclit, sich zu rachen. Neneferkaptah verliert bei der Rilckfahrt
Weib und Kind in dem Nil, stiirzt sich selbst mit dem Buch in den
Strom, wird in Memphis gefunden und mit seinem Zauberbuch begraben.
Da6 sich die Erzahlung von Krates fast restlos aus der ihrer
Uberlieferung nach etwa ein Jahrtausend alteren iigyptischen Novelle
herleiten laBt, oder vielmehr, nicht aus ihr selbst, sondern aus einem
Gegenbild, in welchem statt der sieben Kisten aus verschiedenem
Stoff die sieben Hallen oder Himmel aus verschiedenem Metall be-
schrieben waren, scheint mir von Bedeutung flir die Beurteilung
dieser ganzen syrisch-arabischen Geheimliteratur. Jeder Versuch,
den Drachenkampf des Krates als symbolische Darstellung chemischer
Vorgange zu fassen, wird damit unmoglich; die Vermutung, da6 gerade
in diesen erzahlenden Einkleidungen alte religiose Anschauungen und
alte Tradition erhalten ist, wird zur GewiBheit. Aber noch beruht
die Behauptung, dafi die Krates -Erzahlung auf einen griechischen
Text zuriickgehe, nur auf der immerhin nicht vollkommen gesicherten
Erklarung des Namens. Eine weitere Umschau mu6 sie bestatigen
und kann zugieich noch wichtigere Ergebnisse bieten.
In der zweitaltesten christlichen Schrift des Abendlandes, die in
einzelnen Gegenden als kanonisch gait, dem Hirten des Hernias, berichtet
der Verfasser im SchluB einer langeren Reihe von Visionen und Offen-
barungen (Vis. IV), daB er iiber Land gehend Gott um weitere Offen-
42 Eichard Eeitzenstein,
baruiigen gebeten liabe. Plotzlicli erblickte er eine iiiigelieure Staub-
wolke, als ob eine ganze Herde auf ilin zukame, iind gewahrte endlich
ein riesiges Meerungetiim (yS/Tog), aus dessen Eachen feurige Heu-
schrecken liervorgingen. Schnanbend stiirmte es auf ihn ein, aber
als er ermntigt durch eine Gottesstimme ilim entgegentrat, stlirzte
es plotzlicli wie leblos zusammen und streckte nur nocli die Zunge
aus dem Maul hervor, riihrte sich aber niclit, als er vorliberging.
An dem Kopf trug es vier Farben, sdnvarze, Feuer- und Blutfarbe,
Goldfarbe und weiBe Farbe^). Hennas begegnet daun weiter einer
gottliclien Jungfrau, die wie eine Braut gesclimlickt ist, erkennt in
ihr nacli den friiheren Visionen die Kirche und liort von ihr, daS
er nur durch den Namen Gottes, den maclitigen und beriilimten
Namen gerettet worden sei, Gott den Engel der Tiere, Tliegri mit
Namen, gesendet und da6 dieser dem Ungetiim den Eachen zu-
gehalten habe, zugleich aber da6 dies Ungetiim eine nahende
Christenverfolgung bedeute. Er fragt nach der Bedeutuug der
Farben an seinem Kopfe und hort: SSchwarz ist die Welt, in der
ihr wohnt; durch Feuer und Blut wird sie zugrunde gehen; wie
Gold miiBt ihr selbst gepriift werden; das WeiC bedeutet den Glanz
des kommenden Aions, in dem ihr leben sollt.' Der SchluB des Be-
richtes scheint auf eine Befreiung oder Wiederbelebung des Untiers
zu deuten: Hennas hort iu seinem Eiicken plotzlich Getose, ver-
mutet, da6 das Untier wieder heranstiirme, und wendet sich nm; da
ist die Jungfrau mit einemmale entschwunden ; die Vision bricht ab,
wie in der Krates-Erzahlung die einzelnen Visionen mit dem Ent-
schlummern oder Erwachen des Krates.
Klar sollte zuniichst sein, dafi der traumhafte Charakter der
Visionen hier verwischt ist, und da6 der Christ nicht mehr verstand,
dafi das xz/toc am Himmelsozean hausen muB'^) und hier den Zugang
zu den Offenbarungen hiitet. Der Engel ferner mu6 ihm ursprlinglich
mehr angetan haben; schreitet doch auch Hernias ihm wie zum Kainpf
entgegen; die vier, bzw. flinf Farben miissen schon in einer Vorlage
gegeben gewesen sein und sind nicht etwa der symbolischen Deutung
zuliebe von dem Verfasser erfunden. Denn diese Deutuug ist ja er-
zwungen, ja widersinnig; die einzig natlirliche Symbolik hatte das Tier
selbst auf die Verfolgung oder ihren Urheber bezogen, und dieser hatte
') Eig-entlich also fihif Farben.
2) Gerade dies war ja in dem Krates -Buch uicbt klar ausgedriickt; die Er-
wHbnung- des >;ii konute mifiverstanden werdeu.
Himmelswaiuleruiig' nnd Draclieukanipf. 43
die Symbole des kommenden Aion mid der christlicheu Standhaftigkeit
niclit an sicli tragen diirfen. Wenn Fr. Spitta (Zur Geschichte iind
Literatur des Urcliristentums II 292) und leider audi GroBe-Brauck-
mann {I)e compositione Pastoris Hermae, Gottingen 1910. S. 27 sqq.)
sowohl die erste Erwalinung der Farben (17s. IV 1, 10) als audi ilii-e
Erklarung (Vis. IV 3) einer spateren Bearbeitung zusdireiben, so be-
gehen sie damit einen methodisdien Fehler. Deu AulaB linden beide,
etwas spitziindig, darin, daB es seltsam sei, da6 diese Farben erst
erwahnt werden, als das Ungelieuer regungslos daliegt; Hernias liatte
sie doch sdion friiher gewahren niUssen. Aber die Erklarung bietet
der Krates-Bericht: erst, nadidem der gottlidie Heifer das Ungetum
hingestreckt hat, erwahnt der Schriftsteller die Farben an ihiii, well
jener es nun zersdmeidet und die Stiicke nach den Farben zusanimen-
legt. Niclit einnial die Deutung der Farben wiirde idi einer Be-
arbeitung zusdireiben, da gerade in dem Krates-Budi der gottlidie
Heifer zugleich ininier die Erklarungen gibt. Um so niehr freue ich
niidi, dafi der Philologe wenigstens in eineni Puiikte das Urspriingliche
getroffen hat: die Person der Kirdie ist nur den friiheren Visionen
zuliebe eingefiihrt; urspriinglidi gab der gottlidie Heifer — freilich
nicht Thegri, der Engel der Tiere, sondern ein Gott, wohl Hermes —
die Deutung. Wir diirfen diese ungesdiickten Kopien nach meist
verlorenen phantastischen Erzahlungen nicht nach denselben Grund-
satzen behandeln wie die freien Erfindungen oder Visionsberichte
wirklicher Schriftsteller i). Festen Boden unter den FiiBen haben
wir nur, wo wir die Vorlage nocli annahernd bestiiiimen konnen.
Fiir den Beginn der fiinften Vision liabe ich sie einst in einer reli-
giosen Offenbarungsschrift, dem Poimandres, nachgewiesen^) und
gegeniiber den Bedenken theologischer Kritiker die Freude gehabt,
dafi schon damals Wendland (Die urchristlichen Literaturformen - S. 387)
und Wilamowitz (Kultur der Gegenwart I 8 1905 S. 187) mir zustimmten;
ich hoffe, der voile Beweis, wie phantasielos und wie uuselbstandig
der Christ gegeniiber den nicht jlidischen, sondern heidnischen Vor-
lagen war, ist jetzt erbracht. Nur weil wir immer noch meist nur
als Gegensatze empfinden konnen, Avas sich doch zugleich aufs engste
beriihrt, konnen wir den hellenistischen Grundcharakter der Gesamt-
darstellung und der Einzelschilderung verkennen. Fiir das Krates-
Bucli ist zugleich als Vorlage eine griechisch geschriebene, ihrem
') Vgl. Fr. Bolls schunes Buch 'Aus der Offeubaruug Johaimis', Leipzig 1914.
■'') Poimandres S. 11 ff. Helleuistische Wuudererzablnngen 126.
44 Richard Reitzeustein,
Charakter nacli religiose Offenbarung-sschrift, die vor das zweite Jalir-
Imndert n. Chr. fallen muB, gesichert, damit zugleicli aber die Er-
kenntnis, daB o KQdx7]c. wirklicli die Bezeichnung eines Grottwesens,
wahrsclieinlicli des Horns, ist. Dann aber hat es liochste AVahr-
sclieinliclikeit, dafi jene Offenbarnngssclirift mid die Zanbernovelle
von Neneferkaptah einen Myth us spiegeln. Ob wir ihn wieder-
gewinnen konnen, wird freilich fraglich bleiben. Zeigen docli schon
die knrzen Proben, wie die nrspriinglich mj^thischen Wnndererzahlnngen
sich mit anderen zu immer nenen Einheiten verbinden, wie sie sich
bei der Verweltlichnng miirchenhaft ausgestalten nnd doch immer
wieder die nrspriingiiche religiose Bedentnng znriickgewinnen konnen,
endlich, wie sie von einem Lande znm andern wandern oder audi
zuriickwandern 9- Einen Versuch habe ich friiher gewagt und mochte
ihn hier erganzen.
Einen Mythus, freilich in marchenhafter Ausgestaltung und
Farbenpracht, bietet der in die friihchristlichen Thomasakten auf-
genommene sogenaniite Hymnus der Seele2). Ein Herrscherpaar im
Osten beiiehlt seineni altesten Sohn, der noch Kind ist, nach Agypten
zu Ziehen und die Perle (das Kleinod) zu holen, 'die im Meer ist in
der Umgebung der schnaubenden Schlange'; dann soli er der Erbe
des Eeiches werden. In Yerkleidung eilt er hin und sucht sie zu
belaueni; aber obwohl ihn ein Berater und Heifer vor den Agyptern
warnt, lafit er sich von ihnen iiberlisten, geniefit ihre Speise und
sinkt in hilflosen Schlaf, Ein Brief seiner Eltern und der versammelten
Grofien des Eeiches, der dabei ganz als eine Art gottlicher Person
') Fur die Typologie der orientalischen Wundererzabluiig ist dabei das leichte
Ubergehen in den Visionsbericbt bemerkenswert. Beispiele babe ich in dem Buch
^Historia monachorum und Historia Lausiaca'' S. 178, 1 und 261 angefiihrt. Dem
Visionsbericbt steht dann die Zavibervorschrift nahe; aus der Erzahlung 'ich tat das
und erlebte das' wird die Vorscbrift 'tue das, so wirst du das erleben'.
-) Vgl. meine Hellenistischen Wuudererzablungen S. 107 ff. (dort aucb die
Literatur). Die Bezeichimug riihrt von der ungllicklicben Auffassuug des Liedes
als Allegorie oder symboliscber Erzablung her, bei der freilich alle Hauptziige
dunkel und widerspruchsvoU bleiben. Sie ist jetzt wobl noch unwahrscheinlicher
geworden. Es ist ein Mythus, der urspriiuglicb in einem Bescbworungsliede ver-
wendet war. Das Lied ist syrisch und griecbisch erhalten, doch kennt der Verfasser
die Verhjiltnisse des partbischen Reiches so trefflicli und orientiert derart von hier
seine ganze Darstellung, dafi Cumonts Vermutung (a. a. 0. 115, vgl. A 5), der Ver-
fasser des alten Originals sei Perser, vie! Wabrscbeinlicbkeit bat. Nur ist fiir den
Ursprung des Mythus damit noch wenig gewonnen. DaB der christliche Verfasser
der Akten trotz der widerstrebenden Ziige in dem Kiinigssohn Cbristus sah, hat
zuerst E. Preuschen richtig betont.
Himmelswaiidening- uiid Draclienkampf. 45
erscheint, erweckt ilin aus dem Todesschlummer und bringt seinen
Aiiftrag- ilim wieder ziim BewuBtsein; er verzaubert die schnaubeude
Schlange, indem er den Nameii seines gottliclien Vaters iiber ihr
spriclit, entreifit ihr die Perle, empfangt bei der Heimkelir sein
himmlisclies Prnnkgewandi) und wird als Erbe des Reiclies anerkannt.
Der Form nacli ist es ein Ich-Bericht wie die Erziihlung- des Krates
(des gottliclien Kindes); auf eine Wanderung' in die Totenwelt weisen
Einzelzilge, wie das Verbot des Essens im Lande der Unliolde, der
Verlust des Gedaclitnisses, der Zauberschlaf, die Verklarung bei der
Heimkehr. In der Hanptform wie in manchem Einzelziig- stimrat
hiermit eine agyptisclie Erzalilung' von Horns iiberein, die am voll-
standig-sten in dem von Griffith herausgegebenen demotischen Zanber-
pap3^rus voi'liegt^). Horns, der alteste Sohn des gottliclien Konig-spaares
ist in die Unterwelt g-ezogen, dort von einem Tier gestochen (oder wie
Dionysos von den Titanen iiberlistet) und getotet worden. Seine Mutter
Lsis bringt ihm das Herz (die Seele) wieder und verkiindet ihni, da6
alle Gro6en des Laudes versammelt sind '^), um seinem Vater (wieder)
zu huldigen. Offenbar kehrt er nun siegreich lieim, nm Erbe dieses
Reiclies zu werden. In dem erlialtenen kurzen Zaubertext ist nicht
gesagt, wefiwegen Horns die Wanderung gemacht hat und was er
dadurch erwirbt. Nur eine Spur (bei Diodor I 25) weist darauf, da6
er erst dadurch die Unsterblichkeit, d. h. zugleich die voile gottliche
Natur, erlangt hat. Eine innere Kraft oder Verklarung erlangt offen-
bar auch der Konigssohn in dem Hymnus von der Seele. Stammt
') Es ist das nr^vfianxoi' oder S^slor (vSvua der mystischen Literatur. Es
scliwebt ilim eutgegeii, er scbaut sich in ihm wie in einem Spiegel, es ist ein Teil
seiner selbst und an Gestalt ihm immer gleich. Eine ahnliche Vorstellung begegnet
in der Paradieses -Wanderung des Zosimus, die gleichzeitig Vassiliew in den Anec-
dota gruecohyzantina und M. Rh. James in Eobinsons Texts and Studies II 3, letzterer
mit trefflicher Einleitung, herausgegeben haben. Die Gerechten im Paradiese sind
zwar nackt, aber iiber ihnen schwebt ihr himmlisches Lichtgewand, das sie bei der
vollen Vereinigung mit Gott anlegen Averden. Auch im Hymnus der Seele sieht
der Konigssohn dies Gewand erst wieder, als er das Reich des Vaters betritt; an-
legen wird er es erst bei dem Zusammentreffen mit ihm.
'^) Vgl. Hellenistische Wundererzahluugen S. 105 ff. Die weiteren, dort an-
gegebenen Spuren des Mythus fixhren bis in den Anfang der hellenistischen Zeit.
Der alte Horusmythus kennt weder die Unterweltswanderuug noch einen Drachen-
kampf, wohl aber einen Kampf mit Seth, eine Gotterversammlung, in der Thot den
Horus als Sieger und echteu Erben des Reiches erklart, und die Wiederbelebung
des Osiris (Erman, Agyptische Religion* S. 40 ff.).
3) Auch in dem Hymnus der Seele wird bei der Botschaft eine solche Ver-
sammlung erwahnt, nur ist dort ihre Bedeutung fiir den Helden klarer.
46 Richard Reitzenstein,
dieser Avirklicli aiis dem Persischen, so darf man wohl daraiif liin-
weisen, dafi das arab.-persische Wort gauhar so wohl die Perle, das
Kleinod, wie audi das Innerste (audi Seele, geistige Kraft) bedentet i).
Die Ubereinstimmungen eiiierseits zwisdien dem Hymiius von der Seele
und dem Horus-Mythus, andererseits zwisdien der Novelle von Nenefer-
kaptah und der Krates-Sclirift (bzw. Horns -Sdirift) und weiter die
Alinlidikeiten dieser beiden Grundtypen liefien sidi bei der Annalime
eines gemeinsamen mythologisdien Hintergrundes am leiclitesten er-
kliiren. Ebenso lieCe sidi der Unterschied der beiden Typen wolil
verstelien. Der Mensdi, der in dem einen fiir den Gott eing'etreten
ist, mu6, um zu etwas Neuem, Gottlidiem zu werden (zum jrrtrjta),
seinen Leib verlieren^); der Gott kann nur sein urspriinglidies Wesen
Aviedergewinnen oder in voller Ausgestaltung gewinnen. So meinte
icli friiher annelimen zu duifen, ein Horus-Lied sei einfadi in den
Osten ubertragen und dort zu dem sogenannten Hymnus der Seele
umgediclitet worden. AUes andere sei agyptisdi. Seit sicli aber in
dem zweiten Typus dieser Erzahlung die Miscliung persischer oder
persisdi-babylonisdier Elemente mit agyptisdien gezeigt hat 3), ist die
Frage nidit mehr abzuweisen, ob sidi zwei My then versdiiedeneu
Ursprungs, ein agyptisdier und ein dem ferneren Osten entstammender,
in friihhellenistisdier oder vielleidit sogar vorhellenistisdier Zeit
wediselseitig beeinfluBt haben und hierdurch der alte Horus-Mythus
in Agypten umgestaltet ist. LieBe sidi diese Frage je mit Sicherheit
bejahen, so wiirde diese Erzahlung fiir unsere Vorstellungen von Alter
und Art des orientalischen Synkretismus allerhodiste Bedeutung ge-
Avinnen.
Diese Frage scheint nun der Hauptsadie nacli sogar schon be-
') Arabisch audi Substanz, Natnr, qnod in quaqtte re nitet nc 2)raestnt(Freytag),
wie athiopisch hahrey neben Perle, Edelstein auch Substanz, Natur, ja Hypostase
(Gottes) bedeutet. Die weitere Verbreituiig der Vorstellung im Orient verfolgt
H. Grefimann, Zeitschrift d. Deutschen Morgeulandiscben Gesellschaft Bd. 60 S. 671.
672 (giitige Mitteihing von E. Littmaun). Da auch das geheime Wissen immer mit
dem Erwerb einer hoberen Natur im Menschen verkniipft scbeint, liefien sicb auch
die anderen Erzahlungen hiermit in Einklang bringen oder aus derselben Gruud-
vorstellung begreifen.
") Die Anscbauung wecbselt dabei, vgi. oben S. 39, 2.
^) Auch in dem ersten ist sie wenigstens fiihlbar. Jene Erwabnung der
sieben Hallen der Totenwelt, bzw. des Himniels, in dem demotiscben Zauberpapyrus
(20, 32 , vgl. oben S. 36) f allt in dies Stuck : Horus heifit he tvho is in the seven
heavens, who standeth in the seven sanchoaries (im Innersten), the son of the god,
who liceth.
Himmelswanderung und Drachenkampf. 4'
antwortet. Schon Bousset hat (Hauptprobleme der Gnosis S. 252 ff.)
auf Ubereinstimmung-en zwisclien dem Hjaiinus von der Seele und
dem sechsten und acliten rechten Genza der Mandaer hingewiesen,
die bis in kleinste Einzelheiten gelien und gar nicht zufallig sein
konnen. Nur liiltte er die Darstellung des Horns- M3^thus mit liinzu-
nelimen miissen; in ilim finden sicli all die Ziige, die in dem Genza
fehlen; erst eine Vereinigung beider erkliirt den Hymnus von der
Seele restlos i)- Den My tlius des Genza hat schon ^^^ Brandt iiber-
zeugend als Fortbildung und Umgestaltung des altbabylonischen
Mythus von Mardnk und Tiamat erkannt. Religiose Zusammenhange
liegen hier tatsachlich vor, welche die alte Sage bis in spatere Zeit
erhalten konnten. Andererseits war ich selbst, noch ehe ich Boussets
Ausfiihrungen kannte und an die Mandaer audi nur gedacht hatte,
auf die Fiille der Motive aufmerksam geworden, welche die von mir
rekonstruierte jiingere Horussage mit dem babylonischen Mythus teilt
(in der Gotterversammlung wird die Herrschaft als Kampfpreis be-
willigt; auf den Himmelsdrachen weisen die verschiedenen Farben;
aus seinen Stiicken Avird ein Neues zusammengesetzt ; die Siegesbeute
bilden die Schicksalstafeln). Nur die auBere Verbindung-, die ein
Heriiberwirken erklaren konnte, und eine literarische Ausgestaltung,
die einen unmittelbaren Vergleich mit dem Horus- Mythus gestattete,
vermifite ich und wagte darum keine Schliisse zu machen. Beides
bietet der Hinweis auf die Mandaer und iliren achten Genza. Freilich
ist letzterer jetzt jung und phantastisch ausgestaltet; verschiedene
iiltere und jiingere Rezensionen desselben Mythus sind aneinander-
gereiht; nur die alteste beriihrt sich noch handgreiflich mit der
Tiamat -Sage. Aber aus ihr laBt sich eine mit Sicherheit herzustellende
jiingere Fassung erklaren, in welcher der gottliche Hibil-Ziwa die
sieben Hallen der Unterwelt durchwandert, in jeder von einer Gottheit
geheimes Wissen erlauscht und in der letzten mit der Hollenfiirstin
um ein Kleinod kampft, an welches ihre Macht und ihr ^^'issen ge-
knlipft ist. Mit dieser Darstellung beriihrt sich der Horus -Mythus,
den wir aus der Novelle des Neneferkaptah und der Vision des
Krates herstellen konnen, derart, da6 sogar einzelne Ziige in ihnen
engere Beriihrungen mit der babylonischen Sage zeigen als der
') Der Genza gibt nur die Schilderung von dem Niedersteigen eiues Gottes
in das Totenreich, dem Kampf mit seinen Herrschern und der Erwerbung des eut-
scheidenden Kleinods. Dafi der Gott selbst Kind ist, dafi er leblos hinsinkt und
durch eine himmlische Botin wieder erweckt wird, stammt aus dem Horus -Liede.
48 Rieliard Reitzenstein,
Genzai)- ]3aB man m Agypten den Gott, der die bosen Maclite iiber-
wiinden und aus dem Kampf mit ilinen seinem Vater 'Kraft imd
Festigkeit' gebraclit bat, mit Horus identifizierte, ist begreiflich.
Der Mythus von ihm wurde danach umgestaltet und ausgestaltet
und wirkte in dieser jiingeren Form dann auf den Osten zuriick.
Beide Hergiinge waren allerdings scbwer erklarbar, wenn wir nicht
fiir die jiingere Zeit literariscbe Darstellungen der alten Mj^then an-
nehmen diirften; der Hymnus von der Seele, die Erzahlung des
Krates und die Novelle von Neneferkaptab setzen ja auch, wenigstens
meines Erachtens, kunstmilBige literariscbe Darstellungen von Anfang
an voraus. Um so erfreulicber ist mir, da6 soeben W. Spiegelberg
eine solcbe novellenartige Ausgestaltung und Darstellung eines alten
Mj'^tlius in j lingerer Zeit wenigstens fiir Agypten erwiesen bat 2). Seit
dieser aucb fiir die Gescbiclite der Gnosis wicbtigen Entdeckung
scbeint mir der Annabme einer wecbselseitigen Beeinflussung eines
agyptiscben und eines auf babyloniscbe Einfliisse zurlickgebenden
ostlicben Mytbus nicbts mebr entgegenzusteben ; die nacbste Aufgabe
wird sein, andere Fassungen oder Spiegelungen dieses ostlicben Mytbus
in religioser oder weltlicber Tradition nacbzuweisen und damit die
Kette zu scbliefien.
Eine Einzelbeit erwabne icb zum Scblu6 der Vollstandigkeit
balber. Die eine der mandaiscben Eezensionen laCt — in der jetzigen
Fassung des acbten recbten Genza bei der Riickkebr Hibil-Ziwas
durcb die dritte Halle — den Unterweltsdamon Qin dem Hibil-Ziwa
eine abgrundtiefe Quelle und in ibr den Spiegel zeigen, in welcbem
die Macbte der Finsternis sicb bespiegeln, um jedesmal zu wissen,
was sie zu tun baben^). Diesen Spiegel bat Hibil-Ziwa vor den
') Man denke an die Schildernng des Ungetiims. Eiue Spur in der Krates-
Yision verglicheu mit der Baruch-Apokalypse zeigt sogar nock Erinnerung daran,
da6 es sich ursprilngiich um zwei miteinander verbuudene Unholde handelte.
-) Der agyptiscbe Mythus vom Sonnenauge in einem demotischen Papyrus der
romischen Kaiserzeit, Sitzungsbericht der Berliner Akademie 1915 S. 876 ff. Es
handelt sicb bier sogar um eine Bearbeitung nicht mebr zu religiosem, sonderu zu
rein ergotzlicbem Zweck. Spiegelbergs Beschreibung der Stilmiscbung in der Dar-
stellung (S. 890 ff.) entspricht derart dem Charakter des Marcbens von Amor und
Psyche bei Apuleius, dafi man wohl annehmeu darf, der erste griecbische Bearbeiter
dieser ursprlinglicb religiosen Erzahlung babe einen abulicben Text mit seinen
Mitteln nacbahmen woUen. Welcbe EinfiUsse dann die weitere Ausgestaltung be-
stiramten, babe icb versucht, in dem Vortrag „Das Marchen von Amor und Psyche
bei Apuleius", Leipzig 1912, naber nacbzuweisen.
=') W. Brandt, Mandaische Schriften S. IGO. Auch sonst wird ein solcher
Zauberspiegel in dem Genza erwabnt, so Brandt S. 176: die Ruba liifit ibren Sohn
Himmelswanderung- und Drachenkampf. 49
Augen der Qin verborgen unci mil sicli g-enommen, und mit ilim ist
'Kraft imd Festigkeit' der Unterweltsgotter verscliwunden. Zu den
Berichten des Ostanes und Pibechios, von denen ich ausging und in
denen die •/r(~Kjic, das kraftspendende Wissen, durcli das Lesen der
Inschrift auf einer Stele von wuuderbar glanzendem Metall in dem
Innersten der sieben Himmelsliallen vermittelt wird, bietet Zosimus,
der agyptische Alchemist aus dem Ende des dritten oder Anfang des
vierten Jahrliunderts n. Chr., in dem z wolf ten Buche jxtgl dQeTF/g (iiber
die Wunderkraft) ein Gegenbildi). Alexander der GroBe hat einen
Zauberspiegel aus Elektron besessen, der ihm die Zukunft voraus-
zeigte und ihn dadurch gegen alles Unheil und alle Feinde schiitzte.
Dieser Spiegel kam nach seinem Tode in einen Tempel. Es ist klar,
daB, wie der Konigssohn Neneferkaptah fiir den Gott Horus, so der
Weltiiberwinder Alexander fiir einen Gott, oder besser fiir den hollischen
Damon eingetreten ist, der gegen den hochsten Gott kampfen will
(vgl. einerseits den Genza, andererseits die Auffassung Alexanders
z. B. bei Lucan Phars. X 20ff.)2). Denn, dafi der Tempel den Himmel
bedeutet, sagt Zosimus sofort selbst: 'Der Spiegel steht iiber dem
Tempel der sieben Tore, welche den sieben Himmeln ent-
sprechen, an der Westseite, so daiS, wer hineinschaut, den Osten
erblickt, wo das geistige Licht aufgeht-'). Der Tempel steht iiber
der sichtbaren Welt, iiber den zwolf Hausern (des Himmels) und iiber
den Plejaden, der Welt der Dreizehn. Uber ilmen steht dies Auge
des Geistes, das allgegenwartig ist. Man sieht dort das m'tvfta
Thhior, in dessen Gewalt alles ist, von jetzt bis zum Tode.' Die
ubliche Opfergabe des Spiegels an den Gott oder des Horus -Auges
in dem Zauberspiegel sein Antlitz und zngleich die Welten der Finsternis, seine
Vater und die Welten des Lichtes seheu. Der Spiegel lehrt ihn, was er tun soil,
und gibt ihm die yrcSoig, vgl. zu der gauzen Vorstellung vou dem gottlicben
Spiegel mein Bucb ' Historia 3Lonachorum und Historia Laiisidca' S. 24rl:ff. 262.
*) Nur in syrischer Ubersetzung erbalten bei Berthelot a. a. 0. II 262 ff.
2) Die Einwirkung- dieser Vorstellung auf die Alexandersage liefie sicb leicht
weiter verfolgen; doch ist bier nicbt der Ort dafiir.
=*) Zusatz: 'er stebt ebenso an dem Slidtor und an alien anderen Toreu'.
Hier sind es also sieben Spiegel. Man erinnere sicb, da6, wabrend Ostanes von
einer Tafel redet, Pibecbios deren sieben erwabnt. Die altagyptiscbe Vorstellung,
dafi in die eiue, nicbt stockwerkartig in sieben Spbaren ixbereinandergetiirmte
Unterwelt sieben Tore fiibren, scheint nacbzuwirken. Von &vqc'.i rfjq yrvjoewg ist
in der religiosen Mystik immer die Eede, und eine x?.elq Ttjg yrcoatcug erwjihnt,
■vvie micb Bousset erinnert, Lucas an einer Stelle (11, 52), deren Original nacb
Mattb. 23, 13 sicber x/.etg r/jg l^uGileiug zwr ovqccvwx' bot.
Andreas- Festschrift. 4
50 Richard Reitzenstein, Himmelswanderung iiiul Drachenkampf.
an Osiris, die der Agypter so oft in seinen Tempeln dargestellt oder
in heiligen Texten erwalmt fand, sclieint liier religios aiisgedeutet ;
dennocli glaube icli zugleicli die letzte Nachwirkung des Mardnk-
Mythus und der 'Scliicksalstafeln' zu empflnden. So hocli die Vor-
stellung dabei gesteigert ist, die nacli j lingerer Ausdentung dann den
Geist Oder den Solm des hochsten Gottes selbst zu dem Spiegel maclit,
beschrankt sie sich doch nocli auf Mantik und Zauber; Wirkung der
yi'cdaig ist das jrQoyr/rcnjx^iv, das nocli in der alteren volkstliniliclien
Moncliserzalilung den Hauptvorzug des riXtiog bildet. Aber sclion
hat die griecliisclie Pliilosophie und die Verinnerliclmng der alten
religiosen Anschauungen durch die orientalische Mystik audi auf diese
Kreise gewirkt. Derselbe Zosimus hat in einem frliheren Werke, das
er liier anfiihrt, dem xrx^.oc r(ov hQtcor, die sittliche Wirkung der
yrcooiq betont: die Seele, die sich in diesem Zauberspiegel sieht, er-
kennt ihre Makel und reinigt sich von alien Flecken (allem Schatten);
sie bildet sich nach dem Spiegel, dem .Tj-tvf/a llyior, und wird selbst
.-rrtv^fa. So besitzt sie die voile Leidenschaftslosigkeit {iljrdfhHa) und
gehort jener hoheren Ordnung an, in der man Gott kennt und von
ihm gekannt wird (yiyrojaxti ihtor y.ai yiyrvny/.txai tvV aKrov). Es
sind die Grundgedanken auch der monchisehen Mystik; sie lassen
sich. wie ich hoffe an anderem Ort erwiesen zu haben, bis in die
Werdezeit des Christentums zurlickverfolgen. Doch liegt ein Ein-
gehen auf sie jenseits meiner diesmaligen Aufgabe; von Marchen und
Mythen wollte ich liier allein berichten.
Gottingen. Richard Reitzenstein.
ZUR FRAOE DES VERHALTNISSES VON PERSISCHEM
UND JUDLSCHEM AUFERSTEHUNGSGLAUBEN.
In dem leider nocli so dimkeln Kapitel von den Beziehnngen
zwischen persisclier und jiidischer Religion ist wolil keine Frage so
viel verhandelt worden wie die nacli dem Veilialtnis des beider-
seitig-en Auferstelmugsglanbens. Und das ist niclit verwunderlich.
wenn man sicli die Bedeutung- des Anfersteluingsglaubens in der
jiidischen Religion vergegenwartigt, maclit er darin docli so sehr
Epoche, da6. wie niclit unrichtig gesagt worden isti). darnacli die
ganze Religionsgescliiclite Israels in zwei Telle zerfallt: vorher und
nachlier. Ist er denn also ein genuines Erzeugnis jiidischen Denkens,
Oder ist er unter persischem EinfluB aufgekommen? Im Grunde ist,
trotz den vielen Erorterungen, die sich an diese Fragen geknlipft
haben, die Sachlage noch wenig geklart. Auf der einen Seite ist
man, znm Teil vielleiclit unter der unbewuBteu Nacliwirkung alter
dogmatisclier Yorurteile, in der Ablehnung fremder Einflusse auf die
jiidisclie Religion allzu zahe geblieben, auf der anderen hat naive
Freude an der Entdeckung und Bebauung religionsgeschichtlichen
Xeulandes zu einer gewissen Sorglosigkeit in der einseitigen Be-
jaliung solcher Einflilsse gefiihrt. In Wahrheit diirfte gerade die
Erkenntnis, daS keine der extremen Ansichten die abschliefiende
Antwort zu geben vermag, eine Hauptlockung bilden, sich mit
der Frage erneut zu beschaftigen. liegt doch ein besonderer Reiz
religionsgeschichtlicher Arbeit in der Durchforschung jener Zwischen-
gebiete, die nicht ein einf aches Ja, ja und Nein, nein sagen gestatten.
Am sichersten geht man vielleicht von der Beobachtung einzelner
peripherischer Punkte aus, an denen die Beriihrung mit Handen zu
greifen ist. In der Apokalypse des El dad und Modad, einer jiidischen
*) H. Gunkel zu IV. Esra 7, 32 (in Kautzschs Pseudepigraphen).
52 Alfred Bertholet,
Weissagung, deren uiitere Zeitgrenze diirch eine Zitation im Hirten
des Hernias 1) festgelegt wird, heifit es, die (aiiferstandenen) Israeliten
wlirden mit Wonne von dem Stier, der ilinen von Anbeginn bereitet
war, geniefien. Die in diesen Worten ausgesprocliene Erwartnng liiBt
sicli aiis innerjlidischen Pramissen niclit restlos erklaren. Wolil kennt
jiidische Eschatologie seit Jes. 25, 6 2) die Vorstelhmg einer Mahlzeit der
Seligen, nnd in Ps. 74, 14 fand jiidische Haggada den Beweis, da6
dabei der Leviathan als Speise dienen solle. Aber das ist so kiinstlich,
da6 man ohne weiteres vermuten darf, der Gedanke sei von der
jlidischen Haggada in die Psalmstelle anderswoher erst hineingelesen
worden^). Wie liberdies aus Leviathan, dem fabelhaften Wassertier, der
Stier werden sollte, ist zunachst gar nicht abzusehen; es bedarf schon des
mit Leviathan ofter^) zusammengestellten Behemoth als Mittelgliedes ■^).
Aber da6 Behemoth, nrspriinglich das FlnB- oder Nilpferd 6), seinerseits
zur Speise der Seligen wird, ist aus jiidischen Voraussetzungen wieder
nicht erklarlich. Um so willkommener ist hier die persische Parallele,
die man aus dem Bundahish") kennt: „Soshyans und seine Gehilfen
vollziehen ein Opfer, wiihrend sie die Toten wiederherstellen, und
schlachten den Stier Hadhayosh bei dem Opfer. Von dem Fett dieses
Stieres und vom weifien Hom bereiten sie das Lebenselixier und
geben es alien Menschen, und alle Menschen werden unsterblich fiir
immer und ewig." Denkt man an die Bedeutung, welche das Rind
fiir die Perser hatte, so ist doch wohl klar, dafi der „von Anbeginn
an bereitete Stier" der einheimischen persischen Vorstellungswelt an-
gehort.
Des weiteren gibt der Bundahish die Zahl der mannlichen
Heifer des Soshyans auf 15 an®). Wenn man Succa 52a liest, dafi
15 Gesalbte die Toten auferwecken, so diirfte schon diese liberaus
merkwurdige Ubereinstimmung den letzten Zweifel an einer Beein-
flussung jiidischen Auferstehungsglaubens von persischer Seite beheben;
1) Visio II 3.
2) Jes. 24 — 27, die sogeuaiiiite Jesaja-Apokalypse, ist eines der spiitesteu
Stiicke des Jesajabuches.
3) Vgl. Gunkel zu IV. Esra 6, 52 (a. a. 0.).
*) Syr. Baruchapok. 29,4 vgl. IV. Esra 6,52; vielleiclit Heu. 60, 24; dock ist
hier der Text schlecht uberliefert.
'■>) Vgl. Archiv fur Religionswissenschaft XIV (1911), S. 38 ff.
«) Hiob 40, 15.
') 30, 25. Nach Gelduers Ubersetznug in lueinem Religionsgeschiclitlicheii
Lesebuch, S. 358.
«) 30, 17. Ebenda S. 357.
Persischer und jixdischer Auferstehungsglaube. 53
denii wie kame der Jude gerade auf diese Zalil ? ') Daneben sei
gleicli die Meinimg eines Teiles der Eabbinen gestellt, da6 die Aiif-
ersteliung- 114 Jahre in Anspruch nelimen werde'^). Diese Zalil laBt
sicli wolil iiiclit aiiders verstehen denn als Verdoppelung- der 573), ^i^
wiederum der Bimdahisli als Zalil der Jahre, welche die Wieder-
lierstelluiig' der Toten daiiert, kennt^). Anderes liefie sich anfiiliren.
So iindet iiacli Bundaliish 30, 26 in der Aufersteliung- keine Kinder-
zeugung melir statt; ebeuso Mattli. 22, 30: Iv yaQ rfj draoxdoti ovrt
') An sich schon konnte die Beteiligung- eiiier Mehrzahl von Urhebern beim
Akt der Auferstehung — so z. B. auch Pesachim 68 a — auf persischen EinfluB
zuriickgehen.
-) E. Bokleu , Die Verwandtschaft der jlidisch - christlichen mit der persischen
Eschatologie, Gottiugen 1902, S. 109.
3) Dieselbe Verdoppelung auch im Dinkart VII 11,4; vgl. Boklen a. a. 0.
Anm. 2.
*) 30, 7, a. a. 0. S. 356. Die Zahl 57 erfordert selber eine Erklarung. Schwerlich
genligt die Auskunft, es handle sich dabei vielleicht urn eine ParaUele zur Geschichte
der Entstehung des Menschengescblechtes, wo 50 Jahre verlaufen, ohne dafi Maschia
und Maschiane zeugen, worauf sie dann 7 Paare hervorbringen , was 7 Jahren ent-
spreche (Fr. Windischmann, Zoroastrische Studien, Berlin 1863, S. 242f.); denn es
sieht stark darnach aus, als bezwecke diese Darstellung selber nur, ein schon fest-
stehendes Schema von 57 Jahren mit Inhalt zu fuUeu. Tatsachlich kehren die
57 Jahre, wie Windischmann (a. a. 0.) zeigt, anderwarts wieder, so namentlich in
der Sage von Epimenides : so lange namlich dauert nach Plinius H. N. VII 57 sein
Hohlenaufenthalt. Windischmann weist darauf bin, dafi 57 ^ 7 + 10 + 40 und
wiederum = 3 + (6x9) sei, und dafi jenes drei mj^stische Zahlen, dieses die drei
zarathustrischen Grundzahlen seien. Beide Erklarungen scheinen niir unbefriedigeud.
DaB durch Addition einer Mehrzahl von Posten, die iiberdies ebensogut anders
lauteu konnten (z. B. fehlt in der ersten Eeihe die Dreizahl), und erst recht, da6
durch eine Kombination von Addition und Multiplikation eine neue bedeutsame
Zahl gewonnen wird, ist meines Wissens ohne Beispiel. Auch weifi ich nicht, was
es rait den augeblichen „zarathustrischen Grundzahlen" aiif sich hat. Ich vermute,
das Entscheidende sei, dafi 57 = 3 x 19 ist, und dabei denke ich an die Bedeutung
der 19 -Zahl als Kalenderzahl, wie man sie aus dem 19jahrigen Mondzyklus des
Meton (um 432 v. Chr.) kennt, dessen Verbreitung nach Osten schon durch die Tat-
sache bekundet wird, dafi die 19jahrige Schaltung auf dem Boden spatbabj'lonischer
Kultur nachgewiesen ist (vgl. A. Jeremias , Haudbuch der altorientalischen Geistes-
kultur, Leipzig 1913, S. 158). Ein solcher fester Jahreszyklus konnte, mochte ich
meiuen, so gut wie z. B. eine Jahrwoche (vgl. u. a. Dan. 9, Henoch 93. 91, 12 — 17,
IV. Esra 7, 43) zur apokalyptischen Einheitszahl werden , die sich beliebig steigern
liefi. Verdreifachuug als Steigerung ist gerade im Persischen besonders beliebt,
vgl. z. B. Dahakas 3 Mauler, 3 Schadel, 6 Augen (Yasna 9, 8) oder Yimas dreimalige
Erweiterung der Erde, durch welche den sich mehrenden Geschopfen Kaum ge-
schaffen wird (Vend. 2). 6 x 19 = 114 ware dann einfach als Aveitere Steigerung
der apokalyptischen Grundzahl z\\ verstehen.
54 Alfred Bertliolet,
yajjovair oi'ts yafiiCoi'Tcci^). Nach Biindahish 30, 7 auferstehen die
Menschen in ganz bestimmter Ordnung; von einer solchen wei6 audi
I. Kor. 15, 23: txaaroc tv rr;7 idico Ticyfatri. Wiederum sind die Be-
weise fiir die Moglichkeit der Auferstelumg hiiben nnd driiben gleiche.
So antwortet auf die Zweifel eines Sadduzaers Gebia ben Pesisa:
„Welie eucli, ilir Sclnildigen, da6 ilir sagt, die Toten leben niclit
wieder auf; wenn schon das, was noch niclit war, Leben bekommt,
wie viel nielir das, was schon Leben liatte!"^) Und im Bundaliisli^)
argumentiert Ormazd: „Wenn das, was noch iiicht war, damals (bei
der Schopfnng) geschaffen wurde, warum sollte man nicht das wieder
hervorbringen konnen, was schon war?"
Vereinigt sich das nicht alles zum Beweis, dafi jiidischer Auf-
erstehungsglaube iiberhaupt vom persischen abhange? Aber so ein-
fach liegen die Dinge niclit. Tatsachlich betreffen die angefiihrten
Beriihrungen docli ziemlich nebensachliche Dinge, und vielleicht stellt
sich auf die Hauptsache besehen das Verhaltnis noch anders dar.
Was schon zu denken gibt, ist die Tatsache, da6 die jlidischen Auf-
erstehungsvorstellungen weit davon entfernt sind, einheitlich zu sein.
Da springt vor allem in die Augen das unmittelbare Nebeneinander
der Erwartuug einer allgemeinen Auferstehung und einer blo6 parti-
ellen, wahrend der Parsismus ausschlieClich eine allgemeine kennt;
unwesentlicher ist, und namentlich ist es nicht ganz ohne parsistische
Paralleled), dafi bald der Messias, bald Gott selber als Totenerwecker
erscheint. Nun liegt vielleicht gerade in der Unausgeglichenheit der
jiidischen Vorstellungen ein Hauptbeweis fiir die Annahme fremden
Einflusses.
Aber ehe nach dieser Seite liin ein Entscheid gefallt wird,
will — eine der Selbstverstandlichkeiten, die gelegentlich zu betonen
doch nicht ganz iiberfliissig ist — die Moglichkeit einer organischen
Entwicklung eiuheimischer jiidischer Gedanken wohl erwogen sein.
Dabei mag gerade jenes Nebeneinander der Erwartung einer partiellen
und einer allgemeinen Auferstehung den Ausgangspunkt bilden. Hat
jiidischer Glaube an eine allgemeine Auferstehung seine persische
0 Vgl. schon Hen. 15, 7.
^) b. Sanhedrin Ola. Weiteres Material bei P. Volz, Judische Eschatologie
von Daniel bis Akiba, Tubingen und Leipzig- 1903, S. 133.
'') 30, 6 ; a. a. 0. S. 35f3. Weitere Analogien zu dieser Stelle bei N. Soederblom,
La vie future dapres le Mazdeisme 1901, S. 262 f.
*) Zwar stellen Soshyans und seine Gebilfen die Toten wieder her (Bund. 30, 7);
aber Ormazd kann (ebenda 5) sagen, dafi er die Auferstehung mache.
Persischer uud judischer Auferstehungsglaube. 55
Parallele, so fragt sich zunaclist, ob niclit wenigstens zur Erklarung
des Glaubens an eine partielle die inner jiidisclien Pramissen aus-
reichen. Und liier ist man meines Erachtens iiber die beriilimte
Vision Hesekiels von den zum Leben zuriickkehrenden Totengebeinen
(Kap. 37) aus einer allerdings ebenso natiirliclien wie berechtigten
Reaktion gegen eine traditionelle Auffassung, der das Kapitel zum
locus classicus des Aufersteliungsglaubens im vSinne christlicher Dog-
mat ik geworden war, neuerdings vielfacli zu leiclit hiuAveggeglitten.
Wohl sind die ,.Totengebeine" der Vision keine Toten, sondern
Lebende, die im Exil zerstreuten Glieder des Volkes, und dem-
entsprecliend bedeutet ihre Wiederbelebung lediglicli die politische
Wiederherstellung des Volkes. Aber daB dieser Gedanke sclion um
586 unter dem Bilde einer Auferstehung der einzelnen Volksglieder
ausgesprochen wird, ist eine Tatsache, die immerhin Beach tung ver-
dient, zumal wenn man sich vergegenwartigt, wie schwer es antikem
Denken fiel, die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit scharf zu
Ziehen. Nebensachlicher ist fiir uns die sich sofort anschlieBende
weitere Frage, wie Hesekiel auf dieses Bild gekommen sei. Ist es
als geistige Neuschopfung im Spiegel seines visionaren Schauens vor
ihm aufg-etaucht, oder stammt es aus vorhandenem, am Ende selber
wieder auslandischem Gedankenbesitz ? Bedenkt man, wie auch sonst
mannigfach gelehrte Elemente in Hesekiels Visionen hineinspielen, so
liegt die Vermutung nicht fern, es melde sich hier die Erinnerung
an das Wort eines alteren Propheten, von dem sich Hesekiel ofter
abhangig zeigt, Hoseasi): „er wird uns beleben nach zwei Tagen,
am dritten Tag uns auferstehen lassen, dafi wir vor ihm leben".
DaB es sich dabei von Haus aus wahrscheinlich nur um das Bild des
zum Leben zuriickkehrenden, von seinem Lager wieder aufstehenden
Kranken handelt^), tut wieder nichts zur Sache; denn wer vermag
zu sagen, ob Hesekiel nicht doch vielleicht schon mehr aus den
"Worten herauslas? Sei dem wie ihm wolle, es bleibt bei seinem
Bilde: die Volksglieder durch Auferstehung zum neuen Volk sich ver-
einend, das Trager der kiinftigen Herrlichkeit werden soil. Gedanken
sind Eealitaten und als solche eine, wenn auch verborgene, Saat auf
Zukunft. In der Zwischenzeit stachelte zunehmender Vergeltungs-
>) 6, 2.
2) Zu n;;iri = von Krankheit genesen vgl. Jes. 38, 16 b, zu c^ip = vom Kranken-
lager aufstehen Ps. 41, 11 und i; vor allem ist der Zusammenhang mit 'inn uud NB'i
Hos. 6, 1 zu beachteu, vgl. Dtn. 32, 39.
56 Alfred Bertholet,
giaube die jiidischen Gemiiter, walirend zugieicli die Ansprilche des
religiosen Individuums wuchseni). Als eiidlich in den Tagen der
syrischen Bedriickung unter Antioclins Epiphanes die Not der Frommen
den Gipfelpunkt erstieg, scliien es, als konne die Wende, da das
Reich „dem Volk der Heiligen des Hoclisten" zufallen sollte^), nicht
melir langer saumen. Sollten dann aber bei seinem Erscheinen die
Volksglieder, welche iliie Frommigkeit mit ilirem Leben besiegelt
batten, ganz leer ausgehen und umgekehrt die Abtriinnigeu um niclits
von den verstorbenen Frommen verschieden sein? Die Losung- dieser
unertraglichen Spannung bringt die bekannte Verkiindignng in Dan. 12,2,
in welcher der Durclibrnch vom Gedanken einer bildlichen zur Er-
wartung einer wirklichen Auferstehuug ,,Vieler" vollzogen ist^).
AVie man sieht, hat es nichts Unmogliches, sich diesen Auf-
erstehungsglauben auf dem Wege einer rein inneren Entwicklung auf
jiidischem Boden erwachsen zu denken. Es ist richtig bemerkt
worden-"), die Doppelseitigkeit der Auf erst ehung in Dan. 12 sei ein
Zeichen dafiir, da6 der Auferstehimgsglaube durch den Vergeltungs-
gedanken in seiner Anwendung auf das Individuum genahrt worden
sei. Die beste Probe aufs Exempel liefert Hen. 22, 13, wo von einem
besonderen Aufenthaltsort flir die Siinder die Eede ist, die nicht mit
auferweckt werden sollen. Aus einem Vergleich mit dem 10. Vers
desselben Kapitels ergibt sich, da6 es sich um die handeln mu6, iiber
welche „ein Gericht schon zu ihren Lebzeiten eingetroffen ist",
Wollte man in einem solchen Auferstehungsglauben dagegen eine
persische Anleihe sehen, so ware erst zu erklaren, wie aus der
Erwartung einer Auferstelmng der Menschen schlechthin die Be-
schrankung auf die ,,Vielen" entstanden ware. Vielleicht bliebe man
die Antwort schuldig.
Und docli hieBe es moglicherweise zu weit gehen, persischem
Auferstehungsglauben jeden EinfluB bereits auf die Entstehung des
jiidischen absprechen zu wollen. Es ist an sich schon nicht wahr-
scheinlich, da6 den Juden, welche fiir die religiosen Anschauungen
ihrer Beherrscher ein feines Organ hatten, persischer Auferstehungs-
glaube verborgen geblieben sei. In wie weit freilich Anregungen. die
') Dafiir ist Hi. 19, 25 ff . ein klassischer Beleg , welches audi der genauere
Sinn der dunkeln Stelle sei. In denselbeu Zusammenhang gehort vermutlich Jes. 53, 11.
2) Dan. 7, 27.
*) Der andere alttestamentliche Hauptbeleg flir AHferstehungserwartung (Jes.
26, 19) ist vielleicht etwas jiinger, vgl. oben S. 52 Anm. 2.
*) Volz, a. a. 0. S. 129.
Persischer uiul judischer Auferstehungsglaube. 57
von soldier Seite kamen, positiv mit in Rechnnng zn stellen sind.
wird nie genauer zn bestimmen sein. Es ware aber verkehrt, GroBen
in ilirem Gewiclit darnm unterscliatzen zn wollen, weil sie ihrer
Natnr nach Imponderabilien sind. Uberdies ist niclit zu vergessen,
da6 zu den charakteristischen Ziigen des Spatjudentnms das Streben
geliort, das, was die Fremden an geistigen Giitern besafien, in den
Eigenbesitz aufznnehmen, ware es ancli nnr, nm sicli von Niclitjuden
in nichts beschamen zn lasseni). Vielleicht ist schon in der Aus-
malnng der Aufersteliungserwartnng in Daniel ein gewisser persischer
Einschlag niclit zu verkennen: da6 die Auferstandenen lencliten sollen
wie der Glanz der Himmelsveste oder wie die Sterne, ist viel elier
als aus innerjiidisclien Pramissen ans einer Religion herans zn ver-
stelien, die wie die persisclie das Liclit zn ilirem Elemente hat.
Ferner mag es fraglich erscheinen, ob der Gedanke einer ewigen
Daner der Auferstandenen, wie er in der Danielstelle dnrchsclieint2),
rein jiidischer Vorstellungsweise entstammt. Sie ist sonst so real.istisch,
da6 sie sich auch das Leben der Seligen nicht anders als begrenzt
denkt, z. B. so, da6 es der Jllngste auf wenigstens 100 Jahre bringen
werde^). Dagegen scheint die neue Ewigkeit der Auferstandenen
innerlicli zusammenzuhangen mit der Eingliederung der Anferstehung
in eine allumfassende kosmische Umgestaltung und Neuordnung, die
als Gauzes vermutlich iiberhaupt auBerjiidischen Gedankenkreisen ent-
lehnt ist.
Erwagungen dieser Art mahnen zur Vorsicht, wenn man etwa
denken wollte, der Fortschritt vom Glanben an eine partielle Anf-
erstehung zum Glauben an eine universale sei in sich so natlirlich,
daB man ihn sich am besten als organische inner jlidische Ent-
wicklnng vorzustellen habe. Ware solche Entwicklung wirklich so
natlirlich gewesen, so begriffe man schon nicht, da6 sich der Glaube
an eine allgemeine Anferstehung iiur mit vieler Mlihe durchsetzte.
Ganz unzweideutige Aussprilche alterer Rabbiuen, die die Anferstehung
aller Menschen behaupten wiirden, linden sich iiberhaupt nicht \), und
wo dieser Glaube in der spatjiidischen Literatur auftritt, da stoBt er
sich zunachst, zum Teil innerhalb einer und derselben Schrift, ja
einer und derselben Anssage, mit entgegengesetzten Vorstellnngen
^) Vgl. meine Ausfuhrung-en iu ,, Das religionsgeschichtliche Problem des
Spatjudentuins" 1909.
2) „Auf immer und ewig" Dan. 12, 3.
•') Jes. 65, 20.
*) Volz, a. a. 0. S. 247.
58 Alfred Bertholet,
aiifs empfindlichste 1) : so wenig einheitlich laufen hier die Linien,
da6 man immer wieder zur Annahme einer Kreuziing jiidisclier imd
aiiBerjudischer Gedanken gedrangt wird, bei der denn audi die Be-
riihrungspniikte, von denen wir ausgegangen sind, nicht weiter be-
fremden kunnen.
Bei alledem ist Voraussetzung, da6 persischer Auferstehungs-
glanbe zeitlieli hoch genug hinaufreiche, um den Glauben des vor-
cliristliclien Judentums liaben beeinflussen zu konnen. In dieser Hin-
sicht ist es erfreulicli, da6 man nicht nur vom Zengnis von Stellen
des Avesta, deren Dentuug oder deren Alter zum Teil nmstritten ist,
abhangt-), sondern aus den Mitteilungen griechisclier Autoren gewisse
chronologisclie Anhaltspnnkte gewinnt. Und hier darf man iiber Theo-
pomp zuriick, welchen Diogenes von Laerte^) und Aeneas von Gaza 4)
als Zeugen fiir eine Kenntnis persischen Auferstehungsglaubens an-
sprechen, hochstwahrscheinlich schon Herodot nennen; denn wenn er
an einer in ihrer Bedeutung zuerst von Windischmann •^) erkannten
Stelle^) dem Perser Prexaspes die Worte in den Mund legt: „wenn
dann die Toten auferstehen, so mache dich (Kambyses) gefafit, da6
audi Astyages der Meder gegen didi aufstehen wird; wenn es aber
ist wie vordem, so wird dir von ihm nidits Neues erspriefien", so
beweisen diese Worte zwar nidit, dafi Prexaspes an eine Toten-
auferstehung geglaubt habe; aber „sie erklaren sich am un-
gezwungensten, wenn Herodot das persische Dogma kannte und sidi
seiner zur Kolorierung der Eede eines persisdien Mannes bediente" ').
Unter soldien Umstanden hat es weniger gegen sidi, wenn wir im
obigen zum Vergleich des persischen und des jiidischen Auferstehungs-
') Vgl. z.B. in Test. XII Patr. : allg-eineiiie Aufei'stelnnig' Test. Beiij.lO; partielle
Test. Juda 25, Sim. 6, Seb. 10; in der syr. Baruchapokalypse: allgemeine 42,7. 50,2;
partielle 30,1—3, wahrscheinlich 21, 23f. — Apok. Moys. 10. 41 setzt allgemeine
voraus; dagegen lieifit es 13: alles Fleisch von Adam bis zu jenem groBen
Tag wird auferstehen, alle, welche beiliges Volk sind!
2) Vor allem kommen in Betracht die Stellen Yasbt 19, 88ff. und Fragment IV
bei Westergaard, Zendavesta, Copenhagen 1852 — 54, S. 332 (in meinem Beligions-
geschichtlichen Lesebuch S. 355 f.). Ob z. B. Yasna 48, 4 eine Anspielung auf die
Auferstehung enthalte, steht nicht fest (vgl. am letztgenannten Ort S. 329 Anm. 4).
=>) Prooemium 9 (S. 2).
••) Dialog, de animi immortalitate, S. 77. — Wie es sich mit Plutarchs (de Is.
et Os. 47) xlXoq 6' anolEinEaO-ai ror^AidTjv verhalte (vgl. E. Boklen, a. a. 0. S. 102ff.),
wage ich nicht zu entscheiden.
••) Zor. Studien 1863, S. 236.
6) III 62.
') Vgl. C. Clemen im Archiv fiir Religionswissenscbaft XVI (1913), S. 120 f.
Persischer uiul jiidisclier Auferstehuugsglaube. 59
glaubens ein so spates Buch wie den Bundahish, der anerkannter-
maCeii alte Traditionen treii wiedergibt, starker lierangezogen liaben.
Gegeii parsistische Beeiullussung des jiidisclien Aufersteliimgs-
glaubens darf man nicht einwenden, dal3 im Judentum der Gedanke
der djioxaxdoraijn;, der im Parsismus mit der Auferstehungserwartiing-
innerlich verkniipft ist, schlecliterdings fehle^). Hier ist einfach zu
sagen, dal3 er jlidiscliem Empfinden zu wenig „lag", um assirailiert zu
werden. Umgekehrt freilich darf man der Erkenntnis eklektisclien
Verfahrens bei der Uberualime persischer Yorstellungen ins Jiidische
die uns niclit nnwillkommene Bestatigung entnelimen, dal3 persisclier
Aufersteliungsglaube nicht wohl die primare Quelle fiir eine Auf-
erstehungserwartung auf jiidischer Seite gewesen sein kann.
SchlieUlich bleibt aber noch eine Schwierigkeit im Rest, an der,
soviel ich sehe, alle. die sich mit den einschlagigen Fragen befafit
haben, mit Ausnahme des Graf en Baudissin-), mehr oder minder
achtlos voriibergegangen sind. Bei den Juden erscheint die Auf-
erstehung, sei es partielle, sei es allgemeine, als ein Erwachen ans
dem ..Schlaf im Erdenstaube"^). ,,Die Erde gibt wieder, die darinnen
ruhen"^). Gerade dieser Gedanke aber ist den Persern fremd und
muBte ihnen fremd sein, da sie ihre Toten ja nicht begruben, sonderu
aussetzten. Bei dieser Bestattungsart verliert sich der Korper an
die Ellemente, wie denn audi im Bundahish •') seine Wiederherstellung
folgerichtig so dargestellt wird, daS er von ihnen zuriickgefordert er-
scheint, die Gebeine vom Geist der Erde, das Bint vom Wasser, die
Haare von den Pflanzen, das Leben vom Feuer**). So folgerichtig
vom persischen Standpunkt aus eine derartige Auffassung von der
Riickkehr zum Leben ist, so nimmt sie sich doch wie eine aus ge-
lehrter Reflexion heraus geborene Yermittlungsauskunft aus, unter
der nur lialb verhlillt das Problem durchscheint, wie es denn eigentlich
unter einem Volke, das seine Leichen auszusetzen pflegte, iiberhaupt
zum Glauben an Auferstehung. d. h. doch unverkiirzte Wiederherstellung
') Hochstens fiir Siinder aus den Juden erwartet man gelegentlich eine Be-
gnadigung, weil sie als Juden Anspruch auf Seliglieit liaben: so z. B. Edujoth II 10;
aber gerade von dieser Stelle gilt im iibrigen: „hen is eternal'' (Castelli in Jewisb
Quarterly Review I, 18S9, S. 345).
•^) Adonis und Esmun 1911, S. 419 ff.
3) Dan. 12, 2.
*) IV. Esra 7, 32.
5) 30, 6, a. a. 0. S. 356.
^) Dazii mag allerdings wiederum die jiidische Parallele im slaviscben Hen. 30
herangezogen werden.
60 Alfred Bertholet,
der Leiblichkeit '), liabe kommen konnen. Aiiferstehnngsglaube sclieint
doch niir an eine Bestattungsart anknupfeii zu konnen, die den Korper
so viel wie moglich in seinem Zustande erhalt, wie es demi aiicli kein
Zufall ist, dafi z. B. in Agypten mit der Erwartiing einer Toten-
auferstehung die Sitte der Leiclieneinbalsamiening Hand in Hand
geht. Dagegen ist niclit abzusehen, wie von der Praxis der Leiclien-
aussetznng ans ein Weg organisclier Entwicklung znr Aufersteliungs-
erwartnng gefiilirt liaben sollte. So weit liegen diese und jene aus-
einander, dafi sich der Vermntung im Grnnde nur die Alternative
anfdrangen kann: entweder liaben die Perser den Auferstehungs-
glanben ilirerseits ans fremder Quelle bezogen, oder der Zeit, da sie
ihre Leiclien aussetzten, ging eine voraus, in der sie sie zn begraben
pflegten.
Es diirfte nicht leiclit sein, eine fremde Quelle aufzudecken, aus
der den Persern Anfersteliungsglaube zugeflossen ware. An diesem
Punkt versagt nicht bloB das Arisclie, sondern audi, Avie es sclieint,
das Babylonisclie^).
Uni so inelir wiire ich geneigt, der zweiten Vermntung Rauni
zu geben: da spricht denn schon die Tatsache der Acliameniden-
graber laut genug in ilirem Sinn. Daneben besitzen wir in Angaben
klassisclier Autoren einige bemerkenswerte Zeugnisse, die nacli einer
gleiclien Eiclitung liinweisen. Zwar wird man Xenoplion nicht zu
viel Glauben schenken. wenn er dem sterbenden Cyrus die Worte in
den Mund leg^t, man solle seinen Leib so rasch wie moglich der Erde
libergebeii; ri yaQ tovtov (laxaQUOTSQor rov yfj {fer/Orjrai;^) Audi
seine Anspielungen auf eine Erdbestattung des Abradates-") sind nicht
darnach, groBes Vertrauen zu erwecken. Nach Ktesias^) begrabt
Parysatis wenigstens Haupt und Hand des jiingeren Cyrus. Be-
merkenswerter scheint mir die Unterscheidung, die Herodot^) und
deutlicher nocli Strabo zwischen dem Branch der Magier und dem
der iibrigen Perser inachen. Nach Strabo') namlich Avaren nur die
1) Vgl. Bundahish 30,9 (a. a. 0. S. 357): Die Auferstandeneu erkeiineu ein-
aiider wieder. Im Judentum betont z. B. namentlich die syrische Baruchapokalypse
K. 50 das unveraiiderte Aussehen der Auferstandeneu.
'^) Vgl. H. Zimmern in E. Scbrader ,,Die Keilinschriften und das Alte Testa-
ment" ^ 1902, S. 6i3.
=>) Cyropaedie VIII 7, 25. *) Ebenda VII 3.
5) Persica 59. «) I 140.
') XV 3,20: &U71T0V0L dh xt]Q(p neQin'/.uaavxeq xa GWf^iura, xovq 6\ Mayovq
ov Q^anxovoiv, d?.?.' ouovo^Qcozovq ewoi.
Persischer und judischer Auferstebinigsglaube. 61
Leichen der Magier ausgesetzt, die librigen dagegen begraben worden,
iind zwar mit der Eigentiiinliehkeit, da6 man sie erst mit Wachs
iiberzogen liatte. Man hat dies letztere ans deni Bestreben lieraus
erkliiren wolleni), eine durcli die unmittelbare Berilhrung sicli er-
gebende Veruureinigung der Erde zii verliiiten. 1st diese Erklarung
aber nicht sclion zu tlieologiscb gefarbt, urn die urspriingliche zu
sein? Eichtiger dlirfte bereits Cicero-^) den Sinn des Branches ver-
standen haben. wenn er als seinen Zweck einfach die lange Er-
haltnng der Leiche angibt. Er stellt sich dann, was Cicero nicht
entgangen ist, als eine Parallele neben die agyptische Sitte der
Leicheneinbalsamierung, und wenn wir eben auf den inneren Zu-
sammenhang dieser Sitte mit dem Glauben an Auferstehung auf-
merksam zu machen hatten, so unterlassen wir nicht, diesen Zu-
sammenhang hier wenigstens noch einmal in Erinnerung zu bringen.
Ubrigens laBt sich, selbst wo die Leichenaussetzung niclit zweifelhaft
ist, teilweise der Branch nachweisen, da6 die des Fleisches ent-
bloBten Gebeine noch irgendwie begraben wurden^). Das sieht nach
einem KompromiB aus, wie es sich leicht einstellt, wo eine altere
Sitte durch eine abweichende jiingere abgelost wird. SchlieBlich
wei6 ich nicht, ob man nicht in einem bis heute") in einigen
Gegenden des Gujarat beobachteten avestischen Branch die Nach-
wirkung der alteren Sitte des Erdbegrabnisses zu erkennen hat: es
handelt sich urn eine Zeremonie, die vor der Uberfiihrung der Leiche
zum Dakhma stattfindet. Der Vendidad 5) beschreibt sie: „Dort soUen
die Mazdahanbeter in der Erde eine Grube ausgraben: bis zur Mitte
der Beinhohe in hartem Erdboden, bis zur Leibesmitte eines Mannes
in weichem Erdboden; hinbringen sollen sie ihm als Lager Asche
Oder Mist; oben liber ihm sollen sie Staub von Ziegel oder Stein
Oder von trockenen Erdarten hinbringen. Dort nun sollen sie den
leblosen Leib niederlegen auf die Dauer von zwei oder drei Tagen
oder von einem Monat'' . . .
1) z. B. Rapp in ZDMG XX (1866), S. 56.
2) Tusc. I 45.
3) „iiuda dernum ossa terra obnumt", heifit es in Jun. Justini Epitoma His-
toriarum Philippicarum Porapei Trogi XLI 3, 5. Vgl. ferner die von Rapp (a. a. 0.
S. 54 Anm. 6) angefUhrte Stelle aus den Acta Martyr. S. 78. Namentlich wird die
vielbesprochene Herodotstelle (1 140) ov tiqotsqov S^ametai arSQog TliQGeoj 6 vixvq
TiQiv uv V7i' OQviQ^og 7] xvvog hXavaH^y in diesem Siune zu versteben sein.
*) Siehe N. Soederblom in Hastings, Encyclopaedia of Religion and Etbics IV,
S. 503 a.
=) Yin S f. (Fr. Wolff).
02 Alfred Bertholet, Persischer und judischer Auferstehungso-laube.
Nach diesen Andeiitungen, die sicli unschwer vermeliren lieBeni),
mochte es sicli leiclit so verhalten, da6 es sich bei der von den
„Mag'iern" anfg-estellten Forderung der Leichenaussetzung, wie sclion
Spiegel 2) vermntet hat, nm einen Brancli handle, der von Haus aus
ein lokal beschriinkter war und erst allmahlich, zum Teil durch Kom-
promisse hindurch, zu allg-emeiner Anerkennung durchdrang. Dann
begriffe sich meines Erachtens die Anferstehungserwartiuig als hervor-
gegangen aus Kreisen, in denen urspriinglich die Erdbestattung iiblich
war. Aber ich bin mir wohl bewufit, da6 dariiber das entscheidende
Wort zu reden nur dem Iranisten zusteht.
Und so wird der Alttestamentler, der auf dem Gebiete des
Spatjudentums arbeitet, iiberhaupt immer wieder urn Auskunft an
ihn gewiesen. Als ein Ausdruck personlicher Dankbarkeit flir das in
dieser Hinsicht vom Empfanger dieser Schrift Ausgegangene mochten
die obigen i^usfiihrungen verstanden sein.
') Vendidad 1 12 berichtet selbst davon, daB man in Harahvati die Toten be-
g-rabe. Vgl. ferncr z. B. die Ang-abe des Agathias II 23 von den „tv/jj3oi xcu ^Tjxai
Tuir ncO.ai TE&veaiTior^' tv T{j Mijdixy.
-) Erauisclie Altertumskunde III, 1878, S. 705: „Wir glauben, daB die Sitte, die
Toten den Hunden und Vogehi hinziiwerfen, zuerst am Nordrande Irans einheimisch
war, wo die Nahe einer groBen Wiiste eine solche Bestattung sehr einfacb machte,
da6 aber in den bebauten Teilen Irans, namentlich in Sudiran, andere Arten der
Bestattung im Gebraucbe waren, die aber durcb den EinfluB der Magier uacb und
nacb verdrangt wurden." Abnlicb audi Wilbelm Geiger, Ostiraniscbe Kultur im
Altertura 1882, S. 266 f.
Gottingen. Alfred Bertholet.
RESTE VON MANU-LEGENDEN IN DER IRANLSCHEN
SAGENWELT.
Dem Forscher, der die iranische Sagengeschiclite durclimiistert.
ergibt es sich bald, da6 eine ganze Reilie von sag'engescliiclitlicheii
Figuren ursprlingliche Typeii des ersten Mensclieii sind, die von ver-
schiedenem Ursprung sind, und von denen die meisten im Lanfe der
Zeiten sich so stark verandert haben, da6 z. B. in der Fassung, in
welcher sie bei FirdausT erscheinen, kaum etwas iibriggeblieben
ist, woraus man gleich beim ersten Anblick schliefien konnte, daS
sie sicli ans dem Typus des ersten Mensclien entwickelt batten').
Von den indischen Urmenschen sind ims Vivas vat und Yam a
aus den iranisclien Legenden sebr wohl kekannt. Man fragt sich dann
natiirlich, ob nicht auch der Urmensch Mann sich in der iranischen
Sagenwelt nachweisen lassen sollte. Falls die gewohnliche Theorie^),
da6 dieser Manu derselbe ist wie der germanische Urmensch Mannus,
der Sohn des Gottes Tuisco, des Sohnes der Erde (Tac. Germ. 2),
richtig ist, ware Manu eine urindoeuropaische Gestalt, also wohl
iiberhaupt der alteste Typus des ersten Menschen, der sich auf indo-
europaischera Boden nachweisen lieBe. In Indien hat man den Manu
ebenso wie den Yama zum Sohn des Vivasvat gemacht; ob dies die
gewohnliche Auffassung schon zur Zeit des Rgveda war, ist unsicher,
nach 01denberg3) aber nicht unwahrscheinlich. Bei Manu wie bei
Vivasvat wird die sakrifikale Seite des Urmenschen betont; Manu ist
der erste Opferer, sein Opfer ist der Prototypus des gegenwartigen
Opfers. Indra trinkt den Soma des Manu, drei Teiche voll, urn sich
zum Kampf gegen Vrtra zu stiirken. Agni ist der von Manu ein-
gesetzte, von Manu entflammte; man bittet diesen Gott, beim gegen-
wartigen Opfer seines Amtes zu walten, wie er es fUr Manu getan
^) Eine ausfilhrliche Untersuchung- lil)er die verschiedeiien Typen des ersten
Menschen bei den Iraniern bereite ich vor.
-) S. z. B. Schrader, Indog-erm. Eeallex., Artikel „Manu".
3) Religion d. Veda, S. 275 Fufinote.
64 Arthur Christensen,
liat, als dieser die Getter ,,mit der ersten Opferspende verehrt liat,
entflammten Feuers, aiifmerksamen Geistes, mit den siebeii Priestern" i).
An Manu kniipft sich die indisehe Sintflntsage. Die Eolle, die
der fabelliafte Fisch in dieseni Bericht spielt, deutet daranf hin, da6
die Inder die Sage von den Bab3^1oniern bekommen liaben'^), mit
denen sie ja in einera sclion friihen Altertum auf dem Seewege einen
regen Handelsverkelir gepflogen haben. Mann ist der Urvater der
Menschen, wird aber oft besonders als der Stamnivater des Arya-
Volkes genannt. Bisweilen werden die Plnralformen manavah und
manushah audi im Rgveda zur Bezeiclinnng der Gotter gebrauclit,
nnd diese Ausdriicke werden dann durcli manu-jata „von Mann ge-
boren" kommentiert, ein Epitlieton, das ancli vom Gottergeschleclit
gebrauclit wird^).
In der iranisclien Sagengescliichte sind nnr wenige Spuren des
Urmensclien Manu iibrig geblieben. Denkard V 4. 3 kommt Manns
als Personenname vor. Hier werden in der Reilie der Urgestalten,
nacli Ta/moruw, Yim und FreSiln, genannt: Erec, das Kleinod von
Iran, und Manus, Manus;^' arnar und Manuscihr*). An einer anderen
Stelle des Denkard (VII 2. 70), bei der Aufzalilung der Vorvater von
Zoroaster, wird Manuscilir, Konig von Iran, als Sohn des Manus;f^arnar
genannt, des Solines des Manus/'arna/, welclier im neunten Grad dem
Erec entstammte, dem Sohne des den ganzen X'anlras beherrsclienden
FreSun. Dieser Stammbaum kommt audi in den Scliriften des Za9-
sparam (XIII 5) und ansfiihrlicher im Bundaliisn (XXXI 11—14) vor.
Manuscilir ist hier der Solm des Manus/^arnar^), welclier der Sohn
des Manns/^arna/ — auch Manus-i-;f'^arse6-venT7 genannt, well das
Licht der Sonne (;j'*arse6) bei seiner Geburt auf seine Nase (veni/)
fiel — und seiner Schwester und Gattin") ist. West schreibt in
einer Note zur Stelle'), die Bezeichnung ;^'arna7 scheine nnr
1) Oldenberg, Rel. d. Veda, S. 275—76.
^) Vgl. den Fischiiienscben Oannes bei Beros.sos und den Gott Ea im Scbuppeu-
gewand; F. Jeremias in Chantepie de la Saussaye, Lebrb. d. Eeligionsgescb.^ 1283.
^) Bergaigne, Religion vedique I 69.
■*) So nach der Lesart bei Madan; Pesbotans Text bat nur: Erec, das Kleinod
von Iran, Manus/varnar und Manuscibr.
*) Die Lesart ymrnar, nicht etwa yjarrnr^ stlitzt sicli auf die Pazendscbreibung
in K. 20.
'^) In der Handscbr. TD: ;,[Sobn] des Manus und seiner Scb wester", in K. 20 b:
„[Sohn] des Manusbucibr und des Manus;;var.se8".
■) Pablavi Texts 1131.
Keste von Maim-Legenden in der iranischen Sagenwelt. 65
eine Umschreibung' des Awestawortes zii sein. wo von /^arsed-veiiT/
eine Ubersetzimg sei. Dies Awestawort wird dann von Justin) durch
*ManusliYaranaDha wiedergegeben.
Die im Bund, gegebene Erklarung- vom Ursprung des Namens
Manus/'arna/ ^ Manus;^'^arse6yenl7 ist ganz offenbar eine iitiologisclie
Sage. Das Wort /'arna/ ist als aus aw. luar- und nah-, nanhan- ent-
standen ausgelegt worden, und man hat dann durcli falsclie Uber-
setzung die Form Mauus/^arsedvenT/ bekommen, zu deren Erklarung
die alberne Sage erfunden worden ist. In Wirkliclikeit hat ;j'arna/
sicher nichts mit aw. hvar- und nah-, nanhan- zu tun; es laCt sich
am einfachsten erklaren als eine Transkription des awestischen
X'arsnanh- mit Pehlevi- Suffix. Und y^arnar ist wohl audi nur eine
durcli Volksetymologie -) umgestaltete Wiedergabe desselben Awesta-
wortes. Sonst konnte man audi Manus^^arnar fur eine falsche Lesart
fiir Manus/'arvar halten, indem /'arvar eine adjektivische Bildung zu
dem aus /^arananli- transkribierten ;<'ar(n) ware. Manus;^'arna/ und
Manus/'*arnar (oder -/'arvar) waren somit Dubletten und beide gleicli
Manus.
Diese Vertreter des alten Manu sind aber eigentlicli nur leere
Namen. Die einzige Erinnerung daran, daB sie einen Urmenschen
repriisentieren, liegt in ihrer iibernatiirlidien Geburt. Nadi dem
Denkard (YII 2. 70) und den Sdiriften des Za6-sparam (XIII 6) war
der Vater des Manus;f^arna}' der Gott Nerjosang, wahrend die Mutter
Viza/ eine Toditer des Erja/ war, [des Sohiies] des Srita/^), [des
Sohnes] des Bita/, [des Sohnes] des Frazusa/, [des Sohnes] des Zusa/,
[des Sohnes] des Fraguza/, [des Sohnes] der Guza/, [der Tochterj des
Erec. Tabarl hat-*) zwei Beridite; in eiuem sind alle neun Zwisdien-
glieder zwisdien Erec und Manus/'' arna/-^) Manner, in dem andern
sind sie alle Frauen, und es wird dann erziihlt, da6 Fredun, der Vater
des Erec, sich mit der Tochter des Erec paart; sie gebiert eine Tochter,
mit welcher Fre5un sich wieder paart, und so geht es fort, bis die
letzte in der Reihe, Viza/, einen Sohn und eine Tochter (hier Manus-
1) Namenbuch, S. 193.
-) ]\Ianus;,f\ar + nar. In verschiedenen Tabarl -Handschrif ten linden sich Les-
arten, die auf eine Form Manusp^^ar zurtickgehen.
=*) art- transkribiert aus av. d^ri-.
'*) I 430—432.
5) Die Namen sind natiirlich in der arabischen Schrift ein wenig verstihnmelt,
lassen sich aber leicht erkennen. Erja/ ("^Z') und Srita/ (ji!.ij^) sind in der
ersten Version umgetauscht worden.
Andreas -Festschrift. 5
66 Arthur Christensen,
X'^'arna/ imd Mannsp^'ara/ g-enannt) gebiert, welche sich miteinander
paaren und eineii Solni iind eine Tochter (Manus/^'arnar und Manus-
;^'*'arva/ [?] i)) bekommen, die miteinander den Manuscihr zeugen. Nach
diesem letzten Bericlit ware FreSun also zur selben Zeit der Vater
des Maniis/'^arna/ und der Stammvater im neunten Gliede der Mutter
des Manus/'arna/. Es unterliegt keinem Zweifel, dafi die Form der
Sage, nach der der Yater des Manus/^arna/ ein Gott (Nerjosang) war,
die urspriingliclie ist: Manus als erster Menscli muB einen Yater ge-
habt liaben, der niclit dem Menschengeschleclit angehort. Die zweite
Yersion bei TabarT — welche iibrigens auch bei anderen islamischen
Schriftstellern vorkommt — ist natiirlich eine priesterliche Legende,
die dem Geschlecht des Manuscit9ra einen besonderen Glanz verleihen
soil, indem sie ihn aus einer fabelhaften Eeihe von /^'eOva/das-Ehen
hervorgehen lafit. Wenn aber der Bericht, welcher Nerjosang zum
Yater des Manus/' arna/ macht, der alteste ist, dann ist Yiza/,
das letzte der sieben Zwischenglieder zwischen Erec und Manus;{'arna/,
im Gegensatz zur ersten Yersion des Tabarl, eine Frau. Dasselbe
gilt gewiS von Guza/, welche Bund. XXXI 9 ausdriicklich als die
Tochter des Erec bezeichnet wird^). Guza/ ist aber einfach eine
spatere Form des Namens Yiza/. Guza/ und Yiza/, das erste und
das letzte Glied der Reihe, sind dieselbe Person, und alle da-
zwischen eingeschobenen Namen sind von den priesterlichen Genea-
logen erdichtet^). Diese Genealogie ist augenscheinlich erst zu einer
Zeit ausgekliigelt worden, wo der Ubergang der Silbe ri im Anlaut
in gu sich vollzogen hatte, ist also ziemlich spat.
Der Sohn des Manus/^arnar, Manuscihr, der „Manu-Spro6", ist
also in Wirklichkeit der „Manu-Sohn". Die alteste uns bekannte
iranische Quelle, wo Manusci»9^ra erwahnt wird, ist der Fravardin
Yast (Yt. 13. 131). Er ist hier einfach der Sohn des Airyava (Erec).
tJbrigens enthalt die Stelle nichts anderes als eine Anrufung des
Fravahr des Manusci.'Ira. In der spateren Literatur kniipft sich an
1) Geschrieben Manusrarva/.
-) Bund. XXXI 14 bat dieselbe Eeihe wie Denkard VII 2. 70 und Zafi-sparam
XIII 6. Eine Vergieichung mit den genanuten Denkard- und Za6-sparara - Stellen
zeigt, dafi man mit TD lesen mufi: ke mad Guzay „[Manus;{varnay], dessen Mutter
die Guza/ war", und nicht, wie West gelesen hat: „[Manus//arna/], welcher 'Mani-
sozay (d. h. Mutterbrenner) war".
^) Erjay, Vater der Vizaj' (Bund.: Guza/), ist offenbar derselbe Avie Erec; die
beiden Nanien sind Variauteu, aus Airjava entstanden.
Reste von Maiui-Legenden in der irauischen Sagenwelt. 67
ilin eine Keilie von Sagen, die sicli um die folgeiiden Haupttliemen
gruppieren: 1. er nimmt Raclie fiir seinen Urvater Erec, den Eponymos
nnd ersten Sondeikonig des iranisclien Volkes, welcher von seinen
beiden Briidern getotet worden war (eine nicht urspriingliche Ankniipfung-
an die weit verbreitete Dreibriider-Stammsage); 2. er wird vom
Turanierkonig Frasijav angegriffen, nnd der Krieg wird uacli einer
langen Reilie von Kampfen dnrcli einen wunderbaren PfeilsclniB des
Sclmtzen Aris, wodnrcli die Grenze zwisclien den zwei Reichen fest-
gestellt wird, beendet (Erinnerung an die fortwahrenden Einbrliclie
der Xordvolker in Iran, mit der audi anderswo vorkonimenden Pfeil-
schu6-Sage verkniipft); 3. er entfaltet mancherlei zivilisatorische
Tatigkeit (spate, gelehrte Spekulation).
Es gibt aber audi nocli andere gelehrte Manuseihr-Legenden,
die nur in der priesterlichen Literatur vorkommen. Nadi Bund. XII 10
wird Manuscihr am Berge Manus geboren, ein walirsdieinlidi reclit
spitter Zug; der Berg Manus kommt im Avesta vor (Yt. 19, 1), lieiBt
aber liier Manusa und scheint etj^mologisch mit Mann in keinem Zu-
sammenhang zu stelien. — Der Citrada6-nask beriditete^) von einer
Zusammenkunft des Manuscihr mit der Gottin Spendarma(5, welclie
also sprach: „Audi das sclinellste Pferd bedarf der Peitsdie, der
scharfste Stalil bedarf des AVetzsteins, und der weiseste Mann hat
Ratsdilage notig." Es ist vielleidit dieselbe Zusammenkunft, von
der Zaa-sparam (XII 3 ff., West P. T. V S. 134—135) spridit: Zur Zeit,
wo Frasijav den ZufluB der Gewasser nach Iran gesperrt hatte, offen-
barte sidi SpendarmaG in der Form eines Madchens und predigte
die Religion im Hause des ]\Ianuseilir. Ihr herrliches Kleid, weldies
nach alien Seiten ein Hasar oder Parasang weit strahlte, wird ge-
sdiildert, ebenso ihr goldener heiliger Giirtel, weldier die ganze
Religion der Mazda -Anbeter in sidi sdiliefit.
Im Pehlevibudie von den Wundern des Landes Sa/astan (§ 7 — 8,
Modis Ubersetzung S. 125) wird die Geburt von Manuscihr in einer von
der gewohnlidien Erziihlung etwas abweidienden Weise beriditet: Von
den Kindern des von seinen Briidern ermordeten Erec war nur eine
Tochter iibrig geblieben. FreQun filhrte sie nach dem See Frazdan
in Sa/astan und hielt sie und ihre Xachkommen bis zum zehnten
Glied hier verborgen. Von dieser Fran, die im zehnten Gliede von
der Tochter des Erec herstammte, wurde ein Sohn, Manuscihr, ge-
boren. FreOun flehte nun die Anahi(3 und die anderen Gottlieiten
') Nach dem Sajast, ne-sajast, West P. T. IV S. 468.
68 Ai'tliur Cbristensen,
an und erliielt die Guiist. da6 Manuscilir der Wiederliersteller von
Iran werden sollte.
Bund. XIV 15 werden fiinf Gattungen von Schafen aufgezalilt,
unter ihnen das Kurisk-Schaf, welches groCe Horner hat nnd so groB
wie ein Pferd ist. „Es wird gesagt, dafi Maniiscihr einen Knrisk an
der Stelle eines Rosses benntzte."
Von besonderem Interesse ist eine Stelle in den Schriften des
Za5-sparam (XV 2, AVest P. T. V S. 143), wo die Karape und Usi/se als
verderbliche Feinde der Iranier erwahnt werden, und es weiter heifit:
„Die Verwlister der Iranier entstammen dem Ko;fare5, und Ko/are6
wurde von Aesm und Manusa/, der Schwester des Manuscihr, geboren."
Mit dem Namen Ko/are6 (ka/^araQa Y 61. 2) wird eine Art damonischer
Gestalten oder boser Zauberer bezeichnet. In einer Anmerkung zur
Stelle betont West mit Recht den Parallelismus mit Bund. XXIII 1,
wo berichtet wird, daS Baren und Affen einer Verbindung zwischen
einem Damon und Jima/, der Schwester des Jim, entstammen. Wie
Jima/ das weibliche Gegenstiick zu Jim ist, mu6 Manusa/ urspriinglich
das weibliche Gegenstiick zu Manus gewesen sein. Eine uralte Sage
hat erzahlt, wie Unholde oder schadliche Tiere der Verbindung der
Schwester des Urmenschen mit irgend einem teuflischen Wesen ent-
stammten, und diese Sage ist sowohl mit dem Legendenkreise des
Manus wie mit dem des Jim verkniipft worden. An die Stelle des
Manus ist in diesem Falle Manuscihr getreten.
Die Reste der Manu-Legende sind somit an Manus/' arna/, Manus-
;f^"arnar und Manuscihr verteilt worden, von denen die zwei ersten in
der Sage niemals recht lebendig geworden sind, wahrend der dritte
im Gegenteil zu einem der glorreichsten Sagenhelden heraufgewachsen
ist. Wie ist es nun gekommen, dafi dieser letzte, welcher „Manus-
Sohn" benannt ist, also nicht einmal einen eigenen Namen fiihrt,
seinen Vater verdrangt und einen solchen schonen Platz in der Sagen-
welt erobert hat? Das Material, ilber welches wir verfiigen, genligt
nicht, um zu einer nur einigermaBen sicheren Losung dieser Frage zu
gelangen. Eine Hypothese werde ich mit allem Vorbehalt wagen.
Manuscihr ist das Bindeglied zwischen dem Geschlecht der alten
Sagenkonige und dem Priestergeschlecht. Im traditionellen Stamm-
baum haben die iranischen Konige und die groBen Priesterfamilien
gemeinsame Stammvater bis Manuscihr; von diesem zweigt die Priester-
linie ab: von Durasraw, dem Sohne des Manuscihr, stammt Zoroaster
im dreizehnten oder vierzehnten Glied (Bund. XXXII 1; Denk. VII 2. 70;
Za5-sp. XIII 6), und die groBen Priestergeschlechter zur Zeit der
Eeste von Maim - Legeuden in der iranischen Sagenwelt. 69
Sasaniden kniipften iliren Stammbaiim an die Familie des Zoroaster
(vgl. Bund. XXXIII). Manu (der erste Opferer bei den Indern) hat
wohl sclion in uralter Zeit besonders als Staramvater der Priester-
geschlecliter gegolten; die Priestergesclilechter waren „manu-geboren",
,,manuscii9ra"'. Aus diesem Epitlieton ist eine besondere Gestalt ent-
standen, der ,.Mann-Sohn-', Avelclier der Trager verschiedener, ur-
sprtinglich dem Manu niclit geliorender Ursagen geworden ist. Manu
selbst hat sich in zwei Gestalten zerteilt, Manus/'arna/ und Manus-
/■"arnar. In der Genealogie dieser drei Personen ist die urspriingliche
Vorstellung von der iibernatiirlichen Geburt des Urmenschen in ver-
schiedenen Yariationen erhalten worden. Um aber dem Manuscihr, dem
Urvater der Priestergeschlechter. einen besonderen Ruhm zu geben,
haben die priesterlichen Genealogen und Bearbeiter der Sagengeschichte
schon sehr friih — vor der Redaktion des Fravardin Yast — den
Manuscihr in die Reihe der Konige eingeschoben. und zwar an der
ersten Stelle, wo es tunlich war, niimlicli unmittelbar nach der Teilung
der Welt zwischen den drei Sohnen des FreSun, durch welche Iran
als ein besonderes Reich sich ausbildete. also unmittelbar nach dem
heros eponj^mos der Iranier, dem Erec. Dadurch liel die Rolle als
Racher des ermordeten heros eponymos von Iran natilrlich dem
Manuscihr zu, und seine Regierung wurde von den Turanierkampfen
erfiillt, welche bei der Teilung der ^Yelt anflngen und sich durch die
ganze Sagenzeit fortsetzten.
Obwohl der Urmensch Manns in Iran schon friih verschollen
war, hat der Name sich erhalten. In der Genealogie der Kajanier
kommt er vor, indem ein Kai Manus als Sohn des Kai Pisin, des
Bruders von Kai Kaiis, aufgestellt worden ist. Und Personennamen
Avie Manuee und Manusan. die in der Sasanidenzeit vorkommen.
zeugen von der einstigen Popularitat des Manus. Wir finden sogar
(Ibn ^urdaObeh 40. 10) einen tiirkischen Flirsten, welcher den Namen
Manus-/aqan filhrt.
Cliarlottenlund, Danemark. Artliur Christensen.
HARUT UND MARUT.
Der hochverehrte Freund unci Gelehrte, dem wir zu seinem
70. Geburtstage unsei'e herzlichsten Gliickwiinsche darbringen und
unseien Dank fiir die so unendlicli reicheu Anregungen und Be-
lehrungen bezeugen, erklilrte withrend des Sommers 1915 die Lieder
des Hafiz. Da begegnete uns audi der Vers
In der Ubersetzung des Ritters v. Rosenzweig-Schwannau lautet er:
Ist's zu wundern, weun am Himmel,
Durch Hafisens Wort erregt,
Der Sohre Gesang zum Tanze
Den Messias selbst bewegt?
Im Anschlusse daran erzahlte mir Herr A. Siddiqi, unser gemein-
samer Scliiiler, daB nach der Legende seiner Heimat Zuhra und
Mustari zwei beriihmte Tiinzerinnen gewesen seien, und dal) sie es
seien, die in der Vorzeit den Hariit und den Marut verfiihrt batten.
Ich bat ibn mir diese Erzahlung in persischer Sprache, die ihra wie
eine zweite Muttersprache ist, aufzuscbreiben. Seine Erziiblung sei
hier zunachst mitgeteilt.
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E. LittiiKuiu, Harut luid Marut. 71
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Zu deutsch:
..Die Gescbichte von Harut unci Marut, die in Hindustan bekannt
ist, ist kurz folgende.
Es waren zwei Engel, Hariit und Mrirut, die vor den Thron des
crliabenen Herrschers mit einer Bitte traten: „0 Erschaffer Himmels
und der Erden, du hast die Menschenkinder durch das Arat der
„Stellvertretung" i) erlioht und in die Welt gesandt. Aber sie erfiillten
in der „Stellvertretung" nicbt ihre Pflicbt; denn sie handelten gegen
deinen Befehl und liefien es am Preis gegen dich und am Bekenntnis
zu dir raangeln. Wenn du uns, die wir Engel sind, gesandt battest,
so batten wir dein Gebot zur Ausiubrung gebracbt und aucb der
Frommigkeit und der Gottesfurcbt ibr Recbt widerfabren lassen." Als
Gott der Allmacbtige und Erbabeue ibre Rede borte, befabl er, jene
soUten in menscblicber Gestalt zur Erde geben und unter den Meuscben
ganz wie Menscben leben, nur mit dem Unterscbied, dali sie durcb
Aussprecben des „grobten Namens" zum Hiramel fliegen und wieder
auf die Erde binabsteigen konnten; aber es war ibnen verboten, den
Bund Gottes zu brecben und irgend jemand von den Menscben den
1) Vgl. qoran 2, 28 ; 38, 25.
72 E- Littmann,
„grofiteii Naiueii'S der eiii Gelieimnis der Gottbeit ist, zu lehren. Die
beiden Engel warfeii sich aiibetend nieder und sagten in Demut: „0
Herr der Welten. von Anfang der AVelt an bis zu dieser Zeit ist von
uns eine Handlung gegen das gottliche Gebot nie gesclielien. Wis ware
es raoglicli, dali wir wie die Menschen unerliorte Silnde begingen oder
durch die Ott'enbarung des Gelieimnisses der Gottbeit ein Gegenstand
des Zornes des groBten Schopfers wurden?-' Schlielilicb wurden sie in
Menschengestalt in diese Welt gesandt und bielten sick in der Stadt
Babil auf. Nacb einer Weile, als sie die Sitten dieser Welt kennen
gelernt batten, da vergalJen sie, in der Hingabe an die weltlicben Ge-
niisse, Gott zu preisen und zu bekennen ; und sie wurden bingerissen
von Liebe zu zwei scliongestalteten Freudenmadcben, namens Zulira
und Mustari, die in der Kunst des Gesanges und des Tanzes die voll-
komraenste Fertigkeit besal-ien. Diese beiden Madcben, die zugleicb
mit der Zierde klugeu Verstandes und scharfen Geistes begabt waren,
merkten, da(i Harut und Marut der Magio und der Zauberkiinste und
der ubernatiirlicben Dinge macbtig waren, da sie fliegend zum Himmel
fuliren und wieder zurtickkebrten. Nun wollten sie das verborgene
Gebeimnis durch eine List kennen lernen; da sie [sonst] ibr Ziel nicbt
erreichen kounten, gaben sie [ihnenj das Versprecben. sicb in Lielje zu
vereinen. Aber das Getrank der Liebesvereinigung und der Freude
wollten sie nur mit dem Trunke des Trankes vom Wcinstock und von
den Trauben bereiten. ScblieBlicb, diirstend nacb Liebesvereinigung,
kosteten jene den bitterschmeckenden Wein und tranken Becber auf
Becber. Als die Trunkenbeit iiberwaltigend wurde und der Saum des
Verstandes [ilmen] aus den Hilnden fiel, da erkannten die frechen
Freudenmadcben die Gelegenbeit und verscbafften sicb das ersebnte
Gebeimnis. Durcb Aussprecben des „grofiten Namens" flogen sie zum
Himmel und erlangten die AV'^urde von Gliicksgestirnen. Harut und
Marut aber wurden zur Strafe fiir ibr eigenes Tun gefangen gesetzt
in einem Brunnen in Babil, und sie bleiben dort bis zum Tage des
jungsten Gericbts."
Die Qoran-Stelle, an die diese Erzablung und aucb alle anderen
islamischen Gescbichten von Harut und Mariit ankniipfen, ist Sure 2,
Vers 96: „Und sie folgten dem, was die Satane wider Salomos Reicb
lelirten; nicbt daB Salomo ungliiubig Avar, vielmebr waren die Satane
unglaubig, indem sie die Leute Zauberei lebrten, und was den beiden
Engeln in Babil, dem Harut und Marut, ofi'enbart war."
Hariit und Marut. 73
Die Qoran-Kommentare zu clieser Stellc gehen raelir ocler minder
aust'ulirliclic Bcnicrkuiigcn ilber Harut und Marut. J)er ausfiihrlicliste
Kommentar ist der TaJ'slr des Tabari, des grolien Kompilators, der
ini Jalire 923 n. Clir. starb. Dieser Tafslr liegt nun vor in der vor-
treff lichen Ausgabe des wiirdigen Cairiner Buchliiindlers 'Omar el-Has-
sab, Cairo 1323 1329 d. H. (19U5 lyjl). Durt in Band i, auf S^ nr
—no, finden sich verscbiedene Fassungen der Harut-Manit-Gescbichte,
die ich bier, wo es mir zunilcbst auf Darbietung von Material an-
komiut, in wortlicber (jbersetzung aus dem Arabiscben mitteile.
Die einzelnen Versiouen sind wie gewobnlicli durcb eine langere
oder kiirzere Kette von Gewabrsraannern bezeugt. In bistoriscben
Fragen baben AVellbausen und Goldziber aus diesen Gewabrsiuiinner-
ketten wiclitige Schliisse gezogen, Aber um solcbe Fragen bandelt
es sicli bier ja nicbt; icb gebe daber nur immer den letzten Gewabrs-
luann in Klammern vor den einzelnen Versionen der Geschichte.
I.
(Ibn 'Abbas). Gott macbte fiir seine Engel den Himmel offen,
dainit sie das Tun der Menscbenkinder scliauen konnten. Als sie sie
nun erblickten, wie sie Sunde taten, sagten [die Engel |: „0 Herr, jene
Kinder Adams, den du mit deiner Hand gescbaffen, dem du deine
Engel dienstbar gemacbt, und den du die Namen aller Dinge gelehrt
hast, bandeln siindbaft!" Er antwortete: „Wenn ibr an ibrer Stelle
waret, wiirdet ibr ebenso bandeln!" Sie spracben: „Dir sei Preis! —
Das wiirde uns nicbt geziemen". Darauf bescblossen sie, es soUe ge-
wjlblt werden, wer auf die Erde hiuabsteigen sollte; und sie wiiblten
den Harut und Marut. Die stiegen also zur Erde hinab, nacbdem
Gott ihnen alles erlaubt hatte; nur sollten sie Gott keinen Genossen
geben, nicbt stehlen, nicbt buhlen, keinen Wein trinken, eine Seele
nicbt gegen Gottes Gebot toten, sonderu allein von Recbts wegen.
Es dauerte nicbt lange, da begegnete ihnen eine wunderscbone *) Fran,
namens Bedubt. x\ls sie die erblickten, da verlangten sie mit ihr zu
buhlen. Aber sie sagte: „Nein! Nur wenn ihr Gott eineu Genossen
gebt, Wein trinkt, eine Seele totet und diesen Gotzen anbetet!" Sie
spracben': ,,Wir sind nicbt Leute danach, Gott einen Genossen zu geben".
Danu meinte einer der beiden zum andern: „Versucb es nocb mal mit
ihr!"-') Sie aber sagte: „Nein. nur wenn ihr Wein trinkt!" Da tranken
die beiden, bis daB sie trunken waren. Darauf kam ein Warner zu
») Wurtlich: „LGottJ liefi ihnen eine Fnui liegeynen, dev cr die Halite [allci-|
iScliuulieit zuerteilt luitto." '^ Wiirilieli: „]\elire zu ihr zuriick!-'
74 E. Littnianii,
ilinen binein; den schlugen sie tot. Als jene nun alle diese Siinden
begangen batten, macbte Gott den Himmel fiir seine Engel offen.
Die riefen: „Dir sei Preis! Du wuBtest es am besten." Dann oft'en-
barte Gott dem Salomo, David's Sobn, er solle die beiden wablen
lassen zwiscben der Strafe in dieser Welt und der Strafe in jener
Welt. Sie wablten die Strafe in dieser Welt und wurden von den
FiiBen bis zum Hals gefesselt, so wie die Halse der baktriscben
Kamele^). Ihre Statte wurde Babil.
11.
(Ibn Mas'ud und Ibn 'Abbas). Als die Menschen viel geworden
waren und sich vergingen, da riefen wider sie die Engel und die Erde
und der Himmel und die Berge: „0 Herr, vernicbte sie doch!" Da sprach
Gott zu den Engeln: „Wenn icb die Begierde und den Teufel in
euren Herzen wolmen liefie und ihr stieget binab, so wiirdet ibr ebenso
bandeln." Sie aber sagten zu einander, wenn sie in Versucbung ge-
rieten, wurden sie standhaft sein. Nun spracb Gott zu ibnen: „Wablt
zwei Engel von den trefflicbsten unter eucb!" Da wablten sie den
Harut und Marut, und die beiden stiegen zur Erde binab. Zugleicb
wurde aucb die Zubra zu ibnen binabgesandt in der Gestalt einer
persiscben Frau; die Perser aber nannten sie Bedubt. Und sie ver-
fielen der Siinde, Aber die Engel pflegten um Verzeihung zu bitten
fiir die Glaubigen: „Unser Herr, du umfassest alle Dinge in Barm-
berzigkeit und Wissen; so verzeihe denen, die sicb bekebren!" 2) Und
als die beiden der Sunde verfallen waren, baten sie um Verzeibung
fiir die, so auf Erden sincl. 1st nicbt Gott der Yergebende, der Barra-
berzige?'') Darauf wurde den beiden die Wabl gelassen zwiscben der
Strafe in dieser Welt und der Strafe in jener Welt: sie wablten die
Strafe in dieser Welt.
III.
('Alij. Zubra war eine scbone Frau unter den Persern. Sie
fuhrte einen Recbtsstreit vor den beiden Engeln Hariit und Mariit.
Die wollten sie namlich verfiibren, aber sie wollte ibnen nur zu Willen
sein, wenn sie ibr das Wort verrieten, durcli dessen Ausspracbe man
zum Himmel emporsteigen kann. Da verrieten sie es ibr; sie sprach
es aus und stieg zum Himmel empor. Dann wurde sie in einen
Stern verwandelt.
1) Die Stcllc ist iiiclit gunz klar.
2) Aus Qoran 40, 7. 3) Aus Sure 42, B.
Harut urid ]\[arut. 75
IV.
(Ka'b). Die Engel erziihlten von den Taten der Menschen und
wie sie sundigten. Da ward ilinen gesagt: „Wahlt zwei von eiich aus!"
Da wahlten sie den Harut und Marut. Ilinen wurde gesagt: „Sielie,
icli schicke Gesandte zu den Menschen; aber zwischen mir und eucli
ist kein Gesandter. Steigt hinab! Gebt mir keineu Genosseu; buhlet
nicht; trinkt keiuen Wein!" Aber — bei Gott! — - ehe der Abend
desselben Tages kam, an dem sie auf die Erde hinabgestiegen waren,
batten sie alles das getan, was ihnen verboten war.
V.
(Ka-b al-Al.ibar). Die Engel wunderten sich iiber die Taten
der Menschen, und wie sie sich auf Erden vergingen. Da spracli
Gott zu ihnen: „Wahrlich, wenn ihr an ihrer Stelle waret, so wiirdet
ihr ebenso slmdigen wie sie. Wahlet drum zwei Engel von euch aus!"
Sie wahlten den Harut und Marut. Nun sprach Gott zu den beiden:
„Ich schicke meine Gesandten zu den Menschen, aber zwischen mir
und euch ist kein Gesandter. Steiget zur Erde hinab! Gebt mir keiuen
Genossen und buhlet nicht!" Aber — bei dem, in dessen Hand Ka'b's
Seele ist — ehe sie den Tag, an dem sie hinabgestiegen waren, vollendet
batten, waren die beiden dem, was Gott ihnen verboten hatte, verfallen.
VI.
(As-Saddi). Harut und Marut verleumdeten die Leute der Erde
wegen ihres Wandels. Da Avurde ihnen gesagt: „Ich babe den
Menschen zehn Begierden gegeben, und durch diese vergehen sie sich
gegen mich." Haiut und Marut sagten: „0 Herr, wenn du uns die
zebn Begierden gabest und wir dann hinabstiegen, so wiirden wir in
Gerechtigkeit richten." Er antwortete ihnen: „So steiget hinab. Ich
gebe euch jene zehn Begierden. Nun richtet unter den Menschen!"
Darauf stiegen sie in Babil Dunbawand hinab und richteten; wenn
es Abend ward, so stiegen sie empor, und wenn es Morgen ward, so
kamen sie wieder herunter. Das taten sie so lange, bis eine Erau zu
ihnen kam, die mit ihrem Maune in Unfrieden lebte, und der en Schon-
heit den beiden gefiel. Ihr Name war auf Arabisch az-Zuhra, auf
nabataisch Beduht und auf Persisch Anahid. Der eine von den beiden
sagte zu seinem Gefahrten: „Furwahr, die gefallt mir." Da sagte
der andere: „Das wollte ich dir auch gerade sagen; aber ich schamte
mich vor dir." Der erste: „SolI ich um sie werben?" Jener: „.Jawohl!
Aber wie steht's mit der Strafe Gottes an uns?" Der erste wiederum:
76 E. Littmann,
„Wir hoffen doch aiif die Barmhei'zigkeit Gottes!" Als sie nun kam,
um gegen ihren Mann zu klagen, warben die beiden um sie. Sie gab
zur Antwort: ,,Niclit eher, als bis ihr fiir mich gegen meinen Mann
entscheidet." Da entscliieden sie fiir sie gegen ihren Mann. Danach
verabredete sie mit den beiden, sie sollten in einem von den ver-
lassenen Hausern ') zu ihr kommen. Das taten sie. Als nun der eine
ihr beiliegen wollte, sagte sie: ,,Das tu icli nicht, bis ihr mir sagt,
durch welches Wort ihr zura Himmel steigt und durch welches Wort
ihr wieder von dort herabsteigt?-' Da nannten sie es ihr. Sie sprach
es aus und fuhr gen Himmel. Gott aber liel^ sie das Wort vergessen,
durch das sie hinabsteigen konnte. So blieb sie an ihrer Stelle, und
Gott machte sie zu eineiu Stern. — 'Abdallfih b. 'Omar pflegte, so
oft er sie sah, sie zu verfluchen und zu sagen: „Die ist es, die Harut
und Mariit in Versuchung gebracht hat!" — Als es nun Nacht ge-
worden war, wollten die beiden wieder emporsteigen; aber sie konnteu
es nicht. Da merkten sie das Unheil. Dann wurde ihnen die Wahl
gelassen zwischen der Strafe in dieserWelt und der Strafe in jener Welt.
Sie zogen die Strafe dieserWelt der Strafe jener Welt vor und wurden
in Babil aufgehaugt. Dann begannen die beiden mit den Menschen in
ihrer [englischen] Sprache zu reden, und die ist das Zauberunwesen.
VII.
(Ar-Rabf). Wegen der vielen Falle von Ungehorsam und Un-
glauben gegen Gott, die unter den Menschen nach Adam vorkameu,
sagten die Engel im Himmel: „0 Herr, diese [Menschen der] Welt
hast du doch nur geschaffen zu deinem Dienste und zum Gehorsam
gegen dich. Aber sie sind dem Unglauben verfallen; sie toten zu
Uurecht, sie nehmen unrecht Gut, sie stehlen, sie buhlen und trinken
Wein." So begannen sie, die [Menschen] zu verklagen und nicht zu
entschuldigen. Da ward ihnen gesagt: „Jene sind im Irrtum." Aber
sie entschuldigten jene nicht. Dann ward ihnen gesagt: „Wahlet unter
euch zwei Engel aus, denen will ich meine Befehle geben und ver-
bieten, ungehorsam gegen mich zu sein." Sie wahlten Harut und Mariit
aus, und die stiegen auf die Erde hinab. Sie erhielten auch die
menschlichen Begierden, aber zugleich den Befehl, Gott zu dienen,
ihm keinen Genossen zu geben, keine Seele zu Unrecht zu toten, kein
unrecht Gut zu nehmen, nicht zu stehlen noch zu buhlen oder ^\'ein
') Die verlasseneu Hiiusor aulJerhalb der Stadt dieiien in Pcrsieu oft /.u
Weinhausern ; vgl. Jacob, in Orientalise lie Stiidien S. 1060. Das arabisehc
Wort I'iir „Kiunen" bcdeutet im I'ersisclien luid Tiirkiselien oft „\Veinliaus".
Harut im<l ]\r;u'iit. 77
zu trinken. Dies beiblgten sie auf Erden eiue Zeit lang, indem sie
unter den Menschen mit Gerechtigkeit richteten. Das war zur Zeit
des Idrls. Zu jener Zeit lebte eine Fran, deren Sclionheit war unter
den Meuscheu gleichwie die Sclionheit der Zulira unter den Sternen.
Sie kam zu den beiden, und die gaben ihr siifie Worte und woUteu
sie verfiihren. Aber sie woUte ihnen nur willfahren, wenn sie ihr ge-
horchten und ihre Religion annilhmen. Da fragten sie sie nacli ihrer
Religion. Sie zeigte ilmen einen Gotzen und sprach: „Den bete ich
an." Sie erwiderten: „Den konuen wir nicht anbeten", und gingen
fort. Dann warteten sie, so lange wie Gott wollte. Danach gingen
sie wieder zu ihr, gaben ihr siilie Worte und wollten sie verfiihren.
Aber sie sprach zu ihnen: „Nein! Nur wenn ihr denselben Glauben
habt wie ich." Die beiden sagten wiederum: „Den kounen wir nicht
anbeten!" Als sie nun sah, dal5 die beiden den Gotzen nicht anbeten
wollten, sprach sie zu ihnen: „Wahlt eins von den dreien: betet den
Gotzen an, totet einen Menschen, oder trinkt Wein!" Sie sagten:
„Alles drei ist verboten; aber Weintrinken ist doch das leichteste
von den dreien!" Nun gab sie ihnen Wein zu trinken, und schlielilich.
als der AVein sie umfing. lagen sie ihr bei. Da kam ein Mensch an
ihnen vorbei, wahrend sie in solchem Tun begrift'en waren. Sie I'iirch-
teten, er wiirde sie verraten; darum erschlugen sie ihn. Als aber
der Rausch von ihnen gewichen war, erkannten sie, was fiir eine
Sunde sie begaugen batten. Sie wollten gen Himmel fahren, und da
konnten sie es nicht; denn ein Hindernis war dazwischen gekommen.
Nun wurde auch die Decke zwischen ihnen und den Himmelsbewohnern
weggenommen: da sahen die Engel, was fiir eine Schuld jene begaugen
hatten. Sie wunderten sich sehr, und sie erfuhren, dali wer in der
Feme ist, am wenigsten zu fiirchten hat. Darauf begannen sie um Ver-
zeihung zu bitten fiir die, so auf Erden sind '). Als jene beiden nun
der Siinde verfallen waren, ward zu ihnen gesagt: „VVahlet die Strafe
dieser Welt oder die Strafe jener Welt!" Sie sprachen: „Die Strafe
dieser Welt geht zu Eude; aber die Strafe jener Welt hat keiu Ende."
So wahlten sie die Strafe dieser Welt. Und die Stiltte, an der sie
die Strafe verbiilien, ward Babil.
VIII.
(Nafi'). Ich reiste eiust mit Ibn 'Omar zusammen. Als es
gegen Ende der Nacht war, sagte er: „0 Nati', schau, ist die Helle
aufgegangen?" Das sagte er zwei bis drei Mai. Dann sagte ich:
0 S. 74, Anin. ;5.
78 E. Littmann,
„Jetzt ist sie aufgegangen." Er darauf: „Kem Willkommen und kein
GruB!" Ich rief: „Gott sei gepriesen, ein dienstbarer, gehorsamer, folg-
samer Stern!'- 1) Er antwortete: „lch babe dir nur gesagt, was icb von
dem Gesandten Gottes — Gott segne ibn und gebe ihm Heil! — gebort
babe. Mir erzablte der Gesandte Gottes — Gott segne ibn usw. ! — :
Die Engel sagteu einst: ,0 Herr, wie kannst du es rait den Menscben
ausbalten bei all ibren Siinden und Vergebungen?' Er antwortete:
,Icb babe sie er^jroben wollen, eucb aber babe icb davor bebiitet!'
[Die Engel] erwiderten: ,AVenn wir an ibrer Stelle waren, so wiirden
wir nicbt ungeborsam sein gegen dich!' Er aber spracb: ,So wablet
denn zwei Engel von eucb aus!' JSIun wablten sie obne Verzug, und
zvvar den Hariit und den Marut."
IX.
(Mugabid). Die Sacbe mit Harut und Mrirut [war folgendermaBen].
Die Engel wunderten sich dariiber, daB die Menscben Unrecbt taten,
wabrend docli die Propbeten und die Biicber und die Zeicben zu ibnen
gekommen waren. Da spracb ibr Herr zu ibuen: „ Wablet zwei Engel
von eucb aus; die will icb binabseuden, damit sie auf Erden unter
den Menscben ricbten!" Da Avablten sie den Hariit und den Marut.
Er spracb zu den beiden, als er sie liinabsandte: „Ibr babt eucb iiber die
Menscben und iiber ibr Unrecbttun und ibren Ungeborsam gewundert.
Aber zu ibnen kommen die Propbeten und die Biicber immer nur
einzeln, wabrend zwisclien mir und eucb kein Gesandter ist. Tut so
und so, unterlalit das und das!" So gebot und verbot er ibnen. Dann
stiegen sie hinab, und es gab keine geborsameren Diener Gottes als die
beiden. Sie ricbteten in Gerecbtigkeit. Tags iiber richteten sie uuter
den Menscben; aber wenn es Abend wurde, stiegen sie empor und
waren bei den Engeln, dann am nacbsten Morgen stiegen sie binab
und ricbteten in Gerecbtigkeit, bis dafi die Zubra zu ibnen binab-
gescbickt wurde in der scbonsten Frauengestalt. Die kam in einem
Kecbtsstreit, und die beiden entscbieden gegen sie. iVls sie aufstand,
geriet jeder von beiden in Erreguug. Da spracb einer zum andern:
„Bist du ebenso erregt wie icb?" Der antwortete: „Ja!" Dann sandten
sie zu ibr und liefien ibr sagen: „Komme zu uns, wir wollen fiir
dicb entscbeiden!" Als sie zuriickgekebrt war, entscbieden sie fiir sie
und spracben zu ibr-): „Komm zu uns!" Da kam sie zu ibnen. Sie
1) Qoraii 16, 12.
-) Iiii IVxte stclieu die Ijeidfii Vt'rl)ii in uiiigckflii-tei' Kcilicululge.
Harut und SraiTit. 79
deckten ilire Scliam vor jener auf; abor ihre Begierde war nur in
ihrer Seele, und sie waren niclit Avie die Menschen in ihrer Begierde
nach den Frauen und im LiebesgenuB. Als sie soweit gekommen
waren und dergleichen fur erlaubt gehalten batten und auf die Probe
gestellt waren, flog die Zubra wieder dorthin, wo sie gewesen war.
Am Abend wollten sie emporsteigen, aber sie w'urden zuriickgewiesen,
und es war ihnen nicht erkiubt, und ihre Eliigel trugen sie nicht. Da
suchten sie Hilfe bei einem Menschen und traten zu ihni ein. Sie
baten ihn: „Bete fiir uns zu deinem Herrn!" Er antwortete: „Wie
konnen die Erdenbewohner fiir die Himmelsbewohner Furbitte leisteu?"
Sie sprachen: „Wir haben gehort, dafi dein Herr deiner im Guten
im Himmel gedenkt." Da versprach er ihnen, er wolle einen Tag und
den folgenden fiir sie beten. Dann betete er fiir sie und ward erhort.
Ihnen wurde die Wahl gelassen zwischen der Strafe dieser Welt und
der Strafe jener Welt. Darauf blickten die beiden einander an und
sprachen: „Wir wissen, dali die Arten der Strafen Gottes in jener
Welt so und so sind in der Ewigkeit, und bei dieser Welt siebenmal
so" 1). Dann wurde ihnen befohlen, sie sollten in Babil absteigen,
und dort war ihre Strafe. Man glaubt, sie seien aufgehangt in eisernen
Fesseln, zusammengerollt, und schliigen mit den Fliigeln.
Dann erwahnt Tabari noch eine Tradition, nach der Hariit und
Marut Menschen gewesen sein sollen. Ferner gibt er an, da6 nach
einigen Babil Dunbawiind, nach anderen Babil im 'Iraq gemeint sei.
(S. no unten).
Die Version hei an-Nisdhtirl.
Das Werk (jamih al-(2iir'dn von Hasan b. Muhammad b. Husain
an-Nisaburi (f 1015 n. Chr.) ist auf deni Rande des Tafsir von at-
Tabari abgedruckt. In Band i, auf dem Rande von S. ror, findet
sich die Geschichte von Harut und Mariit. Sie lautet:
Was die Geschichte von Hariit und Marut angeht, so wird nach
der Autoritiit von Ibn 'Abbas iiberliefert: Als die Engel sagten: „Hast
du auf ihr (d. i. der Erde) Leute geschaffen, die Unrecht auf ihr tun
und Blut vergiefien?-', da sagte Gott zu ihnen: „Siehe, ich weili, was
ihr nicht wisset" -). Dann setzte er iiber sie (d. i. die Menschen) eine
Schar von Engeln, und das sind die geehrten, die Schreiber; die
brachteu Berichte iiber die bosen Taten [der Menschen] gen Himmel.
1) Hier felilt etwas, audi iiacli der Auiialniie des avabiseheu Herausgebers.
2) Vgl. Qoraii 2, 24.
80 E. LIttmann,
Da wunderten sicli die Engel iiber sie und uber die Geduld Gottes
rait jenen, trotzdera ihre Schlechtigkeiten offenbar waren. Dann iiigten
sie 1) auch uoch die Zauberei hinzu. Da ward die Verwunderung der
Engel noch grower. Gott aber wollte die Engel priifen und sprach
zu ilmen: „Wa]ilt unter euch zwei Engel aus, von denen, die an
Wissen, Frommigkeit und Gottesverehrung die GrofHen sind, damit
ich sie auf die Erde liiuabsende und erprobe." 8ie wiihlten Hariit
und Marilt aus. Er legte in sie die Begierde der Menschen und
schickte sie auf die Erde hinab, naclidem er ihnen verboten hatte,
Gott einen Genossen zu geben, zu toten, zu bublen und [Weiu] zu
trinken. Nun stiegeu sie hinal). Gott der Erhabene befahl zugleich
dem Sterne, der az-Zuhra heil^t, und dem Engel, der "iiber ihn gesetzt
ist, auf die Erde liinabzusteigen. Die Zuhra verwandelte er in eine
Fran und den Engel in einen Mann. Darauf bereitete sich die Zuhra
eine Wohnstatte, schmiickte sich, und lud die beiden zu sich ein. Der
Engel aber stellte sich selbst in ihrer Wohnung in der Gestalt eines
Gotzen auf. Da karaen jene beiden zu ihr und verlangten [von ihr]
das Schlechte. Sie wollte ihnen nur willfahren, wenn sie Wein triinken.
Die beiden sagten: „AVir trinken keinen Wein." Dann ward die Be-
gierde machtig iiber sie und sie tranken Wein. AViederum verlangten
sie nun dasselbe von ihr. Da sprach sie: „Es bleibt noch eine Saclie.
die ihr tun miilit, ehe ich mich euch hingeben kann!" Als sie fragten:
;,Was ist das?" antwortete sie: „Ihr miiCit diesen Gotzen anbeten!"
Beide erwiderten: „Wir geben Gott keinerlei Genossen." x'^ber die
Begierde ward wieder machtig iiber die beiden und sie sprachen:
„Wir woUen es tun; nachher werden wir Gott um Verzeihung bitten."
Also beteten sie den Gotzen an. Da kam plotzlich ein Warner herein.
Sie rief: „Wenn dieser Mann den Menschen offenbart, was er von
uns gesehen hat, so steht es schlimm um uns. Weim ihr zu rair ge-
langen wollt, so totet diesen Mann!" Erst hielten sie sich von ihm
zuriick, aber dann gingen sie dran, ihn zu toten. Als sie mit dem
Toten fertig waren, stiegen die Zuhra und ihr Engel zu ihrer Stelle
am Himmel empor. Da erkannten die beiden, dafi dies [alles] ihnen
nur passiert war, weil sie die Menschen geschmaht liatten.
Nach einer anderen Uberlieferung aber war die Zuhra ein Freu-
denmadchen unter den Erdenbewohnern; und die beiden lagen ihr
})ei, nachdem sie Wein getrunken, eine Seele getotet, den Gotzen an-
gebetet und ihr den „groMen Namen" offenbart batten, durch den sie
') ]m Ti'xte steht nucii „ibiien beiden"; wolil verdi"uckt.
Harut unci Marut. 81
2um flimmel emporstiegen. Da sprach die Frau jenen Namen aus
und stieg zum Himmel enipor; Gott verwandelte sie uud maclite sie
zu diesem Stern.
Darauf lie£j Gott die beiden wahlen zwischen der Strafe jener
Welt, fiir die Ewigkeit, und der Strafe dieser Welt, fur die Erdenzeit.
Sie wablten die Strafe dieser Welt. Da lieB er sie in Babil bleiben,
umgekebrt, in einem Brunnen, bis zum Tage der Auferstehung. Die
beiden aber lebren wabrenddessen die Menscben das Zaubern und
verfiibren sie dazu. Und es siebt sie keiner aufier, wer gerade zu
jeneni Orte gebt, um die Zauberei zu erlernen.
Nocb zwei andere Versionwi sind von Georg Rosen in seiner
Ubersetzung des Mesnevi mitgeteilt, eine kiirzere nacb dem Kommen-
tar zum Mesnevi, als Anmerkung 218, eine langere nacb der Rauzat
es-safa, im Anbang. Die erstere, kiirzere ist dann von v. Rosenzweig-
Scbwannau in seiner Hafiz-Ausgabe und tlbersetzung, Bd. I, S. 747 f
wiedergegeben. In der Neuausgabe des „Mesnevi oder Doppelverse
des Scbeicb Mewlana Dscbelal ed din Rumi. Aus dem Persiscben iiber-
tragen von Georg Rosen, mit einer Einleitung von Friedrich Rosen,
1913, Miincben bei Georg Miiller" iindet sicb die kiirzere Version auf
S. 116, die langere auf S. 237 — 240. Die kiirzere stimmt ungefabr mit
der Version VII des Tabari iiberein, besagt aber, daI5 Zubra die Engel
aufgefordert babe, ibren Gatten zu toten. Die langere verdankt ibre
Lange im Wesentlicben dem bliibenden, pbrasenreicben, iiberladenen
Stil ibres Verfassers Mirliond. Audi sie gebt im allgemeinen auf
Tabari VII zuruck, nur dafj bei Tabari die Verwandlung der Zubra
in den Stern vergessen ist. Aber bei Mirbond ist ein neuer Zug
binzugekommen: es wurden anfangs nicbt zwei, sondern drei Engel auf
die Erde gesandt; sie bielien Gbyra, Gbyraja und Gbyrar, von denen
einer bald in den Himmel zuriickkebrte, weil er die drobende Gefabr
erkannte, wabrend die anderen beiden auf der Erde blieben, die Bei-
namen Harut und Mariit erbielten und dann der Sunde verfielen.
In einem Liede des Hafiz, dessen Ecbtbeit aber zweifelbaft ist,
■wird Bekanntscbaft mit der Gescbicbte von Harut und Mariit voraus-
gesetzt; mit ibren Namen werden dort Wortspiele gemaclit. Dies
Lied ist bei Brockbaus No. 14; v. Rosenzweig-Scbwannau I, S. 36—37;
Ubersetzung von AVilberforce- Clarke, Vol. I, S. 56—57. Clarke gibt
aucb eine kurze Version der Gescbicbte von Harut und Marut; an
Anclreas-Festsclirilt. H
82 E. Littmaun,
dieser ist nur ein Zug iieu gegenuber dem oben Mitgeteilten, camlich
da£> die Engel den Gatten der Zuhra wirklich erschlagen hatten.
Das eigentlich Interessante und Wichtige an dieser ganzen Ge-
schichte sind naturlich die volkstiimlichen Sagen, Mythen und Zauber-
lehren, die bier zu einem merkwiirdig bunten Gewande zusammen-
gewoben sind. Bereits in den Versionen, in denen iins die Gescbichte
vorliegt, sind bewuPjte, theologisch-tendenziose Umdeutungen vorge-
nommen; sie sind sebr cbarakteristiscb und von Wert fiir die religions-
gescbicbtlicbe Betracbtung. Aber den mubammedaniscben Rabbinen
auf diesem Wege zu folgen, danacb stebt mir nicbt der Sinn. Es sei
nur nocb auf eine Stelle aus einem modernen Urdu-Kommentar
zum Qoran bingewiesen, die mir Herr Siddiqi freundlicbst ins Per-
siscbe iibersetzt bat. Bereits oben S. 79 saben wir, dafi Tabari am
Ende der Wiedergabe seiner Bericbte darauf binweist, dafi Harut
und Marut aucb als Menscben bezeicbnet waren. Die tlberlieferung
bat er aucb auf S. roi, Z. 5 v. u., bei der Besprecbung der Zauberei
erwabnt. Der Urdu-Kommentator, Nadblr Abmed, sagt in seinem
Werke Bama'U-i Mtdcmjam, Debli, 1329 d. H., S. 24:
v>vi>^-> ^XaOj_9 *> d^^ iXX^%.S |->O.JO '.^iiy^ l^»vL/Ca C1J5)La J^4 T-^3-**' )^
sLio^b a> Jw-O^ ^S^> .Cjr^^ d^yiJ^yi CI-J~.«a^ l-tLiJ > yfO ^> i^-saJO >'r^^
iJX**j1 i^^t-^ (c?";^*-^ ^'•^■^ Cf"^'^ c?'^-*?.) f-* f"^ r-**^ i^^^r* ^^ "^^ ^''3rt
Zu deutscb:
„In der Stadt Babil waren Hariit und Mariit. Einige sagen, daB
sie zwei Engel waren; aber nach anderen zwei Menscben von treff-
licben Eigenscbaften und engelgleicbem Lebenswandel. Nocb andere
sagen, sie seien zwei Herrscber gewesen, denn die Lesart mit i beim /,
d. h. maliliain („zwei Konige") anstatt malahcun („zwei Engel") ist
aucb iiberbefert. Daraus gebt bervor, dafi sie zwei Menscben ge-
wesen sind, die der Zauberkiinste kundig waren, und dali sie auf
instandiges Bitten der Menscben [sie] darin unterricbteten."
Es ist zur Zeit wohl nocb unmoglicb und fallt aucb aufierbalb
des llabmens dieses kurzen Artikels, alle die Faden zu entwirren, die
in der Geschicbte von Harut und Marut zusammenlaufen. Es scbeint
mancbmal, als ob in jedem Satze und in jedem Gedanken dieser Ge-
scbicbte die Mytlieu, Legenden und tJberlieferungeu verscbiedenster
Kulturkreise sicb widerspiegehi und sicb in iieuer Gestalt vereinen;
Harut und iMarut. 83
die Geschiclite ist gewissermalien das Sediment eines iiber 1000 Jahre
dauernden Entwicklungsprozesses. Immerliin sei hier auf einige der
Hauptprobleme, die sich der kritischen Analyse darbieten, hingewiesen.
1. Die Engel. Es ist bereits langst erkannt, dali die Geschichte
der Engel-Ehen mit Menschentochtern in der jiidisch-islamischen
ijberlieferung Ictzten Grundes auf Genesis 6, 1 — 4 zuriickgeht. In
den kurzen Versen liaben wir freilich aiicli nur das Bruchstuck eines
groBeren Mythus. Dalj Riesen, Helden, grolie Manner, Konige als
Soline der Gottheit und irdischer Mutter angesehen werden, ist volks-
tiimlicher iVnschauung ini Orient und ira klassischen Altertum ganz
gelaufig. Diese Anschauung begegnet uns in t'reier Form bis auf den
heutigen Tag in Heldenliedern, namentlich bei den Abessiniern; sie
hat aber auch schon friih feste Eormen angenommen in — ich mochte
sagen — religiosen und staatsrechtlichen Leliren. Urspriinglich waren
es die Gotter selbst, die auf die Erde hinabstiegen, wie wir besonders
in Griecbenland sehen ; dann werden es Engel, wie bereits in Genesis 6
und alien davon abhangigen Erzahlungen. Schlielilich aber nahm die
weiter schreitende Anschauung auch daran AnstoCi und, wohl unab-
hangig von einander, deuteten auf der einen Seite judisch-christliche,
auf der anderen Seite islamische Theologen die Engel in Menschen
um. Fiir die judisch-chiistliche tjberlieferung vergleiche man die
Kommentare zu Gen. 6; fiir die islamische oben S. 79.
Die spiitere judisch-christliche Spekulation iiber die Engel-Ehen,
das Tun und das Geschick der Engel auf Erden, ihre vorlaufige und
kiinftige Bestrafung findet sich im Buche Henoch, Kap. 6ff. Auch
dort laufen schon verschiedene Traditionen durch einander. Wichtig
ist, dali Henoch 7, V. 1 gesagt wird, die Engel batten die Menschen
in der Zauberei unterrichtet; das ist ja gerade der Punkt, wegen
dessen Muhammed an Harut und Mfirut Interesse hatte. Nach dem
Buche Henoch ist der Strafort der Engel teils eine Wuste, teils ein
Ort, in dem man deutlich den Krater eines Vulkans erkennen kann.
Nach Henoch ]51f, leistet Henoch selbst fiir die Engel Fiirbitte,
wahrend doch eigentlich die Engel fiir die Menschen bitten soUten;
dieser Zug findet sich bei Tabari IX, oben S. 79, wieder, geht also
in der islamischen tjberlieferung auch auf die jiidische zuriick. Die
Beziehung der Engelgeschichte zu Henoch tritt auch noch in Tabari's
Version VII hervor, oben S. 77, denn dort heiC>t es, die Engel seien
zur Zeit des Idrls (= Henoch) auf die Erde gekommen.
Es fragt sich nun, ob die ganze Harut-Mariit-Sage auf jiidische
(oder jiidisch-christliche) Vorbilder zuriickgeht. Die Namen sprechen
6*
84 E. Llttmanu,
dagegen; denn sie sind eranisch. Das erkannte Andreas sofort, unab-
hangig von Lagarde, der bereits friiher darauf hingewiesen liatte; vgl.
Paulus Boetticher, Horae aramaicae, S.9, Paul beIj agarose, Gesammelte
Ahliandlungen, S. 15; Nestle in ZeitscJir. d. Deutsch. Monjenlmid. Ge-
sellsch. 55, S. 692. Man setzt sie awestischem harvotdt- und amurtdt-
gleich (so ist nach Andreas zu lesen; Bartliolomae hat in seinem
Worterbuch haufvatdt-, Sp. 1791, und anm-dtdt-, Sp. 143), Diese wurden
spater zu Inirddd und niurddd. Aber Herr Siddiqi teilt mir mit, dafi
die jetzt in Haiderabad gebrauchlichen Monatsnamen hitrddd imd amar-
dad gesprochen werden; in dem zweiten Namen scheint eine gelehrte
Uberlieferung vorzuliegeni). Die beiden Namen lieiCien „Ganzheit, Voll-
kommenbeit" und „Unsterblicbkeit" (wortlich nach Andreas „Zustand
des Nicht-Gestorben-Seins"). Es unterliegt wohl keineni Zweifel, daB
Harut und Marut dem Namen nach auf das persische Engelpaar zuriick-
gehen. Da TiarvotCd- und amurtcd- eben auch oft zusammen vorkommen,
wird man in Marut nicht eine innerarabische Analogiebildung zu Harut
sehen, trotzdem diese Bildungen mit m- auch bei Eigennamen nicht
selten sind.
Ferner weist der Name Dunbawand natiirlich nach Mazanderan
im nordlichen Persien, dem Geisterlande. An den dort hausenden
Zohak 0 I ahhak) erinnerte mich Andreas. In der Nahe des Dema-
wand flieM der Babul. An diesen denkt die Sage vielleicht, wenn
sie von Babil Dunbawand spricht (oben S. 75 u. 79). Der Demawilnd
ist ja auch ein Krater, also wie bei Henoch zum Aufenthaltsort von
Dilmonen geeignet. Uber Zohak vgk auch Taeschner, im Islam YI,
S. 289 ff.
Die Frage, warum und wann und wo die beiden Eugel, die sich
irdischer Liebe hingeben, mit Hurdad und Murdad identifiziert wur-
den, sei den Eranisten iiberlassen. Nach Tabarl und Nisaburi waren
es gerade die frommsten und vollkommensten Engel, die auf die Probe
gestellt wurden; das konnte auf jene beiden passen, kaun aber wohl
bier nur in Ermangelung genauerer Kenntnis als Grund angefiihrt
werden. Ebenso bleiben noch zwei andere Fragen ungelost: 1) woher
die von Mirhond angefiihrten drei Engel stammen; 2) ob, wie Nestle
a.a.O. annimmt, Harut und Marut mit Hillit und Milllt identisch sind.
Neben Babil Dunbawand wird bei Tabari aber auch Babil im
1) Vgl. audi E. W. West, The Book of the Mainyo-i-Khard, 1871, Glossary
and Index, S. 7, s. v. Amerddd. Die so'dte Form mit aiilautendem a ist noch ge-
nauer zu untersucheu.
Harut und Marut. 85
'Iraq genannt. Der Ziig, da(5 Hariit und Mririit mit iliren Fliigeln
schlagen, konnte auf irgend cin babylonisches Bildwerk, das Zauber-
wesen mit Fliigehi darstellt, zuriickgehn; Sagen, die an alte Bilder-
werke anknupfen, koramen oft genug vor. Und schlieBlich war ja
auch Babylonien das Land, wo der judische mit dem babylonischen
und persisclien Kulturkreis zusammentraf. Somit werden auch die
persischen Elemente der alten Sage, ehe sie nach Arabien kam, in
Babylonien mit den jiidischen eine Einlieit eingegangen sein.
2. Zuhra. Die Zuhra ist bei Hafiz, wie auch anderswo im Mittel-
alter, die Tanzerin und Silngerin des Himmels. AuDer in dem oben
S. 70 angefiibrten Verse kommt sie nach des so friih verstorbenen
Freundes Veit handschriftlichem Hafiz-Index noch einmal vor, und
zwar Brockhaus, 686, V. 29
Nach V. Rosenzweig-Schwannau (Bd. Ill, S. 471):
Denn, laBt Hafiz im trunk'nen Stande ertonen seinen Saug,
Griifit ilm herab vom Hiramelsrade Sohre mit Saitenklang.
Wenn also Zuhra es ist, die sich mit den beiden Engeln in Liebe
vereint, so ist im urspriinglichen Mytlius sicher die Gottin „yenus"
gemeint gewesen, moglicherweise in einem Sternenmythus. Dati sie
eine irdische Frau gewesen sei, die dann an den Himmel geflogen
ware, ist eine spatere Umdeutung. Der Gledanke, daB eine Buhlerin
zum Himmel emporgestiegen sei, ist dem frommen Nisaburi ein Greuel.
Die Namen Beduht und Anahid (oben S. 75) weisen wieder nach
Persien. Den Namen Beduht hat Andreas — richtig, wie gewohn-
lich, — als „Gottestochter" gedeutet (Zeitschr. d. Deutsch. Morgenh
Ges. Bd. 57, S. 170). Ubrigens geht auch aus Qoran Sure 53 hervor,
daB al-'Uzza, die altarabische Venus, zu den „Tochtern Gottes" ge-
rechnet wurde.
Nach jiidischer Uberlieferung waren es aber gerade irdische
Frauen, mit denen sich die Engel vergingen, Der Eintritt der Zuhra
gibt sich also deutlich als ein dem Mythus der Engel-Ehen fremdes
Element zu erkennen. Die Naht in der Geschichte kennzeichnet sich
in dem Ausweg, daB Zuhra urspriinglich am Himmel gewesen sei
(oben S. 74, 78, 80).
Aber es muB eine Sage oder einen Mythus gegeben haben, nach
dem Zuhra-Beduht-Anahid-Ischtar mit Engeln oder gottlichen Wesen
ein Liebesverhaltnis einging. Da wir bereits sahen, dafi Babylonien
86 K- Littiuauu,
wahrscheinlicli das Ursprungsland der Hariit-Mrinit-Geschichte war,
so liegt es sehr nalie, audi hier an das Fortleben eines babylonischen
Mythus zu denken. Ein Mythus, in dem zwei „Heroen" mit der
Liebesgottin zusammentreffen , hat bekanntlich im Gilgamescb-Epos
seine literarische Auspragung gefunden; da sind es Gilgamesch,
Eabani und Ischtar. Hier das Nahere zu bestinimen, muB ich natur-
gemafi den „Akkado]ogen" iiberlassen.
Nun sind es aber in der Hindustani-Erzahlung (oben S. 71 f.)
Zuhra und Mustari, zwei Freudenmadchen , die sich mit Harut und
Marut zusammengefunden haben. Mustari's Eintritt in die Sage fallt
noch spater als der Zuhra's. Er ist aus dem Bedurfnisse der Sym-
metrie entsprungen. Wir haben im Orient nicht nur architektonische,
bildnerische, metrische und graphische Symmetrie, sondern audi er-
zahlend-literarisdie. Den beiden Engeln mufjten zwei Freudenmadchen
entsprechen. Die eine war Zuhra, deren Bild der hellste Stern am
Himmel ist: was war natiirlicher, als den nadisthellen Stern, den
Jupiter, hinzu zu nehmen? AufJerdem sind ja beide Gliickssterne;
Venus ist ^-i-^l kXj»-»>o, Jupiter -ySX o^a^. Hier sind wir nun in der
glucklichen Lage, das Ursprungsland dieses neuen Sagenelementes
durch eine grammatische Tatsadie festzunageln. Im Arabisdien liaben
alle Sterne ihr bestimmtes Geschlecht, nur Merkur ist zweigesdiledi-
tig; danadi ist Zuhra weiblich, al- Mustari aber mannlich. Auch das
Hindustani kennt ein grammatisches Geschledit. Also raiissen Mustari
und Zuhra in einer Sprache, die kein grammatisches Geschlecht
kennt, beide als Feminina aufgefaBt sein. Und das ist das Neu-
l)ersische. DaB Mustari erst im Hindustani seiner Endung •% wegen als
weiblich aufgefaBt sei, ist deswegen unwahrscheinlich, weil dann Zuhra
seiner Endung wegen dort wohl mannlich sein miilite; auBerdem gibt es
im Urdu sowohl Masculina auf -i wie Feminina auf -a. Endlich sei noch
bemerkt, daCi nach A. Siddiqi's Mitteilungeii heute in Indien Zuhra
und Mustari haufige Namen fur Tanzerinnen und Freudenmadchen
sind; Mustari kommt daher fiir Tochter guter Familien gar nicht vor,
Zuhra jedoch hie und da, weil man dabei auch an Zahra, „die
Glanzende", den Beinamen der Fatima, denkt.
3. Der „groGte Name". Die Bedeutung des „ Nam ens" fiir
Zauberei und Aberglaube im Morgenlande und im Abendlande ist
genugsam bekannt. Wenn also, wie wir bereits aus dem Henochbuch
wissen, die Engel den Menschen geheiraes Wissen und Zauberkiinste
raitteilten, so war es ganz natiirlich, da(^ der geheime Name der Gott-
heit auch mit dazu gehorte. Es scheint aber, dali dieser Zug in der
Harut mid Marut. 87
Harut-Marut-Geschichte erst spiiter ist, da er nur in wenigen Versionen
Yorkommt, und da er hier hauptsachlicli da/.u dient. zu erklaren, wie
die irdische Zuhra an den Himmel kommt. An und fiir sich hatte
er, ebenso wie die Umdeutung der Engel in Menschen, auch unab-
hangig einmal in der judisch-christlichen, ein ander Mai in der isla-
mischen Sage liinzukommen konnen. Nach dem athiopischen Buche
Arde'et („die Jiinger"), das ich im Journal of the American Oriental
Socieiy 1904, S. 1 — 48 lierausgegeben und iibersetzt habe, teilt Jesus
selbst seinen Jiingern den gro&en Namen der Gottheit mit. DaC> man
durch Aussprechen irgend eines Zauberwortes plotzlicb durcb die Luft
fliegen kann, ist in Marchen und Legende ein nicbt seltener Fall.
Der „groBte Name" der Gottheit jedoch muBte fiir Hrirut und Manlt,
fiir Zuhra und Mustari, in erster Linie fur ihre Fliegerkunst in Be-
tracht kommen. In modernster Zeit hat aber auch in diese Phan-
tasie-Welt der Rationalismus seinen Einzug gehalten; denn im Winter
1914/15 wurde in Cairo erziihlt, der von den Englandern abgesetzte
Khedive 'Abbas Hilmi kame jede Nacht mit einer Flugmaschine in
seinen Palast geflogen.
Zu der ganzen Sage ist noch W. Bo us set, Die Religion des
Judentums im neutestamentlichen Zeitalter'-, S. 560, zu vergleichen.
Ob Mohammed die jiidisch-christlich-persische Geschichte in der
Form, wie sie uns spater iiberliefert wird, bereits gekannt hat, und ob
sie von Juden oder von Christen oder von Persern nach Medina ge-
bracht wurde, ist vielleicht eine miiGige Frage. Nur sei darauf hin-
gewiesen, daB auch der direkte Weg vom persischen 'Iraq denkbar
ist, da wir ja von einem persischen Geschichtenerzahler wissen, der
Mohammed Konkurrenz machte bei der Unterhaltung der Menge.
Es ist ein feiner und raenschlich sympathischer Zug der Sage,
wie sie uns im islamischen Gewande vorliegt, daC) die Engel, die sich
sUndenfrei fiihlen und pharisaisch auf die schwache Menschheit hinab-
sehen, fiir ihren Hochmut bestraft werden dadurch, daE> sie, mit
menschlicher Schwache behaftet, dieser auch nicht widerstehen konnen.
Dieser ethische Zug liegt dem urspriinglichen Mythus ganz fern.
Dem Manne, der wie kaum ein anderer Gelehrter den alten und
den neuen Orient kennt, der die Sprachen. Volker und Lander von
Indien bis Armenien umspannt, sei dies kurz angedeutete Ergebnis
der Analyse der Geschichte von Hariit und Marut ein Abbild seiner
eigenen weit umfassenden Tatigkeit!
Gottingen. E. Littmann.
EIN ALTES PARTICIPIUM PERFECTI
IM GRIECHISCHEN.
Dafi im attisclien Dialekt nach v, wie zii erwarten, rj, niclit a
purum steht, beweisen vor allem die Ortsnameii: <PXvrj&tp CIA I 299,
^lvr]6i ebenda III 61, Ei-Qvr/Xog bei Thnkydides [6,97, 7,2.43], wahrend
die epicliorisclie Namensform Eurijalus bei Liv. 25, 25 aus Polybius er-
lialten ist, ferner "Yrjc, das Pliot. s. v. aus Kleidemos imd Aristophanes
aiiflilirt. Dazii kommen noch lyyvri, yvri^ [Eur. Heraklid. 839 tor
"AQytkov yhii'], vtjvog und v/jvelv bei Plato, ebenda [Tim, 75'^] audi
osv/]xooc. Keine Gegeninstanz bildet qh'-aQog mit Ableitungen; das
ist, wie ff'Xvas [vgl. die Stellen bei Kaibel, poet. com. 1, 1831] zeigt,
ein dorisclies Wort, das ins Attische eingedrungen ist; Herodots
(flvijiiHg [7, 108] ist so wenig echtes loniscli, wie ovoh/g ovahjr 1, 92.
Infolge der hellen Ausspraclie des v geriet das Spracligefiilil ins
Schwanken und fing an a fiir /j zu setzen. Spuren dieser Unsiclierlieit
zeigen z. B. die Handschriften Arist. Ri. 1297, wo neben dem allein
richtigen aijtvyg oijtvag auftauclit, ferner die Lexika: Bekk. AG 47229
d(pva xaX dg)V9], daneben 473- chpvag jrhjd-vrTixfog ItyovGi, ojrario')-
rara 61 clcpvijv (audi wir pflegen von den Sardinen im Plural zu
reden), Steph. Byz. ^Ivklg . . . 4>XvTjOi:V . ra rojrixa (pliHcOer (plvd^t
(richtig, da ein Ace. PI. zu Grunde liegt) <PXv7joiv. Es fehlt aber
audi niclit an Stellen, an denen t/ als das riditige und iiberlieferte
bezeugt wird: Phrynich. Bekk. AG 55 dsvtj to dtrdgov dice rov v xca
Tj , dlX' ovx ogsa . xal osvirov. Phot. drpQvyi^ to iitrkoQor. Evqi-
jiidrjg [Heraklid. 394]. Falsche (c sind endlich eingedrungen in die
byzantinischen Kanones, die Paroxytona aufzahlen, deren vorletzte
Silbe mit einfachem r, d. h. niclit mit ot zu schreiben sei. Der aus-
fiihrlichste solcher Kanones, den Lentz Herodian nicht zuschreiben
durfte, liegt vor bei Theognost [Cramer, AO 2, 106'']: r« did rof vd
rjrfc(> dt'o ovA?Mi^dg jiaQo^vrora did rov f ipiAov yQdfporrca oloi^
E. Schwartz, Ein altes Participiuni perfecti im Griechischen. 89
ost'« tidog si'Xo^' ' ^^"^ yovv ts civrov xaraOxivao&t'rTa due ror f/,
o^vfj ' oiGvcc ' y.ojdva xTjC. fnjxcoj'oc y xtffah'j ' xccqvcc ' i^i'a*
aijcva ■ OLXva " fnXardQva • Aarva /) jrohg ' lyvva ' oQva,
yiglOTaQxoQ OvoxtXXti ro d xa) txrtlrii to v xcu jiQOjcaQOsvrti
IvaXXayijr tovov jr£jiou]xo')Q, o'jq (ptjOw '^IlQcodiavoq. Klirzer AO 2,
329 = et. ra. p. 770 ^^ tcc vjiIq dvo ovXla^aq {jiuqosvtovcc) due rov v
tpiXov y(>('c(/tTai oiov oixva' xcodva' i^va' OiJtva' xaQva' drpva,
Ot]f/cuv8i dt rijv tyyQavhr.
Falsch sind oijn'a [audi bei Phot. Harp.] und df/va, die siclier
als attisclie Worte mit // zu sclireibeu sind; die Differenziernng von
osva und Ssv?] ist ein Pedanteneinfall. olova (vgl. Apoll. soph. p. 119^-^
tx xtjQ olovac) wird durch Phrynichos widerlegt [Bekk. AG 57]:
olovov ovdtTtQcoc ' ol dh O-ijXvxvjc. XtyovTiq olova dianaQxdrovOiv '
oijfiaivei dh ()d^dovg tXcodeic. Auch [itXavdQva ist falsch akzentuiert
fiir i/sXMv6()ra, Plural von inXdrSQvor. Dorisch sind xaQi'cc, vgl. die
lakonische Stadt KaQvai, und oixva, wofiir nach Athen. 2 p. 59*" die
Athener xoXMxvvTr/ sagten, vgl. I^ixvojv, oder alter ^ixvcov die
Gurkenstadt. Woher t|t'«, Nebenform zu l^vg, wie offQih/ zu offQvc,
und Airrra aufgelesen sind, wei6 ich nicht; wenigstens der Ortsname
ist sicher nicht attisch.
Herodian behauptete, da6 in lyrvti der Akzent 'ionisch' ver-
schoben sei, schol. N 212 iyrvriv l<orix<~jq fartiiaXt rov roror, Ijitl
TO dx('))Mvihov lyvva Iot'iv, cog '^HQcodicawg li' xcoi la trjg KadoXov,
Vgl. schol. fp 242 ravra o Ilgcodiavbg tv rfji Ta t/)c Kad^oX.ov ....
(einige akzentuieren im Akkusativ jrreXet'jv, und danach auch jtreXe/j)
xal dTjXjyv on xard [itTal^oXtjr rovov Sojceg xcu tJii rov ^^XO-t xar'
lyvvr]v ^hiiX^jitrog \_N 212] Tijv [itra[ioXJ]v rijg rdoeog hjtoi^oavro [so
ttberliefert]. Wahrscheinlich verlangte der Grammatiker lyrva = r/vvta
wegen des langen v; langes r und kurzes a deuten auch die Schreiber
an, die Poll. 2, 189 iyrra fiir lyrrt/ setzten. Zweifellos hielt Aristarch
OPYA, den Titel einer epicharmischen Komodie [p. 110 Kaibel], fiir
eine solche Bildung. Ob diese Auffassung besser begrlindet Avar als
die sicher verkehrte Umsetzung des fest bezeugten iyrvij, lafit sich
nicht entscheiden; richtig ist sie fiir xc'xSnc (Mohnkopf) = xo'jdnn,
dessen a fiir das Attische durch Inschriften feststeht [vgl. Meisterhans
§ 17]; das l des diphthongischen vi wird in der Orthographic des 4. Jahr-
hunderts auch im Partizipium des Perfekts regelmafiig weggelassen.
Neben der Endung -via (= -usja) hat das Partizipium des Perfekts
im Dorischen und der Kovvr] bekanntlich auch -tia (= -vesja); ebenso
steht neben xrodvia die Form xojdtia [,5 499], aus der xokh] [Bekk.
90 E. Schwartz, Ein altes Participium perfect! im Griechischen.
AG 274 31 = et. m. p. 550 ^j kontrahiert ist. to -xfodvor [Theophr. hist.
pi. 6, 8^] diirfte sekundar aus xojdvta g-ebildet sein. Das Maskulinum
ist y.fodcor, wie dyc'tv neben ayvia; liier ist das alte Suffix -vons
in die Nasalstamme libergetreten , wahrend in f/tjXQojg, das durch
tnjTQVKi in die gleiclie Bildimgsreihe gewiesen wird, der Nasal
regular ausgef alien und der s-Stamm bewalirt ist.
Sowolil 'Ao')6o)v Avie xcoSna weisen den hochtonigen Perfekt-
stamm auf; zu ihm g-ehort audi der im Spricliwort luoddXov yoins
[Hesycli. Diogen. 5, G9J erhaltene Name; vgl. ferner Suid. zodaXovyog
/a'TQor yfjc. Die tieftonige Form des Stammes ist in xadoc, erhalten.
Ob der hochtonige Praesensstamm in dem Namen eines Sklaven des
Hephaestos, Krjd-aXUov [Eratosth. catast. 32. scliol, Nic. Ther. 5] vor-
liegt, will icli daliingestellt sein lassen.
StraBburg i. Els. E. Schwartz.
ZUR BEURTEILUNG DER AWESTISCHEN VULGATA.
Die scliarfsinnigen Beobaclitungen von Andreas uber den Laut-
wcrt der Zeichen des Awesta-Alphabetes haben mich zu eigenen Unter-
suclmngen angeregt, die in mir die tjberzeuguug gefestigt haben, dal)
Andreas' Entdeckungen einen uberaiis wichtigen Fortschritt der Awesta-
forschung bedeuten. Die Einwendungen, die Bartholomae (Zum altiran.
Worterbuch 6ff.; WZKM 24, 129 ff.) und Reichelt (WZKM 27, 53 ff.)
erhoben haben, scheineu mir keineswegs geeignet, die Ergebnisse, zu
denen Andreas vor allem auf Grand palaeograi)hischer Untersuchungen
gelangt ist, in Frage zu stellen oder gar umzustofien. Der ablehnende
Standpunkt von Bartholomae und Reichelt ergibt sich mit Notwendig-
keit aus der Anschauuug, daB der aus einer groBen Zahl von Hand-
schriften hergestellte Text fur uns maCigebend sei und dafi im
allgemeinen Eiustimraigkeit der Uberlieferung, die Haufigkeit des Vor-
kommens einer Lesung oder auch die Lesungen der „besten" Hand-
schriften entscheiden. Es wird nur eingeraumt, daS die iiberlieferten
Texte sine grolie Anzahl von fehlerhaften Schreibungen, von ,,Ab-
kiirzungen und anderen die Aussprache verdunkebiden Schreibungen"
aufweisen, die sich groBtenteils aus dem Umstande erklaren, daft die
awestischen Texte urspriinglich in einem .,,weniger ausgebildeten" Al-
phabet niedergeschrieben waren (Brthl. Grundr. I, 153 f.; Reichelt,
Awest. Elementarb. 30). Die Untersuchungen von Andreas und Wacker-
nagel haben, wie ich glaube, den Beweis erbracht, dali der nach den
Grundsatzen wissenschaftHcher Textkritik, vielfach aber auch nach
subjektivem Ermessen hergestellte Text in zahllosen Fallen irrefuhrend
ist, da(-) in die Zahl der durch § 268 des Grundrisses und durch das
Altiran. Wtb. approbierten „ Schreibungen und die urspriingliche
Aussprache verdunkelnden Abkiirzungen" auch viele Formen einzu-
beziehen sind, aus denen man eine Reihe von Lautgesetzen abgeleitet
hat, und da(i die — vielfach falschlich behauptete — Regelmaftigkeit,
rait der gewisse lautliche Erscheinungen auftreten, nichts weiter ist
92 Beruliard Geiger.
als eine RegelmaCiigkeit der Sclireibung. Bleiben auch inlblge der
Uuzuverlassigkeit der Uberlieferung manche Einzelheiten zweil'elliaft,
so steht doch das Verfahren, das Andreas iind Wackernagel ein-
geschlagen haben, um den urspriinglichen Text zu gewinnen, auf einer
festeren Grundlage als die bisherigen Methoden, weil es audi den
Eigentiimlichkeiten des dem Awesta-Alphabet zugrunde liegenden ara-
maischen Schriftsystems i) Rechnung tragt und so eine groCie Zahl von
imwahrscheinlichen Erklarungen durcli oft recht weit hergeholte sprach-
liche Analogien, diircli Lautausgleichungen, durch Annahme von Neu-
bildungen u. a. m. entbehrlich macht. Niir durch dieses Verfahren hxssen
sich unter anderem diejenigen „Schreibungen", welche nicht als Versehen
der Abschreiber gedeutet warden konnen, sondern schon von den
Transkriptoren herriihren miissen, in einwandfreier Weise erklaren.
Daraus, dafi solche Irrttimer der Transkriptoren sich in groBer An-
zahl schon in den Ghathas finden, ergibt sich zur Geniige, daf5 es um
die von Reichelt behauptete „wortgetreue" gedachtnismafiige Uber-
lieferung der heiligen Worte des Propheten schlecht bestellt ist. Da-
gegen kann der Umstand, daCt der „Frahang i oim" noch zwischen
der Schreibung yd der Ghathas und der Schreibung yb des jilngeren
Awesta zu unterscheiden weiB, nicht ernstlich geltend gemacht werden.
Denn der Frahang hat im iibrigen die Irrtiimer der Transkriptoren
des Awesta „wortgetreu" iibernommen. Zudem beweist die scharf-
sinnige und einleuchtende Erklarung einzelner Zeichen des Awesta-
Alphabetes, die wir Andreas verdanken, daB die iiberlieferten Awesta-
texte tatsachlich als eine Umschrift durch Transkriptoren anzusehen
sind, die in die Form en der alten Sprache vielfach diejenigen Laut-
werte eingesetzt haben, welche sie in ihrer eigenen, siidwestiranischen
Mundart vorfanden.
Der Standpunkt, den Andreas und Wackernagel vertreten, wird
schlieCdich, wie ich besonders betouen mochte, auch durch eine kri-
tische Prilfung der handschriftlichen Varianten, die unverdientermalien
ein unbemerktes Dasein im „Apparat" fristen, in oft tiberraschender
Weise gerechtfertigt. Ich hoffe, die Ergebnisse soldier Untersuchungen
in absehbarer Zeit vorlegen zu konnen. In diesem notgedrungen kurzen
Beitrag, den ich meinem hochverehrten Lehrer darbringe, konnen nur
einige ausgewahlte Beispiele gegeben werden.
1) Reichclt gegeuuber sei betont, dafi das urspriingliclic Alphabet zweil'el-
los oin arainaisclies gewesen ist. Dies wird durch die Schriftgeschichte und uiclit
etwa durch Zeugnisse der — Parscntradition bewiesen.
Zur Beurteiluiig der awcstisclieu "\'ulgata. 93
I. Die Zeicheu ^, -^ unci aj^ .
Zu den wichtigsten palaeographischen Beweiseii fiir die Richtig-
keit der Theorie von Andreas gehort das Zeichen ^*o, das Andreas
als Ligatur aus im, der mitteliranischen Entsprechung von iudo-
iranisch rt, gedeutet hat. Demgegeniiber haben Bartliolomae (Zuni
airan. Wtb. 8) und Reichelt (WZKM 27, 58) aus der Proportion
rk, ri): hrk, hrj) = rt: S fiir s den Lautwert hrt erschlossen und l)e-
hauptet, dafi wj sicli tatsachlicli in die Elements hrt zerlegen lasse.
In Wirklichkeit ist diese Deutuug palaeograpbisch ganz undenkbar.
Dalj das Zeichen auf ein r und ein t ausgehen konnte, ist vollstiiudig
ausgeschlossen. Auch die iibrigen palaeographischen Bemerkungen von
Reichelt sind hochst anfechtbar. Der „Querstrich" in dem Zeichen
dient ebensowenig wie in dem Pilhlavl-ldeogramm uj (]"'2) dazu, die
Ligatur als „Einzellaut" zu kennzeichnen. Ich nehme an, daB er in
>H^ ein untergeschriebenes 1 ist^). Die Erkliirung von Andreas, dali
dieses Zeichen nur wegen seiner Ahnlichkeit mit dem wirklichen ^--Zeichen
(J^) mit diesem verwechselt worden ist, ist durchaus einleuchtend.
Davon, daI5 nur J^ {^) urspriiuglich zur Bezeichnung von d gedient
haben kann, iiberzeugt man sich leicht durch einen Blick in Eutings
vortreffliche „Tabula scripturae aramaicae" zu Chwolson, Syr.-nestor.
Grabinschr. (Petersb. 1890). Auch der Umstand, dafi in Ligaturen
(^00 ^isw.) nur J^ vorkommt, verdient Beachtung.
Das Zeichen aj^ ist, wie Andreas festgestellt hat, teils Ligatur
aus J(_5 und ^ (>• und k), teils Ligatur aus ,y und ij und wird
in der zweiten Bedeutung vor Iblgendem y geschrieben, obwohl ein //
sclion in der Ligatur entbalten ist 2); die Handschriften bieten aber
noch haufig die ursprungliche Schreibung aJ(^ ohne folgendes y (JJ).
Die Annahme, dafi 44(^ bestimmt sei, einen phonetisch (und etyrao-
1) Der „Q,uerstricli" in uj^ sollte nicht mit dem der Zeichen u und jaj
zusammengeworfen werden. Das gelit sclion aus der alteren, von Andreas (Hanib.
Or. Kongr. 102) wiedergegebeuen, in Handschriften haufig vorkommendeu Form
des Zeichens jm liervor.
2) Es liegt also einer der interessanten Fiille von Buchstabenhaufung vor,
auf die Andreas aufmerksam gemacht hat. Diese Eigentiinilichkeit der Schreibung'
niufi auch l)ei der Beurteilung auderer .,Lautgesetze" beriicksichtigt werden.
94 Bemhard Geiger,
logisch) von .^ = J^ verschiedenen 8-Laut darzustellen (Grundrifi I, 153
iind 102; Element arb. 29), ist somit unlialtbar. Die Schreiber haben
^1(5 bekanntlich vielfach nicht nur mit ^(j, sondern aiich mit der von
ihnen als n gedeuteten Ligatur >^ verwechselt. Denselben Fehler
begehen Bartholomae und Eeichelt, wenn sie (Grundr. I, 38; Elemen-
tarb. 85) annebmen, dali im Satzanlaut und bei aso („scblecbter" :
Y. 59, 31, gegeniiber gAw. ahjd) aucb im Inlaut iran. ^l zu aw. x
warden. So korrigiert Bartbolomae Y. 60, 11 (= 71, 29) sydto mit
Berufung auf Pt4 in Mto^ obwobl Pt4 in l)eiden Stellen 4^''^3-H3' ^1^^
sydto bat. Nur einige wenige Hss. bieten oauji^, die meisten baben
°jLujj^a(^j einige °jujjjj(^. Vsp. 7, 3 haben alle Hss. ^^^iut^ , aber
im Vend, sade scbreiben zwei Hss. °ijjjjaj^. Alle iibrigen Ableitnngen
von 6'//a- werden durcbwegs mit °ii^ geschrieben. Aucb auf
u^^jjj»ii>H^ im Y. 29, 3 (Varianten mit ^(j) wird man das „Laut-
gesetz" nicht stiitzen, wenn man erwagt, dali fiir JAu»jjjjAJi^ in Y. 33, 8
die Varianten die Schreibungen °JJJ(^, "JAJ^, Jjw»jj>^und jau».uj^
(so Pt4 u. a.) bieten i), In alien Fallen, in denen nur J^ oder >vj
geschrieben wird, ist demnach fehlerhat'te Schreibung, vielleicht aucb
Beeinflussung der Schreiber durch den sicherlich nachawestischen
Wandel von sy zu 6' anzunehmen-).
II. Das Zeichen p.
Auf die Erklarung dieses Zeichens ist, wie mir scheint, viel Scharf-
sinn nutzlos verwendet worden. Aucb bei diesem Zeichen erweist sich
die Annahme, dati die Parsenpriester dank ihren „sprachwissenschaft-
lichen Kenntnissen" durch regelmafiig an bestimmten Stellen wieder-
kehrende Schreibungen bestimmte phonetische Eigentiiralichkeiten zum
Ausdruck bringen wollten, als vollkommen irrig. Am deutlichsten
wird dies durch das Zeichen m» bewiesen, das mit Vorliebe vor folgen-
dem y geschrieben wird, und das nicht — Avie Grundr. I, 153; Elemen-
tarb. 29 und sonst noch angenommen wird — „eine nicbt genauer
1) Andreas und Wackernagel liaben also (Nachr. GilU. Ges. d. Wiss. liMl,
ii72j ndt Kecht das y eiugesetzt.
2) Klieuso wii'd audi iiber den angebliclien awestischon Wauilel von fit/ zu .s
(Brtlil. und Reicbelt, 11. cc.) xu urteilen seiu.
Zur Beurteilung cler awestischeu Vulgata. 95
bestimmbare Modifikation ties It vor ?/", sondern zweifellos Ligatur
aus in ist, die zu einer Zeit fur h (H) eiugesetzt wurde, in der hv {yy)
zu X geworden war. Es ware nun denkbar. dafi das |a, das — wie
Andreas festgestellt hat — ebenso wie O^uud (o auf n zuriickgeht
und vor allem fast regelmiiftig im Auslaut ersclieint, von den Tran-
skriptoren im Sinne eines 5 fiir auslautendes awestisches t eingesetzt
worden ist, weil dieses in ihrer Sprache zumeist zu o geworden war.
Im Pahlavi der Biicher wird umgekehrt fiir o „historisch" t geschrieben.
Ich zielie es jedocli vor, u als Finalbuchstaben zu co zu be-
trachteu, der irrtiimlich aulierdem im Inlaut fiir 0 und o und im An-
laut fiir 6 (tbaesah- usw.) oder ganz unbereclitigt (tkaeSa-) geschrieben
wurde. Wenn nach S und s nicht p, sondern ^ erscheint, so liegt
dies daran, da(i fiir H und st die Ligaturen ^^yij und ^^ (wie die
Handschriften zeigen) verwendet wurden. Fragt jemand etwa, warum
man gerade fiir t einen Finalbuchstaben verwendet haben sollte, so
weise ich darauf hin, daB die aramaische Schrift just fiir D, 0, i, D
und 5J (und fur keinen anderen Buchstaben) im Auslaut die Final-
buchstaben "7, D, ], f] und Y gebraucht, die iiberdies die alteren Zeichen
sind (Lidzbarski, Nordsemit. Epigraphik I, 191).
III. Zu (leu awestischen Vokalzeiclien.
Bei der Beurteilung der iiberlieferten Vokale darf man — es ist
dies eine selbstverstandliche Forderung — nicht vergessen, den Eigen-
tiimlichkeiten des aramaischen Schriftsystems Rechnuug zu tragen.
Nur dann versteht man z. B. Schreibungen wie guhodum und ha^Blm
fur nmti'15 und DTin, d. i. "hi(d)m und "bi/(d)m. Dann wird man aber
auch nicht zu dfdntdm (DinilD^X „Avasserreich"') einen Stamm dfant-
ansetzen und iran.-awest. „Nullstufe" zu ar. u (Grundr. 1,29; Elementb.
71) annehmen. Das a ist hier ebensowenig IS^uUstufe zu n wie etwa
das u in tdmcujituntdm (Diniimo'in), das fiir t9nia)dJiv(d))itdtn geschrieben
wurde. In diesen und zahllosen anderen Fallen wurden 1 und % weil
diese nicht nur zur Bezeichnung der Halbvokale, sondern auch als
matres lectionis fiir die entsprechenden A^okale dienten, und weil im
Urtext die Vokale hinter 1 und ■• nicht ausgedriickt waren, falschlich
durch Vokalzeichen transkril)iert. Auch dort, wo 1 mater lectionis
fiir Vokale ist, wird bekanntlich bald d, bald ii geschrieben. Hierher
gehort die von Bartholomae, Airan. Wb. mit einem Fragezeichen rer-
sehene Form niarozi/aiiind, die fiir mdresydmna (und nicht nidrezi/amna,
96 Bei'iiliard Geiger; Zur Beurteiluiig der awestisclien Yulgata.
wie Geldner zu den Varianten vermutet) steht und „die geputzten"
(Frauen) bedeutet, wie Agni R.Y X, 69, 7 nfbhir mrjydmanah lieil.it.
Das 1 des Urtextes bezeichnete bekanntlich sehr haufig auch den
Diphthong an, der in der Yulgata gewohnlich als ao erscheiut. Daher
kommt es, dafi in einer Reihe von Fallen ft fur ao und umgekehrt ge-
schrieben wird. Dies gilt einerseits z. R. auch fiir kdrduusi (2. sing.),
das als Bildung aus dem schwachen Stamm (Grundr. I, 203) schlecht
erklart ist, da alle anderen starken Formen dieser Wurzel aus dem
starken Stamm gebildet werden, andrerseits fiir Bildungen wie a^ivi.drao-
Xoo (Yt. 10, 17), das nicht Part. fut. pass. (Airan. Wtb.) ist, zumal da
einige Hss. u fur ao bieten, fiir mraotd (2. pi.), sraotd (Nachr. Gott.
Ges. W. 1911, 13f.j u. a. m. Hierher gehoren m. E. auch gukiijat-
U'/Zo (Yt. 13, 16, wo eine offenbar nicht ganz „geringwertige" Us. gao"
hat), ''radoijata (Y. 44, 20; und '*rripai/ehiti (Y.4S, 10). AYas das letzte
Wort betriflt, so sei hier bemerkt, dafi es gewilj nicht mit ai. rfifpd-
und rupayati verwandt ist, wie Airan. Wtb. gegen Grundr. I, 195 an-
nimmt. Abgesehen davon, dafi alle Bedeutungen von ai. rupd- von
der Bedeutung „betrugen" sehr weit entfernt sind, ist es nicht eben
wahrscheinlich, dafi die „Karapans" durch den Rauschtrank „betriigen"
wollten. Geldners Ankniipfung des Wortes an ai. rupyati (KZ. 30, 530)
triift gewili das .Richtige. Zur Begriindung dieser Auffassung weise
ich darauf hin, da6 rupyati nicht „krank sein" bedeutet, sondern, wie
das Petersb, Wtb. richtig angibt, sich auf das ,,Rei&en'- im Leibe,
und zwar, wie die dort zitierten Stellen zeigen, nacli dem Genusse
von Gift bezieht. Beachtenswert ist insbesondere, daC» Ath. V. 4, 6, 3
Kausativformen von rup- und mad- (also ..Reiljen verursachen" und ,,be-
rauschen, betauben'-: vom Gift) nebeneinder stehen, wie Ath. Y. 9, 8, 19
maddyatdi neben ropanCis. Durch den Rauschtrank {mada-) verur-
sachen die Karapans also Reifjen (im Leibe) gleichwie durch einen
Gifttrank. Ich nehme demnach an, dalo das a des awestischen Wortes
fillschlich fur ao geschrieben ist, wiewohl mir bekannt ist, dali auch
im Altindischen Kausativformen von einer und derselben Wurzel mit
und ohne Guna vorkommen. Bartholomae halt die Liinge des d unserer
Kausativformen fur „wesentlich" und nimmt an, "f«j>° neben ai. rupyati
sei Neubildung nach Mustern wie ai. tdpyati itdpdyati (Grundr. I, 195).
Das wird wohl noch mancher andere aulier mir fiir mehr denn un-
wahrscheinlich halten.
Vieles andere, insbesondere kritische Bemerkungen iiber a und «
der Yulgata, muii ich fiir spater aufsparen.
Wien. Bernhard Geiger.
VERWECHSLUNG VON H UND ^ IM AWESTA.
Y. 32. 14:f. liahen Andreas imd AVackeruagel (Nachrichten der
Gottinger Gesellschal't d. Wiss., Pliil.-hist. Kl. 1913, 385) im „i:rtext"
Jui'voi statt (v'vo eingesetzt imd iibersetzeu ,,bei der Kelterung". Der
Zusammenbang laiit eineii derartigen Sinn erwarten, und die zwiefache
Verderbnis, die damit in dem uberlieferten avo angenommen wird, lafit
sicli erklaren aus Angleichung an das richtige avo „zu belfen" am
Ende der Zeile ''. Diese Angleichung ist eine doppelte: einerseits in
der Endung, die so zu reimender Ubereinstimmung gebracht ist, andrer-
seits im Anlaut, wo av- statt hav- nicbt eigentlich eine Textverderbnis
zu sein braucht, sondern nur eine — durch das vorberige av- besonders
nahegelegte — Verlesung des annahernd oder vollstandig gleichen
Schriftbildes. Denn in der unserer Vulgata zugrund liegenden Text-
form sahen N und n, die am Anfang der Worter a'^vo und lia-^vol standen,
annahernd, wenn nicht vollkommen gleich aus. Zwar sind diese beiden
Zeichen sowohl auf den arsakidischen wie auf den sassanidischen In-
schriften nocli deutlich zu unterscheiden (« ars.: iJ sass.: ^J, n ars.: N
sass.: jyj), und "wir konnen auch nicht geradezu behaupten, daS im
anzunehmenden arsakidischen Text des Awesta der im Buchpahlavi
vollzogene Zusammenfall beider Buchstaben schon angebahnt war.
Wir miissen jedoch vor der endgiiltigen sassanidischen Redaktion des
Awesta, fur die das mit zahh-eichen Vokalzeichen und reich, ja iiber-
reich mit ditferenzierten Konsonantenzeichen versehene Awestaalphabet
geschaffen wurde, eine Ilmschrift des arsakidischen Awesta in dem-
selben Schriftsystem (Pahlavi), jedoch in sassanidischem Ductus an-
nehmen. Von den Formen dieser Schrift, des iilteren sassanidischen
Pahlavi, haben wir jetzt durch den sassanidischen Pilhlilvipsalter eine
hinreichende Anschauung bekommen, und in diesem Psalter sind K
und n zwar noch nicht, wie im zarathustrischen Buchpahlavi. vollstandig
zusammengefallen, aber einander doch schon sehr angeahnlieht, und
zwar gibt es da von n zwei Eormen, eine altertumlichere s\j und eine
kursivere a, welche letztere mit tS jj schon fast ganz gleich ist. So
Andreas -Festschrift. /
98 H. Lommei,
ist es denn kaum eine Konjektur zu nennen, sondern eiiie zwar von
der Transkriptorentradition abweichende, aber auf dem arsakidischen
Text fu(5ende Lesung, wenn wir in der Weise wie bei a'^vo: ha-'-'vo(i)
Y. 32, 14 einem ansclieinend vokalisch anlautenden Wort /i-Anlaut
zuerkennen, oder umgekehrt. Es ist fast ubeiJlussig ausdrllcklich her-
vorzuheben, daft dabei jeder andere vokalische Anlaut ebenso in Be-
traclit kommt wie a-. Denn in alien Fallen stand ja « als spiritus
lenis, gleichviel ob ^ oder 1 als mater lectionis zur Bezeichnung der
yokal-(Diphthong-)farbung folgte oder nicht.
Zu diesem Verfahren sind wir um so raelir berechtigt, als wir
sehen, dali beides, die Deutung als « und die Deutung als n, ofters
nebeneinander in der Vulgattiberlieferung vorliegt. Die Verlesung lag
besonders nahe, wenn Worter mit vokalischem oder /t-Anlaut in der
Sprache vorhanden waren. So kann es nicht Wunder nehmen, wenn
statt des seltenen haem „Eigenscliaft, Naturanlage" i) Vend. 13, 44 f.
in einigen Handschriften das gelilufige aem d. i. o/'^yom „dieser" steht. —
Ahnlich verlialt es sich mit ha^d-rd-^ „auf einmal" und a^'d-ra-^' „dort''.
Vend. 17, 5 hat Mf 2 haO-ra anstatt ad-ra. Diese Handschrift bietet
ha&ra auch Vend. 5, 19 und Y, 10, 11, je zusammen mit noch einer
anderen Handschrift, an Stelle von ad-ya. Dieses ist auch das Ricli-
tige Vend. 2, 25 ff. Da heilJt es: „mache eine Umwallung, . . . dorthin
(had-ra) bringe einen Stamm von Kleinvieh und Grof5vieh (25),
dorthin (ha&ra) leite AVasser, dort (hcUhra) lege Wiesen an,
dort (had-ra) baue Hauser (26), dorthin (ha&ra) bringe
einen Stamm von alien Mannern und Frauen, dorthin (hadra)
bringe einen Stamm von alien Tierarten (27), dorthin (JiaOnt)
bringe den Samen von alien Pfianzen, dorthin (ha&ra) bringe
den Samen aller Nahrungsmittel (28). Dort (ad-ra) sollen
nicht sein (allerlei Bresthafte) (29)." Es ist nicht zu
leugnen, daft der Begriff von ha'&nV „insgesamt, zu gleicher Zeit"
an einigen dieser Stellen sich einfiigen liefte: „Dorthin bringe einen
1) Icli umschreibe ■^U^J^O' "^ ^'^^^ herkommliclien Weise, da es niclit
moglich ist, die altawestische 'Lautibrm anzugebeu. Der arsakidische Text hatte
DTI, also genau dasselbe wie die Pahlavischreibung, wo xem zu lesen ist. DaI5 mittel-
persisch xem, ncupersisch sdm niclit auf einen awest. nom. sg. \iiv*]icv^yom von
einem Stamnie '^har'yo- zuriickzuflihren sei, hat Hiibschmann Pers. Stud. 59 riclitig
gesehen, aber nicht die Folgerung aus der uuleugbareu fUeichheit von aw. haeni und
mp. np. xetn gezogen, dafi nainlich ini Awesta ein endungsloser Stamm, also eine
mitteliranischc Form, vorliegt, wie das in di-n jiingsten Teilen des Awesta nicht
selten ist.
Vcrwcclisliing voii n and N iiu Awesta. 99
Starara von Mensclien, dorthin bringe zugleich auch eineu
Stamm von alien Tier- unci Pflanzenarten, etc.", jedoch ist daneben
die Ortsbestimmung kaum zu entbehren, die in 25. 26 Anfang zweit'el-
los in dem haO-ra steckt und in 29 als a&ra iiberliefert ist. Uber-
haupt sind die Falle unter sich so gleichartig, dali die verschiedenen
Schreibungen had-ra und aO-ra als Varianten desselben Wortes
gelten konnen, wenngleich an jeder einzelnen Stelle nur eine Form
vorkommt 1). Schwanken kann man in Bezug auf die Lesung Yt. 13, 49,
wo jede der beiden Formen von einer Gruppe von Handschriften ge-
boten wird. In der Neuausgabe bat Geldner jetzt adra recipiert'-).
K. Z. 25, 541. 558 iibersetzt Geldner jedoch hafd-rd\ und dieser Auf-
fassung ist dem Zusammenhang nacb wohl der Vorzug zu geben. Es
handelt sich uiclit um eine bestimmte Ortliclikeit, woraut" sich ft'i^-ra''
beziehen konnte, sondern das Wesentliche ist, dafi alle Schutzgeister,
die zum Fest gerufen werden, zusammenkommen. Ahnlich steht es
Yt. 19, 69, wo dem adra, das mehrere Handschriften bieten, ha&ra in
D und ha&re in J 10 gegeniiber steht. Wohl wegen der Autoritat
der besseren und mehreren Handschriften hat Geldner-) uihra vor-
gezogen. Die Awestaiiberlieferung ist aber derart, dali wir gegeniiber
der Masse der Varianten eklektisch verfahren und das Gute nehmen
miissen, wo wir es finden. Dabei wird man nun gerade finden, dali
J 10, mit welcher Handschrift D oft zusammengeht, hiiufig sehr gute
Lesarten bewahrt. So glaube ich auch hier, dad haS'ra, worauf diese
beiden Handschriften fiihren, das Richtige ist. Im vorhergehenden
Abschnitt (68) wird namlicli dem Fluli Haitumant besondere Starke
zugesprochen, und die Kraft, vermoge der in ihm wohnenden Konigs-
gewalt die nichtarischen Volker auf einmal (ha'Jca-H) fortzuschwemmen.
„Sie alle zusammen (ha'd-riV) wiirden dann weggerissen" •'•) schliefit
sich daran unmittelbar und sinngemaft an, wahrend a'^dra-^ „dort" olme
1) So iibersetzt Gekliier K. Z. 25, 188 uml gibt elienJa 8. 381 ausdriicklich
a&ra als \^(aria) l(ectio) an. In der inHien Ausgabe aber ist diese Variante iiicht
l)eg"laubigt.
2) Bartholomae folgt ilim dariii.
3) Ich lialte va-'-'vztrom (oder va-^iizJrom, ttlinn) fiir Opt. Perf. im Sinne des
Conditionalis (vgl. Reiclielt, Aw. Elementarbuch S. 323), wie schou Geldner, Drei
Yaslit S. 44 tibersetzte. Die Sekundarendung -rohi ist im Opt. Perf. ebenso be-
rechtigt, wie im ved. Plusquamperfekt asasrgram. Bei dieser Auffassung maclit
das t keine Scliwierigkeit, wahrend der „Bindevokal" i, den Bartholomae A. F. II 97.
Gruudrifi ir. Phil. I 1, 87 darin erkenneu will, im Iranischen keine Stiitze findet.
Die Erkenntnis, dafi es sich um eine Form des Porfektstamms von vaz- handelt,
stammt von Bartholomae A. F. T 135.
100 H. Lummoi,
vorherige lokale Bestimraung vollig ziisammenhangslos dastunde. — ■
Yt. 10, 117 ist statt omohyo (amahe) a-'^i/m zu lesen homohyo (hamahe),
wie schon Spiegel Comm. II 573 gesehen hat, vgl. Yt. 1, 18 homohyo
a-^yon „au jedera Tag" i). Derselben Art ist vielleiclit der Fehler,
wenn Yt. 13, 53 in K 14 ahamya imd Yt. 13, 55 in P 13 alimya, beides
statt hamaya, geschrieben ist. An der ersten Stella werden die Fro-
vuhri gepriesen als „die den gotterschaffenen Gewassern die sclionen
Pl'ade anweisen, welclie vorher lango Zeit an demselben Ort (honioi
(F cjaHou lint^J) standen, zwar schon erschaffen, aber nicht flielJend";
tlhnlich 13,55 als „die deuPflanzen ihre schonenStandorte(?) anweisen,
welche vorher lange Zeit an demselben Ort standen, zwar schon er-
schaffen, aber nicht sich ausbreitend (? oder „gedeihend")." Das
ah(a)iHya der Varianteu, transkribiert aus «''»ns, das im arsakidischen
Text stand oder gelesen wurde, lafU sich allerdings nicht auf N'^ttn
zuriickfiihren, sondern nur auf eine Schreibung, die die Zeichen fiir
sn nebeneinander hatte. Fiir diesen Tatbestand sind zwei Erkliirungen
moglich. Es kann namlich die Verlesung jiinger sein als die hier be-
handelten Falle und erst in dem schon transkribierten Text stattge-
funden haben, in welchem a iiberall da eingel'iigt ist, wo die Redaktoren
eiuen kurzen Vokal, der im arsak. Text unbezeichnet war, annehmen zu
miissen glaubten. Wenn nun auch im transkribierten Text, also in
der ausgebildeten Awestaschrift all- statt ]ia- verlesen wurde, so kann
das nur auf falscher Auflosung von Ligaturen beruhen, wie solche ja
auch in der entwickelten Awestaschrift noch gebrauchlich sind-). Es
kann jedoch die Schreibung ah(a)mya statt hamaya auch aus einem
«''ONn des arsakidischen Textes hergeleitet werden, da das Wort homo-
„derselbe" manchmal mit N in der Stammsilbe geschrieben wird. Nur
halte ich das gerade an diesen Stellen fiir unwahrscheinlich, weil hier
keine Variante mit hcima- vorliegt. Umgekehrt aber glaid^e ich das
hdrne Y. 16, 10 als Korrelativ zum vorausgehenden yolimi, d. h. als ohmi
auffassen zu diirfen, in welchem Falle "'»n« als ^DSn verlesen wJlre.
yohmi .n M^cit tonnnbm
dra^zistom ohmi ma^id-onoi midna^'t
1) Ob der Hergang bei der Verderbnis dieser Stelle so war, wie Caland K. Z.
3], 205 meint, lialte ich fiir mindestens zweifelliaft. Die Veranlassung liir den
„8clireibfehler" amahe statt hamahe ist siclier die Verwechslung von n iiiid «,
also ein Lesefehler.
2) Beispiele fiir Verlesungen, wie die oben angenommene, finden sicli iiiancli-
iiial in den Varianten, z. B. Y. 16, 10 am Knde: liama „im Sommer" (fiir homnl luf.)
auch ahma und ahml geschrielien. Ancli JiaJiiiia an dcrsellten Stelle ist vielleiclit
falsclie Aufiosuu''- eiuer Ligatur.
Vci'woflisluiiL;' Villi n mill N im Awcsta. 101
„ln welclu'iii Haus irgcud cin (jcschopf wohnt, in (k'lu soil cs inug-
lichst king wohneii". Solche korrelative Verbindungen liabeu oft ver-
allgeiueiucrnden Sinn, und eben in der allgemeingiiltigen Form liegt
die religiose Kraft derartiger Wiinsche oder VerlieiGungen. Vgl. z. B.
Yt. 10, 19 .^olimdH na^imafl ushisoti miO-ro yohm(Vi ua'^imdndm
mi&roSrux^'' d.L. nicht etwa: „gerade nur dahin zielit Mithra aus, wo
ein Betriiger weilt", sondern: ,,wo immer ein Betriiger weilt, dahin
zieht Mithra aus". Yt 10, 28 aH olimd'i nnwndi ^a'M-^ti vortd-ro
.... !io]iu iV Xdnnto /3a-'-'vaHi ,,und deiu Haus verleiht er Herden ....
Avo (immer) man ihn bekennt". RV. 7. 11, 2 /jdsi/a devdir dsado harlth-
CKjne lidnij asmai sudind hliavanti „auf wessen Streu du dich mit
den Gottern niedergelassen hast, o Agni, dem warden festliche Tage".
Ahnlich ist auch die Stelle Y. 16, 10 mit dem Sinn: ,,Wo immer Mensch
oder Tier ihre VVohnstatte habeu mogen, dauernd mogen sie darin
wohnen". Die Betonung einer einzelnen bestimmten Ortlichkeit, homoi
nuv^id-onoi „in ebenderselben Wohnstatte", scheint mir umsoweniger
angebraeht, als kurz vorher ohne Einschriinkung die Genie der Erde,
Aromuti, als Wohnstatte angerut'en und unmittelbar davor im all-
gemeinen die Verleihung gesunder AVohuungen t'tir Mensch und Vieh
von Ohrmuzd erbeten wird.
Von den Frovuhri heifit es Yt. 13, 42, dali sie gedankenschuell
von der Hohe des Himmels zur Hilt'e herbeieilen, wenn man sie richtig
(oder tiichtig?) anrut't. Im-zhdtd bietet richtig eine Gruppe von Hand-
schrifteu, die allerdings insofern unzuverlassig in der Uberlieferung
dieser Stelle sind, als sie um eine Zeile ^) reicher sind als die andern
Handschriften, welcher Zusatz von Geldner mit Recht als Umbildung
des echten Verses, der mit denselben VVorten beginnt, ausgeschieden
ist. Dali aber Geldner -) die Lesung uzhatci aus den nicht erweiterten
Handschriften in den Text aufuimmt, ist nicht berechtigt, erst recht
nicht, dali Bartholomae es aus "^'us-zodta- herleitet, wonach also die
im Himmel wolmenden Gottheiten, die nach Yt. 13, 69 wie ein schon-
beschwingter Vogel zum Fiirsten herabfliegen, „herauf"gerufen werden
miiliten. - Das umgekehrte Verhaltnis besteht Yt. 5, 6, wo statt az^a'-roi
(Geldner K5/'>-"50) alio Handschriften aulier J 10'*) eine mit h o*
•) Von 9 Silbeii. Daher «ugc iuli uiclit „V(a-s".
2) K. Z. 25, 557 hat (icldner huzhdta mit Rcclit t'usigclialten, jcducli S. 540
iibersetzt „die sich gern rufeu lasseii", woriu ich ihin uiclit folgeu kanu.
3) An der Parallelatelle Ny. 4, 7 (uicht 2, 7) bicteu nichrere Haiidschrilten
das Kichtiue.
102 H. Loinmel,
beginnende Form bieten. Anlalilich dieses Worts mticht Geldner
K. Z. 25, 387 auf die Erscheinung aufmerksam, da(i im Wortanfang
bisAveilen unberechtigtes h geschrieben ist. Da er die Ursache da-
von, die Ahnlichkeit der Schriftzeichen n und K, nicht in Betracht zieht,
entgeht ihm die umgekehrte Erscheinung, der Anfangsvokal statt
eines wortanlautenden h. — Yt. 13, 89 ist huta^- 1) „Geschlecht" in
zwei Handschriften falschlich aota- transkribiert. — Die Perfektformen
von han- „verdienen" werden in vielen Handschriften luit anhiutendem
a- statt h- geschrieben: Y. 8, 2 liohbna (liaidhdna) in M 2. L 13.
K 11. C 1. B 2 cmliane] Yt. 13, 88 homhononcii, in J 10 aidhanandi,
in K 37 iDdliandi, K 14 ahaidhcmandi ist wohl nur eine von Abschreibern
gemachte Kombination aus beiden vorliegenden Schreibungen. Yt. 13,
188 JiomhonuMi haben Lb 5. K 37 in der Form cmhaniiM. — Y. 53, 4
ist monoho vohous xvonvut ohuS „des guten Geistes lichtvolle Welt"
statt haidhus zu lesen, wie ebenialls Geldner a. a. O. S. 381 richtig ge-
sehen hat, vgl. Y. 28, 2 und 43, 3. Ebenso ist Vend. 5, 38 zu beurteilen,
wo oliouS zu lesen ist 2) und Geldner a. a. O. S. 207 richtig iibersetzt:
„stiehlt Leben, Brot, Kleidung, etc.".
hi- statt i- ist geschrieben in liisvavasma Yt. 14, 2(» statt isu-
vasma, worauf Geldner K. Z. 25, 381 aufmerksam gemacht hat. Seine
Ausdeutung von hisasat Y. 32, 13, die er dort gibt, ist jedoch nicht
anzuerkennen, vgl. Andreas und Wackernagel, Nachrichten der Got-
tinger Gesellschaft der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 1913, 383. Da-
gegen findet Geldners treffende Erklarung (3 Yasht S. 40) von iSohaita
Yt. 19, 53 als hUvhaita, Desiderativ von han- = ai. simseta, in diesem
Zusammenhang ihre Bestatigung 3). Besondrer Art ist die Schreibung
hi fiir a"- (a = n privativum) mit folgendem epenthetischem Vokal, der
in diesem Fall zum alleinigen Silbentrager wird in hid-ijajaidha der
Handschrift D statt a^'d'yozoho Yt. 19, 15.
Eine sorgfaltige Durchsicht der Handschriften wiirde gewilj noch
mehr der Fiille ergeben, wo einige Varianten am AVortanfang m,
andere ^ aufweisen. Schwieriger zu erkennen, namlich nur mittels
1) Die Handschrifteu liabeu -^^^ und -M)U^ fiir "nin. Die Hochstufe
koiiutc zur Not an lauten, jedoch nur in Vertretung von ai. -ari-, arisch. -a^va-
(vgl. ai. sdvitave AV. nobeu mtave RV. AV.). Nonnal ist aber in dicser Bildung
nur die Tiefstui'e.
2) Die Varianten Ji(^>{0*3JJ0*> ■^OJO'J-^O* ■»0>0*3"»* (NB) gelien auf
ty(l)in(1)N zuriick.
3) Bartholoniae begrihidct seine Ablehnung A. F. 2, 93 niit: ,,/t kann nicht
fchlen" und sucht in deni AVort eine sonst nicht bekannte Wur/.el.
Verwcclislunj^- vuii n uml X im Awesta. 108
eiiior geiiaueu Interpretation, sind solche Falle, wo alle Handscbriften
ubereinstimmend h statt a (oder umgekehrt) am Wortanfang haben.
Icb muBte es fur jetzt dabei bewenden lassen, mit einigen Fallen, die
mir zur Hand waren, auf die Erscbeinung binzuweisen. Dali es sicb
bei Verwecbslung von n und S um die Wiedergabe von wortanlau-
tendem spiritus asper oder lenis bandelt, ist das Gemeinsame an alien
bislier beliandelten Fallen. Es ware nun treilicb kein Grund dat'iir
einzuseben, daft dieser Febler — wenn er wirklicb nur auf der Abn-
licbkeit der Scbriftzeicben berubt, — nicht audi im Wortinnern vor-
kommen solltei). Da jedocb (wirklicbes oder vermeintliches) S des
arsakidischen Textes im Wortinnern als Lange gelesen werden muBte,
so mu(^ sicb die Verwecbslung von n und i< im A\^ortinnern im tran-
skribierten Text geltend machen als a an Stelle von li (oder umge-
kebrt). Icb glaube nun aucb dafiir einige Beispiele geben zu konnen.
Zunacbst zraijdi: ,,Im See Vorukuhra" lautet awestiscb zra-'i/oJii
vornkahrol a''. So ist es ein acbtsilbiger Vers, der Y. 65, 4, Yt. 5, 4. 38,
Yt. 8, 8. 81 in Verbindung mit gleicbartigen Versen stebt. Uber die
ricbtige Form des loc. sing, bat wobl nie ein Zweifel bestanden (vgL
ap. Srai/ahiz-d), wobl aber iiber den AVert der Varianten. zrcu/a ist
bloli eine vokalisierte (mit a versebene) Umscbreibung der in den Text
gedrungenen mpers. Form ''"it. Die andern Varianten zeigen den nom.-
acc. sg. zrayo in verscbieden ausfiibrlicber plenarer Scbreibung (zrai/o
Vlt, zraijd X"!*!!, zra//d IN'^lt) an Stelle des erforderlicben Kasus. Beide
Falle, vollige Endungslosigkeit oder nom. sg. an Stelle eines andern
Kasus, sind jedem aufmerksamen Awestaleser reicblicb bekannt. Audi
wenn wir nur die genannten Scbreibungen vorfanden, so diirften wir
bier wie in andern abnlicben Fallen nicbt zogern, die spracbricbtige
Form dem Text zuzuscbreiben, der oftmals durcb dieses Verfabren
seine urspriinglicbe metriscbe Gestalt bekommt. Hier aber baben
Avir zur Herstellung des Ricbtigen einen Aubalt an der Scbreibung
zra[/d/, die Geldner Yt. 5. 4 und Yt. 8, 31 mit Recbt in den Text auf-
genommen bat. Es ist die lectio difficillima, deren Bestandteile, wie
man sie aucb auflosen mag, nicbt wobl zufallig angetlogen sein konnen.
Sie berubt auf arsakidischem "TT^It, in welcbom n falscblich als N ge-
lesen und a umscbrieben ist. Bartboloraae bat also Z. D. M. G. 43. (i(j9
') Die doppelscitige Vcrbiiidung der Zcichen I'iir n und N im Wortiuuern,
die sich audi im altcreii Pahliivi bri kuiTuutt'iu Scliruil)eu ergcbcu mufote, kunnte
dieselbeu vur Verweclisluug keiiiesfalls bewahren, sondcrn ihr eber uoch in hoherem
Grade als im Worta:il'aii<r aussetzen.
104 H. Lominel,
die riclitige Erklariing ') dieser Schreibung gegeben. Nur braucbt dieso
nicht gerade von der Aiiuabme einer Ligatur TT' abbiiiigig gomacbt
zu werden.
lu gewissem Umfang kann im Awesta dcr Dativ die Funktiun
des Genetiv iiberiiebmen. Dal) dies aber zu der syntaktiscben IJii-
geheiierHcbkeit I'iihren konne, Dativformen in unmittelbar appusitio-
neller Verbindung mit Genetiven zu stellen, kann icb nicbt zugebcu.
a/^po ifot sna'^izlnd'ijai^i ccv^ sra'^scind'i/dH ca''' „des Scbuee- iiud Regen-
wassers" Vend. 6, 36 kann nicht richtig sein. Die Genetivform, die
beim ersteren (sna'^iMn&i/ds ca-"-') in den Handschriften L 2. Ml 4
iiberliefert ist, ist auch bei sra''sciiid'//ds va-^ einzusetzen. Ebenso un-
statthaft ist die Bezeicbnung des Thraitauna als zontd-"^ a'^oiS Sa^'JuV-
hcv^i. Hier kommt dazu, dai^ diese siebensilbige Zeile sich in metri-
schem Zusammenhang 2) mit meist acbtsilbigen Versen lindet. Es ist
Sa^'IuVkoJujo einzusetzen. Aber wie konnte sich neben einem so oft'en-
sichtlichen Genetiv wie tt^zoi^^ ein Dativ an Stelle des Genetivs ein-
schleichen? Nahe liegt die Erklarung, dali auch hier a an Stelle von
li steht, und der Genetivausgang -ohijo defektiv Tl- geschrieben war.
Fiir gewohnlich weist -ohyo viererlei Schreibungen auf. 1. Der Stanun-
vokal war gar nicht, der anslautende Yokal mit 1 bezeichnet, VHOin
haumahijo. 2. Der Stainmvokal war gar nicht, der auslautende Vokal
mit « bezeichnet, ^Tnins almrahijd. 3. Der Stammvokal war mit 1,
der auslautende ebenfalls mit T bezeichnet, VriVJ yatjolnjo. 4. Der
Stammvokal war mit "I, der auslautende mit N bezeichnet, KTIVJ ya//oh//a.
Dafi die einfachste Schreibung, die olme irgend welche Vokalbezeich-
nung fiir gewohnlich nicht vorkommt, ist kein Zufall. Auslautender
Vokal wurde friiher und regelmaliiger durch matres lectionis ange-
deutet, als inlautender. Dennoch diirfen wir fiir die Erklarung des
-di, das statt -ohijo geschrieben ist, wolil mit einer Schreibung ^n-
rechnen, und vermuteu, da(4 eben die relative Seltenheit mangelnder
Bezeicbnung des auslautenden Vokals zu einer Mihdeutung dieser sel-
teneren Falle, wo der Genetivausgang so stark defektiv geschrieben
war, gefiihrt habe. — Weitere Fiille des Genetivs auf -di sind, urn
mit einem spaten Text zu beginnen, Vist. Yt. 22 paO-ru kava viMdspdi
neben dem haufigen, vollig flektionslosen vlUdspa in derselben Ver-
bindung, statt des Genetivs ka'voiS vistd'-'spoh/jo\~ Yt. 13, 95 zaraO-uUrdi
1) V<rl. Jucksou, Avesta Grammar S. 102 (98) uiid Bartliulomae Z.D.M.G.-tS, 149.
2) Daft die Landcriiamen mit ilireii Epitlieta, oileubar der Grundstuck des
priesterlich Uberarbeitetcu geograijhisclicu Pargard, eiiie Reiiie von Versen bilden,
liat Geldncr in seiner Ausgabe angcdeutet, al)cr niclit durohgelulirt.
Vi'rwn-li^luiij;- voii n iirnl S iiu A\V(>sta. 105
mtiOr^ni „clas Wort ties Zaratlmstra" statt ziira'O'uhd'rolnjo monO-rom;
— Yt. 17, 5 haouidi in clem metrischen Stiick:
Jia'^umoliijo ra"" nomo monO-rohuo ra"
uhra'vnohf/o ') ra" Ziira'd-mO-rohijo
CiH cit (Sd^ nomo hw^iimohyo.
Yeiul. 19, 39 ist zu Icsen: xca'rno ijomolnjo xkv^ltolino JiiironO-rohijo ,
statt der scheinbareu .Dative auf -di.
Die Verbindung almrdi Jitazddi, wo sie in genetivischer Bedeutung
vorkommt, ist, wie icli glaube, in ohurohijo umzdd zu ilndern. Darauf
fiihren Yt. 13, 87 die Lesungen ahurdhe in L 18 und ma^ddi in K 13
iind Y^t. 13, 157 ahurahe in W 2, ahmahe mazda in Kb l-). Y"t. 13, 157,
Yt. 15, 44 und Vend. 19, 4 furdert der zugehorige Genetiv dad-uso die
Einsetzung von oluuoh/fo^), und Y^t. lU, 89 ist auf diese AVeise die
tJbereinstimmung der beiden Verse:
za-^'utd-'^ olmrohyo muzdb
za^utd'^ a-^'muhrondin spontonom
herzustellen^). Damit kommt zugleich das Metrum in Ordnuug, Yt.
10,89 ein achtsilbiger, Yt. 13, 157 '=) und Y^t. 15, 44 ein zebnsilbiger Vers.
Mit Absicht liabe ich mich bisher auf das jungere Awesta be-
scbrankt, wo defektive Scbreibung bekanntlicli viel baufiger ist als in
den Gatlia's, wo speziell auslautendc Kilrze in der Regel durch «(«)
bezeicbnet ist. Dennoch glaube ich, da(^ auch in den Gatha's auf diese
Weise sclieinbare Dative auf -dl an Stelle von Genetiveu auf -ohyo
getreten sind. Die beiden Glieder in
siiitd^ aV ohurd'l
yosniijd-^ ca'' volious iiwnoho
„die Lobpreisungen des Herrn und die Verehrungen des guten Sinnes"
') 8o die Handsclirii't J 10. Die^c Form ist diirchs Metruiu ge«iclicrL uud
diircliHus niclit ungewijhnlich ; vgl. die nietiiscli gesiclierten tliematischeu Geuctive
a'^^ivoizda'^yontohyo, a'^pa'^ijontohyo Y. 9, 31, visohyo Yt. 5, (>, xruvisyontohyo Yt.
10, ;36, aufJer aiidcren tlieinatischen Foniien vou kousouaiitischen Staiamcii.
2) Man mag viellcicht bezweifehi, ob die juugen Haudsclirifteu W 2 und Kh 1
liier wii-klich alte tJbei'lieferang bewahrt habeu. Die Besscrung liegt niclit so fern,
dafi sic uicht eiueni Abschreiber zugetraut werden konntc. Weuu cs sich so ver-
hielte, so spriiclie das nicht so scbr gegen die Lesungen, wie lur die Abschreiber.
3) Westergaard Lat ahurahe aufgenonimen.
4) Havers, Untersucliungen zur Kasussyntax S. 58 nininit zaotd almrdi als
synipathetischen Dativ und hebt die Besonderheit licrvor, dali dieser liier adno-
miual stelie.
5) Yt. 13, 87 yo purviyo ohurohyo muzdb kanu cbenfalls zebnsilbiger Vers scin.
Wegcn der metriscli unregelmal6igcnUuigcbung ist aber hicriiul"kcin Gewiclit zu legen.
106 H. Lommel,
Y. 30, 1 sincl so gleichgestellt, dafj das Nebeneiaauder von Dativ und
Genetiv in hohem Grad befremden muL Dazu kommt, daB der
genetivische Dativ ohuraf'i, sowie die ebenfalls genetivisch fungierenden
Formeu olmrd'l und soviMaH in Y. 28, 5 fiir den Vers je um eine Sill)e
zii kurz sind. Die Annahme einer Zerdehnung der Dativendung ist
nicht zulassig. Sie kommt im Rgveda nur in den Pronominalformen
asmai asyai vor (Oldenberg, Prolegomena 188, Noten zum RV. s.
Index), und es geht nicht an, sie von hier aus auf nominale a-Stamme
zu iibertragen. Daher haben auch Andreas und Wackernagel an der
letztgenannten Stelle (ISachr. d. Gott. Gesellscbaft d. Wissenschaften,
Phil.-hist. Kl. 1913, S. 367) die Zerdehnung von -d'i nur zweifelnd zu-
gelassen und mit der Moglichkeit gerechnet, daB es sich um dei'ektiv
geschriebene Dative auf •d'^jja'^ handle. Nun, mangelnde Bezeichnung
auslautenden Vokals, das gerade ist es ja, was auch ich fiir meinen
Erklarungsversuch annehmen mufi. Die Verbesserung olniroliijo so-
viUohyo in Y. 28, 5 bringt allerdings, wie an den vorgenannten jung-
awestischen Stellen, die Anderung von muzSil-^i in muzSo mit sich').
uhnVi (urtiYi) Y. 29, 8, dessen Endung metrisch einsilbig ist, lilljt
sich vielleicht als dat. sympathet. (neben gen. no\) verteidigen.
Endlich sind in diesem Zusammenhang die Formen der 2. pers.
sing. conj. mit -di statt -dhi zu erwahnen, in denen man friiher Schwund
des li annahm-). Bartholomae gibt Altiran. Verbum S. 30 f. die voll-
standigste Liste der in Betracht kommenden Formen und erkennt
einige derselben noch im altiran. Worterbuch als 2. pers. sing, an,
ohne ihren Modus zu bestimmen. Andre erklart er jetzt, wie so mauche
schwierige Form, z. T. recht gezwungen, als Infinitive.
Einige derselben sind nun ganz sicher 2. pers. sing, conj., und es
ist fiir die Beurteilung dieser Formeu wichtig, dafi -di ofters als
Variante fiir -aki des Konjunktivs vorkommt. Y. 62, 10 javdi in J 1
fiir jvdM (Hvdhi), Vend. 5, 16 vazdi in K 9. Pvs. (s. Westergaard)
fiir vazdlii Vend. 8, 75 frasocaydi in L 1. 2. Br 1. M 2 fiir frasaoai-
ydhi, Vist. Yt. 4 havdi in K4 fiir bavdhi. Die Bedeutung einer Variante
hat es auch nur, wenn der Satz Vend. 19, 18 nrva'ronmi rnd-ydnbm
[a'-'va-^JzHsdhl (avajasdhi)'^) „gehe zu den sprossenden Pflanzen" im Vist.
Yt. 22 wiederkehrt mit dem Verb in der Form Jasdi. Bei einem der-
1) In der AulTassung dieser Fonncii als Geiictive trclTe ich im WcscntliclR'ii
mit Horn B. B. 17, 152 zusainmen, seine sprachhisturisclie ErRlarung dafiir kanu
ich jcdocli nicht annehmen.
2) Spiege], althaktr. Gramm. 213.
3) Das verdcrbte ja&-di in L 4. K 1 zcigt diesclbe .SclireilHing der Endung,
Vcrwcchsluiig vuu n iiiul N im Awesta. 107
artigeu Verhaltnis der Variautcii ist es ersichtlicli, dali es sicli um
verschiedenartige Transkription des arsakidischen Textes handelt,
welcher TIK" gehabt hat. Es sieht so aus, als ob nicht das Zeiclien
liir n allein als S geleseu und mit a umsclirieben wordeii sei, sundern
die Verbindung von N und n zusammeni). — Nur mit der Schreibung
-dl belegt sind: vandi und apaijasai Vend. 19, 8. 9 in der Anrede „du
wirst uberwinden, veruichten", worauf die Antwort in 1. pers. conj.
vandnl apai/dni lautet; vlsdi Vend. 2, 4 in dH mol visd^'hi yoi&onom
{J-rdHd" „Du sollst herbeikommen (= sein) [als] der Hiiter meiner
Welt". Audi Yt. 10, 140 halte ich an der alter en Auffassung von
i/azdi als 2. sing. conj. fest, und ziebe aucb bei vinddi Vend. 19, 6 diese
Auffassung derjenigen Bartliolomaes als Infinitiv vor („schwore ab die
gute mazdayasnische Religion, so wirst du Gnade linden . . .") -). —
Sicker 2. pers, sing, sind auch framravdi Y. 71, 15 und inutihinvdi
Vend. 9, 14, beide in Bedingungssatzen, welche sowohl Indikativ wie
Konjunktiv zulassen, vielleicht ersteren bevorzugen. Das Vorhanden-
sein der unzweifelbaften Konjunktive auf -di kann uns nicht hindern,
die Auffassung der beiden letztgenannten als Indikative wenigstens
fiir zulassig zu bezeichnen, umsomehr als die Verlesung -di bei dem
Indikativausgang Tl^ nacli allein Vorhergehenden leichter ist, als bei
dem ^nK° des Konjunktivausgangs, Mills, der Z. D. M. G. 49, 483 auf
dera rechten Weg war zur Erklarung dieser Formen, hat also das
Problem zu sehr vereinfacht, indem er die Eormen visdi, vinddi, die
Konjunktive sein mussen (die einzigen, die er erwahnt), als 2. sing,
indie. = visahi, vindahi nimmt.
Wenn ich nach Mills' Versuch, Textfehler paliiographisch zu
erkliiren, noch eineu andern, bei dem es sich gleichfalls um Ver-
wt'chslung von n und « handelt, anfiihre, so geschieht es, um daran
(leutlich zu zeigen, dafi die rein paliiographischen Erwiigungen ohne
Beriicksichtigung der sonstigen Uberlieferungstatsachen nicht zum Ziel
fuliren. — vlspdvauidm Yt. 12, 24 setzt Bartholoraae, air. Worterbuch
Sp. 1469 mit Recht gleich vispovahindni Yt. 5, 96 uud bemerkt zur
Erklarung des Fehlers, dafi „im Urkodex das Kurzzeichen fur km
>) Vcrmutlicli in Ligatur, Im eiuzeluen bleibt der Vorgaug Ijei dieser
Verlesung unklar. Ohne eiuen Schreibfehler , etwa Pehlen eines Hakens in der
Ligatur, der wohl audi das abschliefJende '' angehortc, ist sie niir nichl vcr-
standlicb.
2) &ivaesdi Yt. 13, 20 als 2. sing. conj. (Geldner K. Z. 2-5, 555) ware nietriscli
muglich und syutaktisch erwiinscbt. Die nieistbezeugte Lesung ist Oioaesa, womit
man sich auch abtinden kann.
108 H. Loiiuiirl, .ViTWCclisliiiiii' vuii n uikI N ill) AwesUi.
gestaiuleii haben mag". Dafi iin „Ilrkudex" die Ligatur p stand,
ist richtig i), aber weim dariii das m falschlich als i< gedeutet wurdcu
ware, so hatte sich -vain-, iiiclit -vam- daraus ergeben, da « des arsa-
kidischeii Textes niemals als a gclesen utid umschriebeii wurde. Es
kanu sich also bei dem Felilcr in vispbvania- niclit um eine Veilesung
handeln, sondeni nur um eine gemeine Konuptel, don Wegt'all des
Zeichens fiir //. Es zeigt also dieses Beispiel, daCi die gelegentliche
Betrachtung der Buchstabent'orm uns der alteren Textgestalt des
Awesta nicht nalier bringt ohne stete Beriicksiciitigung der Haupt-
tatsache der awestischen IJberlieferungsgescliichte, die uns Andreas
reclit zu wiirdigen gelehrt hat, der Umschreibung aus einem semiti-
schen Schriftsystem in ein grundsiltzlich verschiedenes, das mit dem
alteren nur in der Buchstabenforni Gemeinsamkeiten hat.
1) Abor nicht, wenn das gemeint sein solltc, duB das Ji in der Ligatur
(„Kurzzeichen"!) V** cine Verkiirzuiig des awestischen ^ sei. Viehnehr ist uni-
gekehrt aw. ^ eiiic jiingcre Uniforniung des pahL U in der Bcdcutung h zur
Unterschcidung von U in der Bcdeutung a.
Gottingen. H. Lommel.
DIE ALTESTE ERWAHNUNG DER HAUSHUHNS IN
EINEM AGYPTISCHEN TEXTE.
Victor Helm hat in seinem klassisclien AVerke „Kultiirpflanzen
mid Haustiere in ilneni Ubergange aus Asien nach Griechenland und
Italien, sowie in das iibrige Europa" ^ S. 321ft' gezeigt, dafi sicli das
Hausliubn, das aus Hinterindien staramt, erst mit den medisch-per-
sisclien Eroberungsziigen von Persien aus, wo seine Zucht noch lieute
besonders bliiht 'j, weiter nach Westen ver])reitet und in der 2. Hall'te
des r>. Jh. V. Chr. den Weg nach Europa gefunden liat. Den Griechen
gilt das Hubn noch Ende des 5. Jh. v. Chr. als „persischer Vogel"
(flepaixo; opvic), und der Halin wird von Aristophanes in den „Vogeln"
scherzweise als „Meder" (Myjoo;) bezeichnet, von dem man sich wundert,
wie er als solcher ohne Kamel herbeigekommen sei"-).
Diesem Tatbestande eutspricht es, dafi sich das Huhn weder in
Westasien noch in Agypten vor der Perserzeit bisher hat nach-
weisen lassen. Im alten Testament komrat es nicht vor. In Agypten,
wo es heute stark verbreitet und die kiinstliche Ausbriitung der
Eier seit langer Zeit bekannt ist, hat sich in keinem der unziihligen
Grabbilder, die die dem alten Agypter bekannte Tierwelt in Hans
und Hof, Feld und FluCi, vielfach mit der Vollstiindigkeit eines zoolo-
gischen Handbuches, darstellen, eine Abbildung des Huhues gefunden.
In keinem der vielen Texte, die von der Ernahrung des Toten handeln
(z. B. in der stereotypen Speisekarte, die wir als Opl'erliste bezeichnen),
ist von dem Tiere oder den Eiern, um derentwillen man es so sclultzt,
eine Spur zu finden. Man hat freilich in der Hieroglyphe ^, die
den Buchstaben iv bezeichnet, das Bild eines fiuhnerkiikens sehen
und darin ein Zeugnis fiir die uralte Bekanntschat't der Agypter mit
') A^gl. (lie vou Helm a. a. O. 8. 333 zitierteii Worte des enolisclien Ge-
lelirlcn 'I'homas Hyde vom J. 1760: Usque Jiodie gallinis adeo scatet Media, nt
CO fere solo cibo et eariDU oois (una rum rariie ovina) exriplautur nostrdtes Ihi
l)ereyrinantes.
2) Helm a.a.O. S. 3^^;").
110 Kurt Setlie,
dem Haushuhn erblicken wollen^). Tatsachlich ist es jedoch selir
zweifelhaft, ob damit niclit ein anderer Hiihnervogel gemeint ist -).
Griffith sieht in ilim eine junge Wachtel oder ein junges Rebhuhn,
wozu auch die Farbengebung, die die Hieroglyphe oft erhalt (gelb-
braun mit blauen Flecken), stimmen wiirde '^).
Entscheidend fiir die Unbekanntschaft der Agypter rait dem
Hausliulm diirfte aber sein, dafi, wie gesagt, in den Texten nirgends
der Eier als Nahrungsmittel Erwahnung geschielit 4).
Wie alt das Vorkommen des Haushuhns in Persian und seinen
Nachbarlandern Babylonien und Assyrien ist, war bisher ungewifi.
In der Religion des Zarathustra spielt der Hahn als der Vogel, der
morgens das Tageslicht begriiM und die Schliifer weckt, bereits eine
grolie Rolle. Damit konnte unter Umstanden ein Terminus ante quem
gegeben sein, der das Aui'treten des Tieres in Iran vor das 8. Jh.
hinaufriicken wiirde.
Auf assyrisch-babylonisclien Gemmen und Siegelzylindern hat
man Darstellungen des Hahnes, der dort als Gegenstand gott-
licher Verehrmig erscheint. Diese Darstellungen sind aber ver-
haltnismafiig jung; sie gehoren dem 7. bis 6. Jh. v. Chr. an'-). Den
Namen des Hahnes hat man wegen der Bedeutung, die ira Spiit-
hebraischen das Wort tarnegul hat, in dem babyl. Vogelnamen far-
lugallu vermutet''), wie auch der buntgefiederte Vogel tarru''), der
wie andere Vogel zu Tieromina gebraucht wurde, als Hahn gedeutet
worden ist ^). In beiden Fallen liegt indeB kein ernstlicher Grund,
geschweige denn eine Notwendigkeit, fiir diese Deutung vor. Dasselbe
gilt auch von einem andern Worte, in dem man, wie mir H. Ranke
freundlichst mitteilte, gleichfalls das Haushuhn hat erkenneu wollen '■*),
dem Worte kurku, das bereits in den Inschriften des Gudea (2340
V. Chr.) zusammen mit andern Vogelnamen in der Aufzahlung von
1) z, B. WiedcTiiann, Herodot's 2. Bucli S. 545.
2) Griffith, Beni Hasan III S. 8 Fig. 15; Hieroglyplis S. 21 Fig. 5. 189;
Davies, Ptalilietep I S, 20. Fig. 98. 411; Murray, Saqqara Mastal)as I S. 41.
Taf. 37, Fig. 14. Taf. 42.
3) In diesem Sinne spriclit sicli audi Ed. Halm, Die Haustiere und ihre
Bezieliungen zur WirtscLaft des Menscben S. 307, aus.
4) StrauBeneier werden im neuen Reich unter den nuhisclion Tiilmten dar-
gestellt Urk. IV 949. 1097.
'•>) Layard, Ninive und Babjdon, deutscli von Zenker S. 4101.
^) Delitzsch, Handworterb. 8. 303b. -) Delitzsch a. a.O.
8) Hunger, Babylonisclie Tieromina (Mitt, der Vorderasiat. Ges. 14) S. 42.
9) Winckler, Die KeiJsclirifttexte Sargons S. 212b.
I)ie iilteste Erwahnuiig des Haushulius in cinom agyptischen Trxte. . Ill
Opfertieren vorkommt (Keilinschr. Bibl. Bd. 3 S. 64/5, Z. 3). Es zeigt
in der Tat auGerlich eine gewisse Almliclikeit mit den Benennungen
des flaushuhns in raanclien indogermanischen Sprachen (s. Helm
a. a. O. S. 330/1). Da aber einmal vom Fett des knrku-Yogeh, das
aus dem Gebirge gebracht wird, die Rede ist'), ist es einigermaBen
zweifelliaft, ob die wohl eben von jener iiufieiiichen Alinlichkeit der
Namensform ausgehende Deutung Haushuhn zutrifft, flir die es an
einem sacblichen Grunde zu feblen scheint.
Bei diesem unbestimmten, fur die itlteren Zeiten ganz negativen
Befund muB das im Folgenden zu besprechende Zeugnis eines alt-
iigyptiscben Textes, durch das das Dasein des Haiisliubns fiir eiu
Land in der Nachbarscbaft Babyloniens fiir das 15. Jh. bezeugt zu
werden scheint, umso willkommener sein.
In den Annalen Konig Thutmosis' III. (1501 — 1447 v. Chr.), die
sich uns im Auszuge auf den Wanden des groGen Aniun-Tempels von
Karnak aufgezeichnet erhalten liaben -), werden Jabr ftir Jabr eiu
kiirzer Bericbt iiber den Feldzug, den der Konig in dem betr. Jabre
unternahm, sowie Verzeicbnisse der Tribute, die in demselben Jabre
eingingen, gegeben. Diese setzen sicb zusaramen aus Gescbenken {Imv
„Bringung"), die die Fursten der nicbt geradezu unterworfenen Lander
Asiens dem iigyptischen Konig unter dem Eindruck seiner Macbt als
Ergebenbeits- oder Freundscbaftszeicben sandten, und aus der Einte
und den regelmaBig festgesetzten Abgaben {hJctv „Arbeiten") der den
Agyptern festunterworfenen Gebiete, namlich des Libanongebietes mit
seinen Seebafen, Palastinas {JJJi, gescbrieben Iji-lij)''), Ober- und
Unternubiens (Kuscb, WiWi.t). Die Reibenfolge, in der diese Dinge
aufgefiibrt werden, ist im Allgemeinen immer dieselbe.
Fiir das Jabr 33 des Konigs (1469 v. Cbr.) wird in diesen
Annalenausziigen nun Folgendes l)ericbtet '). Zunilcbst wie iiblicb der
') Delitzsch, Handworterb. s. v. mathii.
2) Neuestc Ausgabe des Textes von .Sethe, Urk. I^" (')45 iV. Uborsctznng
bei Breasted, Ancient records of Egypt II § 391 if.
3) Dafi dieser Di-hj oder Di-hi (d. i. beides Ph zu leseu) gescliriebene
Name Palilstina und nicht Plionizien bezeiclinet, wie man allgemeiu annimmt, gebt
aus einer uubefangenen Betracbtung der vou W. Max MiJller, Asian und Europa
S. 176 if. gesammelten Zeugnisse klar hervor. Scbon, dalo es von der Residenz
die sich Ramses II. in der Gegend von Tanis im Lande Gosen anlegte, heilit, sie
liege zwischen JDi-ln und Ti-mrl (Agypten, IlTt|j.'jpt;), liifit ja l<einen Zweifel
daran. Niemand wird von der Stadt ^laastricbt oder von Aacben sagen. sie liege
zwiscben Frankreicb und Deutscjdand, anstatt zu sagen zwiscben Belgien und
Deutscbland. *) Urk. IV (J9(i If.
112 Kurt SoUie,
Feldzug des Jahres, uiid zwar entsprechend seiner besondern Bedeu-
timg ausfiihrlicher als sonst. Denn dieser, im Lande Btniv, d. i.
Syrien im weitesten Sinnei), gefiihrte 8. Feldzug des Kouigs, fiihrte
ihn zum ersten und, wie es scheint, einzigen Male tief in das Land
Naharain oder Naharen, das Zweistroniland (MeooTCoxajxta, heute el-
Oezire), hinein, wo er neben dem Siegesdenkstein seines Vaters Thut-
mosis 1. einen z^Yeiten aufstellte. Der Euplirat (ilg. Phr-tvr) ward an
der Spitze des siegreichen Heeres iiberschritten, der Feind geschlagen
und zu Scliiff stromabwarts verfolgt. Auf die Aufzahlung der Sieges-
beute folgt der Bericlit liber die Riickkehr dnrcli das Land litmii.
Daran scldiefjen sich:
1) das Verzeichnis derGeschenke {Inw) derFiirsten dieses Landes,
2) die iibliclien Bemerkungen iiber die Seehafen Phoniziens und
den Tribiit des Libanon,
3) Verzeichnisse der Gesclionke {lim^ der Fiirsten anderer asia-
tischer Lander, namlich
a) eines unbekannten Landes, dessen Name leider verloren ist,
b) des Landes Sngr (d. i. Sinear, Babylonien),
c) eines Landes, dessen Name wieder niclit erhalten ist, in deni
man aber nach seinen Produkten (Lapislazuli) mit Wahrscheinlichkeit
Assur (Assyrien) vermnten darf, und endlich
d) von „Gro(i-Cliatti", dem Reiche der Cliethiter, dessen Mittel-
punkt Kai)padokien Avar.
Hierauf folgt dann der kurze Bericht iiber die liiickkehr des
Konigs nach Agypten „als er aus Naharain kam und die Greuzen
Agyptens erweitert hatte"; also der Abscbluli des Feldzuges, ein
Zeicben, dafi die im Vorbergehenden gegebenen Verzeicbnisse mit
dem Feldzug aufs Engste zusamraenhiingen. Die Verzeichnisse der
Beute einer Expedition nach dem ostafrikanischen Lande Pivn.t (an
der Somalikiiste) und der wie alljiibrlicb eingebenden Abgabcn von
Kusch und Wnvi.t beschlielieu, wie iiblich, den Jabresbericht.
Fiir uns von Interesse ist nun der Tribut des unbekannten Landes.
das zwiscben Rlnw (Syrien) und Babylonien und Assyrien genannt
war (oben mit 3 a bezeicbnet) und das nacli dem ganzen Zusammen-
bang in der Nacbbarscbaft von Naharain gesucht werdcn mul5. Es
konnte eventuell das damals von Lidoariern beherrschte Mitanni oder
1) Nach Urk. IV 668. 671 gehorte audi Assur (Assyrien) dazu. (Tleii'liwolil
werileu andcrfrseits ebendort „der Fiirst von Assur" und „(lie Fiirsten vim Rtniv'"
unterschioden. Es ist wohl so, wie wenn man im 18. Jli. deii „Konig vmi I'rcnljcn"
Din iiltestf! Erwiihnung dfs Haiisliulins in oinem iigyiitisi-lion Texto. 113
Naharain selbst, die Ed. Meyer beide, schwerlich mit E,echt, einander
gleichsetzt, gewesen sein i).
Erlialten sind von dem Verzeichnis der Gabeu dieses Landes
(Lh'k. IV 700) nur die beiden letzteu Posten:
b. V\ ^g^ I I I I /w«A^A U |ls=3|L-,ii^
0\ I AA/V\AA
a. „2 -Vogel, die man nicht kennt."
b. ,,4 jj9d- Vogel dieses Landes; sie tun jeden Tag."
Der erste Posteu (a) nannte 2 den Agyptern unbekannte Vogel,
deren Benennung verloren ist bis auf das Deterrainativ, das zeigt,
daB es sicb um Raiib vogel bandelte.
Der zweite Posten (b) nennt dagegen 4 dem betreffenden Lande
eigentiimliche Vogel, die als iyd bezeichnet sind. n^d, ist die gewohn-
liche Sammelbezeicbnung fur das Nutzgefliigel, das im Niltal haupt-
sachlich aus allerlei Arten von Enten und Giinsen bestand 2). Das Wort
bezeicbnet daher in erster Linie Vogel dieser Art und findet sicb so
auch noch im Kopt. als ojiiT^). Daneben ist es aber audi friih zum
allgemeinen Ausdruck tur Vogel aller Art, mit Ausscblufi der Raub-
vogel, geworden. Wie an unserer Stelle wird es, seiner Grundbedeutung
entsprechend, stets mit dem Bilde einer Gans determiniert. Der Be-
deutungserweiterung von jjx? folgend, ist das Bild dieses Vogels seit dem
mittleren Reich (c. 2000 v. Chr.) zum allgemeinen Determinativ nicht
nur fur alle Arten von Vogeln geworden, sondern auch fiir alles, was
fliegt, iiberhaupt, z. B. auch fiir Heuschrecken, Miicken und Kafer, die
1) Vgl. die Nennung der „Landei* von Mitanni" in der wabrsclieinlicb ans
demselben Jahre 33 des Konigs Thutmosis III. stamnienden uud den Sieg iiber
Nabarain verberrlicbenden Inscbrift Urk. IV 589. Aucb Urk. IV 617 lalit die
„Lauder voji Mitanni" zitternd den Kcinig seben „als Krokodil, den Herrn des
Scbreckens im Wasser, dem man sicb nicbt nabt". Das konnte auf die Kampl'e
an und auf dem Eupbrat geben.
2) i'gd wird daber im alten Reicb in seiner Pluralform oft mit drei ver-
scbiedenen Giinse-Vogeln (Ganse oder Enten) determiniert, gerade wie die Sammel-
bezeicbnungen rmt.w ,,Menscben", mhj.t ,,Fiscbe'', ninmn.t „E.erde", Hv.t „Wild'',
,,Kleinvieb" mit drei verscbiedenen Wesen ibrer Kategorie gescbrieben werden.
In den Speiselistcn („Opferlisten") und den Tierbildern der alten Graber erscbeint
es deun' aucb niemals in den Bezeicbnungen fiir die besonderen Sorten Ganse oder
Enten, wie trp, si.t, sr, r usw., die dort aufgefiibrt werden.
3) In der Verbindung tOT IJ-COBT „Gansefett", worunter sicberliob Fett von
aUen moglicben Ganse- oder Enteusorten gemeint ist.
Andreas-Festschrift. 8
114 Kurt Sethe,
man in alterer Zeit mit ihren eigenen Bildern geschrieben batte. Noch
friiber zeigt sicb uns die Gans als allgemeiner Reprasentant der
Yogelwelt in der Hieroglypbe fiir das Wort „fliegen" (pi), die scbon
im alten Reicbe aucb als pbonetiscbes Zeicben fiir die Konsonanten-
folge pi in der Scbrift fest eingebiirgert ist. Diese Hieroglypbe stellt
eine fliegende Gans dar: ^k^.
Von diesen „4 ipd-Y ogeln dieses Landes", die unser Text
nennt, wird nun etwas Besonderes ausgesagt in einem durcb die Par-
tikel ist eingeleiteten Nominalsatz, dessen Subjekt das Pronomen
3. plur. st (kopt. (ie) war, und dessen Pradikat aus der Proposition
hr „auf" mit einem femininalen Infinitiv bestand, der iiblicben Um-
scbreibung fiir das Verbum finitum von Tatigkeitsverben („icb bin auf
dem Horen" d. h. „icb bore"). Das Verbum selbst ist zerstort bis
auf einen Zeicbenrest, der indessen geniigt, um das ganze Wort sicber
wieder berzustellen. Es ist das untere Ende eines boben Zeicbens,
bestebend aus 3 parallelen senkrecbten Stricben, wie sie sonst als
Determinativ des Pluralis dienen. Daneben mufi ein scbmales bobes
Zeicben gestanden haben.
Dieser Befund scblieM die Erganzung, die von Bissing an-
genommen bat, fi 0 I si^ingen" i), von vorn bereiu aus. Sie ist aucb
orthograpbisch und spracblicb unmoglicb, da Ijsj „singen" nicbt ohne
das Determinativ der Tatigkeit mit dem Munde gescbrieben sein
wiirde und sonst m. AV. aucb niemals vom Singen der Vogel gebraucbt
wird, bezeicbnet es docb aucb von Haus aus den mit Taktklatscben
der Hande begleiteten sogen. „Gesang" der Menscben, wie er nocb
lieute im Orient geiibt wird, d. b. ein naselndes Rezitieren von Worten.
Es ist keineswegs selbstverstandlicb, dali der Ausdruck fiir diese be-
sondere musikaliscbe Leistung ohne Weiteres aucb auf den Gesang
der Vogel iibertragen worden sei. Uberdies bat aber aucb hsj „singen"
seit dem mittleren Reicb nicbt mebr seinen alten weiblicben Infinitiv
(im alten Reicb hs.t gescbrieben); dieser ist damals bereits durcb
eine mask. Neubildung hsj ersetzt, die uns aucb kopt. als ecoc er-
halten ist '^).
Der an unserer Stelle erbaltene Zeicbenrest lafit sicb in der Tat
nur zu einem Zeicben vervollstandigen, der Hieroglypbe |T| ms. Er-
ganzt man das dazu geborige Komplement 1 .s, so erblilt man in 111 I'
1) von Bissing, Die statistisclie Talel S. 3ti. — Ebenda S. XXXVI iiber-
setzt er frei „z\vitscliern". 2; Sethe, Verbum II § 681.
iJio illtesto Erwahiiuug des Haushiilins in eincm agyptiscliou Toxtc. 115
eine durchaus passende Form in normaler Schreibung: m.s' J „gebaren"
(kopt. uice), Infinitiv von insj. Gerade dieses Verbum msj ist eines
der wenigen Verben, die man in den hieroglypliischen Texten des
neuen Reichs fast immer ohne Deterniinativ schreibt, wie es hier an
unserer Stelle der Fall gewesen sein muG.
Auf das so erraittelte Verbum tblgt, als Beschlufj des Satzes,
der adverbielle Ausdruck r' nh „jeden Tag", „alltaglicli".
Es stand also ohne jedenZweifel da: „sie gebaren (bzw. gebaren)
jeden Tag". Was das bedeutet, ist klar: sie legten taglich Eier.
Das aber ist eines der hervorstechendsten Merkmale des Haus-
huhns, dafi es einen grofien Teil des Jahres fast taglich Eier legti).
Von 4 Hiihnern zusammen wird man selbst in den weniger guten
Monaten (von den ganz ergebnislosen abgesehen) noch jeden Tag Eier
bekommen. Nun gelingt es zwar guten Zuchtern wohl auch bei Enten
sehr gute Ergebnisse im Eierlegen zu erzielen^); doch erreichen sie
nie den Grad, der das Haushuhn vor alien andern Vogeln auszeichnet
und der es rechtfertigt, dali man von ihm auch bei uns allgemeiu
sagt, es lege taglich.
Wir dlirften also in unserer Stelle mit grolier Wahrscheinlichkeit
ein Zeugnis fiir die Anwesenheit des Haushuhns im Bereiche oder in
der Nachbarschaft der Euphratlander im 15. Jh. v. Chr. .besitzen. Ist
das aber der Fall, so zeigt die Bezeichuuug „j^(Z-Vogel dieses Landes"
sowie der ganze Zusammenhang klar, dalj das Tier, von dem hier die
Rede ist, daraals in Agypten noch nicht zu Hause war, wie das fiir
das Haushuhn oben mit einem argumentum ex silentio als sehr wahr-
scheinlich geschlossen werden konnte. Wann die Einbiirgerung des
Haushuhnes in Agypten in der Folgezeit eingetreten ist, lafit sich, wie
gesagt, nicht feststellen ^). Sie konnte sehr wohl erst im 7. Jh. v. Chr.
durch die Assyrer- oder im 6. .Jh. durch die Perserzuge verursacht
1) Eiu Huhn legt in seinen guten Jaliren (vom 2. Jahre seines Lebeus ab)
bei gutei" Pflege ca. 150 — 160 Eier im Jahre, in den besteu Monaten (Sommer)
je etwa 20 bis 25 Eier. S. Lenz, Die Vogel^ S. 412 ff.
2) 90 bis 100 Eier das Jahr.
3) Wie das mit dem Bilde der Gans und den Pluralstriclien determinierte
Wort nHflfl fe^ t'lsj in der Stelle Anast. V 11,3 (Schulheft der 19. Dynastie)
„gib eine 10 von ijjd-Yogeln meinen Leuten zum msf- zu verstelien ist, ob es eben-
lalls ,, Eierlegen" bedeutet oder „Briiten", bleibe dahingestellt. Dali es sich hier
aber nicht um Hiihner, soudern um Ganse oder Enten handelt, scheint das, was
nachher folgt, zu zeigen: ,,du unterlafjt zu gehen und zu konimen zu dem weifieii
ipd-Yogel zu (oder: an) diesem kiihlen Krokodilgewasser".
8*
116 Kurt Sethe, Die iiltcste Erwalinung d. Hauslinlms in e. agypt. Texte.
sein. Die kopt. Bezeichnungen ftir die Hiihner, die die koptisch-
arabischen Vokabulare aus dem Mittelalter, die sogen. „Slvalen", ver-
zeichnen, zeigen, daB der Halm ('JX^o.}\) einfach mit dem griech. Worte
dXsxxtop, das Kiiken (^y^^) mit der ag. Bezeichnung fur „Kind" uao
bezeicbnet wurdeu (Kircher, Lingua aegyptiaca restituta S. 168).
Fur die Henne (.i^lawv>vJl) werden mebrere Namen bezeugt, die agyp-
tiscbes Ausseben zeigen, aber ohne alte Aquivalente dasteben. In der
von Kircber (a. a. 0.) veroffentlicbten bohairiscben Skala sind zwiscben
Habn und Kiiken genannt^):
iiiep^y jr'-4-^-'^ r^lie Hlibner" (Habn, Henne, Kiiken).
'I'AiJAnAi ^4-'^'^-'^ wdie Henne" (vgl. unten iiAntui?).
■I'epxco ^;^ULj>.J\ „die Henne".
Alls den beiden noch immer unveroffentlicbten sabidiscben Skalen
fiibrt Peyron in seinem Lexikon folgende Worter an:
CTAiue ^iLjvJl Cod. Par. 43. 44.
uoTKiiAio ^j^\ -lL> Cod. Par. 40.
In dem sabidiscb abgefafiten „Triadon" (ed. v. Lemm) Stropbe
517 bezeicbnet uao die Kiicblein (-I^Jl), nAncoi'^), das anderwarts
(Levit. 14, 4, s. Peyrous Lexikon), deutlicb als Maskulinum bebandelt,
das griecb. ^pvi&iov (j-^i) wiedergibt •'), die Henne (<i4-'^^-'0'
') Ml ist die plur., 'I* die fem. Form des bestimmten Artikels.
2) Ohne den zu erwartenden bestimmten Artikel, vermutlicli woil das an-
Jautende n des Stammes als solcher angesehen wurde.
•J) Es scheint eine reduplizierte Form des Stammes j;j ,,fliegen" darzustellen,
vgl. Setlae, Verbum I § 418.
Gottingen. Kurt Setbe.
ANDREAS FESTSCHRIFT.
ZU SOFUS LARSEN, ALTE SASSANIDENMUSTER
IN NORDISCHEE NACHBILDUNG.
ALTE SAS8ANIDENMU8TER IN NORDISCHER
NACHBILDUNG.
MIT ZWEI TATELX.
Das Historisclie Museum des Staates zu Stockliolm besitzt einige
ganz eig-enartig-e Kirclienteppiclie aus clem spateren Mittelalter. In
kunstlerischer Hinsiclit bilden sie eine kleine, scharf abgegreuzte
Gruppe. die sicli sowolil durch die technische Ausfiilirung als durcli
die Eigenart der Muster auszeiclinet. Die Technik ist olme Zweifel
einlieimiseli : mil den dilrftigen Mitteln. die ihr zu Gebote standen.
ist sie bestrebt gewesen, von der Farbenpraclit der Originale so viel
wie moglicli zu bewaliren. Die Muster dagegen sind augensclieinlich
Abkommlinge einer fremdartigen und stilvollen Kunst. Hire Vorbilder
diirften einem dem nordischen Mittelalter auBerordentlicli fernstelienden
Kulturkreise angehoren. Die Teppiclie sind seinerzeit fiir verschie-
dene rituelle Zwecke verwendet worden, und das Zeitalter, das sie
schuf, nannte sie deshalb „K3'rkepeller", ein Name, deu man damals
fiir kostbare Kirclienteppiclie insgemein brauchte olme Rilcksicht
darauf, dafi das Wort Pell (d. h. Pfellel) urspriinglicli nur purpur-
farbige Seidenstoffe bezeiclmete. Aufierlialb des Kreises der nordischen
Forsclier ist die Existenz dieser Teppiclie walirsclieinlicli selir wenig
bekannt; eine eingehende Besclireibung von zwei Exemplaren dieser
Gattung dlirfte demnacli vielleicht von Interesse sein.
Das eine — jetzt nur ein Fragment — stammt aus der Ostra
Stenby Kirclie in der Diozese Linkoping und wurde 1846 dort von
N. M. Mandelgren zufallig unter einem Haufen Gewander entdeckt,
der seit vielen Jahren auf dem Altar unbeaclitet lag. In seinen
„Samlingar til svenska konst- ocli odlingsliistorien" H. I (I86(i) hat
er eine farbige Abbildung desselben veroftentlicht, von der ich auf
nebenstehender Tafel eine etwas verkleinerte Kopie gebe.
118 Sofus Larsen,
Nacli der Buchstabenform seiner Iiischriften zu urteilen, stammt
dieser Teppicli wahrsclieinlich aus der Zeit um das Jahr 1400 imd ist
ebensowenig- ein Origmal wie das spater zu erwahnende zweite, etwas
jiingere Stiick. von deni unten bei S. 126 eine Abbildung* nacli
Hildebrandt, Sveriges medeltid III, 706 gegeben wird.
Der Teppicli besteht aus g^roben, in Muster g'eschnittenen oder
ausg'ebauenen Tuchstiicken von verschiedener Farbe, die zu einem
Ganzen zusammengenaht und mit fein ausgesclmitteuen, mittels
weifien Zwirns angenahten Riemen aus Tierfellen bestickt sind.
Wenn Mandelgren in seiner Darstellung behauptet, daC der Stil
rein gotisch sei, so wird er lieutzutage kaum viele Proselyten flir
seine Ansicht gewinnen. Weit einsichtsvoUer lautet Hildebrandts
vorsiclitige AuBerung (1. 1. Ill, 706): „Die Tierbilder aiif diesen
Teppichen tragen alle ein sehr altertiimliclies Geprage. Es sclieint,
dafi man das ganze Mittelalter hindurch die alten Muster beibehalten
bat." Doch deutet er in keiner Weise an, woher seiner Meinung
nach diese alten Muster stammen. Gerade dies mochte ich hier
nachzuweisen versuchen.
Vor der Zeit Alexanders des Grofien hatte die antike Welt nur
eine sehr geringe Kenntnis der Seidenstoffe und der Seidenindustrie.
Erst die Eroberung des Perserreiches und die kolossale Beute an
gewebten und goldgestickten Stoffen, die bei der Beschlagnahme und
Pliinderung der Sdiatze des persischen Konigs und seiner Magnaten
gemaclit wurde^), fiihrten der Industrie des Westens neue An-
regungen zu.
Scbon wahrend der Diadochenzeit macliten die Webereien Syriens
und iigyptens diesbezligliche Versuche; die Bemiihungen scheiterten
aber stets an demselben Hindernis : es stellte sich als auBerordentlicti
schwierig heraus, das erforderlicbe Eolimaterial, das nur im aller-
fernsten Osten hergestellt wurde, herbeizuschaffen. Die Ptolemaer
gaben sich die groBte MUhe, auf dem Seewege eine HandelsstraBe
nach dem gelobten Lande zu eroffnen. Von Agyptens siidlichsten
Hafen am Roten Meere aus versuchten griechische Schiifer, an der
Kiiste entlang vorsichtig vorwarts zu segeln, und erreichten wahr-
scheinlich schon damals das nordwestliche Indien (Indoskythien), das
auf BergstraCen einen sehr unsicheren Verkehr mit China unterhielt-).
') Vg-1. Diodori Bibl. hist, recogu. Fischer XVIT, 70, 3. — Onrtiiis, Hist.
Alexandri. Ill, 13, 5—12.
2) Periplus maris Erythraei ed. B. Fabricius (1888) § 64.
Alte Sassauidenmuster in uordisclier ^'achbildung. 119
Der groBte Teil der Rohseide, welche die Webereien braiichten. muSte
jedocli immer liber Laud durch Asien bezogen werden, und hier
liinderten zuerst die Arsaciden, spater die Sassaniden nach Kraften
jeden direkteu Yerkehr zwischen Osten und Westeu. Uuter keiuen
Urastanden wollteu sie es auderen erlauben, sich an dem eintraglichen
Seideuhaudel zu beteiligeu, den sie von alters lier auf Karawanen-
straBen dnrcli das Tarimbecken mit dem westlichen Cliina betrieben.
Dieser Handel bildete namlich eiuesteils die Grundlage ilirer eigeueu
Seidenindustrie und ermog-lichte es ilinen andernteils, das romisclie Reich
beinalie nach Belieben zu brandschatzen, indem sie einen uugeheureu
Zwischenhandlergewinn nahmen. Auch nachdem sich Justinian durch
ein paar nestorianische Monche Seidenraupenbrut — wahrscheinlich
aus Khotan — durch List erworben hatte, verstrichen lange Jahre,
bis die Lander des Westens imstande waren, ihren Bedarf an Seide
selbst zu decken. und Persien blieb aus diesem Grunde immer der
Hauptsitz der Seidenindustrie. Es beherrschte den chinesischen Markt,
seine Muster waren im romischen Kaiserreich schon lange Mode und
hatten auf den Stil des Westens einen bedeutenden und dauernden
EinfluB geiibt. Ein alter Kirchenvater, der Bischof Asterius von
Amasea, schildert um das Jahr 400 in einer seiner Homilien zutreffend
und mit scharf ausgesprochener Entrtistung die Ornamentik dieser
sehr gesuchten sassanidischen Stoffe. die zu seiner Zeit in den
griechischen Webereien eine bedeutende Rolle spielteni): ,.Man sielit
dort Lowen und Leoparden, Stiere und Hunde, Walder, Felsen und
Jager, die wilde Tiere erlegen." Wir sind in der Lage. die Richtig-
keit seiner Beschreibung dokumentarisch erweisen zu konnen. Eine
Jagdszene dieser Art ist auf einem in Agypten aufgefundenen.
spatklassischen , wollenen Tuchrest wiedergegeben 2) ; sie erinnert in
hohem Grade an sassanidische Darstellungen ahnlicher Vorwilrfe auf
den Reliefs von Taq-i-B6stan^).
Der Sophist Philostratos aus Lemnos fiigt einen weiteren Zug
zum Bilde hinzu^), wenn er in seinen „Imagines" von den wilden
1) S. Asterii Episcopi Araaseae Homiliae. Or. & Lat. ed. Ph. Rubeuius.
Antw. 1615. Horn. I p. 4. — Ibid. p. 3 werden dieselben Gewander als zee twv
TleQGixwv G!(io?.rjxa)v vij/ncaa bezeichnet.
-) Abg-ebildet bei Hampe, Kat. d. Gewebesamml. des germauischen National-
uuiseums. Xiirnberg. I (1896) S. 46-48 Nr. 332 — 335.
3) Flan din & Coste, Voyage en Perse. Tables I — II. Tak-i-Bostan.
PI. 10 & 12.
*) Philostrati maioris Imagines. Lipsiae 1893. P. 385, 29—30 (=11, 31).
120 Sofus Larsen,
Fabeltieren spricht, welclie die Barbaren in Babylon anf ilire Kleicler
sticken liefien, und Ammian bezeugt^), dafi Tnnikas mit solchen viel-
formigen Fabeltiergestalten zu seiner Zeit (4. Jahrh.) die hocliste
Mode gewesen seien. Ubrigens sind diese Dekorationsmnster weder
unter der Herrschaft der Sassaniden noch unter der der Arsaciden
erfunden. Sie waren eine alte Erbschaft aus dem Perserreiclie, deren
Ursprung wir walirscheinlich weit zuriick in der Kunst der Enphrat-
lander suchen miissen. Quintus Curtins berichtef^), dafi das Gewand
des Perserkonigs mit gestickten Tiergestalten geschmiickt war, nnd
in den Skulpturresten aus Persepolis treffen wir ebenfalls ihre Vor-
bilder^).
Ziemlich friili waren sie bereits ini Westen bekannt: sclion
Plautus erwalmt '») diese helluata tapetia nnd nennt Alexandria als die
Stelle, wo sie vorzugsweise angefertigt wnrden. Wie friih sie ein
standiges Glied der ornamentalen Motive der griecliiscli-romischen
Webekunst wurden, wissen wir niclit mit Sicherheit; gewiB ist aber,
dafi sie sich sehr lange erlialten haben nnd nicht selten in der
byzantinischen Kunst zu finden sind, von welclier sie sich spaterhin
nach alien Fabrikzentren des Westens verbreiteten. Icli will liier
teils auf einzelne Stiicke'') verweisen, deren griechische Herkunft
durcli die Inschriften, die sie tragen, gesicliert ist — fehlen solclie,
so ist die Anfertigungsstelle in der Kegel unsicher, berulit jedenfalls
auf Vermutung — , teils darauf aufmerksam machen, daB das Inventar
Gregorius' des Acliten aus dem Jabre 1295 6) eine Eeilie von „panni
de Romania" (d. li. im byzantinischen Eeiche hergestellten Seiden-
1) Ammiani Renim gest. libri qui supersunt. Ed. Clark (1910) XIV, 6, 9:
„tunicae . . . uarietate liciorum effigiatae in species aniiiialium multiformes."
-) Curtins, Hist. Alex. Ill, 3, 17: ,,pallain anro distinctam aurei accipitres,
velut rostris inter se concurrerent, adornabant."
3) Flandin & Coste, Voyage en Perse. Tables III — IV. Persepolis. PI.
123, 124, 152. F. Stolze & F. C. Andreas, Persepolis Bd. I Berlin 1882 Fol.
T. 4. 7. 30. 62.
♦) Pseudolus. V. 146 ff.
•"') Das Stiick mit den Elefanten aus dem Grabe Karls des GroBen zu Aachen
(G. Mi g eon, Les arts du tissu. P. 26); das Stiick mit den affrontierten Lowen
aus der Abteikirche in Siegburg (Migeon. P. 16). Fragmente einer etwas spateren
Eeproduktion desselben Musters finden sich in den Museen zu Dlisseldorf, (Jrefeld
und Berlin.
") Herausgegeben von E. Molinier in der Bibliotheque de I'Ecole des Cbartes.
Vgl. z. B. Nr. 816 (Bd. 46, S. 19); Nr. 1181-1192 (Bd. 47, S. 647).
Alte Sassanidenmuster in nordischer Nacbbildnug. 121
stoffen) erwahnt uiid besclireibt, die grol3enteils mit derartigen Mustern
(stilisierten Lowen imd Vogeln, Greifen und anderen Fabeltieren, bis-
weilen paarweise in runde Ralimen g-estellt) g-eschmlickt waren.
Im Jalire (328, als Dastadsclierd vom Kaiser Heraklios gepliindert
wurde, und einige Jalire spater, als das Sassanidenreich den an-
stiirmeuden Arabern unterlag, wiederliolten sicli in vielen Beziehiingen
die Ereignisse von Alexanders Eroberungszuge: die reiclien Scliatze
des Konigsliauses und der Vornehmen an gewebten und gestickten
Praclitstoffen wurden von den rolien Horden erbeutet und zum Teil
spottwolilfeil in alle Winde zerstreut — es liegen einzelne Nacli-
richten hieriiber vor. Uberrestchen und Stiickclien davon wanderten
durcli Zwischenliandler westwarts, wurden von den Agenten der welt-
lichen und geistliclien Maclitliaber aufgekauft und im 7. und 8. Jahr-
liundert als kostbare Scliatze den Kirclien und Klostern geschenkt,
welclie im Mittelalter, wie die Inventarlisten bezeugen, oft wahre
Raritatenkabinette von gewebten und gestickten Stoffen aus alien
Landern und Zeiten waren. Hier liaben sie dann in Reliquienschreinen
und lieimlichen Facliern jahrhundertelang vergessen und unbeaclitet
gelegen, bis sie in neuerer Zeit wieder zu lioher Ehre gelangten und
zum Teil Museen und offentliclien Sammlungen iiberwiesen wurden.
So erging es alien diesen wunderbaren Scliatzen. Die Kiinstler
aber und die durch eine jahiiiundertealte Tradition gescliulte
Arbeiterscliaft gingen nicht in dera politisclien Gewitter unter, welches
das Reich zertriimmerte. Dank der eifrigen Pflege der 'Abbasiden
bllihten die Seidenweberei und die Kunst des Stickens ringsumher in
den Industriezentren Persiens auf, und durch administrative Ver-
pflanzung groBer Mengeu von Arbeitern entstanden neue Heimstatten
dieser Kiinste. So wurden z. B. zu Anfang des 8. Jahrhunderts die
das gauze Mittelalter hindurch beriilimten Weberschulen von Bagdad
ins Leben gerufen. Dies ist auch der Grund, weshalb viele von den
aus der alteren Kalifenzeit erhaltenen Seidenstoffen den Eindruck
machen, nicht nur von sassanidischen Kunsttraditioneu stark beeintiuBt,
sondern geradezu mehr oder weniger gelungene Nachahmungen der
alten Muster zu sein. Wir linden hier dieselbe phantastische Fabel-
tier-Fauna: Greife, Einhorner und gefliigelte Lowen, dieselben dekorativ
behandelten Vogel und stilisierten Adler. Wie friiher sehen wir sie
hauflg streng symmetrisch geordnet, je zwei und zwei mit Riicken
Oder Front gegeneinander, bisweilen je einen reclits und links des
heiligen palmalmlichen Baunies, und beinahe immer in runde, mit
Laubornamenten oder geometrischen Figuren geschmiickte Rahmen
122 Sofus Larseu,
eingesclilossen. Selbst die alteii, ratselhaften, symbolisclien Zeiclieii,
welche die Kiinstler der Sassanidenzeit so haufig- an den Tieren an-
brachten, flnden wir hier wieder, wahrend sie auf den byzantinischen
Exemplaren dieser Gattung so gut wie immer fehlen.
Da6 die Entwickehmg sich so gestalten muBte, ist verstandlicli
genug-. Es war ja in der Tat die persische Bevolkerung, die unter
der nenen Regierung uud Eeligion die Traditionen der Vorfaliren
weiter fiihrte. Einen Einsatz von Kulturwerten auf dem Gebiete
der Kunst brachten die Araber nicht mit. Deslialb vermochten sie
auch weder neue Anregungen zu geben, nocli an den jahrhnnderte-
alten kunstgewerblichen Traditionen zu rlitteln, welche die Perser
wahrend ihrer Sonderentwickelung geschaffen hatten: der Strom
floB, anfangs in wenig geanderter Gestalt, innerhalb des alten Bettes
ruhig weiter.
Diese eigentiimlichen Verhaltnisse haben das Ihrige dazu beige-
tragen, dafi es hentzutage mit den groBten Schwierigkeiten verbunden
ist, echt sassanidische Stoffe und spiitere persisch-arabische Nach-
ahmungen oder Kopien aus der alteren Kalifenzeit voneinander zu
unterscheiden.
Es fallt nicht schwer, sa>ssanidische Motive in alten Gewebe-
resten nachzuweisen. Sie treteu deutlich genug zu Tage. und hier
haben wir ja auch eine nicht unbedeutende Stiitze an den oben zitierten
literarischen Nachrichten aus dem klassischen Altertum. Einige Auf-
schliisse gewiihren uns auch die erhaltenen Metallarbeiten und die
Uberreste der sassanidischen Skulpturen. So zeigt z. B. Khosroes
Mantel auf dem Basrelief von Taq-i-B6stani) ein phantastisches
Tierornament in rundem Rahmen, welches dem auf einem Geweberest
im Victoria and Albert Museum in South Kensington befindlichen
ganz ahnlich ist ; und zu dem kleineren Kreise mit dem Halbmond in
der Mitte auf demselben Stiick gibt es auf dem Gewand einer anderen
Figur von Taq-i-Bostiin -) eine ziemlich genaue Parallele.
Wer aber kann zwischen einer alten Nachahmung aus der Kalifen-
zeit und einem sassanidischen Original die Grenze Ziehen ? Auf diesem
Gebiete sind wir auf unsicheres Ermessen angewiesen, das auf ganz
unzulangliches Material baut: armselige Uberreste einer reichen Pro-
duktion, die in iliren kiinstlerischen Wirkungsmitteln ohne Zweifel
0 Flan din & Coste, Voyage en Perse. Tables I — II. Tak-i-Bostan
ri. 8. — Fischbach, Ornamente der Gewebe T. IV. PL 171. A.
2) Tak-i-Bostan PI. 11.
Alte Sassanidenmuster in iiordisdier Nachtiildung'. 123
weit raaniiigfal tiger gewesen ist. als man sich jetzt g-ewohiilich vor-
stellt. Hier gibt es und wircl es wahrsclieinlicli iiiimer eine groBe
Liicke in unserem Wissen geben.
Anders stellt sich die Saclie. wo es gilt, sassanidische Originale
nnd Stoffe aus byzantinisclien Fabriken voneinander zu nntersclieiden.
Ans den literarischen Bericliten geht ja deutlich genng liervor, da6
es wiihrend der romisclien Kaiserzeit — wahrsclieinlicli aber ancli
sowohl vorher als nachher — einen lebhaften Import von persischen
Seidenstoffen gegeben hat, und es ist iiber jeden Zweifel erhaben,
da6 die griechischen Webereien, deren Hauptsitze damals Syrien nnd
Alexandria waren, von dieseu eigentiimlichen orientalischen Mustern
stark nnd dauernd beeinfluBt wnrden : die stilisierten Adler nnd Lowen,
die Greife nnd andere geflligelte Ungeheuer unbestimmbarer Art
biirgerten sich auch in der griechischen Kunst ein. Daher stammen
ferner die in alten Beschreibnngen gewebter Stoffe erwahnten soge-
nannten alexandi'inischen Teppiche mit Jagdszenen, Schlaugen, Leo-
parden, Lowen, Tigerii, Elefanten, Enten und Fasanen '). und endlich
die streng sjanmetrische Ordnnng der dekorativen Elemente innerlialb
runder Rahmen. Aber es ist etwas anderes, ob es sich um Entlehnung
stilistischer Einzelheiten, znin Teil nnter dem Druck der Mode, und
eine langsame, sich dnrch mehrere .Tahrhunderte erstreckende Assimi-
lation handelt. oder um minutiose Kopierung und genaue Nachahmung
importierter Muster einer fremden und in religioser Beziehung feind-
lichen Kulturwelt. Was die Zeit zwischen dem G. und 8. Jahrh. n. Chr.
betrifft, bin ich kein Anhiinger des bei vielen modernen Kunst-
historikern, wie es scheint, eingewurzelten Glaubens an derartige
byzantinische Kopien nach sassanidischen Mustern, deren einzelne
dekorative Elemente ja schon langst in die griechisch-romische Orna-
mentik eingearbeitet waren und im Vergleich mit den einheimisch-
christlichen Elementen dieser Zeit keine wesentliche Eolle mehr
spielten. Beides laCt sich, dank den im alten Liher pontificalis ent-
haltenen, verhaltnismaBig ausfiihrlichen Berichten iiber die Produktion
der byzantinisclien Webereien dieser Zeit, mit Sicherheit feststellen.
Alle diese vela, corthiae und restes. die in langen Reihen aufgezalilt
und beschrieben werden, stellen das Resultat des Kampfes dar, der sich
1) Liber poutificalis S. 190, 208, 228, 236, 237, 238, 239. Die Aiisgabe, die
ich beimtzt babe, tragt folgenden Titel: Anastasii Bibliothecarii Historia de
vitis Eomanonim pontilicuni a b. Petro apostolo usqiie ad Jsicolauni 1. cet. Moguu-
tiae. 1602, 4".
124 Sofns Larsen,
in den friiheren Jahrhunderten zwischen der dekorativen Kunst des
Westens nnd des Ostens abgespielt hat: zahlenmaBig- spielt die letztere
damals eine diirchaiis nntergeordnete Rolle, und die Mnster mit sassa-
nidisclien Motiven bilden keine scharf abgegrenzte Gruppe, was siclier
der Fall sein wiirde, wenn es sich nm Kopien liandelte. Fabeltiere
des Orients und christliclie Symbolik linden sich auf demselben Stiick
nnd Seite an Seite, wie es z. B. aus folgender Schilderung- ans der
Zeit um das Jahr 800 hervorgeht 9 : „Ebenfalls stiftete er (Leo III)
in die Pfarrkirche der Eudoxia ein Altartuch aus tyrischem Purpur
mit groBen Greifgestalten und zwei Radern von Chrysoclavus-
Gewebe mit einem Kreuz so wie einer Borte aus dunkelviolettem
Purpur und Chrysoclavus." Ganz dieselbe Mischung von einheiraischen
nnd fremden (sassanidischen) Formelementen und Motiven finden wir
in mehreren byzantinischen Geweberesten aus sehr frliher Zeit, deren
Herkunft audi aus diesem Grunde nicht in Zweifel gezogen werden
kann2). Die Stiicke aber, die g-ewohnlich fiir byzantinische Kopien
nach sassanidischen Mustern ausgegeben werden, tragen ein ganz
anderes Geprage: es ist in der Tat unmoglich, sie von Originalen zu
') Lib. pout. P. 178: „Item fecit (Leo III) vestem in titulo Eudoxiae super
altare tyriam bal»eutem grypas raaiores et duas rotas chrysoclabas cum cruce
et periclysiu blatbiu et cbrysoclauum." — Der Grand der Borte (periclysis) bestand
somit wabrscheinlicb aus dunkelvioletter Purpurseide, in welcbe zahlreiche kleine
Goldoruamente von der Gestalt eiues Nagelkopfes hineingewebt waren; sie wareu
derartig zusammengestellt, dafi sie ein geometrisches Muster bildeten.
2) Vgi. z. B. folgende bei G. Migeon, Les arts du tissu (1909) abgebildete
Gewebereste :
S. 17. Aus dem Musee du Pare du Cinquantenaire a Bruxelles (= Fisclibach,
Ornam. d. Gew. T. IV, PL 164), einen gekronten Wagenlenker in rundem ornamen-
tiertem Eahmen darstellend. Keiu sassanidischer Fiirst erscbeint als Wagenlenker;
sie werden immer entweder zu Fufi oder zu Pferde abgebildet. Sie tragen auch
nicht eine Krone wie die hier wiedergegebene. Aber die ganze Aufstellung der
Figuren erinnert an ein Sassanidenmuster, und zu deni kleinen gefliigelten Genius
mit dem Krauze gibt es auf einer sassanidischen Skulptur eine merkwurdige Parallels
(Flandin & Coste, Voyage en Perse. Tables I— IL Tak-i-Bostau PI. 7).
S. 22. Aus dem St. Servatius-Dom zu Maastricht, wabrscheinlicb eine Szene
aus dem Zirkus darstellend. Byzantinisch (griechisch) ist die Sauls mit den beiden
SpieBtragern , sassanidisch die Eahmen, die Wildtiere und die symmetrische Auf-
stellung.
S. 25. Aus der Kathedrale zu Sens. Wahrscbeinlich byzantinische Bearbei-
tung eines baliylouiscben Motives (Gilgamesch im Kampf mit Lowen). Dieses Motiv
ist auf christlichen Mustern recht haufig, wahrscbeinlich weil es als Daniel in der
Lowengrube gedeutet wurde. Die Lowen hier sind nur sehr weitlaufige Verwandte
der sassanidischen Wildtiere.
Alte Sassanidenmuster in nordiscber Naclibildung". 125
untersclieiden i). Waruiii soil man sie dann aber iiiclit als echte Uber-
reste aus der Sassanideiizeit betracliten? Nach meinem Dafiirhalten
g-eben sie uns in A^erbindung niit den von alien als edit anerkannten
.Stlicken eiiie allerdings fragmentarisclie und enge, aber doch branch-
bare Grnndlage znm Verstandnis dieser orientalischen Webeknnst,
die in jenen Zeiten eine Herrscherrolle spielte nnd dnrcli ihre pliantasie-
voUe ornamentale Beliandlung- von Tiergestalten nnd Pflanzenmotiven,
dnrcli ilire iippige Naturfreude, erstannlichen Farbensinn nnd iiber-
legene Teclinik ilir Herrsclierrecht betatigte.
Wie Fnnken nnd verkolilte Holzstiickclien einer nngelienren
Fenersbrnnst sind diese Uberreste einer entscliwundenen Herrliclikeit
iiber das Abendland liinansgeflogen nnd in den damaligen groBen
Knltnrlandern Dentschland, Frankreich. England nnd Italien nieder-
gefallen. Die nordisclien Reiclie besitzen niclits derartiges; aber die
beiden oben erwahnten „Peller" ans dem Historischen Museum des
Staates zu Stockholm sind wahrscheinlich Kopien — moglicherweise
mit mehreren Zwischengliedern — nach ecliten alten sassanidischen
Prachtstoffen.
Hiervon zeugen zunachst die Wildtiere mit den grimmigen
Antlitzen, den ungestiimen Bewegungen nnd phantastisch gestalteten
Schwanzen, die Fabeltiere — Greife, Einhorner und Khilintiere — ,
die ganze eigenartige symbolische Fauna, die dnrch die Kunst des
Sassanidenreiches iiber die muhammedanische und cliristliche Welt
verbreitet wurde. Audi die eigentiimlichen hieratischen Zeichen am
1) Zu dieser Klasse ziihle ich verscbiedeiie Gewebereste aus der pilpstlicben
Kapelle Sancta sanctorum, die erst in der allerneuesteu Zeit bervorgezogen und der
Forscbung zugauglicb gemacbt worden sind. Sie sind alle um Eeliquien aus sebr
friiber Zeit gewickelt gewesen. Abbildungen derselben gibt es bei Lauer (Extrait
des Monuments et Memoires publics par I'Academie des Inscriptions et Belles Lettres
T. XV, 1906) ; Hartmaun Grisar, Die romiscbe Kapelle Sancta sanctorum und ibr
Scbatz, 1909; Fiscbbacb, Ornamente der Gewebe T.IV: 1. Jagdszene(Fiscbbacb PI. 166;
Grisar 8.126); 2. Das Stuck mit den Lowen (Lauer PI. 16; Fiscbbacb PI. 172 A;
Grisar S. 129) ; '3. Der Pfauenteppicb (Lauer S. 167) ; 4. Der Habnenteppicb (Lauer
PI. 17; Grisar S. 127). Der Habn gebort nicht in die altcbristlicbe , sondern in die
persiscbe Symbolik. Im Awesta wird er als ein beiliger Vogel gepriesen, der mit
seinem Kraben die bosen Geister der Nacbt verscbeucbt; 5. Die Jagdszene aus der
Kircbe zu Mozat (Migeon S. 27) ; 6. Die Jagdszene aus der Kircbe zu Sackingen
(Fiscbbacb PI. 165) ; 7. Fragment einer Jagdszene aus dem Aachener Dom (Fiscb-
bacb PL 167 A) ; 8. Der Mantel Karls des Grofien aus der Katbedrale zu Metz
(Migeon S. 30).
126 Sofus Larsen,
Hinter- und Vordeiieib, die sicli auf so gut wie alien ecliten Sassa-
nidenstoffen nachweiseu lassen, felilen liier iiicht. Was sie eigentlicli
bedeuten, ist nocli niclit aufgeklart. Selbst eine Autoritat wie Ferdi-
nand Justi gibt seine Unwissenheit iiber diesen Punkt off en zu ').
Endlich will icli darauf aufmerksam maclien, da6 diese „Peller'' ancli
von der rein ornamentalen Seite dentlicli zeigen, woher sie stammen :
die Tiergestalten sind in runde Ealimen eingesclilossen, die dreiteiligen
Palmettenoniamente mit zuriickgebogenen Seitenblattern, welclie die
AMnkel schmiicken, linden sich sowolil auf anderen Geweberesten von
unzweifelhafter Echtheit als audi auf sassanidischen Metallarbeiten 2).
Zu der lilibsclieu Borte des Teppichs, von dem icli auf nebensteliender
Tafel eine Abbildung nacli Hildebrand, Sveriges medeltid III, 706 gebe.
haben wir audi ein genaues Gegenstiick in dem Seidenstoff von dem
Sdireine Eridis des Heiligen, der audi ein editer Abkommling dieses
Kunststiles ist und walirsdieinlicli aus einer der Webereien der Kalifen-
zeit heriiilirt. Dagegen liabe icli nirgends ein den wunderbaren
ornamental beliandelten Dradiengestalten entsprecliendes Seitenstilck
linden konnen, die die Borte des in Farben abgebildeten Teppichs
bilden. Der Grund dllrfte vielleiclit der sein, da6 mit Ausnalime des
Mantels Karls des GroBen zu Metz ilberliaupt kein gauzes Stlick
sassanidischen Seidenstoff es erhalten ist, sondern nur abgeschnittene
Fragmeute ohne Borte. Von der Borte, die sich an einem der seidenen
Stoffe aus der Kapelle Sancta sanctorum befindet, bemerkt Hartmann
Grisar, der den Fund selir genau untersucht hat, dafi sie spater an-
genaht sei und urspriinglich zu einem anderen Stoffe gehort habe.
Es sind nocli zwei Fragen librig, die eine kurze Erorterung be-
anspruchen diirften: die lateinische Insdirift, welche sechs der neun
Medallions auf dem farbigen Stlick umgibt, und die beiden Kreise
ebendort, deren Figuren von den Tierdarstellungen der iibrigen ver-
schieden sind. Die Inschrift ist iiberall gleichlautend und gibt den
Gru6 des Engels an Maria ,,Ave Maria gratia plena, dominus tecum''
mehr oder weniger vollstandig wieder. Falls meine Vermutung liber
den Ursprung des Musters richtig ist, mu6 sie natiirlich von dem-
jenigen, der das Original kopierte, an diesem Platz eingesetzt worden
>) Zeitschrift filr christl. Kuiist XT, 362.
2) T. L. Arne, La Suede et TOrient (1914J p. 180: ,,Sur les vases d'arg-ent
d'origine sassanide et persane-islamique ancienne, on voit souvent line espece de
pahnette, a trois ou cinq feuilles on davantag-e, dont les feuilles exterieures sout
enroulees vers le has et en dedans, tandisqne les feuilles interieures sont en general
un pen recourhees vers le liaut et en dedans" (Abbildungen ibid. p. 132—133).
ANDEEAS - FESTSCHRIFT.
ZU SOFUS LARSEN, ALTE SASSANIDENMUSTER
IN NORDISCHER NACHBILDUNG.
Alte Sassanidenmiister in nordiscber Nacbliiklnng. 127
sein, und icli lialte es flir wahrscheinlich , claB sie eine urspriingliclie
Pelilewi-lnsclirift verdrangt liat. Zur Stiltze dieser Amialime sei
folg"endes angefulirt: die Inschrift stelit nielit in der entferntesten
Bezieliimg- zu dem Inlialte der bildliclien Darstellungen ; audi fehlt
sie bei dreien der neuii Medaillons. imd der Raiini, wo sie stelien
sollte, wird von einem edit sassanidisclieii Oruamente eingenommeii.
Wenn dies Ornament im Originale audi auf den sechs jetzt mit In-
scliriften versebenen Medaillons angebradit gewesen ware, wesbalb sollte
es dann der Kopist mit einer Inscbrift vertausdit baben, wenn er docb
an drei Stelien das Ornament steben lieB ? Der Grimd fiir die dreimalige
Beibebaltung- des Ornamentes kann nicht darin gesucbt werden, da6
es ibm an passenden Insdiriften feblte; denn konnte er dieselbe In-
sdirift secbsmal wiederbolen, wesbalb dann nidit neunmal? Die In-
konsequenz und Willkiir, die man ibm beimessen miifite, sdieint um
so nierkwiirdiger. als er in anderen Beziebungen offenbar seinem Vor-
bilde sebr genau gefolgt ist. Nelimen wir dagegen an, da6 um die
secbs Medaillons des Originals berum urspriingiicb eine Inscbrift in
fremdartigen Bucbstaben gestanden bat, so wird das Verfabren des
Kopisten durcbaus verstandlicb und natiirlicb: was ibm selbst und
seinem Publikum als sinnloser Krimskrams erscbien, wurde durcli eine
Inscbrift ersetzt, weldie seine Zeitgenossen lesen konnten, und welcbe
dem von dem Teppicb zu macbenden Gebraucb entspracb.
Die in den beiden oben erwabnten Kreisen abgebildete Gestalt
ist bodist merkwiirdig. Sie erscbeint, soviel idi weiB. iiberbaupt auf
keinem der aus der Sassanidenzeit erbaltenen Gewebereste und aucb
nidit auf irgendeiner der zablreicben spateren Nacbabmungen und
Auslaufer dieser Kunst. Sie geliort niditsdestoweniger ihreni T3'pus
und Stile nacb in denselben Formen- und Vorstellungskreis wie die
Tiergestalten. und das merkwiirdige, mit der spitzen Mlitze deko-
rierte Gesidit finden wir meines Eracbtens aucb als Dekorations-
motiv auf Kbosroes AVaffenbemd auf dem Basrelief von Taq-i-B6stan
wieder ') ; es ist wabrscbeinlicb eine symboliscb-religiose Figur. Icb
konnte mir denken, da6 es eiu Mitbragesicbt mit spitzer Miitze vor-
stellen solle, von welcbem mit Sonnenzeicben versebene Strablenblindel
ausgeben. Die Greifengestalt unter dem einen ..Mitbragesicbt'' mit
dem symboliscben Zeicben am Hinterleib pa6t ja gut in das Ensemble
binein und gebort wobl in den Tierkreis des Gottes. Dagegen fallen
in diesem Zusammenbange die unter dem zweiten Gesicbt augebracbten
') Flandin & Coste, Voj'age en Perse, Tables I— 11. Tak-i-Bostan PI. 8.
128 Sofns Larseii, Alte Sassanidenmnster in nordisclier ISaclibildung.
Zeiclien anf. Moglicherweise konnte ein Forscher, dei* in die religiose
Symbolik jenes Zeitalters eine groBere Einsiclit besitzt als icli, eine
wahrscheinliche Auslegung derselben geben. Fliichtig betrachtet
scheiiien sie fast lieraldisch zu sein; dies beruht aber wolil eher
daraiif, da6 wir liier einer verstandnislosen Wiedergabe von Zeiclien
gegeniiberstehen, die dem Kopisten wenigstens ebenso ratselhaft
waren, wie sie uns sind.
Wie dem audi sein mag, leugnen laBt sicli niclit die sclion von
Hildebrandt wahrgenommene Tatsaclie, dafi derjenige oder diejenigen,
welclie diese Tierbilder kopierten, augenscheinlich bestrebt gewesen
sind, die Einzellieiten des Originals sorgfaltig wiederzugeben. Daher
ist der Charakter der Typen audi nicht verwisdit, wie es bei so
vielen anderen Nadialimungen dieses Kunststiles der Fall ist: die
Haltnng und das Geprage der Figuren verraten, da6 sie edit em
Sassanidenblut entsprungen sind.
Es ist sdiwierig zu entsdieiden, ob diese Teppidie direkt nadi
dem Original kopiert, oder ob melirere Zwisdienglieder anzunelimen
sind, was idi zu glauben geneigt bin. Die Voraussetzung fiir dieses
wie jenes ist, da6 es im friilien Mittelalter originale sassanidisdie
Praclitstoffe in Sdiweden gegeben hat. Da6 es mehrere gegeben liat,
sdilieBe idi u. a. daraus, dafi die Tiertypen so wie di» Bortenmuster
der beiden Teppidie versdiieden sind.
Wie bekannt, stand Sdiweden — und in etwas geringerem Grade
audi der ilbrige Norden — sdion selir friili (etwa seit 800 n. Clir.)
liber Novgorod und das Land der Cliazaren niit dem Osten in lebhaftem
Verkehr, und dieser Yerkebr wurde lange Zeit liindurcli unterlialten.
Unter den Erzeugnissen, weldie die Fiirsten des Nordens durdi Ge-
sandte und Agenten in bedeutenden Mengen dort aufkauften, waren,
wie wir mit Sidierlieit wissen, praditvoll gesdimlickte, goldgestickte
Seidenstoffe. Auf diesem Wege konnen somit sassanidisdie Originale
nadi dem Norden gekommen sein.
Kopenhagen. Sofus Larsen.
TIBER BEEINFLUS8UNG
DER AUr rE8TA]\lENTLICHEN VOKALISATION
DURCH JUNGERE SPRACHPRAXIS.
Die uns iiberliefeite Vokalisation des Alten Testamentes ist,
obwolil ihre schriftliche P'ixiernng bekanntlicli erst einer sehr jungen
Zeit angehort, doch im g'anzen aul3erordentlich zuverlassig* und auf
jeden Fall das wertvollste Hilfsmittel fiir das Verstandnis des x\lten
Testamentes, das wir besitzen. Trotzdem ist sie iiatlirlicli niclit olme
Feliler. Die Qiiellen dieser Fehler sind verschieden. Manchmal hat
man sicli zu meclianiscli an die liberlieferten Buchstaben gelialten
und infolgedessen z. B. defektiv geschriebene Imperfektformen wie
^on Gen 4,o als Jussive vokalisiert ("c'n), wiilirend es gewohnliclie
Imperfekta sein mlissen (qpri; man beachte, daS audi die erste Silbe
defektiv gesdirieben ist), vgl. (Tesenins-Kautzsdi, Hebr. Gramm..
28. Aufl. (1909), § 109 d. In anderen Fallen liat man Parallelstellen
einander angeglidien und so z. B. in Gen. 8, (,.,2 -n^.^ und i:ri;'] statt
^ri'T und "^r^"!'. vokalisiert, obwohl bn^i nicht von bri, sondern von b-n
Oder b^n lierkommt, und "-n^n eine ganz unmOgliclie Form ist. In
wieder anderen Fallen war man eine altliebraische Form oder Aus-
drucksweise nicht mehr gewolmt und ersetzte sie, wenn der Konso-
nantentext sie nidit unzweideutig forderte, durdi eine jiingere. So
waren den Spiiteren z. B. die Partizipia in perfektisdiem Sinne wie
nN2n „die gekommene" Gen. 18 21 offenbar nicht mehr gelaufig; daher
betonten sie nxzn auf der vorletzten Silbe und stempelten es dadurcli
zum Perfekt; der Artikel muBte dann natiirlich im Sinne eines
Relativs gefaBt werden, was moglich ist, aber erst in den jiingeren
Biichern des A. T. vorkommt, s. Gesenius-Kautzsch § 138 A-. Einige
Fehler dieser letzten Art, wo also die Vokalisation durcli jiingere
Sprachpraxis beeinfluGt ist, mochte icli liier kui'z besprechen.
Andreas -Festschrjlt. 9
130 ~ Alfred Eahlfs,
1. Die Bezel chnuiig des ersteii Menschen.
In der jahwistischen Urgeschichte Gen. 2. 3 unci 4 , heiBt der
erste Mensch regelmaBig nnsr: ,,der Mensch"; bloB in 220. Si;.,, stelit
ens ohne Artikel, also als Eigenname „Adani". Man hat das mit
Recht beanstandet und ancli hier die Form mit Artikel hergestellt,
und diese Anderung macht in der Tat niclit die geringsten Scliwierig-
keiten, da man an alien drei Stellen nnr die Vokalisation zu andern
und anxb in c-xb zu korrigieren braucht. Hier liaben sicli die Pnnk-
tatoren offenbar durcli die ihnen gelaufige jiingere Praxis beeinflussen
lassen. Wie o -/qiotoc „der Gesalbte" zum Eigennamen Xqiot('i^
„Christus", so ist cixn „der Mensch" mit der Zeit zum Eigennamen
CIS „Adam'' geworden. Als soldier iindet sich c-ii< schon im Alten
Testamente selbst in jlingeren Schriften, namlich im Priesterkodex
Gen. 5,. 3. 4. 5 und in Chron. I 1 , , ja einmal sogar schon in einem
jahwistischen Verse Gen. 4-25, wo aber die Fortlassung des Artikels
wohl (mit Budde) auf den Eedaktor zuriickzufiihren ist. Den Spateren
war als Bezeichnung des ersten Menschen nnr der Eigenname „Adam"
gelaufig; charakteristisch ist, daS schon die Septuaginta in Gen. 2 f.
cnxn nur anfangs, wo mehr von dem Genus Mensch die Rede ist,
durch o arihQfojTog wiedergibt (2; zweimal. ^ i.v is), nachher aber stets
o 'Addji Oder auch blol5es 'Adafi ohne Artikel verwendet (2|(,. 1,, zwei-
mal. 20 zweimal. 21 usw. bis 4,). Nun konnten zwar die Punktatoren
cnxn mit ausdriicklich dastehendem Artikel nicht wohl anders als
c-xn vokalisieren. Wo jedoch die zweideutige Form cnsb stand, liaben
sie an.s nach der ihnen gelauiigen Praxis als Eigennamen gefafit und
=7x- ohne Artikel vokalisiert. Wir machen hier also dieselbe Be-
obachtung wie bei der Phrase „das Augesicht Gottes sehen", welche
bekanntlich als den Spateren ungewohnt und auch wolil dogmatisch
anstoBig nur da anerkannt ist, wo der Konsonantentext sie unzwei-
deutig anzeigte, sonst dagegen durch Vokalisierung der betreffenden
Form von nsi als Niph'al in ,.vor dem Angesichte Gottes erscheinen"
verwandelt worden ist, s. Gesenius-Buhl, Hebr. u. aram. Handworter-
buch unter nx^.
2. Die Zahlworter 11—19.
„12" heiBt im Mask, meistens -nus- n^:^, selten nu;v -:r, im Fem.
meistens n->'j;y dtu;, selten r\-yc-j -^nc, s. Gesenius - Kautzsch § 97 d.
c-^iu und CTU stehen natiirlich im Status absolutus, sind also c"':^::
i'ber Bf^einrtussiuiii' il. nltte«tanieiitl. \'okalisatioii dnrcli jiliigere Spiacbpraxis. 131
und =-]rr zu sprechen; aber man hat sie n'-rr und c-r^-^- vokalisiert.
also mit der Vokalisation des Status constructus 'rr und ■^nd versehen.
Der Grund ist darin zu siichen. dal5 den Spateren die einfache. asj^n-
detische Nebeneinanderstellung der beiden Zahlworter ,,zwei, zelin"
nicht melir gelaufig- war. Aus ilirer aramaisclieu Mutterspraehe
waren sie gewolint, diese beiden Zalilen zu einem Komposituni zu
verbinden. wobei der voransteliende Einer in den Status constructus
trat: -"^i^ri, Fem. ■'~c-p-:ri oder ■'■)c"ir. (G. Dalman, Aram.- neuhebr.
Worterbucii [1901], S. 427 f). Dalier erschien ilinen audi von den
beiden im Alten Testamente vorkommenden Formen die Form mit
-:•:; und -rr im Status constructus als die allein richtige, und sie ver-
sahen, wo z-vc und o-rr im Status absolutus iiberliefert war. dies
wenigstens mit der Vokalisation des Status constructus.
Ahnliclie Beobaclitungen lassen sicli nun aber audi an den
iibrigen mit „10" znsammengesetzten Zalilen niadien. Bei den mann-
liclien. d. h. in Verbindung mit miinnliclien Substantiven gebrauchten
Zalilen 13 — 19 stelit der Einer gewolinlicli im Stat, abs.: -ibs' n-cbr usw.;
doch kommt daneben zuweilen der Stat, constr. vor: zweimal bei 15
(h'^s' r-::-zr), einmal bei 18 (-r^" r:^^:3), s. Gesenius-Kautzscli § 97 e.
Wir finden liier also genau dasselbe Verhaltnis wie bei 12: beide
Ausdrucksweisen sind moglich, aber der Stat. abs. iiberwiegt weit.
Ist es da nicht liochst verwunderlich. daS es bei den weibliclien
Zalilen 13—19 und bei der mannlichen Zalil 11 i) nicht ebenso ist,
sondern daS liier einzig und allein der sonst so seltene Stat, constr.
Yorkommt: 13—19 nits- -c-r usw.. 11 -^'■::v ins? Da6 dieser ganz
sinnlose Unterschied urspriinglich sein sollte, kann ich nicht glauben.
Er erklart sich audi ganz einfach. Bei --"• nrb'w- usw. war der
Stat. abs. durch die Schrift unzweideutig angezeigt, und man konnte
die Formen nicht einmal, wie bei 12, nach Analogic des Stat, constr.
vokalisieren. da eine Bildung- wie n-f-n (mit Betonung- der vor-
letzten Silbe) gar zu uiimijglicli gewesen ware; daher muBte man
hier den Stat. abs. wolil oder libel gelten lassen. Bei m-c- ^^ usw.
und -w-r -IPS aber wies nichts in der Schrift auf den Stat. abs.
hin; daher hat man in diesen Formen stets den gewohnten Stat,
constr. angenommen.
') Das Fem. nnbr rriN; mufi aus ilem Spiele l)leil)eii, well bei rnx kein
Unterschied zwiscben cleu beiden Status ist.
9?
132 Alfred Rahlfs
3. Die Form qattal.
Vgl. p. de Lagarde, Ubersicbt liber die im Aramaischen, Arabischeu
imd Hebraiscben iiblicbe Bildung der Nomina (1889), S. 88—90. — J.Bartb,
Die Nomiualbilduiig in den semitiscben Spracben (1889/01), § 33. —
C. Brockelmann, GrundriB der vergleicbenden Tlrammatik der semi-
tiscben Spracben 1 (1908), § 149. — W. Geseniiis' bebraiscbe (Trammatik,
28. Anfl. von E. Kautzscb (1909), § 81 ^, Absatz h.
Wenii man im Alten Testamente Formen wie i-^ ,,Ric'hter",
N'^n jjSiindig', Sunder", rnn „Handwerker". rH „Scliiffer", -c-s „Reiter",
N2P „eifersuehtig'" findet, so muBte man, da hebraiscbes a regelrecht
Dehnung eines semitischen a ist, auf Urformen der Bildung qultid
schlieBen. und in der Tat sclieint liierfiir der Stat, constr. ■,^t'; '^IT;-, '■^^e
zn sprechen. Aber dem stelien zwei Tatsaclien entgegen: 1. Ware
das a der zweiten Silbe von Hans ans knrz, so miiCte es im Stat.
constr. des Plurals, sowie auch im Plural mit „scliweren" Suffixen zn
Schwa werden; es bleibt aber, wie -x-^n Amos Gm, "^t^'"" Sam. 115,,
u. 6.. D-T-s-o Ezecli. 27,, lehren. 2. Die entsprechenden Bildungen der
librigen semitischen Sprachen weisen durchweg die Form qaml auf.
Daher miissen wir auch jene hebraischen Worter flir Bildungen der
Form qatffd halten und das kurze a in der zweiten Silbe des Stat,
constr. i!", •jnn, -i-c als sekundar betrachten; die Yerklirzung erklart
sich daraus, da6 einem langen a in der SchluBsilbe des Stat. abs.
regelmaBig ein kurzes a im Stat, constr. entsprach, z. B. -n^ : n^n.
Wenn aber die Urform qattal hiefi, so muBte daraus, wie Lagarde
und Barth richtig bemerkt haben, im Hebraischen nach dem bekannten
Lautgesetz qattol werden. Dafi dieser Ubergang nicht erfolgt ist,
suchen Barth und Brockelmann auf verschiedene AVeise aus inner-
hebrjiischen Griinden zn erklai'en. Mir scheint das verfehlt. Meines
Erachtens hat vielmehr Lagarde recht, wenn er aus dem Vorkommen
einer Nebenform t<':p neben n|j? „eifersiichtig" schlieGt, da6 die Formen
mit a „aus dem Aramaischen entlehnt, oder aramiiischen Bildungen
nachgeahmt" sind i). Nur mochte ich in dem a dieser Formen in der
Reffel niclils weiter als eine durcli das Aramaische veranlafite faische
') Genauer allerdings spriebt Lagarde S. 89 nur von ..nrr. [,Dieb'], rs::
[.Scblacliter'] usw.-', wabrend er in ■*'n, ■i~n, ^ns ecbthebriiiscbe Bihlnngea der
Form qallat .sieht (S. 88). — Neben n:;^ iiennt Lagarde p'rn ,.Kette"; ilies lasse icb
als zn unsicber bei.seite.
t'ber Beeiuflussmig d. alttestamentl. Vukalisation dnrcli jiiiigere Sprachpraxis. 133
Vokalisation selien. Den Beweis liefert m. E. die von Lagarde selb.st
selir gut angefiihrte verscliiedene Vokalisation von N:p.
N:p „eifersuclitig" kommt an sieben Stellen des Alten Testamentes
vol', und zwar stets in der Verbindnng s:p bs „eifer.siichtiger Gott"; nur
in Exod. 34 , , findet sich einmal wsrp allein : -^r N:p nin^ „ Jaliwe, Eif er-
silclitiger ist sein Name"', aber audi liier wird es unniittelbar darauf
in jener stereotypen Verbindung wiedeiiiolt: sin n:p ha ,,ein eifer-
siiclitiger Gott ist er". An den fiinf iStellen, wo es im Pentateuch
vorkommt, Exod. 20 5. 34 14. Dent. 4.24. 5,,. 61,5, ist defektiv n:p ge-
sclirieben, an den beiden Ubrigen Stellen, Jos. 24,,,. Nali. 1-2, dagegen
plene Ki:p. Dieser Unterschied der Sclireibung ist aber gewlB rein
ortliographiscli : der Pentateuch hat iiberall die altere defektive, Jos.
und Nah, die jiingere Pleneschreibung. Da6 die Aussprache selbst
bei einem stets in jeuer festen Verbindung vorkommenden Worte ver-
schieden gewesen sein sollte, scheint mir vollig ausgeschlossen. Das
plene geschriebene x-p lie6 liber die beabsichtigte Aussprache keinen
Zweifel; daher konnte man nicht umhin, es richtig x-::p zu vokali-
sieren. Das defektiv geschriebene N:p dagegen war zweideutig; daher
sprach man es Nrp, wie man derartige Formen im Aramaischen zu
sprechen gewohnt war.
Wenn aber N:p audi da, wo es defektiv geschrieben ist, x-p ge-
sprochen werden mu6, so konnen ^t, n-jh usw. ebensogut i^'^, st:-
gesprochen werden. Die jetzige Vokalisation wiirde sich dann einfach
daraus erklaren, da6 man diese Worter, da man sie stets defektiv
geschrieben vorfand, auch stets nach aramaischer Weise mit a sprach.
Hierbei kann zweierlei mitgewirkt haben: 1. Viele hebraische Worter
der Form qatml kommen ebenso im Aramaischen vor. Ich habe oben
S. 132, ohne bereits an das hier Auszufiihrende zu denken, sechs
Beispiele ausgewahlt: -^^ ,,Richter", x-^n „Siinder", •--- „Handwerker",
r.h-c „Schiffer'', ir-2 „Reiter", xip „eifersiichtig". AUe sechs finden
sich nach G. Dalman, Aram.-neuhebr. Worterbuch (1901) auch im
Jikiischen Aramaisch, i-^n allerdings in anderer Bedeutung (,,Zauberer").
Das beweist, dafi diese Worter, obwohl sie nicht alle echtaramaisch,
sondern z. T. aus dem Alten Testamente ins Jiidisch-Aramaische iiber-
nommen sind, doch auf jeden Fall bei den Juden in aramaischer Aus-
sprache weitergelebt haben. Um so leichter konnten sie auch im
alttestamentlichen Texte nach aramaischer Weise ausgesprochen
werden. 2. Von den hebraischen AVortern der Form qaffal sind einige
wohl wirklich, wie Lagarde vermutete, direkt aus dem Aramaischen
entlehnt. Speziell wird man in dem nur bei Ezechiel und Jonas vor-
134 Alfred Rablfs.
kommendeii rr-; ..Scliiffer" ein solches aramaisclies Lelinwort sehen
dlirfen. vgl. E. Kautz'^ch, Die Aramaismen im Alten Testament, I
(OsterprogT. Halle 1902), S. 58f. Daun aber wird dieses Wort audi
im Hebraisclieii nie rik-g. sondern stets rs-c gespiochen worden sein.
Und ebendieser Umstand, dafi es neben den echthebraischen Wortern
mit 6 ancli Lehnworter mit a gab, kann sehr wolil dazu beigetragen
habeu, da6 die echthebraischen Worter allmahlich die aramaische
Aussprache ihrer Doppelganger annahmen. Wann dieser ProzeB sich
vollzogen hat, konnen wir natiirlich nicht ausmachen. Gehort er,
was keineswegs ausg-eschlossen scheint, schon einer ziemlich friihen
Zeit an, so wiirde man daraus die immerhin etwas auffallige Tatsache
erklaren konnen, da6, obwohl in jiingerer Zeit viele Lesemiitter
in den alttestamentlichen Text eingesetzt sind, doch gerade diese
Bildungen auBer N"i? nirgends eine Lesemutter abbekommen haben.
Zu si5p stellt Lagarde -'-^j „Held" := syr. und arab. gahhar (oder
ganhar), und audi Brockelmann sieht in ni^r, eine Bildung der Form
qaticil Dag-egen weist Barth dieses Wort einer anderen Klasse zu:
§ 134 „intrans. quttal, qiMV. Ich mocbte glauben, dafi letzterer
recht hat. Denn das i der ersten Silbe dieses Wortes ist nicht nur
im liebr. n-^sr. iiberliefert, sondern audi in dem bibl.-aram. ^^■zi Dan. 3 on
und vor allem in dem jiid.-ai'am. x-ar. , dessen i durch haufige Plene-
sdireibung durchaus gesichert ist, s. A. Merx, Chrestomathia targu-
mica (1888), S. 178 Knur-, -p-^^^s, xr.i^::-.-. innr-.in-j, Gr. Dalman, Gramm.
des jiid.-palast. Aramaisch, 2. Aufl. (1905), S. 181 unter „kif/dl'' aus
dem Cod. Socini -n-'-i--.;. vgl. audi christl.-aram. ^a^Ioi-a-*^ bei
Fr. Schulthefi, Lexicon s3'ropalaestinum (1903), S. 34. Daher wird
Brockelmann im Irrtiim sein. wenn er jenes / fiir spezifisdi hebraisch
lialt und das Auftreten desselben Vokals im bibl.-aram. ■-2r« aus Be-
einllussimg durch das Hebraische erklart (S. 361 Anm. 1). Uberhaupt
ist es mir sehr zweifelhaft, ob wirklich „im syr. gabhard die altaram.
Form erhalten ist". Ebensogut kann man m. E. annehmen, da6 gihbdr
auch im Aramaischen das Urspriingliche, und gahhar erst durch tJber-
gang des Wortes aus der seltenen Bildung qiml in die gerade im
Aramaischen so haufige Bildung qattul entstanden ist. Auf jeden Fall
erscheint es mir geraten, n-^a?. hier, wo es sich um die hebraischen
Bildungen der Form qattul handelt, aus dem Spiel zu lassen.
Dagegen mochte ich die Vermutung wagen, da6 die echthebriiische
Form qaiidl in einigen anderen Fallen vorliegt, welche die Punktation
allerdings ganz anders aufgefafit hat. In Jer. ^i- finden wir das ^\^)l't
■,-n3 ..Priifer", in Jer. 22;, p-'r:>- „Erpresser, Bedriicker'' und in Jer. 3;. ,(,
t'ber Beeiuflussuiig d. alttestamcntl. Vokalisation (lurch jiingere Sprachpraxis. 135
ein Fern. n--:.2 ..Trenlose" i). Barth § 27 g und Brockelmann § 131 b
sehen hierin Bilduiigen der Form qataJ. Aber daun mlifite es, wie
sie selbst i-ichtig bemerken. r--:z lieiBeii. Brockelmann erklart das
regelwidrige a in ni-^z aus ,,dem EinfluS des aram. Xom. agentis
qd/ol''. Mir sclieint die ganze Vokalisation von yrz, -■•rr. ri-i-^ ebenso
wie die von i^- etc. rein aramaisch, und ich moclite vermuten, da6
ursprilnglicli Bildungen der Form qaf/dl, also yr^. p'""^'^, "7"-?, be-
absichtigt Avaren. nnd da6 man anch das passivische --nr „zu zer-
storende(?)" Ps. 137 s, falls man es in ein Aktiv korrigieren will,
iiiclit, wie vorgesclilagen, in i-i--iti\ sondern in ni-^r korrigieren mn6.
i'brigens ist nocli darauf liinzuweisen, da6 in Jer. 3 die Pleneschrei-
bnng mva 7. ,0 niit der Defektivschreibung mjiv;. h wecliselt, und da6
die Punktatoren nur bei der Pleneschreibnng die flir das Hebraische
immerhin reclit singulare Aussprache n-i-;>2 einzufUliren gewagt liaben,
walirend sie das defektiv gescliriebene ni:D als Partizipium fasten
und rr,::z vokalisierten. In Wirkliclikeit mu6 natiirlicli bei beiden
Sclireibungen dieselbe Aussprache beabsichtigt sein; denn rn{-):^z er-
sclieint liier iiberall als Spitzname Judas, und ein soldier Spitzname
kann nicht von Vers zu Vers wechseln. m-sa und m;n stehen neben-
einander wie si:p und N:p. Wechsel der Orthographie in demselben
Zusammenhange kommt audi sonst liaufig vor; eine selir geuaue
Parallele zu Jer. 3; rrns-, ^ ms^, ,„ m-:::, ,, m:^ bietet die Fabel
Jotliams in Richt. 9, in der „werde Konig" zuerst plene geschrieben
wird: s ^-"'^'^ (nacli dem K^^tliibli), dann defektiv: 11,'"=^";, dann wieder
plene: ,2 ^="^"2 (nach dem K^thibli), und schlieBlich wieder defektiv:
1 1 I'--
Zum ScliluB nocli eine Bemerkung ilber eine sekundare Folge
der aramaischen Vokalisation der g^a//aZ-Formen. Es gab im Hebra-
isclien urspriinglicli zwei verscliiedene Worter: paras „Pferd'' und
parras ,,Reiter". Jenes mufite nach den Lautgesetzen zu ri^s werden;
dieses wnrde infolge der aramaischen Aussprache gleichfalls zu c-is.
So fielen Pferd und Reiter zusammen, und man bildete nun von u-s
,,Pferd" ebenso wie von dns „Reiter" den Plural n-'dns, obwohl der
Plural von c-b „Pferd" = paras natlirlich n^nns lielBen milGte. Das
ist ein ganz ahnlicher Fall wie bei dem Verbuni i<h-Q. Ursprlinglich
mu6 es im Hebraischen wie im Arabischen zwei Verba xb-2 gegeben
') AuSerdem kauie noch "|'"-n „Bedrucker" Jes. 1,, in Betracht, doch lasse
ich dies beiseite, da man es aiich mit alien alten Ubersetzern als passives Partizipium
(y'^sn) auffassen kann.
13G A. Rahlfs, f ber Beeinflnss. d. alttest. Vokalisation diircli jung-ere Spraclipiaxis.
liabeu, eiii Zustandsverbnm ah^ „voll werden" und ein Tiitigkeits-
verbum iib-o „fulleii". Aber jetzt hat das liauflgere Ziistaiidsverbum
xb^ das Ta'tigkeitsverbum n^^ aufgesogen, imd sogar in Jes. 6,, wo
docli l:=-Mri-px c-'xbo ■-'brr ganz iinzweideutig „ seine Schleppen fiillten
den Tempel" lieifit, ist niclit n^xV; „fiinend", sondern D-xb^; „voll"
vokalisiert; blo6 in -s^^ „er fiillte ihn" Est. 7, hat sich nodi eine
Spur des Tatigkeitsverbums erhalten.
Gottingen. Alfred Rahlfs.
BEITRAGE ZU EliNEK ANDREAS -illBLIOGRAPHlE.
1869. Anzeig-e von: Vilh. Thomsen, Den gotiske sprog'klasses indfiy-
clelse pa den finske (Kobenhavn 1869): Fa?drelandet 1869,
Nr. 88 (17. April).
1877. [Opinion (nnter: Opinions of Oriental Scholars).] Palilavi,
G-ujarati and English Dictionary. By Jamaspji JJastnr Mino-
cheherji Jamasp Asana. Volume 1. Bombay, S. CXLVI-CXLYII.
1882. The book of the Mainyo-i-khard, also an old fragment of the
Bundehesh, both in the original Pahlavi, being a facsimile of
a manuscript brought from Persia by the late Professor Westcr-
(jaard and now preserved in the University-Library of Copen-
hagen. Edited by Frederic Charles Andreas. Kiel, Till + 80S., 4".
Rezensioneu: GiJttingisclie gelehrte Anzeigen 1882 Bd. 1, S. 961-
980, von Th. NOldel-e. — Zeitschrift der Deutscheu Morgenlandischen
Gesellschaft Bd. 37, 1883, S. 292, von Chr. Bartlwlomae. — Lite-
rarisches Centralblatt 1883, Nr. 3(13. Jan.), Sp. 89-90. — Deutsche
Litteraturzeitung 1883 (15. Sept.), 8p. 1285-1286, von II. Zimmcr. —
Le Museon Tome 2, 1883, S. 381-392, von E. W. West. — Revue
critique d'histoire et de litterature Tome 17, 1884, S. 97-98, von
James Darmestetet:
1882. Persepolis. Die achaemenidischen und sasanidischen Denkmaler
und Inschriften von Persepolis, Istakhr, Pasargadae, Shahpur.
Zum ersten Male photographisch aufgenommen von F. StoUe.
Im Anschlusse an die epigraphisch-archaeologische Expedition
in Persien von F. C. Andreas. Herausgegeben auf Veranlassung
des fiinften internationalen Orientalisten- Congresses zu Berlin.
Mit einer Besprechung der Inschriften von Th.NoIdeJce. Bd. 1-2.
Berlin, 7 S. m. 73 Lichtdruck-Tafeln und 73 Bl. Tafel-Erkla-
rungen; VI + 12 S. m. 77 Lichtdr.-Taf. u. 77 Bl. Taf.-Erkliirgn.,
Fol. max.
138 Jolian Eyser,
Rezension: Deutsclie Tvitteraturzeitiing 188.':5 (21. April), Sp.
550-551, von [Ebcrhard] Schradcr.
Vgl. auch Stohe, Persepolis. Bericht iiber meine Aufnaliraen
achamenidischer unci sasanidischer Denkmiiler in Fars: Vorhandlungen
der Gesellschaft fiir Erdknnde zu Berlin Bd. 10, 1883, S. 251-27l>.
1885. Die Handelsverhaltnisse Persiens, mit besonderer Berlicksich-
tigung' der deutschen Interessen. Von F. Stohe und F. C. Andreas.
Mit einer Karte. (Erganziingsheft No. 77 zu ,,Petermauns Mit-
teiliingen".) Gotlia, IV -f- 86 S., 4'\
Kezensionen: The Academy 1885, No. 675 (11. April), 8.263.
— The Athenseam 1885, No. 2998 (11. April), S. 476. — Procee-
dings of tlie Royal Geographical Society, New Scries, Vol. 7, 1885,
S. 404-405, von /. Scott Keltic. — Tijdschrift van het Nederlandsch
Aardrijksknndig Genootschap, Ser. 2, Deel 2, Afdeeling: Verslagen
en Aardrijkskundige Mededeelingen, 188t, S. 278-280.
1891. tlber den Babismus in Persien. Voitrag. gehalten am 24. April
1891 im „Centralverein f. Handelsgeographie usw." von Herrn
Dr. F. C. Andreas: Export. Organ des C'entralvereins fiir
Handelsgeographie nnd Forderung deutscher Interessen im
Auslande zu Berlin. Jalirg. 13, Berlin 1891, Nr. 24 (9. Juni)
bis Nr. 29 (14. Juli), S. 384-385. 402-403. 418-419. 432-433.
449-451. 462-464.
18J)1. Konigliclie Museen zu Berlin. Mittheilungen aus den orienta-
lisclien Sammlungen. Heft IV: Sassanidisclie Siegelsteine, lieraus-
gegeben von Faul Horn und Georg Steindorff. Berlin, VI -f 49 S.,
m. 6 Tafeln Abbildungen und 1 Sclirifttafel, Fol. — Laut S. II
hat Andreas ursprlinglich die Absicht gehabt, die Berliner
Siegelsteine zu bearbeiten, dann aber die Arbeit seinem Schiller
Horn iiberlassen. Horn hat „uach den gleiehen Prinzipien" wie
Andreas gearbeitet und mehreres direkt von ihm iibernommen.
1S93. Oslmr Mann, Anzeige von: GrundriB der neupersischen Etymo-
logie von Paul Horn (Strafiburg 1893): Zeitschrift der Deutschen
Morgenlandischen Gesellschaft Bd. 47, S. 698-706. — Laut S.701
gibt Mann hier haufig Ansichten und Resultate seines Lehrers
Andreas Avieder.
1894 -%. In FauJijs Real - Encyclopadie der classischen Altertums-
wissenschaft. Neue Bearbeitung. Unter Mitwirkung zalilreicher
Farhgenossen herausgegeben von Georcj Wissowa. Stuttgart,
M. 1 (1894) die Artikel: Abakaina, Sp. 11-12. — Abina [Nr.] 1,
Sp.99. — Achaimenia, Sp. 199-200. — Adarbigana, Sp. 345-347.
Beitrag-e zn einer Andreas -Ribliographie. 130
— Adima, Sp. 435-436. — A^aiizana, Sp. 731-733. — Ag'aira.
Sp. 7o5-7o(3. — Agiuis, Sp. 810-816. — Agra [Nr.] 1, Sp. 886-887.
— Ainiana (Aiiiia), Sp. 1025-1027. — Akessaia, Sp. 1165-1166.
— Akidane (Acidane), Sp. 1167-1168. — Akola, Sp. 1175-1177. —
Akra [Nr.] 1, Sp. 1186. — Albania [Xr.] 2, Sp. 1304-1305. —
Alexandreia [Nr.] 13, Sp. 1390-1395. — Alikadra, Sp. 1481-1482.
— Alinza [Nr.] 1-2, Sp. 1490-1493. — Alisdaka, Sp. 1495-1496.
— Aliiaka, Sp. 1698-1704. — Amardoi, Sp. 1729-1733. —
Amardos, Sp. 1734-1740. — Amariakai, Sp. 1741. — Ambara,
Sp. 1790-1795. — Ampe, Sp. 1877-1880. — Andriaka, Sp. 2138-
2140. - Aiige [Nr.] 2, Sp. 2185-2188. — Aniarakai, Sp. 2195. —
Anuchtlia, Sp. 2650. — Aple, Sp. 2810-2812. — Apobataua,
Sp. 2812-2814. — Bd. 2 (1896): Apostana, Sp. 176-181. - Ara-
driplie, Sp. 372-373. — Arsagalitae, Sp. 1267-1268. - Arteatai.
Sp 1327-1328. — Artoarta, Sp. 1459-1460.
18tM). Die Babi's in Persien. Ihre Geschichte und Lelire, qnellen-
mafiig- und nacli eigener Anschaimng dargestellt. Leipzig und
Berlin, 68 S., 8^^.
189(>. Karl Marti, Kiirzgefafite Grammatik der biblisch-aramaisclien
Spraclie. Litteratur, Paradigmen, kritisch bericlitigte Texte und
Glossar. (Porta linguarum orientalium. Pars XVIII.) Berlin,
XIV + 134 + 90* S. — In dem Glossar S. 51*- 89* stammen
die mit .,A." gezeichneten Erklarungen der im Biblisch-Ara-
maisclien vorkommenden persischeu Worter (s—n, -uinx, ^'^"'7-^;
usw.) von Andreas, s. die Vorrede S. VII. — In der 2. Auflage
(Berlin 1911) hat Marti laut S. VII die von Andreas stanimen-
den Artikel „nach dessen neueren Bemerkungen (namentlich
in der Ephemeris) revidiert und erganzt, gelegentlicli allerdings
audi etwas gekiirzt".
lSl)6-*.>7. Martifi Hartniann, Bolitan. Eine topographiscli-historische
Studie: Mitteilinigen der Vorderasiatischen Gesellschaft 1896
[Heft] 2 und 1897 [Heft] 1, Berlin, 164 S. — Laut S. 104 Anni. 1
hat Andreas dem Verfasser bei mehrfaclien Besprechungen liber
die Arbeit eine Reihe wertvoller Bemerkungen beigesteuert.
Sie finden sich teils im Werke selbst, siehe z. B. S. 20. 23. 25.
95-96. 103; teils in den Naclitragen und Berichtigungen, siehe
S. 119. 124. 127. 130. 131. 132. 143-146.
1898. "Was lehrt der Koran iiber Jesus?: Das Reich Cliristi. Zeit-
schrift fiir Verstjinduis und Verkiindigung des Evangeliums.
140 .Toban Ey^ser,
Heransgeber: Johannes Lepsius. Jalirg'. 1, 1898, Nr. 1. 2. 4,
Sp. 23-27. 55-58. 115-123. — Andreas gibt liier eine teilweise
klirzeiicle, teilweise aber audi erweiternde ,.freie Ubertrag'iiiig"
cles Artikels „Jesus Christ" aus dem „Dictionary of Islam"
von Thomas Patrick Hughes.
Wiederabdriick : Hefte zum Christlichen Orient. II. Serie, Mu-
hammedanermission, Pleft 2. Was lelirt der Koran iiber Jesus? Nach
Th. P. Hughes. Mit 3 Abbildungen im Text. Potsdam, 1909, 16 S., 8".
1903. Friedrich Sarre, Die altorientalisdien Feldzeiclieii, mit besoii-
derer Beriicksiditiguiig eiiies imveroffentlichteii Stiickes: Klio.
Beitrage zur alten Gesdiiclite, lieraiisgegeben von C. F. Lehmami
und E. Kornemann, Bd. 3, S. 333-371. — Darin S. 354-355 Aus-
fiilirungen von Andreas iiber den Adler und Falken als Feld-
zeicheu der Farther und Armenier.
1903. C. F. Lehmann, Hellenistisdie Forschungen : Klio. Beitrage
zur alten Geschidite, herausgegeben von C. F. Lehmann und
E. Kornemann, Bd. 3. S. 491-547. — Darin auf S. 505-506 eine
Mitteilung von Andreas iiber Sparda = Sardes.
1904. Ueber einige Fragen der iiltesten i)ersischen Gesdiiclite: Ver-
handlungen des XIII. international en Orientalisten-Kongresses,
Hamburg September 1902. Leiden 1904, S. 93-97.
1904. Die Entstehung des Awesta-Alphabetes und sein urspriinglicher
Lautwert: Verhandlungen des XIII. internatioualen Orienta-
listen-Kongresses, Hamburg September 1902. Leiden 1904,
S. 99-100.
1904. F. W. K. Mi'dler, Handsdiriften-Reste in Estrangelo-Sdirift aus
Turfan, Chinesisdi-Turkistan. II. Teil : Abhandlungen der Konig-
licli Preufiischen Akademie der Wissensdiaften 1904. — Auf S.UO
-HI teilt Midler Verbesserungen von Andreas mit; vgl. auch
S. 97. — Auf S. HI hezeichnet Andreas die Spradie der Frag-
mente als ..soghdisdi". Siehe dariiber ferner F. IF. K. Midler,
Neutestamentliche Brudistiicke in soghdischer Spradie: Sitzungs-
beridite der Koniglidi PreuBisdien Akademie der Wissen-
sdiaften 1907, S. 260 Anm. 2 und S. 261 Anm. 3, und
F. W. K. Mailer, Uigurica: Abhandlungen der Koniglidi
Preufiisdien Akademie der Wissensdiaften, Philosophisdi-
historisdie Classe 1908, S. 3 Anm. 3, wo Midler nadi Mit-
teilung von Andreas die Kennzei(dien angibt, nadi welcheu
dieser die Spradie als soglidisdi bestimmt liatte (vgl. audi
Beitrfig-e zu einer Andreas- Bibliographie. 141
ebeiida Anm. 2 iiber die Scheidung- zweier mittelpersisclier
Dialekte diircli Andreas).
1905. F. W. K. Miiller. Eine Hermas-Stelle in manicliaischer Version :
Sitzungsbericlite der Koniglicli PreuBisclien Akademie der
Wissenscliaften 1905, S. 1077-1088. — Auf S. 1083 finden sicli
zwei weitere Verbesserungen zu der vorigen Nummer von
Andreas.
19(K). Epliemeris fiir semitische Epigrapliik von Marh Lidsharshi
Bd. 2, Heft 2. — Die FuBnoten auf S. 212-215. 221-223. 226
entlialten Erklarungen persiseher Worter, die in aramaisclien
Texteu vorkommen, von Andreas.
1{)07. Friedrich SchuUhe/^, Anzeige von: Aramaic papyri discovered
at Assnan, ed. by A. H. Sayce etc. (London 1906): Gottingische
gelehrte Anzeigen 1907, S. 181-199. — In den Anmerknngen
auf S. 185-188 finden sicli Erklarungen einiger in diesen Papyri
vorkommender persiseher Worter von Andreas. Sielie auBerdem
S. 195 Anm. 1.
1007. F. W. K. MiiUer. Die „persischen" Kalenderausdrlicke im
chinesischen Tripitaka: Sitzungsbericlite der Koniglicli PreuBi-
schen Akademie der Wissenscliaften 1907, S. 458-465. Mit
einer Tafel. — Der Inhalt des liier mitgeteilten manicliaiscli-
soghdischen Brucbstiickes wurde laut S. 459 ,,in gemeinsamer
Arbeit mit Prof. Andreas festgestellt''.
lt)08. Notiz ilber eine Streitschrift des Herrn Ter-Mikaelian: Nach-
richten von der KiJniglichen Gresellschaft der Wissenschaften
zu Gottingen. Philologisch-historisclie Klasse 1908, S. 375-376.
HUM). Die di'itte Ghatha des Zura^tusthro. (Josno 30.) Versucli einer
Herstellnng der alteren Textfonnen nebst Uebersetzung. I:
Nachricliten von der Konigliclien Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Gottingen. Philologisch-historische Klasse 1909,
S. 12-49.
1900. /. Wacl-erna(jel, Akzentstudien, I: Nachricliten von der Konig-
liclien Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen. Pliilo-
logisch-historische Klasse 1909, S. 50-63. — In der Anmerkung
auf S. 60-61 handelt Andreas iiber die angeblichen mittel-
persischen Formen dit und dut.
1910. Nachwort [zu: W. Bang, Beitrage zur Erklarung des koma-
nischen Marienhvmnus] : Nachrichten von der Koniglichen
142 Johan Eyser, Beitrage zn einer Andreas -Bibliographie.
Gesellschaft der Wissenscliafteii zu GOttingen. Pliilologiscli-
historische Klasse 1910, S. 74-78.
1910. Zwei soghdische Exkurse zu Vilhelm Thomsens: Ein Blatt in
tiirkischer Runenschrift: Sitzungsberichte der Koniglicli PreiiBi-
sclieii Akademie der Wissenschaften 1910, S. 307-314.
Rezensiou: Journal asiatiqne Ser. 10, Tuiue 15, 1910, S. 540-544,
von Robert Gaufhiot.
1910. Mehmed 3Ieshid, Ein muhammedanischer Katechismus. Be-
arbeitet von F. C. Andreas: Hefte zum Christlichen Orient.
II. Serie, Muliammedanermission, Heft 4. Potsdam, 32 S. m.
3 Abbild., 8" (S. 29-32 von Johannes Lepsius).
1910. Bruchstiicke einer Pelilewi-tlbersetzung der Psalmen aus der
Sassanidenzeit: Sitzungsberichte der Koniglicli PreuBisclien
Akademie der Wissenschaften 1910, S. 869-872.
Bericht hieritber: Revue de I'liistoire des religions, 31. annee.
Tome 62, 1910, S. 411-412, von RfeneJ D[ussaud].
1911. Die vierte Ghatlia des ZuraHlmsthro. (Josno 31.) Versucli einer
Herstellung der alteren Textformen nebst Ubersetzung. Von
F. C. Andreas und J. Wackernagel: Nachrichten von der Konig-
lichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen. Philo-
logisch-historische Klasse 1911, S. 1-34.
Rezension: Journal asiatiqne Ser. 10, Tome 18, 1911, S. 638-644,
von A. Meillet.
1918. Die erste, zweite und flinfte Ghatha des ZuraHhusthro (Josno
28. 29. 32). Versucli einer Herstellung der alteren Textformen
nebst Ubersetzung. Von F. C. Andreas und J. WacJcernagel :
Nachrichten von der Koniglichen Gesellschaft der Wissenschaften
zu Gottingen. Philologisch-historische Klasse 1913, S. 363-385.
1910. Vier persische Etymologien: Nachrichten von der Koniglichen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen. Philologisch-
historische Klasse 1916, S. 1-6.
Kopenhagen. Johan Eyser i).
') F\\v freundliche Hilfe bei der Sammlung dieser bibliographischen Notizen
spreche ich Herrn Professor Alfred Ralilfs, sowie audi den Herren Professoren
Alfred Bertholet, Enno Littmann, Jacob Wackernagel und Herru Dr. Herman
Lomniel nieinen herzlichen Dank aus.
Druck von Elirbardt Karras G. m. b. H. in Halle (Saale).
Los Angeles
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81973
Form L9-a7?n-3,'57(C5424s4)444
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