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Full text of "Festschrift Johannes Vahlen zum siebenzigsten Geburtstag gewidmet von seinen Schülern"

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Festschrift 

Johannes  Vahlen 


ZUM  SIEBENZIGSTEN  GEBURTSTAG 


GEWIDMET 


VON 


SEINEN  SCHÜLERN 


BERLIN 

DRUCK  UND  VERLAG  VON  GEORG  REIMER 

1900 


1900 
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Hochgeehrter  Herr  Geheimrath! 

Einige  Ihrer  Schüler  haben  die  Feier  Ihres  siebenzigsten  Geburts- 
tages nicht  vorübergehen  lassen  wollen,  ohne  Ihnen  im  eigenen 
Namen  und  im  Namen  ihrer  zahlreichen  Genossen  ein  Zeichen  un- 
wandelbarer Treue  und  aufrichtiger  Verehrung  zu  geben,  und 
bringen  Ihnen  hiermit  eine  Reihe  wissenschaftlicher  Abhandlungen 
dar,  welche  bezeugen  sollen,  dass  der  Geist  Ihrer  Lehre  und 
Forschung,  den  Sie  durch  Ihr  beredtes  Wort  und  strenges  Vorbild 
'in  ihre  Seelen  gepflanzt,  Früchte  gezeitigt  habe,  welche  Sie  nicht 
unwürdig  befinden  mögen. 

Als  einer  Ihrer  ältesten  Schüler,  der  Ihre  Wege  zu  wandeln 
bemüht  war  und  auf  diesen,  was  er  nach  dem  Masse  seines  Könnens 
und  der  Lage  der  Verhältnisse  an  philologischer  Arbeit  zu  leisten 
vermochte,  Ihnen  vor  anderen  zu  danken  hat,  hätte  ich  mich  gerne 
in  der  Weise  der  Darbringenden  bethätigen  wollen.  Aber  Sie 
wissen,  dass  ich  seit  mehreren  Jahren  andere  Sorgen  und  Mühen 
auf  mich  genommen  habe  und  kaum  in  der  Lage  wäre,  unter  dem 
Drucke  zeitraubender  Geschäfte  etwas  für  den  Zweck  zu  schaffen, 
was  den  Empfänger  und  den  Geber  befriedigen  könnte. 

Aber  die  zu  Ihrer  Ehrung  Vereinigten  wollten  mich  doch  zu 
Worte  kommen  lassen  und  waren  der  Meinung,  dass  ich  eine  Art 
einleitenden  Kommentars  zu  dieser  Festschrift  zu  verfassen  nicht 
ganz  ungeeignet  wäre.  Keine  Aufforderung  konnte  mir  willkommener 
ein. 


IV  Vorwort, 

Befand  ich  mich  ja  unter  der  Zahl  der  ersten  Hörer,  die  Sie 
als  jüngster  Lehrer  der  Wiener  Universität  in  jugendlicher  Frische 
durch  den  Zauber  Ihres  begeisterten  A'ortrages  gefangen  nahmen 
und  zugleich  in  dem  von  Ihnen  geleiteten  Seminare  mit  fester 
Hand  an  Zucht  und  Einfachheit  der  Gedanken  gewöhnten.  Bald 
darauf  war  es  mir  vergönnt,  durch  einige  Jahre  als  Kollege  an 
Ihrer  Seite  zu  wirken.  Als  Sie  aber  leider  zu  früh  der  AViener 
Universität  genommen  und  auf  den  Lehrstuhl  berufen  waren,  den 
vor  Ihnen  die  grössten  Meister  unseres  Faches  inne  hatten,  und 
welchen  Sie  nunmehr  fast  durch  ein  Menschenalter  ruhmvoll  be- 
kleiden, da  lockerte  die  örtliche  Trennung  in  nichts  die  geistigen 
Beziehungen,  und  ich  verfolgte  lernend  und  bewundernd  Ilire  rast- 
lose und  an  Erfolgen  reiche  wissenschaftliche  Thätigkeit,  die  weit  über 
den  engeren  Kreis  Ihrer  Hörerschaft  von  eingreifendem  Einfluss  war. 

Indem  ich  Sie  also  im  Namen  Ihrer  Verehrer  bei  diesem 
seltenen  Feste  begrüssen  und  feiern  darf,  kann  ich  es  mir  erlassen, 
eine  Liste  Ihrer  Publikationen  zusammenzutragen,  um  an  ihr  das 
weite  Feld  Ihrer  Forschung  abzustecken  und  an  der  Art,  wie  Sie 
in  oft  unscheinbarer  Weise  die  Worte  eines  Schriftstellers  richtig- 
stellen oder  erklären,  Ihre  die  entlegensten  Gebiete  der  Altertums- 
wissenschaft durchdringende  und  beherrschende  Gelehrsamkeit  zu 
rühmen,  oder  im  einzelnen  darzulegen,  wie  Sie  über  das  klassische 
Altertum  hinaus  Ihre  historischen  Forschungen  erstreckt  und  an 
hervorragenden  Persönlichkeiten  der  Renaissance  oder  der  neueren 
Literatur  die  geistigen  Strömungen  anderer  den  Philologen  schwer 
zugänglicher  Epochen  in  ihren  intimsten  Zügen  erfasst  und  mit 
lebendiger  Anschaulichkeit  dargestellt  haben. 

Ich  glaube  damit  in  Ihrem  Sinne  zu  verfahren,  weil  ich  nicht 
rühmen  will,  was  Sie  selbst  nie  als  rühmenswert  erkannten;  denn 
mit  Gelehrsamkeit  zu  prunken  haben  Sie  stets  verschmäht  und 
Vielschreiberei  weder  selbst  erstrebt  noch  in  Ihren  Schülern  ge- 
züchtet. Schreiben  sollte  nur  der,  welcher  besass,  was  als  Gewinn 
neuer  Erkenntnis  der  Mitteilung  an  andere  wert  schien.  Ihr 
reiches  Forscherglück  freilich  Hess  Sie  solche  strenge  Selbstzucht 
leichter  wahren. 


Vorwort.  V 

Und  doch  möchte  ich  auf  ein  Arbeitsfeld  besonders  hinweisen, 
auf  eines  der  schwierigsten  und  zugleich  reizvollsten,  das  Sie  mit 
jugendlichem  Wagemut  betraten  und  sofort  mit  gereifter  Besonnen- 
heit zu  bestellen  verstanden  haben.  Ich  meine  die  Trümmer  zer- 
störter Werke  der  alten  römischen  Dichtkunst,  deren  Herstellung 
neben  ausgedehnter  Belesenheit  genaue  Bekanntschaft  mit  der 
Eigenart  einer  vielverzweigten  Ueberlieferung,  Vertrautheit  nicht 
bloss  mit  dem  Sprachgebrauche  und  dem  Stile  des  betreffenden 
Schriftstellers,  sondern  auch  jeder  Quelle,  der  ein  Bruchstück  zu 
entnehmen  ist,  Geschicklichkeit,  die  entlegensten  Notizen  zu  ver- 
binden und  richtig  zu  verwerten,  erfindsame  Heilung  mannigfacher 
Verderbnisse  der  Ueberlieferung,  sorgfältiges  Abwägen  des  Mög- 
lichen und  Wahrscheinlichen  erheischt.  Sie  haben  die  für  das 
Gelingen  solcher  Arbeit  erforderlichen  Bedingungen  in  seltenem 
Masse  in  sich  vereinigt  und  dabei  zugleich  eine  Tugend  zu  be- 
währen begonnen,  die  Sie  in  Ihren  späteren  Werken  zu  voll- 
kommenster Reife  entwickelt  haben,  eine  Tugend,  auf  welcher  der 
eigenartige  Vorzug  Ihrer  gesamten  philologischen  Thätigkeit  beruht, 
und  welche  zugleich  der  Philologie  unserer  Zeit  eine  festere  Richtung 
zu  geben  geeignet  war. 

Als  man,  noch  leicht  befriedigt,  in  sinnreichen  und  glücklichen 
Vermutungen  schwelgte,  um  über  eine  ungewöhnliche  oder  nicht 
sofort  begreifliche  Textesstelle  hinwegzukommen,  haben  Sie  solchen 
Einfällen  des  Augenblicks  misstrauen,  schielende  Erfindungen  zu- 
rückweisen, die  verachtete  Ueberlieferung  prüfen  und  verteidigen 
gelehrt. 

Der  Erfolg  dieser  Methode  war  nicht  bloss  die  Rettung  der 
Texte  vor  entstellenden  Veränderungen ;  ihr  weit  wichtigerer  Ertrag 
war  die  sich  dadurch  ergebende  Erkenntnis  dessen,  was  der  Schrift- 
steller gedacht  und  gewollt,  sowie  das  Verständnis  der  Form,  die 
er  seinen  Gedanken  gegeben  hat.  Wie  ein  Gemälde  Tizians  oder 
Raffaels,  von  der  Tünche  übermalender  Korrekturen  befreit,  wie 
neugeboren  mit  der  vollen  Frische  seiner  Farben  auf  unser  Auge 
wirkt,  so  haben  wir  aus  Ihrer  Hand  die  Werke  des  Horaz  und 
Tibull,   des  Sophokles,  Euripides  und  anderer  Autoren   empfangen, 


VI  Vorwort. 

die  uns  nun  wieder  bis  in  die  unscheinbarsten  Züge  das  Gepräge 
ihrer  Meister  zeigen.  Freilich  wird  das  nicht  jedem  und  keinem 
ohne  heisses  Bemühen  gelingen;  es  setzt  liebevolle  Vertiefung  in 
den  Sprachgebrauch,  welche  weder  Grammatik  noch  Lexikon  noch 
die  emsigste  Statistik  zu  vermitteln  vermag,  feine  Empfindung  für 
die  Form,  verständnisvolles  Eingehen  in  die  Eigentümlichkeiten  des 
Schriftstellers,  ein  Miterleben  und  Mitempfinden  des  vom  Schrift- 
steller Erlebten  und  Empfundenen,  also  Vorzüge  voraus,  welche 
durch  unablässige  Uebung  zwar  geschärft,  aber  durch  sie  allein 
nicht  erworben  werden. 

Im  einzelnen  mag  das  auf  diesem  Wege  mühevoll  Erreichte 
gering  erscheinen.  Das  Einzelne  vereinigt  aber  führt  zu  dem  hohen 
Endziel  philologischer  Kleinarbeit,  die  antike  Litteratur  wieder  in 
ihrer  ursprünglichen  Form  und  nach  ihrem  vollen  Gehalt  zu  be- 
sitzen und  zu  geniessen. 

Der  Gewinn  dieser  von  Ihnen  in  unvergleichlicher  Weise  ge- 
übten Methode  philologischer  Kritik  und  Exegese  ist  von  vorbildlicher 
Bedeutung  für  jede  Art  von  Philologie,  ob  sich  diese  mit  lateini- 
schen oder  griechischen,  romanischen  oder  deutschen,  slavischen  oder 
indischen  Texten  befasse,  sie  bereitet  jeder  historischen  Forschung 
den  Boden  und  legt  ihr  den  Stoff  geläutert  und  gesichtet  vor. 
Zugleich  ist  ihr  Wert  ein  ethischer  und  erziehender,  indem  durch 
sie  auch  dem  blöden  Spötter,  der  die  Philologie  als  eitel  Wort- 
klauberei oder  als  Tummelplatz  müssiger,  bestenfalls  witziger  Ein- 
fälle verachtet  oder,  so  weit  sie  der  Schule  angehört,  sie  als  ein 
Erbübel  zu  beklagen  geneigt  ist,  der  Ernst  wissenschaftlicher 
Forschung  und  die  Bethätigung  künstlerischen  Empfindens  ersicht- 
lich werden  kann,  und  indem  sie  durch  Erkenntnis  der  Eigenart 
und  durch  das  nachempfindende  Sichhineinleben  in  die  I*ersönlich- 
keiten  alter  Schriftsteller  wie  kaum  ein  an  anderen  Stoffen  geübtes 
Unterrichtsverfahren  den  Geist  der  J/ernenden  befruchtet  und  be- 
reichert und  ihnen  ein  tieferes  Verständnis  der  gesamten  Cnltiir 
der  Gegenwart  zu  eröffnen  vermag. 

Die  Erfüllung  dieser  der  klassischen  Philologie  obliegenden 
Aufgaben   ist    zugleich   ihre    wirksamste   Verteidigung,    und   somit 


Vorwort.  yjj 

haben  Sie  allen  denen,  welche  Sie  in  Ihrem  Geiste  Philologie 
treiben  gelehrt,  auch  eine  starke  Walle  in  die  Hand  gegeben,  um 
die  heute  lauter  und  ungestümer  vordrängenden  Widersacher  dieser 
Wissenschaft  abzuwehren,  und  Ihre  Schüler  für  die  Erfüllung  aller 
öffentlichen  Pflichten  in  der  Schule  auf  das  trefflichste  ausgerüstet. 

In  wie  hohem  Grade  Ihnen  dies  gelungen  ist,  dafür  darf  ich 
auf  die  grossen  und  dauernden  Erfolge  hinweisen,  die  Ihr  kurzes 
Wirken  in  Oesterreich  in  allen  Ländern  unseres  vielsprachigen 
Reiches  an  Hoch-  und  Mittelschulen  zurückgelassen  hat.  Dass 
Ihnen  aber  Ihre  alte  Heimat,  der  Sie  Oesterreich  ungerne  zurück- 
gab, und  welcher  Sie  in  voller  Manneskraft  hingebend  und  un- 
ermüdlich gedient  haben,  zu  nicht  geringerem  Danke  verpflichtet  ist, 
kann  auch  der  Fernstehende  zu  behaupten  sich  für  berechtigt 
halten.  Das  lehrt  ihn  ein  flüchtiger  Blick  auf  die  Zahl  und  die 
Bedeutung  Ihrer  allerorts  wirkenden  Schüler.  Dafür  bürgt  die 
Hochschätzung  Ihrer  Kollegen  an  der  Universität  und  in  iler 
Akademie,  welche  mit  ehrendem  Vertrauen  die  schwierigsten  Auf- 
gaben stets  in  Ihre  Hand  gelegt  haben. 

Empfangen  Sie  darum  von  Ihren  Schülern  und  Verehrern  in 
Deutschland  und  Oesterreich  die  aufrichtigsten  Glückwünsche  an 
dem  heutigen  Festtage,  in  freudigerer  Stimmung  dargebracht  von 
den  einen,  die  sich  freuen  dürfen,  Sie  zu  besitzen,  mit  nicht  ge- 
ringerer Herzlichkeit  von  den  anderen,  die  Sie  einst  besessen  und 
nie  ganz  verloren  haben. 


Wilheliu  von  Hartel. 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

I.  Otto  Ilubensohn,  Das  Aushängeschild  eines  Traumdeuters  .  1 

Tl.  Karl  Rothe,  De  locis  quibusdam  Homericis 17 

III.  Siegfried  Mekler,   Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische 
Komödie 31 

IV.  Michael  Müller,  Ueber  den  Gegensatz  von  i[i.7:etp{a  und  x^prj 

im  ersten  Kapitel  der  Aristotelischen  Metaphysik 49 

V.  Adolf  Busse,   Feber  die  in  Ammonius'  Kommentar  erhaltene 

üeberlieferung  der  aristotelischen  Schrift  fiept  epixrjvetas     ...  71 
VI.  Max  Rannow,   De  carrainum  Theocriti  XXIV   et  XXV  com- 

positione 87 

VII,  Max  Rubensohn,  Ad  Anthologiam  Graecam  capita  duo     .   .  lOö 

VIII.  Paul  Wendland,  Observationes  criticae  in  Aristeae  epistulam  117 

IX.  Friedrich  Spiro,  Ein  Leser  des  Pausanias 129 

X.  Robert  Fuchs,  De  anonymo  Parisino  quem  putant  esse  Soranuni  139 
XI.  Isidor  Hilberg,  Ueber  die  Accentuatiou  der  Versausgänge  in 

den  iambischen  Trimetem  des  Georgios  Pisides 149 

XII.  Georg  Wartenberg,  Die  byzantinische  Achilleis 173 

XIII.  Alois  Goldbacher,   Ueber  die  symmetrische  Verteilung  des 
Stoffes  in  den  Menaechmen  des  Plautus 203 

XIV.  Otto  Piasberg,  Viudiciae  TuUianae 219 

XV.  Rudolf  Sydow,  Kritische  Beiträge  zu  Cäsar 249 

XVI.  Heinrich  Belling,  De  Properti  Vergilique  libros  componentium 

artificiis 2G7 

XVII.  Karl  Brandt,  De  Horatii  studiis  Bacchylideis 297 

XVIII.  Hans  Lucas,  Recusatio 317 

XIX.  Rudolf  Helm,  De  metamorphoseon  Ovidianarum  locis  duplici 

recensione  servatis 335 

XX.  Emil  Thomas,  De  Ovidii  Fastorum  compositioue  ad  lohannem 

Vahlenum  epistula  critica      367 


Inhaltsverzeichnis.  IX 

Seite 

XXI.  Paul  von  Wiuterfeld,  De  Germanici  codicibus 391 

XXII.  Richard  Reitzenstein,  Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas    .  409 

XXIII.  Wilhelm  Heraeus,  Zum  Gastmahl  des  Trimalchio 425 

XXIV.  Franz  Härder,  Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca  .  441 
XXV.  Friedrich  Vollmer,  De  recensendo  Ilomero  Latino     ....  465 

XXVI.  Fridolf  V.  Gustafsson,  De  Statu  Achilleidos  codice  Monacensi  491 

XXVIL  Max  Rothstein,  Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae  .    .    .  497 

XXVIII.  Oskar  Froehde,  Römische  Dichtercitate  bei  Gellius     ....  523 
XXIX.  Carl  Ziwsa,  Ueber  Entstehung  und  Zweck  der  Schrift  Cyprians 

„de  bono  patientiae" 543 

XXX.  Joseph  Zycha,  Zu   Augustinus    de    Doctrina   christiana  1.  II 

c.  XV  22 551 

XXXI.  Bernhard  Kubier,  Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen 

Kaiserzeit 559 

XXXII.  Johannes  Bolte,   Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs    aus 

dem  16.  Jahrhundert 589 

XXXIII.  Vatroslav  Jagic,  Die   Aulularia  des  Plautus  in  einer  süd- 
slavischen  Umarbeitung  aus  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  .  615 

XXXIV.  Joseph  Golling,  Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im 

15.  und  16.  Jahrhundert 643 

XXXV.  Carl  von  Holzinger,  Ueber  Zweck,  Veranlassung  und   Da- 
tierung des  Platonischen  Phaidros 665 


Festschrift   Vahleu. 


I. 


Otto  Rubensohn. 


>as  Aushängescliild  eines  Traumdeuters. 


Festschrift  Vahleu; 


3 


Im  Museum  von  Gize  befindet  sich,  an  ziemlich  entlegener 
Stelle,  so  dass  es  der  Aufmerksamkeit  des  Besuchers  leicht  ent- 
gehen kann,  das  auf  unserer  Tafel  nach  einer  Photographie  wieder- 
gegebene Denkmal.^) 

Der  Fundort  desselben  ist,  wie  sich  aus  einer  auf  die  Rück- 
seite des  Monuments  geschriebenen  Notiz  ergiebt,  Saqqarah,  als 
Zeit  der  Auffindung  wird  der  26.  Dezember  1877  ebenda  angemerkt. 
Nähere  Angaben  über  den  Fund  finden  sich  in  einer  kurzen  Notiz 
in  den  Comptes  rendus  des  seances  ...  de  l'Academie  des  In- 
scriptions  et  Belles-lettres  1879  Bd.  VII  S.  130  No.  3,  wo  Mariette 
die  Stele  beschrieben,  die  Inschrift,  ohne  ihren  metrischen  Charakter 
zu  erkennen,  abgedruckt  hat  und  angiebt,  dass  sie  gefunden  sei 
„pres  de  l'enceinte  de  cette  partie  du  Serapeum  que  les  papyrus 
appellent  le  ^aaiocpopiov".  Er  nennt  sie  „une  stele  funeraire  de  style 
grec".  Im  Katalog  von  Maspero  ist  der  Stele  unter  No.  381 
(S.  385)  folgende  Beschreibung  gewidmet:  Calcaire  peint.  Haut  0,35 
large  0,26  epoque  ptolemaique  Saqqarah.  Charmante  stele  en  forme 
de  naos.  Le  fronton  triangulaire  est  soutenu  par  deux  figurines 
de  femmes  nues  coiftees  ä  l'egyptienne;  dans  le  champ  un  boeuf 
Apis  devant  un  autel  et  une  inscription    grecque  en  cinq  lignes. 


^)  Der  Direction  des  Museums  von  Gize  sage  ich  für  die  bereitwilligst 
erteilte  Erlaubnis  zur  photographischen  Aufnahme  nicht  nur  dieses  einen 
l)enkmals  auch  an  dieser  Stelle  meinen  ergebensten  Dank.  Den  gleichen 
•liulde  ich  auch  den  Herren  von  Bissing  und  Borchardt  in  Kairo  für  die 
freundliche  Unterstützung,  die  sie  mir  bei  der  Untersuchung  des  in  Frage 
stehenden  Monuments  und  bei  meinen  sonstigen  Arbeiten  im  Museum  von  Gize 
haben  angedeihen  lassen.  ^ 

1* 


4  Otto  Rubensolin, 

tracees  rapidemeut  a  l'encre.  C'est  l'ex-voto  d'iin  devin,  qui  inter- 
pretait  les  songes  prophetiques  aux  devots. 

Ueber  die  äussere  Erscheinung  des  Denkmals  haben  wir  dieser 
Beschreibung  nur  einige  Worte  hinzuzufügen.  Einmal  muss  der 
auffallende  Umstand  hervorgehoben  werden,  dass  die  Stele,  von  den 
Schmalseiten  aus  betrachtet,  nicht  eine  geradlinig  begrenzte  Fläche 
darbietet,  sondern  einen  stumpfen  Winkel  bildet.  Der  Stein  ist 
nämlich  so  zugeschnitten,  dass  der  obere  Teil  der  Stele  —  etwa 
von  den  Füssen  der  beiden  Frauen  an  —  gegen  den  unteren  Teil 
etwas  schräg  nach  vorn  geneigt  ist.  Der  Winkel,  den  so  oberer 
und  unterer  Teil  mit  einander  bilden,  ist  freilich  ein  so  flacher, 
dass  er  in  der  Vorderansicht  kaum  bemerkbar  ist,  aber  einen  Zweck 
muss  diese  Herrichtung  des  Steines  doch  gehabt  haben.  Wir  werden 
weiter  unten  darauf  zu  sprechen  kommen. 

Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  die  Stele  nicht  aufgestellt,  sondern 
aufgehängt  werden  sollte.  Die  Einrichtung  hierzu  befindet  sich  am 
oberen  Abschluss  der  Stele.  In  der  Abbildung  erblickt  man  auf 
dem  linken  oberen  Rand  des  Giebels  eine  leichte  Erhöhung.  Es 
ist  dies  der  etwas  aufgeworfene  Rand  eines  Loches,  welches  die 
Mündung  eines  Kanales  bildet,  der  im  Inneren  der  Giebelrückwand 
schräg  nach  der  Mitte  zu  verläuft,  etwa  unter  der  Mitte  des  Mittel- 
akroters  in  scharfem  Winkel  nach  oben  umbiegt  und  rechts  von 
dem  Mittelakroter  in  einem  gleichartigen  Loch  auf  dem  rechten 
Giebelrand  mündet.  Das  Innere  dieses  Kanals  ist  ganz  glatt  ge- 
scheuert, oftenbar  von  einem  Strick  oder  Band,  an  welchem  mit 
Hilfe  dieser  Vorrichtung  die  Stele  aufgehängt  war.  Die  Palmetten 
der  Akroterien  sind  mit  schwarzen  Linien  verziert,  das  Giebelfeld 
ist  rot  bemalt,  ebenso  die  Abaci  auf  den  Köpfchen  der  beiden 
Frauen.  Der  Apisstier,  der  Altar  und  die  Inschrift  sind  mit 
schwarzer  Farbe  aufgemalt. 

Die  Inschrift  lautet: 

evuTTVta  xpt'vu)  to5  dsoü  irp6cjta"|^[xa  iyuiv. 
Tuj^aYaöa.    Kpr/?  iaxiv  6  xpivtuv  Taos. 

Die  Formen  der  Buchstaben  sind  aus  der  Abbildung  gut  zu 
erkennen.  Ny  und  Pi  mit  kürzerem  zweiten  Schenkel  und  Sigma 
mit  vier  schrägen  Hasten  werden  uns  veranlassen,  die  Inschrift  inner- 


Das  Aushängeschild  eines  Traiimdeuters.  5 

halb  der  Ptolemaiischen  Epoche,  vor  die  wir  sie  wegen  der  ge- 
schweiften Mittelhasten  des  iVlphas  und  der  kleinen  Bildung  von 
Omikron,  Omega  und  Theta  nicht  zurückrücken  werden,  nicht  zu 
tief  anzusetzen.  Ich  möchte  sie  noch  für  das  dritte  Jahrhundert 
in  Anspruch  nehmen. 

Es  sind  zwei  fehlerlos  gebildete  Trimeter,  die  uns  hier  in  dem 
Naiskos  entgegentreten,  ihr  Inhalt  ist  klar  und  deutlich:  „Ich  deute 
Träume  in  der  Gottheit  Auftrag.  Sei  Tyche  hold.  Ein  Kreter  ist 
es,  der  hier  solches  deutet." 

So  viel  ist  ohne  weiteres  klar:  das,  was  hier  zu  lesen  ist,  ist 
keine  Weihinschrift.  Masperos  oben  angeführte  Deutung  des  Denk- 
mals als  ex-voto  kann  ich  mir  deshalb  nicht  aneignen.  Ebenso- 
wenig ist  es  eine  Grabinschrift.  Dann  müsste,  vom  ganzen  Stil 
der  Inschrift  abgesehen,  unbedingt  der  Name  des  Verstorbenen  ge- 
nannt sein.  Es  ist  die  Ankündigung  eines  Traumdeuters,  der  seine 
Kunst  allen  denen  anbietet,  die  ihrer  bedürfen,  seine  Kunst,  deren 
Wirksamkeit  er  durch  den  Hinweis  auf  den  ihm  zu  teil  gewordenen 
Auftrag  des  Gottes  besonders  anpreist.  Das  ist  der  klare  Inhalt 
des  ersten  Trimeters.  Die  beiden  folgenden  Worte  geben  in  dorischer 
Form  die  bekannte  Einführungsformel  zahlreicher  griechischer  In- 
schriften, die  uns  nur  darum  hier  etwas  eigentümlich  anmutet, 
weil  wir  sie  nicht  am  Anfang,  sondern  mitten  in  der  Inschrift 
finden.  Dahin  sind  sie  aber  nur  in  der  Not  des  Versemachens  von 
dem  „Dichter"  gesetzt  worden,  und  wir  haben  daher  nicht  nötig, 
sie  mit  den  vorhergehenden  oder  folgenden  Worten  inhaltlich  zu 
verbinden.  In  gleicher  Weise  fällt  der  mangelhaften  Kunst  des 
Verfassers  das  xcz^s  am  Schluss  der  Inschrift  zur  Last,  das  eigent- 
lich grammatisch  falsch  imd  jedenfalls  beziehungslos  dasteht.  Sich 
ganz  schriftgerecht  in  gebundener  Rede  auszudrücken  war  eben  nicht 
Sache  des  Gelegenheitsdichters,  der  Bezug  ist  aus  dem  vorhergehen- 
den zu  entnehmen:  alle  Träume,  soll  es  heissen,  die  hier  vorge- 
bracht werden,  deute  ich.  Durchaus  nichts  Befremdliches  hat  es, 
dass  in  den  Schlussworten  der  Inschrift  der  Traumdeuter  nicht 
seinen  Eigennamen,  wohl  aber  seine  Herkunft  anzugeben  für  gut 
befunden  hat.  Es  wäre  völlig  verfehlt,  darin  etwa  einen  besonderen 
Kunstkniflf  erblicken  zu  wollen  und  darauf  eine  Deutung  aufzu- 
bauen, die  die  despectierliche  Nebenbedeutung  des  Kreternamens, 


ß  Otto  Rubonsohn, 

besonders  in  jenen  Zeiten  (man  denke  nur  an  K;vllim;ulius"  kpr^xe; 
del  tl/suaxcti)  zur  Grundlage  hätte.  Im  Gegenteil,  das  Kretertum 
des  Traumdeuters  soll  offenbar  eine  Empfehlung  sein.  Wir  brauchen 
uns,  um  uns  dies  begreiflich  zu  machen,  nur  daran  zu  erinnern, 
welche  Bedeutung  die  Kreter  im  ägyptischen  Heere  hatten.  Sie 
bildeten  einen  bedeutenden  Bruchteil  der  Söldnerscharen,  welche 
in  den  Diensten  der  Ptolemaier  standen.  Ich  greife  aus  den  zahl- 
reichen Belegen  hierfür  einige  der  nächstliegenden  heraus.  Bei 
Polybios  V  36,4  heisst  es:  "ou/  opac,"  E'.ür^  "Sioti  ayebhv  eU  TptaxiXiouc 
stViv  octtö  ITsXo7:ovvif]aot>  csvoi  xott  Kpr^xe?  zk  )riXtou?"  und  V  65,7  i/jo\>  xou? 
[lev  Travxot?  Kp^xot?  st?  xpia)(iXiou?,  auxtüv  8s  xouxcuv  yiXtous  Nsoxpr^xac, 
i<p'  div  £xsxa/£i  OiXwva  xov  KvwacJtov.  In  beiden  Fällen  handelt  es 
sich  um  die  Söldnerheere  des  Ptolemaios  Philopator  (vgl.  auch  31, 
27,  3).  Wie  wir  aus  den  letzten  Worten  ersehen,  fand  sich  das 
kretische  Element  nicht  nur  unter  den  Gemeinen  vertreten,  sondern 
auch  in  den  höheren  und  höchsten  Chargen.  Auch  in  der  I/eib- 
garde  der  Herrscher  begegnen  wir  ihm.  Ich  verweise  auf  2(üXT^pi/oc 
'IxaSrcuvoc  Fopxuvio?,  einen  der  apyiawjxaxocpuXotxs?  König  Euor- 
getes  des  Zweiten,  und  auf  seinen  etwas  älteren  Kameraden  Eche- 
phylos,  gleichfalls  einen  Kreter  ^). 

Die  Söldnerscharen  kamen  natürlich  nicht  allein  aus  ihrer 
Heimat.  Ein  zahlreicher  Tross  von  Weibern  und  Kindern  wird  in 
ihrem  Gefolge  gewesen  sein,  und  so  war  denn  die  kretische  Be- 
völkerung besonders  an  solchen  Centren  wie  Memphis")  sicherlich 
sehr  stark  vertreten.  Der  Traumdeuter  handelte  also  lediglich  in 
seinem  eigensten  Interesse,  wenn  er  seine  Nationalität  bekannt  gab. 
Der  Name  durfte  in  der  Ankündigung  ruhig  fehlen.  Das  linden 
wir  auf  zahlreichen  Aushängeschildern  der  antiken  und  modernen 
Zeit.     Ich   führe  aus    der  Menge  der  Belege  nur  an  das  Berliner 


1)  Strack,  Athen,  ilittlg.  XIX,  1894,  S.  228  ff.  Auch  auf  sonstige  naho 
Beziehungen  zwischen  Kreta  und  Aegypten  weist  Strack  (ebd.)  hin;  vgl.  aucli 
Leemans  Papyri  Graeci  I,  p.  10,  Columna  2  a  Z.  9,  cf.  S,  21.  Erschöpfende 
Zusammenstellung  des  Materials  in  dem  mir  erst  während  des  Druckes  bekannt 
gewordenen  Buch  von  P.  M.  Meyer,  Das  Heerwesen  der  Ptolemäer  und  Römer 
in  Aegypten.     Berlin  1900.     Vgl.  die  Zusammenstellung  S.  181. 

')  Vgl.  über  die  Hellenische  Ansiedlung  in  Memphis,  das  'EXXi^vtov,  jetzt 
auch  Meyer  a.  a.  0.  S.  56  Anm,  194, 


Das  Aushängeschild  eines  Trauradeuters.  7 

Aushängeschild  ad  sorores  IV  (Berlin,  Verzeichnis  der  antiken 
Skulpturen  890);  ferner  die  von  Jahn  (Sachs.  Berichte  1861  S.  298) 
veröffentlichte  Inschrift  des  Vaticanischen  Museums:  D.  M.  titulos 
scribendos  vel  si  quid  operis  marmorari  opus  fuerit,  hie  hohes, 
oder  Kaibel  Inscr.  Sic.  et  Ital.  297  at^Xai  svOaos  xuiTotjivxai  xal 
/apaaaovxai  votoT?  tepoTc  auv  evsp^stai?  8r^fAoatai$;  von  den  zahl- 
reichen Wirtshausschildern,  bei  denen  das  Fehlen  des  Eigennamens 
beinahe  Regel  ist,  ganz  zu  schweigen.  Die  poetische  Fassung  der 
Inschrift  schliesslich  ist  „ganz  der  Zeit  gemäss".  Formell  weit  höher 
als  unsere  Inschrift,  aber  inhaltlich  ihr  sehr  nahestehend  ist  das 
Epigramm,  das  Hedylos  für  den  Mechaniker  Ktesibios  verfasst 
hat;  denn  wenn  dieses  auch  als  Weihinschrift  unter  dem  Trink- 
horn  stand,  das  Ktesibios  der  Arsinoe  Zephyritis  gewidmet  hatte, 
so  ist  doch  mit  Recht  darauf  hingewiesen  worden,  dass  Weihung 
und  Epigramm  nichts  anderes  sind,  als  eine  etwas  vornehmere  Form 
der  Reklame  im  Vergleich  mit  der  von  unserem  Traumdeuter  ge- 
wählten ^). 

Dass  selbst  ein  so  bescheidenes  Monument  wie  das  unserige  in 
metrischer  Form  gehalten  ist,  .zeigt  uns,  wie  sehr  durch  die  Blüte 
der  alexandrinischen  Poesie  das  Dichten  in  Mode  gekommen  war. 

Die  Inschrift  bietet  also  nach  Form  und  Inhalt  keinerlei  An- 
stoss  und  kennzeichnet  deutlich  unser  Denkmal  als  Aushängeschild 
eines  Trauradeuters  ^).  Als  solches  verdient  es  aber  eine  besondere 
Beachtung.  Nicht,  weil  der  Stein  gerade  eines  Traumdeuters  Ge- 
werbe ankündigt.  Dass  diese  Klasse  von  Menschen,  die  zu  allen 
Zeiten  in  Griechenland  gesellschaftlich  eine  ziemlich  tiefe  Stufe 
eingenommen  hat,  ihre  Kunst  gewerbsmässig  auf  den  Strassen  und 
Märkten  betrieben,  dass  sie  von  Ort  zu  Ort  zogen,  bei  allen  grossen 
Festen    wie    anderes    fahrendes  Volk    zugegen  waren,    ihre   Buden 


')  Vgl.  V.  Wilamowitz-MoellendorflF,  Ein  Weihgeschenk  des  Eratosthenes. 
Nachrichten  der  K.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingen  1894  S.  7. 

■^)  Die  technische  Herrichtung  des  Monumentes,  die  wir  oben  beschrieben 
haben,  passt  für  diese  seine  Bestimmung  vortrefflich.  Das  Schild  muss  vor 
der  Behausung  des  Traumdeuters  aufgehängt  gewesen  sein,  und  wenn  dies  in 
einiger  Höhe  der  Fall  war,  so  erleichterte  die  leichte  Neigung  der  Vorderseite 
des  Monumentes  in  ihrer  oberen  Hälfte  den  Vorübergehenden  die  Lesung  der 
Inschrift. 


8  Otto  Rubensohn, 

aufschlugen  und  gegen  oft  sehr  geringe  Bezahlung  ihre  Künste  aus- 
übten, wissen  wir  aus  einer  ganzen  Reihe  von  Zeugnissen,  die  be- 
sonders von  Büchsenschütz,  Traum  und  Traumdeutung  im  Altertum, 
Schümann,  Gottesdienstliche  Altertümer,  u.  a.  m.  zusammengestellt 
worden  sind. 

Aber  als  Aushängeschild  ist  das  Denkmal  in  gewissem  Grade 
eine  Seltenheit.  Aus  römischem  Sprachgebiet  und  in  römischer 
Zeit  auch  aus  westgriechischen  Ländern  kennen  wir  eine  ganze 
Reihe  von  Denkmälern  gleicher  Art.  Mau  hat  bei  Pauly-Wissowa 
unter  dem  Titel  „Aushängeschilder"  eine  Anzahl  solcher  Denk- 
mäler aus  Italien  und  Sicilien  zusammengestellt.  Er  bringt  kein 
gleichartiges  Denkmal  aus  Griechenland  oder  dem  Osten  bei.  Es 
soll  nun  keineswegs  behauptet  werden,  dass  man  in  Griechenland 
die  Sitte  der  Aushängeschilder  nicht  gekannt  habe ').  Aber  es  scheint 
doch  angenommen  werden  zu  müssen,  dass  man  diese  für  unser 
Strassenleben  alltägliche  und  selbstverständliche  Erscheinung  in 
Griechenland,  besonders  in  der  älteren  Zeit,  selten  angetroffen  hat. 

Der  Grund  hierfür  ist  wahrscheinlich  darin  zu  suchen,  dass 
in  Griechenland  und  besonders  in  Athen,  wo  wir  derartige  Ver- 
hältnisse einigermassen  verfolgen  können,  der  offene  Handel  auf 
der  Strasse  und  auf  dem  Markte  im  allgemeinen  den  Vorrang  vor 
dem  Ladenhandel  behauptet  hat.  Auch  im  Pompeji  der  oskischen 
Zeit  ist  dies  der  Fall  gewesen,  erst  die  römische  Epoche  hat 
auch  hier  den  Verkehr  von  der  Strasse  ins  Haus  zurückge- 
drängt"). Einerseits  kann  aber  der  offene  Strassenverkehr  leichter 
auf  derartige  ausdrückliche  Kenntlichmachungen  oder  Anpreisungen 
der  Waren  verzichten;  andererseits  werden  bei  leicht  hergerichteten 
Verkaufsbuden  etwa  vorhanden  gewesene  Aushängeschilder  aus  ver- 
gänglichem Material  gefertigt  gewesen  und  aus  diesem  Grunde  für 
uns  verloren  sein.  Ich  kenne  aus  Griechenland  nur  ein  sicher  als 
Aushängeschild  zu  bezeichnendes  Denkmal.    Es  ist  das  von  Rhousso- 


^)  In  Aegypten  sind  Aushängeschilder  sonst  unbekannt,  wie  mir  llvn 
Prof.  Erman  mitteilt.  Ich  bin  den  Herren  Prof.  Erman,  Prof.  Sethe  und  Dr.  Krebs 
für  vielfache  Nachweise,  besonders  auch  von  Litteratur,  sehr  verpflichtet,  wofür 
ich  auch  an  dieser  Stelle  meinen  verbindlichsten  Dank  ausspreche. 

*)  Nissen,  Pompejanische  Studien  S.  367,  vgl.  für  Athen  Wachsmuth,  Die 
Stadt  Athen,  II,  S.  457  ff. 


Das  Aushängeschild  eines  Traumdeuters.  9 

pulos  'E'fTjfxspU  '  Ap/aioXo^txr]  1862  S.  51  No.  13  beschriebene  Relief 
aus  dem  Peiraieus,  das  darstellt  xecpaXvjv  fxoa^ou  £'!;/,pisv-/jv  -xotl  Trap' 

[xsvou?,  also,  wie  Ehoussopulos  richtig  erklärt  hat,  das  Aushänge- 
schild eines  Garkochs.  Die  litterarischen  Quellen,  so  weit  ich  sie 
habe  verfolgen  können,  bieten  aus  leicht  erklärlicher  Ursache  nur 
wenig  Ersatz  für  den  Mangel  an  Monumenten. 

So  viel  scheint  indessen  als  sicher  angenommen  werden  zu 
dürfen  und  wird  auch,  so  viel  ich  sehe,  als  sicher  angenommen, 
dass  die  Wirtshäuser  auch  in  Griechenland  ihre  Schilder  gehabt 
haben.  Es  braucht  hierfür  nur  auf  das  bekannte  SsvoSo-^siov  (o 
iirwvufxov  xafxr^Xoc  (Artemidor  '  Oveipoxpix.  1 4)  hingewiesen  zu  werden, 
wobei  freilich  in  Betracht  zu  ziehen  ist,  dass  das  Zeugnis  sehr 
späten  Datums  ist '). 

Von  besonderem  Interesse  für  unsern  Fall  sind  die  Einleitungs- 
worte des  59.  Briefs  im  3.  Buch  der  Briefsammlung  des  Alkiphron. 
AtfxsvTSpo^  'Afxot(j»p.  Trap'  £va  xiva  t«)V  xa  rivaxta  Trapa  x6  'lax/siov 
7rpoxii>£vx(üv  xal  xou?  ovsi'pou^  uroxpiveaöat.  uTrts/voufisvwv  ßo6Xo[jiai 
sXOwv  xa?  Oüo  xauxa?  opa-'ßw.;  a;  oTg^a  jxe  £v  yspoXv  iyovxoL  xaxa^aXwv 
xYjv  cpavEtaav  o<\t<y  fiot  xaxa  xou?  uttvou;  otrjr^tjaaOa'..  Die  Stelle,  die 
auch  für  die  Topographie  von  Athen  eine  gewisse  Bedeutung  hat, 
ist  öfters  behandelt  worden.  Lobeck  (Aglaophamus  I  S.  253  Anm.) 
und  ihm  folgend  Büchsenschütz  (Traum  und  Traumdeutung  im 
Altertum  S.  45  Anm.  119)  haben  die  Stelle  zusammengestellt  mit 
einem  bekannten  Passus  aus  Plutarchs  Aristeides,  wo  c.  27  von 
Aristeides'  Tochtersohn  Lysimachos  erzählt  wird,  dass  er  iauxov  [uv 
Ix  TTivaxt'ou  xivo?  oveipoxptxtxou  irapa  xo  'lax/£TfjV  -/.adz^öiizvo^  IßoaxE, 
eine  Bemerkung,  die  in  der  au-f/ptcjt; 'Apiaxst'Sou  xal  Kaxcuvo;  wieder 
aufgenommen  wird  mit  den  Worten:  zr^^  o  'Aptaxsioou  xoG  rptu- 
xsuaavxo?  'EXXr^vtuv  -j'svsa?  .  .  ,  TTsvia  xous  [ikv  £i;  d^upxixou;  xaxEßaÄvS 
TCi'vaxa;  u.  s.  w.  Beide  sehen  in  den  hier  genannten  rrtvaxia 
Tafeln,  die  von  den  Traumdeutern  bei  ihren  Auslegungen  in  irgend 
einer    Weise    benutzt    wurden.       Büchsenschütz    betrachtet    diese 


*)  Nicht  als  Aushängeschild,  sondern  als  Weihinschrift  schmückte  —  etwa 
über  dem  Eingang  angebracht  —  die  CIG  1104  publicierte  Inschrift  die 
Herberge  der  Athleten  auf  dem  Isthmos  (xa;  -/otTaXüaEis  xol;  diro  xyj;  oixou.asvTjS 
i-\  xä  "laöp-ta  7totpaY£tvo[Ji£vois  döXr^Tai?  u.  s.  w.). 


10  Otto  Rubensohn, 

„Traiimtafeln"  als  eine  Art  Vorläufer  der  Traumbücher  und  glaubt, 
dass  sie  ähnlich  diesen  eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der 
Haupterscheinungen  enthalten  hätten.  Lobeck  denkt  sich  die  Tafeln 
ähnlich  wie  die  Tafel  im  Würfelorakel  des  Herakles  Buraikos  in 
Achaja  (Paus.  VII  25,  10).  Beide  Deutungen  sind  nach  meiner 
Ansicht  unmöglich.  Wir  sind  über  die  Traumdeutung  und  die  bei 
ihr  zur  Anwendung  gekommenen  Hilfsmittel  dank  Artemidors 
Buch  sehr  genau  unterrichtet.  Artemidor  selbst  hebt  ja  des  öfteren 
in  seiner  mehr  als  ausführlichen  Schrift  hervor,  wie  er  kein  Mittel 
unversucht  gelassen  habe,  um  alles,  was  über  die  Kunst  der  Traum- 
deutung zu  sagen  wäre,  zusammenzubringen.  Von  solchen  Traum- 
tafeln weiss  er  nichts.  Dass  der  Würfel  bei  der  Traumdeutung, 
die  doch  wie  eine  Wissenschaft  vom  Altertum  behandelt  wurde, 
irgend  eine  Rolle  gespielt  haben  könne,  ist  durchaus  zu  verneinen, 
und  ohne  Würfel  hätte  eine  Tafel,  wie  sie  Lobeck  sich  denkt, 
keinen  Sinn.  Ebensowenig  lässt  sich  ausdenken,  was  neben  den 
Traumbüchern,  die  doch  schon  im  5.  Jahrhundert  vor  Christi  Geburt 
im  Gebrauch  waren,  noch  solche  Traumtafeln,  wie  Büchsenschütz 
sie  verstehen  will,  zu  bedeuten  gehabt  hätten.  Gesetzt  aber 
auch,  es  hätte  solche  Traumtafeln  gegeben,  dann  hätten  sie  die 
Traumdeuter  sicherlich  nicht  zur  Schau  gestellt.  npotiOsvat  aber, 
das  wir  in  der  Alkiphronstelle  lesen,  hat  durchaus  die  Bedeutung 
„zur  Schau  ausstellen,  zur  öffentlichen  Einsichtnahme  aufstellen".  Ich 
zweifle  nicht  daran,  dass  an  beiden  Stellen  unter  dem  Tivaxiov  ein 
Aushängeschild  wie  das  unserige  zu  verstehen  ist.  In  der  Alki- 
phronstelle sprechen  dies  auch  ganz  deutlich  die  Worte  xal  xouc 
ovitpou?  uTToxpivsaOai  oTziayyooiiivuiv  aus,  die  wir  ohne  weiteres  als 
Beschreibung  für  unser  Denkmal  herübernehmen  könnten.  Das 
6vetpoxpiTixov  TTivaxtov  bei  Plutarch  ist  natürlich  dann  als  „Schild 
eines  Traumdeuters"  wiederzugeben  und  an  der  Wendung  „er 
fristete  sein  Dasein  gemäss  seinem  Traumdeuterschilde"  wird  schwer- 
lich jemand  Anstoss  nehmen,  zumal  die  Bezeichnung  dieses  rivaxiov 
als  „Bettelschild"  in  der  a6'c/.piaiq  zu  dieser  Auffassung  vorzüglich 
stimmt '). 


')  ritvaxiov  wird   auch  an  einer  anderen  Stelle  zur  Bezeichnung  einer  Art 
Aushängeschild  gebraucht.     In  Lukians  Hermotimos  will  sich  Hermotimos  von 


Das  Aushängeschild  eines  Traumdeiiters.  11 

Vorausgesetzt,  dass  Plutarch  in  seinen  Mitteilungen  über 
Lysimachos  seine  Quellen  getreulich  wiedergiebt,  hätten  wir  somit 
den  Beleg  dafür,  dass  Schilder  wie  das  unserige  im  Athen  des 
fünften  Jahrhunderts  eine  ganz  gewöhnliche  Erscheinung  bildeten. 
Ob  auch  andere  Gewerbe  als  die  Traumdeuter  sich  solcher  be- 
dienten, bleibt  dahingestellt. 

Bei  Alkiphron  wie  bei  Plutarch  haben  die  Traumdeuter  ihren 
Sitz  in  der  Nähe  des  lakcheion.  Ihre  nächsten  Fachgenossen,  die 
iictv-sic,  haben  ihren  regelmässigen  Stand  auch  in  der  Nähe  eines 
Demeterheiligtums,  nämlich  im  Vorort  Skiron  ^). 

Aus  diesen  beiden  Thatsachen  aber  zu  schliessen,  dass  die 
Wahrsager  und  Traumdeuter  nähere  Beziehungen  zum  Demeter- 
kult unterhalten  hätten  —  etwa  mit  Hinweis  auf  den  eleusinischen 
Seher  Skiros  — ,  halte  ich  nicht  für  angebracht.  Die  Nachbarschaft 
der  bemeterheiligtümer  ist  eine  zufällige.  Der  Kerameikos,  in  dem 
das  lakcheion  gelegen,  und  Skiron  sind  bekanntlich  die  Stadtteile 
Athens,  ou  cpacfi  xou;  l^wXsaTatou;  s/oX-^  xal  paSTtuVTf)  xbv  ßi'ov  xax- 
ctvaXicjxstv,  wo  Spieler  und  Hetären  ihr  Wesen  trieben,  wo  also  die 
Traumdeuter  und  Wahrsager  auf  zahlreiches  Publikum  wohl 
rechnen  konnten. 

Tm  allgemeinen  scheinen  indessen  die  Traumdeuter  und  Wahr- 
sager Anschluss  an  bestimmte  Kulte  gesucht  und  gefunden  zu  haben. 
Das  führt  uns  wieder  auf  unser  Denkmal  zurück.  Wir  haben  bis- 
her nicht  der  J)arstellung  gedacht,  die  sich  unter  der  Inschrift  auf 
der  Stele  befindet.  Es  ist  ein  Apis  vor  einem  Altar;  w^as  diese  Dar- 
stellung hier  soll,  ist  klar.  Die  Stele  ist  in  unmittelbarer  Nähe 
des  Sarapeion  von  Memphis  gefunden.     Der  dargestellte  Stier  ver- 

Lykinos  trennen,  um  zu  seinem  stoischen  Lehrmeister  zu  eilen.  Da  hält  ihn 
Lykinos  zurück,  er  solle  sich  den  Weg  sparen  „ort  Iv  toj  Ttapdvn  o'j-x  av  tootc 
aÜTo'v,  eiye  )(p7j  TrtaTE'jetv  tu)  7rpoypa(x,uaTt •  -ivaziov  y«?  xt  ixpifxaxo  uirlp  xoü  tiu- 
Xüivoc  [i.£yc(Xotc  Ypr!([/(x«3t  Xsyov  XT^u-Epov  06  oufAcptXoaocpetv".  Freilich  ist  das  mehr 
eine  Bekanntmachung,  ein  Anschlag  für  einen  momentanen  Zweck,  „heute 
wird  nicht  gelesen",  aber  in  der  Form  ist  es  ein  genaues  Gegenstück  zu  unserem 
Denkmal  wie  zu  den  Triva'xta  bei  Alkiphron  und  Plutarch. 

1)  Phot.  s.  V.  Sxt'pov  TÖTZoi  'A9i^vrj5iv  i(p  ou  o't  (xavxet;  IxaOsCovxo  xcii  2-/tpa- 
5os  'AÖTjväs  Updv.  Ueber  das  mit  dem  Athenaheiligtum  verbundene  Demeter- 
heiligtum daselbst  vgl.  Paus.  I,  36,  4;  Plutarch  Praec.  conjug.  42;  Robert,  Her- 
mes XX,  S.  373;  Athenische  Mitteilungen  1899,  S.  63. 


12  Otto  Rubensohn, 

körpert  den  Gott  dieses  Heiligtums  in  der  Auffassung  der  Aegypter; 
den  Osiris-Apis  oder  Osorapis,  jene  Göttergestalt,  die  von  den 
Griechen  mit  ihrem  halb  babylonischen,  halb  griechischen  Gotte 
Sarapis  identiiiciert  worden  ist.  Sarapis  ist  also  der  Gott,  der 
nach  der  Inschrift  dem  Kreter  selbst  den  Auftrag  gegeben  hat, 
Träume  zu  deuten.  Ueber  das  Sarapeion  in  Memphis  und  seinen 
Kultus  besitzen  wir  leider  immer  noch  keine  genügende  Publika- 
tion, weder  ist  ein  genügender  Plan  vorhanden,  noch  sind  die 
gesamten  Einzelfunde  der  Öffentlichkeit  übergeben  worden.  Von 
den  griechischen  Anlagen  ist  heute  nichts  mehr  zu  sehen,  meter- 
hoher Sand  bedeckt  wieder  die  Stätte,  nur  die  Gräber  der  Apis- 
stiere werden  für  die  Besichtigung  frei  gehalten.  Und  doch  hätte 
gerade  das  Sarapeion  eine  sorgfältige  Publikation  verdient.  Sein 
Kultus  spiegelt  uns  in  allen  Farben  das  Vermischen  von  Aegyp- 
tischem  und  Griechischem  wieder,  das  auf  keinem  Gebiet  so  intensiv 
und  so  schnell  vor  sich  gegangen  ist  wie  im  Sarapiskult,  an  keiner 
Kultusstätte  des  Sarapis  sich  noch  heute,  trotz  der  wenig  voll- 
kommenen Publikationen,  so  vortrefflich  verfolgen  lässt,  wie  im 
Sarapeion  zu  Memphis^). 

Hier,  ev  tu)  ev  Meptcpsi  ispco,  wie  ohne  weiteren  Zusatz  ver- 
ständlich für  jedennann  in  der  Inschrift  von  Rosette  das  Sarapeion 
genannt  wird,  lagen  neben  einander  das  altägyptische  Heiligtum  und 
die  neue  griechische  Anlage,  hier  wurde  der  Gott  in  seiner  grie- 
chischen wie  in  seiner  ägyptischen  Gestalt  verehrt  und  zwar  unter- 
schiedslos von  beiden  Nationen  —  der  beste  Beweis  dafür  ist  ja 
unser  Denkmal  — ,  hier  schliessen  sich  an  den  Sarapiskult  nicht 
nur  ägyptische  Nebenkulte,  wie  der  des  Anubis,  des  Imhotep  (des 
ägyptischen  Asklepios)  und  der  Isis,  sondern  auch  griechische 
(Aphrodite  und  Asklepios)  und  phoenikische  (Astarte)  an. 

Die  Papyri  zeigen  uns,  wie  eifrig  Sarapis  sowohl  von  ägyp- 
tischer wie  von  griechischer  Seite  verehrt  worden  ist,  wie  die 
Ptolemaiischen  Herrscher  zum  Heiligtum  wallfahrten  und  ebenso 
ihre  vornehmsten  Beamten,  sie  lehren  uns  auch  neben  den  ägyp- 
tischen Priestern  ein  zahlreiches  griechisches  Kultpersonal  kennen. 


')  Hauptquelle  sind  die  zahlreichen  Papyri,  die  jetzt  in  den  Museen  von 
Paris,  Leyden  und  London  aufbewahrt  werden. 


Das  Aushängeschild  eines  Traumdeuters.  13 

Zu  diesem  Kultpersonal  gehören  auch  Traumdeuter.  In  einer  Rech- 
nung aus  dem  Sarapeion  begegnet  mitten  zwischen  anderen  Auf- 
führungen von  Ein-  und  Ausgängen  des  Tempeleigentums:  LKA 
i)a)ui}'  Trapa  toj»  £vuTrvioxpiV(j  oöoviov  'ATT  £$  'HpotxXsouTroXeiv '). 

Wenn  in  solcher  Weise  der  svuTrvtoxptV/jc  als  Verwalter  von 
Tempelgut  eingeführt  wird,  muss  er  Beamter  des  Tempels  sein. 
Dass  Tempelschlaf  zur  Erlangung  von  Traumorakeln  in  den  Sarapis- 
heiligtümern vielfach  geübt  wurde,  ist  bekannt.  Seit  jener  Nacht, 
in  der  die  Genossen  Alexanders  des  Grossen  für  den  auf  den  Tod 
erkrankten  König  den  babylonischen  Sarapis  befragt  hatten,  ist 
Sarapis  mit  seinen  Traumorakeln  schnell  in  Aufnahme  gekommen 
in  allen  griechischen  Ländern.  Im  Gegensatz  zum  Asklepioskult 
der  griechischen  Zeit  —  die  Ausführungen  meines  verehrten  Lehrers, 
Herrn  Prof.  Thraemer,  bei  Pauly-Wissowa  II  2  S.  1686  ff.  haben 
mich  hier  nicht  überzeugt  —  beruht  die  Inkubation  im  Sarapis- 
und auch  im  Isiskult  durchaus  auf  dem  Institut  der  Traumdeutunor. 
Der  Kranke  oder  überhaupt  der  des  Orakels  Beflissene  sieht  im 
Schlaf  im  Tempel  die  Traumerscheinung.  Während  im  Asklepios- 
kult sich  aber  für  den  Gläubigen  die  Nutzanwendung  der  Erscheinung 
von  selbt  ergiebt,  bedarf  es  im  Sarapiskult  der  überwältigenden 
Mehrzahl  der  uns  bekannten  Fälle  gemäss  noch  der  Deutung  durch 
einen  sachverständigen  Traumkundigen,  um  die  richtigen  Kon- 
sequenzen aus  dem  Traumorakel  zu  ziehen.  Es  gab  von  Traum- 
deutern verfasste  Bücher  über  Traumorakel  des  Sarapis  (vgl.  Arte- 
midor  II  44).  Und  so  finden  wir  denn  auch  überall  da,  wo  wir 
dem  Kult  des  Sarapis  und  der  Isis  mit  den  Monumenten  nach- 
gehen können,  in  Fülle  Zeugnisse  für  den  mehr  oder  weniger  engen 
Anschluss  von  Traumdeutern  an  die  Heiligtümer  dieser  Gottheiten. 

Eine  Inschrift,  die  am  Südabhang  der  Burg  gefunden  ist,  lehrt 
uns  eine  Kultusbeamtin  im  Dienst  der  Isis  kennen,  die  sich  ouaa 
'/.cd  XupaTixpia  auxr^?  xat  ovetpoxpiit;  nennt,  also  eine  Traumdeuterin. 
Eine  Fülle  von  Weihinschriften  an  Sarapis,  Isis,  Osiris  und  Anubis 
sind  in  Delos  beim  Heiligtum  der  fremden  Götter  gefunden  worden, 
die  z.   T.  von  Traumdeutern  selbst  xaxa  rposxotYfxa  gestiftet  sind 


^)  cf.    Notices    et    Extraits    des    manuscrits    de    la   bibl.  imp.    18  S.  334, 
No.  54,  35,  Col.  3,  Z.  78. 


14  Otto  Rubensohn, 

oder  auch  von  den  ihnen  beruflich  nahestehenden  apeTaXo-^oi  (ein- 
mal begegnet  ein  Ptolemaios  Dionysiu  Polyrrhenios,  der  oväipo/ptTr^ 
xal  ap£TaX.Ö7o;  ist),  z.  T.  aucli  von  anderen  Gläubigen,  denen  die 
Aufforderung  zur  Weihung  durch  einen  Traunideuter  vermittelt  ist 
(vergl.  Bulletin  de  correspond.  Vi  S.  324  Nr.  6  l'apaTriSt  "latoi 
'Avoußtot  [KotJvTo;  Fatoü  [xaxja  Ttpoaxa^jjLa  8ta  ovetpoxptxou  Mr^voStupou 
tou  a^iou  X.  T.  X.).  Sicher  haben  auch  hier  die  Traumdeuter  zum 
Personal  des  Heiligtums  gehört'). 

So  wie  in  Athen  und  Delos  war  es  auch  zweifelsohne  im 
Sarapisheiligtum  zu  Alexandrien  (vgl.  z.  B.  Artemidor  IV  80),  und 
ebensolche  Verhältnisse  ergeben  sich  aus  dem  oben  angeführten 
Zeugnis  für  das  Sarapeion  von  Memphis.  Noch  heute  wird  in  der 
Nähe  des  Sarapeion  Es  sign-Yousef,  das  Gefängnis  Josephs,  ge- 
zeigt, die  Stelle,  wo  Joseph  den  Traum  des  Pharao  gedeutet  habe 
—  wie  diese  Tradition  entstanden  ist,  weiss  ich  nicht  (vgl.  Mariette 
Comptes  rendus  de  l'Academie  des  inscript.  u.  s.  w.  1879  Tome  VII 
S.  130  f.)  — ,  und  eine  ganze  Reihe  von  Berichten  über  im  Sarapeion 
geschaute  Traumgesichte  ist  uns  erhalten.  Die  Traumdeuter  spielten 
also  sicher  im  Kultus  des  Heiligtums  von  Memphis  eine  bedeut- 
same Rolle. 

IJass  aber  auch  der  Besitzer  unseres  Traumdeuterschildes  ein 
priesterlicher  oder  überhaupt  ein  Beamter  des  Sarapeion  gewesen 
ist,  möchte  ich  doch  bezweifeln.  Wozu  hätte  er  dann  des  markt- 
schreierischen Schildes  bedurft?  Form  und  Inhalt  der  Inschrift 
zeigen  uns  deutlich  an,  dass  wir  es  mit  einem  Manne  zu  thun  haben, 
der  privatim  sein  Gewerbe  betrieb.  Die  mangelnde  priesterliche 
Qualification  wusste  er  zu  ersetzen,  die  Autorisation  zu  seiner 
Thätigkeit  als  Traumdeuter  ist  dem  Kreter  ja  nach  seiner  eigenen 
Aussage    durch    eine    Traumerscheinung    der    Gottheit    geworden. 


*)  Das  völlige  Fehlen  von  gleichartigen  Denkmälern  an  allen  Asklepios- 
kultstätten  ist  beredtes  Zeugnis  dafür,  dass  der  Kultus  hier  anders  geartet 
war.  Der  Szene  im  zweiten  Akt  des  Curculio  können  sehr  wohl  römische  Ver- 
hältnisse zu  Grunde  liegen,  zumal  in  derselben  Szene  auch  auf  den  Kultus 
des  Kapitols  Bezug  genommen  wird.  Die  Umgestaltung  der  Inkubation  im 
Asklepiosdienst  der  römischen  Epoche  gegen  die  der  griechischen  Zeit  beruht 
vielleicht  auf  dem  Einfluss  der  in  den  ägyptischen  Kulten  gebräuchlichen 
Formen  des  Tempclschlafs. 


Das  Aushängeschild  eines  Traumdeuters.  15 

Die  Wendung  tou  Osou  rrposTa^fAct  s'xtuv  gehört  zu  den  stehenden 
Formeln,  welche  sich  zur  Bezeichnung  von  im  Traum  erhaltenen 
Befehlen  der  Gottheit  herausgebildet  haben ').  Und  die  Priester- 
schaft des  Sarapeion  muss  diese  unkontrollierbare  Inanspruchnahme 
des  göttlichen  Willens  anerkannt  haben.  Denn  nur  mit  Zustim- 
mung der  Priesterschaft  konnte  der  Kreter  in  unmittelbarer  Nähe 
des  Heiligtums,  ja  vielleicht  —  wenn  der  Fundort  diesen  Schluss 
zulässt  —  im  Pastophorion  des  Heiligtums  selbst,  seine  Thätigkeit 
ausüben  ^). 


^)  Vgl.  die  Zusammenstellung  bei  Röscher,  Lexikon  der  griech.  u.  röm, 
Mythol.  II  S.  524. 

■^)  Im  Pastophorion  wohnen  nicht  nur  Priester  und  Beamte  des  Tempels, 
sondern  dort  lebten  z.  B.  aucli  jene  xctxoj^oi,  die  doch  auch  nur  in  einem  sehr 
losen,  durchaus  nicht  amtlichen,  Verhältnis  zum  Tempel  standen. 


V/ 


Ii> 


n. 

Karl  Rothe. 

De  locis  quibusdam  Homericis. 


Festschrift   Vahlen. 


'1 


C.  Lachmannus,  ut  probet  singularia  saepissime  inveniri  car- 
mina  in  compage  Iliadis  narrationemque  interdum  terminari  uno 
carmine  et  ordiri  quasi  de  integro  ab  altero,  exemplo  utitur  fine 
primi  et  initio  alterius  libri,  ubi  haec  leguntur: 

Zsu?  5s  £ov  "kiyo^  r^i   '  0)vU[Jt~to?  dstspo-yjTrj?,  A  609 

svOa  TTapo?  xoifjiad',  ote  jaiv  "yXuxu;  utcvo?  txavoi. 

IvOa  xai>£tjio    otvaßa?,  itotpa  8^  }(pua69povos  "Hpy]. 

"A)vÄot  ixsv  pa  Oäot  Tc  xai  avsps?  iTTTroxopuaiotl  B  1 

euoov  Tza.vvoyioi,  Ata  6'   oux  iye  vvjoufio?  uttvo?, 

aXX'   0  *^£  [ispjjL/^ptCe  xaxa  ©psvot,  va;  'A/tXr^a 

Ttfjnfjaci',  fAiaoLi  0£  TroXsa?  sttI  vr^uaiv  'A/aioiv. 

Ex  quibus  versibus  quamquam  noii  necessario  colligi  deberi 
dicit  V.  d.  eos  libros  non  ab  eodem  esse  compositos  poeta,  tarnen 
orationem  ita  ut  debeat  procedere  negat.  Nam  neque  poetani, 
ut  aperte  contraria  et  adversa  cognoscerentur,  dixisse  ceteros  deos 
dormivisse,  lovem  non  dormivisse,  neque  aptum  fuisse,  si  dicere 
vellet  lovem  non  dormivisse,  sed  appellavisse  Somnum,  mentionem 
eum  facere  lunonis  lovi  accubantis,  quippe  quae,  quid  ille  moli- 
tur,  ignoratura  esset. 

Illos  versus  iam  veterum  criticorum  curam  incitasse  ex  scholiis 
intellegitur.  Invenimus  enim  (Dind.  schol.  gr.  I  p.  70)  haec: 
n«i?  Iv  T(j  A  zlr.oiv  Tov  Atoc  xai)£tjO£iv  vov  cpr^ai  „Aiot  ooux  eye  vr|Ou- 
jxo;  uTTvos";  X£YO(x£v  0£  ■?i}i.£T^,  oTi  £xdO£UO£  [x£v,  dXX'  Itt'  öXqov 
ixa0£6or^(3£,  xal  ou  ota  Tidsr^?  tTj?  vuxtoc,  (u?  ot  dXXot,  (xEpifxvüiv.  Alia 
explicatio,  quam  probat  Eustatliius  quoque,  exhibetur  scholio  B: 
xvE^T]  xaOsuoT^aaiv,  -?j  dvxl  xoS  dvsxsxXtxo. 

2* 


20  Karl  Hotlie, 

Quas  rationes  difficultatis  dissolvendae  reiecerunt  ex  recentio- 
ribus  criticis  ei  qui  a  Lachmaiini  partibus  stabant,  omnes  nee  pauci 
ex  eis,  qui  summam  viri  docti  de  carmiuibus  homericis  opiiiioiieni 
improbabant.  Sed  totus  locus  cum  a  quibusdam  hominibus  docti s 
quasi  primarius  habeatur,  quo  utrum  recte  Lachmanuus  senserit 
necne  discernatur,  operae  pretium  esse  mihi  videtur,  qua  ratioiie  de 
aliis  prius  alio  loco  („Die  Bedeutung  der  Widersprüche  für  die 
Homerische  Frage"  in  Annal.  gymn.  Francogallici,  Berolini  1894) 
disputavimus ,  ea  in  hunc  inquirere  locum  et  eruere,  num  vere  is 
tantum  valeat  ad  diiudicandam  quaestionem  illam  omnium  diffi- 
cillimam,  sitne  Ilias  ab  uno  an  a  pluribus  poetis  composita. 

Ac  primum  quidem,  quod  absonum  esse  dicunt  lunonem  accu- 
bare  lovi  rem  illi  infestam  molienti,  cum  eam  quid  Somno  mandet 
audire  necesse  sit,  id  nihili  puto.  Multo  enim  difficiliora  ad  in- 
tellegendum,  quomodo  fieri  potuerint,  non  raro  in  carminibus  ho- 
mericis occurrunt.  Sic,  ut  pauca  afferam  exempla,  A  194  Minerva 
venit  impeditum,  ne  Achilles  Agamemnonem  ferro  occidat, 

oro)  cpaivo}j.svr^*  xaiv  o'  oKkiov  outi^  6pa-o. 
Nemo  igitur  reliquorum  Graecorum  eam  videt,  nemo  quid  ei 
praecipiat  quidque  ille  respondeat  audit,  nemo  miratur  virum  ira 
incensum  nihil,  dum  colloquitur,  agere.  Haec  omnia  fiunt  clara 
luce,  omnium  animis  arrectis  et  intentis;  cum  eo  loco  de  quo 
disputamus,  et  nox  sit  et  Inno  dormiens  lingatur.  Ut  hoc  loco 
Achilli,  ita  r^  157  sq.  eadem  dea  Ulixi  apparet  neque  a  Telemacho 
praesente  cernitur,  quin  etiam,  cum  pater  iussu  deae  se  recipiat, 
ille  nee  miratur  nee,  cur  abeat,  interrogat.  Conferrem  etiam  p  360sq., 
0  69/70,  T  474  sq.,  nisi  haec  putarem  sufficere  ad  probandum,  nihil 
subesse  causae,  cur  non  sumamus  eundem  poetam  lovem,  quam- 
quam  Inno  prope  esset,  Somno  mandantem  finxisse,  quae  illa  neque 
audiret  neque  audire  deberet. 

Quae  si  levia  sunt,  iustos  certe  movet  scrupulos,  quod  A  611 
poeta  dicit  lovem  obdormivisse  (evOa  xaöstjo'  avaßa?)  et  B  2  Jovem 
non  dormire  (Ata  o'  oux  iys  vrjSuuoc  urvos).  Haec  ita  secum  pu- 
gnare  omnibus  fere,  qui  attente  eos  versus  legerunt,  visa  sunt,  ut 
alii  ab  eodem  poeta  utrumque  versum  factum  esse  negarent,  alii 
interpretatione  inusitata  verborum  xaOsüSe  vel  vr^8u[ioc  uttvoc  e/2 
difficultatem  removere  studerent. 


De  locis  quibusdam  Homericis.  21 

Ex  his  primum  ei  non  audiendi  sunt,  qui  aut  versus 
A  609—611  aut  unum  versum  611  non  ab  Homero,  sed  a  rhapsodo 
quodam  primum  cantum  solum  recitante,  ut  apte  is  terminaretur, 
adiectum  esse  censent.  Ita  qui  sentiunt  nescire  videntur,  qua  con- 
stantia  et  aequabilitate  in  carminibus  homericis  eaedem  actiones, 
preees,  supplicationes,  sacrificia,  mos  convocandi  contionem,  con- 
scendendi  naves  vel  in  terram  escendendi,  interrogandi  hospites, 
alia  multa  vel  eisdem  vel  non  multum  mutatis  verbis  eodem  semper 
ordine  describi  soleant.  Hac  ex  consuetudine  poeta,  cum  festo  die 
confecto  dei  vel  homines  dormitum  eunt,  semper  hoc  ordine  eoque 
secundum  naturam  utitur:  primum  omnes  ex  convivio  se  recepisse 
et  in  suam  quemque  domum  vel  in  cubiculum  hospiti  paratum  ivisse 
dicit;  tum  quomodo  pater  familias  vel  is  qui  princeps  domus  est 
aut  cum  uxore  aut  solus  cubile  petiverit  ibique  obdormiverit,  paulo 
accuratius  narrat.  Exemplo  sunt  versus  a  423 — 444,  7  395 — 403, 
0  296 — 305,  7j  335 — 347.  Qui  usus  quam  late  pateat,  inde  per- 
spicitur,  quod  in  ipsis  castris  nauticis  Graecorum  ante  Troiae 
moenia  positis  poeta,  oblitus  tentorium  non  domum  esse  magni- 
ücam,  rem  eandem  eisdem  fere  verbis  pingit.  Nam  non  solum  l 
663—665  legimus,  postquam  Phoenici  cubile  instructum  est: 

auxap  'Aj(iXX£u;  euSs  jau/««  xXtaiV^c  suttt^x-ou, 

T(p   6'    apa  TTOtpxaxsXexxo  ^uvr^,  ttjv  AsaßoOsv  t^*|'£v, 

OopßavTos  {)u*,'axrjp,  AiopT^ÖYj  xaXXiTiapTjo?, 

sed  in  ß  673 — 676  ipse  Tcp68o[io?  oofxou  ceteraque  similia  ut  0  302 
sq.  memorantur: 

Xtt)    [X£V    ap      £V    1Tprj66[X(l)    8ofi.OU    auxoöt    X0ttJl.TjC(7VX0, 

xrjpuc  xoti   Ilpt'ctfj-o?,   TTUx'va  cppscsl   ]xr^hi    iyovxz';. 
auxap  'A"/tXX£u;  suSs  piu/oj   xXtaiV^?  suTcr^xxou, 
xq)   82  ßpi(5/jk  irapsXsSaxQ  xctXXnrap'ooc. 

Qua  re  considerata  quis  credat,  quod  semper  et  tum  ipsum, 
ubi  non  suo  loco  fit,  factum  esse  videmus,  id  in  extreme  libro  A 
solo  a  poeta  omissum  esse,  ut  opus  esset  rhapsodo  nescio  quo, 
qui  quod  neglectum  esset  de  suo  adderet?  Immo  usu  constan- 
tissimo  probatur  poetam  ipsum  versibus  A  609 — 611  lovem  dormi- 
entem  et  lunonem  ei  accubantem  finxisse. 


22  Karl  Rothe, 

Nec  magis  iis  assentiendum  est,  qui  discrepantiam  illam  inter- 
pretatione  a  notione  verborura  aliena  tollere  Student,  cum  censent 
verbo  xaDstiosiv  hoc  loco  esse  non  vim  dormiendi,  sed  quiescendi 
sine  somno.  Eam  vim  quamquam  nonnullis  locis  euoetv  potest, 
non  debet  habere,  ab  hoc  loco  abhorrere  verbis  versus  (310  probatur, 
ex  quibus  xaOeuos  idem  esse  quod  7X0x0$  uttvo?  rxivs  necessi- 
tate  quadam  colligitur.  Accedit  quod,  cum  extremis  versibus  primi 
libri  inde  a  595  summa  omnium  deorum  hilaritas  atque  laetitia 
expressa  sit,  mirum  esset,  si  poeta  lovem  cena  splendidissima  et 
egregio  Musarum  cantu  delectatum  subito  res  humanas  tantopere 
curantem  fecisset,  ut  somni  expers  totam  noctem  perageret.  Ab 
hac  lovis  quantum  differt  imago  illa  Ulixis  in  lecto  vigilantis  et 
anxie,  quid  postero  die  agat,  meditantis,  quae  versibus  u  1 — 30 
singulari  quadam  arte  depicta  est.  Ulixes,  ut  dicit  poeta,  (Iv 
Xs)(£i)  xeiT  eypTj -(0p6u)v  (vs.  6)  et  eXisosto  £Vi)a  xai  evöa 
(vs.  24),  dum  Minerva  dulci  somno  tranquillum  eum  reddit.  Si- 
milem  cur  lovem  poeta  extremis  primi  libri  versibus  fingeret, 
nullam  omnino  fuisse  causam  apparet. 

Itaque  illa  interpretatione  effici  non  potest  lovem  versibus 
A  609 — 611  non  obdormivisse.  Quod  cum  intellexissent  alii  v.  d. 
neque  vellent  versus  B  1 — 3  apte  eis  versibus  adnecti  non  videri, 
verba  tov  8'  oux  sye  v7]8u|xo;  uttvoc  ea  acceperunt  notione,  ut  essent 
„eum  non  retinuit  somnus,  sed  experrectus  est".  Quibus  viris  ne 
assentiamur,  impedimento  sunt  locutiones  similes  velut  a^y]  ji'  £/ei 
(7  227),  cpuC«  eysi  (I  2),  ^iXcuc  syei  (0  344),  a?oa>;  xai  oso;  lays 
(0  657/58),  quibus  non  aliam  atque  simplicis  verbi  (a7aa0at, 
ot^Ssiaöa».,  7sXav  xtX.)  vim  esse  recte  iam  ab  aliis  monitum  est. 
Quarum  locutionum  similitudine  verba  quoque  Ai'a  o'oux  sys  vr^5ufiO> 
uTTvo;  idem  esse  atque  „lovem  non  dormire"  neque  habere  vim: 
„lovem  experrectum  esse"  suo  iure  contenditur. 

Quae  si  ita  sunt,  num  versus  B  1/2,  quibus  lovem  dormire 
poeta  negat,  adeo  conciliari  non  possunt  cum  proximis  versibus 
A  609—611,  quibus  eum  obdormivisse  audimus,  ut  non  ab  eodem 
poeta  profecti  esse  putandi  sint?  Equidem  rerum  condicione  dili- 
genter  considerata  non  ita  sentio.  Primum  enira  lovem  ex  verei- 
bus  extremis  primi  libri  cognovimus  non  eum  esse,  qui  curis 
anxius  et  somni  expers  totam   noctem  ageret,   neque  rem  ipsam, 


De  locis  quibusdam  Homericis.  23 

quae  effici  debet,  tantos  ei  movisse  scrupulos  ex  insequentibiis  libris 
intellegitur.  Satis  fuit,  maxima  noctis  parte  dulci  somno  confecta 
eum  matutino  tempore,  cum  alii  dei  hominesque  nondum  exper- 
recti  essent,  deliberare,  quomodo  quod  promisisset  Thetidi  iam 
exsequeretur.  Tempus  expergiscendi  ipsum  accuratius  indicari 
potuit,  sed  necessarium  id  fuisse  adiectis  verbis  aXX'  SYpexo  1$  Gttvou, 
ut  censet  Bonitzius  (Ueber  den  Ursprung  d.  hom.  Ged.  *  p.  74) 
non  iudico.  Nam  primum  nihil  interesse  apparet,  quando  luppiter 
et  quomodo  experrectus  sit,  cum  poeta  non,  ut  ab'is  locis  factum 
videmus,  in  somnum  eins  institerit.  Ceteris  enim  locis  omnibus, 
quibus  illud  „ö  o  lypETo"  additur,  somnus  eins,  quem  denique  ex- 
perrectum  esse  poeta  narrat,  summi  est  momenti,  quod  illo  dormi- 
ente  res  gravissimae  sive  iucundae  sive  funestae  sunt  factae.  Quod 
ut  paucis  exemplis  illustrem,  summopere  omnium  animos  movet 
illud  8  5'  e^pixo  810?  'üouaaEu;  C  117  et  v  187,  quia  altero  loco 
Ulixes  ex  altissimo  somno  (otcvh^  xal  xafjiaxo)  apr^usvos  C  2)  Minerva 
auctore  excitatus  est  suo  tempore,  ut  a  Nausicaa  ad  Phaeacum  regem 
duceretur,  altero,  cum  dormiens  in  patriam  vectus  et  in  litus  a 
Phaeacibus  latus  sit,  denique  expergiscitur  neque  ubi  sit  videt. 
Cum  bis  locis,  tum  (x  366  (xai  xots  [xoi  ßXöcpaptoy  icsctauto  vr^oujxo^ 
Gttvo?)  et  0  4  (I7PEX0  Ss  Zsu;)  recte  poeta  mentionem  fecit  exper- 
giscendi, quod,  dum  Ulixes  vel  luppiter  dormit,  res  voluntati 
eorum  maxime  contrariae  evenerunt,  quas  iam  vident.  Nee  minus 
suo  loco  sunt  verba  e^psxo  8'  kz  uttvou  B  41,  et  r^  8'  1$  u-vou  avopouoe 
8  839,  et  0  8'  iz  uttvou  dcvopouaa?  K  519,  quod  ei  qui  dormiunt 
somnio  vel  a  deo  subito  expergefiunt. 

Verum  ubi  neque  somnus  neque  expergiscendi  tempus  ad  totam 
actionem  quidquam  valet,  id  non  est  commemoratum  a  poeta  neque 
opus  fuit  (cf.  exempli  gratia  ß  2,  -(  406,  492,  0  577,  e  213,  alia 
multa).  Id  eo,  de  quo  agitur  loco,  B  2,  eo  minus  fuit  necessarium, 
quod  ex  proximis  versibus  matutino  tempore  lovem  deliberare 
manifeste  cognoscitur.  Nam  simulatque  Agamemnon  somnio  exci- 
tatus surrexit  vestemque  induit,  Aurora  deis  immortalibus  et  ho- 
minibus  lucem  aifert  (B  49/50). 

Adde  quod  cum  ab  omnibus  poetis,  tum  ab  Homero  saepissime 
tempus,  quo  quid  geritur  vel  gestum  est,  non  ea,  qua  in  aliis  con- 
suevimus  uti  diligentia,  definitur.    Ex  multis,  quae  afFerri  possunt. 


24  Karl  Kothe, 

exeraplis  eligam  pauca,  quae  criticorum  vexaverunt  curam.  1 1  all 
evOa,  ita  A  493  ex  toio  cum  non  habeant  quo  apte  referantur, 
multis  qui  eos  locos  solos  consideraverunt ,  non  comparatis  aliis, 
magnae  et  sunt  et  fuerunt  offensioni.  Nee  tarnen  quisquam,  quod 
tempus  eis  particulis  significetur,  licet  id  non  accurate  indicatum 
sit,  contextu  rerum  perpenso  ignorat.  Alia  neglegentia  inest  in  vs. 
H  476 — 482,  in  quibus  haec  leguntur: 

irawu^/toi  (j.ev  lireiTa  xa'pyj  xofiOtüVTS?  Wycnirn  476 

Satvuvtat,  Tpcüs?  oe  xaxa  rioXiv  t^8'   k-rzi-Mopoi' 

Tzdvv  oyio^  3e  acpiv  xaxa  fj.r^Ssxo  fir^n'cxa  Zsu? 

ö(jiep8aX£a  xtü::£o)V.     xou?  5s  j^Xtupbv  Seoc  "(iP^^ 

oTvov  o'  ix  osracov  yajxaSt?  x^ov,  ouos  xt?  sxXtj  480 

TTplv    TTlSStV,    TTplv    Kzv\)0il    UTTSpfi-Evil    KpOVltOVt. 

xoifiTjaczvx'   ap'   STreixa  xai  urvou  Suipov  iXovxo. 

Primis  versibus  quamquam  singulari  vi  dictum  est  totam  noc- 
tem  Graecos  et  Troianos  bibentes  et  cenantes  egisse,  tamen  et  versu 
482  et  eis  rebus  quae  sequuntur  parte m  noctis  convivio  eos  esse 
delectatos,  tum  somno  se  dedisse  perspicitur.  Nee  magis,  si  mo- 
leste  tempus  calculatur,  K  2  Trctwuyio?,  cum  magna  pars  noctis  le- 
gatione  illa  consumpta  sit,  rerum  condicioni  respondet.  Aerius 
etiam  vituperata  est  discrepantia  temporis  inter  versus  A  84/85: 

o<ppa  [Asv  r^^si;  f^v  xcd  dscexo  ispov  r^jictp, 
To^-ppa  [xctX'   afi^poxepwv  ßsXs'   ^irxsxo  xxX. 

et  versus  U  111/18: 

o'^pa  (x^v  T^eXios  p-soov  oupavöv  a(jicpißeß>^xet, 
TÖ'^pa  [laX'   ctfjLcpoxepwv  ßsXs'   ^tttcXO  . . . 

Nam  etsi  non  idem  tempus  utraque  formula  significatur,  mirum 
tamen  est,  tot  tantasque  res  tam  parvo  temporis  spatio  fieri  potuisse. 
Sed  ne  quis  ex  his  multisque  similibus  offensionibus  coniciat  car- 
mina  homerica  non  ab  uno  poeta  esse  composita,  verum  a  multis 
rhapsodis,  qui  alii  aliorum  non  haberent  rationem,  impedimento 
sunt  carmina  sine  dubio  ab  uno  et  diligentissimo  poeta  scripta,  in 
quibus  eadem  saepe  indiligentia  tempus  indicatur.  Vergilius  enim 
primis  versibus  alterius  libri  Aeneidis  (II  8/9)  sie  canit: 


De  locis  quibusdam  Homericis.  25 

et  tarn  nox  humida  caelo 
praecipitat  suadentque  cadentia  sidera  somnos. 
Auroram    igitiir    iam    prope    esse    existumes.      Tarnen    poeta    non 
solum  Aeneam  quae  libris  altero   et  tertio   continentiir  narrantem 
faeit,  sed  etiam,  ubi  is  ünem  fecit,  Didonem  curis  saevis  soUicitatam 
describit,  priusquam  pergit  (IV  O): 

postera  Phoebea  lustrabat  lampade  terras 
humentemque  Aurora  polo  dimoverat  umbram, 
cum  sie  unanimam  alloquitur  male  sana  sororem. 
Idem  poeta  decimum  librum  ita  incipit: 

panditur  interea  domus  omnipotentis  Olympi 
conciliumque  vocat  divom  pater  atque  hominum  rex. 

Inde  si  quis  eodem  tempore  concilium  deorum  factum  esse  con- 
cludat,  quo  res  quae  extreme  nono  libro  narrantur  gestae  sint,  ma- 
gnopere  fallitur.  Nam  ex  proximis  versibus  tempus  multo  provec- 
tius  significari  cognoscitur:  iieque  enim,  dum  pugnatur  in  campo, 
dei  consulunt,  sed  tempore  matutino  insequentis  diei.  Quo  exemplo 
allato  alia,  quae  sescenta  inveniuntur,  maxime  in  fabulamm  scrip- 
toribus  (cf.  quae  in  dissertatione  „Die  Bedeutung  der  Wider- 
sprüche" p.  29  sq.  scripsi)  promere  supersedeam.  Nam  eadem  li- 
centia,  qua  hie  Vergilius  facili  quodam  dicendi  genere  usus,  ut 
coniungeret  res  utroque  libro  narratas,  interea  posuit,  Homerum 
formulam  illam  aXXot  [xsv  \jn  Osot  xtX.,  ut  primo  alterum  adnecteret 
Carmen,  usurpare  potuisse  quis  non  concedat?  Quin  etiam  in  Iliade 
ea  licentia  minus  quam  in  Aeneide  mira  est,  quod  lingua  homerica 
nondum  adeo  est  exculta  et  polita,  ut  commodas  transeundi  ad  aliam 
rem  formulas  vel  locutiones  habeat.  Quod  cum  multis  aptisque 
exemplis  probaverit  Huettigius  (Zur  Charakteristik  Homerischer 
Komposition  1886),  eam  rem  hie  persequi  nolo. 

Haec  omnia  consideranti  eaque,  quae  imperfecto  quodam  di- 
cendi genere  usus  Homerus  narrat,  ad  perfectara  et  severam  nor- 
mam  redigenti  sie  sine  difficultate  in  versibus,  a  quibus  initium 
scribendi  fecimus,  oratio  procedere  videtur:  Festo  die  peracto,  ut 
ceteri  dei,  luppiter  in  cubile,  ut  solebat,  dormitum  ivit  ibique 
lunone  accubante  obdormivit.  Sed  cum  ceteri  dei  hominesque 
totam  noctem  dormirent,  luppiter  ultima  parte  noctis  vigilabat  et 


26  Karl  Hütho, 

deliberabat,  quomodo  Achillem  honore  afficeret.  Ilaec  sunt  perspi- 
cua  neque  opus  est,  ut  recte  intellegantur,  versibus  I  713 — K  4 
et  0  4 — 7,  qui  ab  hominibus  doctis  collati  sunt:  qui  versus  eis  de 
quibus  eginius  non  modo  uon  lucem  afferunt,  sed  interpretationein 
reddunt  difficiliorem,  cum,  quamvis  similia  siiit  verba,  rerum  con- 
dicio  longe  sit  alia.  Nam  etsi  ex  1  712/13  omnes  Achaeomm  reges 
—  ut  ex  A  609 — 611  omnes  deos  ipsumque  lovem  —  dulci 
somno  se  dedisse  sine  dubio  colligitur,  ex  eis  tarnen  quae  sequun- 
tur  inde  a  K  1  non  solum  Agamemnonem,  sed  etiam  Menelaum  ne 
punctum  quidem  temporis  illa  nocte  dormivisse,  verum  sollicitos, 
quid  iam  futurum  esset  Achille  auxilium  denegante,  in  lecto  cu- 
buisse  comperimus.  Itaque  versus  K  1 — 4  et  aperte  pugnant  cum 
versibus  I  712/713,  et  illud  :tavvuyi')!,  etiamsi  non  urgeamus,  quod 
legatione  illa  noni  libri  magna  pars  noctis  consumpta  sit,  minus 
aptum  est,  quod  omnes  duces  media  nocte  ab  Agamemnone  ex- 
pergefiunt.  Uenique,  si  Agamemnon  ne  obdormivit  quidem,  ut 
sumendum  est,  loco  verborum  uttvo?  !)(£  -/Xu/spo;  similitudine  ver- 
sus ß  678  uTTvos  sjAotpuTs  exspoctes. 

Quibus  difficultatibus  commoti  fuerunt,  qui  versus  K  1 — 4 
prava  imitatione  versuum  B  1 — 3  et  ß  677 — 679  a  rhapsodo  arte 
llomerica  minime  imbuto  consuta  esse  putarent.  Ita  qui  sentiunt 
non  pauca  attulerunt,  quae  mira  et  inusitata  in  eo  libro  inven- 
iuntur,  auxilioque  vocaverunt  scholiastam  quendam  eum  cantum  a 
Pisistrato  locum  quem  tenet  accepisse  scribentem.  Quibus  v.  d. 
nescio  an  assentirer,  nisi  tertius  locus  o  4—7,  quem  confenc 
solent,  maiore  etiam  offensione  esset  et  ea,  quae  imitatione  sola 
explicari  non  possit.     Versus  hi  sunt: 

cups  0£  Tr^XsfAa/ov  xotl   NssTopo;  cü-Xaov  utov 
S'joriv-'    £v  TrpooofJio^)   MsvsXaou  xuöotXi'fJOio, 

T^    TOt    Ns'JTOprS'/jV    }iaXotX<0    6s8(X1fjfJl£VOV    UITV(l), 

Tr^ASfiayov  o   ou/  uttvo?  e/£  ^Xu/yr,  dXX'    £vt  UufAtu 
vuxta  ot'   d<xßpO(3t-/jv  [leXsSr^aotTa  Tiatpo?  ^^Eiptv. 

Cum  de  quibus  adhuc  egiraus  locis  ea  quae  altero  enuntiato 
continentur  non  facile  concilientur  cum  altero,  hoc  loco  in  uno 
eodemque  enuntiato  aperte  secum  pugnare  poeta  videtur.  Nam 
cum  vs.  5  utrumque  adolescentem  dormire  narret,    proximis  versi- 


ne 


De  locis  quibusdam  Homericis.  27 

ms  ipse  se  corrigens  alterum  dormire,  alterum  vigilare  dicit.  Id 
e  factum  esse  opinemur,  sunt  qui  eSostv  idem  esse  atque  cubare 
lecto,  non  dormire,  interpretentur.  Sed  nos  eam  interpretationem 
neque  hoc  neque  priore  illo  loco  (p.  22)  adhibendam  esse  rati, 
um  intellegeremus  multa  in  sermone  homerico  esse,  quae  abhorrent 
on  solum  a  nostro  usu,  sed  etiam  a  veterum  scriptorum,  quorum 
elegans  est  oratio,  circumspeximus,  num  forte  alia  dictionis  simi- 
liter  inconcinnae  exempla  in  Odyssea  vel  Iliade  exstarent,  et  non 
pauca  invenimus,  quae  variis  coniecturis  hominum  doctorum,  non 
quid  poeta  scripsisset,  sed  quid  scribere  debuisset  inquirentium, 
temptata  neque  explicata  sunt. 

Omnibus  numeris  cum  vs.  o  4 — 7  comparari  primum  possunt 
haec  enuntiata,  quibus  quod  primo  versu  exprimitur  altero  simpli- 
citate  quadam  nativa  corrigitur,  x  115 — 117: 

^o<i  Stj  Toiöiv  SfjLr^aaxo  Xuypov  oXö8pov 
aüxr/'    £va  iidp^a;  siapwv  wTrXiaaaxo  SeiTrvov' 
\  ~<h  oe  m    di;avT£  «t>Y"fj  s.t:\  vr^a?  txsaör^v. 

Ex  versu  115  Antiphatem  tribus  sociis  ülixis,  qui  ad  loca 
expioranda  missi  erant,  vim  attulisse  recte  Kirchhoffius  (Odyssea^ 
p.  308)  colligit,  sed  ne  inde,  quod  proximis  versibus  poeta  .accu- 
ratius  quid  sit  factum  narrat,  eos  versus  postea  additos  esse  statua- 
mus,  multis  exemplis  similiter  formatis  monemur,  quae,  quin 
genuina  sint,  verbis  ipsis  perpensis  dubitare  non  licet.  A  396/97 
enim  haec  leguntur: 

TuSsu?  jilv  xai  xoiatv  aeixsa  Tioxfxov  ecpr^xs* 
Travxot?  iTzzf-p"/ ,  sva  S'   oTov  Tst  oTxovSs  vlea&oit, 

t  X  231/32: 


ot  0    atxa  Tiavxe;  aiöpsfflSi  stcovxo. 
EupuXo/o?  Ö'   uTTStxsive,  öiaocficvos  SoXov  sivai. 


I 

^Bum  Eurylochus  unus  ex  illis  sociis  sit,  quos  omnes  in  domum 
Oirces  intrasse  ex  vs.  231  comperimus,   mirum  certe  videtur  versu 

^_232  ex  eo  numero  eum  excipi,  ut  quod  modo  dictum  sit  corrigatur. 

^P'  Neque  huc  non  referendi  sunt  versus  c  23  et  sq.,  in  quibus  de 
quattuor  Eumaei  pastoribus  deque  ipso  in  hunc  modum  poeta 
ioquitur : 


28  Karl  Rothe, 

xa'fivtüv  ospfia  ßostov  iu}(po£C'  ot  os  ot)  ä'XXoi 
(|>)^ovt'   aX>.u8u  aXXo;  aji'   d^potisvoiot  ausosiv,  25 

ot  xpei?*   tov  OS  tsxapxov  aTroiupoer^xs  -oXivSs 
3UV  «Ysasv  }j.vr,3xrjp3iv. 
Ut    in   illis    exemplis,    ita    in    hoc    verbis    versus  24    o"   öe  aÄXoi 
in  errorera   ducimur    ceteros  omnes  pastores  opus  facere   coepisse 
suspicantes,  dum  versu  26  quid  vere  sit  factum  cognoscimus. 

Denique  nativum  quoddam  dicendi  genus,  quo  saepe  etiam 
nunc  pueri  aut  homines  simplices  utuntur,   deprehenditur  Q  399: 

£$  M  ot  Ute?  eaatv,  i^«)  8s  ot  £ßoo(ji6s  sffit. 
Hunc  versum  qui  ita  interpretantur,  ut  post  S?  audiendum  esse 
„otXXoi"  dicant,  non  magis  probandi  sunt,  quam  qui  saot  prementes 
sex  filios  domi  esse,  septimum  cum  Agamemnone  Ilium  profectum 
esse  bis  verbis  significari  putant.  Qui  versus  quin  ex  similitudine 
laudatorum  sit  intellegendus,  non  est  quod  dubitemus. 

Herum  exemplorum  omnium  commune  est,  quod  prima  parte 
enuntiati,  ut  o  4 — 7,  aliud  poeta  dicit  atque  velle  eum  dicere  ex 
altera  parte  cognoscitur.  Eiusdem  fere  generis  sunt  versus  f  71 — 74, 
quibus  Paris  primum  quod  futurum  sit  praemium  victoris,  tunc 
qua  condicione  usurus  sit  uterque  populus,  cuius  sunt  certantes, 
hunc  in  modum  proponit: 

oTTTToxspos  oe  xs  vixi(j3TQ  xpeioatuv  xs  7£V7JXai,  71 

xxr^[jiai>'   eXa>v  eu  uotvxa  Yuvaixot  xs  oixaS'   otYs'aOu)* 
Ol  8'    aXXot  cpiXoxrjXot  xat  opxia  irtaxa  x-xjjlovxs; 
vatotxs  '\'poir^v  iptßwXaxa,  xot  6e  v£E(3»)(uv 

"i^pp?    S;    tTTTToßoXOV. 

Quae  verba  a  praecone  ad  Priamum  arcessendum   in  urbem  misso 
sie  repetuntur: 

xol  8s  xs  vtxT^aavxt  -^uvi]  xai  xxr^fiaO'   s-oixo*  25;) 

ot  6'   aXXoi  cpiXoxr^xa  xctt  opxia  Trioxot  xctfiovxe; 

vatotjxsv  TpotVjV  iptßwXaxa,  xot  6k  vsovxai 

"Äp^o;  ic  tTTixoßoxov. 
His    in    versibus    cum    „ceteri"    (ot    öfXXoi)    oppositi    sint    victori 
(xu)  vtxr^iavxi),    ambos    populos    eis  significari    necessario    primum 
sumimus    in    eaque    opinione   proximis   verbis    usque  ad  x^uovxs;, 


De  locis  quibusdam  Homericis.  29 

quae  ad  duos  populos  referri  opus  est,  confirmamur;  sed  praeter 
opinionem  iiiitio  insequentis  versus  (73  vel  255)  Troianos  solos 
subiectum  esse  verbi  (vaiotxs  vel  vato'.uev)  et  extremo  versu  Graecos 
eis  opponi  videmus. 

In  catalogo  qui  vocatur  nautico  duces  Graecorum,  qui  singulis 
turniis  praesunt  tum,  cum  in  pugnam  progrediuntur,  decimo  belli 
anno,  nominantur.  In  quibus  numeratur  Protesilaus  quoque,  quem 
initio  belli  cecidisse  poetae  cyclici  cecinerunt,  hoc  modo  (B  695  sq.): 

o"  3'   st5(ov  4)uXaxr^v  xal  flupaaov  ctvösfjosvxa  .  .  .  695 

xÄv  au  IlpoDTsaiXao?  apr/.o?  y)-j'£[jt6v£U£v,  698 

Cojo;  soiv  t6t£  o'   rfi-q  iyzv  xaxa  ^aia  [xsXaiva. 

Ex  versu  698  Protesilaum  etiam  tum,  cum  in  aciem  processuri 
sunt,  Ulis  populis  imperare  concludendum  est;  quod  non  ita  esse 
proximo  versu  intellegitur.  Idem  narrandi  genus  invenitur  B  685  sq., 
ubi  Achilles,  et  B  778,  ubi  Philocteta  commemoratur.  Quorum 
neuter  cum  illo  tempore  hello  interfuerit,  hoc  loco  nominari  potuit; 
sed  quis  reprehendat  poetam,  quod  tamen  hanc  virorum  clarorum 
mentionem  fecit?  Sanam  artem  criticam  certe  non  excercet  is  qui 
eam  ob  causam  solam,  quod  enuntiati  formatio  paullo  sit  inusitatior, 
tales  versus  spurios  iudicat. 

Denique  E  418  cum  legimus: 

'Aör^vaiTj  TS  xal  "Hpr^ 
xspxofjLioiot  ETTsaai  Ata  Kpovi'Sr^v  IpsOtCov. 
xoTai  8s  (xuOmv  T^p/s  ^s«  ^XauxtÖTrtc  'A{}r|Vyj, 

expectamus,  ut  recte  monet  Hentzius  (Anh.^  p.  61),  post  Minervam 
etiam  lunonem  locuturam  esse;  verum  neque  hoc  loco  ea  loquitur 
neque  loco  omnium  simillimo  O  287  sq.,  quamquam  hie  etiam 
sequuntur,  in  versu  298,  verba: 

xo)  [jlsv  ap'    (Us  e^TTovxs  fxsx'   dilava'xo'jc  aTrsßr^trjV. 

Haec  omnia  apte,  ut  opinor,  comparari  possunt  cum  forma- 
tione  versuum  o  4—7.  Cum  his,  tum  multis  aliis  exemplis, 
quorum  non  pauca  attulit  P.  Cauer  in  commentatione  „Eine 
Schwäche  der  homerischen  Denkart"  (Mus.  Rhen.  t.  XLVII 
74—115),  probatur  et  evincitur  dicendi  genus  carminum  home- 


30  Karl  Rot  he.  De  locis  quibusdam  Homericis. 

ricorum  non  posse  omnibus  locis  et  numeris  ad  eam  normam  et 
concinnitatein  redigi,  qua  utuutur  optimi  prosae  orationis  scrip- 
tores  exculta  lingua.  In  illud  quo  quis  magis  inquirit,  eo  minus 
ab  Homero  abrogare  et  nescio  cui  rhapsodo  sanae  inentis  experti 
attribuere  eos  versus  volet,  qui  obiter  legenti  miri  et  non  ferendi 
videntur. 

lam  ut  redeamus  ad  versus  A  609 — 611  et  B  1 — 3,  unde  dis- 
putaturi  profecti  sumus,  ostendisse  nobis  videmur  nee  reiciendum 
esse  ne  unum  quidem  ex  eis  nee  tribuendos  esse  alios  alii  poetae. 
Sed  quod  Lachmannus  dicit  primo  libro  finiri  narrationem  et  altero 
quasi  de  integro  ordiri,  id  quamquam  concedendum  est,  tarnen  non 
Vitium  esse  narrandi  neque  argumentum,  quo  utrumque  librum  non 
eidem  deberi  poetae  demonstretur,  sed  artem  quandam  componendi 
putaverim,  Nam  ut  laus  habetur  fabularum,  si  singuli  actus  bene 
finiuntur  et  unus  quisque  quasi  unum  corpus  est,  ita  incidi  inter- 
dum  filum  narrandi  nee  sine  respiratione  omnia  currere  quis  est 
qui  non  admiretur  in  carminibus  homericis? 

Sed  ne  simus  longi  in  re  tritissima.  Nam  haec  non,  ut  novi 
aliquid  afferrem,  scripsi,  sed  ut  specimen  darem  eins  doctrinae  et 
disciplinae  quam  summa  arte  et  ipse  exercet  et  doeet  alios 
I.  Vahlenus,  vir  humanissimus  mihique  carissimus.  Huius  enim 
viri  disciplina  factum  esse  grato  animo  profiteor,  ut  imbutus 
quaestione  homerica  ab  Hauptio  et  Kirchhoffio,  viris  doctissimis, 
quos  pie,  ut  debeo,  colo  semperque  colam,  postquam  diu,  cur  non 
ab  uno  poeta  illa  carmina  composita  esse  possent,  summo  ardore 
inquisivi,  magis  magisque  intellegerem  neque  eos  audiendos  esse, 
qui  commoti  discrepantiis,  quae  et  in  lliade  et  in  Odyssea  inve- 
niuntur  multae,  ea  carmina  ex  multis  particulis  sine  ulla  arte  con- 
suta  vel  conglutinata  esse  opinantur,  neque  eos,  qui  totum  Carmen 
unius  poetae  divini  opus  esse  rati  quae  vituperanda  videntur  rhap- 
sodis  eisque  insulsissimis  attribuunt.  Nos  Vahleni  vestigiis  insi- 
stentes,  si  mira  vel  ab  usu  optimorum  scriptorum  abhoi-rentia  de- 
prehendimus,  ea  quomodo  ex  rerum  contextu  vel  ex  consilio  poetae 
interpretanda  essent,  investigavimus,  textum  Homeri  non  aliter 
atque  ceteros  libros,  qui  ex  antiquis  temporibus  ad  nostram  me- 
moriam  pervenerunt,  tractandum  esse  arbitrato 


m. 

Siegfried  Mekler. 

Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische 

Komödie. 


^? 


Mit  der  ans  Fabelhafte  grenzenden  Schaffenskraft  Lopes  ver- 
glichen, nach  dessen  eigenem  Zeugnis  in  dem  Sendschreiben  an 
Claudio  Conde  die  Zahl  seiner  Stücke  sich  i.  J.  1631  auf  die  jedes 
Mass  der  Wahrscheinlichkeit  weit  übersteigende  Höhe  von  fünfzehn- 
hundert Nummern  belief^),  nimmt  sich  die  Ziffer  dreihundert- 
iünfuudsechzig,  welche  Suidas  s.  'AvTicpavr^?  als  Summe  der  Komö- 
dien des  fruchtbarsten  aller  griechischen  Sceniker  registriert,  noch 
bescheiden  aus:  l-^pa^J^s  xwfKoota?  x;e'.  Nach  antiken  Begriffen  aber 
war  sie,  und  auch  nach  modernen  ist  sie  ansehnlich  genug,  um 
berechtigtes  Erstaunen  zu  erregen,  und  wie  zu  dessen  Beschwich- 
tigung fügt  der  Lexikograph  unter  Berufung  auf  eine  nicht  näher 
bezeichnete  Quelle  die  immer  noch  enorme,  doch  glaublichere  Zahl 
zweihundertachtzig  bei:  oi  6s  dTz . 

Indessen  geht  die  Würdigung,  welche  beide  Angaben  bei 
Meineke'')  und  dem  sich  ihm  anschliessenden  Bergk')  erfahren,  nicht 
von  dem  Quantum  als  solchem,  sondern  von  dem  'symbolischen' 
Charakter  der  Jahrtagssumme  aus,  dem  Ersten,  was  sich  der  Be- 
achtung aufdrängt.  Von  Homer  ^)  angefangen  lässt  sich  dieser 
Charakter    über  Herodot*),    Plutarch'^),    Curtius    Rufus')    bis    auf 


')  Mil  y  quinientas  fdbulas  admira,  Bd.  I,  435  der  Akademieausgabe.  — 
Unter  den  Neueren  dürfte  der  Vorrang  wohl  E.  Scribe  gebühren,  dem  Colin- 
camp Nouv.  biogr.  gener.  43,  652  nur  ganz  summarisch  plus  de  quatre  cents 
ouvrages  dramatiques  zuschreibt. 

«)  h.  er.  310. 

3)  Griech.  Litg.  IV  14465- 

*)  360  Schweine  des  Odysseus,  S  20. 

*)  III  47:  360  Fäden  im  Linnenpanzer  des  Amasis. 

^)  Symp.  VIII  4,  5:  3G0  Nutzuiigsarteii  der  babylonischen  Palme. 

'')  III  7:  365  im  Perserziige  den  Magiern  folgende  Jünglinge,  diehus  toiius 

Festschrift   Vulilen.  3 


34  Siegfried  Mekler, 

Proclus')  und  die  magischen  Papyri')  herab  verfolgen.  Wenn 
demnach  Meineke  aus  dieser  ins  Kindisch-Mystische  gesteigerten  Ver- 
wendung bald  der  runden,  bald  der  präcisen  Zahl  den  Gedanken 
ableitet,  es  sei  dem  numerus  fictus  et  commenticius  für  die  Be- 
stimmung der  Productivität  des  Antiphanes  jeder  urkundliche  Wert 
abzusprechen,  kann  dies  nur  folgerecht  genannt  werden. 

Es  kommt  hinzu,  dass  auch  die  zweite  von  Suidas  berichtete, 
nahezu  um  ein  Viertel  kleinere,  aber  auch  so  noch  erstaunliche 
Dramenzahl  in  einer  anderen  Quelle  eine  weitere  Ermässigung  um 
zwanzig  Stücke  erfährt,  und  zwar  in  dem  anonymen  Tractat  Trspl 
xtufitpSict?  n.  II  in  Kaibels  Com.  Gr.  Fragm.'),  der  im  Artikel 
Antiphanes  p.  9,  61  mitzuteilen  weiss:  laxi  8s  aüxou  SpctfictTa  oc', 
ein  Umstand,  der  in  der  Auffassung,  jene  Riesenzahl  365  sei  ledig- 
lich 'ein  hyperbolischer  Ausdruck,  um  die  ungemeine  Fruchtbar- 
keit des  Komikers  zu  veranschaulichen'*),  nur  bestärken  kann. 

Meineke  bedient  sich  aber,  um  das  Behauptete  zu  erhärten, 
noch  einer  ferneren  Stütze,  indem  er  eine  anderweitige  Stelle  dieses 
selben  Anonymus  heranzieht  *) ,  woselbst  die  Gesamtzahl 
der  Stücke  der  dpj^ata  genau  so  beziffert  wird:  p.  7,  13  K. 
(pepexat  «utcüv  tAvxol  ta  Spotfiata  res'  auv  xoT?  ^{^£u8e7riYpa<poi^,  und 
Kaibel  pflichtet  bei  mit  der  Bemerkung  t^s'  numeiiis  anni  dienim 
sollemnis  suspectus  und  mit  dem  Hinweis  auf  die  eben  be- 
sprochenen Antiphanesdaten.    Nun  ist  der  Fall  schon  insofern  anders 


anni  pares  numero:  quippe  Persis  quoque  in  tottdem  dies  descriptus  est  annus.  Vgl. 
VI  20:  360  Kebsweiber  in  Dareios'  und  die  gleiche  Anzahl  in  Alexanders 
Harem. 

1)  Chrestom.  248,  18  Westph.:  die  Zahl  der  at^fAfAaxa  des  heiligen  Baumes 
an  den  Daphnephorien  bedeutet  töv  dviaiatov  Spdfxov  xal  yäp  xal  t$e'  Ttoioüatv 
abtd.    Lobeck  Agl.  172. 

')  ou  el  6  äpt&jioj  Toü  ^viauToü  'Aßpaaa'S  (=  365).  Dieterich  Abraxas  6. 
46,  Heim  Incant.  54.  Vgl.  das  betreffs  der  Dreizahl  und  ihrer  Multipla  bei 
Diels  Sibyll.  Bl.  40  ff.,  Kaegi  in  Philo).  Abhandlgn.,  H.  Schweizer-Sidler 
dargebr.,  50  ff.,  und  Wessely  in  Mitth.  aus  d.  Sammlung  der  Pap.  Erzh. 
Rainer  I,  113  ff.  Beigebrachte. 

3)  Mein.  Com.  I  537,  Westerm.  Biogr.  163,  Duebn.  Schol.  Aristoph.  p.  XV, 
n.  XV,  Bergk  Prolegg.  in  Aristoph.  p.  XXXIH. 

*)  Bergk  Gr.  LG.  a.  a.  0. 

')  Mein.  535,  Westerm.  161,  Duclm.  XIV,  BiMyk  XXXI. 


Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische  Komödie.  35 

beschaffen,  als  bei  Suidas  oder  Hesycli  Zahl  gegen  Zahl  steht  und 
im  ganzen  deren  drei  gegen  einander  abgewogen  werden  können, 
während  die  angeführte  Notiz  für  unser  Wissen  um  den  Gesamt- 
nachlass  der  alten  Komödie,  die  sicilische  inbegriffen,  die  einzige 
Gewähr  darstellt,  mithin,  wie  immer  auch  die  numerische  Ueber- 
lieferung  lauten  möge,  die  Prüfung  auf  ihre  Richtigkeit  andere 
Methoden  erheischt  und  grössere  Schwierigkeiten  vorfmdet.  Es 
kann  andererseits  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  der  un- 
genannte Berichterstatter  da,  wo  er  des  -Antiphanes  gedenkt,  von 
den  drei  Komödiensummen  die  mindest  unwahrscheinliche  und  nur 
diese  notiert,  was  immerhin  ein  günstiges  Vorurtheil,  um  nicht  zu 
sagen  Vertrauen  erweckt.  Es  fragt  sich  also,  ob  der  kritische 
oder  überkritische  Zweifel  auch  in  diesem  Fall  angebracht  und  die 
Nachricht  von  den  in  Summa  365  Lustspielen  der  ap/ata  xojixojoia 
in  dem  bezeichneten  Sinne  zu  deuten  und  zu  verwerthen  sei;  hierzu 
aber  scheint  eine  einlässlichere  Betrachtung  des  ganzen,  nicht  eben 
umfangreichen  Tractats  geboten. 

Die  Grundfrage  muss  sein,  wie  es  mit  den  sonstigen  zahlen- 
mässigen  Ansätzen  des  Anonymus,  den  im  engeren  Sinne  pinako- 
graphischen  und  den  chronologischen,  steht.  Was  die  ersteren 
betrifft,  so  bietet  sich  zunächst  der  Vermerk  über  die  57  Dichter 
der  [jis-//  (9,  53  K.)  und  die  64  der  vsa  (63  K.),  sowie  über  die 
607  Stücke  der  erstgenannten:  toutwv  opap-axa  (pspsxai  /C'  (so  der 
Codex,  -/iC'  die  Aldina)  '). 

Die  Statistik  der  Autoren  erregt  keinerlei  Anstoss,  die  der 
Dramen  veranschaulicht  den  ganz  glaubhaften  Durchschnitt:  ein 
Dichter,  zehn  Stücke.  Auch  in  Anbetracht  des  für-  die  athenische 
Bühne  zu  Gebote  stehenden  Zeitraums  von  rund  sechzig  Jahren 
erschiene  sie  angemessen^),  ergäbe  nicht,  wie  Bergk  zeigt'),  schon 
die  Summierung  des  Nachlasses  der  vier  ergiebigsten  Köpfe  der  (xscfr] 
(Antiphanes,  Alexis,  Eubulos,  Anaxandrides)  um  volle  67  Stücke 
mehr  als  der  Estensis  der  ganzen  Gruppe  zuweist,    und  wüssten 


')  Bei   der  äp;(o{a   fehlt  die  Zahl  der  Dichter,   bei  der  v^a  wird  die  Zahl 
»r  Stücke  vermisst,  Kaibel  zu  65  u.  unten  S.  43  Anra.  2. 

^  Kaibel :  inde  ab  a.  380  usque  ad  Menandri  aetatem  Athenis  certe  non  plus 
DC  fabulae  in  scaenam  committi  poterant. 
3)  Gr.  LG.  IV  123g. 

3* 


36  Siegfried  Mekler, 

wit  nicht  ferner  aus  Athenäus'  Munde,  dass  er  mehr  als  800  Stücke 
der  mittleren  Komödie  in  Händen  gehabt  hat').  AVer  über  diesen 
Zwiespalt  ohne  Correctur  eines  etwaigen  Rechen-,  Gedächtnis-  oder 
üeberlieferungsfehlers  hinwegkommen  will,  der  wird  zwischen  den 
widersprechenden  Nachrichten  irgendwie  durch  Interpretation  zu 
vermitteln  haben*),  sei  es,  indem  er  das  Theater  ausserhalb  Athens 
in  Rechnung  zieht,  sei  es,  dass  er  die  angedeuteten  Ueberschüsse 
bezw.  Abgänge  aus  den  fliessenden  Grenzen  der  usar^  erklärt.  Wer 
aber  an  der  Zahl  607  festhält,  der  muss  meines  Erachtens  eine 
weitere  Consequenz  ziehen.  Es  ist  zum  mindesten  nicht  recht  ein- 
zusehen, wie  dieselbe  Quelle,  der  die  unter  allen'  Umständen  relativ 
kleine  Zahl  607  entstammt,  eine  Zahl,  die  gewiss  von  dem  Ver- 
dacht des  Conventionellen  frei  ist,  in  dem  Ansatz  3()5  für  die 
dpyaia  gerade  die  Grösse  der  Production  hätte  conventioneil  be- 
zeichnen wollen.  Die  Summe  der  Jahrestage  kann  diesem  Zweck 
nur  dienen,  •  solange  sie  nicht  mit  weit  grösseren  Ziflern  gleicher 
Benennung  zu  concurriren  hat,  Sie  kann  symbolisch  sein,  muss 
sie  es  aber?  Im  alten  Iran  ist  am  „Monats-  und  am  Jahrestag  des 
Todes  . . .  eine  Spende  von  dreiunddreissig  Bohnen,  dreiiinddreissig 
Eiern  und  Früchten  darzubringen",  und  im  Rigveda  dringen  neun- 
undneunzig Feinde  auf  Indra  ein^);  wenn  aber  Lope  anno  1618 
333  dramatische  Werke  seiner  Feder  zählt"),  kann  von  Zahlen- 
mystik keine  Rede  sein.  Oder,  um  in  nächster  Nähe  zu  bleiben: 
es  berechtigt  uns  nichts,  die  bloss  durch  unsern  Anonymus  (75  K.) 
verbürgte  Komödienzahl  des  Diphilus,  hundert  nämlich,  deshalb 
in  Zweifel  zu  ziehen,  weil  sie  eine  runde  ist. 

Und  weiter:  wenn  die  Zahl  des  Anonymus  bildlich  zu  ver- 
stehen, um  nicht  zu  sagen  fictiv  ist,  wenn  sie  den  Zweck  hat, 
seine  Unkenntnis  des  wahren  Sachverhalts  zu  verschleiern,  weil  die 
m'vaxs?  ihn  hier  im  Stich  Hessen,  warum  ist  er  so  ehrlich,  von 
Magnes,    dem    ältesten   ihm  nennenswerth  scheinenden  Attiker,  zu 


^)  VIII  336  d  itXefova  x^?  [x^otjs  xoXouu^vyjs  xw|j,u)§{ac  ctvaYvou?  opet|jioTa  tAv 
6xTaxoo(u)v.     Ritschi  Opp.  I  26. 

''')  Meiiieke   h.    er.    271    und   Bergk    a.  a.    0.   äudern  im    Anonymus  ^tC* 


in  (ut 


f 


3)  Kacgi  a.  a.  0.  11  (CO),  Anm.  44:  19  (68). 
*)  a.  a.  0.  p.  438. 


Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische  Komödie.  37 

berichten  (21  K.)  xtov  os  opafi-axtuv  autou  ouSsv  atpCs'oti,  und  er- 
findet nicht  zu  den  elf  Siegen,  die  er  kennt,  und  den  neun  l-tcpspopisva 
ein  oder  meinethalben  zwei  Dutzend  „echter"  Komödien,  wozu  ihm 
die  Ritterparabase  hinlänglich  Stoff  geben  konnte^)?  Dass  er  diesen 
negativen  Befund  aus  den  Zeiten  des  eben  erst  geregelten  astischen 
Agons  getreu  meldet,  scheint  mir  in  Verbindung  mit  dem  Alinea 
auv  xoi?  (|i£uSs7ri7pac5oi?  für  die  documentarische  Beschaffenheit  der 
überlieferten  365er-Summe  ein  nicht  verächtliches  Zeugnis  abzu- 
legen. Es  ist  nicht  anders,  als  wenn  es  bei  Epicharm  heisst 
atpCixai  8e  auxou  opot(i.axa  jx',  wv  avxiXe'^ovxai  o',  oder  bei  Aristo- 
phanes  xa  opcciiaxa  ovxa  xöv  dpiöfiov  jxo',  (Sv  voda  o'.  Zu  leugnen 
ist's  ja  nicht,  die  solenne  Zahl,  der  wir  im  Fall  des  Antiphanes 
die  Unurkundlichkeit  an  die  Stirn  geschrieben  sahen,  erregt  in  dem 
analogen  Fall  a  priori  Argwohn,  aber  nicht  minder  leicht  erkennt 
man,  dass  dergleichen  distinctive  Zugaben  wie  hier  der  Vermerk 
über  die  spuriae  nicht  im  Gefolge  mystischer  oder  doch  symbolischer 
Zahlen  zu  gehen  pflegen. 

Aber  ich  wiW  nicht  vorgreifen  und  wende  mich  den  Daten 
über  die  Stückzahl  der  einzelnen  Komiker  zu.  Da  herrscht  denn 
zunächst  im  Artikel  Kratinos  unter  den  Zeugen  Einklang:  nach 
Suidas  und  unserm  Tractat  hat  er  einundzwanzig  Komödien  ver- 
fasst.  Auf  die  mehrfach  behandelte  Frage,  wie  die  nachweisbar 
höhere  Zahl  erhaltener  Titel  damit  zu  vereinen  sei,  habe  ich  hier 
einzugehen  keinen  Anlass.  Philemons  ansehnliche  Production 
bestimmen  Diodor  XXIII  7  und  mit  ihm  übereinstimmend  der 
Anonymus  mit  97,  bei  Suidas  sYpa'jie  os  xtofiojotot?  irpo;  c,'  muss 
der  Einer  ergänzt  werden.  Epicharm  werden  40  Stücke,  worunter 
4  strittige,  zugeschrieben,  und  so  rechnete  auch,  mit  gering- 
fügiger Differenz,  Lykon'')  bei  Suidas:  iöiooccs  6s  Spaaaxa  vß',  6); 
6s  iVuxtuv  <p-/jai,  Xc'.  Das  sotootgs  wird  man  gegen  das  a«>Csxat  des 
Anonymus  nicht  ernstlich  geltend  machen  wollen;  dass  der  Frag- 
mentbestand in  der  That  auf  Bö,    höchstens  36  Titel    führt,    ent- 

')  Leo  Rh.  Mus.  XXXIII  UO. 

2)  Der  Pythagoreer  dieses  Namens  (Athen.  X  418  e,  vgl.  Müller  frg.  hist. 
II  370,  Wilamowitz  bei  Kaibel  p.  88)  hatte  wohl  in  der  Schrift  über  den 
rjuScf/opet');  ßto?  hinlänglichen  Anlass,  von  dem  Affiliirten  Epicharm  und  dessen 
Nachlas»  zu  handeln. 


38  Siegfried  Meliler, 

scheidet  zwar  nicht  gegen  Snidas'  hohen  Ansatz,  macht  ihn  aber 
bedenklich').  Von  Eupolis'  19  oder  mit  Uoppelzählnng  des 
AÜToXuxos  20  überlieferten  Titeln  kommen  vorweg  5  in  Abzug, 
hierunter  die  Vaxcovss  und  '  Yßpiatootxat.  Bleiben  mit  Einrechnung 
der  ErXtüte?  14,  sämmtlich  im  Athenäus  vertreten,  die  vortrefflich 
bezeugten,  aber  früh  verschollenen  Noufir^vtctt  ausgenommen.  Dazu 
stimmen  genau  des  Anonymus  Worte  ■Ye^pazxat  os  autcu  opd\iaTa  i5', 
ohne  dass  darum  Suidas'  tC  verworfen  werden  müsste,  der  nur 
wahllos  Echtes  mit  Unechtem  zusammengethan  haben  wird.  Aehn- 
liche  Bewandtnis  hat  es  mit  Krates,  der  nach  dem  höchsten 
Ansatz*)  acht,  nach  dem  niedrigsten  (sc  Suid.  A)  sechs  Stücke 
verfasst  hat,  während  der  Tractat  von  sieben  Komödien  spricht,  und 
diese  Zahl  resultiert  aus  Athenäus'  Citaten,  wenn  manmitKockp.138 
und  Kaibel  (Ath.  III  p.  601)  die  nur  einmal,  IX  369c,  figurieren- 
den 'Pr^tope?  in  'Hptuö?  verwandelt.  Magnes  betreffend  wird  es, 
um  die  Glaubwürdigkeit  des  Anonymus  abzuschätzen,  der  elf  Siege 
verzeichnet'),  auf  den  Widerspruch  hinzudeuten  genügen,  der 
zwischen  Suidas'  Angabe  iSioa^s  xtuiiwoia^  i>',  vt'xot?  os  sDvS  ß'  und 
dem  Kronzeugen  Aristophanes  besteht.  Ritt.  521  8;  TiXsTaxa  /opojv 
t(ov  avxnraXwv  vixtjc  sSTr^oe  xpoTzciXci.  (Schol.  suooxifituv  6  M.  izoWä^ 
vixa?  dTCTivrfxaTo),  Auch  der  Anonymus  bucht  neun  Stücke,  aber 
es  sind  sTriöspofieva*).  Das  'volle  Vertrauen',  das  Bergk  Rh.  Mus. 
XXXIV  318  (Opp.  II  490)  den  zwei  Siegen  bei  Suidas  bezeigt, 
entzieht  er  ihnen  wieder  Gr.  Litg.  IV  47,  mit  gutem  Grund  inso- 
fern, als  Suidas'  neun,  ex  silentio  zu  sclüiessen  für  echt  genommene 
Komödien  mit  der  um  zwei  grösseren  Siegeszahl  schlechterdings 
unvereinbar  sind.     Die  Ausgleichung  des  Widerstreits  in  der  Tra- 


>)  S.  Bergk  de  reliq.  com.  Att.  149,  wo  fjiß'  für  vß'  vcrmuthet  wird,  Lorentz 
Epich.  p.  147,  Kaibel  p.  89. 

=0  Liste  bei  Kaibel  p.  10  (Mein.  Com.  1  p.  541,  Duebn.  Schol.  Arist.  n. 
VIII,  Bergk  Prolegg.  n.  VIl). 

9)  Mein.  h.  er.  p.  30. 

*)  Wenn  Bergk  Litg.  a.  a.  0.  vom  ersten  Dionysos  im  Gegensatz  zur 
Diaskeuase  des  zweiten  durch  Krates  vermuthet,  er  habe  sich  iu  der  „ursprüng- 
lichen Form"  erhalten,  so  weiss  ich  dies  mit  Athenäus'  Bericht  nicht  zu  ver- 
einen: IX  367  f  6  t4  ei«  MotyvTjTo  etvo«pep(5|xevo  itoti^aa«  ev  A.  TipiÜTip 
(frg.  2  K.). 


Zu  den  Nucliriehteu  über  die  griechische  Komödie.  39 

dition  hat  aber  gerade  hier  den  Anhaltspunkt  in  dem  IJmstand, 
dass  Magnes  den  Umschwung  zur  staatlichen  Choregie  mitgemacht 
und  auch  nach  der  Regelung  des  Agons  Siege  errungen  hat^). 
Die  elf  Siege  mögen  also  immerhin  sich  aus  neun  vorher  und  zwei 
später  gewonnenen  summiren.  In  der  Reihe  der  sieben  Attiker  der 
ap/ott'ct,  welche  der  Anonymus  als  deren  a;ioXo7a)Taxot  skizzirt, 
ist  Magnes  der  Erste  und  Einzige,  von  dem  gesagt  ist  a7(ovtaa[x£vo? 
'AOr^vr^ai  vixa?  l^xt"^^  ein  deutlicher  Fingerzeig,  wie  mir  scheint, 
dass  er  ihm  bezw.  der  Quelle,  aus  der  er  selbst  schöpft,  als  der 
erste  namhafte  Komiker  gilt,  dem  der  Fortschritt  zur  staatlichen 
Choregie  zu  gute  kam.  Das  Vertrauen  in  Suidas'  kleine  Zahl  ent- 
behrt mithin  nicht  ganz  der  Berechtigung,  nur  deuten  allem  An- 
schein nach  die  beiden  Daten  }>'  und  ß'  auf  eine  Wirrnis  seiner 
(Quelle  und  auf  deren  nahe  Berührung  mit  unserm  andern  Gewährs- 
mann; denn  es  ist  wohl  nicht  zufällig  geschehen,  dass  die  Zahl  11 
der  Ziffer  summe  der  von  Suidas  gerechneten  Stücke  und  Siege,  zugleich 
aber  der  erste  dieser  Summanden  dem  Quantum  der  beim  Anonymus 
als  unecht  erwähnten  Komödien  gleichkommt.  Da  war  es,  wenn 
im  Quellbericht  nicht  volle  Klarheit  herrschte,  für  einen,  der  sich 
aufs  Subtrahieren  der  Aepfel  von  den  Birnen  verstand,  nicht  schwer, 
das  herauszuspinnen,  was  wir  jetzt  im  Suidas  lesen. 

Es  erübrigen  noch  Aristophanes,  wo  der  Biograph  und 
Suidas  das  richtige  }io'  haben,  im  Anonymus  aber  (und  bei  Thomas) 
der  offenkundige  Schreibfehler  vS'  stört,  und  Menander,  dessen 
108  Stücke  neben  dem  Anonymus  die  Concordanz  Sueton  Cosconius 
Gellius  Suidas  bezeugt  gegen  Apollodors  allerdings  gewichtige  Auto- 
rität, TTpo;  Toiaiv  sxaiöv  TCvte  -j'pa'];«?  opatjLaTa*). 

Zugegeben  also,  dass  die  vom  Ungenannten  mitgetheilten  Pro- 
ductionszahlen  theilweise  Anfechtung  in  den  Parallelberichten  er- 
fahren,   so    bekunden  sie  doch   ihrerseits  den  pragmatischen  Cha- 


')  Koehler  Mitth.  d.  arch.  Inst.  JII  105.  Dittenberger  Syll.  405  und  dazu 
Leo  a.  a.  0.  und  Bergk  ebd.  XXXIV  301  (Opp.  II  474). 

*)  Gellius  XVII  4.  Die  Variante  daselbst,  hundertundueuu  Dramen,  be- 
ruht vielleicht  nur  auf  Verlesung  der  apollodorischen  Zahl,  ps'  —  p&'.  Ein  ganz 
ähnlicher  Fall  bei  Suidas  s.  «Pepex'jorji;  ^üpio;,  wo  Rohde  Rh.  M.  XXXIIl  205  die 
Olympiade  |i.e'  in  jjid'  corrigirt. 


40  Siegfried  .Mekler, 

rakter  des  Artikels  mit  hinlänglidier  Deutlichkeit.  Dies  <,nlt  auch 
von  der  Chronologie.  Es  kommt  dabei  nicht  so  sehr  darauf  an, 
dass  die  Anordnung  der  Namen  (dpyaia  14,  15  und  §§  4 — 11, 
via  64,  die  Partie  der  jisarj  ist  durch  einen  Fehler  und  eine  Lücke 
entstellt,  s.  u.)  auf  guten  didaskalischen  Gründen  beruhend'), 
im  Grossen  und  im  Einzelnen  ebenso  verlässlich  ist  wie  die  ge- 
legentliche Namhaftmachung  der  Eponymi  (32  corrumpirt,  37,  43, 
71  von  Clinton  nach  Eusebius  gebessert);  wichtiger  ist,  dass  neben 
der  exacten  Datierung,  je  nach  dem  Grade  der  erreichbaren  Bestimmt- 
heit, andere  Formen  des  Zeitansatzes  einhergehen,  die  sich  ander- 
weitig controliren  lassen  und  fast  durchweg  der  Prüfung  Stand 
halten:  einmal  die  Beschränkung  auf  einen  Terminus  a  quo  oder 
ante  quem,  Kratinos  siegt  jicxa  tyjv  tts'  öX.,  Antiphanes  -»jp^axo  SiSaaxsiv 
jie-a  T7)v  r,rj'  6X.,  Philemon  sStöace  -po  ttj?  ptf  oX.  *),  dann  wieder 
die    Anknüpfung    des    jüngeren  Meisters    an    den    altern,    Krates 


1)  Vgl.  z.  B.  die  Folge  "Kratinos  .  .,  Pherekrates  Phrynichos  Eupolis  mit 
dem  entsprechenden  Stück  der  Siegerliste  Mitth.  des  arch.  Inst,  lll,  241 
Dittenb.  Syll.  425,  b  (1),  Z.  13—18. 

^  An  der  Antiphanesstelle  vermuthet  Meineke  h.  er.  304,  ohne  eine  Be- 
gründung hinzuzufügen,  xaxa  für  (xexct.  So  auch  Bergk  stillschweigend  Gr. 
Litg.  IV  144  64,  der  ebendaselbst  2161=5  und  Opp«  11485  40  das  Philemon  be- 
treffende Datum  gewaltsam  genug  ändern  will.  "Was  endlich  Kratinos  anlangt 
unterliegt  ja  die  Zahl  selbst  nicht  geringen  Bedenken.  "Wenn  der  Dichter 
wirklich  zwischen  ol.  89,1  (Pytine)  und  3  (Frieden)  als  Siebenundneunziger 
gestorben  ist  (Maxpi^ß.  25),  hatte  er  ol.  85  die  Achtzig  erreicht  oder  überschritten 
Um  nun  die  Unwahrscheinlichkeit  zu  mindern,  dass  erst  der  Hochbejahrte  Er- 
folg auf  Erfolg  erzielte,  und  zugleich  für  die  (9)  Siege  —  einer  davon  eben 
mit  der  Pytine  im  höchsten  Alter  ernuigen  —  Raum  zu  schaffen,  hat  man  die 
Zahl  reduciert:  fAETot  ty)v  Tza  Westermann  Biogr.  162  und  Bergk  LG.  IV  50, 
xoxa  T7)v  Tia  Meineke  h.  er.  45,  {Aexä  ttjv  1:  Bergk  ProU.  p.  VII.  Eines  scheint 
mir  gewiss:  die  auf  so  engem  Raum  sich  häufenden  „unbestimmten"  Datierungs- 
formen  dienen,  wie  schon  Dindorf  gesehen  hat,  einander  zur  Stütze.  Die  Prä- 
position und  die  Zahl  sind  in  der  Angabe  ül»er  Kratinos  haltbar,  wenn  die 
eben  in  ol.  85  fallende  Einschränkung  der  Komödie  (Schol.  Acharn.  67,  vgl. 
Mein.  h.  er.  40,  Clinton  f.  h.  61),  die  keinen  eini)tindlicher  treffen  konnte  als 
den  Dichter  der  Euvei8at,  ins  Auge  gefasst  und  diese  Zeit  als  ein-  Iluhepunkt 
in  seiner  Laufbahn  betrachtet  wird,  nach  welchem  der  Unverwüstliche  noch 
neue  Triumphe  erntete.  Daher  ich  einen  kleinen  Ausfall  annehmen  möchte:  vtxä 
<eTt  7.111)  \n-A  TTjv  T.t  61.,  wobei  der  Grund  des  Uebersehens  auf  der  Hand  liegt- 


Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische  Komödie.  41 

£7:ißsßX>]x£  Kpaiivo),  dessen  Schauspieler  er  anfänglich  ist  (vgl.  38 
I'hiynichos  und  Eupolis,  74  Diphilos  und  Menander);  steht  kein 
Name  eines  Zeit-  und  Kunstgenossen  zu  Gebote,  wie  bei  Epicharm, 
dem  isolirt  bleibenden  Sicilier,  muss  die  Akme  xaxot  xr^v  07' 
oXutiTTtaSa  genügen,  und  lag  nichts  vor,  als  was  aus  Aristoteles') 
zu  entnehmen  war,  dass  der  eben  genannte  Komiker  ttoXXo)  Tcpoxspo? 
war  als  Chionides  und  Magnes,  so  rührt  der  Anonymus  nicht  weiter 
an  die  heikle  Zeitfrage  und  beschränkt  sich  darauf,  den  altfränki- 
schen Attiker  mit  der  Parabase  der  Ritter  vor  Kratinos  zu  postiren. 
Wer  diese  discrete  Haltung  noch  weiter  verfolgen  will,  kann 
noch  mancherlei  entdecken,  was  der  Meister  des  compendiären 
Lapidarstils  weise  verschweigt.  Dahin  gehört  z.  B.,  dass  über  Eupolis' 
Todesart,  dieses  Schulbeispiel  der  literarischen  Legende,  nicht  ein 
Wort  verlautet,  dahin  auch  das  Hinweggehen  über  Piaton  gegen 
Dio  Chr.  XXXUI  9  und  den  Anonymus  bei  Kaibel  p.  14  b.  36; 
15,  72;  und  wenn  er  diesen  rühmlichen,  auf  der  Grenze  der  ap5(aia 
und  filsT]  stehenden  Namen  ^)  unterdrückt,  dafür  wieder  Posidipp 
unter  den  Koryphäen  der  vsa  nicht  vergisst,  der  in  der  Liste  des 
Coisl.  und    Bodl.  fehlt,    so  merkt  man  die  Selbständigkeit  gegen- 


»)  Poet.  3.  1448  a  34. 

2)  Cobet  obs.  crit.  p.  114  ff.,  Muhl,  Zur  Gesch.  d.  alten  att.  Kom.  p.  94. 
—  Ich  nehme  die  Gelegenheit  wahr,  die  Frage  aufzuwerfen,  ob  die  Worte, 
mit  denen  der  ungenannte  Epistolograph  bei  Gramer  An.  Ox.  III  195,7  sein 
Citat  aus  dem  Komiker  (frg.  192  K.)  einführt,  nXaxujv  8e,  ahy  6  cpiX-^Jaocpo;, 
dXX'  6  -/(ufxixmxaxo;,  nicht  einer  kleinen  Nachbesserung  bedürfen.  Nach  Gramer 
steht  nämlich  im  Codex  xepa[xtxu)xaxos,  was  Meineke  corrigierte,  dem  Nauck 
Arist.  Byz.  p.  132  wie  Kock  a.  a.  0.  stillschweigend  gefolgt  sind.  Ist 
aber  der  irrthümliche  Uebergang  eines  wohlverständlichen  Epitheton  in  eine 
corrupta  vox,  wie  Meineke  sagt,  irgend  wahrscheinlich?  Die  Entstellung  wird 
begreiflicher,  wenn  das  verdrängte  Wort  von  der  Ileerstrasse  des  Gewöhnlichen 
etwas  abseits  lag.  Wer  sich  der  x^poi  Yuvatxi^toi  x^pxo[^.oi  der  Aegineten  bei  Herodot 
V  83  (vgl.  Boeckh  C.  I.  G.  766)  oder  der  Bezeichnung  des  Eupolis  und 
Aristophanes  als  oetvol  ötvops;  l7:ixepxo(j.Tiaai  xa  a£|j.va  bei  Luk.  bis  acc,  33,  832 
oder  endlich  Aelians  v.  h.  II  13 :  (Sokrates)  Setvüi;  -/axecppdvet  ,  ,  .  dvopÄv 
•/epxo|x(uv  xat  ußptaxüiv  xal  uytls  Xeydvxiov  ouoev  erinnert,  wo  x(U[aiji5oi  im  allge- 
meinen gemeint  sind,  aber  neben  dem  besonders  genannten  Dichter  der 
Wolken  auch  der  der  Sophisten  mitverstanden  werden  kann  (natürlich  nicht 
muss),  der  wird  sich  nicht  bedenken,  aus  der  Vorderbniss  vielmehr  xepxo- 
{Aixwxaxoi;  herauszulesen. 


42  Siegfried  Mokier, 

Über  dem  festen  Canon.  Mit  einem  Wort  sei  weiter  auf  die  sor«!- 
liche  Aufnahme  der  jeweiligen  Besonderheiten  des  Thatbestandes 
hingewiesen.  Bei  Phrynichos  hat  es  an  dem  Hinblick  auf  den 
gleichnamigen  Tragiker  nicht  gefehlt  (die  Stelle  ist  jetzt  lücken- 
haft), es  ist  Krates'  und  Pherekrates'  schauspielerischer  Anfänge 
gedacht,  an  vier  Hauptnamen  der  dp/ai'a  schliesst  sich  die  Hervor- 
hebung des  vorbildlich  wirkenden  Tragikers  oder  Komikers,  einer 
scenischen  Neuerung  des  Krates,  der  auch  durch  Athenäus  ge- 
sicherten Einführung  der  Figur  des  Betrunkenen,  ist  die  Priorität 
gewahrt,  ein  Kratinos'  Todesjahr  betreffender  Ansatz,  ungewiss  ob 
mit  Kecht  oder  nicht,  durch  ein  Citat  aus  dem  Frieden  gestützt,  die 
nirgends  verabsäumte  Registrierung  der  Herkunft  der  Dichter  bei 
Philemon  (wo  ihr  freilich  Strabo  widerspricht)  und  Antiphanes 
noch  durch  Notizen  über  den  Civilstand  ergänzt,  u.  a.  Nennens- 
werth  ist  wohl  auch  die  reservierte  Art,  wie  im  Eingang  Susarions 
und  der  Anfänge  Erwähnung  geschieht,  ttjv  xoDtxwotav  r^()pr^a\ia^. 
(sacsiv  uTtö  2oütjapta>vo?,  verglichen  mit  der  apodiktischen  Sprache 
der  Hionysscholien  und  der  weiteren  Spätlinge  bis  auf  Tzetzes 
herab  (p.  77  Kbl.),  denen  allen  der  Tripodiskier  der  unantastbare 
Archeget  des  i'ajjLßos  oder  der  TroanTj,  der  sjxjxsTpo?  xtufimSia  oder 
der  Gattung  schlechtweg  ist.  Im  Artikel  Antiphanes  kehrt  die  vor- 
sichtige Wendung  wieder:  cpaalv  aüxöv  -^evisöai  jxev  xäv  d-b  Stcs3(xki(x<; 
£x  Aapt'cjcjr^s,  7rapsYYpa<p9jvai  os  zU  ttjv  'AOrjvai'tov  TroXiteiav  6u6  A/jtxo- 
cf^svou?.  -ysvs'aöai  02  XsYoutJiv  au-ov  eu'fuiaxaiov  eu  tö  7poccp2tv  xotl 
SpajxaTOTroisiv.  Man  würde  der  letzten  dieser  Mittheilungen  nicht 
gerecht,  wenn  man  sie  neben  der  alsbald  nachfolgenden  Angabe 
der  phänomenalen  Nachlassziffer  (s.  oben  S.  .S4)  eine  zwecklose 
Selbstverständlichkeit  nennen  wollte;  sie  geht  wohl  sicherlich  auf 
Aussagen  von  Zeitgenossen  des  Dichters  zurück,  die  damit  der 
flinken  Mache  ihre  Anerkennung  spendeten.  Der  vorangehenden 
Doppelnachricht  stehen  einerseits  Bedenken  von  Seiten  der  Chrono- 
logie^), andererseits  abweichende  Ueberlieferungen  entgegen').  In 
diesem  Lichte  besehen,  lassen  auch  die  Vermerke  über  Krates, 
uTToxpiTT^v  'fast  ^s-yovsvat,  und  Aristophanes,  xac  ixoXtxixA?  toux(|)  (dem 

»)  Mein.  h.  er.  p.  308. 
2)  Mein.  ebd.  p.  307. 


Zu  den  Nachrichten  über  die  griechisclie  Komödie.  43 

Kallistratos)  cpaatv  autov  SiSdvai  xxX.,  die  Möglichkeit  zu,  dass  des  Un- 
genannten ungenannter  Gewährsmann  einer  Skepsis  Raum  gab,  zu 
deren  Anlass  wenigstens  in  dem  zweiten  Falle  noch  eine  Spur  hin- 
zuführen scheint:  ich  meine  die  gegensätzliche  Versicherung  der 
vita,  wonach  für  die  Sr^jiOTixoti  Philonides,  nicht  Kallistratos  einge- 
treten wäre  ').  Reserve  spricht  schliesslich  aus  dem  über  Menander 
(icsagten,  auvotatpt^J^a?  xa  TroXXa 'AXe^ioi  ütto  toutou  ooxei  TratosuOrjvai. 
Der  Aufgabe,  die  Charakterismen  selbst  analytisch  durchzu- 
gehen, bin  ich  wohl  überhoben.  In  ihrer  prägnanten  Gedrungenheit 
bieten  diese  wortkargen  Urtheile  über  das  Wesentliche  der  Epochen  *) 
und  die  Eigenart  der  Meister^),  an  Platonios,  Quintilian,  Plutarch 
und  anderen  Kritikern  gemessen  und  auf  ihren  Gehalt  geprüft,  trotz 


»)  Kock  De  Philon.  et  Callistr.  p.  17. 

'■')  Nur  die  (xesT)  (49 — 54)  weist  Viergliedrigkeit  der  generellen  Angaben 
auf:  Charakterisirung,  Dichterzahl,  Stückzahl,  Koryphäen.  Im  Capitel  der  dpyaia 
vermisst  man  vor  xal  cp^pe-rat  das  zweite  dieser  Glieder:  es  ist  auch  schwer 
glaublich,  dass  die  Zahl  der  Autoren  nicht  mit  der  der  Stücke  zusammen  auf- 
bewahrt worden  wäre.  Nur  dem  Zufall  schreibe  ich  ihr  Fehlen  an  einer  Stelle 
zu,  die  eine  Auslese  der  acht  besten  Köpfe  von  Epicharra  bis  auf  Aristophanes 
bietet  und  ausdrücklich  als  Auslese  bezeichnet .  —  In  dem  Passus  von 
der  v^a  sind  nur  zwei  Glieder  vorhanden,  der  )(apaxTr]pia[j.o?  und  die  Zahl  der 
Dramen  fehlen.  Nur  diese  will  Kaibel  Z.  65  ergänzt  wissen;  warum  nicht  auch 
jenen?  Da  sowohl  Z.  15/16  als  54/55  die  Einzelbehandlung  der  Komiker 
sich  unmittelbar  an  die  Liste  der  d;toXoY(uTaTot  anschliesst  und  auch  Z.  65/66 
auf  den  letzten  Namen  in  der  v^a-Liste  der  Artikel  Philemon  folgt,  da  andererseits 
vor  63  der  Ausfall  des  Artikels  Alexis  sicher  steht,  nehme  ich  an  dieser  Stelle 
eine  umfassendere  Lücke  oder  vielmehr  deren  zwei  an:  ttj?  8e  vea?  /Cü)[xo)o{a; 
<ol  Tiotr^xat,  worauf  vielleicht  folgte:  behielten  die  Praxis  der  [tiari  bei,  vgl.  z.  B. 
Platonios  65  Kbl.  .  ,  .  x^j  [jiev  oüv  (vgl.  Z.  49,  52)  v^a;  xüjpiiijSia;)  yeyovaai  [i.ev 
rroiTjTol  58',  (to6tu)v  81  Spctfxaxa  cp^pexat  .  .  .,)  ä;ioXoyu)xaxoi  xxX. 

')  Das  yvwfxtxd«  in  der  Charakteristik  Epicharms  ist  Kaibel  geneigt  auf 
Rechnung  der  notorischen  Falsa  zu  setzen,  die  sich  an  diesen  Namen  knüpften 
(vgl.  p.  133  ff.).  Aber  gesetzt  auch,  vä^e  und  vdos  öprj  und  anderes  gleich 
oder  minder  namhafte  Kernwort  wäre  dem  vafer  Siculus  fremd  oder  doch 
seinen  Bühnenwerken,  so  bleibt,  wie  mich  dünkt,  selbst  in  den  dürftigen  Resten 
genug  des  zweifellos  Echten  an  sententiösem  Gut  übrig.  Ich  nenne 
frg.  78  j  Kbl.  oto|xat  S'ouSel;  ex(i>v  7:ovT)pö;  oio'  öfxav  e/cuv,  101  ä  o'  'Ats^yia 
■/opt'easa  -('jy-i^  xat  ^(ucppoo-iva.;  TrXaxt'ov  oixel,  116  TioXXot  axaxTjpe;,  dTto- 
ooxfjpec  O'jöa.uel,  131  ix  7:avxö;  SüXou  -aXu^oz  •(i^oiz''  3v  %al  Oeo;  (formal  entstellt 
überliefert),  132  ojx  eaxt  oiS'jpafjtßoc  oy./^  üöwp  izirfi,  jedes  aus  einem  anderen 


44  .Siegfried  Meiiler, 

oder  wogen  ihrer  I  nii])hängiglveit  von  der  literargeschichtlicheii 
A'ulgata  jede  mögliclie  Gewähr  der  Ilerleitung  aus  tretVIichen  Ur- 
sprüngen. Wohlverdient  ist  gerade  nach  dieser  Seite  Meinekes  Lob, 
accuratissimus  scriptor  et  qui  optimis  auctoribus  usus  est '),  wie  denn 
der  Ungenannte  auch  für  Wilamowitz  Herrn.  IX,  335  ^  ein  auf  dem 
auserlesensten  pinakographischen  Material  fussender  Zeuge'  ist 
und  Kaibel  selbst  kein  Bedenken  getragen  hat,  vom  Tractat  als 
einem  commentaviolum  haud  dubie  ex  litterariae  historiae  compendio 
aliquo  excerptum  zu  sprechen,  einem  Document  also,  in  dem  wir 
überrascht  sein  müssten,  handgreifliche  Autoschediasmen  von  der 
Art  der  bloss  symbolisch  gemeinten  365  zu  finden.  Nach  allem 
hierüber  Bemerkten  dürfte  indess  kaum  mehr  ein  Zweifel  hinsicht- 
lich des  statistischen  Werthes  der  fraglichen  Zahl  und  ihrer  Her- 
kunft aus  döm  bibliographischen  Betrieb  der  hellenistischen  Gelehr- 

Stück  Epicharms  mitgetheilt;  dazu  vielleicht  140  ötyXeyx^;  lat  dcvSpcuzo«,  sicher 
165  dtXXa  xal  aiyTJv  ayaO'iv,  oxxa  Trap^wvTt  xctppovec,  173,  217,  221,  228,  allen- 
falls 168,  216. 

Aristophanes  heisst  §  11  [jLaxpoXoywxaTO;  'A8rjva(u)v  xat  eicpuia  zotvTa; 
'jrepat'ptuv,  und  so  schreibt  Bcrgk,  ohne  Zweifel  zu  äussern,  in  Meinekes  Fr. 
Com.  II  2,  908  und  in  den  Prolegg.  p.  XXXII.  Meineke  selbst  erwähnt  I 
p.  536  Bentleys  Yermuthung  (i-axpiu  XoyicuTaTos,  die  dann  von  Westcrmann, 
Dübner,  Dindorf  und  Kaibel  recipirt  erscheint,  vom  Letztgenannten  unter  Vor- 
briugung  des  neuen  Vorschlages  cälioXoyüJTaTo;  täv  äpycti'ujv.  Doch  möchte  ich 
der  Erwägung  anheimstellen,  ob  nicht  das  Teberlieferte,  aus  einer  weitläufigeren 
Darstellung  entnommen  und  von  llaus  aus  nicht  bestimmt,  an  die  Spitze  des 
dürftigen  Berichts  zu  treten,  den  wir  es  jetzt  einleiten  sehen,  den  Meister  der 
Ittt)  TptTn^/T)  bedeuten  sollte,  der  mit  den  äpyaiojjiEXtatoujvocpp'jvtyj^paTa  und 
hundert  anderen  ebenso  verwegenen  Bildungen  bis  zu  dem  73  silbigen  Ragout 
der  Ekklesiazusen  die  Kunst  eines  Pratinas  und  Philoxenos  in  den  Schatten 
stellt  und  noch  den  byzantinischen  Painphletisten  (Matranga  Anecd.  2,  624  ff., 
vgl.  Nauck  Bem.  zu  Kock  Com.  att.  frg.  176)  zu  krampfhafter  Nachahmung 
begeistert.  Wer  auf  diesem  Felde  so  Erstaunliches  leistete,  der  verdiente, 
auch  wenn  ihm  sonst  nichts  Grosses  gelungen  wäre,  den  Superlativ  so  gut  wie 
Euripides  den  des  -rpaYtxwTaTos  und  Pherokrates  den  des  äTTtxiuxoTO«.  Wie 
anders  aber  hätte  man  den  Virtuosen  im  Erfinden  der  scs(pii[)odalia  verba 
nennen  sollen  als  „das  Nonplusultra  des  |xaxpoX(iYo;'' ?  Ein  Misverständnis, 
und  welches  Homonymen  wäre  dem  nicht  ausgesetzt,  stand  doch  nicht  /u 
befürchten. 

')  Vgl.  die  Aeusserungen  Bergks  Comm.  de  rel.  p.  269  und  Lorentz' 
Epich.  p.  147  in  gleicher  Sache. 


Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische  Komödie.  45 

samkeit  bestehen.  Der  Versuch,  die  Probe  auf  das  angefochtene 
Datum  zu  machen,  ist  vielleicht  nicht  gänzlich  aussichtslos,  doch 
die  Umstände,  mit  denen  ein  derartiger  Ueberschlag  zu  rechnen 
hätte,  sind  nicht  eben  danach  angethan,  zu  dem  Unternehmen  auf- 
zumuntern; im  Gegentheil.  Nur  eine  sehr  ungefähre  Abschätzung 
liegt  im  Bereich  der  Möglichkeit.  Wollte  man,  um  nur  ein  Bei- 
spiel zu  geben,  unter  stetiger  Rücksicht  auf  die  schwankende 
Grundlage  solcher  Berechnungen  mit  ihren  mannigfachen  Fehlerquellen, 
die  zu  Gebote  stehenden  Zahlen  für  Aristophanes,  Hermipp,  Epicharm, 
Piaton,  Theopomp,  Kratinos,  Pherekrates,  Eupolis,  Strattis,  Phryni- 
chos,  Alkaios,  Nikochares,  Philyllios,  Magnes  (mit  den  oben  be- 
sprochenen Vorbehalten),  Krates,  Ameipsias,  Telekleides,  Archipp, 
Kallias,  Kantharos,  Diokles,  Nikophon,  Polyzelos,  Apollophanes, 
Metagenes,  Sannyrion  und  Kephisodor  (Productionszahlen  von  44 
bis  auf  4  herab),  daneben  auch  die  Namen  mit  dem  Maximum  von 
drei  Stücken,  wie  Myrtilos,  Philonides,  Aristonymos,  Aristomenes, 
Hegemon,  Lysippos,  Leukon,  Aristagoras,  Eunikos,  Demetrios,  Epi- 
lykos,  Euthykles,  Autokrates  berücksichtigen,  so  ergäbe  sich  in  der 
That  die  nur  um  ein  Geringes  höhere  Summe  von  ±  380  Komödien. 
Genauigkeit  ist  ja  nicht  erreichbar,  auch  wenn  die  bloss  aus  den 
Siegerlisten  bekannten  Namen  ganz  aus  dem  Spiel  gelassen  werden. 
Ich  lege  also  auf  diesen  Calcül,  der  sich  allenfalls  durch  Abzug 
Piatons  (s.  oben  S.  41)  oder  andere  Momente  reduciren  Hesse, 
kein  Gewicht. 


In  dem  Tractat  scheint  ein  Collegienheft  vorzuliegen,  das  bei 
aller  tabellarischen  Kürze  noch  gelegentliche  Spuren  des  Originals 
bewahrt,  aus  dem  vorgetragen  ward.  Auf  20  MaYv/j?  6s,  69  MsvavBpoc 
OS,  wie  auf  das  jisv  ouv  55.  66  hat  Kaibel  aufmerksam  gemacht; 
zu  letzterem  konnte  noch  11  ot  jisv  ouv  .  .  .  irof/jxai  verglichen 
werden.  Mindestens  zwei  Stellen  erachte  ich  für  die  Annahme, 
dass  dem  Schreiber  dictirt  ward,  beweiskräftig:  einmal  Z.  16,  wo 
es  befremdet,  dass  gleich  der  erste  Name  samt  dem  Ethnikon 
('Eirt/apjxo?  l'upaxooiioc)  ergänzt  werden  muss.  Die  Erklärung  des 
Ausfalls  suche  ich  darin,  dass  der  Nachschreibende  mit  der  Auf- 
nahme   der    eben  vorhergehenden  Liste    von   acht  Namen   ins  Ge- 


46  Siegfried  Mekler, 

dränge  kam  und  sein  Vorhaben,  den  einstweilen  unterdrückten 
Namen  des  ^px^iY^"''!^  nachzutragen,  nicht  mehr  auszuführen  Ge- 
legenheit bekam.  Bei  der  Voraussetzung,  dass  ein  Original  copiert 
wurde,  ist  ein  Anlass  für  die  Lücke  nicht  gut  abzusehen.  Aehnli(  li 
steht  es  Z.  54.  Neben  Antiphanes  hörte  der  Schreiber  Alexis 
nennen,  gleich  nachher  aber,  ehe  er  noch  den  zweiten  Matador 
der  fxearj  notirt  hatte,  vernahm  er  'Avxicpavr^*  ^rsoavou  (55)  und 
der  Name  floss  ihm  irrthümlich  in  die  Feder.  Dass  den  Augen 
ein  solches  Abirren  widerfahren  sein  sollte,  ist  auch  bei  grosser 
Flüchtigkeit  schwer  zu  glauben.  An  Lücken  mangelt  es  ja  auch  sonst 
nicht:  von  Pherekrates  an  mehren  sie  sich  zusehends,  s.  3(),  G2,  75. 
Uebrigens  beruht  u.  a.  das  verkehrte  s-l  Uscx'-pou  im  Pherekrates, 
das  Dobree  mit  allgemeiner  Zustimmung  in  den  Archontennamen 
corrigiert  hat,  auf  einem  Sehfehler.  Alles  in  Allem  genommen  ist 
jedoch  der  Anonymus,  in  dem,  nebenbei  gesagt,  auch  von  Inter- 
polationen keinerlei  Spur  zu  finden  ist,  verhältnismässig  gut  er- 
halten, und  dazu  stimmt  es,  wenn  die  Zeichen  nicht  trügen,  sehi- 
wohl,  dass  der  Text  ein  paar  nicht  gerade  beträchtliche,  aber  un- 
verkennbare Versspuren  fast  unversehrt  mitbewahrt  hat: 

1.  irptoTO?  (Kpatr^?)  {jLsOuovxa?  sv  x(otjL(t)oia 

2.  (Pherekrates)  tou  ixb  Xotoopiiv 
(axwTTtsiv  x' ?)  aTrsaxT),  irpaYfiaxa  8' £fcr^70U{jievo? 
xatV   YjuSoxtast,  "('svojisvo;  eupextx  {(oxax?)  o? 

IXÜ&tOV. 

3.  (Eupolis)  C^X(ov  Kpaxivov,  (ou)  TtoXu 
xö  Xoi'oopov  xal  (jxaiov  Ijupatvei  «  — . 

4.  (Aristophanes)  sTrsixa  [x(p]  uup  ioioou  xa  opajjLotxa, 
ovxot  xov  apii>[x6v  xexxapaxovxa  xsxxapa. 

5.  (Philemon)  ixsxeaxs  oh 
XTi?  xu>v  'AOr^vai'tüV  TroXixstac  •*   — 

u  —  o  7£"^ovs  0    eücpusaxaxo?  iravu. 
Einer  der  beiden  Namen,  welche  in  Verbindung  mit  dem  Tri- 
meter  auf  Menander,  8?  aaxpov  loxi  x9)?  via;  xu)txu)oia?,  (Schol.  Dion. 
Thr.  15,  75  Kbl.) ')  genannt  worden  sind,  Aristophanes  von  Byzanz 

»)  Mein.  Com.  I  560,  Duebn.  Schol.  Aristoph.  p.  XXII,  Bergk  Piolegg.  in 
Arist.  p.  XLII. 


Zu  den  Nachrichten  über  die  griechische  Komödie.  47 

und  Apoll  od  or  von  Athen  ^),  käme,  falls  nicht  doch  ein  neclcender  Zu- 
lall Reste  versiiicirter  STiicpavÄv  dvSptuv  ßi'ot  (ApoUodor  bei  Pseudo- 
Skyran.  30)  vortäuscht,  als  Quelle  unseres  Tractats  vor  Allem  in 
Betracht;  doch  mit  unseren  Mitteln  können  wir  nicht  viel  mehr  be- 
haupten, als  dass  der  Augenschein  den  Gedanken  an  Benutzung 
eines  Carmen  scholare  nahelegt,  woraus  versprengte  Trümmer  irgend- 
wie in  das  Excerpt  geriethen. 


■)  Jener  von  Bergk  Gr.  Lüg.  IV  190  vermuthet,  dieser  freilich  von  Kaibel  Die 
Prolegomeua  -ept  xcufxwSfoi;  (x\bhandlgu.  d.  Kgl.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingen 
Phil.-hist.  Kl.  N.  F.  IL  4.  p.  46)  abgelehnt.  Wenn  Platonios  r.zfi  Stctcp.  -^^ap. 
(76  Kbl.)  von  Kratinos  den  Ausdruck  gebraiicht  xatd  ttjv  zapoi[j.tav  YUfxvjJ  xijj 
•At'^akri  ti8tj5[  xd;  ßXaa(prj}i.t'ac,  darf  man  vielleicht  an  Herkunft  aus  einem  ähn- 
lichen Memorialbuch  denken:  es  sind  anderthalb  Trimeter,  wenn  man  den 
Artikel  vor  xEcpaXTj  tilgt. 


^ 


IV. 
Michael  Müller. 


lieber  den  Gegensatz  von  eunetQia  und  Tiyyt] 

im  ersten  Kapitel  der  Aristotelischen 

Metaphysik. 


Festschrift   Vahleii. 


I 


Im  ersten  Kapitel  seiner  Metaphysik  entwickelt  Aristoteles 
die  Sinneswahrnehmung  (ais&ijac;),  weiter  die  Erfahrung  (s[X7r£ipt7.), 
endlich  die  Kunst  oder  Theorie  (xs^vrj)  als  aufsteigende  Stufen  der 
Erkenntnis,  um  dann  im  Schlussgedanken  es  für  erwiesen  zu  er- 
klären, dass  die  Weisheit  die  Wissenschaft  von  gewissen  Anfängen 
und  Ursachen  ist.  Es  ist  eine  der  zahlreichen  Schwierigkeiten, 
die  das  erste  Kapitel  der  Aristotelischen  Metaphysik  dem  Philo- 
sophen sowohl  als  dem  Philologen  bietet,  wie  man  sich  das  Ver- 
hältnis zwischen  dem  eben  angeführten  Schlussgedanken  und  dem 
voraufgehenden  Hauptteil  vorzustellen  habe.  Diese  Frage  jedoch, 
wie  bedeutungsvoll  auch  sie  für  das  Kapitel  im  ganzen  ist,  wie 
sehr  sie,  in  diesem  oder  jenem  Sinne  entschieden,  die  Auffassung 
von  der  Anlage  und  Gedankenentwickelung  des  ganzen  Abschnittes 
bestimmt,  im  Rahmen  einer  Untersuchung  über  den  Gegensatz  von 
£}x-=ipta  und  x£5(v7j  wird  sie  füglich  unberücksichtigt  bleiben.  Hier 
wird  es  genügen,  nach  einer  einleitenden  Ausführung  des  für  die 
Herstellung  des  Zusammenhangs  Unentbehrlichen  die  Untersuchung 
auf  die  Teile  des  Kapitels  auszudehnen,  in  denen  über  sfiTTstpia 
und  T£-/v7j,  insbesondere  ihren  Gegensatz,  gehandelt  wird.  Ist  da- 
mit für  den  Umfang  der  Erörterung  die  beschränkende  Grenze  ge- 
geben, so  scheint  es  sich  für  den  Gang  der  Untersuchung  zu  em- 
pfehlen, die  eigenen  Spiiren  des  Aristoteles  zu  verfolgen  und  den 
Gegensatz  von  sfnretpia  und  xr/vy;  nach  der  fortlaufenden  Dar- 
stellung des  Philosophen  selbst  zu  entwickeln.  Danach  wii*d  sich 
an  die  Aufstellung  des  ersten  und  wichtigsten  Gegensatzes,  der 
sich  aus  der  abstrakt  durchgeführten  wie  im  konkreten  Beispiel 
\  cranschaulichten  Begriffsbestimmung  der  iin:eip(ci.  und  xs^vr]  er- 
giebt,  eine  Erörterung  der  weiteren,  aus  dem  ersten  Gegensatze 
der  Begi-iffe  abzuleitenden  Gegensätze  anzuschliessen  haben,  wie  sie 
einmal  in  dem  verschiedenen  Werte  der  beiden  Erkenntnisarten  für 

I  Praxis,  dann  in  ihrer  verschiedenen  Wertung   hinsichtlich    des 


/ 


52  Michael  Müller, 

Gehaltes  an  aocpt'a  zu  Tage  treten,  wobei  denn  im  Gefoltre  des 
letzteren  Gegensatzes  weitere  Gegensätze  mit  der  Bestimmung,  ihn 
zu  begründen,  auftreten  werden.  Nun  wird  es  freilich  nicht  mög- 
lich sein,  diese  nach  Aristoteles  gestaltete  Anordnung  im  einzelnen 
überall  zu  wahren  —  denn  zu  der  schwierigen  Bestimmung  der 
strittigen  Begrifte  von  ejxTrstpi'a  und  ts/v/;  wird  es  des  Yorgreifens 
auf  die  späteren  Betrachtungen  bedürfen,  die  als  abgeleitet  oder 
ableitbar  aus  den  genannten  Begriffen  Schlüsse  auf  dieselben  zu- 
lassen —  aber  im  allgemeinen  kann  die  Aristotelische  Gedanken- 
reihe für  eine  Behandlung  und  Klarstellung  des  Gegensatzes  von 
£[i.Treipta  und  'i'/iyr^  wohl  beibehalten  werden. 

Um  nun  zum  Gegenstande  selbst  zu  kommen,  so  meine  ich 
für  die  Herstellung  des  Zusammenhangs  mit  Recht  auszugehen  von 
den  Worten  des  Aristoteles  (980  a  27)  cpuofei  jxsv  ouv  aia{>r^atv 
s)(ovTa  YivsToi  Toc  Ctüa  d.  h.  von  Natur  nun  mit  Sinnesemplindung 
werden  die  lebenden  Wesen  geboren.  Es  kommt  also  die  «raör^atc, 
unter  der  offenbar  das  Vermögen,  Sinneswahrnehmungen  zu  machen, 
zu  verstehen  ist,  den  lebenden  Wesen  von  Natur  zu,  sie  ist  ihnen 
als  lebenden  Wesen  angeboren.  Anders  die  fAvr^ay],  von  der  es  im 
Anschluss  an  die  eben  erwähnten  Worte  heisst,  dass  sie  aus  der 
ctraör^st?  in  einem  Teil  der  lebenden  Wesen  nicht  entsteht,  in  einem 
anderen  aber  wohl.  Ueber  Sinn  und  Bedeutung  der  fAvr^jxvj,  die 
nach  Aristoteles'  Sprachgebrauch  auch  die  Erinnerung  als  An- 
schauung oder  Wahrnehmung  der  verharrenden  Afl'ektion  oder 
Vorstellung  und  in  concreto  den  Besitz  von  einer  Vorstellung  be- 
zeichnen kann,  ist  an  unserer  Stelle  ein  Zweifel  schon  deshalb 
ausgeschlossen,  weil  die  der  unsrigen  völlig  analoge  Stelle  Anal, 
post.  II  19,  99  b  34  £voua>]?  o'  afai>r^ai(o;*  tot;  jikv  täv  C<ötuv  £771- 
v£-ai  [xovY]  -ou  ataör^ixotto;  mit  den  Worten  (xovtj  toü  aiailr^ixot-o; 
die  ausdrückliche  Erklärung  der  fAvi^fxrj  als  des  Verharrens  der 
Wahrnehmung  giebt.  Aus  der  Sinnesempfindung  also  entsteht  in 
einem  Teile  der  lebenden  Wesen  Verharren  der  einzelnen  Wahr- 
nehmung, in  einem  anderen  nicht;  das  heisst  —  wenn  wir  diesen 
Satz  in  Beziehung  setzen  zu  dem  vorigen  —  während  das  Ver- 
mögen der  Sinne  allen  lebenden  Wesen  von  Natur  eingepflanzt  ist, 
besitzt  nur  ein  Teil  dieser  lebenden  Wesen  in  dem  Gedächtnis  die 
Fähigkeit,  das  AVahrgenommene  zu  behalten.     Dass  nun  dieser  Teil 


eh.  d.  Gegensatz  v.  Itjireepta  u.  t^/vt]  i,  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.     53 

er   lebenden  Wesen,    wie  Aristoteles  des  weiteren   ausfährt,    ver- 
ständiger und  lernfähiger  ist  als  der  andere,   mit  Gedächtnis  nicht 
ausgestattete,  dass  ferner  zwischen  verständigen,  aber  nicht  lernfähigen 
C(oa  einer-,  den  lernfähigen  andererseits  unterschieden  werden  muss, 
nachdem  ihnen  bei  vorhandenem  Gedächtnis  der  Gehörssinn  ab- 
ht  oder  zukommt,    ist    für  den  Hauptgedanken,  insbesondere  die 
twickelung  von  itj-Tieipia  und  ts}(v/j,  unwesentlich. 
Der  Hauptgedanke  wird  erst  wieder  aufgenommen  und  nun  schon 
on  der  [J.vv;(xy]  zur  ifxTTEipia  und  Ts/vyj  übergeführt  in  den  Worten 
xa  [xsv  ouv  ä'XXa  cpaviaatat?  C'^  xal  TotTc  [jLV/)]i.oitc,  su-Trsipia?  oh  \ie-iys.i 
^Ktxpov   t6   8c  TÖiv  7.vöpa)K(uv   *j'svo;   y,a\  ~iyy'{\  xoti  XoYiöjxoTc.     Es  ist 
aus    der   sprachlichen  Gestaltung  dieses  Satzes    ohne    weiteres    er- 
^^ichtlich,  dass  zugleich  mit  der  Einführung  der  saTrötpia  und  xiyyr^ 
^Bas  menschliche  Geschlecht  in  Gegensatz  gesetzt  wird  zu  den  übrigen 
lebenden  Wesen,    denen  besonders,    die    nach    der    oben    erfolgten 
bsonderung  der  gedächtnislosen  ^mn  dem  Schriftsteller  vorschweben 
Cioa  cppoviaa  und  [xaOvjxixa.     Wie  aber  der  Gegensatz  selbst  im 
zelnen  zu  denken  sei,  das  scheint  nach  der  verschiedenen  Fest- 
etzung,  die  er  von  den  Gelehrten  erfahren,    aus    den    angeführten 
Worten    nicht    sicher    erschlossen    werden  zu  können.     Ein  Unbe- 
■iingener  freilich  dürfte  meinen,    dass    durch  natürliche  und  unge- 
zwungene Interpretation  sich  unschwer    etwa    folgender    Gegensatz 
ergebe:    während    die    anderen  lebenden  Wesen  nur  Erinnerungen, 
^kon    Empirie    aber    nur  wenig  haben,    kommen  dem  Menschenge- 
schlecht sogar  'iyyq  und  Xo-j-iaij-oi  zu;    aber  nachdem  in  alter  Zeit 
^-^lexander  von  Aphrodisias,  von  den  Neueren  besonders  Schwegler 
^K)m  Standpunkte  ihrer  Auffassung  der  Empirie  aus  die  Erklärung 
^Bes  atxpov  im  Sinne  von  jx-/j5sv  befürwortet,  auch  durch  Belegstellen 
^hinreichend    gesichert    haben,    ist  es  Pflicht  des  sorgfältigen  Inter- 
preten, das  Urteil  über  diese  Einzelheit  jenes  Gegensatzes  bis  nach 
erfolgter  Begriffsbestimmung  der  six-eipict  auszusetzen.    Darum  aber 
kann  oder  soll  er,  meine  ich,    in  jenem  Gegensatze    es    für    sicher 
und  durch  die  unzweifelhafte  Thatsache  des  Gegensatzes  selbst  er- 
|H|JKesen    erachten,    dass  'i/yq  und  Xo^tauot  gegenüber  den  cpavtaaLai 
und  uvTJao-.i  einer-,    der  i|x7rstpia  andererseits    eine  Steigerung,    ein 

IMehr  als  sie  bedeuten.     Nur    so    nämlich    wird,    in    richtiger   Er- 
Üärung  des  /.at  vor  -i/yr^  als  Steigerungspartikel,  mit  den  Worten 


54  Michael  Müller, 

xai  Tsx^Ti  ^*'  Xo-,'i(j}xor;  ein  Fortschritt  sowohl  als  Gegensatz  zu  dem 
Vorhergehenden  geschaffen.  J)ie  xi'fyri  also,  um  das  für  uns  Wich- 
tige noch  besonders  hervorzuheben,  bedeutet  der  eiiTtstpia  gegenüber 
eine  Steigerung. 

Bevor  wir  nun  zu  der  folgenden  Begriffsbestimmung  der 
ejxTTstpta  und  Tsj^vrj  übergehen,  erübrigte  es  wohl  noch,  die 
Ausdrücke  cpaviaaiai?  und  Xo^iafioT?  zu  erläutern,  wenn  es  nicht 
bei  gänzlichem  Mangel  an  Anhaltspunkten  für  die  nähere  Be- 
stimmung der  beiden  Worte  aus  unserem  Znsammenhange  selbst 
ebenso  wertlos  erschiene,  zwischen  den  verschiedenen,  anderweit 
hergeholten  Erklärungen  der  Gelehrten  einfach  zu  wählen,  als  es 
augenscheinlich  ist,  dass  mit  der  Klarstellung  der  fraglichen  Aus- 
drücke Wesentliches  für  die  itxuEipi'ot  und  te/vy]  nicht  gewonnen  würde. 

Mit  Zeile  28  also  beginnt  Aristoteles  die  Begriffsbestimmung 
der  ejiTtsipi«  und  ts/vrj;  sie  reicht,  w^enn  wir  das  zur  praktischen 
Veranschaulichung  angeführte  Beispiel  hinzunehmen,  bis  981  a  12. 
Bei  der  grossen  Wichtigkeit,  die  dieser  Teil  für  die  Erkenntnis 
sowohl  des  Begriffsgegensatzes  als  der  übrigen  Gegensätze  von 
SfATTSipia  und  'i'/yr^  unzweifelhaft  hat,  dürfte  es  angebracht  sein, 
der  Erklärung  eine  möglichst  wortgetreue  Uebersetzung  vorangehen 
zu  lassen.  Sie  lautet:  „Es  entsteht  aber  aus  dem  Gedächtnis  Er- 
fahrung den  Menschen;  denn  die  vielen  Erinnerungen  desselben 
Gegenstandes  bringen  die  Kraft  einer  Erfahrung  zu  stände.  Und 
es  scheint  fast  die  Erfahrung  der  Wissenschaft  und  Kunst  gleich- 
artig zu  sein.  Es  erwächst  aber  Wissenschaft  und  Kunst  durch 
die  Erfahrung  den  Menschen;  denn  die  Erfahrung  hat  Kunst  her- 
vorgebracht, wie  Polos  mit  richtiger  Bemerkung  sagt,  die  Erfahrungs- 
losigkeit  Zufall.  Es  entsteht  aber  Kunst,  wenn  aus  vielen  Ge- 
danken der  Erfahrung  eine  allgemeine  Annahme  in  betreff  des 
Gleichen  entsteht.  Denn  die  Annahme,  dass  dem  Kallias,  als  er 
an  dieser  bestimmten  Krankheit  litt,  dieses  Bestimmte  geholfen 
hat,  weiter  dem  Soki*ates  und  so  vielen  einzeln,  ist  Sache  der 
Erfahrung:  die  Annahme  dagegen,  dass  es  allen  Sobeschaffenen, 
nach  einer  Art  Bestimmten,  als  leidend  nämlich  an  dieser  Krank- 
heit, geholfen  hat,  wie  den  Verschleimten  oder  Gallichten  oder 
Fieberkranken,  ist  Sache  der  Kunst."  Die  Erfahrung  also  entsteht 
aus  dem  Gedächtnis,  und  zwar  so,    dass  viele  Erinnerungen  (d.  h. 


l'eb,  d.  Gegeusutz  v.  Efxireipfa  u.  tej^vt]  i.  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.   55 

verharrende  Waliriiehmungen)  desselben  Gegenstandes  die  Kraft 
einer  Erfahrung  bewirken.  Wie  soll  man  sich  danach  die  Er- 
fahrung, insbesondere  ihren  Inhalt  und  ihr  Verhältnis  zu  den  ein- 
zelnen |xvr|U,at,  vorstellen?  Wenn  man  die  Erklärung  glaubt  auf 
den  genau  interpretierten  Wortlaut  des  Aristoteles  gründen  zu 
müssen,  so  wird  man,  meine  ich,  nicht  umhin  können,  folgende 
(lleichung  anzuerkennen:  viele  Erinnerungen  =  einer  Erfahrung, 
oder:  eine  Erfahrung  —  vielen  Erinnerungen.  Denn  was  soll  es 
anders  heissen,  dass  viele  Erinnerungen  die  Kraft  einer  Erfahrung 
zu  Staude  bringen  oder  ausmachen?  Demnach  könnte  bei  der 
Entstehung  der  Empirie  keine  Rede  sein  von  einer  die  Empirie 
aus  sich  schallenden  Reflexion,  vom  höchsten  Erkeimtnisvermögen 
(»der  dem  Vermögen  des  schöpferischen  Begriffs  und  des  Beweises 
ganz  zu  schweigen.  Man  hätte  sich  vielmehr  die  Erfahrung  einfach 
vorzustellen  als  eine  geeinte  Vielheit  von  Einzel-fivr^jxai.  Freilich 
wie,  worin  geeint?  Geeint  in  ein  Etwas,  das  ein  einfaches  Eins 
ist  neben  dem  Vielen  und  in  seiner  Einheit  gleich  ist  der  Vielheit 
der  Einzel-[i.vr^|i.ai,  oder  nur  zusammengeschlossen,  ohne  dass  ein 
einfaches  Eins  aus  und  neben  dem  Vielen  sich  bildete,  zusammen- 
geschlossen in  eine  offene,  nicht  ausgerechnete  Summe?  Der  ge- 
naue Textinterpret  dürfte  das  letztere  mit  verschiedenen  Gründen 
befürworten.  Einmal  nämlich  heisst  es  Zeile  5ft'.,  dass  die  'i'/yri 
entsteht,  wenn  aus  vielen  svvor^aa-ca  der  Erfahrung  eine  allgemeine 
Annahme  in  betreff  des  Gleichen  zu  stände  kommt.  Also  muss 
doch  die  Erfahrung  eine  Vielheit  von  ivvor^jxaxa  enthalten;  mithin 
kann  sie  doch  kaum  eine  Einheit  im  Sinne  des  aus  dem  Vielen  her- 
vorgegangenen und  neben  ihm  als  ein  einfachesEins  bestehenden  Einen 
sein.  Dass  aber  der  genaue  Textinterpret  mit  dei^  Annahme  vieler 
£vvo75|xaToc  in  der  Erfahrung  Recht  hat  gegenüber  denen,  die  die 
\  ielheit  der  svvoT^aaxot  zurückführen  auf  eine  Vielheit  von  ijjLTrsipi'oti, 
dürfte  für  den  Vorurteilsfreien  über  jeden  Zweifel  erhaben  sein. 
Weiter  kann  der  Begriü"  der  xi/vr^  oder  vielmehr  die  Leichtigkeit 
und  Klarheit,  mit  der  sich  dieser  Begriff  ergiebt,  Zeugnis  ablegen 
für  den  als  offen  geeinte  Vielheit  von  [ivr^ijiat  bestimmten  Begriff" 
der  sjxKitpta.  Es  ist  nämlich  bei  einer  solchen  Auffassung  der 
iarsipt'a  die  xs^vr^  die  eine  Allgemein -Vorstellung,  welche  aus  dem 
N'ielen  der  ia;rs[p''ct  durch  Aufsuchen  und  Zusammenstellen  des   in 


56  Michael  Müller, 

ihm  Gleichen  sich  gewissermassen  als  Begriff  aus  dem  Einzelnen 
bildet.  Die  ijATrsipia  also  eine  die  Einzel-jxvr^fxoti  zusammenschliessende, 
offen  einende  Summe  von  fiv'^jj.ai,  die  xsj^vr)  eine  Gesamtvorstellung, 
entstanden  durch  Reflexion  auf  das  in  ihnen  Gleiche  —  gewiss 
ein  durchsichtiger  und  genau  bestimmter  Gegensatz,  der  als  solcher 
durch  das  von  Aristoteles  angeführte  Beispiel  seine  Bestätigung  in 
nicht  geringerem  Grade  findet  als  die  im  Ausgangspunkt  dieser 
Betrachtung  stehende  Begriffserklärung  der  IjxTreipia.  In  diesem 
Beispiele  wird  nämlich,  um  zunächst  auf  letztere  einzugehen,  die 
Annahme,  dass  dem  Kallias  bei  dieser  bestimmten  Krankheit  dieses 
Bestimmte  geholfen  hat,  ferner  dem  Sokrates  und  so  vielen  einzeln, 
eine  Annahme  also,  die  augenscheinlich  bloss  auf  der  offenen 
Summation  einzelner  Fälle  beruht,  der  i}jLTr£tpia  zugewiesen.  Was 
also  ist  klarer,  als  dass  unter  earetpta  ein  Eines,  ein  Etwas,  das 
durch  Reflexion  aus  der  Vielheit  des  Einzelnen  als  ein  Allgemeines 
hervorgegangen  ist,  nicht  verstanden  werden  kann?  Oder  darf  etwa 
der  genaue  Textinterpret  dem  Wortlaut  des  Beispiels  die  obige 
Erklärung  nicht  geben?  Nach  der  Ansicht  mancher  scheint  er  es 
nicht  zu  dürfen,  nach  der  Ansicht  derer  nämlich,  die  durch  Ueber- 
setzung  des  xal  vor  Swxpatsi  und  xa&'  Ixaaxov  mit  „oder"  den 
Fall  des  Sokrates  und  der  Vielen  einzeln  nicht  als  wesentlichen 
Bestandteil  der  die  £[i7:£tpta  exemplifizierenden  uttoXt^'J^i;  anerkennen, 
sondern  ihn  rein  beispielsweise,  zur  Variierung  eines  Falles,  an  den 
des  Kallias  angeknüpft  glauben.  Demgegenüber  liegt  es  doch, 
meine  ich,  nach  den  Worten  des  Aristoteles,  insbesondere  dem 
xal  xaö'  fxotOTov  outto  ttoXXoi;,  für  jeden  Unbefangenen  klar  genug 
zu  Tage,  dass  an  eine  fortlaufende  Reihe  von  Einzelwahrnehmungen 
gedacht  werden  muss,  an  eine  Reihe,  die  bei  ihrer  offenen  Ge- 
schlossenheit nur  so  Gegenstand  einer  GitoXr^^j^i?  sein  kann,  dass 
sich  die  urJAr^'^nq  anschliesst  an  jedes  der  in  der  Reihe  enthaltenen 
einzelnen  Glieder.  Danach  ist  deutlich,  dass  die  oben  vertretene 
erste  Auffassung  des  Beispiels,  die  in  Zweifel  gezogen  wurde,  nur 
um  eine  abweichende  zurückzuweisen,  nicht  nur  möglich,  sondern 
sogar  nach  dem  Tenor  des  Textes  allein  möglich  ist.  Die 
sjjLTüsipta  also  eine  offene  Reihe  summierter  Einzelwahrnehmungen 
—  sehen  wir,  wie  sich  dem  gegenüber  die  Ts/vr^  im  Beispiel  offen- 
bart.    Sache  der  ts/v/j  ist  nach  dem  Wortlaut  des  Aristoteles   die 


l'eb.  d.  Gegensatz  v.  £[ji-£tpta  u.  Tej^vr^  i.  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.      57 

Annahme,  dass  allen  Sobeschaftenen,  nach  einer  Art  Bestimmten, 
xotixvoucji  TTjvSt  T>)v  vodov,  dicscs  Bestimmte  geholfen  hat,  wie  den 
^'erschleimten  u.  s.  w.  Eine  Schwierigkeit  bieten  hierbei  die  Worte 
xotuvouat  -/(Vol  TT|V  voaov.  Sind  sie  in  derselben  Weise,  wie  oben 
xauLvovTi  TTjVol  TTjv  vocjov,  beigefügt,  um  die  Gelegenheit  zu  bezeich- 
nen, bei  der  den  nach  einer  Art  bestimmten  allen  Sobeschaffenen 
das  Mittel  geholfen  hat,  oder  weisen  sie  als  erklärender  appositio- 
neller  Zusatz  zu  za-'  eioo;  h  acpopicfOsiat  darauf  hin,  dass  in  der 
Thatsache  des  xajAVstv  trjvSt  Trjv  vosov  die  Grundlage  gegeben  ist 
für  den  zu  bildenden  Begriff  des  h  sioo??  Für  die  Entscheidung 
der  Frage  scheinen  die  Worte  olov  toi;  cpXsYaattoossiv  t^  yoXdiosciv 
r^  -upsTTouai  xauao)  und  ihr  Verhältnis  zum  ganzen  Gedanken  aus- 
schlaggebend. Denn  da  sie  dem  sprachlichen  Ausdrucke  zufolge 
offenbar  zurückgehen  auf  Ttaai  xoT?  xotoiaos  xax'  sioo?  Ev  dcpoptaUsisi, 
d.  h.  die  cpXiYfiaxtüSst;  u.  s.  w.  als  Beispiel  gesetzt  werden  für  die 
nach  einer  Art  bestimmten  Sobeschaffenen,  so  ergäbe  sich  für  die 
erste  der  beiden  angeführten  Auffassungen  die  Annahme,  dass 
Personen,  die  durch  ihre  Zugehörigkeit  zu  dem  £v  siooc  der  cpXsy- 
tjLaTouOoic  u.  s.  w.  als  leidend  an  einer  bestimmten  Krankheit  charak- 
terisiert sind,  ein  bestimmtes  Mittel  bei  Gelegenheit  eines  be- 
stimmten Leidens  geholfen  hat.  Und  diese  Annahme  ist  zwar  nicht 
ganz  undenkbar,  aber  —  namentlich,  wenn  man  sich  vorstellt, 
dass  TrupiTtovTs?  xausw  noch  in  eine  bestimmte  Krankheit  verfallen 
sollen  —  sehr  wenig  wahrscheinlich.  So  aber  kann  man  der 
Schwierigkeit  auch  nicht  begegnen,  dass  man  erklärt,  das  Mittel 
helfe  den  so  und  so  Leidenden  bei  einem  speziellen  Falle  ihrer 
Krankheit.  Denn  ein  Leiden  wie  Trups-xstv  xctusw  besteht  doch 
nicht,  wenn  nicht  ein  spezieller  Krankheitsfall  dieser  Art  vorliegt. 
Noch  ein  weiteres  kommt  hinzu.  Wenn  xati-vouat  xr^voi  xtjv 
voaov  als  Angabe  der  Gelegenheit,  bei  der  dies  Mittel  allen  So- 
beschaffenen  geholfen  hat,  die  Bestimmung  hat,  das  xottxvovxt  xr^vot 
xrjv  voaov  der  Einzelfälle  der  cij-ästpioc  aufzunehmen,  und  in  keiner 
Beziehung  steht  zu  dem  dcsopiCetv  xax'  ctoo;  fv,  so  würden  der 
^i'/yri  als  Material  für  dies  acpopi'Cstv  xax'  sToo?  £v  die  blossen  Per- 
sonennamen Kallias,  Sokrates  u.  s.  w.  zur  Verfügung  stehen.  Und 
könnte  sie  daraus  einen  Begriff  schaffen,  wie  er,  nach  den  Worten 
ofov  xo'c    cpXsYixaxttiosaiv  r^  yjAdilfSiv  r^  rupsxxouai  xauao)  zu  schliessen, 


58  Micluiol  Müller, 

in  dem  Falle  unseres  Beispiels  scheint  geschaffen  zu  sein  oder  ge- 
schaffen werden  zu  müssen?  Denn  auf  Momente,  die  in  den  ein- 
zelnen svvoT^txaTa  der  iazsipia  nicht  bestimmt  enthalten  und  aus- 
gesprochen sind  —  ich  denke  dabei  an  die  Möglichkeit,  dass  in  dem 
ivvovjjxa:  KaXXi'a  xajxvovti  xr^vot  ttjv  voaov  toos  auvT^vs^xe  Kallias  der 
den  Begriff  schaffenden  -i'/yri  auf  Grund  anderweitiger  Erfahrung  als 
ein  an  bestimmter  Krankheit  leidender  ]\Iensch  gelten  könnte  — 
dürfte  sich  doch  die  liyyr^  für  das  dcpopt^siv  xai'  etoos  h  nicht 
stützen.  Denn  das  Material  für  die  tipr]  sind  nach  Aristoteles 
nur  die  7:oXXa  xr^z  e[x7r£i|iiots  ivvor^fiata,  und  als  Beispiel  eines  solchen 
ivvoTjfjLa  ist  eben  jenes  KaXXi'a  xajxvovti  r/jvSt  tyjv  voaov  xoSs  (juvYJve",'xe  an- 
geführt. Es  scheint  somit  geboten  zu  sein,  die  Worte  xaavouai  -r^vol  ttjv 
voaov  in  dem  anderen  oben  bezeichneten  Sinne  aufzufassen  (eine 
dritte  Möglichkeit  der  Erklärung  giebt  es,  soviel  ich  sehe,  nicht), 
so  nämlich,  dass  sie  als  erklärender  appositioneller  Zusatz  von 
xat'  sTöo;  £v  dcpoptaöoiai  angeben,  auf  welcher  Grundlage  das  dcpopt- 
Csiv  xax'  £i8os  £v  in  unserem  Beispiele  von  Kallias,  Sokrates  u.  s.  w. 
stattfindet.  Das  heisst  denn  also:  das  xdjxvciv  xr^vSt  xrjv  voaov  ist 
das  Moment,  auf  dessen  Grundlage  die  Reihe  des  KctXXi'a?  xdavtuv 
xr^vot  xrjv  voaov  und  des  Stoxpdxrj?  xdavwv  xtjvoI  xtjv  voaov  u.  s.  w. 
zusammengeschlossen  wird  zu  dem  Begriffe  der  7rdvx£;  ot  xoioGxoi, 
die  xctx'  £100;  fv  bestimmt  sind.  Zu  dem  Begriffe  der  xdtxvovxs; 
xTjvoi  XT]V  voaov.  Denn  wenn  die  Worte  xdjxvouai  tr^vol  xrjv  voaov 
das  Moment  angeben,  auf  Grund  dessen  die  Begriffsbildung  ge- 
schieht, zeigen  sie  doch  offenbar  auch  an,  dass  der  geschaffene  Be- 
griff eben  jener  der  xdavovxcc  xr^vot  xrjv  voaov  ist.  —  Wird  nun  so 
der  Wortlaut  des  Textes,  wie  ich  es  glaube,  richtig  aufgefasst,  so 
ist  es  klar,  dass  das  von  Aristoteles  seiner  Begriffsbestimmung  von 
£fnr£tpta  und  t£)(V7j  angefügte  Beispiel,  auch  soweit  es  sich  auf  die 
x£/v7j  bezieht,  unsere  Deutung  der  Begriffe  von  luzEipia  und  ti/vT] 
und  ihres  Gegensatzes  bestätigt.  Denn  indem  aus  der  durch 
Summation  von  Einzelwahrnehmungen  entstandenen  xiTirikr^^iz  der 
ifiTiEtpia,  dass  dem  Kallias,  als  er  an  dieser  Krankheit  litt,  dieses 
Mittel  geholfen  hat,  ebenso  auch  dem  Sokrates  u.  s.  w.,  in  der  xr/vr^  die 
uTToXr^ij^i;  geworden  ist,  dass  jenes  Mittel  allen  Sobeschalfenen,  näm- 
lich an  dieser  Krankheit  Leidenden,  geholfen  hat,  hat  die  TE/vr^ 
unter    Beibehaltung    des    schon    in   den  Einzelwahrnehmungen  der 


L 


'Gegensatz  v.  ^^anetpta  u.  xe/vr^  i.  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik,    öl) 

suTtctpta  Gleichen  (toos  süvyjvö-j'xs)  das  in  ihnen  Verschiedene  (KaXXt'cf 
xotfivovTi  TTjvöt  -r;v  voaov  und  icuxparsi  xapivovii  t.  t.  v.  u.  s.  w.)  auf 
der  Grundlage  des  in  diesem  Verschiedenen  Gleichen  (xaji-vovxi 
ijvSi  -Tjv  vocjov)  auf  ein  Gleiches  gebracht  und  an  die  Stelle  der 
ielen  verschiedenen  ivvor^fxata  der  £[xTrcipta  eine  einzige  allgemeine 
uTTo^tJ^tc  über  das  Gleiche  gesetzt. 

Soviel  über  das  von  Aristoteles  zur  Veranschaulichung  von 
ifjLTTsipra  und  ~iyyri  angeführte  Beispiel.  Wie  eben  gezeigt,  ist  in 
demselben  eine  Bestätigung  der  oben  vertretenen  Auffassung  vom 
Begriffe  der  IjAiretpia  sowohl  wie  der  ~iy^rri  und  ihrem  Gegensatz 
zu  einander  wohl  zu  finden.  Aber  nicht  dieses  Beispiel  allein  be- 
stätigt jene  Auffassung;  noch  weiteres  kann  für  sie  ins  Feld  ge- 
führt werden.  Freilich  wird  es  dazu  nötig,  die  Grenzen  der  Be- 
Lzriifsbestimmung  von  stxTrsipta  und  "ct/yri  zu  überschreiten  und  auf 
die  folgenden  Ausführungen  vorzugreifen.  So  heisst  es  zunächst 
Itei  der  Abschätzung  der  i|x-sipia  und  xiyvq  für  die  Praxis,  dass 
die  IfXTTsipot  eher  das  Richtige  treffen  als  die  avau  -%  stJtTTsipia? 
X670V  e/ovT£c.  Damit  ist  gesagt,  dass  die  ts^vt]  den  X670?,  den 
Begriff,  hat,  die  stxzsipta  aber  nicht;  sie  nämlich,  ergänzen  wir  den 
Gedanken,  umfasst  nur  das  Einzelne.  Und  das  spricht  denn  Aristo- 
teles gleich  in  dem  Folgenden  ganz  klar  und  deutlich  mit  den 
Worten  aus  aixtov  S'oxi  v)  [xsv  ifxTisipia  xäv  xa&'  sxaaxov  saxt  -;v(J5ai?,  yj 
03  Tsprj  Toiv  xaOoXou.  Fast  genau  dasselbe  wird  dann  beim  Ab- 
schluss  dieser  Betrachtung  noch  einmal  ausgeführt  in  den  Worten 
£7.v    o5v    avcu    XT^?    £[j,7r£tpiot?    i'/T^  xt?  xov  X070V,    xat  x6  xadoXou  }x£v 

^vfopiCin,  x6  0'  £v  xouxu)  xa&'   ixctaxov  d'/vo-^ Kann  da  wohl  für 

den  Textinterpreten  ein  Zweifel  bestehen,  dass  die  itxTrEipux  nicht 
die  Kenntnis  von  einem  Allgemeinen,  sondern  von  vielen  Einzel- 
wahrnehmungen ist,  dass  erst  die  te/vy)  aus  dem  vielen  Einzelnen 
er  £fxTr£tp''a  den  Begriff,  den  Xoyo?,  und  damit  das  eine  Allgemeine 
T»ildet?  Noch  weiteres  lässt  sich  aus  dem  Folgenden  anführen. 
Ich  meine  weniger  die  von  Zeile  24  bis  981b  6  reichende  Aus- 
führung über  den  Gegensatz  von  £fi.-£tpta  und  ti/vvj  hinsichtlich 
ihres  Gehaltes  an  aocpta,  über  das  oxt  der  EfjnrEipia  und  das  01'  oxt 
der  "iyyr^  —  obwohl  auch  in  dieser  Betrachtung  die  Worte  981  b  G 
xaxa  TÖ  X670V  £}(£iv  ctuxob?  xctl  xa?  ihiaq  yvcuptCetv  anzeigen,    dass 

Iur    der  x£/vr^  der  X070?,  der  Begriff,  und  damit  die  Kenntnis  der 


60  Michael  Müller, 

aiti'ai  zukommt  —  aber  wenn  dann  vom  Ende  der  Zeile  9  ab  mit 
den  Worten  eti  xiov  aiaÖYJtJswv  ouosfit'otv  yj-c-jutXiOot  ehai  aocpiav  xcii- 
TQi  xupKuxaxat  7'  sfstv  auicti  täv  xa&'  l/aara  yvüxjsi?,  wenn,  meine 
ich,  mit  diesen  Worten  ein  neuer  Grund  (deshalb  eti)  angeführt 
wird  dafür,  dass  die  IjxTrcipia  weniger  Anspruch  auf  aocpia  hat  als  die 
Ts^rv/j,  so  ist  klar,  dass  diese  Worte  einen  passenden  Sinn  in  ihrem 
Zusammenhange  nur  dann  ergeben,  wenn  man  annimmt,  dass  ifjnrsipia 
eigentlich  nichts  weiter  ist  als  afaör^asi?.  Und  zu  derselben  Annahme 
wird  meines  Erachtens  der  genaue  Textinterpret  durch  den  bald 
folgenden  Satz,  welcher  einen  neuen,  für  uns  unwesentlichen  Ge- 
danken einleitet,  gedrängt,  durch  den  Satz  xo  <j.sv  ouv  irpoKov  etxo; 
xov  oäoictvouv  Eupovxa  xs/vr^v  Traoa  xa?   xotvas   «tofÖTJasi;   Oau[xaC£c;Oai 

UTTO    XÜ)V    dvOpwTTtOV,    |Ji,Yj    fXOVOV    OlÄ    XO   )(pi^(JllXOV  cTvcti  XI  xöüv  eups&svxtüv, 

aXX'(Us  aocpov  xal  otacpipovxa  xaiv  älXoiv.  Hierin  wird  nämlich  hin- 
sichtlich der  geschichtlichen  Entwickelung  die  xi/vrj  gegen  die 
xoivat  aisOr^aei?  gehalten  als  etwas  Neues,  das  Aufsehen  erregt  hat. 
Da  nun  sonst  in  der  Reihenfolge  der  Erkenntnisstufen  die  xs'/vr;  auf  die 
euL-irs'pta  folgt,  so  ist  deutlich,  dass  die  stj-Trstpia  von  den  xoivcxl 
a.labr^azi^  nicht  wohl  verschieden  sein  kann. 

So  sind  wir  denn  auf  Grund  einer  sich  eng  an  den  Text  an- 
schliessenden Interpretation  zu  der  Erklärung  der  sa^cipta  als  einer 
Summenreihe  von  Einzelwahrnehmungen,  der  xspr^  als  der  höheren 
Erkenntnisart  gekommen,  welche  durch  Bildung  des  Begriffs  aus  der 
Vielheit  der  die  stxTrstpta  bildenden  Glieder  einen  einheitlichen  all- 
gemeinen Satz  schafft;  damit  haben  wir,  der  sfxTrsipia  wenigstens, 
eine  Auslegung  gegeben,  deren  von  der  Mehrzahl  berufener  Aristo- 
teleserklärer, soviel  ich  sehe,  eine  Erwähnung  überhaupt  nicht,  von 
einem  eine  Erwähnung  nur  gelegentlich  in  kurz  abweisender  Form 
geschieht.  Kirchmann  nämlich,  um  mit  ihm  die  Reihe  der  Aristoteles- 
Erklärer  zu  beginnen,  zu  deren  Ausführungen  über  IjxTrctpia  und  xsyv/; 
es  unerlässlich  erscheint,  Stellung  zu  nehmen,  Jegt  seiner  Auffassung  von 
sfiTTitpia  und  ~i'/yr^  folgenden,  wie  mir  scheint,  durch  nichts  begründeten 
Satz  zu  Grunde:  „Es  giebt  nichts  ausser  dem  Einzelnen  und  dem 
Allgemeinen;  die  Menge  des  Einzelnen  kann  hier  keinen  Unter- 
schied machen."  Daraus  ergiebt  sich  jenem  Gelehrten  folgendes: 
„Die  Erfahrung  ist  Kenntnis  des  Allgemeinen.  Die  Erfahrung  ist 
Von  der  Wissenschaft    nicht    nach    dem  Gegenstand  unterschieden. 


L'eb.  d.  Gefjeusatz  v.  i^ir^upla  n.  tf/vT)  i.  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.      Gl 

der  Unterschied  liegt  nur  in  der  verschiedenen  Art,  denselben 
Ciegenst'ftnd  zu  wissen;  bei  dem  blossen  rohen  Praktiker  ist  der 
Begriff  des  Allgemeinen  nicht  in  voller  Bestimmtheit  und  nicht 
abgesondert  von  dem  Einzelnen  vorhanden;  er  hat  ihn  zwar,  aber 
nur  dunkel  und  verworren,  sodass  er  ihn  sich  nur  in  Verbindung 
mit  einem  Einzelnen  vorstellen  kann."  Nun  frage  ich,  wie  es  bei 
dieser  Erklärung  möglich  ist,  dass  nach  den  Worten  des  Aristoteles 
ilie  Ti/vYj  entsteht,  indem  aus  TroXXa  t%  sjjnrE'.piofS  svvor^fxaTot  eine 
allgemeine  Annahme  über  das  Gleiche  sich  bildet.  Es  sollen 
(loch  £ii-£ipia  und  ripr^  dem  Wissensgegenstande  nach  gleich 
sein!  Wie  ist  weiter  zu  erklären,  dass  in  dem  von  Aristoteles 
angeführten  Beispiele  nur  Einzelfalle  den  Inhalt  der  ifxTreipta  aus- 
machen? Ist  ferner  die  Ansicht  Kirchmanns  in  Einklang  damit 
zu  bringen,  dass  der  ^o-j-o?  ausdrücklich  von  der  £(A~£ipta  geschieden 
(981a  15;  21;  981b  6),  die  £<j.7T£ipia  ausdrücklich  als .  Kenntnis 
des  Einzelnen  (981a  16;  22)  bezeichnet  wird?  Die  Fragen,  die 
7.-optai,  Hessen  sich  wohl  vermehren,  aber  es  scheint  unnötig, 
weitere  zu  stellen,  so  lange  die  schon  aufgeworfenen  keine  Aus- 
sicht haben,  befriedigende  Xugpei?  zu  finden.  Es  hat  eben,  wie  ich 
glaube  behaupten  zu  dürfen,  Kirchmann  —  und  nicht  er  allein  — 
zu  wenig  Rücksicht  auf  den  Text  des  Aristoteles  selbst  genommen; 
die  Erklärung  der  £uir£tpta  ist  nicht  aus  diesem,  sondern  fast  aus- 
schliesslich aus  der  Reflexion  des  Gelehrten  hervorgegangen.  —  Anders 
liegt  die  Sache  bei  Bonitz,  der  in  seinem  vortrefflichen  Kommen- 
tar zur  Metaphysik  bemüht  ist,  die  Worte  des  Philosophen  zu 
durchdringen.  Bonitz  nimmt  mit  gutem  Rechte  zum  Ausgangs- 
punkte seiner  Erklärung  der  iazcipta  und  damit  auch  der  't/yi] 
den  Satz  al  '(ap  TzoXkrd  |i,vr,[xat  tou  «utou  irpaYixaio?  »xiöt;  ejxTrEipia? 
o'jvauLiv  dr.oxe'koü'Siv.  Die  Auslegung  freilich,  die  Bonitz  diesem 
Satze  giebt,  ist,  meine  ich,  nicht  einwandsfrei.  Denn  wenn  Bonitz 
bemerkt  Plures  autem  rerum  singularum  conceptus  ita  tantum  in 
unum  posaunt  coire,  ut  quae  in  iis  contTnunia  sunt,  retineantw\ 
abiiciatiir  vero  quidquid  inter  se  diversum  hahent  et  contrarium. 
Ttaque  necessario  per  ea;j)erientiam  a  conceptibus  singulis  singtdarum 
rei'utn  ad  universale  quidpiam  adscenditur  (comm.  p.  40),  so  hat 
er  meines  Erachtens  übersehen,  dass  die  eine  ifiixcipta,  welcher 
nach  den  Worten  des  Aristoteles  viele  [iv^ixci  gleichkommen,  nicht 


62  Michael  Müller, 

ein  Eins,  ein  einheitliches  Etwas  zum  Inhalt  zu  haben  braucht, 
wie  es  wohl  die  riyyri  zum  Inhalt  haben  muss,  da  sie  das  Allge- 
meine, den  Begriff,  aus  dem  Einzelnen  herausstellt.  Das  {Jti'a  also 
bei  l|XT:sipta  hat  nur  die  Bedeutung,  dass  zu  einer  Empirie  viele 
fiVTjjxai  gehören,  nicht  aber,  dass  die  Empirie  selbst  ein  einfaches 
Eins  ist.  Bonitz'  eigentliche  Bestimmung  dann  von  c[xi:£ipia  und 
T£}(V7j,  wonach  die  ^jiTrsipta  die  einzelnen  \lvr^^^0Ll  in  ein  Allgemeines 
zusammentreten  lässt,  das  freilich  eng  zusammenhängt  mit  den 
Einzelwahrnehmungen  und  von  ihnen  nicht  getrennt  werden  kann, 
die  T£)(v7j  dagegen  nicht  nur  zu  allgemeineren  Begriffen  aufsteigt, 
sondern,  indem  sie  xotx'  sioo?  sv  ot'fopt'Cet,  die  Grenzen  des  Begriffs 
genauer  bestinmit,  diese  Bestimmung  lässt,  wie  ich  meine,  den 
Unterschied  zwischen  i\n:öipict  und  ts/vy]  zu  wenig  scharf  hervor- 
treten, grenzt  zu  wenig  scharf  die  beiden  Begriffsgebiete  von 
einander  ab,  als  dass  sie  an  sich  grossen  Anspruch  auf  Glaub- 
würdigkeit machen  könnte.  Zudem  ist  sie  hervorgegangen  aus  einer 
Auffassung  des  Satzes  at  ^ap  ttoXaciI  (Avr^jxai  xoü  auiou  7:paY[xato? 
[Aiäs  s}x7:£ipiac  ouvatxiv  dtTroTöXoGsiv,  die  wir  nicht  glaubten  als  zu- 
treffend anerkennen  zu  sollen.  Beeinflusst  ist  sie  ferner  durch  eine 
Aristotelesstelle,  deren  nicht  zu  leugnende  Wichtigkeit  für  die 
Aristotelische  sa-eipia  überhaupt  zu  einer  Erklärung  über  sie  nötigt. 
Anal.  post.   II  19.  100a  5    heisst  es  nämlich    ai    -(ap    Tzo'kkal 

[XVrj}i7l    Tip    dpiÖfJKp     SJiTTÖipia     fJLia     SSXIV.       SX    8'     £p.7rsipi0(?    T^    SX    TTCtVTO, 

r^p£|X7]aavxo?  loo  xaöoXou  sv  tq  4"^Z^'  "^^^  ^^^'  irapa  xa  iroXXa,  8  av 
£v  ccTraaiv  Ev  £v^  IxEivot?  xö  auxo,  x£)(vrj?  oip'/Ji  xal  £-iaxr^}xr^?.  Ge- 
wiss scheint  diese  Stelle  auf  den  ersten  Blick  die  Annahme  zu  er- 
fordern, dass  der  l(ji-ir£ipia  das  Sv  -napä  xa  Tr^AXa,  der  Begriff  neben 
dem  Einzelnen,  zukomme.  Aber  man  braucht  nur  genauer  zuzu- 
sehen, um  zu  erkennen,  dass,  wie  in  den  Worten  ai  ^otp  izrAlni 
[xvY^fAai  XU)  dpiO|jLU)  £jji7:£ipia  jxi'a  itjxiv  der  kinzzipiot  eine  Deutung  ge- 
geben ist,  welche  mit  der  unsrigen  völlig  übereinstimmt,  die  folgen- 
den Worte  der  Auffassung  der  £}jnr£tpia  als  offener  Summe  vieler 
[xvTjfxat  nicht  im  Wege  stehen.  Denn  es  ist  doch  offenbar  nicht 
die  Rede  von  dem  wirklich  geschaffenen  einheitlichen  Begriff, 
sondern  nur  von  dem  durch  £V  7:apä  xa  -oXXa  erläuterten  -dv  xo 
xo{>oXou,  das  iv  x:q  ']>^X^  T^psfxsi;  und  dass  in  der  Summe  aller 
einzelnen    {xv/^aai,    aus    denen    der  Begriff  durch  Keflexion  auf  das 


Teb.  d.  Gegensatz  v.  iinzeipia  u.  x^X'^^  i-  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.    63 

in  ihnen  Gleiche  geschaffen  wird,  dieser  Begriff  gewissermassen 
ruht,  implicite  enthalten  ist,  dürfte,  meine  ich,  deutlich  sein. 
Warum  aber  Aristoteles  geglaubt  hat,  die  sjxTisipia  durch  die  mit 
T^  angeschlossene  Ausführung  in  einer  Weise  erläutern  zu  sollen, 
dass  das  Wesen  der  i\n:oip(a  nicht  ganz  eigentlich  in  seinem  Kern 
getroffen  wird?  Weil  es  ihm,  nachdem  er  durch  den  Satz  ai  yj-o 
ToXXal  fjLVTjfiai  tco  czptöaip  efxTreipta  (xiot  saiiv  die  l[j.7:eipta  klar  genug 
bestimmt  hatte,  jetzt  darauf  ankam,  zu  zeigen,  inwiefern  s?  £[jnrei- 
pia?  —  Tsj(V7j?  oipyri  xal  eTriaxT^t^vjc.  So,  meine  ich,  kann  aus 
dieser  Analytikstelle  ein  Argument  für  die  Auffassung  von  Bonitz 
und  gegen  die  unsrige  nicht  hergeleitet  werden. 

Neben  Kirchmann  und  Bonitz  kommt  in  der  Reihe  der  Aristo- 
teles-Erklärer besonders  Seh  wegler  als  Vertreter  einer  bemerkens- 
werten Auffassung  von  lixTrstpia  und  ~ix^ri  in  Betracht,  einer  Auf- 
fassung, die  eigentlich  nicht  auf  ihn,  sondern  den  bekannten 
Aristoteles-Commentator  Alexander  von  Aphrodisias  zurückgeht. 
Diese  Auffassung  findet  sich  am  deutlichsten  in  dem  Satze  ausge- 
prägt, dass  die  xsj(vyj  sich  zur  sfiTrsipia  nicht  anders  verhalte,  als 
die  ijiTretpia  zur  auj&yjtjt?.  Wie  also  die  ifiTisipia  hervorgehe  aus 
einer  Vielheit  von  Einzelwahrnehmungen,  die  sie  in  ein  Allge- 
meines zusammenfasse,  so  entstehe  die  x£j(V7]  aus  einer  Mehrzahl 
von  Erfahrungen,  deren  aoYxscpaXarwat?  sie  sei.  Zur  Widerlegung 
dieser  Ansicht  düi-fte  es,  meine  ich,  genügen,  auf  folgendes  hinzu- 
weisen. Der  Aristotelische  Text  in  981  a  6  fi'vsxat  Ss  xs/vr;,  oxav 
ex  TioXkuiV  xTjS  £|XTr£ipiac  £vvoyj{xax(uv  .  .  .,  worauf  ohne  Zweifel  die 
oben  angeführte  Erklärung  der  xs/vr;  sich  gründet,  berechtigt  zu 
einer  Interpretation  im  Sinne  Schweglers  ganz  und  gar  nicht.  Ist 
doch  von  itoXXa  xt^c  i[X7rEtpia?  hvorniaxa  die  Rede,  also  von  £vvorj[xotxot, 
die  den  Inhalt  der  d.  h.  doch,  wenn  wir  uns  die  früheren  Worte 
al  ^ap  TToXXal  [xv^^tai  xou  auxou  rpct'Yfxaxo;  jjiia?  IjxTreipta?  ouvafxtv 
diroxEXouatv  gegenwärtig  halten,  der  einen  Erfahrung  ausmachen. 
Weiter  dann  das  Beispiel  für  ijXTrstpia  und  riyyri  widerspricht  der 
Auffassung  Schweglers  durchaus,  einmal,  insofern  es  nur  Einzelfälle, 
nicht  aber  ein  einheitliches  Allgemeines  als  Gegenstand  der  ejiTrsipia 
aufweist;  dann  durch  xa[xvoucJt  xr^vol  xyjv  voaov  der  Zeile  11,  wofür 
man  nach  Schwegler  erwarten  sollte  xoiavos  voaov.  Denn  die 
Ts/vT]    geht    doch,    wie    Schwegler    meint,    ül)er  den    Inhalt  einer 


64  Michael  Müller, 

s.arsipi'a  hinaus  und  bildet  durch  Heranziehung  ähnlicher  iuTrsipt'at 
eine  ur.rAr,^i;  über  etwas  iVllgemeines,  das  aus  dem  Einzehien  vieler 
S[XT:£iptai  hervorgeht.  Vgl.  Alex.  Aphrod.  iz  efiTrstpia?  jikv  ^otp  -ro 
c^oivott,  OTt  TOt;  tr^voe  xyjv  vodov  vooouat  xoSs  xö  öotptxaxov  )^p>5CJiixov, 

£X    T7)C    "S/VTjC    8s    tÖ    toi?    TOiavSs     VOaOV     V0(J0i>5l    TOlOiaOö     aU{XC5£p£lV 

■/pr^aOat.  Endlich  frage  ich,  um  eine  Reihe  weiterer  Einwände  zu 
übergehen,  wie  es  denn  bei  den  so  ganz  verschiedenen  Begriffen 
von  sfiTcsipta  und  tej^vy],  die  Schwegler  statuiert,  zu  erklären  ist,  dass 
Aristoteles  £[x-£ipta  und  'i'/yr^  überall  mit  Fleiss  zusammenstellt 
und  ihren  Gegensatz  nach  verschiedenen  Seiten  geflissentlich  be- 
leuchtet, dass  er  981  a  1/2  den  Satz  aufstellt  xtX  ooxei  g/eSov 
STCiaxr^fxiO  xal  "s/vifj  o[jiotov  £tvat  t]  iiiTzeipia.  Ich  gestehe,  dafür  eine 
Erklärung   nicht  finden  zu  können. 

Soviel  über  Schweglers  Auffassung  von  larsipia  und  ~i'/yT^,  mit 
der  die  Reihe  der  verschiedenen  von  Aristoteles-Interpreten  gegebenen 
Erklärungen  wohl  beschlossen  werden  kann.  Denn  die  Erklärungen, 
die  neben  den  behandelten  Kirchmauns,Bonitz',  Schweglers  erscheinen, 
sind,  so  viel  ich  sehe,  nur  Varianten  jener  drei  Erklärungen. 

Bevor  wir  nun  das  Gebiet  der  Begriffsbestimmung  ver- 
lassen und  mit  Aristoteles  dazu  fortschreiten,  den  Gegensatz 
zwischen  £fji-£tpta  und  "^t/yrf  aufzuzeigen,  so  wie  er  sich  ausserhalb 
der  Begriffe,  a1)er  auf  Grund  eben  dieser  Begriffe  in  verschiedener 
Hinsicht  offenbart,  erübrigt  es,  einigen  Einwänden  zu  begegnen,  die 
gemacht  werden  können.  Zunächst  nämlich  könnte  jemand  mit  der 
Frage,  wie  denn  bei  unserer  Auffassung  der  ijATrstpia  in  dem  Satze 
980  b  25/27  -d  ix£v  o3v  äXka  xaic  cpavxaaiat;  C^  xai  xai?  jivr^fiatc, 
£|j.7r£tpra>  0£  \iBxi'j(ß.i  jxixpov  das  fragliche  fiixpov  zu  verstehen  sei,  den 
Einwand  verbinden,  es  sei  bei  beiden  möglichen  Erklärungen  von 
jxixprjv  auffällig,  dass  den  C<5a,  welche  fähig  sind  zur  fiVTJfAr],  von 
der  EfATTEipia  als  einfacher  Zusammenfassung  einzelner  [xv^ijiat  jxixpov 
zukomme.  Demgegenüber  bemerke  ich,  dass  es  doch  wohl  einen 
grossen  Unterschied  ausmacht,  ob  nur  einzelne  Wahrnehmungen 
als  fjLv^fxat  festgehalten  werden,  oder  ob  fxvr^jxai  xou  oöxotj  rpaYfiaxo? 
in  ihrer  Eigenart  als  gleichartige  jiv^[xai  erkannt  und  nun  in  eine 
Reihe  summiert  werden;  dass  also  mit  der  Fähigkeit  der  \i■v^^l^■r^ 
überhaupt  durchaus  noch  nicht  die  Fähigkeit,  gleichartige  }jiv7^[i.c(i 
in  eine  Reihe  zu  verbinden,    gegeben  sein  müsse.     Ilier.ius  ergiebt 


Ueb.  d.  Gegensatz  v.  l|jL-eipta  u.  t^/vt)  i.  eisten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.  65 

sich,  dass  unsere  Erklärung  der  sfjiTrötpta  wohl  in  Einklang  zu 
bringen  ist  mit  dem  (xixpov  ifxTrsipiac,  welches  den  der  fAvvjfxTj 
fähigen  C«}«  (ausser  den  Menschen)  zugewiesen  wird;  nicht 
aber  ergiebt  es  sich,  wie  dieses  fitxpov  selbst  aufzufassen  ist.  Und 
da  hierfür  meiner  Ansicht  nach  auch  von  anderer  Seite  Anhalts- 
punkte sich  aus  dem  Zusammenhange  der  Stelle  nicht  gewinnen 
lassen,  so  lassen  wir  fxixpov  in  seiner  Unbestimmtheit  auf  sich  be- 
ruhen, um  uns  einem  weiteren  Einwände  zuzuwenden,  der  freilich 
mehr  dem  Aristoteles  selbst  als  unserer  Auffassung  der  Aristote- 
lischen £[ir£ipia  gemacht  werden  kann.  Wie  nämlich  stimmt  zur 
Definition  der  ifi-sipiot,  wonach  viele  pvT^jxai  xou  ctutou  irpa^fi-aTos 
die  Kraft  einer  sfi-s-pta  vollenden,  das  von  Aristoteles  angeführte 
Heispiel  mit  seinen  verschiedenen,  Kallias,  Sokrates  und  so 
viele  einzeln  betreffenden  Einzelfällen?  Die  Antwort  darauf 
giebt  Kampe,  indem  er  dem  -ou  au-ou  an  unserer  Stelle, 
ähnlich  wie  top.  I  7.  103  a  8;  VII  1.  152  b  31;  metaph. 
IV  15.  1021  a  11,  die  Bedeutung  des  tou  autou  t<5  siozi  d.  h.  des 
der  Art  nach  Identischen  beilegt.  '  Aber,  wird  man  nun  einwerfen, 
dann  muss  doch  der  luTzetpoc  den  Artbegriff  schon  haben,  wenn 
er  die  verschiedenen  Einzel -(Jtvr^fxcti  in  der  Erkenntnis  ihrer 
(  leichartigkeit  zusammenreiht.  Freilich,  in  gewisser  Hinsicht 
niuss  er  einen  Artbegriff  schon  haben,  aber  dieser  Artbegriff 
1  »raucht  weder  bestimmt  ausgebildet  noch  auch  überhaupt  der- 
sell)e  zu  sein,  wie  der  durch  Reflexion  in  der  -s/vvj  gefundene  Art- 
begriff. Nehmen  wir  den  Fall  unseres  Beispiels.  Der  Ifnrsipos  schliesst 
die  Einzelwahrnehmungen,  wonach  dem  Kallias,  dem  Sokrates  und 
M)  vielen  einzeln  bei  dieser  Krankheit  dieses  Mittel  geholfen  hat, 
als  [Avrj[xc(i  tou  auiou  7rpa7fAatoc:  zusammen,  insofern  ihm  über  den 
verschiedenen  Personen  des  Kallias,  des  Sokrates  und  vieler  so 
einzeln  der  allen  gemeinsame  Artbegrift'  des  Menschen  vorschwebt, 
nicht  aber  der  sich  später  in  der  tI/v/;  entwickelnde  Artbegriff  der 

Noch    ein    Einwand    bleibt,    so    viel  ich    sehe,    übrig,    und 
zwar    richtet    sich    dieser    gegen    unsere    Erklärung    der    Ip-Trctpi«, 

I'cht  gegen  Aristoteles  selbst.  Bei  der  Besprechung  von  Schweglers 
nsicht    über    inr^tipia    und    xe/vrj    hatte    ich    als    letztes    Argu- 
ent   gegen   diese   Ansicht    die    Thatsache  ins   Feld   geführt,    dass 
Festschrift   Vahlen.  5 


66  Michael  Müller, 

Aristoteles  die  sfiTrstpia  und  xe/vr;  überall  mit  Fleiss  zusammen- 
stelle und  au  ihren  Gegensätzen  erläutere,  dass  er  981  a  1/2  den 
Satz  aufstelle  xai  Soxsi  o^^sSov  STnaiTjunfj  xotl  Tsyvifj  ojioiov  sTvott  y; 
IjATretpi«.  Wie  sei  dies  möglich,  da  doch  Ifirsipia  und  ts/vyj  so 
ganz  Verschiedenes  bezeichneten?  Dieselbe  Frage,  meine  ich, 
könnte  auch  gegenüber  unserer  Auffassung  von  ifA-sipta  und  ts^vt; 
gestellt  werden,  freilich  wohl  kaum  mit  gleich  gutem  Reclite. 
Denn  wenn  auch  bei  unserer  Auffassung  der  Unterschied  zwischen 
ifjL-sipta  und  "e/vyj  ein  wesentlicher  ist,  so  kann  doch  nicht  ge- 
leugnet werden,  dass  beide  auf  demselben  Grunde,  dem  Zusammen- 
schluss  der  Einzelwahrnehmungen,  beruhen:  die  iunretpia,  indem  sie 
eine  offen  summierte  Reihe  von  Einzelwahrnehmungen  darstellt,  die 
t£xv>3  so,  dass  sie  aus  der  offen  summierten  Reihe  der  Einzelwahr- 
nehmungen das  Gesamtresultat  in  Form  eines  einheitlichen  all- 
gemeinen Satzes  zieht.  Damit  dürfte  auch  dieser  letzte  Ein- 
wand erledigt  sein. 

Wir  gehen  nun  nach  abgeschlossener  Betrachtung  der  Begriffe 
von  iaTTSipia  und  's/vr;  mit  Aristoteles  dazu  über,  die  Gegensätze 
aufzuweisen,  welche  sich  für  sfiTrsipia  und  ts/vyj  ausserhalb  ihrer 
Begriffe,  aber  auf  Grund  eben  dieser  Begriffe  von  verschiedenen 
Gesichtspunkten  aus  ergeben.  Zunächst  ist  es  der  verschiedene 
Wer!  von  ijxTTcipia  und  'iyyr^  für  die  Praxis  (to  ::potTTetv),  den 
Aristoteles  zum  Gegenstand  seiner  Betrachtung  (981  a  12  —  24) 
macht.  Der  Hauptinhalt  dieser  Betrachtung  soll  im  folgenden  kurz 
angegeben  werden.  „Für  die  Praxis  (to  irpaT-etv)  steht  die  larstpia 
der  ~i'/yT^  an  Wert  nicht  nur  nicht  nach,  sondern  sogar  über  ihr.  Der 
Grund  liegt  darin,  dass  diese  die  Kenntnis  des  Allgemeinen,  jene 
dagegen  die  des  Einzelnen  ist,  die  Handlungen  aber  und  Ent- 
stehungen (ai  Ysvsas'.s)  nur  das  Einzelne  betreffen.  So  heilt  z.  B. 
der  Arzt  den  Kallias,  der  ja  xarot  oufiß'ßrjxoc,  per  accidens,  auch 
Mensch  ist,  nicht  aber  allgemein  den  Menschen."  Der  Gedanke 
des  Angeführten  ist,  meine  ich,  klar  und  bedarf  einer  Erläuterung 
nicht.  Ebensowenig  bedarf  es  wohl  eines  Beweises,  dass  er  mit 
unserer  Erklärung  von  sfjnretpt'ot  und  T£)(vyj  in  vollstem  Einklänge 
steht.  Das  Beispiel  von  Kallias  dient  nur  dem  Zwecke,  zu  zeigen, 
dass  die  Handlungen  das  Einzelne,  nicht  das  Allgemeine  betreffen, 
lind    hat    mit    dem  Beispiel  oben  nichts  mehr  gemeinsjini,   als  die 


Ueb.  d.  Gegensatz  v.  iitr.zipla  u.  t^/vt]  i.  ersten  Kap.  d,  Aristotel.  Metaphysik.  67 

Person  des  Kallias  und  den  Fall  einer  Krankheit ;  von  einer  genauen 
Uebereinstimniung  in  dem  Einzelnen  und  dem  Begriffe  kann  natür- 
lich keine  Rede  sein. 

Weiter  treten  nach  Aristoteles  die  sftTrsipia  und  xi^vr)  in  Gegen- 
satz zu  einander,  indem  sie  hinsichtlich  der  aocpta  nicht  auf  gleicher 
Stufe  stehen.  Vielmehr  sind  die  Künstler  oder  Theoretiker 
so'ftuTspoi  als  die  Erfahrenen,  insofern  nämlich  grössere  aocpia  dem 
höheren  Wissensgrade  zuerkannt  wird.  Diesen  Satz  nun,  dass  die 
-f/yT-ai  weiser  sind  als  die  £[j.~stpot,  begründet  Aristoteles  zunächst 
kurz  damit,  dass  jene  die  Ursache  kennen,  diese  aber  nicht,  dass  jene 
das  Warum  der  Erscheinung  wissen,  diese  nur  das  Dass.  Der  Aus- 
(h'uck  ist  knapp,  der  Gedanke  mehr  angedeutet  als  ausgeführt.  Doch 
das  gleich  nachfolgende  Beispiel  von  den  Werkmeistern  und  Hand- 
langern giebt  vielleicht  genaueren  Aufschluss.  Darin  nämlich  heisst 
es,  dass  wir  die  Werkmeister  mehr  ehren,  ihnen  mehr  Wissen  und 
Weisheit  zuerkennen  als  den  Handlangern,  weil  jene  die  Ursachen 
der  TToioujxsva  kennen,  diese  dagegen  nur  aus  Gewohnheit  (6i'  sdo?) 
thun,  was  sie  thun,  ohne  Kenntnis  dessen,  was  sie  thun  —  ähn- 
lich den  leblosen  Dingen,  den  c^'^^^ya,  die  (puss»  etwas  thun.  Ist, 
fragen  wir,  in  diesem  Beispiel  von  den  Werkmeistern  und  Hand- 
langern der  Unterschied  der  -zf/yiTon  und  ejirrstpoi,  ihr  Gegensatz 
hinsichtlich  der  Kenntnis  des  oioii  und  oxi  veranschaulicht  zu  denken, 
sind  die  ap-/i-£xTovcc  dieses  Beispiels  xs/vTrai,  die  Handlanger 
£[j.7r£ipoi  genau  im  Sinne  der  für  riyvri  und  stiTretpia  aufgestellten 
Begriffe?  Viele  der  Aristoteles-Interpreten  scheinen  es  zu  glauben, 
ich  möchte  es  nicht  glauben.  Einmal  nämlich  vermag  ich  nicht 
recht  einzusehen,  wie  auf  die  Handlanger,  von  denen  es  heisst  tou; 
0  Äarsp  7.ol\  Tfüv  d(|;u/(üv  Iviot,  irotsiv  fisv,  oux  e^ooxa  6^  Troiaiv,  a 
Tc'itsT,  oiov  xat'si  xo  -up,  der  Begriff  der  zp-r^zipo'.,  derer,  die  das 
Einzelne  in  einer  offenen  Summe  von  Einzelfällen  kennen,  zutreffen 
<oll;  dann  aber  sehen  wir  uns  doch  nur  den  Zusammenhang  und 
(Jedankenfortschritt  an.  Aristoteles  hatte  Zeile  25  —  27  behauptet, 
dass  die  x£-/vrxai  aocpwxspoi  sind  als  die  Ifi-stpot,  sofern  nämlich 
grössere  aocpia  nach  einem  (xaXXov  efSsvai  zuerkannt  wird.  Als 
ersten  Grund  nun  dafür  giebt  er  an,  dass  die  ip-z^jm  nur  das  oxt,  nicht 
;iber  die  Ursache,  die  xe/vixai  dagegen  das  oioxi  kennen.  Ist  nun 
damit  diese  erste  Begründung  des  vorangestellten  Satzes  m  xs^^ixai 

5* 


68  Michael  Müller, 

aoocutspoi  T(ov  Efi-sipwv  schon  beendet,  und  kann  also  Aristoteles 
füglich  dazu  fortschreiten,  sie  in  einem  Beispiel  zu  veranschau- 
lichen? Ich  meine  es  nicht;  vielmehr  fehlt  meines  Erachtens  der 
Gedanke,  dass  das  Wissen  des  Sio-i  ein  (xSXXov  s^ösvoi  ist  als  das 
Wissen  des  ort.  Und  diesen  Gedanken,  glaube  ich,  soll  das  Bei- 
spiel zum  Ausdruck  bringen,  nicht  aber  ein  Beispiel  sein  dafür, 
wie  die  sfiT^öipoi  nur  das  oti,  die  'zyyX-ai  dagegen  das  o'.ori  kennen. 
Der  Gedankenfortschritt  also  ist,  wie  ich  meine,  dieser:  die  Künstler 
sind  weiser  als  die  Erfahrenen,  insofern  grössere  Weisheit  dem 
IitXKov  eioivai  zukommt;  Grund  aber  dafür,  dass  die  lepixai  weiser 
sind  als  die  Ejjnrsipoi,  ist  der  Umstand,  dass  jene  die  Ursache,  das 
SioTt,  diese  dagegen  nur  die  Thatsache,  das  ort,  kennen;  darum 
aber,  weil  sie  die  Ursachen  kennen,  schreiben  wir  auch  den 
Werkmeistern  ein  txaXXov  stosvoti  und  grössere  aocpia  zu  als 
den  Handlangern,  die  aus  Gewohnheit  thun,  was  sie  thun.  — 
Wir  sehen  demnach,  dass  das  Beispiel  von  den  Werkmeistern 
und  Handlangern  nicht  gut  verwertet  werden  kann,  wo  es  sich  um 
das  Verstehen  und  Erklären  des  oxi  der  i[x-£iprot,  des  oiri-i.  der 
TsyvTj  handelt.  Hierfür  bleiben  uns  also  nur  die  Begriffe  der  beiden 
Ausdrücke  (ein  mehreres  nämlich  über  das  oti  und  otoxt  führt 
Aristoteles  nicht  aus)  zur  Verfügung,  und  sie  allein  genügen  auch 
meiner  Ansicht  nach  durchaus.  Wenn  nämlich  die  iunreipta  eine 
Keihe  von  Einzelfällen  in  oflener  Summe  umfasst,  die  tiyyr,  da- 
gegen aus  den  vielen  Einzelfällen  das  allen  gemeinsame  Gleiche 
herausstellt  und  in  einen  einheitlichen  allgemeinen  Satz  bringt,  so 
ist  es  klar,  dass  erstere  die  Erscheinungen  nur  als  thatsäch- 
lich  geschehen  kennt,  letztere  hingegen  ihre  Ursache  weiss. 
Denn  das  allen  gemeinsame  Gleiche,  das  aus  den  vielen  gleich- 
artigen Einzelfällen  herausgestellt  wird,  muss  doch  wohl  die  Ur- 
sache dieser  gleichartigen  Einzelerscheinungen  enthalten,  wenn 
anders  die  Ursache  vieler  gleichartiger  Einzelerscheinungen  in  dem 
ihnen  allen  Gemeinsamen,  nicht  aber  dem  in  ihnen  Verschiedenen  liegt. 
Doch  nicht  bloss  mit  dem  ort  der  I(jn:£ipi7,  dem  otött  der 
Ts^vT]  begründet  Aristoteles  seinen  vSatz,  dass  die  Ts/vhai  weiser 
seien  als  die  efxTretpoi;  noch  weiteres  führt  er  hierfür  an.  So  heisst 
es  981  b  7  — 10  „Und  besonders  ist  das  Lehrenkönnen  Zeichen 
des  Wissenden,    und    darum  meinen  wir,    dass  die  Te/yr^  mehr  aks 


l'eb.  d.  Gegensatz  v.  i[t.Kzi(jia  u.  xi/vrj  i.  ersten  Kap.  d.  Aristotel.  Metaphysik.  (59 

die  inizsioioi  Wissenschaft  ist;  denn  die  xs/virai  können  lehren,  die 
znr.zipoi  nicht."  Gegen  diesen  durchaus  khiren  Gedanken  ist  vom 
Standpunkte  unserer  Auffassung  der  sfATrsipia  und  Ts/vr^  aus  nichts 
einzuwenden :  ist  doch  die  ia-stpta  als  Kenntnis  vieler  Einzelfälle, 
die,  in  offener  Reihe  zusammengefasst,  stets  durch  neue  Wahr- 
nehmungen vermehrt  werden  können,  thatsächlich  nicht  lehrbar, 
während  der  abgeschlossene,  allgemeine  Inhalt  der  xs'xvrj  wohl  ge- 
lehrt werden  kann.  Noch  bemerke  ich,  dass  auch  die  Nichtlehr- 
harkcit  der  iar.zipia  es  unmöglich  macht,  die  ifx-KSipia  als  einen  ein- 
heitlichen allgemeinen  Satz  aufzufassen. 

Auch  mit  der  Ausführung  von  der  Lehrbarkeit  der  iaitetpia  und 
~i'/yr^  ist  die  Begründung  des  Satzes  ot  -ze/yiTai  cto'^ioxepoi*  -oiv  sa-ei'pcuv 
noch  nicht  abgeschlossen.  Wenigstens  zeigt  doch  das  sxi  am  Ende  der 
Zeile  9,  dass  an  das  Vorhergehende  ein  weiterer,  in  gewisser  Hinsicht 
gleichartiger  Gedanke  angeknüpft  wird;  gleichartig  aber  kann  der 
mit  £Ti  eingeleitete  Satz  dem  vorhergehenden,  im  Inhalt  völlig 
von  ihm  verschiedenen  Satze  nur  so  werden,  dass  er  demselben 
Zwecke,  nämlich  der  Begründung  des  Satzes  oi  le/vfxai  aocpcu-spot 
TÄv  ifxTTsipajv,  dient.  Nun  enthält  der  mit  Ixt  angeschlossene  Satz 
folgenden  Gedanken:  wir  halten  nie  eine  Wahrnehmung  für  aocptot, 
wie  wichtig  auch  die  Wahrnehmungen  für  die  Erkenntnis  des  Ein- 
zelnen sind.  Wie  kann  dieser  Gedanke  jenen  Satz,  dass  die  Tz/yi-an 
weiser  sind  als  die  sfiTistpoi,  begründen?  Ich  meine,  er  kann  es 
so:  auch  sind  unserer  gewöhnlichen  Anschauung  nach  aiaör^ast; 
keine  aocpta;  aiaör^ast?  aber  sind  ja  der  eigentliche  Inhalt  der 
=H-£iptot:  also  ist  unserer  gewöhnlichen  Anschauung  nach  sfXTTöipia 
keine  ao'iia.  —  Aristoteles  führt  somit  als  letzten  Grund  für 
den  Satz  ot  zv/yX-at  aocpeinspoi  xoüv  £[x7rstp(üv  die  allgemein  gel- 
tende Ansicht  über  die  ctidOv^aei?  oder  die  sfxTrstpta  an.  Dass 
1-  dabei  die  'i'/yr^  nicht  ausdrücklich  in  Gegensatz  setzt  zur  suTteipia 
oder  den  a^oOi^aäi? ,  kann  meines  Erachtens  nicht  befremden, 
zumal  da  er  doch  im  gleich  folgenden  Satze  sagt,  dass  zuerst 
der  OTTOtavouv  £Gpa>v  -iyyry  r^rA  xa;  xoivä^  ociail/jCiöi;  von  den 
Menschen  bewundert  wurde  «)?  aocpos  x^l  otacpspwv  twv  aXXfuv. 
Es  liegt  also,  meine  ich,  in  dem  Satze  exi  oz  xöiv  aiaör^acwv 
ovocixictv  7j7ou(jiiöa  sivat  aoütctv  ein  gewisser  Nachdruck  auf  dem 
Vcrbum  fjYO'jasOa:    unsere  allgemeine   Ansicht    schliesst    sich  den 


70        Micliael  Müller,  Ucbor  den  Goffciisatz  von  ^(j.netpta  und  "^i/yri. 

vorhergehenden    theoretischen    Gründen  als    letzter,    nicht    theore- 
tischer, an. 

Hiermit  ist  die  Erörterung  des  Satzes,  dass  die  ts/vitat  weiser 
seien  als  die  £|nr£ipot,  und  zugleich  die  Erörterung  des  zwischen 
sixiretpiot  und  riyv^  bestehenden  gegensätzlichen  Verhältnisses  über- 
haupt zu  Ende  geführt.  Im  noch  folgenden  Teile  des  Kapitels 
handelt  dann  Aristoteles,  während  er  die  geschichtliche  Entwicke- 
lung  der  xs/vrj  verfolgt,  von  den  verschiedenen  Arten  der  xsjrvat, 
ohne  auf  die  epiTrsipta  eigentlich  zurückzukommen  und  für  das 
Verhältnis  der  sfnreipia  und  li^^^  ^^  einander  neue  Gesichts- 
punkte auf:^ustellen. 


V. 

Adolf  Busse. 


Ueber  die  in  Ammonius'  Kommentar  er- 
lialtene  Ueberlieferung  der  aristotelischen 

bCnrilt     n£(il  kQfirjvalag. 


13 


Nachdem  Ammonius  in  der  Einleitung  seines  Kommentars  zu 
der  im  aristotelischen  Organon  an  zweiter  Stelle  stehenden  Schrift 
rispt  epar^vEia?  die  üblichen  Vorfragen  erledigt  hat,  erklärt  er  schliess- 
lich (p.  8,  24  ed.  Busse)  toutojv  ouv  TrpostXTjixtisvtov  <3pa  Xo'.ttov  Tjaiv 
BTZi  TTjV  iir^'(r^al)/  xf^?  Xs^sto?  j^ud^ziv,  r^\^  (So)/zcsTpa.\i\iivy]v  ouaav  sfjKpaasws 
T£  xal  TroXuvoia?  '(i[t.ooaoiv  xai  uirö  ßpaysia?  TrapaXXaYTjS  a^av  svtoxs 
t6  vor^ixa  sJaXXaiTouaav  xat  sv  iroXXoi?  töüv  avxt^pacpoiv  t^Stj  xouxo 
7:e-ovOurav  «Trasav  s^r^s  sooxiaaaajjLSV  irapaOsaöat  Trpö;  otaYvwaftv  x^?  a/pt- 
ßsaxipa?  eivai  ooxo-jir^c  i/Soasw;.  Weil  also  bei  der  gedrängten,  inhalts- 
reichen und  prägnanten  Ausdrucksweise  durch  eine  kleine  Aenderung 
bisweilen  der  ganze  Gedanke  umgestürzt  wird  und  viele  Abschriften 
schon  solche  Abweichungen  aufweisen,  so  hält  er  es  für  angemessen, 
in  der  Folge  den  ganzen  Text  anzuführen,  damit  man  in  der  Lage 
sei,  den  Wert  einer  Ausgabe  in  Bezug  auf  die  Genauigkeit  des  Textes 
zu  beurteilen.  Offenbar  hatte  das  Haupt  der  alexandrinischen 
Philosophenschule  auf  Grund  eines  Vergleiches  der  verbreiteten  Schul- 
ausgaben des  Organons  mit  einer  Handschrift  der  alexandrinischen 
Bibliothek  die  um  sich  greifende  Verderbnis  des  Textes  erkannt 
und  fühlte  sich  dadurch  veranlasst,  nicht  nur  Lemmata  den  Er- 
läuterungen vorauszuschicken,  wie  es  allgemein  Brauch  war,  sondern 
den  ganzen  Text  seinem  Kommentare  abschnittweise  einzufügen.  Wir 
haben  also  hier  ein  interessantes  Beispiel  indirekter  Ueberlieferung, 

in  Rücksicht  auf  den  Urheber  wie  auf  die  Quelle,  aus  der  dieser 
schöpft  hat,  unsere  Beachtung  verdient  und  der  Ausbeute  harrt. 

Ammonius  war  Schüler  des  im  Jahre  410  geborenen  Proklus 
Igl.  Freudenthal,  Rh.  Mus.  1888  p.  486)  und  Lehrer  der  im  Jahre 

zur  Auswanderung  aus  Athen  gezwungenen  Philosophen  Simpli- 


74  Adolf  Busse, 

cius  und  Damascius.  Sein  Leben  fällt  also  in  die  zweite  Hälfte 
des  5.  Jahrhunderts.  Er  wird  von  seinen  Schülern  als  ein  fleissiger 
und  sorgfältiger  Ausleger  aristotelischer  Schriften  gerülimt  (vgl. 
Zeller  V '  p.  829),  und  wir  können,  nachdem  die  unter  seinem 
Namen  gehenden  Kommentare  zur  Isagoge  des  Porphyrius  und  zu 
den  Kategorien  sich  als  magere  Nachschriften  seiner  Vorlesungen 
herausgestellt  haben  (vgl.  Ammonius  in  Arist.  Cat.  p.  V),  auf  Grund 
des  vorliegenden  Kommentars  dem  anerkennenden  Urteile  wohl 
beistimmen,  natürlich  mit  nachsichtiger  Beurteilung  der  jener  Zeit 
anhaftenden  Schwächen  und  Wunderlichkeiten.  Er  weiss  jedenfalls 
den  Wert  eines  guten  Textes  als  Grundlage  des  Kommentars  zu 
schätzen  und  hat  vor  der  Ueberlieferung  die  bei  den  Alten  übliche 
Ehrfurcht.  Wir  sind  also  wohl  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass 
er  den  Text  aus  seiner  Handschrift  mit  der  nötigen  Sorgfalt  abge- 
schrieben und  vor  allen  willkürlichen  Aenderungen  bewahrt  hat. 
Das  ist  unzweifelhaft  ein  anerkennenswertes  Verdienst.  Allein  wer 
im  Besitze  grosser  Mittel  ist,  hat  auch  grosse  Verpflichtungen. 
Ammonius  verfügte  über  die  Schätze  der  alexandrinischen  Biblio- 
thek, er  war  in  der  Lage,  vom  Guten  das  Beste  auszuwählen  und 
seinen  Lesern  von  der  getroffenen  Wahl  Rechenschaft  zu  geben. 
Aber  von  einer  Mitteilung  über  seine  Handschrift  findet  sich  in 
dem  Kommentare  nicht  eine  Spur.  Alle  in  uns  auftauchenden 
Fragen  nach  dem  Ursprung,  dem  Alter,  der  Beschaffenheit  der- 
selben bleiben  unbeantwortet.  Er  war  in  der  Lage,  andere  Hand- 
schriften heranzuziehen  und  daraus  Abweichungen  mitzuteilen.  Aber 
was  er  in  dieser  Beziehung  bietet,  ist  doch  recht  dürftig,  und  wir 
können  trotz  seiner  ausdrücklichen  Erklärung  kaum  den  Argwohn 
unterdrücken,  dass  er  in  eine  andere  Handschrift  überhaupt  keinen 
Blick  geworfen  hat.  Es  klingt  ja  sehr  vertrauenerweckend,  wenn 
er  p.  50,  7  bemerkt  dXX'  autrj  jxsv  yj  s^rf^rjais  dpfjioast  xrfi  7pa<?rj; 
oSttüC  zyodorfi^  «>?  TrotpsösixsOa,  xGti)a::£p  sv  xot;  Tr^siaxot;  avtqpa'fois 
£upi(3xo(iev.  Wenn  er  dann  aber  fortfährt  e?  os  xcd  outo)  tive; 
ädsXoiev  e/siv  ttjv  Ypot^^jv  'xai  dsi  täv  UTtapyovrcuv  arjjxsiov  saxiv, 
oiov  TÄv  xa{)'  u::oxEi[x£vou' ,  xaOdTisp  6  cpiXoao'fo?  Ilopcpupioc  ütjüiv, 
so  verrät  er  selbst,  dass  er  die  abweichende  Lesart  nicht  in  einer 
Handschrift,  sondern  im  Kommentar  des  Porphyrius  gefunden  hat, 
und  wir  vermuten,   dass  das  gespreizte  ev  toi;  tcXsiotoi;  dvTt^pdcpois 


Ueber  die  in  Ainmonius'  Komm.  erh.  Ueberlicferuiig  von  Ilep't  Ep[j.rjVciaj.   75 

nichts  weiter  als  eine  liohle  Redensart  ist.  Einen  gleichen  Arg- 
wohn erweckt  die  andere  Stelle,  an  der  er  eine  Variante  anführt. 
Es  heisst  p.  244,  5  eut  os  touko  to  'ajxcpw  o£  «Xr^Oss  sittciv  to 
ouvfXTÖv  eivat  ßaot'Csiv  r^  sivai'  8i)(a);  '(pd^zabai  cpaiisv  v^  -^ap  ouxo)? 
u>;  EcsOsfxsöa,  r^  avtl  tou  Suva-cov  to  [itj  douvaiov.  Wo  er  die  Les- 
art TO  [17]  aö'jvaxov  gefunden  hat,  teilt  er  uns  nicht  mit;  und  wir 
dürfen  wohl,  wie  oben,  annehmen,  dass  er  in  seiner  Handschrift 
TO  ouva-ov  gelesen  hat,  dagegen  in  der  seinen  Kommentar  speisen- 
den Quelle,  bei  Porphyrius,  xo  [jlyj  dSuvaTov.  Dass  also  Ammonius 
irgend  eine  andere  Handschrift  zu  Rate  gezogen  haben  sollte,  wie 
man  bei  einem  flüchtigen  Blick  auf  die  beiden  angeführten  Stellen 
ermuten  könnte,  ist  höchst  unwahrscheinlich. 

Doch  wir  müssen  uns  begnügen  mit  dem,  was  der  Kommen- 
tator giebt.  Es  ist  immerhin  etwas.  Wir  gewinnen  einen  Einblick 
in  den  Text  unserer  Schrift,  wie  er  im  5.  Jahrhundert  gelesen 
wurde  und  vielleicht  aus  sehr  viel  früherer  Zeit  stammt.  Gelegent- 
liche, leider  zu  sparsame  Anführungen  im  Kommentar  machen  uns 
auch  mit  einigen  Lesarten  älterer  Kommentatoren,  des  Porphyrius 
und  Alexander,  bekannt,  so  dass  wir  uns  wohl  ein  Bild  machen 
können  von  der  Textgestaltung  damaliger  Zeit  im  Vergleich  mit 
unsern  handschriftlichen  Quellen  des  Organons,  von  denen  die 
testen  dem  10.  Jahrhundert  angehören. 

Bevor  wir  an  diese  Arbeit  gehen,  müssen  wir  noch  der  Frage 
ch  der  Zuverlässigkeit  der  uns  im  Ammonius  überlieferten  Text- 
staltung  einige  Worte  widmen.     Wir  wollen  doch  nicht  vergessen, 
dass  der  Text  in  der  Zeit  von  Ammonius  bis  zum  13.  Jahrhundert, 
dem  unsere  Handschriften    stammen,    mannigfachen  Störungen 
insgesetzt  war.     Man  hat  ja  längst  erkannt,  dass  in  den  Kommen- 
taren   die    den    Erläuterungen    vorausgeschickten  Lemmata  für  die 
'extkritik    der    kommentierten    Schi'ift    völlig   wertlos    sind.      Die 
.üchtigkeit,    mit    der    die  meisten  Kommentare  niedergeschrieben 
d,    ist  längst    nicht    die  schlimmste  Fehlerquelle.     Weit  schäd- 
iher  war  das  Bestreben  der  Abschreiber,    scheinbare   Fehler   der 
immata  mit  Hülfe  des  nebenstehenden  Textes  zu  beseitigen.     So 
rden     denn     die     Lemmata    in    den    Strom    der    wechselnden 
arten  des  nachbarlichen  Textes  hineingezogen  und  machten  deren 
andelungen  mit.     Dagegen  hat  man  den  in  die  Erklärungen  ein- 


^%is 


76  Adolf  Busse, 

gestreuten  Citaten  grösseres  Vertrauen  entgegengebracht.  Diese 
hoben  sich  nicht  aus  ihrer  Umgebung  heraus  und  wurden  daher 
von  dem  Strome  nicht  fortgerissen.  Hier  hat  sich,  wie  es  scheint, 
der  dem  Kommentator  vorliegende  Text,  wenn  auch  nur  in  kleinen 
Trümmerstücken,  rein  erhalten,  hier  darf  man  hoffen,  nur  echte 
Steine  aufzulesen. 

Es  ist  ebenso  interessant  wie  lehrreich,  dieser  Frage  bei  unserem 
Kommentar  nachzugehen,  der  der  Untersuchung  einen  günstigen 
Boden  bietet,  insofern  es  hier  möglich  ist,  mit  jedem  Citat  den 
Wortlaut  des  vorangestellten  Textes  in  Vergleich  zu  stellen  und 
beide  Ueberlieferungen  an  einander  zu  messen.  Wir  werden  da 
nicht  ohne  Verwunderung  beobachten,  wie  zahlreich  die  Ab- 
weichungen zwischen  Lemma  und  Citat  sind,  wie  häufig  wir  die 
Frage  nach  der  von  Ammonius  herrührenden  Lesart  mit  einem 
non  liquet  beantworten  müssen.  Andererseits  sind  uns  diese  Ab- 
weichungen wertvoll,  da  sie  uns  einen  Einblick  in  die  Fehlerquellen 
der  U^eberlieferung  gestatten  und  zwischen  zuverlässigen  und  unzu- 
verlässigen Lesarten  eine  scharfe  Grenze  ziehen.  Denn  es  wäre 
durchaus  voreilig,  alle  Abweichungen  den  Lemmata  zur  Last  zu 
legen  und  unser  Vertrauen  den  Citaten  allein  zuzuwenden.  Zwar 
zeigen  die  Lemmata  neben  den  durch  Nachlässigkeit  der  Abschreiber 
hervorgerufenen  Abweichungen  auch  die  Beeinflussung  durch  eine 
Aristoteles-Handschrift  in  einigen  Fällen  mit  solcher  Deutlichkeit, 
dass  unser  Vertrauen  auf's  empfindlichste  erschüttert  wird.  Doch 
sind  auch  die  Citate  nicht  makellos.  Zu  der  Flüchtigkeit  der  Ab- 
schreiber tritt  hier  als  zweite  Fehlerquelle  die  Ungenauigkeit  des 
Kommentators  hinzu,  der  den  Wortlaut  der  behandelten  Stelle  so 
gut  kannte,  dass  er  es  nicht  für  nötig  hielt,  in  den  Text  zu  sehen, 
sondern  frischweg  aus  dem  Kopf  citierte,  wobei  denn  ein  Irrtum 
sehr  leicht  unterlaufen  konnte.  Dieser  scheint  nur  in  dem  Falle 
ausgeschlossen  zu  sein,  wenn  er  eine  Lesart  ausdrücklich  als  solche, 
z.  B.  zur  Abwehr  einer  anders  lautenden  Ueberlieferung,  anführt. 
Giebt  er  dagegen  im  Tenor  seiner  Auslegung  eine  Textstelle  wieder, 
so  liegt  eine  Textänderung  auch  bei  einem  sorgfältigen  Schrift- 
steller durchaus  in  den  Grenzen  menschlicher  Unvollkommenheit. 
Wir  haben  also  drei  Fehlerquellen  zu  berücksichtigen:  1.  in  den 
Lemmata   die   Beeinflussung   des   Textes  durch  Aristoteles -Hand- 


üeber  die  in  Ammonius'  Komm.  eih.  Ueberlieferuno;  von  flepi  epiir^veta;.  77 

Schriften,    2.  in  den  Citaten  die  Ungenauigkeit  des  Kommentators, 
3.  in  Lemma  und  Citat  die  Flüchtigkeit  der  Abschreiber. 

Was  zunächst  die  erste  Fehlerquelle  anbetrifft,  so  lässt  sich 
an  unseren  Ammonius-Handschriften  das  Verfahren  der  Abschreiber 
noch  deutlich  erkennen.  Hier  ein  Beispiel.  Amm.  p.  101,  11 
lesen  wir  in  der  einen  der  beiden  Handschriften,  welche  die  Lemmata 
in  unverkürzter  Gestalt  überliefern,  xatacpotai;  aX/;f)T]?  stjxott,  in  der 
anderen  x-xTacpaatc  scroti  mit  übergeschriebenem  dXr^örjC.  Noch  einen 
Schritt  weiter,  und  wir  würden  in  beiden  Handschriften  das  aXr^D^ 
finden,  das  im  Kommentar  p.  101,  22  ausdrücklich  als  fehlend 
bezeugt  w'ird,  aber  freilich  in  den  Aristoteles-Handschriften  steht. 
Ein  anderes  Beispiel.  Amm.  p.  239,  11  hat  die  eine  Handschrift 
übereinstimmend  mit  unserem  Aristoteles-Texte  fxTj  aouvatov,  während 
der  Kommentator  doch  p.  244,  5  geflissentlich  ouvarov  als  seine 
Lesart  erwähnt.  Diese  Beeinflussung  hat  aber  auch  schon  die 
Quelle  dieser  beiden  Handschriften  erfahren,  und  ich  glaube  sogar 
die  Aristoteles -Handschrift  nachweisen  zu  können,  aus  der  die 
Korrekturen  geflossen  sind.  Wir  lesen  nämlich  Amm.  p.  109,  8 
(Arist.  p.  17  b  24)  im  Lemma  xa?  os  avxixeifxsva?  auxai?  £vo£j(£xat 
zoxs  £1x1  Tou  auxou  dXrjösusiv,  während  in  dem  Citat  des  Kommen- 
tars p.  180,  13  das  aXT^Ö£U£iv  fehlt.  Nun  enthalten  diesen  Zusatz 
nach  Waitz  nur  zwei  Handschriften,  Coisl.  330  (C)  und  Laur.  72,  3 
(e).  Die  letztere  kommt  hier  nicht  in  Betracht,  da  sie  erst  dem 
14.  Jahrhundert  angehört  und  ihrerseits,  wie  sich  aus  mehreren 
Stellen  folgern  lässt,  unter  dem  Einfluss  des  Ammonius-Textes  steht. 
Also  muss  das  aXr^ööustv  aus  der  Handschrift  C  oder  deren  Quelle 
entnommen  sein.  Ein  zweites  Beispiel  findet  sich  Amm.  p.  41,  14 
(Arist.  p.  I6a  32),  wo  im  Lemma  der  Zusatz  oxi  6fjL0''(o;  £'f'  oxou- 
o'jv  u-oip/E'.  xoti  ovxo;  xotl  fjLTj  ovxo?  (vgl.  Arist.  p.  16  b  5)  steht,  den 
Ammonius,  wie  sich  aus  der  Erläuterung  p.  42,  If.  verglichen  mit 
p.  52,  11  ergiebt,  nicht  gelesen  hat.  Denselben  Zusatz  enthalten 
nur  C  e  und  einige  von  C  abhängige  jüngere  Handschriften.  L^nd 
diese  Handschrift  begegnet  uns  bald  in  grösserer,  bald  in  kleinerer 
<iesellschaft  überall,  wo  eine  Beeinflussung  des  Lemma  vorzuliegen 
scheint.  So  lesen  wir,  wie  in  C,  Amm.  p.  17,  16  (16a  5)  oGxto? 
^uo£,  dagegen  p.  23,  34  bloss  ooo£;  p.  203,  33  (21a  3)  l'cuxoaxyj? 
ixpa-r^c  avDpojTTo?,    während  nach  p.  206,    9  Ammonius  nur  ein- 


78  Adolf  Busse, 

mal  ZcDxpa-irj?  gelesen  zu  haben  scheint;  p.  29,  30  (16a  20)  eaxt, 
das  sowohl  durch  die  falsche  Stellung  wie  auch  durch  das  Citat 
p.  32,  25  als  Interpolation  gekennzeichnet  wird;  p.  210,  4  (21a  22) 
0^,  wofür  Ammonius  nach  p.  212,  20  oU  gelesen  hat.  Durch  diese 
Beobachtung  sinkt  der  Wert  des  in  den  Lemmata  überlieferten 
Textes  natürlich  ganz  erheblich,  namentlich  Avird  jedesmal,  wenn 
Ammonius  mit  C  gegen  die  ihm  eng  verwandten  Aristoteles-Hand- 
schriften A  und  R  übereinstimmt,  ohne  dass  die  Lesart  im  Kom- 
mentar eine  Bestätigung  findet,  sich  sofort  der  Verdacht  regen, 
dass  wieder  eine  Korrektur  aus  C  vorliegt.  Es  wäre  daher  ver- 
fehlt, für  Lesarten  wie  Amm.  p.  41,  13  (16a  30)  -,£,  p.  58,  11 
(16b  33)  (ocjKsp  srpr^Toci,  p.  144,  3  (18b  11)  scsnv  ^,  p.  147,  3 
(18b  28)  IxasT«,  p.  176,  5  (20a  4)  oYiotivstv  xal  ßocot'Cetv,  p.  219, 
30  (21b  5)  07^,  p.  220,  27  (21b  5)  0.1  xoiji  oüvaxov  slvai  xctt  ouvaTov 
{jly;  sivat,  p.  236,  17  (22  b  27)  te,  welche  in  C  und  in  den  Lem- 
mata gleichlautend  überliefert  sind,  die  Autorität  des  Ammonius 
geltend  zu  machen.  Nur  dann,  wenn  die  Lesart  durch  ein  Citat 
verbürgt  wird,  dürfen  Avir  glauben,  auf  festem  Boden  zu  stehen, 
wenngleich  auch  die  Citate  mit  Vorsicht  zu  behandeln  sind. 

Denn  als  zweite  Fehlerquelle  wurde  oben  die  Ungenauigkeit 
des  citierenden  Schriftstellers  genannt.  Ein  deutliches  Beispiel 
hierfür  findet  sich  p.  61,  33,  wo  Ammonius  mit  den  Worten  sv 
0^  TOI?  onrXoi?  ßouXstai  (x^v  dXX'  ouosvo?  xE/^o>pi3fi.iVov  von  der  Stelle 
p.  58,  9  (16b  32),  die  er  eitleren  wollte,  zu  der  ähnlich  lauten- 
den Stelle  p.  33,  5  (16a  25)  abirrt.  Einen  ähnlichen  Fall  hai)eii 
wir  p.  79,  35  (17  a  15)  eaxt  6s  et?  irpai-os  X670;  aTxo'^otvxixo?  6  ev  Sr^Xcov, 
TToXXot  03  Ol  TxoXXot  xcti  JX7J  £v,  WO  er  den  Zusatz  irpÄTo?  aus  p.  17  a 
8  aufgenommen  und  ausserdem  den  Wortlaut  verstümmelt  hat, 
während  einige  Zeilen  vorher  (p.  79,  11)  beide  Stellen  richtig  ange- 
führt sind.  Ebenso  hat  er  p.  172,  17  (19b  36)  £vo£5(£X'3tt  a-jvaXr^- 
Osrjetv  dem  Lemma  (p.  171,  11)  entsprechend  geschrieben,  dagegen 
p.  173,  19  willkürlich  olXr^8£ue(3i)7t  ouvaxov  gesetzt;  Avie  p.  203,  9 
(20b  23)  richtig  ^,  dagegen  200,  18  ^xoi  (vgl.  199,  11).  An  diesen 
Stellen  haben  wir  in  dem  Kommentar  selbst  die  Kontrolle,  und  es 
bleibt  für  den,  der  den  Makel  ungenauer  Citierung  auf  Ammonius 
nicht  sitzen  lassen  will,  nur  der  AusAveg,  mit  kecker  Hand  die 
Ueberlieferung  zu  ändern.     Wenn  aber  nur  das  Lemma  znm  Vor- 


üeber  die  in  Ammonius'  Komm.  erh.  ITeberliefemng  von  Hept  spfiTjvei'a;.   79 

gleich  vorliegt,  so  muss  man  auf  den  Einwand    gefasst    sein,    dass 
der  Kommentar  die    richtige,    das  Lemma  die  korrumpierte  Lesart 
biete.      Trotzdem    glaube    ich  p.  40,  32   (I6a  28)    s/jp-atvouai    für 
OTjXouai    -j's,    p.  55,  11  (16b  22)    ot/aov   oder  or^Xoi  für  o/jjjLOtivst,  p. 
175,31  (20a  2)  dvTr^riasu:  für  dvx-.&sastc,  p.  241,  16  (22b  36)  sTv^t 
xotl  ßaouiiv  für  r^  zlvrxi  tj  ßaot'Cciv,  p.  252,  24  (23b  1)  tuJv  'i;e'jo(ov 
lür  -o6tu>v  dem  Ammonius   zur  Last  legen  zu  müssen.      Hierher 
gehört  auch  die  p.  50,  10  aus  Porphyrius  angeführte  Lesart  xat  dzi 
Tüiv  u-otpj(ovr(üv  arjusTov  £3riv,  ofov  täv  xctfl'  uTToxsiasvou.    Sollte  Por- 
phyrius wirklich  kov  uTiap^ov-tov  für  täv  xai)'   stspou  Xsyotxsvwv  ge- 
schrieben haben?    Die  von  Ammonius  als  Erklärung  hinzugefügten 
Worte  beziehen  sich  jedenfalls  nur  auf  das  bei  Porphyrius  fehlende 
Tj  £v  uTTOxctusvco,  eine  andere  Abweichung  scheint  für  ihn  nicht  vor- 
handen zu  sein.    Und  doch  würde  das  uTrap/ovrcov  an  einer  Stelle, 
wo  Aristoteles  die   Erläuterung   der  vorangestellten  Definition  des 
pr^fia  giebt  und  mit  Fleiss  die  Worte  der  Definition  wiederholt,  ent- 
schieden eine  kräftige  Abweisung  verdienen.    Ich  glaube  daher,  dass 
auch  hier  nur  ein  lapsus  calami  von  Seiten  des  Ammonius  vorliegt. 
Häufig    beruht    die    Abweichung    zwischen    Kommentar    und 
Lemma  in  der  veränderten  Stellung.     So  lesen  wir  p.  27,  5  (16a 
12)  To  c/X'/jOsc  xcüi  xo   (];stjoo?  für  t6   '^süoo;  xotl   ~o   akr^\)£:,    wie    im 
Lemma  (p.  2(),  6)  nach  der  Handschrift  F  es  heissen  muss,  p.  80, 
17  (17  a  20)  aTiXT]  ä-ocpotvatc  iazi  für  octt^Tj  ia-tv  otrocpavcrtc  (77,  26), 
123,  28  (17  b  39)  otTr'ocpr^sat  SsI  für  oeT  ocTro-fr^aai  (i23,  2),  p.  196, 
1    197,  9  (18a  18)  iaatiov    ovoua    für    ovo[i.a  tfiaiiov  nach  p.   125, 
^^2.    Ich  vermute,  dass  wir  auch  diese  Umstellungen  dem  Ammonius 
^■tif  s  Konto  setzen  müssen.     Dagegen  erscheint  es.  mir  zweifelhaft, 
^Hb  p.  138,  21  (18a  28)  das  ausgelassene  ova^xy;,    das  im  Lemma 
^^.  128,  15    steht,    nicht    dem  Abschreiber    zur  Last    fällt,    ebenso 
p.  77,  19  (17  a  17)  das  fehlende  ouv.     Auch  bei  einigen  Zusätzen 
in  den  Citaten  fragt  es    sich,    ob  Ammonius  oder  ein  Interpolator 
der    Schuldige    ist.      Solche   Zusätze    sind    p.  144,  15  (18  b  9)  xt, 
das  im  Lemma  p.  144,  1  fehlt,  p.  244,  14  (23  a  17)  xal  vor  -(ö 
ava'vxrj,-,  das  p.  239,  15  fehlt,  endlich  p.  69,  26  (17  a  12)  y)  t6 
X  £(3Tty  (vgl.  p.  69,  3),    das  schwerlich  von  Ammonius  herrührt. 
Wir  sind  mit  diesen  Stellen  schon  zu  der  dritten  Klasse   von 
weichungen    gelangt,    die    wir    durch    Korrektur    zu    beseitigen 


1 4 


80  Adolf  Busse, 

haben.  So  werden  wir  p.  140,  25  und  141,  19  hinter  dvdy/.r^  ein 
7j  einschieben,  um  die  Uebereinstimmung  mit  p.  141,  24  herzu- 
stellen, p.  155,  13  hinter  ovjfi.ottvsi  ein  xctt,  das  p.  156,  21  steht, 
p.  239,  15  Bexai  nach  p.  244,  14  in  ir.t-ai  ändern,  p.  28,  4  6 
in  To  verwandeln,  das  wir  p.  26,  8  lesen.  In  p.  191,  12  muss 
av&ptu-oc  Xsux'k  gestellt  werden,  wie  p.  193,  1  beweist.  Endlich 
finden  wir  p.  77,  29,  p.  80,  18,  p.  80,  35  drei  Stellen,  die  in  Ein- 
klang zu  bringen  sind.  Es  heisst  p.  77,  29  (17  a  23)  uspi  -oo 
UTTOtp/e«.  Ttvl  t;  [itj  u-otp/si,  p.  80,  18  TSpl  Tou  d  or.dpyzi  ->. 
T(  [xrj  uzap/c'.,  p.  80,  35  .  .  st  uTrap/st  tivI  t)  jirj  u-otpyst.  Dass 
an  der  ersten  Stelle  et  hinzugefügt  werden  muss,  ist  klar,  ebenso 
dass  entweder  xt,  wie  an  der  zweiten  Stelle,  oder  xt  xivt  stehen 
muss.  Ich  möchte  mich  dafür  entscheiden,  das  einfache  xi  zu  setzen, 
und  den  Wortlaut  der  zweiten  Stelle  auch  an  den  beiden  andern 
herzustellen.  Dann  kommt  die  Lesart  des  Ammonius  dem  in  unseren 
Aristoteles-Handschriften  und  bei  Boethius  überlieferten  Texte  (-spi 
xou  (i-dp/siv  tt  y;  »xr;  u-ap/stv)  am  nächsten'). 

Wir  sehen,  Schreibfehler,  Versehen,  Korrekturen  finden  sich 
hüben  und  drüben.  Das  klingt  für  die  Verwendung  des  Kommen- 
tars zum  Zwecke  der  Textkritik  wenig  trostreich.  Doch  hat  dies 
Resultat  auch  eine  erfreuliche  Seite.  Wenn  der  Text  in  den  Citaten 
von  den  Lemmata  so  häufig  abweicht,  so  ist  das  doch  wohl  ein 
Beweis  dafür,  dass  die  beiden  Ueberlieferungen  sich  nicht  gegen- 
seitig beeinflusst,  sondern  selbständig  fortgepfianzt  haben.  Das  ist 
für  die  Beurteilung  derjenigen  Stellen,  die  übereinstimmend  über- 
liefert oder  in  überzeugender  Weise  durch  die  Konjekturalkritik 
in  Einklang  gebracht  sind,  von  grösstem  Wert.  Denn  wir  dürfen 
annehmen,  dass  diese  Bruchstücke  uns  in  der  Form  erhalten  sind, 
wie  sie  Ammonius  in  seiner  Handschrift  gelesen  hat.  Rechnen  wir 
noch  dazu,  was  er  an  Lesarten  ausdrücklich  im  Kommentar  an- 
führt,   so    ist   dies  das  ganze  Material,  das  wir  als  zuverliLssig  an- 


•)  An  zwei  Stelleu  geuügt  es,  die  Lesart  eiuer  audoioii  iraudschrift  auf- 
zunehmen. So  müssen  wir  p.  212,  30  (21a  33)  eariv  oö^  (pr.  1.)  i»  J«ft  'I't^'xt 
setzen,  um  die  rebereinstimraung  mit  p.  210,  1.0  zu  erzielen,  und  p.  109,8 
(171)25)  roTs  fortlassen,  das  p.  180,13  fehlt.  Beide  Stelleu  lauten  dann  gleich 
der  aristotelischen  Handschrift  B,  mit  der,  wie  wir  sehen  werden,  Ammonius 
die  engste  Verwandtschaft  aufweist. 


Ueber  die  in  Ammonius'  Komm.  erh.  Ueberlieferung  von  riept  jpfATjvei'ac.  81 

sehen  können').  Wir  haben  zwar  viel  unsicheres  Gut  preisgeben 
müssen,  aber  wir  dürfen  nun  auch  das  Vertrauen  hegen,  dass  der 
uns  gebliebene  Rest  nur  echtes  Metall  enthält.  Für  die  Betrachtung 
über  die  von  Ammonius  uns  hinterlassene  Ueberlieferung  ist  es  erstes 
Erfordernis,  dass  sie  sich  auf  sicherem  Boden  bewegt.  Daher  werden 
wir  nur  diese  zuverlässigen  Stellen  einer  Prüfung  unterwerfen  und 
uns  zuerst  fragen,  was  Ammonius  uns  aus  älteren  Kommentaren  über- 
mittelt, alsdann  seinen  Text  an  der  Ueberlieferung  unserer  Aristoteles- 
Handschriften  messen. 

Wenden  wir  uns  der  ersten  Frage  zu,  so  ist  daran  zu  erinnern, 

dass  die  Quellen  des  Ammonius    die  Kommentare  Alexanders  und 

Porphyrius'  waren,  aus  denen  denn  auch  die  spärlichen  Textcitate 

^tammen,    die    er    gelegentlich    vorbringt.     Der    Gewinn,    den    wir 

^■raus    ziehen,    ist    nicht    sehr  bedeutend.     Die  Lesart  Alexanders 

p.- 2()7,  20  (23  b  39)  oux  a^O-}],  -(ap  aorr^  ist  wertlos,  ebenso  zwei 

*s  Porphyrius'  Kommentar  citierte  Varianten,  p.  50,  10  (16b  11) 
s  fehlende  r^  ev  uiroxsijisvu)  und  p.  109,  24  (17  b  17)  d7:ocpavTtxto; 
'  für  avxicpattx«)?.  Eine  dritte  ebendaher  stammende  Lesart  scheint 
beachtenswert;  nur  schade,  dass  sie  durch  die  Ueberlieferung  ver- 
unstaltet ist.  Porphyrius  soll  Arist.  p.  16b  22  nach  Amm.  p.  56, 
1 7  gelesen  haben  ou  -(«p  xö  sTvat  ar^jisiov  iati  xou  zpayf^axo?  r^  [xyj 
stvat,  wonach  die  einzige  Abweichung  von  Ammonius  (p.  54,  4) 
in  dem  ou  für  ouos  läge.  Dem  widerspricht  aber  die  p.  56,  23 
und  56,  30  gegebene  und  offenbar  aus  Porphyrius  entnommene 
Erklärung  xouxo  o£  iaxiv  ou  '(dp  eaxt  a'/jfjLotvxixbv  xö  prj[xa  xa&'  iauxö 
\t'(6\izvov  -00  {jrApjtv/  7)  [j,T|  UTzdp'/eiv  xö  u-'  auxou  O'/jXoufxsvov  izpd'dioi. 
Diese  Erklärung  setzt  unbedingt  den  Wortlaut  voraus  ou  -^ap  xou 
etvctt  ar^\lil6v  saxt  xö  TTpaYfia  yj  ixtj  elvai.  Der  Ausdruck  ist  aristo- 
telisch nach  Cat.  p.  14b  18  i'axi  os  6  \ih  dX-zj^r;?  X670;  ou5a|x(ü^ 
«rxio^  xou  etvcti  xö  7tpaY[xc(,  xö  jisvxot  irpayu-a  cpottvexat'  iro)?  ctixiov  xoGi 
sivott  dX-/ji)Tj  xöv  Xo^ov  X(o  i'dp  eivai  xö  TTpa-j-fia  v^  [xy]  ocX'/ji)-/]?  6  X6"(o? 


!K« 


')  Es  wäre  aber  voreilig,  die  Lemmata,  deren  Wortlaut  nicht  durch  Citate 
^stätigf  wird,  einfach  über  Bord  zu  werfen.  Eine  eingehende  Betrachtung 
wird  jedenfalls  Lesarten  herausfinden,  die  ihre  Empfehlung  in  sich  selbst 
tragen.  Dazu  rechne  ich  unter  anderen  p.  219,  13  (21b  6)  Saat?  für  o'aoi«, 
p.  86, 16  (17  b  3)  das  fehlende  oüv  mit  Tilgung  des  Punktes  vor  idv,  p.  17G,  6 
(20  a  5)  Ti}}^|j.eva  (sc.  x6  yyiafvet  /al  ßo5<CeO- 

Festschrift   Vahleu.  G 


82  Adolf  Busse, 

r^  <\>z'jor^;  Xi-^z-oii  und  giebt  den  Yerständlichen  Sinn,  dass  das  für 
•sicli  genommene  Verbum  kein  Zeichen  ist  für  die  Existenz  der  be- 
zeichneten Sache  oder  (wenn  es  verneint  ist)  für  die  Nicht-Existenz, 
selbst  wenn  man  das  Sein  selbst  in  nackter  Weise  aussagt.  Da- 
gegen vermag  ich.  der  Ueberlieferung  unserer  Handschriften  oder 
der  bei  Amraonius  und  Boethius  erhaltenen  Lesart,  die  sich  von 
unsern  Handschriften  nur  durch  die  Stellung  von  r,  jat)  elvai  unter- 
scheidet, trotz  der  langatmigen  Deutungen  des  Amnionius  und 
Boethius  keinen  klaren  Gedanken  abzugewinnen. 

Es  bleibt  noch  die  augenscheinlich  auch  aus  Porphyrius  stam- 
mende Lesart  p.  244,  7  (23  a  13)  fxYj  a^uvot-ov  für  8uva-ov  zu  er- 
wähnen. Diese  findet  sich  auch  in  allen  unseren  älteren  Aristo- 
teles-Handschriften und  leitet  zu  dem  nächsten  Kapitel  über,  in 
welchem  wir  das  Verhältnis  des  Ammonius  zu  der  in  unseren 
Handschriften  erhaltenen  Textgestalt  betrachten  wollten. 

Bei  dieser  Untersuchung  kommen  nur  die  drei  Handschriften 
Urbinas  35  (A),  Marcianus  201  (B)  und  Coislinianus  330  (C)  in 
Betracht,  von  denen  uns  eine  vollständige,  wenn  auch  in  Bezug 
auf  C  nicht  ganz  zuverlässige  Kollation  vorliegt  (Waitz  p.  XV). 
Da  haben  w^ir  denn  zunächst  zu  prüfen,  auf  welcher  Seite  Ammonius 
bei  der  Gruppierung  C  gegen  A  und  B  steht.  Die  Antwort  fällt 
entschieden  zu  Gunsten  der  Gruppe  A  B  aus.  Es  giebt  unter  der 
grossen  Zahl  von  Abweichungen  nur  drei  Stellen,  an  denen  C  eine 
Stütze  bei  Ammonius  findet.  .  So  lesen  wir  p.  175,  2.  19  (19  b 
38)  aXX«'  OS  jrpos  t6  oux  avOptuTro?  oj?  UTroxsifisvov  tt  -rrpocJ-e^svioc 
mit  C,  während  A  und  B  7:poaT£&sv  haben,  allerdings  mit  Korrek- 
turen am  Ende  des  Wortes.  Aber  dass  die  Form  -pocrisOsv  auf 
alter  Ueberlieferung  beruht,  beweist  Boethius'  Uebersetzung  aliquid 
additum,  wofür  Meiser  pr.  ed.  p,  138,27,  sec.  ed.  p.  310,  23  ohne 
Berechtigung  aliquid  addito  in  den  Text  aufgenommen  hat.  Die 
Bedeutung  der  aristotelischen  Worte  ist  klar.  Andere  Sätze  (sind 
entgegengesetzt),  wenn  zu  Nicht-Mensch  als  einem  Subjecte  irgend 
ein  Zusatz  gemacht  wird,  d.  h.  ein  Prädikat  hinzugesetzt  wird. 
Wenn  nun  Waitz  I  p.  348  sagt  „ac  primum  quidem  Trpoa-eOev, 
quod  etiam  Boethius  habet,  non  video  quem  sensum  habere  possit, 
non  dico  bonijm,  sed  tolerabilem",  so  übersieht  er  den  absoluten 
Gebrauch  des  Participiums  im  Accusntiv  (Krüger  §  5G,  9,  5),  dessen 


Ueber  die  in  Aininonius'  Komm.  erh.  Ueberlieferunj]f  von  Flepl  ep(AT)V£[ac.  83 

Annahme  durdi  das  davorstehende  ti,  das  unmöglich  zu  XitjASvov 
gezogen  werden  kann,  di'ingend  empfohlen  wird.  Wir  entscheiden 
uns  also  hier  für  A  und  B  gegen  Ammonius.  Die  beiden  Stellen, 
1).  181,  10  183,  12.  13  (20a  22.  23)  w  ttgc?  Istiv  avöpw-o?  ou  Stzaioc 
für  ou  Tcac  avOptoro;  sativ  oü  ot'xotio?  (Stellung  von  lan'v)  und 
p.  258,  7,  verglichen  mit  99,  4  (23  b  5),  das  nackte  dXrjOTJs  für  otXrj{>r]; 
ia-zoii,  bieten  für  eine  sichere  Entscheidung  keine  genügende  Hand- 
habe und  können  erst  auf  breiterer  Grundlage  beurteilt  werden. 

Wenn  also  Ammonius  nur  an  drei  Stellen  mit  G  gegen  A  und 
B  Pai'tei  nimmt  und  an  einer  von  diesen  A  und  B  doch  als  Sieger 
hervorgehen,  bei  zweien  die  Entscheidung  zweifelhaft  ist,  so  wird 
durch  das  Ergebnis  offenbar  die  Autorität  jener  beiden  Hand- 
schriften ausserordentlich  gestärkt,  der  Wert  von  C  aber  soweit 
herabgedrüokt,  dass  der  künftige  Herausgeber  des  Organons  auf  die 
Anführung  dieser  Handschrift  im  kritischen  Apparat  wohl  wird 
verzichten  können. 

Um  schrittweise  vorzugehen,  legen  wir  uns  die  Frage  vor, 
wie  der  Text  des  Ammonius  sich  bei  einer  Divergenz  zwischen  A 
und  B  verhält.  Er  könnte  uns  bei  seinem  höheren  Alter  durch 
eine  dargebotene  Richtschnur  sehr  behülflich  sein,  die  Lesarten  des 
Archetypus  dieser  Handschriften  aufzufinden,  und  dazu  beitragen, 
den  noch  herrschenden  Zwiespalt  in  den  Auffassungen  über  den 
Wert  derselben  zu  schlichten.  Ordnen  wir  die  betreffenden  Stellen, 
so  ergiebt  sich,  dass  die  Lesarten  von  A  durch  Ammonius  gestützt 
werden  p.  175, 1.  18  (19b  37),  wo  ouo  fehlt;  p.  140,  25  141, 19.  24 
(18b  4)  ■;;  (vgLS.  80);  p.  140,29  143,17  (18b  7)  dX-/]Üe6a£t  für 
oiX-/;0s6£t;  p.  171, 11  172,17  173,19  (19b  3G)  auvaXr^dsusiv  für 
a•yyr^\■r^{h6^a{)(x^  (vgl.  S.  78).  Hingegen  findet  B  eine  Stütze  an 
Ammonius  p.  58, 4.  19  (16b  26),  wo  xata  auvOi^xr^v  ausdrücklich 
als  fehlend  bezeugt  wird;  p.  58,  5  61,4  (16b  28)  r^  «Trocpaat;  eben- 
falls als  fehlend  bezeugt;  p.  101,  11.  22  czAr^Dr,?  desgleichen;  p.  109,  8 
180, 13  (17  b  25)  zo-s  und  auvo(X-/)Ö£i?  slvott  fehlen  (vgl.  S.  80  Anm.); 
p.  125,  28  127,  5  128, 1  (18a  25)  6  fehlt;  p.  139,  21.  31  (18a  25)  r] 
für  xott;  152,28  155,6  (19a  39)  ehai  fehlt;  p.  176, 14  179, 23 
(20a  13)  iirfizii  für  oiSsi?;  p.  191,  12  193,1  (20b  8)  avbpmTzo; 
Xsuxo?  für  Asoxo?  av«>p(OTroij;  p.  203,  22  206,8  (21  a  2)  eh  areipov 
fehlt;    p.  210,  15    212,13    (21a  33)    sartv    oi/    für   ohv.   ssiiv  (vgl. 

6* 


84  Adolf  Busse, 

Ö.  80  Anm.)-  Aus  dieser  Uebersicht  ergiebt  sich,  mögen  wir  nun 
lediglicli  die  Anzahl  oder  auch  das  Gewicht  der  Abweichungen  ins 
Auge  fassen,  dass  Ammonius  der  Handschrift  B  entscliieden  näher 
steht.  Wir  dürfen  hiernach  wohl  das  Urteil  wagen,  dass  diese 
Handschrift  den  Text  des  Archetypus  treuer  bewahrt  hat  als  ihre 
Nebenbuhlerin  A,  die  zwar  in  minutiis  mit  grösserer  Sorgfalt  ge- 
schrieben und  daher  für  die  Textgestaltung  nicht  zu  entbehren  ist, 
aber,  durch  eigenmächtige  Zusätze  eines  gelehrten  Schreibers  ent- 
stellt, sich  nicht  eignet  das  Fundament  für  den  Aufbau  des  Textes 
zu  bilden.  Damit  ist,  wenn  wir  nicht  irren,  die  Richtschnur  für 
die  kritische  Verwertung  von  A  und  B  bei  einer  Neubearbeitung 
des  Organons  gegeben. 

Es  bleibt  uns  noch  die  Frage  zu  beantworten,  in  welchem 
Verhältnis  der  Text  des  Ammonius  zu  dem  Archetypus  dieser  beiden 
Handschriften  steht.  Die  Antwort  ist  in  doppelter  Hinsicht  von 
Wichtigkeit.  Einmal  werden  wir  erfahren,  welchen  Gewinn  die 
Konjekturalkritik  für  die  uns  vorliegende  Schrift  aus  Ammonius' 
Kommentar  ziehen  kann,  und  dann  werden  wir  uns  aus  dem  Ver- 
gleich eine  Vorstellung  bilden  können,  wie  stark  die  Wandelungen 
waren,  die  unser  Text  seit  dem  5.  Jahrhundert  durchgemacht  hat. 
Ich  werde  die  Abweichungen  in  drei  Gruppen  anführen,  und  in  der 
ersten  Gruppe  die  mehrwertigen  Lesarten  des  Ammonius,  in  der 
zweiten  die  minderwertigen,  in  der  dritten  die  gleichwertigen  auf- 
zählen. Eine  Begründung  des  durch  die  Gruppierung  zum  Aus- 
druck kommenden  Urteils  geht  über  den  Rahmen  dieser  Abhand- 
lung hinaus. 

Zur  ersten  Gruppe  gehören:  p.  33,  6.  16.  17  (16a2r))o!!»osv  fehlt; 
p.  54,  5  57,  2  (16b  23)  xaö'  eaüxo  fehlt;  p.  155,  15  157,  4  (19b  11) 
xat  duocpaai,-  fehlt;  p.  210,  4  212,  20  (21a  22)  oU  für  m  (vgl.  S.  78); 
p.  219,  25  221,  25  (21a  38)  al  hinzugesetzt;  p.  234, 18. 19  235,  17 
(22b  5. 6)  8  füi-  zi;  p.  239,  11  244,5  (23a  13)  Suvaiov  für  jxt; 
douvaxov. 

Zur  Gruppe  der  minderwertigen  Lesarten  sind  zu  rechnen: 
p.  77, 29  80,18.35  (17  a  23)  Trspl  xou  zl  ur.d^yv.  xi  r;  ilr^  dr.dctyzi 
(vgl.  S.  80);  p.  155,  13  156,  21  (19b  9)  ovojjia  hinzugesetzt;  p.  155,  i 7 
158,1  (19b  13)  7]  eaxai  fehlt;  p.  175,2.  19  (19b  38)  r.poaxaösvxo; 
für  irpoaxsOsv  (vgl.  S.  82);  p.  17(),  7   178,25  (20 a  4)  saxiv  u-jiotivtuv 


l'eber  die  iu  Ammonius'  Komm.  crh.  Ueberliefenuig  von  Ilepl  spt/rjveta;.   Ho 

ui^  avdprtoTTo?  —  la-iv  ou^  U7tai'vtüv  rä?  av&pto7:o;  hinzugesetzt; 
p.  195,2  197,3.14  (2()b  14)  auYxst'jxsvov  für  S/jXoujxsvov;  p.  266,8 
2()7,  26  (21b  39)  xat  fehlt;  p.  271,  27  272,  18.  20  xa  aom  für  -auTot. 

Gleichwertig  sind  die  Lesarten:  p.  29,  30  32,  25  33,  12  (16a  20) 
£3-1  fehlt  (vgl.  S.  78);  p.  54,4  56,  14  (16a  22)  r^  jxy]  sTvoti  umge- 
stellt; p.  81,  9  83,  6  (17  a  33)  touio  avttcpaai?  gestellt;  p.  101,  12.  23 
(17b  15)  xaxr^^opeTxat  xö  xa»6Xou  gestellt;  p.  123,  10  124,  31  (18a  8) 
jjitä  aTTOcpotaet  ata  xaxacpaai?;  p.  150,1  151,3  (19a  7)  dpyji  laxi  ge- 
stellt; p".  159,  13  166,  9.  10  (19b  22)  xauxot  iaxoa  gestellt; "p.  181,  10 
183,  13.  27  (20a  22.  23)  Tra?  laxiv  gestellt;  p.  203,  26  205,  23 
(20b  36)  otoxi  für  oxt;  p.  220,  3.  4  222,  26  (21  b  11)  ou  xo  jxtj  o-jvax^v 
civai,  aXXa  xo  Suvaxov  firj  slvai;    p.  258,7  99,4  (23  b  5)  saxat  fehlt. 

Der  Herausgeber  wird  natürlich  nicht  ohne  Not  die  sichere 
Grundlage  seiner  Handschriften  verlassen,  sondern  nur  dann  die 
abweichenden  Lesarten  des  Ammonius  aufnehmen,  wenn  sie  eine 
offenbare  Verbesserung  des  Textes  bieten.  Es  kommen  demnach 
für  ihn  nur  die  Varianten  der  ersten  Gruppe  in  Betracht.  Wir 
bedauern,  dass  der  Ertrag  nicht  grösser  ist,  aber  andererseits  be- 
merken wir  mit  Befriedigung,  dass  unsere  guten  Handschriften  im 
allgemeinen  den  Text  in  der  Formi  bewahrt  haben,  wie  er  im 
5.  Jahrhundert  gelesen  wurde,  und  dass  ihre  Quelle  an  kritischem 
Werte  hinter  der  Vorlage  des  Ammonius  kaum  zurückstand. 


VI. 

Max  Rannow. 


De  carminiim  Theocriti  XXIV  et  XXV 
compositione. 


% 


Post  initium  Heraclisci  vivide  expressum  versu  decimo  legimus: 
to?  cpctixsva  oi'vass  aaxo?  fxsya*  xou?  S'  £>.aß'  Sttvo?.  Sequuntur  verba 
(11)  dtji.0?  5e  axp£cp£-ai  .  .  .  Niilla  igitiir  voce  Theocritus  memorat 
Herculis  parentes  et  ipsos  cubitnm  ivisse,  id  quod  per  se  sane  opus 
non  erat  memorari  in  hac  coartata  ineuntis  epyllii  oratione;  quam- 
qiiam  non  anxie  illum  brevitati  stiiduisse  verba  demonstrant  haec: 
xav  n-spsXaou  'Ajicpixputov  xaXov  otcXov  (XTTsaxuXsuas  TrsaovTo«;  (4  sq.). 
Postquam  deinde  duo  serpentes  ab  lunone  immissi  prope  ad  Her- 
culem  et  Iphiclem  accesserunt,  luppiter  subito  domum  facit  luce 
fulgentem  (22:  cpao?  8'dva  oTxov  otu^^^/j),  eo  consilio,  ut  Hercules 
expergefactus  monstra  contueri  et  clara  luce  adiutus  rem  suam 
admirabilem  perpetrare  possit.  Eis  enim  elisis  conclave  iterum 
noctis  tenebris  impletur  (46).  Nee  vero  ipse  poeta  qua  de  causa 
lux  aliquamdiu  oreretur  explicavit,  sed  brevius  locutus  rem  lecto- 
ribus  illa  ratione  intellegendam  reliquit.  —  In  sequentibus  Her- 
cules fingitur  serpentes  manibus  constringens;  tum  pergitur  (34): 
'AXxjxr^va  o'  eaaxouas  ßoo?  xal  iirs^pexo')  Tcpotxa*  "Avcjxa{>'  'Ajxcpixpucuv 
xxX.  Haec  verba  'AXxfirjva  8'  stjaxouae  .  .  .  adeo  non  arto  vinculo 
eis  quae  antecedunt  adiunguntur,  ut  vocabulum  ßoa;  referatur  ad 
Iphiclem  iam  undecim  versibus  ante  exclamantem  (23).  Praeterea 
iterum  miram  dicendi  brevitatem  in  eo  agnoscimus,  quod  addere 
omisit  Alcmenam  Amphitryonem  e  somno  suscitasse  et  verbis 
quae  inde  a  vs.  35  sequuntur  adlocutam  esse.  Quem  orationis 
hiatum    Meinekius    cum    et  ipse  sentiret,    unius    versus  iactura  in 

')  iir^YpETo  (cod.  11  vuJg.)  videtur  fide  paulo  meliore  quam  iizih^a\i.t 
(c:    secundum  Zieglerum). 


90  Max  llunnow, 

libris  admissa  piitabat  evonisse  (p,  364.  493).  Scd  nc  statim  codi- 
cum  memoriam  culpemus,  cum  eis  qiiae  antea  tractata  sunt  impe- 
dimur,  tum  vel  maxime  eis,  quae  in  sequentibus  leguntur  vel 
potius  non  leguntur. 

Amphitryonis  enim  verba  oibexe  irijp  oti  OoEtJcjov  —  cjTißotpou?  8e 
Oupäv  dvax6(]>aT  h■)(r^aQ  (48  sq.)  excipiunt  haec:  ava-cais  Saöis; 
TaXaat'cppove? .  auxös  duieT  (50).  fj  pa  -(uva  Ooivisaa  |x6Xai?  STti  xoitov 
£)(ouaa  (51  Ziegl.).  Hie  praeeunte  Briggsio  (p.  263)  G.  Hermannus 
in  schedis  a  Meinekio  publici  iuris  factis  opinatus  est  ante  vs.  50 
aliquot  versus  excidisse,  quibus  diceretur  sola  audivisse  Phoenissa 
mulier  molitrix  atque  excitasse  famulos  (Meinek.  p.  364  sq.);  quam 
sententiam  alii,  velut  Meinekius,  Ahrensius,  Zieglerus,  secuti  sunt. 
Et  recte  haec  desiderari  facile  quivis  concedet.  Poterat  etiam  addi 
e  solis  verbis  axißapou;  ok  Oupäv  dvaxo^j^at  o•/r^'x^  nen  intellegi,  cur 
servi  fores  aperire  iubeantur.  Atque  hoc  ne  ex  posteris  quidem  co- 
gnosci  potest,  quippe  in  quibus  (52  sq.)  servi  prius  tantum  im- 
peratum  faciant  neque  quidquam  de  apertis  portis  narretur.  An  fores 
aliorum  conclavium  intellegendae  sunt?  Quasi  eas  servi  faces 
afferentes  non  sua  sponte  aperirent.  An  fores  domus,  ut  vicini 
advocari  possint,  ut  voluit  Wuestemannus  loco  Pindari  notissimo 
ductus,  quo  Kao[x£io>v  ayol  /aXxsoi;  £opa[xov  auv  ottXoi?  dOpooi  (Nem. 
1,51)?  Ponamus  hoc  paulisper:  iam  ut  omittam  post  vs.  63  nihil 
de  vicinorum  vel  paucorum  concursu  dici,  quaestio  oritur  etiam 
difficilior,  quo  tandem  modo  serpentes  in  conclave  venerint.  Quod 
ne  ita  explicetur,  serpentes  per  fores  die  apertas  immissos  usque 
ad  noctem  latebris  se  abdidisse,  prohibent  verba  -aixo;  —  Hprj  — 
8pdxov-a;  uipasv  ^ttI  7cXa-uv  ouoov  (13  sqq.),  h.  e.  media  demum 
nocte  Inno  dracones  in  limen  immisit.  Sed  fortasse  haec  omnia 
dilucida  essent,  si  quid  sibi  velint  oöt  aiaOpta  xoTXa  Oupdtov  (15), 
verba  difficidtatibus  magnis  intricata,  satis  certo  sciremus.  Meinekius 
quidem  coniecit  (p.  363)  aTotOpia  xaXa  0.;  quae  verba  ut  superflua 
sunt,    ita    non  explicant,    qui  serpentes  irrepserint.     Kreusslerus  ^) 


')  Observationum  in  Theoer.  particiUa  altera,  l'rogr.  Meissen.  1865,  p.  12. 
—  Simili  sententiae  forma  sed  minore  etiam  probabilitate  H.  Stadtmuellerus 
in  Eclog.  poet.  Graec.  (p.  XX)  coniecit  58t  at.  x.  &.  eIxovs=  „cedebant,  h.  e. 
admittebant,  adituin  praebebant". 


De  carminum  Theocriti  XXIV  et  XXV  compositione.  91 

autem  proposiüt:  o&t  tjiaöua  xoTXa  Oupacuv  oT^sv:  „ubi  postes 
faciebant  aperturam  l'orium."  Sed  ut  alia  praetermittam, 
aperiendi  notio  minime  quadrat  ad  postes;  omnino  structura  he- 
mistichii  o9i  axaOfia  xoiXa  Oupatov  verbo  omisso  eadem  videtur  esse, 
qiiae  apiid  Theocritum  saepiiis  legitur:  16,75  oOi  Opu7Ös 'i^piov  "IXou. 
25,237  oOt  TTveuji-ovoc  eSpyj;  cf.  7,114.  17,120.  25,57.  —  De- 
nique  Brandtius '),  cum  Hesychiiis  s.  v.  xoTXos  adnotet  Oupswv,  oux 
e)((uv  96pa?,  et  Oupöiva?  (sie)  explicet  xa?  aavi'oa?  xott  tot;  siaoSou?, 
statuit  öxaOixa  xotXa  hoc  loco  idem  esse  atque  xotXous  OupsÄva?, 
h.  e.  portas  omnino  non  esse,  velut  apud  Pindarum  quoqiie  legi- 
mus  or/dstaav  TruXav  (41);  quem  eundem  fere  sensum  Kreusslerus 
sua  correctione  effecerat.  Haec  interpretatio  si  vera  sit,  etsi  fun- 
damento  nimis  infirmo  niti  eam  nemo  non  videt,  hunc  versum 
facit  repugnantem  versui  49.  Habemus  igitur  duplicem  difficul- 
tatem:  si  portae  apertae  sive  nullae  sunt,  perverse  Amphitryo  iubet: 
axißapob?  Ss  öopav  dvotx6(|/ax'  oyjia^;  sin  autem  recte  haec  iubet 
portis  clausis,  non  perspicitur,  qui  serpentes  in  conclave  venerint. 
In  his  angustiis  videtur  hoc  esse  ultimum  refugium,  quod 
Wilamowit^ius  argute  suspicatur  (Eurip.  Heracl.^  II  216):  ut  enim 
in  Atheniensium  aede  Palladis,  in  Propylaeis,  aliis  aediliciis  mar- 
moreos  portarum  parietes  vel  pulcherrimos  etiamnunc  cognoscatur 
ligneis  postibus  quasi  quodam  tegmine  fuisse  instructos,  sie  idem 
statuendum  esse  de  Amphitryonis  regia;  per  cavernas  autem  labe 
vetustatis  paulatim  in  illis  lignis  factas,  ut  muribus  facilis  fuerit 
aditus,  ita  eadem  via  (per  axaOjxa  xoTXa)  valvis  ceteroquin  clausis 
irrepsisse  serpentes  lunonis.  Quamquam,  opinor,  ne  hac  quidem 
interpretatione  omnes  rationis  calculi  satis  probabiliter  ponuntur. 
lila  enim  cava  postium  facile  intellegitur  haud  magna  fingenda 
esse;  sin  autem  parva  sunt,  qui  tandem  pervenire  poterant  atva 
TreXcDpot  (13)?  Quapropter  si  re  vera  poeta  ita  rem  sibi  confor- 
maverit  secutus  morem  Alexandrinorum  divina  explicandi  rebus 
humanis,  haud  scite  versatus  est.  Sed  utut  de  his  difficultatibus, 
quas  volui  demonstrare,  etsi  prorsus  tollere  eas  nequeo,  ab  aliis 
iudicabitur,  omnes  scrupuli  ut  umquam  deiciantur  fore  vix  puta- 
verim.     Cuius    rei    culpa    non  tam  lectionibus  codicum  depravatis 


')  Annal.  Kleckeis.    1875  p.  607  sq. 


92  ^Ijix  Uannow, 

quam  imperfectae  ipsius  carminis  condicioni  tribuonda  est;  id  quod 
postea  magis  etiam  me  probaturum  esse  spero.  Quid?  nonne  hacc 
quoque  repugnantia  reperitur,  quod,  postquam  vs.  13  sqq.  famae 
de  hac  re  vulgaris  exemplo  narratum  est  lunonem  moiistra  misisse 
love  nesciente  et  invito,  ut  docent  verba  Aio?  vosov-o?  ocTravta  (21), 
postea  vs.  84  sq.  legimus  a  pluribus  deis  immortalibus  serpentcs 
immissos  esse:  Yajjißpb?  5'  d^avattov  xexXif^as-ai ,  ol  xa5'  iTruipaav 
xvtoSaXa  cpwXeuovta  ßpscpo;  StotSrjXTjaaaOat?  Porro  in  hoc  quoque 
haerebant  recte,  quod  serpentes  vs.  85  et  92  dicuntur  voluisse 
puerulum  interficere  (85  oiaovjXr^aaaöat,  92  xaveTv),  at  vs.  16  iuben- 
tur  cpa7Siv  ßpeccos  'HpaxXr^ot.  Tarnen  num  verisimiliter  cum  Paleyo 
ex  hoc  uno  vocabulo  concluditur  totum  versum  abiciendum  esse  in 
hoc  carmine  non  usque  ad  pulvisculum  elaborato')?  Nam  vocem 
d-eiKriaaaa  coniungendam  esse  cum  wpasv,  ut  sit  „serpentes  inci- 
tavit  adversus  eos,  cum  recusarent,  minis  usa",  Vahlenus 
per  colloquium  quondam  mihi  persuasit:  talis  enim  verborum  col- 
locatio  neque  ab  hoc  carmine  neque  omnino  a  Theocrito  abhorret; 
velut  4  sq.  inter  se  iungenda  sunt  n-spsXotou  et  irsaovTo;,  94  sq. 
cpspoucjot  et  6-spoupiov,  111  sq.  aitö  axsXicuv  et  TraXatafiotaiv,  131  vcxie 
et  "ApYos;  7,80  sq.  cpspßov  —  [xaXaxoi?  av&scrsi  etc.  Verbum  autem 
oixou  puto  referendum  esse  non  ad  öupacuv,  sed  ad  ou86v;  cf.  24,  62 
sq.  Tov  aXXov  —  TraiSa.  22,  205  sq.  xov  d'XXov  —  -iraiötov.  7,149  sq. 
ToiovSs  —  xpot-Tjp'.  17,  16  sq.  jxaxapecjat  —  dOavaxois. 

lam  cum  revertimur  ad  verba  avoTaxe  Suaic?  xxX.  (50)  et  ad 
Briggsii  Hermannique  sententiam,  post  ea  quae  disserui  facilius 
mihi  concedetur  nihil  umquam  inter  vs.  49  et  50  a  poeta  ipso 
scriptum  fuisse.  Praeterquam  enim  quod  propter  anxietatem 
Amphitryonis  ac  periculorum  impetum  sermones  et  regis  iubentis 
et  ancillae  alios  convocantis  quam  brevissimi  requiruntur,  si  quidem 
naturam  ducem  sequi  volumus,  ipsa  verba  [xuXai?  e^t  xoTxov  iyoucsa 
sententiam  meam  confirmant;  si  enim  ante  vs.  50  mulier  molitrix 
dicta  fuisset  sola  audivisse  et  servos  excitasse,  ibi  statim  auctor 
carminis  addidisset,  qualis  esset  mulier  et  ubi  haberet,  neque  nunc 


')  Vis  propria  verbi  «payetv  infirmatiir  etiam  5,  38.  —  Cf.  H.  Luebke, 
Volkslieder  d.  Griechen,  ßerolini  1897  (editio  altera),  p.  195  e  carmine  epirotico; 
Dass  dich  die   Ottern  fressen!    Du  Schelm,  rührst  du  mich  au. 


De  canuinum  Theckciiti  XXIV  et  XXV  compositione.  93 

ea  in  vs.  clemuin  51  legeremus.  Ceterum  quod  Fritzschius  (in  edit. 
min.  ad  vs.  50  a)  nihil  in  libris  excidisse  et  ipse  ratus  in  hac 
orationum  structiira  summam  vivacitatem  inesse  censet,  hoc  qui  eon- 
cedet,  ei  simul  concedendum  erit  eam  effici  narrandi  ratione  nimis 
abscisa. 

In  sequentibus  describitur  omnes  rem  ab  Hercule  gestam  ad- 
miratos  esse  eumque  monstra  collisa  ante  pedes  patris  proiecisse; 
pergit  deinde  poeta  sie  (60  sqq.):  'AXxfxi^va  asv  eTTEixa  -oxl  acpstspov 
ßaXs  xoXtlOV  cVjpov  uiral  ostou?  dxpo)(Xoov  'I^ix^rja*  'x\|xcpiTpua)V  0£  xov 
ccXaov  Gtt'  dtxvctav  Osxo  yXoavav  Traioct,  TrdXtv  8'  s;  Xlxtpov  ?(i>v  sjxvoc- 
cjato  xo''tou.  Hie  valde  ego  offendor,  quod,  priusquam  ad  novum 
argumentum,  Tiresiae  vaticinia,  transeatur,  nulla  verba  laudis  et 
admirationis  fmnt;  sed  quasi  nihil  grave  periculosumque  acciderit, 
Amphitryo,  parens  ille  in  animo  tanta  re  non  exagitatus,  iterum 
somno  se  dat  (i|i.vdaaTo  xoixou).  Nam  etsi  falsi  essemus,  si  quae 
nobis  placent  a  poeta  flagitaremus,  tarnen  licet  mirari,  quod  hoc 
loco  is  a  veritate  abiit,  qui  aliis  huius  carminis  locis  res  naturae 
et  menti  respondentes  non  inepte  finxerit. 

In  his  igitur  versibus  (1 — 63),  qui  iustum  Carmen  facere  po- 
terant,  vidimus  quam  multa  nimis  abscise  depicta  sint;  quae  bre- 
vitas  saepe  inconcinna  non  eo  excusatur,  quod  hanc  partem  magis 
dramatice  quam  epice  compositam  esse  aliquis  cum  Couato ') 
dixerit,  etsi  id  eins  iudicium  in  Universum  non  falsum  est;  nam 
hoc  unicuique  concedendum  erit,  dispari  stilo  poetam  usum  esse, 
cum  e.  c.  quattuor  versibus  describit  (42  sqq.)  Amphitryonem 
gladium  sumpsisse,  quamquam  celeritate  narrationis  ibi  non  minus 
opus  erat  quam  in  vs.  49  sqq.  Et,  id  quod  gravius  est,  etiamsi 
nonnulla  imperfecta  scripta  poetae  consilio  tribuere  volumus  aliquam 
scaenam  domesticam  dramatice  et  quam  brevissime  depingendi, 
propterea  nihil  proficitur,  quod  in  eis  quoque,  quae  consilio  mutato 
post  vs.  63  addidit  et  quae  a  dramatica  ratione  nimis  longe  ab- 
sunt,  vestigia  imperfectae  condicionis  reperiuntur,  ita  ut  negare 
necesse  sit  ea  quae  in  priore  parte  (1 — 63)  desiderantur  solo  bre- 
vius  narrandi  studio  omnia  excusari. 

')  La  poesie  alexandrine  sous  les  trois  premiers  Ptolemees,  Paris,  1882, 
p.  40.'>  s(|.   lU;  sf]. 


94  Max  Rannow, 

Etenim  quod  statim  in  vs.  68  ab  obliqua  oratione  transitus 
iit  ad  rectam  nulla  loquendi  voce  praemissa  (aliter  7, 27. 91), 
dignum  hoc  est  quod  attendatur;  naiii  quamquam  huius  usus 
exempla  apud  pedestris  orationis  scriptores  haud  rara  sunt,  tarnen 
apud  poetas  Theocrito  aequales  nulla  nisi  unum  repperi  (Arat. 
121  sqq.),  in  quo  tarnen  loco  non  medio  in  versu  orationis  forma 
mutatur.  Prorsus  diverse  res  se  habet  in  versu  qualis  est  14,  .SO. 
8ed  fortasse  alia  exempla  plane  gemina  me  fugerunt. 

Sequitur  locus  difiicillimus:  xat  Cm;  oux  saxiv  dkozon  av?>p(uTcoi» 
0,7t  Moipct  xata  xXojoPTTjpo?  SKeqsi*  [lavxiv  Eur^psiSa  [laXa  as  cppo- 
vsovtct  oiootazo).  Sic  enim  fere  Codices  tradunt.  Hie  ua'vTtv  e  glossa 
in  textum  fluxisse  multi  viri  docti  putant;  quorum  Meinekius 
scripsit  Eu-/)prjiaoa.  quam  vocem  unde  hauserit  fateor  me  nescire; 
faciliore  emendatione  Rriggsius  proposuit  tu  Eüyjpstoot,  quam  formam 
cum  Callimachus  bis  scripsit  (5,81.106),  tum  hoc  loco  memoria 
librorum  tuetur^).  At  num  (xavnv  re  vera  glossae  debeatur  casu 
certe  mirifico,  quoniam  hoc  verbum  logice  ad  9povE'ovTa  (juadrat, 
mihi  quidem  imprimis  post  verba  Teipsatccv  -ox7.  [xctvtiv  (60)  valde 
incertum  est;  nam  quod  in  codicum  lectione  prima  vocabuli 
Eü-/)p£ioa  syllaba  contra  usum  bonorum  poetarum  corripitur,  hoc 
fortasse  non  premendum  est  in  carmine  non  plane  perpolito.  Sed 
etiamsi  correctio  admittitur,  persentiscitur  tarnen  sententiarum 
structura  quaedam  nimis  frigida  ac  dura:  nam  sive  legimus  xal  toc, 
enuntiatum  a  verbo  oio(xaxo>  dependens  fingitur  praepositum  modo 
vix  usitato  (ceterum  in  hac  structura  vocabulum  Siootaxäiv,  in  quo 
Theocritus  admodum  delectatur,  videtur  propter  vim  infirm atam 
parum  apte  positum);  sive  scribimus  xctl  <Sc,  versus  [lotvTiv  Kur^pctoa 
[j-aXot  az  'fpoviovra  otoaüzo)  claudicanti  nimis  similis  est.  Quae  durities 
quamvis  leniatur,  non  plane  tarnen  meo  sensu  incongruens  quaedam 
sententiarum  logica  tollitur,  si  vere  G.  Hermannus  versum  post 
STreiYSi  excidisse  iudicaverit;  is  enim  haec  proposuit:  xcd  Si<;  — 
ereri'si,  aXXoxs  \izv  j^pr^axov,  xots  o'otiji  xaxov  oDä -zi  tmoroL  —  oi8aaxu> 
(Meinek.  p.  366).     Ne  multa:  equidem  puto  hoc  quoque  loco  vesti- 


')  Non  probari  potest  quod  Ahrensius  temptavit:  (DX  EÜTjpeföa,  fjictXa  t{ 
«ppov^ovTa  oiociaxoj;  ~  SladtmuclU'nis  in  Ecloff,  poet.  Graec.  (p.  XX)  navT* 
scripsit  pro  {idtvxtv,  ad  eorrigr-ndos  nnmtros^  ut  ipse  fatetur. 


De  canninum  Theocriti  XXIV  et  XX V^  compositione.  95 

gium  exgtare  argumenti  a  poeta  non  prorsus  elaborati ;  quare  libro- 
rum  fidein  etiam  in  verbis  piavTiv  Eur^pst'Sa  servaverim. 

Tum  in  longiore  Tiresiae  oratione  legimus:  ia-oa  oy]  touir 
aaap,  OTTT^viV.«  vsßpov  ev  süvä  xap)(ap6o(ov  atvsorf^ott  locov  Xuxo.;  oux 
iUsXr^otsi  (8G  sq.)  Postquam  hos  versus  Dahlius  primus  damnavit 
ut  spurios,  contra  G.  Hermanno,  cum  recte  iudicaret  comparationis 
tantum  causa  positos  esse  istos  versus,  posfc  eos  duo  alii  videban- 
tur  excidisse,  hac  sententia  neque  liominum  quisquam  iniuria 
afficere  alios  audebif,  nhi  scilicet  vindex  metuendus  erit  Hercules 
(Meinek.  p.  366  sq.).  Ac  ne  hac  quidem  medicina  opus  est;  nam 
comparatio  fortasse  in  eo  iam  posita  est,  quod,  sicut  serpentes 
Ilerculi  nihil  nocere  poterant,  ita  aliquando  lupus  agnum  non 
viohibit,  quia  omnes  puros  Hercules  tutabitur,  quem  Graeci  ulto- 
rem  malorum,  bonorum  adiutorem  agnoscebant.  Duae  tantum  res 
animadvertendae  sunt:  primum  sententiam  suam  Theocritura  nirais 
breviter  expressisse  neque  vinculo  satis  arto  coniunxisse  cum  ante- 
cedentibus;  alterum,  nimium  eum  fuisse  in  virtute  viribusque 
llerculis  sui  praesagiendis  atque  extollendis.  Nee  tamen  huius 
praedicationis  exempla  ei  deerant,  si  non  plane  gemina  at  certe 
similia.  Velut  teste  Euripide  (Heracl.  851)  heros  ille  fingitur 
aßotToy  '/(jipoLv  X7.1  daXaaaav  d^ipiav  £cvj(i.spa>act?,  idemque  vs.  696 
sqq.  cantat  haec  vere  poetica:  Ato?  6  TraT?*  tote  o'suYsviac  •üXIov 
u-3pßaX>.o>v(7.p3ta)fio/i>7^3ot?ax'j(j.ov  sOrjxsv  jSiotov  ßpoTotc, 7r£pa7c  ostiicixa 
{)-/jp(üv  (Wilam.)^).  Quare  illos  versus,  etsi  eorum  sensus  ne  mihi 
quidem  placet,  tamen  in  carmine  primum  conscripto  a  poeta  posse 
factos  esse  nmlto  facilius  intellego  quam  quo  tandem  modo  inter- 
polator  motus  sit  ad  eos  margini     adnotandos. 

Finita  Tiresias  oratione  statim  abit  (101  sq.);  nihil  Alcmene 
respondet,  ne  uno  quidem  vocabulo  commemoratur  facta  esse  quae 
ille  iusserat,  sed  pergitur  'HpaxXsr,?  o  6-6  \i.rxxp\  xxX.:  itaque  hie 
quoque  singulae  partes  non  arte  cohaerent.  In  magistrorum  enu- 
meratione  quae  sequitur  pancratiastes  ITarpalycus,  Mercurii  lilius, 
iiomiiiatur  (115  sq.).     Cum  autem  Apollodorus,    qui  {11  4,  9)  eos- 


')  i3ene  vertit  Wilainowitzius:  Zeus  erzeugt''  ihn:  seine  Thaten  hoben 
ihn  zu  höherem  Adel,  denn  der  Welt  bracht  er  den  Frieden,  bracht  er  Gesittung^ 
scheuchte  die  Schrecken  der   Wildnis. 


96  Max  Rannow, 

dem  fere  Herculis  magistros  appellat,  non  Harpalycum  sed  Auto- 
lycum  memoret  cumque  ei  a  Pausania  qiioque  (VIII  4,  ß)  pater 
Mercurius  tribuatur,  Heynius  speciose  coiiiecit  etiam  ab  hoc  poeta 
AuToXuxfp  scriptum  fuisse.  Sed  qiiomodo  hoc  librarius  aliquis  mu- 
taverit  in  'Ap-aXuxtp,  non  facile  perspicitur.  Quare  Meinekius 
(p.  368)  putabat  poetam  fortasse  ignotos  nobis  auctores  secutuin 
esse.  Potest  hoc  quoque  fieri,  ut  ille  ipse  errorem  admiserit; 
(|uarum  sententiarum  quae  vera  sit,  argumentis  vix  firmabitiir. 

Tota  magistrorum  series  optime  clauditiir  sie:  (oos  »xsv '[Ipot/Xy/ 
'fiXa  -cxtSstSactTo  [xaTTip  (134),  quae  verba  ad  vs.  103  respiciunt; 
Nova  deinde  pars  adiungitur,  in  qua  de  lectulo  pueri,  de  eius 
alimentis  agitur,  denique  totum  carmen  finitur  hoc  versu:  £r»jLOi-a 
o'  oux  d<sy.r^^:a  jAsaac  ursp  svvuto  xvdfxczc.  lam  quale  cai'men  habe- 
mus.  Postquam  fabula  de  serpentibus  necatis  ad  fineni  perducta 
est  (63),  nihil  amplius  requirebatur;  tarnen  poeta  addidit  narra- 
tionem  Tiresiae.  Hac  pertractata  carmen  clausula  aliqua  liniri 
poterat.  Sed  iterum  novum  argumentum  adiungitur:  magistrorum 
enumeratio  non  breviter  tractata.  Quae  omnia  qui  perlegit,  is 
nonne  tanquam  stupore  afficitur,  quod  carmen  subito  abrunipitur 
quasi  medium  in  corpus  incisum?  Non  post  illa  de  magistris  ex- 
posita  exspectabit  alia  etiam  multa  narraturum  esse  poetam')?  Nunc 
vero  Carmen  a  re  sublimi  inchoatum  in  rem  cum  exordio  illo  ueque 
gravitate  neque  pulchritudine  comparandam  decurrit.  Quae  cum 
ita  se  habeant,  carmen  clausula  caret.  Nam  quod  fortasse  dixerit 
quispiam  huius  epyllii  auctorem  eum  esse,  qui  tale  opus  monstro 
simile  et  pedibus  orbatum  condere  potuerit,  nemo  hoc  concedet, 
qui  secum  reputaverit,  rebus  quam  venustis  carmen  exornatum 
sit,  quantopere  poetam  ingeniosum  et  singula  scite  illustrandi  satis 
peritum  arguat.  Et  is  poeta  putandus  est  carmen  claudere  hoc 
versu:  ei^LaTOL  S'  oüx  otoxr^xa  fisoa?  uirep  swuto  xvajiois?  Dico  haec 
propter  eos,  qui  iustum  finem  exstare  censent,  quorum  nonnulli 
iudicant  exitum  non  sine  ioco  compositum  esse,  quasi  carmen  versu 
138  clauderet  et  non  potius  versu  140,  in  quo  quid  loci  insit,  nou 
Video.  Fritzschius  autem  (II 149),  qui  et  ipse  carmen  putat  integrum 
esse  et  absolutum,  ad  hanc  sententiam  probandam  conclusioueiu  versus 


1)  Cf.  Birt,   Das  antike  Buchwesen  p.  393  adn.  4. 


De  carminum  Theocriti  XXIV  et  XXV  compositione.  97 

134  ((L^s)  comparat  cum  13,72.  22,212.11,80.25,280.  Sed 
haec  exempla  aliud  nihil  demonstrant  nisi  posse  vocabulis  aiSs, 
ouTu),  ouTo?  etc.  argumentum  aliquod  finiri,  sed  debere  id  semper 
eis  finiri,  unde  tandem  comprobavit  Fritzschius?  Immo  verba  dios 
usv  'HpotxXTjOt  (134)  ei  parti  finem  imponunt,  qua  de  Herculis  in- 
stitutione  agitur.  Tum  aliam  partem  adnectit  poeta,  quam  epilogi 
loco  positam  esse,  nisi  argutiis  uti  volumus,  non  credemus. 

Deest  igitur  carminis  finis.  Sed  nunc  quaeritur,  utrum  is  in 
libris  perierit  an  auctor  huius  epyllii  ipse  id  non  ad  finem  per- 
(luxerit.  lani  cum  viderimus  multis  locis  vestigia  exstare  carminis 
imperfecti,  veri  simile  est  ne  exitum  quidem  in  libris  demum 
evanuisse.  Cui  sententiae  non  repugnat,  quod  in  1)  codice,  ut  Ahren- 
sius  (I  p.  XXXVIII)  describit,  carminis  XXIV  „Ultimi  duo  versus 
soli  in  pagina  leguntur,  reliqua  pagina  et  tribus  sequentibus  vacuis 
nee  minus  in  quarta  sex  versuum  spatio",  et  hoc  Carmen  excipit 
22,  69  sqq. ;  lacuna  enim  intermitti  poterat  aut  propterea  quod  car- 
minis XXII  initium  deerat  aut  quod  librarius  aliquis  Carmen  XXIV 
in  fine  mutilatum  esse  putabat;  cuius  opinioni  nos  ne  tum  quidem 
auctoritatis  quidquam  tribuemus,  si  illam  lacunam  iam  in  arche- 
typo  fuisse  vere  Ahrensius')  dixerit. 

Iluius  autem  imperfectae  condicionis  id  quoque  argumentum  pro- 
ferre  licet,  quod  eadem  vocabula  brevissimo  spatio  repetuntur,  velut 
v£a>T£(io;  (37)  et  alio  sensu  vetuTspov  (40);  evsTrXr^aÖTj  (46)  — 
evsTTÄrjaÖTj  (53);  ör^pia  7:avta  (81)  —  Ovr^xa  Ss  irotv-ra  (83). 

Redeamus  nunc  ad  carminis  initium.  Ibi  enim  omnes  per- 
sonae  accurate  describuntur:  Hercules  inducitur  Ssxaar^vo?  et 
Iphicles  vuxxt  vsonepo?  et  Alcmene  a  Miosati?;  narratur  origo  clipei, 
quo  mater  cunis  utitur:  omnia  igitur  ad  intellegendum  necessaria 
statim  ineunte  carmine  lectoribus  communicantur.  Quare  quod  erant 
qui  hoc  epyllion  putarent  alicuius  Heracleae  partem  olim  fuisse,  in 
ea  certe  nihil  praecessit  verba  'HpaxXsa  oexatxr^vov;  quod  probatur 
etiam    pr.onomine  ro/'   (1),  pro  quo   falso  Ahrensius  correxit  xox', 

»)  Phijol.  XXXIII  (1874)  p.  412.  —  Neque  plus  valet,  quod  post  vs.  140 
in  luntina  additur:  äteX^;,  et  iu  Calliergiana:  Xzlr.ti  to  t£Xo;  toü  rapovTo; 
eiSuXXfou  -iCTX.  Utraque  enim  editio  in  hac  parte  cum  D  codice  affinitate 
coniuncta  est;  vide  de  ea  re  E.  Hillerum,  Beiträge  zur  Textgeschichte  d.  griech. 
Bukoliker  (Lips.  1888)  p.  3  sq. 

Fe8t»chrift   Vubleu.  7 


98  Max  Rannow, 

et  tota  ratione,  qua  id  describitur,  quod  illo  vespero  Alcmene  non 
prhiium  fecerat.  Ac  ne  id  quidem  credibile  est  ullam  unquani 
Heracleam  initium  cepisse  ab  Hercule  SsxGtixVjvo)  et  non  potius  ab 
eins  genealogia  atque  natu. 

Itaque  verisimile  est  Theocritum,  cum  de  Hercule,  Ptole- 
maeorum  avo  (17,  20  sqq.),  nonnulla  tractanda  fortasse  Alexandriae 
sibi  proponeret,  primo  illa  de  serpentibus  fabüla  allectum  esse  ad 
scaenam  domesticam  pro  ingenii  sui  indole  componendam;  postea 
videtur  Tiresiae  vaticinia  (64  sqq.),  denique  Herculis  educationeni 
addidisse,  eo  sane  consilio,  ut  posthac  etiam  alia  nescio  quam  raulta 
assereret.  Cum  autem  ad  eins  generis  argumenta  animus  non 
magnopere  inclinaret  et  incepti  carminis  Studium  paulatim  fortasse 
frigesceret,  opusculum  imperfectum  neque  perpolitum  in  scriniis 
reposuit.  — 

Transeamus  nunc  ad  alterum  carmen,  quod  praeeunte  Cal- 
lierge  'Hpa/Xr^?  Xsovxocpovo;  inscribi  solet.  Cuius  initium  cum  de- 
monstret  nonnulla  ante  vs.  1  desiderari,  post  quae  apte  agricola 
respondeat  ex  toi  ^bXvz  irpocppujv  [xu&TJaofiai  oao'  ipEst'vsi?  (3),  primo 
dubium  est,  utrum  librorum  archetypum  aliquam  foliorum  iacturam 
expertum  sit  an  ipse  poeta  in  condendo  carmine  a  verbis  tov  o'  6 
'(ipoiv  initium  fecerit.  Illud  si  verum  est,  ex  agricolae  response  ea 
fere  suppleri  poterunt,  quae  Hercules  interrogaverat.  Eum  autem 
non  saepius  sed  semel  ante  vs.  1  interrogantem  fingendum  esse 
ipsa  poetae  verba  docent:  senex  enim  si  quid  antea  respondisset, 
vs.  1  eodem  fere  modo  induceretur  atque  vs.  51  vel  71,  non  tarn 
plene  ^üiwv  imoopog  dpotpsu?,  neque  tum  demum  opere  suo  desi- 
steret  (2)  et  vs.  3  xal  xaSta  [lu&K^aojjiai  vel  tale  aliquid  diceret. 

Atque  primum  locum,  quo  Hercules  agricolam  adit,  si  qui 
versus  perierunt,  in  eis  descriptum  fuisse  haud  inepte  suspicabimur; 
quare  ab  ipso  sene  voculam  uiSs  (14)  explicari  verbis  Mr^viou  ajx 
[isya  Ticpoc  non  prorsus  placet.  Illa  autem  regione  (wSe  vs.  11  et 
14)  pascuntur  et  nonnulli  greges  ovium  et  boum  greges  omnes; 
TToijxvai  enim  vocabulum  (7)  propria  vi  de  ovibus  positum  esse 
apparet  ex  oppositione  inter  TroTixvai  \iiv  et  autap  ßouxoXfoiai  (13) 
facta  (cf.  98  sq.).  —  Hercules  igitur  iussu  Eurysthei  ad  Augiae 
stabula  se  collaturus  quid  fere  e  sene  quaesivit?  Si  quidem  apte 
hunc  respondisse  putamus,  ille  interrogavit  haec;  die  mihi,  Augiae 


De  carminum  Theocriti  XXIV  et  XXV  compositione.  99 

greges  ovium  et  armenta  boum  pascunturne  omnia  in  hac  regione 
(7  — 11.  13  — 17)?  Ubi  sunt  eorum  stabula  ac  pastorum  agricola- 
rumque  domicilia  (12.  18 — 26)?  Quam  late  regis  arva  patent 
(27 — 33)?  —  Sed  praeterquam  quod  Herculem  ingentem  illum  la- 
borem  subiturum  multo  magis  decet  de  armentorum  multitudine 
sciscitari  quam  de  eorum  pascuis,  nonne  exspectatur  ab  hoc  poeta, 
quem  scite  in  argumento  suo  versatum  esse  e  multis  carminis  locis 
cognoscitur,  si  re  vera  quid  ante  vs.  1.  scripsit,  illum,  cum  pri- 
mum  in  eas  regiones  veniret,  sie  fere  ante  alia  fictum  esse  inter- 
rogantem:  die  mihi,  isti  greges,  quos  conspicio,  suntne  regis  Augiae? 
Deinde  a  sene  numerum  gregum,  maxime  boum,  percontari  poterat: 
eorum  enim  stabula  Herculem  purgasse  fama  Graecorum  ferebat 
(cf.  vs.  123  sqq.).  Itaque  cum  illi  interrogationi  agricola  nihil 
respondeat,  Meinekius  ante  TroitAvai  jisv  x-X.  aliquot  versus  inter- 
cidisse  suspicatus  est,  ut  hie  esset  orationis  progressus:  i'ecte  hos 
Augiae  greges  esse  coiiiectas,  sunt  autem  riumero  infiniti;  lii  quidem 
ovium  greges  sunt,  non  in  iisdem  omnes  pascuis  pascentes  (p.  370). 
Cui  opinioni  quominus  assentiar,  valde  me  retinet  primum,  quod 
verba  ßa3tXT,o;  sucppovo^  Au^etao')  nimis  copiose  dicta  sunt  post 
nientionem  regis  paulo  ante  in  versibus  deperditis  necessario  factam; 
deinde  quod  persuadere  mihi  non  possum,  ut  credam  hanc  orationem 
bene  formatam  esse:  recte  dicis,  isti  greges  sunt  Augiae;  at  non 
omnes  hac  regione  pascuntur;  habet  enim  innumerabiles ;  7uor<j.vai 
ijLSv  —  ou  Tzaaai  ßoaxovxai  i'av  ßoaiv  ouS'lva  x^P^'^  •  • -■>  ^^"^^9 
ßouxoXiotat  —  iravTsaaiv  vo|xot  (58s  —  alkv  laat.  At  omnia  facile 
intelleguntur,  si  ponimus  ab  ipso  versu  primo  poetam  condere 
Carmen  coepisse  non  curantem,  quae  alicui  fortasse  praecessisse 
videantur.  Nam  falso  Fritzschius  initium  lacerum  esse  ex  hac  re 
maxime  conclusit,  quod  primi  versus  lectio  duplex  in  codicibus 
exstat:  cpu-aiv  vel  ßowv  STrioupo;  dtpo-psu;;  tertia  (ßotöv  iTrißouxoXo; 
uvr^p)  propter  recordationem  formulae  homericae  (o  235.  x  285.  292) 
nuUa  fide  digna  est.     Quid  autem  poeta  scripserit,  dubitare  licet; 

^)  Lectio  sane  haud  induljia  est;  secuiidum  Hillerum  Beiträge  p.  97  altera 
pars  codicura  (FI)  tradit  ^ütpt/e;,  altera  (m  0)  iücppovo;:  sed  hoc  multo  inagis 
s}teciein  veri  prae  se  fert  quam  illud  de  verl)0  rotiAvat  mire  dictum;  cf.  etiain 
Ililierum  p.  82.  In  versu  29  ra  <P  habent  ^rcfcppovo;,  11:  dücppovo;.  Utroque  loco 
videtur  scriptura  archetypi   fuisse  obscurata. 

7* 


100  Max  Ranüöw, 

agricola  enim  ßotov  lirtoupos  nominari  poterat  imprimis  propter 
verba  a^ev  Ipüvxo  ctuXtv  xou  irapsovto?  (76sq.):  erat  igitur  fortasse 
non  solum  arator  sed  etiam  custos  stabuli;  sed  quoniam  ex  bis 
verbis  propterea  non  multum  sequitui',  quod  prope  stabula  casas 
agrestium  aedificatas  esse  paulo  ante  narratum  est  (23  sqq.),  altera 
lectio  magis  placet,  praesertim  cum  difficilius  perspiciatur,  quo 
errore  calami  oriri  potuerit  cpuxwv  STrioupo?,  elocutio  minime  trita; 
ßoöiv  ETTtoupo;  autem  librarius  aliquis  scribere  vel  lectioni  archetypi 
addere  poterat  aut  propter  vs.  7Gsq.  nimis  pressum  aut  deceptus 
memoria  verborum  [xuxr^xav  sirioups  ßocüv  (8, 6 ;  cf.  etiam  v  405. 
o39).^) 

Quodsi  statuimus  nihil  ante  vs.  1  in  libris  evaimisse,  haec 
sententia  eo  quoque  Armatur,  quod  usque  ad  vs.  84  omnia  ita 
enarrantur,  ut  nihil  ad  intellegenduni  desideretur.  Nam  quod 
agricola  dicit  st  xev  6 So 5  Ca/psiov  avr^vvjtai  xi?  ooix/jv  (6),  etsi  de 
via  Herculem  nihil  interrogasse  maxime  docent  vs.  34 sqq.,  in  eo 
Meinekius  (p.  369)  offendi  non  debuit;  namque  senex  Herculem 
viatorem  esse  ratus  haud  ignorat  omnes  fere  viatores  esse  68oG 
Ca^pstou?;  deinde,  quod  gravius  est,  verba  illa  universe  posita  tam- 
quäm  exorta  sunt  ex  eis  quae  de  Mercurio  memorantur,  Neque 
magis  haerebimus  in  verbis  ospfia  xe  Or^po?  opwv  (63),  quasi  in  re 
Omnibus  notissima  opus  fuerit  ante  vs.  1  edocere,  cuius  animalis 
pellis  intellegenda  sit;  plenius  loquitur  vs.  142. 

Sequitur  altera  carminis  pars  (85 — 152).  Quae  hie  inter 
vs.  84  et  85  desiderantur,  ea  G.  Hermannus'')  rectissime  observavit: 
agricola  enim  Herculem  ad  casam  suam  deduxerat,  ubi  regem  in- 
venturi  essent  (61);  at  vs.  108  sqq.  Hercules  simul  cum  Augia 
eiusque  filio  Phyleo  armenta  spectans  fingitur,  quamquam  antea 
non  narratum  est,  quomodo  ad  illos  pervenisset,  quomodo  ab  eis 
hospes  receptus,  quomodo  denique  invitatus  esset  ad  greges  con- 
templandos.  lam  si  ipsos  vei-sus  85 — 152  inspicimus,  totius 
narrationis  summam  omnino  non  in  eo  contineri  apparet,  ut  Augias 
simul  cum  Hercule  armenta  spectet;  immo  copiose  et  amoene  nee  sine 
aliquo  harum  rerum  studio  greges  de  pascuis  ad  stabula  redeuntes 


■)  Cf.  quae  de  bis  lectionibus  explicat  Hillenis,  Beiträge  p.  47. 
^  Opusc.  Viri  324  ad  vs.  85. 


De  carminum  Theocriti  XXIV  et  XXV  compositione.  101 

depingiintiir  (85 — 107),  tum  post  paucos  versus,  in  quibus  regem 
armenta  contemplantem  et  Herculem  admirantem  videmus 
(108 — 117),  iterum  ad  greges  oratio  recurrit  (118 — 137),  denique 
ad  extremum  data  occasione  aliquod  roboris  Herculis  exemplum 
editur  (138 — 152).  Quodsi  ea  quae  inter  vs.  84  et  85  desiderantur 
a  poeta  ipso  conscripta  fuissent,  res  puto  eum  paulo  aliter  narra- 
turum  fuisse;  cum  enim  e  more  Graecorum  verisimile  sit  Herculem 
advenientem  non  statim  ad  stabula  permeanda  deductum  sed  prius 
a  rege  ad  epulandum  invitatum  esse,  fortasse  post  verba  r^iXio? 
jXiV  sTTSixa  TioTt  Co'fov  lipcciSv  HiTTOu?  ostsXov  Tjtxap  or((jiV  addidisset 
Augiam  cum  filio  et  hospite  tum  ad  armenta  contemplanda  pro- 
fectum  esse.  Deinde  attendatur  nullo  verbo  dici  Augiam  greges 
Herculi  ostendisse,  sed  vs.  111  legimus  u)[iapTsuv  ßaaiXTJt  oispyojisvu) 
\ii-((xv  oXßov,  pro  quo  magis  exspectatur  8etxvuv-i  vel  tale  aliquid; 
nihil  praeterea  hospiti  declarat,  nuUa  voce  eum  adloquitur,  sed 
omnes  versantur  velut  muti;  quin  etiam  post  taurum  validissimum 
ab  Hercule  domitum  nemo  admirationem  suam  vel  ulla  voce 
exprimit.  ^) 

Quae  difficultates  non  tolluntur,  si  cum  Dahlio  et  Wueste- 
manno,  qui  similia  atque  Hermannus  desiderabant,  ante  vs.  108 
nonnuUa  in  libris  excidisse  censemus.  Sin  autem  opinio  vera  sit 
inter  vs.  84  et  85  nihil  a  poeta  scriptum  fuisse,  sed  hanc  quoque 
partem  carminis  per  se  solam  compositam  esse,  in  ipsis  versibus 
nihil  est  quod  quemquam  offendat. 

Neque  aliter  iudico  de  tertia  quae  restat  parte  (153  sqq.). 
Nam  haec  magna  arte  composita  et  ipsa  per  se  intellegitur;  nee 
vero  ante  vs.  153  discimus,  qua  de  causa  et  quo  tempore  Phyleus 
et  Hercules  ex  agris  in  urbem,  cuius  nomen  nusquam  in  carmine 
memoratur,  se  conierant  Augia  ut  videtur  ad  stabula  relicto.  De 
his  autem  rebus  si  umquam  ipse  poeta  quid  scripsisset,  certe  idem 
Herculem  fecisset  nomen  suum  et  genus  patriamque  confitentem. 
Nunc  autem  Phyleus  neque  nomen  Herculis  novit,  quippe  quem 
appellet  csTvs  (162)  et  ^pto?  (178),  neque  aut  eius  genus  aut  pa- 
triam:  nam  si  novisset,  non  dubitaret,  quin  hospes  is  sit,  a  quo 
leonem  Nemeaeum  interfectum  esse  audivit,  neque  ita  loqueretur. 


1)  Vide  supra  p.  93  ad  24,  60  sqq. 


102  Max  Rannow, 

ut  nunc  170sq.  de  patria  eins  et  172sq.  de  genere  loqiiitiir.  Porro 
quod  harum  reriim  Phyleus  inscius  est,  inde  concluditur  eiim  ad- 
hiic  ne  id  quidem  compertum  habere,  quo  consilio  et  cuius  iussu 
ad  Augiam  patrem  Hercules  venerit.  Hoc  enim  si  is  exposuisset, 
necesse  erat  et  nomen  et  genus  simul  eum  commemorare.  Nam 
etiamsi  huic  opinioni  refragari  aliquis  dixerit  verba  t6v  {xsv  Ijiol 
zpcoTtöxa  tsXsTv  iTTETaSsv  aet>Xov  EupuaOeu?  (204sq.),  quae  verba  ita 
dicta  videntur,  quasi  Phyleus  iam  edoctus  sit  de  Eurysthei  im- 
peratis,  tarnen  hoc  loco  poetam  seductum  fortasse  re  omnibus 
lectoribus  notissima  oblitum  esse  nihil  de  ea  re  se  antea  dixisse 
eo  facilius  putabimus,  quo  magis  elucet  Phyleum,  si  scivisset,  quis 
esset  hospes,  ratione  prorsus  alia,  certe  non  tarn  dubitanter  ab 
Hercule  narrationem  leonis  interfecti  petiturum  fuisse.  —  Vides 
ex  huius  quoque  partis  descriptione ,  si  poeta  plura  ante  vs.  153 
scripserit  quam  nunc  leguntur,  non  intellegi,  qui  tandem  res  ita 
narrare  potuerit,  ut  narravit.  Praeterea  casus  prorsus  mirus 
agnoscendus  esset,  si,  quamquam  in  singulis  carminis  partibus 
nulla  lacuna  invenitur,  ei  ipsi  versus  excidissent,  qui  illis  inter  se 
connectendis  inservirent. 

Quam  diligenter  autem  in  hoc  carmine  singulae  partes  ela- 
boratae  sint,  e  narratione  leonis  Nemeaei  cognoscitur.  Quam  usquo 
ad  finem  deductam  esse  verba  docent  haec:  outos  toi  Nsfxsou  ^avs-', 
w  cpiXs,  Or^po?  oXoxipoq,  iroXXa  Tiotpo?  jxtjXois  xs  xal  otvopaai  xr^osa  Osvto; 
(280sq.).  Totum  vero  carmen  post  multa  ea  quae  inde  a  vs.  1 
leguntur  apte  illis  verbis  claudi  numquam  mihi  persuadebitur. 
Nam  cur  tandem  Hercules  ad  Augiam  venit?  An  ut  eins  armenta 
admiraretur  aut  cum  Phyleo  filio  in  urbem  prolicisceretur  eique 
caedem  monstri  illius  enarraret?  Quod  enim  Hermannus  (1.  1.  p.  317) 
iudicat  omnia  tendere  ad  descriptionem  pugnae  cum  leone,  quacum 
cetera  tanta  arte  contexta  sint,  ut  illa  descriptio  per  ipsum  rerum 
narratarum  ordinem  necessaria  esse  videatur,  quodammodo  verum 
est  hoc  iudicium  in  carmine  ita  scripto  ut  nunc  legitur.  At  num- 
quam aliud  nisi  hoc  argumentum  solum  tractandum  sibi  poetam 
proposuisse  quis  credet?  Cur  enim  in  prima  parte  agricolam  et 
Herculem  tot  verbis  facit  inter  se  loquentes?  cur  in  secunda  tanta 
ubertate  armenta  describit,  si  nihil  aliud  voluit  nisi  Herculem  fin- 
gere ipsum  pugnam  suam  cum  leone  factam  describentem  ?    Immo 


De  carminum  Theocriti  XXIV  et  XXV  compositione.  103 

hunc  quoque  poetam  id  de  Hercule  apud  Aiigiam  versante  narrare 
vohiisse,  quod  ibi  e  vnigata  fama  fecisse  dicitur,  cum  ex  toto  ar- 
guraento  intellegitur,  tum  e  versibus  112  sqq.,  in  quibus  subtili 
arte  depingitur  Herculem,  quamvis  habuerit  appr^xxov  ev  ctv^Osai 
Outxov  xal  apT^poxa  vwXsjik  atst',  tarnen  in  tanto  armentorum  numero 
aliquo  quasi  stupore  affectum  esse  (ex-aYX«)?  OotuixaCs),  scilicet  veri- 
tum,  ne  ad  opus  tarn  immensum  uno  die  peragendum  non  sufficeret. 
Quae  Cum  ita  sint,  verbis  outo?  xot  Nsfxsou  xxX.,  quamquam  eis 
tertia  carminis  particula  clauditur  eodem  fere  modo,  quo  in  carmine 
XXIV  descriptio  Herculis  educationis  defmitur  verbis  oiSs  jiev 
'HpaxXT^a  xxX.  (134),  tarnen  totum  cannen  absolvi  contra  Fritzschium 
nego,  qui  vir  ut  saepius  hie  quoque  externa  quadam  exemplorum 
similitudine  deceptus  est.  At  in  ipsis  codicibus  post  vs.  281  quid- 
quam  periisse  ex  eis  quae  disserui  non  est  verisimile. 

Poeta  igitur  cum  aliquam  fortasse  Augeidem  condere  in  animo 
haberet,  primo  nonnullas  partes  composuit,  prouti  cuiusque  suavi- 
tate  invitabatur,  totius  carminis  perfectionem  alii  tempori  commis- 
surus.  Quod  quominus  perficeret  cum  nescimus  qua  re  impeditus 
esset,  post  eins  mortem  tres  illae  partes  editae  sunt.  Ceterum  si 
quando  ipse  eas  in  unum  corpus  plenum  et  absolutum  redegisset, 
haud  pauca  in  eis  quae  per  se  scripserat  mutare  coactus  fuisset.  ^) 

Carmina  autem  XXIV  et  XXV  breviter  inter  se  comparantibus 
nobis  hae  maxime  diversitates  apparent:  utrumque  imperfectum  a 
poeta  relictum  est,  sed  ita  ut  Carmen  XXIV  etiam  in  singulis  par- 
tibus,  alterum  autem  in  eis  adnectendis  imperfectae  condicionis 
vestigia  secum  ferat.  Deinde  illius  dialectus  formis  doricis  et 
epicis  commixta  est  eodem  fere  modo  atque  in  carminibus  XIII. 
XVI.  XVII;  in  carmine  autem  XXV,  quamquam  in  hac  re  codicum 
duo  stemmata  inter  se  discrepant,  epicae  tamen  formae  ita  praeva- 
lent,  ut  Omnibus  fortasse  locis  restituendae  sint');  hoc  praeterea 
formulis  homericis  multo  plus  utitur  quam  illud.  Tum  in  carmine 
XXIV  narratio    brevior   est   et  compressior;    at   in  altero  ubertas 


0  L.  Genther  (Ueber  Theokrit  XXV  und  Moschos  IV.  Progr.  Luckau  1891) 
praecisum  nostri  carminis  initium  ac  singulas  partes  inter  se  non  connexas  ita 
explicat,  ut  esse  eas  imitationes  rbapsodiarum  bomericarum  opinetur:  cui  opi- 
nioni  vix  quisquam  suffragabitur. 

2)  Cf.  Hiller,   Beiträge  p.  77. 


104  MaxRannow,   De  carminum  Theocriti  XXIV  et  XXV  compositione. 

quaedam  epica  cernitur.  Denique  aliquod  discrimen  videor  mihi 
in  eo  animadvertere,  quod  in  carmine  XXIV  Hercules  depingitur 
omnium  armorum  usu  institutus  et  regali  modo  educatus;  contra 
in  carmine  XXV  videmus  eum  solo  arcu  sagittisque  et  clava  lignea 
armatum  (velut  17,  30  sq.)  atque  pelle  leonina  vestitum. 

Verum  haec  omnia  non  impediunt,  quominus  utrumque  carmen 
ab  eodem  auctore  scriptum  sit.  Quem  esse  Theocritum  equidem 
etiam  post  Hilleri  disputationem  ^)  puto.  Sed  hunc  filum  deducere 
tempus  nunc  non  est.  Potius  iam  finem  his  quacstionibus  imponam, 
haud  immemor  Theocriti  dicentis:  ootcw  (xf^va?  a^cuv  Exajx'  oupavo? 
Oü5'   iviaoxooi;. 


1)  Beiträge  p.  60  sqq.  Hilleri  dubitationes  redarguit  plerasque  C.  Prinz 
Quaestiones  de  Theocriti  c.  XXV  et  Moschi  c.  IV  (Dissert.  philol.Vindob.  V,  1895) 
p.  73  sqq. 


(t)^ 


vn. 

Max  Rubensohn. 

Ad  Anthologiam  Graecam  capita  diio. 


I.  Diodori  epigramma  ad  Drusum  minorem. 
Saepius  iam  explanare  conati  sumus,  quid  illud  esset,  quo 
epigrammatis  Graecis  Augusti  ciusque  successorum  saeculo  ortis 
suum  constitueretur  propriumque  pretium.  Quod  nunquam  clarius 
cognovi,  maiore  nunquam  persensi  animi  permotione,  quam  cum 
iterum  et  saepius  versibus  relectis  percipere  mihi  visus  sum,  qui 
subesset  sensus  epigrammati 

Anth.  Gr.  IX  405.     Aiootopou. 

'  ASpTfjaxEta  as  oiot  xctt  lyyair^  as  cpuXaaast 

TrapOsVO;    7j    TTOXXOUS    <}£UCJa|X£Vrj    N£|J.£öt?* 

htihii  aov  T£  cpuT^?  Ipax^v  tuttov  tjSs  aot,  xoSp£, 
OT^vE«  0£(3TC£ai7]i;  xal  tilvo?  TQvoplif]? 
5     xal  aocpiV^v  xal  ix^xiv  iTri'cppova*  toiccSe  texv«, 

i^pouCE,  tteXeiv  [Aaxapwv  7:£ud6[i£&'   d&avaxtov. 

Lemma:  eis  ApoüGfJv  xtva  e^X^'  ^f*^^*  "^^^  TrpoocoTcou  oixoü  Nefx.  xal'ASp. 
(pertinere  igitur  vult  v.  6  ad  deas  Adr.  etNem.I).  Planudes  qiioque  epigramma 
in  1.  I.  c.  XXXI:  e(?  z^yji'^  recepit. 

Notae  criticae:  1  ts  Plan.  ||  M/vatTj  Hillscherus  (Annal.  philol.  Suppl.  XVIII 
p.  394),  certe  ad  exemplum  Homerici  'lyvafrj  0£(j.t;  finxit  poeta  epitheton  || 
cp'jXoTxet  (non  «puXotxTet,  cf.  Paulsseni  coUationem  p.  63)  Pal.:  cpuXatxoi  Plan, 
et  edd.  ||  3  f^  5e  ad  xoüpa  Pal.  ||  cf.  lies.  Theog.  259  cpu-)^v  x'  Ipaxi^  ||  5  Hom. 
X  326  xal  ETiicppova  \>.t]xv^. 

Diodorus  igitur  iunior  (vea>x£poc)  Sardianus,  epigrammatarius 
Graecus,  Strabonis  amicus  *),  cui  cum  Drusi  maioris  progenie  rationem 


')  ^Avope;  o'ä^toXoyot  Yeyovaai  (Sardibus  sc.)  xoü  aixoü  ylvoui  Atoowpoi 
O'io  ol  ^T^xope;,  uiv  6  Ttpeaßüxepo;  ixaXetxo  Zujvä;  (Mithridatis  aequalis,  Zcuvä 
•/p(va  Philippus  A.  P.  IV  2, 11  dicit  se  coronae  adnexuisse)  .  .  .,  xoü  oi  vetox^pou 
<p{Xo'j  rjjjLiv  Yevou^vou  xctl  laxopixa  a'JYYP^H^!^*'^°'  ^axi  xal  [jl^Xt)  xal  aXXa  7:onQ[xaxa 
XTjV  dip/a{av  Ypacprjv  (v.  infra)  iTTicpa^vovxa  IxavÄ;  Strabo  XIII  628.  Philippus 
A.  P.  IV  2,  12:   ...  xal  Aiootupo;  i'ov.    Facile  conicias  Diodori  historica  scripta 


108  Max  Rubensohn, 

intercessisse  etiam  aliundo  conicere  licet '),  Drusura  adolescentulum 
his  versibus  extollit  ob  corporis  animique  viitutes,  ob  „Martia 
corda"  prudensque  consilium:  „Tales  accipimus  esse  immortalium 
liberos".  Sed  quoniam  tantis  laudibus  abundas,  timeo  tibi,  adulescens, 
timeo  dotibus  illis  ipsis:  „Adrastea  te  diva,  te  virgo  custodiat, 
vestigiis  quae  insistit  homiimm,  quae  iam  multorum  mentes  decepit, 
Nemesis".  Ab  his  enini  verbis  initium  sumit  poeta,  interpretibus 
si  credas.  Qui  quamquam  dispicere  studuerunt,  ad  quem  Drusum 
missum  esset  carmen  —  alii  Neronem  Claudium  Drusum,  Augusti 
privignum '),  alii  eius  nepotem  Drusum  lulium  Caesarem,  Germanici 

etiam  ad  Sardes  spectasse  atque  inde  non  pauca  Strabonem  hausisse  ex  eis, 
quae  apud  eum  de  illa  urbe  leguntiir. 

')  Eius  eniin  epigramma  (Kaib.  nr.  810,  Rubensohn  Ann.  phil.  1889,  774) 
iam  mihi  videtur  esse  in  Venerem  Sinuessae  dedicatam  ab  Eoue,  quae  olim 
Drusi  senioris  et  Antoniae  fuerat  delicium.  Praeterea  eiusdem  Diodori  est 
hoc  Carmen  in  Neronem  quendam: 

A.  P.  IX  219.  A?Yiß(5Tou  2x6poto  Xtnwv  tieSov  "IXiov  ItiXü) 

oro{  'A/iXXeiSr);  Tzp6c%t  (JLevETrToXefjio;, 
Toloi  h  A{v£dS-)fiai  N^piov  dyo;  aarj  T^jjloio 

veiTot  i-!z    ü>x'jp($7)v  0ü{jißpiv  «[xeid/ctfAevos, 
5     xoüpo?  iz    äpTty^Vtiov  l^^tuv  j^vdov.   dXX*  6  \xkw  iy/ei 

düev  6  o'dtficpoTipoic,  xal  8opl  xal  ao^it^i. 
Neoptolemi  fabulam  ex  Iliade  parva  desumpsit  (vide  supra  Strabonis  verba): 
sie  enim  facillime  explices,  quod  nonnulla  quae  apud  Quintum  Smyrnaeum 
leguntur  (7,  239.  291.  325.  357.  359.  365)  congniunt  mirum  in  modum  cum  Diodori 
verbis.  Inde  hoc  quoque  discimus  puenim  illum  (erat  d^dj,  „princeps  iuven- 
tutis?"  Dessau)  non  ex  hello  reverti,  immo,  ut  Neoptolemum,  nondum  exper- 
tum  esse  res  bellicas  (cf.  Crinag.  ep.  41).  Possis  cogitare  de  Germanico,  quem 
ante  adoptionem  Neronem  Claudium  Germanicum  dictum  fuisse  Mommsenus 
probavit  (Herm.  13,  262).  Neque  tarnen  dubito,  cum  Drusus  alterius  car- 
minis  Germanici  filius  sit  (vide  infra),  quin  Nero  maior  fuerit  Drusi  frater 
(natus  c.  a.  p.  Chr.  6,  necatus  a.  31).  Hillscherus,  ut  perperam  ad  Drusum 
maiorem  ep.  refert,  ita  non  minus  perperam  statuit  comitem  eum  fuisse  Augusti 
{h  AiveotSTjjai,  immo  Aeneadae  hoc  loco  sunt  Romani).  Ceterum  ex  CLL.  VI3919 
lulium  quendam  Leonidam  cognoscimus  „praeceptorem  Caesarum" ,  quos  Dessau 
(Prosopogr.  II  198)  suspicatur  esse  Germanici  filios. 

^)  Sicut  qui  primus  epigramma  interpretatus  est  Obsopoeus  (a.  1540),  nuper 
(1892)Hillschenis,  qui  „qua  de  causa  ad  diversos  missa  esse  epigrammata  putemus, 
non  intellegit,  quoniam  quae  in  eis  leguntur,  de  uno  dicta  esse  videntur 
variansque  nomen  in  homine  gentis  Claudiae  nemo  mirabitur.  Praeterea  Ger- 
manici filii  omnino  non  arcessendi  videntur  ad  explicanda  haec  epigrammata, 


Ad  Anthologiam  Graecam  capita  duo.  109 

Caesaris  et  Agrippinae  filium,  a.  7  vel  8  p.Chr.  natum'),  esse  sta- 
tuunt  —  tarnen  quo  tandem  modo  custodire  iubeatur  Nemesis  puerum, 
gervare,  defendere,  tueri,  Nemesis,  quae  iam  multos  decepit,  cum 
exspectemus,  ut  Nemesin  poeta  cupiat  remotissimam  mauere  a 
Druso  ueque  ad  superbiam  insolentiamque  illicere  adulescentis 
aniumm,  id,  inquam,  nemo  adliuc  aperuit^).  Verum  quid  dicat 
Diodorus,  cum  dicit  Nemesin,  ut  multos  iam  lefellerit  atque  adeo 
perdiderit,  item  nunc  Drusum  observare,  facta  dictaque  eins  specu- 
lari  (non  igitur  custodire,  servare),  ita  ut  sibi  (poetae  sc.)  iam 
metum  faciant  ipsae  adulescentis  dotes  insignes:  id  facili  negotio 
intellegemus  adscitis  testibus  duobus  locupletissimis,  qui  cuivis  mihi 
videntur  prodere,  quid  tam  sollicitam  tenuerit  poetae  mentem,  cur  ille 


quippe  quae  ab  araico  Strabonis  vix  scripta  sint  aiiiiis  p.  Chr.  23 — 25  (?),  cum  iam 
a.  Chr.  29  ipse  Strabo  Romam  venerit  anuum  agcns  tricesimuni  quartum,  neque 
placet  carmina  missa  fingere  ad  adulescentulos  Tiberio  avo  suspiciosos  . .. ".  Ut  ab 
his  redarguendi  iuitium  capiam,  neque  Neronem  quod  celebrat  epigramma  iam 
in  id  tempus  incidere  putandum  est,  quo  Tiberius  eum  odio  vexabat,  et 
prioribus  alterius  in  Drusum  carminis  versibus  infra  videbimus  ipsum  pericu- 
lum  a  Tiberio  imminens  significari.  Futile  vero  est  quod  de  Diodori  aetate 
dixit  vir  doctus.  Si  Strabo  annis  18 — 19  p.  Chr.  geographica  composuit,  certe 
non  est  quod  neges  eodem  tempore  aut  paulo  post  eins  amicum  scripsisse  haec 
epigrammata.  Id  porro  admodum  mirum  est,  quod  dicit  Hillscherus  et  ad  unum 
spectare  epigrammata  et  tarnen  eundem  „varianti  nomine"  nominari. 

')  Primus  ad  hunc  epigramma  rettulisse  videtur  I.  Tristan  (vide  Anth. 
Graec.  ed.  de  Bosch  v.  IUI  p.  268).  Eandem  sententiam  tuetur  Jacobsius. 
Hcrderus  noster  in  commentatione  quae  inscribitur  „Nemesis.  Ein  belehrendes 
Sinnbild"  epigramma  Diodori  minime  praetermisit;  at  non  est  quod  eins  inter- 
pretationem  dedita  opera  refutemus.  Versionem  suam  Germanicam  (Blumen 
aus  der  gr.  Anthologie  II  2)  inscripsit:  Abschiedswunsch  an  einen  jungen 
Helden. 

2)  H.  Posnansky,  qui  de  Nemesi  et  Adrastea  doctissime  uberrimeque 
disseruit  (Vratisl.  1890.  Comment,  philol.  Vrat.  V  2),  de  Nemesi  qualis  fuerit 
aetate  imperatorum  Rom.  haec  disputat  (p.  48) :  „Lediglich  eine  Entstellung  und 
Entartung  des  Nemesis-Begriffes  war  es,  wenn  die  Alten  bereits  im  Anfang 
der  Kaiserzeit  als  Triebfeder  zum  Einschreiten  der  Göttin  nicht  das  Gebot  der 
Gerechtigkeit,  sondern  Neid,  Bosheit  und  Launenhaftigkeit  voraussetzten  .  .  . 
Auf  diese  Weise  wurde  der  BegriflF  der  Nemesis,  welcher  Herder  zu  so  be- 
geistertem Lobe  hinriss,  zu  der  widerwärtigsten  Vorstellung  herabgezogen. 
Hierdurch  wurde  Nemesis  zu  einem  launenhaften,  neidischen  Dämon,  der  seine 
Freude  an  'i'äuschung  und  Umsturz  glücklicher  Verhältnisse  hatte.     So  nennt 


110  Max  Rubensohn, 

versibus  suis  submonere  iuvenem  instituerit:  Siiet.  Tib.  c.  54  . . .  atque 
ex  eo,  patefacta  interiöre  anivn  sui  nota,  omnium  criminationihus 
ohno.rios  (sc.  maximos  natu  de  Germanici  filiis,  Neronem  et  Drusum) 
reddidit  (Tiberius)  variaque  fraude  inductos,  ut  et  concitarentur 
ad  convicia  et  concitati  'proderentur,  accusavit  per  litteras  amaris- 
sime  congestis  etiam  probris  et  iudicatos  hosfis  fame  necavit:  Nero- 
nem in  insula  Pontia,  Drusum  in  ima  'parte  Palatii.  Tac.  ann. 
IV  59  adsimidabatque  (Seianus)  iudicis  partes  adversum  Germa- 
nici stirpem  suhditis  qui  acciisatoruvi  nomina  sustinerent  ma.n- 
meque  insectarentur  Neron£m  proximum,  successioni  et,  quam- 
quam  modesta  iuventa,  plerumque  tarnen  quid  in  praesentiarum 
conduceret  ohlitum,  dum  a  libertis  et  clientibus,  apiscendae  pote^itiae 
properis,  exstimulatur,  ut  erectum  et  fidentem  animi  ostenderet. 
.  .  .  haec  atque  talia  audienti  nihil  quidem  pravae  cogitationis, 
sed  interdum  voces  procedebant  contumaces  et  inconsultae,  quas  ad- 
positi  custodes  exceptas  auctasque  cum  deferrent  neque  Neroni  de- 
fendere  daretur,  diversae  insuper  sollicitudinum  formae  oriebantur. 
Drusus  eins  frater  item  in  Seiani  partes  tractus  est  spe  obiecta 
principis  loci:  atrox  Drusi  ingenium  super  cupiditiem  pofentiae^) 
et  solita  fratribus  odia  accendebatur  invidia,  quod  mater  Agrippina 
promptior  Neroni  erat,  neque  tarnen  Seianus  ita  Drusum  fovebat, 
ut  non  in  eum  quoque  semina  futuri  exitii  oneditaretur  gnarus  prae- 
ferocem  et  insidiis  magis  opportunum. 

Quibus  autem  fraudibus  usus  Neronem  matremque  speculatus  sit 
Tiberius  (Suetouii  testimonio  Tacitique  indiciis  si  fides  haberi  potest, 


Diodoros  die  Nemesis  geradezu  roXXou;  (l^euaa(i.^v7)".  Adrasteam  autem  poetae 
eandem  esse  cum  Nemesi  ut  non  recte  autuinat  Jacobsius,  ita  huic  eam  j)lane 
ac  diserte,  id  quod  Posnansky  dicit  p.  81 ,  a  Diodoro  opponi  equidem  haud 
crediderim.  Sciebat  sine  dubio  diversas  eas  principio  fuisse  et  noverat  fortasse 
Menandri  versum  (III  93  Kock):  'ASpasxsia  xat  öed  axudpcoTri  N^fi-eai  au^^iYviu- 
axete,  Antimachi  autem  de  Nemesi  versus,  quos  Strabo  eins  amicus  (supra  p,  107) 
laudat  (XIII  p.  588):  "Eon  6^  ti;  N^fxeai«  fjieyaXT)  9e(5;  .  .  .  Tzapd  ^dov  Atai^Tioio. 
evda  TeTt'p.T|Ta{  te  xu  'AopT^axeta  xoXeiTai  Diodoro  item  haud  ignotos  fuisse  i)ro 
certo  habeo. 

')  Cum  hac  Taciti  morum  Drusi  descriptione  compara  poetae  versus  3  ss. 
Alrox  (postea  dicit  praeferox)  ingenium  a  Diodoro  blandiente  auribus  iuvenis 
öeaTteafTj«  [xivo«  /^vop^Tjc  dicitur.  Hoc  loco  afferre  liaud  ab  re  duco  Mesomedis 
(liymn.  in  Nem.)  v.  19  »ä  t^v  {j-Eya/ayopiav  flpotcüv  .  .  .  äcpatpet;. 


Ad  Anthologiam  Graecam  capita  duo.  111 

eadem  speculatio  in  Drusum  quoque  exercebatur),  lucidissime 
cognoscitur  ex  cap.  67 :  quis  (sc.  Neroni  et  Agrippinae)  addüus  miles 
nuntios  introitus,  aperta  secrefa  velut  in  annales  referehat^  ultroque 
stfuebantur  qui  monerent  perfugere  ad  Germaniae  exercitus  vel 
ct'lehcnimo  fori  effigiem  divi  Augusti  amplecfi  populumqtie  ac  sena- 
tuTn  auxilio  vocare.  eaque  spreta  ab  Ulis,  velut  pararent,  obiciebantur. 
Medias  quasi  hasce  in  artes  technasque  atrocissimas  per  Diodori 
epigramma  introspicere  licet.  Neque  vero  accurate,  quo  anno  ortum 
sit,  definire  possumus '),  praesertim  cum  magna,  qua  Taciti  annales 
deformantur,  lacuna  Suetonii  summatim  has  res  attingentis  narra- 
tione  minime  expleatur.  At  utut  est,  epigrammatis,  de  quo  agimus, 
(item  ac  ceterorum  fere  horum  temporum,  quae  quidem  ßeßia)[i.£va 
referant)  singularis  vis  ac  pretium  non  tarn  in  virtutibus  poeticis 
(ut  ita  dicam)  cernitur  —  etsi  Diodorus  certe  laudandus  est,  quod 
singulas  voces,  quarum  haud  paucae  ex  Homerico  fönte  fluxerunt, 
tam  cauto  et  subtili  iudicio  elegit  —  quam  in  ipsa  carminis  origine 
et  occasione:  eam  enim  tragoediam  vivis  quasi  coloribus  in  me- 
moriam  nostram  revocat  Diodori  Carmen,  qua  paucas  cognovimus 
atrociores. 


Quem  equidem  in  hoc  epigrammate  subesse  contendo  sensum, 
haud  scio  an  non  planius  indicari  possit  quam  hac,  quam  sub- 
nectere  audeo,  versione  germanica: 

Adrasteia,  die  göttliche,  wacht  und  bei  ihr  die  Jungfrau, 

Die  schon  viele  betrog:  Nemesis  lauert  und  spürt! 
Ja,  mir  banget,  o  Jüngling,  um  deine  berückende  Schönheit, 
Deinen  Verstand  und  den  hochstrebenden  mannhaften  Mut, 
5  Um  dein  weises,  besonnenes  Herz.     0  Drusus,  es  heisst  doch: 
Seligen  Göttern  nur  sind  solcherlei  Kinder  bestimmt. 

Hoc  demum  vertendi  periculo  facto  didicimus  ne  ultimum  quidem 
versum  subtiliore  sensu  carere:  Tu  autem  non  es  deorum  proles^). 


')  Suspectus  factus  est  Nero  lulius  Caesar  Germanici  filius  Tiberio 
a.  27,  Drusus,  qui  a  Seiano  in  fratrem  instigatus  erat-,  nonnuUis,  ut  videtur, 
annis  post  eiusdem  Seiani  machinationibus ;  anno  33  fame  exstinctus  est. 
Itaque  si  epigramma  c.  annum  30  Druso  missum  esse  ponemus,  haud  procul 
a  vero  aberrabimus. 

')  Herdems  ultimum  versum  sie  reddit: 


112  Max  Rubensohn, 

TL    Philipp!  Thessalonicensis  iter  Actiacum. 

Mihi  in  animo  fuerat  hoc  loco  „hymnum"  in  Apollinem 
Actiacum  recens  inventum  et  a  viro  de  his  litteris  optime  nierito 
F.  G.  Kenyon  publici  iuris  factum  (Revue  de  Philologie  XIX 
177 — 179)  uberiore  commentario  instruere  eiusque  qui  auctor  fuisset 
accuratius  inquirere.  Sero,  id  quod  maxinie  doleo,  cognovi  non 
iam  mihi  vacare  omnia,  quae  congessi,  ea  qua  par  est  diligentia 
elaborata  doctorum  iudicio  subicere.  Itaque  prolixani  illam  dis- 
putationem  in  aliam  occasionem  reservans  nunc  id  unum  ago,  ut 
quae  colligendo  et  argumentando  lucratus  esse  mihi  visus  sum, 
legentium  oculis  proponam  proxima  et  quasi  compendiaria  via  usus : 
nonnullis  epigrammatis  in  unum  coactis,  quae  non  modo  faciunt 
ad  „hymnum"  illum  illustrandum,  sed  ut  mihi  videntur,  per  eiusdem 
(sc.  Actiaci)  itineris  occasionem  ab  eodem  auctore  conscripta  sunt. 

1. 
AsuxaSo;  aiiruv  e/*"^  vauxaic  tr^Xia/oirov  oyßnv, 

OoTßs,  Tov  'lovioi  Xoüousvov  Tr£Xa"[£t, 
osSai  7:X(0Tr^pa)V  uaC^i?  j^eptcpupsa  Saixa 
xal  aTrovSTjv  öXiytq  xipva[i.£vr^v  xuXixi 
ä     xott  ßpaj^ucpEYYtxou  Kuyyoo  sika.^  ex  ßiocceiSou? 
aioißr^C  7j(i,t[X£{>£T  7rtv6[x£vov  aiotxotxi' 
dvi^'   «)V  tXi^xoic,  £7rl  o'tuxi'a  7:£(j-(}ov  «"^xtjv 
oupiov  'Axxtaxou?  a6vopo[xov  £?;  Xijxiva?. 
A.  P.  VI251:  (DiXiTTTiou. 
2  ;^iov{(ut  Pal,  II  6  OTOtß^c  Reisk.;  (5tv  y^?  Pal.,  oXrij;  Salm,  et  edd. 

2. 

"Axxiov  a[xpov  l^ojv,  äva  v]aoiioiyz,  Kat'aapo?  Ip^tuv 
fiVT^!J.a  xcd  £u[xu]y(£iuv  [xapxuptyj[v]  xctfxaxcuv  — 

ct^tövo;  a[x6]u.aa'.v  ߣßo73}ji£V£,  aoi  -^otp  "Apr^o? 
7r[v£U|jLa]xa  xal  aaxEtov  i3x6p£(j£V  Traxapv. 


...  0  Jüngling,  Sohne  der  Gotter, 
Die  Dir  gleichen,  zu  bald  neiden  die  Götter  sie  uns. 
Hillscherus  vero,  qui  epigramraa  ad  Drusura  inaiorem  pertinere  putat,  verbis 
TotdSe  T^xva  .  .  iriXeiv  .  .  jxaxaptuv  öÖavctTtov  alludentem  poetam  fingit  ad  ipsum 
Divuin  Augustmn  (!). 


Ad  Anthologiam  Graecam  capita  duo.  113 

Y^v  et:!  NeiXwTiv  viaso  ^rjöaXlo?, 
Euvo[(xir^?]  cpopiotat  xat  suOevr/;?  ßa&UTrXouxou 

ßpi[ööJ;x£vo;  ßuCr^v  Zsu;  ax    'EX£Ui)£pio?. 
&u>po(p6poi?  OS  ^spsaaiv  eos^ato  NeiXoc  avaxta 
10        xal  8a[xap  y;  }(pu330ts  Tni5j(e(Jt  Xouofjisvrj 

aTTtoXsfjiov  xal  aSrjpiv  'EXsüöspi'ou  Aio?  oti.ßpov 

dxpsxEi?  eaßss&rj  oouvofia  xal  TroXsfiou  —    ^ 
)(atpe,  (jiaxap  Asuxaxa  Ato?  [Kpov]i8ao,  l'eßaaxou 

vtxaitüv  ep7(uv  Sv  Trpuxav£U[i.a  xaXov. 
F.  G.  Kenyon  edidit  ex  papyro  Musei  Brit.  1.  1. 

Litterae  dubiae  punctis  notantur.  In  papyro  scriptum  est  epigramma, 
ut  a  me  rogatus  recte  collegit  ü.  Wilckeu  ex  eis,  quae  Kenyon  de  ceteris  eius- 
dem  papyri  documentis  disputavit,  post  a.  11  p.  Chr.  et  ante  finem  saeculi  || 
1  (i;jL[cpt^7ru)v]  Ken.:  ä(x[cpt^T:ot?]  vel  a[j.[cpt7:dXei]  II.  Weil  I,  1.  ||  ava  suppl.  Bücheier  || 
vaufi-aye]  Prep.  IV  1,  3:  atqui  ubi  Navali  stant  sacra  Pulatia  Phoebo, 
V.  Rothsteinii  adnotationem;  Crin.  24, 2  ||  2  [xapxuptrjv]  v  adiecit  Weil.  Cf.  Prep.  IV 
6,  17:  Actia  luleae  ,  ,  .  monimenta  carinae,  ib.  67  Actius  hinc  traxit  Phoebus  moni- 
menta;  vide  praeterea  ep.  insequentis  v.  2  et  eiusdem  Philippi  VII  234,  3  eSpafxe 
{}'j(jLo7  d; -poT^pTjv  epytüv  dfpaeva  (xapxupfTjv  ||  3  lam  Augustum  ipsum,  utpote 
cuius  facta  prinio  disticho  coinmeinorasset,  poetam  appellare  vidit  H.  Weil,  cum 
Kenyon  „ßeßorifx^ve"  (cf.  VII  138,1)  de  llectore,  etiam  de  Apolline  dictum  esse 
velit  II  alü)\o<i  axdp.]  Cf.  Ath.  Mitth.  24,289  (fasti  Prienenses)  v.  36  s.:  cpaveU 
U  ii  Kalaop  tö;  iXTziha^  tAv  rpoXaßdvxaiv  (vatum  oracula?  Aen.  VI  798, 
Suet.  Aug.  94)  .  ,  .  eÖTjvtev  ||  aol  ydp  .  .  .  iardpeaev]  Apollo  nimiram  Augusto,  non 
Augustus  Apollini,  id  quod  Ken.  sumpserat;  cf.  Philippi  IX  290,7  o't  S^  (8af- 
piovej)  TW  v£U)X($po)  I  fxoüvw  öctXaaaav  dtypfav  ixoffj-iaav,  ad  aol  Yctp  praeterea 
eiusdem  VI  231,3  et  XIII,  1  x°''P^  ^^^  Ilacpfrj-  arjv  yap  dzi  Suvapitv  ..  .  Ttavte; 
Ti|x(L3i  (hymnus  igitur  in  Venerera)  ||  4  ir[ve'ifjia]Ta  Büchel.  Cf.  Phil.  IX  285,5  || 
aax.  Trat.]  Call.  h.  V  44  ||  ^atdp.]  eodem  loco  in  Phil.  IX  247,  2  || 
5  eipifjvr,;  xapTioü;  Phil,  in  ep.  insequenti  posuit  ||  p^o/doj]  zidpSou;  Weil 
coui.  II  6  vtXiuTtv  II  vfaeto  legere  debuit  Kenyon,  si  modo  eius  interpretatio 
V.  tertii  stare  posset  ||  7  e6vo,a(Tji]  v.  ep.  insequentis  v.  5,  praeterea  eiusdem  Phil. 
IX  285  e'jvofji(T);  r.axipa  \\  ßaS'jTiX.]  talia  composita  saepius  apud  Phil,  obvia,  ut 
IX  575  ßo8uxXe^S  ||  8  ßptödpi.]  v.  ep.  3,  3  ||  Zeu«  ä-z  'EXeu&.J  Kafaapt  TzovTOfA^Sovxt  .  . 
Zavt  Toj  i-A  Zctvö?  Tiaxpö;  'EXeu9ep{o»  Catilius  in  ep.  anni  7  a.  Chr.  (Kaib.  978, 
l'hilis);  in  titulo  quodam  Tentyritico  audit  Aug.  item  Zeu;  'EXeuft.  ||  10  odpiap] 
Kuthenia,  quae  in  nummis  Alexandrinis  occurrit,  secundum  Ken.,  immo  terra 
Aegyptiaca  ipsa.  —  Longe  aliter  Aen.  VIII  711  ||  xP'Jaeov  Weil||Cf.  ep,  1,2  et  eius- 
dem Phil.  IX  247  Xouaapi^vTj  (sc.  TiXcttavos)  Bpopito)  ...  o(i.ßpov  lj(ouaa  . .  toü  Aiö{ 
y,0'jTepov  II  11  £Xe'j9^piov  "  12  xoljzav  Biichel.,  sed  ferendum  videtur  hyperbaton, 

KenUchrift   Vublen.  8 


114  Max  Rubensohn, 

Jacobs  ad  YII  447  ||  Inscr.  Prien.  (supra  ad  v.  3)  v.  35:  ifj . . .  -pdvoia  [acux^pa 
7r£[i.d*a(ia]  xov  TiaüaovT«  [x^v  TToXefAov  .  .  .  ||  13  nuuc  domum  ad  iuchoatam  rever- 
titur  precationem ;  sollemne  eiiiin  erat  bis  in  hymni.s,  ut  iiiter  invocationem  et 
preces  ipsas  ea  interponerentur,  unde  dei  vis  et  poteutia  quanta  esset  eluceret, 
Kiessl.  ad  Ilor.  c.  I  35,  qui  allegat  Lucretii  prooemium;  cf,  praeter  cum  maxime 
hymnum  Hom,  29.  ||  Aeuxäxa]  v.  ep.  1;  Prop.  IV'  11,  69  Leucadius  ver- 
sus acies  memorahit  Apollo  |I  .  .  .  eiSao,  supra  [XcifaXoto,  sed  postea  deletiiiii, 
corr.  Büchel.  ||  14  Tipuiav.]  apiid  Philippum  peniiagiius  numerus  legitur  vocabu- 
lorum  uovoruni  aut  novo  sensu  adhibitorum. 

3. 

'EiißoXa  5(aXxoYlv£ia,  cptXoTiXoa  xtiyza  VTjoiv, 

'Axxtaxou  -iroXsjxou  xsi'fAEva  fxapTupia, 
"i^vios,  ötfißXsusi  xTjpoTpocpa  Stopa  [leXioaüiv 

ea[A(p  ßofißyjxijj  xuxXoas  ßpi&6[x£va. 
Kcti'aapo;  euvofjti'rj«?  XP^'^''-^*  X'^'P'^*  ^TrXa  "j'dp  s^i^poiv 

xapTTOu,  £?pr]vr^?  avxeSiSa^e  tpiüsiv. 
A.  P.  VI  236  (PL  VI  25, 16).-  OtXi'ixTxou. 

Cf.  Strab.  VI  325,  Dio  51,  1,  Suet.  Aug.  18. 

1  xei/eat  viqoü?  cf.  Dionem  ||  X£(|i.e8a  PPl  ||  (xapxupfT)?  v.  ep.  2,2  ]|  5  XP^'^'^T  P'- 

4. 
Aeuxocqo?  avxt  }xs  KotToap  ?8'  'Afxßpotxt'rj?  IptßtuXou 

Buppsiou  xe  rsXsiv,  avxt  x'  'Avaxxopioü 
"Apysos  'AjAtpiXo^ou  TS  xat  oiTTcosa  pai'aaxo  xuxXti) 

acfxs'   STii&ptuaxcDV  ooupofiavTj?  TroXefxo?, 
siaaxo  NtxoiroXiv,  Osi'rjv  ttoXiv.  dvxl  8s  vixrjc 
<I>oißo?  avac  tauxr^v  8£j(vuxai  '  AxxtaSoc 
A.  P.  IX  553:  sine  auctoris  nomine, 

Omnes  post  Brunckium  editores  ep.  Antipatro  Thessal.  tribuerunt,  cuius 
antecedit  Carmen;  „nam  eiusdera  auctoris  epigrammatis  se  excipientibus  in 
codice  interdum  nomen  eins  nonnisi  semei  adscribitur".  Doctus  autem  ille 
Italus,  qui  in  epigraramatis  Antipatrorum  singularem  et  utilem  operam  collo- 
cavit  (1890  Turini),  Job.  Setti  dubitat:  „il  tono",  inquit  p.  145,  „e  la  maniera 
dell'eloquio  non  e  per  avventura  quali  ci  appaiono  negli  altri  epigrarami  di 
quel  poeta".  Suo  iure  igitur  Mommsenus,  qui  epigramma  in  historiae  Rom. 
vol.  V  p.  271  Germanice  transtulit,  poetae  nomen  reticuit.  Nos  vero,  (juam- 
quam  nihil  nisi  adiectivum  Soupofxav^«  et  priorum  versuum  poIysyndeton 
Philippi  rationem  clarius  prodit,  tarnen  statuere  non  vereinur  hoc  (}uo(iue  epi- 
gramma ab  eodcm  in  eodem  itinere  Actiaco  scriptum  esse. 


Ad  anthologiam  graecarn  capita  duo.  115 

Iter  illud  quo  anno  factum  sit,  haud  facile  definiri  possit, 
etsi  unum  certe  constat,  non  multo  ante  Augusti  mortem  Phi- 
lippum  iuvenem  admodum  fivr^fxa  et  [iapiupiV^v  victoriae  Actiacae 
(fortasse  ludos  quoque)  adisse.  Nam  idem  poeta  sine  dubio 
Nerone  imperante  admodum  senex  (ut  Meleager)  coronam 
suam  contexuit.  Quod  fugisse  virum  doctum,  bene  alioquin  meritum 
de  anthologia,  Alfredum  Hillscher,  eo  magis  dolendum  est,  quod 
Ric.  Reitzenstein  et  G.  Knaack  adscita  Ilillscheri  sententia  (coronam 
ortam  esse  autumantis  Gai  aetate)  studiis  suis  anthologicis,  quae 
quidem  in  epigrammatis  Romanis  versantur,  firmum  fundamentum 
quodam  modo  subtraxerunt  (Knaack  in  bist.  litt.  aet.  Alex.,  Reitzen- 
stein in  nova  „encyclopaedia"). 

Quod  accuratius  persequi  non  est  huius  loci,  ut  et  alia  per- 
multa  temporum  angustiis  pressus  obiter  tantum  tetigi,  non  ea 
disserendi  diligentia  et  subtilitate  usus,  qua  tu,  praeceptor  carissime, 
nobis  semper  praeibas  neque  desinis  praeire.  Meam  saHem  erga  te 
pietatem  gratamque  beneficiorum  in  me  quae  contulisti  memoriam 
ex  hac  quamvis  levi  scriptione  utinam  agnoscas,  vir  mihi  maxime 
venerande.  Quod  ante  hos  decem  annos  sexagenario  tibi  scripsi, 
tuam  disciplinam  tuum  exemplum  mihi  semper  ante  oculos  obver- 
sari,  nihil,  quidquid  discipulos  docerem,  quidquid  publice  scriberem, 
mihi  ipsi  placere  posse,  nisi  persuasum  mihi  esset,  Vahleno  ea  si 
non  omnino  placitura  at  certe  non  prorsus  displicitura  esse,  id 
hodie  septuagenario  repeto  et  ut  idem  repetere  liceat  octogenario 
et  valido  tibi  et,  precor,  integra  cum  mente,  gratulabundus  exopto. 


8* 


"7 


vm. 

Paul  Wendland. 


Observatioues  criticae  in  Aristeae 
epistulam. 


/;? 


Quod  Aristeae  epistulam,  libellum  periitilem  et  ei  qui  ludae- 
orum  graece  eriiditorum  litteras  atque  scientiam  persequi  et  ei  qui 
librorum  sacrorum  historiam  apud  ludaeos  et  Christianos  discere 
et  ei  qui  fata  atque  vicissitudines  sermonis  hellenistici  pernoscere 
volet,  quod  hanc,  inquam,  epistulam  hodie  legimus,  uni,  si  quid 
video,  debemus  Eusebio.  cuius  memoriam  quis  vere  philologus 
grato  animo  recolere  non  potest?  is,  quo  erat  studio  fontes  'pri- 
stinos  aperiendi  et  ab  oblivione  vindicandi,  Aristeae  libellum  utpote 
auctoris  locupletissimi,  uiide  origo  Bibliorum  graecorum  disceretur, 
adiit,  excerpta  ex  eo  Praeparationi  suae  inseruit.  ex  Caesareensi 
autem  bibliotheca  non  modo  in  Bibliorum  nonnulla  exemplaria 
epistula  nostra  migrasse  videtur,  sed  inde  etiam  eam  in  Procopii 
Catenam  celeberrimam  transisse  (sive  ipse  Procopius  sive  eius  re- 
tractator  inseruit)  cum  per  se  consentaneum  est  tum  vitiis  commu- 
nibus  Eusebio  et  Catenae,  cui  soli  integrum  textum  debemus,  com- 
probatur.  sed  quamvis  sincerus  sit  testis,  a  quo  nostri  Codices 
pendent,  magis  corruptum  epistulae  textum  esse  quam  Philonis 
et  Origenis  libros,  quorum  memoriam  ipsam  quoque  uni  Eusebio 
acceptam  referimus,  mirum  non  est.  difficillimus  enim  est  nobis 
et  erat  etiam  veteribus  is  textus,  qui  alienus  est  a  studiis  atque 
decretis  Atticistarum,  qui  linguam  graecam  postea  ad  severiorem 
normam  redegerunt.  quae  norma  ita  postea  apud  omnes  eruditiores 
valuit,  ita  etiam  apud  Christianos  inde  ab  ineunte  saeculo  altero 
regnare  coepit,  ut  docti  libros  vulgares  vel  abhorrerent  vel  diffi- 
cilius  intellegerent.    quoniam  Aristeam  modo  edidi^),  libenter  gra- 


')  Aristeae  ad  Philocratem  epistula ex  Lwlovici  Mendelssohnii  sckedis 

ed.  P.  W.  Lipsiae  1900. 


120  i*aul  Wendland, 

tissima  hac  occasione  usus  sum  de  nonnullis  locis  vel  accuratius 
disputandi  vel  rectius  iudicandi. 

§  1  'A^ioXoYOu  Sirj'/r^ascoi;,  to  OiXoxpaxe?,  Trspt  tt^c  -/evr^Oet'ar^s 
•^(xiv  ivToyiaq  Trpbs  'EXsaCapov  töv  tSv  'louSaitov  dp}(isp£a  auvs- 
OTafxsvr^c,  oia  tö  ös  Trspl  toXXou  TTSTroiTjaOai  Ttap'  fxaaxa  uttouli- 
5  (jtvTQaxcuv  auvaxouaat,  Trspi  wv  dtTrsatdXr^fisv  xoti  oia  xi',  TTeTrei'pafxai 
oacpu)?  IxöeaOat  aot,  xaxetXyjcpw?  r^v  e'x^i?  (ptXofAaO^  Stdöiaiv  STiap 
}A£Yi5x6v  eoxiv  dvOptoTrip,  irpoapiavödvetv  dst  xi  xai  TrpoaXcfjißdveiv 
Tjxoi  xaxa  xd?  taxopta;  75  xal  xax'  auxö  xö  TTpa^fi-a  7r£T:sipaii.£vtp. 
10  ouxco  "j'Äp  xaxctaxEudCexat  ']>uyTq^  xaöapd  oid{)£ais*  dvaXaßouaa  xd 
xdXXttJxa  xai  Trpos  xo  Trdvxojv  xupituxaxov  vevEuxuia  xf^v  £ua£ß£tav 
dirXaver  x£)(pr^fj-£vyj  xavovi  oioixEi  xtjv  TtpoaipEcjtv. 

"Ej^ovxEs  yjfjiei?  TTpö?  xö  TTEpiEp^cu?  xd  x^eia  xaxavosTv  louxous 
iueoujxajiEv  £i?  (xyjv  -irpö?)  xöv  -jrpoEipyjfJiEVov  d'vSpa  7rp£<jßeiav. 

verba  lin.  4.  5  Trap'  fxacixa  uTCojiijxvifjSxtüv  non  habere  quo  referautur 
patet;  quaeritur,  utrum  ad  Aristeam  pertineant  an  ad  Philocratera, 
illud  qui  statuit,  Kuiperus,  Trotp'  Ixctaxa  uTrofjufivT^axwv  TCcTtEt'paaat 
aotcpai?  Ix&£aöat  aot  transposuit.  quod  cum  fecit,  verbis  vim  sin- 
gula  Scripte  mandandi  tribuit,  quae  cum  alibi  vix  invenitur  tum 
simili  scriptoris  loco  redarguitur:  §  263  Trap'  fxaaxov  iauxöv  uTiopii- 
fAv-flOxM.  utroque  loco  eum,  qui  omni  occasione ')  admonitionis  utatur, 
significari  consentaneum  est.  neque  dubitari  potest,  quin  nostro 
loco  Philocrates  monitor  sit.  fuerunt  igitur,  qui  variis  mutationibus 
grammaticae  constructioni  opitulantes  verba  ad  Philo  cratem  refer- 
rent.  Mendelssohnius ")  sibi  persuasit  u7io(xifxvi{]axovxa  verum  esse  et 
interpretatus  est:  tu  enim  utique  voluisti  (ideoque  omni 
tempore  nos  commonefecisti)  audire.  qua  interpretatione 
apparere  aliquid  difficultatis  coniecturam  habere  ipse  recte  sensisse 
videtur,  cum  insolitum  esse  hunc  participii  (quod  nemo  non  cum 
verbo  ouvaxouaat  facilius  coniunget)  usum  confiteatur.    mihi  Dielsii 


')  sie  usurpari  Trap'  Sxaata  et  rop'  ixaOTOv  docet  index  mens  siib  voce 
ExoOTo;.  —  M.  Schmidtius  cum  scribit  ünojjtifjiviijctxovToc,  ipse  quoqiie  eandem 
notionem,  quam  habet  Ü7rofjiVT;p.aT<Ce5&ot,  in  verbo  {)T:o[i.tfxv7]ax£iv  inesse  statuit. 

^)  Aristeae  quae  fertur  ad  Philocratem  epistulae  inüium  apparaiu  critico  et 
commentario  instructum  ed.  L.  Mendelssohn  (=  Actorum  et  Commentationum  Universi- 
tatis  lureviensis  {olim  Dorpatensis)  vol.  V J'asc.  1)   1897  p.  13. 


Observationes  criticae  in  Aristeae  epistulam.  121 

uTro|xi[Av^ax£iv  et  facillimum  et  elegantissimum  videtur;  qua  mu- 
tatione  hie  sensus  evadit:  quod  omni  occasione  monuisti  tua 
multiim  interesse  comperire . . .,  conatus  sum  tibi  diserte 
exponere. 

Lin.  9  Mendelssohnius  p.  14  traditum  TreTrstpafxevtuv  tueri  posse 
sibi  videbatur:  dicitur  summum  hominis  bonum  addiscere 
semper  aliquid  et  adsumere  sive  ex  historiis  sive  ab  eis, 
qui  ipsi  in  negotio  aliquo  cum  experientia  fuerint  ver- 
sa ti.  equidem  nego  haec  recte  opponi  —  nam  etiam  quae  ex 
historiis  discimus,  ab  eis  scripta  esse  possunt,  qui  in  rebus  ver- 
sati  sunt  — ,  falsi  autem  coargui  censeo  hanc  lectionem  genetivo,  qui 
unde  pendeat  non  habet.  M  cum  TrsTrsipotfxEvtuv  in  7r£7:£tpa[xev(|) 
mutat,  coniectura,  qua  interdum  usus  esse  videtur,  verum  invenit. 
opponuntur  quae  toxopia  i.  e.  ab  aliis  edocti  discimus  et  quae  ipsi 
experientes,  cum  rebus  intersumus,  discimus^).  quod  autem  in 
priore  membro  sola  praepositione,  in  altero  participio  usus  est  — 
neque  enim  dixerim  hinc  in  priore  parte  aliud  participium  velut 
rs-uaixsv«)  subaudiendum  esse  — ,  Aristeam  congruentiae  non  admo- 
dum  studuisse  in  observationibus  grammaticis  editioni  meae  additis 
ostendi. 

Lin.  13  Ixeiv  7rp6?,  cum  M.  Schmidtius  p.  71  „da  es  in  meiner 
Natur  liegt"  interpretetur,  Kuiperus  £5(ovt£;  yjfxEis  TtepiEp^tu?  trans- 
ponat,  Mendelssohnius  de  eo,  qui  in  aliqua  re  occupatus  sit,  dictum 
esse  ita  statuit,  ut  ipse  insolenter  et  praeter  consuetudinem  dictum 
miretur.  neque  credo  futurum  esse,  qui  huius  rationis  patrocinium 
suscipiat,  postquam  felicissime  Wilamowitzius  ttjv  TrpoaipEaiv  a  verbo 
oiotxEi  segregavit  et  cum  e/ovies  coniunxit.  sed  ut  SioixEi  X7)v  Trpoatpsatv, 
quod  olim  legebatur,  non  placet,  ita  haud  scio  an  iusto  celerius 
acquieverim  in  eo  quod  lin.  11.  12  relictum  erat  7rp6?  x6  Tiavrtuv 
xupKuxaTov  VEVEuxuia  TYjv  EÖasßctav  dnXavzl  x£y(pr^[X£V7j  xavovt  oioixEi. 
neque  enim  aut  obiectum  xtjv  EÜasßstav,  quod  subaudiri  quidem 
potest,  magis  placet  quam  xr^v  TrpoatpEdiv  aut  Sioixsi  absolute  positum 
esse  videtur.  porro  cum  Dielsius  recte  monuerit  desiderari  vocem, 
quae  enuntiata  coniungat,  ea  supplendi  ratio  non  improbabilis  videtur, 

')  similiter  losephus  Antiqu.  I  §  4  N.  opponit  quae  Ttefpqt  jjiaftwv  scripsit 
et  quae  ex  libris  sacris  haurit,  eandem  oppositionera  C.  Apion.  I  §  53  aliig 
verbis  exprimit. 


122  Paul  Weudland, 

quae  et  aptum  obiectum  efficiat  et  coniungendi  formulam.  hac 
igitur  fere  via  procedendum  esse  censeo,  ut  scribatur  Siotxsi  xr^v 
(CwTJv.  ToiauTYjV  ouv  TTjv)  TTpoaipeoiv  ej(ovte?. 

verba  lin.  14  tradita  iautou?  lTr£8a>xa|j.£v  slq  tov  irpoeipyjfiivov 
d'vSpa  TTpeaßetav  Mendelssohnius  p.  14.  16  ita  defendit,  ut  upeoißctav 
abstractum  pro  rpeaßsuTYjv  positum  esse  dicat.  quod  ut  fieri  po- 
tuisse  probet,  comparat  §  13  iisptov  aufijxaxtoiv  scaTreaxaXfievwv  et 
§  21  ToGi  dsoG  xaTia/uovTOS  aüxöv  £ts  zb  acotr^piav  ^svecöac  Tr^Osatv 
ixavoi«.  sed  hoc  posteriore  loco  nego  abstractum  adPtolemaeumreferen- 
dum  esse  (cf.  p.  6, 18.  65, 12),  priore  non  rectius  stsptov  masculini  ge- 
neris  et  pro'Iouoatwv,  de  quibus  modo  loquebatur,  positum  esse  dicit, 
oufjifiaj^Küv  autem  praedicative  verbo  additum  censet.  quae  cumita  sint, 
non  sublata  est  offensio  abstracti  irpsaßstav.  quam  difficultatem  cum 
Wilamowitzius  facile  sustulit  supplendo  eautob?  STrsowxotfXiV  si; 
(t7)v  Trpo;)  tov  Trpoeipr^fxsvov  av8pa  -psaßeiav ,  simul  hoc  profecit, 
quod  nunc  usu  in  hellenistica  graecitate  frequentissimo^)  iungitur 
sotuTov  iTCiSi^ovai  st?  cum  voce  significante  munus  vel  negotium,  cui 
quis  se  dat;  pro  quo  quod  traditum  est  ek  xbv  ä'vSpct,  non  potest  non 
offendere. 

§  4  optime  ad   irpsaßsiotv   adnectuntur  t^v   oyj   xat  iiroiTjaajisöa 

Tj[l£t?      OTTOUS-^.      *    *    *     Xaß6vT£$     xaipOV      TTp^S     TOV      ^OLClkicL      TTSOt     TOJV 

(i£toixiaÖ£V-(uv  £i;  AquTrxov  .  .  .  .,  aSwv  iaxi  xal  xaij-a  crot  or/öüaat. 
„quam  legationem  revera  cum  studio  exsecuti  siimus". 
sed  constat  deesse  protasim,  quam  excipiat  apodosis  aSiov  laxt  xod 
xauxa  aot  or^Xwaai.  protasim  illam  cum  Kuipero  r^v  ok  xotl  ir^oir^sd- 
(i.£Öa  y;fx£r?  aTiouoTjv  .  .  .  Tipo;  xöv  ß^aiXsa  scribens  Mendelssohnius 
in  primis  enuntiati  verbis  quaerit.  cui  obloquor,  quod  mutat  quae 
vidimus  optime  intellegi,  dummodo  -p£aߣ''av  more  solito  intellegas  '), 
quod  dubito  an  noiBiabn  airouorjv  de  intercedendo  dici  possit,  de- 
nique  quod  verba  xal  xauxa  initio  enuntiati  non  bene  respondent.  ab 
hoc  xat  xauxa  cum  in  emendando  procedam,  primum  exempla  similia 
conferam:  §  16  oi'    ov  C<{>07:otoSvxat  xa  uavxa  xat  '((vzion,  xouxov  dtTrav- 


')  cf.  Mendelssohnium  p.  14. 15;  indicem  meutn  s.  v.  i;rt5t8ovai;  Jerusalem, 
Wiener  Studien  I  p.  56. 

2)  quod  Tipeaße^av  de  persona  dictum  statuit  Mendelssohnius,  haec  verba 
mutare  coactus  erat. 


Observationes  criticae  in  Aristeae  epistulam.  123 

Ttuv  r^'ieXsbai  223  5  oe  6  Oeo?  StStuot,  xotuia  Xafißavwv  auvzyz  108  xöiv 
OS  TToXstuv  osai  [xs^eOo?  ijouai  xai  xtjv  dxoXouOov  £uoai|xoviav,  xauxat? 
cjujjißeßr^xev  eüavSpsTv').  nostro  igitur  loco  xal  xctüxa  postulare  vide- 
tur  simile  eniintiatum  relativum.  qua  ratione  ductus  cum  (a  8s 
8ieX£;(0r^[x£v),  Xaßovxs?  xatpov,  rupo;  xöv  ßaaiXsa  supplevi  (cf.  p.  4, 
10,  5,  13 — 15),  hoc  mihi  videor  effecisse,  ut  ostenderem,  quae  sit 
vora  enuntiati  conformatio,  ceterum  ei  facile  palmam  daturus,  qui 
iuvenerit  quo  melius  defectus  explicetur. 

§  17  p.  6,  10,  ouSs  TToXuv  xP^vo^  sTTia/ruv  quod  conieci  6  Ös, 
in  textum  recipere  poteram.  certe  longiore  tempore  opus  erat,  quo 
fierent  preces,  nascerentur  cogitationes  p.  6, 11 — 7,  3  narratae;  et 
aliquamdiu  meditatum  esse  regem  significant  quae  post  pareiithesim 
ad  verba  modo  allata  revertuntur  idemque  repetunt  p.  7,3  6  6s 
oic(vaxu(j;a;  xal  7tpoaßX£']>ac.  neque  inutile  est  comparare  verba  si- 
milia  §  177  ttoXuv  STritJxa?  )(p6vov  xal  jrpoaxuvvjaa?  aj^eoov  etixocxi? 
sTtcev.  denique  si  breve  tempus  deliberantem  regem  fecisset,  haud 
scio   an   scripturus  fuerit  ßpotx^  o' lTCia;((uv,   ut  scripsit  §  188.  205. 

§  75  dcaTTioiaxoi  Xiöojv  sxspwv  irap'  cxspou?  •  •  .,  xsxpaSaxxuXwv  oüx 
sXaxxov,  dvsTrXVjpouv  xb  x^?  xaXiovr^?  Ivap^es  de  voce  sXaxxov  recte 
videor  dubitationem  movisse.  neque  enim  huc  cadunt  quae 
Lobeckius  in  Phrynicho  suo  p.  410  de  ttXsov  sXaxxov  extra  constructio- 
nem  positis  docet.  illius  enim  exemplis  responderet  xsxxctptuv 
oaxxuXtov  oux  sXotxxov,  facilius  autem,  quam  olim  videbatur,  diffi- 
cultas  forsitan  tollatur  mutata  ita  interpunctione,  ut  iungamus  oux 
sXctxxov  avsTiXi^pouv  xb  x9j?  xotXXovYj?  svap^sc.  —  paulo  difficilius  ex- 
peditur  §  93  otaXctßovxs?  (sacerdotes)  -[ap  djicpoxspai?  xwv  (jioaytov  xa 
(jxsXr;,  ttXsTov  ovxa  xotXctvxwv  ouo  a'/s.oov  ixdaxou.  dubium  est,  utrum 
uXsiov  ovxa  xaXdvxfuv  86o  ayzohv  sxaaxov^)  an  -irXsTov  ovxo?  (sie 
Schmidt)  ....  k-Ädazoo  scribendum  sit.  eXxovxo?  non  coniecissem, 
si  tum  Lobeckii  ^)  observationum ,  quas  modo  commemoravi,  me- 
minissem. 

')  cf.  p.  49,  22.  60, 13.  63,  10.  —  46,  17,  ubi  nunc  conicio:  oaot  -(ip  oC  d-Aoffi 
eXoßdv  Ttves  (Xaß(ivTei;  codd.  Eus.),  Taüta  toj  X&if<p  owiiaxononflawxzi:  xaxotj 
eTEpo'j«  evexiXtaav,  et  si  pronomine  indefinito  sacerdos  usus  est,  respondentis 
dubitatio  melius  intellegitur;  toü;  l(/.cpavtaTct?  oto{Jio<  ae  X^yeiv. 

*)  cf.  §  97  äTrauYGtCovTEs  gxaaxo?. 

')   cf,  H.  Sauppium,   Ausgewählte  Schrijten   p.  86.  87,  Aristeara  §  27  TtXeiov 


124  Paul  Wendland, 

Eleazarus  postquam  mysticam  animalium  bisulcorum  et  ru- 
minantiiim  rationem  aperuit,  pergit  §161:  oeSeutoci  8e  (melius  or]) 
aoi  xat  To  TTspiaaov  x^;  ko'((oi.<;  ^zr^z  xaia  xrjv  oiaaxoXTjV  xal  [xvstotv, 
u)$  e^eOefxeOa  x>)v  ov/^r^Xiav  xal  xov  fjtr^puxiSfxov.  vox  Xo^ei'a  (male 
Xo^i'a),  de  qua  docte  nuper  Deissmannus ')  disseruit,  coUectam  signi- 
ficaiis,  hinc  certe  pellenda  est,  et  B,  unus  e  melioribus  codicibus, 
aXo^tot?  habet,  fuit,  cum  assentirer  amico  conicienti  ocTroXo^ia?,  con- 
iecturam  §  170  confirmanti.  at  non  hr/T^'kiav  et  [xr^puxicj[i6v  vel 
SioaxoXr^v  et  fjivetav,  quae  mystice  illis  innui  vult,  sacerdos  defendit, 
sed  defendit  leges  ad  illa  pertinentes.  quo  spectet  allegorica  inter- 
pretatio  et  quid  in  ea  sequatur,  ipse  explicat,  cum  §  143  ait:  xatf 
Sv  exacjxov  iyzi  Xo^ov  ßaduv  dcp'  mv  6iT:e'/6\ie^a  xctxa  xyjv  /pr^criv  xal 
oi;  cju'f/pwfxsOa  (cf.  §  161  in  fine.  169).  hinc  eo  ductus  sum,  ut  xö 
TTEpiaaöv  x^?  euXoYiac  xt^s  xaxa  xvjv  SiaaxoXTjv  xal  (ivätav  conicerem  i.  e. 
demonstrata  est  egregia  vis  optimae  rationis,  quam  ad- 
hibuit  6i/rjXta  et  fxirjpüxtcfjj.0)  ita  explicandis,  ut  distinc- 
tionem  et  memoriam  significarent.  haec  autem  prudentis 
rationis  notio  ut  rara  est,  ita  non  plane  caret  exemplis  (v.  Cic. 
ad  Att.  XIII.  22,  4)  neque  offensionem  habet  in  eo  scriptore,  qui  verbo 
soXo-^eiv  §  249  vim  prudenter  loquendi  tribuit.  idem  autem 
corruptelae  genus  reperitur  §  124,  ubi  pro  eo,  quod  omnes  Codices 
praebent  dcppovxiosiv ,  in  nova  editione  su  cppovxiaEiv  restitutum  est. 

§  211  unus  e  ludaeorum  sapientibus  regis  esse  dicit  sibi  im- 
perare  neque  divitiis  et  potestate  elatum  quidquam  superbi  vel 
indecori  concupiscere ').  irdvxa  ^a'p  aoi  -dpcoxiv  u);  ouSev  corrupta 
sunt,  sequitur  autem  continentiae  et  moderationis  consilium 
(cf.  §  223).  ad  Tcdvxa,  si  conferas  §  44  irdvxa  -(äp  Saa  aoi  aup-cpspEi 
153  Trdvxa  yotp  ooa  oi}(r^XEr  181  Trdvxa  6'  ufAiv  Trapsoxai  xaöyjxovxcuc  oFc 
ou^xp^oföe,  statuas  aptissime  relativum  adnecti.  et  quod  conicio 
Tcdvxa  '(dp  (301  Tra'pEOxtv  Soa  Ssov,  cum  persimilia  sunt  §  301  irapov- 
xo)v,  oaa  rpo?  xrjv  ^(pEtav  lost,  xaXu);  (cf.  303)  tum  inde  coniectura 
confirmari    videtur,     quod    os'ov    iaxiv,     cum    Aristeae    in    deliciis 

(itXefiov  male  M  L)  51  xoXavTtov  cSoxoat'tuv  e^i^xovxa  iF^  0(5<Jt«  eyeY<{vei  116  (t^c 
^(upo;)  o'jy.  IXoTTOv  l$axitJj(tXfiuv  fxupidSiov  dpoupdiv  xotä  t6  äpj^oiov  oSotjc 

')  Bibelstudien  p.   139  SS.,  Neue  Bibelstudien  p.  46. 

*)  verba  corrupta  ei  xaXcü;  Xo^fCoto  (de  quibus  v.  adnot.)  oraitto.  quae 
spero  acutiores  expedituros  esse. 


Observation  es  criticae  in  Aristeae  epistulam.  125 

sit  (v.  indicem  s.  v.  Ssiv),  etiam  alio  loco  similera  corruptelani 
subiit.  §  219  scripsi  (cf.  §  267):  ou  -yotp  IXctj^tcftov  as  Ssi  xmv 
uTTOxpiTtuv  cpaivscjöat.  tö  "yap  Tcpoötuirov,  o  8eov  auxou?  laxiv  6iro- 
xpi'vecjöai,  TOUTO  auvBstopouvTe?  dxoXou&a  iravxa  irpacfsouat.  ou  8e  ou/ 
uroxpiatv  l'/ei;,  dW  dXTjööi;  ßaaiXsuets.  veram  sententiam  a  rae 
restitutam  esse,  cum  traditum  sit  ouSs  auxo,  non  dubitabit  qui  com- 
paraverit  Teletem  p.  3,2  Hense:  Ssi  waTtep  xov  d-^aOov  utroxptxrjv  o 
Tt  av  6  TroiTjXT];  TTöptö'fl  TrpoowTtov  xouxo  d^tov'CscJÖai  xaXü)?,  ouxa>  xotl 
xov  ccYaöov  avopa,  o  xi  av  -irspiO-^j  yj  xu}(yj,  et  qiiotiens  talis  vitae 
ratio  illa  aetate  similibus  verbis  repetita  sit,  Hense  p.  XCI  ss. 
docet.  sed  etiam  ipsa  verba  a  me  restituta  videor  mihi  spon- 
dere  posse.  ut  hie  o  osov  in  ouos^),  sie  illic  oaa  Ssov  in  a>;  ouSev 
transiit. 

§  252  (rex)  xbv  scr^c  i^ptuxa,  irois  (olv)  dvatidpxrjxo?  ziri.  6  8e 
Ecpr^cfsv  (ü?  ocTravxa  rpddCwv  xotl  [Asxa  Xoyiafxou  xal  (xy)  Trsiöofxevo? 
oiaßoXaic.  primum  offensioni  est  w?,  quod  ceteris  locis,  quibus  re- 
sponsum  a  participio  initium  sumit,  omittitur:  v.  §  196.  206.  208. 
225.  226.  238.  239.  240.  245.  249.  253.  257.  267.  273.  276.  286. 
accedit,  quod  xal  [xsxa  StaXoYtajxou  necessario  flagitat  prius  mem- 
brum,  cui  xal  adnectatur;  quod  xal  cum  in  textu  tradito  ferri  non 
posse  scriptor  codicis  M  sensisset,  omisit.  dubitari  non  potest  in  illo 
(ü?  inesse  terminationem  deperditi  cuiusdam  adverbii.  in  quo  resti- 
tuendo  cum-  alii  explicare  potissimum  studerent,  quomodo  defectus 
oriri  potuerit  —  qua  ratione  ductus  Mendelssohnius  scpTj  aejAvoi?, 
alius  ecpr^asv  (eucfeßö)?)  tentavit  — ,  mihi  quidem  paulo  magis  pla- 
cebat  £<p-/j(j£v  {xa/v)ujs  airavxa  xcpddatov.  eodem  enim  modo  coniuncta  legis 
§  255  xö  xaX&s  airavxa  irpdaaeiv  }A£xa  otaXo'^ta[j(.ou.  et  iuvat  compa- 
rare  §  189,  coniectura  illam  quidem  duplici,  sed  certissima  resti- 
tutam :  6  ßaotXeus  xov  ij(6[j.£Vov  r^ptoxa,  TzSiq  av  Ixaaxa  (xdXXioxa) 
rpdxxot.  6  0£  dTCExpiOyj,  oxt  St'xatov  £t  Trpös  aTravia?  otaxr^pot  iauxov,  xaXuis 
xa  Ixacjxa  7rpa'$£i.  adverbium  in  interrogatione  intercidisse  cum 
statim  mihi  constaret,  illud  xaXui?  respondentis  apte  se  olferre  vide- 
batur  ad  supplendum.  at  videbam,  quanto  facilius  xa'XXtoxa  propter 
homoeoteleuton  excidere  potuerit,  et  ipsum  xaXai?  xd  Ixaaxa  prop- 
ter articulum  dubitationi  obnoxium   erat,     utroque  igitur  loco  xdX- 


')  cf.  quae  p.  123  de  6  hi  in  o684  mutato  dixi. 


126  Paul  Wendland, 

Xtata  restituens  et  offensam  duplicem  sustuli  et  accuratum,  qui 
fere  est  in  verbis  interrogantis  et  respondentis,  consensum  effeci  ^). 

§  255  Ti  ksxiv  eußouXiGt;  xo  xaXtu;  «TravTOt  Trpassciv,  dTiscprjvaTO, 
(ASta  SiGtXo^ijfioö,  xata  ttjv  ßou^Tjv  irapatiöevTa  xal  ßXaßspa  xuiv  xotta 
t6  ivavttov  Tou  X070Ü  8ia<jTr^fAct ').  non  dubito,  quin  iubeat  in  deli- 
berando  sibi  proponere  etiam  damna,  quae  effectura  sint  contraria 
consilia  (nisi  abiciantur).  olim  tentabam  Trapaxiöevia  (xa  (ucpsXifiot) 
xal')  ßXotßspa,  sed  in  uno  membro  tradito  ut  acquiescam  et  (xa) 
ßXaßspa  vel,  quod  magis  arridet,  xö  ßXaßspov  coniciam,  nunc  movet 
comparatio  §  192,  in  qua  a  deo  dicitur  xoi?  aTroxu-f/a'voucfiv  ^  81' 
ovei'pcuv  7]  T:pac£(uv*)  arj[j.atv£cjöat  x6  ßXaßepov  auxoT?,  §  266,  ubi 
eloquentiae  esse  dicitur  xo  -irsiaat  xov  avxiXr/ovxa  .  .  .  xac  ßXa'ßas 
(consilii  contrarii)  sTirtSstxvuvxa,  denique  §  256,  ubi  iubemur  xac 
ßXa'ßac  xaxajisXsxav  xas  ix  xaiv  iTTtöufiKuv,     cf.  etiani  §  131. 

§  255  xo  o'au  xpaxtaxov  Oeotj ouvaaxsta  irav  ßouXiUjia  ^)x£iü;  auvscst  aoi 
vel  x£o>s  IV  £$iaoi  Codices  praebent.  quo  loco  uno  exemplo  ostendere  iu- 
vat,  quo  processerit  criticorum  licentia  atque  audacia.  M.  Schmidtius 
enim  non  modo  id  coniecit,  quod  vix  intellegitur,  xö  5'  «5  xpax-.axov 
ßo6X£ü[xa  0£ot3  Suvaaxsta  iravxcXicju?  auv£$£i  aot,  sed  etiam  hoc  tarn 
certum  habet,  ut  p.  10  hinc  augeat  vestigia  quae  ei  videbantur 
lonicae  dialecti  Alexandrinae  admixtae.  atque  hoc  loco  artis  criti- 
cae  regula  comprobatur,  qua  solemus,  quo  quis  locus  magis  cor- 
ruptus  est  sensusque  expers,  eo  artius  vestigia  traditarum  littera- 


')  etiam  §  162  nunc  melius  currere  videtur  oratio,  si  suppleas:  StaxaSa; 
fäp  iiii  ßpcuTÄv  xol  iroTÄv  xal  t<üv  xaxä  xäj  icpa?  Sxaaxa  (xctXXtdTa)  xeXeüet  fArj- 
ö^v  e^/t•{]  {AT^TE  TTpaaoetv  lAT^xe  öxo'jetv  .  . . .,  et  §  212  veri  simillimum  videtur  tcä; 
äv  (a7tav)Ta  xaXXiaxa  SiaXoyt'Coixo  (cf.  p.  69,  16). 

*'')  de  suspecta  hac  voce  v.  indicem. 

^)  quod  articulum  non  repelivi,  v.  indicem  s.  v.  6. 

*)  7:pd$e(uv  cum  intactum  relinquerem,  memineram  ea  voce  in  papyria 
artes  magicas  significari.  at  Aristeas  a  deo  arcet  quidquid  eruditorum  sensum 
offendere  potest.  itaque  nunc  corruptelam  statuere  malim  et,  quod  genus 
corruptelae  frequentissimum  est,  TrpoaxdSeiuv  pro  TipaSecuv  scribere.  —  quod 
et  192  ad  xö  ßXaßepov  et  266  ad  xotc  ßXdßo;  genetivus,  quo  aegre  careas,  desi- 
deratur,  eo  ducere  potest,  ut  hanc  neglegentiam  ipsi  scriptori  tribuas,  non  raro 
quid  sentiat  dilucide  exprimere  nescienti. 

')  jiäv  ßoüXEUfjio  ante  8eoü  transponendura  videtur,  nisi  gravior  subest 
corruptela. 


Observationes  criticae  in  Aristeae  epistulam.  127 

rum  in  eniendando  premere,  gavisi  ipsam  corruptelam  docere  doctos 
liomines  mauus  suas  a  desperato  loco  abstiiiuisse,  nobis  emendandi 
inunus  reliquisse.  Mendelssohnius  igitur,  cum  olim  in  Museo 
Hhenano  XXX  p.  631  ek  teXsicuaiv  ri^ei  aoi  coniceret,  proxime  ille 
(|uideni  ad  verum  accesserat,  sed  postea  ad  umbilicum  emenda- 
tionem  perduxit,  cum  vix  una  littera  mutata  t£>.£''u>3tv  iUi  crot 
scripsit;  quod,  antequam  in  illius  schedis  invenirem,  ipsi  quoque 
in  mentem  venerat.  et  similiter  Aristeas  §  11.  308  -zeXzioiaiv  Xa- 
ßcTv  coniungit.  —  data  autem  occasione  tangam  alium  locum  §  239 
touTo  8'  laxlv  ai  twv  rpa'Sewv  xsXsKuast?  utc  autou  (eadem  sententia 
saepe  repetitur  ab  Aristea:  v.  §  18^).  195.  199.  282.  283.);  qui- 
bus  verbis  explicatur  ouv  ■/zipa^w^Ca.  OsoC,  quod  praecedit.  touxo 
o'eaxiv,  pro  quo  haud  scio  an  melius  dixerit  Xe^o)  8s  o-i,  cum  si- 
militer adhibuisse  videatur  §  234,  nunc  eo  inclino,  ut  statuam 
locum  recte  traditum  esse,  nam  6u6  apud  posteriores  non  solum 
cum  verbis  passivae  formae,  sed  omnino  cum  locutionibus  passivae 
notionis  iungitur:  v.  §  51  xoc  fxkv  -rrpöc  xtjv  xo5  ßaaiXs'oj;  IttisxoX-^jv 
TOiauxtp  huy/jxvzv  dvxiYpacpfi?  utto  xoiv  ixspi  xov  'EXea'Cotpov  191  iruic 
otv  sucpr^tiia?  xu^/avoi  xal  uttö  xciv  d-&-uY)^av6vx(ov,  et  a  substantivo 
passivae  notionis  pendens  reperitur  §  192  xrjv  6tdxa$tv  xtjv  utto  xo-j 
Oeoy.  itaque  ut  §  199  ait  xsXsiouxoti  os  utto  xou  Osoüi  irdvxa  aot, 
ita  nostro  loco  potuit  dicere:  at  xöiv  ^rpct^stov  XcXsitucfst;  utt'  auxou. 
§  286  rex  eis  in  convivio  uti  iubetur,  qui  possint  uTrop-ijAvifj- 
Gxsiv  xa  y^pvjaaxa  xtjs  ßaaiXsia^  xat  xois  xöüv  dpj(0fjiivo>v  ßtotc.  emen- 
dandi viam  monstrat  dativus  xoT;  ßi'oi?,  qui  postulat  adiectivum, 
unde  pendeat.  Mendelssohnius  igitur  emendavit  /pvjaifxa,  cuius  vocis 
terminatio  —  quod  genus  mendi  frequentissimum  est  —  postquam 
temere  mutata  est,  substantivum  ^(prjjxaxa  genetivum  sibi  adiunxit. 
ceterum  cf.  §  137  xäv  Iceupovxwv  xi  Tcpo;  x6  CV  «^xoTc  ^(pTJaipiov  et 
284  ßt«)  aufA'fopov  ^)  xai  xotO^xov,  quod  sagacissime  Mendelssohnius 
ex  litteris  traditis  ßioi  aoucppovaiv  xal  xotxsj^wv  elicuit. 


')  hie  xaXüiv  epyujv  intT^Xeiav  pro  ^mfA^Xstav  ex  p.  6,  19  et  p.  73,  14,  15  xaXüiv 
yäp  epY(uv  laxiv  iTiix^Xeia  (ipexi^)  (cf.  p.  76,  5)  restituam.  ipsa  vox  ini-zilzia 
rurissima  videtur,  sed  frequens  est  usus  vocis  auvtiXeia  apud  posteriores. 

■"0  praestat  fortasse  au|jnp^pov  (v.  indicein  et  cf.  Kaibeliura  in  ed.  Galeni 
IVotreptici  p.  39).  —  In  inscriptione  Perframena  18,  28  Eumenes  laudatur, 
ocjTt  h  TTCtvrl  xatpuT  7rp(Jvotov  Troietxat  xAv  tuj  5i^[xoj  yp7](j(uü)v. 


128       Paul  Wendland,  Observationes  criticae  in  Aristeae  epistulam. 

§  310  sanciendae  legis  versioni  adesse  dicuntur  oi  tepei?  xal 
TÜiv  &pfiifjv£a>v  Ol  irpeoßtSxepoi  xal  täv  dirö  xou  iroXixeufxaToc  o?  xe 
f^7o6[xsvoi  xou  ttXtjöou?.  quod  si  vere  traditum  est,  xöiv  otu^  xou 
TToXixeufxaxo?  ot  Trpetjßuxepoi  intellegendum  est,  idque  recte,  ut  mihi 
videtur.  TroXt'xeujxa  enim  est  ludaeorum  civitas  vel  synagoga'), 
ot  d-Ko  xou  TToXixeüfxaxoc  qui  in  synagoga  consistunt.  horum 
ludaeorum  presbyteri,  qui  magistratuum  vice  non  fungebantur, 
recte  discernuntur  ab  eis,  qui  rjoufxsvoi  xou  ttXt^öous  (cf.  lin.  15), 
in  inscriptionibus  fere  apxovxe?  appellantur '),  a  losepho  p.  117,16 
meae  Aristeae  editionis  recte  xoü  iroXixsufxaxo;  o^  T:po£cjxr//coxe?.  sed 
cave  eodem  auctore  utaris  ad  xe  delendum.  is  enim  non  modo  xe 
vocem  sed  etiam  xou  TrXr^Ooos  omisit,  ut  nulla  apud  eum  synago- 
gae  presbyterorum  mentio  sit.  qui  autem  illud  xou  ttXtjöou?  servat, 
is  si  vocem  xe  abiciat,  duobus  genetivis  falsi  coarguitur  *). 


')  cf.  Schürer,  Gesch.  des  jüdischen  Volkes^  III  p.  43.  in  inscriptione  Cyre- 
naica  ibi  repetita  legitur  xois  Ix  xoü  7:oXtxe6{i.axo;  ilj|jiüiv  'Iou5a(ot;. 

2)  V.  Schürer  p.  46  ss. 

')  Wilamowitzius,  qui  mihi  olim  speciose  illud  xe  secludere  videbatur,  voci 
TioXfxeufJia  aliam  notionem  tribuebat,  quae,  cum  scriptores  eadera  atque  inscriptio 
ratione  7:oX(x2u,ua  interdum  de  ludaeorum  civitate  adhibeant,  huc  pertinere  non 
videtur. 


I2(f 


IX. 

Friedrich  Spiro. 

Ein  Leser  des  Pausanias. 


FeutKihrift   Vahlen. 


Wer  einen  Text  des  Periegeten  Pausanias  kritisch  betrachtet, 
dem  werden  bakl  zwei  charakteristische  Eigentümlichkeiten  auf- 
fallen. Die  eine  besteht  in  den  zahlreichen,  oft  genug  beklagten 
Lücken,  die  sich  nur  selten  ausfüllen  lassen;  die  andere  in  einer 
Wühl  schon  bemerkten,  aber  noch  nicht  genügend  betonten  Dupli- 
cität  der  Ueberlieferung.  Jene  Lücken  verdanken  vielleicht  zum 
Teil  den  gleichen  Wortschlüssen  ihre  Entstehung;  wenigstens  sind 
einzelne  unserer  Handschriften,  und  zwar  gerade  die  besten,  viel- 
fach in  dieser  Weise  entstellt;  doch  sind  die  Stellen  nicht  selten, 
wo  eine  solche  Ursache  der  Verderbnis  unwahrscheinlich  oder  gar 
ausgeschlossen  ist,  denn  nachweislich  handelt  es  sich  an  ihnen  nur 
um  wenige  leicht  zu  treffende  Worte:  gerade  die  Fälle,  in  denen 
eine  Ergänzung  sicher  ist,  sind  auch  hierfür  lehrreich.  Die  berüch- 
tigten Lücken  gehörten  der  gemeinsamen  Urquelle  aller  erhaltenen 
Handschriften  an  und  wurden  nicht  durch  die  Flüchtigkeit  eines 
Schreibers,  sondern  durch  einen  anderen  Zufall,  möglicherweise 
mechanischer  Art,  hervorgerufen.  Der  Gedanke  an  absichtliche, 
etwa  nngeschickt  hergestellte  oder  erweiterte  Kürzungen  oder  an 
Ueberarbeitung  ist  durchaus  fernzuhalten:  der  Stil  des  Autors  ist 
aufs  strengste  gewahrt.  Diese  Beobachtung  giebt  einen  ersten  An- 
lialt  für  die  Textgeschichte,  wenn  sie  auch  nicht  weit  führt:  die 
erhaltenen  Handschriften  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  annähernd 
gleichen  Alters,  sämtlich  jung  und  wenn  auch  mit  Eleganz  und 
Gewandtheit,  so  doch  mehr  oder  weniger  flüchtig  geschrieben;  ob 
der  Schreiber  in  Italien  lebte  wie  Johannes  Rhosos  und  Petros 
Ifypselas,  oder  in  Griechenland  wie  der  Verfertiger  des  aus  dem 
Besitze  des  IMschofs  Maximos  von  Kythera  nach  dem  Athos,    von 

9* 


132  Friedrich  Spiro, 

dort  1775  durch  Fedor  Andrejew  in  den  Kreml  gebrachten,  übri- 
gens mit  Unrecht  besonders  hochgeschätzten  Mosquensis,  bleibt 
durchaus  irrelevant. 

Wichtiger  kann  die  Spaltung  der  Tradition  erscheinen.  In  der 
That  lassen  sich  fast  alle  handschriftlichen  Discrepanzen,  selbst 
wenn  sie  in  noch  so  gedehnter  Masse  um  eine  Stelle  zu  schwirren 
scheinen,  auf  höchstens  zwei  Varianten  zurückführen.  Denn  man 
darf  es  nicht  als  Varianten  der  Ueberlieferung  auffassen,  wenn  der 
Name  Tleptolemos  hier  Tpiirx6X£fi.o?,  dort  TX/^TCoXsfxo?  oder  gar 
TpT^Trt6X£(jio;  geschrieben  ist,  wie  denn  Eigennamen  ohnehin  den 
byzantinischen  Federn  besonders  leicht  gefährlich  werden.  Der  mit 
jeder  Art  von  Gelehrsamkeit  prunkende  und  speziell  auf  sein  häu- 
figes Nachschlagen  altionischer  Epen  stolze  Atticist  schrieb  das 
Wort  TX737rT6X£jj.oc,  wie  er  es  nicht  gerade  in  seinem  Homertext, 
wohl  aber  in  seiner  sorgfältig  verhüllten  mythographischen  Quelle 
vorfand;  wenn  daneben  die  geläufige  Form  TXr^TCoXsjxo;  erscheint, 
so  ist  darauf  um  so  weniger  Wert  zu  legen,  als  gerade  der  Schreiber, 
dem  wir  sie  verdanken,  über  orthographische  Kleinigkeiten  mit  be- 
sonderem Leichtsinn  zu  schalten  pflegt,  während  die  guten  über 
die  richtige  einig  sind.  Wenn  nun  eine  notorisch  interpolierte 
Handschrift  aus  dem  X  ein  p  macht,  so  bedarf  es  nur  einer  leichten 
Correctur  seitens  eines  besonders  schlauen  Schreibers,  ja  es  bedarf 
nur  jenes  Itacismus,  der  in  den  Apparaten  unserer  wuchtigen 
Pausaniasausgaben  eine  so  gewaltige  Rolle  spielt,  um  aus  dem  wilden 
Herakliden  den  friedfertigen  Heldenjüngling  von  Eleusis  zu  machen. 
Hier  ist  also  von  Varianten,  ja  von  irgend  welcher  Discrepanz 
überhaupt  keine  Rede;  nicht  einmal  zwei  Lesarten  stehen  einander 
gegenüber,  sondern  überliefert  ist  einzig  und  allein  'rXr^TrrdXsuoc, 
und  jene  änderen  Unformen  gehören  in  das  Bereich  der  ortho- 
graphischen Quisquilien,  die  gerade  so  viel  Anrecht  auf  Platz  in 
einem  kritischen  Apparat  besitzen  wie  etwa  das  Trpoauxou? 
unserer  heutzutage  meist  gelobten  Handschrift  für  irposoi/ou?.  In 
dieser  Weise  lässt  sich  an  vielen  Stellen  eine  in  Wahrheit  einheit- 
liche Ueberlieferung  erkennen;  an  anderen  dagegen  tritt  wirklich 
eine  Lesart  der  anderen  mit  scheinbarer  Gleichberechtigung  gegen- 
über. Scheinbar  ist  sie,  denn  die  spätere  Entstehung  der  einen 
Lesart  lässt  sich  fast  immer  nachweisen;  ja  eine  genauere  Betrach- 


Ein  Leser  des  Pausanias.  •       133 

tiing  ergiebt,  dass  es  sich  nicht  um  zufällige  Abweichungen,  sondern 
um  absichtliche  Aenderungen  handelt,  ohne  dass  deren  Urheber 
ileshalb  jedesmal  gleich  als  Interpolator  gebrandmarkt  werden 
müsste:  der  Mann  erkannte  eine  Corruptel  oder  glaubte  sie  zu  er- 
kennen und  handelte  in  bester  Absicht,  wenn  er  sie  zu  heilen  ver- 
suchte und  seine  Idee  an  den  Rand  oder  gar  in  den  Text  schrieb. 
Natürlich  kann  hier  nicht  das  ganze  Material  oder  auch  nur  ein 
wesentlicher  Bruchteil  zusammengetragen  werden;  der  kurze  Hin- 
weis auf  einige  Beispiele,  ohne  weitere  Erläuterung,  mag  einstweilen 
genügen. 

II  15, 5  steht  to  uotop  gegen  ttjv  -^r^v.  Eine  graphische  Cor- 
ruptel ist  ausgeschlossen,  da  beide  Lesarten  durch  mehrere  selb- 
ständige Zeugen  vertreten  werden;  wer  die  Stelle  im  Zusammen- 
hange liest,  wird  keinen  Augenblick  bezweifeln,  dass  -o  uöcop  das 
nichtige  ist,  wird  aber  auch  erkennen,  woher  das  Versehen  xtjv  -it^v 
rührte,  und  dass  die  Vorlage  aller  derjenigen  Handschriften,  welche 
TO  GScup  am  Rande  haben,  dies  nicht  aus  der  Ueberlieferung,  son- 
dern aus  eigener  Vermutung  entnahm.  —  Berüchtigt  ist  II  11, 1 
xspauvou  f>£b?  autov  xaxi/auas.  Der  Schreibfehler  xatsrcauas  verdient 
keine  Beachtung,  zumal  er  nur  in  einem  ganz  wertlosen  Exemplare 
steht.  Wichtig  aber  ist,  dass  dieses  Wort  in  mehreren  von  ein- 
ander unabhängigen,  ja  sogar  nachweislich  auf  unabhängige  Vor- 
lagen zurückgehenden  Exemplaren  fehlt;  und  doch  steht  auch  hier 
nicht  eine  Tradition  einer  anderen  gegenüber,  sondern  der  in  den  letzt- 
genannten Handschriften  leer  gelassene  Platz  beweist,  dass  die  kleine 
Lücke  alt  war  und  von  der  anderen  Seite  her  in  einfacher  Weise  ergänzt 
wurde.  Solche  und  ähnliche  Fälle  sind  besonders  bezeichnend  für  den 
neuerdings  so  sehr  in  Aufnahme  gekommenen  Leidensis  L  (so  darf  man 
ihn  statt  La  wohl  nennen,  da  Lb  als  Copie  von  Bessarions  in 
\'enedig  erhaltenem  Exemplar  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommt) ; 
an  zahllosen  Stellen  hat  er  die  einzig  richtigen  Worte,  und  doch 
darf  man  ihn  deshalb  nicht  gleich  als  isolierten  Träger  einer  guten 
r eberlief erung,  sondern  vielfach  nur  als  den  Vermittler  guter  Con- 
jecturen  ansehen.  Nicht  minder  häufig  sind  die  Fälle,  wo  er,  ganz 
zu  schweigen  von  den  bei  ihm  besonders  häufigen  Schreibfehlern 
jeder  Art,  eine  wirkliche  Interpolation  vorträgt;  da  es  sich  gezeigt 
hat,  dass  seine  schätzenswerten  Eigenheiten  nicht  der  direkten  Ab- 


134  Friedrich  Spiro, 

hängigkeit  von  dem  Autographe  des  Pausanias,  sondern  dem  er- 
finderischen Verstand  eines  bestimmten  Forschers  verdankt  werden,  so 
darf  man  nicht,  wie  es  wohl  geschehen  ist,  eine  an  sich  brauchbare 
Lesart  gegenüber  anderen  nicht  minder  brauchbaren  bevorzugen  und 
sie  nur  deshalb  in  den  Text  setzen,  weil  sie  im  Leidensis  steht.  Dahin 
gehört  z.  B.  am  Anfange  von  X  32,  6  t^  irl  TtoTauio  i\r|i'>at(p  Ma- 
7vrjato|L  statt  xoTs  —  Ma-^vr^ai  oder  II  13,  8  dcpuofjisvos  für  das  un- 
bequeme «(piYfxEvci?  oder  X  12,  3  das  au  nach  os  in  Traip^c  ok 
xr^TocpaYoto,  wo  wegen  des  Hexameterschliisses  der  Anlass  zur  Inter- 
polation besonders  nahe  lag.  Ja  selbst  an  Stellen,  wo  einzig  und 
allein  L  einen  grammatischen  Sinn  giebt,  müssen  wir  ihn  aus  dem 
gleichen  Grunde  abweisen:  X  25, 4  steht  oiacpopa  —  "Ojir^po? 
TTSTToir^xev  ev  'IXtaSi,  e'vda  —  fteroiV^xsv.  Wir  würden  hier  keinen 
Augenblick  Anstoss  nehmen,  wenn  nur  L  erhalten  wäre;  nun  steht 
aber  bei  allen  anderen  das  sinnlose  7)v,  welches,  wie  man  längst 
erkannt  hat,  aus  tq  verdorben  ist:  auch  L  fand  in  seiner  Vorlage 
T^v,  setzte  aber  dafür  auf  eigene  Faust  ein  keckes  svOa.  Einem 
solchen  Zeugen  darf  man  misstrauen;  aber  unfreiwillig  bestätigt  er 
nur  die  Einheitlichkeit  der  Ueberlieferung.  Wie  leicht  man  sich 
durch  eine  scheinbare  Discrepanz  täuschen  lassen  kann,  zeigt  VI 
14, 12,  wo  sich  die  Eigennamen  Xenombrotos  und  Aphthonetos  um 
den  Platz  streiten;  wieder  darf  man  eine  Handschrift  beiseite  lassen, 
welche  beide  zu  verquicken  einen  unglücklichen  Versuch  macht. 
Niemand  bezweifelt,  dass  wir  Eevofxßpoxov  in  den  Text  setzen  müssen; 
wenn  man  aber  bedenkt,  wie  das  unmittelbar  vorhergehende  Wort 
auTÖiv  seit  dem  Mittelalter  von  den  Griechen  ausgesprochen  wird, 
so  wird  man,  bei  der  verhältnismässig  grossen  Zahl  von  Ditto- 
graphien  unter  den  Corruptelen  unseres  Textes,  die  Entstehung  der 
falschen  Variante  nicht  mehr  so  wunderbar  finden,  wie  die  hoch- 
verdienten Schöpfer  der  ersten  kritischen  Pausaniasausgabe  noch 
thaten.  Aber  diese  Variante  ist  für  uns  fundamentale  Tradition; 
denn  die  beiden  Handschriften,  welche  das  Richtige  bieten,  sind 
nicht  nur  für  die  Recension  überhaupt  belanglos,  sondern  zeigen 
auch  durch  die  Art,  wie  sie  es  bieten,  dass  es  nur  durch  C'onjectur 
zu  ihnen  gelangt  ist:  die  eine  hat  es  am  Rande,  die  andere  zwar 
im  Text,  aber  nicht  ohne  am  Rande  das  sinnlose  'Acp Oovr^xov  der 
übrigen    zu    geben,    das    sie    also    in   ihrer  Vorlage    fand.     Wenn 


Ein  Leser  des  Pausanias.  135 

ihr  Verfertiger  die  Conjectur  mutig  in  den  Text  setzte,  so  zeigte 
er  damit  nur,  dass  er  zuweilen  gesunden  Sinnes  fähig  war.  In 
der  That  steht  der  arg  vei^wüstete  Text  von  V  (auch  hier  ist  die 
einfachere  Benennung  statt  Va  erlaubt,  da  Vb  aus  erhaltenen  Exem- 
plaren oder  deren  unmittelbaren  Vorlagen  in  flüchtiger  Weise  com- 
piliert  ist ;  ebenso  kann  der  Mediceus  Fa  als  geringerer  Typus  der 
Suliardos-Classe  und  der  Angelicanus  Ag  als  Abschrift  von  Fa 
künftig  aus  dem  Apparate  verschwinden)  vielfach  ganz  allein, 
d.  h.  sein  Schreiber  riskiert  eine  Menge  verschiedenartiger  Conjec- 
turen,  und  darunter  befinden  sich,  wie  bereits  Robert  bemerkt  hat, 
manche  vorzügliche.  Er  steht  also  nur  individuell,  nicht  aber 
generell,  tief  unter  L;  wenn  man  will,  sind  überhaupt  alle  unsere 
Pausaniashandschriften  interpoliert,  und  andererseits  entbehrt  fast 
keine  irgend  einer  brauchbaren  eigenen  Lesart.  Wer  sie  alle  in  der 
Hand  gehabt  hat,  muss  zu  dem  Eindrucke  gelangen,  es  überall  mit 
zwar  nicht  gelehrten,  wohl  aber  intelligenten  Personen  zu  thun  zu 
haben. 

Nun  lässt  sich  trotz  so  mannigfacher  Interpolation  nicht 
leugnen,  dass  der  Text  des  Pausanias  im  wesentlichen  gut  erhalten 
ist.  Man  watet  nicht  im  schlammigen  Elend,  wie  bei  so  vielen 
wertvolleren  Autoren,  sondern  schreitet  auf  festem  Grund  und 
Boden  und  stösst  nur  zuweilen  an  Hindernisse,  deren  viele  eben 
zu  umgehen,  nicht  hinwegzuräumen  sind.  Lässt  sich  nun  ein 
grosser  Teil  der  ('orruptelen  seinem  Wesen  nach  zeitlich  ungefähr 
definieren,  so  wäre  es  weiter  für  die  Geschichte  des  Textes  von 
hohem  Werte,  wenn  man  aus  der  Zeit  zwischen  Stephanos  und 
Suidas,  die  ihn  in  einer  für  uns  nicht  eben  ergiebigen  Weise  be- 
nutzen, einen  intelligenten  Leser  aufzeigen  könnte.  Ein  solcher 
war  der  Verfasser  der  1894  im  Hermes  veröffentlichten  Randnotizen. 
Seine  Zeit  und  seine  Bildung  ist  daselbst  von  Reitzenstein  und 
Wilamowitz  charakterisiert  worden,  jetzt  lässt  sich  auch  sein 
Name,  den  mancher  geahnt  haben  mag,  mit  Gewissheit  angeben. 
Sehr  richtig  hat  man  damals  bemerkt,  dass  auch  die  noch  nicht  zu 
diesem  Zweck  herangezogenen  Handschriften  auf  solche  Glossen 
hin  durchsucht  werden  müssten;  dies  ist  inzwischen  geschehen,  und 
eine  neue  CoUation  des  viel  verglichenen  und  behandelten  Pari- 
sinus 1410  ergab,  dass  dieselbe  Hand,  welcher  wir  die  bekannten 


136  Friedrich  Spiro, 

Glossen  verdanken,  daselbst  zu  VII  21,  10  wörtlich  folgendes 
notiert  hat: 

:r£pi  riaipuiv,  xou  x^c  ejir^c  ■ysveaeo)?  'Apsda  ap)(i£7riaxo7rou  Kai- 
aapsi'a?  t6::ou,  /topoYpacptot. 

Dass  der  ausserordentliche  Mann,  den  wir  als  einen  der  Haupt- 
träger  der  „byzantinischen  Renaissance"  bezeichnen  können,  aus 
Patrai  stammte,  war  längst  bekannt;  dass  er  einen  grossen  Teil 
seiner  reichen  archäologischen  Kenntnisse  dem  Tansanias  und  wir 
ihm  diesen  verdanken,  erfahren  wir  erst  jetzt.  Auf  ihn  gehen,  wie 
äussere  Anzeichen  lehren,  auch  die  Einteilung  in  Bücher  und 
deren  nach  dem  Inhalte  der  ersten  Capitel  gewählte  Titel  zurück; 
wenn  die  Gesamtunterschrift,  die  diese  Titel  aufzählt,  in  einigen 
unserer  Handschriften  ebenso  wie  die  Glossen  weggelassen  ist,  so 
ist  dennoch  die  Trennung  der  Bücher,  die  nicht  vom  Autor 
selbst  herrühren  kann,  überall  die  gleiche.  Dagegen  hat  Arethas 
den  Gesamttitel  des  Werkes  natürlich  überkommen;  von  Pausanias 
freilich  rührt  auch  dieser  nicht  her,  denn  das  Werk  wurde  un- 
vollendet hinterlassen;  aber  er  ist  älter  als  Stephanos.  —  Für  die 
Charakteristik  des  Arethas  kommt  vor  allem  die  sachliche  Kritik, 
die  er  an  dem  Rhetor  übt,  in  Betracht;  aber  für  beide  gleich 
wichtig  ist  die  Textkritik,  die  sich  nicht  nur  in  dem  ei  «j-yj  to 
iScfcptov  x£xcti)-at,  sondern  auch  einmal  in  der  Bemerkung  Xsittsi 
geltend  macht:  bereits  vor  dem  neunten  Jahrhundert  zeigte  der 
Pausaniastext  Lücken.  Bei  der  Reinheit  seiner  sonstigen  Erhaltung 
gewinnt  dadurch  die  oben  geäusserte  Vermutung  über  die  Herkunft 
jener  Lücken  an  Wahrscheinlichkeit;  und  ebenso  erklärt  sich  bei 
dem  vorwiegend  antiquarischen  Interesse  des  Kritikers  und  seiner 
Nachfolger  die  Thatsache,  dass  die  historischen  und  paradoxu- 
graphischen  Abschnitte  so  viel  weniger  inficiert  worden  sind  als 
die  periegetischen.  Man  nahm  damals  wie  heute  den  Pausanias 
als  archäologisches  Handbuch  vor  und  betrachtete  dessen  rein 
erzählende  Partien,  die  X0701,  als  unwesentliche  Einlagen.  In  einer 
solchen  Zeit  musste  ihnen  das  gut  bekommen  —  gerade  wie  heut- 
zutage die  „archäologischen"  Abschnitte  am  meisten  durch  Aen- 
derungen  entstellt  zu  werden  pflegen.  — 

Im  Uebrigen  war  die  Ausbeute  an  Randnotizen  gering;  zu 
1132,2  bemerkt  allein  die  Moskauer  Handschrift: 


Ein  Leser  des  Pausanias.  137 

Iv  'Apt[jLav(p   :rap'  'IxaXot?  ovo[xctC'5fA£VTQ    ttoXsi    xat    aüxo;    ofioiav 
etoov  iopTTjv  £T:iTeXoüti.ivrj(v)  (xr^vos  'ATrpiXt'ou  xy^ 
und  zu  V  8,  8  die  zu  L  gehörige  Pariser  1399: 

iraYxpoTtov  iartv  otYcuy  -t;  £$  dtäXoS?  TraXy]?  xat  i$  dtsXou?  tcuY" 
ti-f^S  au^xsifievoc.  xctl  StjXtj  jxsv  tj  iraXT),  Tru'jfJiTj  8s  tö  Trplv  jxsv  eoxsud- 
^öTo  ouTu)?.  et»  otpocpiov,  0  iaxt  arpoYYuXov  Cfovdpiov,  ot  Tsaaotps? 
ttüv  oaxTuXoiv  evsßißaCovTo  xctl  u^rspißaXov  xou  axpocpioo  xoöouxov  oaov 
£t  cjuva'YOivxo  -u;  slvoti.  cuvsij^ovxo  5e  utto  0£ipa?,  r^v  xai)dTr£p  Ipstsixa 
ißsßXr^vx')  ex  xou  ~rf/zioq.  vuv  os  aiji  txsdiaxTjXE'  ptvou?  Yotp  xuiv 
Ttoxotxcov  ßoüiv  £^{;ovx£s  tfidvxct  ipYOt'Covxat  iruxxtxov  o;uv,  xat  irpoEfjißdX- 

Xovxe^ 6  6£  -(£  dvxt^£ip  ou  auXXauißa'vei  xot?  SaxxuXoi?  xö 

7rXT^xx£tv  uTTEp  auu.fj.£xp[a?  xpaujxa'xfov,  lu?  jatj  Tiacja  tj  5(£tp  fxa')^oixo. 
xauxa  £x  xwv  <l)tXo3xpa'xou  rspt  -cu[j.va(5xtxr|?.  ''Ajj-uxos  nocj£i8(üvo? 
xat  vujx<p7j;  BiOuvidooc  r^  FliXta?  £$£up£v  tfj-avxa?  ttuxtixouc.  tax£ov 
oxi  xou?  otTTo  /sipÄv  xa'Xou?  s$Eup£  Qr^Qti}^,  xou?  8s  dirö  crxsXöiv  K£p- 
xu(uv  BpaY/ou  xat  'ApYiOTir]?  vujxcpr^?.  Trpo?  xouxov  xö  7r£|nrxov  dOXov 
-aXat(ov  £v  'EXsuoitvt  oir^Yojviaaxo  ör^asus*  ouxo?  yap  xou?  uapiovxa? 
r^vd^xaCe  (r^va'YxacJE  Pa)  TraXatsiv  xat  TraXat'wv  dvijjpst,  6rja£u?  os  iiex- 
Ecupov  auxöv  dpo'fxsvo?  eppi<]/£v  zl<;  y^^v  xat  dTC£xx£'.v£V. 

Dieselbe  Handschrift  des  ^Michael  Suliardos,  der  wir  die  Urheber- 
schaft des  Arethas  entnehmen  —  man  darf  sie  statt  Pc  wohl  einfach 
P  nennen,  da  von  den  übrigen  Parisini  Pa  nur  für  die  oben  wieder- 
gegebene Randnotiz,  Pb  und  Pd  überhaupt  nicht  in  Betracht 
kommen  —  notiert  ¥25,5  zu  Moxur^: 

■fj  vuv  Moxuxa  xaXoujiEVTj 

und  zu  V  IG,  2 

Eirfov  h{ia  SV  lldxpai?  xr^?  nsXoTrovvT^öou  STtt  xoi?  spEiTrton;  (ept- 
TTStot?  F)    xtüv    TraXatoiv    oixo8oar/ji.a'x(üV    STut    xt'ovo?  xscpaXt'oo?    xauxr^v 

X7]V    YP'5t^>^V- 

Nix/^Y'^P^^    NixocpiXo?    vtxr^aactav   opojxu)    xov   xwv    TrapOsvfov    opopiov 
x^o'   dvs&r^xa  Xi'öou  Flaptou  xtjv  YXüxuxdxrjv  dSsXcpn^v.   — 

Zu  V27, 6:    xotouxo    xal    iv  "^Vrf^im   (piYto)  P)    x^c   SixsXia? 
SapaxTjVo?   STTSOsixvuxo*    xopaxa   yp^'-P^^v   (Ypdcpov   P)  £^?   xoi/ov  8ta 
-  xapßtuvou,    STTEixa    roXXa    xaxa'fXuapwv   cpXöya    ix    x«>v    ?a)(U(üv   xou 
YpaTTTOu  xopaxo?  ixDopEiv  Ttap£ax£uaC£v. 


138  Friedrich  Spiro,  Ein  Leser  des  Pausanias. 

Endlich  VI  4,  6  zu  '  Axauu  riatpei : 
Ix  naxpujv  Toiv  risXoTrovvT^aou.  outto  -(«p  xoTs  TroXaioic  ooxei  a/r;- 
10  fxaTi'Cstv,  xob?  aTtö  riaxpüiv  x^?  ivs-f/afilvr^?  (-svo;  F)  xi  [xöj  ovo[ia 
exrpepsiv  El?  ^ü?  (üc  (o;  P)  Ilaxpsu;,  dXX'  ou  8ta  xou  öüö?,  «ScfTiep  «Tri 
xou  'Aö^vai  ('A^yjva  P)  'AOr^votio?,  ouxtu  xctl  dnb  xo5  Flaxpai 
llaxpaio;.  Ttapaßsßrjxai  tj  TroXaioT/^?. 

Die  zu  X  20,  6  in  V  an  den  Rand  geschriebenen  Worte 

^Tcsp/Eiö?  7:oxa(j.os   6   v5v  'EXsa?   irept   xtjv  Aaptdoav   xal  Ztjxouvi 

haben  vermutlich  nichts  mit  Arethas  zu  thun,  da  sie  eben  nur  in 
V  stehen,  der  die  Glossen  des  Bischofs  und  seine  Subscriptio  nicht 
enthält;  gerade  das  Fehlen  der  Gesamtunterschrift  beweist,  dass 
der  Schreiber  sie  nicht  las,  der  übrigens  den  Text  häufig  mit 
Glossen  der  oben  angeführten  Art  —  sämtlich  wertlosen  —  versehen 
hat.  Für  Arethas  dagegen  lernen  wir,  dass  er  sich  den  antiqua- 
rischen Studien  zeitig  ergab;  die  Inschrift  in  Patrai  hat  er  als 
junger  Mann  copiert,  ehe  ihn  seine  geistliche  Carriere  in  die  grosse 
Welt  berief.  Angeregt  zu  diesen  Studien  haben  ihn  die  damals 
offenbar  noch  stattlichen  Ruinen  der  Vaterstadt,  das  sagt  er  selbst 
deutlich  genug;  und  aus  antiquarischem  Interesse  hat  er  dann  aucli 
die  grosse,  vermutlich  mehrjährige  Reise  nach  Italien  unternommen, 
die  ihn  nach  Sicilien  und  über  den  Rubicon,  an  die  äussersten 
Grenzen  der  hellenischen  Cultursphäre,  aber  auch  zu  so  vielen 
fremden  Völkern  führen  sollte.  Er  wird  damals,  im  fernen  Westen, 
kaum  geahnt  haben,  dass  ihn  sein  Geschick  dereinst  so  weit  nach 
Osten  verschlagen  würde;  auch  dort  aber  hat  er  —  das  zeigen 
uns  die  dürftigen  Reste  seiner  Pausaniasstudien  —  der  Heimat  und 
den  Idealen  der  Jugend  ein  treues  Andenken  bewahrt. 


X. 

Robert  Fuclis. 


De  anonymo  Parisino  quem  putant  esse 

Soranum. 


/^/ 


Semel  iterumque ')  occasio,  ne  dicam  occasiuncula,  nobis  data 
est  perstringendi  perquam  breviter  librum  anonymuin  codicibus 
Parisiiiis*)  adhuc  servatuni  medici  sectae  methodicae:  nunc  facul- 
tas eaque  pergrata  praebetur  revertendi  ad  hanc  quaestionem 
satis  arduam. 

Putabant  enim,  id  quod  nobis  ipsis  probatum  temere  existima- 
bamus,  vili  anonymi  vestitu  usum  incedere  splendidum  cultumque 
Soranum,  cuius  versio  —  Caelianam  dico  —  quanquam  rudis  et  barbara, 
tarnen  magno  in  pretio  est  apud  vires  eruditos. 

Qua  in  quaestione  instituenda,  ne  id,  quod  bene  dictum  est, 
inutiliter  repetere  videamur,  caventibus  satis  est  Schwabii  historiam 
litterariam  evolvisse,  quo  modo  Caelius  iste  Aurelianus  Sorani 
librum  latine  reddiderit  egregie  declarantis.  Itaque  videamus,  quid 
hie  11  pag.  1182  §  463  nota  1  de  Caelio  exposuerit! 

„Die  Vergleichung  des  Leidener  Bruchstückes  aus  den 
gynaecia  desselben  (seil.  Caeli)  mit  dem  erhaltenen  Original 
zeigt  dass  Q.  A.  ■wörtlich  übersetzt,  aber  abkürzt.^ 

lam  ut  hanc  summam  iudicii  menti  imprimamus,  paululum 
subsistamus!  Neque  enim  nos  hodie  deambulationes  rapidas  metho- 
dicorum  aut  hemerodromorum  cursus  commendamus.  Reddidit 
igitur  verbum  verbo  Caelius,  non  interpretatus  est  Sorani  senten- 
tiam.  Quod  cum  tolli  non  possit,  age  iam  transferamus  in  anony- 
mum  examinemusque  eodemne  quo  consuevit  modo  transtulerit 
textum  anonymi  pseudosoranei  iste  Afer! 


')  Loci  et  summa  rei  indicantur  in  commentatione  nostra  „Anecdota  aus 
Byzantinischer  Zeit",  Deutsche  medicin.  Wochenschr.  1898  fasc.  VII  sq. 

>)  Sunt  Codices    suppl.  graec.  G36  saec.  XVII  et  graec.  2324  saec.  XVI. 


142  Robert  Fuchs, 

Atque  primuin  proponendum  tibi  putamus  illum  locum,  ex 
quo  profecti  erant  qui  putarent  iam  vivoin  Sorani  corpusculum  a 
se  palpari.  Nam  de  elephantiasi  —  Graecoruin  scilicet,  non  Arabuni, 
vernacula  lingua  Lepra,  non  Elephantiasi  —  uterque  prolixe  egit. 
Quorum  anonymus  haec  infert'):  xr^c  8s  IXecpav-iaastuc  täv  [lev 
iraXaioiv  ouSeU  SfiVTJaÖYj  ^atpÄv,  iste  sie  quae  invenit  transtulit: 
vetenim  autem  medic&rum  nullns  istius  passionis  curationem 
ordinavit  excepto  Themisone.  Suntne  haec  re  vera  unius 
eiusdemque  hominis  verba?  nerno^  prorsus  nemo,  ait  Graecus, 
solus  Themiso  Latinus;  de  nominis  commemoratione  apud  illum, 
de  morbi  cura  apud  hunc  agitur.  Themiso  mehercule  utricjue  artis 
conditor,  quem  ab  altero  ignorari  quis  credat?'  De  Democrito 
autem,  philosophorum  qui  solus  elephantiasin  toto  libro  descripsisse 
fertur,  consentiunt,  ex  quo  libro  alter  ta  cuxim,  viseosam  pituitam 
et  sucorum  redundantiam  et  cutis  eminentias  sanguinis  congelantis 
plenissimas  et  membrorum  mortuorum  amissionem,  videlicet  quia 
haec  gravissima  sunt  rei,  sibi  deprompsit,  alter  curandi  modos,  et 
sanguinis  missionem  et  decoctionem  herbae  Syriacae,  mutuatus 
est.  Adnectit  Soranus  Caeli  uberrimam  praescriptorum  Themisonis 
expositionem,  cuius  anonymus  quasi  nyctalops  ne  umbram  quidem 
agnovisse  videtur. 

Sed  augeamus  exempla,  ut  sententiam  stabiliamus!  Omisso 
capitis  I  Caeliani  principio  de  signis  morbi  vel  semiosi  nil  pro- 
ferendum.  In  curatione  vero  quodam  discrimine  statim  oculi 
punguntur.  Commendat  quidem  uterque  insolationem  (18  tjXiVjis  ts 
■jrapoXafAßavsaütü  xo  otopia)  et  psychrolusiam  (18  /pr^aötuaav  oe  xal 
tJ^u/poXouaia)  et  cataclysmum  (16  Ssi  —  xXuCsiv)  et  Ofir^Yfiatwv  qiian- 
quam  alius  aliorum  usum  (smegmata  i.  e.  sapones,  Cimolia,  hordei 
pollen,  nitrum,  cinis  bucinarum  [an  bucidarum?],  pumex  assatus, 
sulphur  vivom,  sepiarum  testa,  gurami,  galla;  acopa  et  malagmata, 
myrobalanum  cum  aceto,  vinum  cum  gutta  ammoniaci  et  alumine: 
11  sqq.  (papfxaxa  uTiocfxucpovta  t)  $r^paivovxa,  eXaiov  jjtupaivov  t;  xäv 
axücpovxtov  Ti  xal  zh  8ia  x^;  jj.upoßQtXavou  jxefiqjjLSVoü  oxuTrxr^pw:  UYpa  xai 
xeopia  xal  airupto  Oeuo.  dvaTrXaxxeaOtoaav  xovtv)  et  helleborum  (7  Sia 
Toü  d)v>>eß6prju),  sed  de  usu  dropacis  aptissimo  et  lixivii  et  aquarum 


')  Cf.  Musei  Rhenatii  XLIX  p.  557. 


De  anonymo  Parisino  quem  putant  esse  Soranuin.  143 

naturalium  et  de  serpentiuni  ulcerum  amputatione  et  sinapismo 
remedio  uno  omnium  clarissimo  et  cyclo  et  radicum  vomitu  et 
navigatione  et  transitu  in  aeres  meliores  apud  l'arisinum  altum 
silentiura,  qui  tarnen  varia  de  venae  sectione  (6)  et  de  chamaemelo 
et  de  humomm  derivatione  et  de  exercitiis  et  de  sudoribus  ciendis 
praecipit.  Quid  quod  hie  helleborum  8k  }J.£v  toü  eoipoc,  S-Kaz 
8s  Tou  (p&ivoTTtopou  dandum  dicit,  iste  non  semel,  sed  etiam  sae- 
pissime  per  intervalla  porrigit?  Utrum  de  Acheloi  fabulosis  muta- 
tionibus  quaestio  nobis  ponitur  an  de  praeceptis  clarissimi  medici? 
Atqui  mutilum  est  initium  capitis  apud  Afruni!  Sane,  sed  alia 
licet  conquirere  quibus  quod  iani  crepusculum  est  id  lux  clara  fiat. 
De  aquifuga  i.  e.  hydrophobia^)  haec  anonymus:  ol  ap/aioi 
oüx  ijivr^aOrjsav  toutou  apposita  propria  morbi  descriptione.  Caelius^) 
autem  certissimis  verbis  indicavit  et  memorasse  priscos  medicos 
passionem  et  nomen  varie  expressisse  nuncupantes  aut  hydropho- 
biam  aut  hygrophobiam  aut  phobodipson  aut  plieugydron  ut  Poly- 
buni  aut  cynolysson  ut  Andream.  Nonne  plane  contrarium  hoc? 
Causas  vero  binas  apud  utrumque  legi  consentaneum  est,  si  quidem 
communis  tum  fuit  doctrina  de  hydrophobia  et  extrinsecus  com- 
parata  et  intrinsecus  exorta,  quarum  alteram  graece  appelles  sirt- 
xTTjTov,  alteram  ep-cpuiov.  Qua  re  ne  specie  magis  quam  vero 
moveamur  cavendum.  Causas  autem  passionis  cum  similes  uterque 
indicat,  tum  alter  dentium  stridorem  et  linguae  sonum  blaesum 
(fol.  40  V  5  -^lOupi'Couai)  et  refrigescentia  membra  extrema  et  debili- 
tatem  corporis  et  in  inspirando  lacrimas  quibus  gemitum  sigui- 
ficari  censemus  (10  sq.  xal  t6  Trv£U[xa  xXauO[xu)  otej^ouatv  6[Aot'u>? 
Traialv  axoX6[xßoi;  (isXXouaiv  et;  ßyOöv  ptTiTeaöat)  qui  flosculus  satis 
lepidus  a  more  Soraneo  multum  abhorret,  alter  premit  iracundiam 
et  vigilias  et  vomendi  desiderium  et  fellis  sub  morte  eiectionem  et 
febriculam  et  subreptionem  atque  extensionem  (extentionem  in  textu 
Ammaniano)  praecordiorum  ad  superiores  partes  et  ventris  con- 
strictionem  et  frequentem  mictionem  et  ruberem  voltus  oculorum- 
que  aliaque  multa.  Argutiis  sane  opus  est  demonstraturo  haec 
unius    hominis    esse    praecepta.      Aliis    haec    informentur    animo: 

')  Cod.  suppl.  graec.  636  fol.  40  r  sqq.;  Cael.  ac.  morb.  III  9  §  98  sqq.  = 
pag.  218  sqq. 


144  Robert  Fuchs, 

equidem  ego  „edepol,  alio  die!"  respondebo,  si  quis  eundem  medi- 
cum  non  prorsus  insulsum  in  eadem  passione  describenda  modo 
fn'^idos  sudores  (2  sq.  fietot  —  fSpto-fuv  <]^u)rpu)v),  modo  sudores 
partium  superiorum  gravissima  accidentia  morbi  esse  nobis  cantet. 
Etenim  quod  nee  Pyrrhonea  stultitia  nee  Tliessali  vanitas  peccavit 
id  Sorani  auctoritati  noli  tribuere.  Quid  multa?  Si  modo  Caeli 
Caput  XV  „utrum  nova  passio  sit  hydrophobia"  quis  perlegerit, 
certe  arma  tradet  pro  principali  textu  Soraneo  qui  adhuc  pugnare 
audeat, 

Sed  priusquam  fragmenta  ipsa  argumentationi  nostrae  inser- 
vientia  apponamus,  licebit  fortasse  verbo  indicare  etiam  quae 
differentiae  praecipue  in  morbo  sedando  agnosci  possint  apud  utrum- 
que  methodicorum  asseclam.  Etenim  cum  anonymus  praecipiat 
Tou^  —  uSpocpoßtxou?  xaTaxXixsov  iv  tottoi?  suctspoi?,  Caelius  curan- 
dos  iacere  iubet  loco  mediocriter  lucido,  et  cum  ille  [xcX''xpaTov  vel 
tjLsXi  bW^ihv  potandum  det,  hie  cibum  tenuem  et  sorbilem  et  panem 
aqua  infusum  et  alicam  ex  aqua  sumenda  curat,  et  cum  ille  xoic 
ijjnj;u/ouai  irait  refrigeret,  hie  contra  partibus  raptis  quas  vocat 
calidas  imponit  lanas.  Adde  quod  medicus  Graecus  e^yj  S'ctv  — 
aptOTo?  —  6  fisXct?  sXXsßopo?  docet,  Romanus  nihil  veneno  differre 
helleborum  datum  plane  affirmat.  Neque  absonum  est  huic  argu- 
mentandi  rationi,  si  indicemus  potius  quam  explicemus  ignorare 
Graecum  vaporationum  vim  salutarem,  Caelium  contra  et  tacere 
de  trochiscis  ex  melle  comparatis  uvarum  passarum  simillimis, 
quibus,  ne  perterreantur  aegri  aquae  aspectu,  gutta  aquae  includi 
solet,  nee  quicquam  addere  de  dactylis  aut  malis  Cydoniis  aut 
peponibus  aut  colocynthide  aut  Cucurbita  aut  pampinis  aut  an- 
drachne  aut  coriandro  aut  aizoo  aut  theriaca,  qua  clarius  nulluni 
remedium  inveniri  potest,  aut  diapepereon  antidoto  aut  hiera  vel 
epithymo  aut  remedio  collo  annexo  quod  nos  vocamus  amuletum, 
ut  reliqua  omittam. 

Sed  iam  satis  est,  veremur  enim  ne  cum  illis  componamur 
qui  in  sole  lucernam  accendere  velint.  Is  autem  qui  tcoXXt^v  xe  xat 
exoijjLov  avxXeiv  malit,  ipse  adeat  locos  supra')  indicatos  quos  nunc 
repetere  nolumus,  ex  quibus  tamen  unam  eamque  maximi  momenti 


')  Vide  p.  MI  not.  1. 


t>e  anonytno  Parisino  queta  putaüt  esse  Soranuül.  145 

rem  retineamus:  anteriorem  esse  Sorani  temporibus  anonymum 
Parisinum.  Ad  quem  tum  demum  redeuiidum  nobis  erit,  cum  post 
hos  sex  menses  liber  de  rebus  medicis  graecis  coiiscribendus  typo- 
thetae')  a  nobis  traditus  erit. 


Commentationi    subiungimus    exeraplum  ex  anonymo  Parisino 
petitum  de  elephantiasi  et  de  hydrope. 

cod.  Paris,  suppl.  graec.  636  saec.  XYII  fol.  81  v: 

*  iXscpotvtiaaeo);  otiria*        xe       vO-       * 

t>Tf^^  Si  iXscpavxta'JEajs  xöiv  (xsv  TraXataiv  ouoeU  EjAVTjaörj 
laxpüiv,  cptXoaocptüV  Ss  Ar^fxoxpito?  ev  xü)  Trspi  IXecpavxtaaew, 
auxou  ßtßXt«),  OTTOU  uTxo  iroXXou  (s\i'(\iaxo<;  YXiaj(pa)8oü? 
xal  fiu^tuoo'jc:  ecpyjaev  "^tvsoöat  xauxr^v  ottou  sttI  xtjv  stti- 
<pav£iav  ota  cpXeßcJüv  iXüöv  i:rX7^Giöy]  a/&ou?  sTravaaxaat?, 
10  xö  8s  ev  atjx(tj  dpo[ißaii}sv  aiixa*  ofxivs?  vsxpoujxEvot  OLTiom- 

TTXOuaiv  'IrTToxpaxTjc;   8s  cprjat  TrXr^&uvoutJ/j?  xr^?  [xsXai'vrj?  (x^^^^)? 
■^xic  /(opT^aaaa  st:!  xa?  xtj?  STrtcpotveias  ^Xsßctc  atiJ-a 
(x£v  iY)((uvvuai  x^  "j-swosi  aux^?  ouaia  xal  oy^oo^  iicavujxTjatv, 
otia  OS  x-^  6$ux/jxt  CTjfAioüv  xrjv  iTrtcpavsiav  wöTTsp  '(r^v  o$os: 


4  oiTift,  alias  ahla  itaque  corr.  7    aüxoü,  corr.  8   ecpaaav,  corr. 

9  Ilerni.  Diels  in  epistula  ad  Zellerum  data  quam  hie  benigne  mecum  communi- 
cavit  ETT^Tjaev  ö/öcuooy;  iravaaTaaetus  non  sine  quadam  veri  specie  (Galen.  XIV 
757  sq.;   313)  10  post  ali).a   idem   lacunam   statuit  esse  quam  complevit 

liiileiii  (V  117)  ope  verbis  inde  a  Su^eXdeiv  usque  ad  ipfdl^z'zai;  ambigo  11 
-/oXfj;  addidi  14   verborum  nexus  depravatus  cf.  Mus.  Rhen.  XLIX 

557  sq. 

15  'EXscpavxia'astu;     cvjjxsTa  '•• 

Tot»  Se  iXscpavxtmai  irapsTrsxai  xtjv  oXr^v  STiicpavEiotv  xal  [xa- 
Xtcjxa  xaxa  axpa  dvtujxaXtus  xal  oj(0a)8«)?  otaxsiveaöai 

xal  xa)^6xepov  xa  sxCsjxaxa oux  dirocuvovxai  8e  d<; 

xopucprjV  at  ^-«vaaxdast^,  ou8e  ei?  Ttuov  jisxaxpsTrovxat, 

20  (ji:oniq-{ioi  os  sföi.  fisxaxpsTTOVxo?  8s  xou  j^povou  xa  [xsXav- 
Oivxa  isydpai^  7r£piYpacp6}i.sva  xal  Tciyh  pu::atv6fisva. 
TTpoxoTTXovxos  OS  xo5  /povou  sttI  xo  j^sipov  fisxp'C  oaxeou 

*)  Haeseri  enim  librorum  trium  quibus  titulus  est  „Lehrbuch  der  Geschichte 
der  Medicin  und  der  epidemischen  Krankheiten"  quarta  editio  praeparatur. 

Festfchrift   Valilen.  lÜ 


146  Robert  Fuchs, 

fol.  82  r: 
ßoti)uvov-at.  {xspvj  8i  -tva  d-oiriTTTOua»,  {xaXtata  pivs;,  (Mxa, 
a?5oia.  "civs-at  Ss  xal  dTrapijLoats  xal  Sutiirvoia  xal  ßapü- 
ötuvid,  dcptovou?  8s  xal  XsovTOTrvoia;  aütou;  (uvoixaaoty. 
fStVo?  8s  Toic  SV  Tu>  irdOsi  xal  xo  Trs'XfAa  xtuv  ttoocov  sXxouxai 
T)  ßaöuxspov:  —  


18  i$eC^tJiaTa,  corr.  verbiim  velut  •(ws^oli  decst  1  dzoTi.  sie  sacjio 

plur.  verbi  comes  neutr.  plur.  subiecti  2  dTrapiAoai;  conuptuin  3  Xeovx. 

lexicographi  interrogent  zoologos 

6  .  .  . 'EXscpavxtctcts«)?  OspaTTSia* 

Tou?  8s  iXscpavxctovxa?  xax'    dpx*^*   [J-^v  cpXsßoxofjLstv  ost 
xctt  xXuCstv  xctt  xai)aipEiv  ota  xou  sXXsßopou,  8k  {aev  xou  sctpoc, 
«KCtc  OS  xou  cpöivoTCtopou.     dpfxoCst  OS  auxoTs  xal  f^  oia 
)^a}xai{i.r^X(ov  xdöapai?,  auvs/^saxspov  8s  TrapaXatxßavofisvr^. 

10  [xsxa  8s  xauxa,  xav  xpaxrj&aiatv,  dira^stv  8ta  xr^?  etti- 

«pavEia?  xa>y  )(i)[x«>v,  xa  [xsv  ouv  sXxo(u)(i.iva  '-papaa'xoi,  utto- 
(jxu^ouai  T^  Cyjpaivoucji.     xrjv  8s  xoiXiav  xaöaipsiv  cpapjxdxoi? 
cuvsysaxspov  xai  [xocXioxa  sapo?.     y^H-^^'^'^'  /pr^aOojcfav 
xaxa  ouvatjLiv  xal  Trpo^r^poxpißstxtoaav  xal  ßpa)^u  O'JvaXst- 

13  ©saOojsav  sXai'ci)  {Aupaivco     r^  xaiv  axuoovxtov  xivl  xal  x6  6ia 
xTj?  [xupoßaXdvou  [xsfiqixsvou  axuTixvjpia  u^pa  xal  xsSpia 
xal  dirupoi  dsi«).     dvaTrXaxxsctUtuaav  xoviv  xal  dvaxpißsxcüoav 
vjXi'ot?  x£  TrapaXafj-ßavsaöo)  xo  aöitxa.    ypTJaöuisav  8s  xal  «luiypoXooaia 
xal  xoT$  auxofidxoic  dciopwxr^pioi?  xaxd  [xt[i.y]aiv  xouxcuv  sTrt- 

20  ■y£vo|i.svü)V  (icpEXr^östat  xal  uttö  xt^s  oiaTrupou :  (oruamentum) 


11   IXx(5(ieva,  corr.  13  yprjaSat  cum  quarto  casu  ut  iu  inscript.  Isylli 

Epidauria,  saepius  16  sq.  aTUTtTTjpt'a;  üypä;  —  xeopi'ot;  —  äTiüpou  8e(ou,  corr. 
20  ultimus  versus  mutilus;  fort,  tö  adi[i.a  (/p.  8.  ■/.  'J;.)  xat  toT;  «.  «t.  x.  fx.  x. 
lacuna. 

fol.  40  r: 

, (ornamentum,  asterlscus)  68pocpoßoü  a?xia    xs.     x  7* 

10  Ol   dp5(aioi  oux  IjxvT^aOr^cjav  xouxoo.     soixs  8^  ^ivsaBai  8ta 
8tac»7)v  atxi'av,  tj  ^ap  Otto  Xuaa&vxo?  xuvo;  SvSoxovxo; 
xal  icioxjavxo?  xou?  h  tm  atofAaxt  -/uuous  v^  X'^J^*"^  '^'^^" 
ouTtov  ivxpacp£vxa)v  x(o  atüfxaxi  oFov  ouvatjöai  iTraYaYSiv  xo  trd- 
Ooc     uTri  TOüxmv  8s  dvaSr^paivoiisvou  xou  (j(uf*.axo?  oXou  ahv 


De  anonymo  Parisino  quem  putant  esse  Soramim.  147 

1.')  KÖ  -vs'JfxctTt  xctl  Tou  (STrtii'xyoo  £1X05  saii  xal  xoiv  a7ra(3[xa)V 
£500 öat  xal  TTpo?  Tov  xou  ui5a-o?  tj^ocpov  a7r£)(i)(M?  £)((ov 
ota  t6  xot-a'cr^pov  täv  ipsxrixäiv  öp^avcov.     Taut«  "("«p  8ia 
TTjy  TToXXrjv  ^r^por/jT«  5üCfxtvrjT£r,  t^v  oe  xivr^tai,  aX^Ei". 
8t'   otUTÖiv  Y^p  sf?  xaia-oaiv  u^paiv  (xocXicfta  dXXotpiouvrat,  ws- 

20  TTöp  Ol  xoTTtoSci;  5ta  TrjV   c7jpoTr|ta  Trjv   azo  täv  xottcov  '(ivr}\ii- 
vr^v  ouaxivr^xoSa'..     ■irap'   £xot3T(o  -^dip  -q  olxeia  xou  «rfiato;  u- 

■2-2  icpoTTj?  EoxtVTjsicxs  £3rtv  ctixia:  —     


15  fort,  xctl  aTtaaiAOu?  eaeaiJoi 

-*•-' Gopocpoßou  dTiiizXa: 

fol.  40  v: 
Ot  0£  uSpocpoßtxoi  SEOotxaai  ttöEv  u^pöv,  äste  xal  p-wj- 
aÖEVTs?  icioi-cavKxi  ji.£ta  xpau'(r^?,  Tp6{i.ou,  cpoßou,  löpwKov 

4"JXP"*^'    oSoVtCUV  TTCtTOCYCOV.     UpOXOü-OVTO;  8s  ItTI  TO    ^(£1- 

pov  iravTo  -auiot  T.daywai  xotl  /(wpk  u^poö  cpaviaaiac.  aXXoxpi- 
5  ouvtai  xotl  ^löupi'Coust  xal  «j'^'-pw?  uSarmv  SEÖoixaai, 

ßotpuvovToti  xal  xpau^ot?  aicpvioi'ou? 6  jxIvtoi  xpofio?  auxoT?  oux  £- 

axi  or/jv£XYjc,  d>vXa  xotxa  xot?  cpavxaoiac  £~ixt&£}x£vo?.  irEptcj^u^ov- 
xai  7c  [xTjv  axpa  xal  a'-puYjxol  •üuxvouvxai,  auv5idx£tvxat 
}x£xä  dsÖEVsia;  xal  ei'  xt?  irpopcpEpsi  iroxov,  sxxpETrovxai  xal  xe- 
10  xpa^aat  xal  x6  irvEupia  xXauöfxüji  oiiyouaiv  ouoioj? 

-atslv  dxoXuixßoi?  [iEXXouoiv  eJ?  ßuOov  ptTrxEOÖai.  Xu^p-ö? 
ouv  ETil  x6  ytXpov  TTpolous'.  TrapsTTExai  xal  (pojVYj  axovo? 
xotl  uXax"^  TrapaTrXr^aiov  ETTTj'/Tjfj-a.  Iviot  6^  x'^  acpoSpoxTjxi 
xfj?  xapa^^TjC  £v  xa>   ßia'C£ai)ai  ETriaTraaÖEvxE;  d-EÖavov. 

6  icpvT)8(ou; ,    corr. ;    deest   tale    quäle    rpoHaiv       8  ä'xpT],  corr.     acpuY(i.«öv, 
'iirr.         12  Trpoioüaa,  corr. 

15  uSpocpoßou  OEpaTTEia  .'• 

Tous  OE  uopocpoßtxou;  xaxaxXixsov  iv  xottoi?  Euaspoi?  xal 
Euxpa'xoi?.  XTjv  -oxo5  Xustv  auxoi?  ix  Travxo?  iT:i\).rf/oi- 
vr^xinv  xal  fj-a'Xiaxa  xaxa  xob?  Trapo$ua[Ao6?.  eaxto  Ss  (XEXtxpaxov, 
eI  oe  douvaxolEV  xouxo  (ttieiv),  i<^r^-iov  \iiXi,  sto;  ou  xrjptüSs? 

20  xTjv  C'Jdxaaiv  7t'vr^xat,  ETrsixa  aisTTEp  paYa?  xEvd;  SjxTroiouiv- 
x£?  xal  xauxai;  uSaxo?  ifjntnrXaivxE?  xal  iiri7ra>jj.axiCovx£? 
oi'Soxs  xaxaTTivEtv.  o5x(o?  Yap  av  xr^v  xs  ot'j^av  xal  xo  xaxa'^vj- 

10* 


148  Robert  Fuchs,  De  anouymo  Parisiuo  quem  piitant  esse  Soranuin. 

fol.  41  r: 
pov  T«)V  0(uaar(ov  Tcapr^YopoiVTO  u)?  oltzo  (xs^ixparou  xal  oux  av 
rapo^uvöcisv  TTpo,  XYjv  Tou  u^pou  Soöiv.  xaTaTrXotoxeov  8s 
auT(5  xov  OTouLa/ov  xal  öcupaxa  toi?  i\i.'^6you(3i  iraat,  tots  cpoi- 
vi^i   [xsia  [xTJAtov  Ku8u)via>v  yj  ttetcovo;  t)  xoXoxuvOr^?  $6a[jiot3iv 
6  7]  du.7rsXa>v  ikiziv  Tj  avopa)(v(j  t)  xopta'v«)  r^  asiCwto  £xa- 
ax(i)  apxou  t)  TraiiraXr^s  dXcpixcuv  aufißa^^XojiEvou,  auvs^^iaxspov  6^ 
u7:aX)vaxx£a9u).  laxw  oe  ^povo?  Tjijirv  aüxdpxrj;  tj  xou  vo- 
(Jouvxo?  sucpopi'ot.  £v  8e  xoT;  airaauLot?  iraplaxu)  xotl  tj  oia 
x«)V  y(£iptov  TTöiOr^vto?  xpdxr^tji?  xal  auY/pt(Jp.axa  os  xo 

10  Sd^pvivov  7)  i'ptvov  Tj  d[xapdxtvov  f^  XstSxivov  auv  xacfxo- 

pito  xal  xa  akXoi  xa  xouxoi?  o[ioia.     xaxd  os  xd<j  dvsast^  xpocpal 
laxoxjav  pocprjtj.axa)oei?  xal  uYpavxixai.  £?/]  o'av  Iv  xauxat«; 
6  oid  TTXiaa'vr^?  X"^^^*  ^'^^  [is^ixt.  auxdpxv]  6s  safxu>  xd  61.8Ö- 
jisva.  7rpo7:oxiCsai)(oöav  6s  |j.£Xtxpdxu).  dpiaxrj  xal  t;  ör^piax"}] 

15  xal  at  8id  660  TzzTzi^eviV  61.86 (i£va'.  dvxiooxoi  xaxd  xd?  d- 
VEOSi?,  xaxd  8e  xd?  Trapaxtxd?  }(pr^tjaix'   d'v  xt?  xal  IXXsßopm, 
oxs  fjLaV  Tuoxtov  7:po(3cp£poij.svu)v ,   oxs  8s   Iv   ßoXdvou  fJLOipa,  TrpotuOst'- 
(3{)iu  8s  o)?  ssüjxdxu).  £?  8s  8id  xiva  aixi'av  xtjv  dvtu  xd- 
öapaiv  sxxXivojxsv,  sttI  xtjv  xdxm  ^(upr^xsov.  srirj  8'dv  xauxrjc 

20  dpiaxo?  [jLsv  6  fisAa;  EXXsßopo?,  st  8'o5v  xoXoxuvUk  v)  tj  81- 
d  xauxr^c  tspd  75  xö  ETTiOup-ov,  d[JLSivov  8'dv  iv  xouxoi;  xal  xö 
dirö  xr^$  s^xpixoD  Tjjxsxspa?  Osa;  Trsptairxov.  kv  os  xau  dva- 

fol.  41  v: 
Xr^^esi  Trpoacpspsaöo)  xd  xs  suTrsTrxa  xal  zotsiöiiaya  xal  8ia)(a)- 
pyjxixd  xaiv  aixi'cov  xal  Troxaiv.  si'rj  8'dv  Trdaa  u^pavxixTj  8iai- 
xa  auxoi?  dpi'axTj*:  —  (asteriscus) 


19  mev*  add.  ut  fiat  sententia  20  sq.  IfXÄOtoüvTa? ,   l(A7riitX(üvTa; ,  ini- 

ira)|i.aT(CovTac,  corr.  4  ^usixaro,  corr.  5  -/uptavö»,  corr.  5  sq.  ^xoaxou, 

V 

corr.  6  TtsTraXT)?;  aüixßaXofx',  corr,  10  dfxapciyxtvov  17  ttotoO,  corr. 

20  xoXoxuv8töt,  corr. 


XI. 

Isidor  Hilberg. 

üeber  die  Acceiitiiatioii  der  Versausgänge 
in  den  iambischen  Trimetern  des  Georgios 

Pisides. 


Die  folgenden  Blätter  enthalten  das  Ergebnis  einer  Unter- 
suchung, welche  eine  notwendige  Ergänzung  meiner  bisherigen  Ar- 
beiten über  die  Verstechnik  der  byzantinischen  lambographen 
bildet").  Im  Jahre  1879  habe  ich  in  meinem  Buch  „Das  Princip 
der  Silbenwägung  und  die  daraus  entspringenden  Gesetze  der  End- 
silben in  der  griechischen  Poesie"  S.  271  f.  nachgewiesen,  dass  im 
7.  Jahrhundert  n.  Chr.  das  Gesetz  entstand:  Jeder  iambische 
Trimeter  muss  barytonisch  auslauten.  Ferner,  dass  im  10. 
Jahrh.  n.  Chr.  hieraus  das  bekannte  Boissonade-Struve'sche  Gesetz 
hervorging:  Jeder  iambische  Trimeter  muss  paroxytonisch 
auslauten.  Ueber  diese .  Resultate  ist  seither  die  Forschung  nur 
insoweit  fortgeschritten,  als  Friedrich  Kuhn  in  seiner  gehaltvollen 
Abhandlung  Symbolae  ad  doctrinae  Trspi  oi/povcov  historiam  perti- 
nentes  (Breslau  1892)  p.  123 — 127  die  sehr  wenigen  durch  regel- 


1)  Vgl.  Wiener  Studien  8(1886),  282—314;  9(1887),  150  und  207—222; 
10  (1888),  50—92.  Byzantinische  Zeitschrift  7  (1898),  337—365.  Für  die 
Textkritik  ergaben  diese  metrischen  Forschungen  eine  nicht  unerhebliche  Aus- 
beute. Uebersehen  wurde  bisher  der  prosodische  Schnitzer  in  Georgios  Pisides' 
ilexaemeron  1527  xatx^tppa  xal  ^^oü?  üJcpsXoüat  xal  Tpi'ye;.  Lies:  ticppa  oe  xal 
-/oö;  (öcpeXoüat  -xat  Tpi)(e;.  In  demselben  Gedicht  1546  ist  nicht  mit  Hercher 
/. apxivoj,  sondern  mit  Quercius  -icap-itivoc  zu  schreiben.  (In  llercher's  kri- 
tischem Apparat  ist  aus  dem  Quercius  fast  ausnahmslos  ein  'Quincius'  ge- 
worden, wodurch  auch  ich  mich  einst  —  Wiener  Studien  8  (1886),  297  — 
täuschen  Hess).  Den  cäsur-  und  sinnlosen  Vers  des  Theodosios  Diakonos 
2,255  "OfATjps,  TconriTtüv  Xoyüjv  6  rfii  \>-d'/riz  habe  ich  Byz.  Zeitschr.  7  (1898), 
341  so  verbessert:  "ÜfATjpe,  TirjY')  t«Jv  Xoyüav,  6  ttj?  [J-aj^rj?.  Um  jeden  Zweifel 
;in  der  Richtigkeit  dieser  Emendation  zu  beseitigen,  verweise  ich  nunmehr  auf 
Georgios  Pisides,  de  exp.  Pers.  1,  66  "U,u.7)po?,  öv  X^youai  tctjytjv  t«üv  Xdyuiv. 
Den  Vers  des  Theodoros  Prodromos,  Catomyomachia  273  6  täv  itoprfvxojv 
ä^fzXZi   dYYeX{jiäTU)v    habe  ich  W.  St.  8    (1886),    287   emendiert:    6   t&v 


152  Isidor  Hilberg, 

widrig  accentuierte  Ausgänge  auffallenden  Trimeter  bei  Ignatios 
Diakonos,  Theodosios  Diakonos,  Christophoros  von  Mytilene  und 
Johannes  Mauropus  einer  kritischen  Besprechung  unterzog  und 
andererseits  ich  in  der  Byz.  Zeitschr.  7  (1898)  346  f.  nachwies, 
dass  innerhalb  des  Entwicklungsganges  des  Boissonade-Struve'schen 
Gesetzes  Theodoros  Studites  (8.  Jahrh.  n.  Chr.)  eine  eigenartige 
Stellung  einnimmt,  indem  er  im  Gegensatz  zu  Georgios  Pisides  den 
proparoxytonischen  Versausgang  verpönt,  ohne  jedoch  den  Accent 
auf  der  Endsilbe  des  Verses  gänzlich  zu  meiden.  Dass  aucli 
Georgios  Pisides  einige  ganz  vereinzelte  Verse  mit  accentuierter 
Endsilbe  aufweist,  hatte  ich  im  Princip  der  Silbenwägung  S.  271 
zugegeben.      Von    diesen  Versen  soll  zunächst  gesprochen  werden. 

Vor  allem  ist  Contra  Severum  519  «ütou  xe  TrptÜTov  sjxcpavoi; 
xatrjYopsT?  nur  eine  Schlimmbesserung  von  Quercius  statt  des 
überlieferten  xatTj^opst?,  welches  wiederherzustellen  ist,  wie  schon 
Princ.  d.  Silbenw.  S.  271  bemerkt  wurde,  wo  auch  Hexaemeron  782 
aXX'  zl;  op£;£t?  Trjxs-ai  xai  cpXs-^jxovas  die  richtige  Lesart  tts- 
(pXs-j'fisva?  aus  cod.  B  eingesetzt  wird.  De  expeditione  Persica  2,40 
aot  xal  TpaTTcC«  xal  rofiäxa  xat  xpocp;^  erweist  sich  schon  durch 
den  prosodischen  Schnitzer  als  corrupt  und  wurde  von  mir  in  den 
W.  St.  9  (1887),  212  so  corrigiert:  cot  xai  xpaTieCa  xal  xpocprj 
xal  ra)[iaxa. 

Dasselbe  Heilmittel,  nämlich  Umstellung,  ist  mit  Sicherheit  bei 
Georgios  Pisides  noch  viermal  anzuwenden,  u.  zw.  in  folgenden  Versen; 

Exp.  Pers.  1,  143  avsu  ^pacp^s  ji-opcptuaiv,  wz  aveu  OTiopa? 


zapdvTwv  äyyt'Koi  |i.r)vu(jioTU)v  und  zwei  Parallelstellen  zur  Unterstützung 
angeführt.  Ich  kann  jetzt  mit  einer  grösseren  Anzahl  aufwarten.  Vgl.  Theod. 
Prodr.,  Rhod.  et  Dos.  2,388  Tir/ptöv  peTr^Xöev  äfftXoi  [j. tj v u {jl et t tu v.  ibid.  9,475 
(jiuaTr^pttu§<üv  «YyeXo?  \xT^\\)^^.d■:w'^.  Nik.  Eug.  8,  249  oi7:X(üv  yäp  -^Xöev  äf- 
yeXoc  {x7)vu|ji«Tiuv.  Christus  patiens  1862  ooxei  61  xotvöiv  otYyeXos  piTjvu- 
[xatcDV.  ibid.  2386  öärrov  yäp  abxoi  öfyYeXos  [JirjvujjidTtuv.  In  derselben  Ab- 
handlung S.  307  verbesserte  ich  den  cornipten  Vers  Theod.  Prodr.,  Amicitia 
exulans  80  äXX'  üfx^at  Tevoüaa  toütoi?  üypoTTjC  so:  öXX'  tj  (jicatTE'jo'jaa 
TO'JTOic  bypoTTj?.  Ich  vergleiche  jetzt  einen  anderen  Vers  desselben  Dichters 
Rhod.  et  Dos.  4,483  xal  touc  (leaireuovToc  T^SeaSTj;  Trd&oo;.  Meine  Athetesc 
von  Hex.  1328  in  der  Byz.  Z.  7  (1898),  338,  1  ist  mittlerweile  durch  5  Hand- 
schriften bestätigt  worden,  vgl.  Sternbach,  de  Georgii  Pisidae  fragmentis  a 
Suida  servatis  p.  14,  n.  6. 


Teb.  d.  Accentuation  d.  Yersausgänge  i.  d.  iainbischen  Trimetem  etc.   153 

Lies:  OTr&pac  avsu.  Vgl.  bald  darauf  V.  146  "(patpr^?  aveu. 
Exp.  Pers.  1,236  r,f,  p-ev  Siaxsfxvsi?,  i:^  Se  ttjv  ßiav  xevou 
Lies:  xevoi?  8e  ttjv  ßtav. 

Exp.  Pers.  2,194  dXX'  su&u?  e^exo^'sv  r^  ci'cpst  Tsixtuv 
Lies:  T£jxo>v  $ic5ci. 

SiippJ.')  3,15  9^p«?  oi(üX£i?  £X  Travr^jiepou  oxottou 
Lies:  oxottou  7rav>3[xepou. 

Im  Princip  der  Silbenwägimg  S.  271  habe  ich  Hexaemeron  258 
als  corrupt  bezeichnet.  Vielleicht  gelingt  es  mir  diesmal,  den  Vers 
in  der  ursprünglichen  Fassung  herzustellen.  Die  Stelle  lautet  im 
Zusammenhang  so: 

u)  uLTjSsv  i'/ßpov  [iTjOS  Tipo?  «xa'xT'jv  xTiaa?, 
dfX'  (US  dtösXcpot?  o^xoo£a7r6T7]?  TcaxTjp 
£tp-/;voT:oi(T)v  xa?  Evavxiot?  9U(3£i$. 
Die    metrisch    unmögliche  Variante  Träxr^p  oixoSEaKoxTf]?  im  cod. 
B  beweist  nur,    dass    auch  der  Schreiber  dieser  Handschrift  (oder 
seiner  Vorlage)  es  für  undenkbar  hielt,  dass  Georgios  Pisides,  der 
sonst    in    diesem    seinem  längsten  Gedicht  das  Auslautgesetz  mit 
der  grössten  Strenge  befolgt,  dieses  eine  Mal  es  vernachlässigt  habe. 
(Ueber  782  xal  (pX£7|xova?  s.  oben  S.  152.  Hinter  158  steht  in  Quercius' 
Ausgabe  der  interpolierte  Vers:  u)S  OTjjxtoup^ov,  oj?  xxiaavxa  irav  ao^öi?). 
Den  richtigen  Weg   zeigt  uns  Heracl.  2,66  IttcI  Ö£  Travxas  oixoSe- 
a-oxou  ot'xTjv.     Ebenso  schreibe  ich  auch  hier: 

u)  fir^Ssv  iyßphv  [xyjSe  Ttpo^  V-'^'/Jf^  xxt'aa?, 
aXX'    (US  d^ehfäz  olxo^eaizoxou  oixyjv 
£tpr^voi:ot«)V  xa?  Evavxtots  «puasi?. 
Die  Ursache  der  Entstellung  liegt  klar  zu  Tage:   die  Häufung 
der  Vergleichungspartikeln  w?  und  oixr^v  erregte  Anstoss.     Mit  welch 
besonderer  Vorliebe  Georgios  Pisides  die  Clausula  ot'xr^v  gebrauchte, 
lehrt  die.  Stellensammlung,  welche  Sternbach  in  den  Wiener  Studien 
13  (1891),  25  vorführt. 

Mit  viel  geringerer  Zuversicht  urteile  ich  über 
Exp.  Pers.  1,68  xal  xou;  Xo^iajxou?  xr^  vsa^ooa-^^  cppEvo? 
ßX6Cü)V  £üapO£i  xai  iroxiCtuv  ixxp£«p£t. 


')  So  (=  Suppleraenta)  bezeichne  ich   die   von  Sternbach   in  den  Wiener 
Studien,  Bd.  13  und  14  veröffentlichten  Gedichte  des  Georgios  Pisides, 


154  Isidor  llilberg, 

Bie  Aenderimg  xa?  veaCouaa?  cppevas  würde  allein  nicht 
genügen,  aber  vielleicht  ist  mit  der  Conjectiir 

xai  Tot;  Xo^tojAoTs  ras  veaCouaa?  cppevas 
ßXuCtov  irzdipozi  xai  ttotiCcuv  ixxpEcpst 

in  der  That  das  Richtige  getroffen. 

Noch  unsicherer  ist  die  Herstellung  von 
Exp.  Pers.  3,96  xal  vGiv  at5r^pou;  avtl  Tropcpupa;  /ixdbv 
acpiYYSt  xa  vaixa  xal  ßapsT  xov  aoyiva. 

Die  naheliegende  Conjectur  xoct  vüv  yixwy  at'Sr^po?  avxl  Tiopcpupotc 
wird  weder  durch  die  sprachliche  Form  (yi-tuv  als  Apposition  zu 
aiOTjpo?)  noch  durch  das  Metrum  (Hephthemimeres  an  Stelle  der 
überlieferten  Penthemimeres)  empfohlen.  Es  ist  sehr  leicht  mög- 
lich, dass  Georgios  Pisides  hier  thatsächlich  sich  einen  oxytonischen 
Versausgang  hat  entschlüpfen  lassen,  denn  so  rigoros  wie  im 
Hexaemeron  war  der  Dichter  in  dieser  Beziehung  nicht  immer  und 
überall,  am  wenigsten  in  den  kleinen  Gedichten,  welche  Sternbach 
veröffentlicht  hat. 

In  Exp.  Pers.  2,66  ou.a>c  ouvtjXöov  wSTrsp  i$  opouc  xivoc  wird 
man  begreiflicherweise  den  Accent  auf  der  letzten  Silbe  gelinder 
beurteilen  und  ohne  weiteres  dem  Dichter  zutrauen.  Bemerkens- 
werter ist  es,  dass  er  allem  Anschein  nach  den  Wörtern  det  und 
Oeo?  eine  privilegierte  Stellung  eingeräumt  hat.  Die  Beweisstelleu 
für  otst  sind: 

Exp.  Pers.  2,96  v)  xaT;  dva-f/ai?  -zcd;  dvsYxXT^xot;  dst. 
Exp.  Pers.  3,331  out«?  8s  xd|xvei?  xal  luspixpij^st?  dsi. 
Bell.  Av.  131  '|"^XV  TropsXOeiv,  dXXa  ((5u)ar7T£ipa>v  dei. 

Die   fehlende    Silbe    habe    ich  W.  St.  9  (1887),  213  ergänzt. 
C.  Fr.  Müller,  Ignat,  Diac.  p.  8  n.  11  schiebt  xal  vor  andpaiv  ein. 
Suppl.  3,14  au  Traoav  6pY7]v  <ji>;  dvr^[xspou?  dst'. 
Suppl.  3,63  xouxtov  iywv,  xpdxiaxs,  X7)v  \lvr^\lr^v  dst. 

Nichts  wäre  leichter,  als  in  dem  zuletzt  angeführten  Verse  die 
Wörter  iymv  und  det  ihre  Stellen  tauschen  zu  lassen,  und  auch 
Exp.  Pers.  3, 331  könnte  man,  allerdings  mit  merklicher  Ver- 
schlechterung des  Verses,  umstellen  (ou«)?  dsl  xd[xv£ic  Ss  xal  rspi- 
zpiyzi;),  aber  welcher  besonnene  Textkritiker  würde  einem  solchen 
Verfahren  zustimmen? 


Teil.  d.  Accentuation  d.  Versuusgänge  i.  d.  iambkichen  Tiiiueteru  etc.  löö 

Für  &s6s  finden  sich  nur  zwei  Beweisstellen: 

C.  Sev.  482  av&ptoTro?  u)V  xsXsio?,  IvtsXtj;  Osd?. 
Suppl.  62,1  <ü  öau[x(z,  Oauua!  au^^evöi?  iyei  Oeo?. 

Während  in  diesem  Falle  die  Bedeutung  des  Wortes  eine  Recht- 
fertigung für-  dessen  exceptionelle  Behandlung  zu  bieten  scheint, 
fehlt  mir  jeder  Erklärungsgrund  für  die  Thatsache,  dass  auch  das 
Wort  p 07:75  zweimal  dieselbe  Begünstigung  geuiesst: 

Exp.  Pers.  1,  96  sjistvsv  dp-^ov  xav  ^ap  o^siav  poTiv^v. 
Suppl.  3,27  xal  TÖ;a  xsivci?  ix  cpiXav^pa>7rou  pour^?. 

In  den  beiden  Versen 

Exp.  Pers.  3,  223  6  aö?  Se  vou?,  d'piaxs,  Xsuxatvsi  xo  irav 
Suppl.  84 ""j  1  M(ü3f^?  'joßcixat  xal  i)3U)prj(3«t  x6  ^up 

mag  die  Einsilbigkeit  des  Schlusswortes  eine  Entschuldigung  ge- 
Avähren.  Aber  vergebens  suche  ich  nach  einem  „mildernden  Um- 
stand" in  folgenden  Versen: 

Exp.  Pers.  1,  181  ttoXXtj  8s  TTa^XdCouaa  psu[xdxa>v  ßor^. 
Suppl.  3,9  XTjv  ev&sov   cppovr^aiv  u[xveTv  su-ps-ss. 
Suppl.  65,  3  6  xov  Za/apiav  tT|?  dxsxvia?  dcpsi'?. 
Suppl.  77, 1  ^Xtuciaatc  xsXstot  xou;  dcTroaxoXou;  Trupo?. 
Suppl.  86, 1  f/   xüiv  doeXcptov  cuarsßsafxdxvj  ouds. 

Ein  Entschuldigungsgrund,  welchen  Friedrich  Kuhn  a.  a.  0.  p. 
124  für  ein  paar  regelwidi-ige  Versausgänge  bei  Tgnatios  Diakonos 
und  anderen  Dichtern  angeführt  hat,  lässt  sich  mit  gleichem  Recht 
(oder  Unrecht?)  verwenden  für 

Suppl.  3,  89  xd-^üj  fiexa  Trdvxwv  x/jv  xaXyjv  r^xxav  xcoOoiv. 

Mit  dem  Worte  -Kobiöv  schliesst  nämlich  das  ganze  Gedicht. 
Kuhn  meint,  und  vielleicht  hat  er  Recht,  dass  an  einer  solchen 
Stelle  der  irreguläre  Accent  dem  Schluss  der  Rede  Nachdruck  und 
Kraft  verleiht  und  somit  die  scheinbare  Nachlässigkeit  ein  rheto- 
risches Kunstmittel  ist. 

Suppl.  83,2  6  xpsi?  dXr^O(os  oüpotvou?  otaopajxtuv 

wird  man  das  minder  sinngemässe  Präsens  oiaxpe/wv  bloss  dem  Par- 
oxytonon  zu  Liebe  schwerlich  einsetzen  dürfen. 


156  Isidor  Hilberg, 

Dagegen  kann  ich  bei  dem  einzigen  noch  übrigen  Verse 
Suppl.  3,  36  xai?  T(ov  xpaxouvTwv  dTrpoasciai?  ttscov 
des  Verdachtes  einer  Verderbnis  mich  nicht  erwehren.     Man  lese 
nur  die  Verse  35 — 38  im  Zusammenhang: 

£t  7ap  TÖ  xotvov  TToXXaxi?  SttoXsto 
xais  Tu)V  xpaxouvKov  dTrpoae$tai?  ttsgov, 
xotl  vüv  xo  xoivov  £x  bzoo  aojöi^asxat 
xaic  xou  xpaxouvxo?  euasßo)?  sü-pa^tais. 
Wer  die  Vorliebe  des  Georgios  Pisides  für  parallelen  Bau  ein- 
ander entsprechender  Verse  kennt,    wird    sofort  auf  den  Gedanken 
geraten,    dass    V.  36  ursprünglich  mit  dem  Wort  drpossctctt?  schloss, 
entsprechend    dem    sÜ7:pa$tai;  in  V.  38.     Dann    erweist    sich   das 
nach  SitoXsxo  gänzlich  überflüssige  und  matte  Trsaov  als  ein  verfehlter 
Ergänzungs versuch    des  lückenhaften  Verses.     Vielleicht  wird  man 
mir    zugeben,    dass    folgende  Fassung  der  Verse  einigen  Anspruch 
darauf  erheben  kann,  im  Stile  des  Georgios  Pisides  zu  sein: 
El  '(Cf.o  XO  xotvov  TroXXdxt?  ouoXsxo 
xai^  xöiv  xpaxouvxtuv  (ousacßAc)  otTrpocJsSiai?, 
xal  vuv  xo  XOIVOV  sx  Osou  amdr^s&xai 
xais  xo5  xpaxouvxog.  suasßo);  su7:pa$tai?. 
Ein  Anapäst  im  5.  Fusse  findet  sich  bei  Georgios  Pisides  zwar 
nur  noch    an    drei    Stellen  (Hexaemeron  1306  und  1664.     Contra 
Severum  253),  aber  überall  unanfechtbar  bezeugt.     Wie  stark  das 
Streben    nach    Umformung    13  silbiger  Verse    in    12  silbige  in  der 
Ueberlieferung   des    Georgios    Pisides    hervortritt,   habe  ich  in  den 
Wiener  Studien  8  (1886),    293  fl".    und  9   (1887),  207  ff.  nachge- 
wiesen.    Vgl.  auch  Byz.  Zeitschr.  7  (1898),  339. 

Das  Resultat  der  bisherigen  Erörterungen  ist,  dass  die  geringe 
Zahl  der  bei  Georgios  Pisides  überlieferten  oxytonisch  oder  peri- 
spomenisch  auslautenden  Trimeter  zwar  durch  einige  sichere  oder 
mindestens  sehr  wahrscheinliche  Emendationen  noch  weiter  einge- 
schränkt werden  kann  und  muss,  dass  aber  an  eine  gänzliche  Be- 
seitigung dieser  Irregularitäten  nicht  zu  denken  ist.  Wir  müssen 
uns  mit  dem  Gedanken  vertraut  machen,  dass  selbst  dieser  form- 
vollendetste byzantinische  Dichter  in  diesem  Punkte  hier  und  da 
eine  kleine  Nachlässigkeit  beging. 


l'eh,  (1.  Acceutuation  d.  Versausgängc  1.  d.  iainbischen  Trimetem  etc.   157 

Ich  wende  mich  nunmehr  zu  dem  zweiten  und  weitaus  wich- 
tigeren Teile  meiner  Untersuchung,  welcher  die  pro paroxy to- 
nischen Versausgänge  bei  Georgios  Pisides  betrifft.  Dass  diese 
gegenüber  den  paroxy  tonischen  Versausgängen  sich  in  ganz  ent- 
schiedener Minorität  befinden,  lehrt  schon  die  oberflächlichste  Be- 
trachtung. Bei  genauerer  Untersuchung  stellt  sich  heraus,  dass 
zwischen  den  einzelnen  Gedichten  hinsichtlich  der  Frequenz  der  pro- 
paroxy  tonischen  Versausgänge  sehr  bedeutende  Unterschiede  bestehen. 
An  den  Endpunkten  der  Reihe  stehen  einerseits  das  Gedicht  Suppl. 
1,  welches  unter  121  Versen  keinen  einzigen  proparoxytonisch  aus- 
lautenden aufweist,  andererseits  das  Gedicht  Suppl.  3,  welches  unter 
89  Versen  33  proparoxytonisch  auslautende  bietet.  In  der  folgenden 
Tabelle  sind  alle  grösseren  Gedichte  des  Georgios  Pisides  (von  den 
aus  nur  wenigen  Versen  bestehenden  musste  natürlich  abgesehen 
werden)  nach  den  Frequenzziffern  in  aufsteigender  Reihe  geordnet: 

Suppl.  1.     121  —0  =  0  Procent. 
Contra  Se verum.     726  —  21  =  2-89  Procent. 
Hexaemeron.  1894  (1910)  —  85(87)  =  4-48  (4 -55) Procent'). 
De  vanitate  vitae.     262  —  17  =  6-48  Procent. 
Heraclias  II.     230  — 16  =  6-95  Procent  =') 
Ileraclias  I.     241  —  18  =  7-46  Procent. 
Suppl.  2.     116  — 9  =  7-75  Procent. 

In  lesu    Christi  resurrectionem.   129 — 11  =  8«52  Proc. 
Suppl.  4.  168  —  20  =  11-90  Procent. 
Bellum  Avaricum.     541  —  76  =  14-04  Procent'). 
De  expeditione  Persica  I.    252  —  50  =  19-84  Procent. 
De  expeditione  Persica  III.    461  —  114  =  24-72  Procent. 
De  expeditione   Persica  II.    375  —  94  =  25-06  Procent. 
Suppl.  3.     89  —  33  =  37-07  Procent. 

Aber  nicht  bloss  die  relative  Frequenz,  auch  die  Verteilung 
der   proparoxytonisch en    Versausgänge    bewegt    sich  zwischen  weit 


1)  Die  erste  Zahl  nach  Hercher,  die  zweite  nach  Quercius.  Hierbei  ist 
V.  154  die  richtige  Lesart  {j-^^vib  xpaTo6(j.eva  eingesetzt,  V.  1026  und  1047  der 
falsche  Accent  des  Schlusswortes  corrigirt.     Ich  citire  stets  nach  Hercher. 

2)  V.  73  lies  Sxuöoxpdcpo«. 
')  V.  204  lies  ^xuSoxpotpoi;. 


158  Isidor  Ililberg, 

auseinanderliegenden  Extremen.  Während  einerseits  das  Dichtig- 
keitsminimiim  in  der  Stelle  Hexaemeron  Iß — 154  erreicht  ist,  wo 
zwei  proparoxytonische  Versausgänge  durch  137  paroxy tonische 
von  einander  getrennt  sind  (am  nächsten  kommt  Hexaemeron 
1487 — 1622,  wo  das  Intervall  134  Verse  beträgt),  linden  sich  anderer- 
seits ziemlich  häufig  unmittelbar  hintereinander  zwei,  mehrfach  drei 
(Suppl.  61  besteht  sogar  lediglich  aus  drei  proparoxytonisch  aus- 
lautenden Versen),  ja  dreimal  (Exp.  Pers.  2,  140—143;  3,  178—181 
und  263 — 266)  sogar  vier  proparoxytonische  Versausgänge. 

Auf  dem  Wege  der  blossen  Zählung  ist  hier  wde  in  den 
meisten  Fragen  der  Verstechnik  ein  Resultat  nicht  zu  erreichen. 
So  greife  ich  denn  abermals  zur  analytischen  Methode,  die  mir 
schon  so  manches  Dunkel  erhellt  hat,  und  eliminiere  zunächst,  aus 
der  grossen  Masse  der  proparoxytonisch  auslautenden  Verse  alle 
jene,  bei  welchen  es  nicht  möglich  ist,  durch  blosse  Aenderung  der 
Wortfolge  einen  paroxytonischen  Ausgang  zu  erzielen. 

Wir  haben  uns  also  nicht  zu  beschäftigen 

1.  mit  solchen  Versen,  welche  überhaupt  kein  Paroxytonon 
enthalten,  z.  B. 

Exp.  Pers.  1 ,  17  am  yjLo  -s-oiOw^  6  ßafJiXsu?  ^rposta-yfiaTt, 

2.  mit  solchen  Versen,  bei  w^elchen  die  Umstellung  prosodische 
Schnitzer  erzeugen  würde,  z.  B. 

Exp.  Pers.  1,16  xr^^  ar^^  Ivsan  au^Ypotcpstv  ta  dotufictia, 

3.  mit  solchen  Versen,  bei  welchen  die  Umstellung  Spondeen 
in  gerade  Versfüsse  bringen  würde,  z.  B. 

Exp.  Pers.  1,26  vöiv  TrpoaxuveiTai  xal  -aXtv  ixaaTi'Cstai, 

4.  mit  solchen  Versen,  bei  welchen  die  Umstellung  einen  Htatus 
erzeugen  würde,  z.  B. 

Exp.  Pers.  2,  104  wq  zU  a<p'    utxwv,  irpo?  tovou;  OTrXt'Coiiai, 

5.  mit  solchen  Versen,  bei  welchen  die  Umstellung  Cäsurlosig- 
keit  erzeugen  würde,  z.  B. 

Exp.  Pers.  2,  35  O'.ttf^s  afiapiojv  iXirioo?  xpiOirjaoixat. 

Zur  letzten  Kategorie  gehört  auch  der  Vers 

Exp.  Pers.  2,  257  xXiaa  oia-pt']>ac  auvtoixtu?  o  ßapßapo?, 

denn  bei  der  Umstellung 

6  ßapßapo?  xXtjxa  SiaTpit];«?  auvtofi«)? 

ist  eine  eigentliche  Cäsur  nicht  vorhanden. 


üeb.  d.  Acccntuation  d.  Versausgänge  i.  d.  iambischen  Trimetern  etc.   159 

Dass  Georgios  Pisides  in  bescheidenem  Masse  auch  drei- 
silbige Füsse  zulässt,  ist  bekannt.  Aber  niemals  gestattet  ersieh 
die  fünfte  Hebung  aufzulösen.     Somit  ist  bei 

Exp.  Pers.  2,  170    ttXtjv  oux  aTTSUo?  toui  Trava^tou  rcvsuixotTo; 
die  Umstellung 

ausgeschlossen. 

Aber  nicht  bloss  solche  elementare  Forderungen  der  Metrik  ver- 
wehren die  Umstellung,  sondern  auch  nicht  minder  elementare 
Forderungen  der  Syntax.  So  ist  es,  um  auch  dafür  ein  Beispiel 
anzuführen,  unmöglich,  dem  Verse 

Exp.  Pers.  1,25  8;  si?  iXs-f/ov  -ou  lAdvou  asßaapiaxo^ 
durch  die  Umstellung  Ocßdafia-oc  iiXavou  zu  einem  paroxytonischen 
Ausgang  zu  verhelfen. 

Durch  die  Eliminierung  all  dieser  Verse,  bei  welchen  die  Un- 
möglichkeit der  Umstellung  auf  den  ersten  Blick  einleuchtet,  bahnen 
wir  uns  den  Weg  zur  Erkenntnis  der  Normen,  welche  Georgios 
Pisides  in  jenen  Fällen  befolgt  hat,  in  welchen  eine  Umstellung 
metrisch  und  syntaktisch  möglich  war. 

Die  erste  Regel  lautet:  Hat  Georgios  Pisides  die  Wahl 
zwischen  paroxytonischem  Versausgang  in  Verbindung 
mit  Hephthemime.res  und  proparoxytonischem  Vers- 
ausgang in  Verbindung  mit  Penthemimeres,  so  ent- 
scheidet er  sich  für  proparoxytonischen  Versausgang. 

So  erklärt  sich  die  Wortstellung  folgender  Verse: 

De  expeditione  Persica. 

1, 130  OTTOu  8s  ■matte:  ■KapMvo?  Trpoffspvexai 
1        ;j         4  5  2 

1,  208  Tfxrjdsv-ccc  ouSkv  ttjv  couatv  xrjv  appsva 

3  4         ö       '    G         1  2 

1,  232    xeVOt    TS    TTOXVCo;    TTJV    ßtOtV    XOU    TTVEUflOlTO? 

3        4  5  6         7         1  2 

2,  83     -oppa)9sv  s-f/Us  TOI?  SXoi?  opwixsvot 

2  :^  4         5  1 

3,  ir)4  pt']^aa7ris  «oaTtep  supsByj  xh  BeuTspov 

.S  4  5  12 

3,179  OEivov  Ti  ToXfxav  Ix  ßi'a?  ßo'jXeusTat 

2  li  4  5        G  1 


160  Isidor  Hilberg, 

3,  234  xairvou  8e  ■kokkol<;  au-f/uJöi?  Trotoutxsvo; 

2  3  4  ö  1 

3,  248  {jLETsujpo?  r^pbT^  x%  ßta  xou  acpqixaTo? 

3  4        5       6*        1  2 

3,  324  xuxXtuöiV  auxou  7:poß>^S7:a)V  to  Troi'fxviov 

3  4  5  12 

In  diesem  Verse  wird  allerdings  die  Umstellung  schon  durch  das 
von  mir  in  der  Byzantinischen  Zeitschrift  7  (1898),  337 — 365  nach- 
gewiesene Accentgesetz  der  byzantinischen  lambographen  verwehrt. 
3,  389  TToiEi?  8e  ttjv  -(r^v  Iv  [istjo)  [xsTapatov 

.    2  (1)      3        4       5       6         7  1  (2) 

3,  455  Tzdarx  ok  orapxö?  ocYpuo;  xa^airrsTat 

2  (1)        3  4  5  1  (2) 

3,  461  xpfjCoucJtv  auTTi?  eU  Ssov  ta  irpaYiiaTot 

3  4         5         6         1  2 

In  lesu  Christi  resurrectionem. 
50  rsi&oT  TS  [xrj'vu?  To5   Ä670U  xo  oapixctxov 

3  (1)  1(2)     '  2  (3) 

63  alXXouöav  sivai  tuiv  oXtuv  dvaataaiv 

'        2  3  4  5  1 

De  vanitate  vitae. 
91  OpiQvw  -^sXuiv-t  }X7]  tjßsaoi  xo  TTOtqVtOV 

5*3  4612 

Contra  Severum. 
560  8sov  "/ap  YjfAa?  ou  X670)  xou?  [lapxupot» 

3         4  5         6         7  1  2 

Hexaemeron. 

427  aptü)  8e  {iixpto  xou?  vojiou?  ßiaCexat 
13  4*5  6  2 

530  xal  ufi  }xsv  ix  773;,  ei  OeXei?,  ixsxapaiov 
1245678  3 

846  TTSiost  8s  XajxTcstv  iv  Cocpu)  x6v  ^Xiov 

3  (1)      4  5  6         7        1  (2)      2  (3) 

1423  yuXot  ydp  dcsi  xal  uspYj  xoi3  xxi'afxaxo^ 

3  4         5         6         7  1  2 

1801  iropvrj  8^  psidpon;  oaxpucuv  ßairxi'Csxat 
2        3  4  5  1 

Supplementa. 
3,  12     y-v>5H'-'fi  7°^?  «^xa?  xal  Tdysi.  Oijpwfjievoc 

2  3  4  5  6  1 

3,  66     ocuxTJpa  XT|?  ar^;  iXirtoo?  xo  osuxspov 
345         6         1         2 


Veh.  d.  Accentiiation  d.  Versausgänge  i.  d.  iambischen  Triraetern  etc.    Jßl 

3,  70     Trptur^v  Yap,  oi[i,ai,  atu^povcu?  IxpurTSxo 

2  3  4  5.1 

4,  153  cis^ovTs?  ufia?  ix  Xoyojv  tö  Soutepov 

3  4        5  6         12 

In  Widerspruch  mit  dieser  Regel  scheint  zu  stehen  Bell.  Av.  237 

TO}A(ü-spov  xpiyooaoLv  daxpaTi^?  xd'/ooq. 

4  2  3  1 

Aber  der  Dichter  fühlte  gar  wohl,  dass  er  das  für  den  Sinn 
vollkommen  entbehrliche,  nur  den  Vers  füllende  Wort  xdiy^otj^  un- 
möglich an  den  Anfang  stellen  konnte.     Auffallender  ist  C.  Sev.  152 

uTToataatv  Xe'couat  xoiv  tpimv   jxiav 

5  2  :j  4  1 

Aber  die  Zusammenrückung  gegensätzlicher  Zahlwörter  ist  be- 
kanntlich stehender  Gebrauch. 

Ist  nun  gar  die  durch  die  Umstellung  bewirkte  Hephthe- 
mimeres  nur  eine  Schein cäsur,  so  w^rd  sie  schon  aus  diesem 
Grunde  von  Georgios  Pisides  vermieden,  wie  folgende  Verse  lehren : 

De   expeditioue  Persica. 
1  44     £cp'   oU  3i'   Tjfxöiv  C^JfJ-tav  ucpi'axaaai 

12  4  5  6  3 

2,  21     TcavTs;  upo?  6}ias  eu&sa)^  aTrsßXsTrov 
2  3  4  5  1 

2,  154  Tupoau)  tb  peijfjia  cjuvroji,«);  u)öou(j.£vov 

2         3  4  5  1 

3,  117  TTOcXtv  8i'  fjjxa;  irpb?  cpovou;  oitXrCexai 

2        3         4  5  6  1 

3,  142  del  Tcap'   aöxoT?  efs  v6[iov  [isötuxaxai 

13  4  5  6  2 

3,  327  et  TTcu;  Trap'   aux&v  dpTrdaoi  x6  Tiotaviov 
12  5  6  7  3  4 

3,  430  xpotxstv  xa  ' Pa>jx-/j?  eU  xsXo;  -cEtupita  • 

2  3  4  5  6  1 

Bellum  Avaricum. 
140  TTxoJai;  xax'   l}(Opo)v  suOsw?  Iyivsxo 

2  3  4  5  1 

332  Or^^etv  xaö'   Tjfituv  xb  cupo^  xb  ßdpßapov 

3  4  5         6         7  1  2 


In  lesu  Christi  resurrectione 


m. 


17  xotl  irup  8t'  fjfi.a?  xtq  8p6au>  xspdvvuxat 
12      4         5        6         7    '  8 

FetUcbrift   Vahlcu.  11 


\Q2  Isidor  Hilberg, 

Hexaemeroii. 
676  xai  Ttu)?  TÖ  psuaxöv  xo5  arzopou  Tra^uvstai 

12       4  5  6  7  3 

Supplementa. 
4,  43  xal  irav  xö  {jiaxpov  TcXr^aiov  XoYi'Csxai 

12       4  5  6  3 

4,  63  oatü?  xo  XuTTOuv  -fj  cj/so'.?  ßia'Cexai 

1  ;{  4         5  6  2 

Eine  zweite  Regel  lautet:  Hat  Georgios  Pisides  die  Wahl 
zwischen  paroxytonischem  Versausgang  in  Verbindung 
mit  bloss  formeller  Penthemimeres  und  proparoxy toni- 
schem Versausgang  in  Verbindung  mit  wirklicher  Pen- 
themimeres, so  entscheidet  er  sich  für  proparoxytoni- 
schen  Versausgang.  So  erklärt  sich  die  Wortstellung  fol- 
gender Verse: 

De  expeditione  Persica. 
1,  201  x6  ttX^Oos  e?c   sv  euxovu)?  aovi-pzyev 

2  3  4       5,6  1 

1,  214  xotl  xr)v  d<pop\ir^v  auvBpauot  xoi>  TTpayiACtToc 

3        4  5  6   '  1  2 

1,  249  xal  xaiv  xosouxtüv  xufjiaxtuv  dcprjpraaas 

2         3  4  5  1 

2,89     xal  x^c  SaaiXsioi»  6  xpoTio?  auviQpixoasv 

2         3  4  5  6  1 

2, 182  x6  aol  irapaaxav  eu&s«);  auvsopajxev 

2       3  4  5  1 

2,  238  xal  xous  dirt'cfxou;  ßapßdpou;  icpsXxsxai 

2  3  4  5*1 

2,  295  xoi?  dXXocsuXois  sixoxtu?  axpaxcUfxaatv 

2  '3  4  1 

2,317  x6  cjcTCXov  aux(i5  xal  ©i'Xov  xal  Tcdxpiov 

1  4  5  6*7       3  2 

3,  110  irpöc  tac  dva^xa?  TjSsto?  ETuöqsxai 

2        3  4  5  1 

3,  140  xal  aü}A{jLa-/oövxav  Ssixvustv  d^vcufjLOva? 

2  3  4  1 

3, 188  xals  (jat;  coaXa^^i  ouv  ooXo)  iroioufASVo? 

2  3*4  56  1 

3,  219  xa  vaixa  xoT?  ou  oJxsxat;  dixEaxpstpov 

2         3  4         5  6  1 

3,  265  xa  jiev  Tipo?  utj^o;  Ix  ßdÖou;  dvip/exat 

2       3  4  5         6  7  1 

3,  427  xal  ahv  oxpaxrfpv,  «>^  HsXsi?,  SiaTrXaoiv 
•i         .)  4  5  C  1 


Ueb.  d.  Accentuation  d.  Versausgänge  i.  d.  iambischen  Trimetern  etc.  163 

Bellum  Avaricum. 
179  T^?  cp^?  irpo^XBev  f,  (^ian  Tot>  irveufiato; 

3         4  5  6        7         1  2 

316  T^?  7Tj?  6  TCuOfjfijv  ßapßa'pou?  avsTrXaasv 

2         3      4         5  6  1 

316  xa  xoiva  öuv  ool  xwv  ttovcdv  sßaaiacjav 
2         3  4        5         6  7  1 

437  td  vÄTtt  xfjC  '(T^q  eucpopto;  ißaatacfsv 

2         3  4         5  6  l 

Heraclias. 
1,40    Twv  a?y(xa^(i)Tü)V  ou  ßpust  xö    Saxpuov 

3  '4  5         6         12 

Die  Umstellung  ou  xö  Sa'xpuov  ßpust  ist  syntaktisch  unmöglich. 

De  vanitate  vitae. 
88  auv  x(o  0£pi{j|x(j)  xou  )(p6vou  |xapaiv£xott 

2       3  4*56  1 

Hexaemeron. 
392     x^  TrXyjdfiov^j  8s  xrj?  [Asdr]?  xapotxxexat 

2-3450  l  ■ 

1013  xou  Ttopcpupitüvos  fj  cpüats  ßöeXuxxexat 

2  3  4   '     6  1 

Supplementa. 

3, 58      XT]V  i:toxiv  ea)(s?    xtov  cpovtov  cpovsuxptav 

2  3  4  5  6       .   '         1 

3,  79      Trpö?  XYjv  ^ot^vTjv  ^x'   sj(£iv  xd  irpa'^fxaxa 

3  4  5  6  7         1  2 

3,  88      XÖ  '  ^vtudi  cfauxöv'   efxoxo)?  iraiSeuofiat 

2  3  4  5  1 

4,  160    x«>v  (jaiv  Ss  Ssi'cot  acpaXfxaxwv  xa^a'pcjtov 

2  3       4         5  6  1 

Die  Umstellung    xoiv  aSiV  xaOapatov   8s  osi^ot   acpaXfxaxwv  wird 
durch  die  erste  Regel  verwehrt. 

38, 1    xctt  [xixpö?  daxTjp  8£ixvust  xöv  >jXiov 

3  4  5  6  13 

103,  2    xö  cp5?  'Ir^oouc  iv  -zd^pio  xaOiaxotxai 

2        3  4  5  6  1 

Fragmenta. 


.')0  Trpoc  xouc  a^Wifou?  expaTx/j  xou    1  qpiooc 

3  4  5  6  12 


11 


.164  Isidor  Hilberg, 

Die  Ueberlieferung  schwankt  zwischen  Tt-ypr^-o?  und  TqpiSo;. 
Ich  habe  bereits  in  den  Wiener  Studien  9  (1887),  220  meine  An- 
sicht begründet,  dass  der  Vers  ursprünglich  lautete:  irpös  xou; 
«Yto^oü?  Tou  TqprjTo;  ixpaTtTj.  Sternbach,  de  Georgii  Pisidae  frag- 
mentis  a  Suida  servatis  p.  41  hat  mich  nicht  widerlegt. 

Unter  denselben  Gesichtspunkt  (nämlich  die  zweite  Regel) 
fällt  auch  der  Vers  Exp.  Pers.  1,  87 

au  ravxö?  avüou?  ix^s^iQ  xo  j^pi^aifiov. 

3  4  5  6  12 

Denn  es  ist  leicht  einzusehen,  dass  ein  grosser  Unterschied 
besteht  zwischen  einer  Wortstellung  wie 

T^  5(pr^cJtpiov  au  ||  iravio?  avöou;  £xX£7i{j 
und 

Exp.  Pers.  2,270  avTiatpscpei?  au  i|  8i7rpoaa)7:(j>  ax>j}AaTi 
C.  Sev.  201  8  70UV  Xs^sts  au  ||  auvSsSoaöott  xoT?  Tzdikai 
C.  Sev.  643  (j-tj  -tu?  acpaX-^?  au  ||  ouaasßr^fAotai  irXa'vr^; 

Dass  auch  die  accentuierte  Endsilbe  von  iravTo;  die  Umstellung 
verwehrte,  wird  uns  bald  die  Besprechung  von  Bell.  Avar.  468  lehren. 

Ein  sehr  ähnlicher  Fall  wie  in  dem  soeben  besprochenen  Verse 

Exp.  Pers.  1,  87  liegt  vor  Exp.  Pers  1, 101 

Yj  t5v  xaX«>v  ofou  xspTTvoTr^s  dTn^Y°'Tsv. 
5       3  4  2  6  1 

Wir  gelangen  nunmehr  zu  jenen  proparoxytonisch  auslautenden 
Versen,  bei  welchen  die  einen  paroxytonischen  Ausgang  erzielende 
Umstellung  durch  keine  der  beiden  aufgestellten  Regeln  verwehrt 
wird.     Der  interessanteste  unter  diesen  Versen  ist  Bell.  Avar.  468 

aXkoi  8e  vexpöv  eU  uStup  fiijxoufisvo; 
4         2  .S  5  6  1 

■^XTTiCe  «su^eiv. 
Hier  ist  die  überlieferte  Wortfolge  um  so  auffallender,  als  die 
Worte  Ei;  uocup  rjXTriCe  cpeu^etv  eng  zusammengehören.  Aber  es  ist 
nichts  zu  ändern.  Bei  der  Umstellung  jAttxoujievo»  0^  vsxpov  oXXo; 
ek  u6u>p  erhalten  wir  eine  accentuierte  Endsilbe  in  der  Heph- 
themimeres.  Ich  habe  in  der  Byzantinischen  Zeitschrift  7  (1898) 
337 — 365  nachgewiesen,  dass  die  byzantinischen  lambographen  accen- 
tuierte Endsilben  in  der  Hephthemimeres  (abgesehen  von  dem  durch 
nachfolgende  Enclitica  bewirkten  Nebenaccente  und  ungefügen  oder  un- 


l'eh.  d.  Aocontuatiuii  d.  Vorsausgäiige  i.  d.  iainbischen  Trimetern  etc.    165 

griechischen  Eigennamen)  nur  dann  zuliessen,  wenn  in  demselben 
Verse  eine  Penthemimeres  vorhergeht.  Wir  sehen  nunmehr,  dass 
Georgios  Pisides  ungeachtet  der  vorhergehenden  Penthemimeres  den 
Accent  von  der  llephthemimeres  fernzuhalten  bemüht  war  und 
diesem  Zweck  sogar  die  natürliche  Wortstellung  und  den  paroxy- 
tonischen  Versausgang  opferte. 

Es  ist  nur  natürlich,  dass  ein  Dichter,  welcher  im  Bau  der 
Verse  so  strengen  Regeln  folgte,  auch  die  Concinnität  des 
Satzbaues  streng  wahrte.  Dadurch  erklärt  sich  die  Wortstellung 
in  folgenden  Versen: 

Exp.    Pers.  1,238  yts  wi  öaXatTTj?  xov  aaXov  xatloßsaa? 

^  2         3  4  5  6  1 

Die  Concinnität  verlangte  hier  die  Unterbringung  der  formel- 
haften Verbindung  77^;  xai  daXattr^?  in  einer  Vershälfte. 

Exp.    Pers.  2,  359  zh^f^  6s  {xoyOoiv  xai  fiaxTjv  Trovoufisvo? 

""  2  1 

Offenbarer  Parallelismus. 

Bell  Avar.  5  xoxu)  tö  irpa>Tov  xai  [xaj^TQ  xo  Seuxspov 

•^      1         2 

Desgleichen.     Vergleicht  man  nun  noch  folgende  Verse: 

Bell.  Avar.  lOO-TreiOoi  xa  Trpioxa  xai  X6'(w  xa  Seuxepa 

Hexaem.  1339  zl  xai  xo  Trpoixov  xai  Tra'Xiv  x6  Seuxepov, 

3        1  2 

so  wird  man  einsehen,  dass 

C.  Sev.  454  x6  ^rp&xov  ottXoi?  xai  Xo^ot?  xö  Seuxspov 

3        1         2 

zu  ändern  ist  in 

ozXoi?  xo  upoixov  xai  X0701?  xö  Seuxspov, 

nicht  etwa  in 

xo  Ttpoixov  ottXoi?  xai  xh  Ssuxspov  Xo-^ot?. 

Ein  schönes  Beispiel  von  Parallelismus  bieten  auch  die  beiden 
Verse  Contra  »Severum  635—636 

Xeirpou?  xaOatpst  xai  ÜsXtuv  paTrt'Csxai' 
2  1 

.  vexpoü«  i^sipet  xai  xa'cpq)  rrpoaepyexot. 
2  1 


166  '  Isidor  Hilherg, 

Aber  der  erste  dieser  beiden  Verse  ist  durch  eine  leichte  Cor- 
ruptel  entstellt.     Georgios  Pisides  schrieb  unzweifelhaft: 

XeTrpou?  xaöai'pei  xai  OeXtov  ßaTrxiCsiai. 

Vgl.  Evang.  Matth.  3, 13—15. 

Unter  denselben  Gesichtspunkt  des  Parallelismus  fällt  auch  die 
Wortstellung  des  Verses 

Hexaem.  175  Xepoüßlu,  «p-/ai  xal  9p6vu)v  aTpaxeujxaxa. 

2  1 

Lesen  wir  nun  Hexaem.  1248 

TpuY(^  xa  cpuXXa,  xr)v  xpu^ryv  8s  ßoaxexai, 

3  4  2  1 

SO  stört  uns  sofort  die  Wahrnehmung,  dass  hier  durch  die  Wahl 
des  proparoxytonischen  Versausganges  der  Parallclismus,  wck-lien 
der  Dichter  so  sehr  liebt,  nicht  erzielt,  sondern  aufgehoben  wird. 
Schon  wollen  wir  zur  Conjectur  greifen,  aber  ein  l^lick  in  llcrcher's 
kritischen  Apparat  belehrt  uns,  dass  der  Codex  B  die  ursprüngliche 
Fassung  bietet, "  nämlich : 

tpu^a  xa  cpuXXa,  ßocfxsxai  os  xtjv  xpuY>3V. 

Auf  dem  Streben  nach  Parallelismus  beruht  auch  die  Wort- 
stellung des  Verses 

Suppl.  2,  79  ^xXa'ßov  cpoveuet  xal  kolKiv  cpoveusxai. 

In  einigen  Fällen  wählte  Georgios  Pisides  die  proparoxytonisch 
auslautende  Wortstellung,  um  ein  nachdrücklich  betontes  Wort 
hervorzuheben.     Hierher  gehört  zunächst  Exp.  Pers.  2,325  ' 

0(xixpou  TTovou  Se^)  paSi'ou  x£  7:pa'7fxaxos 
'3        2  1 

Tiovouc  xooouxou?  Eli  jxaxr^v  r^XKa^axo. 

Wäre  es  dem  Dichter  bloss  auf  den  Parallelismus  angekommen, 
so  hätte  er  auch  parox\  tonischen  Versausgang  verwenden  können, 
allerdings  mit  Verzicht  auf  das  o  von  ajxtxpo'j.  nämlich:  ttovou  os 
jitxpoö  Txpa'Yjxaxo;  xs  pa5tou.  Aber  die  Voranstellung  der  Attribute 
wurde    durch    den    Gegensatz    zu    dem    folgenden   txovou?  xosouxw; 


')  So  lese  ich  nach  Bekker's   Conjectur  statt  des  prosodisch  fehlerhaften 
84  Kövou. 


l'eb.  d.  Aoooiituatidii   d.   \  t'rsatisüäiific  i.  (I.  ianiliiseheu  Triineterii  etc.    167 

empfohlen.  Fast  scheint  es,  als  ob  auch  die  Wahl  der  Form 
aaixpou  statt  der  alltäglichen  jir/pou  demselben  Zwecke  der  Hervor- 
hebung dienen  sollte. 

Analog  verhält  es  sich  mit  der  Wortstellung  in  Exp.  Pers. 
3,11.     Die  Stelle  lautet  im  Zusammenhang  (3,9 — 12)  so: 

xal  <l)oißo;  Tjfiiv  suaeßyj;  TTpoep/stai 
Travrct;  xaOatpo)V  1/  xaöapai'ou  Xo'/oi»* 
Tou  Ao^i'ou  6e  tou;  opous  ßSsXuTTsxai 

5  6  2        3  4  1 

Es  ist  klar,  dass  die  Voranstellung  der  Worte  -ou  Aoci'ou  (und 
somit  auch  der  proparoxytonische  Versausgang)  durch  den  Gegen- 
satz zu  dem  vorhergehenden  Ooißo;  bewirkt  wurde. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  Contra  Severum  633: 

TsOotjifisvov  }isv  Saxpuet  xov  AdCapov, 

3  3  4  12 

CtüoT    OS    TOUTOV    T«>V    JJLsXÖiV    ÖOU)8oT(OV. 

Die  gegensätzlichen  Wörter  sind  hier  TsOajifAEvov  und  Cwoi. 

Ein  eigenartiger  Fall  liegt  vor  in  dem  Verse  Suppl.  39,  4: 

ov  dvtl  -Jidvtoiv  Trpoacpspet  aoi  ^sp^to? 

3  2  1 

Es  ist  der  Schlussvers  einer  poetischen  Dedication  einer  von 
Sergios  errichteten  Muttergottes-Kapelle.  Der  Name  des  Dedicanten 
konnte  thatsächlich  nirgends  passender  angebracht  werden,  als  ganz 
am  Schlüsse,  gewissermassen  als  Unterschrift. 

Ganz  vereinzelt  sind  die  Fälle,  in  welchen  der  proparoxytonische 
Versausgang  auf  das  Streben  nach  Deutlichkeit  zurückzuführen  ist. 
Ich  kenne  hiefür  nur  drei  Belege.  Der  erste  Beleg  ist  Exp. 
Fers.  1,70: 

iX£V£t    T£     TrXrjpTj?     TZoXkd'Al^    X£V0UJ1£V0? 
5  2  4  3  1 

Die  andere  Wortstellung  hätte  geradezu  zu  der  falschen  Auf- 
fassung verleitet,  das  TCoXXdxt;  gehöre  nicht  zu  xevoyjxsvos,  sondern 
zu  ^Xr^p/j;  jxsvEi. 

Der  zweite  Beleg  ist  Suppl.  3,  69: 

Oäixvu?  ixEi'vrjv  Tq)  xpdxsi  aou  auvOpovov. 
3        4         a  1       . 


168  Isidor  Ililberg, 

Wie  es  scheint,  bezweckt  die  vom  Dichter  gewählte  Wort- 
stellung die  Verhütung  des  Missverständnisses,  dass  exsivr^v  und 
auvöpovov  zu  einander  im  attributiven  Verhältnisse  stehen, 
während  dieses  thatsächlich  prädicativ  ist. 

Der  dritte  Beleg  ist  Suppl.  4,  53: 

■yevotj  Trpö?  "/jfiä?,  xal  ßXsTrei  tov  r^\lO'v 

3  1  2 

'Ptoar^C  6  x63[jio?. 

Es  sollte  verhindert  werden,  dass  man  'Ptoiir^?  statt  auf  xhv 
TJXiov  auf  6  xöajio?  beziehe. 

Nunmehr  sind  alle  umstellbaren  proparoxytonisch  auslautenden 
Verse  erledigt.  Ich  war  nicht  genötigt,  auch  nur  einen  einzigen 
Vers  durch  Conjectur  zu  ändern,  um  einen  unerklärlichen  proparo- 
xytonischen  Versausgang  zu  beseitigen.  Somit  ist  die  Rechnung  ohne 
Rest  aufgegangen.  Aber  es  wird  nicht  unnütz  sein,  als  Gegenprobe 
Verse  anzuführen,  deren  Wortstellung  offenbar  nur  durch  die  Be- 
vorzugung des  paroxytonischen  Versausganges  gegenüber  dem  pro- 
paroxytonischen  bedingt  ist.  Selbstverständlich  berücksichtige  ich 
nur  solche  Verse,  bei  welchen  der  paroxy tonische  Ausgang  mit 
keinem  sonstigen  Vorteil,  der  proparoxytonische  mit  keinem  sonstigen 
Nachteil  verknüpft  ist. 

De  expeditione  Persica. 
1,  73      ttXtjv  £$  dva*|'xr^?'  ou  "(ap  r^^oizo  /povou 

2  3  1 

1,  82      d  Neaiopo;  '(ap  auXXaXoSvfj;  fj8ea>; 

15  4  2  3 

3,  307    au  [JL£v,  xpdxicjTe,  (xctl  -jOtp  r^öcXss  jisvetv 

2  3  1 

Bellum  Avaricum. 
245  ei/Ev  xax'   syOpwv  sjAcpaveaxepov  rApon; 

4  2  "3  '5  1 

344  auvscfTpscpsv  xs  auXXctßcuv  xoTi  ,3o(pßdp(p 
5  3  4  1  2  '  ' 

359  ©uXotxxsxat  (xev  xr^c  OaXdactr^?  vj  Oupa 

(;  21  3  4        0 

404  ot  ßdpßotpoi  \ikv  TO'j  SixceOTOö  tou?  xottou; 

6*7  2  1  3  4  5 


Ueb.  d.  Accentuatioii  d.  Versausgänge  i.  d,  iatnbischen  Trimetern  etc.   169 


Heraclias. 

1,  16      öpoat'Cs"«!  9^^S  AaviTjX  tiu  SsuTsp«) 

5  '3412  ■ 

1,  148    oux  -^pxecfav  cot  Tupo?  xupavvou?  aJ  V-^X!^^ 
1  745  6  2        ;t 

1,  152    oöx  "^pxeoav  öot  cppovTi'Swv  TroXuxpoTrwv 

4  5  2  3  1 

Allerdings    durfte    der  Dichter    in  den  beiden    letzten  Versen 
schon  mit  Rücksicht  auf  den  bald  folgenden  Vers  1,155  oux  -^pxe- 

aav  001  Tou  atpaiou  tä  rpa'Yjxata  die  Worte  nicht  anders  stellen. 

1,  196    TCopcpupsTai  yap  si?  ßacpYjv  aituvtav 

5  2         3  4  1 

1,  225    xGtt  fii^i?  wattcp  Yiverat  jxot  xotl  otaaic 

4  3  12 

2,  10      £)^£iv~vo[xtC«JV  zlq  -picjaöXiov  xpocxo? 

2  1 

2,  117    o)(X(o  TrapstöSu?,  xat  ouseupexoc  [levst 


In  lesu  Christi  resurrectionem. 

14  xal  (jtofAaxouxat  xat  xaxip)(£xai  xotxo) 

2  1 

31  xal  7:vsU[i.axu)v  jisv  Trac  IXauvexai  xXovo; 

15  4  2  6  3 

35  XeTipö?  8e  oa'pxa?  ixStSuoxsxai  veo? 

1(3,2)     3(2)  2(1) 

Umstellungen,  bei  welchen  Xsttoö;  das  vorletzte  Wort  des  Verses 
wird,  habe  ich  absichtlich  nicht  berücksichtigt,  weil  Georgios  Pi- 
sides  schon  wegen  der  accentuierten  Hephthemimeres  sie  vermieden 
hätte  (vgl.  oben  S.  130  f.).  Uebrigens  muss  statt  ixSiSucfxexai  doch 
wohl  £voio6ax£xat  geschrieben  werden. 

45  6oup£xat  0£  x&v  xacptuv  auXtufiEvtov 

5  2        3  4  1 

56  6  irplv  Hk  :rXoüxä)V  vuv  7rpo£p)(Exai  ttevt^? 

2  1 

71  ou  Oujiö?  acppcuv,  o5  cpiXotp^opo?  iroOo? 

2  1 

Bemerkenswert,  weil  hier  die  Umstellung  durch  die  parallele 
Anordnung  der  Substantiva  und  Adjectiva  gerechtfertigt  wäre. 
Aber  der  Dichter  fasst  (piXapYupo?  ttoöo;  als  Umschreibung  von 
'fiXapYüota,  empfindet   also  die  verschiedene  Anordnung    von    Sub- 


170  Isidor  Hilherg, 

stantiv    und  Adjectiv    in    den  beiden  Satzgliedern    nicht    als    eine 
Störung  der  Concinnität. 

95  ou  ^XÄTia  xaövos*  ou  Siappuio?  '(ikta?  . 

2  1 

stx'^  TTOtp'   ujAiv  xob?  ^SovTot?  osixvtisu 

Hier  ist  von  einer  Verletzung  des  Parallelismus  noch  weniger 
die  Rede,  da  hinter  /auvo?  der  Abschluss  eines  Satzes  fällt  und  ein 
neuer  beginnt. 

105  xetjir^Xtov  xe  iraipixÄv  aYaXjxaxwv 

4  2  3  1 

Contra  Severum. 

104  Trpoä'/xaXouvxcuv  ou  Siaipeciv  Xe^etv 

2  1 

246    aV&piüTTOV    IVVOÜV    >)    }i.OVOU}l£VOV    Xo'^ov 

2  1 

Hier  vertritt  |xovo6[xevov  das  Adverbium  ijiovov.  Somit  kommt 
das  Streben  paralleler  Anordnung  für  die  Wortstellung  nicht  in 
Betracht. 

290  TTjv  auvdexov  8s  ixäXXov  staaYöiv  OeXsi? 

5  6  2  3  4  1 

412  uaaxi'CsTai  os  xal  auvioysxai  xacoqi 

2  1 

Es  ist  lehrreich,  diesen  Vers  mit  dem  oben  S.  165  angeführten 
Vers  636  zu  vergleichen. 

Hexaemeron. 

105  avtü  -/dp  ^pxai  xal  ßaf^uvexat  xaxu) 

2  1 

Ich  hege  den  dringenden  Verdacht,  dass  hier  eine  der  gerade 
im  Hexaemeron  so  häufigen  Schlimmbesserungen  vorliegt,  durch 
welche  ein  ursprünglich  proparoxytonisch  auslautender  Vers  in 
einen  paroxy tonisch  auslautenden  verwandelt  wurde,  vgl.  die  13  Fälle, 
welche  ich  in  den  Wiener  Studien  8  (1886),  296  aus  diesem  Ge- 
dicht angeführt  habe.  Der  Parallelismus  ist  hier  zweifellos  verletzt 
und  verlangt  den  Ausgang  xattu  ßaOuvsxai. 


Ueb.  d.  Accentuation  d.  Versausgänge  i.  d.  iarabischen  Trimetern  etc.   171 
139  7:poep"/£Tai  os  vuficpixü)?  sotsjxfAevoi; 

4  2  3  1 

162  xal  Touc  TTopoixous  st?  uTraiOpiov  axe^rr^v 

2  1 

425  ocpuCet  6i'  aöxou?,  [xt]  ?poßo6[xevo?  tj^oYov 

2  1 

439  vofious  (jaXeuei,  }xy)  cpoßoutievo?  vojiou? 

2  1 

465  [i.eTai)(}xiov  8e  x^?  J^o'X^?  «(lapTia 

5  "■  2        3  4  1 

667  [AapoiveTai  ^ap  euOew?  tj  depjxoxrj? 

5  3  4  12 

668  XeuxatvsTai  Se  xcüv  "/spovxwv  6  axa5(us 

6  4         2  3  15 

748  xal  TtxTjvo?  dpOek  v-olI  ihv  ^Xiov  cpöaaas 

2  3  '     1 

935  xal  TrapSaXts  }xev  XüOpov  ar/ö?  d^piou 

1  6  5  2  3  4 

1072  (5  votSs  djjiuSpo;,  w  Opacuoxojios  ßia 

2  1 

Nur  scheinbare  Verletzung  des  Parallelismus  wie  in  dem  früher 
angeführten  Verse  In  Jesu  Christi  resurrectionem  71  das  cpiXdp-ppos 
TTodo?. 

1112  [xavxeusxat  ^ap  uexoo?  £v  at'Bpia 

5  3  4  12* 

1193  fi.6p(pa)cjiv  la/s,  xal  irxepouixevoi;  cpspei 

2  1 

1244  Soxei  8s  asu^siv  xal  TraXivSpojio?  jxsvsi 

2  1 

1353  ouxto  yap  auOi?  ^i'vsxat  osaoxjfisvo? 

4  2  3  5  1 

1382  xö  au>}ia  xouxo  xal  «dapv^asxai  TcdXiv 

2  1 

1430  dvtöxaxai  ok  xtjs  ^Oopa?  dvxtofxpocpws 

5  2        3  4  1       ' 

1500  stvai  6k  Trdvxa  upos  xi  xprjtjifiov  xsXos 

2  3  1 

1566  ou  (psiSsxai  ^ap  ouXXaßT^?  ojjkovujxou 

4  5  2  3  1 

1585  oTtxö?  Xtt^oup^os  sts  wspicjxaatv  tovou  *) 

2  1 

1651   dpj(a)V  dvdpy^ü)?,  ou  jxsxpou|x£vos  Xpovti) 

2  1 

1732  xal  7r-/jXos  dp^os  xal  xaxdppoTio?  xovn; 


')  1627   führe    ich    nicht  an,    denn    statt  xa'/üöpofxo;  ist    zu   accentuieren 
xajfuopdjio«,  wie  bei  Quercius  steht. 


172      Isidor  Hilberg,  Ueber  die  Accentuation  der  Versausgänge  etc. 

Da  die  unmittelbar  vorhergehenden,  mit  diesen  in  enger  Ver- 
bindung stehenden  Worte  lauten  oüSev  -(dp  ef[xi  tcXt^v  -jEwSt)?  aföaXrj, 
so  durfte  der  Dichter  unbedenklich  auch  im  dritten  Glied  das 
Attribut  voranstellen,  denn,  eine  vollständige  Durchführung  des 
Parallelismus  hätte  er  auch  bei  der  anderen  Stellung  nicht  erzielt. 

1815  [xotpaivexat  '{äp  tob?  vexpou?  dvxTziowv 

5  2  3  4  ,1 

Supplementa. 

1,  106    ^'"X^/^  ^^  '^fi  ^^i'^  '''^  xaöaTtTETai  «['op? 

■'S'"  1 

2,  32      oux  TjöeXöv  -^ap  au}i.7tapotxerv.  ßapßapu) 

15  3  4  2       ' 

2,  38      «b?  acucppovi'Ctov  xoti  Xuxpoufievo?  TtXeov 

2  1 

4,  66      pairiCexai  ^ap  tj  Texouaa  itoXXaxi? 

5  2       13  4 

4,"  73      dv£$£Tai  8s  xal  Traxrjp  poTriOfidxtov 

5  2        3  4  1 

4,  149    87U(us  (Je  ^pi^TQ  Tiaata  ßdpßapo?  xu)(tj 

13  5  4  6  2 

101,  4        xöv  j(oSv  dvü'];ot  xal  jxexdpdiov  (fepei 

2  1 

Diese  Begünstigung  des  paroxytonischen  Versausganges  gegen- 
über dem  proparoxy tonischen  veranlasste  den. Dichter  einmal  sogar 
zu  einer  Abweichung  vom  correcten  Sprachgebrauch ,  nämlich 
Heraclias  1, 187 

£x  xuiv  vscptöv  xaöeiXs?  ev   xqü  Tapxdp(|), 

wofür  £t?  xöv  Tdpxapov  erwartet  wird. 

Das  Gesamtresultat  dieser  Untersuchung,  in  wenige  Worte 
zusammengefasst,  ist  dieses:  Georgios  Pisides  gestattet  sich  zwar 
neben  dem  paroxytonischen  Versausgang  auch  den  proparoxytonischen, 
wo  er  aber  die  Wahl ,  zwischen  beiden  Arten  hatte ,  zog  er  den 
paroxytonischen  Ausgang  vor,  wenn  nicht  die  triftigsten  metrischen 
oder  sprachlichen  Gründe  ihn  zum  entgegengesetzten  Verfahren 
zwangen.  Das  spätere  gänzliche  Verechwinden  des  proparoxytonischen 
Versausganges  ist  somit  nur  eine  consequente  Weiterbildung,  eine 
vollkommen  naturgemässe  Entwicklung  der  von  Georgios  Pisides 
befolgten  Regeln. 


xn. 

Georg  Wartenberg. 

Die  byzantinische  Achilleis. 


Die  trojanische  Sage  hat  bekanntlich  im  Mittelalter  bei  den 
abendländischen  Völkern  zahlreiche  Bearbeitungen  erfahren,  die 
ihren  Stoff  meist  schon  aus  sehr  getrübten  Quellen  schöpften  und 
ihm  ihrerseits  unbedenklich  statt  des  klassischen  ein  roman- 
tisches Gewand  anlegten.  Geringere  Neigung  zu  einer  derartigen 
Behandlung  musste  bei  den  Byzantinern  bestehen,  weil  dort,  wie 
Krumbacher  (Byz.  Litt,  S.  844)  hervorhebt,  die  antike  üeberlieferung 
lebendiger  war.  Eines  der  wenigen  Beispiele  ist  die  in  zwei  ver- 
schiedenen Fassungen  erhaltene  Achilleis,  deren  eigentümlicher,  von 
der  alten  Sage  fast  ganz  unabhängiger  Stoff  sich  nicht  vor  der 
völligen  Einbürgerung  des  fränkischen  Rittertums  im  byzantinischen 
Reiche,  also  nicht  vor  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  hat  bilden 
können. 

Der  von  Sathas  (Annuaire  de  1'  association  pour  l'encouragement 
des  ctudes  grecques  13,  1879  p.  126 ff.)  herausgegebenen  kürzeren 
Fassung  des  B(odleianus)  (Codices  miscellanei,  auctarium  5, 24; 
saec.  XYT)  steht  eine  längere  in  einer  Hs.  des  Britischen  Museums 
(8241)  (L)  und  einem  N(eapolitanus)  (Cod.  graec.  CCLI,  III,  B.  27) 
gegenüber.  Aus  letzterem  hat  W.  Wagner  (Trois  poemes  grecs  du 
nioyen-age,  Berlin  1881)  ohne  Hinzuziehung  der  Londoner  Hs.  die 
längere  Version  ediert.  —  Wenn  nun  auch  die  nahe  Verwandtschaft 
von  N  und  L  durch  Sathas'  Angabe  (p.  132  f.)  festzustehen  scheint, 
so  treten  doch  wieder  L  und  B  am  Schluss  des  Gedichtes  in  scharfen 
Gegensatz  zu  N.  In  jenem  nämlich  ist  von  dem  antiken  Stoffe 
nichts  übrig  geblieben  als  die  Namen  Achilles  und  Patroklos  (ITa'v- 
xpouxXo;  N,  llaTpoü/Xo?  B).  In  B  schliesst  das  Gedicht  mit  dem 
Tode  der  Gattin  des  Helden,  in  L  wird  in  11  Versen  hinzugefügt, 


I 


176  Georg  Wartenberg, 

dass  ihr  Achill  (wohl  aus  Kummer)  bald  ins  Grab  gefolgt  sei(Sathas  a.a. 
0. 165);  in  N  dagegen  wird  uns  dieser  Tod  in  Vv.  1759 — 1820  ähnlich 
geschildert  wie  bei  Malalas  (Ed.  Bonn.  p.  123  ff.).  Achill  fällt  durch 
einen  Anschlag  des  Paris,  des  Königs  von  Troja  (!),  und  des  Dei- 
phobos,  die  ihn  unter  der  Vorspiegelung  einer  Verschwägerung  in 
einen  Tempel  locken.  So  wird  wenigstens  zuletzt  und  äusserlich 
der  Anschluss  an  die  antike  Sage,  freilich  in  ihrer  entarteten  Ge- 
stalt, hergestellt.  Das  sociale  und  militärische  Milieu  ist  in  beiden 
Bearbeitungen  durchaus  mittelalterlich.  Dagegen  sind  die  religiösen 
Vorstellungen  der  Zeit,  in  der  diese  Gedichte  entstanden,  fernge- 
halten. Ausser  dem  noch  heute  im  griechischen  Volksglauben 
lebenden  Todesgotte  Charos  und  einer  kritisch  sehr  unsicheren  Er- 
wähnung der  Chariten  (N  856,  B  343)  ist  das  einzige  göttliche  Wesen, 
welches  vorkommt,  dem  Hauptinhalte  der  Erzählung  entsprechend, 
Eros.  Nur  an  wenigen  Stellen  sind  christliche  Termini  beibe- 
halten. Von  den  Kunstwerken  im  Palaste  der  Königstochter  wird 
N  793 f.  gesagt: 

va  eiTrsv  xtvot?  s?c  xö  Ix  iravio?  oux  elvai  dvOptuTTOu  ep^a, 
dXXa  dy^s,ipoTzo(y]xa  irpö?  axepea?  Kuptou' ') 

Das  Beiwort  dxetpoKotyjxo;  erhalten  oft  berühmte  Heiligenbilder. 
N  1450  wird  die  Vermählung  söXo^ia  genannt.  In  der  kürzeren 
Version  danken  die  Mannen  Achills  Gott  für  solchen  Führer:  B  172 

)(apa  \  x6v  Osiöv  itou  }i.ac  'Stoxev  xoiouxov  ßaatXea 

während  an  der  entsprechenden  Stelle  in  N  (247)  ot  öeol  steht. 
Wenn  wir  nun  festzustellen  suchen,  welches  von  den  beiden 
an  Umfang  so  verschiedenen  (761  und  1820  Verse),  an  Inhalt  aber 
im  wesentlichen  und  auch  im  Wortlaut  grösstenteils  übereinstim- 
menden Gedichten  das  ältere  ist,  müssen  wir  die  Londoner  Hand- 
schrift, von  der  eine  Kollation  leider  noch  nicht  vorliegt,  beiseite 
lassen.  Ebenso  scheidet  der  letzte  Teil  des  Neapolitanus,  eben 
jener  vennutlich  dem  Malalas  nachgebildete  Bericht  vom  Tode  des 
Achilles,  aus,  da  er  in  den  beiden  anderen  Handschriften  fehlt. 


*)  Da  es  durchaus  an  den  nötigen  Grundlagen  fehlt,  um  eine  Emendation 
des  Textes  zu  versuchen,  sind  alle  Citate  nach  den  Ausgaben  von  Wagner  und 
Satbas  gegeben. 


Die  byzantinische  Achilleis.  177 

Die  Frage  nach  dem  zeitlichen  und  Abhängigkeitsverhältnis 
von  N  und  B  ist  von  Sathas  (a.  a.  0.  p.  132 ff.)  zu  lösen  versucht 
worden.  Er  will  in  der  längeren  Fassung  (N)  eine  grössere  Menge 
von  fränkischen  Ausdrücken  und  eine  geringere  Animosität  des 
griechischen  Nationalgefühls  gegen  das  Frankentum  bemerkt  haben 
und  hält  sie  daher  für  die  jüngere.  Aber  der  erste  Umstand  er- 
klärt sich  einfach  aus  der  grösseren  Ausführlichkeit  in  der  Be- 
schreibung von  Aeusserlichkeiten,  und  die  Schwäche  des  zweiten 
Arguments  fühlt  Sathas  selbst,  indem  er  sich  darüber  wundert, 
dass  der  Kampf  Achills  mit  dem  starken  Franken  in  beiden  Ge- 
dichten vorkommt.  Ist  aber  dieser  Unterschied  der  nationalen 
Stimmung  nicht  nachweisbar,  so  ist  es  für  unsere  Frage  ohne  Be- 
deutung, dass  die  Geschichte  Griechenlands  im  13.  und  14.  Jahr- 
hundert ein  allmähliches  Verschmelzen  der  nationalen  Gegensätze 
erkennen  lässt.  —  Den  übrigen  Gedankensprüngen  des  vielwissenden 
Proteus  zu  folgen,  ist  natürlich  nicht  möglich.  Er  sieht  in  Achill 
den  seit  dem  Altertum  noch  lebendigen  Lokalheros  von  Thessalien 
und  in  dem  erwähnten  Turniergang  mit  dem  Franken,  den  vorher 
Patroklos  vergeblich  angerannt  hat,  eine  Nachbildung  der  Kämpfe 
mit  Hektor,  dem  Fürsten  der  Trojaner,  der  sagenhaften  Vorfahren 
der  Franken  (!).  — 

Es  soll  versucht  werden,  die  Frage  der  Priorität  durch  Ver- 
gleichung  der  beiden  Gedichte  zu  lösen. 

Das  umfangreichere  Gedicht  in  N  zeigt  trotz  aller  Weitschweifig- 
keit eine  wohlgefügte  Komposition,  soweit  man  eine  solche  über- 
haupt bei  einem  derartigen  Erzeugnis  erwarten  darf.  Ansprüche, 
die  Werken  einer  litterarisch  hoch  stehenden  Zeit  gegenüber  be- 
rechtigt wären,  dürfen  hier  allerdings  nicht  gestellt  werden.  Es 
fällt  daher  nicht  ins  Gewicht,  wenn  Achill  V.  276f.  ganz  unmotiviert 
die  Liebe  als  etwas  Unmännliches  bezeichnet,  wenn  in  der  Schlacht 
zwei  von  seinen  zwölf  auserwählten  Rittern  fallen  (565,  601  ft".) 
und  es  nachher  doch  immer  noch  zwölf  sind,  ohne  dass  eine  Er- 
'iänzung  stattgefunden  hätte,  wenn  V.  839  ganz  vorübergehend  und 
unklar  von  Friedensverhandlungen  gesprochen  wird  und  auch  im 
(iospräche  Achills  mit  denEltern  nach  dem  ersten  Stelldichein  die  Mög- 
lichkeit einer  friedlichen  Werbung  erwähnt  wird,  durch  die  alle  folgen- 
den Ereignisse  ausgeschlossen  sein  würden  (12ü5ff.),  wenn  Eros  (990ff., 

Festschrift   Valileii.  12 


178  Georg  Wartenberg, 

in  B  vermutlich  eine  Lücke),  obgleich  er  in  Gestalt  eines  Falken 
erscheint,  doch  mit  dem  Bogen  schiesst,  und  ähnliches.  An 
einer  Stelle  ist,  wie  wir  unten  sehen  werden,  die  Annahme 
einer  Lücke  nicht  ausgeschlossen.  Im  übrigen  ist  entweder  der 
Gang  der  Handlung  ein  folgerichtiger  oder  der  etwaige  Anstoss 
findet  sich  auch  in  der  kürzeren  Fassung.  Anders  ist  dies  in  B, 
dessen  wichtigste  Abweichungen  von  N  in  der  folgenden  Uebersicht 
des  Sagenstoffes  sogleich  hervorgehoben  werden  sollen. 

N  beginnt  mit  einer  Auseinandersetzung  über  die  Macht  des 
Eros  (1—19),  B  dagegen  wesentlich  gleichlautend  (N  20  ff.  =  B  1  ff.) 
mit  der  Schilderung  des  Hofes  und  der  Streitmacht  der  Eltern 
Achills.  Aus  dieser  aber  bleibt  gleich  die  Bemerkung  (N  2() — 28) 
weg,  dass  Achills  Vater  streng  auf  adlige  Abkunft  aller  seiner 
Krieger  gehalten  habe.  Wenn  man  hierin  eine  Verschiedenheit  der 
Anschauung  bei  beiden  Bearbeitern  erblicken  möchte,  so  ist  dies 
an  den  übrigen  zahlreichen  Stellen,  wo  in  B  Abschnitte,  die  für 
den  Fortschritt  der  Handlung  ohne  Bedeutung  sind,  fehlen,  nicht 
möglich.  —  Auf  die  erste  inhaltliche  Abweichung  stossen  wir  bei 
den  Angaben  über  die  Lebensjahre,  in  welchen  der  Held  die  ver- 
schiedenen Stufen  seiner  Entwickelung  erreicht.  Nach  N  (83 — 87) 
genoss  er  vom  vierten  bis  zum  achten  Jahre  wissenschaftlichen 
Unterricht,  worauf  die  Uebung  mit  den  Waffen  begann,  in  B 
(47 — 52)  vom  vierzehnten  bis  zum  achtzehnten.  Nachdem  der 
junge  Held  in  einem  Turnier  seine  Kühnheit  und  Kraft  bewiesen, 
übernimmt  er  die  Aufgabe,  an  der  Spitze  des  Heeres,  aus  dem  er 
sich  zwölf  Ritter,  darunter  seinen  Vetter  Patroklos,  als  persönliches 
Gefolge  ausliest,  den  Einfall  eines  feindlichen  Königs  zurückzu- 
schlagen. In  diesem  zur  Schilderung  der  Kriegsthaten  überleiten- 
den Abschnitt  ist  N  (177—371)  um  einige  Züge  reicher 
als  B.  Es  sind  dies:  die  feierliche  Vereidigung  der  zwölf  Paladine, 
das  Tpa-yoSSi  Achills,  in  welchem  er  dem  Eros  Trotz  bietet,  die 
Warnung  des  Patroklos  vor  der  Macht  des  Gottes,  die  schlaflose 
Nacht  des  von  Feldherrnsorgen  erfüllten  Helden,  die  ausführliche 
Beschreibung  der  Ausrüstung,  des  Aufbruchs  und  des  Abschieds. 
Der  Segen,  den  der  alte  König  seinem  Sohne  in  N  erteilt,  nach- 
dem er  den  Grund  der  Schlaflosigkeit  erfahren,  schliesst  sich  in  B 
unmittelbar  an  die  Erklärung  des  Helden  au,   den  Krieg  auf  seine 


Die  byzantinische  Achilleis.  179 

Schultern  nehmen  zu  wollen,  worauf  dann  erst  die  in  N  (20öif.) 
vorangehende  Musterung  und  Ermahnung  des  Heeres  folgt.  —  Nach- 
dem darauf  Botschaften  mit  der  Besatzung  eines  von  den  Feinden 
noch  nicht  bezwungenen  Kastells  gewechselt  sind  (N  38ßff.,  B  196 ff.), 
kommt  es  zur  Schlacht,  deren  Schilderung  in  beiden  Versionen 
sich  nicht  durch  Klarheit  auszeichnet.  Die  Verse  B  237 — 298 
finden  sich  mit  Ausnahme  von  sechs  (240,  254,  264,  275,  295, 
29())  in  dem  Abschnitt  N  462 — 599  wieder.  Dagegen  ist  die  Er- 
legung der  drei  Söhne  des  feindlichen  Königs  (N  539 — 556,  B  279 
—  288),  welche  die  Entscheidung  herbeiführt,  bis  auf  einen  Vers 
ganz  verschieden  dargestellt.  —  Nach  dem  Siege,  so  lesen  wir 
weiter  in  N  600 — 632,  verfolgt  Achill  die  Feinde  bis  vor  die  Thore 
ihrer  eigenen  Stadt.  Nachdem  man  gerastet  und  die  Gefallenen 
i»eklagt,  macht  Achill  einen  Gang  um  die  Mauern,  wohl  um  die 
Möglichkeit  eines  Sturmangriffes  zu  erkunden.  Da  zeigen  sich 
Frauen  auf  der  Mauer  (N  609  euapeaxütj^av,  B  300  Irapasxu^J^otv), 
um  das  feindliche  Heer  zu  sehen.  Unter  diesen  erblickt  Achill 
die  Tochter  des  Königs  und  wird  sofort  von  Liebe  zu  ihr  ergriffen. 
Mit  Mühe  reisst  er  sich  von  dem  Anblick  los  und  kehrt  in  jene 
Burg  zurück,  welche  früher  den  Angriff  der  Feinde  aufgehalten 
hatte  und  unter  deren  Mauern  die  Schlacht  geschlagen  worden  war. 
Dieser  Abschnitt  lautet  in  B  folgendermassen : 

Sfio)?  laxETTieiov  Xoittöv  ttjv  auvbtaiv  xou  xj^arpou. 

:!00  -j'uvaTxe?  iTrapaaxu^'av  xov  a^oupov  '  va  '  Souaiv, 
xat  }X£(jov  Tou?  laiEXETov  fj  äScti'psxo?  exetvifj, 
ixsiVYj  fj  suYsvixTj  Tou  ßaai^Ecü?  Ou"(aiyjp 
T7)v  uotspov  IxspSiasv  6  'Ay^^XKeh^  exsTvo;* 
fou)V  8s  -auxr^v  6  'Aj^iXXeu?  expcuOr^v  ■?)  xotpota  xou, 

.305  suOu;  irpdvr^M  acptuvos  ettI  TioXXrjv  xrjv  <5pav. 
'ESfuxotatv  x(7.  opYava  svoov  xot>  xotcjxsXXiou, 
x'   iai^r^v  ek  xfjV  Tropxav  xou  fiexa  '/ol?^^  [le^aArj?* 


Wer  diese  Darstellung  allein  vor  Augen  hat,  muss  annehmen, 
dass  Achill  in  der  feindlichen  Stadt  mit  Trompetenklang  empfangen 
wird.  Erat  aus  dem  Folgenden  erkennen  wir,  dass  er  zu  den  Seinen 
zurückgekehrt    ist.      Hier   ist    also  ein  Mangel  an  Zusammenhang, 

12* 


I 


180  Georg  Wartenberg, 

wie  er  in  dem  längeren  Gedicht  nirgend  vorkommt.  —  Obgleich  es 
dann  in  B  3 15  ff.  heisst: 

Kaöi'Cst  Ypacpst  -^pajxjxotTa  irpö?  tous  ^ovious  xou  cfTeXvst, 
T^?  8e  "YP^?^*  0  TupoXo^o*  Trpo^  xov  Tcctxrip  xou  ^pdcpet. 
(ähnlich  N  G33f.),  so  fehlt  doch  dieser  Brief  selbst  (N  (535— G53), 
weshalb  Sathas  eine  Lücke  annimmt,  — 

Die  Uebersiedelung  der  Eltern  Achills  in  die  Grenzstadt,  der 
N  noch  eine  heimische  Siegesfeier  vorausschickt,  und  die  Einsetzung 
eines  Statthalters,  um  die  Achill  in  seinem  Briefe  in  N  selbst  ge- 
beten hatte  (N  (KU— 702,  B  317—328),  wird  in  B  teils  abweichend, 
teils  mit  Anklang  an  einige  Versteile  von  N  berichtet.  Dann 
folgen  in  N  vor  Beginn  der  eigentlichen  Liebesgeschichte  endlose 
Beschreibungen  des  Palastes,  des  Gartens  und  der  Schönheit  des 
Mädchens  und  die  erwähnte  unklare  Andeutung  von  Friedensver- 
handlungen (N  703 — 842).  B  dagegen  geht  von  der  Uebersiedelung 
der  Eltern  mit  V.  329  ganz  unvermittelt  auf  die  Herstellung  eines 
Erosbildes  über,  an  das  sich  Achill  betend  und  scheltend  wendet. 
Hier  stehen  nun  die  beiden  Bearbeitungen  in  einem  ganz  eigen- 
tümlichen Verhältnis  zu  einander.  Statt  der  langen  Anrede  an  den 
Gott  (N  846—858)  hat  B  nur  einen  Vers: 

331  "Epw?  [lou  TT&üi  'v  Tot  -6zoL  Gou  xal  TTO'j  'v  Yj  Suvafxi'c  aou! 

Dieser  findet  sich  auf  zwei  Verse  verteilt  sehr  ähnlich  in  N 
weiter  unten,  wo  Achill,  nachdem  er  zuerst  eine  abschlägige  Ant- 
wort von  dem  Mädchen  erhalten,  den  Eros  um  Beistand  anruft: 
946  "Epu)  [i-ou,  Tioo  'v  xa  x6;a  öou  xa  e8a>XE^  £[X£vav; 
"Ep(u  jxou  TTOu  'v  7j  ouvajit?  XTjv  iSst^e;  liasva; 
Jene  längere  Anrede  an  den  Gott  dagegen  steht  hier  mit  geringen 
Abweichungen  in  B  ebenfalls,  bildet  aber  den  ersten  Brief  Achills 
an  das  Mädchen: 

B  332 «F.: 

napaxaX«)    oe    dosvxpia    fAOu,    va 

'asßfj?  ek  d-yaV/jv 
xal  TrdXtv  xl  ak  eTcxctiaa  xat  xt  xotxov 


N  846 ff.: 
"Epu)  '}iou,    XI   OS  iTTxoitact    xal  xl 


xaxov  (j£  Tiotxa  i  a    STzciixa 

xal  XT(V  xapoiav  (xou  ouppiCov  xaOo-     xal  xr)v  xap8tdv  jiou  auppiC^Jv  iz>x 
koo  £;avaöirdai)-/;v ;  j  vctOTra^  xotl  pi/.v£'*; 


Die   liYZiiiitinische  Achilleis. 


181 


'Eas  OTraDia  oüx  etpst^av,  xovxapia 

xai  ctTto  fiovov  ßXsfjiuiaTo?  sacpa^sie 

jxs  ISacpvr^?. 
"E/öic  [xs,  "E,0(o,  xpi'öouXov,  SouXov 

SsSouXojtiivov. 
'Av  ou  }!.'  eupTQ?  Tou  0£Xif]u.otTOs  xai 

SCO)    TOU    OpiOlAoO    ÖO'J, 

tÖv  £(j.c(u-ov  jxoü  oiou>  Tov  [XE^)'  oXr^? 

TTp    XOtpSl'ot?, 

xctt  (ü?  aoixov  x7i  äXXoTptov   opiae 

xai  a?  US  (poviuaouv. 
Et  02  £iuai  Too  OsXr^fiaTO?  xal  xoS 

6pta[jL0u  aou  ooöXoc, 
oiait  va  -day^u),  vd  :rov(J5,  vd  UXi- 

ßwucti  -oaoutov, 
vd  otpvoöfJLai  xotl  td?  ^dpiiotc,  -ob; 

au'fi'svsT?  xal  cctXouc; 
Tov  stxauTÖv  jxou  oi'Stu  xov  et;  sSixa; 

aou  Xitpotc 
xctt  sixt  ösXsi;  optas,  aüi}£vx/j,  xat 

d;  [xe  TTOir^soov. 


£}xs   (37rai>td   oüx   sxotj^av,   xovSdpta 

ouos  oX(ü?, 
TToXöjxov  ou  'cpoßr^brjxa  iroaiüi;  dcpsv- 

Tpta  [xou* 
eacpa^sc  ttjv  f^ioyi-aa  fxou  xat  xdvm 

TY]V    CwTjV    }X0U' 

dv   }x'    s'jp'ij];   TOU    OsXrjjxdxot)    aou 

£c(ü,  TOU  optofixo")  aou, 
TOV  lauTov  }xou  8i'o(i)  TOV  xifj    oXr^v 

fxou  TYjv  xapBtav, 
xi^  oj?  $£vov  xat    dXXoTpiov  d;   fis 

xaTacp  ovsuaouv  • 
eifxai   TOU   OcXr^aa'xou    aou,    ooüXo; 

TOU  optafxou  aou, 
Oiaxl   vd    T^T/ui,   vd   ttovÖ)   vd    (xs 

xaTa;xapaivT(j;; 
dpvoufxai,  }xd  TdcXa'ptTa?,  xat  au^YS- 

vou;  xat  cpiXouc, 
xfj   0,  xt   opia',  auOsvTpid  fiou  xat 

£01X7^   [XOU  xop-/;, 
optas  x'fj   d;   [x£  TToiaouatv,   xijj   d? 

US  xa-acsovsucfouv. 


Bei  dem  schlechten  Zustande  der  Ueberlieferung  scheint  es  mir 
unmöglich  zu  beurteilen,  für  welche  der  beiden  Bestimmungen  diese 
Verse  ursprünglich  gedichtet  wurden.  Der  einzige  Gedanke,  den  sie 
enthalten:  „Was  hab'  ich  dir  gethan,  dass  du  mich  so  quälst;  ich  bin 
dein  Sklave",  erlaubt  thatsächlich,  sie  mit  geringen  Abänderungen 
lür  beide  Zwecke  zu  gebrauchen.  Infolge  der  in  B  beliebten  Verwen- 
dung folgt  dann  hier,  ehe  noch  eine  Antwort  erfolgt  ist,  ein  zweiter 
Brief  Achills,  der  zur  grösseren  Hälfte  mit  dem  ersten  in  N  überein- 
stimmt. (N  864 ft".  =  B  P)4()ff.)  Eine  Abweichung  im  Eingangsverse 
ist  dadurch  nötig,  (Uiss  dieser  Brief  in  B  eben  der  zweite  ist. 

N  864  I  ^  ^^^ 

rpa'fTjv  as -cpacpu)  £p(«Ttxr^v,  Ypa'fTjV      XapTt    ak  irsfxTro),    Xi^EpT),    /apTtv 

WS    aTTÖ    TTOOOU  I  dXX'  ')    OLTZO    7:ot)ou 


')  Lies:  a>A'  statt  iXX'. 


182  Georg  Warteiiberg, 

« 
Nachdem  dann  das  Mädchen  abweisend  geantwortet  und  Achill  ihr 
mit  der  Macht  des  Eros  gedroht,  wobei  der  Wortlaut  der  beiden 
Texte  nur  selten  an  einander  anklingt,  folgt  in  N  eine  Antwort 
des  Mädchens,  die  schon  etwas  günstiger  lautet,  ein  neues  Schreiben 
Achills,  sein  Gebet  an  Eros  und  die  Erhörung  desselben.  Eros 
fliegt  in  Gestalt  eines  Falken  in  den  Garten  des  Mädchens,  redet 
zu  ihr  und  verwundet  ihr  Herz  mit  einem  Pfeile  (N  880 — 1015). 
Das  meiste  davon  fehlt  in  B.  Mit  V,  374,  der  auf  den  Drohbrief  Achills 
folgt,  versetzt  uns  der  Dichter  mitten  in  die  recht  stimmungsvolle  Garten- 
scene,  wo  das  Mädchen  den  redenden  Vogel  greifen  will.  Sathas  nimmt 
hier  eine  Lücke  an.  Die  beiden  Darstellungen  laufen  dann  wieder 
eine  Strecke  weit  parallel,  abgesehen  natürlich  von  der  Breite  in  N 
und  der  Knappheit  in  B.  Das  Mädchen  lädt  den  Helden  zum 
nächtlichen  Stelldichein.  Als  Achill  den  Zwölf  seine  Liebe  erzählt 
und  sie  um  Mitwirkung  bei  den  nun  beginnenden  gefährlichen  Be- 
suchen bittet,  weist  in  N  (10440".)  Patroklos  darauf  hin,  wie  be- 
rechtigt einst  seine  Warnung  vor  der  Macht  des  Eros  gewesen  sei. 
In  B,  welches,  wie  gesagt,  oben  diese  Warnung  nicht  enthielt, 
redet  hier  (B  400)  si?  oltzo  tou?  owocxa  ';ipiov.  —  Prächtig  ge- 
rüstet, so  wird  in  N  (1049 ff.)  weiter  erzählt,  reitet  Achill  am 
Abend  mit  den  Zwölf  zu  der  Burg  der  Geliebten.  LTnter  der 
goldenen  Platane  im  Garten  erwartet  sie  ihn.  Eine  Nachtigall, 
die  ihren  klagenden  Gesang  ertönen  lässt,  erscheint  ihr  wie  eine 
Dolmetscherin  ihrer  Stimmung.  Da  naht  Achill  mit  den  Seinen, 
schwingt  sich  mit  der  Lanze  über  die  Mauer  und  verweilt 
bis  zum  Morgen  bei  der  Geliebten.  Wenn  es  nun  hier  auch 
V.  1083 f.  heisst: 

IIXtjv  oux  eOsXrjöev  Tioöuis  xöv  sptutav  TrXTjpöisai 
Tva  [X7]  TiaXiv  '(ivrj-zai  OepfAOXspo?  6  ttoöo?. 

so  lassen  doch  die  folgenden  Verse: 

Ol  hk  irpö?  xXivYjv     STTsaav  a[xcp6tspoi  xat  ouo 

xal  Ix  ta  TToXXa  cpiXTjtxaxa  xct't  xa?  TrepnrXoxa'c  xouc 

xa  osvSpTj  xa  dvat'axvjxa  xal  aüxa  avxiSivouötv. 

Koit  süOus  xctxeXctßsv  tj  au*/)}  xal  Trpoj  Ixsivov  Xe^ei* 

'EYetpoü  .... 


I>ie  l>yzaiitiiiist'he  Achilleis.  133 

keinen  Zweifel,  dass  der  Dichter  sich  die  Vereinigung  der  Liebenden 
schon  hier  eingetreten  denkt.  Das  Mädchen  verabschiedet  ihn  mit 
den  Worten  1090 

Mit  den  Kecken,  die  seiner  geharrt,  kehrt  Achill  heim  und  hält 
kurze  Rast.  Am  Tage  reitet  er  mit  ihnen  wieder  zu  der  Burg  der 
(ieliebten,  damit  auch  die  Zwölf  ihre  Schönheit  zu  bewundern  Ge- 
legenheit bekommen.  Hier  wird  ihre  gleichmässige  Ausrüstung 
ausführlich  beschrieben.  Als  man  dem  Ziele  nahe  ist,  bleibt  Achill 
ein  wenig  zurück.  Das  Mädchen  und  die  Dienerinnen  fragen  sich 
beim  Anblick  der  Zwölf:  „Welcher  ist  nun  der  Geliebte?"  Da 
erscheint  Achill  selbst  und  wird  von  der  Geliebten  sofort  erkannt. 
Die  Mannen  springen  von  den  Pferden,  um  ihren  Herrn  gebührend 
zu  begrüssen,  und  die  Dienerinnen  sprechen  ihre  Bewunderung 
für  den  Helden  aus.  Das  Mädchen,  aus  einer  Ohnmacht  erwacht, 
windet  einen  Kranz  und  wird  nun  auch  von  den  Zwölfen  begrüsst. 
In  dem  sich  darauf  entspinnenden  Gespräch  äussert  Achill  die  Be- 
sorgnis, dass  er  bei  dem  für  die  nächste  Nacht  versprochenen  Be- 
such Opfer  eines  Verrats  werden  könnte.  Das  Mädchen  fühlt  sich 
dadurch  gekränkt,  beteuert  ihre  Liebe  und  wirft  dem  Achill  den 
Kranz  zu.  In  übermütiger  Freude  führt  der  Held  einen  Keulen- 
schlag gegen  die  Mauer.  Die  Zwölf  tadeln  zwar  seine  Unvorsichtig- 
keit, loben  aber  doch  den  bewiesenen  Mut. 

N  1199 
'ExsTvoi  Tov  iXs^aoiv,  xotXov  ouSsv  sTTOixev, 
av  TOV  i'öouv  xa  aosXcpta  x-/j^  Trotvxa  va  xyjv  (prjjit'Couv, 
0[X(o;  xotl  va  Ootuixasouaiv  x>)v  Oauixctaxi^v  aou  dv5p£''av. 
KaXui;  £T:oi-/j(30(?,  osairoxot,  iravxa  va  ak  cpoßouvxai. 

Der  Gedanke  in  V.  1200  ist  unklar  und  befremdend.  —  Nach 
der  Rückkehr  wii-d  Achill  von  den  Eltern  wegen  seiner  Nach- 
denklichkeit befragt.  Wenn  ihn  die  Liebe  zu  der  Tochter  des 
fremden  Königs  quäle,  sagt  der  Vater,  könne  er  sie  ja  heiraten. 
Aber  der  Held  erwidert,  er  sei  durchaus  nicht  niedergeschlagen. 
—  Am  Abend  reitet  er  mit  seinen  Begleitern  wieder  zu  der 
Burg,  und  nachdem  er  in  einem  xpa-pöSt  um  Liebe  gefleht,  springt 
(sTTTJor^asv  1 233)  er  in  den  Garten,  wohin  ihm  auch  Patroklos  auf  einen 


184  Georg  War  teil  berg, 

Augenblick  folgt,  um  Weisungen  für  sich  und  die  Zwölf  zu  er- 
halten. Achill  bewundert  den  Garten,  als  ob  er  ihn  zum  ersten 
Mal  sähe.  Mit  sinnlichen  Zügen  wird  die  Vereinigung  der  Lieben- 
den beschrieben,  ganz  als  ob  es  die  erste  wäre.  Dann  wird  mit 
Hilfe  des  Patroklos,  dessen  Mitwirkung  allerdings  etwas  unklar 
bleibt,  die  Entführung  bewerkstelligt.  Nach  beiderseitigen  Liebes- 
beteuerungen übergiebt  Achill  das  Mädchen  dem  Patroklos  und 
seinen  fünf  Brüdern,  die  nur  hier  (1279)  erwähnt  werden,  um  sie  zu 
seinen  Eltern  zu  bringen.  Er  selbst  bleibt  mit  den  übrigen  sechs 
Recken  zurück  und  weckt  die  Angehörigen  seiner  Geliebten  durch 
ein  Trutzlied. 

Dieser  Teil  des  Gedichtes  (N  1048 — 1294),  welcher,  wie  wir 
gesehen  haben,  in  den  Nebenumständen  an  einigen  Unklarheiten 
leidet,  hat  in  der  kürzeren  Fassung  stellenweise  eine  andere  Ge- 
stalt (B  403 — 544).  Die  Bemerkung  über  anfängliche  Bedenken 
der  Liebenden  gegen  völlige  Vereinigung  findet  sich  auch  hier 
(444).  Der  Weckruf  am  Morgen  (450)  utt«-^'  st?  ttjv  jAT^Tspa  ctou 
erscheint  passender  als  das  a^toixsv  in  N.  Die  Frage:  „Welcher  ist 
Achill?"  (464)  xal  ttoios  dito  tou?  owSsxa  eve  6  ttoöt^t&s  l^^^^'i 
(N.  1144:  TTcd  TToToc  va  evctt  6  auöevi/^c)  thun  hier  nicht  die 
Dienerinnen,  sondern  das  Mädchen  selbst.  Die  Worte,  durch 
welche  in  N  die  Dienerinnen  den  Achill  für  einen  würdigen 
Geliebten  erklären,  sind  hier  so  gewandt,  dass  sie,  an  Achill 
gerichtet,  diesem  das  Mädchen  als  eine  würdige  Geliebte  an- 
preisen : 


N  1154  ff. 
AeöTtoivd  [xou,  ^Y^tpou  va  tov  fÖTß? 

xal  xataj^opxaas  xov, 
ßX£'}ov   xrjv   YjXtxtav   xou,    xö   Dao- 

jjLCtaxov  xo'j  xdXXof. 
XOLpa   'c    oTToö   xov    ^"ifsvvr^cjsv    zhv 

aYoupov   ixouxov. 
Auxöv  dipfioCei  ix  Travxö?  va  yaip'Qi 

[i,£xa  xouxov. 


B  472  ff. 
oxpa'cpoi),  auOsvxr^  eü^Evr^,  xai  ^upioie, 

dvopKüjxeve, 
tÖ£  xal  xaxatyopxasö  xa  Daofiaaxd 

xr^S  xa'XX/j, 
ixouxTj     itpsTr'    [auOc'vxrj     [jloo]     va 

}(atp£xat  }JL£  asva. 


Der  Keulenschlag  gegen  das  Burgthor  fehlt,    nicht    aber  der  Tadel 
der  Genossen,  welcher  in  der  Form  wie  er  hier  ohne  nachfolgendes 


Die  byzautiuischo  Achillei».  185 

Lob  ausgesprochen  wird,  besser  in  den  Zusammenhang  von  N  passen 
würde:  504 f. 

KaXov  oux  f^xov,  SeaTroxa,  xotouxov  TrpajjLiJLa  Troir^aat 
av  t6  YpoixT^aouv  oi  dSspcpot  ttXeov  va  xtjv  cpu^ayouv. 

Es  fehlt  dann  das  Gespräch  mit  den  Eltern.  Beim  zweiten  Be- 
treten des  Gartens  wird  Patroklos  nicht  erwähnt,  dem  aber  dann 
u£xa  xaiv  oXXtov  £$75,  nicht  mit  seinen  Brüdern,  die  Aufgabe  zufällt, 
das  Mädchen  fortzuschaffen.  Hieran  schliesst  sich  ohne  jeden  Ueber- 
gang  das  Trutzlied  des  Achill.  Ueberall,  wo  die  Uebereinstimmung 
der  Aversionen  eine  genauere  ist,  ist  doch  N  viel  ausführlicher.  Die 
beiden  Anreden  Achills  in  N  (1098—1101  und  1136—1139),  welche 
durch  eine  genaue  Beschreibung  der  Ausrüstung  getrennt  sind, 
bilden  in  B  (455 — 460)  eine  zusammenhängende  Rede.  —  Genauer 
ist  wieder  die  Uebereinstimmung  beim  Beginn  der  Verfolgung. 
Achill  ermahnt  die  Seinen,  im  Kampfe  die  Brüder  seiner  Braut 
zu  schonen  (N  1301  ff.,  B  558 f.).  In  B  jedoch  greift  dann  einer  der 
Brüder  den  Achill  an,  während  es  in  N  nur  irgend  ein  tapferer 
Krieger  ist  (N  1320,  B  566).  Nach  der  Versöhnung  erstattet  Achill 
dem  besorgten  Mädchen  Bericht.  In  beiden  Gedichten  bleibt  hier 
unklar,  weshalb  diese  nicht  längst  von  Patroklos  und  seinen  Ge- 
nossen, wie  Achill  befohlen  hatte,  vom  Kampfplatz  entfernt  worden 
ist.  Mit  einem  im  Gegensatz  zu  der  sonstigen  Breite  merkwürdig 
schroffen  Uebergang  (man  ist  versucht,  eine  Lücke  anzunehmen), 
versetzt  uns  N  (1385  f.)  an  den  Hof  der  Eltern  Achills,  welche  den 
heimkehrenden  Sohn  und  seine  Braut  begrüssen.  Nach  dem  Mahle 
ziehen  sich  die  Liebenden  zurück  und  müssen  am  nächsten  Tage, 
als  der  Vater  des  Mädchens,  den  Achill  durch  die  Brüder  hatte 
einladen  lassen,  erscheint,  durch  die  Zwölf  sehr  energisch  geweckt 
werden.  In  B  ist  der  Uebergang  hier  noch  unvermittelter  (600 f.).  — 
Bei  der  Hochzeitsfeier  überwindet  Achill  im  Turnier  einen  starken 
Franken.  Diese  Episode,  eine  Frucht  griechischen  Nationalstolzes, 
ist  in  beiden  Gedichten  sprachlich  ziemlich  selbständig  behandelt. 
Ebenso  entsprechen  sich  in  der  nun  folgenden  Abschiedsscene  vor 
dem  Tode  der  Gattin  nur  wenige  Verse,  die  mit  völlig  selb- 
ständigen Stücken  zu  zwei  sehr  verschiedenen  Texten  verar- 
beitet sind.      Namentlich   beschränken  sich    in  B  die  weitläufigen 


186  Georg  Wiirtenberg, 

Betrachtungen  über  die  Vergänglichkeit  des  Irdischen  auf  zwei 
Verse  (707  f.). 

Dies  sind  die  wichtigsten  Unterschiede  der  beiden  Redaktionen. 
Dabei  ist  in  fast  allen  Teilen,  die  sich  inhaltlich  decken,  auch  die 
sprachliche  Uebereinstimmung  so  gross,  dass  sich  die  Mehrzahl  der 
761  Verse  von  B  unter  den  1758  (abgesehen  von  l75yff.)  von  N 
wiederfinden.  Eines  der  beiden  Gedichte  muss  daher  eine  Um- 
arbeitung des  anderen  sein,  oder  beide  müssen  auf  das 
gleiche  Original  zurückgehen.  Auch  in  letzterem  Falle  bleibt 
die  Frage  bestehen,  ob  die  längere  oder  die  kürzere  Fassung 
die  ursprüngliche  ist.  Bei  der  Erörterung  derselben  müssen  wir 
natürlich  diejenigen  Stellen  beiseite  lassen,  an  denen  der  eine 
oder  der  andere  Text  verstümmelt  sein  könnte.  Dies  ist  in  N 
möglicher  Weise  an  der  Stelle  der  Fall,  wo  entgegen  der  sonstigen 
Gewohnheit  des  Verfassers  jede  Andeutung  des  Ortswechsels  fehlt 
(nach  1385).  Mit  noch  mehr  Wahrscheinlichkeit  kann  man,  wie 
Sathas  gethan  hat,  in  B  das  Fehlen  des  angekündigten  Briefes 
Achills  an  den  Vater  (nach  316)  und  des  Uebergangs  zur  Garten- 
scene  mit  Eros  (nach  373)  äusseren  Zufällen  zuschreiben.  Es  läge 
nahe,  Mängel  der  Darstellung  in  dem  kürzeren  Gedicht  auch  an 
anderen  Stellen  auf  diese  Weise  zu  erklären.  Nur  unzweifelhaft 
heile  Partien  dürfen  daher  zur  Beurteilung  des  gegenseitigen  Ver- 
hältnisses der  beiden  Versionen  herangezogen  werden. 

Gleich  in  der  Kindheitsgeschichte  zeigt  sich  eine  bemerkens- 
werte Verschiedenheit.  In  N  ist  die  Entwickelung  des  Knaben  eine 
rapide,  in  B  dagegen  sind  die  Altersangaben  so,  dass  ungefähr  der 
Zeitraum  für  eine  normale  ritterliche  Erziehung  herauskommt.  Es 
ist  nun  ein  in  der  Sagenentwickelung  bekannter  Vorgang,  dass  die 
jüngeren  Darstellungen  häufen  und  übertreiben,  und  man  ist  daher 
auch  hier  versucht,  das  Wahrscheinlichere  für  das  Ursprüngliche 
zu  nehmen.  Aber  bald  nach  jener  Uebersicht  über  seine  Ent- 
wickelung wird  in  beiden  Darstellungen  (N  95 ff.,  B  60ff.)  die 
Schönheit  des  Dreizehnjährigen  geschildert,  woran  sich  sofort  das 
Turnier  schliesst,  an  dem  er  anfangs  unerkannt  teilnimmt.  Hierauf 
folgen  in  N  erst  noch  einige  Verse  über  die  Schönheit  des  Fünf- 
zehnjährigen (172 — 176),  während  B  sogleich  zu  dem  Feldzug 
übergeht.      In    N    also    schreitet    die  Erzählung  chronologisch  fort, 


Die  byzantinische  Achilleis.  187 

in  B  dagegen  steht  die  Beschreibung  des  Dreizehnjährigen  und  das, 
wie  man  annehmen  muss,  eben  in  diesem  Alter  bestandene  Turnier 
liinter  der  Angabe,  dass  er  bis  zum  vierzehnten  Jahre  Unterricht 
genoss  und  erst  mit  achtzehn  Jahren  nach  kriegerischem  Ruhm 
verlangte.  Dass  dies  nicht  das  Ursprüngliche  sein  kann,  ist  ebenso 
klar  wie  die  Art,  auf  welche  diese  Störung  in  den  Verlauf  der 
Darstellung  hineingeriet.  Ein  Bearbeiter  stiess  sich  an  den  märchen- 
haften Altersangaben  und  ersetzte  sie  durch  wahrscheinlichere, 
ohne  die  ganze  Darstellung  danach  umzuarbeiten.  Unsere  Annahme, 
dass  die  an  sich  weniger  glaubliche  Altersangabe  die  ursprüngliche 
ist,  wird  auch  dadurch  unterstützt,  dass  im  Digenisepos  der  Held 
sich  ebenfalls  so  schnell  entwickelt.  Aus  der  Digenissage  nämlich, 
wie  längst  bekannt  war  und  unten  noch  näher  ausgeführt  werden 
soll,  ist  der  grösste  Teil  des  Inhalts  unseres  Gedichtes  herüber- 
genommen. —  Noch  an  einer  anderen  Stelle  weichen  die  Zahlen- 
angaben von  einander  ab.  In  N  (372)  rückt  das  Heer  Triv-e  xott  oixa 
jj-i'Xia  vor,  rastet  dann  und  setzt  den  Marsch  zehn  Tage  fort  (384), 
bis  es  Nachricht  vom  Feinde  erhält.  In  B  (185 .  194)  dagegen 
stehen  dafür  [xiXtou  svav  xottov,  aber  o6o  [ivjva?.  Es  besteht  also  keine 
durchgehende  Vorliebe  für  die  kleineren  oder  grösseren  Zahlen- 
angaben in  einer  der  beiden  Bearbeitungen. 

Lehrreicher  noch  als  jene  Altersangaben  ist  füi'  die  Erkenntnis 
der  zwischen  beiden  Gedichten  bestehenden  Beziehungen  folgendes: 
Wie  oben  bemerkt,  fehlt  in  dem  Abschnitt,  der  die  Vorbereitungen 
zum  Kriegszuge  schildert,  in  B  u.  a.  das  xpaYoüoi  Achills,  in  welchem  er 
dem  Eros  Trotz  bietet,  und  die  sich  daran  schliessenden  warnenden 
Worte  des  Patroklos.  Der  Gedanke,  den  Achill  ausspricht  (N  272  ff.), 
„von  der  Liebe  besiegt  zu  werden,  ist  unmännlich",  kommt  hier, 
wie  wir  ebenfalls  schon  hervorhoben,  ziemlich  unerwartet.  Ein 
anderes  ist  es,  wenn  später  das  Mädchen  auf  Achills  Werbung  mit 
einer  ähnlichen  Wendung  antwortet.  Die  augenblickliche  Situation 
lädt  durchaus  nicht  zu  Betrachtungen  über  die  Macht  der  Liebe 
ein.  Aber  dennoch  würde  der  Schluss,  dass  wir  es  mit  einem 
unorganischen  Zusatz  zu  thun  haben,  sich  als  vorschnell  erweisen. 
Denn  auch  in  dem  kürzeren  Gedichte  wird  an  einer  späteren  Stelle 
vorausgesetzt,  dass  Achill  einst  vermessene  Worte  gegen  Eros  ge- 
sprochen hat.    Während  nämlich  in  N  (1045  f.)  Patroklos,  nachdem 


188  Georf,'  Wartenherp, 

Achill  die  Zwölf  in  sein  llerzensgeheimnis  eingeweiht  hat,  auf  seine 
früheren  Worte  zurückweist,  lesen  wir  in  Vi  an  der  entsprechenden 
Stelle  V.  400ff. 

Kai  s,U  OLTcb  Tous  8(u8£xa  Ysptov  £t:iXo7Tjö-/j' 
„Oux  eXe^a  as  Ziatzo-za  tou?  spwxa?  [irj  ^J^i^ifj?; 

TÄpa    VOt    fiaÖTTj?    X7]V    It/W    XOtl    SUVOJAIV    TTjV    £)(0UV!" 

Die  Worte  des  Alten  sind  im  wesentlichen  denen  des  Patroklos 
in  N  gleich,  ihn  selbst  aber  erkennen  wür  unschwer  als  einen  Ein- 
dringling. Da  der  Bearbeiter  jene  frühere  Warnung  des  Patroklos 
ausgemerzt  hatte,  konnte  er  ihn  auch  hier  nicht  brauchen.  An 
seine  Stelle  setzte  er,  da  er  die  Verse  dennoch  verwenden  wollte, 
einen  Greis,  der  möglicherweise  gewohnheitsmässig  dem  Königssohn 
gute  Lehren  gab.  Damit  ist  dann  das  oux  IXs^a  allenfalls,  wenn 
auch  sehr  gezwungen,  gerechtfertigt.  Dieser  Greis  aber  muss,  da 
andere  Zeugen  bei  dem  vertrauten  Gespräch  nicht  zugegen  sein 
können,  zu  den  zwölf  auserwählten  Genossen  gehören.  Aber  ein 
Greis  passt  gar  nicht  in  das  Gefolge  Achills;  denn  N  165  erbittet, 
er  sich  vom  Vater  vsou;  ixXsxiou;,  und  auch  B  131  heisst  es:  Tou; 
otuSsxa  vstuTspouc,  xou?  ösXo)  ^ö^^copt'aat.  Wir  haben  es  also  auch 
hier  mit  einer  Abänderung  des  ursprünglichen  Zusammenhangs  zu 
thun,  durch  die  eine  kleine  Schwierigkeit  gehoben  und  dafür  eine 
grössere  geschaften  wird. 

Eine  ähnliche  Abweichung  der  beiden  Bearbeitungen  von  ein- 
ander findet  sich  an  der  Stelle,  wo  Achill  am  Tage  nach  dem 
ersten  Stelldichein  mit  seinen  Recken  an  der  Burg  des  ^lädchens 
vorüberreitet  und  zuerst  selbst  ein  wenig  zurückbleibt.  Die  Frage: 
„Welcher  von  diesen  ist  Achill?"  (N  1144,  B  464)  ist  in  N  passend 
dadurch  vorbereitet,  dass  vorher  die  vollkommen  gleiche  Ausrüstung 
der  Zwölf  beschrieben  und  hier  noch  einmal  erwähnt  wird.  Sie 
wird  den  Dienerinnen  in  den  Alund  gelegt  oder  wenigstens  als 
Inhalt  des  Gespräches  der  Herrin  mit  den  Dienerinnen  dargestellt 
(SXaif  dXXT^/.aic  iXs-j-aoiv).  In  B  dagegen  fragt,  wie  erwähnt,  das 
Mädchen.  Erscheint  schon  dies  weniger  angemessen,  so  ist  es  völlig 
überflüssig,  wenn  darauf  (B  47211'.)  die  Frauen,  statt  wie  in  M 
(1154 ff.)  ihre  Bewunderung  für  Achill  der  Herrin  gegenüber  aus- 
zudrücken, diese  vielmehr  dem  Helden  mit  fast  denselben  Worten 


Die  byzantinische  Achilleis.  189 

als  würdige  Geliebte  anpreisen.  Der  Unterschied  zwischen  N  und 
B  ist  also  hier  gleicher  Art  wie  an  der  Stelle,  wo  ein  namenloser 
Greis  in  B  den  Patroklos  in  N  verdrängt  hat.  Die  Worte  sind 
im  wesentlichen  dieselben,  erhalten  aber  in  B  teils  einen  anderen 
Sprecher,  teils  einen  anderen  Hörer.  Wenn  man  das  Natürliche 
und  Einfache  als  das  Ursprüngliche  ansehen  darf,  so  dient  auch 
diese  Stelle  als  Beweis,  dass  wir  es  in  B  mit  einer  sekundären 
Bearbeitung  zu  thun  haben.  Leider  ist  aber  hier  nicht,  wie  an 
den  beiden  vorher  behandelten  Stellen,  auch  das  Motiv  des  Bear- 
beiters ersichtlich. 

Von  dem  Keulenschlag  Achills  gegen  die  Mauer  (N  119511".) 
steht  ferner,  wie  wir  sahen,  in  B  nichts.  Der  Vorgang  ist  an  sich 
wunderlich  genug,  um  als  ein  ungeschickter  Zusatz  gelten  zu  können. 
Dennoch  muss  diese  Kraftprobe  in  der  Vorlage  von  B  gestanden 
haben.  Denn  weshalb  tadeln  die  Mannen  (o04f.)  ihren  Herrn? 
Etwaige  Bedenken  gegen  den  Ritt  zur  feindlichen  Burg  am  hellen 
Tage  überhaupt  durften  doch  nicht  erst  hier  geäussert  werden. 
Wie  ol)en  bemerkt,  würden  die  Worte  der  Zwölf  in  der  Form,  wie 
sie  B  hat,  fast  noch  besser  in  den  Zusammenhang  von  N  passen 
als  das  ihnen  dort  entsprechende  Stück.  Es  bleibt  die  Möglichkeit, 
dass  in  B  der  Keulenschlag  infolge  einer  Verstümmelung  des  Textes 
ausgefallen  ist.  Dieses  Bedenken  Hesse  sich  mit  weniger  Sicherheit 
abweisen,  wenn  der  Vorgang  in  B  eben  einfach  wegbliebe.  Aber 
er  ist  durch  etwas  Anderes  ersetzt,  was  in  N  nicht  steht,  nämlich 
durch  den  Abschiedsgruss  v.  501: 

Damit  scheint  der  Bearbeiter  das  Loch  stopfen  zu  wollen,  welches 
durch  Herausnahme  eines  ihm,  wie  früher  die  Altersangaben, 
inhaltlich  unwahrscheinlich  erscheinenden  Stücks  entstanden  war. 
Die  Spuren  seines  Eingreifens  aber  ganz  zu  verwischen,  hat  er  auch 
hier  unterlassen. 

Noch  klarer  liegt  die  Thatsache  einer  oberflächlichen,  durch 
ihre  eigene  Inkonsequenz  sich  verratenden  Abänderung  des  Inhalts 
der  Vorlage  an  der  letzten  hier  zu  behandelnden  Stelle  zu  Tage. 
Dass  nämlich  auf  der  Verfolgung  Achill  in  B  (56(j)  von  einem 
der  Brüder  des   Mädchens   angegriffen  wird,  nicht  wie  in  N  (1320) 


190  Georg  "Wartenberg, 

von  irgend  einem  tapferen  Krieger,  widersj)iicht  dem  Vorliergehenden 
wie  dem  Folgenden.  In  der  früheren  Schlacht  (N  539 ff.  B  279 ff.) 
hatte  Achill  drei  von  den  fünf  Söhnen  des  feindlichen  Königs  erlegt. 
Wenn  er  nun  hier  wieder  einen  vom  Rosse  werfen  soll  (B  579 
ouaaeXov  töv  ire-aSev;  N  1342  heisst  es  sogar,  dass  er  schwerlich 
wieder  aufstehen  düi-fte),  so  weiss  man  nicht,  woher  die  YovaixaSsXcpoi 
kommen,  die  nach  Niederwerfung  jenes  kühnen  Angreifers  durch 
Achill  von  den  Pferden  springen  (577  ttsCsuouv  ix  tä  0^07«)  und 
um  Frieden  bitten:  aber  in  dem  kürzeren  Gedichte  wird,  wie  auf 
einer  kleinen  Bühne,  möglichst  an  Personal  gespart.  Einer  der 
beiden  noch  lebenden  Brüder  muss  die  tragische  Rolle  des  unbe- 
nannten Kriegers  mit  übernehmen  und  gleich  darauf  wieder  zu 
Pferde  sitzen. 

Diese  Stellen  beweisen  meines  Erachtens,  dass  uns  in  B,  ob- 
gleich, wie  wir  sahen,  der  Zusammenhang  der  Darstellung  infolge 
der  Knappheit  stellenweise  klarer  erscheint  als  in  N,  die  nicht  immer 
geschickte  Redaktion  einer  breiteren  Darstellung,  wie  sie  N  bietet, 
vorliegt. 

Nachdem  wir  so  mit  Hilfe  der  Stellen,  an  denen  der  Redaktor 
tiefer  eingegriffen  hat,  ohne  die  Spuren  seiner  Thätigkeit  ganz  zu 
verwischen,  einen  sicheren  Standpunkt  für  die  Beurteilung  seines 
Verfahrens  gewonnen  haben,  dürfen  wir  versuchen,  seine  Hand  auch 
anderwärts  zu  erkennen.  Nach  dem  ersten  Turnier  bittet  Achill 
seinen  Vater:  N  162ff. 

)(a)pi30V  Tttttou?  Ifxfjiopcpou?,  (papt'a  8oxifAaafA£va, 

xal  xwv  dXoYwv  xa?  [lova?  va  f^vat  cpu/vot-yfxsvat, 

va  iiraptü  ex  ta  cpouaaxa  aou  xai  ix  laq  TrapaiaYa?  aou* 

oibu?  OsXu)  vsou?  IxXexTOus,  oixsi'ou^  va  ttoiVjou) 

touTO  TToöu)  xal  ips^Ofi-at 

Dies  schmilzt  B  112 ff.  zusammen  zu: 

/otpiae  nrirous  StuÖExa,  cpapia  8oxi(JLaa[jiva 

8ta  \6'(oo  fiou  d?  »uXa'aaouvxat,  d;  evt  iSixd  (lou* 

TOUTO    TToOoi    Xlfj     ^pl^OfAttl 

B  spricht  nur  von  den  Pferden,  nicht  von  den  Mannen.  Die 
Erwähnung  dieser  in  N  (164 f.)  ist  kein  müssiger  Zusatz,  sondern 


Die  byzantinische  Achilleis.  191 

umgekehrt  ist  durch  das  Wegbleiben  derselben  in  B  der  Zusammen- 
hang gestört.  —  Achill  verlangt  von  seinen  Mitstreitern  nicht  nur 
Tapferkeit,  sondern  auch  gute  Ausrüstung  mit  Ross  und  Waffen. 
N  232  ff. 

Kat  Toupcf  OsXo)  Ix  TavTÖ?  va  ?8a>  xou?  ccvSpsiujfjisvouc, 
Mk(o  xGtl  77.  cpapta  aoL^  va  fjva'.  xaXoc  xotl  ocvSpsia, 
xat  TOL  ap[xa-a  aa?  oyopd,  va  TroXefx^ts  o)?  avSps?. 

Diesen  drei  Versen  entsprechen  in  B  162 f.  nur  zwei: 

OsXtü  yocp  -avxac  Ix  twco^  va  'Sui  xou?  avSpicufievou?, 
ösXtu  xal  xa  cpapta  aa?  [xaCt  [as  x'apfiaxa  aa>. 

Es  wird  somit  gar  nicht  gesagt,  welche  Eigenschaft  er  bei  den 
Rossen  und  Waffen  verlangt.  'AvopeTo;  oder  dvoptmfisvo?  passt  jeden- 
falls auf  die  letzteren  nicht.  Daher  macht  auch  diese  Stelle  in  B 
den  Eindruck,  als  ob  sie  durch  ungeschickte  Kürzung  des  Textes 
von  N  entstanden  sei.  —  N  247  f.  preisen  sich  die  Mannen  glück- 
lich, einen  solchen  König  zu  haben: 

"Eoo  [xac  s^oixav  oi  Osol  axpaxiwxr^v  ßaaiXsa, 
TTooc  [J-a/ot?  xat  -apaxa'j-a?  xiva  va    pirj  cpoß-^xat. 

Dafür  steht  in  B  172 f.  etwas  ganz  Unverständliches: 

-/apa  '?  xov  Ostöv  ttou  [lä;  'otuxsv  xoiouxov  ßaatXsa* 
st;  \i^dyjj.^  xat  TiapataYa?  xtjv  ouvafxtv  cpoßoövxat. 

Ttjv  Suva fx IV  kann  durch  Verlesen  oder  Verhören  aus  xiva  va  jxtj 
entstanden  sein.  —  B  184  (=  N  3G3)  steht  für  TrapaxayTjv  das  sinnlose 
xapa/r^v,  B  257  (=  N  498)  für  otTrefistSiaas  das  durch  den  Zusammen- 
hang ausgeschlossene  löstXtaae.  —  Könnten  an  den  letzten  drei 
Stellen  allenfalls  in  B  Textverderbnisse  vorliegen,  die  mit  der  Be- 
schaffenheit der  etwaigen  Vorlage  nichts  zu  thun  haben,  so  ist  dies 
an  der  folgenden  Stelle  nicht  möglich.     B  325 ff.  lesen  wir: 

Mai>(jbv  §£  xouxo  'A)(tXX£u?  [ttäc]  epyjov-'   oi  -(ovst?  xou 

£t?  c?.7ravxr|V  i^sßyjaav  avSps;  x£  xat  YuvaTxs?, 

xat  ek  X7)v  yjupoiv  r^k^a'Siv  otrsato  et?  xö  xatJxsXXtv  .  . 

Achill  erfährt,  dass  auf  seinen  Wunsch  die  Eltern  sich  der  durch 
die    eben    geschilderte  siegreiche  Schlacht   entsetzten  Stadt  nähern. 


192  Georg  Wartenberg, 

und  holt  sie  mit  der  Bevölkerung  feierlich  ein.  Dies  soll  ohne 
Zweifel,  wie  die  entsprechende  Stelle  N  691  ff.  beweist,  der  Sinn 
dieser  Verse  sein.  Aber  abgesehen  von  der  befremdlichen  Participial- 
konstruktion  MaOojv  ....  fehlt  einfach  die  Ankunft  des  alten 
Königspaares  (N  ()94— (>99),  so  dass  dem  Wortlaute  nach  die  Bewohner 
der  Stadt  zwecklos  hinaus-  und  wieder  hineinspazieren.  Auch  hier 
erklärt  sich  der  Zustand  des  Textes  in  B  am  leichtesten  durch  die  An- 
nahme ungeschickter  Kürzung  eines  Originals,  wie  es  in  N  vorliegt. 
—  Endlich  lohnt  es  sich,  noch  einen  Blick  auf  die  oben  in  beiden 
Fassungen  citierte  Stelle  zu  werfen,  wo  wesentlich  dieselben  Worte 
in  N  (846  ff.)  ein  Gebet  an  Eros,  in  B  (332  ff.)  einen  Brief  an  die 
Geliebte  bilden.  Wenn  auch  hier  der  AVortlaut  ein  Urteil  über  die 
Priorität  der  einen  oder  anderen  Verwendung  nicht  begründen  konnte, 
so  ist  doch  zu  beachten,  dass  die  natürliche  Abwechselung  von  Brief 
und  Antwort,  wie  sie  N  zeigt,  in  B  aufgegeben  ist.  Auch  dies 
spricht  für  die  Originalität  des  umfangreicheren  Gedichtes. 

Wegen  des  textkritisch  durchaus  unzuverlässigen  Bodens,  auf 
dem  wir  uns  hier  bewegen,  müssen  wir  darauf  verzichten,  diese 
Spuren  weiter  zu  verfolgen.  Das  Angeführte  jedoch  dürfte  genügen, 
um  darzuthun,  dass  der  Redaktor  sein  sprachliches  Material  mit 
flüchtigem  Griff  der  Vorlage  entnimmt  und  oft  gedankenlos  ver- 
wendet. Vergegenwärtigen  wir  uns  dies,  so  werden  wir  mit  der 
Annahme  von  Lücken  in  dem  kürzeren  Gedicht  sehr  vorsichtig  sein. 
Es  kam  dem  Bearbeiter  in  erster  Linie  darauf  an,  die  Hauptmotive 
und  die  Glanzstellen  seines  umfangreicheren  Vorbildes  festzuhalten. 
Es  ist  ihm  daher  wohl  zuzutrauen,  dass  er,  so  wie  er  bei  der  Ein- 
holung des  alten  Königspaares  den  Zweck  des  Hinaus-  und  Hinein- 
strömens  der  Bevölkerung  des  Kastells  an  einer  Stelle  überging, 
wo  der  Zusammenhang  seine  Erwähnung  forderte,  auch  kurz  vorher 
(B  305 f.),  nachdem  Achill  das  Mädchen  erblickt,  zu  erwähnen 
unterliess,  dass  sich  der  Held  endlich  aus  seiner  Lethargie  aufraffte 
und  nach  der  befreundeten  Stadt  zurückkehrte  (N  617 — 619). 
Dadurch  entstand,  wie  oben  bemerkt,  für  den  Leser  eine  Unklar- 
heit, die  sich  erst  durch  das  Folgende  aufklärt.  Auch  ist  nicht 
ausgeschlossen,  dass  er  einen  von  ihm  selbst  angekündigten  Brief 
Achills  überging  (315fl".).  Nur  den  ersten  Teil  der  Gartenscene, 
wo  Eros  erscheint,  kann  er  nicht  gut  absichtlich  weggelassen  haben. 


Die  byzantinische  Achilleis.  193 

Vielleicht  aber  Hess  ihn  auch  seine  Vorlage  stellenweise  wegen 
^'^erstümmelung  oder  ünleserlichkeit  im  Stich.  —  Es  ist  nun  aber 
durchaus  nicht  notwendig,  dass  die  Hs.  N  oder  ein  mit  ihr  kritisch 
identischer  Text  dem  Schreiber  von  B  vorgelegen  hat.  Vielmehr 
ist  es  sogar  wahrscheinlich,  dass  gewisse,  nur  in  B  enthaltene 
Stücke,  z.  B.  der  Kosename  Suvstatpo?  (56 If.),  ebenfalls  einem  älteren 
Texte,  der  uns  nicht  erhalten  ist,  entlehnt  sind.  Das  aber  darf 
als  erwiesen  angesehen  Merden,  dass  von  den  beiden  an  Umfang 
so  wesentlich  verschiedenen  Fassungen  der  Achilleis  entgegen  der 
Ansicht  Krumbachers  (B.  L.  S.  848)  und  Sathas'  (s.  o.)  die  aus- 
führlichere die  ältere  ist,  wie  dies  Bikelas  (Vorrede  zu  W.  Wagner, 
Trois  poemes  grecs  p.  VI)  bereits  vermutete. 


Bevor  wir  in  die  Vergleichung  der  beiden  Versionen  der 
Achilleis  eintraten,  wurde  erwähnt,  dass  nur  der  letzte  Teil  der 
Hs.  N,  Achills  Tod  in  Troja,  mit  einer  antiken  Darstellung,  der 
l)ei  Malalas,  einige  \^erwandtschaft  hat.  Alles  Uebrige  hat  durchaus 
den  Charakter  eines  abendländischen  Ritterromans.  Die  socialen 
Verhältnisse,  das  Kriegswesen,  die  Ehrbegriffe,  ja  Kleidung  und 
Schmuck,  sind  aus  dem  Westen  importiert.  Daneben  erscheinen 
echt  byzantinische  und  volkstümlich  griechische  Züge.  Dazu  gehören 
die  Kunstwerke,  die  Bezeichnung  des  Streitkolbens  mit  dTrsXattxov 
(von  a.T:a.ld-rj<;  Räuber),  das  starke  Naturgefühl,  die  wissenschaftliche 
Ausbildung  des  jungen  Kriegers,  vor  allem  der  Todesgott  Charos. 
Aber  auch  die  Hauptmotive  der  Handlung  sind,  wie  längst  bekannt 
und  wie  oben  auch  schon  gelegentlich  erwähnt  wurde,  einer  natio- 
nalen Sage  entlehnt.  Krumbacher  sagt  darüber  a.  a.  0.  S.  849: 
„Für  die  Erkenntnis  des  Grundcharakters  des  Gedichtes  ist  nament- 
lich die  unverkennbare  Ähnlichkeit  des  Achilles  mit  dem  rho- 
mäischen  Nationalhelden  Digenis  Akritas  zu  beachten;  die  wichtig- 
sten Züge  sind  beiden  gemeinsam,  das  wundersam  schnelle  Wachs- 
tum, die  jugendlichen  Heldenthaten,  der  frühe  Tod  der  Gemahlin 
und  des  Helden  selbst."  Wir  verfolgen  diese  Spur  ein  wenig 
weiter,  wobei  wir  uns  auf  die  ausführlichere  Darstellung  beschränken 
dürfen,  da  die  wenigen  Besonderheiten  der  kürzeren  keine  Be- 
ziehungen zur  Digenissage  haben. 

Festschrift  Vahlen.  13 


194  Georg  Wartenberg, 

Schon  oben  wurde  die  rapide  Entwickelung  des  TTelden  erwähnt, 
die  in  den  modernen  JJigenisliedern  ins  Skurrile  übertrieben  ist. 
Digenis  beginnt  nach  den  beiden  älteren  Darstellungen  in  der  Hs. 
V.  Grotta  Ferrata  (G:  Biblioth.  gr.  vulg.  (x)  und  von  Trapezunt 
(T:  Coli.  d.  mon.  neohell.  N.  S.  6.)  seine  Heldenlaufbahn  zwöUjährig, 
Achilles  dreizehnjährig.  Die  weniger  wunderbare  Altersangabe  in 
B  erwies  sich  als  eine  Schlimmbesserung.  Beide  entführen  die 
Geliebte  aus  einem  festen  Schlosse.  Bevor  aber  die  Entführung, 
geschildert  wird,  erhalten  wir  in  der  Achilleis  eine  endlose  Be- 
schreibung des  Gemachs  und  des  Gartens  mit  allen  ihren  Herrlich- 
keiten. Auch  im  Digenisliede  wird  tf^;  xopr^?  t6  xoußixXtv  (G  IV 
271;  T  1124)  genau  an  der  entsprechenden  Stelle  geschildert.  Die 
Entführung  erfolgt  beiderseits  nicht  sofort,  sondern  nach  vorher- 
gehender Verabredung  in  einer  Nacht.  .  Inzwischen  erregt  sowohl 
Achilles  wie  Digenis  (N 120511'.  G  IV  380ff.)  durch  sein  träumerisches 
Wesen  die  Besorgnis  der  Eltern,  besonders  der  Mutter,  weicht  aber 
ihren  Fragen  mit  der  Versicherung,  dass  ihm  nichts  fehle,  aus. 
Einen  wichtigen  Teil  der  Handlung  bilden  dann  hier  wie  dort  die 
Entführung  selbst  und  der  Kampf  mit  den  Verfolgern.  Er  wird 
dadurch  hervorgerufen,  dass  Digenis  und  Achilles,  bevor  sie  davon- 
reiten,  durch  ein  Trutzlied  die  Angehörigen  der  Braut  wecken 
(N  1288 ff.  G  IV  592 ff-;  in  T  ist  eine  Lücke,  die  man  sich  aus 
der  mit  T  im  wesentlichen  übereinstimmenden  Hs.  von  Andros  [A] 
1998 ff",  ergänzen  muss).  Die  Braut  des  Digenis  bittet  selbst,  im 
Kampfe  ihrer  Brüder  zu  schonen  (G  IV  651  ff.;  T  125811".);  in  der 
Achilleis  legt  dies  der  Held  seinen  Gefährten  ans  Herz,  und  nach- 
her fragt  das  Mädchen  ängstlich,  ob  auch  kein  Unglück  geschehen 
sei.     N  1369 

Mt}  Tt  Ssivov  auveßyjxsv   ix  täv  d7:poaoox>5To>v. 

Fast  dieselben  Worte  stehen  in  G.  Digenis  knüpft  hier  sein  \'er- 
sprechen,  die  Brüder  zu  schonen,  an  die  Bedingung  IV  660 

el  (jiij  Ti  ftepov  aujxß^  ix  tcuv  dTrpoaSoxTjxcuv. 

Obgleich  eine  Abhängigkeit  der  Achilleis  vom  Wortlaut  einer  der 
grossen  Digenisepen  mir  sonst  nicht  nachweisbar  scheint,  so  li.ilti; 
ich  es  doch  nicht  für  ausgeschlossen,    dass   hier  eine  Keminisceuz 


Die  byzantinische  Achilleis.  J95 

vorliegt.  Aber  nimmt  man  auch  einen  Zufall  an,  so  berechtigt 
uns  doch  die  weitgehende  Uebereinstimmung  im  Verlauf  der 
Handlung  zu  dem  Schlüsse,  dass  bei  Erfindung  des  Inhalts  der 
Achilleis  nicht  nur  die  Digenissage  im  allgemeinen,  sondern  eine 
den  uns  erhaltenen  mittelalterlichen  Gedichten  nahestehende  Dar- 
stellung derselben  eingewirkt  hat.  Dies  wird  fast  zur  Gewissheit, 
wenn  man  die  Art,  wie  in  der  Achilleis  und  den  Digenisepen  die 
Sterbescene  eingeleitet  wird,  ins  Auge  fasst.  Die  Eingangsverse  des 
letzten  (8)  Buches  in  G  lauten: 

'ErsiO"/]  TTocvia  xoc  xepTrva  tou  TrXavou  xoajxou  toutou 
äoTjc  txapatvst  xai  ostvö;  irapaXaaßavet  Xaptov, 
•mi  (ü?  ovoip  ■iTap£pj(£Tat  xctt  axtoc  tzoloolt^A'/zi 
xarrvö;  waTrsp  Xuoasvo?  iröt?  ttXoüto?  xouöe  ßtou, 
xctTsXaßs  xoLi  Oa'vaxo;  tou  daufiaaroD  'Axpitou. 


Dem  entspricht  in  T  3130  fr. 

'EtcsI  o£  Travta  tot  xspirva  xou  iiXavou   xoatiou  xouxou 
,  i)avaxo;  irapaos/sxat,  aorj?  irapaXafxßavst, 
oiS  ovap  6s  TTOtpspj^exat  ttXouxo?  xai  ooca  iraaa, 
x'y)  xeXeuxrj  xou  Ai^svou?  xaxEXaßsv  'Axpixou, 


N  15ß8  u.  1573  findet  sich  der  Versschluss  xov  rXavov  xosfiov 
xouxov,  1()47  xouxou  xou  uXavou  xo(3|i.ou.  Ganz  dieselben  Gedanken 
und  Redewendungen  bilden  dann  den  Schluss  des  Gedichtes  N 
1811  ff. 

[xaOsTs  Ttöi?  Trapsp/ouvxat  xa  TcpaYjxaxa  xoij  xoafxou. 
KaXXos  xivav  oux  wccsXsr,  ou  ttXouxo?  ouös  ccvSpsia, 
TTCtvxa  [xapai'vst  6  Oavaxo?,  ira'vxa  x6  xiXo?  ttXsxsi, 
ouSsv  xoGi  x6(3[j,ou  x6  XotTröv,  aXXa  axia  xot  iravxa. 
Eos  xou  xoatxou  xa  xepirva  xai  ^  ydpixe^  xou  irXa'vou, 
eSs  xö  TTÖi;  irapsp^ovxat  xaxa  fiixpov  ol  Tcavxe?. 
KaXXo?  xtvav  oux  (ocpsXsT,  ou  ttXouxo?  ou6s  dvopsta, 
:ra'vxa  xspSt'Cai  6  öavaxoc,  ira'vxa  xo  xsXo?  TrXsxet, 
oca  £1?  xoajxov  j^ai'psxai  avi>pu)7ro?  si's  xtjv  C<«tqv  xou, 
xsXo?  "('ap  Tia'vxa  o  Ba'vaxo?,  xa  Tra'vxa  xaxaßa'XXsi. 

13* 


196  Georg  Wartenberg, 

Hierzu  nehme  man  noch  den  Schhiss  der  Handschrift  des  Britischen 
Museums,  den  Sathas  a.  a.  0.  S.  165  abdruckt: 

Ei8e?  ZOO  xoafjtoi)  xa  xaXa  ttcüc  to  xspöaivst  Xctpoc, 
sISe;  t6  ttu)?  Siaßatvouaiv  dq  oXqov  xottpov  ot  rav-s;! 
irXotiXO?  TtvAv  oö  'coeXeosv,  ou  y^vo?  ou5'   avSpsta, 
oXou?  xspSatvEi  6  Oavaxo?,  o^ou?  fjiapaiv'  fj  TrXa'xa. 

In  B  707/8,  den  einzigen  Versen,  welche  eine  allgemeine  Betrachtung 
enthalten,  klingt  das  Wort  xaxafiapaivoj  an  G  an.  —  Es  sind  also  hier 
dieselben  Gedanken,  z.  T.  mit  denselben  Worten  und  Bildern,  zum 
Ausdruck  gebracht  und,  was  mehr  sagen  will,  zu  dem  gleichen 
kompositiven  Zw^eck,  als  Rahmen  zur  Sterbescene  verwendet.  Dies 
ist  ein  neuer  und  gewichtiger  Beweis  für  die  Abhängigkeit  der 
Achilleis  von  einer  bestimmten  umfangreichen  Gesamtdarstellung  der 
Digenissage. 

Fast  hat  es  den  Anschein,  als  könnten  wir  hier  noch  einen 
Schritt  weiter  kommen  und  ermitteln,  ob  der  Verfasser  der  Achil- 
leis die  jüngere  oder  die  ältere  Version  des  Digenisliedes,  deren 
gegenseitiges  Verhältnis  dann  zunächst  genauer  zu  bestimmen  wäre, 
benutzt  hat.  In  den  oben  citierten  Stellen  ist  N  im  Wortlaut  mit 
G  näher  verwandt  als  mit  T.  Auch  jenes  «TTpoaooxr^xov ,  welches 
das  Mädchen,  als  es  von  der  Ueberwältigung  ihrer  Brüder  hört, 
fürchtet,  findet  sich  nur  in  G.  Ferner  erinnert  die  Erlegung  des 
Löwen  durch  Achill,  als  er  seine  Schwiegereltern  geleitet  (N  ir)14ff. 
B  688  ff.),  an  die  gleiche  That,  die  Digenis  in  G  (IV  1066  ff.)  in 
Gegenwart  des  Kaisers  Basileios  vollbringt.  Aber  bei  jenen  pessi- 
mistischen Betrachtungen  ist  es  weniger  der  eigentliche  Wortlaut,  der 
auch  an  andere  mittelgriechische  Gedichte  anklingt  (Spaneas  v.  98  f., 
Aioa/rj  SoXoiJKovto?  v.  10.,  Glykas  v.  354ff.  in  Legrand  Bibl.  gr.  vulg.  I) 
und  auf  Bibelstellen  zurückzugehen  scheint  (Fred.  Sal.  7,  1;  8,  13; 
1.  Chron.  30,  15;  Hiob  14,  2),  als  seine  Verwendung  für  die  Kom- 
position des  Ganzen,  Dinge,  die  in  G  und  T  gleich  sind,  welche  die 
Abhängigkeit  wahrscheinlich  machen.  Den  beiden  ausserdem  an- 
geführten Stellen  aber  stehen  andere  gegenüber,  welche  an  nur  in 
T,  beziehungsweise  A,  vorhandene  Züge  der  Digenissage  erinnern, 
z.  B.  dass  nach  der  ersten  Heldenthat  des  Sohnes  der  Vater  sich 
förmlich  zur  Ruhe  setzt  (T  1030 ff.)  und  dass  Achill  in  N  bei  der 


Die  l)yzantinische  Achilleis.  197 

Entführung  einen  kühn  voraussprengenden  Verfolger  niederstreckt 
(A  2024  ff.).  Eine  eingehende  Vergleichung  aber  des  Wortlauts 
liefert,  so  viel  ich  sehe,  kein  anderes  Ergebnis,  als  dass  der  Ver- 
fasser der  Achilleis,  ebenso  wie  die  rein  romantischen  vulgär- 
griechischen Dichtungen,  wesentlich  mit  demselben  sprachlichen 
Material  arbeitet,  wie  die  Verfasser  der  Digenisepen,  doch  (ab- 
gesehen von  der  gereimten  Umarbeitung  des  Petritzes:  Lam- 
bros  Rom.  gr.  S.  111  ff.)  mit  viel  stärkerer  Verwendung  vulgärer 
Formen. 

Während  nun  die  Verwandtschaft  der  Achilleis  mit  dem  Digenis- 
epos  dem  Leser  nicht  leicht  entgehen  konnte,  ist  meines  Wissens  die 
eigentümliche  Beziehung  zu  einem  anderen  vulgärgriechischen  Gedichte 
bisher  unbemerkt  geblieben,  nämlich  zu  der  älteren  reimlosen  Form 
des  auch  in  griechischer  Sprache  viel  behandelten  Romans  von  Peter 
und  Magelone  (Lambros,  Rom.  gr.  S.  239 ff.;  W.  W^agner,  Coli,  de 
mon.  neohell.  nouv.  sor.  3).  Zunächst  erinnert  eine  Episode  der 
Achilleis  an  eine  ähnliche  in  'HfXTrepws  xotl  MapYcxpoiva.  Achill  über- 
windet im  Turnier  einen  starken  Franken  (N  1465  ff'.,  B  647  ff.),  Em- 
perios  einen  ebenso  unüberwindlichen  „Alemannen"  (Lambros  330ff.). 
In  jener  Stelle  der  Achilleis  sieht  Sathas  mit  Recht  eine  Aeusserung 
griechischen  Nationalstolzes,  der  hier  einmal  die  fränkische  Maske 
abwirft.  Die  Episode  vom  starken  Deutschen  kann  ganz  dieselbe 
Bedeutung  haben,  denn  auch  mit  den  Deutschen  waren  die  Byzan- 
tiner zur  Zeit  der  Kreuzzüge  in  freundliche  und  feindliche  Be- 
rührung gekommen  (cf.  Kinnamos  II  12,  17).  So  war  es  für  den 
Nationalgriechen  erfreulich,  zu  lesen,  wie  ein  Grieche  einen  Deutschen 
überwindet,  und  auch  der  gräcisierte  Franzose  mochte  daran  sein 
Wohlgefallen  haben.  Soweit  mir  bekannt,  ist  die  Episode  der 
griechischen  Bearbeitung  des  Stoffes  eigentümlich.  Weder  die 
allerdings  jungen  Abdrucke  des  französischen  und  deutschen  Volks- 
buches, welche  ich  einsehen  konnte,  enthalten  dieselbe,  noch  das 
altfranzösische  Gedicht  „L'Escoufle"  (publ.  p.  H.  Michelant  et  P.  Meyer. 
Paris  1874)  und  sein  mittelhochdeutsches  Gegenstück  „Der  Busant" 
(v.  d.  Hagen,  Gesamtabenteuer  XVI),  welche  bei  aller  sonstigen 
Verschiedenheit  des  Inhalts  den  gleichen  Kernpunkt  der  Handlung 
haben,  die  Entwendung  eines  Kleinods  durch  einen  Raubvogel. 
Dass  das  griechische  Gedicht  einem  uns  unbekannten  französischen 


198  Georg  Warteuberg, 

Originale  nachgedichtet  ist,  beweisen  allein  schon,  wie  Krumbacher 
a.  a.  0.  S.  869  bemerkt,  die  Namen  des  Helden  und  der  Heldin. 
Auch  der  Ortsname  npsßsvtCa  ist  offenbar  für  Provence,  die  Heimat 
Petei*s  in  dem  französischen  Romane,  eingetreten. 

Wie  so  die  fremde  Erzählung  nach  einer  dem  Rhomäer  be- 
kannten Oertlichkeit  versetzt  wurde,  so  wurde  sie' ihm  auch  durch 
einen  ähnlichen  Zusatz  schmackhaft  gemacht  wie  die  Achilleis. 
Auf  diesen  Gedanken  können  natürlich  die  beiden  Verfasser  selb- 
ständig geraten  sein,  und  dies  ist  man  um  so  mehr  anzunehmen 
geneigt,  als  die  Einzelheiten  des  Zweikampfes  in  den  beiden  Ge- 
dichten einander  nicht  entsprechen.  Nur  ein  Vers  stimmt  überein, 
N  1491  =  B  670  =  E  u.  M  377  (ed.  Lambros) 

'Aitö  jxaxpsa  lirrjSifjaav  xal  supedrjV  xaßaXXapi?. 

Ein  anderer  399 

aKka.  noauiz  oux  sasiasv  a^zhv  dTzb  ttjv  oeXXav 

findet  sich  an  einer  anderen  Stelle  der  Achilleis  (N  1322  =  H  568), 
wo  Achill  einen  seiner  Verfolger  niederstreckt.  So  wenig  sich 
daraus  in  Anbetracht  des  typischen  Charakters  der  mittelgi'iechischen 
epischen  Diktion  ein  Schluss  auf  ein  Abhängigkeitsverhältnis  ziehen 
lässt,  so  bewog  es  mich  doch,  auch  die  übrigen  Teile  der  beiden 
Gedichte  mit  einander  zu  vergleichen.  Da  fand  sich  nun,  dass 
nicht  nur  der  Entwickelungsgang  des  Emperios  inhaltlich  fast  genau 
so  wie  der  des  Achilles  dargestellt  ist,  sondern  dass  auch  hier  der 
Wortlaut  vielfach  übereinstimmt.  Ich  eitlere  nach  der  kritischen 
Ausgabe  von  Lambros. 

Den  Eingang  des  Gedichtes  bildet  auch  hier  eine  Schilderung 
der  Macht  und  des  Hofes  der  Eltern.     Hier  lesen  wir N  17  (=  B7) 

elys,  '(ap  veoo?  {jiaj(YjTÄ?  xal  SiaXexxa  (pouaata 

E  u.  M  17 

eij(ev  (poudcraxa  djxe-cpyjxa  xal  oiaXsxxa  xoviapia. 

Der  Codex  Oxoniensis  hat  auch  am  Schluss  des  Verses  cpooactxa. 
N  31  (=  B  5) 

xotl  ^v  {5eTv  avSpoYüvov  to5  xocjfiou  iSaip7](xevov 


Die  byzantinische  Achilleis.  199 

E  u.  M  37 

'AvSpoYuvov  £po)Ttxov  xou  x6a(i.ou  ii'^aT:Ti\iivov. 

N67ff.  (=B36ff.) 

Kai  -/ap  £Y£vvyjaev  ütbv  uoXXa  l^aipyjfisvov, 

ütöv  Tov  oux  c^Ewr/asv  aXXrj  7UV7j  si?  xöv  x6c(j.ov. 

xal  TTOia  -(Xtosaa  Suvyj^tjj'  xaxa  Xetttov  va  Ypa<|^^ 

TYjV    5(0[p[-I.OV7]V    TYjV    aTTSlpOV    TTjV    TOTS    YSVOfXSVTJV, 

Xpovov  expaiöts  xat  TrXsotxspov  at  yj[Ji£pat  x^?  X'^P^^  xooq. 

Eu.  M51ff. 

Kai  -^ap  i^sw/josv  utöv  xöv  Oaupiaaxov  ixsivov, 
xov  o5x  Iysvvyjcjsv  ttocjöjs  aXXy]  -/uvt;  \  xov  xocpiov. 
Tb  xt  va  \i'[(o  oux  ^^[XTrop«),  x6  xi  va  -(pacpo)  oux  sj^o). 
'E^aTTopsi  [XOU  6  Xo^iCfi-ö?  at  x^^P^*^  ''^'^''  "^i  7^">'50*3t 
xb  7Z(i)<;  va  a(prf(Y](3(b!xai  X^'P^'"»  "^"^^  iraXaxiou. 
Xpovov  §£  xal  TiXswxspov  Ixpa'xstsv  rj  X^'P^'  '^^^^• 

B62f. 

[jiaxpu?  Äaitep  xuTcaptaao?,  Xt^vo?  ÄaTtep  xaXdfii, 
's  X7]v  (iidvjv  xou   va  Ißavs?  (jupaiov  8axxuXi8iv. 

E  u.  M  76f. 

fiaxpu?  T^xov  (JUS  xb  pepYtv,  Xqvb;  oj?  xb  xaXa[iiv, 
fj  [xsayj  xou  va  iXs^s?  (opaiov  SaxxuXiStv. 

Weniger  genau  entspricht  dem  N  99: 

(xaxpu?  Ivat  ü)S  xuTra'pisao?,  Xqvb;  u)S  Tiptuxyj  (i-sarj. 

N  87f.,(B  52,  der  vordere  Vers  fehlt) 

dcp^xe  youv  xa  "/pa'pitxaxa  x'   STriaasv  aXXyjv  xej^vyjv. 
2xpaxetav  iireCrjXyjssv,  r^\>  -J^OsXs  xal  rf(dTza. 

Eu.  M84 

'A'f  fjxev  70UV  xa  YpdfA[Aaxa  xal  Tjp^axo  va  axpaxeuTf] . . . 

N  119f.  (=  B  781) 

iöTTOcpaCav  xa  fj-sXy]  xou  xal  oü  Suvaxat'  uTrofJievsiv. 
Tb  öpdtjos  xbv  Ivixr^aev,  7ryj8^,  xaßaXXixeuet. 


200  Georg  Wartenberg, 

E  u.  M  101 

l(3Ttapa$av  ta  fisXir)  tou,  7:-/)8a,  xaßaXXixsusi. 

N  1188  (fehlt  an  der  betreffenden  Stelle  in  B)  =  E  u.  M  474 

dasvav  s;((u  otTrö  xou  vöv  Tratlpa  xal  fjnrjxspa. 

Mit  Ausnahme  des  zuletzt  angeführten  Verses,  der  in  beiden 
Gedichten  in  einer  Liebesbeteuerung  vorkommt,  gehören  die  An- 
klänge sämtlich  der  Jugendgeschichte  des  Helden  an.  Eben- 
dort  findet  sich  in  E  u.  M  eine  Versgruppe,  die  in  N  einem 
ganz  anderen  Zwecke  dient.  Hier  wird  nämlich  gegen  Ende  der 
Achilleis  eine  jener  beliebten  fingierten  Quellenangaben  gemacht, 
N  1798ir. 

Hfxsi?  81  ßt'ßXot?  TToty^Toiv,  aocpuiv  xe  xal  pTjxopwv 
xat  cpiXocfocpwv  TraXaioiv,  (jieyaXwv  StoasxaXiov, 
'OfAT^pou  7rpa»xou   x&v  öocpaiv   xat    Troiyjxou   iie^aKoo, 
'ApioxoxeXou,  nXa'xcuvo?,  75  Xe^o)  HaXafjnjSTj 
dvaYqvtüCJxovxc?  dsl  Xo^oü  natSeia?  "/^'P^^ 
Ttaps^sßa'Xofxsv  auxr^v  SirjY^^otv  xou  'A/tXXeo); 
xal  [jisxeßa'Xofxev  auxTjv  st?  oa^saxepav  p9jaiy, 


Damit  stimmt  zum  Teil  wörtlich  überein,  was  in  E  u.  M  69  ff. 
über  die  wissenschaftliche  Ausbildung  des  Helden  gesagt  wird: 

"Efjiaöev  xat  xaxsjj-adsv  ßißXi'a  cptXoaocpwv, 
otoaaxaXiais  Trotr^xaiv,  fj-s^aXtüv  SiSaaxotXwv, 
'OfxTjpou  iTp(üTOt>  Twv  oocpoiv  xai  TTOtyjxou  fieYa'Xoo, 
'ApioxoxeXouc,  nXctxwvoc,  etxa  xat  OaXafjiVjSou?. 

Hier  zu  entscheiden,  für  welche  der  beiden  Stellen  diese  Verse 
ursprünglich  geschmiedet  wurden,  halte  ich  für  unmöglich.  Ebenso- 
wenig geht  daraus  hervor,  dass  der  Verfasser  von  Emperios  und 
Margarona  die  Achilleis  gekannt  habe  oder  umgekehrt.  Viel 
wahrscheinlicher  ist,  dass  beide  diesen  ihrem  Publikum  gewiss  sehr 
imponierenden  locus  communis  irgendwo  vorfanden.  Hagegen  sind 
jene  parallelen  Darstellungen  des  Entwickelungsganges  schwerlich 
ohne  direkte  Abhängigkeit  von  einander  gedichtet  worden,  und  da 


Die  byzantinische  Achilleis.  201 

die  Achilleis  vermutlicli  älter  ist  und  der  französische  Roman  von 
Pierre  de  Provence,  soweit  wir  wissen,  weder  die  Art  der  Ent- 
wickelung  des  Helden  in  dieser  Weise  darstellte,  noch  ihn  als  Ver- 
treter nationaler  Waffenehre  gegen  einen  Fremden  kämpfen  Hess, 
so  ist  hier  eine  Einwirkung  des  Vorbildes  der  Achilleis  wahr- 
scheinlich. Mit  Aufdeckung  dieser  leider  noch  sehr  unbestimmten 
Spuren  von  Beziehungen  zwischen  den  rein  volkstümlichen,  den 
volkstümlich -romantischen  und  den  rein  romantischen  Dichtungen 
in  der  mittelgriechischen  Volkssprache  müssen  wir  uns  vorläufig 
begnügen. 


xm. 

Alois  Goldbaclier. 


lieber  die  symmetrische  Verteilung  des 
Stoffes  iu  den  Menaechmen  des  Plautus. 


9or 


Wenn  von  der  Symmetrie  in  der  Anordnung  der  den  Menaechmen 
zu  Grunde  liegenden  Handlung  die  Rede  ist,  denkt  man  zunächst 
an  den  bekannten  Wechsel,  mit  dem  der  Dichter  die  beiden 
Zwillinge  auf  die  Bühne  bringt,  indem  zuerst  Menaechmus  I  auftritt, 
dann  nach  dessen  Abgange  Menaechmus  II,  auf  den  wiederum  Me- 
naechmus I  folgt  und  dann  wiederum  Menaechmus  II,  bis  endlich 
das  Zusammentreifen  der  beiden  Zwillinge  die  Lösung  der  Wirren 
herbeiführt.  Dass  mit  diesem  Wechsel  der  Dichter  auch  die  Ein- 
teilung des  Stückes  in  fünf  Akte  in  Verbindung  gebracht  habe, 
ist  ein  sehr  nahe  liegender  Gedanke.  Ueberlieferung  haben  wir  in 
dieser  Beziehung  freilich  keine,  da  in  den  Handschriften  keine  Ab- 
teilung nach  Akten  ersichtlich  ist.  Die  Abteilung  der  Vulgata 
ist  daher  nur  das  Werk  der  ersten  italienischen  Herausgeber  und 
stützt  sich  auf  nichts  anderes  als  auf  die  Anhaltspunkte,  welche 
die  Betrachtung  des  Stückes  selbst  bietet.  Wir  haben  mithin  freie 
Hand  und  können  das  Stück  genau  nach  jenem  Prinzipe  in  fünf 
Akte  abteilen,  wie  es  Spengel')  vorgeschlagen  hat.  Nur  au  einem 
Punkte  erhebt  sich  dagegen  eine  nicht  unbedeutende  Schwierigkeit. 
Nämlich  mit  V.  441 ")  ist  Menaechmus  II  in  das  Haus  der  Erotium 
getreten,  die  ihn  aufgefordert  hat,  zum  bestellten  Mahle  zu  konmien, 
und  nach  24  Versen,  von  denen  4  sich  eng  an  seinen  Abgang  an- 
schliessen  und  20  den  Monolog  des  Parasiten  Peniculus  bilden, 
kommt  er  schon  wiederum  aus  dem  Hause  heraus  mit  den  Worten: 


')  Die  Akteinteilung  der  Komödien  des  Plautus.  Programm  des  könig- 
lichen Ma^imilians-Gymnasiums.    München  1877. 

2)  In  der  Numerierung  der  \'erse  folge  ich  der  Ausgabe  von  Friedr.  Leo. 
Berlin.     Weidmann  1895. 


206  Alois  Goldhachor, 

Pro  di  immortaJes^  quoi  homini  umquam  uno  die 
Boni  dedistis  plus,  qui  minus  sperauerit! 
Prandi,  potaui,  scortum  accubui  etc. 
Es  wäre  nun    wohl    eine    zu  starke  Verletzung    der    theatralischen 
Illusion,   wenn  das  alles  so  unmittelbar    in    einem  und  demselben 
Akte  aufeinander  folgte.     Daher  pflegt  man,  um  für  das  Verweilen 
im  Hause  der  Erotium  Zeit  zu  schaffen,  vor  jenem  Monologe  des 
Parasiten  bei  V.  445  einen  Aktschluss  anzusetzen,  wodurch  freilich 
das  Prinzip,    dass  die  Akteinteilung  an  den  Wechsel  im  Auftreten 
der  Menaechmen  gebunden  sein  soll,  durchbrochen  erscheint.    Doch 
sei  dem,  wie  ihm  wolle,  die  Harmonie  jenes  Wechsels  wird  dadurch 
nicht  beirrt,    sie  würde  nur  äusserlich  stärker  hervortreten,    wenn 
auch  die  Akteinteilung  durchweg  damit  zusammenfiele. 

Auf  einen  hervorragenden  Fall  von  Symmetrie  innerhalb  einer 
Scene  habe  ich  schon  in  den  Wiener  Studien  XIX.  Jahrgang  1897 
S.  118  aufmerksam  gemacht.      Es    ist    dies    die  zweite  Scene    des 
zweiten  Aktes  V.  273 — 314.     Dieser  Abschnitt  zerfällt  nämlich  ge- 
nau   in    zwei    gleiche    Teile    von   je  21  Versen,  V.  273 — 293  und 
294 — 314,  und  zwar  so,  dass  das  Ende  des  einen  Teiles  mit  dem 
Ende  des  andern  korrespondiert.     Der  erste  Teil  schliesst  nämlich 
damit,  dass  Menaechmus  II  dem  Koch  Cylindrus  in  höhnischer  Weise 
einen  Nummus  anbietet,  damit  er  sich  dafür  ein  Ferkel  kaufe  und 
sich  sühnen  lasse,  denn  er  sei  offenbar  verrückt  (V.  290 — 293): 
nummum  a  me  accipe; 
Tube  te  piari  de  mea  pecunia. 
Nam  equidem  insanum  esse  te  certo  scio, 
Qui  mihi  molestu's  homini  if/noto,  quisquis  es; 
am  Schlüsse    des  zweiten   Teiles    aber    giebt    Cylindrus  dem  Me- 
naechmus   den  Hohn  mit  gleicher  Münze  zurück  (V.  310 — 314): 

si  me  consulas, 
Nummum  illum,  quem  mihi  dudum  poUicitu's  dare  — 
Nam  tu  quidem  Iwrcle  certo  non  sanu's  satis, 
Menaechm£,   qui  nunc  ipstis  male  dicas  tibi  — 
lubeas,  si  sapias,  porculum  adferri  tibi. 
Was  uns  in  diesem  Falle  mit  ziemlicher  Sicherheit  als  wohl- 
berechnete Symmetrie  entgegentritt,  finden  wir  mehr  oder  weniger 
in  ähnlicher  AV'eise  durch  das   ganze  Stück  verbreitet.     Der  Stoff, 


Ueber  d.  symmetrische  Veiteiluug  d.  Stoffes  i.  d.  Menaechmen  d.  Plautus.  207 

der  die  einzelnen  Scenen  ausfüllt,  ist  mit  überraschender  Gleich- 
mässigkeit  gegliedert,  so  dass  die  Teile,  in  die  er  naturgemäss 
zerfällt,  eine  gleiche  oder  nahezu  gleiche  Anzahl  von  V^ersen  um- 
fassen. Von  einem  blossen  Zufall  kann  hier  keine  Rede  sein, 
denn  diese  Erscheinung  ist  in  dem  Stücke  nicht  etwa  bloss  hie 
und  da  einmal  zu  beobachten,  sondern  sämtliche  Scenen  fast 
ohne  Ausnahme  bieten  dafür  recht  auffallende  Belege.  Viel  ver- 
mochte in  dieser  Beziehung  ohne  Zweifel  der  den  alten  Dichtern, 
namentlich  den  griechischen,  in  so  hohem  Grade  angeborene  Sinn 
für  Harmonie  und  Ebenmass,  so  dass  eine  schöne  Gleichmässigkeit 
der  Teile  eine  unwillkürliche  Frucht  ihres  künstlerischen  Schaffens 
war.  Allein  ein  so  durchgreifendes  Spiel  der  Symmetrie,  wie  es 
die  folgende  Darlegung  zeigen  wird,  und  namentlich  eine  solche 
Genauigkeit,  mit  der  so  oft  paarweise  sich  gegenüberstehende  Vers- 
reihen in  der  Zahl  der  Verse  miteinander  übereinstimmen,  lassen 
sich  kaum  anders  erklären,  als  dass  man  sie  auf  ein  bewusstes 
Streben  des  Dichters,  der  darin  ein  Kunstmittel  für  seine  Dar- 
stellung fand,  und  mitunter  auf  ein  fönuliches  Zählen  der  Verse 
zurückführt. 

Das  gilt  nun  zunächst  von  den  dialogischen  Partien  des 
Stückes,  die  hier  zuerst  in  Betracht  gezogen  werden  sollen.  So 
zerfällt  die  zweite  Scene  des  ersten  Aktes  vom  Canticum  (V.  110 
bis  134)  ab  gerechnet  in  zwei  genau  gleiche  Teile.  Der  Wende- 
punkt der  Handlung  liegt  in  dem  Verse  158  Concede  huc  afonbus. 
In  dem,  was  vorangeht,  bereitet  Menaechmus  1  den  Peniculus  auf 
das  vor,  was  er  ihm  mitteilen  will  (V.  135 — 157),  der  zweite 
Teil  enthält  diese  Mitteilung  selbst  und  die  Einladung  zu  einem 
Prandium  bei  der  Erotium  (V.  158 — 181  ^)).  Der  letztere  Teil 
umfasst  23  Verse,  der  erstere  22,  wozu  aber  noch  ein  Vers  kommt, 
der  ohne  Zweifel  hinter  V.  151  ausgefallen  ist,  so  dass  beide 
Teile  aus  einer  gleich  grossen  Zahl  von  Versen  bestehen.  — 
Aehnlich  steht  es  mit  der  folgenden  Scene.  Hier  bildet  die  Ueber- 
gabe  der  Palla  V.  202  Cape  tibi  hanc  den  Mittelpunkt  der  Hand- 


^)  Die  Numerierung  der  Verse  entspricht  bekanntlich  in  den  Ausgaben  nicht 
immer  der  wirklichen  Zahl  der  Verse.     Es  genügt  daher  die  Berechnung  nach 

den  \  ersuuminern  nicht,   sondern  es  müssen  die  Verse  selbst  gezählt  werden. 


208  Alois  Goldbacher, 

lung,  und  die  Yerszahl  der  beiden  Teile  (V.  182—201  und  202 
bis  218)  steht  im  Verhältnisse  von  18  :  17.  —  In  der  ersten  Scene 
des  zweiten  Aktes  stehen  sich  gegenüber  V.  226 — 248,  in  denen 
Messenio  rät,  das  Suchen  nach  dem  Bruder  fahren  zu  lassen  und 
nach  Hause  zurückzukehren,  und  V.  249 — 272,  worin  ihm  Menaech- 
mus  II  verbietet,  fernerhin  von  der  Heimkehr  zu  reden,  und  das 
Marsupium  entzieht.  Der  verderbte  Vers  249,  mit  dem  IMenaechmus 
die  Vorstellungen  des  Messenio  barsch  abschneidet,  markiert  deut- 
lich den  Umschwung  der  Handlung;  das  Verhältnis  der  Verse  ist 
also  23 :  24.  —  Genau  in  zwei  Teile  zu  je  sechs  Versen  zerfällt 
die  Handlung  der  ersten  Scene  des  vierten  Aktes.  V.  559 — 564 
tritt  die  Frau  des  Menaechmus  I  mit  Peniculus  vor  das  Haus,  der 
ihr  handgreifliche  Beweise  von  der  Schandthat  ihres  Mannes  ver- 
spricht, und  V.  565 — 570  wird  als  erster  Beweis  der  Kranz  ge- 
funden, den  Menaechmus  II  weggeworfen  hat,  worauf  dann  Menaech- 
mus I  selbst  erscheint.  —  Auch  die  dritte  Scene  des  zweiten  Aktes 
besteht  aus  zwei  fast  ganz  gleichen  Teilen  von  37  und  36  Versen, 
indem  im  Verse  406  die  Erklärung  des  Menaechmus  II,  er  sei  nicht 
derjenige,  den  Erotium  meine,  den  üebergang  bildet.  Das,  was 
dem  vorangeht,  V.  369 — 405,  sind  eine  Reihe  von  Missverständ- 
nissen bei  der  ersten  Begegnung  mit  Erotium,  bis  diese  den  Me- 
naechmus auffordert,  mit  ihr  ins  Haus  zum  Prandium  zu  gehen; 
im  zweiten  Teile,  V.  406 — 445,  entschliesst  sich  Menaechmus  in- 
folge der  überraschenden  Beweise  der  Erotium,  dass  sie  ihn  kenne, 
mit  ihr  zu  gehen  und  tritt  ins  Haus  trotz  der  Warnung  des 
Messenio.  Aber  auch  innerhalb  eines  jeden  dieser  beiden  Teile 
ist  eine  unverkennbare  Gleichmässigkeit  in  der  Verteilung  des 
Stoffes  zu  konstatieren.  So  enthalten  im  ersten  Teile  V.  369 — 378 
das  erste  Missverständnis  in  der  Begegnung  des  Menaechmus  mit 
Erotium  (972  ^O?  ^  •  ^^^ — ^^^  ^^^^  vergeblichen  Versuch  des 
Messenio,  Klarheit  in  die  Sache  zu  bringen  (8'/,  V.),  V.  387 — 395 
weitere  Missverständnisse  zwischen  Menaechmus  und  Erotium  (9  V.) 
und  endlich  V.  396 — 405  die  Erklärung  des  Menaechmus,  dass  alles 
unrichtig  sei,  was  Erotium  von  ihm  behaupte  (10  V.).  Im  zweiten 
Teile  heben  sich  deutlich  drei  Stadien  der  Handlung  in  ziemlich 
gleicher  Verszahl  ab:  V.  406 — 418  Erotium  bringt  den  Menaechmus 
zum    Entschlüsse,    ihr    in    allem    willfährig    zu    sein    (10'/.^  V.); 


Teber  d.  symmetrische  Verteilung  d.  Stoffes  i.  d.  Menaechmen  d.  Plaiitus.   209 

V.  418 — 431  Menaechmus  führt  diesen  Entschluss  aus  (I2V2  V.); 
V.  432 — 445  Menaechmus  giebt  dem  Messenio  die  erforderlichen 
Aufträge  und  weist  seine  Warnungen  zurück  (13  V.).  — 

In  anderen  Scenen  ist  der  Anfang  oder  das  Ende  oder  beides 
zugleich  durch  einen  oder  zwei  Verse  markiert  und  von  dem  übrigen 
Inhalte  gesondert.  So  bildet  in  der  vierten  Scene  des  fünften 
Aktes  V.  898  den  Uebergang  zur  folgenden  Scene,  das  Uebrige  zer- 
fällt in  zweimal  472  Verse:  Frage  des  Medicus  nach  der  Krankheit 
des  Menaechmus  nebst  der  Antwort  des  Senex  (V.  889 — 893)  und 
zuversichtliches  Versprechen  des  Medicus,  ihn  gesund  zu  machen 
und  mit  aller  Sorgfalt  zu  pflegen  (V.  893 — 897).  —  In  der  achten 
Scene  des  fünften  Aktes  enthalten  die  beiden  ersten  Verse  (V.  1050 
und  1051)  die  Frage  des  Menaechmus  II  an  Messenio,  ob  er  denn 
zu  behaupten  wage,  je  mit  ihm  zusammengekommen  zu  sein,  seit 
sie  sich  nach  ihrer  Ankunft  in  Epidamnus  getrennt  haben,  und  die 
beiden  letzten  V^erse  (V.  1058 — 1059)  dessen  Verwunderung  darüber, 
(lass  er  den  Messenio  sollte  freigelassen  haben,  nebst  der  Versiche- 
rung, dass  dies  niemals  geschehen  werde,  während  in  den  dazwischen 
liegenden  sechs  Versen  Messenio  erzählt,  wie  er  vor  kurzem  mit 
ihm  in  der  That  zusammengetroffen  und  wofür  er  von  ihm  frei- 
gelassen worden  sei.  —  Einen  ganz  gleichen  Bau  zeigt  die  erste 
Scene  des  ersten  Aktes.  In  den  beiden  ersten  Zeilen  (V.  77 — 78) 
stellt  sich  der  Parasit  Peniculus  bei  seinem  ersten  Auftreten  dem 
Publicum  vor,  die  beiden  letzten  Zeilen  (V.  108 — 109)  führen  die 
folgende  Scene  ein.  Was  dazwischen  ist  (V.  79 — 107),  besteht  in 
einer  allgemeinen  Betrachtung  des  Peniculus  aus  dem  Gedanken- 
kreise eines  Parasiten  (V.  79 — 95)  und  aus  der  Anwendung  der- 
selben auf  seinen  eigenen  Fall  (V.  96 — 107),  eine  Gedankenfolge, 
die  wir  bei  Plautus  im  Dialoge  sowohl  als  auch  in  den  Canticis 
wiederholt  finden.^)  —  In  der  siebenten  Scene  des  fünften  Aktes 
bildet  ein  Monolog  des  Menaechmus  I  den  Schluss.  Die  demselben 
vorangehende  Dialogpartie  (V.  1007 — 1038)  besteht  aus  zwei  Teilen 
von  je  IG  Zeilen.  Der  Inhalt  des  einen  ist  der  Kampf  des  Me- 
naechmus gegen  die  Lorarii  und  seine  Befreiung  (V.  1007 — 1022), 


0    So    in    unserem  Stücke  noch   V.  571 — 595   und  in  umgekehrter  Folge 
\ .  446-459. 

Festschrift    Vahlen.  14 


210  Alois  Goldbacher, 

der  Inhalt  des  andern  die  Belohnung,    welche  Messenio    für    seine 
Hilfeleistung  in  Anspruch  nimmt  (V.  1023 — 1038). 

In  der  zweiten  Scene  des  zweiten  Aktes  unterscheiden  wir 
deutlich  zweimal  zwei  Abschnitte.  Die  ersten  beiden,  nämlich 
V.  273—293  und  294—314  zu  je  21  Zeilen,  haben  wir  schon  oben 
S.  206  berührt.  Die  andern  zwei  Abschnitte  sind  V.  316 — 332 
Gespräch  des  Menaechmus  II  mit  dem  Cylindrus,  bis  letzterer  ab- 
geht (17  Z.),  und  V.  333 — 350  Gespräch  zwischen  Menaechmus  und 
Messenio  (18  Z.).  —  Der  Monolog  des  Peniculus,  der  die  erste 
Scene  des  dritten  Aktes  bildet,  ist  schön  symmetrisch  gegliedert  in 
7  +  7  und  3  -f  3  Zeilen.  In  V.  446—452  klagt  nämlich  Peniculus 
über  das  Missgeschick,  dass  er  den  Menaechmus  verloren  habe,  und 
verwünscht  den,  der  dies  indirekt  verursacht  habe  (7  V.);  dem 
gegenüber  folgt  in  den  nächsten  7  Zeilen  V.  453 — 459  eine  allge- 
meine Betrachtung,  wie  wir  es  in  umgekehrter  Folge  schon  oben 
S.  175  gefunden  haben.  In  den  folgenden  3  Versen  460 — 462  be- 
dauert Peniculus  den  Verlust  des  Prandium  und  entschliesst  sic-h, 
wenigstens  noch  den  Resten  nachzuspüren,  dem  gegenüber  die  letzten 
3  Verse  463 — 465  die  folgende  Scene  einleiten.  —  Auch  in  der 
dritten  Scene  des  dritten  Aktes  stehen  sich  zwei  Paare  von 
Versgruppen  gegenüber,  nämlich  V.  530 — 533  (4  V.),  in  denen  die 
Ancilla  den  Menaechmus  II  an  das  Spinter  erinnern  will,  das  er 
der  Erotium  gegeben  habe,  während  ^Menaechmus  davon  nichts 
wissen  will,  und  V.  534 — 537  (4  V.),  in  denen  Menaechmus  nun 
erklärt,  sich  daran  zu  erinnern  und  auch  an  die  Armillae,  die  er 
gleichzeitig  ihr  geschenkt  habe,  während  von  diesen  wiederum  die 
Ancilla  nichts  weiss,  ein  Spiel  von  Trumpf  und  Gegentrumpf  in 
gleicher  Anzahl  von  Versen,  ganz  ähnlich  dem  oben  S.  172  er- 
wähnten Falle.  Das  zweite  Paar  sind  der  weitere  Dialog  zwischen 
Menaechmus  und  der  Ancilla  V.  538 — 548  (10  V.)  und  der  Mono- 
log des  Menaechmus  V.  549—558  (10  V.);  letzterer  zeigt  auf- 
fallend das  Schema  1  -}-  2  -f-  2  -H  1  H-  2  -f  2.  Der  Anfang  dieser 
Scene  (V.  524 — 529)  ist  zum  Schlüsse  der  vorangehenden 
(V.  518 — 523)  symmetrisch  gestaltet,  indem  die  vier  Zeilen  der 
Ancilla  und  die  zwei  Zeilen  des  Menaechmus  den  vorangehenden 
vier  Zeilen  des  Peniculus  und  den  zwei  des  Menaechmus  ent- 
sprechen.  —  In  der  dritten  Scene  des  vierten  Aktes  folgen  im  An- 


Ueher  d.  symmetrische  Verteilung  d.  Stoffes  i.  d.  Menaechmen  d.  Plaiitus.  211 

fange  zweimal  drei  Verse  aufeinander,  nämlich  Y.  675 — 677,  in  denen 
Menaeclimus  I  seine  Bitte  an  Erotium,  sie  möge  ihm  die  Palla 
zurückgeben,  einleitet,  und  V.  678 — 680,  welche  die  Bitte  selbst 
enthalten.  Hierauf  bringen  die  Verse  681 — 688  (.77^  Z.)  die  Er- 
klärung der  Erotium,  Menaechmus  habe  ja  die  Palla,  und  da 
Menaechmus  dies  leugnet,  den  Verdacht  derselben,  Menaechmus 
wolle  sie  jetzt  um  die  Palla  betrügen.  In  ebenso  vielen,  d.  i. 
77.J  Versen  (V.  688 — 695)  macht  dann  Erotium  ihrer  Entrüstung 
Luft  und  sperrt  den  Menaechmus  vor  die  Thür.  Der  Schluss  der 
8cene  V.  696 — 700  zeigt  das  Schema  2+2  -f  1 :  Menaechmus  ruft 
der  Erotium  ins  Haus  nach  (V.  696 — 697),  er  beklagt  seine  traurige 
Lage  (V.  698 — 699)  und  beschliesst,  seine  Freunde  um  Rat  zu 
fragen  (V.  700). 

Drei  Paare  von  sich  entsprechenden  Versreihen  weist  die 
zweite  Scene  des  dritten  Aktes  auf.  Das  erste  Paar  sind  die  Verse 
466 — 468,  die  Menaechmus  II  zu  Erotium  ins  Haus  hinein  spricht 
(3  V.),  und  V.  469 — 472,  in  denen  Peniculus  im  Hinterhalte  droht 
(4  V.).  Das  zweite  Paar  besteht  aus  je  12  Versen,  V.  473 — 485: 
Menaechmus  spricht  für  sich  und  Peniculus  für  sich,  und 
486^ — 497:  Peniculus  fährt  den  Menaechmus  barsch  an  und  macht 
ihm  Vorwürfe.  Das  letzte  Paar  von  9  und  10  Zeilen,  V.  498 — 506 
und  507 — 517,  in  dem  zuerst  Menaechmus  den  Peniculus  und 
dann  Peniculus  den  Menaechmus  zu  Verstand  zu  bringen  sucht, 
ist  schon  äusserlich  scharf  markiert,  nämlich  durch  den  gleich- 
lautenden Anfang  eines  jeden  dieser  beiden  Teile  (V.  498  und 
507  Responde)  und  durch  den  Schluss  (V.  505  non  tibi  sanum 
est,  adulescens,  sinci'put,  ui  intellego  und  V.  517  aut  te  piari  iubes, 
homo  insa7iissumef  Vgl.  S.  206).  Der  Schluss  dieser  Scene 
V.  518—523  ist,  wie  schon  oben  S.  210  bemerkt  wurde,  mit  dem 
Anfange  der  folgenden  Scene  synim-etrisch  verbunden.  —  Drei  Paare 
von  Versreihen  erscheinen  auch  in  der  ersten  Scene  des  fünften  Aktes. 
Die  Verse  701—703  (3  V.)  und  704—706  (3  V.)  füllen  die  Selbst- 
gespräche des  Menaechmus  II  und  der  ]\Iatrona.  Von  V.  707 — 718 
(12  V.)  fährt  die  ^Matrona  den  Menaechmus  an,  worauf  dieser  mit 
einer  scherzenden  Anspielung  auf  Hekuba  entgegnet.  Dem  gegen- 
über folgen  V.  719 — 730  in  ebenso  vielen  Versen  die  Klagen  der 
]\Iatrona,  die  Menaechmus  nicht  verstehen  kann  und  daher  in  gleich- 

14* 


212  Alois  Goldbacher, 

gütigem  Tone  erwidert.  Dieser  Teil  ist  noch  ausserdem  in  sich  sym- 
metrisch angelegt,  indem  von  V.  716  an  die  einer  jeden  Person  im 
Dialoge  zugemessene  Yerszahl  im  Verhältnisse  von  3  -f-  3  -f-  3 
-1-2  +  2+2  steht.  Das  dritte  Paar  sich  entsprechender  Versreihen 
in  dieser  Scene  sind  Y.  731 — 741  und  742 — 752,  je  11  Zeilen: 
Menaechmus  erklärt,  die  Palla,  die  er  habe,  sei  von  einer  anderen 
Frau,  worüber  die  Matrona  in  Entrüstung  gerät  und  ihren  Vater 
herbeiholen  lässt;  auf  das  hin  versichert  Menaechmus  spottend,  er 
kenne  weder  sie  noch  ihren  Vater. 

Nach  dem  Canticum  in  der  zweiten  Scene  des  fünften  Aktes 
sind  durch  die  sich  genau  entsprechenden  Verse  775 — 777  und 
808 — 810  die  zwei  Teile  der  Handlung,  in  denen  der  Senex  zu- 
erst die  Matrona  und  dann  den  Menaechmus  11  zu  begütigen  sucht, 
hinreichend  kenntlich  gemacht;  der  erste  von  jenen  drei  Versen 
enthält  nämlich  jedesmal  die  Ankündigung,  dass  er  dies  thun  wolle, 
der  zweite  die  Anrede,  der  dritte  fast  mit  denselben  Worten  die 
Frage  nach  der  Ursache  der  Verstimmung: 

777   Quid  tu  tristis  es?  quid  ille  autem  abs  te  iratus  destitit? 
810  Quid  tu   tristis  es?  quid  illa  autem  irata  abs  te  destitit? 

Der  erste  Teil  umfasst  32  Zeilen  (V.  775—807),  der  zweite 
aber  geht  in  die  Wahnsinnsscene  über  und  ist  daher  fast  doppelt 
so  lang  (V.  808—871,  d.  i.  62  Zeilen).  Den  Schluss  bilden  die 
Selbstgespräche  des  Senex  (4  V.)  und  des  jMenaechmus  (5  A'.). 

Eine  reichere  Gliederung  und  einen  kunstvolleren  Bau  zeigt  die 
fünfte  Scene  des  fünften  Aktes.  Hier  entsprechen  sich  zuerst  die 
beiden  Monologe  des  Menaechmus  I  am  Anfange  und  am  Schlüsse 
der  Scene,  V.  899—908  (10  \.)  und  957—965  (9  V.).  Beide  sind 
auch  in  sich  symmetrisch  gegliedert,  die  10  Verse  des  ersten  nach 
dem  Schema  1  +  3+3  +  3,  die  9  Verse  des  anderen  nach  dem. 
Schema  2+2  +  2  +  2+1.  Nach  dem  ersten  dieser  Monologe  stellt 
in  den  Versen  909 — 918  der  Medicus  zwei  Fragen  in  je  fünf 
Versen:  909 — 913  und  914 — 918,  worauf  der  Senex  in  den  drei 
Versen  919 — 922  (Schema  2  +  1)  den  Medicus,  der  noch  immer 
weiter  durch  Fragen  sich  über  den  geistigen  Zustand  des  Menaech- 
mus überzeugen  will,  zur  Anwendung  eines  Mittels  drängt,  bevor 
die    Wut    ausbreche.      Diesen    drei   Versen    sind    unten    die    drei 


Feber  fl.  symmetrische  Verteilung  d.  Stoffes  i.  d.  Mehaechmeu  d.  Platitus.   218 

Verse  931 — 933  (Schema  l-}-2)  gegenübergestellt,  in  denen  der 
Medicus  erklärt,  dass  nun  in  der  That  die  Wut  ausbreche,  der 
Senex  aber  findet,  dass  ihm  Menaechmus  jetzt  viel  vernünftiger  zu 
sprechen  scheine  als  vordem.  Dazwischen  stehen  drei  Fragen  des 
Medicus: 

V.  923  erste  Frage,  Y.  924  Antwort  darauf; 
V.  925  zweite  Frage,  V.  926  Antwort  darauf; 
V.  927—928  dritte  Frage; 
V.  929  —  930  Antwort  auf  die  dritte  Frage; 

also  2  -f  2  4-  2  -f  2  Zeilen.  Der  noch  übrige  Teil  dieser  Scene 
V.  934 — 956  bildet  zwei  Versreihen  mit  je  9V3  Zeilen,  indem 
V.  934 — 947  Menaechmus  über  den  Senex  herfällt,  so  dass  dieser 
erklärt,  jener  müsse  verrückt  sein,  und  darauf  hin  V.  947 — 956 
der  Medicus  verordnet,  Menaechmus  solle  zu  ihjii  ins  Haus  gebracht 
werden.  Innerhalb  jeder  dieser  l)eiden  Keihen  tritt  eine  durch 
gleichlautende  Versschlüsse  scharf  gekennzeichnete  Stichomythie 
hervor,  nämlich  in  den  Versen  941 — 945  ([scio]  ....  scio  .... 
scio  ....  scio  ....  respondeo)  und  950 — 951  (dies  ....  di€s)\ 
vgl.  auch  in  der  zweiten  Scene  des  vierten  Aktes  V.  621 — 625 
das  migas  agis.  —  Eine  nicht  minder  reiche  Symmetrie  bietet  die 
Anordnung  des  Stoffes  in  der  letzten  Scene  des  Stückes.  Beim  Zu- 
sammentreffen der  beiden  Menaechmi  fällt  zuerst  die  äussere  Aehn- 
lichkeit  auf  (V.  1060 — 10()4,  d.  i.  5  Zeilen),  auch  Name  und 
Vaterland  stimmen  überein  (V.  1065 — 1069,  ebenfalls  5  Zeilen). 
Nun  wird  Messenio  irre,  wessen  Diener  er  sei,  und  hält  zuerst 
den  Menaechmus  1  für  seinen  Herrn  (V.  1070 — 1073,  d.  i.  4  Zeilen); 
da  aber  Menaechmus  11  xVnspruch  auf  ihn  erhebt,  erkennt  er  diesen 
als  seinen  Gebieter  an  (V.  1074  —  1077,  ebenfalls  4  Zeilen).  Die 
Erwähnung  des  Vaters  Moschus  (V.  1078  —  1080,  d.  i.  3  Zeilen) 
iührt  den  Messenio  auf  den  Schluss,  dass  er  die  beiden  Zwillinge 
vor  sich  habe  (V.  1081  —  1083,  ebenfalls  3  Zeilen).  Er  ruft 
sie  nun  getrennt  einen  nach  dem  andern  abseits  und  teilt 
ihnen  in  einem  Zwiegespräch  von  je  11  Versen  seine  Entdeckung 
mit  (V.  1084 — ^1094  Zwiegespräch  mit  Menaechmus  II,  V^.  1095 
bis  1105  Zwiegespräch  mit  Menaechus  I).  Darauf  folgt  die  Kon- 
frontierung untl  gegenseitige  Erkennung  (V.  IIOG — 1134,   d.  i.  28 


214  Alois  Goldbacher, 

Zeilen),  woran  sich  die  Lösung  der  Wirren,  die  Manumissio  und 
die  Vorbereitung  zur  Heimkehr  anschliesst  (V.  1135 — 1162,  d.  i. 
26  Zeilen). 

So  viel  über  die  symmetrische  Verteilung  des  Stoffes  in  den 
Dialogpartien  der  Menaechmen.  Die  Fälle  von  Symmetrie,  die  sich 
uns  bei  dieser  Untersuchung  ergeben  haben,  sind  sehr  zahlreich  und 
über  die  ganze  Komödie  derart  verbreitet,  dass  es  nur  wenige 
Stellen  in  derselben  giebt,  die  nicht  als  Belege  dafür  herangezogen 
worden  wären.  Freilich  darf  man  nicht  verlangen,  dass  alles,  was 
da  zusammengestellt  worden  ist,  dieselbe  überzeugende  Kraft  habe. 
Manches  würde  für  sich  allein  kaum  eine  Beachtung  finden,  aber 
es  gewinnt  an  Bedeutung  durch  die  Verbindung  mit  anderen  gleich- 
artigen Fällen  und  überhaupt  durch  den  Zug  nach  Symmetrie,  von 
dem  das  ganze  Stück  getragen  zu  sein  scheint.  So  wird  man  es 
z.  B.  gar  nicht  auffallend,  sondern  vielmehr  sehr  natürlich  finden, 
dass  der  Wendepunkt  der  Handlung  einer  Scene  in  deren  Mitte  ge- 
legt ist  und  diese  so  in  zwei  Teile  zerfällt.  Wenn  aber  diese 
Teile  wiederholt  entweder  gleich  viele  Verse  umfassen,  wie  in  I  2 
und  IV  1,  oder  die  Differenz  nur  einen  .einzigen  Vers  beträgt,  wie 
in  13,  II  1  und  3,  so  sind  wir  wohl  zu  der  Annahme  berechtigt, 
dass  hier  kein  blosser  Zufall  obwalte,  sondern  dass  der  Dichter  im 
Interesse  seiner  Kunst  eine  solche  Gleichmässigkeit  gewollt  und 
durchgeführt  habe.  Am  entschiedensten  aber  werden  wir  von  einer 
beabsichtigten  Symmetrie  dort  zu  sprechen  haben,  wo  Teile  der 
Handlung,  die  auf  einander  bezogen  sind,  eine  gleiche  Anzahl  von 
Versen  umfassen,  wie  in  V.  273 — 293  und  294  —  314,  deren  Schluss- 
verse zu  einander  in  Beziehung  stehen,  oder  V.  498 — 506  und 
507  —  517 ,  wo  Anfang  und  Ende  in  beiden  Teilen  zusammen- 
stimmen. Dasselbe  ist  der  Fall  bei  paarweiser  Gruppierung  von 
Handlungen,  wenn  die  ihnen  entsprechenden  Versreihen  eine  gleiche 
Anzahl  von  Versen  aufweisen,  wie  z.  B.  V.  1070 — 1073  und 
1074 — 1077,  wo  Messenio  zuerst  den  Menaechmus  I  und  dann 
den  Menaechmus  II  für  seinen  Gebieter  erklärt,  oder  V.  1084 — 1094 
und  1095 — 1105,  wo  Messenio  zuerst  mit  Menaechmus  II  und  dann 
mit  Menaechmus  I  abseits  sich  unterredet.  Auch  die  sich  gegen- 
überstehenden Paare  von  je  drei  Versen,  nämlich  V.  775 — 777  und 
808—810,  sowie  919—922  und  931—933  lassen  keinen  Zweifel 


Veher  d.  symmetrische  Verteihmg  d.  Stoffes  i.  d.  Menaechmen  d.  Flautus.   215 

an  der  gesuchten  Gleichmässigkeit  übrig.  Schliesslich  genügt  eine 
Zurückweisung  auf  den  Bau  der  ersten,  fünften  und  neunten  Seene 
des  fünften  Aktes  und  auf  die  schöne  Gliederung  der  Monologe 
V.  446—465,  54Ü— 558,  899  —  908,  957  —  965  und  anderer 
Dialogstücke,  wie  z.  B.  V.  716  —  730  und  923—930,  um  zu  zeigen, 
welche  Schranken  sich  der  Dichter  gesetzt  hat,  um  seinem  künst- 
lerischen Drange  nach  Ebenmass  und  Symmetrie  gerecht  zu 
werden. 

Eine  andere  Beobachtung  drängt  sich  uns  bei  der  Betrachtung 
der  Cantica  auf.  liier  kann  man  bemerken,  dass  jedes  derselben 
dem  Inhalte  nach  aus  drei  Gedankenreihen  bestehe,  also  in  drei 
Teile  gegliedert  sei,  und  dass  mit  dieser  Gliederung  auch  die 
metrische  Gestaltung  harmoniere ').  So  beginnt  das  erste  Canticum 
(V.  110 — 134)  mit  dem  strengen  Verweise,  den  Menaechmus  I 
seiner  Frau  in  das  Haus  hinein  zuruft  (V.  HO — 118).  Mit  dem 
Verse  119  (Nimium  ego  te  habiii  dellcatam;  nunc  adeo  ut  factu- 
rus die  am)  ist  deutlich  genug  der  Anfang  des  zweiten  Teiles  be- 
zeichnet, dessen  Inhalt  die  bestimmte  Erklärung  des  jMenaechmus 
bildet,  was  er  nun  zu  tliun  im  Sinne  habe.  Abgeschlossen  wird 
dieser  Teil  durch  die  paar  Worte,  mit  denen  der  Parasit,  der  un- 
gesehen in  der  Nähe  steht,  die  Rede  des  Menaechmus  begleitet. 
Nun  kommt  der  dritte  Teil  des  Canticums,  der  Jubel  des  Menaech- 
mus wegen  des  Sieges,  den  er  über  seine  Frau  davongetragen  habe. 
Dieser  Dreiteilung  des  Canticums  kommt  auch  die  metrische  An- 
lage in  entsprechender  AVeise  entgegen.  In  dem  ersten  Teile 
geben  die  Cretici  den  Ton  an.  Wie  die  ihnen  vorangehenden 
Verse  110  und  111  und  der  sie  unterbrechende  Vers  114  zu  messen 
seien,  ist  für  unseren  Zweck  ohne  Bedeutung.  Das  Charakteristische 
des  zweiten  Teiles  sind  die  fünf  iambischen  Dimeter  zwischen 
einem  trochäischen  Octonar  und  vier  trochäischen  Septenaren. 
Der  dritte  Teil  bewegt  sich  nur  in  trochäischen  und  iam- 
bischen Septenaren  und  iambischen  Octonaren  und  zwar  in  der 
geschlossenen  Folge: 


')  S.  Friedr.  Leo,  die  plautinischen  Cantica  und  die  hellenistische  Lyrik. 
Abhandl.  der  k.  Gesellschaft  der  Wiss.  zu  Göttingen.  Philol.-hist,  Klasse 
N.  F.  I  1897  Nr.  7  S.  28—29;  45—46:  88—89, 


216  Alois  Goldbacher, 

i  1  trochäischer  Septenar 

\  2  iambische  Octonare 

I  1  trochäischer  Septenar 

i  2  iambische  Octonare 
2  iambische  Septenare. 
Auch  im  zweiten  Canticum  (V.  351  —  368)  sind  die  drei  Teile 
durch  sichere  Merkmale  leicht  zu  unterscheiden.  Im  Heraustreten 
aus  dem  Hause  ruft  Erotium  einer  Dienerin  drinnen  noch  einige 
Aufträge  zu:  das  ist  der  erste  Teil.  Dann  tritt  sie  auf  die  Strasse 
und  spricht  für  sich  allein,  indem  sie  nach  dem  Geliebten  späht 
und  denselben,  nachdem  sie  ihn  erblickt,  anzureden  sich  entschlicsst: 
das  ist  der  zweite  Teil.  Der  dritte  Teil  sind  die  an  Menaech- 
mus  H  gerichteten  Worte  selbst.  Die  metrische  Fassung  ist  dieser 
Gliederung  angemessen,  insofern  als  der  erste  Teil  mit  einem 
iambischen  Senar  schliesst  und  die  beiden  andern  mit  je  einem 
Paroemiacus ;  auch  ist  der  letzte  Teil  rein  anapaestisch,  während  die 
beiden  anderen  Teile  einen  anapaestisch-iambischen  Rhythmus  haben. 
Nicht  anders  steht  es  mit  dem  dritten  Canticum.  In  einem 
Monologe  klagt  Menaechmus  I  zuerst  im  allgemeinen  über  die 
Schattenseiten  des  Klientenwesens  (V.  571 — 587),  spricht  dann  von 
der  bitteren  Erfahrung,  die  er  selbst  soeben  in  dieser  Beziehung 
gemacht  habe  (V.  588 — 595;  vergl.  oben  S.  209),  und  verwünscht 
endlich  jenen  Klienten,  der  ihn  in  dies  Missgeschick  gebracht,  so 
wie  auch  sich  selbst,  da  er  das  Prandium  verscherzt  und  seine 
Geliebte  offenbar  erzürnt  habe  (V.  596  —  60 la).  Das  sind  die  drei 
Teile,  welche  den  Inhalt  des  Monologs  bilden.  Wahrscheinlich  ist 
damit  wohl  auch  das  eigentliche  Canticum  zu  Ende;  denn  die  zwei 
anapaestischen  Septenare,  die  sich  noch  daran  anschliessen,  gehören 
schon  dem  Dialoge  zwischen  Peniculus  und  der  Matrona  an  und 
bilden  den  Uebergang  zu  den  nun  folgenden  trochäischen  Septe- 
naren.  Die  metrische  Behandlung  des  Monologs  folgt  durchaus  in 
ganz  auffallender  Weise  dieser  Einteilung:  der  erste  Teil  hat 
vorwiegend  bacchischen  Charakter,  der  zweite  dürfte  vielleicht  aus- 
schliesslich trochäisch  zu  messen  sein,  und  der  dritte  besteht  aus 
11  iambischen  Dimetern,  die  mit  einem  Senar  abschliessen. 

Im  vierten  Canticum  tritt  der  Senex  auf  die  Bühne.     Er  klagt 
im  ersten  Teile  über  die  vielen  Gebrechen,  die  das  Alter  mit  sich 


Heber  d.  symmetrische  Verteilung  d.  Stoffes  i.  d.  Meiiaechmen  d.  Plautiis.  217 

bringe  (V.  753 — 760).  Im  zweiten  Teile  geht  er  darauf  über, 
was  ihn  trotz  seiner  Schwerfälligkeit  dazu  bewogen  habe,  hierher 
zu  kommen;  die  Tochter  habe  ihn  nämlich  holen  lassen  und  er 
wisse  nicht,  warum  (V.  761—764).  Der  dritte  Teil  bringt  dann 
die  Vermutung,  dass  es  wiederum  zwischen  der  Tochter  und  ihrem 
Manne  einen  Zwist  werde  gegeben  haben  (V.  764a — 771).  Das 
sind  dem  Sinne  nach  die  drei  Teile  des  Canticums,  denn  die  drei 
noch  übrigen  Verse  (772  —  774),  in  denen  der  Senex  seine  Be- 
trachtungen abbricht  und  auf  die  beiden  Gatten  hinweist,  die  er 
nun  da  stehen  sieht,  bilden  den  Uebergang  zum  Dialog,  obwohl  sie 
formell  noch  zum  Canticum  gehören.  Mit  der  Disposition  des  In- 
halts, wie  wir  sie  eben  gegeben  haben,  stimmt  nun  auch  voll- 
kommen die  metrische  Anordnung.  Der  erste  und  der  dritte  Teil 
sind  untereinander  gleich  und  bestehen  aus  je  8  bacchischen  Tetra- 
metern. Durch  diese  beiden  korrespondierenden  Reihen  von 
Dacchien  ist  der  zweite  Teil  eingeschlossen,  welcher  ein  mannig- 
faltigeres Gepräge  hat,  indem  die  Bacchien  mit  Anapaesten,  Creticis 
und  Trochäen  gemischt  sind.  Die  Uebergangsverse  772 — 774 
stehen  sowie  dem  Inhalte  nach  ebenso  auch  in  rhythmischer  Be- 
ziehung ausserhalb  des  engeren  Verbandes. 

Wir  kommen  zum  fünften  und  letzten  Canticum  (V.  966— 1(K)6). 
Der  erste  Teil  desselben  erscheint  schon  äusserlich  von  den  andern 
(Uidurch  abgesondert,  dass  er  als  sechste  Scene  des  fünften  Aktes 
bezeichnet  wird.  Die  siebente  Scene  beginnt  dann  damit,  dass  die 
Lorarii  unter  der  Führung  des  Senex  den  Menaechmus  I  fassen 
und  fortführen  wollen,  während  dieser  um  Hilfe  ruft:  zweiter  Teil 
des  Canticums  (V.  990—1001)).  Darauf  folgt  als  dritter  Teil, 
wie  Messenio  entschlossen  seinem  vermeintlichen  Herrn  in  der  Not 
beispringt  (V.  1001  — 1006).  In  metrischer  Beziehung  setzt  der 
erste  Teil  im  Anfange  kräftig  mit  Bacchien  ein;  die  mittleren 
\  crse  dieses  Teiles  sind  sehr  unsicher,  das  Ende  aber  iambische 
<  )ctonare  und  trochäische  Septenare,  womit  der  Uebergang  zum 
folgenden  Teile  gebahnt  ist.  Der  zweite  Teil  nämlich  besteht 
aus  fünf  trochäischen  Septenaren  und  sechs  iambischen  Octonaren. 
Da  nun  auch  der  dritte  Teil  mit  iambischen  Octonaren  beginnt, 
so  sind  auch  diese  beiden  Teile,  nämlich  der  zweite  und  dritte, 
metrisch  miteinander  verbunden.    Das  (Charakteristische  des  dritten 


2l8  Ooldbacher,  Ueb.  d.symmctr.  Vertl.  d. Stoffes  i,  d.Menaechmen  d.Plautiis. 

Teiles    aber   sind    die    fünf   iambischen   Dimeter,   mit  denen   das 
Canticnm  schliesst. 

Sämtliche  fünf  Cantica  der  Menaechmen  sind  also,  wie  wir 
gesehen  haben,  rücksichtlich  ihres  Inhaltes  derart  angelegt,  dass 
jedes  derselben  aus  drei  Teilen  besteht.  Die  allgemeine  Grund- 
lage für  diese  Disposition  ist  der  Wechsel  des  Gedankenkreises,  in 
dem  sich  das  Canticum  bewegt;  dazu  kommen  aber  öfters  auch  noch 
andere  äussere  ^Merkmale,  welche  die  einzelnen  Teile  desselben 
um  so  schärfer  hervortreten  lassen,  wie  z.  B.  Wechsel  in  den 
Personen,  an  die  sie  gerichtet  sind,  so  im  ersten  und  zweiten 
Canticum,  oder  auch  ein  Wechsel  in  dem  Träger  des  ("anticums 
selbst,  was  im  fünften  Canticum  der  Fall  ist.  Dieser  Gliederung 
von  Seiten  des  Inhaltes  steht  die  rhythmische  Anlage  nicht  nur  nicht 
entgegen,  sondern  stimmt  damit  vielmehr  so  genau  uncl  so  auf- 
fallend überein,  dass  der  Schluss  nicht  unberechtigt  erscheint,  wir 
hätten  es  da  mit  einer  wesentlichen  Eigenschaft  dieser  Cantica  zu 
thun.  Wir  erinnern  uns  dabei  daran,  dass  schon  die  alten  Philo- 
logen eine  solche  Dreiteilung  der  Cantica  gekannt  und  durch 
iS^ummern  bezeichnet  zu  haben  scheinen,  denn  in  der  Schrift  de 
comocdia  et  tragoedia,  die  man  in  ihrer  zweiten  Hälfte,  um  die  es 
sich  hier  handelt,  gewöhnlich  auf  Donat  zurückführt,  ist  von  den- 
jenigen die  Rede,  qui  tres  numeros  in  comoedm  ponunt,  qui  tres  con- 
tinent  mufatos  modos  cantici.  So  lautet  wenigstens  die  Ueber- 
lieferung. 


XIV. 
Otto  Piasberg. 

Viiidiciae  Tullianae. 


I.  Magnorum  virorum  vestigia  sequi  cum  eximiam  animo  ad- 
ferat  voluptatem,  tum  nihil  iucundius  est  quam  si  tibi  aliquid  pro- 
fecisse  videare  via  ab  iis  Ingrediens  monstrata,  quibus  te  plurimum 
debere  sentias.  itaque  laetum  huius  scriptionis  auspicium  a  pro- 
oemio  illo  capio,  quo  is  vir  summus,  cuius  in  honorem  haec  scribun- 
tur,  anno  MDCCCLXXIX  de  versibus  nonnullis  poetarum  Romanorum 
disputavit  qui  aut  sunt  aut  esse  crediti  sunt  apud  M.  Ciceronem. 
quo  in  genere  quamvis  illustribus  moniti  exemplis  ne  nunc  quidem 
semper  recte  iudicant  docti.  velut  in  secundo  de  natura  deorum 
35,  89  Q.  Baibus  Accii  versus  adfert,  quibus  apud  eum  Argonauta- 
rum  vehiculum  e  monte  conspiciens  pastor,  qui  navem  numquam 
ante  vidisset,  admirabundus  eins  molis  naturam  qualis  esset  adsequi 
conatus  est  coniectando.  quos  versus  Baibus  postquam  recitavit 
ita  pergit 

dubitat  primo    quae  sit  ea    natwa    quam    cernit    ignotam; 

idemque  mcenibus  visis  auditoque  nautico  cantu  '^  sicut  inciti 

atqtie    alacres    rostris   per/remunt    delphini   item  alia  mulfa 

4  Süvani  melo  consimilevi  ad  aures  cantuTn  et  auditum  referi' : 

ergo  ut  hie  primo  aspecfu  inanimum  quiddam  sensuque  vacuufn 

se  putat  cernere,  post  autem  signis  certioribus  quäle  sit  id  de 

quo  dubitaverat  incipit  suspicari,  sie  philosophi  debuerunt  eqs. 

haec  ut  scripsi  ita  sunt  in  libris,  nisi  quod  v.  4  levi  errore  eonsimile 

scriptum  est.    sed  in  constituendis  Accii  versibus  dubitatio  orta  est 

primum  inde  quod  illa 

sieut  ineiti  atque  alaeres  rostris  perfremunt 
ita  scripta  senarium  non  explent.    ac  Lachmannus  quidem  cum  haec 
proposuit  ad  Lucretii  II  266 

siinis  ineiti  atque  alaeres  rostris  perfrieant 
delphini 


222  Otto  Piasberg, 

(addit  navcm  Argo  scilicet),  Ciceronis  verba  non  videtur  ante 
oculos  habuisse,  et  est  perfremere  rostris  delphinorum  proprium, 
de  qiiibus  Plinius  nat.  bist.  IX  23  pro  voce  gemitus  humano  similis; 
quod  autem  inciti  vocabulum  mediam  syllabam  voluit  habere  pro- 
ductam,  posuit  quod  non  solum  exemplum  habet  nulluni  sed  etiam, 
si  admittatur,  stare  non  possit  nisi  proximo  quoque  superiore  verbo 
mutato.  idem  cadit  in  Ribbeckii  inventum,  qui  in  prima  fragmen- 
torum  tragicorum  editione  posuit  sie  aut  inciti^  ut  alterum  diiuuc- 
tionis  membrum  a  Cicerone  omissum  esset,  idemque  Baiterus  in 
utroque  exemplari  scripsit.  similiter  nuper  losephus  B.  Mayor  ex 
illo  ut  effecit  ait,  ut  hoc  Balbi  esset,  versus  autem  prima  syl- 
laba  careret;  quod  etiam  sententia  flagitari  mira  ratiocinatione  sibi 
persuasit:  quis  enim  dubitat  quin  rostris  perfremere  etiam  in  tradita 
lectione  dicantur  delphini  nihil  aliud?  ineiti  media  syllaba  correpta 
qui  tulerit  unum  novi  Theodorum  Bergkium,  qui  in  Zimmermann! 
annalibus  (Zeitsehrift  für  die  Alterthums Wissenschaft)  NIII  (1841) 
p.  92  haec  ita  scripsit 

sicut  inciti 

atque  alacres  rostris  *  *  *  *  perfremunt 

delphini^ 

sed  quid  intercidisse'  putaret  non  dixit.  alii  maluerunt  ipsum  illud 
inciti  mutare,  ut  olim  Heindorfius  cum  Glogaviensi  suo  sie  incitoti 
scripsit,  sicut  lascivi  in  secunda  et  tertia  editione  Hibbeckius,  sicut 
conciti  proposuit  Buechelerus.  et  Ribbeckii  quidem  inventum  per- 
suadendi  vim  habet  exiguam:  cur  enim  lascivos  potius  delphinos 
diceret  quam  incitos  id  est  celeres  (ut  vis  incita  venti  est  apud 
Lucretium  1 271  et  saepius,  incita  hasta  apud  Vergilium  Aen.  XII 492), 
de  quibus  idem  ille  Plinius  IX  20  velocissimum  omnium  animalium, 
non  solum  marinorum,  est  delphinus,  ocior  volucre  acrior  telo.  mini- 
mam  aut  sententiae  aut  memoriae  librorum  vim  Buecheleri  ratio 
adfert,  quam  probare  non  dubitarem,  si  mihi  ferri  non  posse  id 
quod  traditum  est  persuasum  esset,  cum  enim  in  ipsis  verbis  nihil 
sit  quod  oftendat,  numeros  tolerandos  esse  puto  et  hoc  modo  versum 
esse  pronuntiandum 

sicut  inciti  ätque  alacres  rostris  perfremunt 
delphini, 


Vindiciae  Tullianae.  223 

ut  priori  versui  prima  desit  syllaba,  sive  nam  fiiit  sive  dum  sive 
quid  aliud,  atque  autem  corripiatur  nota  lege,  qua  lege  in  hoc  ipso 
vocabulo  usus  Terentius  ita  versum  exorsus  est  adelph.  351  abi 
atque  Hegioni.  quamquam  scio  ea  lex  quos  fines  habeat  apud 
veteres  comicos  non  inter  omnes  constare;  sed  de  Accii  arte  minus 
etiam  certi  habemus:  itaque  licebit  Interim  certae  sententiae  niaioreni 
fidem  habere  quam  numerorum  legibus  incertis. 

Sed    pergamus.    quae    secuntur  Ribbeckius    ita    scripta  edidit 
curis  secundis  et  tertiis  (Medeae  frg.  11.  111) 

item,  alto  mulcta  Silvani  melo 
consimilem  ad  auris  cantum  et  audituin  refcrt. 
et  poterat  fortasse  pastor  ille  navem  Argo  sive,  ut  dixerat  ante, 
molem  nunc  alto  mulctam  dicere,  etsi  supra  dixerat  prae  se  undas 
volcit,  vertices  vi  suscitat  et  quae  secuntur  non  nimium  mulcedinis 
prae  se  ferentia.  sed  primum  illa  alto  mulcta  litterarum  cum  tra- 
ditis  sirailitudinem  habent  aliquam,  necessitatem  sententiae  nullani, 
ne  commodum  quidem;  cui  tarnen  commodo  et  Muellerus  consuluit 
cum  coniecit  item  illa  moles  et  Buechelerus  cum  illa  mota  vel  muta^ 
ut  scilicet  subiectum  quod  esset  nancisceremur.  et  Ribbeckio  quidem 
similitudo  ea  visa  est  notari  (vide  corollarium  editionis  secundae 
p.  L\in),  'quod  rostro'  et  delphinus  et  navis  'frementem  fluctura 
persulcans  et  quasi  insultans  undis  alacriter  promoveri  cernitur  . 
quam  rem  non  magis  significari  quam  aut  Orphei  Carmen  aut 
ipsius  navis  vocem  divinam,  de  qua  cogitabat  Bergkius,  ipsa  mihi 
Ciceronis  verba  satis  videntür  docere;  qui  quem  dicit  nauticum 
cantum,  is  profecto  pastori  illi  non  magis  fuit  notus  quam  navis 
ipsa.  accedit  quod,  sive  Ribbeckii  interpretationem  sequimur,  per- 
fremendi  verbo  non  videtur  satisfieri,  sive  ceteris,  quos  dixi,  adsti- 
pulamur,  comparationis  ratio  summopere  est  impedita.  quem  enim 
ita  putamus  esse  locutum  sicut  delphini  rostris  perfreviunt,  item 
illa  moles  cantum  Silvani  melo  consiviilem  ad  aures  refevt,  duobus 
similibus,  quae  inter  se  diversa  sunt,  violenter  unius  sententiae 
ambitu  inclusis.  et  est  ea  confusio  a  tota  hac  oratione  aliena,  qua 
pastor  primo  qualis  sit  illa  moles  describit,  deinde  de  eins  natura 
coniectare  incipit  sie  ita  dum  interruptum  credas  nimhuvi  volvie)\ 
dum  quod  sublime  ventis  expulsum  rapi  saxum  aut  procellis,  vel 
globosos  turbines  existere  ictos  undis  concursantibus;  nisi  quas  terres- 


224  Otto  Piasberg, 

tres  pontus  strages  conciet  auf  forte  Triton  fuscina  evertens  specus 
.  .  .  molem  ex  pro/undo  saxeam  ad  caelurn  eruit.  vides  coniecturam 
excipi  coniectura,  nihil  plane  impediti  aut  contorti:  cur  non  item 
illa  de  quibus  agimus?  quare  missis  opinionibus  doctorura  ad  libros 
revertamur.  qui  quae  exhibent,  quae  supra  proposui,  si  scripsit 
Cicero,  ut  scripsisse  credimus,  apparet  eum  duobus  particulis  de- 
fungi  ad  ampliorem  orationis  ambitum  ut  apud  scientes  significan- 
dum,  non  aliter  ac  de  finibus  II  32,  lOß  itaque  beatior  Africanus 
cum  patria  illo  modo  loquens  ^  desine  Roma  tuos  hostes'  reliquaquo 
praeclare;  '  nam  tibi  munimenta  mei  peperet'e  labores  :  laborilms  hie 
praeteritis  gaudet  eqs.  et  alibi  similiter,  coufer  Vahleni  prooeraium 
quod  laudavi  p.  4  s.  nee  quidquam  obstat  quominus  pastorem 
nauticum  cantum  non  duobus  sed  pluribus  notis  sibi  sonorum 
generibus  dubitantem  credamus  adsimulasse,  de  quo  etiam  Cicero 
scribat  post  autem  signis  certioribus  quäle  sit  id  de  quo  dubitacerat 
incipit  suspicari.  atque  ita  rem  se  habere  iam  I.  B.  Mayor  breviter 
signilicaverat,  cui  tarnen  nee  Ribbeckius  credidit  nee  Alfredus 
Goethius.  hie  enim  illa  alia  multa  quia  ibi  ubi  tradita  sunt  ferri 
posse  negaret  post  refert  v.  6  traiecit.  quo  quid  lucremur  non  video ; 
si  enim  aliquid  in  media  oratione  praetermisit  Cicero,  quod  illi 
quoque  credere  necesse  est,  cur  pauca  potius  quam  multa?  et 
eodemne  transponendi  artificio  utemur  in  illis  de  finibus  reliquaque 
praeclare"^  non  opinor,  sed  agnoscemus  potius  morem  scriptoris, 
qui  multa  praeteriit  et  praetereundi  eadem  formula  usus  est  qua 
Terentianus  Davus  utitur  in  Andria  v.  354  tuos  pater  modo  me 
prehendit;  ait  tibi  uxorem  dare  hodie,  item  alia  multa,  quae  nunc 
non  est  narrandi  locus. 

Poetae  tribui  quae  sint  Ciceronis  conabor  altero  loco  demon- 
strare.  de  ira  disputans  Cicero  eaque  egere  fortitudiiiem  negans 
ita  scribit,  Codices  si  sequimur,  Tusc.  disp.  IV  23,  52 

non  igitur  desiderat  fortitudo  advocatam  iracundiam,  satis 
est  instrucia  parata  armata  per  sese.  nam  isto  quidem  modo 
licet  dicere  utilem  oinulentiam  ad  fortitudinem,  utilem  etiam 
dementiam,  quod  et  insani  et  ebrii  multa  faciunt  saepe  ve- 
hementius.  semper  Aiaa:  fortis,  fortissimus  tarnen  in  furore; 
nam  facinus  fecit    maximum,    cum    Danais    inclinantibus 


Vindiciae  Tullianae.  225 

7  summafii  rem    perficit    manus   proelium    restituit   insaniens: 

8  dicamus  igitur  utilem  insaniam  f    tracta  deßnitiones   fortitu- 
dinis,  intelleges  eatn  stomacho  non  egere: 

iam  eas  definitiones  incipit  enumerare.  primum  igitur  animad- 
vei'ti  cupio  male  editores  plerosque  illa  dicamus  igitur  uiilein  in- 
saniam V.  8  novo  capiti  dare.  nam  de  insania  non  amplius  agitur 
ex  eaque  ductum  argumentum  illis  ipsis  verbis  concluditur.  sed  verba 
poetae,  quae  manifestum  est  alferri,  editores  haec  fere  volunt  esse 
facinus  fecit  maximum,  cum  Danais  inclinantibus 
summam  perfecit  rem,  manu  sua  restituit  proelium 
insaniens. 
ita  quidem  Ribbeckius  (trag.  ine.  ine.  fab.  frg.  XXXIIl),  qui  7ia7n 
Ciceroni  dedit,  perfecit  rem.  traiecit  sua  usus  coniectura,  in  ceteris 
Godofredum  Hermannum  (opusc.  VII  885)  secutus,  cui  etiam  per- 
fecit pro  perficit  scriptum  debetur.  et  haec  quidem  perfacilis  est 
mutatio  et,  quamquam  praesens  tempus  ipsum  per  sese  ferri  possit, 
tamen  propter  numeros  paene  necessaria.  minus  necessario  rem,  et 
perfecit  locos  commutaverunt,  neque  id  ('iceronis  editores  receperunt, 
nisi  qui  etiam  refecit  mahierunt  Seyüertus  et  alii.  sed  quae  secun- 
tur  restituit  -proelium  insaniens  v.  7  sie  tamquam  verba  poetae  ex- 
hibent  omnes  (nam  Klotzium  omitto)  praeter  unum  Baiterum,  qui  in 
editione  minore  Kayseri  monitu  insaniens  Ciceroni  reddidit,  idem 
unus  liaec  a  sequentibus  divelli  non  passus.  quorum  virorum  quae 
ratio  fuerit  nescio,  puto  autem  suo  quodam  sensu  ductos  noluisse 
poetam  Ciceroni  materiam  argumentandi  praebuisse  dolatam  atque 
politam.  et  solet  Cicero  verba  poetarum  brevi  quasi  commentariolo 
adnexo  suum  ad  usum  convertere.    pauca  adponam  exempla. 

Tusc.  disp.  I  15,  34  quid,  poetae  nonne  post  mortem  nobilitari 
vohüitf  unde  ergo  illud  '  aspicite  o  cices  senis  Enni  imaginis 
formam,  hie  vestrum  panxit  maxima  facta  pati'um  :  mer- 
cedem  gloriae  ßagitat  ah  iis  quorum  patres  adfecerat  gloria 

ibidem  44,  106  ^prius  quam  ferae  volucresque' :  metuit  ne  lacera- 
tis  memhris  minus  bene  utatur,  ne  combustis  non  extimescit 

ibidem  III  27,  65  'decrevi  tantisper  me  minus  iniuriae  Chremes 
m^o  gnato  facere,  dum  fiam  miser  :  hie  decernit  ut  miser 
sit;  num  quis  igitur  quicquavi  decernit  invitusf  '  malo  quidem 

Festsclirift  Vahlen.  15 


22G  Otto  Piasberg, 

me  quovw  digimvi  deputein  :    vialo  se  dignum  deputat,    nisi 
miser  sit;  vides  eiv/o  opinionis  esse  non  naturac  maluvi 
ibidem  IV  34,  73  probe  et  illa  '^ saniisne  es,    qui  temere  lam£n- 

tareV :  hie  insanus  videtur  etiarn  suis 

de  flu.  II  32,  106  ^nam  tibi  munimenta  mei  peperere  labores  : 

laboribus  hie  praeferitis  gaitdet,  tu  iitbes  volupfafibus,   et  hie 

se  ad  ea  revocat  e  quibus  nihil  umquam  rettulerit  ad  corpus, 

tu  totus  haeres  in  corpore,    cf.  \  18,  49 

de  senect.  5,  14  Ennius  \sicut  fortis  equus,    spatio    qui   saepe 

supremo  vicit  Oly^npia,   nunc  senio  confectus  quiescif :    equi 

fortis  et  victoris  senectuti  comparat  suam 

ibidem  20,  73  haud  scio  an  melius  Ennius  'nemo  me  lacrumis 

decoret  neque  funer a  fletu  faxiC:    non  censet  luc/endam  esse 

mortem  quam  inmortalitas  consequatur 

eiusdem  Ennii  versus  quosdam  in  partes   discerptas    commeii- 

tariolis  instruxit  in  Bruto    lo,  58  s.    quarum    partium    ad- 

pono  tertiam:    ^  Suadaeque    medulla  :    Ileidco    quam    vocant 

Graeei,    cuius    effector    est    orator,    hanc  Suadam  appellaoit 

Ennius;  eiu^  auiem  Ceihegum  meduUam  fuisse  vult,  ut,  quam 

deam  in  Pericli  labris  scripsit  Eupolis  sessitavisse,  huius  hie 

medullam  nostrum  oratorem  fuisse  dixerit,  ubi  cum  olim  illa 

eins  autem  Cethegum  medidlavi  fuisse  vtdt  Schuetzio  auotorc 

seclusissent  docti,  nuper  coeperunt  ea  ferre,    alterum  autem 

medullam  immutare,  non  recte,  quoniam  illa  iii  quam  deam 

eqs.  translationes  inter    se    comparandi    causa  addita  idem 

illud  translatum  vocabulum  llagitant. 

est  autem  interdum  additamentum  illud  ita  conformatum,  ut  exigua 

opera  vel  adeo  nulla  numeris  includatur,   ut    illa   item  alia  multa, 

de  quibus  dixi  supra;    ut  paene  mirer  post  Turnebum  advers.  Ml 

18  (quamquam  is  erravit  in  numeris)  neminem  extitisse  qui  Accii 

reliquias  locupletaret  ex  opibus  Ciceronis  Tusc.  disp.  IV  36,  77;   qui 

cum  ita  scribat  audi  Tligestem:  'ipsus  hortatur  me  f rater  ut  meos 

malis  miser   mandarem    natos' :   eorum    viscera    adponit;    quid   est 

enim  quo  non  progrediatur  eodem  ira  quo  furor,    unam   vocem    si 

addideris,  plenum  habebis  septenarium 

mandarem  natos;  eorum  viscera  adponit  iiiilii. 


Vindiciae  Tullianae.  227 

spernunt  nunc  omnes  quod  in  prima  Tusculana  16,  37  cum  deterio- 
ribus  quibusdam  libris  et  Manutio  posuerat  Baiterus  inde  in  vicinia 
nostra  Äverni  iacus, 

'unde  animae  eacitantur  ohscura  umbra,  aperto  ex  ostio 

altae  AcJieruntis^  falso  sanguine,  mortuorum  imagines  . 
has  tarnen  imagines  loqtii  volunt  eqs.,  spernunt  haec  inquam  moniti 
ut  puto  eo  incommodo,  quod  numeris  attulerat  vocabulum  dacty- 
licum  quartum  pedem  explens;  itaque  restituto  ex  codicibus  ordine 
verborum  imagines  mortuorum  Ciceroni  plerique  dant,  et  apparet 
poetae  nullam  necessitatem  fuisse  illa  addendi,  Ciceronem  auteni 
suo  more  adiecisse,  quae  nisi  adiecerat  cur  non  scripsit  has  tarnen 
animas  potius  quam  imagines?  ut  Ribbeckii  coniectura  (ad  trag. - 
ine.  ine.  fab.  frg.  XXXVIII),  qua  illa  e  margine  illata  esse  sus- 
picatus  est  et  persuasit  aliis,  mihi  quidem  futtilis  esse  videatur. 

Quid  igitur,  ut  iam  redeamus  eo  unde  profecti  sumus,  proba- 
bimusne  Hermanni  rationem,  qua  non  sine  vi  Ciceroni  ademit  quae 
eins  morem  redolent,  poetae  dedit  quibus  is  non  eget?  nam  illa 
sum,mam  rem  perfecit  plana  sunt  atque  perfecta  et  adiectis  illis 
restituit  proelium  debilitantur  potius  quam  sublevantur.  ex  manus 
autem  quod  libri  habent  si  levi  mutatione  manu  effeceris,  ut  olim 
effecit  Turnebus  1.  d.,  nuper  in  numeris  peccans  M.  Seyffertus, 
habebis  quod  in  talibus  apte  et  usitate  nee  fere  aliter  ae  vi  ponitur. 
ita  enim  Lucretius  IV  843  conferre  manu  certamina  pugnae,  Cicero 
in  Arateis  (de  nat.  deor.  11  63,  159)  manu  iunctum  (sie  libri,  non 
vitictum)  domitumque  draconem,  Vergilius  Aen.  IX  702  tum  Mero- 
pem  atque  Erytnanta  manu  tum  steimit  Aphidnum,  scriptores  quoque 
ut  Sallustius  lug.  5,  4  populus  Romanus  quascumque  urbis  et  agros 
manu  ceperat  regi  dono  dedit  et  ipse  Cicero  manu  cum  hoste  con- 
ßigere  de  off.  I  23,  81,  idem  cum  hoste  conßixit  in  Pompeiana  10,  28 
simpliciter.    sie  igitur  suadeo  seribatur: 

semper  Aiax  fortis,  fortissimus  tarnen  in  furore;  nam 

"^facinus  fecit  maximum,  cum  Danais  inclinantibus 
summam  rem  perfecit  manu  ; 

proelium  restituit  insaniens:  dicamus  igitur  utilem  insaiiiam? 
certe  poeta  insanientem  Aiacem  illud  facinus  fecisse  aliquo  modo 
signilieaverat,  nee  potest  hoc  referri,  ut  referunt  commentatores 
quidam,    ad  res  in  Iliade  uarratas,    sed  respieitur  fama  nobis  fere 

15* 


228  Otto  Piasberg, 

obscurata,    cuius    reliquias  indicat  Fleischerus  in  Roscheri  lexico  I 

1,  130.    Cicero  autem  loquitur  ut  apud  scientem,    ut    necesse    non 

habeat  ea  poetae  verba  afferre  qiiibus  insanire  Aiacem  perspiciatjir. 

una  restat  dubitsitio,  num  ita  recte  versus  discripti  sint  ac  non  ilhi 

forma  praestet: 

facinus  fecit  maximum, 
cum  Danais  inclinantihus  summam  rem  'perfent  mamt. 

qua  ratione  quaedam  similitudo  efficiatur  cum  Plauti    versibus    ex 

Bacchidibus  (915  s.)  quos  contulit  Kibbeckius: 

Atridae  duo  fratres  chient  fecisse  facinus  ma,rimum, 
quom  Priami  jyatriam  Pergamum  divina  mocnitum  manu 

.  .  .  subegerunt.    sed  argumentis  certis  ea  ambiguitas    solvi    ne(|uit. 

II.  Pergo  Ciceroni  sua  restituere.  in  prima  Tusculana,  ubi 
exempla  enumerat  eorum,  qui  aequo  animo  mortem  oppetierint, 
ita  disserit  42,  100 

sed  quid  ego  Socratem  aut  Theramenem  praestantis  viros 
viHutis  et  sapientiae  gloria  commemoro,  cum  Lacedaemonius 
quidam,  cuius  ne  nomen  quidem  proditum  est^  mortem  tanto- 
pere  contempserit ,  ut,  cum,  ad  eam  duceretur  damnatus  ab 
ephoris  et  esset  voltu  hilari  atque  laeto,  dixissetque  ei  quidam- 

6  inimicus '  conteinnisne  leges  Lijcurgi  ,  responderit  '  ego  vero  Uli 

maximam  gratiam  habeo,  qui  me  ea  poena  multaverit  qu^m 

sine    mutuatione  et  sine  versura  possern  dissolvere\    o  virum 

Sparta    dignum;    ut    mihi    quidem    qui    tarn    jnagno  animo 

§  101  fu£nt   innocens   damnatus  esse  videatur.    talis  innumerabilis 

n  nostra  civitas  tulit.  sed  quid  duces  et  principes  iiominem, 
cum  legiones  scribat  Cato  saepe  alacns  in  cum  locum  pro- 
fectas  unde  redituras  se  non  arbitrarentur.  pari  animo  Lace- 
daemonii  in  Tliermopylis  occiderunt,  in  quos  Simonides  'die 
hospes  Spartae  nos  te  hie  vidisse  iacentes  dum  sanctis  patriae 

16  legibus  obsequimur\  quid  ille  dux semidam  ducit"^ pergite animo 
forti  Lacedaemonii,  hodie  apud  inferos  fortasse  cenabinms\ 
fuit  haec  gens  fortis,  dum  Lycurgi  leges  uigebant.  e  quibus 
uniLs,  cum  Perses  hostis  in  conloquio  dixisset  glorians '  solem  prae 

2u  iaculorum  multitudine  et  sagittarum  non  videbitis\  'in  umbra 
^  102  igitur    inquit  ' pugnubimus'.    viros  coiinneinoro:    qu<dis  tun- 


Viiidiciae  Tiillianae.  229 

dem  Lacaena;  cjuae  cum  filium  in  proelmm  ntisisset  et  inter- 
fectum  audisset  \idcirc6'  inquit  '^ gemieram,  ut  esset  qui  pro 
V.  i'd  j)atna  mortem  non  dubitaret  occumhere\  esto,  fortes  et  duri 
25  Spartiatae;  magnamhahetmmreipiiblicaedisciplina:quid,Cyre- 
naeum  Theodorumphilosopltum  non  ignohilcm  nonne  miramurf 
plura  fiierant  adferenda;  volo  eiiim  totius  disputationis  tenorem  a 
legeiitihus  percipi.  sed  quae  posui,  ea  si  pauca  ac  leviuscula  raenda 
exceperis  Codices  exhibeiit.  iinum  ambiguiim  est,  utrum  ducit  v.  If) 
archetypus  habuerit  an  dicit^  ([uod  et  in  Gudiano  et  in  Regio  ex  illo 
effectum  est,  in  Vaticano  autem,  quem  qui  in  lucem  reduxit 
Eduardus  Stroebelius  (vide  philologum  XLIX  p.  49  ss.)  collationem 
a  se  factam  ut  tractarem  humaniter  concessit,  primitivum  est  sed 
cum  sem/'dam  a  vetere  correctore  aperto  consilio  expunctum.  notum 
est  quam  saepe  illa  verba  inter  se  commutentur,  ut  difficile  sit 
quasi  ratione  subducta  decernere  utrum  verum  sit;  sed  tamen  si 
perpendas  utrum  probabilius  sit  coniectura  esse  ex  altero  eifectum, 
dicit  potius  correctori  tribuas,  utpote  quod  aliquem  intellectum 
faciat,  (juam  ducit,  quod  nullum.  sed  illud  adhuc  omnibus  probatur. 
pro  seniidam  autem,  id  quod  sane  prodive  fuit,  olim  Leonidas 
posuerunt  ac  no  de  hoc  quidem  quisquam  dubitavit.  dubitationem 
autem  movit  J^eonidae  quae  tribuitur  vox;  qua  cum  apud  Ciceronem 
trecenti  iubeantur  'pergere  animo  forti',  apud  Graecos  scriptores, 
qui  eins  mentionem  faciunt,  iubentur  dptaiav  vel  otpiaxoTroisr^Oat, 
apud  Romanos  ceteros  prandere.  eins  igitur  discrepantiae  causam 
primus  Aldus  nepos  a  (Jiceronis  errore  repetiit,  pauIo  post  Nicolaus 
Faber  (ad  Senecae  suasorias  p.  189  exempli  a.  1587  Parisiis  editi) 
apcrtius  verbum  quod  est  otpiaiäv  eum  scripsit  confudisse  cum 
otpiaTsusiv.  postea  Richardus  Bentleius,  cum  primo  verba  ad  Sani- 
tätern putavisset  reduci  posse  ita  mutando  quid  ille  dux  Leonidas  f 
' prandete^  ait  'o  fortes  Lacedae?)ionii  \e\  ita  quid  ille  dux  Leonidas 
dicit  f  ^  prandeamus  o  fortes  Lacedaenionii,  idem  retractatis  emen- 
dationibus  totam  illam  narratiunculam  '  a  mala  manu  esse  et  furcis 
expellendam'  sibi  persuasit.  et  ut  homines  malitiosi  solent  et 
calumniatores,  cum  aliquem  perdere  voluut,  non  in  una  macula 
subsistere  sed  totam  eins  vitam  perquirere  et  undique  converrere 
qiiibus  certius  ei  possit  noceri,  ita  ille  non  contentus  primaria  illa 
offensione  quattuor  causas  addidit  damnandi.    quae  causae,  quoniam 


230  ^^tto  Piasberg, 

et  Davisio  pcrsuasit  et  ceteris  paone  omnibus,  iam  rocognoseendae 
sunt,  primuin  igitur  illa  e  quibm  niius,  si  ^pectarout  ad  illa  gens, 
affirmavit  ferri  non  posse  et  potius  e  qua  unus  esse  debere.  quod  hodie 
nemo  coneedet.  nam  et  in  LuciiUo  32,  103  ita  scribit  Cicero  ait 
vehementer  errare  eos  qui  dicant  ab  Acadeuiia  sensus  eripi,  a  qui- 
hus  numquam  dictum  sit  aut  coloreni  aut  saporem  aut  sonum  nulluni 
esse  et  in  secundo  de  natura  deorum  (>,  17  nt  .  .  .  hoc  idem  geiwri 
humano  eoenerit,  quod  in  terra  .  .  .  co7ilocati  sint  et  alia  eiusmodi. 
deinde  inepta  ait  illa  esse  dum  Lycurgi  leges  vigebant;  ipsiim  enim 
Ciceronem  v.  24:  de  sua  aetate  scribere  niagnam  habet  vini  rci 
publicae  discipUna:  quod  non  de  suis  temporibus  scribit  sed  de 
omnibus;  et  quod  scribit  de  pueris  Spartae  ad  aram  caesis  H  14,  34 
(cf.  V  27,  77),  valet  id  quidem  in  illam  aetatem,  sed  est  ea  exigua 
pars  institutorum  Lycurgi,  quae  magnam  partem  pridem  dcsiisso 
'vigere'  satis  aliunde  constat.  leve  etiam  illud,  paulo  infra  Cicero- 
nem dicere  i'iros  commemoro,  gentem  autem  etiam  feminas  com- 
plecti.  cui  simile  est  id  quod  Ottonis  Ileinii  acumon  observavit  in 
libello  scliolastico  Posnaniae  a.  1862  edito  p.  15,  ducem  comme- 
morari  inepte,  negavisse  enim  Ciceronem  v.  11  se  duces  amplius 
nominaturum.  aeque  quaesierit  quispiam,  qui  tandem  Cicero  post 
illa  quae  scripsit  v.  1  quid  ego  Socratcm  aut  Theramencm  . . . 
commemoro  tarnen  potuerit  ad  ipsum  Socratem  redire  43,  102. 
talia  scilicet  nulla  alia  de  causa  ponuntur  nisi  ut  conectantur  ali- 
quo  modo  inter  se  exempla;  quo  in  genere  quam  non  fuerit  Cicero 
severus  potest  vel  illud  docere,  quod  in  primo  de  divinationc  de 
auspiciis  et  reliquis  divinandi  generibus  acturus  43,  95  ait  omitto 
nostros,  tum  paucis  interpositis  de  Graecis  ad  nostra  iam  redeo 
43,  97,  et  quamquam  primo  de  haruspicibus  disputat,  tamen  ne 
augures  quidem  praeterraittit  (47,  105 — 48,  108);  alia  facilo  in- 
veniet  qui  attendet.  sed  quod  quartum  Bentleii  argumentum  est, 
illa  e  qxiibus  non  ad  totam  gentem  referenda  esse  sed  ad  eos  qui 
in  Thermopylis  pugnaverunt,  eo  autem  non  posse  referri  si  illa 
intercedant  fuit  illa  gens  fortis  dum  Lycurgi  leges  vigebant,  ne  id 
quidem  verum  est.  quis  enim  in  ea  re  (juidquam  offendit  nisi 
cupidus  offendendi?  atque  omnino  in  coUocandis  enuntiationibus 
relativis  veteres  et  ipse  Cicero  multa  .sibi  permiserunt  viva  voce 
confisi,    quae  nos  qui  oculis  legere  soleamus  non  lingua  non  facile 


Viudiciae  Tiillianae.  231 

ferimiis.  quem  locum  nunc  persequi  longum  est;  sed  paene  gemi- 
num  exemplum  est  in  huius  libri  principio  (1,  3),  ubi  quae  legun- 
tur  qui  fuit  maior  natu  quam  Platittis  et  Naevius,  quae  non  ad 
Ennium  referenda  sunt  qui  proxime  ante  nominatus  est  sed  ad 
Livium,  ea  quamquam  et  Wesenbergius  multis  exemplis  defendit 
et  nuper  Fridericus  Leo  in  quaestionibus  Plautinis  p.  70  adn.  1,  tarnen 
ex  recentioribus  editoribus  nemo  quod  sciam  tulit  praeter  Schichium. 
sed  ut  illuc  redeam,  non  nego  posse  illa  fuit  fiaec  gens  et  reliqua 
ita  abesse  ut  detrimontum  sentiamus  nullum,  nego  non  potuisse  a 
Cicerone  addi,  praesertim  cum  et  leges  Lycurgi  bis  praeterea  nomi- 
natim  commemorentur  (v.  G  et  16)  et  tota  illa  disputationis  particula 
spectet  ad  '  rei  publicae  disciplinam'  (v.  25).  nego  etiam  illud  quod 
Wesenbergius  affirmavit  praeeunte  ex  parte  Ernestio,  i^ost  pugnabimus 
V.  21  illa  aptiorem  locum  habere  quam  hunc,  quo  loco  quasi 
commentarii  instar  sunt  ad  Leonidae  vocem  illam  pergite  aninto 
forti  adiecti.  non  magis  illud  concedo,  quod  idem  contendit,  non 
gens  Ciceronem  scripturum  fuisse  sed  popnlus  vel  cicitas:  cum  enim 
dicat  Aegyptiorum  Gallorum  Persarum  aliorum  gentes,  cur  non 
etiam  Lacedaemoniorum?  an  Aequorum  gentem  ferocem  dicere  potuit 
de  re  publ.  II  20,  37,  illam  fortem  non  potuit? 

Profligatis  iis,  quae  aut  contra  haue  narratiunculam  totam  aut 
contra  commentariolum  illum  quem  dixi  sunt  disputata,  sefjuitur 
ut  videamus  quid  de  discrepantia  illa  quae  intercedit  inter  Cicero- 
nem et  reliquos  testes  sit  iudicandum.  ac  primum  quidem  eam 
discrepantiam  tollere  mutando,  quod  et  Bentleius  uti  dixi  primo 
voluerat  et  ante  eum  Erasmus,  (^mxi^s  m\Q\iiviV[\  prandete  animo  for^ti 
Klotzio  et  Seylferto  placuit,  id  vero  est  nodum  gladio  solvere;  et 
quamquam  praefractius  fortasse  quidam  illa  prandete  animo  forti 
omnino  ferri  posse  negaverunt,  tamen  ea  ratio  recte  nunc  nemini 
probatur.  est  autem  certe  animadvertendum  testium  illorum,  quos 
enumerat  Leo  Sternbachius  in  studiis  Vindobonensibus  XI  p.  59, 
neminem  antiquiorem  esse  Diodoro;  nam  Aristides,  quo  auctore 
utuntur  loliannes  Stobaeus  llorilegii  VII  64  et  Milesium  appellans 
auctor  parallelorum  Plutarcheorum  p.  306  D,  quis  aut  qua  aetate 
fuerit  ignoratur.  Diodorus  autem  quam  multa  suo  ingenio  usus 
exornaverit  atque  turbaverit  docent  historici.  e  quibus  unus  eum 
^n  hac  ipsa  re  peccasse  auctor  haud   contemnendus    suspicatus    est 


23'2  Otto    lMasl>erg, 

Arnolduö  Schaeleriis  (aiiii.  philol.  suppl.  X  p.  302  adii.  Hl),  qiii  si 
verum  viclit,  cur  iion  Cicero  potuit  scrvare  quod  antiquitus  tradi- 
tum  esset?  verum  tarnen  nolo  ea  ratione  uti,  quae  ut  speciosa  est 
ita  admodum  incerta.  esto,  legerit  ("icero  a  Ciraeco  auctore  relatam 
narrationem  ea  forma  qua  nos  videmus  ab  omnibus:  estne  incredi- 
bile  lapsum  eum  esse  verteudo?  fuerunt  qui  negarent  hominem 
Graece  doctissimum  in  eum  errorem  incidere  potuisse.  ego  contra 
sentio;  nam  ne  Timaeum  commemorem  libellum  imperl'ectum  nee 
absolutum,  ne  a  perfectis  quidem  libris  miros  errores  abesse  notum 
est;  vide  modo  Madvigium  de  fin.  p.  J.XV.  quo  in  genere  qui  aut 
negant  Ciceronem  potuisse  errare  aut  clamant  Graece  nescisse, 
pariter  utrique  a  vero  aberrant  nee  reputant  quid  sit  raptim  et 
festinanter,  ut  ille  multa,  alieno  sermone  scripta  transferre  ad  suum. 
exemplum  sumam  de  nostris:  Lessingium  quis  dubitat  Franco- 
gallorum  lingua  probe  imbutum  fuisse,  cuius  usus  Ulis  temporibus 
apud  nostrates  latissime  pateret;  at  nuper  al)  eo  in  nostrum  ser- 
monem  e  Francogallico  translatas  regis  Friderici  epistulas  et  com- 
mentationes  Voltarii  edidit  Ericus  Schmidtius,  in  quibus  quaedam 
ita  editor  monstravit  esse  vitiosa,  vix  ut  risum  teneas.  nam  quod 
aiunt  fuisse  narratiunculam  illam  ita  pervulgatam,  ut  in  ea  nemo 
potuerit  errare,  id  undo  compertum  habeant,  Ciceronis  quidem  tem- 
poril)US,  nescio.  at  pugnant  ipsa  verba,  quae  apud  Ciceronem  scripta 
leguntur,  esse  inepta.  Davisius  quidem  quo  enim  peryerent  inquit, 
quilnis  kl  umim  propositain  erat  locum  occupatum  tutaii  et  Pi'rsas 
illac  transituros  opperiri.  quae  ratio  primum  vera  non  est,  siquidem 
llerodotus  ita  narrat  VII  223  oi  -ze  otj  ßapßotpoi  oi  aixcpi  "Eipzr^v  rpoT^ioav, 
xai  oi  czacpl  Ascuvior^v  ''E).Kr^'^z<;  u);  t/;v  iitl  Oavat«i)  £;ooov  Troieofisvoi 
rfOff  tzoX'kv)  [AÖiX/.ov  r^  xczt'  c/p/7.?  £7:£;-/;iaav  £?  tÖ  aupuiEpov  xou  aü/£Voc_ 
sed  Cicero  profecto  nee  Herodotum  nee  ullum  abditum  fontem 
adiit,  sed  cum  in  eo,  unde  totum  hune  Laconicum  rivulum  duxit, 
Leonidae  dictum  pariter  cum  ceteris  invenisset  (et  extat  hodic 
cum  insequenti  coniunctum  in  seholiis  Aeschyli  Persarum  p.  421,  ö 
Dind.,  in  gnomologio  Vaticano  Sternbaclii  n.  390,  apud  8ui(bini  in 
voce  Acuivior^;,  non  magno  intervallo  divisum  apud  riutarciium 
apophthegm.  liae.  p.  225  B  et  Senecam  suas.  2,  11),  ibi  igitur  cum 
Cicero  invenisset  (quod  iam  Orellius  scripsit),  animo  suo  proposuit 
ducem  milites  ante  pugnam  hortantem,    quem    non  potuisse  dicere 


Vindiciae  TuUianae.  233 

pergite  aninio  forti,  ad  certamen  scilicet,  quo  argumento  vinceiit? 
ex  Livio  VII  10,  4  dictatoris  verba  iuvenem  mittentis  ad  pugnam 
contulit  Funkhaenelius  philol.  III  p.  150  perge  et  nomen  Bomanum 
invictum  iuvantibus  dis  jjraesfa,  et  quod  fuit  qui  pergere  negaret 
eiim  qui  iion  ire  coepisset,  perge  aude  nate  Cicero  dicentem  facit 
Herculem  Tusc.  disp.  II  9,  21,  qui  apud  Sophoclem  dicit  itf  oj 
Tsxvov  ToX[x-/)aov.  his  autem  illa  de  cena  nonne  eo  consilio  potuit 
addere,  iit  mortem  iam  paene  evitari  non  posse  ostenderet?  non 
igitur  concedo  haec  inepta  esse,  et  iit  maxime  sint,  magisne  est 
credibile  interpolatorem  iiescio  quem  errasse  quam  Ciceronem? 
quem  certe  ea  aetate  fuisse  putandum  est,  qua  lingua  Graeca  Romae 
maxime  in  usu  fuit;  cum  enim  Seneca  pater  illam  Leonidae  vocem 
Graece  posuisset  in  suasoriis,  eadem  fere  aetate  recte  conversam 
protulit  Valerius  Maximus  III  2  ext.  3  et  paulo  post  philosophus 
iSeneca  epist.  82,  21,  ut  iis  temporibus  historiam  illam  pervulgatam 
fuisse  iure  credamus.  quid  igitur  lucramur,  cum  potius  ignotum 
nescio  quem  vituperamus  quam  Ciceronem?  quamquam  ita  saepe 
agunt  docti:  cum  nolunt  Ciceronem  aut  errasse  aut  peccasse,  ob- 
scurum  aliquem  liominem  arripiunt  in  quem  culpam  transferant, 
eins  qui  aut  dolus  fuerit  aut  error  quaerere  securi.  velut  in  his 
quae  Codices  exhibent  in  Bruto  12,  47  de  Antiphonte  Rhamnusio 
scripta 

quo    nemineni   urtiquam   melius  idlam  oraoisse  causam  cum 
se  ipse  dc/enderet  se  audiente  locuples   auctor  scripsit  Thu- 
cydides 
illa  se  audiente  secludunt  onmes  Cam})io  auctore,    nisi    quod  is  in 
libello  scholastico  Greiftenbergensi  a.  1860  p.  13  ss.  non  haec    tan- 
tum  sed  omnia  quae  tradita  sunt  inter  laudare  possum  religiosissi- 
mum  11,  44  et  sed  de  Graecis  hactenus  13,  51  Ciceroni  abiudicavit. 
et    illud    profecto    verum  non    est,    quoniam    quo    tempore    Anti- 
phon   pro    se  ipse  dixit  Thucydidem    exulasse  constat.    sed  inter- 
polatori  quae  causa  fuerit  addendi  non    reperio,    Ciceronem    facile 
potuisse  puto  scribere  sive  auctoris  verba  non  recte  interpretatum 
sive    suo    Marte    nee    curiosius    investigata    rei  veritate    addentem 
quibus  Thucydidis  testimonium  extolli  crederet.    ea  enim  in  talibus 
ns    est,    ut    simillime  scripsit  de  legg.  II  3,  G  recte  igitur  Magnus 
'ille    noster    me    audiente   posuit  in  iudicio  quom  pro  Ampio  tecum 


234  Otto  Piasberg, 

shnd  dt'cerft,  confer  de  seil.  4,  11  accus.  III  f)!,  132  orat.  03,  213 
(me  stallte  C.  Carlo  .  .  .  i?i  contione  dixit).  hoc  autem  loco  sivo 
ipsum  Thucydidis  libruin  inspexit  (MII  68,  2),  nihil  ibi  invenit 
scriptum  quod  dubitationem  iniceret;  sive,  quod  veri  similius  est, 
hacc  ut  totam  eam  disputationem,  qua  dicendi  artes  expnsuit 
siiperiorum,  sumpsit  ab  Aristotele,  quis  spondet  ibi  non  fuisso  qnod 
eum  posset  in  errorem  inducere? 

Sed  ad  Leonidam  revertamur;  restat  enim  ut  illa  quae  ita 
scribi  solent  qtiid  die  dux  Leonidas  dicit  ad  libroruiu  nienioriain 
exigamus.  in  quibus  nomen  additum  aegre  tulit  Petrus  Victorius 
(s/  eiiim  proprium  nomen  ponerc  coluisset  inquit  in  castigationibus, 
non,  dirisset  (ut  opinor)  ILLE  DVX.  cum  autem  sie  loquafur, 
cidetw  potius  illum  describere,  et  innuere  voluisse^  quam  nominare), 
nos  facilius  ferremus  post  ea  quae  Vahlenus  disputavit  in  prooemio 
a.  1894  p.  20  s.,  nisi,  id  quod  eiusdem  Victorii  prüden tiam  non 
fugit,  ipsum  nomen  dubitari  vix  posset  quin  effectum  esset  coniec- 
tura.  accedit  quod  primitivam  düorum  codicum  scrlpturam  ducit 
paulo  plus  quam  dicit  probabilitatis  habere  supra  .exposuimus. 
quae'  cum  reputamus,  partem  verborum  Tullianorum  suspicaniur 
nobis  ereptam  esse  defectu  et  talem  fere  olim  fuisse  sententiam 
'^ quid  nie  dux,  dum  hostem  proditor  per  semiUim  ducit\  voruiii 
de  hac  re  suum  cuique  liberum  esto  iudicium:  illud  luturo  lioruin 
liln'orum  editori  vehementer  auctores  sumus,  ut  Ciceroni  ea  relin- 
quat,  quae  non  posse  eins  esse  incorruptis  quidem  iudicibus  nullis 
accusatorum  argutiis  possit  persuaderi. 

Sed  in  liis  causas  tarnen  conati  sunt  docti  adferre  damnandi: 

ne  id  quidem  in  quinta  Tusculana  2(),  74,  quem  locum  faoere  non 

possumquin  paucis  perstringam,  si  forte  posthacrationibus  malint  quam 

decretis  pugnare.  Epicuri  enim  sententiam  impugnans  ita  scribit  Cicero 

n^c  vero  illa  sibi  remedia  comparavit  ad  toleranduni  dolorem, 

firmitatem    animi    turpitudirm    verecundiam    exercifationem 

consiietiidinenique  patiendi  praecepta   fortitudinis   duritiam 

virilem,    sed   una    se  dicit  recordatione  adquiescere  praeteri- 

tarum  voluptatium. 

in  his  illa  praecepta  fortitudinis  |)rimiis  Tischerus  delevit  Mauricio 

Seyfferto   auctore    scripsitque    videri    ea   olim  in  margine  adposita 


Vindiciae  Tullianae.  235 

fuisse  a,(l  illa  reniedia,  ipsa  verba  esse  ineptissima.  hoc  idem  postea 
ipse  Seyft'ertiis  in  editione  siia,  de  adscribendi  consilio  aliter  iudi- 
cans:  voluit  enim  fuisse  pro  indice  posita.  qiiod,  quoniam  nihil 
hoc  loco  est  praeceptorum,  non  magis  veri  est  simile  quam  illa 
Tischen  ratip,  qua  et  cur  remedia  visa  sint  interpretatione  egere 
in  obscuro  est  et  cur  hoc  maxime  iiiterpretamentum  sit  additum. 
sed  Seyft'ertus,  quo  maior  invento  suo  accresceret  fides,  addidit 
etiam  unde  manassent  se  posse  ostendere  de  fin.  II  29,  94  fortitu- 
dinis  quaedam  praecepta  sunt  ac  paene  leges,  quae  fifeminari  vii'um 
vetant  in  dolore,  idque  deinde  iudicium  et  Heinio  (progr.  gymn. 
Frid.  Guil.  Posnan.  1862  p.  13)  ita  placuit  ut  certissimum  pracdi- 
caret,  et  ceteri  omnes,  quos  quideni  noverim,  ratum  habuerunt 
neque  quisquam  id  quod  primiim  quaereudum  fuerat  apertis  verbis 
dixit,  cur  illa  verba  aut  ipsa  aut  isto  loco  ferri  non  possent.  et 
praecepta  quidem.  fortitudints  recte  dici  vel  illa  docent  de  linibus 
quae  attulit  Seyffertus,  et  sunt  multa  similia,  praecepta  salutis  et 
laudis  de  legg.  I  24,  62,  benicoletitiae  de  off.  II  9,  32,  ofßcii  ibi- 
dem 14,  51  et  saepius,  utUitatum  II  24,  86;  quorum  licet  sua 
cuiusque  vis  sit,  tamen  genus  loquendi  non  est  ambiguum.  et  cum 
ad  secundum  librum  respiciraus,  qui  est  de  tolerando  dolore,  in  ea 
parte,  qua  remedia  exponuntur  (cap.  14  ss.),  multa  scripta  videmus 
quae  quid  praecepta  fortitiidinis  huc  faciant  possint  docere.  nam 
postquam  de  exercitatione  et  consuetudine  et  commentatione  dixit, 
de  ratione  agens  id  inter  omnes  ait  constare,  virorum  esse  fortium 
et  »lagnaninioriDn  et  patientium  et  humana  vincentium  toleranter 
dolorem  pati  (18,  43)  et  paulo  infra  viri  inquit  propria  maxime 
est  fortitudo,  cuius  munera  dtio  sunt  maxima  mortis  dolor isque 
contemptio:  utenduni  est  igitur  his,  si  virtutis  compotes  vel  potius  si 
viri  volumus  esse,  vide  etiam  illa  (22,  53)  Jiaec  coejitatio,  quid 
patietitia  quid  fortitudine  quid  magnitudine  aninii  dignissimum  sit) 
non  solum  anirnum  compriinit  sed  ipsum  etiam  dolorem  nescio  quo 
pacto  mitiorem  facit  et  haec  (24,  58)  non  sentiunt  viri  fortes  in 
acie  vulnera,  vel  sentiunt  sed  mori  malunt  quam  tantum  modo  de 
dignitatis  gradii  demoveri  ..  .  (59)  liaec  sunt  solacia  haec  f Omenta 
summorum  dolorum:  satis  apparet  opinor  quid  praecepta  fortitudinis 
in  illis  remediis  valeant  et  cur  maxime  cum  duritia  virili  con- 
iuncta  sint  et  comparata.    sed  erunt  qui  dicant  praecepta  fortitudinis 


I 


236  Otto   Piasberg, 

etiam  firmitatcm  aiiimi  complecti.  (jiiod  eoncedo,  sed  ex  iisdem 
quaero  quid  intersit  inter  aiiimi  lirmitatem  et  diiritiam  virilem: 
ut  intellegatur  Ciceronem  in  illa  familiari  disputatione  noluisse  ad 
rationis  severitatem  exigere  omiiia.  ea  igitur  ne  nobis  quidem 
anxie  quaerenda  est.  sed  si  quid  movendum  esset,  quod  nego, 
certe  illa  praecepta  fortitiidinis  minime  loco  movenda  essent:  argu- 
mento  erit  idem  ille  Seyffertianus  de  finibus  locus,  modo  perscrip- 
serim  plenum.  contra  eosdem  enim  (|Uos  in  Tusculanis  impugnat 
Epicureos  eadem  de  quaestione  disputans  Cicero  ait  quod  autetn 
magnum  dolorem  breoem  longinquuvi  levem  esse  dicitis,  id  non  in- 
tellego  quäle  sit.  oideo  enim  et  magnos  et  eosdem  bene  longinquos 
dolores,  quorum  alia  toleratio  est  verior,  qua  uti  vos  non 
potestis,  qui  Jconestatem  ipsam  per  se  non  amatü.  fortitudinis 
quaedarn  praecepta  sunt  ac  paene  leges,  quae  effeminari  oirum 
vetant  in  dolore,    ecquid  tandem  potest  similius? 

III.  De  paradoxis  Stoicorum  a  Cicerone  in  communes  locos 
coniectis  olim  in  satura  TuUiana  (mus.  Rhen.  l-III  p.81  ss.)  quaedam 
eo  consilio  disserui,  ut  docerem  etiam  post  cognitos  summae  auc- 
toritatis  Codices  nonnumquam  editores  seduci  se  esse  passos  dete- 
riorum  codicum  lectionibus  adulterinis.  cuius  rei  unum  exemplum 
idque  satis  grave  tum  me  fugiebat;  in  quo  ad  vulgatae  lectionis 
offucias  magni  viri  auctoritas  accessit  I.  N.  Madvigii,  qui  cum  saepe 
numero,  qua  fuit  et  sermonis  peritia  et  usu  artis  criticae,  recu- 
peraverit  vera,  tarnen  interdum  coniectandi  facilitate  abreptus  movit 
quae  quieta  esse  debebant.  Cicero  igitur  quinto  paradoxo  postquam 
omnes  improbos  esse  servos  afiirmavit  1,  35,  singula  eins  servitutis 
genera  incipit  persequi  2,  36.  ac  primum  quidem  in  cum  invehitur 
cui  mulier  imperat:  ego  vero  inquit  istum  non  modo  sercum,  sed 
nequissimum  seroum,  etiam  si  in  amplissima  familia  natiis  sit, 
appellandum  jmto.    deinde  ita  pergit 

atque  ut  in  magna  familia  stidtorum  sunt  alii  lautiores  ut 
sibi  videntur  serci  sed  tarnen  servl  atrienses  ac  topiari 
3  stultitiae  suae,  quos  signa  quos  tabidae  qiios  caetatum 
argentum  quos  Corinthia  opera  quos  aedißcia  magnijica  nimio 
opere  delectant.  et  '  sitmus^  inquit  ' principes  cioitatis\  cos 
6  vero    ne   conseroorum    quidem    cestrorum  principes  estis;  sed 


Vindiciae  Tullianae.  237 

ut  in  famüia  qui  tractant  isfa,  qui  tergent  qui  ungunt 
qui  verrunt  qui  spargunt,  non  honestissimum  locnm  servitutis 
tenent,  sie  in  civifate  qui  se  istarum  rerum  cupiditatibus 
dediderunt,  ipsiics  servifufis  locum  paene  infimum  obfinent. 
haec  ita  scripta  sunt  in  codicibus  optimis,  nisi  quod  v.  3  sfulfiae 
habet  \'ossianus  minor,  Vindobonensis  acupari  x.  2,  quod  deinde 
correctuni  est  in  actuparii.  iam  ex  A^indobonensi  correcto  fluxit 
deteriorum  turba  et  exeraplarium  olim  impressorum  maxima  pars; 
quae  qui  curaverunt  mirum  spectaculum  est  videre  quo  modo  se 
torserint  ut  illo  actuparii  vel  quod  inde  eftectum  est  äctu  pari 
aut  servato  aut  immutato  eflicerent  aliquid  quod  intellegi  posse 
videretur.  et  quamquam  Petrus  Victorius  e  codicibus  suis  recepit 
quod  verum  est,  tarnen  pauci  ei  crediderunt.  novam  autem  viam 
emendandi  iniit  I.  I.  Hottingerus  (opusc.  p.  147  ss.),  qui  illa  atque 
ut  in  magna  familia  et  quae  secuntur  usque  ad  topian'i  (v.  1  s.), 
sed  cum  aliis  deleto  stultorum  v.  1  et  pro  stultitiae  suue  v.  3  posito 
pari  stulfitia  sunt,  traiecit  post  principes  esfis  v.  6,  eo  scilicet 
consilio  ut  illa  ut  in  magna  familia  v.  1  revocarentur  his  sed  ut 
in  fantilia  v.  6  s.,  non  sane  id  probabiliter  in  tam  exiguo  intervallo. 
quod  incommodum  vitavit  Madvigius,  ceterum  transponendi  arti- 
licio  ipse  quoque  usus,  cum  Halraio  haec  suasit: 

atque  [in  pari  stultitia  sunt,    quos  aigna,  quos  tahulae,  quos 
eaelatum    argentmu,    quos    Corinthia    opera,    quos    aedißcia 
5  viagni/ica  nimio  apere  delectant.    "^ at  sumns''  inquit  '^principes 
civitatis\     cos  vero  ne  conseroorum  quideru  vestrorum    prin- 
cipes estis.    sed\  ut  in  magna  familia  [staltoi'uni]  sunt  alii 
lautiorej,  ut  sibi  videntur,  servi,  sed  tameri  servi,  ut  atrienses, 
at  \\\ut  in  familia'\  qui  tractant  ista,  qui  tergent,  qui  ungunt, 
qui    cerrunt,    qui  spargunt,    non  honestissimum  locum  servi- 
tutis  tenent,  sie  in  civitate,  qui  se  istarum  rerum  cupiditatibus 
dediderunt,  ipsius   seroitutis  locum  paene   infimum  optinent. 
ita  igitur  Halmius,    nisi  quod  ego  litterarum    diversitate    et    uncis 
efficere  studui  ut  quibus  in  rebus  illi  discessissent  a  Vindobonensis 
libri  memoria  ante  oculos  proponeretur;  volui  autem  uncinis  plenis 
signari    quae  deleta  sunt,  decurtatis  includi  ea  quae  traiecta  sunt 
inde  ubi  duos  lineolas  posui. 

Recognoscamus  igitur   Madvigii  inventum,  a  quo  nee  Baiterus 


238  Otto  Piasberg, 

iiec  Muellerus  iiec  Anzius  nee  Schneideriis  huius  libelli  editores 
uimm  pedem  sibi  discedendum  putaveruut.  et  illud  at  quidein  v.  3, 
de  quo  egi  mus.  Rhen.  I-Ill  85  s.,  quia  non  facit  ad  huius  quae- 
stionis  summam,  praetennittamus.  reliqua  autem  etsi  non  plane 
absona  sunt,  tarnen  non  carent  offensione.  velini  enim  scire  cur 
Cicero  lautiorum  servorum  omnino  mentionem  fecerit,  cum  ea 
omissa  omnia  aequaliter  decurrerent  sie  sed  ut  in  magna  familia 
qui  tractant  ista,  qui  tergent  qui  ungunt  qui  verrunt  qui  spargunf, 
non  honestissimum  locum  seroitutis  tenent,  sie  eqs.  et  ut  ponamus 
eum  uberius  loqui  voluisse  quam  satis  esset,  ut  saepe  locutus  est 
invitis  doctis,  cur  eum  illa  addidisse  putamus  sed  turnen  servi? 
quorum  sua  vis  esset,  si  cum  illis  lautiöribus  servis  compararetur 
genus  aliquod  stultorum;  quod  quoniani  in  oratione  a  Madvigio 
constituta  non  fit,  quam  tandem  ob  causam  docemur  servos  esse 
servos?  tum  velim  animadverti  quam  multa  mutaverit  Madvigius; 
ut  mirabundus  quaeras  quo  iure  idem  alios  scripserit  'vi  grassari'. 
Accedit  quarta  causa  eaque  gravissima.  codicis  enim  Yindo- 
bonensis  ea  est  indoles,  quae  cum  alios  fefellit  tum  Ilalmium,  ut 
sicubi  is  proprium  quid  habeat  et  seiunctum  a  Vossianorum  testi- 
monio  et  consensu,  id  veri  simile  sit  aut  errore  aut  corrigendo 
effectum  esse,  totam  haue  causam  alibi  pluribus  persequar;  nunc 
tria  docuraenta  apponam  ex  ipsis  paradoxis.  in  primo  igitur  2j  12 
verum  habet  Vossianus  alter  (B)  num  quis  existat  cui  voluptas  cui 
divitiae  cui  denique  praeter  officium  fortis.  et  magni  viri  quicquam 
aliud  propositum  fuisse  videatur;  in  altero  Vossiano  (A)  omittendo 
et  similia  permutando  peccatum  est  sie  num  quis  existat  voluptas 
mimquid  divitiae  cui  denique  eqs.  at  in  Vindobonensi,  qui  ex 
eodem  fönte  fluxit  e  quo  ille,  haec  leguntur  numquid  iste  voluptas 
numquid  divitiae  cui  denique  eqs.  quae  eius  sunt  qui  erratüm 
senserit  ille  quidem  sed  probabilem  medelam  invenire  non  potue- 
rit.  idem  oratione  male  distincta  plura  movit  in  his  I\  1, 28 
accersitus  in  civitatem  sum,  cum  ...  esset  iuris  et  aequitatis,  quae- 
vincla  sunt  civitatis,  repetita  memoria,  ac  vide  quam  ista  tui 
latrocinii  tela  contempserim;  scripsit  enim  repete  a  memoria  ac  vide. 
V  3, 41  verum  esse  credo  quod  exhibet  Vossianus  minor  omnis 
animi  debilitata  et  humilis  et  fracta  timiditas  servitus  est  (confer 
si    tanti    est    Tusc.    disp.   IV    6,  13    cu7n    exanimatione   humili   et 


Vindiciae  TuUianae.  239 

fracta)^  a  quo  alter  Yossianus  eo  nomine  discedit,  quod  habet 
debilitat  et  humilis  eodem  errore  quo  paulo  supra  idem  üleloquen- 
tissimi  pro  illa  eloquenfAssimi;  sed  inde  coniectura  effectum  est  in 
Vindobonensi  omnis  animi  dehilitas  et  Jnmiilis  et  fr  acta  timiditas. 
haec  qui  consideraverit,  etiam  eo  loco  unde  ])rofectus  sum  concedet 
fieri  potuisse  ut  corrector  ille  non  per  errorem  sed  consulto  a  re- 
liqua  memoria  discederet.  et  est  sane  aliquid  impediti  in  arche- 
typi  scriptura,  si  quideni  cum  illa  legeris  ut  in  magna  familia 
stultorum  frustra  quaeras  quod  illi  ut  respondeat.  eo  igitur  de- 
siderio  ductum  puto  illum  sibi  persuasisse  posse  acu  pari  idem 
esse  quod  item  vel  simili  modo,  sed  quo  modo  de  ea  re  cumque 
iudicabitur,  illud  certuni  est,  archetypum  non  acupari  habuisse, 
quo  Madvigius  et  fere  ceteri  usi  sunt,  sed  ac  topiari.  quod  si 
reposueris  intelleges  toj)iarios  tam  apte  a  Cicerone  cum  atriensibus 
coniungi  quam  a  l'linio  ep.  III  19,  3  (inest  huic  computationi  in- 
quit  sumptus  supel/ectilis,  sumptus  atriensium  topiariorüm  fabroruni 
atqne  etiam  venatorii  instrumenti)  et  ab  Ulpiano  libro  XX  ad 
Sabinum  (dig.  XXXIII  7,  S),  eam  autem  coniunctionem,  Madvigium 
si  setjuare,  disccr])i  atque  lacerari.  nam  quod  quidam  atrienses  in 
biutiorum  servorum  numero  fuisse  negaverunt,  eos  satis  liabeo  ad 
Mar(|uardtum  de  vita  Romanorum  privata  p.l42  adn.3  ed.  II  remittcre. 
())uid  igitur,  pergimus  mutare  resecare  transponere  an  malu- 
mus  id  unde  profecti  docti  viri  et  acuti  non  probabilia  effe- 
cerunt  recognoscere  satisne  fifmum  sit  fundamentum  in  quo  tanta 
instituatur  molitio?  eteuim  in  illo  ut,  quod  in  libris  est  v.  1, 
et  correctorem,  cuius  vestigia  agnovimus  in  codice  Vindobonensi, 
oll'ondisse  suspicati  sumus  et  offendisse  vidimus  doctos  quaerentes 
({uod  ei  responderet.  quod  ut  invenirent  cum  neque  singubi  verba 
mutantibus  nee  transponentibus  plura  contigerit,  utrosque  autem 
Vera  memoria  fefellerit,  age  reiectis.  illis  conatibus  ac  procul  re- 
motis  unam  •  optimorum  librorum  scripturam  intuentes  experiamur 
si  quid  inde  sani  efficere  possimus.  primum  igitur  orationis  cir- 
cuitum  apparet  delectandi  verbo  quod  est  v.  5  terminari  eoque 
circuitu  id  stultorum  genus,  quod  signis  et  tabulis  et  reliquis 
delectetur,  cum  servorum  quodam  genere  lautiere  comparari.  nam 
quod  iidem  paulo  infra  cum  infimis  ministeriis  comparantur,  in  ea 
re  non  haerebit  qui  orationis  vim  et  progressum  perceperit.     post- 


I 


240  <^^*o  Piasberg, 

quam  eiiini  adversarius  qui  esse  fingitur  iecit  illa  sumus  principes 
civitatis,  acerbissimo  impetu  eo  fertur  orator,  ut  quod  ante  dixerat 
quasi  irritum  esse  iubens  illos  ne  servitutis  quidem  houestissimum 
locum  teuere  contendat.  sed  prioris  illius  comparationis  quam 
formani  esse  statuamus  quaeritur.  atque  si  cum  illis  ut  requirere 
[)onimus  sibi  quod  respondeat,  nihil  relinquitur  nisi  ut  quaedam 
intercidisse  putemus.  potuit  enim  Cicero  ita  fere  scribere  '  atque  ut 
in  magna  familia  plures  sunt  servorum  ordines,  sie  etiam  in  fa- 
milia  stultorum  sunt  alii  lautiores  ut  sibi  videntur  set'vi' .  atque 
lianc  ratiouem,  quam  Maximiliani  Rothsteini  acumini  acceptam  re- 
ferimus,  multis  intellegimus  esse  placituram  utpote  facilcm  atque 
planam;  nos  fatemur  haesitare,  nostro  fortasse  vitio,  sed  tamen. 
ut  perspiciatur  quid  rei  sit,  videamus  quae  secuntur:  orator  non  ita 
pergit  ut  planum  erat,  ita  in  familia  stultorum  plura  genera  sunt 
stultoi^m;  ut  in  familia  lautius  genus  est  atriensium  ac  topiario- 
rum,  ita  in  illis  eorum  quos  signa  et  tabulae  delectant,  sed  omnes 
stultos  esse  servos  ita  mordicus  tenet,  ut  posterius  illius  com- 
parationis quam  institui  posuimus  membrum  iis  admixtuni  sit 
Omnibus,  quae  prius  membrum  teuere  deberet  si  esset  explica- 
tum  ita  fere  ut  in  magna  familia  sunt  alii  lautiores  ut  sibi  vidt'n- 
tur  servi  sed  tarnen  servi,  atrienses  ac  topiarii.  quam  formam, 
quae  fere  a  Madvigio  est  effecta,  non  ita  adpono  quasi  commendem, 
sed  ut  intellegatur  volubilitate  cogitationis  et  orationis  flumine  in 
uuum  commisceri  quae  diversa  erant,  ita  tamen  ut,  qui  oratoris 
vim  et  impetum  non  repugnante  animo  percipiat,  eum  sententia 
fugere  nullo  modo  possit.  et  habet  Cicero  in  hoc  ipso  genere, 
quod  medium  est  inter  simile  et  translationem,  multa  ac  varia, 
quae  ut  ad  severam  cogitandi  normam  exigi  non  possunt  ita 
orationi  non  parum  floris  adferunt  et  coloris.  digna  illa  sunt  quae 
quis  dedita  opera  persequatur:  nos  duo  exempla  afferimus  quae  ad 
id  quod  agimus  apposita  esse  videantur.  in  Bruto  ita  scribit  96,  2H0 
doleo  me  in  vitam  paulo  seriu^  tamquam  in  viam  ingressum  pri- 
usquam  confectum  iter  sit  in  hanc  rei  publicae  noctevi  incidisse: 
vides  illis  tamquam  in  viam  Ciceronem  quasi  locum  indicare  unde 
translationem  ducat,  sequentia  priusquam  confectum  iter  sit  proferre 
mere  translata,  in  extrema  denique  sententia  noctem,  quod  trans- 
latum  est,  addito  rei  publicae  quo  pertineat  significare.     potuit  ex- 


Vindiciae  Tullianae.  241 

plicatiora,  sed  quae  posuit  nonne  ea  similia  sunt  illis  atrienses  ac 
topüü'ii  stultitiae  suae?  audacius  illud  est  quod  in  Autonium  dixit 
\'\  3,  5  an  ille  id  faciat  quod  paulo  ante  decretum  est,  ut  exercitum 
citra  flumen  Rubiconem  .  .  .  educeret,  dum  ne  propius  urbem 
Romani  ducenta  milia  admoveretf  huic  denuntiatio7ii  ille  pareatf 
.  .  .  non  is  est  Antonius;  nam  si  esset,  non  commisisset  ut  ei  se- 
natus  tamquam  Hannibali  initio  belli  Punici  denuntiaret  ne  oppu- 
gnaret  Saguntum:  scilicet  Antonius  non  Saguntum  oppugnaturus 
erat  sed  Mutinam.  sed  hoc  sua  audacia  quandam  vim  habet: 
illud  et  artificiose  et  gratissime  mixtum  est  in  Lucullo  quod  scribit 
de  Antiocho  22,  70  ut  ii  qui  sub  Novis  solem  non  ferunt,  item  ille, 
cum  aestuaret,  veterum  ut  Maenianorum  sie  Academicorum  umbram 
secutus  est:  et  in  aestuandi  significatione  ludit  et  veteres  simul 
tabernas  intellegi  vult  et  Academicos;  quorum  quam  dicat  umbram 
si  per  se  spectes  obscurum  est,  si  coniunctim  cum  reliquis  planum 
et  apertum.  idque  in  multa  cadit  etiam  extra  hoc  genus,  quae  ut 
stirpes  sucum  e  terra  ita  illa  vitam  trahunt  ex  vivo  sermone,  e 
quo  evulsa  moriuntur  et  cadunt  abiecta.  velut  iuris  iudicium  quid 
sit  non  facile  quis  dixerit";  cum  haec  legerit  verum  si  quod  erit 
armorum  ivAÜcium,  tum  ista  dicito;  iuris  iudicium  cum  eint  et 
aequitatis,  cave  in  ista  tarn  frigida  et  ieiuna  calumnia  delitiscas 
pro  Caecina  21,61,  haec  igitur  qui  legerit  quid  velit  orator  non 
dubitabit.  quae  si  omnia  probantur,  ferri  possunt  opinor  etiam 
illi  atrienses  ac  topiarii  stultitiae  suae.  et  de  hac  quidem  re  mihi 
etiam  cum  Rothsteino  convenit;  in  eo  discedimus  —  iam  enim 
redeo  illuc  ■ — ,  quod  ille  ad  istam  sententiae  inaequalitatem  recte 
aestimandam  legentes  tamquam  praeparari  vult  explicatiore  illo  quod 
addi  iubet  orationis  membro,  ego  nee  id  necessarium  duco  nee  in- 
tellego  cur  non  eadem  illa  inaequalitate  Cicero  iam  supra  scribere 
potuerit  in  magna  familia  stultorum.  idque  ita  obtinere  videor  ut 
illud  ut  V.  1  similiter  positum  esse  dicam  atque  in  Tusculana  I 
8,  15  Epicharmi  acuti  nee  insulsi  hominis  ut  Siculi,  43,  104  durior 
Diogenes,  et  is  quidem  idem  sentiens  sed  ut  Cynicus  asperius  pro- 
ici  se  iussit  inhumatum,  V  29,  83  quod  quidem  Carneadem  disputare 
solitum  accepimus,  sed  is  ut  contra  Stoicos,  quos  studiosissime 
semper  refellebat  et  contra  quorum  disciplinam  ingenium  eiu^ 
exarserat.     quod    genus    loquendi    quoniam    ad   astrictam  quodam 

Festschrift    Vahlen.  16 


242  Otto  Piasberg, 

modo  et  coartatam  comparationeiii  redit,  nihil  impedire  videtnr 
quominus  interdum  in  eo  quoque  admisceatur  quod  ratio  et  seve- 
ritas  cogitandi  respuat.  sed  fortasse  species  me  fallit,  et  tota  ista 
oratio  ita  fertur  incitata,  iit  aegre  conlidas  te  in  una  quaque  re  quid 
oratör  sibi  permiserit  posse  diiudicare.  quo  fit  ut  etiani  alii  v.  1 
quo  spectet  ambiguum  sit,  utrum  ad  mulierosos,  qui  paulo  ante 
nequissimi  servi  dicti  sunt,  ut  praeter  eos  lautiores  quoque  esse 
dicantur  eodem  modo  quo  3,  40  post  peculii  cupidos  infertur  libe- 
ralior  quae  videtur  esse  eupiditas  honoris  imperii  provinciarum, 
quod  iis  maxime  statuendum  erit  si  qüi  meam  in  illa  altera  causa 
rationem  amplectentur,  an  nova  partitio  instituatur,  (piae  Afad- 
vigii  sententia  fuit,  qui  alterum  menibruni  illud  esse  volel)at  at 
qui  tractant  ista  et  cetera,  idemque  Rothsteinus  ita  assequitur  ut 
partitionem  institui  quidem  dicat  sed  non  perfici  intervenientibus 
illis  sumus  principes  civitatis,  unde  digressuni  Ciceronem  non  prius 
quam  2,  39  ad  eos,  quos  cum  lautioribus  illis  voluerit  comparare, 
peculii  cupidos,  mutata  sententiae  forma  pervenire.  hanc  igitiir 
controversiam  non  habeo  qui  dirimam  apte  ad  persuadendiim, 
proponendum  autem  putavi  quid  rei  sit;  illud  hac  disputatione 
spero  esse  eft'ectum,  aut  integram  istam  orationem  esse  aut,  si 
tamen,  lenissimis  remediis  sanandam. 

IV.  Philologum  non  dedecet  minima  curare;  itaque  minuta 
quaedam  Ciceroni  vindicabo.  (jui  in  primo  paradoxo  sie  voci- 
feratur  3, 13 

veniant   igitur  isti  inrisores  huius  orationis  ac  sententiae  et 

iam  vel  ipsi  iudicenf  utrum  se  komm  alicuius,  qui  marmoreis 

tectis    ebore   et  auro  fulgentibus  qui   signis  qui   tabulis  qui 

caelato  auro  et  argento  qui  Corinthiis  operibus  aburulant,  an 

C.  Fabricii,    qui  nihil  habuit  eonim  nihil  habere  voluif.   se 

similes  malint. 

ita  quidem,  s;  levia  quaedam  exceperis,  Vossiani  Codices;  in  Vindo- 

bonensi  autem  sesimiles  ex  sisimiles  effectum  est  a  correctore.    (|ua 

discrepantia  Halmius  abusus  se  quod  est  ante  similes  omisit,  eum- 

que  et  Baiterus  secutus  est  et  Muellerus,  ac  ne  ii  quidem  (jui  post 

hunc  paradoxa  ediderunt,  Anzius  et  Schneiderus,  quicquam    muta- 

runt.     putaJKit  scilicet  Halmius  si  illud  luera  ropotitione  ortum  esse 


Vindiciae  Tullianae.  24B 

et  ex  eo  ut  in  Vindobonensi  se  effectum  esset,  ita  in  reliqua 
memoria  eins  pronominis  auctoritatem  esse  nullam.  de  Vindo- 
bonensi ea  dixi  proximo  capitulo,  ut,  sive  consulto  si  scriptum 
est  ab  eo  scilicet  quem  nexus  sententiarum  lateret  sive  mero 
errore,  nihil  inde  efficiendum  esse  appareat.  nee  vero  opus 
est,  quod  Detlefsenus  (act.  acad.  Vindobon.  phil.  XXI  p.  12G) 
proposuit,  esse  similes  scribere:  utrum  malles  te  .  .  .  semel  ut 
Laelium  consulem  cm  ut  Cinnam  quater  scribit  Tusc.  disp.  V 
19,  54,  ibidem  23,  67  quis  est  .  .  .  qui  se  non  hunc  mathematicum 
malit  quam  illum  tyrannum.  nonne  igitur  credi  potest  Ciceronem 
[)ronomen  illud,  quod  in  initio  interrogationis  posuisset,  cum  plura 
intercessissent,  ne  legentem  sententia  falleret,  iterum  posuisse?  quod 
Studium  vitandae  obscuritatis  in  particula  ut  notum  est  grammati- 
cisque  decantatum:  vide  Wopkensium  lectionum  Tullianarum  p.  30, 
Madvigium  de  lin.  III  13,  43,  Haasium  ad  Reisigii  scholas  III 
1>.  477  ed.  III,  alios.  in  aliis  particulis  quia  minus  multa  exempla 
extant  dubitatur.  et  tamen  cur  non  credimus  in  aliis  quoque 
interdum  scriptores  sensisse  esse  aliquo  modo  adiuvandam  legentium 
intellegentiam?  ita  Cicero  scribit  de  divinatione  I  57,  131  quid 
est  igitur  cur,  cum,  domus  sit  omnium  una  eaque  communis  cum- 
que  ani^ni  hominuin  semper  fuerint  futurique  sinf,  cur  ii  quid  ex 
quoque  eveniat  et  quid  quamque  rem  significet  perspicere  non  possint, 
ubi  prius  illud  cur  Davisius  delevit,  defendit  Wopkensius.  non 
aliter  pcrinde  bis  positum  habes  pro  Q.  Roscio  5,  15  perinde 
ac  si  in  hanc  formulam  omnia  iudicia  legitima,  omnia  arhitriu 
honoraria,  omnia  officia  domestica  conclusa  et  comprehensa  sint, 
perinde  dicemus.  etiam  iteratum  post  Ernestium  unus  tulit  I.  B. 
Mayor  de  nat.  deor.  II  52,  130  accedit  etiam  ad  nonnullorum  ani- 
montium  et  earum  rerum  quas  terra  gignit  conservationem  et  sa- 
lutem  hominum  etiam  sollertia  et  diligetitia,  et  sane  quis  in 
bis  offendit  nisi  qui  oculis  plus  tribuat  quam  auribus?  sed  de 
pronomine  acturus  eram.  pro  Plancio  igitur  35, 86  ita  scribit 
(^icero  ego  vero  fateor  me,  quod  viderim  mihi  auxilium  non  deesse, 
idcirco  me  Uli  auxilio  pepercisse.  ubi  doctorum  opiniones  recte  re- 
futavit  Muellerus  adnotans  cur  iteratum  sit  pronomen,  apparet. 
iteratum  significat  propter  contrarii  rationem.  sed  eiusmodi  causam 
non  semper  requiri  hoc  docet  exemplum  e  Cluentiana  sublatum  24,66 

IG* 


I 


244  f^tto  Piasberg, 

nam  ut  pnmum  Oppianiais  e,v  eo,  qtiod  Scamander  reus  erat 
factus,  quid  sibi  inqjenderet,  coepit  suspicori,  statim  se  ad 
hominis  egentis  audacis  in  itidiciis  coi'i'umpendis  exercitati, 
tum  autem  iudicis,  Staieni  favnliaritatcm  se  applicavit. 
ubi  Muellerus  cum  uuo  codice  neque  eo  praestanti  posterius  se  in- 
duxit  et  ante  eum  Lambinus,  non  probabiliter  ut  mihi  videtur.  iiam 
Caesar  quoque  belli  Gallici  I  35,  4  sola  intervalli  magnitudiue  sua- 
dente  pronomen  iteravit:  si  non  impetraret,  sese,  quoniam  .  .  . 
senatus  censuisset  uti  quicumque  Gallium  provinci am  obtineret,  quod 
commodo  rei  puhlicae  facere  posset,  Haeduos  ceterosque  amicos  populi 
Romani  defenderet,  sc  Haeduorum  iniurias  non  neglectw'um;  quam- 
quam  ue  ibi  quidem  defuerunt  qui  alterum  utrum  vellent  tolli. 
nee  est  hoc  genus  suapte  natura  diversum  ab  eo,  quo  nomen  plu- 
ribus  interiectis  revocatur  pronomine  ex  abundanti  posito,  quäle 
hoc  est  de  domo.  23,  60  non  existimo  Campanum  illum  consulem 
cum  saltatore  collega,  cum  alteri  totam  Achaiam  Thessaliam  (reliqua) 
condonasses,  alteri  Syriam  Babtjlonem  Persas  .  .  .  ad  diripiendum 
tradidisses,  illos  tarn  cupidos  liniinum  meorum  et  columnar.um  et 
vaharum  fuisse  vel  illud  pro  Murena  13,  29  sie  nos  nonnullos  vide- 
mu^,  qui  oratores  evadere  non  potuerint,  eos  ad  iuris  Studium  de- 
venire,  ubi  7ios  omittunt  Ciceronis  Codices,  nonnullos  Quintiliani  inst, 
or.  VIII  3,  79,  sed  vereor  ne  neutrum  abesse  possit,  si  quidem  nos 
in  proximis  habet  cui  respondeat  in  Graecis  artißcibus,  nonnullos 
autem  ut  paulo  supra  plerique  consulto  positum  videtur,  ne  iuris 
consulti  laederentur  omnes.  sed  hoc  breviter  ut  in  transcursu: 
illuc  ut  redeam,  cum  post  relativum  pronomen  praeter  necessitatem 
demonstrativum  eodem  spectans  infertur,  ut  in  Anton.  XIII  19,44 
quique,  nisi  ante  eius  adcentum  rei  p.  poenas  dederis,  ille  huius 
belli  feret  prindpatum  et  in  comparando  de  legg.  III  2,  5  Plato 
Titanum  e  yenere  statuit  eos,  qui  ut  Uli  caelestibus  sie  hi  adver- 
sentur  magistratibus,  quid  in  his  aliud  agitur  nisi  ut  aut  obscuri- 
tas  vitetur  aut  aperiatur  ratio  comparationis?  ne  Graeci  quidem 
dubitaverunt  iterare  pronomen,  quod  semel  i)oni  ad  rationis  seve- 
ritatem  satis  esset;  velut  Xenophon  ita  scribit  in  expeditione  Cyri 
VI  6,  20  ixeXeuoi  az,  s.ixz  iravTa?  aixia,  xpivotvxa  crs  auiov  /pr^aOai  fj-i 
3v  ßouXiQ,  sxxz  eqs.,  idem  in  oeconomico  3,  16  oiuai  os  aot  xott  tAv 


Vindiciae  Tullianae.  245 

s-iSsi^ai  10 1,  £1  XI  TrpoaSsiaöai  voixi'Cet?.  et  ne  veteres  tantum  le- 
<icntium  m  talibus  commodo  prospexisse  videantur,  Goethius  noster 
Iphigeniam  ita  loquentem  facit  (act.  iv  sc.  4) 

vernehm'  ich  dich,  so  wendet  sich,  o  Theiirer, 
wie  sich  die* Blume  nach  der  Sonne  wendet, 
die  Seele,  von  dem  Strahle  deiner   Worte 
getroffen,  sich  dem  süßen   Tröste  nach, 

quod  ei  ne  quis  credat  excidisse  per  neglegentiam,  adpono  quae 
primo  scripserat  sermone  soluto:  hör'  ich  dich,  o  Bester,  so'tcendet 
meine  Seele,  wie  eine  Blume  der  Sonne  sich  nachwendet,  deinen 
fröhlichen,  muthigen  Worten  sich  nach,  sed  poetam  si  quis  dicat 
numeros  voluisse  explere,  adiungo  scriptorem  elegantem  eundemque 
philologum  diligentissimum  Hermannum  Usenerum;  qiü  in  prae- 
l'atione  opusculoriim  lacobi  Bernaysii  ita  scripsit  p.  v  so  habe  ich 
.  .  .  die  Hoffnung  nicht  aufgegeben,  dass  sich  die  Reinschrift  seiner 
kritischen  und  exegetischen  Bearbeitung  jener  Fragmente,  welche 
Bernays  an  Herrn  von  Bunsen  sandte  und  dieser  in  Egypt^s  Place 
Vol.   V  auszog,  sich  noch  wiederfinden  wird. 

Videor  mihi  effecisse  ut  Ciceroni  relinquendum  id  sit,  quod 
hominis  est  prudentis  et  qui  id  spectet  in  scribendo  ut  facile  in- 
tellegatur  quid  velit:  nunc  exemplo  docebo  ne  id  quidem  ei  esse 
ab  editoribus  relictum  quod  oratoris  est  vim  et  gravitatem  quae- 
rentis.    ita  enim  disputat  in  paradoxo  quinto  1,  34  s. 

soli  igitur  hoc  contingit  sapienti,  ut  nihil  faciat  invitus  nihil 
dolens  nihil  coactus.  quod  etsi  ita  esse  pluribus  verbi.s  disse- 
rendum  est,  illud  tamen  et  breve  et  confitendum  est,  ni-si  qui 
4  ita  sit  adfectus  esse  liberum  neminem,  servi  igitur  omnes  im- 
probi  servi. 

lam  id  incipit  pluribus  exponere.  sed  prius  illud  serci  quod  est 
V.  4  in  utroque  Vossiano  a  correctore  deletum  est  omissumque 
a  Muellero  Anzio  Schneidero;  alterum  in  deterioribus  codicibus  e 
\'indobonensi  oriuudis  omissum  est  adstipulante  Haimio  et  Baitero; 
utrumque  qui  tulerit  neminem  scio.  ego,  si  optio  facienda  esset,  ad 
llalmium  Baiterumque  me  applicarem,  qui  vim  quandam  orationis 
servaverunt,    cum    illa    altera    ratio  nimis  ieiune  faciat  Ciceronem 


246  Otto  Piasberg, 

hoc  gravissimum  propositum  elferentem  et  quasi  disputantem  in  um- 
braculis  philosophorum  non  in  fori  luce  contionantem.  nam  cor- 
rectoris  illius  Vossiani  —  unum  enira  fuisse  multa  sunt  quae  fidem 
faciant  —  auctoritas  nulla  est.  sed  tarnen  haec  aspice:  de  lege 
agraria  II  23,  61  nihil  sibi  appetit  praecipue.  Pompenis,  nihil;  de 
liaruspicum  response  18,  37  non  iynovit,  mihi  o'ede,  non.  quibus  hoc 
adiungendum  esse  puto  in  Catilinaria  III  10, 23  erepti  enim  estis 
ex  crudelissi'mo  ac  7niserrimo  interitu,  erepti;  sine  caede  sine  san- 
guine,  sine  exercitu  sine  dimicatione,  togati  nie  uno  togato  duce  et 
imperatore  oicistis^  quamquam  posterius  ere^pti  cum  uno  codicum 
genere  et  eo  quidem  deteriore  deleverunt  Halmius  et  Muellerus, 
alii  eo  conservato  haec  volunt  comprehendi  erepti  sine  caede  sine 
sanguine  sine  exercitii  sifie  dimicatione,  alii  haec  tantum  erepti  sine 
caede  sine  sanguine.  quos  contra  et  ad  communem  omnium  sen- 
sum  provoco,  qui  in  iis  quae  posui  facile  concedet  vim  esse  nia- 
iorem  fortioremque  numerum,  et  ad  illorum  exemplum  quae  scribit 
pro  Sulla  11,  33  ego  consul  .  .  .  meis  consiliis  meis  laboribus  mei 
capitis  periculis,  sine  tuniultu-  sine  dilectu,  sine  armis  sine  exercitu, 
quinque  hoviinibus  comprehensis  atque  confessis  incensione  urbem 
internicione  cives,  vastitate  Italiam  interitu  rem  publicum  liberaci, 
ubi  item  oratio  postquam  diu  suspensa  fuit  tandem  graviter  et 
numerose  concluditur.  sed  plura  afferri  posse  exempla  credo:  quae 
attuli  neminem  sinent  dubitare  quin  etiam  in  paradoxe  tenendum 
sit  quod  primitiva  trium  codicum  consentiens  memoria  exhibet 
servi  igitur  omnes  improbi,  servi:  quo  facto  et  numerosam  huius 
gravissimae  vocis  conclusionem  nanciscimur  —  et  sunt  hi  pedes, 
creticus  cum  spondio,  in  hoc  libello  maxime  crebri  in  clausulis, 
rari  spondius  cum  cretico  —  et  figuram  recuperamus  maxime 
oratoriam,  cuius  exemplum  a  Fythea  conversum  hoc  alVert  Kutilius 
Lupus  I  11  cognitum  enim  est,  te  rem  pithlicam  venalem  habuisse, 
cognitum  est;  et  est  id  genus  (|Uoddam  2-avctXr/]^;tü? ,  quam  con- 
duplicationem  vocat  qui  ad  ('.  llerennium  scripsit  IV  28,38  hoc 
huius  generis  exemplo  usus  catnmolus  non  es,  cum  tibi  pedes  muter 
amplexaretur,  non  es  cotnntotus.  paradoxis  autein  Tullianis,  quae 
oratoriis  dicendi  artificiis  quam  maxime  sunt  referta,  illud  optimo 
convenire  nemo  negabit. 


Viudiciae  Tulliauae.  247 


Index  locoriim. 

Biuti  12,47  pag.  233 

„      15, 59  pag.  226 

pro  Cluentio  24,  60  pag.  243 

in  Catilinam  KI  10,  23  pag.  246 

pro  Murena   13,29  pag.  244 

paradoxon  I  2,  12  pag.  238 

„         „3,13  pag.  242 

IV  1,28  pag.  238 

„        vi,  35  pag.  245 

„    2,  36  pag.  236 

„        „    3,41  pag.  238 

Tuscul.  disp.    I  16,37  pag.  227 

„      „  42, 101  pag.  228 

„    IV   23,  52  pag.  224 

„    „    36,77  pag.  226 

„     V  26,74  pag.  234 

de  natura  deorum  II  35,  89  pag.  221 

„        „  „        „   52,  130  pag.  243 

„        „  „       „  63, 159  pag.  227 

Aecius  Medeae  fr.  11.  III  Ribb.  pag.  221 
trag.  ine.  ine.  lab.  ir.  XXXVIII  Ribb.  pag.  224. 


2 


f^ 


XV. 
Rudolf  Sydow. 

Kritische  Beiträge  zu  Cäsar. 


Die  folgende  Abhandlung  besteht  aus  zwei  Teilen.  Tn  dem 
ersten  Teile  werden  fünf  Stellen  aus  dem  Bellum  Gallicum  be- 
sprochen, an  denen  die  beiden  Handschriftenklassen  a  und  ß  von 
einander  abweichen;  es  wird  hier  der  Versuch  gemacht,  darzulegen, 
(hiss  an  diesen  Stellen  die  Ueberlieferung  in  ß  den  Vorzug  vor  der 
in  OL  verdient,  während  die  Herausgeber  bisher  der  Lesart  der 
jMidern  Klasse  gefolgt  sind.  In  dem  zweiten  Teile  werden  einige 
Stellen  aus  den  beiden  ersten  Büchern  des  Bellum  Cioile  zur  l^e- 
sprechung  gelangen;  hier  soll  es  unsere  Aufgabe  sein,  die  Unhalt- 
barkeit  der  Ueberlieferung  nachzuweisen  und  den  Fehler  zu  emen- 
(lieren. 


112,5:  tum  vero  dubitandum  non  existimavit,  quin  ad 
eos  proficisceretur. 
Dies  ist  die  Lesart  der  Klasse  a  und  zugleich  die  Vulgata;  die 
Klasse  ß  bietet:  quin  ad  eos  duodecimo  die  proßcisceretur.  Einige 
Kritiker,  die  in  den  beiden  Worten  duodecimo  die  echte  Ueber- 
lieferung zu  finden  meinten,  haben  für  dieselben  ein  modales  Ad- 
verbium (propere)  oder  eine  Zeitbestimmung,  primo  (prinio  quoqite) 
die  oder  proaimo  die,  vorgeschlagen.  Aber  diese  Vermutungen 
sind  von  keinem  Herausgeber  berücksichtigt  w'orden;  und  in  der 
That  scheint  jede  derartige  Bestimmung  neben  jenem  dubitandum 
non  existimavit  unmöglich  zu  sein.  Dennoch  ist  der  Gedanke,  dass 
die  Worte  duodecimo  die  nicht  von  einem  Literpolator  hinzugesetzt 
sind,  sondern  auf  echte  Ueberlieferung  zurückgehen,  als  äusserst 
wahrscheinlich  anzuerkennen.    Vielleicht  stehen  sie  nur  an  falscher 


252  Rudolf  Sydow, 

Stelle.  Nehmen  wir  an,  dass  sie  ursprünglich  zum  folgenden  Satze 
gehörten,  und  stellen  sie  hinter  proßcisceretur ,  so  haben  wir:  tum 
vero  duhitandum  non  existimavit,  quin  ad  eos  proßcisceretur.  duo- 
decimo  die  re  frumentana  provisa  castra  movet  diebusque  circiter 
quindecim  ad  fines  Belgarum  pervenit.  Wie  wir  aus  I  54,  2  wissen, 
hat  Cäsars  Heer  seine  Winterquartiere  im  Gebiete  der  Sequaner. 
Auf  die  Nachricht  von  Unruhen  bei  den  Beigern  (II 1)  hebt  er 
zwei  neue  Legionen  aus  und  schickt  sie  in  jenes  Winterquartier 
voraus  (II  2,  1).  Sobald  die  Jahreszeit  den  Beginn  des  Feldzuges 
gestattet,  begiebt  Cäsar  sich  ebendahin  (II  2,  2).  Dort  erfahrt  er, 
dass  die  Beiger  sich  zum  Kriege  rüsten;  daher  bricht  er  am  zwölften 
Tage  nach  seiner  Ankunft  in  jenem  Lager,  nachdem  er  für  die 
Verpflegung  gesorgt  hat,  auf  und  langt  nach  vierzehn  Tagen  auf 
dem  Kriegsschauplatz  an. 

III  13,  9.  accedebat,  ut,  cum  saemre  ventus  coepisset  et 
se  vento  dedissent.,  et  tempestatem  ferrent  facilius  et  in  vadis 
consisterent  tutius  et  ab  aesiu  relictae  nihil  saxa  et  cotes 
timerent;  quarum  rerum  omnium  nostris  navibus  casus  erat 
extimescendus. 

Die  Erklärer  bemerken,  dass  Cäsar,  indem  er  von  den  Vor- 
zügen der  feindlichen  Schiffe  spricht,  zwei  Fälle  unterscheidet;  den 
zweiten  behandelt  er  in  den  Worten:  et  ab  aestu  relictae  nihil  saxa 
et  cotes  timerent:  wenn  die  Schiffe  von  der  Ebbe  zurückgelassen  wurden, 
brauchten  sie  sich  nicht  vor  Steinen  und  Klippen  zu  fürchten,  d.h.  wenn 
die  Veneter  mit  ihren  Schiffen  vor  Anker  lagen,  so  hielten  bei  Ein- 
tritt der  Ebbe  ihre  Schiffe  wegen  ihres  festen  Baus  einen  Stoss 
gegen  die  Klippen  sehr  gut  aus.  Wie  diese  Worte  von  den  Vorteilen 
der  Feinde  handeln,  solange  sie  vor  Anker  liegen,  so  werden 
in  den  vorhergehenden  die  Vorteile  der  Veneter  während  der  Fahrt 
auf  hohem  Meere  behandelt:  ut  cum  saevire  ventus  coepisset  et  se  vento 
dedissent,  et  tempestatem  ferrent  facilius  et  in  vadis  consisterent 
tutius:  wenn  der  Wind  angefangen  hatte  zu  rasen  und  sie  vor  dem 
Winde  fuhren,  so  konnten  sie  leichter  den  Sturm  bestehen  und 
mit  geringerer  Gefahr  auf  Untiefen  auflaufen.  Hier  muss  die 
Anordnung  der  beiden  Temporalsätze  Anstoss  erregen:  cum  saevire 
ventus  coepisset  et  se  vento  dedissent;  wir  würden  in  anderer  Reihen- 


Kritische  Beiträge  zu  Cäsar.  253 

folge  erwarten:  cum  se  vento  dedissent  et  saeoire  ventus  coepisset: 
wenn  sie  vor  dem  Winde  fuhren  und  der  Wind  fing  dann  an  zu 
rasen.  Nun  sind  diese  beiden  Sätze  in  der  Klasse  a  so  überliefert : 
iit  cum  se  saecire  ventus  coepisset  vento  dedissent  et.  Es  ist  deutlich, 
dass  in  der  Handschrift,  die  zu  dieser  Unordnung  den  Anlass  gab, 
der  eine  Satz  zwischen  den  Zeilen  stand.  Daraus  folgt,  dass  die 
Ueberlieferung  in  a  für  keine  der  beiden  Anordnungen  entscheidend 
sein  kann.  Aber  auch  wenn  wir  die  beiden  Sätze  umstellen,  bleibt 
immer  noch  ein  Anstoss  bestehen :  ut  cum  se  vento  dedissent  et 
saecire  ventus  coepisset,  tempestatem  ferrent  facilius  et  in  vadis  con- 
sisterent  tutius.  Mindestens  ist  es  doch  unschön,  zu  sagen:  wenn 
der  \Vind  angefangen  hat  zu  rasen,  so  können  sie  den  Sturm  leichter 
aushalten.  Wir  würden  die  Worte  et  saeoire  ventus  coepisset  am 
liebsten  entbehren;  denn  alles,  was  in  ihnen  enthalten  ist,  wird 
schon  durch  das  folgende  tempestas  ausgedrückt.  Ja,  ich  glaube, 
jene  Worte  sind  ganz  unhaltbar,  denn  das  folgende  et  in  vadis 
consisterent  tutius  gilt  doch  von  jeder  Fahrt,  nicht  ausschliesslich 
von 'einer  stürmischen.  Dazu  kommt  nun,  dass  jene  Worte  saevire 
ventus  coepisset  et  in  der  Klasse  ß  ganz  fehlen;  diese  Klasse  bietet 
nur  folgendes :  accedebat,  ut,  cum  se  vento  dedissent,  tempestatem  ferrent 
facilius  et  in  vadis  consisteretü  tutius,  et  ab  aestu  relictae  nihil 
saxa  et  cotes  timerent.  Dieser  Te.vt  giebt  einen  klaren  Sinn  und 
bietet  keinen  Anstoss:  dazu  kam,  dass,  wenn  sie  vor  dem  Winde 
fuhren,  sie  einem  Sturm  leichter  widerstehen  konnten  und  ohne 
Gefahr  auf  Untiefen  auflaufen  durften,  und  wenn  sie  von  der  Ebbe 
zurückgelassen  wurden,  sie  von  Steinen  und  Klippen  nichts  zu 
befürchten  hatten.  Wenn  wir  daneben  die  verworrene  und  an- 
stössige  l-eb erlief erung  von  a  betrachten,  so  werden  wir  schliessen 
dürfen,  dass  die  Worte  saevire  ventus  coepisset  et  unecht  sind, 
und  dass  Cäsar  nur  schrieb,  was  in  ß  überliefert  ist.  Was  aber 
konnte  einen  Schreiber  zu  diesem  Zusätze  veranlassen?  Nach 
unserer  Voraussetzung  las  er:  ui,  cum  se  vento  dedissent,  tem- 
pestatem ferrent  facilius.  Er  fand  hier  die  beiden  verwandten 
liegrifte  ventus  und  tempestas  fast  unmittelbar  neben  einander. 
Vielleicht  brachte  ihn  dieser  Umstand  zu  einer  Vergleichung 
derselben  und  zu  dem  Gedanken,  dass  die  Veneter  nicht  bei 
jeder    Fahrt    vor    dem    Winde    einen    Sturm    zu    bestehen    hatten. 


I 


254  Rudolf  Sydow, 

dass  vielmelir  dieser    sicli    erst  in  jenen   verwandelt,    cum  soeviir 
coepisset. 

V  1,  7 — 8:  Pirustae  legatos  ad  eiim  mittunt,  qui  doceant 
nihil  earmn  rerum  jmblico  factum  consilio  scseque  paratos 
esse  demoiistrent  omnibus  rationihiis  de  iniunis  satis  facere. 
percepta  oraiione  eoi'um  Caesar  obsides  imperat. 

Die  Klasse  a  hat:  percepta  oratione  eorum,  und  dies  ist  die 
Vulgata.  Die  Erklärer  bemerken  dazu,  pcrcipere  sei  stärker  als 
anhören;  aber  auch  wenn  wir  übersetzen:  Cäsar  hörte  ihre  Rede 
aufmerksam  an  oder  nahm  von  ihrer  Rede  Kenntnis  und  befahl 
ihnen,  Geiseln  zu  stellen,  so  scheint  etwas  zu  fehlen.  Wir  erwai-ten, 
dass,  ehe  Cäsar  seine  speciellen  Anordnungen  giebt  (obsides  imperat), 
zunächst  im  allgemeinen  angedeutet  wird,  welche  Stellung  er  ihi'er 
Entschuldigung  gegenüber  einnimmt,  ob  er  ihre  Rechtfertigung  gelten 
lässt  oder  nicht.  In  dieser  Weise  schreitet  Cäsars  Darstellung  sonst 
in  ähnlichen  Fällen  fort;  vgl.  IV  27,4 — 5:  in  petenda  pace  eins  rei 
culpam  in  multitudinem  contulerunt  et  propter  impi'udentiam  nt 
ignoscerctur  petiverunt.  Caesar  .  .  .  ignoscere  imprudentiae  dixit 
obsidesque  imperavit  und  VI  4,  2 — 4:  legatosque  deprecandi  causa 
ad.  Caesarem  mittunt  .  .  .  libenter  Caesar  petentibus  Haeduis  dat 
veniam  excusationeinque  accipit  .  .  .  obsidibus  imperatis  .... 
Die  Lücke  aber,  die  der  Gedankengang  an  unserer  Stelle  aufweist, 
ist  ausgefüllt,  wenn  wir  der  Klasse  ß  folgen,  die  accepta  ratione 
eorum  bietet:  accepta  ratione  eor-um  Caesar  obsides  imperat.  Cäsar 
nimmt  ihre  Rechtfertigung  an  und  befiehlt  ihnen,  Geiseln  zu 
stellen. 

VII  28,  6 :    quos    ille  multa  iam  nocte  silentio  ex  fuga 

excepit  (et)  veritus,  ne  qua  in  castris  ex  eorum  connirsu  et 

misericordia  vulgi  seditio  oreretur,  [utj  procul  in  via  dispo- 

sitis  familiarihus    suis  pHncipibusque  civifatum  disparamhs 

deducendosque  ad  suos  curavit. 

Dies  ist  Meusels  Text,  der  sich  im  ganzen  an  Menge  anschliesst 

(Piniol.  33,  727  fg.).     Dieser  Text  weicht  in  drei  Punkten  von  der 

lleberlieferung  ab:    1.  hinter   excepit  ist  et  eingeschoben,    2.  nach 

oreretur    ist    ut    gestrichen,    3.    curaret    ist    in    curavit    geändert. 

Es  leuchtet  ein,  dass  diese  Texteskonstituierung  nur  als  Ndtliclicir 


Kritische  Beiträge  zu  Cäsar.  255 

zu  betrachten  ist,  zumal  da  alle  Handschriften  in  den  drei  bezeich- 
neten Punkten  übereinstimmen.  Die  einzige  wesentliche  Verschieden- 
heit zwischen  den  beiden  Klassen  besteht  darin,  dass  a  silentio,  [3 
sie  bietet.  Nehmen  wir  dieses  sie  aus  ß  auf,  —  und  für  den  Sinn 
des  ganzen  Satzes  ist  es  notwendig,  wenn  wir  eben  das  auch  in 
a  überlieferte  ut  .  .  .  euraret  beibehalten  wollen  —  so  können  wir 
auf  jene  drei  Aenderungen  verzichten  und  haben:  quos  ille  midta 
iam  nocte  sie  ex  fuga  exeejnt,  —  veritus,  iic  qua  in  easfris  ex  eorum 
eonew'su  et  misericordia  vulgi  seditio  orerefur,  —  ut  proeul  in  via 
disposifis  famiUarihus  suis  principibusque  eioitatum  disparandos 
dechicendosque  ad,  suos  euraret.  So  ist  der  Sinn  klar  und  ganz 
ohne  Anstoss;  der  Satzbau  allerdings  ist  ungeschickt,  da  das  mit 
veritus  beginnende  Glied  (veritus,  ne  .  .  .  oreretur)  den  Haupt-  und 
den  Nebensatz  zu  weit  von  einander  entfernt  und  die  fallende 
Periode  zu  einer  sehr  schleppenden  macht.  Nun  sagt  Menge:  es 
entsteht  dann  ein  Satz,  den  jeder,  der  Cäsars  Satzbau  nur  ein  klein 
wenig  kennt,  für  unmöglich  halten  muss.  Nun,  wir  fürchten  uns 
nicht,  wenn  so  der  Stab  über  uns  gebrochen  w^ird,  und  glauben 
darum  doch,  dass  dieser  Satz  von  Cäsar  stammt.  Wenn  wir  mit 
ihm  z.  B.  vergleichen  VII  72,  2,  so  wird  es  schwer  zu  entscheiden 
sein,  welcher  Satz  ungeschickter  ist:  reliquas  omnes  viunitiones  ab 
ea  fossa  pedes  CCCC  reduxit  hoc,  consilio,  quoniam  tantum  esset 
neeessario  spatium  complexus  nee  faciie  totum  ojjus  eorona  militum 
eingeretur,  ue  de  improviso  aut  noctu  ad  munitiones  multitudo  hostium 
adoolaret  aut  ...  Der  Bau  der  beiden  Sätze  ist  genau  derselbe, 
denn  dass  der  Zwischensatz  einmal  ein  Kausalsatz,  von  quoniam 
abhängig,  das  andere  Mal  ein  kausales  Participium  ist,  macht 
doch  keinen  Unterschied.  Nach  dem  Stande  der  Ueberlieferung 
ist  es  daher  geboten,  hier  der  Lesart  von  ß  zu  folgen.  Ob  wir 
das  silentio  aus  a  auch  noch  aufzunehmen  haben,  kann  zweifel- 
haft sein;  doch  würden  wir  uns  für  dasselbe  entscheiden  und 
schreiben:  quos  ille  multa  iam  nocte  silentio  sie  ex  fuga  excepit, 
da  das  Participium  veritus  auf  jenes  silentio  zurückzuweisen 
scheint. 

VJI  52,  2:  cum  sine  duce  et  sine  equitatu  deprehensis 
hostibus  exploratam  victoriam  dimisisset,  ne  parvum  modo 
detrimentum  in  eontentione  propter  iniquitatem  loci  accideret. 


256  Rudolf  Sydow, 

An  diesem  Texte  muss  der  Ausdruck  defrimrnfwn  accidit 
auffallen;  dass  derselbe  durch  keine  Parallelstelle  zu  belegen  ist. 
scheint  kein  Zufall  zu  sein.  Als  Subjekt  bei  accidit  begegnen  uns 
bei  Cäsar  Substantiva,  die  eine  Wendung  des  Schicksals  zum 
Guten  oder  l^ösen  bezeichnen.  Abgesehen  vom  Substantivum  res 
(114,1.  30,2.  IV  13,4),  finden  wir  so  von  einem  glücklichen 
Umstand  YII  44,  1 :  facultas  hene  gerendae  rei]  eine  ungünstige 
Wendung  des  Geschicks  wird  bei  accidit  ausgedrückt  durch:  qui- 
cunque  casus  1,75,1.  quaecunque  fortuna  131,14.  incovimodum 
1,  48,  1.  comrnutatio  verum  3,  72,  4.  tantum  repentini  periculi  JU  3,2. 
Unter  diesen  Ausdrücken  ist  keiner,  durch  den  sich  detrimentum 
accidit  verteidigen  Hesse.  Detrimentum  aber  heisst  Verlust  im 
Kriege,  Einbusse,  Schlappe;  ein  solcher  Verlust  ereignet  sich  nicht; 
die  Parteien  können  ihn  erleiden  (capere  oder  accipere)  oder  ihn 
den  Gegnern  zufügen  (aßerre,  inferro).  Nun  steht  an  unserer  Stelle 
accideret  nur  in  der  Klasse  a,  ß  bietet  dafür  acciperet.  Wenn  wir 
aus  diesem  acciperet  das  Passivum  acciperetur  herstellen,  haben  wir 
vielleicht  den  Urtext:  ne  parvum  modo  detrimentum  in  conteiitione 
propter  iniquitatem  loci  acciperetur.  Für  das  Passivum  aber 
werden  wir  uns  entscheiden,  weil  Cäsar,  wie  es  scheint,  aus  zarter 
Rücksicht  für  die,  welche  die  Schlappe  erleiden,  die  aktive  Wendung 
detrimentum  accipere  meidet.  Denn  elfmal  finden  wir  bei  ihm 
das  Passivum  detrimentum  accipitur,  nur  einmal,  und  hier  war  es 
durch  den  Gedanken  gefordert,  das  Aktivum,  3,72,3:  non  adhaee 
addebant  non  concursu  acri  facto,  non  proelio  dimicatum,  sibique 
ipsos  multitudine  atque  angustiis  maius  attulisse  detrinientum,  quam 
ab  hoste  accepissent. 


1, 18,  6:    cuius  operi^  maadma  parte  effecta  eodeni  fere 
tempore  missi  ad  Pompeium  reoertuntur. 

Cäsar  hat  sich  mit  zwei  Legionen  vor  Corfinium  gelagert  und 
will  den  Domitius  einschliessen,  der  die  Stadt  mit  dreissig  Kohorten 
besetzt  hält.  Die  achte  Legion,  die  bald  nach  seiner  Ankunft  vor 
Corfinium  zugleich  mit  anderen  Truppen  zu  ihm  stösst,  bezieht  ein 
zweites  Lager  auf  der  anderen  Seite  der  Stadt.  Nun  lässt  Cäsar 
die  beiden  Lager    durch    einen  Wall   mit  einander  verbinden,    um 


Kritische  Beiträge  zu  Cäsar.  257 

die  Feinde  völlig  einzuschliessen.  Von  diesem  Belagerungswerk 
handelt  der  oben  citierte  Satz.  Der  zweite  Teil  desselben:  eodem 
fere  tempore  missi  ad  Pompeium  revertuntur,  besagt,  die  Rückkehr 
der  Leute,  die  an  den  Porapejus  abgesandt  waren,  sei  zu  derselben 
Zeit  erfolgt  wie  ein  anderes  Ereignis.  Vor  diesem  Satze  aber  stehen 
die  Worte:  euiits  operis  raaxima  parte  efecta,  ein  Ablativus  absolutus, 
der  nur  temporal  aufgefasst  werden  kann.  Es  ist  somit  deutlich, 
dass  die  Ueberlieferung  zwei  Zeitbestimmungen  bietet,  die  sich  nur 
auf  zwei  verschiedene  Ereignisse  beziehen  können,  dass  aber  nur 
ein  Ereignis,  die  Rückkehr  jener  Gesandten,  erzählt  wird.  Daraus 
folgt,  dass  in  der  Ueberlieferung  vor  den  Worten  eodem  fere  tem- 
pore einige  Worte  ausgefallen  sind,  in  denen  des  ersten  Ereignisses 
gedacht  wurde,  das  eben  zu  derselben  Zeit  eintrat  wie  die  Rück- 
kehr jener  Gesandten.  Welches  war  dieses  Ereignis?  Darüber 
lassen  sich  natürlich  nur  Vermutungen  aufstellen.  Der  aufmerk- 
same Leser  erinnert  sich  bei  den  W^orten  missi  ad  Pompeium  daran, 
dass  Domitius  den  Pompejus  durch  Gesandte  um  Hilfe  hatte  bitten 
lassen  (17,  1),  und  wird  revertuntur  richtig  deuten.  Aber  die 
Ausdrucksweise  dieses  Satzes  missi  ad  Pompeium  revertuntur  ist 
von  auffallender  Kürze,  besonders  da  vorher  nur  von  Cäsar  und 
seinen  Massregeln  die  Rede  ist,  nicht  etwcä  von  Domitius  und  den 
Verhältnissen  in  der  Stadt.  Jenes  revertuntur,  bei  dem  wir  eine 
Bestimmung,  wie  in  oppidu7n,  vermissen,  ist  aber  vollkommen  aus- 
reichend, wenn  vorher  von  andern  Leuten  gesprochen  wird,  die 
ungefähr  gleichzeitig  mit  den  Gesandten  in  die  Stadt  gelangen. 
Ausserdem  fällt  auf,  dass  Kp.  21  die  Anwesenheit  des  Lentulus  in 
Corfinium  als  allen  Beteiligten  bekannt  vorausgesetzt  wird  (21,(3: 
qiiid  Domit/'o,  quid  Lentulo,  quid  reliquis  accideret).  Es  wird  aber 
nirgends  erzählt,  dass  Lentulus  sich  nach  Corfinium  begeben  hat; 
vielmehr  erfahren  wir  Kp.  15,  dass  Vibullius,  als  er  sich  dorthin 
begab,  den  Lentulus  zurückliess  (15,  4 — 6):  Vibullius  .  .  .  ipsum 
(den  Lentulus)  dimittit  .  .  .  Corfinium  maynis  itineribus  pervenit. 
Daher  vermuten  wir,  dass  in  der  Lücke  die  Ankunft  des  Lentulus 
in  Corfinium  erzählt  wurde.  Ob  diese  Vermutung  zutrifft  oder  nicht, 
ist  für  die  Hauptfrage  ohne  Belang.  Unsere  Vermutung  wurde  hier 
imr  aufgestellt,  um  denen  entgegenzukommen,  die  die  Annahme 
einer  Lücke  mit  einem  gewissen  Rechte  zu  negieren  scheinen,  wenn 

Festschrift   Vahleii.  17 


258  Rudolf  Sydow, 

ihnen  nicht  die  Worte,  die  ausgefallen  sind,  selbst  angegeben  werden 
können.  Den  Wortlaut  des  Urtextes  auch  nur  in  Umrissen  anzu- 
geben, erscheint  uns  im  vorliegenden  Falle  als  unmöglich.  Das 
jedoch  halten  wir  für  ganz  sicher,  dass  hier  eine  Lücke  anzunehmen 
ist,  und  dass,  wer  den  überlieferten  Text  für  unanstössig  hält,  dem 
Cäsar  eine  nachlässige  Ausdrucksweise  zumutet,  wie  solche  durch 
Parallelstellen  nicht  zu  belegen  und  darum  auch  im  Bellum  Civile 
nicht  zu  dulden  ist. 

1,  21,  1:  quibus  rebus  cognitis  Caesar,  etsi  magni  Interesse 
arbitrabatur  quam  primuvi  oppido  potiri  cohortesque  ad  se 
in  castra  traducere,  ne  qua  aut  largitionünis  aut  animi 
confirmatione  aut  falsis  nuntiis  commutatio  fieret  voluntatis 
.  .  .  eos,  qui  vener ant,  conlaudat  atque  in  oppidum  dimittit. 

Die  von  Cäsar  in  Corfinium  eingeschlossenen  Pompejaner  haben 
ihren  Führer  Domitius  beim  Verrat  ertappt  und  gefangen  genommen; 
sie  bieten  darauf  dem  Cäsar  ihre  Unterwerfung  und  die  Auslieferung 
ihres  treulosen  Führers  an  (20,  5).  Da  es  schon  Abend  ist,  fürchtet 
Cäsar,  seine  Soldaten  könnten,  wenn  er  Corfinium  sogleich  besetze, 
die  Nacht  zur  Plünderung  der  Stadt  benutzen;  er  verschiebt  daher 
das  weitere  auf  den  nächsten  Tag,  auf  die  Gefahr  hin,  dass  die 
feindlichen  Soldaten  inzwischen  ihre  Absicht  ändern  könnten:  ne 
qua  aut  largitionibus  aut  animi  confirmatione  aut  falsis  nuntiis 
commutatio  fieret  voluntatis.  Von  den  drei  Dingen,  durch  welche 
nach  diesem  Text  die  Soldaten  zu  einer  solchen  Willensänderung 
gebracht  werden  könnten,  bieten  zwei  der  Erklärung  keine  Schwierig- 
keiten: largitionibus,  durch  Verteilung  von  Geld  hätte  Domitius 
vielleicht  die  Soldaten  wieder  für  sich  gewinnen  können;  falsis 
nuntiis,  wurde  fälschlich  gemeldet,  Pompejus  rücke  zum  Entsatz 
von  Corfinium  heran,  so  konnte  leicht  ein  Umschlag  in  der  Ge- 
sinnung jener  Truppen  eintreten.  Was  aber  heisst  aiiimi  confir- 
matione?  Eine  spontane  Aenderung  in  der  Stimmung  der  Pom- 
pejaner war  durch  die  Lage  der  Dinge  ausgeschlossen,  ausserdem 
hätte  der  Schriftsteller  diesen  Gedanken  wohl  anders  ausgedrückt. 
Auch  können  wir  animi  confirmatio  nicht  durch  Zuspruch,  Ermahnung 
von  Seiten  des  Domitius  erklären:  bei  Soldaten,  die  so  energisch 
gegen  ihren  verräterischen  Führer  vorgingen  wie   diese,    ist    durcii 


Kritische  Beiträge  zu  Cäsar.  259 

freundliches  Zureden  doch  nichts  mehr  zu  erreichen.  Es  giebt  also  für 
die  Worte  animi  confirmatione  keine  befriedigende  Erklärung. 

Der  einzige,  der  diese  Stelle  zu  heilen  versucht  hat,  Kraffert, 
sagt  über  dieselbe  folgendes:  Die  animi  confirmatio  zwischen  den 
largitiones  und  den  fahi  nuiitii  ist  vollkommen  unverständlich;  wie 
in  animi  eine  Glosse  zu  voluntatis,  so  steckt  wohl  in  confirmatio 
eine  verderbte  Glosse  zu  commutatio.  Der  ganze  Satzteil  ist  dem- 
nach zu  beseitigen.  —  Es  hat  ihm  niemand  beigestimmt;  offenbar 
hat  auch  die  Annahme,  der  Ablativ  confirmatione  sei  aus  dem  No- 
minativ confirmatio^  dieser  seinerseits  aus  einer  Glosse  zu  commu- 
tatio entstanden,  die  uns  Kraffert  selbst  nicht  anzugeben  weiss, 
sehr  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Andererseits  aber  erscheint 
der  Gedanke,  der  Ablativ  confirmatione  sei  aus  dem  Nominativ 
confirmatio  entstanden,  sehr  beachtenswert.  Warum  soll  aber 
ein  Interpolator  diesen  Nominativ  geschrieben  haben?  Nehmen 
wir  an,  Cäsar  schrieb  ihn,  so  wird  durch  animi  confirmatio  nicht 
ein  Mittel  des  Domitius  bezeichnet,  sondern  das  Ziel,  der  Zweck, 
den  er  durch  largitiones  zu  erreichen  sucht.  Zu  demselben  Zwecke 
wendet  Scipio  in  Syrien  dasselbe  Mittel  an;  als  dort  die  Soldaten 
sich  weigern,  gegen  Cäsar  zu  marschieren  (contra  civem  ei  consulem 
arma  non  laturos),  heisst  es  3,  31,  4:  deductis  Pergamum  atque  in 
locupletissimas  urbes  in  hiberna  legionibus  maximas  largitiones  fecit 
et  confirmandorum  militum  causa  diripienclas  has  eis  (codd.:  hisj 
civitafes  dedit.  Hier  ist  die  Erlaubnis,  die  Bürgerschaften  zu  plündern, 
in  deren  Gebiet  Scipio  seine  Soldaten  eben  geführt  hat,  ein  Zu- 
geständnis, also  auch  eine  largitio,  die  er  ihnen  bewilligt,  um  sie 
in  ihrer  Treue  gegen  ihn  zu  befestigen.  Ganz  denselben  Gedanken 
in  ganz  ähnlicher  Ausdrucksweise  haben  wir  aber  an  unserer  Stelle, 
wenn  wir  unter  Streichung  des  einen  aut  den  Nominativ  herstellen: 
ne  qua  aut  largitionibus  animi  confirmatio  autfalsis  nuntiis  commu- 
tatio fieret  voluntatis.  Auf  zwei  Arten,  so  fürchtet  Cäsar,  konnten 
die  Soldaten  von  dem  für  ihn  günstigen  Entschluss  abgebracht 
werden:  entweder  durch  Eingreifen  des  Domitius,  der  seine  Leute 
durch  Zugeständnisse  für  sich  gewinnt  und  sie  in  ihrer  Treue  gegen 
ihn,  den  alten  Führer,  befestigt,  oder  durch  eine  Einwirkung  von 
aussen  ohne  Zuthun  des  Domitius,  so  dass  sie  ihre  Absicht,  sich 
Cäsar  zu  ergeben,  ändern.     Bei    dieser  Lesart    lässt  sich  die  Ent- 

17* 


I 


260  Rudolf  Sydow, 

stehung  der  Ueberlieferung  nicht  allzu  schwer  erklären:  nachdem 
der  Nominativ  conßrmatio,  der  zwischen  zwei  Ablativen  steht,  durch 
Schreibfehler  zum  Ablativ  cmißt^iationc  geworden  war,  meinte  ein 
Corrector  ein  fehlerhaftes  Asyndeton  durch  Einschiebung  eines  aut 
zu  verbessern. 

1,  25,  1 :  Iiis  datis  mandatis  Brundisium  cum  legionibus 
sex  pervenit. 
Nachdem  er  diesen  Auftrag  erteilt  hatte,  gelangte  er  mit  sechs 
Legionen    nach  Brundisium.    —  Diese  Kürze  ist  auffällig  und  un- 
natürlich; die  beiden  hier  erzählten  Handlungen   stehen  in  keinem 
inneren  Zusammenhang,  darum  muss  es  als  unmöglich  erscheinen, 
dass  die    eine,    ausgedrückt  durch  die  Parti cipialkonstruktion,  der 
andern    durch  pervenit    berichteten    subordiniert    wird.      Es    wäre 
natüi"lich,  dass  nach  der  Erteilung  der  Aufträge  zunächst  die  Ent- 
sendung   des    Boten    erwähnt    wird.     Dieser  Erwartung  entspricht 
Cäsar  an  den  drei  Stellen,  an  denen  er  denselben  Ablat.  abs.  an- 
wendet :    II  5, 4    his  datis    mandatis  eum  a  se  dimittit,     VII  54,  4 
his  datis  mandatis  eos  ab  se  dimisit.    VII  71,5  his  datis  mandatis, 
qua  erat  nostrum  opus  intermissum,    secunda   vigilia  silentio  equi- 
tatum  dimittit.     Inwiefern    sich    unsere    Stelle    von    diesen    unter- 
scheidet,   ist    nicht    ersichtlich.     Zwar    sagt  Cäsar,    bevor    er  den 
Inhalt  jenes  Auftrages  angiebt,  24,5:  quem  Caesar  ad  eum  remittit 
cum  7nandatis.     Aber  dieses  vorausgeschickte  remittit  scheint  nicht 
geeignet,  jene  Lücke  zwischen  his  datis  mandatis  und  pervenit  zu 
überbrücken.     Heisst  es  doch  an  der  dritten  der  oben  angeführten 
Stellen  (VII  71,1)  in  ganz  ähnlicher  Weise :  Vercinyetoria;  . .  .  con- 
silium  capit  omnem  ah  se  equitatum  noctu  dimittere.  discedentibu^inan- 
dat,  vt . .  .  und  dennoch  fährt  Cäsar,  nachdem  er  den  Inhalt  des  Auf- 
trages angegeben  hat,  fort:  his  datis  mandatis  .  .  .  equitatum  dimittit. 
So  deutet  alles  darauf  hin,  dass  an  unserer  Stelle  eine  Lücke  anzu- 
nehmen ist.    Jenen  Boten  aber  sandte  Cäsar  an  den  Pompejus,  der 
in    Brundisium    war    (24,  1 :    Pompe iu^  .  .  .    Lucer ia   proficiscitur 
Camisium  atque  inde  Brundisium).      Daraus  ergiebt  sich,  was  in 
dieser  Lücke  etwa  gestanden  haben  kann,    und  wir  können  viel- 
leicht ergänzen:  his  datis  mandatis  Brundisium  (eum  ad  Pompeium 
dimisit j  ipse  puucis  post  diebus  Canusium  atque  inde  Bruiulisivm) 
cum  leyionibus  sex  pervenit. 


Kritische  Beiträge  zu  Cäsar.  261 

1,32,1:  Ms  rebus  confectk  Caesar,  ut  reliqmmi  tempus- 
a  labore  intermitteretur,  milites  in  proxima  municipia  dechvcit, 
ipse  ad  urhem  proßciscitur. 
Der  Finalsatz  ut  reliquum  tempus  a  labore  intermitteretur  wird 
erklärt:  um  den  Soldaten  Ruhe  zu  gönnen.  Wollte  Cäsar  dies  mit 
jenen  Worten  besagen,  so  hätte  er-  sich  sehr  ungewöhnlich  aus- 
gedrückt. Meist  bezeichnet  er  dies  mit  reficere,  VII  32, 1 :  Caesar 
Ävarici  complures  dies  commoratus  .  .  .  exercitum  ex  labore  atque 
inopia  reficit;  ebenso  III  5,  3.  VlI  83,  7.  1,  65,  2.  Ausserdem  wissen 
wir  aber,  dass  Cäsars  Anlass  zu  der  Sendung  jener  Legionen  in 
die  Municipien  ein  ganz  anderer  war:  er  schickte  sie  dorthin,  weil 
er  für  sie  augenblicklich  nichts  zu  thun  hatte.  In  Italien  stand 
ihm  kein  Feind  mehr  gegenüber,  und  den  Pompejus  konnte  er  nicht 
verfolgen,  da  er  zum  Uebersetzen  seiner  Truppen  keine  Schifte 
hatte.  Nun  könnte  man  einwenden,  Cäsar  benutze  die  Gelegenheit, 
um  hervorzuheben,  wie  besorgt  er  um  das  Wohl  seiner  Leute  sei, 
er  mache  sozusagen  aus  der  Not  eine  Tugend.  Und  allerdings  hebt 
Cäsar  mehrfach  seine  Fürsorge  für  seine  Soldaten  hervor;  so  betont 
er,  wie  ungern  er  das  Leben  seiner  Leute  aufs  Spiel  setzt  (VII 
19,  4 — 6.  1,  72, 1 — 2)  oder  wie  er  ihnen  nach  besonderen  Strapazen 
Ruhe  gönnt  (vgl.  oben  reßcere^.  Aber  was  für  besondere  Strapazen 
hatten  denn  diese  Soldaten  zu  ertragen  gehabt?  Sie  hatten  den 
Marsch  von  Ariminum  bis  Beneventum  in  51  Tagen  gemacht,  ohne 
dass  es  zum  Kampfe  gekommen  war,  und  hatten  dann  noch  9  Tage 
an  der  Hafensperre  von  Brundisium  gearbeitet.  Nach  einem  solchen 
Feldzuge  waren  sie  gar  nicht  der  Ruhe  bedürftig.  Wer  dennoch 
an  jener  Erklärung  festhalten  will,  wird  zugeben  müssen,  dass 
Cäsar  diesmal  seine  Fürsofge  in  sehr  plumper  Weise  hervorgehoben 
hat,  besonders  da  er  den  wahren  Grund  zu  seiner  Massregel  kurz 
vorher  (Kp.  29)  sehr  ausführlich  und  mit  grosser  Genauigkeit  an- 
giebt.  Die  Art  und  W^eise,  in  der  er  dies  thut,  zeigt  deutlich,  wie 
sehr  er  den  Verlust  an  Zeit  und  die  Unterbrechung  des  Feldzuges 
gegen  Pompejus  bedauert,  29,  1 :  tarnen  eius  rei  moram  temporisque 
lonyinquitatem  timebat.  Der  Gedanke,  jeden  Augenblick  zum  Han- 
deln zu  benutzen,  den  Feinden  möglichst  wenig  Zeit  zu  neuen 
Rüstungen  zu  lassen,  beherrschte  ihn  in  jenen  Tagen  ganz;  dies 
zeigen  deutlich  die  Worte  33,  3 :  sie  triduum  disputationibus  excu- 


262  Rudolf  Sydow, 

sationihusque  extrahitur  und  4:  frustra  diebus^ aliquot  consumptis,  ne 
reliquum  tempus  dimittat.  Die  überlieferten  Worte  nun  tU  reliquum 
iempus  a  labore  intermittei'etur  lieissen  wörtlich:  damit  die  Folgezeit 
von  Arbeit  freigelassen  werde,  und  stehen  im  schroffsten  Gegensatz 
zu  dem  ganzen  Zusammenhang  wie  überhaupt  zu  dem  Charakter 
des  stets  thätigen  Cäsar.  In  den  besten  Einklang  aber  mit  beiden 
können  wir  sie  bringen,  sobald  wir  ut  in  ne  ändern.  Dann  haben 
wir:  his  rebus  confectis  Caesar,  ne  reliquum  tempus  a  labore  inter- 
mitteretur,  milites  in  proxima  municipia  deducit,  ipse  ad  urbem  pro- 
ßciscitur.  Um  die  folgenden  Tage  nicht  von  Thätigkeit  frei  zu 
lassen,  also  nicht  unbenutzt  zu  lassen,  thut  er  zweierlei:  er  schickt 
die  Legionen  in  die  nächsten  Municipien  und  geht  selbst  nach  Rom. 

1,  45, 1 :  Caesar  paene  omni  ade  perterrita,  quod  praeter 
opinionem  consuetudinemque  acciderat,  cohor'tatus  suos  legionem 
nonam  subsidio  ducit. 

Der  Umstand,  dass  sein  Heer  entmutigt  ist,  veranlasst  Cäsar, 
Reserven  heranzuziehen.  Weshalb  aber  waren  seine  Soldaten  ent- 
mutigt? quod  praeter  opinionem  consuetudinemque  acciderat'.  weil 
etwas  Unerwartetes,  Ungewöhnliches  eingetreten  war,  nämlich  der 
Rückzug  einer  Legion  (44,4):  leyio,  quae  in  eo  cornu  constiterat, 
locum  non  tenuit  atque  in  proximum  collem  sese  recepit.  Der  Satz 
quod  .  .  .  acciderat  ist  also  kausal;  ihn  als  Relativsatz  aufzufassen, 
verbietet  das  Tempus  acciderat.  Dieser  Kausalsatz  aber  hat  kein 
Subjekt,  ein  Fehler,  der  sich  durch  den  Ausfall  von  id  erklärt: 
quod  id  praeter  opinionem  consuetudinemque  acciderat.  Denselben 
Fehler  hat  Meusel  auf  dieselbe  Weise  3, 61,  1  geheilt,  in  einem 
Satze,  der  genau  denselben  Gedanken  wiedergiebt:  quodque  (id) 
novum  et  praeter  consuetudinem  acciderat. 

1,  73,4:  id  opus  inter  se  Petreius  atqu£  Afranius  par~ 
tiuntur  ipsique  perficiendi  operis  causa  longiu^  progrediuntur. 

Die  Pompejaner,  die  Ilerda  verlassen  haben,  sind  von  Cäsar 
eingeholt  und  arg  in  die  Enge  getrieben.  Sogar  beim  Wasser- 
holen werden  ihre  Leute  von  Cäsars  Reiterei  belästigt.  Darum 
beginnen  sie  einen  Wall  aufzuwerfen,  um  ihr  Lager  mit  der  Quelle 
zu  verbinden  und  ihren  Leuten  den  ungestörten  Besuch  der  Quelle 
zu  sichern.     Jeder  der  beiden  Legaten  übernimmt  die  Hälfte  der 


Kritische  Beiträge  zii  Cäsar,  ,      263 

Befestigung  (id  opus  inter  se  .  .  .  partiuntur),  und  sie  entfernen  sich 
aus  dem  Lager  (longius  progrediuntur),  um  die  Schanzarbeiten  zu 
vollenden,  operis  perficiendi  causa,  wie  es  in  unserm  Texte  heisst. 
Die  Wendung  opus  perficere  ist  hier  für  den  Zusammenhang  nicht 
ganz  angemessen,  besonders  passt  sie  nicht  zu  longius  progrediuntur. 
Es  durfte  gesagt  werden:  zum  Zwecke  der  Vollendung  jener  Arbeiten 
(operis  perficiendi  causa)  schicken  sie  einen  Teil  ihrer  Truppen 
oder  einen  Offizier  ab.  Wenn  sie  aber  selbst  das  Lager  verlassen, 
also  sich  an  Ort  und  Stelle  begeben,  so  thun  sie  dies,  um  die 
Arbeiten  zu  besichtigen,  zu  überwachen;  das  heisst  operis pe7'spiciendi 
causa.  Die  Annahme,  Cäsar  habe  so  geschrieben,  wird  dadurch 
sehr  wahrscheinlich,  dass  er  denselben  Ausdruck  bei  ganz  ähnlicher 
Sachlage  gebraucht.  Bei  seinen  Kämpfen  vor  Gergovia  lässt  Cäsar 
in  einiger  Entfernung  von  seinem  Lager  ein  zweites  aufschlagen, 
das  er  als  castra  minor a  bezeichnet,  und  VII  44, 1  sagt  er:  cum  in 
minoi^a  castra  operis  perspiciendi  causa  venisset. 

2, 22,  4;  ea;  his  unum  ipsiv^  navigium  contendit  etfugere 
perseveravit  auxilioque  tempestatis  ea;  conspectu  abiit,  duo 
perterrita  concursu  nostrarum  navium  sese  in  portum  rece- 
perunt. 

Da  Domitius  erfährt,  dass  die  Massilier  sich  Cäsar  ergeben 
wollen,  beschliesst  er,  mit  seinen  Angehörigen  vorher  zu  entfliehen. 
Als  seine  drei  Schiffe  den  Hafen  der  Stadt  verlassen,  machen  die  Schifte 
des  Brutus,  die  bei  der  Insel  Batonneau  vor  dem  Hafen  der  Stadt  liegen, 
auf  die  Flüchtlinge  Jagd.  Von  jenen  drei  Schiffen  setzt  das,  auf  dem 
Domitius  selbst  sich  befindet,  die  Flucht  fort  und  entkommt,  die  beiden 
andern  kehren  in  den  Hafen  zurück.  Was  bedeuten  hier  die  Worte 
navigium  contendit?  Contendere  heisst:  sich  anstrengen,  also  vom 
Schiffe  gebraucht,  schnell  fahren.  Dieser  Begriff  aber  genügt  für 
unsern  Zusammenhang  nicht.  Das  ist  besonders  deutlich,  wenn  wir 
bedenken,  dass  dieses  contendere  von  dem  Schiffe  des  Domitius 
ausgesagt  wird  im  Gegensatz  zu  den  beiden  andern  Schiffen.  Sind 
denn  etwa  die  beiden  andern  nicht  schnell  gefahren?  Sicherlich 
haben  diese  ihren  Rückzug  in  den  Hafen  möglichst  schnell  aus- 
geführt, um  nicht  von  den  Schiften  des  Brutus  gekapert  zu  werden. 
Es  scheint    also    deutlich,    dass  contendit  verderbt  ist.     Denn  der 


264     .  Rudolf  Sydow, 

Erklärung  Kraners  gegenüber,  contendit  heisse:  steuerte  angestrengt 
vorwärts,  müssen  wii*  bemerken,  tlass  der  Begriff  vorwärts  in  con- 
tendere  nicht  enthalten  ist;  und  doch  war  gerade  dieser  Begrill"  hier 
der  wichtigste  und  musste  klar  ausgedrückt  werden  im  Gegensatz 
zu  den  beiden  andern  Schiffen,  die  mit  verändertem  Kurs  in  den 
Hafen  zurückkehren.  Das  Schiff  des  Domitius  aber  fuhr  in  der 
einmal  eingeschlagenen  Richtung  weiter,  behielt  also  seinen  Kurs 
bei,  also  schreiben  wir:  ex  Im  unum  ipshis  navigium  ciirsum  tenuit 
et  fugere  perseveravit  auxilioque  tempestatw  ex  conspectu  abiit,  duo 
perterrita  concursu  nostrarwm  navium  sese  in  portum  receperunt. 
Den  Einwand  aber,  cursum  tenuit  sei  neben  fugere  perseveravit  ein 
unerträglicher  Pleonasmus,  wird  wohl  niemand  erheben.  Denn  nach 
dem  Gesagten  ist  deutlich,  dass  das  verschiedene  Verhalten  der 
drei  Schiffe  für  den  Schriftsteller  der  Anlass  zu  solcher  genauen 
Angabe  war;  nachdem  er  aber  von  dem  einen  Schiffe  mit  beson- 
derem Nachdruck  hervorgehoben  hatte,  es  habe  seine  Richtung  bei- 
behalten und  die  Flucht  fortgesetzt,  durfte  er  sich,  ohne  undeutlich 
zu  werden,  bei  dem  Bericht  über  die  beiden  andern  mit  dem  einen 
Gliede  sese  in  portum  receperunt  begnügen. 

2,  30,  2:  erant  sententiae,  quae  conandum.  omnibus  mo- 
dis  castraque  Vari  oppugnanda  censerent,  quod  huiusmodi 
militum  consiliis  otium  maxime  contrarium  esse  arbitrarentur. 

Die  beiden  Legionen,  mit  denen  Curio  nach  Afrika  gegangen 
ist,  haben  früher  unter  Domitius  auf  der  Seite  des  Pompejus  gedient, 
sind  aber  nach  der  Kapitulation  von  Coi-finium  von  Cäsar  in  Eid 
genommen  (1,23,5).  Als  diese  Soldaten  den  Pompejanern  in  Schlacht- 
ordnung gegenüberstehen,  fordert  Sextus  Quintilius  Varus,  der  in  Cor- 
finiumQuästor  des  Domitius  gewesen  war  und  nach  seiner  Begnadigung 
durch  Gäsar  sich  zu  den  Pompejanern  nach  Afrika  begeben  hatte, 
diese  Soldaten  auf,  sie  sollten  sich  ilires  ersten  Eides  erinnern  und 
den  Curio  verlassen.  Jene  hören  diese  Aufforderung  lautlos  an 
(hac  habita  oratione  nullam  in  paHem  ab  exercitu  Cunonisßt  signi- 
ßcatio  atque  ita  suas  uterque  copias  reducit  2,  28,  4)  und  verraten 
durch  dieses  Schweigen  ihre  Unzuverlässigkeit  und  ihre  bedenkliche 
Gesinnung.  Hierauf  bezieht  sich  in  unserm  Satze  der  Ausdruck 
huiusmodi  militum  consilia.    In  dem  Kriegsrat  also,  den  Cuiio  hält, 


Kritische  Beiträge  zu  Cäsar.  265 

wolleil  einige,  man  solle  unter  allen  Umständen  handeln,  weil  nach 
ihrer  Meinung  die  Unthätigkeit  derartigen  Plänen  der  Soldaten 
äusserst  ungünstig  sei.  Dieser  Gedanke,  den  der  überlieferte  Text 
ausdrückt,  ist  verkehrt,  ist  gerade  das  Gegenteil  von  dem,  was  der 
Zusammenhang  verlangt.  Die  Kritiker  haben  nun  zwei  verschiedene 
Wege  eingeschlagen.  Einige  haben  otium  geändert  in  negotiuju, 
proelium;  hierher  gehört  auch  Madvigs  Vermutung:  quocl  kl  huius- 
modi  militum  consiliis  [otium]  maa:ime  contrarium  esse  arhitrarentur. 
Die  andern  haben  cowi^rarmw  geändert,  so  PauP  1898:  quocl  huius- 
modi  militum  consiliis  otium  maxime  consentaneum  esse  arhitrarentur. 
Am  leichtesten  ist  jedoch  die  Entstehung  unserer  Ueberlieferung 
wohl  zu  erklären  durch  die  Annahme,  Cäsar  habe  beide  Gedanken 
in  zwei  parallelen  Sätzen  ausgedrückt:  derartigen  Plänen  der  Sol- 
daten sei  die  Unthätigkeit  äusserst  günstig,  die  Beschäftigung  äusserst 
ungünstig.  Daher  werden  wir  am  besten  die  Schwierigkeit  durch 
Annahme  einer  Lücke  beseitigen,  und  mit  Benutzung  von  1,61,3: 
/my'c  consilio  suffragabatur  etiam  illa  res,  quod  .  .  .  können  wir 
diese  Lücke  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  ausfüllen:  quod  huius- 
modi  militum  consiliis  otium  rnaxime  (sujfrac/ari,  labore7?i  max^ime) 
contrarium  esse  arhitrarentur . 


XVI. 
Heinricli  Belling. 


De  Properti  Vergilique  libros 
componentium  artificiis. 


2C(f 


Quanta  arte  ei  qui  Augusti  Caesaris  aetate  floruerunt  poetae 
composuerint  siiigulos  libros,  operae  pretium  est  cognoscere.  Sed 
quoniam  elegiaci  lyricique  alia  ratione  conficiunt  libros  atque  epici, 
de  utriusque  generis  artificiis  disserere  oportet.  lUius  igitur  generis 
dociimenta  repetentes  a  Propertio  (nam  de  Horati  carminum  ordine 
alio  loco  copiosius  est  exponendum)  ad  ea  recurramus  quae  de 
Properti  libris  strictim  diximus  in  eo  opere  quo  Tibulli  vitam 
atque  artem  interpretando  explicare  studuimus '),  epici  autem  spe- 
ciminis  loco  proferamus  Aeneidis  librum  tertium. 

Ac  Properti  quidem  libros  componentis  in  elegiis  ordinandis 
artem  diligentiamque  contemplantes  ^)  cum  suspiciones  de  librorum 
eins  vel  editione  vel  habitu  nobis  tradito  a  quibusdam  criticis  prolatas 
hinc  quoque  videmus  infirmari  atque  confutari  tum  elegias  nonnullas 
elegiarumque  paria  nova  atque  exoptata  luce  illustrari.  Sic  igitur 
quartum  librum  recognoscentes  a  decem  illis  elegiis  segregandam 
intellegimus  primam,  cuius  versibus  121  sqq.  poeta  de  genere  vitaque 
certiorem  facit  lectorem.  Tertium  vero  librum,  quoniam  elegiae 
24-1-25^)  videntur  esse  librorum  I — III  epilogus,  ipsum  concludi 
apparet  elegia  23  item  a  reliquis  segreganda,  cuius  extremis  verbis*) 


')  'Untersuchung  der  Elegien  des  Albius"  Tibullus',  Berlin  1897. 

2)  Recognosce  illius  operis  pgg.  328—356  (cf.  pg.  395). 

^)  Quas  praestat  notis  «  et  i  insignitas  sub  uno  numero  coniungi.  Item 
coniiingendas  esse  II  6  +  7,  10+11,  23  + 24a  illo  loco  docuimus. 

■*)  Ipso  enim  quem  verba  obtinent  loco  deraonstratur  reconditius  aliquod 
poetae  consilium  subesse.  Iluic  autem  de  doctis  illis  tabellis  amissis  elegiae, 
qua  et  amorum  et  elegorum  finis  indicitur,  simillimae  sunt  Ilorati  absolutum 
epistulariiin  librum  emitteutis  compellatio  ipsius  libri  (I  20)  et  Ovidi    imbelles 


270  Heinrich  Belling, 

de  penatibus  poetae  edocemur:  iam  eiiim  habitare  se  dicit  iuxta 
Maecenatem,  cui  fautori  alterum  librum  tradere  ei  licuit,  iuxtaque 
Vergilium,  quem  sodalem  el.  II  34  suminis  laudibus  extulit.  In 
secundo  autem  libro  euiidem  locum  obtinet  ea  quam  modo  diximus 
elegia,  cuius  versibus  55  sqq.  93  sq.  Propertius  '  de  fortuiia  sua 
iiigenioque  dicit.  Ibi  quod  sperat  futurum  ut  inter  doctos  poetas 
se  ponere  Fama  velit,  convenit,  poetae  ingenii  primitiis  prosperrimo 
successu  evulgatis  (II 24, 1  sq.)  alterum  librum  emittenti;  cuius 
quam  aucta  sit  fiducia,  iiide  quoque  apparet,  quod  in  secundo  libro 
nominavit  summum  illum  virum  cuius  favorem  priore  libro  con- 
ciliaverat,  amicos  sodalesve  —  quorum  nobilitatem  data  opera  prae 
se  tulerat  in  illo  libro  —  in  hoc  non  iam  appellavit  nisi  aut 
Graeco  cognomine  aut  nullo ').  Quae  praeterea  poeta  primum  librum 
in  publicum  emittens  lectoribus  de  se  fortunaque  sua  tradenda  esse 
arbitratus  est,  ea  hie  quoque  in  extremo  libro  inveniuntur,     Nam 

elegos  valere  iubentis  elegia  (am.  III  15):  in  quibus  item  de  vita  poetae  mentio 
infertur.  Ceterum  in  Latinas  litteras  eum  morem  induxit  Ennius,  quem  epi- 
logo  annalium  parti  adiiincto  de  sua  vita  dixisse  ex  eis  quae  Gellius  in  n.  A. 
XVII  21,  43  piodidit  raemoriae  efFecit  atque  evicit  I.  Vahlenus  in  Actis 
Acad.  Berol.  a.  1886:  Ennium  autem  iniitatur  Vergilius  georgicon  epilogo 
(IV  559  sqq.). 

')  Appellantur  Demophoon  in  el.  22,  Lynceus  in  el.  34,  amicus  quidam 
in  el.  8.  Atque  Demophoontem  quidem  nominat  poeta  quia  facit  eum  illius 
Demophoontis  more  'parvo  spatio'  (II  24, 43 sq.)  diligentem  atque  modo  ad 
hanc  modo  ad  illam  formosam  animum  adicientem:  etenini  imidus  appellatur 
(v.  20),  sicut  quondam  (I  5,  1)  Gallus  ille  de  quo  haec  dicuntur  (I  13,  5  sq.) 
'tibi  deceptis  augetur  fama  puellis  certus  et  in  nullo  quaeris  amore  moram'. 
Ceterum  cum  tota  elegia  II  22  poeta  sententias  prioribus  elegiis  prolatas  ita 
referat  atque  componat  ut  res  fingere  videatur  (cf.  quae  diximus  in  illius  operis 
pg.  355),  Demophoontem  ipsum  quoque  propria  indole  carentem  potius  dixerim 
personam  a  poeta  inductam  quam  amicum  quendam.  —  De  Lynceo  autem  dixi 
in  illius  operis  pgg.  362.  399;  quo  de  nomine  cum  Rothsteinius  in  commen- 
tarii  ])g.  355  duas  proponat  opiniones,  equidem  secundam  appellationis  causam 
praetulerim,  quippe  quae  et  comprobetm-  similitudine  eins  rationis  qua  Demo- 
phoon ille  nominatus  videtur  esse  et  confirmetur  versu  6  (ille  deus  tristia  ad 
arma  vocat)  nee  non  facile  possit  coniungi  cum  mea  nominis  interpretatioue 
—  Eundem  vero  qui  34,  1.  16  amicus  appellatur  dici  opinor  (cf.  illius  operis 
pg.  360)  elegia  8,  cuius  versus  1 — 6  rerum  atque  verborum  similitudine  com- 
paraudi  sunt  cum  versibus  34,1—17  (adde- quae  dixi  in  illius  operis  pgg. 
339  sq.  343  sq.). 


De  Properti  Vergilique  libros  coraponentium  artificiis.  271 

cum  altera  elegiarum  decas  confecta  sit  elegia  20  —  qua  materiae 
elegiacae  cumulandae  causa  puellarum  amoribus  elegia  19  finitis 
pueri  ardor  adnectitur  — ,  restant  elegiae  21.  22,  quas  in  Neapolitano 
codice  recte  coniuiictas  a  nobis  ipsas  quoque  ^)  notis  a  et  b  distinctas 
sub  uiio  numero  scribi  par  est.  Eis  autem  corpus  effici  tale,  qualia 
coiidere  liuius  poetae  proprium  est  '^),  vel  iiide  apparet,  quod  verba 
'super  dispersa  invenerit  ossa  montibus  Etruscis'  (21,  9  sq.)  necessi- 
tudine  quadain  pertinent  ad  verba  '  pulvis  Etrusca,  tu  proiecta  per- 
pessa  es  ossa'.  Finge  modo  deesse  vel  elegiam  22  vel  21:  iam 
intelleges  neque  elegiam  21  huic  libro  potuisse  adici,  nisi  Gallum 
illum  quem  interemptum  dolet  poeta  elegiacus  non  alienum  a  se 
esse  declarasset  illis  verbis  '  mei  propinqui'  (22,  7),  et  ad  illustran- 
dum  eum  qui  elegia  22  adumbratur  propinqui  casum  necesse  fuisse 
explanari  mirae  atque  insolitae  fortunae  causam;  quae  profertur 
el.  21. 

Ea  autem  elegiarum  necessitudo  poetaeque  id  par  condentis 
consilium  quo  melius  perspiciantur,  accuratius  eas  cognoscere  opus 
est.  Ac  prioris  quidem  interpretatio  cum  compluribus  locis  am- 
bigua  sit,  optime  adiuvamur  commentario  C.  Lachmanni.  Quam- 
quam  quae  ille  exhibuit  poetae  verba  non  omnia  probamus.  Nam 
in  V.  3  cum  Groninganum  codicem  secutus  qui  scripserit,  nos  Nea- 
politani  potius  auctoritate  recentioribus  virorum  doctorum  curis 
confirmata  atque  aucta  confisi  quid  reponimus;  qua  voce  recepta 
illa  verborum  '  ab  aggeribus  torques'  coniunctio  a  Laclimanno  aliis 
locis  laudatis  parum  feliciter  defensa  videtur  refelli.  Deinde  in 
V.  G  ex  ea  quae  scriptis  libris  traditur  voce  particulam  neu  quam 
?iec  restituere  malumus^).  Itaque  haec  poetam  putamus  scripsisse: 
tu,  qui  consortem  properas  evadere  casum 

miles  ab  Etruscis  saucius  aggeribus, 
quid  nostro  gemitu  turgentia  lumina  torques: 

pars  ego  sum  vestrae  proxima  militiae. 

0  Alia  eiusdem  generis  paria  supra  dixi. 

-')  Ad  ea  quae  supra  diximus  exerapla  accedunt  haec:  I  8.  15.  II  1.  8.  9. 
13.  18.  22.  26.  28.  29.  34.  III  1  +2.  20.  IV  1.  Ceterum  cognita  liac  ratione 
l'ropeiti  propria  nou  modo  nonnullos  locos  melius  iutellegi  sed  etiam  de 
tiadita  elegiarum  forma  rectius  posse  iudicari  dixi  in  illius  operis  pg.  356. 

*)  Cf.  I  10,  21.  23  sq.  (tu  cave;  neu  negaris  neu  cadant). 


272  Heinrich  Belling, 

r>  sie  te  servato,  ut  possint  gaudere  parentes, 
neu  soroi'  acta  tuis  sentiat  e  lacrimis; 

Gallum  per  rnedios  ereptum  Caesaris  enses 
effugere  ignotas  non  potuisse  maims 

et,  quaecumque  super  dispersa  invenerit  ossa 
10  montibus  Etruscis,  haec  sciat  esse  mea, 
lam  singula  persequamur.  Atque  in  v.  9  cum  vox  ^?/a<?curaque 
bene  tradita  sit,  soror  illa  quae  v.  6  dicitur  verbis  invenent  et 
sa'at  est  subicienda.  Deinde  Lachmannus  merito  reprehendit  Beroal- 
dum  non  videntem  sciat  ex  versu  postremo  ad  illa  quoque  revo- 
candum  esse  Gallum  per  medios  etc.  Duae,  inquit  ille,  res  sunt, 
quas  scire  sororem  Gallus  cupit:  se,  postquam  milites  Caesaris 
evasisset,  in  ignotas  manus  incidisse,  tum  ossa  sua,  ne  forte 
quaerat  integrum  corpus,  in  montibus  Etruscis  passim  esse  dispersa '). 
Sororem  autem  dici  militis  illius  saucii^)  vel  inde  apparet,  quod 
longiore  eins  distichi  versu  (5)  qui  dicuntur  parentes  non  possunt 
esse  nisi  eins  quem  Gallus  alloquitur.  Verum  quod  ea  quae  ver- 
sibus  7 — 10  traduntur  sororem  militis  comperire  Gallus  vult,  primo 
certe  obtutu  miramur  ea  quae  antecedunt  verba  'neu  soror  acta  tuis 
sentiat  e  lacrimis' ');  neque  enim  intellegimus,  quo  pacto  qui  casum 
suum  scire  sororem  vult  idem  optet,  ne  soror  acta  sentiat*). 
Correctio  sententiae  ex  iis  quae  adiunguntur  verbis  'tuis  e  lacrimis' 
petenda  nobis  est;  qua  in  re  animadvertendum  non  solum  qua 
ratione  huius  pentametri  vocabula  collocata  sint*),  sed  etiam 
quanta  arte  poetae  impares  versus  iungentes  pentametro  absolvere 

')  De  dispersis  ossibus  cf.  Hör.  epo.  5,  99  sq.  (insepulta  membra  diflferent 
lupi  et  alites)  et  Verg,  Aen.  IX  485  sq.  (terra  ignota  canibus  data  praeda  ali- 
tibusque  iaces). 

^)  Aliter  iudicavit  Lachmannus;  qiii  cum  sororem  Galli  putaret  dici,  in  eo 
libro  quem  anno  1816  edidit  versum  quintum  a  sexto  maiore  nota  seiunxit. 
Sed  lege  quae  dicit  Ilothsteinius  in  commeutarii  appeudice  (H  pg.  335). 

3")  F.  Leo  ('Gott.  Gel.  Anz.'  1898  pg.  743)  cum  hoc  scribi  iubeat  'et  soror  .  . 
sentiat',  sie  fere  interpretatur :  et  (ut)  soror  ex  te  cum  lacrimis  narrante  acta 
comperiat.  At  hanc  eis  verbis  notionem  subesse  si  voluisset  Propertius,  ipsum 
insuper  addito  verbo  sciat  orationem  corrupturuin  fuisse  nou  credo. 

*)  Optare  cum  saltem  ne  coutinuo  atque  illico  sentiat  non  dicit  pot-ta, 
nee  nos  maximi  momenti  vocem  interpretando  inserere  deberaus. 

^)  Non  dicit  poeta:  neu  soror  e  lacrimis  sentiat  acta  tuis. 


De  Properti  Vergilique  libros  componentiuin  artificiis.  273 

soleant  ea  quae  enuntiare  coeperunt  hexametro.  In  hoc  aiitem 
item  pronomen  te  maiore  vi  est  pronuntiandum ;  nam  quodam  modo 
inter  se  opponuntur  verba  '  te  servato '  et  illa  '  Gallum  (me)  effugere 
non  potuisse'.  Deinde,  cum  impei'ativus  servato  sit  acriter  adhor- 
tantis,  non  optantis,  haec  particula  sie  non  pertinet  ad  illam  w^, 
quasi  definiatur  atque  describatur  qui  esse  debeat  servantis  se 
liabitus  quaeve  redeuntis  valetudo^);  sed  hac  particula  diel  videtur^) 
qua  ratione  se  servet,  illa  dicitur  qua  de  causa  servare  se  iubeatur. 
Neque  'ut  possint  gaudeve  illi  serva  te'  idcirco  scribit  poeta,  quod 
verbum  gaudeant  numeris  aptum  non  est,  sed  quod  filio  servato 
potest  fieri  ut  gaudeant  parentes,  quamquam  ne  ipsi  quidem  ex- 
pertes  sunt  doloris.  Nam  Gallus  ille  interemptus  cum  dicat  eorum 
filio  pars  sum  vestrae  proxima  militiae',  non  modo  eiusdem  est  exer- 
citus  (non  hostilis,  quippe  pars  vestrae  militiae)  sed  etiam  ex  eis  mili- 
tibus  pars  proxima,  ergo  propinquus  ei  est  ^).  Filia  autem  eorum  tarn 
familiaris  ac  necessaria  Gallo  est,  ut  eins  potissimum  sit  ossa  legere, 
quamquam  et  ipsa  est  femina  et  superest  eins  frater  atque  is 
interfecti  commilito.  Illa  igitur  cum  exitura  sit  in  montes  ut  iusta 
solvere  conetur,  habenda  est  Galli  vel  uxor  vel  sponsa^).  Quam 
cognita  re  eum  deflere  par  est;  at  frater  vetatur  flere*):  nam  si 
Galli  vicem  lacrimans  ad  suos  revertatur,  metus  est  ne  sospitis 
reditu  satis  gaudere  non  possint.  Neque  vero  dicitur  '  neu  parentes 
sentiant'  autVneu  quis  (tuorum)  sentiat';  nam  cum  convenit  filiam, 

0  Mihi  quidem  ea  quae  sie  efficitur  sententia  'neque  tarnen  moribundus 
aut  saucius  sed  ea  valetudine  ut'  neque  ad  verbi  formam  imperativam  satis 
accoinraodata  videtur  esse  neque  ad  ipsum  verbum;  nam  servandi  verbo  poeta 
utitur,  non  verbo  redeundi  aut  intrandi  domum. 

-)  Lachmanni  quidem  interpretatio  (nam  nostram  paulum  dissidentem  infra 
invenies)  haec  est:  militem  fugiendo  se  ipsum,  ut  parentes  gaudeant,  servare 
iubet  et  fletum  compescere;  cum  qua  confer  quae  de  eins  particulae  usu  ad- 
notavit  ad  versum  I  22,  6.  De  Tibulli  usu  nonnulla  nos  contulimus  in  illius 
operis  pgg.  171.  293;  atque  haud  scio  an  operae  pretium  sit  accuratius  de  ea 
re  perscrutari  omnium  eius  aetatis  poetarum  libros. 

2)  Lachmannus  apertam  censet  sententiam,  modo  teneas  Gallum  omnia 
non  ignoto  homini  sed  sibi  cognato  dicere:  ideo  v.  4  dicere  poetam:  pars 
e.  s.  v.  proxima  m. 

■*)  Yelut  puellae  dicit  Propertius  II  24,  35 sq.:  tu  mea  compones  et  dices 
'ossa  Pro])erti  haec  tua  sunt'. 

^)  Cf.  quam  supra  laudavi  Lachmanni  interpretationem. 

Festschrift  Vahleu.  18 


274  Heinrich  Belling, 

quam  dici  propter  versus  7  sqq.  opus  est,  cum  parentibus  unius 
distichi  summa  contineri,  tum  eam  praecipue  ut  uxorem  sponsarave 
e  fratris  redeuntis  lacrimis  desiderati  coniugis  interitum  sua  sponte 
conicere  necesse  est.  Acta  auteili  poeta  elegiacus  non  dicit  omnino 
ea  quae  apud  Etruscos  illos  aggeres  gesta  sunt,  sed  eum  de  quo 
agitur  casum.  Lacrimas  igitur  eifundit  rediensve  effundet  miles 
neque  ob  corporis  saucii  dolorem  neque  ob  Perusinam  cladem,  sed 
ob  mortem  Galli:  cuius  animam  secum  colloqui  intellexit  inde  quod 
partem  proximam  se  dixit.  Porro  qui  (iallum  casus  oppressisset,  inde 
cognovit,  quod  ille  dixit 'consortem  properas  evadere  casum'.  Nam 
ipse  miles  ignotas  properans  effugere  manus  currit  idque  periculum 
timens  gemitu  audito ')  subito  ac  vehementer  aciem  devertit  eo 
unde  Stridor  suspiciosus  ortus  videtur').  Itaque  cum  corpore  atque 
mente  commotus  spectet,  oculi  speculando  extumescunt  atque 
eminent:  nam  verba  'turgentia  torques'^)  coniungenda  esse  ipsa 
primi  soni  congruentia  demonstratur^).  Anima  igitur  Galli  cum 
appellatione  versibus  1  sq.  facta  haec  fere  sit  dictura  '  cum  redieris 
domura,  dicito  sorori  Gallum  etc.',  commotum  atque  perturbatum 
eo  gemitu  militem  videns  prius  id  agit,  ut  animum  eins  timore 
exsolvat*):  me*)  quod  timeas,  inquit,  nihil  est;  neque  mea  causa 


')  Verba  'nostro  gemitu'  recte  Lachmannus  sie  interpretatur:  Gallus 
militem  alloquitur,  qui  gemitu  audito  oculos  .  .  convertebat;  —  teueas  hoc 
Carmen  pronuntiari  ab  uinbra  et  e^SiuXw  interempti  cum  gemitu  (v.  3)  sueto 
raore  prodeunte. 

-)  Sic  F.  Leo  scite  atque  eleganter  rem  interpretatus  est. 

^)  Cf.  Verg.  Aeu.  IV  220  (audiit  oculosque  ad  raoenia  torsit  et  amantes), 
XII  670  (ut  primum  discussae  umbrae,  ardentes  oculorum  orbes  ad  moenia 
torsit  turbidus);  adde  VII  399  (ijanguineam  torquens  aciem)  et  448  (flammea 
torquens  lumina).  —  Ac  ne  illud  quidem  neglegeudum  quod  scriptor  participio 
usus  turgentia  dicit  lumina,  non  turyida:  nam  cum  torquentur,  turgeut. 

*)  Id  artificium  in  hoc  elegiarum  pari  saepius  invenimus;  vide  huius  ele- 
giae  versus  1  (consortem  casum).  4  (pars  proxima).  5  (sie  servato  ut  possint 
parentes).  6  (soror  sentiat),  alterius  versus  3  (Perusina  patriae  sepulcra). 
6  (praecipue  pulvis).  7  (proiecta  mei  perpessa  membra  propinqui).  9  (con- 
tingens  campo). 

*)  Itaque  post  versum  2  Signum  orationis  praecisae  ponere  possumus. 

*}  Non  sine  causa  pronomen  nostro  ante  vocabulum  gemiiu  est  collocatum. 
—  Ceterum  illam  interpretationem  'nostri  gemitu'  ipse  confutavil  l.aclimaimiis, 
nee  inutiliter  idem  dixit  a  gemitu  uon  tumere  oculos. 


De  Properti  Vergilique  libros  componentium  artificiis.  275 

te  morantem  in  periculum  adduci  aiit  tibi  tuisve  quicquam  incom- 
modi  adferri  volo,  modo  certiorem  facias  sororem  de  casu  meo. 
Qua  seiiteiitia  illustrata  apparet  illa  verba 'sie  te  servato'  interpre- 
tanda esse:  noli  a  me  timere  aut  me  respicere,  sed  sie  ut  faeis^) 
perge  tu  effugere  consortem  casum. 

lam  universam  elegiam  speetemus.  Atque  cum  Lachmannus 
negasset  'hoc  carmen  inseriptum  fingi  sepulcro  Galli,  quippe  qui 
humatus  numquam  fuit',  ne  de  cenotaphii  quidem  iuseriptione 
eogitandum  esse  nuper  F.  Leo  demonstravit.  Nee  magis  elegiam 
de  Galli  morte  aut  in  eins  honorem  scriptam  dixeris  comparatis 
elegiis  eins  generis  Propertianis  III  7.  18.  IV  11.  Mihi  quidem 
non  videtur  recte  de  hae  elegia  iudicari  posse,  nisi  agnoveris  id 
esse  poetae  consilium,  ut  haec  referatur  ad  illam  quae  sequitur.  Nam 
eis  quae  hie  traduntur  paratus  atque  instructus  lector  cum  ipsara  rem 
quam  illo  versu  22,  7  poeta  vel  memoraverat  vel  memoraturus  erat 
plane  potest  perspicere  tum  recte  aestimare  concitatum  illum  poetae 
rem  memorantis  affectum.  Illic  enim,  cum  de  se  locuturus  esset,  recte 
fecit  poeta  quod  tantum  ostendit  doloris  sui  causam,  enarrationem 
rei  de  alio  factae  alteri  parti  reservavit.  Cui  enarrationi  quae  res 
subsint,  satis  apparet;  unde  elegantem  enarrandi  eas  rationem 
petiverit  Propertius,  videamus.  Atque  '  Gallum  per  medios  ereptum 
Caesaris  enses'  servatum  illum  propinquum  domum  nuntiasse  pu- 
tandum  est^);  communem  enim  eorum  patriam  esse  e  versibus  5  sq. 
colligimus.  Itaque  cum  Gallo  fugiendum  fuerit  eodem.quo  illi, 
apparet  illum  fugientem  praeterisse  eum  loeum  quoGallus  interemptus 
erat.  Ea  igitur  cogitatione  adductus  videtur  poeta,  ut  vulgari  de 
animis  vi  ereptis  opinione')  arrepta  Galli  animam  circa  eum  locum 
vagantem  atque  commilitoni  occurrentem  inducat.  Qua  inventione 
eifecit,  ut  res  actas  traderet  elegiaei  generis  oratione  atque  affeetu 


•  1)  Lachmanni  illa  iiiterpretatio  quam  supra  (pg,  273  n.  2)  adscripsi  minus 
mihi  quidem  probatur,  quia  voce  quid  recepta  mutataque  interpunctione  versus  1 
longius  etiam  ab  hoc  secessit.  Similiter  autem,  scilicet  ut  sit  'sie  ut  nunc 
facio,  fit,  est',  hac  particula  Propertius  utitur  I  17,  17;  II  13,4;  15,  25. 

''')  Idem  credere  videtur  F.  Leo  cum  dicat  (pg.  743)   'den  Gallus  muss  er 
für  gerettet  halten'. 

^)  Cf.  quae  dixi  in  eo  libro  cui  inscripsi  'Studien  über  die  Compositions- 
kunst  Vei-gils  in  der  Aeneide'  (Leipzig  1899,  pgg.  47  sq.). 

18* 


■ 


276  ncinrich  Belliug, 

optime  servatis.  Neque  igitur  immerito  hanc  elegiam  prae  ceteris  prae- 
dicavit  Lachmannus  cum  diceret  poomatium  non  inelegans  esse, 
digneque  laudat  poetae  aitem  singula  persecutus  F.  Leo  (pg.  744). 
Sed  quoniam  et  Propertius  propinquus  est  huius  Galli  et  Galli 
anima  ])ropinquum  alloquitur  raentionemque  facit  sororis  eius  atque 
parentum,  facile  suspicamur  eos  ad  poetae  gentem  ita  pertinere, 
ut  ipsi  Propertii  siiit;  nam  Lachmaiini  opinio  sororem  matrem 
poetae  esse  existimantis  omittenda  est.  Ac  soror  quidem  illa  potest 
esse  huius  Properti  amita,  frater  vel  patruus  vel  ipse  pater'). 
Deinceps,  quis  ipse  Gallus  sit,  quaerentibus  aiiimadverteiidum  est  ea 
quae  antecedit  elegia  (20)  non  modo  appellari  Gallum  adulescentem, 
quem  poetae  amicuin  ex  elegiis  5.  10.  13  norunt  lectores,  sed 
etiam  nomen  eius  iterum  pronuntiari  duobus  versibus  supra  huius 
elegiae  initium.  lam  vero  quisquis  intellexerit  non  solere  poetas 
antiquos  edere  congeriem  carminuni  forte  perfectoruni  fortuitove 
ordine  collectorum  sed  librum  compositum  atque  absolutum,  haud 
facile  sibi  persuadebit  eum  qui  octo  versibus  infra  dicatur  Galhim 
ab  illo  adulescente  alienum  esse.  Hinc  ausim  conicere  eos  GaHos 
esse  filium  patremque,  filium  autem  quo  Propertius  poeta  pro  con- 
tinuo  amore  (20,1)  familiarissime  utitur  (5,13.  30;  10,  Isqq. ; 
13, 14  sqq.)  huius  esse  posse  fratrem  amitinum.  Ac  ne  illud  qui- 
dem neglegentes,  quod  —  exceptis  elegiis  4  ad  Bassum  et  7.  9  ad 
Ponticum  scriptis ')  —  poeta  in  eis  elegiis  quas  ad  amicos  scriptas 

')  Quem  ante  Perusinum  bellum  mortuum  esse .  allatis  versibus  IV  1, 
127 — 132  non  satis  probatur.  Nain,  quae  Vergilio  acciderint  (v.  Ril)becki 
Proleg.  pgg.  5.  7),  rcputantibus  nobis  videtur  potuisse  fieri,  ut  confecto  belle 
Perusino  (v.  Gardthauseni  de  Augusto  opus,  I  1  pg.  191)  transferretur  pertica 
in  Properti  patriam,  quam  civitatem  ab  adversariis  Caesaris  stetisse  ex  elegia 
I  21  licet  suspicari.  Accedit,  quod  cae  quae  Philippense  proeliuin  subsccutae 
sunt  agrorum  adsiguationes  non  videntur  pertiuuisse  ad  ipsum  Asisiuatium  agniin 
(cf.  quae  dicit  Rothsteinius  pg.  IX).  Ita(|uc  post  Perusiuam  cladem  Proportium 
patrem  —  ex  illo  fortasse  vulnere  aegrotantem  —  puto  decessisse  neque  multo 
post  —  nam  uno  disticho  coniuncta  haec  traduntur  —  factum,  ut  filio  pertica 
tristis  patema  rura  eriperet.  Quo  facto  m  o  x  libera  sumpta  toga  elegos  fingere 
se  coepisse  ipse  tradit. 

2)  Ili  (juidem  sodales  eius  potius  sunt  quam  amici;  cf.  Ov.  trist.  IV  10, 
45 — 47:  Propertius  iure  sodalitii  qui  iiiilii  imictiis  erat:  Pontirns.  Passus  qnoipiu 
couvictus  membra  fuere  mei. 


De  Properti  Vergiliquo  libros  coinpouentium  artificiis.  277 

emiiieiitibus  libri  locis  posuit  modo  Tiillum ')  modo  Gallum  ^)  (hunc 
tamen  secuudo  loco)  appellat,  perspicimus  Propertium  eo  quoque 
quod  libro  adiunxit  elegiarum  pari  (nam  elegia  22  TuUum  adlo- 
quitur)  utramque  amicitiam  ostentare.  Quod  apparet  eum  facere 
propter  eins  consuetudinis  nobilitatem:  nam  et  Tullum  summo  loco 
iiatum  esse  e  v.  6, 19  (cf.  14,  1 — 8)  cognoscimus  et  —  id  quod  hie 
raagis  interest  —  Gallum  adulescentem  illustri  genere  ortum  ^)  licet 
colligere  e  versibus  5,23—26*).  Haue  autem  de  Galli  nobilitate 
opinionem  ex  elegia  20  transferamus  ad  propinquum  illum  de  quo 
in  elegiis  21  et  22  poeta  dicit. 

Gallo  igitur  familiariter  uti  Propertius  coepit  in  patria,  Tullum 
dilexit  cum  in  urbem  migrasset.  Itaque  apte  fingit  hunc,  quo- 
tienscumque  congrediantur  ^),    de    genere    et    patria    quaerentem**); 


^)  Is  appellatur  qiiattuor  elegiis;  1.  6  (prima  quaque  primae  et  secundae 
pentadis).     14  (in  tertia  pentade).     22  (extreraa  libri). 

2)  Is  appellatur  qiiattuor  elegiis :  5.  10  (postrema  quaque  primae  et  se- 
cundae pentadis).     13  (in  tertia  pentade).     20  (extrema  quartae  pentadis). 

^)  Veri  simile  est  Aeliiim  eum  esse;  cf.  el.  III  12  et  Lachmanni  Script, 
min.  II  pg.  248. 

^)  Hiiic  poeta  dicit  (5,  24)  'nescit  Amor  priscis  cedere  imaginibus',  illi 
(14,  8)  'nescit  Amor  inagnis  cedere  divitiis'.  Similiter  inter  se  respondent 
clegiae  13  ad  Gallum  scripta  (tu  laetabere,  at  non  ipse  imitabor)  et  14  ad 
Tullum  scripta  (tu  licet  bibas,  non  tamen  ista  meo  valeant  contendere  amori); 
cf.  quae  dixi  in  illius  operis  pg.  332. 

^)  Verba  '((uaeris  semper'  non  modo  possunt  coniungi  (nam  semper  id  est 
quod  nos  dicimus  'in  jedem  einzelneu  Falle',  velut  I  10,  19:  16,  47;  II  9,32; 
16,  12.  47:  18,  3:  25,  31;  28,  13  al.),  sed  etiam  debent:  nam  haec  pentametri 
verborum  collocatio  (quaeris  pro  nostra  semper  amickia)  prodit  artem  illam  cum 
a  ceteris  poetis  adhibitam  tum  ab  hoc  minime  neglectam:  accedit  quod  pro- 
Yocatio  ad  sempiternam  amicitiam  —  sie  enim  fere  interpretantur  —  facta 
huic  rei  parura  videtur  convenire.  Similiter  rem  exaggerat  poeta  verbo  totiens 
usus  in  versibus  I  5,  21  (nee  t.  mirabere  cur  sim  nullus):  II  1,  1  (unde  mihi 
t.  scribantur  amores);  23,  5  (quaerit  t.  'quaenam  porticus  integit');  III  19,  1 
(obicitur  t.  a  te  mihi  nostra  libido)  aliisque. 

^)  Praeter  ea  quae  solent  adscribi  exordia  elegiarum  II  31.  1.  III  13 
(quibus  adde  IV  8)  cf.  II  22,  13  (quaeris  Demophoon  cur  sim  tarn  mollis) 
nee  non  III  19,  1  (obicitur  a  te  mihi  nostra  libido).  I  5,  1.  31  (tandem 
voces  compesce:  quid  possit  desine  Galle  (juaerere).  II  3,  5  (quaerebam  si 
jjosset  piscis  vivere);  qui  loci,  ut  Uorati  verbis  utamur,  sermoni  propiores  vi- 
dentur  esse. 


278  Heinrich  Belliiig, 

efficit(|iic  iit  videatiir  adhuc  non  respondisse,  ne  tristium  teinj>orum 
memoriam  suscitaret.  lam  vero  de  patria  responsum  ad  lectorum 
cognitionem  accommodatiim  cum  in  hoc  quidem  libro  primo  dare 
non  possit  ea  ratione  qua  dedit  posteaquam  ignobilis  illa  civitas 
huius  civis  gloria  iuclaruit'),  est  daturus  commemorata  Perusia 
urbe  satis  nota  eis  rebus  quibus  Properti  quoque  pueritia  commota 
atque  percussa  erat.  Itaque  cum  dicturus  sit  'Perusinis  sepulcris 
proxima,  sc.  supposito  campo  Etruscos  illos  aggeres  (21,  2)  con- 
tingens  Umbriae  pars  me  genuit',  eis  quae  versibus  3 — 5  pronun- 
tiantur  redintegratur  memoria  propinqui  illius  miserrimi.  Quo  ita 
memorato,  ut  lector  ad  elegiam  21  remittatur,  gentis  cognatio  (undo 
genus)  atque  —  id  quod  hie  magis  etiam  poetae  videtur  interesse  ^)  — 
propinquorum  condicio  (qualis  genus)  per  ambages  quasdam  indi- 
cantur').  Deinceps  ad  alteram  rei  partem  (qui  penates)  respon- 
detur  versibus  9  sq.  *)  Quodsi  Propertius  ^)  tum,  cum  —  antiquiores 
nisi  fallit  opinio  scriptores  secutus  —  his  verbis  exorsus  est '  qualis 
et  unde  genus  (sim)',  plura  fuerit  traditurus  ®),  dixerim  perscriptis 


0  IV  1,  126;  cf.  Ov.  am.  III  15,  8—14. 

-)  Animadvertendiim  enim  est  poetam  dicere  '(lualis  genus'  eaquc  verba 
priore  loco  constituere. 

^)  'Genus  autem  ostendit  commemorando  propinquuin  Gallum'  recte 
Passeratius  (apud  Vulpium  pg.  190).  —  Cetenim  si  vera  est  ea  opinio  (juain 
de  railite  illo  sospite  supra  protulimiis,  poeta  verba  'unde  genus'  scribens 
nescio  an  ipse  meminerit  ea  quoque  quae  illic  indicavit:  sed  cum  illic  ipsum 
nomen  —  fortasse  civilium  dissensionum  ratione  habita  (cf.  quae  dixi  supra 
pg.  276  n.  1)  —  non  enuntietur,  poeta  lectorem  etiam  unde  gentis  quaerentem 
acquiescere  vult  in  eo  qUod  de  propinquis  Properti  comperit.  Qualis  vero  sit 
genus,  Propertium,  quamvis  domi  illud  sit  illustre,  urbanis  lectoribus,  (|uos 
potissimum  eum  spectasse  consentaneuni  est,  nuilto  clarius  indicare  apparet 
propinquitate  gentis  hominisve  in  urbe  nobilis  laudata  quam  maioribus  Asisina- 
tibus  commemoratis  (cf.  II  24,  37;  34,  56). 

*)  Ad  eam  his  verbis  responderi  confirmatur  versibus  IV  1,  121. •sq.  (l  in- 
bria  te  notis  antiqua  penatibus  edit). 

*)  Id  quod  opinatur  F.  Leo  ('Nachrichten  der  K.  G.  d.  W.  zu  Göttingcn', 
Phil.-hist,  Kl.,  1898  fasc.  4). 

^  Ex  eis,  quae  certe  dicere  voluisse  poetam  exordientem  censet  F.  Leo, 
Propertius  —  nisi  forte  poetae  de  dictione  velis  praecipere  —  unum  non 
dicit:  patrem  suum  raortuum  esse,  matrem  res  domesticas  administrare.  At,  ut 
illius  critici  verbis  utamur,  de  his  rebus  Tullus  nihil    ex    eo    percontatus    est. 


De  Propeiti  \  ergiliquo  libros  coinponoutiiiin  artiticiis.  279 

versibiis  6 — 8  recte  eum  sensisse,  quanto  iam  praestaret  eo  indicio 
facto  acquiescere  quam  altera  parte  elegiae  addeiida  de  gentis  rebus 
iam  indicatis  mentionem  denuo  incipere  ^).  Sed  utut  ea  res  se  habet, 
dummodo  hanc  elegiam  non  solitarium  carmen  sed  libri  partem 
memineris  neve  audeas  ab  hac  coniunctione  avulsam  cum  alienis 
rebus  comparare,  eorum  qui  truncatam  ^)  elegiam  esse  opinati  sunt 
suspicione  nuper  repetita  opus  esse  non  videtur*);  ac  ne  posse  quidem 
eam  opinionem  probari  apparet  inde,  quod  de  eiusmodi  detrun- 
cationis  tempore  et  ratione  quaerentibus  incredibilia  efficiuntur*). 


')  Plane  alia  certe  —  sed  vereor  ut  raelior  —  facta  esset  elegia  atque 
facta  nobisque  tradita  est,  si  Propertius  suscepto  superiorum  poetarum  more 
«rrammatici  alicuius  Alexandrini  exeraplum  maluisset  exprimere  quam  suum 
ingenium  obtinere.  At  de  ea  vitara  componendi  ratione  quam  grammaticos 
antiquos  instituisse  docuit  F.  Leo  hunc  poetam  ne  cogitasse  quidem  apparet 
inde,  quod  nee  Tullum  (iuic(|uam  facit  percontantera  praeter  genus  patriamque 
nee  potest  in  animo  habuisse  de  habitu  suo  moribusque  lectores  edocere  in 
ea  elegia  qua  familiarissimo  homini  respondere  se  fingebat. 

■)  Cui  opinioni  cum  alia  adversantur  tum  illa  elegiarum  21  et  22  aequa- 
bilitas,  nam  utraque  constat  e  quinis  disticliis. 

^)  Kecte  Laehmannus  efficit  'ut  nihil  nos  cogat  lleinsium  sequi  et  hoc  (21) 
et  illud  (22)  maioris  earminis  fragraenta  esse  iudicantem. 

*)  Quod  factum  ex  conieetura  sua  recte  coUigit  F.  Leo  cum  dieat  'man 
muss  den  Verlust  auf  die  Zeit  ansetzen,  in  der  das  Buch  noch  selbständige 
Existenz  hatte',  id  non  modo  verum  sed  ne  probabile  quidem  habendum  esse 
satis  Jirmis  argaimentis  evinci  puto.  Ac  primum  quidem  librum  initio  seorsum 
a  poeta  emissum  esse  ex  ipsa  elegia  22  certo  eognoscimus.  Qua  cum  el.  1 
V.  9  coraparata  apparet  librum,  quo  omnino  amicorum  uecessitudines  ostentare 
poetam  dixiraus,  missum  esse  ad  Tullum,  non  ad  Cynthiam  sive  Hostiam; 
cuius  amoribus  maxima  libri  pars  nee  tarnen  ipse  Über  eonficitur:  nam  ele- 
giarum paria  qualia  sunt  6  +  7,  9  4-10,  13+14  —  ut  el.  20—22  non  dicam 
—  ad  amieitias  magis  quam  ad  amores  pertinent.  Neque  igitur  poeta  indicem 
libro  feeit  Cynthiam;  sed  eo  tempore  quo  alterum  libnxm  Propertius  eonficie- 
bat  lectorum  vulgus  librum  primo  vocabulo  suramara  materiam  indieante  bre- 
viter  signiiicare  solitum  est  (II  24,  2),  euius  consuetudinis  alia  invenimus  docu- 
menta  apud  Ovidium  (am.  I  15,  25  'Tityrus  Aeneiaque  arma  legentur')  et  Mar- 
tialem  <epig.  VIII  65,  19;  XIV  185  'arma  virumque').  Alterum  librum  Propertius 
paulo  post  (II  3,  ö)  item  separatim  (1,2)  emisit;  ille  inscriptus  a  poeta  vide- 
tur  esse  'Properti  elegiarum  Über  ad  Tullum',  hie  'P.  e.  Über  alter'  (3,  4): 
hunc  enim,  quippe  qui  a  verbo  quaeritis  incipiat,  Maecenati  (1,  17.  73)  tradi- 
tum  verius  dixeris  quam  dieatum  proprie.  At  tertium  librum  poetam  non 
emisisse  separatim  sed,    ut  amatoria  poemata  in  unum    corpus    cogeret   at(|ue 


280  Heinrich  iielliiig, 

Nec    profecto  Ovidius    in    elegia    am.    111    15    huius    simillima   et 


absolveret,  cum  libris  I  et  II  coniunctum  atque  copulatum  certis  indiciis  cogi- 
niur  iudicare.  Ipsura  enim  libri  exordium  (III  1)  cum  elegia  II  34  (imprimis 
vv.  31  sq.)  cohaerens  versu  39  (carminis  nostri  redeamus  iu  orbem)  deraon- 
strat  elegias  turbae  puellarum  scriptas  anteeedere  (cf.  2,  8;  3,  20).  Tum  illiid 
corpus  quod  elegiis  III  24.  25  conficitur  non  pertinet  ad  hunc  librum  unum 
(cf.  quae  dixi  in  illius  operis  pg.  S'i^).  Cuius  corporis  priore  parte  (III  24) 
recantantur  Cynthiae  laudes  nec  tarnen  ea  quae  in  liuius  libii  elegiis  (5  +  6, 
8 :  10,  15  -+■  16,  ut  el.  17.  21  non  dicamus)  de  ea  dicuntur.  Alterius  autem 
partis,  qua  Cynthiae  amorera  renuntiat  poeta,  versu  3  ('quinque  tibi  potui 
servire  annos',  quae  non  puto  ad  calculos  vocanda  sed  sie  interpretanda  ut 
lustrum  circiter  esse  dicatur:  nam  oratio  conformata  videtur  ad  v.  II  9,  3 
Tenelope  poterat  bis  denos  per  annos')  respicit  Universum  amorum  decanta- 
torum  decursum  (cf.  I  1,  7).  Atque  illius  elegiae  (III  24)  versus  1—8  per- 
tinent  ad  vv.  I  2,  5—7.  19.  22;  3,  1  sqq. ;  4,  5sqq.  (etiam  ad  II  1,  5sqq.: 
2,  3sqq.;  3,  9sqq.,  quaraquam  ibi  aliam  puellam  dicere  se  simulat  poeta:  de 
qua  re  cf.  quae  dixi  in  illius  operis  pgg.  353  sqq.),  deinde  versus  11.  9.  10  — 
nam  mutandus  est  distichorum  ordo  —  ad  I  1,  19 — 27,  versus  12  ad  I  17; 
huius  (UI  25)  versus  Isq.  ad  II  9,  21  sq.,  v.  9  ad  I  16,  v.  10  ad  II  5,  22. 
Accedit  quod  Propertius  etiam  in  elegiis  III  21.  22,  quod  est  alterius  decadis 
—  nam  hie  Über  sicut  primus  duas  elegiarum  decades  continet  —  extremum 
par  (cf.  illius  operis  pg.  338),  aperte  revertitur  ad  librorum  I  et  II  memoriam. 
Hie  enim,  neque  intra  libros  IL.  III.  IV  praeterea  usquam,  rursus  invenimus 
ad  amicum  nomine  compellatum  elegiam  scribentem  poetam  idque  ad  eundem 
Tullum  ad  quem  scripta  elegia  primum  librum  est  exorsus.  Atque  el.  22  non 
modo  eis  quae  de  tempore  locoque  primis  versibus  dicuntur  (haec  verba  'tam 
multos  annos'  similiter  temporis  decursum  respiciunt  atque  illa  'quinque 
annos';  qua  ex  re  cognosces  certe,  quo  consilio  illa  poeta  dixerit,  nec  iam 
credes  id  eum  egisse,  ut  memoriae  proderet  quod  viri  docti  de  Cynthiae  amorum 
tempore  inquirentes  grato  animo  arriperent)  adnectitur  ad  el.  I  6,  sed  etiam 
versibus  40  sqq.  continuantur  spes  illo  loco  propositae  nec  non  quodam  modo 
corriguntur  (nam  verbis  Wenturae  coniugis  aptus  amor'  quasi  repudiatur  is 
amor  quem  posse  certe  incidere  Tullo  poeta  cogitaverat  versus  I  6,  21sq(|. 
scribens  tum  cum  ipsum  retinebant  vinctum  formosae  vincla  puellae).  Ad 
illius  elegiae  I  6  versus  1  (non  ego  nunc  Hadriae  vereor  mare  noscere  tecum) 
et  13  (an  mihi  sit  tanti  doctas  cognoscere  Athenas)  prior  quoque  huius  paris 
elegia  (III  21)  revertitur  versibus  1  (magnum  iter  ad  doctas  proficisci  cogor 
Athenas)  et  17  (ergo  ego  nunc  rudis  Hadriaci  vehar  ae(pioris  hospes);  eadem 
ratione  comparandi  sunt  cum  huius  elegiae  versibus  2.  9s<|.:  I  12,  11  sq.;  cum 
VV.3. 9: 1  1,36;  cum  v.  11  (nunc):  1  1,  29;  cum  vv.33sq.  (erit  illa  mihi  mortis  honesta 
dies):  118, 17.  27  (ista  mihi  mors  est  inhonesta  futura).  Ea  igitur  ratio  tantaque 
necessitudo    inter    illos    locos    mihi    quidem    videtur   iutercedcre,    ut  poetam 


De  Properti  Vergilique  libros  componentium  artificiis.  281 

qua  illum  Propertianas  imitari  appareat^)  de  parentibus  quic- 
qiiam  dixit  sed,  sicut  Propertius,  'tum  (trist.  IV  10)  plus  tum 
minus  tradidit'.  Quid?  Posterioribus  temporibus  Propertius,  cum 
esset  quod  lectorum  Studium  etiam  ad  vitam  celeberrimi  poetae 
pertinere  putaret,  nonne  paucula  habuit  quae  Ilori  garrulitate  de 
parentibus  suis  cum  illis  communicanda  duceret?  In  hoc  vero 
quem  primum  in  vulgus  emisit  libro  cum  id  ageret  ut  se  opusque 
suum  lectori  commendaret,  num  potuit  illarum  rerum  commemora- 

superiora  verba  lectoribxis  praesto  atque  in  manibus  esse  confisum  lihi-os  I — III 
quasi  pro  uno  operum  corpore  habuisse  evincatur.  lam  vero  qnicumque  mente 
non  praeoccupata  consideraverit,  quae  coniunctio  inter  Horatiura  et  Propertiuin 
poetas  intercessisse  videatur  (cf.  quae  ostendi  in  illius  operis  pgg.  315.  334. 
348  iinprimisque  336  n.  1  et  369  n.),  facile  coniciet  hanc  triura  librorum  edi- 
tionem  ab  ipso  poeta  factam  (qua  re  refellitur  illa  coniectura  ad  (juam  F.  Leo 
deductus  est)  respondere  carminuni  triadi  a  sodali  lyrico  paulo  ante  editae. 
Atque  ut  Horatius  sie  Propertius  —  sed  hac  vice  prior  —  cum  ad  interraissura 
Studium  se  rettulisset,  miscuit  amorum  meraoriam  publicis  rebus:  quem  librum 
item  separatim  emissum  esse  prooemio  (IV  1)  confirmatur.  Bibliopolae  vero 
quaudo  quattuor  libros  in  unum  corpus  coniunxerint,  ignoramus;  sed  paulo 
post  poetae  mortem  omnia  eius  opera  coniunctim  venire  coepisse  veri  simile 
est.  Itaque  Ovidius  carmina  commemorans  amici  mortui  'cuius  opus  Cynthia 
sola  fuit'  (rem.  am.  764)  videtur  dicere  quaecumque  ille  scripserat.  Martialis 
autem  aetate  ut  antiqua  unius  libri  primi  exempla  reperirentur  apud  bibliopolas, 
potuisse  fieri  quan^juam  praefracte  negare  non  possumus,  tamen,  quia  constat 
(II  24,  Isq. :  cf.  III  2,  8),  quanto  studio  illum  libi-um  modo  emissum  devora- 
verint  elegantiores  omnes,  minirae  videri  veri  simile  contendimus:  nee  dubium 
quin  suppetierit  eodem  tempore  collectio  item  a  Cynthiae  nomine  incipiens 
libroram  quattuor  aut  trium  saltem.  Vereor  igitur  ut  debeamus  credere  apud 
Martialera  (epigr.  XIV  189)  dici  monobiblon  illam  quae  circumfertur  a  quibus- 
dam:  cf.  quae  dixerunt  K.  Ullrichius  in  Studiis  Tibullianis  (Berolini  1889,  pg.  81) 
et  Rothsteinius  pg.  XV  ('schwerlich  wollte  ilartial,  wenn  er  von  der  Jugend- 
dichtung des  Properz  sprach,  diese  anderen  Dichtungen  oder  einer  anderen 
Beschäftigung  eines  höheren  Lebensalters  gegenüberstellen,  sondern  ihm 
schwebte  das  Bild  eines  jugendlichen,  früh  verstorbenen  Dichters  vor'). 

^)  Ad  verlia 'Paelignae  gentis'  haec  'quam  sua  libertas  ad  honesta  coegerat 
arma  cum  timuit  socias  anxia  Roma  manus'  addidisse  videtur  comparans, 
quae  de  sua  patria  Propertius  dixerat  memor  eius  temporis  "cum  Romana  suos 
egit  discordia  cives'.  Eis  quoque  qui  sequuntur  versil)us  quin  imitetur  Pro- 
pertium  (cf.  IV  1,  65sq.  126),  dubium  non  est;  alteram  enim  Amorum  edi- 
tionem  —  quae  ipsa  quoque  librorum  trias  est  —  constat  factam  esse  post 
annum  ^-''^is,  Properti  librum  quartum  vori  simile  est  emissum  anno  "Vig. 


282  Heinrich  Belliug, 

tionem  utiliorem  diicere  quam  nobiliiim  propinquormn  t)stentationem? 
Haue  igitiir  elegiam  qualem  in  codicibus  scriptam  habemus  spec- 
tantes  cum  elegia  21  ita  coniunctam,  ut  duabus  quasi  unum  corpus 
conliciatur,  non  dubitamus  laudare  poetam,  quod  generis  penatiumque 
professionem  non  ad  formulae  alicuius  siccitatem  persecutus  est 
sed  ad  elegiacae  poesis  orationem  affectumque  accpmmodavit.  Eos 
autem  qui  Propertium  duas  elegias  forte  superantes,  cum  alicubi 
essent  collocandae,  temere  extreme  libro  adsuisse  sibi  persuadent 
non  modo  non  iudicamus  audiendos  esse,  sed  etiam  hoc  elegiarum 
par  a  poeta  magna  diligentia  librum  absolvente  eo  consilio  dicimus 
conscriptum  esse,  ut  libri  clausulam  efficeret. 

Veniamus  nunc  ad  Vergili  Aeneidis  librum  tertium.  Cuius 
dispositionem  quo  certius  reperiamus,  quaerendum  prius  est,  niim 
ea  quae  poeta  conscripserat  tanta  lide  tradita  nobis  sint,  ut  neque 
affictum  quicquam  neque  detractum  videatur  esse. 

Servius  igitur  qui  dicitur  Danielis  ad  versum  204  haec  ad- 
scribit: 

'hinc  Pelopis  gentes  Maleaeque  sonantia  saxa 
circumstant,  pariterque  undae  terraeque  minantur. 
pulsamur  saevis  et  circumsistimur  undis 

hi  versus  circumducti  inventi  dicuntur  et  extra  paginam  in  mundo"). 
Hos  versus  in  eorum  qui  codicum  auctoritate  firmantur  contextum 
inculcandos  nobis  non  esse  vel  inde  apparet,  quod  '  nee  v.  193  nee 
200 sqq.,  quibus  nihil  omnino  cerni  potuisse  narratur,  conciliari 
possunt  cum  Peloponnesi  Maleaeque  commemoratione'.  Nee  tamen 
assentimur  vü'o  docto  eos  versus  scriptos  fuisse  'ante  quam  versus 
192 — 204,  ut  nunc  sunt,  in  textum  recepti  erant'  suspicanti:  nam 
quicumque  versus  204  "•  ''• "  scripsit  is,  cum  duobus  cursum  uavium 
accuratius  descripsisset,    tertium    eo  consilio  addidit,    ut  in  orbem 


')  Idem  ad  Aen.  V[  289  haec:   'sane   qnidam    dicunt   versus    alios   hos  a 
poeta  hoc  loco  relictos,  qui  ab  eius  emendatoribus  sublati  sint 
Gorgonis  in  medio  portentum  immane  Medusae, 
vipereae  oircum  ora  comae  cui  sibila  torquent 
infamesque  rigent  oculi  mentoque  sub  irao 
serpentum  extremis  nodautur  vincula  caudis'. 


De  Properti  X'ergilique  lihros  cornponentium  artificiis.  283 

redeiinte  oratione  sua  verba  'pulsamur  saevis  et  cii-cumsistimur 
undis'  oppoiii  viderentur  eis  quae  seqimntur  v.  205  'quarto  terra 
die  primum  se  attollere  tandem  visa'.  Quodsi  postquam  conscripti 
erant  codicum  versus  192—204.  205  sqq.  —  quos  aptissime  inter 
se  cohaerere  qiiis  est  quin  sentiat  —  additi  sunt  versus  204  «•  *■  % 
non  sunt  putandi  esse  Vergili  sed  interpolatoris,  dummodo  demon- 
stretur  qua  re  aliquis  ad  interpolandi  Studium  potuerit  adduci. 
Atque  quid  velit  versus  204%  supra  diximus');  versus  204"-* 
quid  velint,  ostendit  Wagnerus  collato  versu  V  193.  Ibi  cum 
Mnestheus  socios  hortetur  ut  promant  vires  animosque  'quibus  in 
Gaetulis  syrtibus  usi  lonioque  mari")  Maleaeque  sequacibus  undis', 
intellegimus  id  egisse  interpolatorem*),  ut  inconcinnitatis  quam 
detexisse  sibi  videbatur  crimen  tolleret.  Eadem  ratione  factum  esse 
puto,  ut  versus  II  567 — 588  e  codicibus  immerito*)  eliminarentur. 
Nam  cum  ei  tantum  in  codicibus  desint  versus  quibus  adversus 
sexti  libri  narrationem  de  Helena  ad  Vestae  aedem  sedente  agitur, 
ei  autem  qui  relicti  sunt  versus  ne  possint  quidem  ad  enuntiati 
teuerem  coniungi  *),  veri  est  simillimum  primo  grammaticum  aliquem 
obeli*)  aliquo  genere  bis  ipsis  versibus  appicto  rerum  discrepantiam  ^) 
vel  factam  significasse  vel  tollendam  notasse,  deinde  aut  male  in- 
tellecto  aut  corrupto  signo  *)  illos  versus  uno  imperio  exsulare 
iussos  esse. 


')  Conformatus  aiitem  videtur  esse  ad  similitudinem  versus  II  383  (iii- 
ruimus  densis  et  circumfiindimur  armis). 

-)  Hie  (III  211)  memorantur  'insulae  lonio  in  magno'. 

■'')  Utitur  autem  praeter  illum  versum  eis  quae  Aeneas  tradit  III  272  sq. 
398.  550. 

■*)  Nam  eos  spurlos  habendos  esse  negavi  pgg.  177  sqq.  eins  libelli  quem 
dixi  supra  pg.  275  n.  3. 

^)  Adde  quae  dielt  Servius  ad  II  592:  hinc  autem  versus  esse  sublatos 
Veneris  verba  declarant  dicentis   'non  tibi  Tyndaridis  facies  invisa  Lacaenae'. 

^)  Nescio  an  in  eis  quae  leguntur  apud  Servium  (ad  II  566)  'obliti  sunt' 
obeli  vox  lateat. 

^)  Servius  ad  II  592:  contrarium  est  llelenam  in  domo  Priami  tmsse  illi 
rei  quae  in  sexto  dicitur,  quia  in  domo  est  inventa  Deiphobi  postquam  ex 
summa  arce  vocaverat  Graecos. 

*)  Nescio  an  appositus  fuerit  primo  vel  obelus  cum  puncto  qui  'ad  ea  de 
quibus  dubitatur    tolli    debeant    necne'    adhibebatur  vel  diple  superiie  obelata 


284  Heinrich  Bclliug, 

Siispicor  autem  cum  alia  tum  haec  grammaticorum  sigua 
pertinere  ad  eum  Aeneidis  usum  quem  in  ludis  litterariis.')  fuisse 
constat.  Fac  praelectorem  docuisse  Maleae  immemorem  hoc  quidem 
loco  videri  fuisse  poetam:  habes  explementi  vel  ab  ipso  illo  pro- 
ponendi  vel  ab  auditore  confiugeiidi  ausam ").  Hemistichiis  ^)  quoquc 
explendis  propter  eum  carminis  usum  operam  datam  esse  consen- 
taneum  est;  cuius  studii  certa  deprenduntur  vestigia  in  huius  ipsius 
libri  versu  661  et  V  595.  Poito  similes  versus  locosque,  quos 
notare  grammatici  solebant,  saepe  adscriptos  esse  in  scholis  et  ex 
eis  potissimum  libris  in  Codices  nostros  nonnunquam*)  irrepsisse 
puto°).  Eins  quoque  rei  insigne  documentum  hie  über  praebet 
versu  230;  neque  enim  dubiura  quin  versus  qualis  in  bonis 
libris  traditur  quondam  ex  I  311  in  huius  loci  marginem  repeti- 
tus  eoque  factum  sit,  ut  postea  perperam  his  poetae  verbis  in- 
sereretur^). 

Atque  M.  Hauptius  quidem,  qua  erat  iudicii  subtilitate,  hunc 
unum  libri  versum  expunxit;  alii  cum  plures  tentarent  plerunique 
parum  feliciter  rem  videntur  egisse.  Neque  enim  ulli  interpolationis 
suspicioni  fides  habenda  est,  nisi  demonstraveris  atque  probaveris, 
qua  causa  ille  sibi  videretur  coactus  esse  ut  suam  opem  scriptori 
offerret:  quippe  pessimum  illum  aliquam  tamen  rationem  secutum 
esse  necesse  est.  Servamus  igitur  versum  262,  quo  socii  iubent 
utique  pacem  exposcere  votis  precibusque,  sive  harpyiae  deae  sint 
—  quae  opinio,  quoniam  socii '  obscenas  pelagi  ferro  foedare  volucres' 
frustra  conati  sunt  (vv.  240  sqq.),  ipsa  autem  Celaeno  se  furiarum 


quae  'ad  condicionem  locorum  vel  personanini  vel  temporura  inutatam'  pone- 
batur  (cf.  Ribbecki  Proleg.  pgg,  152.  157),  deinde  intellectus  scriptusve  sit 
obelus  ipse. 

^)  Ludum  illud  quoque  resipit  argumentum  quod  refert  Servius  ad  II  592 
cum  dicat  aliquos  versus  hinc  esse  sublatos  nee  immerito:  nam  turpe  esse 
viro  forti  contra  ferainam  irasci. 

^  Simili  ratione  illi  versus  ad  VI  289  additi  videntur  esse. 

')  De  quibus  egimus  in  illius  libelli  pgg.  113  sqq. 

♦)  Velut  il  76.  775.  IV  12(;.  286. 

^)  Quamquam  in  eis  quaestionibus,  ue  poetae  cpici  rcpetitiones  mala  sedu- 
litate  expellaraus,  magna  opus  est  prudentia. 

^  De  inserendi  causa  coniecturam  infra  proliitinus. 


De  Properti  Vergilique  libros  componentium  artificiis.  285 

maximam  atque  Apollinis  interpretem  dixit,  nunc  recte  oritur  — 
sive,  id  quod  antea  putabant,  dirae  obscenaeque  volueres  ^).  Defen- 
dimus  porro  versus  340  et  348  in  illo  libello  (pgg.  120  sqq.).  Nee  dubi- 
tamus  quin  recte  traditi  sint  versus  684 — 686.  Nam  socii  acri  metu 
adeo  praecipites  aguntur  ut,  quocumque  venti  secundi^)  naves  ferant, 
malint  deferri  quam  illos  Aetnaeos  fratres  aspicere.  Alii')  in  me- 
moriam  revocant  iussa*)  Heleni,  commemorant  Scyllam  atque  *)  Cha- 
rybdim  ®), monent  ^)  viam  ^)  inter  utramque ^)nisi  contingat  utteneant*") 


^)  Servius:  bene  auteui,  etiam  si  aves  sunt,  eas  dicit  placaiidas  propter 
pessima  oinina. 

^)  Dicuntnr  ei  qui  prosequiintur  surgentes  a  puppi  (cf.  III  130). 

*)  Sic  iuterpretandlun  videtur  illud  'contra':  puta  Aeneas  prudentioreS(jue. 

•*)  Perperam  quidani  vocem  'iussa'  subiecti  loco  esse  putant.  Nam  dici 
latine  potest  illud  'divom  ducunt  (nos)  iussa'  (111  114)  vel  'nie  iussa  deum, 
([uae  nunc  cogunt,  egere'  (VI  461):  at  'iussa  (nos)  monent' vel  'monita  iubent' 
non  magis  quam  'iussa  iubent'  vel  'monita  monent'.  Accedit,  (juod  sie  (juidem 
'inonent  Scyllam  atque  Charybdim'  vitiose  coniixngitur. 

^)  riuic  particulae  quae  vis  subsit,  parum  videntur  spectare,  qui  verba 
'Scyllam  atque  Charybdim  inter'  coniungunt. 

**)  Accusativum  usurpare  hie  licet  poetae,  quod  obiecti  loco  antecedit 
neutrliis  generis  forma  'iussa',  (|uam  sequentia  haec  nomina  quasi  appositioiiis 
vice  funguntur. 

')  Monendi  verbum  cum  idem  valeat  quod  'monens  dico'  vel  'm.  doceo', 
non  solum  neutrius  generis  accusativum  potest  accipere  (cf.  georg.  I  352  'quid 
luna  moneret',  Aen.  III  712  'Helenus  cum  multa  horrenda  moneret',  Ov.  met. 
XIII  775  'vera  monentem',  ut  omittamus  Lygdamum  qui,  postquam  4,  5  sq. 
'vera  monent'  dixit,  versu  11  etiam  'illi  vera  moneri  volent'  ausus  est  dicere), 
sed  etiam  accusativum  cum  infinitivo  habet  (cf.  georg.  I  465  'sol  instare  tu- 
multus  monet'  et  Aen.  XI  47  'metuens  moneret  acres  esse  viros'). 

^)  Cf.  Ov.  met.  XIII  418:  viam  suadet  boreas. 

9)  Cf.  Ov.  met.  II  140  'inter  utrumque  tene';  YIII  206  'inter  utrum- 
que  vola'. 

10)  De  tenendi  notione  cf.  II  359  (mediae  tenemus  urbis  iter);  III  283 
(medios  fugam  tenuisse  per  hostes);  IV  46  (hunc  cursum  vento  tenuisse 
carinas);  V  1  (medium  classe  tenebat  certus  iter);  V  168  (Cloanthum  propiora 
tenentem);  Ov.  met.  11  79  (ut  viam  teneas  nulloque  errore  traharis);  II  140 
(inter  utrumque  tene);  III  690  (Diam  tene);  XIII  706.  721  (inde  Creten 
tenixere;  Troia  tenetur).  Itaque  cursum  tenet  (quod  verbum  non  sine  causa 
praemittit  poeta)  qui  recta  via  quo  vult  pervehitur  ac  ue  digitum  quidem 
discedit. 


285  Heinrich  Belling, 

cui'sum')  parvo  leti  discrimine  esse');  nihilo  minus  illis  certa 
sententia  est*)  rudentes  excutere  et  vela  intendere*)  ventis 
a  puppi  prosequentibus,  qui  retro  ad  orientem  versus  eos  ferant 
necesse  est*).  lani  vero,  quia  praetervehitur  Aeneas  ostia  Paiita- 
giae  Megarosque  sinus  Thapsumque^),  eorum  nominum  locorumque 
notitiam  non  inepte  repetit  poeta  (vv.  690  sq.)  ab  Achaemenide ;  quem 
quod  Aeneas  ipse  quoque  (cf.  v.  613)  infelicis  ülixi  comitem 
dicit,  cave  suspiceris  dormitare  poetam,  quippe  qui  doceat.  quos 
errores  verbo  'errata'  signilicet,  scilicet  eos  quibus  infelicem  illum 
eiusque  socios  tot  tantaque  mala  exantlasse  narrabat  Achaenienides, 
Denique  versum  702  pluribus  verbis  nos  defendere  opus  vix  est: 
nam,  ut  alia  omittam^),  satis  apparet  non  nominari  tantum  sed 
describi  ea  Siciliae  loca  omnia,  campos  autem  Geloos  cum  immani 
fluvio*)  opponi  praepingui  solo  stagnantis  Helori. 


1)  De  plurali  numero  quem  poeta  usuvpat  cf.  liuius  libri  versus  146  (quo 
vertere  cursus)  et  460  (cursus  dal)it  secundos). 

■'')  Cf.  X  511  (tenui  discrimine  leti  esse  suos):  IX  141  (fossaruni  morae, 
leti  discrimina  parva). 

3)  Cf.  ecl.  10,  52;  Aen.  IX  151:  X  240. 

*)  Variandi  causa  poeta  hie  dicit  'lintea  dare'.  Eandem  locutionem  offen- 
dimus  apud  Horatium  epo.  16,  27  (neu  conversa  domum  pigeat  dare  lintea)  et 
Ovidium  met.  III  640  (dextra  mihi  lintea  danti),  ul)i  quod  Hauptius  ad- 
notat  'als  ich  zur  Fahrt  nach  rechts  die  Segel  spannte'  ad  hunc  quo- 
que locum  pertinet  (cf.  Hör.  c.  I  34,  4  'retrorsum  vela  dare  atque  iterare 
cursus');  adde  Prop.  III  4,  7  (date  lintea  prorae)  et  Ov.  met.  VII  40  (det 
lintea  ventis). 

')  Est  quod  ad  artificiosam  verborum  collocationem  attendamus:  ueque 
enim  poeta  dixit  'retro  dare  lintea  certura  est'  quasi  vellent  illi  retro  (ad 
Scyllam  atque  Charybdim)  referri;  sed  decretum  eorum  verbis  'dare  lintea' 
continetur,  iliud  'retro'  —  quod  res  ipsa  efficit  —  addit  poeta  vel  Aeneas  iam 
respiciens  ea  quae  in  tempore  accidisse  continuo  narraturus  est  (ecce  autem 
Boreas  ab  sede  Pelori  missus  adest). 

^)  Ortygiam  appellit. 

'')  Versum  a  Lachmanno  (in  Comm.  Lucr.  pg.  326)  optime  defensum  recte 
omnino  interpretantur  Ladewig  et  Schaper;  cetemm  ipsam  Huvii  vocem  huic 
poetae  in  deliciis  fuisse  constat. 

^)  Qualis  sie  depingitur  II  496:  aggeribus  ruptis  cum  spumeus  amuis  exit 
oppositasque  evicit  gurgite  moles,  fertur  in  arva  furons  cumuio  campos(|ue  per 
omnes  cum  stabulis  armenta  truliit. 


De  Properti  Vergilique  libros  componentium  artificiis.  287 

At  de  uno  versu  595  ab  Hauptii  auctoritate  audemus  discedere. 
Nam  tradit  Aeneas  prima  luce  subito  e  silvis  macie  confectam 
suprema  ignoti  novam  fonnam  viri  miserandamque  ciiltu  processisse 
supplicemque  manus  ad  litora  tetendisse.  Quo  facto  Aeneas  sociique 
eius  respiciunt:  iam  cernunt  appropinquantis  hominis')  diram 
illuviem  immissamque  barbam,  consertum  tegumen  spinis.  Atque, 
si  codicibus  fidem  habemus,  iidem  videntur  cernere  eum  cetera 
Graium  esse.  Quae  igitur  esse  putamus  haec  cetera?  Nam 
corporis  vestisque  habitus  atque  cultus  modo  descripti  sunt. 
Dicit  Servius:  habet  enim  unaquaeque  gens  incessum  et  vocem 
propriam.  At  vocem  ille  nondum  emiserat;  nee  poeta  si  incessu 
ipso  gentes  tantum  differre  putasset,  ut  Graios  incedentes  a  ceteris 
nationibus  internoscere  possent  cum  alii  tum  Troiani  saepissime 
cum  Graecis  congressi,  aut  paulo  supra  dixisset  'ignoti  novam  for- 
mam  viri  processisse'  aut  hie 'cetera'  potius  dixisset  quam ' incessu 
Graium'.  An,  si  volebat  hominem  antequam  verba  facere  inciperet 
Graecum  agnosci,  quicquam  magis  intererat  quam  declarari,  qua 
ex  re  ignotum  illum  tarnen  novisse  dicerentur  Troiani?  Quid? 
Poeta  nonne  et  formam  eius  et  os  ita  descripsit,  ut  appareat  nee 
coloris  criniumve  nee  membrorum")  ullo  indicio  cognosci  potuisse, 
quis  sit  aut  cuius  nationis?  Vestitu  autem  ipso  nosci  posse  eum, 
cui  ad  corpus  tegendum  supersunt  panni  spinis  conserti,  unus, 
opinor,  credidit  Brosinius"). 

Perspicuum  igitur  est  fallaci  specie  inductos*)  nos  haec  verba 
'at  cetera  Graius'  rettulisse  ad  illud  ' respicimus ',  nee  iam  exponi, 
quid  respicientes  illi  viderint,  sed  reginae  narrari  ab  Aenea  ea 
quae  postea  Troiani  cognoverunt.  Ergo  post  illud  'spinis'  puncto 
opus  est;  insequentium  autem  verborum  haec  fere  videtur  esse 
sententia:  ceterum  (omissis  eis  quae  de  habitu  cultuque  viri  quales 
tum  erant  modo  dicta  sunt)  ipse  Graius  erat  ^).    Cum  quibus  verbis 


^)  Qui  procul  forma  viri  potius  quam  vir  dicendus  esse  videbatur. 

2)  Cf.  IV  558  sq. 

^)  Dixit  enim:  'doch  erkannte  man  selbst  in  diesem  entstellenden  Aufzuge, 
schon  an  dem  Schnitt  seiner  Lumpen,  den  Griechen'. 

*)  Nee  tamen  ulla  nostra  culpa:  quippe  praebebat  eam  speciem  oratio 
verbis  'at  cetera'  continuata. 

'•')  At  ea  quae  j)raecedunt  supplenda  sunt  verbo  est. 


288  Heinrich  Belling, 

apte  coniungendus  est  versus  ille  595:  'et  quondam  patriis  ad  Troiam 
missus  in  armis'.  Haec  vero  verba  offensiones  habent  iion  minores. 
Ac  primum  quidem  mihi  displicet  coniunctio  illa,  quae  per  parti- 
culam  et  fit  inter  enuntiata  'Graius  erat'  et  'missus  erat'.  Deinde, 
quia  Graius  homo  cum  Grais  armis  ad  bellum  profectus  esse  in- 
epte  dicitur,  'patria  arma'  cogimur  interpretari  'patris  arma',  ut 
a  patre  missus  esse  dicatur').  Verum  ne  haec  quidem  interpre- 
tatio  oifensione  caret.  Nam  hoc  quidem  loco  apte  potuit  ostendi 
eum  ad  Troiam  militasse:  quo  utrum  missus  sit  a  patre  velut 
Sinon  ille  cuius  verba  sunt  (II  87)  '  me  pauper  ^)  in  arma  p9,ter 
primis  huc  misit  ab  annis',  an  a  matre  velut  Helenor  ille  'quem 
serva  Licymnia  furtim  sustulerat  vetitisque  ad  Troiam  miserat 
armis'  (IX  544),  an  a  quolibet  alio,  ad  praeparanda  ea  quae  de 
terrore  Achaemenidis  narraturus  est  Aeneas  nihil  refert.  Tum 
collato  versu  quem  modo  laudavi  (IX  544)  non  credo  ipsum  Yer- 
gilium,  ut  praepositione  inutiliter  ne  dicam  perperam  adiecta  versum 
expleret,  hie  dicturum  fuisse  'in  armis  missus';  dixisset  ipse,  ni 
fallor,  aut  'patriis  missus  armis'  aut  'in  arma  missus  a  parente'. 

Hunc  ergo  versum  a  Vergilio  esse  abiudicandum^)  recte  viri 
docti  suspicati  sunt*);  nee  tamen  mirum,  quod  suspicionem  non 
Omnibus  probaverunt:  nam  latebat  probabilis  interpolandi  causa. 
Quam  perspecta  illa  coniunctione  quae  huic  versui  est  cum  altera 
eius  qui  antecedit  parte  videmur  invenisse.  Nam  a  Vergilio  scripta 
esse  iudicamus  haec: 

590  cum  subito  e  silvis  macie  confecta  suprema 
ignoti  nova  forma  viri  miserandaque  cultu 


1)  Vel  hinc  perspicitur  parum  recte  dixisse  Wagnerum  ex  hoc  versu  in- 
tellegi  demum,  quae  sit  vis  verborum  Dardanios  habitus  et  Troia  arma. 

^)  Cf.  illa  quae  dicit  Achaemenides  v.  G15:  'Troiam  genitore  paupere 
profectus '. 

2)  Neque  enira  polest  fieri,  ut  emendando  illae  offensiones  tollantur.  Ar 
Peerlkampi  quidem  coniectura  minus  etiaui  i)lacet  quam  id  quod  scriptum  est; 
nam  quis  credat  arma  et  ab  illo  sie  erraute  gestata  neque  a  Troiauis  statim 
Visa  atque  cognita  esse? 

*)  Interpolator  memor  versuum  614sq.  (Troiam  genitore  paupere  protoctus) 
hunc  deprompsit  partim  ex  II  87  (nie  pauper  in  arma  pater  misit)  [)artim  ex 
IX  544  (vetitis  ad  Troiam  miserat  armis). 


De  Properti  Vergilique  libros  componentiura  artificiis.  289 

procedit  supplexque  manus  ad  litora  tendit. 

respicimus:  dira  illuvies  immissaque  barba, 
594  consertum  tegumen  spinis. 
596  isque  ubi  Dardanios  habitus  et  Troia  vidit 

arma  procul,  paullum  aspectu  conterritus  haesit 

continuitque  gradum,  mox  sese  ad  litora  praeceps 

cum  fletu  precibusque  tulit  e.  q.  s. 

Itaque  a  versu  596  Vergilius  ita  facit  narrantem  Aeneam,  ut  nou 
referat  tautum  ea  quae  tum  illi  vel  viderunt  vel  cognoverunt,  sed 
eorum  quae  facta  tradit  causam  postea  perspectam  illico  adiciat, 
id  quod  ipsi  res  enarrantes  solent  facere  scriptores ').  Atque  cum 
rei  actae  enarratio  quasi  constiterit  versibus  593  sq.  (quibus,  quae 
adumbrata  sunt,  accuratius  depinguntur),  poeta  ad  ea,  quae  versu 
592  facta  docuit,  persequenda  redit  pronomine  usus  particulaque 
iisdem  atque  IV  203  (quo  versu  ^)  redit  ad  v.  197)  et  V  708  (quo 
versu*)  redit  ad  v.  705)*).  Digressiones  vero  et  interpositiones 
saepe  a  Vergilio  hemistichiis  finiri  docuimus  in  illo  libro  (vide 
pg.  247);  e  quibus  locis  simillimi  huic  videntur  II  66  (verba 
'namque  ut'  respiciunt  ad  v.  64).  346  (verba  'quos  ubi' 
respiciunt  ad  vv.  339 — 341);  III  218  (verba  'huc  ubi'  respiciunt 
ad  vv.  209— 213).  661  Cpostquam'  respicit  ad  v.657);  VII  760 
(verba  ibat  et'  respiciunt  ad  vv.  750 — 752).  Interpolator  autem, 
cuius  verba  sunt  'at  cetera  Graius  et  quondam  patriis  ad  Troiam 
missus  in  armis'^),  hie  quoque  id  potissimum  egit,  ut  versum  si 
posset  expleret;  quo  studio  interpolatores  ^)  saepius  vel  abreptos  vel 

0  Similiter  poeta  III  53 — 55  Aeneam  de  Polymestoris  facinore  dicentem 
facit  ea,  quae  ille  ueque  ex  Polydori  verbis  neque  aliuude  comperta  habere 
possit. 

^)  'Isque  ameus  animi  et  nimore  accensus  amaro'.  Vide  quae  exposui  iu 
illius  libelli  pg.  207. 

^)  'Isque  bis  Aenean  solatus  vocibus  infit'. 

■*)  Cf.  etiam  VI  684  ("isque  ubi  teudentem  adversuin  per  gramina  vidit'). 

^)  Ne  apud  Ovidium  quidein  haec  imitautem  atque  exscribentem  (metam.  XIV) 
eorum  verborum  vestigium  apparet. 

^)  Dubito  utrum  plures  fuisse  dicam  an  unum ;  nara  complures  eins  generis 
juterpolationes  ab  eodem  repetendas  videri  ostendi  in  illo  libro  (pgg.  140. 
144  sqq.  153.  158.  183).     Ceterum  cf.  quae  dixi  supra  pg.  284. 

Festschrift   VaUleu.  ^" 


290  Heiinich  Bellinjr, 

coactos  esse,  ut  etiam  addereut  versiim'),  demonstratur  versibus 
187.711.756.  IH)07.  IV  344.  387.  VlII  14.  XI  171. 822.^)  Quam- 
quam  haud  scio  an  ad  sententiae . explendae  necessitatem  accesseiit 
alia  causa  levior  illa  quidem  sed  nisi  fallor  alihi  quoque  supponenda: 
de  qua  vide  quae  infra  dicam. 

Quoniam  duos  huius  libri  versus  spurios  habendos  esse  vidimus 
nee  perlustrantes  librum  quicquam  offendimus,  quo  eum  a  poeta 
non  satis  perfectum*)  probetur,  quaeramus,  qua  ratione  res  dis- 
positae  esse  videantur:  cui  rei  Vergilium  diligentissime  operaui 
dedisse  in  illo  libello  exponere  atque  demonstrare  conati  sumus. 
Atque  totum  opus  constare  ex  bis  senis  libris  nemo  ignorat*). 
Priorum  autem  sex  altera  pars  (I — III)  ea  continet  quae  facta  sunt 
ab  expugnatione  Troiae  urbis  usque  ad  Troianorum  in  Africam 
adventum,  quorum  in  Italiam  appulsu  altera  pars  (IV — VI)  ter- 
minatur.  Nee  non  e  bis  ternis  libris  composita  est  hexas  secunda, 
cui  praefatur  poeta  versibus  VII  37 — 45:  nani  priore  triade 
(VII — IX)  cum  exponatur,    quis  Latio  antiquo  fuerit  Status,    quae 

')  Hoc  quidem  loco  quod  suscepto  negotio  satis  non  habuit  scribere 
respicimus :  dira  illuvies  immissaque  barba, 
conseitum  tegumen  spinis.  at  cetera  Graius. 
isque  ubi  e.  q.  s. 
sed  addidit  expressitque  ut  potuit   illam    sententiam    'ad    Troiain    pugnaverat' 
facile  opinor  ignoscimus  spectantes,  quam  inficete  alterum  huius  libri  heinisti- 
chium  (v.  661)  expletum  esse  appareat  verbis  illis    'de    collo    listula    i»endet'; 
ubi  qui  aliquid  tale  addere  constituerat  pergere  debebat. 

^  De  quibus  vide  quae  exposui  in  illo  libello. 

^)  Nam  ne  unum  quidem  Aeneidis  librum  absolutum  atque  perpolitura  esse 
perperam  opinantur  plerique,  et  parum  recto  de  hemistichiis  relictis  iudicio 
praeoccupati  et  illud  nescio  quo  pacto  neglegentes,  quod  ipsum  poetara  non- 
nullos  libros  principis  auribus  dignos  iudicasse  constat.  Quod  vero  ille  uu- 
decim  annis  in  Aeneide  conficienda  consumptis  nondum  opus  ad  umbilicum 
adduxisse  sibi  quidem  visus  est  triennioque  continuo  emendaturus  fuit  ac  non 
solum,  si  quid  sibi  accidisset,  comburi  Aeneida  iussit  verum  etiam  ipse  fuit 
crematurus,  haud  scio  an  non  tarn  referendum  sit  ad  imperfectum  aliquarum 
partium  statum  quam  ad  singularem  illam  Vergili  verecundiam  summamqiie 
quam  de  operis  principe  auctore  suscepti  magnitudine  atque  gravitate  con- 
ceptam  mente  habuit  opinionem,  quarum  rerum  ipse  est  locupletissimus  auctor 
epistula  illa  in  qua  haec  eum  accepimus  scripsisse:  'tanta  incohata  res  est  ut 
paene  vitio  mentis  tantum  opus  ingressus  mihi  videar'. 

••)  Cf.  quae  dixit  Ribbeckius  in  poesis  Roraauae  bist,  (II  pg.  71). 


De  J*roperti  Yergilique  libros  coinponentium  artificiis.  291 

maiius  sub  arma  coactae  siut,  primaeque  revocentur  exordia  pagnae, 
quasi  praeparantur  ad  certamen  omnia  et  res  ad  ipsiini  discrimen 
perducitur;  tum  (X — XII)  Aenea  ipso  duce  decertatur,  cuius  rei 
descriptio  cum  deorum  illo  concilio  incohetur  atque  instäuretur 
satis  graiidi  exordio  distinguitur ').  lam  vero  non  est  veri  dissimile 
eadem  qua  in  toto  opere  arte  eademque  diligentia  Vergilium 
usum  in  singulis  libris.  E  quibus  alios,  cum  res  ea  morum  facto- 
rumque  explicandorum  arte  eaque  locorum  varietate  illustratas 
atque  ordinatas  exhibeant  qua  in  scaena  aguntur  fabulae,  arti- 
ficiosius  variae  compositionis  Schema  praebere")  consentaneum  est; 
alios,  cum  epicae  orationis  more  res  gestas  narrare  pergerent,  minus 
artificiose  componi  oportuit,  Atque  ex  hoc  quidem  genere  secundum 
librum  esse  constat');  quocum  cohaerens  tertius  qua  ratioue  compo- 
situs  videatur  esse,  iam  iuvat  cognoscere. 

Exordio  igitur  facto  (vv.  1 — 12)  dicit  Aeneas  Troianos,  cum  in 
Thracia  considere  statuissent  (13 — 18),  monstris  territos  atque 
Polydori  voce  monitos  (19 — 46)  scelerata  terra  excedere  statuisse 
(47 — 68)*).  Cum  hac  libri  particula  prima  cohaeret  altera,  qua 
traditur  illos,  cum  auspice  Apolline  IJelio  Cretani  petendam  constitu- 
issent,  ibi  quoque  prohibitos  esse  considere.  In  ea  autem  particula 
(\  V.  69  sqq.)  primo  referuntur  et  Troianorum  in  Delum  insulam 
adventus  et  Phoebi  oraculum  versibus  bis  quinis  denis  (69 — 8B. 
84 — 98)"),  deinde  et  Anchisae  interpretatio  oraculi  et  eius  interpreta- 
menti  obsequium  versibus  bis  vicenis  binis  (99 — 120.  121 — 142)*). 

0  Kam  rerum  in  libris  disponeiidarura  rationem  Vergilium  didicisse  puto 
al)  Kunio;   de   quo  vide  quae  exposuit  Vahlenus  loco  supra  (pg.  270)  laudato. 

-)  (ijuod  cadere  in  libros  I  et  IV  demonstravinius  in  illius  libelli  pgg.  174.  243. 

^)  \ide  illius  libelli  pg.  195. 

••)  Itaque  exordio  separate  videntur  esse  versus  6  -{-  (22+6)  -+-  22.  Ac  media 
(juidem  pars  (vv.  19 — 46)  symmetriae  quae  dicitur  speciem  praebet-,  nam  sunt 
versus  3  +  2  +  3,  deinde  4  +  3  +  3  et  4 +  (3 +  3).  Sequuntur  (vv.  47  sqq.) 
2  +  (4  +  7)  +  2  et  7. 

'")  Uli  (piindecim  sunt  (4  +  5)  +  6,  hi  6  +  (4  +  5). 

^)  Uli  viginti  duo  sie  conficiuntur,  ut  singulis  triadibus  quibus  incipitur  et 
concluditur  oratio  (vv.  99—101.  118—120)  seiunctis  sint  2 :  (3  +  4  +  3) :  (2  +  2); 
hi  autem  (121— 142)  sunt  bis  undeni,  scilicet  3 +  (4 +  4)  et  3 +  (5 +  3):  nam 
cum  priore  tetrade  (vv.  124 — 127)  describatur  cursus  qui  fuit  per  Cyclades  in- 
sulas,  posteriore  (sunt  item  versus  bis  bini)  qiii  fuit  per  pelagi  alta  ad  Cretani, 
mm  est  quod  versuum  ordinem  mutemus. 

19* 


292  Heinrich  lielling, 

lam  vero  ex  ipsa  rerum  condicione  cognoscitur  his  duabus 
particulis  coniunctis  effici  libri  partem  primam;  quae  coniunctio 
ea  quoque  re  probatiir,  qiiod  versus  143  — 14(),  quibus  concluditur 
haec  pars,  spectant  ad  exordii  illius  versum  7 :  nam  Troiani  post- 
quam  duo  exsilia  quaesiverunt  etiamnunc  incerti  sunt,  quo  fata 
ferant,  ubi  sistere  detur. 

Considere  bis  frustra  conati  iam  altera  libri  parte  de  sedibus  fato 
datis  errorumque  fine  paulo  certius  edocentur  et  a  penatibus  et  ab  ITar- 
pyia.  Eius  partis  particulam  priorem  exorditur  poeta  versibus  147 — 
153  ');  deinde  ipsum  penatium  vaticinium  continetur  bis  novenis  (154 
— 171)^);  sequuntur  bis  deni  (172 — 191)^).  Minus  facile  perspicitur, 
quae  sit  compositio  alterius  particulae  (vv.  192 sqq.):  in  qua  videntur 
comprehendendi  esse  primo  versus  192 — 224,  quibus  describuntur 
Troianorum  per  lonium  mare  cursus  et  ad  Strophades  insulas  ad- 
ventus  ■•) ;  deinde  harpyiarum  incursio  et  Celaenus  vaticinium  expli- 
cantur  versibus  bis  senis  denis^)  (225—241.  242 — 257)");  sequuntur 
versus  bis  deni^)  (258 — 277)*),  quibus  adiunguntur  tredecim') 
(278 — 290),  ut  hie  quoque  numerentur  triginta  tres'°).  Nam  con- 
ferentes  hos  versus  289  sq.  cum  illis  quibus  prior  particula  termi- 


»)  Sunt  14-5  +  1. 

2)  Sunt  2  +  5+2  et  2  (2) :  2  +  3. 

s)  Sunt  (4  +  4)  +  2  et  (2  :  2  +  2  :  2)  +  2. 

•*)  Itaque  hi  triginta  tres  versus  di\iduntur  in  septendecim  (192 — 208)  et 
sedecim  (209—224);  illi  autem  sunt  (4 +  4) +  3  et  (2 +  2) +  2,  hi  constant 
ex  duabus  pentadihus  quae  hemistichio  (v.  218)  finiuntur  dual)us(iue  triadibus. 

^)  Addito  versu  230,  quem  spurium  iudicavimus,  item  facti  sunt  septen- 
decim et  sedecim;  de  qua  re  vide  quae  infra  dicam. 

6)  Illi  sedecim  sunt  4  +  (2  +  4)  +  (2  +  4),  hi  (3  +  2)  +  (3+  3) :  (2  +  3). 

^)  Cum  et  socii  et  Anchises  omen  expiare  studeant,  prior  decas  e  bis  qui- 
nis  versibus  conficitur;  posterior,  qua  loca  in  itinere  deinceps  apparentia 
nominautur,  non  minus  apte  e  versibus  2  +  (2  +  2)  +  (2  +  2). 

*)  Itaque  hoc  verbum  dixit  (v.  258)  ad  aliud  comma  pertinet  atcpie  illa 
'rumpit  hanc  pectore  vocem'  (v.  24G);  de  (jua  re  vide  (juae  contuli  in  illius 
libelli  indice  (pg.  246). 

**)  Sunt  3  +  3  et  2  +  3  +  2,  quo  comniate  agitur  de  Troianis  Aetii  hic- 
mantibus. 

'<>)  Nescio  an  haec  numerorum  ratio  contulerit  alicjuid  ad  inserendum 
mediae  parti  versum  230:  certe  non  deesse  locus,  quibus  ad  eam  ooniecturaiu 
confugiendum  videatur,  ostendi  in  illius  libelli  |tgg.  149.  172.  184.  204.  20G.  211. 


De  Properti  Vergiliqiie  libros  componentium  artificiis.  293 

natur  (190  sq.)    cogiioscimus  eos  qui  sequimtur  291 — 293  ita  esse 
adiectos,  ut  transitum  facerent  ad  tertiana  libri  partem. 

Tertia  autem  parte  complectimur  ea  qiiae  Biithroti  versantibus 
Troianis  fiiint.  Ac  de  priore  quidem  particula  (vv.  294 — 355),  qua 
Aeneas  ad  Heleni  Andromachaeque  iirbem  devertens  inducitur '), 
in  libello  iiostro  (pgg.  121 — 123)  satis  videmur  exposuisse.  Altera 
vero  particula,  ut  accuratissime  iam  certior  fiat  Aeneas  de  cursu 
futuro  fatisque,  Heleni  efficitur  vaticinio,  quo  facto  digrediuntur 
amici.  Sed  de  versuum  356  sqq.  dispositione  pluribus  verbis  est 
disputandum.  Atque  quae  ex  Helene  definite  quaesivit  Aeneas 
(vv.  367  sq.),  ad  ea  vates  a  versu  410  demum  videtur  respondere; 
nam  dicit  quae  prima  pericula  vitanda  sint  Aeneae  (410 — 432), 
praeterea  monet  quid  sequens  possit  superare  labores  scilicet  vene- 
rando  lunonem  et  Sibyllam  (433  sqq.).  In  priore  autem  orationis 
parte  Helenus  respiciens  ad  ea,  quae  de  Italia  petenda  harpyiaeque 
prodigio  Aeneas  interposuit  (362 — 367),  de  cursu  usque  ad  urbis 
datae  locum  tenendo  omnino  agit.  Iam  cum  ei  versus  duo- 
deviginti  quibus  instituitur  sermo  (356 — 373)  non  prodant  sym- 
metriam"),  prior  illa  vaticinii  pars  (374 — 409)  ex  versibus  tri- 
ginta  sex  sie  composita  est: 

(3+4):  (3 +  4) -1-8  + (3+4) +  (3+2: 2); 
quam  rationem  consilio  atque  arte  poetam  confecisse  vel  inde 
cognoscimus,  quod  post  octadem  quae  medium  locum  obtinet  eo, 
unde  digressus  signa  urbis  tuta  terra  componendae  dixit,  ita  redit, 
ut  septeni  versus  381 — 387  et  396—402  rerum  necessitudine  inter 
se  respondeant.  Eodem  modo  in  altera  orationis  parte  respondent 
quateini  versus  410 — 413  et  429 — 432,  inter  quos  interpositi  sunt 
ei  quibus  illud  consilium  probatur^).  Sequuntur  bis  quaterni  de 
lunone  adoranda  versus  (433 — 440);  tum  quattuor  (441—444)  de 


')  Poeta  non  soluin  id  agit,  ut  Aeneas  conatu  bis  i-epulsus  alterius  Troiae 
hie  conditae  exeaiplo  confirniari  videatiir,  sed  etiam,  tit  Odysseae  Homericae 
artem  (cf.  libros  y  et  o)  imitatus  cum  de  aliorum  qui  Troiano  bello  inter- 
fuerant  fortuna  tum  de  ipsius  liectoreae  (cf.  11  270sq(j.)  coniugis  condicione 
edocendo  lectorem  delectot.  Eodem  consilio  infra  Achaemenidem  inducit  de 
L'lixe  et  Polypherao  narrantem. 

-)  Nam  sunt  3  ;  3  -j-  (3  -f-  4) :  5. 

3)  Sunt  6  +  (4  +  5). 


294  Heiurich  Belliug, 

8ibylla  adeimda,  quam  non  foliis  notas  describentem  sed  ipsam 
fata  orantem  vaticinari  oportet:  quae  res  bis  octonis  versibus') 
exponitur  (445 — 460).  Itaque  cum  plura  de  eis  quae  ex  Heleno 
quaesivit  Aeneas  (v.  368)  ab  illa  sint  petenda,  peroratio  (vv.  461  sq.) 
ad  exordii  sententiam  (377 — 380)  apte  redit.  Sequitur  ut  xeniis 
acceptis  Troiani  valere  iubeantur  (463 — 505);  qua  in  re  enar- 
randa  casu  factum  esse,  ut  decem  versibus  (472 — 481)')  Helenus 
Anchisen,  decem  (482 — 491)^)  Andromache  Ascanium  salvere 
iuberet,  equidem  non  arbitror,  quamquam  nee  in  ea  quae  antecedit 
(vv.  463—469.  471.  470)  *)  Heleni  donorum  ennmeratione  nee  in 
eis  quae  sequuntur  Aeneae  verbis  (492—505)*)  quicquam  aequale 
indagamus. 

Restat  quarta  libri  pars;  cuius  particula  priore  (vv.  506 sqq.) 
cognoscimus  Troianos  a  Cerauniis  montibus  transvectos  Italiam 
salutasse,  ad  Veneris  portum  appulisse  ubi  visum  primum  omen 
interpretatur  Anchises,  inde  Magnam  Graeciam  praetervectos  eilu- 
gisse  Scyllam  atque  Charybdim.  Itaque  invenimus  versus  primo 
bis  duodenos  (506 — 529)^),  deinde  bis  novenos  (530 — 547)^), 
postremo  bis  denos  (548—567)**).  Eadem  diligentia  confecta  est 
altera  particula  (vv.  568  sqq.),  qua  Sicilienses  res  continentur.  Nam 
cum  prope  Aetnam  montem  egressi  sint  Troiani,  eius  ignes  depin- 
guntur  versibus  bis  denis  (568 — 587)").  Luce  orta  Achaemenides^'^) 
supplex  eos  adit  (588 — 611),  quae  res  enarratur  versibus  Septem") 

0  Sunt  3  -}-  (2  -l-  3)  et  (3  +  2)  4-  3 ;  iiain  versus  456  S(i.  coniungendi  sunt, 
quod  oraculi  vox  ab  oraudo  dicta  explauatur  Ulis  verbis  'ipsa  canat  vocemque 
atque  ora  resolvat'. 

-')  Sunt  2  +  3:3  +  2;  nam  iuter  se  respondent  versus  472 sq.  (fieret  vcntü 
mora  ne  qua  ferenti)  el  480sq.  (quid  fando  surgentes  doiiioror  aiisfros). 

3;  Sunt  4  +  4:2. 

*)  Sunt  7  +  2;  ordinem  versimm  mutaudnni  esse  deiiKui^traviiim^  in  illins 
libelli  pgg.  125 sq. 

f")  Sunt  1 :  (2  +  5)  +  6. 

«)  Sunt  (3  +  3)  +  (3  +  3)  et  (3  +  4)  +  (3  +  2). 

0  Utraque  enneas  ex  2  +  5  +  2  versibus  constat. 

*)  Utraque  decas  ex  (3  +  3)  +  4  versibus  constat. 

")  Uli  decem  sunt  (2  +  2)  +  (3  +  3),  quae  triades  ab  eodem  vocabulo 
'interdum'  incipiunt;  hi  (3 +  2) +  (2 +  3). 

^0)  Euni  qtia  de  causa  iiiduxerit  poeta,  supia  dixi  (pg.  293  n.  1). 

")  Sunt  2  +  3+2. 


De  Properti  Vergilique  libros  coraponentium  artificiis.  295 


et  bis')  octonis').  Sequitur  eius  oratio  (612— 654) ');  quae  quanta 
arte  composita  sit,  numeris  sub  conspectiira  propositis  demonstrare 
placet:  ultro  enim  apparet  sententiarum  seriem  persequenti  esse 
versus 

4,     6  +  6    (11)     6-1-6,    4. 

1+3  1+5  2+4        4+2 

Itaqiie  et  prooemii  et  conclusionis  loco  quaterni  versus  sunt; 
medium  locum  obtinet  illa  de  terebrato  Polyphemi  oculo  narratio; 
utrimque  interponuntui-  versus  duodeni:  illis  Cyclopis  habitus  et 
victus  describuntur,  bis  Troianos  ille  admonet  ut  Cyclopura  vim 
similemque  suae  fortunam  eftugere  properent.  Nee  sine  causa  illum 
timere  continuo  apparet  (vv.  655  sqq.)  *)•  Nam  cum  accedat  Poly- 
phemus  (655 — 665)  atque  ceteros  Cyclopes  convocet  (666 — 676), 
aufugere  quocumque  ventus  ferat  Troiani  decernunt  (677 — 686), 
Sunt  igitur  versus  bis  undeni*)  et  decem®).  Postremo  describitur 
cursus  oram  Siciliae  legentium  (687 — 718)^).  Atque  cum  seiun- 
gendi  sint  versus  707  sqq.,  quibus  Anchisae  mors  narratur*),  relin- 
quuntur  687 — 706,    qui   ex  duabus  decadibus^)  videntur  constare. 

lam  vero  totius  libri  dispositionem  spectemus.  Quam  ex 
locorum  pererratorum  situ  atque  ordine  constituere  res  ipsa  coegit; 
mim  adeunt  Troiani  e  Thracia  profecti  Cretam  Strophades  insulas, 
Epirum  Siciliam;  quibus  quattuor  regionibus  totidem  libri  partes 
respondent.     Nee    tamen    eas    partes    separare    satis  habuit  poeta; 


')  Addito  ad  aiitecedentem  descriptionem  versu  595,  quem  nos  spurium 
iudicavimus,  ter  octoni  efficiuntur:  quae  res  haud  scio  an  ipsa  quoque  adduxerit 
interpolatorem,  ut  non  solum  expleret  hemistichium  quo  poeta  primum  comma 
finierat,  sed  etiam  ipse  addere  auderet  versum :  cf.  quae  dixi  supra  pg.  292  n.  10. 

-)  Uli  octo  synaphia  coniiincti,  lii  (604 — 611)  sunt  3  +  (3  H- 2). 

^)  Sunt  versus  (luadraginta  tres,  totidem  fuerunt  568 — 611;  quod  utrum 
casu  an  consilio  factum  sit  equidem  dubito. 

*)  Haec  verba  Wix  ea  fatus  erat'  (v.  655)  ad  aliud  comma  pertinent  atque 
illa  'haec  fatur'  (v.  612):  cf.  quae  dixi  supra  pg.  292  n.  8. 

5)  Uli  undecim  sunt  4  +  3  +  4,  hi  3 +  (3 +  3) +  2. 

6)  Sunt  5  +  (2  +  3). 

^)  Sunt  versus  triginta  duo,-  totidem  fuerunt  655 — 686:  quod  casu  factum 
non  crediderim:  cf.  quae  dixi  supra  (n.  3). 
«)  Sunt  5  +  2  +  2  et  3. 
■')  lila  conficitur  (3  +  2)  +  5  versibus,  haec  2  +  4  +  4. 


296  Heinrich  Bellinn,  De  l'roperti  Vergiliciue  libros  componentiuin  artificiis. 

qui  quanto  artificio  librum  constnixerit,  apparebit  proposito  totiiis 
libri  conspectu  hoc^): 

II    ;v.  1—12:  13— 68            Thracia    \  i    GS 

2    :v.  69-142:  143-146     Creta        /  '"•  Aegaeum  146  j    ^g 

II  1    :v.  147— 191                     penates    1  i    45 

2    :  V.  192-290  :  091-293  harpyiae  j  '°-  ^°°"™  ^*^  \  101 2) 

III  1  :  V.  294—355  adventus  -|  /  62 
2«:v.  356— 462  Helcnus  |  Epirus  212  |  (107 
26:v.  463— 505                     digressus  J  [  ^'^^  \    43 

IV  1    :  V.  506—567                     traiectio            ■»  /              62 
2«:v.  568— 654                     Achaemenides  |  Sicilia  212  |     ^     f    86=") 
2*:v.  655— 715:716— 718   profectio          i  l  ^''^'^  \    64 

Talern  vero  structurae  aequabilitatem  nee  sua  sponte  oriri*) 
nee  sine  magno  diuturnoque  labore  effici^)  apparet*^).  Simillima 
autem  ratione  priorem  hiiius  apologi  partem  constnietam  esse 
demonstravi  in  illius  libelli  pg.  195.  Qua  similitudine  conflrmari 
etiam  videtur  et  eos  errare  qni  plures  huius  libri  versus  a  Vergilio 
abiudieare  ausi  sunt  et  eos  qui  hunc  librum  a  poeta  aliquo  modo 
absolutum  esse  negaverunt.  Verum  utut  haec  res  se  habet,  uiiiversa 
certe  libri  compositio  magno  est  documento  Vergilianae  diligentiae 
atque  assiduitatis. 

^)  Notis  I.  II  cet.  partes  libri  significo,  uotis  1.  2  illarum  particulas:  tum 
versiium  numeri  indicantur,  in  dextra  autem  parte  eorum  versuum  summae 
conficiuntur. 

2)  Spurius  V.  230. 

^)  Spurius  V.  595. 

*)  Esse  aliquod  aequabilitatis  studiura  ne  poterit  quidem  negare,  si  quis 
aut  de  Y.  230  aut  de  v.  595  aut  de  utroque  nobiscum  non  consentiat.  Ceterum 
illo  partium  aequabilitatis  studio  fortasse  est  factum,  ut  commatum  symmetria 
poeta  liic  illic  non  posset  uti. 

•'')  Ne  in  hoc  quidem  libro  desunt  loci  quibus  poetam  secundis  curis  ali- 
quid addidisse  facile  conicias. 

^)  Mira  sane  nobis  videtur  ea  quam  inveuimus  poetae  epicura  carmen  con- 
dentis  ratio,  quae  quin  antiquis  etiam  temporibns  fugerit  lectores  dubium  non 
est,  At  cum  graramaticos  antiquos  ad  eam  animum  advcrtisse  est  qnod  su- 
spicemur  (vide  quae  diximus  supra  pg.  292  u.  10  et  pg.  295  n.  1)  tum  Probum 
id  quoque  genus  artificia  notis  significasse  ex  indiciis  satis  certis  colligimus 
(vide  quae  disseruit  Ribbeckius  in  Proleg.  pg.  157).  Ab  eis  autem  gramma- 
ticis  Graecis  qui  omnem  illarum  notarum  usum  feruntur  invenisse  prope  vi- 
dentur  abesse  ei  poetae  Graeci  quorum  operibus  illam  compouendi  artem  tra- 
ditam  esse  putandum  est. 


XVII. 
Karl  Brandt. 

De  Horatii  studiis  Bacchylideis. 


Olympicum  pulverem  et  laborem  Isthmium  cum  Yenusinus 
poeta  commemoret  et  nobilissimum  praeconem  laudis  Eleae,  Pinda- 
rum,  celebret,  Bacchylidis  nomen  nunquam  apud  Horatium  inve- 
iiimus.  Fit  sane  mentio  Ceae  neniae  in  c.  II  1,  38,  sed  procul 
dubio  bis  verbis  Simonidis  lugubres  cantus  significantur,  cuius 
Üpr^vou?  praecipuam  in  commovenda  miseratione  virtutem  liabuisse 
(^uintilianus,  inst.  orat.  X  1,  64,  memoriae  prodit,  cum  Bacchylides, 
cuius  STTi'vtxoi,  oi(>upa[jißoi,  ufxvoi,  iraiavec,  TrpoaoSioc,  uTrop/Tjp-axa,  sptutixa 
laudantur,  illius  generis  carmina  omnino  non  scripserit.  Quem 
autem  eo  loco  Horatius  significat  (c.  IV  9,  7),  ubi  Ceae  Camenae 
occurrunt?  Utrum  Siraonidem  et  Bacchylidem,  ut  Alcaeus  et  Sappho 
intelleguntur,  cum  Lesboum  barbiton  et  Aeolium  carmen  comme- 
morantur?  An  solum  Simonidem,  qui  multo  clarior  fuit  Bacchy- 
lide?     Ego  de  hac  re  nihil  pro  certo  afiirmem. 

Quamquam  igitur  huius  poetae  neque  vola  neque  vestigium 
apud  Horatium  exstare  videtur,  tamen  Komanae  iidicen  lyrae, 
quem  constat  exemplaria  Graeca  nocturna  versasse  manu,  versasse 
diurna,  Bacchylidis  quoque  carmina  tarn  bene  memoria  tenebat,  ut 
saepissime  versus  pangeutis  animo  obversarentur;  a  qua  sententia 
neque  Wilamowitzius  (Bacchylides  p,  10  sq.)  neque  Blassius  (B.  c. 
p.  XYP)  magnopere  abhorrere  videtur. 

Ut  quod  dixi  demonstrem,  exordium  capiam  a  luculentissimo 
huius  sententiae  auctore,  Porphyrionem  dico  (ad  c.  I  15,  1),  cuius 
verba  haec  sunt:  '^ Hac  ode  Bacchylidem  imitatur,  nam  ut  die 
Cassandrani  facti  vaticinari  futura  belli  Troiani,  ita  hie  Proteum\ 
Placidus    quoque    (ad  Stat.  Theb.  VII  330)  idem  testatur,    quam- 


300  Karl  lirandt, 

quam  hie  Porphyrionem  fortasse  secutus  est.  Sed  insolenti  quo- 
dam  fortuiiae  ludibrio  factum  est,  ut  in  papyro  carminum  Bacchy- 
lidis  nuper  invento  et  a  Kenyone  edito,  in  quo  e  Blassii  seutentia 
Idam  dithyrambum  KaaaavSpa,  Carmen  ab  Horatio  expressum,  sub- 
sequebatur,  post  undecimum  Idae  versum  reliqua  omnia  desint. 
ünum  fragmentum  idque  dubitanter  Blassius  ad  KaaaavSpav  rettulit: 
[lIo(j£i]oaviov  ü)[?  I  MavT]tv££s  Tpto[3ovTa  /aXxooaiSaXotaiv  iv  \  ddTCtotJv 
cpop£5v[T£?].  Suspicatur  enim  verbum  «>?  praecessisse  ouj(  opä?; 
cuius  generis  nonnulla  apud  Horatium  in  c.  I  15  occurrunt,  velut: 
'  Non  Laertiaden  respicisf  Quae  coniectura  Ottoni  Schroeder  (Berl. 
Philol.  Woch.  1898,  p.  867)  et  Hugoni  Jurenka  (Zeitschr.  f.  ö.  Gymn. 
1898,  p.  984)  non  probata,  si  vera  sit,  copiarum  quaedam  recen- 
sio  vEwv  xaxaXoyo)  similis  Cei  poetae  Carmen  fuisse  videatur.  Jtaque, 
quod  Cassandra  Bacchylidis  paene  tota,  ne  dicam  tota,  periit,  quam- 
quam  dubitari  non  potest,  quin  Horatius  in  c.  I,  15  poetam  Grae- 
cum imitatus  sit,  tarnen  prorsus  incertum  est,  quomodo  id  fecerit. 
De  uno  tantum  verbo  illius  carminis  Horatiani  coniectura  augurari 
audeo.  Si  Sophocles,  cum  tragoediam  deperditam  Wki^avopov  scri- 
beret,  Bacchyiidem,  ut  saepius  (vide  Kenyon,  the  poems  of  B. 
p.  148  sq.),  in  mente  habebat,  ut  Sophocles  in  Alexandro  et 
Horatius  in  c.  I,  15  ex  eodem  fönte,  ex  Bacchylidis  dithyrambo 
Cassandra,  hauserint,  initium  carminis  Latini:  Pastor  cum  traheret 
per  freta  navibun  Jdaeü  Helenam  perßdus  hospitam^  apte  compare- 
tur  cum  Sophoclis  fragmento  81  (Stephanus,  aaiü): 
Botr^pa  vuav  avopas  daxtxa?  .  xi  -jap; 

Ut  enim  apud  Sophoclem  Alexander  expositus  et  inter  pastores 
educatus  ludis  funebribus  vel  urbanos  homines  superat  pugna 
(cfr.  Hygin.  lab.  91),  ita  apud  Horatium  perfidia  et  libidine,  cum 
pastor  freta  marium  temptet,  ut  cupidini  indulgeat. 

Sed  ne  indomito  opinandi  et  coniecturandi  studio  abripiar, 
missum  faciam  id,  quod  deperditum  est,  et  ad  ipsa  carmina  Bacchy- 
lidis me  convertam,  quae  Terra  mater  nuper  Caelo  et  Luci  reddi- 
dit.  Atque  de  Argio  victore  et  de  originibus  Geis,  quas  res  Bacchy- 
lides  primo  carmine  tractat,  apud  Horatium  nihil  legimus  neque 
est  quod  miremur.  Quamquam  de  Minoe  lovis  arcanis  admisso 
(c.  I  28,  9)  eiusque  splendidis  apud  inferos  arbitriis  (c.  IV  7,  21), 
de  Europa  matre  (c.  Hl  27,  25  sqq.),  de  spiculis  Cnosiis  (c.  1  15,  17) 


De  lloratii  studiis  Bacchjiideis.  301 

Quintus  noster  loquitur.  Sed  in  extremo  carmine  Ceus  poeta  in 
eis  sapientiae  praeceptis  totus  versatur,  quae  Horatius  qiioque 
mirum  quantum  adaniavit.  Bacehylides  enini  persuasum  habet 
semperque  habel)it  virtutem  laudabiliorem  esse  divitiis:  oa\ii  xal 
cpocatu  [[xsjyiaxov  ]  xüSo?  bj^s-vj  dpszdv,  tc>.oü|to?  5s  xal  oetKoiaiv  avi>pa)- 
Ttfuv  ofiiXsi.  Sic  Flaccus  quoque  virtutem  pluris  aestimat  quam 
divitias  et  regnum  et  diadema  tutum  propriamque  laurum  a  Phra- 
liate  transfert  ad  liominem  sapientem  et  virtute  ornatum  divitiarum- 
que  contemptorem  (c.  11  2,  17  sqq.).  J)ivites,  ut  Ceus  poeta  dicit, 
ignavi  esse  possunt,  cum  virtute  praediti  ex  sententia  Latini  poetae 
paupertate  assiiefieri  debeant:  ''  Angustam  amice  pauperiem  pati 
Rohustus  acri  militia  puer  Condiscaf  (c.  TU  2,  1  sqq.),  ut  ignavia 
cum  divitiis,  virtus  cum  paupertate  coniuncta  sit.  Deinde  divites 
efferuntur  nimia  sui  aestimatione  (sösXsi  o'  aucsiv  cppsvct;  avSpoc), 
qua  in  re  tractanda  Horatius  (c.  II  10)  omne  Studium  ponit,  cum 
cautam  modestiam  commendet,  summos  montes  saepius  fulguribus 
feriri  dicat,  vento  nimium  secundo  ut  vela  turgida  contral\amus 
moneat.  Sed  si  Bacchylidem  audimus,  virtute  beati  fieri  non 
possumus,  nisi  duae  res  absunt,  morbus  et  egestas,  quo  cum  decreto 
plane  consentit  Quintus  noster.  Cui  hie  non  statim  in  meutern 
veniat  lepidae  illius  cavillationis,  qua  perfectam  virtutis  speciem, 
quam  Stoici  mirifice  amplexantur,  perstringit,  cum  egregiam  sa- 
pientis,  regum  regis,  felicitatem  pituita  perire  affirmet  (epist.  I 
1,  108)?  Verba  autem  -ircV!«;  t'  d[i.o!)(avou  prorsus  expressit,  cum 
de  importuna  pauperie  (III  16,  37)  diceret.  Neque  magis  id,  quod 
praecedit:  tl .  .  .  Ct"£tv  .  .  dir'  o^xetojv  e;(£i,  irpcuTois  ipi'Csw  alienum 
est  ab  Horatio,  qui  satis  beatus  est  unicis  Sabinis  (c.  II,  18,  14) 
et  illum  beatum  praedicat,  qui  suis  bobus  paterna  rura  exerceat, 
solutus  omni  faenore  (epod.  2,  3  sq.).  *Ne  contenti  quidem  sunt 
locupletes,  nam  eodeni  modo  magna  appetunt,  quo  pauperes  si 
non  magna  at  plura':  Tctov  o  t'  a.o'^zhz  t|[x£ip£i  (jtsYdXwv  o  xe 
[i.£i'(i)[v]  I  Trctupoxiptüv.  Quid?  Horatius  quoque  nonne  de  maiorum 
fame  loquitur  et  multa  petentibus  deesse  multa  (c.  III  16)? 
Neque  dulce  est  mortalium  genti  omnibus  rebus  abundare  sine 
labore,  sed  ea,  quae  semper  refugiunt,  semper  sequitur'.  Sic  apud 
Flaccum  vir  ille  ditissimus,  qui  Baus  omnibus  opibus  uti  potuit, 
non  contentus  mari,    Teanum  ferramenta  trausportari  iubet  (epist. 


302  Karl  Brandt, 

I  1,  86).  'Qui  vanis  huiiis  temporis  vitueque  cuiis  movetur,  ei  huius 
vitae  felicitas  tribuitur  (tovos  Xa'/sv  ut  in  evang.  Lucae  XVI,  25: 
otTreXaßec  xa  d^aOa  oou  sv  r()  Cwiq  <3ou),  virtus  autem,  ut  laboriosa, 
ita  immortalis  est  et  aeternam  glorinm  etiam  niortuo  doiiat'.  Ciiius 
seutentiae  pars  posterior  etiani  apud  Latiuuni  poetaiii  oecurrit: 
'^sper?iit  humum  fugiente  penna''  (c.  11 1  2,  24)  et  "^ dignuni  latide 
virum  Musa  vetat  mon"'  (IV  8,  28),  cum  pars  prior,  apud  Hora- 
tium  non  obvia,  pulcherrima  illa  quidem  et  iugeniosissinia,  Chri- 
stianae  doctrinae  profunditatem  attiugat.  Restat,  ut  in  eo  quoque 
poetas  congruere  moneam,  quod  puero  Racxhylides  haec  oninia 
praecipit,  pueris  virginibusque  Horatius  quoque  (c.  III  1  sqq.) 
cantat,  quae  ad  teneras  mentes  formandas  utilia  ei  videbantur. 

Cum  igitur  Horatius  de  sapientiae  praeceptis  plane  cum  hoc 
carmine  consentiat  cumque  constet  eum  ad  exemplaria  Graeca 
animum  suum  et  ingenium  finxisse  et  accommodasse  atque  etiani 
Bacchylidem  imitandum  sibi  proposuisse,  a  veritate  forsitan  non 
valde  aberret,  si  quis  putet  hoc  quoque  carmen  Bacchylidis  Horatio 
placuisse  et  saepius  animo  eins  obversatum  esse.  Itaque  si  Fhaccus 
scripsit:  lllu?n  non  lahor  Isthmius  Clarabit  pugilem  (c.  IV  3,  3  sq.), 
potuit  cogitare  de  hoc  ipso  carmine,  quo  pugilis  victoria  Isthniia 
celebrabatur.  Nam  nullo  alio  aut  Pindari  aut  Bacchylidis  carmine 
talis  victoria  praedicatur  nisi  hoc  Bacchylidis,  quod,  nisi  Blassium 
opinio  fefellit,  inscribebatur:  'lAp^sim  Keuo  r.'xvA  tcuxt-^j  "laöfjita. 

Age  vero  transeamus  ad  carmina  Cei  poetae  III  IV  V  dicata 
Hieroni,  regi  Syracusarum,  qui  axaTixpov  Ai6?  (III  70)  idemque 
toTrXoxwv  fiepo;  Mouaäv  (III  71)  habebat.  Sic  Augustus  quoque, 
quem  Horatius  praedicat,  et  orbem  terrarum  acri  militia  expu- 
gnavit  et  finito  Jabore  Pierio  antro  recreabatur  (c.  III  4,  40).  Omni- 
bus Ulis  Bacchylides  regem  de  acerbissimis  morbi  doloribus  con- 
solatur  allato  Croesi  exemplo  (c.  III),  qui  propter  pietatem  ad 
Hyperboreos  ablatus  sit,  et  Meleagri  Herculisque  (c.  V),  quorum 
exemplo  demonstretur  parte  felicitatis  hominem  contentum  esse 
debere.  Item  Horatius  querellis  Maecenatis  exanimatus  (c.  II  17) 
in  aegroti  amici  animo  novani  spem  excitat. 

Atque  primum  quidem  compara  carmen  tertium  Bacchylidis 
cum  Horatii  II  2.  Illo  enim  poeta  Graecus  Hieronem  praedicat, 
quod  Croesi  exempluni  secutus  non    ingentes    divitias    coacervatas 


De  Horatii  studiis  Bacchylideis.  303 

tenebris  atris  abdiderit,  sed  tanta  sacra  donaque  aurea,  quanta 
nemo  unquam,  Pythico  deo  dedicaverit;  hoc  Quintus  noster  Sallu- 
stiuni  Crispum  et  Proculeium.  laudat,  quod  moderate  argento  utaii- 
tur  et  ingemium  animiim  praestent.  Illo  Bacchylides  liberalitati 
et  pietati  aeternam  apud  Hyperboreos  vitam  promittit,  hoc  Flaccus 
gloriam  immortalem,  regnum  et  diadema  tutum  propriamque  laurum. 
Atque  verba  Bacchylidis  (v.  13  sq.):  0183  TrupYw&lvxa  ir^ouiov  fxyj 
fji£Xafi|ccap£i  xpuiTts'.v  <jxoxu)  si  comparaverimus  cum  Pindari  versu 
(Nem.  I  31):  oux.  Ipafxat  ttoXuv  sv  fie^apto  itXoutov  xaxotxput{>7i?  e/stv, 
videbimus  Floratii  ingentes  ocervos  (23  sq.)  et  argentum  avan's 
tet'ris  ahditum  (1  sq.)  propius  accedere  ad  Bacchylidis  TrupYwösvT« 
Tr^wOUTov  et  [xsXafxcpapca  öxoxov  quam  ad  Pindari  ttoXuv  ttXoöxov  et 
[ji£7apov  X7xaxpu'|»ci'.v.  Itaque  Ceum  poetam,  non  Dircaeum,  Horatius 
hoc  loco  imitatus  esse  videtur.  Id  quoque  memorabile  est:  ut 
Ilieronis  ypuorö?  XapTret  (Bacch.  III  17),  ita  Horatium,  ut  ' splendeaf'' 
argentum  usu,  postulare. 

Venimus  ad  extremum  carmen,  ubi,  si  modo  doctissimorum 
virorum  (Blass,  Jebb,  Sandys)  coniecturandi  acumini  credere  pos- 
sumus,  olim  haec  fere  (74  sqq.)  legebantur:  [xi  [acixpa]  oxoTretc; 
.  .  I  [SoXoJsaaa  5'  iXTik  6Tr[o  xsap  osouxsv  i^ctfi-Jepituv,  quae  verba, 
similia  illa  quidem  Pindari  verbis  [jty)  ßiov  a{>avaxov  aTräuos  (Pyth. 
III  61),  in  memoriam  nostram  revocant  versus  pulcherrimos  Horatii : 
Immortalia  ne  speres^  monet  annus  et  almuvi  Quae  rapit  hora  diem 
(IV  7,  7  sq.).  lam  sequuntur  praeclarissima  illa  sapientiae  praecepta, 
quae  Apollo  docet  Admetum  (Bacch.  III  78  sqq.),  qua  sapientia 
dei,  qui  rore  puro  Castaliae  lavit  crines  solutos  (cfr.  irapa  Rotaxa- 
Uo.q  pssOpoic,  Hör.  III  4,  61  et  Bacch.  III  20),  Horatium  quoque 
imbutum  esse  intellegemus :  Ovaxöv  suvxa  /pvj  Sioujjiou^  ds$eiv  |  yvio- 
[A«?,  oxi  x'  aijptov  o'jisat  |  fxouvov  dXt'ou  cpdo;  |  /««xt  ttsvxtqxovx'  sxsa  | 
C(uav  ßctBuTrXouxov  xsXetc.  Primam  huius  praecepti  partem,  quae  etiam 
apud  Euripidem  occurrit:  Alcest.  783  sq.  xoux  eaxi  Ovr^xaiv  oaxts 
e^emaxaxai  |  xtjv  otuptov  [xsXXousav  si  ßiwasxat,  habemus  in  epist. 
I  4,  13  sq. :  ^  Omnem  crede  diem  tibi  diluxisse  supremuw,  Grata 
superveniet,  quae  non  sperabitur  hora^  et  in  c.  IV  7,  7:  '  Quis  seit 
an  adiciant  hodiernae  crastina  sum7tiae  Tempoi'a  di  superiV  Quod 
autem  poeta  Graecus  hortatur,  ut  sine  timore,  quasi  quinquaginta 
beati    anni    sequantur,    vivamus,    id  quoque  haud  procul  abest  ab 


304  Karl  Brandt, 

Horatii  sententia,  qui  saepe  monet,  ut  futura  negleg'amus  (c.  1  9,  13), 
severa  linquamus  (c.  III  8,  28),  quamquam  hoc  etiam  ex  aliis 
depromere  potuit,  velut  ex  Simonidis  carminibus  (frgm.  32).  Itaque 
necesse  est  oata  opav,  quasi  cras  moriamur,  et  sufppai'veiv  Ou;<6v 
(v.  83),  quasi  quinquaginta  felices  aiini  sequantur.  Atque  mehercule 
nosti'o  iure  sine  timore  vivere  possumus,  si  iuste  agimus,  quamobrem 
recte  Bacchylides  dicere  potest  id,  quod  modo  menioravi :  otjta  8poiv 
sucppcttvs  ö^ufiov,  Nonne  Horatius  quoque  integrum  vitae  scelerisque 
purum  omnium  curarum  expertem  esse  (c.  I  22,  1  sqq.)  aflirmat? 
Necesse  autem  est  ius  fasque  sequamur,  quod  vita  nostra  canitiei 
letoque  appropinquat:  ßa{>u^  (asv  j  aiörjp  aatotvxo;*  5o(up  5s  ttovtou  |  ou 
aaire-af  sucpposuva  ö'  6  )(pua6?'  |  dvSpi  8'  ou  Osfxic,  TcoXtbv  Tiapsvia  j 
•yr^pctc,  OaXstav  ctuii?  a-f/opiiatjai  |  ^ßotv,  i.  e.  aether,  aqua,  aurum 
sunt  pulchra  semper  et  immortalia,  mortale  et  caducum  nostrum 
corpus,  quod  a  canitie  nunquam  ad  virentem  iuventutem  revocari 
potest,  ut  Horatius  in  c.  IV  7,  13  sqq.  pulcherrime  cantat:  Damna 
tarnen  celeres  reparant  caclestia  lunae;  Nos  ubi  decidimus,  Quo 
jmter  Äeneas,  quo  dives  Tullus  et  Ancus,  Pulvis  et  umbra  suvius. 
Sed  licet  corpus  moriatur,  virtutis  lumen  morte  non  exstinguitur, 
sed  a  Musa  nutritur:  dp£Ta[?  -(s  fijsv  ou  (jiivuösi  |  ßpoiaiv  otfia  a[tufAa]tt 
95770?,  dXXa  I  Mouad  viv  Tp[£9si].  Simillime,  ut  iam  supra  memo- 
ravi,  Horatius  docet:  Dignutn  laude  virum  Musa  vetat  mori  (IV  8,  28). 
Quam  ob  rem  Cea  Musa  Hieronis  quoque  virtutem  cantare  debet, 
irpdco([vTi]  0'  SU  I  ou  cpspst  x6afji.[ov  (jt](ü|Trd.  Item  Flacco  nostro 
persuasum  est  ignotos  longa  nocte  urgueri,  qui  careant  vate  sacro; 
nam:  Paullum  sepultae  distat  inertiae  Celata  virtus  (c.  IV  9,  29  sq.). 
Sed  ad  hunc  locum  Pindari  verba  propius  etiam  accedunt  quam 
Bacchylidis.  Cfr.  eos  versus,  quos  Jurenka  in  ed.  profert:  Nem. 
Vn  12  sq.:  at  fis^aXat  ^otp  dlxca  axorov  tioXuv  (longa  nocte)  upivtuv 
eyovxi  SsoiJievai  (carent  quia  vate  sacro\  et  frgm.  121,  3  pr^Osv  aftsvst, 
Ovaoxsi  8s  (sepultae)  ai^a^sv  xaXöv  spyov  (celata  virtus).  Quod  ad  'lon- 
gam  noctem'  attinet,  cfr.  etiam  Bacch.  XIII  (K.)  175  sqq.  (Bl.):  ou  ^ap 
dXa[|Ji'ir£Cj]t  vü[xt6?  |  iraatcpavTj;  '  Apsxd  |  xpucpftsro'  dfi.aupo[uxai  Svocpoidiv. 
Gerte  deusudivitiarum,  defragilitatenaturaehumanae,  deimmortalitate 
virtutis,  de  Musae  potentia  prorsus  Horatius  cum  Bacchylide  consentit. 
Omnium  huius  poetae  epiniciorum  longe  clarissimum  fuisse 
videtur    quintum.     Hoc    enim    carmine,    quo    equestrem    Hieronis, 


De  Horatii  stiidiis  Bacchylideis.  305 

Syracusarum  regis,  victoriam  celebrat  idque  Piiidaro  ad  certa- 
men  artis  oppositus,  Meleager  apud  inferos  tristissimam  mortem 
Herculi  narrat,  ut  hie  crudelitate  fatorum  et  admiratione 
praeclarissimi  viri  permotus  consilium  ineat  Deianiram,  soro- 
rem  Meleagri,  in  matrimonium  ducere,  impendentis  mali  nescius, 
quo  haud  ita  multo  post  occubuit  Nessi  veneno  ab  uxore  misso 
iiecatus.  Si  ullum  carmeii  Horatio  Bacchylidem  legenti  pla- 
cebat,  hoc  certe  erat  quintum,  de  quo  agimus,  neque  ullis  in 
versibus  huius  carminis  mehercule  magis  defixis  oculis  et  capto 
animo  Venusinus  poeta,  qui  et  ipse  immortalitatis  et  gloriae  cupi- 
dus  erat,  haesit  quam  in  illis,  ubi  Bacchylides  cum  aquila,  levis 
nuntia,  se  comparat,  quae  fuscis  alis  altuni  aethera  celeriter  secat 
magnis  corporis  viribus  freta,  ut  aves  minores  metu  perterritae 
clamorem  edant  seque  occultent;  quam  nee  summa  montium  caeu- 
mina  impediunt  neque  maris  semper  aestuantis  tumidae  undae; 
quae  per  inane  infinita  via  (Iv  dtpuio)  ya'ei  v.  27)  cum  flatu  Zephyri 
jilas  movet  insignis  et  eonspicua  hominibus.  Sic  sibi  quoque  ses- 
centas  vias  esse  cantandi  laudes  Hieronis  fratrumque  Bacchylides 
gloriatur:  xuavoirXoxapou  0'  sxaxi  Nixcts,  |  -/jxhAZoaxipvoo  ~'  "Apr^o; 
i.  e.  sive  ludorum,  sive  bellorum  victores  eos  laude,  ubi  vocabulum 
xuavoTrXoxa'fjiou  voci  /aXxsoaispvou  oppositum  est,  ut  pulchritudo 
ludorum  erudelitati  bellorum  contraria  sit.  Erravit  igitur  hoc  loco 
ut  aliis  vir  doctissimus  Britannus  Farnell,  qui  (Classical  Keview  1898) 
in  epithetis  vituperandis  vera  Ba/.yuk(orjii  piacjTi^  exstitit. 

Atque  re  vera  hunc  praeclarissimum  loeum  Horatius  imitatus 
est.  Nam  non  solum  se  comparat  cum  ave,  sed  etiam  se  mutat 
in  alitem,  si  minus  in  aquilam,  at  in  cygnum.  Cum  enim  Bacchy- 
lides et  Pindarus  (Ol.  II  86  sqq.)  cum  aquilis  se  comparent,  poetae 
Latini  olores  se  vocant,  ut  Pindarus  quoque  ab  Horatio  (c.  IV  2,  25) 
Dircaeus  cygnus  dicitur.  Itaque  oloris  forma  et  pelle  indutus 
(c.  II  20)  Flaccus,  ut  Bacchylidis  aquila,  non  usitata  nee  tenui 
penna  (couOaiai  TTtspu^eaai  xaLy^s-ioLi;  17  sqq.)  per  liquidum  aethera 
(ßa{>uv  alMpix  16  sq.)  fertur  neque  in  terris  moratm*,  sed  Bosporum 
visit  Syrtesque  et  Hyperboreos  campos,  ut  remotissimae  gentes  eum 
noscant  (dpi'YVdJtos  fis-'  dvBptuTrois  29  sq.).  Quod  enim  aquila  re- 
gina  avium  erat,  non  poeta  idoneus  Horatio  videbatur,  qui  cum  ea 
compararetur,    sed  princeps  quidam    ingenti  potentia  et  fortitudine 

Festschrift   Valileii.  20 


B06  Karl  Brandt, 

praeditus.  Itaque  cum  aquila  Driisum  (IV  4)  comparare  maluit 
idque  multis  et  magnificentissimis  versibus,  qui  non  minus  admira- 
tione  digni  sunt  quam  Bacchylidis.  Cum  autem  robur  Drusi 
depingere  velit,  non  volatum  aquilae  describit,  seS  ingentem  corporis 
vim  paullatim  crescentem.  Atque  ut  apud  Bacchylidem  a^^eXoc 
Zr^vo?  spiacpapa^ou  (v.  19  sq.)  dicitur,  ita  apud  Horatium  fulminis 
minister'  (v.  1),  ut  apud  Ceum  poetam  TrxaaaovTt  opviOes  Xqucp^oy^ot 
(poßq)  (v.  22  sq.),  ita  apud  Flaccum  aquilae  a  rege  deorum  regnum 
in  aves  vagas  permissum  est  (v.  2  sq.). 

lam  sequuntur  sententiae,  quibus  Horatius  quoque  mirum  in 
modum  delectatur,  v.  50  sqq.  :  oXßto;  w  tivi  (Alcman  23,  37:  oXßio?, 
oOTt?;  beattis  ille  ep.  2,  1)  {>£6?  [xotpav  .  .  xaXÄv  siropev  ou  "]fa[p  xi?] 
iTcixöov^tüv  TT[avT]a  7'  eu8aifj.«>v  stpu.  Cui  loco  respondere  versus: 
"^  nihil  est  ah  omni  parte  heatum^  quivis  primo  obtutu  videt.  Ver- 
titur  autem  in  his  verbis  Bacchylidis  cardo  totius  iTrivtxiou,  cum 
tota  fabula  nihil  efficiatur,  nisi  ut  demonstretur,  quam  vera  sit 
haec  sententia,  quae  Horatio  quoque  placebat.  Quam  sententiam 
ut  probet,  Bacchylides  Meleagri  et  Herculis  fata  commemorat. 
Horatius  autem,  quamquam  Meleagri  mentionem  facit  in  arte  poetica 
(v.  146)  et  duodecimi  Herculis  laboris,  cum  dicat '  Perrupit  Acheronta 
Herculeus  lahor''  (c.  I  3,  36),  ut  Bacchylides  x6v'  ajov-'  e;  cpaoc 
Ic  'At8a,  tamen  non  utitur  exemplo  Meleagri  et  Herculis  ad  sen- 
tentiam suam  demonstrandam,  sed  Achillis  et  Tithoni,  quod  eorum 
fata  inter  se  contraria  erant  et  alteri  ad  perfectam  felicitatis  sj)eoiem 
id  deerat,  quod  alter  abunde  habebat,  alteri  longa  vita,  alteri  flos 
iuventutis.  Euripides  quoque,  qui  in  Alexandre,  tragoedia  deper- 
dita,  forsitan  ut  Sophocles  Cassandrani,  dithyrambum  Bacchylidis 
secutus  sit,  similiter  atque  Ceus  poeta  dicit  (frgm.  46.  Stobaeus 
105,  33):  oiax'  ouxi?  dvopuiv  zU  otTtavx'  suoaiiiovei.  Neque  praeter- 
mittendum  est  Theognidem  quoque  v.  441  similiter  scripsisse: 
oüSei?  Y^tp  Travx-  eaxl  TuavoXßioc,  sed  non  exemplis  hoc  dictum  pro- 
bavit  ut  Horatius  et  Bacchylides.  • 

Haec  quoque  verba  Bacchylidis,  dfxTrauoa?  (Jtspifxvav  v.  7,  optime 
illustrantur  Flacci  versibus:  ^  Quid  Tiridaten  terrent,  unice  Securus'' 
(c.  I  26,  5)  et  'Mitte  civiles  super  urbe  curas^  (c.  111  8,  17).  Quam- 
quam Hiero  non  solum  propter  rem  publicam,  sed  etiam  propter 
morbum  sollicitus  erat. 


De  Horatii  studiis  Bacchylideis.  307 

Etiam  nonum  (Kenyonis)  carinen  Flacco  notum  erat,  ex  quo 
ad  verbum  plura  imitando  expressit.  lam  initio  (v.  3)  Mouaav 
irpocpaxac  legitur  ut  apud  Quintum  nostrum  (III  1,  3)  '  Musarum 
sacerdos\  cum  Pindari  (frgm.  90)  OisptScDv  rpocpaTa?  a  Latini  poetae 
verbis  longius  absit.  Ut  igitur  Bacchylides  Automedis  gloriam 
pronuntiat,  ita  Horatius  iuventuti  Romanae  praecepta  prius  non 
audlta.  Itaque  non  sacrificat  Musarum  ille  sacerdos,  ut  Kiesslingius 
putat,  sed  Musarum  spiritu  afflatus  cantat  et  pronuntiat  id,  quod 
verum  et  sapiens  est.  Neque  sacrificatur  apud  Aristoph.  Ran. 
354  sqq.,  quem  locum  Horatius  secutus  sit  (Arnold-Fries,  de  Horatii 
studiis  graecis  p.49):  sucpr^fxeTv  ypri  xd$taxaa&ai  tois  7jfi.STspoi(3t  )(o- 
poTaiv,  1  03xi€  aireipo?  xotoivSe  Xo^tuv,  t;  "Yvcup-TO  p.rj  xa^apetSst,  ]  tj 
levvaiwv  op^ia  Mouaöiv  (j-t^x'  eTösv  [xtjx'  £)(6p£uaev  e.  q.  s.  Quod 
autem  Ceus  poeta  Mouaav  irpocpaxa?  est,  carmina  quoque  immortalia 
sunt  et  victoriam  viri  Phliasii  xal  xoT?  iTrtYJivofxIvot?  (v.  81)  indi- 
cant,  ut,  quem  poeta  celebret,  et  ipse  immortalis  iiat  (v.  82  sqq.): 
x6  [ys]  xoi  xaXov  Ip^ov  |  ^vr^gitov  ujavcuv  tu)(Öv  |  utj/Qo  Ttapa  Sat'jxoüi 
xetxar  j  auv  o'  aXa&£''a  ßpoxwv  |  xaXXiaxov,  8i'Tr[ep  xal  Oa'viQ  xt?,] 
X[£i]7T£xai  (sive  X[a'(j,]Tr£xai)  Mouaav  [(j.£XicpB6Y-(a)v  ai}ü]p[j.a.  Sic  Ho- 
ratio  quoque  persuasum  est  neque  interitura  esse  sua  carmina 
(c.  HI  30,  IV  9)  neque  moriturum  esse  eum,  quem  Musa  caelo 
donet  (c.  IV  8  et  9). 

Alterum  huius  carminis  locum  Horatius,  si  fas  est  hoc  dicere, 
ita  expressit,  ut  splendidissimum  Graeci  poetae  nitorem  paullum 
inquinaret.  Compara  sis  Bacchylidis  versus  27  sqq.:  7r£vxa£&Xotaiv 
"•(ap  £V£7Tp£TC£v  (!)(?  |  aaxpcjuv  oiotxptv£i,  cparj  |  vuxxb;  oij^ofxijvßo;  £ucp£YY7j? 
a£Xa'va  cum  Flacci  (I  12,  46  sqq.):  ^micat  inter  omnes  luUum 
sidus,  velut  inter  ignes  Luna  minores\  lam  vides  illud  vuxxö? 
or/ofxr^viooc,  quod  ad  imaginem  lunae  depingendam  utilissimum  est, 
ab  Horatio  omissum  esse;  praeterea  eo  sententia  depravata  est, 
quod  non  vir  cum  luna,  sed  sidus,  i.  e.  Stella  illa  crinita,  in  quam 
Caesaris  anima  post  mortem  mutata  esse  credebatur,  cum  luna 
comparatur,  ut  id,  quod  comparatur,  vel  ipsum  imagine  quadam  dica- 
tur.  Monet  Kiesslingius  ad  xerhsi' inter  omnes''  audiendum  esse'gentes\ 
sed  pessime  se  habet:  ^ sidus  micat  inter  gentes\  cum  sidus  inter 
Stellas  micare  appareat.  Si  autem  intellegimus:  ^  lulium  sidus 
micat  inter  07nnes  Stellas,  ut  luna  inter  ignes  minores^  multo  etiam 

20* 


308  Karl  Braudt, 

magis  non  comparatur  res  comparanda,  sed  res  iara  comparata. 
Sapphus  quoque  locus  (frgm.  3)  similis  est:  "Aotepsc  ^kv  «ficpl 
xoikäv  aekdvvxv  \  at^J;'  otTroxpurToiai  oaevvov  eloo;  |  OTriroxa  TCXrj&ottja 
lidkiaxa  Xa|X7nfj  |  ^av  [im  Traaotv]  |  .  .  .  .  dpppi'a  ...  At  inducuntne 
haec  verba  comparationem?  Mihi  quidem  hoc  dubium  videtur.  Si 
autem  haec  comparatio  est,  certe  est  fusior  et  plenior,  iion  brevis 
ut  apud  Bacchylidem  et  Horatium,  neque  quicqiiam  invenitur, 
quod  ad  verbiim  cum  Horatio  congruat,  ut  pro  Bacchylidis  usvia- 
sOXotoiv  apud  Flaccum  habenius  '  mter\  pro  svsTrpsTrev  '  niwat\  pro 
(u?  'ut\  pro  (pa-/j  Ugnes\  Id  quoque  perspicuum  est  lectiouem 
Charta  traditam  aatpuiv  Siaxptvsi  cparj  propius  accedere  ad  Horatii 
'inter  ignes  nnnores''  quam  Bhissii  coniecturam  Siaxpivei  cpa'ei,  ut 
hoc  loco  Flacci  verba  Bacchylidi  contra  coniecturandi  sagacitatem 
viri  doctissimi  succurrant.  Sed  alio  huius  carminis  loco  Horatius 
Blassii  coniecturae  inopinatum  auxilium  fert.  V.  72  sq.  editor  prin- 

ceps  sie  scripserat:  —  o ]  ösvia  {ottXoxov  eu  sfueiv  [u  —  | 

—  ü  dY]va(i.[ir]T(uv  ipwtwv, 

ex  quo  Blassius,  cum  Kenyonis  frgm.  20 

^         P  praeponeret  et  cum  his  versibus 

coniungeret,  probabiliter  in  ed.  priore  effecit;  /puasav  —  Osvxa 
J^iottXoxov  eu  sircetv  KuTcp'.v.  (o  {xaTsp  d^^dfA^Ttov  ipcuTcuv.  Nonne 
manifestum  est  et  ante  oculos  positum  posteriorem  versum  ad  ver- 
bum  ab  Horatio  in  Latinam  linguam  conversum  esse,  cum  scri- 
beret  (c.  I  19,  1)  Mater  saeva  Cupidinum? 

Denique  versus  40  sq.  Kenyon  et  Blassius  scripserunt:  lou 
'/.{kioz  irjaaav  yÖova  |  ■^XOe[v  xal]  Itc'  ea/axa  NetVju,  Jurenka  contra 
Weilium  secutus  scripsit:  -^Xösv  xot  ir'  sayata  NetXou  .  .  .  Sed  hie 
Pindarus  opitulatur  editori  principi  (Isthm.  V  (VI),  22  sq.):  (iupt'ai 
6'  ep^tüv  xotXuiv  T£Tjxr^v{>'  exaiOfiTreooi  iv  ayspoi  xsXsuOoi  xal  irepav 
Näi'Xoio  iraYav  xal  oi'  TTTspßopiouc,  ubi  vocabula  xol  rlpav  vocabulis 
xol  stc'  respondent.  Flacci  quoque  verba  (III  3,  45  sqq.)  Kenyonis 
et  Blassii  lectioni  favent:  Hoirenda  lote  nomen  in  ultimas  Exten- 
dat  oras,  qua  tnedius  liquor  Secernü  Europen  ah  Afro^  Qua  tumi- 
dus  rigat  arva  Nilus.  Sunt  autem  Horatii  verba  Bacchylidi  simi- 
liora  quam  Pindaro.  Nam  nomen  concinit  cum  xHoi,  in  ultimas 
oras  cum  raoav  j^Öova. 


De  Iloratii  studiis  Bacchylideis.  309 

De  decimo  (K.)  carmine  clisputantes  incipiamus  a  versibus 
35 — 48,  quos  ut  explanemus,  necesse  est  Ultimos  versus  primo  loco 
explicare:  xo  p.sXXov  |  o'  dxpixou?  (sie  charta)  -ixisi  TsXsuxa?  |  Tta 
x(i'/o.  ßpiasr  xö  [i.£V  xaXXisxov  sa&Xoiv  |  av8pa  TcoXXöiv  uu'  av&ptuTrojv 
:ToXuC^Xa)xov  £T[j.ev  i.  e.  'sed  übscuri  sunt  futuri  temporis  exitus, 
itaque  mehercule  pulcherrimum  est  propter  multa  bona  facinora 
(xa  iaOXa  sunt  victoriae)  sive  ludorum  sive  bellorum  (Pind.  Isthm. 
I  44  (50)  afji'f'  dsöXois  v;  zoXsixiCtuv)  invidiae  esse  honiinibus.'  Si 
igitur  eorum,  quae  antea  a  Bacchylide  commemorata  erant,  studi- 
oruni  (39 — 44)  exitus  incerti  et  dubii  sunt,  certa  gloria,  quae 
victoriam  agonisticam  sequitur,  inter  incerta  studia  non  possimt  enu- 
merari  athletarum  pugnae.  Itaque  xapixa>v  xtfxtov  XsXo^x»!)?  non  est 
athleta,  sed  poeta,  et  aocpo;  non  est  poeta,  sed  sapiens.  Quid  autem 
de  Blassii  (ed.  pr.)  coniectura  Tidsi  pro  Traisi  (sie  charta)  iudicemus? 
Suntne  fortasse  bona  mobilia  intellegenda,  quibus  Ip^a  et  d^eXai 
opposita  sunt?  Non  sunt,  quod  de  divitiis  postea  quasi  quodam 
additamento  dicitur  (v.  49).  Itaque  Traiai  est  lectio  vera,  cui 
etiam  verba  xö$ov  et  iroixtXov  favent.  Sic  igitur  versus  35 — 53 
intellegendi  sunt:  'Aliae  ab  aliis  viae  gloriae  adipiscendae  investi- 
gantur,  hi  animi  viribus  gaudentes  aut  sapientiae  aut  carminibus 
pangendis  aut  divinationi  operam  dant,  illi  genio  suo  indulgentes 
TTaioixoi?  ujxvois  pulchros  pueros  venantur,  alii  utilitati  studentes 
agricultura  et  armentis  hierum  seetantur.  Sed  incerta  sunt  haec 
studia,  certa  gloria  victoris.  Divitiarum  quoque  potentiam  magnam 
esse  non  ignoro.  Quamquam  quid  multa?  Victoriam  sequitur 
laetitia  et  tibiarum  strepitus.'  In  qua  explicatione  me  cum  Jurenka 
(cfr.  adn.  ad  hunc  loc.)  prorsus  consentire,  quis  est,  quin  intelle- 
gat?  His  cum  versibus  Bacchylidis  si  Horatii  c.  I  1  comparamus, 
binorum  membrorum  dvxiüsasi;  illas  artiliciosissimas,  quibus  Flaeeus 
delectatur,  apud  Ceum  poetam  desideramus  neque  ipsa  membra 
enumerationis  congruunt,  quamquam  Ip'j'oia-.v  forsitan  respondeat 
ille,  qui  patrios  agros  sarculo  lindere  gaudet,  et  puerorum  venatori 
ille,  qui  veteris  pocula  Massici  non  spernit.  Eo  tarnen  eoncinunt 
Bacchylides  et  Horatius,  quod  ab  utroque  unum  pluris  aestimatur 
quam  reliqua  omnia,  ab  illo  gloria  victoris,  ab  hoc  gloria  poetae, 
neque  minus  eo,  quod  ab  utroque  de  ceteris  studiis  cum  contemptu 
quodam  dictum  est.     Nam  apud  IToratium  vituperantur  illa  studia 


310  Karl  Braudt, 

verbis  'pulcerem\  ' niobilium\  ' verritur\  '^ gaudentem\  'luctanteni\ 
*parte)7i  solido  demere  de  die\  '  iuvant  hella  matrihus  detestata'', 
^tenevae  coniugis  immemor\  apud  Bacchylidem  cum  vituperätione 
dictum  est  s^ttiSi  xpuosa  xsOotXsv,  -oixiXov  xocov  Titaivsi,  Ouubv 
au^ouoiv.  Denique^  quia  Horatius  victorias  agonisticas  despicit, 
quas  Bacchylides  laudibus  effert,  ille  carminum  gloria  in  caelum 
tollitur,  quorum  eventus  huic  dubius  videtur,  tam  sunt  contrariae 
sententiae  poetarum,  quasi  Horatii  Carmen  Bacchylidis  vcrsibus 
dedita  opera  oppositum  sit.  Cum  Horatii  versibus  alii  quoque  loci 
poetarum  Graecorum  comparari  possunt  velut  Find.  Isthm.  1  41 
(47)  sqq.,  ubi  diversi  quaestus,  pastoris,  aratoris,  aucipis,  piscatoris, 
enumerantur;  Solonis  13,  41  sqq.,  qui  simili  modo,  sed  fuso  sermone 
diversa  lucri  genera  persequitur:  navigationem,  agi'iculturam,  artem 
Minervae  et  Vulcaui,  artem  poetae,  vatis,  medici;  Find,  frgra.  221, 
ubi  dicitur:  'hunc  iuvant  honores  et  coronae  equorum,  illum  vita 
in  aureis  thalamis,  alium  navigatio  in  tumido  mai'i'..  Neque  haec 
carmina  Flacco  nota  fuisse  nego,  sed  praecipue  Bacchylidis  epini- 
cium  animo  eum  tenuisse  crediderim. 

Id  quoque  memorabile  mihi  videtur,  et  Bacchylidem  se  vocare 
votaiöiTiv  Xqucp^oYYov  fiEXtacjav  (v.  10)  et  Horatium  api  Matinae  se 
comparare  (IV  2,  27).  Fueriint  sane  multi  poetae,  qui  propter 
mellis  et  caiminum  suorum  dulcedinem  apes  se  dicereut,  ut  Bacchy- 
lides propter  canoram  apis  vocem  et  Horatius  propter  parvitatem  et 
laborem.  Eo  tamen  similes  sunt  Bacchylides  et  Horatius,  quod 
simul  cum  apis  comparatione  originis  significationem  inducunt, 
cum  ille  vaaicoTiv  i.  e.  Ceam  apem,  hie  Matinam  i.  e.  ex  Apulia 
ortam  se  vocet.  Quid?  quod  etiam  propter  plurimum  laborem 
Bacchylides  ut  Horatius  se  apem  vocat?  Dicit  enim  fragm.  14: 
exepo;  i$  etepou  aocpoc  t6  tz  iroXoti  xo  xe  vuv.  |  ouos  ^ap  paaxov 
dppr^xa)v  STretov  TruXa?  |  sceupsiv,  ex  quo  loco  Arnold  plus  quadraginta 
annis  ante  inventum  Bacchylidis  papyrum  (Arnold-Fries  p.  102) 
animo  praesagivit  Bacchylidem  quoque  ut  Horatium  apem  fuisse 
in  carminibus  pangendis. 

In  eis  fabulis,  de  quibus  Bacchylides  in  c.  XI  (K.)  agit, 
Horatius  quoque  totus  versatur,  quamquam  Metaponti  et  sanatarum 
Proeti  filiaiTim  nunquam  mentionem  facit.  Nam  Nt'xctv  ^Xuxuoeopov 
invenimus  apud  Horatium  in  ep.  I,  18,  G4,  ubi  ^  victoria  fronde  coro- 


De  Iluiatii  studiis  Bacchylideis.  311 

nans'  commemoratur,  Proetum  habemus  in  c.  III,  7, 13,  Aciisiuin 
in  c.  UI,  16,5.  Ut  Bacchylides  Homerum  secutus  tTnroßoxov  "Ap^o; 
scribit,  sie  Yluccns '^  aptum  eqiiis  Aiyos'  (c.  I,  7,  9).  Fabulam,  quae 
est  de  Hypermnestra  et  Lynceo  a  Ceo  poeta  74  sq.  commemoratis, 
accurate  Horatius  carmine  III,  11  tractat.  Ad  verbum  etiam  non- 
niilla  inter  se  similia  sunt.  Ut  enim  Latonae  filius  Deli  natus 
rXeu)  ßXecpapo)  (v.  15  sqq.)  victorem  accipit,  sie  Melpomene ' placido 
lumine'  nascentem  poetam  videt,  et  ut  virginibus  sanatis  Proetus 
dieit:  %6am  os  xoi  sixocji  ßou?  (v.  104),  sie  solvent  Antonium  in 
e.  IV,  2,  53  '  decem  tauri  totidemque  vaccae'.  Quamquam  cum  priore 
loco  etiam  CJallimachi  versus  conferri  possunt  (epigr.  XXI,  5): 
Mouaat  ^otp  oaous  loov  op-p-aTt  iraiocx?  |  ,U7]  Xo$(u,  ttoXioo?  oüx  aTisdevio 
cpt'Xou?. 

Jves  a  Baecliylide  in  c.  XIII  (K.)  tractatas  apud  Iloratium 
quoque  inveniri  non  est  quod  miremur.  Sunt  enim  'genus  Aeact 
et  pugnata  sacro  hella  sub  Ilio'  (c.  III,  19,  3),  '  Pelidae  stomachtis 
cedere  nescii'  (e.  I,  6,  6),  ^  seroa  Briseis  niveo  colore'  (e.  II,  4,  3),  res 
ab  Aiace,  Telamonis  filio,  praeclare  gestae,  alia  huius  generis  ex 
Maeonii  poetae  temporibus  communia  omnium.  Paullo  aceuratius 
tarnen  ■ —  nisi  forte  axopeaev  oi  xs  ttovxov  oupta  (v.  129  Bl.)  eum 
stravere  ventos  aequore  fervido  deproeliantes'  (c.  1,9,10),  '  Exxopsctc 
uTTo  x^ip^?  (v.  154  Bl.)  eum  'Heetoreis  opibus'  (e.  111,3,28)  com- 
parare  velis  —  Bacehylides  et  Horatius  de  invidia  congruunt.  Ille 
enim  sie  loquitur  (v.  200 sqq.  Bl.):  .  .  cpOovo?  ßtaxcti  .  .  ßpoxöiv  oh. 
(j.u)[xoc  Ttavxsaaiv  .  .  saxiv  stt'  £p"(ot?*  a  l'akoibsloL  (ptXsT  vtxav  o  xs  uav- 
ootfxaxwp  5(p6vo^  x6  xaXtos  ipYpisvov  aiev  a[£$£i]*  ouaf^.evetov  os  \ia[xa('X 
■^Xoiaa'  atOY]]s  fAiv[ui>£i.  HoeHoratius  quoque  ipse  expertus  est,  ut  dieere 
posset:  'Et  iam  dente  minus  niordeor  invido'  (c.  IV,  3,  16).  Im- 
primis  autem  morte  putat  invidiam  finiri:  '  virtutem  incoluniem 
odivms,  Suhlata7H  ex  oculis  quaerimus  invidi'  (c.  III,  24,  31  sqq.) 
Qi:  " diram  qui  contudit  hydrant  Cornperit  invidiatn  supretno  fine 
doniari''  (ep.  II,  1,  10  sq.).     Itaque  eonieias   [j.axaiov  &pööv  'Aioa?. 

In  e.  XIV  (K.)  versus  3 — 6:  aui^cpopa  o  soi^Xov  d[j.otXo6|v£i 
ßapüxXaxoc  (j-oXoSaa*  |  [Xctp-Tipov  os  xai]  u^j/icpav^  x£[ur/£i  x]axop{}a)9sTaa 
non  prorsus  dissimiles  sunt  eeleberrimae  illi  strophae:  '0  diva, 
gratum  quae  regis  Antium,  Praesens  vel  imo  tollere  de  gradu  Mortale 
corpus  vel  superhos   Vertere  funerifms  triumphos^    (c.  I,  35,  1  sqq.). 


312  Karl  Brandt, 

Idque,  quod  scquentibus  versibus  (12 — IG)  dicitur  lyrae  soimm 
non  concinere  cum  pugnis  neque  pugiias  cum  diebus  festis,  in  me- 
moriam  nostram  revocat  Centauream  cum  Lapithis  rixam  super 
mero  debellatam  (c.  1, 18,  8  sq.). 

Argumentum  carminis  XV  (K.),  quod  inscribitur  '  x\vTr(Vopi?ai 
T^ '  EXsvTjc  dratir^aic,  etiam  Horatio  gra\'issimum  videbatur,  ut  demon- 
strat  versus  ep.  I,  2,  9:  Antenor  censet  belli  praecidere  causam.  Exitus 
autem:  xsi'va  (3ßpi?)  xotl  uTrspcpiotXouc  |  FS?  TiaTSa?  uSXeaasv  Fi^avTry; 
consentit,  ut  Jurenka  in  ed.  monet,  cum  Find.  Pyth.  VIII  et  Hör. 
III,  4,  ubi  fusius  et  plenius  demonstratur  Gigantas  a  deis  victos 
esse  et  vim  consilii  expertem  mole  sua  ruere.  Neque  minus  car- 
minis XVI  argumentum  Flacco  placebat,  legimus  enim  in  epod. 
17,  30  sqq.:  ^  0  mare  et  terra,  ardeo,  Quantum  ?ieque  atro  delibutm 
Hercules  Nessi  cruore  nee  .  .  .'  et  q.  s. 

In  carmine  XVIII  (K.)  v.  43  sq.:  ou  ^ap  paoiov  otisv  £p|oovTa 
fxT]  'vTu/eiv  xctx(j)  et  in  frgm.  3  (Bergk):  iraupoiat  11  OvaiÄv  tov 
arravTa  )(p6vov  eStoxev  |  Tcpaaaovxas  Iv  xotipm  -iroXioxpototcpov  |  "j'rjpa? 
txvsia&oti,  TTpiv  ivxupaai  o6a  et  in  frgm.  2:  oXßto?  5'  ouosk  ßpotuiv 
Tcctvxa  xpovov  idem  dicitur,  quod  Horatius  in  c.  II,  10  de  inconstantia 
fortunae  profei-t. 

Age  nunc  de  fragmentis  disputemus. 

Carmen,  quo  Bacchylides  pacis  laudem  cecinit  (frgm.  13), 
clarissimum  fuisse  videtur.  Verba  Iv  oe  atSctpoosToi;  |  7ropTra$iv  aiBäv 
dpapav  1(5X01  -irlXovxai  Sophocles  secutus  est:  irsXxa  o'lpt'Otov  dpctyvav 
ßpiöei  (frgm.  269)  et  Euripides:  xstaöu)  oopu  fxoi  fiixov  cit(x(£iTrXsxeiv 
dpa/voti?  (frgm.  370).  Etiam  illud  oo'fov  ßo6X£üfxaCephisodoti(Paus.IX, 
16,  2),  qui,  cum  post  Timothei  victorias  et  pacem  cum  Lacedaemoniis 
conciliatam  ara  Pacis  Athenis  aedificaretur,  civibus  Pacem  tanquam 
matrem  Plutum  filium  in  bracchio  habentem  finxit,  mirum  in  modum 
congruit  cum  Bacchylidis  verbis  xixxei  os  xe  dvctxoiatv  sipdva  \).z'{d\'x  \ 
ttXouxov.  Versus,  quos  tragici  imitati  sunt,  Catullus  quoque  facete  ex- 
pressit : '  iVaw  tui  Catulli  Plenus  sacculus  est  aranearum'  (13,  7  sq.). 
Verba:  S7X-°'  "^^  Xo7)(u>xa  Si'cpea  x'dfxttdxca  |  od[j.vaxai . . .  eupto?  Tibullus 
in  suum  usum  convertit:  '^at  tristia  duri  Militis  in  tenebris  occupat 
arma  situs'  (I,  10, 49  sq.);  et  /aXxsav  ooüx  laxi  oaXTTiYYwv  xxuro? 
Horatio  nostro  exemplo  fuit  in  epod.  2,5:  ^  Neque  dvcitatur  classico 
miles  truci  .     Idem  eo  ipso  anno  (741  a.  u.  c),   quo  etiam  Romae 


De  Horatii  studiis  Bacchylideis.  313 

aram  Pacis  aedificare  cogitabant,  ea  aetate,  qua  artifex  nescio  quis 
aeneum  Cephisodoti  opus,  Etp-/jv/;v  xotl  FIXoGtov,  marmoreo  iteravit, 
non  minus  praeclaris  versibus  quam  Bacchylides  emolumenta  pacis 
ceciuit:  '  Tutus  hos  etenim^  e.  q.  s.  (c.  IV,  5, 17  sqq.). 

Paullo  accuratius  concinunt  liaec  (frgm.  19):  st?  opo?,  \iin 
ßpOToiaiv  saxiv  suiu^ia?  6o6?,  ]  Ou[i.ov  si  -•.?  ej^tuv  dtrevO^  ouvaiai  1  Sia- 
leXsiv  ßiov,  Nonne  invitis  nobis  in  meutern  venit  initii  epistulae 
I,  6:  Nil  admirari  prope  res  est  ima,  Numici,  Solaque  quae  possit 
facere  et  servare  heatumf  Eodem  fragmento  Ceus  poeta  vetat  rerum 
futurarum  causa  (jjtsXXovxtov  x°^P^^)  P^^  ^i^s  noctesque  curas  ali,  ut 
Flaccus  monet:  '  Quid  s'it  futurum  cras,  fuge  quaerere'  (c.  I,  9,  13). 

Quid?  quod  de  vino  quoque  consentiunt?  ^Xuzsiav  ava-f/av 
fragmenti  27  habemus  in  Flacci  'leni  tormento'  (c.  III,  21, 13). 
KuTTpiooc  EXittoa  Flaccus  quoque  potus  nutrit,  qui  vino  calidus 
Neaeram  aliasque  puellas  vocat,  et  ut  apud  Bacchylidem  vinum 
dvopotaiv  u(j;o-dT(o  7T£(j.7ret  jjspifxvac,  sie  apud  Flaccum  in  c.  I,  18,  lö 
gloria  plus  nimio  vacuum  verticem  tollit. 

Simillima  omnium  forsitan  sint  haec,  quae  etiam  Keller  et 
Haeussner  in  editione  Horatii,  p.  XXV  proferunt,  frgm.  28:  Ou 
ßo(öv  Trdpesxi  ci(x)\io.xa  ouxe  /puao?,  [  ouxs  TropcpupcOt  xdirr^xs?,  |  dXXa 
\)u\xhz  eufj-evy;?,  |  Mouad  xs  ^Xuxerot,  quibus  cum  versibus  c.  II,  18 
comparandum  est:  ''  No7i  ehur  tieque  aureum  Mea  renidct  in  domo 
lacunar,  .  .  .  Nee  Laconicas  mihi  Trahunt  honestae  pwpuras  clien- 
tae.     At  fides  et  ingeni  Benigna  venast.^ 

Concedendum  est  harum  similitudinum  nonnullas  casu  ortas 
esse,  cum  saepissime  usu  veniat,  ut  duo  idem  cogitent.  Id  quoque 
non  negabo,  nonnullas  sententias  earum,  quas  commemoravi,  non 
esse  proprias  Bacchylidis,  sed  communes  plurium  poetarum,  ut 
etiam  ex  aliis  poetis  velut  e  Pindaro  vel  Simonide  a  Venusino 
poöta  depromi  potuerint.  Atque  si  plures  lyrici  integri  ad  nostram 
aetatem  pervenissent,  profecto  etiam  pluribus  locis  dubitareraus, 
utrum  ex  Bacchylide  an  ex  alio  poeta  Horatius  hausisset.  Sed  tot 
et  tales  herum  poetarum  similitudines  attuli,  ut  pro  certo  aflirmari 
possit  quandam  convenientiam  et  coniunctionem  naturae  et  ingenii 
inter  eos  intercedere  et  non  solum  in  c.  I,  15,  de  quo  Porphyrio 
testis  exstitit,  sed  etiam  multis  aliis  locis  Flaccum  vestigia  Cei 
poetae  pressisse;    id    quod  multo  clarius  appareret,   si  Bacchylidis 


314  •<;<il   Mrandt. 

carmina,  qiiorum  etiam  nunc  vix  sexta  pars  exstat,  integra  nobis 
tradita  esseut.  Non  tarnen  ita  Horatius  imitatus  est,  ut  totum 
Carmen  vel  totos  versus  ex  Graeci  poetae  carminibus  in  sua  trans- 
ferret,  sed  si  accuratius  nonnulla  concinunt,  pauca  verba  sunt,  qu;ie 
ex  Graeca  lingua  in  Latinam  conversa  sint.  Itac^ue  nostro  iure  id, 
quod  nescio  quis  vir  doctissimus  Francogallus  de  Catullo  dicit: 
//  a  modele  sur  les  ouvrages  des  maitres  non  pas  son  poeme  mais 
son  esprit,  etiam  de  Horatio  iudicare  possumus.  Neque  est,  quod 
hanc  ob  causam  poetam  lyricum  Latinum  vituperemus.  Omnes  enim, 
ii  quoque,  qui  in  litteris  excolendis  novas  vias  aperiunt,  vestigiis 
priorum  saepe  insistunt.  Flaccus  autem  noster,  quamquam  exem- 
plaria  Graeca  versavit,  tarnen  homo  Romanus  esse  nunquam  desiit, 
ut  etiam  in  lyricis  carminibus  ubique  civem  Romanum  et  togam 
forum que  animo  videamus.  Utque  modo  Horatii  causam  egi,  ita 
etiam  Bacchylidi  patronus  adessem,  nisi  retinerör  verecundia  eorum 
virorum  doctissimorum,  qui  contemptores,  ne  dicam  capitales  ini- 
mici,  huius  poetae  exstiterunt.  Neque  necesse  est  de  hac  re  multa 
verba  facere,  cum  et  Graecos  et  Romanos  Ceum  poetam  secutos 
esse  supra  demonstraverim.  Unum  restare  videtur,  ut  expo- 
nam  etiam  artifices  quinti  a.  Chr.  n.  saeculi  Bacchylidis  carmina 
admiratos  esse,  Mico  enim,  qui  Athenis  parietes  Or^aetou  picturis 
ornavit,  aut  certe  is,  qui  crateram  Bononiensem  pinxit  (cfr.  Robert, 
Heimes  1898  p.  130  sqq.),  imaginem  exprimere  voluit  earum 
rerum,  quas  Bacchylides  in  dithyrambo  XVII  (K.)  i^t&soi  r^  Orjaeu; 
narrat.  Arbusculae  enim  et  frutices,  quas  in  illa  cratera  videmus 
et  quae  tam  mira  videbantur  viris  doctis,  ut  vix  crederent  Theseum 
in  mari  versantem  depictum  esse,  optime  concinunt  cum  Bacchy- 
lidis verbis  (84  sp.):  zovxiov  xs  vtv  |  os^axo  dEXr^p-ov  aXao;.  Stautes 
autem  Thesei  comae,  quas  Robertus  iam  ante  inventum  Bacchylidis 
papyrum  optime  ita  interpretatus  erat,  ut  verecundiam  deorum  eis 
significari  diceret,  congruunt  cum  versu  Bacchylidis  (lOl  sq.):  xoOi 
xXuxas  {5o>v  I  eoetas  Ntjpy^?  ^X|ßiou  xopa?.  Denique  haec  considere- 
mus.  Theseus  apud  Bacchylidem  ut  Neptuni  filium  se  esse  demon- 
strat,  ita  servus  Minois  videri  non  vult,  quae  interpretatio  viris  doc- 
tis Gomperz,  Weil,  Jurenka,  cuius  adnotationem  conferas,  placet. 
Itaque  in  mare  desilit,  sed  non  anulum,  sed  coronam  et  vestein 
purpuream  refert.     Hoc,    quod  proprium  IBacchylidis   esse  apparet, 


De  Horatii  studiis  Bacchylideis.  315 

item  in  omnibus  illis  vasis  videmus,  qiioriim  pictoribus  Miconis 
clarissimum  opus  exemplo  erat.  In  omnibus,  etiam  in  illa  amphora, 
quae  Tricase  vocatur  (Römische  Mitteil.  IX,  tab.  8),  anulum  Theseus 
manu  non  tenet. 

Sed,  XeuxouXsve  KaXXioTra,  axatjov  ap[jia,  et  fac,  ut  vatibus  tuis, 
sive  Matino  sive  Ceo,  uno  alterove  loco  aliquid,  quantulum  id  cum- 
que  est,  profuisse  videar. 


xvm. 

Hans  Lucas. 

ßecusatio. 


Cum  tot  sustineas  et  tanta  negotia  solus, 
res  Italas  armis  ttcteris,  moribus  ornes, 
legibus  emendes,  in  publica  commoda  peccem, 
si  longo  sermone  morer  tua  tempora,  Caesar. 

Mit  diesen  Anfangsworten  widmet  Horaz  nach  allgemeiner 
Auffassung  die  erste  Epistel  des  zweiten  Buches  dem  Augustus. 
Das  war  auch  die  Meinung  des  Altertums,  wie  Sueton  beweist: 
post  sermones  vero  quosdaTn  lectos  (sc.  Augustusj  nullam  sui  mentionem 
habitatn  ita  sit  questus:  '^  Irasci  me  tibi  scito,  quod  non  in  pleri^que 
eiusmodi  scriptis  mecum  potissimum  loquaris;  an  Vereins  ne  apud 
posteros  infame  tibi  sit,  quod  videaris  familiaris  nobis  esseV  Expres- 
sitque  eclogam  ad  se,  cuius  initium  est:  ^  Cum  tot  sustineas^  etc. 
Wenn  auch  an  der  Thatsache  nicht  zu  zweifeln  ist,  so  ist  doch 
eine  formelle  Schwierigkeit  vorhanden,  die  man  bisher  nicht  richtig 
gewürdigt  hat.  „Ich  möchte",  oder  vielmehr  „würde  mich  am 
Gemeinwohl  versündigen,  wollte  ich  durch  einen  langen  senno 
deine  dem. Staate  gehörige  Zeit  in  Anspruch  nehmen"^).  Da  die 
sich  anschliessende  Epistel  in    der  That    lang    genug    ausfällt,    so 


')  Einer  der  Fälle,  wo  sich  der  Potentialis  nach  unserm  Empfinden  stark 
dem  Irrealis  nähert,  wie  z.B.:  Si  guis  deus  mihi  laryiatur,  ut  ex  hac  aelate 
repuerascam  et  in  cunis  vagiam,  valde  recusem  (Cic.  de  senect.  23,  83;  vgl.  Kühner  ausf. 
Granun.  d.  lat.  Spr.  §  214,  1).  Gemischte  Beispiele  sind  bekanntlich  nicht  selten, 
z.  B.  Tibull  I  4,  63 f.,  Horaz  epist.  II  2,  54  (vgl.  Kühner  §  214,  2).  Zuweilen  steht 
selbst  der  ludicativ,  wie  in  dem  älteren  Anacreonteum  13:  Et  cpüXXa  Trocvra 
o^vSpujv  iTrt'axaoai  7.atei7T£lv,  e{  xüfAax'  olSct;  eupeiv  xd  xtj?  oXr];  öaXa'aarj;,  ae  xöiv 
l|i.tüv  ip(i)X(uv  [jiovov  TTOtö  XoytaxT^v.  Eigenartig  zwar,  aber  verständlich,  da  der 
Leser  doch  wohl  oder  übel  den  Lo^isten  macheu  muss. 


320  Hans  Lucas, 

würde  Iloiaz  sich  selber  einer  unpatriotischen  Handlung  zeihen. 
Diese  Möglichkeit,  dunkel  empfunden,  hat  man  durch  meines 
Bedünkens  irrige  Auslegung  zu  beseitigen  versucht^).  Die  einzige 
Lösung  kann  nur  die  sein,  dass  Horatius  seine  Epistel  nicht  als 
an  den  Princeps  gerichtet,  nicht  als  auf  dessen  Wunsch  abgefasstes 
und  seinen  Erwartungen  entsprechendes  Werk  bezeichnen  will. 
„Vermessen  wäre  es,  wenn  ich  durch  ein  langes  Gedicht  die  ernsteren 
Dingen  gehörige  Zeit  dir  verkürzen  wollte,  auf  dessen  beiden  Augen 
das  ganze  Reich  steht.  Deine  unermesslichen  Verdienste  erkennt 
das  Volk,  ungleich  den  Zeitgenossen  jener  Heroen  der  Vorzeit, 
schon  bei  deinen  Lebzeiten  an,  hierin  gerecht,  sonst  aber  unbillig 
die  Männer  der  Vergangenheit,  zumal  in  der  Dichtkunst,  der 
Gegenwart  vorziehend".  Daran  knüpfen  sich  ungezwungen  die 
litterarischen  Erörterungen,  die  den  Inhalt  der  Epistel  ausmachen, 
nicht  nach  scharf  ausgeklügelter  Disposition,  sondern  in  leichtem, 
ungezwungenem  Flusse,  dem  Gang  eines  Gespräches  vergleichbar, 
wie  es  dem  Wesen  des  sermo  repens  per  humum  entspricht. 

Horaz  weigert  sich  also,  das  Begehren  des  Augustus  zu  erfüllen; 
ein  Gedanke  giebt  den  andern,  und  im  Umsehen  steht  das  Gedicht 
fertig  da. 

Dieses  Verfahren  ist  etwas  sonderbar  und  erinnert  an  Mark 
Twain,  der  zuweilen  Autographenbettlern  eigenhändig  schrieb: 
„Ich  bedaure,  Ihrem  Wunsche  um  ein  Autogramm  aus  prinzipiellen 
Gründen  nicht  entsprechen  zu  können" ,  worauf  es  dann  freilich 
vorgekommen  sein  soll,  dass  die  Empfänger  das  Autogramm,  um 
das  sie  gebettelt,  fortwarfen  und  den  Humoristen  wegen  seiner 
L^nzugänglichkeit  mit  Grobheiten  überschütteten.  Das  letztere  konnte 
natürlich  dem  Horaz  nicht  begegnen:  Augustus  wird  dankbar  das 
eigenartige,  wenn  auch,  wie  wir  sehen  werden,  nicht  ungewöhnliche 
Absagegedicht  entgegengenommen  haben. 

Wir  sind  berechtigt,  Erzeugnisse  der  an  einem  Beispiel  gekenn- 
zeichneten  Art    als   eine    besondere    Gedichtgattung   anzusprechen. 

1)  G.  T.  A.  Krüger:  „Yast  iiuiss  ich  fürchten,  mich  an  dem  Besten  des 
Staates  zu  versündigen"  u.  s.  w.  Das  heissen  die  Worte  aber  nicht.  Kiesslin^f: 
„Horaz  entschuldigt  seine  Vermessenheit,  die  wichtigeren  Dingen  gewidmete 
Zeit  des  Herrschers  für  den  folgenden  sermo  in  Anspruch  nehmen  zu  wollen, 
mit  dein  offenen  Eingeständnis  derselben".     Wo  steht  das? 


Recusatio.  321 

Nach  Analogie  der  praeteritio,  worunter  wir  bekanntlich  eine  in 
die  Scheinform  des  Uebergehens  gekleidete  Erwähnung  verstehen '), 
darf  jene  ausgesprochene  Weigerung,  welche  die  Erfüllung  in 
sich  schliesst,  als  recusatio  bezeichnet  werden.  Die  der  Recusatio 
zu  Grunde  liegende  Idee  ist  der  Ausdruck  grosser  Bescheidenheit, 
das  Eingeständnis  der  Unzulänglichkeit  des  dichterischen  Veimö- 
gens.  Wenn  eine  höher  stehende  Persönlichkeit,  namentlich  eine 
solche  von  Urteil,  den  Wunsch  ausspricht,  ein  bestimmtes  Gedicht 
zu  erhalten,  so  antwortet  der  Poet:  „Was  du  verlangst,  bin  ich 
ausser  stände  zu  leisten".  Da  er  aber  doch  etwas  giebt,  so  kann 
man,  wenn  man  mIII,  weiter  den  Gedanken  substituieren:  „Nimm 
aber  dafür  hier,  was  in  meinen  Kräften  stand". 

Sehen  wir  uns  nach  weiteren  Beispielen  bei  Horaz  um,  so 
bietet  sich  gleich  die  folgende  Epistel  desselben  Buches,  die  an 
Florus.  Diese  ganze  Epistel  mit  ihren  215  Versen  ist  nichts  als 
eine  motivierte  Weigerung,  noch  einmal  zu  dichten,  die  Weigerung 
selbst  ist  das  verlangte  Gedicht.  Man  wende  nicht  ein,  dass  der 
Dichter  nur  der  Bitte  des  Freundes  um  einen  lyrischen  Sang 
(vgl.  V.  25.  59)  Gehör  versage  und  ihn  daher  wohl  durch  eine 
Epistel  habe  schadlos  halten  können;  vielmehr  weist  Horaz  jeden 
Gedanken  an  dichterische  Thätigkeit  überhaupt  zurück.  In  der 
That  beziehen  sich  die  von  ilim  dargelegten  Gründe  oder  Ausflüchte 
nicht  sowohl  auf  seine  Abneigung,  sich  weiter  mit  der  Odendichtung 
abzugeben,  wie  man  in  der  Regel  über  Gebühr  betont  hat,  sondern 
sind  vielmehr  im  ganzen  allgemein  gehalten.  So  V.  58 — 64: 
„Was  soll  ich  überhaupt  dichten?  Jeder  verlangt  etwas  anderes 
von  mii'.  Ich  kann  mich  doch  nicht  zerreissen!"  Desgleichen 
V.  65 — 86,  die  in  ergötzlicher  Weise  schildern,  wie  die  grosse 
Inanspruchnahme  und  der  Lärm  der  Strassen  jede  Sammlung  unmög- 
lich machen.  Weiter  die  Ausführung,  dass  der  Antrieb  geschwunden 
sei,  der  ihn  einst  überhaupt  zur  Dichtung  geführt,  mit  Hindeutung 
auf  seine  lamben-  und  Satirendichtung  (V.  26 — 54).  In  derselben 
Weise  konnte  Horaz  natürlich  auch,  wenn  er  seinem  Rechte  gemäss 
statt  der  Poesie  schlechthin  einen  bestimmten  Zweig  nennen  wollte, 


^)  Äquila  Romanus  §8:    riapaXeii}iiS,  praeteritio.     Frequens  est  huius  ßgurae 
usus,  übt  quasi  praeter mittenles  quaedam  nihilo  minus  dicimus. 

Festschrift  Vahlen.  21 


322  Hans  Lucas, 

speziell  die  Lyrik  erwähnen  (V.  86  u.  99),  als  deren  Vertreter  er 
sich  ja  besonders  fühlte,  wie  er  denn  als  ein  zweiter  Alcaeus  auf 
die  Nachwelt  zu  kommen  hoffte  (carm.  III  HO).  Das  lag  um  so 
näher,  als  der  Freund  ja  ausdrücklich  um  carmina  gebeten  hatte. 
Aber  der  zweite  Wunsch  des  Florus  in  seinem  vorauszusetzenden 
Briefe  war  auf  eine  epistula  gerichtet,  V.  20  ff.: 
di^i  me  pigrum  proficiscenti  tibi,  diai 
talihus  officiis  prope  mancum,  ne  mea  saevtis 
iurgares  ad  te  quod  epistula  nulla  rediret, 
und  diese  bin  ich  geneigt,  entgegen  der  herrschenden  Ansicht,  als 
eine  poetische  Epistel^)  zu  verstehen,  nicht  als  ein  gewöhnliches 
Korrespondenzschreiben.  Die  Entscheidung  liegt  weder  in  dem 
Ausdruck  officiis,  der,  wie  von  Briefschulden,  so  ebensogut  von  der 
Gefälligkeit  der  Abfassung  von  erbetenen  Versen  gebraucht  werden 
konnte  (vgl.  Catull  68,12),  noch  in  rediret^  passend  gesagt  auch 
vom  Einlaufen  von  Gewünschtem  oder  Gefordertem,  sondern  in 
talibus  officiis  prope  mancum:  unmöglich  kann  Horaz  sagen,  dass 
er  zu  schwach  und  gebrechlich  sei,  ihm  zukommende  Briefe  durch 
ein  paar  Pflichtzeilen  zu  erwidern.  Offenbar  meint  er  die  Unfähigkeit 
zu  dichten,  weil  die  Jahre  ihm  die  Frische  und  Laune  geraubt, 
wie  unten  weiter  ausgeführt,  V.  55  ff.  Und  der  Wunsch,  eine 
derartige  Epistel  mit  persönlicher  Widmung  zu  erhalten,  war  für 
Florus  desto  natürlicher,  weil  ihm  schon  früher  eine  solche  von 
dem  befreundeten  Poeten  zu  teil  geworden  war:  I  3.  Nun,  auch 
diese  Bitte  soll,  worauf  der  Dichter  schon  beim  Abschiede  vorbe- 
reitet hatte,  nicht  erfüllt  werden,  wie  es  das  vorangehende  Gleichnis 
von  dem  geschädigten  Käufer  des  flüchtigen  Sklaven  und  die  daraus 
folgende  Nutzanwendung  unzweifelhaft  machen  (mecum  facientia 
iura  si  tarnen  attemptas,  2B  f.).  Auch  der  Händler  hütet  sich 
wohl,  den  fehlerhaften  Sklaven  wieder  zurückzunehmen. 

Es  ergiebt  sich  also,  dass  unsere  Verse  nicht  als  ein  wirkliches, 
dem  Florus  gewidmetes  Gedicht  gelten  sollen,  nicht  als  die  gewünschte 


')  Das  wäre  danu  das  einzige  Mal,  dass  lloraz  iu  den  Briefen  selbst  die 
Bezeichnung  epistula  von  dieser  Gedichtgattung  anwendet.  II  1  (V.  4.  250) 
nennt  er  sie  sermo  (ecloga  Sueton).  Dennoch  zweifelt  man  nicht,  dass  der 
handschriftliche  Titel  der  Sammlung,  der  ihr  ihrem  Wesen  nacii  zukommt,  von 
dem  Verfasser  selbst  herrührt  (Teuffel  röm.  Litt.*  §239  Anm.  1). 


Recusatio.  323 

Epistel,  sondern  als  eine  Absage.     Und  doch  sind  sie  das,  was  sie 
leugnen  zu  sein. 

Unter  den  Oden  fallen  mehrere  unter  die  Rubrik  der  Recusatio. 
So  IV  2,  hervorgerufen  durch  das  Ersuchen  des  Antonius,  den 
aus  Gallien  siegreich  heimkehrenden  Caesar  durch  ein  Gedicht 
pindarischen  Stiles  zu  begrüssen.  „Vermessenheit  wäre  es,  wenn 
ich  mit  dem  auf  allen  Gebieten  gleich  unübertrefflichen  Pindar 
wetteifern  wollte;  ich  singe  kleine  Weisen.  Du  wirst  in  grösserem 
Stüe*)  Caesars  Triumph  singen  und  die  P'estfreude  des  dankbaren 


^)  Lachmanns  Meinung,  dass  V.  33  und  41  concines  in  concinet  zu 
ändern  sei,  wird  heute  nicht  mehr  allgemein  geteilt.  Bücheier  (Rhein.  Mus. 
44,  318  f.)  hält  die  Ueberlieferung,  indem  er  maiore  poeta  pleciro  —  so 
zu  verbinden,  daher  poeta  keineswegs  „müssig"  —  auf  den  Epiker  bezieht 
(ein  solcher  war  Antonius),  dessen  Kunst  soviel  höher  stehe,  nicht  auf  den 
besseren  Dichter.  Sehr  verführerisch,  zumal  dann  unser  Gedicht  den  sehr 
ähnlichen  I  6  und  II  12  an  die  Seite  treten  würde,  wo  ebenfalls  der  Preis 
kriegerischer  Thaten  einer  andern  Dicht-  oder  Litteraturgattung  zugeschoben 
wird.  Doch  habe  ich  einige  Bedenken  dagegen,  wie  ich  mich  auch  von  der 
Notwendigkeit  symbolischer  Deutung  der  beiden  verschiedenen  Opfergaben  am 
Schluss  (vgl.  dagegen  Kiessling)  nicht  überzeugen  kann.  Der  Preis  des  Pindar 
steht  dazu  doch  in  keinem  Verhältnis.  Wozu  erst  seine  Kunst  in  sieben 
Strophen  überschwänglich  loben,  wenn  die  lyrische  Dichtung  (also  Pindar  mit 
einbegriffen)  unfähig  sein  soll,  den  einziehenden  Caesar  gebührend  zu  feiern, 
diese  Aufgabe  vielmehr  dem  maius  plectrum,  dem  Epos,  vorbehalten  bleiben 
muss?  Femer  soll  doch  das  erwartete  Lied  einen  Willkommensgruss  beim 
Einzüge  zurufen  (vgl.  besonders  V.  41 — 44),  dem  Bedürfnis  des  Augenblicks 
dienen,  ist  daher  gewiss  lyrisch  und  nicht  episch.  Die  Heldengesänge  des 
Epikers  werden  doch  erst  später  fertig,  ausgebrütet  in  stiller  Studierstube 
unter  Verwertung  all  des  mannigfaltigen  von  den  Beteiligten  selbst  bezogenen 
Details.  Und  eine  derartige  Begrüssungsode  des  Julius  für  unmöglich  zu 
halten,  weil  wir  ihn  durch  die  Cruquius-Scholien  als  Epiker  kennen,  sind  wir 
nicht  berechtigt.  War  doch  das  Dichten  in  allen  Tonarten  in  den  feinen  Kreisen 
damals  an  der  Tagesordnung,  mau  denke  an  Augustus  und  MaecenasI  —  Aber 
auch  abgesehen  von  Büchelers  Erklärung  lässt  sich  die  Lesung  der  Hss.  ver- 
teidigen, wenn  man  daran  denkt,  dass  bei  einem  Dichter  nicht  alles  wörtlich 
zu  nehmen  ist.  Die  starke  Hervorhebung  von  Pindars  Vorzügen  hat  lediglich 
den  Zweck,  die  Unzulänglichkeit  Horazens  in  helles  Licht  zu  rücken  und  seine 
Ablehnung  zu  motivieren;  weiter  sollen  die  Konsequenzen  nicht  gezogen  werden. 
Sonst  würde  ja  H.  damit  jeden  in  Grund  und  Boden  verdammen  und  von  vorn- 
herein aufs  äusserste  diskreditieren,  der  es  wagen  sollte,  nach  ihm  und  trotz 
ihm  eine  Begrüssungsode  abzufassen.     Das  gilt  nicht  nur  von  Antonius,    den 

21* 


924  Hans  Lucas, 

Volkes".  Und  der  Poet  schildert  in  anschaulichen  Wendungen  die 
kommende  Einzugsfeier,  immer  deutlicher,  plastischer  tritt  das 
Bild  vor  uns,  immer  mehr  wird  es  in  die  Gegenwart  gerückt,  und 
schon  erschallt  in  unsrer  nächsten  Nähe  wiederholt  das  lo  Triumphe. 
An  preisenden  AVendungen  zum  Lobe  des  Princeps  fehlt  es  dabei 
nicht.  So  bringt  der  Dichter  diesem  seine  Huldigung  dar  und 
hat  somit  vollkommen  das  erfüllt,   was  er  anfangs  versagte'). 

Weiter  gehört  hierher  Carm.  I  G,  die  hübsche  Antwort  auf 
das  Ansinnen  Agrippas,  der  anerkannte  Dichter  möge  auch  einmal 
seine  Kriegsthaten  zum  Vorwurf  einer  Ode  machen.  Wie  in  dem 
eben  genannten  Liede  wird  auch  hier  diese  Aufgabe  einem  Geschick- 
teren zugewiesen  und  demgegenüber  die  Beschränktheit  des  eigenen 
Stoffgebietes,  die  Natur  seiner  unkriegerischen  Muse  hervorgehoben. 
„Aber  indem  er  auf  das  nachdrücklichste  Varius'  dichterisches 
Talent,  das  allein  der  Aufgabe  gewachsen  sei,  feiert,  wird  in 
feinster  Weise  diese  Ablehnung  doch  zugleich  zu  einer  lyrischen 
Huldigung  vor  Agrippa"  (Kiessling).  —  Von  ähnlicher  Anlage  wie 
die  Agrippaode  ist,  wie  bekannt,  Carm.  H  12. 

Von  den  Epoden  ist  neben  No.  11,  zierlichen  Verschen  des 
Dichters,  den  es  nihil  sicut  antea  iuvat  scribere  versiculos  amore 
percussum  gravi,  vielleicht  noch  14  zu  nennen,  wenn  mich  eine 
Vermutung  nicht  täuscht.  Der  hergebrachten  Meinung,  dass  in 
letzterer  Epode  Maecenas  den  Pichter  mahne,  seine  Epodensammlung 
zum  Abschluss  und  zur  Ausgabe  zu  bringen, 

Lachmann  vermutlich  vor  diesem  Schicksal  bewahren  wollte,  sondern  von  jedem 
andern  Unbekannten,  den  man  mit  concinet  diese  zweifelhafte  Erbschaft 
antreten  lässt.  Durch  L.'s  Aenderung  ist  demnach  die  Schwierigkeit  in  keiner 
Weise  beseitigt,  sondern  nur  ein  wenig  verschoben.  Es  hat  also  alles  zu 
bleiben,  wie  es  ist.  Ein  doppelter  Gegensatz  ist  ausgedrückt,  einmal  zwischen 
pindarlscher  Kunst  und  Iloraz,  dann  zwischen  diesem  und  der  grösseren  Leier 
des  Antonius,  wobei  jetzt  nicht  mehr  an  IMndar  gedacht  werden  soll. 

1)  Im  ganzen  ist  das  Gedicht  letzthin  zutreffend  gewürdigt  worden  von 
G.  Friedrich,  Q.  IJoratius  Flaccus,  philol.  Untersuchungen,  S.  182  ff.  Nicht  zu- 
stimmen kann  ich  ihm  aber  darin,  dass  beide  Dichter  im  voraus  gewusst,  dass  es 
gar  nicht  zu  einem  wirklichen  Festliede  kommen,  sondern  sich  Augustus  der 
Feier  entziehen  werde.  Das  heisst  doch  wieder  den  ganzen  Sinn  eines  solchen 
Gedichtes  verkennen.  Und  Augustus  ist  doch  gewiss  eben  deswegen  bei  Naclit 
und  Nebel  in  die  Hauptstadt  gekommen,  weil  die  Vorbereitungen  zur  Feier 
ao  grosäartig  waren. 


Recusatio.  325 

iiiceptos,  olim  promissum  Carmen,  iamhos 

ad  umbilicum  adducere, 
muss  ich  widersprechen,  lamhos  passt  auch  auf  ein  einzelnes 
lambengedicht,  Carmen  aber  kann  unmöglich  ein  ganzes  Buch 
bezeichnen.  Dazu  kommt,  dass,  wenn  man,  wie  üblich,  und  mit 
Recht,  vor  olim  interpungiert,  die  natürliche  Aufeinanderfolge  diese 
ist:  längst  versprochen,  dajin  endlich  begomien,  des  Abschlusses 
noch  harrend.  Das  Beginnen  wird,  denkt  man,  nicht  so  gar 
weit  zurückliegen.  Und  den  Ausdruck  inceptos  statt  von  einem 
begonnenen,  dann  liegengelassenen  Einzelgedicht  verstehen  zu 
sollen  von  einer  ganzen  Sammlung  einzeln  und  zu  verschiedenen 
Zeiten  abgefasster  (zwischen  No.  16  und  1  liegen  neun  Jahre)  und 
bekannt  gewordener  Epoden,  hat  etwas  unsagbar  Gezwungenes  für 
mich.  Doch,  wie  gesagt,  weist  schon  promissum  Carmen  jene 
Erklärung  auf  das  entschiedenste  zurück.  Sie  scheint  allein  aus 
dem  folgenden  Verse  geflossen  zu  sein :  die  Freude  der  Interpreten, 
zu  umbilicum  ihr  Wissen  in  technischen  Details  ausbreiten  zu 
können,  hat  sie  übersehen  lassen,  dass  diese  Worte  auch  bildlich 
gefasst  werden  können.  Der  Ausdruck,  allerdings  vom  Buche 
hergenommen,  ist  nicht  wörtlicher  zu  verstehen  als  unsre  Wendungen 
„die  letzte  Feile  anlegen,  den  letzten  Meisselhieb  thun".  Kurz, 
es  handelt  sich  um  ein  versprochenes  Gedicht. 

Die  Liebe  also,  sagt  Horaz,  verbietet,  das  versprochene  lamben- 
gedicht zu  vollenden.  Nach  dem,  was  wir  nun  schon  über  jene 
Weigerungsform  gelernt  haben,  erwarten  wir,  dass  entweder  unser 
Gedichtchen  selbst  den  Ersatz  bieten,  wozu  es  allerdings  diesmal 
zu  klein  erscheint,  oder  auf  eine  andere  Ueberraschung  vorbereiten 
soll.  Es  folgt  nun  ein  Gedicht  in  demselben  Versmass,  ersten 
pythiambischen  Zweizeilern.  CatuU  hat  die  Einlage  in  dem 
68.  Gedicht,  von  dem  noch  die  Rede  sein  wird,  in  demselben  Metrum 
geschrieben  wie  den  Rest,  so  dass  sie  sich  nicht  dem  Auge  merkbar 
von  der  Umgebung  abhebt.  Das  Geleit  gedieht  zu  66,  No.  65,  ist 
wie  jenes  in  elegischen  Distichen  abgefasst,  obwohl  Catull  sonst 
der  phaläkische  Vers  näher  lag.  Sendung  und  Widmung  sollen 
eben  wie  ein  Ganzes  wirken,  nur  durch  einen  stärkeren  Einschnitt 
geschieden.  Ein  derartiges  Verhältnis  auch  bei  unsern  Epoden 
14  und   15  anzunehmen,   scheint  mir  nahe  zu  liegen.     Der  Inhalt 


326  Hans  Lucas, 

des  zweiten  bewegt  sich  auch  ganz  in  dem  Thema,  das  schon 
No.  14  übermächtig  beherrscht:  heisse  Liebe  zu  einer  Hetäre,  die 
zwar  dem  Dichter  sich  gefällig  erweist,  aber  nee  uno  contentu  ist. 
Natürlich  ist  Phryne  (14,16)  kein  wirklicher  Eigenname,  sondern 
appellativ  gebraucht,  wie  schon  wegen  der  im  vorangehenden 
umschriebenen  Helena  selbstverständlich:  sie  kann  also  wohl 
Neaera  geheissen  haben.  Schliesslich  kann  vielleicht  unsre  A^errau- 
tung,  denn  als  mehr  will  sie  sich  nicht  geben,  der  l'mstand  stützen, 
dass,  wenn  man  die  beiden  Gedichte  in  engere  Verbindung  bringt, 
als  eine  Sendung  auffasst,  dann  alle  Epoden  von  10  an  ein  ver- 
schiedenes Mass  haben,  somit  wie  eine  berechnete  Auswahl  erscheinen, 
die  Polymetrie  ihres  Verfassers  in  glänzendem  Lichte  zu  zeigen. 
Wir  kehren  nun  zu  dem  Augustus-Sermo  zurück,  von  dem 
wir  ausgegangen,  um  noch  auf  einige  Verse  der  Schlusspartie  einen 
kurzen  Blick  zu  werfen  (250  ff.): 

nee  sermones  eyo  mallem 
repentis  per  humum  quam  res  componere  gestas 
terrarumque  situs  et  ßumina  dicere  et  arces 
montibus  impositas  et  barbara  regna  tuisque 
auspiciis  totum  confecta  du£lla  per  orbem 
claustraque  custodem  paeis  cohibentia  lanum 
et  formidatam  Parthis  te  principe  Romain, 
si  quantum  cuper em  possem  quoque;  sed  neque  paroum 
Carmen  maiestas  recipit  tua  nee  meus  audet 
rem  temptare  pudor,  quam  vires  ferre  recusent. 
Vahlen  hat  bekanntlich  —   einer  der  Bausteine,  aus  denen  er  in 
überraschender  Weise  die  Chronologie  des   zweiten  Epistelnbuches 
neu  aufgebaut  (Monatsberichte  der  Berl.  Akad.  1878  S.  688 ff.)  — 
die  enge  Beziehung  gesehen,  in  welcher  obiger  Passus  zu  einzelnen 
Stellen  der  Oden  14  und  15  des  vierten  Buches  steht.     Die  Anklänge 
sind  unbestreitbar,  z.  B.  folgende  wörtliche  Uebereinstimmung,  wo 
nur  für  das  Alpihus  der  bestimmten  Situation  des  Vindelikerkrieges 
in  der  Weigerung,    von  Kriegen  und  fremden  Völkern  überhaupt 
zu  singen,  der  allgemeine  Ausdruck  eingetreten  ist: 

Od.  IV  14,  11  f.  Epist.  n  1,252  f. 

et  arces  et  arces 

Alpihus  impositas  tremendis  montibus  impositas. 


Reciisatio.  327 

Die  schärferen  Konsequenzen  für  den  zeitliehen  Abstand  zwischen 
Epistel  und  Oden  hat  Yahlen  zu  ziehen  unterlassen,  weil  für  seinen 
Zweck  entbehrlich').  Wir  dürfen  nun  wohl  nach  dem,  was  wir 
in  der  vorangehenden  Untersuchung  an  Proben  jener  eigenartigen, 
etwas  affektierten  Bescheidenheit  des  Horaz  kennen  gelernt  haben, 
einen  Schritt  weitergehen  und  sagen:  Schwerlich  wird  es  sich  in 
der  Epistel  handeln  um  das  Berühren  eines  Themas,  das  der 
Dichter  hier,  als  blosse  Möglichkeit  ins  Auge  gefasst,  weit 
von  sich  weise  und  erst  später  doch  ausgeführt  habe;  sondern 
jene  höfischen  Oden  waren  vor  der  Epistel  bereits  gedichtet  und 
bekannt:  Horaz  spielt  mit  einer  Keihe  von  Wendungen,  die  ein 
ausreichendes  Bild  ihres  Inhalts  gewähren,  deutlich  auf  sie  an. 
W^enn  er  nun  ausdrücklich  sagt:  mallem  res  componere  (je&tas  etc.^ 
si  quantum  cuperem  possem  quoque,  so  verleugnet  er  die  Siegesoden, 
betrachtet  sie  in  seiner  eigentümlichen  Ausdrucksweise  als  nicht 
geschrieben,  weil  hinter  seiner  und  des  Auftraggebers  Erwartung 
zurückbleibend.  Dies  berührt  sich  nicht  nur  nahe  mit  unserer 
Auffassung  der  Recusatio,  sondern  wirft  auch  ein  neues  Licht  auf 
das  sattsam  bekannte  Unabhängigkeitsgefühl  des  Dichters,  der  sich 
gegen  Augusts  wohlgemeinte  Gunstbezeugungen  ablehnend  verhielt 
(vgl.  das  Angebot  der  Sekretärstelle  bei  Sueton)  und  dement- 
sprechend sich  jeden  auf  den  Herrscher  bezugnehmenden  Vers  erst 
ordentlich  abnötigen  Hess'). 

So  gewinnen  wir  auch  weiter  das  Recht,  der  Schlussode  des 
vierten  Buches  eine  andre  Deutung  zu  geben,  als  bisher  üblich 
gewesen : 

Phoebus  volentem  proelia  me  loqui 
victas  et  urhis  increpuit  lyra, 


^)  „Man  wende  nicht  ein,  diese  Anklänge,  so  unbestreitbar  sie  sind,  reichten 
nicht  aus,  die  Gedichte,  welche  sie  darbieten,  in  zeitliche  Nähe  zu  rücken: 
wir  schliesseii  nicht  aus  diesen  Berührungen,  dass  der  Brief  an  Augustus  mit 
jenen  Oden  gleichalterig  sei,  sondern  nützen  sie  nur  als  willkommene  Zu- 
stimmung zu  dem  auf  anderem  Grunde  geschöpften  llesultat"  (a.  a.  0.  p.  693). 

2)  Ist  unsere  Auffassung  richtig,  so  fällt  die  Augustusepistel  etwas  nach 
der  Schlussode  des  vierten  Buches  (vgl.  V'ahlen  a.  a.  0.  p.  696,  der,  wenn  ich 
ihn  recht  verstehe,  die  Mögliclikeit,  den  Augustusbrief  auch  kurz  nach  740 
hinabzurücken ,  einräumt). 


328  Hans  Lucas, 

ne  parva  Tyrrhetmm  per  aequor 

vela  darem  etc. 
Kiessling  bemerkt  dazu:  „Scheint  es  doch  nach  Epp.  II  1,  251  IT., 
als  hätte  ihm  der  Gedanke  nahe  gelegen  oder  sei  ihm  nahe  gelogt 
worden,  dieKriegsthaten  der  letzten  Jahre  in  eingehenderer  Darstellung 
zu  behandeln.  Weislich  hat  er  dies  unterlassen  und  vielmehr  es 
vorgezogen,  mit  dem  lyrischen  Thema  von  dem  Segen,  welchen 
Augustus'  Regiment  der  römischen  Menschheit  spende,  als  Epilog 
diese  Sammlung  seines  Liederherbstes  zu  beschliessen".  Doch 
liegt  nicht  eine  andere  Erklärung  jener  Worte  näher,  in  unserm 
Sinne  wenigstens?  Dass  man  dem  grössten  Lyriker  Konis  epische 
Gesänge  zugemutet,  ist  durchaus  unwahrscheinlich;  es  konnte  nur 
von  lyrischen  Erzeugnissen  die  Rede  sein.  Und  in  lyrischem  Liede 
die  jüngsten  Siege  zu  preisen,  war  auf  verschiedene  Weise  möglich, 
führen  doch  viele  Wege  nach  Rom;  schwerlich  aber  konnte  dies 
in  vollendeterer  und  angemessnerer  Weise  geschehen  als  in  Carm,  4 
und  14.  Hier  ist  genug  gesungen  von  proelia  und  victae  urbes 
(=  arces),  freilich,  wie  Horaz  meint,  invito  Apolline.  „Als  ich  das 
singen  wollte,  sagte  Phoebus:  Lass  du  die  Finger  davon,  das  ist 
nichts  für  dich".  So  betrachtet  er  wieder  das  wirklich  Geleistete 
als  nicht  gegeben,  es  kann  nicht  gerechnet  werden,  weil  den 
Anforderungen  des  hohen  Leiters  der  römischen  Geschicke  unniögiicli 
entsprechend.  Gar  sonderbar  und  wenig  glaublich  mag  manchem 
dieses  Uebermass  von  Bescheidenheit,  wie  wir  es  auffassen,  dünken, 
zumal  wenn  man  die  Stellen  dagegen  hält,  worin  sich  der  höchste 
Dichterstolz  ausspricht,  Carm.  II  20,  III  30  und  namentlich  |V  3  mit 
seiner  Freude  über  die  offizielle  Anerkennung.  Doch  ist  es  ein 
ander  Ding,  ob  der  ehemalige  Republikaner  widerstrebend,  nach 
wiederholter  Nötigung,  die  kaiserlichen  I^rinzen  ansingt  oder  im 
Auftrag  der  höchsten  Stelle  als  Mund  des  ganzen  Volkes  die  über 
die  Geschicke  des  Staates  waltenden  Götter  anruft.  Man  mag  auch 
jenen  scheinbaren  Mangel  an  Selbstvertrauen  als  einen  bisher  nicht 
erkannten  Zug  höfischen  W^esens  und  der  Etikette  auffassen;  jeden- 
falls hält  sich  jene  Stelle  genau  in  dem  Rahmen  dessen,  was  wir 
in  der  ersten  Epistel  des  zweiten  Buches  erkannt  haben,  die  durchaii.s 
dem  Wortlaut  nach  leugnet,  das  zu  sein,  was  sie  wirklich  ist:  der 
von  Auffustus  gewünschte  Sermo. 


Recusatio.  329 

Ein  zusammenfassender  Rückblick  ergiebt  eine  dreifache 
Gattung  der  Recusatio,  wie  sie  uns  in  den  betrachteten  Proben 
entgegentrat:  die  Weigerung,  jemand  durch  ein  erbetenes  Gedicht 
zu  ehren  und  damit  die  Erfüllung;  die  Abwälzung  des  Auftrages 
auf  eine  andere  Dichtgattung;  Anspielung  auf  frühere  Leistungen, 
die  verleugnet  werden. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  ob  diese  bei  Horaz  wiederholt 
konstatierte  Gattung  des  Weigerungs-  oder  Absagegedichtes  sein 
spezielles  Eigentum  ist  oder  von  Früheren  übernommen.  Die  Antwort 
wäre  gegeben  durch  das  Gedicht  68  des  Catull,  wenn  unsere  Aus- 
legung desselben  unzweifelhaft  wäre.  Aber  wir  berühren  da  eine 
der  schwierigsten  Fragen.  Der  Kampf  um  dieses  Gedicht,  die 
Fehde  zwischen  „Chorizonten"  und  „Unitariern"  dauert  ungeschwächt 
fort,  und  wer  sich  ungerüstet,  d.  h.  ohne  gehörige  Kenntnis  der 
weitschichtigen  Litteratur'),  zwischen  die  Kämpfenden  begiebt,  ist 
in  Gefahr,  von  ihnen  erdrückt  zu  werden.  Doch  müssen  wir  es 
auf  diese  Gefahr  hin  wagen,  kurz  unsern  Standpunkt  anzudeuten, 
und  erbitten  von  vornherein  die  Nachsicht  des  Lesers.  Wir 
halten  also  das  ganze  Gedicht  für  einheitlich,  nur  stellenweise  durch 
mechanische  Verderbnis  entstellt  (V.  47.  141).  Eine  doppelte 
l^ittc  hat  Allius  an  den  Dichter  gerichtet.  Die  eine,  munera 
Musarum  et  Vcnen's  —  mit  Haupt  und  Westphal  als  Ilendiadyoin 
zu  fassen,  „Liebesgedichte",  so  dass  hiermit  nicht  auf  die  Zwei- 
teilung der  ursprünglichen  Bitte"-)  zurückgegriffen  wird  —  weist 
Catull  V.  9  ff.  zurück ,  da  er  durch  den  Tod  des  Bruders  zu  sehr 
in  Schmerz  versenkt  sei: 

ignosces  igifur,  si,  quae  mihi  luctus  ddemit, 
haec  tibi  non  tribuo  munera,  cum  nequeo. 

^)  Bericht  über  die  neuesten  Ersehoiiiuii^en:  Bursian's  Jahresber.  über  die 
Fortschritte  der  class.  Altertumswissenschaft  1898,2  S.  215  ff. 

-')  Für  scharfes  Auseinanderhalten  der  munera  Veneris  und  munera 
Musarum  tritt  letzthin  besonders  Hoerschehnaun  ein  (Catull  68,  Dorpater  Ein- 
ladungssehrift  1889,  bes.  S.  18f.).  Erstere  fasst  er  als  etwas  Praktisches  auf: 
Catull  solle  sich  auf  die  Reise  machen,  sich  in  Liebeshändel  stürzen  und  dann 
den  Freund  einführen.  Dagegen  scheint  mir  der  Wortlaut  von  V.  10  zu  sprechen 
(hinc  petis)^  der  eher  auf  eine  Sendung  deutet;  auch  V.  14  will  schlecht 
damit  stimmen.  Noch  weniger  möchte  ich  an  eine  Sendung  von  scordlla  aus 
Verona  denken,  als  ob  Catull  solche  auf  Lager  gehabt  hätte. 


330  IT  ans  Lucas, 

Mit  nam  qtiod  scriptorum  (33,  navi  blosse  rebergangspartikel) 
wird  zum  zweiten  Punkt  weitergegangen,  der  V.  7  ausgesprochenen 
Klage:  der  süsse  Sang  der  alten  Dichter  erfreue  Allius  nicht,  wenn 
or  sich  schlaflos  auf  dem  Lager  wälze.  Warum  nicht?  Oftenbai- 
weil  er  keine  alten  Dichter  zur  Hand  hat,  verstehen  wir.  Daher 
soll  ihm  Catull  welche  leihweise  schicken.  Aber  dieser  hat  seine 
Bibliothek  in  Rom  gelassen,  nur  eine  einzige  Schachtel  hat  er  mit 
und  diese  kann  er  nicht  entbehren.  Somit  sind  beide  Bitten 
abschlägig  beschieden,  daher  V.  39  non  utriusque  als  Regierung 
von  beiden  zu  fassen.  Sollte  es  wirklich  sprachwidrig  sein,  non 
utriusque  =  ncutrius  zu  verstehen,  so  muss  non  zum  ganzen  Prädikat 
gezogen  werden,  wie  man  dieses  auch  herstellen  mag  (die  „Inter- 
polation" der  Itali  facta  est  ist  um  nichts  schlechter  als  die  neue- 
ren Conjekturen). 

Nun  haben  freilich  die  Unitarier  meist  non  utriusque  so 
erklärt:  nicht  beides,  aber  doch  eines  von  beiden  (also  die  Bitte 
um  ein  Lied  soll  gewährt  werden),  um  den  folgenden  Sondergesang 
als  sofortige  Erfüllung  des  Versprechens  auffassen  und  die  Einheit 
des  Ganzen  wahren  zu  können.  Aber  abgesehen  davon,  dass  die 
vorangehenden  Verse,  wie  wir  gezeigt  zu  haben  glauben,  eine  voll- 
ständige Ablehnung  beider  Wünsche  ausdrücklich  aussprechen, 
schliesst  auch  der  folgende  Vers  40  die  erwähnte  Auffassung  aus: 
quod  tibi  non  utriusque  petenti  copia  facta  est: 
40  ulti'o  ego  deferrem,  copia  siqua  foret. 

Also  ist  keine  Möglichkeit  vorhanden  und  er  kann  nicht  von 
selbst  anbieten!  Das  Objekt  zu  deferrem  muss  im  voraufgehenden 
Satze  stecken  und  die  ganze  Aussage  negiert  sein'). 

Aber  damit  scheinen  wir,  die  wir  uns  anfangs  als  Unitarier 
bekannten,  fahnenflüchtig  geworden  und  den  Gegnern  das  Feld 
überlassen  zu  haben.  Denn  für  die,  welche  das  Gedicht  zerlegen, 
ist  es  ja  ein  Jlauptangrill'spunkt,  dass  das  poetische  munus  im 
ersten  Teil  verweigert,    dann  aber  V.  41  IL    doch    gegeben   wird. 


>)  Skiitsch  Hheiu.  Mus.  47  (1892)  .S.  148  paraplirasiort:  „So  wirst  Du 
wohl  nicht  glauben,  dass  liöser  Wille  oder  dergl.  schuld  ist,  dass  Dir  nicht 
beide  Wünsche  erfüllt  worden  sind;  könnte  icli  nur,  so  gäbe  ich  beides  auch 
ungebeten'^;  aber  dieses  stark  betonte  „beides"  ist  irreführend.  Wer  versteht 
„dafi  eine  von  beiden",  muss  im  folgenden  erwarten  alterum  e<jo  äejerrem  etc. 


Recusatio.  331 

Dies  ist  aber  nach  unserem  oben  an  Beispielen  entwickelten 
Begriff  der  Recusatio  gerade  in  der  Ordnung.  Der  Dichter  hatte 
dem  Freunde  den  Wunsch  verweigern  müssen,  weil  der  Schmerz 
ihn  unfähig  machte,  sich  in  Liebesgedanken  zu  versenken,  und  die 
poetische  Gabe  überhaupt  geringer  ausfallen  musste,  als  bei  seinem 
Dichterruhm  und  bei  den  berechtigten  Ansprüchen  des  Allius  auf 
ein  besonders  gelungenes  Werk  zu  .erwarten  war.  So  verfasst  er 
den  abweisenden  Brief  und  legt  soeben  die  Feder  hin.  Da  steigen 
plötzlich  die  Musen  vor  ihm  auf.  Ihr  Anblick  begeistert  den 
Sänger  zu  einem  kunstvollen  Gedicht,  worin  den  göttlichen 
Jungfrauen  der  unvergessliche  Freundesdienst  des  Allius  (von  dem 
jetzt  natürlich  nur  in  der  dritten  Person  geredet  werden  kann)  aus 
vergangener  Zeit  gepriesen  wird.  In  kunstvollen  Verschlingungen 
führt  der  Dichter  den  Faden  aufwärts,  bis  bei  der  Erwähnung 
Trojas,  das  auch  seinen  Bruder  geraubt,  die  eben  geschlossene 
Wunde  wieder  aufbricht  und  er  in  schluchzenden  Jammerruf  aus- 
bricht, begreiflich  genug  in  fast  denselben  Wendungen  wie  bei 
seiner  ersten  Schmerzensklage ').  Dann  wird  der  aufgewickelte 
Faden  vom  Knäuel  wieder  ebenso  abgewickelt^).  So  hat  sich 
die  plötzliche  Vision  und  die  dichterische  Begeisterung  in  ihrem 
Gefolge  niedergeschlagen  in  einem  Gedichte.     Catull  betrachtet  es 

1)  Skutsch  hat  im  Rh,  Mus.  47  in  einleiiehtender  Weise  das  kunstvolle 
Kompositionsschema  des  eingelegten  Gedichtes  entwickelt,  w.  a.  auch  dargethan 
(S.  150  f.),  wie  nötig  die  längere  Klage  um  den  Bruder  als  Mittelpunkt  des 
Ganzen  und  wie  unwahrscheinlich  aus  andern  Gründen   eine  Interpolation  sei. 

^  Die  Kompositionsweise  erinnert  mich  in  dieser  Hinsicht  etwas  an  den 
bekannten  Spruch  Walthers  von  der  Vogelweide  (n.  168  Pfeiffer): 

Niemau  kan  beherten 
kindes  zuht  mit  gerten: 
den  man  z'eren  bringen  mac, 
dem  ist  ein  wort  als  ein  slac. 
dem  ist  ein  wort  als  ein  slac,    • 
den  man  z'eren  bringen  mac: 
kindes  zuht  mit  gerten 
nieman  kan  beherten. 

Ich  werde  übrigens  den  Gedanken  nicht  los,  dass  mit  dem  catullischen  Gedicht 
mit  seinen  verschieden  langen  Abschnitten,  die  nachher  in  umgekehrter  Reihen- 
folge wiederkehren,  nicht  nur  durch  gleichen  L'mfang,  sondern  auch  Gleichheit 


832  Ifaiis  Lucas, 

allerdings  als  ein  solches  und  geleitet  es  mit  seinen  Segenswünschen; 
er  fällt  dabei  etwas  aus  der  Rolle,  da  wir  früher  fanden,  dass 
die  Fiktion  der  Weigerung  bis  zu  Ende  aufrecht  erhalten  wird, 
üoch  bleibt  er  wenigstens  dem  Grundgedanken,  dem  Ausdruck 
geringen  Zutrauens  zu  sich,  treu  durch  die  Worte  (149)  hoc  tibi 
qiiod  potui  confectum  carmine  munus:  so  gut  ich's  konnte. 

Es  möge  noch  an  dieser.  Stelle  im  allgemeinen  gegen  die 
Vertreter  der  Trennungstheorie  bemerkt  werden,  dass  das  soir. 
Carmen  68"  (1 — 40),  wenn  man  es  ablöst,  nach  meiner  Empfindung 
überhaupt  kein  Gedicht  wäre.  Denn  dass  jemand,  der  schwere 
Trauer  hat,  keine  Liebesgedichte  machen  kann,  ist  selbstvei-ständlich, 
diese  Selbstverständlichkeit  erst  in  kunstvolle  Verse  zu  'y-iessen 
und  für  die  Mitwelt  zu  bestimmen,  wirklich  trivial^).  Es  muss 
eben  noch  etwas  weiteres  kommen,  sonst  ist  die  Pointe  abgebrochen. 
Das  hätte  man  auch  aus  der  Analogie  des  ähnlichen  t'.  60  schliessen 
sollen,  das  überhaupt  nur  seinen  Zweck  hat  als  Begleitschreiben 
zu  dem  folgenden  alexandrinisclien  Opus.  Die  blosse  Trauernachricht 
von  dem  Ableben  des  Bruders  an  Hortensius  hätte  ('atull  schwerlich 
weder  in  Versen  verfasst,  noch  für  die  Oeffentlichkeit  bestimmt. 
Auch  dieses  Gedicht  nähert  sich  in  gewissem  Sinne  einer  Recusatio, 
weil,  wie  V.  2.  3  besagen,  die  Uebertragung  ganz  ohne  Beihülfe 
der  Musen  geschehen  sein  soll,  wie  eine  aufgegebene  Schularbeit, 
l'nd  doch  ist  es  eine  dichterische  Leistung. 

Der  vorstehende  Versuch  einer  Inhaltsanalyse  des  Alliusgedichts 
beansprucht  nicht,  all  dem,  was  zu  der  Sache  geäussert  worden 
ist,  gerecht  zu  werden,  sondern  will  nur  eine  bescheidene  Einladung 
sein,  von  einem  neuen  Gesichtspunkte  aus,  als  Recusatio,  das 
Gedicht  zu  betrachten,  ob  sich  dann  die  Hauptschwierigkeiten 
leichter  lösen. 

Wollen  wir  die  Spuren  des  Weigerungsgedichtes  noch  über 
Catull  hinaus  zurückverfolgen,  so   weist  Catull   selbst  deutlich  auf 


des  Inhalts  auf  eiuander  bezogen,  eine  Art  carmen  figumlnm  (als  „papierues 
Kunstwerk"  für  das  Auge  bestimmt)  beabsichtigt  sei,  obwohl  freilich  l»ei 
den  uns  bekannten  die  Figur  durch  ungleiche  Länge  der  Verse  erzielt  wird. 
(Doch  vgl.  neuerdings  Wilamowitz  Jahrb.  d.  arch.  Inst.  XIV,  1899  S.  51  ff.). 

')  Infrciwillig    gestellt    Hiese    p,  219    seiner   Ausgabe   zu,   dass    v.  1 — 40 
allein  eine  poetische  Leistung  nicht  seien. 


Recusatio.  333 

die  Alexandriner.  Und  hier  dürften  in  der  That  die  Wurzeln 
liegen.  Ein  Zeitalter  mit  einem  so  ausgesprochenen  litterarischen 
Getreibe,  wo  die  Gelehrten  und  Poeten  einen  besonderen,  in  der 
Gesellschaft  tonangebenden  Stand  bildeten,  wo  neue  bedeutendere 
Erzeugnisse  durch  Vorlesung  in  weiteren  Kreisen  verbreitet  wurden, 
ist  die  Vorbedingung  für  das  Entstehen  einer  solchen  Erschei- 
nung. Der  Wunsch,  in  einem  Gedicht,  das  eine  persönliche  Widmung 
verträgt,  von  einem  angesehenen  Dichter  gefeiert  zu  werden  und 
so  durch  die  Mit- und  Nachwelt  zu  schweben,  oder  wenigstens  das 
ausgesprochene  Verlangen  danach  —  die  Sitte  adressierter  Gedichte 
überhaupt  ist  weit  älter')  —  ist  nur  in  solchen  Kreisen  denkbar. 
Und  dann  konnte  sich  Aveiter  erst  nach  längerem  Bestehen  solcher 
Sitte  jene  Scheinform  herausbilden,  welche  versagt,  was  sie  gewährt. 

')  Vgl.  Welcker,  Theogiiidis  reliquiae  p.  LXXVII  und  meine  Studia  Theo- 
gnidea  (Berol.  1893)  p.  67f. 


XIX. 
Rudolf  Helm. 


De  metamorphoseon  Ovidianarum  locis 
duplici  recensione  servatis. 


Novissimam  Ovidii  metamorphoseon  editionem  ab  Ehwaldio ') 
qua  solet  diligentia  i'actam  cum  legerem  et  perlegerem,  maxime  in 
eo  haerebam,  quod  tot  versus  ille  vir  doctus  quamquam  cauto  usus 
iudicio  insiticios  putavit.  Qua  in  re  minime  ei  adstipulor,  quia 
nullo  fere  loco  cur  illi  additi  sint  cognosci  potest,  at  saepissime 
eorum  aut  forma  aut  elocutio  poetae  ipsius  Ingenium  prae  se  ferre 
mihi  quidem  videtur.  8ed  de  eis  versibus,  qui  quamquam  Omni- 
bus in  libris  scriptis  leguntur  tarnen  putantur  adulterini  aut  qui 
idcirco  expelluntur  quia  desunt  in  optimis,  nunc  quidem  disserere 
supersedeo:  agam  de  eis  locis,  quibus  cum  duae  exstent  recensiones 
necesse  esse  videtur  alteramutram  proscribamus  et  interpolatores 
suam  libidinem  secutos  aliquid  ex  suo  inseruisse  credamus.  Tibi 
autem,  praeceptor  carissime,  cui,  si  quid  in  his  studiis  efficiam, 
omnia  me  debere  etiam  atque  etiam  profiteor,  fore  spero  ut  non 
displiceant  hae  quaestiones,  quibus  versuum  Ovidianorum  sospita- 
torem  me  praebere  studeam. 

Ac  primum  quidem,  priusquam  duplices  quae  inveniuntur 
in  metamorphoseon  carmine  recensiones  examinemus,  hoc  in  me- 
moriam  revocandum  videtur  quod  poeta  ipse  de  eins  editione 
exposuit;  leguntur  enim  in  tristium  libri  I  carmine  7  versus  hi 
(19  sqq.): 

sie  ego  non  meritos  mecum  peritura  libellos 

iniposui  rapidis  viscera  nostra  rogis, 

vel  quod  eram  Musas  ut  crimi7ia  nostra  perosus 

0  Die  Metamorphosen  des  P,  Ovidiiis  Naso  erkl.  v.  0.  Korn,  3.  Aufl., 
neu  bearbeitet  von  R.  Ehwuld,  Berlin  1898. 

Festsolii-ift   Vahleii.  22 


k 


88!^  Rudolf  TTolm, 

vel  quod  adhuc  crescens  et  rüde  Carmen  erat, 
quae  quoniavi  non  sunt  penitus  aublata,  sed  exstanty 
pluribus  eaeniplis  scripta  fuisse  reor. 
In  epigrammate    autem,    quod    ipse  in  fronte  libelli  legi     ult 
ut  errores  et  vitia  exciiset,  haec  addit  (v.  37  sq.): 

quoque  magü  faveas:  haec  non  sunt  edita  ab  ipso, 
sed  quasi  de  domini  funere  rapta  sw^'). 
Quae  si  animis  complectemur,  hoc  certe  concedendum  est  fieri  po- 
tuisse  ut  illa  exempla  quae  auctor  ipse  Carmen  nondum  satis  per- 
iectum  continere  existimabat,  hie  illic  varias  atque  diversas  prae- 
berent  lectiones,  quia  poeta  postquam  amico  alicui  primum  dedit 
exemplum  sane  non  destiterat  Carmen  limare  aut  quantum  posset 
ad  maiorem  redigere  perfectionem,  dum  exilio  multatus,  cum  et 
de  Salute  et  de  carminibus  desperaret,  perfectissimum  igni  tradidit. 
Atque  duplicem  recensionem  cognoscimus  in  libri  I  (R. ')  versi- 
bus  544  sqq.,  ubi  cum  codice  Amploniano^)  hunc  exhibet  versuuni 
tenorem  manus  tertia  codicis  Neapolitani: 

victa  labore  fugae,  spectans  (—  que  Ampi.)  Peneidos  undas: 
^fer  pater    inquit  '  ope?n,  si  ßumina  numen  habetis. 
qua  nimiutn  placui,  tellus    ait  {aut  km^\.Y  hisce  veL  istam 
quae  facit  ut  laedar  mutando  perde  figurani . 
via:  prece  finita  eqs. 
Sic  Daphne  auxilium  implorat,  cum  Apollo  eins  vestigia  insecutus 
virginem  corrumpere  studeat.    Quae  verba  non  recte  legi  in  libris, 
etiamsi   fieri   posset  ut  '  inquit'    et  *  aW    nulla  particula  coniuncta 
alterum    alterum    exciperet  neque  offenderet  commemoratio   Penei 
patris  et  Telluris    qui  nullo  vinculo  iuxta   componuntur,  tamen  ex 
duobus  quae  ad  vocem  '^ßgurani  pertinent  enuntiatis  relativis  satis 
apparet ');    nam  '  qua    nimium   placui    ad  tellurem  referri  nequire, 
quamquam    non    defuere  qui  putarent,  nunc  quidem  constat  prae- 
sertim  apud  eum  cuius  animo  obversatur  versus  II  474:  '^  adimam 
tibi  nempe  ßguram,  qua  tibi  quaque  places  nostro,  importuna,  ma- 

')  cf.  trist.  II  655:  quamvis  manus  ultima  coepto  de/uit. 
2)  cf.  Grau  de  cod.  Amplon.     Halle  diss.  1892  p.  37. 
')  Quae  Baimierus  de  hoc  loco  comuientatiuncula  quae  legitur  in  Fleck- 
eiseni  aunalibuä  1895  p.  835  sq.  protulit,  mmiiuc  probauda  suut. 


De  metamoi'phoseon  Ovidianarum  locis  duplici  recensione  servatis.     339 

ritd' .  Quare  Ritschelius  ^)  cum  propter  librorum  scriptorum  auc- 
toritatem  versus  integros  proscribere  non  auderet,  partem  ^quae 
facit  ut  laedar ,  quia  idem  significat  atque  "^  qua  nimium  placui\ 
solam  glossema  esse  ratus  quod  additura  ad  genuina  verba  priorem 
versus  superioris  partem  expulisset,  utramque  implorationem  ser- 
vavit,  sed  ad  alteram  cum  altera  conectendam  interpolatione  illa 
quam  putabat  deleta  ipse,  ut  quae  perissent  suppleret,  Hmpatiens- 
qufi  niorae'  in  eius  locum  substituit.  Sed  operae  pretium  videtur 
tales  quales  scriptos  a  poeta  existimabat  vir  doctissimus  una  cum 
glossemate  ante  oculos  ponere  versus,  quo  facilius  de  eius  coniec- 
tura  Judicium  feramus;  restituuntur  enim  ab  eo  sie: 

\fer  pater    inquit  '  opem,  si  ßumina  7iumen  habetis' 
impatiensque  'morae:  '^tellui   ait  '  hisce  vel  istam 
quae  facit  ut  laedar 
qua  nimium  placui  mutando  perde  figurani 

Quae  si  in  libris  olim  lecta  esse  ponimus,  hoc  certe  apparet  ne 
sie  quidem  facile  corruptelae  causam  afterri  posse,  quia  si  supra 
voces  additum  erat  glossema  ut  versus  superioris  partem  expellere 
poterat,  ita  non  erat  cur  praeterea  cum  verbis  ad  quae  adscriptum 
erat  ipsis  locum  mutaret,  sin  infra  additum  erat,  inferiorem  potius 
versum  laesum  esse  coniciemus.  Meliorem  igitur  viam  ingressus 
esse  mihi  videtur  Alexander  Riese,  qui  haec  scripsit  in  prioris 
editionis  praefatione  (p.  XI),  quamquam  in  altera  se  errasse  confi- 
tetur:  „^  quae  f.  ut  laedar'  est  altera  lectio  (fort,  ab  Ovidio  ipso 
profecta)  ad  illa  'qua  n.  placui'^,  nisi  quod  pergit:  „cui  nescio  quis 
inepte  ''tellus — istant''  addidit"  et  id  quidem  ut  mihi  videtur  minus 
recte.  Nam  si  perpenderis  quid  aptum  sit  naturae  virginis  quae 
a  deo  persequente  iam  se  captari  sentiat,  haud  inepte  eam  optare 
concedes  ut  a  tellure  recipiatur')  aut  figura  mutata  virum  effugere 
possit,  nisi  forte  extremis  verbis  hoc  potius  optat  ut  pulchritudine 
molesta  levetur.  Quae  res  tam  venuste  atque  ex  totius  loci  ratione 
excogitata  videtur,  ut  interpolatoris  eam  esse  minime  credam. 
Quare  ne  Hauptio  quidem  assentier,  qui  in  editione  metamorphoseon 
Gierigii  opinionem    amplexus    ex    duobus    versibus    unum    restitui 

0  Mus.  Rhenan.  I  472. 

■^)  cf.  Ov.  fast.  III  609  Heroid.  \I  144. 

22* 


340  Rudolf  Holm, 

iubet  huiic:  ^  qua  nivmim  placui  Dmtamlo  pci'dc  ßf/uram\  verba 
autem  quae  leguntur:  Melius  ait  hisce  vel  istani'  ab  interpolatoic 
inveuta  opiiiatur,  ut  illud  glossema  versui  adaptaietur. 

Sed  digna  ex   qua   progrediamur  videtur    lectio   codicis   L;in- 
rentiani  L  hoc  ordine  versus  exhibentis; 

cicta  labore  fugae:  Uelltis'  ait  ^  hisce  vel  istam 
que  facit  ut  ledar  mutando  perde  ßguram 
qua  nimium  placui^  spectatisque  Peneidos  ujulas 
\fer  pater^  inquit  '^  openi  si  ßumina  numeii  habetis\ 
Apparat  enim  duos  priores  versus  quos  solos  Marcianus')  praebet 
optime    et   inter    se  et    cum    ceteris  cohaerere;    nam  cur  laedeudi 
verbum    pravum    esse  Hauptius  iudicaverit,    parum  intellego,  quia 
Maedere'    ideni    fere     significat     atque   'offendere'    aut   'iniuriam 
facere'^)    neque    vitiandi    vis  desideratur,   quia  ne  poterat  quideni 
recte  illa  dicere:    quae    facit   ut   vitier   aut   corrumpar,   cum    neu 
vitietur.    Elocutionem  denique  totius  enuntiati  Ovidianam  esse  de- 
monstratXIV  373:  perque  hanc,  pulchei'Hme,  formam  quae  facit  ut 
supplex  tibi  dm,  quas  repetitiones  non  inutiles  esse  ad  versus  poe- 
tae  ipsi  vindicandos  docent  quae  Hartmaiius  congessit   exempla^). 
Neque  minus  elucet  cohaerere  inter  se  ea  quae  nunc  exhibent  libri : 
victa  labore  fugae,  spectans  Peneidos  undas 
^fer  pater'  inquit  '  opem,  si  ßumina  numen  habetis, 
qua  nimium  placui,  mutando  perde  ßguram  . 
Nam  eisdem    fere  verbis  auxilium   petit  Myscelus  qui   fer  precor' 
inquit  ^opetn'    XV    40,    et    enuntiata  condicionalia    saepissime    ab 
Ovidio    implorationi    adiungi    docent    VII  615    sqq.  VIII    350  sq. 
X  274  a.  1.     Quodsi  duae    illae    receusiones    aeque    aptae  et  aeque 
poeta  dignae  videntur,  quid  colligimus  nisi  duas  esse  a  poeta  factas 
eo  consilio,  ut  altera  in  alterius  locum  succederet*)?    Atque  cogi- 
tare    licet    prius    Ovidium    virginem    a  Tellure  auxilium  petentem 

^)  Idem  scilicet  in  Neapolitauo  a  prima  maiiu  scriptum  erat,  priusquani 
erasis  uno  versu  et  dimidio  lectio  codicis  Amploniani  iuserta  est. 

-')  cf.  I  607,  II  518,  IV  191/2,  X  335. 

')  Mnemosyne  XVIII  p.  174  sqq. 

*)  Haec  postquam  scripsi,  idem  de  hoc  loco  iudicasse  Krnestum  Maass 
cognovi  iu  commentatioue  mytliof,naphica  (juam  addidit  iudici  lectionuin  uuivcr.s. 
Grypliiswald.  188G  p.  XXsqq. 


De  metainorpliost'ou  OvidiaiKirmn  locis  duplici  recensiuiic  servatis.     341 

finxisse,  quam  fabiilae  formain  rel'ert  Hygiims  fab.  203  (^illa  a 
Terra  praeskUu/n  petit).  deinde  praestare  sensisse  Penei  patris 
commemorationem  redintegrare.  Hanc  enim  posteriorem  esse  re- 
censionem  mihi  conexus  seiitentiarum  ipse  videtur  demonstrare, 
quia  et  participia  duo  quae  sunt  victa  et  specfans  et  enuntiata  /er 
opem  et  perde  figurani  nullo  inter  se  vinculo  coniuncta  sunt,  ut 
iit  si  quis  postea  sententiam  aliquam  inserere  conatur.  Quae 
recensiones  cum  in  uno  codice  essent  conscriptae,  postea  in  unum 
sententiarum  tenorem  coierunt  semel  omissis  quas  utraque  exhibe- 
bat  versus  partibus  ^  victa  labore  fagae  et  '  mutando  perde  figura7ti^ 
neque  id  pari  modo  omnibus  in  libris.  Quocirca  nullum  contra 
nostram  opinionem  inde  petere  licet  argumentum  quod  Lactantius 
Placidus  patrem  imploratum  esse  tantummodo  refert,  quippe  qui 
codice  nondum  contaminato  uti  potuerit.  / 

Idem  fere  cognoscere  mihi  videor  VI  280  sqq.,  ubi  hi  legüntur 
versus  Niobes  iratae  et  exacerbatae  Septem  puerorum  nece: 

^  pascere  crudelis  nostro  Latona  dolore^  280 

pascere    ait  ^  satiaque  meo  tua  pectora  luctu.  281 

corque  ferum  satici    dixit  '  per  funera  septeru  282 

eferor.  exulta  victrixque  inimica  triumpha.  283 

Cur  autem  victrix?' 

Quo  loco  ut  oilendunt  versus  281  et  282  repetitis  sententiis  quae 

sunt,  '  satia  meo  tua  pectora  luctu'  et  '  cor  ferum  satia\  ita  apparet 

et  priorem  artissime  coniunctum  esse  cum  antecedenti  anaphora  quae 

dicitur  et  posteriorem  paene  necessarium  esse  ut  verbum  efterendi 

recte  intellegi  possit');  neque  enim    id  verbum  vocibus    quae  sunt 

^ per  funera  septevt'  non  egere  Hauptio  concedendum  est,  qui  tarnen 

ipse    eas    optime  excogitatas    dicit.      Sunt    autem    simillimi  priori 

parti  libri  JX  versus  hi  (176  sqq.) 

'^cladibus'  e.wlamat  '' Saturnia  pascere  nostris, 

pascere  et  hanc  pestem  specta  crudelis  ah  alta 

corque  ferum  satia, 

nisi  quod  eis  de  quibus  agimus  eo  praestant  quod  repetitionem  iu- 

iucundam  verbi  satiandi  poeta  vitavit;  evincunt  tamen,  si  sequen- 

')  Non  quo  negein  solum  legi  efferendi  verbum  (cf.  Sen.  apocolocyiith.  ed.  ^ 
Buecheler  p.  228,  11.  234, 1  Cic.  de  leg.  II  66  pro  Flacco  41  Plaut.  Asin.  605), 
sed  absouum  videtur  ab  hac  seuteiitia  et  poetae  ratioue  diceudi. 


342  Rudolf  Helm, 

tem  paulisper  omittas,  versum  281  quia  poetae  artem  praebet  esse 
Ovidianum.  Difficillima  autem  fit  qiiaestio,  si  illum  spectamns 
qui  ne  ipse  quidem  Ovidio  indignus  est,  qiiod  aut  poetam  cum 
inepte  repeteret  eaudem  sententiam  doiTnitasse  concedamus  necesse 
est  aut  aliam  interpretandi  viam  investigemus.  Atcjue  tolli  videtur 
aliquautum  molestia,  si  iion  uuam,  sed  duas  esse  oratioiies  Mobes 
ponimus,  quarum  utraque  suo  verbo  dicendi  notatur;  licet  igitur 
ita  interpretari  versus,  ut  primuiTi  exclamare  putemus  Nioben  ver- 
sus 280/1,  deiude  intervallo  interposito  addere  versum  282  sqq., 
ut  eam  enuntiati  formam  habeamus  quae  invenitur  VI  385  sq.: 
^quid  me  mihi  detrahisV  inquit;  'a  piget,  a  non  esf  clamabat 
'  tibia  tanti^  '),  qui  euuntiatorum  conexus  efficitur,  si  particulam 
^  que  üoii  ad  orationem,  sed  ad  dicendi  verbum  referiraus'). 
Quem  usum  Hauptius  op.  III,  510  plurimis  exemplis  ex  Ovidio 
sumptis  illustravit.  Attamen  haec  interpretatio  non  ita  arridet, 
et  quia  enuntiatum  antecedens  quod  est  'a  quibus  ad  caelum  li~ 
ventia  bracchia  tollens''  ad  unum  potius  temporis  momentum  refe- 
rendum  videtur  quam  ad  duo,  quae  etiamsi  sint  proxima,  tarnen 
intervallum  interpositum  est,  et  quia  longiora  sunt  enuntiata  quam 
quae  tanta  cum  concitatione  proferantur.  Minus  enim  animi 
concitatio  bis  verbis  exprimitur  quam  grandiloqua  quaedam  at- 
que  tragica  ira,  qualis  deceat  reginam  superbam.  Accedit  quod 
ne  si  hanc  quidem  interpretandi  rationem  accipimus,  apte  prorsus 
eadem  verba  videntur  repetita  esse.  Quam  difficultatem  cum  fu- 
gere  studeam,  semper  in  duplici  dicendi  verbo  haereo;  fieri  enim 
poterat  ut  aut  ita  scriberet  poeta: 

'pascere  cfudelis  nostro  Latona  dolore^ 
pascere^  ait  ^satiaque  meo  tua  pectara  luctu.' 
aut: 

^pascere  o'vdelis  nostro  Latona  dolore 
corque  fei'um  satia'  dixit;  'per  funera  Septem 
eßeror  eqs. 
Quarum  sententiarum  utraque  perfecta  est  et  quae  nihil  praebeat 

')  cf.  VIII  231. 

2)  Idem  fere  Bothius  coniecit  in  vindiciis  Ovidianis  Gottiug.  1818  p.  51, 
nisi  quod  'pignora'  pro  'pectora'  legi  iubet  coniectura  inepta  illa  quidem,  quia 
Latona  ipsa  Niobes  suporbia  ofFensa  est,  non  liberi. 


De  metamorphoscou  Ovidiuiuiruin  locis  duplici  rccciisione  servatis.     343 

offensionis,  ita  ut  ex  duabus  eligere  voluisse  poetam  conicias  vel 
alteram  fecisse  ad  alteram  expellendam.  Quae  coniectura  si  veri 
est  similis,  dubitari  nequit  iitram  ad  emendandum  locum  invenerit, 
qiiia  cum  eimntiatis  quae  sequuntur  altera  artissime  conexa  est, 
altera  aut  nulla  aut  male  cohaeret.  Nam  si  legimus  ^satiaque  nico 
tua  pectora  luctu\  quod  sequitur  '' efferor  ?i\ii  absolute  usurpari  pu- 
tandum  est,  id  quod  supra  Ovidianae  loquacitatis  esse  negavimus, 
aut  aliud  verbum  olim  scriptum  fuisse,  quod  cum  illa  altera  re- 
censio  reciperetur  loco  cesserit.  Neque  fieri  noii  potuit,  ut  poeta 
cum  eum  locum  emendaret  ipse  versum  281  neglegenter  relin- 
queret,  qui  aliis  additis  quae  sunt  ' corque  ferum  satia''  eqs.  iam 
uon  aptus  erat.  Quod  quomodo  se  habeat  diiudicare  non  audeo; 
at  tres  esse  rationes  explicandi  huius  loci  dico,  quoniam  aut  poetara 
duas  Niobes  orationes  quae  proxime  inter  se  sequerentur  afferre 
voluisse  ostendimus  aut  duas  exstare  recensiones  sive  ab  ipso  sive 
postea  a  librariis  confusas.  Hoc  certe  constat  iniuria  uegari  poetae 
esse  hos  versus,  quia  cur  quid  additum  sit  a  librariis  quod  sen- 
tentiarum  tenorem  turbaret  minime  intellegi  potest.  Atque  quibus 
erroribus  implicentur  qui  gravi  medicina  sanare  studeant  hunc  lo- 
cum, Heinsii  verba  demonstrant  qui  haec  scripsit:  'tollatur  meo  peri- 
culo  hie  versus  282  quem  commenti  sunt  qui  non  intelligebant  quan- 
tum  acuminis  esset  in  illo  efferor.  nisi  mavis  praecedentem 
tolli'.  Quae  verba  argumenta  deesse,  libidinem  imperare  satis  osten- 
dunt.  Quo  magis  versus  illos  omnes  Ovidianos  esse  iudicamus.  Ne- 
que tarnen  idem  cadere  existimo  in  versum  quem  Guilelmus  Bannier 
disputatiuncula  laudata  defendere  conatus  est,  quod  ex  forma  ipsa 
satis  elucet  eum  ad  difficultatem  illam  de  qua  egimus  submovendam 
pessime  contextum  esse.  Legitur  enim  Heinsio  auctore  in  libro  Pa- 
latino pro  versu  282  hie :  '  dum  pars  nostra  iacet  et  dum  per  funera 
septem\  qui  versus  aliis  in  libris  una  cum  versu  282  receptus  est. 
Displicet  autem,  praeterquam  quod  '^  iacef  in  caesura  pro  iambo 
ponitur'),-  et  'pars  nostra''  et  eisdem  syllabis  inter  se  sequentibus 
quod  legitur  ^ iacet  et"*  et  particula  '^ dum''  repetita,  quae  ne  semel 
qui  dem  posita  sententiae  satisfacit.  Quare  ut  versus  282  Ovidi- 
anum  Ingenium  quam  maxime  sapit,  ita  huic  invita  Minerva  facto 

^)  Qiiamquam   proferri  potest  III  184:    so[et  aut  cf.  M.  Schmidt  de  Ovidii 
vers.  hexametr.  Cleve  Progr.  1856. 


344  Kudolf  Helm, 

omnem  saleni  deesse  arbitror.     Apparet  cnlm  qui  eiim   (irixit  eiim 
tantnmmodü  priorem  versus  partem  mutasse,    ut    verba  quac  sunt 
^satia^    et   ^duvtV    deleret,    posteriorem    reliquisse    integram.      At 
Bannierus  iion  modo  huiic  versum  iiiculcare  voluit  pro  eo  qui  legi- 
tur  aliis  in  libris  v.  282,  sed  etiam  una  cum  eo    legi  posse    iudi- 
cavit,  ut  hie  fieret  sententiarum  et  verborum  conexus: 
''corque  feiniin  satia^  diii'it  ^per  funera  septem 
dum  pars  nostra  iacet  et.  dum  per  funera  septem 
eßeror\ 

Quod  minime  probo,  non  quin  a  poeta  saepe  eadem  verba 
sint  repetita,  sed  quia  aliis  locis  summa  in  hac  repetitione  cogno- 
scitur  ars,  hoc  plane  desideratur.  Qua  de  re  ut  qui  vis  suum  sequi 
possit  iudicium,  ex  eis  locis,  quibus,  ut  aliquid  coloris  poetici  et 
lyrici  efficeret,  aut  eodem  modo  aut  sententia  inversa  et  opposita 
eisdem  Ovidius  usus  est  verbis,  in  medium  profero  hos;  ad  augen- 
dam  vim  singulorum  verborum  poeta  scripsit 

V  344 sq. :  utinam  modo  dicere  possem 

carmina  digna  dea.     ceHe  dea  carmine  digna  est. 

V  369 sq.:  tu  numina  ponti 

victa  domas  ipsumque  regit  qui  numina  ponti. 

V  57 8 sq.:  nee  me  studiosius  altera  saltus 

legit  nee  posuit  studiosius  altera  casses. 
VI  299/300:  unani  minimamque  relinque. 

de  multis  minimam  posco^  clamavit  'et  unam. 
IX  376/7:  nostraque  sub  arhore  saepe 

lac  facitote  hibat  nostraque  sub  arbore  ludat '). 
I  634 sq. :  illa  etiam  supplex  Argo  cum  hracchia  vellet 

tendere,  non  habuit  quae  bracchia  tenderet  Argo. 
Aut  quae  oratione  futura  esse  dicta  sunt,  eisdem  verbis  facta 
describuntur,  ut  IV  574 sq.: 

^ipse  precor  serpens  in  longam  parrigar  alvum\ 
diant  et  ut  seipens  in  longam  tenditur  alvum. 
Aliis  locis  de  duobus  eadem  aut    similia    ita    exponuntur,    ut 
cadem  verba  repetantur;  ut  legitur 

')  (/nos  vcrstis  cur  damnaverit  Itiesius  panim  intelloffo. 


De  metainorphoseon  Ovidiauarum  loci.s  diiplioi  receu.sioue  servatis.     345 

I  325 sq. :  et  superesse  videt  de  tot  modo  »tilihus  unum 
et  superesse  videt  de  tot  niodo  rnilibus  unam. 
I  361sq.:  namque  ego,  crede  mihi,  si  te  quoque  pontus  haberet, 

te  sequerer  coniunx  et  me  quoque  pontus  haberet. 
VI  15 sq.:  deseruere  sui  nijmphae  vineta  Timoli, 

desei'uei'e  suas  ni/n/phae  Pactolidos  uridas. 
VI  327 sq.:  'faveas  7nihi^  murmure  dixit 

dux  meus  et  simili  ^faveas''  ego  murmure  dixi. 
XII  148  sq. :  dumque  vigil  Phrygios  servet  custodia  muros 
et  vigil  Ärgolicas  servet  custodia  fossas; 
VI  41 9 sq.:  quaeque  urbes  aliae  bimari  claudu7itur  ab  Isthmo 
exteriusque  sitae  bimari  spectantur  ab  Isthmo. 
aiit  de  eodem  duae     res  explicantur,  iit 

V  208 sq.:  bis  centum  restabant  corpora  pugnae: 

Gorgone  bis  centum  riguerunt  corpora  visa. 
Saepe  repetitis  verbis  aliquid  opponitur  vel  idem  eiiniitiatum 
negatur,  quales  sunt  versus: 

III  611  sq.:  et  sensi  et  dixi  sociis:  quod  numen  in  isto 

corpore  sit  dubito,  sed  corpore  numen  in  isto. 

IV  152sq. :  quique  a  me  moHe  reoelli 

heu  sola  poteras,  potens  nee  morte  revelli. 
VIII 61 8 sq.:  inille  domos  adiere  locum  requiemque  petentes: 
mille  domos  clausere  serae 
X  317 sq.:  ex  omnibus  unum 

elige  Myrrha  vinim,  dum  ne  sit  in  omnibus  unus; 
artificiosius    ut    enuntiatum    antea    expressum    negaret,    Catullum 
secutus  poeta  hoc  loco  eadem  verba  inter  se  opposuit  III  353 sqq.: 
multi  illum  iuvenes,  multae  cupiere  puellae; 
sed  fuit  in  tenera  tam  dura  superbia  forma: 
nulli  illum  iuvenes,  nullae  tetigere  puellae. 
et  summam  prae  se  tulit  artem,  cum  binos  versus  repetitis  verbis 
inter  se  opposuit  IV  306sqq. : 

^  Salmaci  vel  iaculum  vel  pictas  sume  pharetras 
et  tua  cum  duris  venatibus  otia  misce'': 
nee  iaculum  sumit  nee  pictas  illa  pharetras 
nee  sua  cum  duris  venatibus  otia  miscef, 


346  Rudolf  Holm, 

accedunt    loci    quibiis    paulum    mutata    scntentia  tarnen  idem  ex- 
pressum  est,  ut 

l  4SI  sq. :  saepe  pater  dixit:  ''genenim  mihi  ßlia  debes'' ; 
saepe  pater  dixit:  ^ debes  mihi  nata  nepotem\ 
IX  489 sq.:  quavi  bene  Caune  tuo  poteram  nwus  esse  parenti. 
quam  bene  Caune  meo  poteram  gener  esse  parenti. 

Sed  haec  exempla  non  elegimus  nisi  ut  qua  arte  usus  esset 
poeta  in  his  lepetitionibus  clare  atque  evidenter  illustraremus. 
Quae  si  quis  cum  versibus  duobus  de  quibus  agimus  eomparabit, 
vix  eundem,  qui  aliis  locis  tantum  eftecit  hoc  artificio,  alio  tarn 
inepte  verba  repetisse  credet.  Quare  ut  versum  282  ex  ingenio 
Ovidii  ortum  esse  pro  certo  habeo,  ita  illum  versum  pessime  pac- 
tum et  a  quo  minime  stet  codicum  auctoritas  poetae  obtrudere 
nefas  arbitror"). 

Evidentius  autem  nescio  an  duae  recensiones  demonstrentur 
met.  VIII  284sqq.,  quo  loco  aper  ferus  describitur  his  verbis: 

sanguine  et  igne  micant  oculi,  ri{/et  horrida  cervix  284 

et  setae  similes  rigidis  hastilibus  horrent,  285 

stantque  velut  vallum,  velut  alta  hastilia  setae.  286 

feroida  cum  raiico  latos  Stridore  per  armos  287 
spuma  ßuit  eqs. 

Quo  loco  versus  285  et  286  una  legi  non  posse  apparet, 
utrumque  autem  solum  posse  puto.  Nam  licet  antecedat:  riget, 
horrida  cervix,  tarnen  poeta  neglegentia  quadam,  cum  accuratius 
describere  vellet,  similibus  usus  verbis  videtur  addere  potuisse: 
et  setae  similes  ingidis  hastilibus  horrent,  praesertim  cum  ea  verba 
tali  descriptioni  maxime  idonea  esse  alii  loci  ostendant,  quales 
XIII  845:  quod  rigidis  horrent  densissima  saetis  corpora  aut  VII 1 
428:  Iridis  horrentia  saetis  terga  aut  XIV  279:  saetis  horrescere 
coepi^.  Quamquam  qui  in  verbis  riget  horrida  et  ngidis  horrent 
offendunt,  ei  ad  codicis  Francofurtensis  qui   ardua   ceroi.x   exhibet 


.  *)  Ac  ne  sententia  quidem  ut  istum  versiiura  conexuin  probeinus  coucedit, 
quod  verba  quae  sunt  pars  nostra  superbia  spirituque  inflata  non  in  hunc  te- 
norern desperationis  plenuni  quadrant,  sed  in  cum  qui  sequitur  a  vorsu  284; 
cur  autem  victrix? 

«)  cf.  Sil.  Ital.  I  422  S(|.     Apul.  met.  VIII  4.     Verg.  Aen.  I  634. 


De  metamorphoseon  OviHiananim  locis  duplici  recensiono  servatis.     347 

lectionem  revocari  possuiit,  quae  lectio  a  Burmanno  exemplis 
ex  Horatii  sat.  I  2,  89,  Vergilii  georg.  III  79,  Statu  Theb.  I  134 
allatis  fulcitur,  sed  id  quidem  minus  recte,  quod  aliter  equus  et 
taurus,  aliter  aper  describendi  sunt.  Melius  autem  esset  cum  non- 
nullis  codicibus  clensis  pro  rigidis  recipere,  praesertim  coUato  versu 
XllI  845.  Neque  tarnen  quod  similia  sunt  verba  versui  ante- 
cedenti  ne  Ovidii  esse  hunc  versum  putemus  impedit,  quod  poetae 
antiqui  eam  qua  vetarentur  easdem  voces  singulas  repetere  legem 
non  comprobarunt.  Qua  in  re  saepe  erraverunt  viri  docti,  cum 
coniecturis  poetae  potius  quam  librariorum  menda  tollere  non 
desisterent.  Apud  Ovidium  quidem  talia  exempla,  quae,  cum 
singula  tantum  verba  neglegenter  repetita  sint,  minime  ad  illam 
de  qua  diximus  artem  pertinent,  satis  multa  inveniet  quisquis 
quaeret;  legitur  enim 

met.  VII  27 sq.:  quem  non,  ut  cetera  desint, 

ore  movere  jwtest?     ceiie  mea  pectora  vtocit. 

at  nisi  opem  tidero,  taurorum  adßabitur  ore. 
VIII  229sq.:  oraqiie  caerulea  patrium  clamantia  nomen 

excipiuntur  aqua  quae  nomen  traxit  ab  illo. 
V^Ill  557sq.:  corpora  turhineo  iuvenalia  flumine  mersit, 

tutior  est  requies,  solito  dum  f  lumin a  currant  j  Umite. 
Vlll  760sq.:  repetitaque  robora  caedit, 

redditus  et  medio  sonus  est  de  r  ob  ore  talis. 
XI  728sq-:  adiacet  undis 

facta  manu  moles  quae  primas  aequoris  undas  \  franset '). 

Sed  etiamsi  ab  Ovidio  profectus  sit  ille  versus  quem  omnes 
exhibent  Codices,  quia  neglegentia  quaedam  negari  nequit,  melius 
alia  huius  versus  forma  cum  antecedenti  coniungitur,  ut  hunc 
habeamus  sententiarum  teuerem: 

riget  horrida  cermx 
stantque  velut  Valium,  velut  alta  hastilia  saetae. 


^)  cf.  quae  Ehwaldius  recte  admonuit;  non  satis  apte  repetitur  vox  etiam 
III  716sq.:  cunctae  coeunt  trepiditmquf  seqiiunlui;  iam  trepidu/n,  tarn  verba 
minus  violtnta  loguentem,  cjuos  versus  anaphora  cum  sequenti  couiunctos  iniuria 
in  suspicionem  vocavit  Riesius. 


348  UikImH'  il.'lin, 

Neque  enim  recte  EInvaldius  alios  socutus  duo  illa  similia 
componi  posse  negavit,  quia  vox  quae  est  vallum  scilicet  non  modo 
aggerem,  sed  etiam  palos  in  eo  impositos  significat,  ut  utraque 
comparatione  tergum  horridum  et  saetis  circumdatum  describatur; 
nam  ut  ex  vallo  pinnae'),  sie  ex  tergo  eminent  saetae.  Neqiio 
plus  valet  quod  in  utroque  versu  pessime  particulam  copulativam 
adhiberi  dicit,  quod  collocare  eam  non  liceat  antecedentibus  et 
sequentibus  enuntiatis  quae  particula  careant.  Quod  quamquaiu 
plurimis  verum  est  locis,  tamen  opinionem  qua  oertam  noimani 
opinantur  vel  haec  redarguunt  exempla: 

Ov.  met.  III  33 sqq.   igne  micant  oculi,  corpus  tuviet  omne  ceiieno, 

tresque^)  vibrant  linguae,  triplüi  stant  ordine  dentes. 
8tat.  Theb.  V  396sq.:  deriguere  aninii,  manibusque  horrore  reviissis 

arma  aliena  cadunt,  rediit  in  pectora  seocus. 
Caes.  Gerni.  Arat.  9  sq. :  si  non  tanta  quies  te  praeside  puppibus  aequor 

cultorique  daret  terras,  procul  arma  silerent, 
Verg.  Aen.  IX  498sq.:  hoc  fletu  concussi  animi,  maestusque  per  omnis 

it  geinitus,  torpent  infractae  ad  proelia  vires. 

Atque  eo  minus  in  his  verbis  de  quibus  agimus  particula 
offendit,  quod  sententia  quae  eis  exprimitur  artissime  cohaeret 
cum  sententia  enuntiati  antecedentis,  quia  utraque  ad  tergum  per- 
tinet.  Saetas  autem  in  bestia  saetigera  (cf.  v.  376)  commemorare 
quasi  necesse  erat.  Quare  non  id  quaerendum  esse  mihi  videtur, 
num  falso  interpolati  sint,  sed  duo  versus,  quorum  quamquam 
alter  neglegentius  scriptus  est  altero,  uterque  tamen  Ovidianus 
esse  potest,  ambo  autem  legi  non  possunt,  quomodo  lieri  potuerit 
ut  ii  coniunctim  in  libris  scriptis  exhiberentur.  Redimus  igitur 
ad  illam  coniecturam  qua  saepius  duas  cognosci  posse  recensiones 
diximus.      Ponere   enim    licet    Ovidium    prius    deteriorem   versum 

')  cf.  Caes.  bell.  Gall.  VII  72,  4.    Veget.  epit.  rei  luil.  IV  28. 

-')  Iniuria  Magnus  que  omittendnin  esse  iudicat,  cum  appareat  i)oetaiii 
spondeorura  gravitatem  vitare  debuisse,  quia  minirae  cum  mobilitate  linguae 
coDsentiunt;  vibrandi  autem  verbum  prima  syllaba  brevi  adhiberi  posse  ipse 
demonstravit  exemplis  ex  Catulli  36,  5  et  Statu  Theb.  V  509  sumptis.  StatiuS 
autem  cum  locum  Ovidiauum  totum  imitetur,  testis  locupletior  est  rectam  esse 
lectionem  traditam,    Cetenim  vclim  addas  illis  oxomplis  Verg.  Aen.  111  r21s((q. 


De  metamorphoseon  Ovidiananiin  Incis  duplici  recensione  servatis.     349 

scripsisse,  deinde  cum  ille  propter  verborum  similitudinem  maxime 
displiceret,  meliorem  eius  in  locum  substituisse. 

lam  pervenimus  ad  quaestionem  duplicem  quae  est  de  libri 
VIII  versibus  596 sqq.;  duos  enim  versuum  ordines  insiticios  pu- 
taiit,  quorum  alteri  quia  codicum  carent  auctoritate,  alteri  quia 
noii  coniungi  possunt  cum  versibus  genuinis  damnandi  videntur 
esse.  Ac  primum  quidem  disceptandum  est  de  versibus  qui  in 
codicibus  praeter  Marcianum,  Laurentianum,  Neapolitanum  legun- 
tur  post  versum  59G.  Perimelen  enim  virginitate  privatam  cum 
pater  de  scopulo  propulisset,  Achelous  se  excepisse  dicit  et  bis 
verbis  Neptunum  implorasse  —  omitto  autem  varias  addere  lec- 
tiones  quae  in  hac  quaestione  minimi  sunt  momenti: 

'o  proxlma  mundi  595 

regna  vagae''  dixi  ^sotiite   Tridentifer  undae,  596 

in  quo  desinimus,  quo  sacri  currimus  amnes,  597 

huc  ades  atque  audi  placidus  Neptune  precantem.  598 

huic  ego  quam  porto  nocui.  si  mitis  et  aequus,  599 

si  pater  Hippodamas  aut  si  minus  impius  esset,  600 

dehuit  illius  misereri,  ignoscere  nobis.  601 

adjer  openi  mersaeque  precor  feritate  patetma  602 

da  Neptune  locum;  vel  sit  locus  ipsa  licebit:^)  603 

hunc  quoque  complectar.'    movit  caput  aequoreus  rex  604 

concussitque  suis  omnis  assensibus  undas.  605 

Subsistamus  in  hac  oratione  et  quid  in  ea  vituperandum  sit 
examinemus;  nam  postquam  Merkelius  versus  illos  proscripsit, 
editorum  nemo  eos  omittere  dubitavit.  Nihil  autem  in  iis  esse 
indigni  Riesii  iudicium  demonstrat,  qui  eos  quamquam  in  appara- 
tum  criticum  abiecit  tarnen  satis  eleganter  interpolatos  dixit.  Neque 
enim  non  ex  re  videtur  esse  causam  afferre,  cur  Achelous  Neptuni 
auxilium  imploret,  quippe  qui  natura  quasi  pater  constitutus  sit 
omnium  fluviorum  et  auxiliator;  neque  inepte  fit  quod  ille  suam 
culpam  patrisque  crudelitatem  exponit,  quoniam  eam  habet  causam 
cur  ipse  virgini  damnatae  succurrendum  et  pro  ea  opem  petendam 
esse  putet.     Atque  si  deessent  versus,    Neptunus    omnino    nesciret 

')  ITic  versus  in  cod.  Aniploii.  falso  ante  598  repetitus  est. 


SoO  Rudolf  Helm, 

qua  le  illa  digna  esset  cui  subveniret^);  ita  Venus  ipsa  quoque 
IV  531  sqq.  cum  Ino  et  Melicerten  Neptuno  commendet,  quos  com- 
niendet  et  qua  de  causa  se  gratia  aliquid  apud  eura  valere  putet 
exponit.  Neque  solum  verborum  copia  qua  Hippodamantis  crimen 
notatur  plane  Ovidiana  est,  sed  etiam  elocutio  ea  est  quam,  si 
ullam,  hunc  poetam  decere  avbitreris;  verba  enim  quibus  Neptun! 
potestatem  describit  ad  exemplum  hymnorum")  facta  sunt,  com- 
mutata  ea  quidem  non  sine  arte;  verba  autem  quae  sunt  si  mitis 
et  aequus,  si  pater  esset  ad  vim  augendam  optinie  composita  com- 
monefaciunt  de  versibus  qualis  est  XIV  384 :  laesaque  quid  faciat, 
quid  aniaiis,  quid  femina,  disces\  vis  denique  criminis  etiam  eo 
augetur  quod  dicitur  ille,  etiamsi  non  mitis  aequusque  fuisset  aut 
si  patris  officii  oblitus  esset,  pietate  tarnen  commoveri  debuisse  ut 
liliae  ignosceret. 

Quare  medii  illi  versus  quin  minime  sint  subditivi  mea  qui- 
dem sententia  omnino  dubitare  nequit  quisquis  sano  iudicio  in  eos 
accurate  inquirit.  Extremus  autem  orationis  versus,  qui  cum  altera 
quaestione  de  hoc  loco  habenda  arte  coniunctus  est,  num  spurius 
putandus  est?  Quod  ut  diiudicemus,  elocutionem  ipsam  spectemus; 
petit  enim  ut  deus  virgini  locum  det  aut,  si  id  minus  possit  vel 
velit,  eam  insulam  faciat:  da  Neptune  locwn;  vel  sit  locus  ipsa  — 
quid  autem  sibi  vult  verbum  quod  minime  intellegitur  licel/it?  Nam 
etiamsi  Acheloum  ut  eam  in  insulam  mutet  ei  permittere  credas 
quod  vix  aptum  est  precibus,  tamen  concedes  verbum  quod  est 
l'icebit  haud  decore  adnecti  ubi  nihil  iam  exspectas.  Arbitror  autem, 
quomodo  interpretandum  sit  illud  verbum  ineptum  quod  videtur, 
hos  locos  satis  declarare: 

met.  II58sqq.  placeat  sibi  quisque  licebit, 

non    tarnen    ignifero    quisquam    consistere   in  axe 
me  valet  excepto. 
VIII  746 sq.  non  dilecta  deae  solum,  sed  et  ipsa  licebit 

sit  dea,  iam  tanget  frondente  cacujnine  terrani. 


')  Haec  ownia  fere  Bachiu.s    ad    lius    mtmi^    luntulif,    M'd    uliliviiiuc    ul»- 
mta  neiuu  iaui  curat. 

')  cf.  Cleanth.  v.  4:  Ix  a&vi  yäp  f^vo;  iofA^v. 


De  metamorphoseon  Ovidianariun  locis  diiplici  recensione  servatis.     351 

XIII  861  sqq.  ille  tarnen  plaeeatque  sihi  placeatque  licebit^ 
quod  nollem  Galatea  tibi:  modo  copia  detur, 
sentiet  esse  mihi  tanto  pro  corpore  vires. 
XIV  355  no7i  ait  efugies,  vento  rapiare  licebit. 

Ex  his  exemplis  satis  apparet  enuntiatum  concessivum  signi- 
ficari  verl)0  licebit.,  sicut  in  oratione  pedestri  tempore  praesenti. 
Similiter  etiam  apiid  Horatium  legitur  epod.  XV  19sqq.: 

sis  pecore  et  multa  dives  tellure  licebit 
tibique  Pactolus  fluat 


eheu  translatos  alio  maerebis  amores. 
et  sat.  II  2,  59sqq.:  cuius  odorem  olei  nequeas  perferre,  licebit 
ille  repotia  natalis  aliosve  dierum 
festos  albatus  celebret,  cornu  ipse  bilihri 
caulibus  instillat. 

Seqiiitur  ex  his  locis  facillime  intellegi  posse  illum  versum,  si 
coniungatur  cum  eo  qui  deterioribus  in  libris  legitur;  quo  fit  ut 
Achelous  se  optare  dicat,  servet  eam  Neptunus  aut  si  id  minus 
possit,  etiamsi  ipsam  insulam  faciat,  se  tamen  contentum  fore  eam- 
que  complexurum  esse. 

Sed  in  his  quoque  versibus  duplex  exstat  recensio,  cum 
Codices  deterioris  notae  versum  addant: 

cui  quondam  (quoniam  Bothius)  tellus  clausa  est  feritate  paterna, 
quem  versum  quamquam  ne  commemorant  quidem  editores  apparet 
pro  versu  G02  inseri  posse,  quocum  extrema  verba  habet  com- 
munia,  quemadmodum  in  codice  Amploniano^)  eins  in  locum 
successit.  Optime  autem  sententiae  satisfacit,  modo  Bothii  coniec- 
turam  accipias,  quia  causam  altert  cur  Neptunus  ut  locum  det 
rogetur;  simillima  est  sententia  Scyllae  VIII  117 sq.:  obstruonmus 
orbein  terrarum  nobis  ut  Crete  sola  pateret.  Quare  ne  hunc  qui- 
dem versum  expellere  audeo,  sed  fieri  potuisse  puto  ut  Ovidius 
ipse  eum  scriberet,  quamquam  haud  ignoro  nihil  certi  licere  de 
his  rebus  affirmare. 


')  cf.  Grau  de  cod.  Ampi.  p.  55. 


352  Rudolf  Helm, 

Redeamus  ad  extrema  orationis  illius  verba;  non  enim  genu- 
ina  esse  possunt,  si  qiiae  artissime  cum  eis  conexa  versum  ex- 
plent  subditiva  sunt.  Quod  mihi  quidem  vel  color  poeticus  re- 
fellere  videtur,  quo  auctor  ad  lovis  uutum  quem  ipse  Homerum 
secutus  primo  libro  descripserat  (v.  179sqq.  cf.  II  849)  depinyit 
nutum  Neptuni,  quemadmodum  ad  alios  quoque  deos  idem  Ho- 
meri  locus  refertur,  ut  VIII  780  ad  Cererem,  epist.  ex  Ponto 
11  2,  64  ad  Augustum,  Isis  denique  non  caput,  sed  aras  movisse 
dicitur  IX  782;  neque  credo  interpolatorem  numero  plurali  qui 
est  assensibus  usurum  fuisse.  Quare  cum  ex  his  versibus  minime 
oriatur  dubitatio,  rectene  illa  extrema  orationis  verba  poetae 
vindiceraus,  Ovidio  iniuriam  attulisse  mihi  videntur  qui  ne  uncis 
quidem  inclusos,  ut  solent  editores  cupidi  interpolationum  inda- 
gandarum,  hos  vei*sus  in  textum  receperunt.  A^erba  igitur  quae 
Acheloi  orationem  proxime  sequuntur  versus  necessitate  cum  ea 
coniuncta  quoniam  spuria  non  esse  ostendisse  nobis  videmur, 
restat  ut  alteram  quaestionem  solvamus  quae  est  de  proximis 
versibus-,  traduntur  enim  quos  in  editionibus  recentioribus  frustra 
quaeres  hi: 

movit  Caput  aequoreus  rex   604 
concussitque  suis  omnes  assensibus  undas.  605 

extimuit  nymphe:  nabat  tarnen,  ipse  natantis  60() 
pectora  tanyebam  trepido  salientia  motu.  607 

dumque  ea  contrecto,  totum  durescere  sensi  608 
corpus  et  inductis  condi  praecordia  terris.  609 
dum  loquor,  amplexa  est  aHus  nova  terra  natantes  610 
et  gravis  increvit  mutati-s  insula  membris.  611 

Ex  quibus  posteriores  duos  versus  omnes  exhibent  libri,  quos 
tamen  cum  antecedentibus  minime  coniungi  posse  certum  est,  ne 
dupliciter  prorsus  idem  narretur;  nam  Bothius  quod  I.  I.  p.  84 
optimam  sententiam,  ut  eins  utar  verbis,  habere  locum  neque 
quidquam  superflui  putat,  id  ita  tantummodo  efflcit,  ut  verbum 
loquendi  singularem  in  modum  interpretetur  et  versu  608  taclum 
pro  totum  legat;  explicat  igitur  ita  (Jvidium  dicere,  dum  amnis 
contrectaret  nymphae  pectus,  partem  eius  corporis  deriguisse 
(v.   608/9);    dumque    vix    vocem    aliquani    vel    admirationis    vel 


De  metamorphoseon  Ovidianarum  locis  duplici  recensione  servatis.     353 

misericordiae  cum  amore  coniunctae  emitteret,  totam  terra  con- 
tectam  et  mutatam  esse  in  insiilam.  Neque  tarnen  qui  simplici 
leget  iiidicio  hos  versus  loquendi  verbum,  cui  nihil  additum  est, 
non  ad  orationem  antecedentem  referet '),  neque  lectio  quae  est  tac- 
funi  codicum  auctoritate  nititur  neque  si  eam  veram  esse  conceditur, 
satis  manifeste  poeta  exposuit  paulatim  illam  mutari  aut  vocabulo 
corporis  (v.  G09)  partes  tantum  significari.  Sed  conecti  posse 
puto  versus  extremos  cum  eis  quos  supra  ab  Ovidio  ipso  scriptos 
esse  defendimus,  ita  ut  interpretemur  deum  adnuisse  et  dum  lo- 
queretur  Achelous  subito  virginem  esse  mutatam.  Cohaerent 
igitur  versus: 

movit  Caput  aequoreits  rex  604 

concussitque  suis  omnes  assensibus  undas:  605 

dum  loquor,  ainplexa  est  artus  nova  terra  natantes  eqs,  610 

Quibus  optime  celeritas,  qua  quod  in  voto  erat  perficitur,  a 
poeta  describitur.  Neque  in  eo  oftendendum  puto,  quod  particula 
copulativa  deest,  quia  id  ipsum  summam  velocitatem  significat; 
alibi  quoque  id  quod  dictum  est  quam  celerrime  fieri  nuntiat,  ut 
met.  I  547:  vix  prece  finita  torpor  gravis  occupat  artus,  IV  549: 
res  dicta  secuta  est,  VIII  142:  vix  diaerat:  insilit  undAs,  XI  324: 
nee  mora:  curcavit  cornu  nerooque  sayittam  impulit,  XIII  599 
(qui  locus  maxime  huc  referendus  est):  luppiter  adnuerat:  cum 
Memnonis  arduus  alto  corruit  igne  rogus  eqs.  Tarnen  nescio  an 
poeta  ipse  senserit  verba  dum  loquor  ab  ipsa  oratione  duobus 
versibus  diiuncta  non  ad  eins  finem,  sed  ad  posterius  temporis 
momentum  referri  posse;  quare  eum  hanc  recensionem  abiecisse 
conicere  licet,  probasse  alteram.  Nam  ut  illi  versus  cum  ante- 
cedentibus  recte  coeunt,  sie  alteri  quoque  qui  optimis  in  libris 
desunt  non  ab  eis  abhorrent;  legere  enim  licet: 

onovit  Caput  aequoreus  rex     604 
concussitque  suis  omnes  assensibus  undas.       605 

1)  Sermonera  ipsum  et  verba  quae  ad  sermonem  referuntur  non  altera 
alterum  proxime  excipere  uecesse  est;  ut  iuiuria  damnant  viri  docti  XII 
230  sq.,  quo  de  versu  alio  loco  agam;  similis  est  locus  Vergilianus  II  37Gsqq. 
(lixit  et  extemplo  (neque  enim  responsa  dahanlur  fida  satis)  sensit  medios  delapsus 
in  hostis;  opstipuit  retroque  pedem  cum  voce  repressit. 

Festschrift  Vahlen.  23 


354  Rudolf  Helm, 

extimuit  nymphe:  nahat  tarnen,  ipse  natantu  606 

pectora  tangeham  trepido  salientia  motu,       607 

dumque  ea  eontrecto,  totum  durescere  sensi    608 

cmpus  et  inductis  condi  praecwdia  terris.      609 

Quae    narratio     cum    per    se    ipsa    Ovidiana    videtur    esse,    tum 

iiullam  praebet  ojfifensionem  sententiarum  conexu;   similis  est  enim 

ei  quae  refertur  met.  IV  356sqq.; 

et  omni 
veste  procul  iacta  niediis  immittitur  undis 
ptignanteniquc  tenet  luctantiaque  oscula  carpit 
suhiectatque  manua  invitaque  pectara  tangit. 
Timor    vero    nymphae    recte    adiungitur    undis    concussis;    et    in 
verbis    quae    sunt    nabat    et    natantis    usum    quendam  Üvidianum 
cognoscimus;  saepissime  enim  poeta  enuntiata  inter  se  ita  conectit 
ut  eins  verbi  quod  in  enuntiato  priore  erat  participium  in    poste- 
riore repetat,  ut  V  125  sq.  (lignoque  cohaesit:  haerenti  latus  hausif 
Abas)  V  123 sq.  VI  234,   386sq.  VI  656   (quaent.  quaerenti  . . . .) 
IX  364  XIV  412.     Quare  cum  neque  hos  neque  illos  versus    satis 
eleganter  factos  quisquam  infitietur,  una  autem  coniungi  non  posse 
appareat,  hoc  quoque  loco  duas  exstare  recensiones  conicio  a  poeta 
ipso  profectas. 

Quae  opinio  confirmari  mihi  videtur  quaestionibus  quas  iam 
de  Philemonis  et  Baucidis  narratione  habebimus.  Qui  postquam 
deos  receperunt,  omnia  ad  cenam  praeparant.  Pergunt  Codices, 
nisi  quod  in  Marciano  et  Neapolitano  quattuor  versus  quos  nota- 
mus  a  prima  manu  omissi  sunt,  omnes  ita  VIII  641  sqq.: 
interea  viediis  fallunt  seimon'Qms  horas  641 

sentirique  moram  prohibent.  erat  alveus  illic  642 
fagineus,  dura  clavo  suspensus  ab  ansa;  643 

is  tepidis  impletur  aquia  artusque /ovendos  644 
accipit.  in  medio  torus  est  de  viollibus  ulvis  645 
impositus  lecto  sponda  pedibusque  salignis.  646 

vfistibus  hunc  velant  eqs. 

Pro  his  versibus  omnibus  Marcianus  et  Neapolitanus  nihil  ex- 
hibent  nisi  hos: 

interea  mediis  fallunt  sermonilms  horas  641 

co7icutiuntqu£  (conßciuntque  N,  alii  Heinsio  auctore 


De  metamorphoseon  Ovidianarum  locis  diiplici  recensione  servatis.     555 

consteomuntque)  torum  de  molli  ftuminis  ulva  645 

impositus  (—  w  N  in  ras.)  lecto  sponda  eqs.  646 

Atque  si  deteriorum  codicum  lectionem  observamus,  equidem 
adeo  non  invenio  quo  eam  ex  Ovidii  ingenio  profectam  non  esse 
demoiistretur,  ut  omnia  quae  leguntur  prorsus  desiderari  putem, 
quamquam,  quia  censebant  etiam  argumentis  demoustraiidam  esse 
interpolationem  cuius  testis  memoria  esset  librorum,  ut  fit, 
sescentas  protulerunt  causas^);  quas  tarnen  omnes  si  acrius  perse- 
queris,  fumi  instar  reperies.  Neque  enim  recte  ex  temporum  diffe- 
rentia  causam  peti  posse  cur  proscriberentur  hi  versus  ex  sequenti- 
bus  cognoscere  potuerunt;  in  quibus,  ut  hie  erat  alveus  et  torits  est, 
ita  legitur  velant  et  vestis  erat,  ponit  et  erat  pes  tertius  inpar. 
Constat  vero  temporibus  usos  non  esse  poetas  secundum  grammati- 
corum  praecepta,  sed  metri  necessitate  adductos  saepe  tempora 
praesens,  imperfectum,  perfectum  inter  se  miscuisse.  Ceterum  ver- 
sum  674  nemo  in  suspicionem  vocavit,  quamquam  eandem  quae 
eis  videtur  praebet  offensionem,  cum  post  veniam  orant  legatur: 
unicus  anser  erat,  pergat  autem  poeta  v.  676:  ille  .  .  .  fatigat,  qui 
locus  idem  asyndeti  exemplum  est  quod  in  versibus  642  et  645 
reprehendunt;  est  scilicet  tota  haec  narratio,  quia  poetae  ipsi  valde 
placebat,  descripta  coloribus  candidis  atque  vivis,  quos  quia  non 
sentiunt  interpretes  quam  maxime  corrumpere  student.  Neque  recte 
id  obiurgant  quod  versus  641  et  642  eandem  fere  sententiam  ex- 
primunt,  quasi  numquam  Ovidius  idem  similiter  repetiverit  ^).  At 
a7'tus  fovendos  quod  legitur  minime  aptum  esse  dicunt  ad  manus 
significandas.  Sed  ne  certum  quidem  est  de  manibus  agi.  Hoc 
enim  observandum  est  quod  poeta  ad  aliquod  nobile  hospitium 
tota  hac  descriptione  alludit  singulasque  res  ad  similitudinem  ho- 
spitii  quod  fit  apud  divites  conformat.  Quare  ut  necesse  erat  hospiti 
balneas  praebere  non  modo  Homeri  (cf.  8  48  x  320),  sed  etiam 
posterioribus  temporibus,  id  quod  Apulei  narratio  met.  I  23  V  2 
demonstrat,  ita  l^hilemonem  et  Baueida  qua  sunt  paupertate  non 
balneas,  sed  paulum  aquae  tepidae  in  alveum  infusae  praebentes 
fingit,  quemadmodum  Hecalen  Callimachus,  dubium  utrum  ad  ma- 

1)  cf.  quae  Magnus  collegit  in  Fleckeiseni  ann.  1894  p.  202. 
^)  Quia  nemo  nescit  hunc  usum  Ovidianum,    unum    profero  exemplum  VI 
669 sq.:  neque  adhuc  de  pectore  caedis  excessere  notae  signataque  sanguine  pluma  est. 

23* 


35(1  Kudolf  Holm, 

uns  au  ad  pedes  lavandos;  huuc  euim  fuisse  morem,  praesertim 
aute  couvivium,  testes  suut  idem  Homerus  x  317,  386,  Callimaehus 
fr.  60  (ed.  Schueider),  si  modo  recte  editores  suppleut,  et  fr.  66, 
Plutarchus  Phoc.  c.  20,  Plato  symp.  175  A,  ubi  Hugius  de 
hac  re  disputavit').  Quare  uou  absurde  mihi  videtur  dicere  poeta 
eos  qui  foveudi  esseut  aute  cenam  artus  accepisse  alveum,  sive 
manus  significare  voluit  sive  pedes  sive  et  hos  et  illas.  Neque 
rectius  vituperant  verba  quae  sunt  hi  medio  torus  est,  quod  lectum 
cenatorium  in  hac  paupertate  exstrui  oportere  dicuut,  uon  iam  pa- 
ratum  esse.  Quod  quo  iure  dicaut  viderint  ipsi;  non  enim  eo  haec 
pauper  domus  a  divite  diflert  quod  lectns  paratus  nou  est,  quippe 
cum  pauperes  ipsos  qnoqne  accubuisse  ad  cenam  veri  simile  sit, 
sed  quod  ex  materia  vilissima  factus  est  neque  stragulo  ornatus, 
quod  nisi  diebus  festis  imponi  non  solet;  lectus  igitur  semper  adest, 
mensa  collocatur ").  Versus  autem  forma  alterum  in  memoriam 
revocat,  quo  somni  habitaculura  depiugitur  XI  610:  at  medio  torus 
est  ebeno  sublimis  in  antro.  Quae  cum  ita  sint,  acri  iudicio  Riesium 
usum  esse  arbitror,  cum  dubitaus  tamen  hos  versus  retineret,  ne 
balnei  mentio  deesset. 

Quodsi  Ovidiaui  hi  versus  suut,  id  quod  nemo  adhuc  certis 
refellit    argumeutis,    quid    iudicamus    de    codicibus    Marciano    et 
Neapolitano?     Atque    hoc    primum    apparet    eos     uou     integram 
praebere    lectionem,    quia    versus    646  non  mutatus  ex  aliis  codi- 
cibus sumptus  videtur,  quem  quis  effecto  impositis  male  accommo- 
dare  conatus  est  in  codice  Neapolitano.     Omisso  igitur  hoc    versu 
reliqui  ut  brevem  continent  narrationem,  ita  recte  inter  se  videntur 
coire;  neque  fieri  non  poterat  ut  Ovidius  scriberet: 
interea  medias  fallunt  sennonibus  horas 
concutiuntque  torum  de  molli  fluminis  ulva; 
vestibus  hunc  velant, 
quamquam    mirum    videtur    quod    poeta  in    ea  descriptione    quae 
maxime  eius    indoli    arrideret  nimia  usus  est  brevitate.     Aut  iieri 
potest  ut  etiam  versum  646  cum  hac  recensione  copulatum   fuisse 
ponamus,  dummodo  impositum  pro  impositus  scriptum  fuisse  creda- 

1)  cf.  e7.  loaunis  Xlirs  ev.  Liicae  XII  44  Becker  Charikles  IP  305.    Ma- 
nus et  pedes  curantur  Petron.  c.  31. 

»)  cf.  Aristoph.  vesp.  1216  Plaut.  Asin.  829. 


De  rnetamorpho.seon  Ovidianaruin  locis  diiplici  recensione  servatis.     357 

mus.  Cui  opinioiii  ne  acceclam  ipsa  memoria  impedit,  quod  mimm 
esset  si  ea  vox  casu  in  eam  formam  esset  corrupta,  quae  ceteris  in 
libris  aptissima  exstaret.  Quodsi  verbum  qnod  legitur  in  deteriori- 
bus  libris  t'mposkus  a  poeta  profectum  esse  putatur  neqiie  tamen 
suo  loco  legitur  in  Marciano  et  Neapolitano,  duas  restare  coniecturas 
ego  quidem  video,  quae  inde  pendent  utrum  versum  646  casu  in 
recensionem  horum  librorum  irrepsisse  ponas  an  semper  in  libris 
ex  quilnis  illi  üuxerint  traditum  esse.  Nam  si  etiam  in  eis  libris 
ex  quibus  Marcianus  et  Neapolitanus  mediis  scilicet  aliis  interpositis 
exscripti  sunt  fuit  versus  hie:  impositus  lecto  sponda  pedibusque 
saUgnis,  liaec  necessaria  videtur  opinio,  ut  locum  eo  quod  tres 
interciderint  versus  643 — 45  corruptum  putemus,  corrupto  autem 
cum  succurreret,  nescio  quem  eum  qui  unus  ex  quattuor  relictus 
erat  versum  ita  mutasse,  ut  prima  voce  omissa  pro  verbis  quae 
sunt  in  inedio  tonis  est  efliceret  ea  quae  nunc  leguntur  concu- 
tiuntque  torum  et  pro  eo  quod  in  ceteris  est  de  mollibus  ulvis 
versus  supplendi  causa  de  molli  ßuviinis  idca.  Quod  ne  credam 
fncit  quod  aut  illum  interpolatorem  stultissimum  participium  quod 
legitur  impositus  neglexisse  concedere  necesse  est  aut,  id  quod  modo 
veri  simile  esse  negavimus,  id  postea  casu  rursus  in  eam  formam 
mntatum  esse  quae  in  ceteris  codicibus  exstat.  Sin  autem  casu 
versus  646  in  hanc  recensionem  receptus  est,  fortasse  quia  in 
aliquo  libro  quinque  illi  versus  ceterorum  codicum  et  unus  qui 
in  iMarciano  et  Neapolitano  legitur  iuxta  compositi  erant,  duas 
recensiones  esse  apparet  genuinas,  alteram  brevem  pressamque, 
alteram  quam  scilicet  postea  fecit  poeta  emendandi  causa  longiorem 
et  aptiorem.  Quam  opinionem  equidem  probandam  iudico.  Sed 
utut  est,  hoc  certe  loco  de  quo  egimus  satis  elucet  deteriores 
Codices  praebere  lectionem  optimam  et  Ovidianam,  optimos  ma- 
lam  et  quae  aut  corrupta  sit  aut  interpolata.  Quod  moneo  ut 
memoria  teneant  qui  utrum  versus  aliquos  probent  an  damnent 
secundum  auctoritatem  codicum  Marciani  et  Neapolitani  discernunt. 
Clarius  vero  apparet  duas  exstare  recensiones  Ovidiauas  ex 
versibus  683  sqq.,  quibus  quomodo  Philemon  et  Baucis  domum 
relinquant  describitur;  deis  euim  incitantibus: 

'^in  ardiia  montis  682 

ite  simuV.  parent  et  dis  praeeuntibus  ambo  683 


358  Rudolf  Helm, 

niembra  levant  baculis  tardique  senihbus  annis    684 
nituntur  longo  vestigia  ponere  clivo.  685 

Sic  omnes  Codices  excepto  Marciano  exhibent,  nisi  quod  Neapolitanus 
in  rasura  praebet  verba  quae  sunt  et  dis  praeeuntibus  ambo]  in  illo 
autem  solo  haec  leguntur,  quae  eadem  nescio  an  scriba  codicis 
Neapolitani  prius  scribere  voluerit: 

"ite  simuV.  parent  amho  baculisque  levatif-tis  M) 
nituntur  longo  vestigia  ponere  clivo. 

Quae  verba  vix  quisquam  infitias  ibit  nihil  habere  quod  narrationi 
non  aptum  sit  aut  quod  non  ab  Ovidio  scriptum  putemus,  prae- 
sertim  cum  levatus  saepius  eo  versus  loco  inveniatur,  ut  II  159 
VIII  212:  pennisque  levatus  V  675:  pei'  hracchia  mota  levatae,  al.  1. 
Yerumenimvero  lepidius  quomodo  senes  vix  baculis  innixi  viam 
perficiant  videtur  exprimi  altera  illa  recensione  quam  Heinsium  se- 
cutus  nugatoris  commentum  esse  ratum  etiam  novissimus  editor  con- 
demnavit.  Qua  in  re  sagacius  idem  quem  saepius  laudaviraus  Riesin  s 
iudicjisse  mihi  videtur,  cum  scriberet:  'sed  deorum  mentio  ne  hie  qui- 
dem  debet  omitti'  adversatus  Heinsio,  qui  iniuria  opinatus  erat  ea 
ipsa  opus  non  esse.  Neque  rectius  hie  verba  quae  sunt  tardique  senili- 
bus  annis  nugatoria  dixit,  cum  optime  ad  hunc  locum  fjuadrent,  qui- 
bus  additis  clarissima  imago  Philemonis  et  Baucidis  aegre  clivum 
ascendentium  efficitur,  omissis  pressa  et  brevis  narratio  fit;  neque  iji 
praeeuntibus  propter  metri  rationem  offendere  licet,  quod  pracacutus 
codem  modo  usurpavit  poeta  VII  131,  immo  hoc  ipsum  recte  I^achio 
argumentum  verae  lectionis  visum  est  suppeditare,  quia  interpolator 
vix  tali  usus  esset  licentia.  Postremo  copia  verborum  quae  propria 
est  Ovidii  atque  elegantia  in  hac  recensione  inveniuntur.  Quare  si 
necesse  est  alteram  üvidianam  alteram  spuriam  habere,  non  diibito 
affirmare  hanc  esse  a  poeta  ipso  factam,  ut  mirer  quod  etiam 
Bothius  alioquin  admodum  candidns  carminum  Ovidianorum  iudex 
hoc  loco  ab  adversariis  stet.  Sed  neutram  esse  spuriam  inde  coii- 
cludo,  quod  in  neutra  vestigia  certa  sunt  Interpol ationis  neque  cur 
quis  in  alterautra  ita  oftenderit,  ut  eam  emendandam  esse  censeret, 
omnino  cognosci  potest;  arbitror  igitur  Ovidium  ipsum,  cum  ei 
brevis  illa  narratio  retractanti  Carmen  displiceret,  longiorem  eius 
in  locum  substituisse. 


De  metamorphoseon  Ovidiaiiarum  locis  diiplici  recensioue  servatis.     359 

Tertius  restat  in  etadem  narratione  locus  de  quo  agendum  est; 
versus  enim  686 sqq.  leguntur  in  codicibus  deterioribus  sie: 

tantum  ahei^ant  summo,  quantum  semel  ire  sagitta  686 

missa  potest:  flexere  oculos  et  mersa  palude,  687 

mersa  vident,  quaeruntque  suae  pia  culmina  villae:  688 
sola  loco  stabant.    dum  deflent  fata  suorum,  689 

illa  vetus  dominis  etiam  casa  parva  duobus  690 

certitur  m  templum. 

.Marcianus  autem  et  Neapolitanus  pro  verbis  quae  notavimus  exhibent: 

et  mersa  pahide  687 

cetera  prospiciunt,  tantum  sua  tecta  vianere.  688 

dumque  ea  mirantur,  ditvi  deßent  fata  suorum     689 

Quae  lectio  cum  omni  vitio  eareat,  oinnino  causa  reperiri  non 
potest  cur  nescio  quis  temere  unum  versum  et  dimidium  mutaverit. 
Sed  etiam  illa  recensio  non  ea  est,  in  qua  poetae  ingenium  desi- 
deretur.  Optime  enim  senes  casam  suam  ociilis  quaerere  dicuntur, 
neque  verba  quae  sunt  suae  pia  culmina  villae  interpolatorem  redo- 
lent,  quia  villam  poeta  etiam  v.  674  eorum  domicilium  dixit  et 
eadem  fere  elocutio  I  295  invenitur:  mersae  culmina  villae;  enuntiata 
denique  quae  sunt  quaeruntque  suae  pia  culmina  villae  et  sola  loco 
stabant  nulla  coniuncta  particula  morem  Ovidianum  prorsus  prae 
se  ferunt').  Accedit  quod  forma  versuum  ea  est  quae  Ovidio  in 
deliciis  fuerit;  saepissime  enim  quod  verbum  in  i|uinto  pede  collo- 
cavit  id  in  primo  versus  sequentis  repetivit.     Exempla  sunt  haec: 

II  477 sq.:  tendebat  hracchia  supplex: 

bracchia  coeperunt  nigris  horrescere  villis 

II  580sq. :  tendebam  bracchia  caelo: 

bracchia  coeperunt  levibus  nigrescere  pennis 
II  806sq. :  anxia  nocte,  \  anxia  luce  gemit 
III  67 9 sq.:  ad  intortos  cupiens  dare  bracchia  funes 
bracchia  non  habuit 
V  217 sq.:  vultus  ....  tolle  Medusae,  \    tolle,  precor 
VI  525sq.:  frustra  clamato  saepe  parente,  \  saepe  sorore  sua 
VI  668sq. :  quarum  petit  altera  silvas,  \  altera  tecta  subit 

1)  cf.  p.  353  et  II  477,  581. 


360  Rudolf  Helm, 

VII     oosq.:  non  magna  relinquam,  \  magna  sequar 
VII  201  sq.:  mibila  pello,  \  nuhilaque  induco 
VIII  785sq.;  accipe  currus, 

accipe  quos  frenis  alte  moderen  dracones 
VIII  873sq.:  vires  in  cornua  suvio,  \  cornna,  dum  j^otui 
IX  176sq.:  eladibiis  .  .  .  .  pascere  nostris,  \  pascere 
IX  728sq.:  si  di  mild  pareere  cellent,  \  parcere  debuei'ant 
X  BOösq.:  nostro  gratulor  orhi,  \  grafulor  huic  terrae 
X  420 sq.:  conataque  saepe  fatei'i,  |  saepe  tenet  vocem 
XI     82 sq.:  peetus  quoque  rohora  Jinnt,  |  robora  sunt  umeri 
XIII  482 sq. :  o  modo  regia  coniunx,  \  regia  dicta  j^fn'ßns 
XIII  542sq.:  nunc  positi  spectat  vidtum,   nunc   vulnera   nati, 
vulnera  praecipue. 
Qua  arto  Catiillum  secutus  est  poeta  qiü  in  carmine  04  ipso  quo- 
que eo  modo  verba  repetivit 

V.  321  sq.:  talia  divino  fuderunt  carmine  f ata, 

carmine  perfidiae  qnod  post  nidla  arguet  aetas 
V.  132sq. :  sicine  nie  patriis  avectam  perfide  ab  oris, 
perfide,  deserto  liquisti  in  litore,   Thesen? 
V.  186sq. :  omnia  muta,  \  omnia  sunt  deserta 
V.  403 sq.:  ignaro  mater  substernens    se   impia  nato, 

impia  non  verita  est  divos  scelerare  2J<i>'ßntes. 
Neque  non  invenitur  haec  ars  versus  pangcndi  in  aliorum  qui 
poetas  Alexandrinos  imitantur  carminibus,  ut  in  Yergilii  eclogis 
VII     2sq.:    Thyrsis  in  unum,  \  Thgrsis 
IX  27 sq.:  Mantua  nobis,  \  Mantua, 
in  Culice  v.  124sq.:  impia  lotos,  \  impia 

V.  231  sq.:  feror  acta  carpens,  \  avia 
V.  245 sq. :  ite  puellae,  \  ite 

V.  275sq. :  nee  faclles  Dictaeo  iridice  sedes,  \  iudice 
in  Diris  v.  2sq.:  rura  canamus,  \  rura 

V.     35sq.:  luppiter  ipse,  |  luppiter 
V.     48sq.:  litora  lymphis,  \  litora 
V.     80sq.:  advena  arator,  \  advena, 
in  Ciri  v.  372sq.:  despue  virgo,  \  despue. 

Alexandrinos  autem  poetas  huius  artis  magistros  fuisse  docent 
versus  quales  apud  Callimachum  leguntur 


De  metamorphoseon  Ovidianarum  locis  duplici  recensione  servatis.     361 

hymn.  I     91  sq.:  o«j-rjp  iocwv,  |  ow-op  d7r-/j;xoviV(g 

11     64sq.:  wo    sVaöcV  xa  npmza  Osasi/.ia  ^Poißo;  SYStpstv. 
<l>oTßo?  xal  ßai>u"(£tov  s»i,Yjv  ttoXiv  scppaös  BatTtp 
III     18sq.:  koXiv  oe  [AOt.  Tjvtiya  vsiixov,  |  -^viiva  X"^; 
III     r)6sq.:  aus  ^ap  Aixvyj,  ]  aus  os  Tptvaxt/] 
III     66sq.:  dXV   oxs  xoupdtov  xi;  drsi&sa  fir^xspi  xsu/ot, 
(jir^xyjp  [i.Ev  Ku/).«)Tca$  s^  et:!  TraiSi  xaXiaxpsi 

III  138 sq.:  x"^  svi  uiv  Ay]xou?  yj.[j-o;  saasxai,  sv  os  au  tto/Iy;, 

SV  OS  xal  'AtcoX^.odv 

IV  103/5:    ©su^s  o'  "Avaupo?  | |  cpsu^s  os   xal   lir/^sio? 

IV  löOsq. :  GdiCso  yarptuv,  |  aoSCeo 

IV  276 sq.:  ou8s  a'  'Evuw  ]  ouo'  'Aiotj? 

IV  325sq.:  /aips  [xsv  auxv^,  |  -/^oli^joi  5'  'AttoX^cdv 
V       Isq.:  E?ixs  iraaat,  |  s$ixs 

VI  lOsq.:  scfx'  sttI  oui>[xa'?,  |  iaz^   sul  xw;  (j.sXavot? 

VI  27 sq.:  sv  8s  xal  o/vai,  |  sv  os  xaXa  7Xuxu[i.aXa 

VI  33sq.:  Trdvxa?  sv  dx[xa,  |  Tia'vxas  o'   dvopoYqavxa;, 
apiul  Theocritiim 

I  lOOsq. :  KuTrpi  ßapsia,  |  Kuirpi  vsp-saaaxd 

1  lOosq. :  spiis  tiox'  "loav,  |  sprs  irox'  'AY/isi'iv, 

ad  quem  lociim  Fritzschius  alia  exempla  Theocritea  collegit'), 
qui  idem  de  hoc  usu  poetariim  egit  et  in  symbolis  Theocriteis 
p.  25  et  in  dissertatione  quae  est  de  poetis  bucolicis  p.  20.  Cuius 
usus  causa  fuit  scilicet  caesura  quae  dicitur  bucolica,  quae 
posteriorem  versus  partem  a  priore  prorsus  separavit,  ita  ut  primi 
pedes  singularum  partium  optime  locum  anaphorae  praeberent;  qua 
re  ex  usu  quo  in  eodem  versu  anaphora  adliibebatur  sicut  in  versu: 
dpysxs  ßouxoXixac,  MoTaai  cpiXai,  «px^"^'  dotoas  ille  de  quo  nunc 
agimus  non  mirum  quod  paulatim  processit.  Alexandrinos  autem 
caesuram  bucolicam  saepissime  usurpasse  constat  et  ex  Romanis 
eos  qui  proxime  illos  secuti  sunt;  nam  et  Homerus")  et  poetae 
epici  Romani  non  item  hoc  artificio  versus  faciendi  usi  sunt;  in 
Aeneide  quidem  non  memini  nie  versus  eiusmodi  legere  nisi 


1)  cf.  Kunst  de  Theocriti  versu  herojco  Lips.  1886  p.  45. 
'-')  cf.  tarnen  II.  XJI  213sq.     Od.  XY  441  sq.  XIX  175sq. 


362  Rudolf  Helm, 

II  405 sq.:  ad  caelum  tendens  ordentia  lumina  fnistra^ 

lumina,  nam  teneras  arcebant  vincula  palmas^), 

quibus  in  versibus  recte  Heynius  liisum  Ovidianum  cognovit,  et 
IX  116sq.:  vos  ite  solufae,  \  ite  deae  pelagi. 

Sed  redeamus  ad  versus  illos  quos  Ovidio  abiudicant.  In 
quibus  cum  illum  usum  inveniamus  qui  poetae  maximc  in  deliciis 
fuit,  nonne  dubitabimus,  tantane  sollertia  interpolator  leges  versus 
faciendi  quas  Ovidius  sibi  imposuisset  intellexerit  et  ad  obtrudendum 
ei  versum  spurium  suum  in  usum  converterit?  At  deesse  eis  qui 
hos  versus  damnant  videtur  significatio  earum  rerum  quae  mersae 
sunt.  Deest,  et  in  hoc  fortasse  Ovidius  ipse  offendit,  cum  locum 
retractandum  esse  censeret,  ut  scriba  codicis  Amploniani  idcirco  et 
inhospita  tecta  coniecit;  sed  ob  eam  causam  versus  damnandos  esse 
nego.  Interpretabimur  enim  eos  nihil  vidisse  nisi  mersa  palude,  ut 
Germanice  explicemus  verba:  'von  Sumpf  Ueberschwemmtes,  nur 
üeberschwemmtes,  erblicken  sie  rings' ;  usurpavit  igitur  poeta  parti- 
cipium  loco  substantivi,  quasi  scriberet:  paludem  prospiciunt,  paludem. 
Qui  usus  quamquam  rarus  est  et  fere  non  invenitur  nisi  genetlvo 
addito,  qualis  est  Vergiliana  elocutio:  strata  viat'um  I  422,  tamen 
non  magis  vituperandus  est  quam  Taciti  consuetudo  qua  participia 
incidentia,  adiacentia  pro  substantivis  adhibet^);  imprimis  si  sub- 
stantivum  quod  est  loca  supplendum  est,  saepissime  neutra  parti- 
cipiorum  sola  usurpantur  velut  abrupta,  occulta,  aperta,  obstantia^). 
Quae  cum  ita  sint,  neque  hanc  recensionem  nee  illam  Ovidianam 
non  esse  posse  iudico. 

Accedimus  ad  libri  XI  versum  58,  in  quem  iniustius  mihi 
consulere  videntur  Heinsii  secuti  auctoritatem.  Orphei  enim  caput 
Lesbum  afferri  narratur: 

hie  fei'us  ejopositum  peregrinis  anguis  harenis  56 

OS  petit  et  sparsos  stillanti  rore  capiüos  bl 

lambit  et  hymniferos  inhiat  divellere  vultus.    58 

Extremus  versus,  qui  in  Neapolitano  legitur  scriptus  a  prima  manu, 

a  reliquis  bonae  notae  codicibus  abest,  multis  de  causis  adulterinus 


')  Ciris  auctor  hos  versus  in  suum  usum  convertit  v.  402  sq. 

^  Draeger,  Stil  des  Tacitus  p.  5. 

*)  Draeger,  Bist.  Syntax  I  p.  50.    Naegelsbach  Lat.  Stil.^  §24. 


De  metarnorphoseon  Ovidianariim  locis  diiplici  recensione  servatis.     363 

habetur,  quamquam  quae  sint  causae  nemo  exposuit.  Tarnen  si 
quis  quid  in  eo  insit  offensionis  cliligenter  quaeret,  nihil  omnino 
inveniet;  nam  ut  abundant  verba  qua  est  luxuria  poeta,  ita  optime 
quadrant  ad  sententiam;  anguis  enim  primum  capiti  appropinquat  — 
ita  enim  interpretanda  sunt  verba  os  y;gf?Y  — ,  deinde  postquam 
proxime  accessit,  crines  lambere  incipit  et  faciem  ipsam  i;im  aggredi 
studet.  Verba  autem  ipsa  talia  sunt,  ut  ab  interpolatore  profecta 
essevix  iure  putentur.  Lambendi  enim  verbum  aptissimum  esse  docent 
Vergilius  Aen.  II  211  »Statins  Theb.  V  524  Ovidius  ipse  met.  III  57 
IV  594;  neque  minus  poetam  decet  inhiandi  vocabulum  cum  in- 
finitivo  coniunctum,  cum  alia  quoque  cupiendi  verba  ita  adhibeat 
minus  usitata,  ut  ardendi  V  166,  expetendi  VII  476  IX  550,  petendi 
VIII  421  XIV  571^);  adiectivum  autem  quod  est  Injmnifer  vix  inter- 
polatorem  aliquem  finxisse  credendum  est,  Ovidium  multa  primum 
formasse  verba  indices  editorum^)  satis  demonstrant;  ex  adiectivis 
quae  a  lerendi  verbo  derivantur  haec  aft'ero")  octcocS  sipr^jxsvaOvidiana: 
aerifer  fast.  III  740,  alifer  fast.  IV  562,  hipennifer  met.  IV  22 
VIII  391,  caducifer  II  708  VII 1 617,  anindifer.  corymhifer,  ciipressifer, 
granifer,  racemifer,  secu)'ife)\  herbifer,  papyrifev,  populifer,  neque  a 
Graecis  abhorruisse  vocabulis  poetam  docet  Linse  de  P.  Ovidio  Nasone 
yocabulorum  inventore  p,  8.  Quare  non  dubito  hunc  versum  reddere 
poetae.  Sed  altera  oritur  quaestio,  si  recte  Heinsius  refert  —  nam 
in  his  potissimum  quaestionibus  aegre  ferendum  est  quod  metarnor- 
phoseon editio  Omnibus  ex  partibus  perfecta  adhuc  desideratur  — 
in  Vossiano  codice  legi  pro  illo  quem  defendimus  versum  hunc: 

ed'templo  morsn  cedit  laniare  ferino, 
in  quo  cedit  quod   legitur  recte  ille   vir  doctus    coniciendo    coepit 
sanavit.     Capillos  autem  laniari  dicit  Ovidius  V  472  IX  354;  neque 
video  quid  in  versibus 

OS  petit  et  sparsos  stillanti  i'ore  capillos 

extemplo  morsu  coepit  laniare  ferino 
aut  usui  Ovidiano  aut  sententiae  non  satisfaciat;   nam  quamquam 
ceteris    locis    metamorphoseon  secundum   pedem   tenet    vocabulum 


')  cf.  Bucht  de  usu  infinitivi  ap.  Ovidium  commentatio  Upsala  1875  p.  9 sqq. 
2)  cf.  Ehwald  s.  v.  Neubildungen. 
^)  cf.  Linse  p.  42  sqq. 


364  Rudolf  Helm, 

extemplo  ut  versus  gravitas  evitetiir,  primo  tarnen  legitur  XV  663: 
extemplo  cum  voce  deus\  eodem  aiitem  pondere  sunt  versus  IX  168 
XIII  462^).  Quodsi  liunc  versum  Ovidianum  esse  posse  existimamus, 
cur  eum  poeta  ipse  expulerit  coniectando  efficere  possumus;  sequitur 
cnim  hie:  tandem  Phoebus  adcst  morsusque  inferre  parantem,  qui 
quamquam  cum  illo  eonecti  potest,  tarnen  propter  vocabulum 
repetitum  displicet.  Quare  factum  esse  conicio,  ut  Ovidius  ipse, 
cum  Carmen  retractans  minus  hunc  versum  probaret,  illum  de  quo 
supra  diximus  in  huius  locum  succedere  iuberet. 

Restat  quaestio  de  versu  libri  XII  192,  quem  aliter  Marcianus 
et  X^eapolitanus,  aliter  reliqui  exliibent  Codices.  Hi  enim  ad  Caenidem 
describendam  hos  praebent  versus: 

clara  decore  fuit  proles  Elateia  Caenis  189 

Thessalidum  virgo  pulcheirima  perque  propinquas  190 

jierque  tuas  urhes  (tibi  enim  popularis  Achilles)  191 

multorum  frustra  votis  optata  procorurn.  192 

Quibus  in  versibus  quaero  qiiis  umquam  invenerit  quo  offenderetur; 
recordamur  enim  verborum  Catulli  LXII  42:  multi  illum  pu^ri^ 
multae  optaoere  puellae  et  Ovidii  WM  324  sq.:  hanc  pariter  cidit, 
pariter  Cahjdonius  heros  optavii  X  (522:  optari  potes  a  sapiente 
puella.  At  hanc  esse  lectionem  interpolatam  Xeapolitani  et  Marciani 
testimonium  docet,  qui  pro  ultimo  versu  repetunt  libri  IV  versum 
793,  qui  idem  est  libri  IX  versus  10,  hunc: 

multorumque  fuit  spes  incidiosa  proconim. 
Hunc  quoque  haud  ineptum  esse  apparct,  modo  verba  quae  sunt  per- 
que propinquas  perque  tuas  urbes  ad  verba  quae  antecedunt  virgo 
pulcherrima  referamus  et  particulae  que  duplicatae  vim  subesse  pu- 
temus  quae  aliis  locis  est  particulis  et  —  et  — .  Sed  nemo  Ehwaldio 
concedet  quemquam  quia  priorem  particulam  que  male  intellexisset 
totum  versum  192  mutaturum  fuisse  eo  consilio  ut  particula  co- 
pulativa  sublata  tres  ultimi  versus  possent  coire;  satis  enim  fuisset 
unum  aut  duo  verba  corrigere;  neque  veri  simile  est  interpolatorem 
eum  qui  tarn  male  intellexerit  verba  Latina  tam  elegantem  fecisse 
versum    et   qui    poeta   ipso    esset   dignissimus.     Quodsi   quaerimus 


»)  cf.  Hartman,  Muemosyne  XVIII  1890  p.  166  sqq. 


De  metamorphoseon  Ovidianarum  locis  duplici  recensione  servatis.     365 

quomodo  differentia  codicum  explicari  possit,  cum  versus  deteriorum 
non  Ovidianus  esse  nequeat,  aut  fieri  potuisse  puto  ut  versu  simili  ex 
libris  IV  et  IX  adscripto  genuinus  qui  exstat  in  deterioribus  ex 
libris  Neapolitano  et  Marciano  expelleretur  aut  ut  poeta  ipse  primo 
versum  ex  libro  IV  repeteret,  deinde  iiovum  substitueret.  Ex 
quibus  utruin  hoc  an  illud  factum  sit  neque  ego  nee  alii  diiudicare 
poterunt. 

Hoc  tarnen  demonstrasse  nos  speramus,  aut  iniuria  viros  doctos, 
optimorum  codicum  fidem  cum  pluris  aestiment,  ubi  duae  exstant 
recensiones,  alteramutram  interpolatam  existimare  aut  si  recte  existi- 
ment,  tamen  eis  ubi  ambigere  licet  locis  lectionem  interpolatam  quae 
eis  quidem  videtur  magis  ad  ingenium  Ovidianum  esse  adaptatam 
quam  codicum  optimorum;  atque  nescio  an  aliis  quoque  locis,  ubi 
versus  toti  in  suspicionem  non  vocantur,  singulis  in  verbis  duplex 
recensio  inveniatur  ab  Ovidio  ipso  profecta.  Iniuria  igitur  Birtius') 
poetae  ipsius  testimonium  ex  quo  progressi  sumus  non  modo  fidene 
esset  dignum  dubitavit,  sed  etiam  ad  Vergilii  qui  ipse  quoque 
Aeneidis  carmen  imperfectum  reliquit  similitudinem  fictum  esse 
contendit:  nihil  Ovidium  simulasse,  sed  fuisse  illa  de  quibus  dicit 
exempla  ex  locis  quos  tractavimus  satis  videtur  apparere. 


^)  Birt,  Das  antike  Buchwesen  p.  347. 


XX. 

Emil  Thomas. 


De  Ovidii  Fastorum  compositione 
ad  lohannem  Yahlenum  epistula  critica. 


Circumspicienti  mihi,  quid  Tibi,  venerande  praeceptor,  cum 
ceteris  discipulis  Tuis  festo  die  congratulaturus  muneri  offerrem,  de 
P.  Ovidii  Nasonis  Fastis  placuit  nonnulla  commentari.  Exstat 
de  liorum  librorum  arte  Tua  commentatio ')  in  corpore  prooemiorum 
'J'uorum  Berolinensium,  quae  quid  sint,  quid  valeant,  nemo  philo- 
logus  nescit,  eodem  fere  tempore  illa  quidem  scripta  et  edita,  quo 
ad  eosdem  libros  academicis  lectionibus  enarrandos  ego  primum 
me  accingebam.  Quo  utinam  exemplo  haec  mea  opella  non  indigna 
Tibi  videatur. 

Ovidii  Fasti  quomodo  nati  quae  fata  habuerint  cum  ipsius 
fatis  conexa  et  coniuncta,  si  rei  summam  spectes,  satis  exploratum 
est.  Nam  constat  tum  ex  Ovidiano  testimonio  (Trist.  11  549  sq.) 
tum  ex  superstitum  Fastorum  specie  et  condicione  poema  ab  initio 
Caesari  Augusto  dicatum  necdum  absolutum  postea  ab  exule  Ovidio 
post  Augusti  obitum  in  Germanico  spes  suas  reponente,  huic  ut 
mitteretur,  retractari  coeptum  esse  eaque  retractatione  ipsius 
poetae  morte  interrupta  sex  libros  ea,  qua  nunc  habemus,  forma 
a  nescio  quo  editos.  Qua  de  re  accuratius  perspicienda  et  ex- 
[)licanda    cum    inprimis,    non   primus*),  meritus   esset    Rudolphus 


•)  Index  lection.  Berolin.  sera.  Mb.  1893/94. 

^)  lam  Barthol.  Merula  in  libro  inscripto  'Ovidius  de  tristibus  cum  com- 
mento'  (Mil.  1511)  p.  30  ad  Trist.  11  551  cum  haec  aduotaret  'Ovidius  rele- 
gatus  in  pontum  fastoruin  libros  plerisque  additis  ac  mutatis  Germanico  Drusi 
privigni  Augusli  filio  inscripsit  iit  eins  precibus  ab  Augusto  reditum  impetraret: 
quü  eos  antea  Augusto  dicasset,  ut  ex  hoc  carraine  percipi  potest',  ipsam  rem 
acu  tetigit,  quamvis  erraret  temporibus,  nee  prorsus  a  via  aberrarunt  deinde 
I.  Masson  in  Ovidii  vita  et  G.  Cuyper  apud  P.   Burmannum  (1727)  ad  eundem 

Festschrift   Vahlen.  24 


370  Emil  Thomas, 

Merkel '),  admodum  notabilem  rem  ut  indagaret,  contigit  Hermanno 
Peter').  Is  enim  demonstravit  praeter  prologum  adCaesarem  Germa- 
nicum,  unde  iusto  iure  et  ad  mentem  poetae  accommodate  totum  opus 
nunc  initium  capit,  in  secundo  libro  inde  a  versu  tertio  pristinum 
quendam  ad  Caesarem  Augustum  prologum,  et  ipsum  olim  a 
poeta  exordio  operis  destinatum,  reperiri  loco  non  suo.  Gravem 
hercle  rem  et  quae  ad  cognoscendam  Ovidii  artem  operamque  magni 
momenti  sit,  inter  se  comparari  posse  duos  persimiles  prologos, 
quorum  alterum  in  alterius  locum  cedere  oportuerat,  non  utrumque 
conservari.  Neque  est,  cur  nimiam  vetusti  editoris  —  ita  enim 
iudicamus')  —  religionem  nihil  Ovidianum,  si  fieri  posset,  ex  bis 
sex  libris  perire  patientis  incusemus,  quoniam  illius  comparationis 
instituendae  facultas  nobis  ita  oblata  est  et  licet  cavere,  ne  deci- 
piamur.  Ac  mihi  quidem  id,  quod  voluit,  certo  demonstrasse  Peter 
videtur  et  merito  ter  optime  enarratos  Fastos  edens  uncis  inclu- 
sisse  versus  II  3 — 18,  quamvis  silentio  praetermisissent,  qui  interea 
'  scholarum  in  usum'  ediderat  adnotatione  critica  auetos  Otto  Gueth- 
ling  et  in  iterata  minore  recognitione  Merkel,  meritoque  Peteri 
rationes  secutos  puto  in  conscribenda  litterarum  historia  Ottonem 
Ribbeck*)  et  Martinum  Schanz*).  Nee  tarnen  exhausta  est  haec 
de  duplici  Fastorum  prooemio  quaestio.     Quae    nonne    quarti 


Tristium  locum:  aberravit  vel  post  Merkelium  A.  Riese,  Die  Abfassung  von 
Ovidius  Fasten,  N.  Jahrbuch,  f.  class.  Ph.  CVIIII  (1874)  p.  561  sq.  contendens 
Fastos  iam  ab  initio  Germanico  dicatos  postea  hie  illic  mutatos  et  auetos  esse, 
cui  tarnen  inscio  praeierat  1.  1.  ipse  Burman,  oblocutus  est  victrici  disputatione 
H.  Peter,  Ueb.  d.  dopp.  Redact.  d.  Ov.  Fasten,  ibid.  CXI  (1875)  p.  499  sq. 

')  In  prolegomenis  editionis  Berolinensis  a.  1841  p.  256  sq. 

^  De  P.  Ovidii  Nasonis  Fastorum  locis  quibusdam  [ad  H.  Ilbergium] 
cpistula  critica  (1874)  p.  11  sq. 

')  Contra  Peter  1.  1.  p.  13:  re  non  perspecta  priorem  formam  post  Ovidii 
mortem  in  scidis  relictis  inventam  falso  insequentis  libri  primordio  illum 
inseniissc. 

<)  Gesch.  d.  röm.  Dichtung  II  (1889)  p.  336. 

5)  Gesch.  d.  rGm.  Litterat.  II,  P  (1899)  p.  214.  Cfr.  otiam  W.  Knoegel, 
De  retractatione  Fastorum  ab  Ovidio  Tomis  instit.  (1885)  p.  10  P.  Gold- 
scheidero  adversantera,  qui  antca  plurabeis  armis  contra  Petenun  pugnarat,  De 
retractat.  Fast.  Ov.  (1877)  p.  18  sq. 


De  Ovidii  Fastorum  compositione  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.    371 

potissimum  libri  initio  in  subsidium  vocato  ad  finem  perduci  possit, 
nunc,  si  placet,  videamus. 

Ergo,    ut  tota    in    conspectu    ponantur,    de    quibus    iudicium 
ferendum  est,  hoc  modo  nunc  decurrit  primi  libri  initiuni 

Tempora  cum  causis  Latium  di^esta  per  atmum 

Lapsaque  sub  terras  ortaque  signa  canmu. 
Excipe  pacato,  Caesar  Germanice,  voltu 

Iloc  opus  et  timidae  dirige  navis  iter, 
ö  Officioque,  lecem  non  aversatus  honorem, 

Iluic  tibi  devoto  numine  de<der  ades. 
Sacra  recognosces  annalibus  eruta  priscis, 

Et  quo  sit  merito  quaeque  notata  dies. 
Tnvenies  illic  et  festa  domestica  vobis: 
10       Saepe  tibi  pater  est,  saepe  legendus  avus. 
Quaeque  ferunt  Uli  pictos  signantia  fastos, 

Tu  quoque  cum  Druso  praemia  fratre  /eres. 
Caesaris  arma  canant  alii,  nos  Caesaris  aras. 

Et  quoscumque  sacris  addidit  ille  dies. 
15  Adnue  conaiiti  per  laudes  ire  tuorum, 

Deque  meo  pavidos  excute  corde  metus. 
Da  mihi  te  placidum,  dederis  in  carmina  viris: 

Ingenium  voltu  statque  caditque  tuo. 
Pagina  iudiciuvi  docti  subitura  movetur 
20       Principis,  ut  Clario  missa  legenda  deo. 
Quae  sit  enim  culti  facundia  sensimus  oris, 

Civica  pro  trepidis  cum  tulit  arma  reis. 
Seimus  et,  ad  7iostras  cum  se')  tulit  impetus  artes, 

Ingenii  currant  ßumina  qaanta  tui. 
25  Si  licet  et  fas  est,  vates  rege  vatis  habenas, 

Auspicio  felix  totus  ut  annus  eat. 

Sequentis  autem  libri  initio  ad  Februarium  ita  transitur  v.  1  sq. 
Tanus  habet  finem.     cum  carmine  crescit  et  annus: 
Alter  ut  hie  mensis,  sie  Über  alter  eat; 


')  Ita  malo  ad  optimos  libros,  ut  Merkel  et  nuper  (1894)  Davies;  te,  ut  habet 
unus  ex  deterioribus  sec.  m.,  dubitanter  Riese,  receperuut  Peter  et  Guethling. 

24* 


S72  l^^rail  Thoraas, 

iam  vero,  antequam  proximorum  librorum  more  modoque  Februarii 
Hominis  origo  declaretur  v.  19 — 54 

Febriia  Romani  dixere  'piamina  'patres  eqs., 
haec  interveniunt  v.  3 — 18 

Nunc  prinium  velis,  elegi,  maioribus  itis: 

Exiguum,  memim,  nuper  eratis  opus. 
5  Ipse  ego  vos  habui  faciles  in  amore  im'nisfros, 

Cum  lusit  numeris  pHma  iuventa  suis. 
Idem  Sacra  cano  signataque  tempora  fastis: 

Ecgui-s  ad  haec  illinc  crederet  esse  viamf 
Haec  mea  militia  est.  ferimus,  quae  possumus,  arma, 
10       Dextraque  non  omtii  7nunere  nostra  vacat. 
Si  tnihi  non  valido  torqiientur  pila  lacerfo, 

Nee  bellatoris  terga  previuntur  equi, 
Nee  galea  tegimur  nee  acuto  cingimur  ense,  — 

His  Jiabilis  telis  quilibet  esse  potest  — ; 
15  At  tua  prosequimur  studioso  pectore,  Caesar, 

Nomina,  per  titulos  ingredimurque  tuos. 
Ei'go  ades  et  placido  paulum  mea  munera  voltu 

Respice,  pacando  si  quid  ah  hoste  vacat^). 

Acute  intellexit  Peter  II  3  sq.  nunc  primum  de  elegorum  graviore 
argumento  praepostere  poetam  dicturum  fuisse,  si  iam  toto  primo 
libro  de  eisdem  rebus  eodem  metro  egisset,  praesertim  post  ipsum 
illum  versum  2 

Alter  ut  hie  onensis,  sie  über  alter  eat, 

ad  partem  videlicet  operis,  non  totum  opus,  pertinentem,  nee  minus 
praepostere  tum  demum  Caesari,  id  esse  Augusto,  fautori  opus 
suum  fuisse  commendaturum.    Atque  quia  inter  duos  prologos  mira 

^)  llic  quoque  persto  in  bonorum  testiura  memoria;  i-acas  commendavit 
Heinsius,  quem  nunc  omnes  ferme  sequuntur.  Servavit  vacat  in  prima  editiono 
Merkel,  servavit  editor  Anglicus  G.  IL  Hallam  (1891),  sed  duliito,  quo  iure  in 
commentario  pro  impersonali  verbo  acceperit,  sicut  exstat  II  723  dum  vacat, 
cum  possit  comparari  potius  (cfr.  R.  Ehwald,  Krit.  Beitr.  zu  Ovids  Ep.  ex 
Ponte,  1896,  p.  48  sq.)  Ex  Ponto  IUI  9,  71  quod  tarnen  ab  verum  cura  j)ropiore 
vacabit,  atque  etiam  Cic.  De  divin.  II  2,  7  tantum  huic  studio  reltnquendum, 
quantum  vacabit  a  publica  officio  et  munere.    Nihil  obstat  III  87  quod  si  forte  vacas. 


De  Ovidii  Fastorum  coiiipositione  ad  loh.  Vahlenuin  epistula  critica.   373 

quaedam  et  rcrum  et  verborum  similitudo  intercederet,  in  secundo 
aiitem  liln'O  versibus  3 — IH  sublatis  omnino  nihil  desideraretur,  de 
pristino  prologo  Romano  contra  poetae  voluntatem  et  plane  alieno 
loco  servato,  sicuti  supra  memoravimus ,  rationem  idem  ille  con- 
cliLsit.  Similitndines  aiitem  contulit  has:  I  4  timidae  dinge  nacis 
her  et  II  3  vclls,,  elegi,  maiorihus  itis-  1 1  tempora  canam  et  II  7 
cano  tempora;  I3sq.  ^^cipß  pacato,  Caesar  Germanice,  voitu  hoc 
opus,  11  da  mihi  te  placidum  et  W  Vi  placido  paulum  mea  munera 
üoltu  re,spice;  15  officio  ades  et  II  17  ergo  ades',  115  adnue  conanti 
per  laiides  ire  tuoritm  et  II  16  jyer  titulos  ingredimurque  tuos.  Haec 
acute  profecto  Peter.  Cai  mature  adversarius  exortiis  A.  Riese ') 
iit  de  Fastorum  consilio  et  fatis  secus  omnino  iudicavit,  ita  versus 
II  3 — 18  deesse  salva  sententiarum  continuatione  posse  concedens 
a,  poeta  tamen  interiectos  esse  dixit,  quibus  nimis  sibi  placens  in 
modum  satis  neglegentem  ac  ludibundum  ille  respectaret  ad  ea, 
qiiae  primo  libro  iam  effecisset.  Enimvero  ad  stabiliendam  sen- 
tontiam  sine  dubio  falsam  argumentum  Riese  attulit  per  se  ineflicax, 
scd  quod  ad  verum  reperiendum  videatur  ansam  haud  parvam 
suppcditare.  Non  posse  hunc  olim  tutius  operis  prologum  fuisse 
ait,  quoniam  ad  Homeri  exemplum  epici  et  didactici  Romanorum 
poetae'')  in  ipso  limine  tituli  vel  inscriptionis  instar,  quid  can- 
turi  essent,  complecti  solerent,  at  hie,  prologus  si  esset,  quinto  demum 
versu  (II  7)  brevius  et  subobscure  carminis  argumentum  indicaretur. 
Contra  Peter')  ceteroquin  suam  causam  enixe  tuens  illum  poeticum 
morem  atque  artificium  iure  requiri  adversario  dedit,  sed  sufficere 
huic  rei  illum  versum  neque  esse,  cur  non  a  113 — 18  carmen  olim 
incepisset.  Quam  rationem  minime  probaverim:  neque  remota 
est  dubitatio  Rieseana    de    subobscure  seroque   illatis  verbis  (II 7) 

Idem  Sacra  cano  signataque  tempora  fastis 
et  mirabile  nescio  quo  pacto  videatur  initium  (II  3) 

Nunc  primum  velis,  elegi,  maioribus  itis, 
ubi  ite  vel  eatis  tum  certe  exspectari  haud  male  affirmavit  Riese, 


1)  Cfr.  supra  p.  3692, 

2)  Nominatim  laudat  praeter  ipsum  Ovidium  Vergilium,  Lucamim,  Statiiim, 
Yalerium  FJaccum,  Grattium,  Neraesianum. 

3)  Cfr.  supra  p.  369  2. 


374  Kmil  Thomas, 

tantum  quod  aliquid,  non  totum  primum  librum,  sicut  ille  vult, 
praecessisse  inde  sequitur.  Itaque  hac  ex  parte  melius  sc  habet, 
quod  R.  Ehwald  ^)  ultra  Peterum  progressus  per  se  nimirum.  iustum 
Riesei  scrupulum  ita  removere  sibi  visus  est,  ut  primi  libri  di- 
stichum  primum  iam  prioris  prologi  initium  exceptum  olim  fuisse 
diceret  versibus  II  3 — 18,  qui  ipsi,  versibus  postea  subiectis  (I  3 — 26) 
extrusi,  ad  extremum,  cum  Romae  adornaretur  relictum  opus,  in 
secundum  librum  invecti  essent.  Haec  tamen  sententia,  quae 
Ribbeckio  et  Schanzio*)  haud  displicuisse  videtur,  vereor,  ut  stare 
possit.  Quarti  libri  initio  in  argumentatione  sua  Ehwald  usus 
est.  Eodem  nos  quoque  aliter  argumentantes  utemur.  Sed  prius 
necesse  est  de  illius  initii  indole  ac  temporibus  pauca  praemonere. 
Veneris,  lulii  generis  principis,  mensem  Aprilem  tractaturus  Üvidius 
ita  sibi  viam  munit  Uli  Isq. 

"^  Alma,  face\  dixi '^ geminoruni  mater  AmorumP 

Ad  vatem  voltus  i'ettuUt  illa  stios. 
'  Quid  tibi'   ait  '  mecum  f  certe  maiora  canehas. 
Num  vetics  in  molli  pectore  colnus  hahesf 
b  '' Scis  dea  ,  respondi  '^  de  volnere  .    risit,  et  aether 
Protinus  ex  illa  parte  serenus  erat. 
^  Saucius  an  sanus,  numquid  tua  signa  reliqui? 

Tu  mihi  proposittim,  tu  mihi  semper  opus. 
Quae  decuit,  primis  sine  crimine  lu^imus  annis, 
10       Ntmc  teritur  nostris  area  maior  equis. 
Tempora  cum  causis,  annalibus  eruta  priscis, 

Lapsaque  suh  terras  ortaque  signa  cano. 
Venimus  ad  quartum,  quo  tu  celeherrima,  ttiensem '), 
Et  vatem  et  mensem  scis,    Venus,  esse  tuos\ 
15  Mota  Cytheriaca  leviter  mea  tempora  mxjrto 
Contigit  et  '  coeptum  perßce    dixit  '  opus' . 
Sensimus,  et  causae  subito  patuere  dierum. 
Dum,  licet  et  spirant  ßamina,  navis  eat! 

1)  Jahresber.  üb.  d.  Fortschr.  d.  class.  Alterthumswsch.  XXXXIII  (1885  II) 
p.  147. 

2)  Cfr.  supra  p.  370 •*.\ 

')  Difficile  est  diiudicatu,  nonne  tamen  verius  sit  mense  cod.  Petav.,  quod 
Riese  praetulit  et  in  min.  ed.  Merkel. 


De  Ovidii  Fastonim  compositione  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.   375 

et  pergit  ad  explicandum  mensis  nomen  Caesarem  Augustum  appel- 
lans  V.  19  sq. 

Si  qua  tarnen  pars  te  de  fastis  längere  dehet, 
Caesar,  in  Aprili,  quo  tenearis,  habes,  eqs. 
Magni  vero  refert  scire,  utrum  haec  prioris  omnia  operae  sint 
an  retractationis  vestigia  prae  se  ferant.  Atque  hoc  adsevoravit 
II.  Winther'),  vir  meo  iudicio  de  Ovidii  Fastis  tarn  egregie  meritiis, 
ut  eius  sententiam  bis  cum  vi  elatam  silentio  praeterire  non  liceat. 
Probare  quidem  neutiqiiam  possum:  immo  cum  illa  omnia  fere 
eundem  animum  hilarum  et  vegetum  et  infractum  et  sibi  fidentem 
referant,  quem  prius  totius  operis  prooemium  113 — 18,  tum  ne 
versus  9  et  18  quidem,  qui  maxime  Wintherum  moverunt,  adver- 
santur.  Nam  quod  nono  versu  maiore  opere  iam  occupatus  poeta, 
quae  decuisset,  primis  annis  sine  crimine  carminibus  se  lusisse 
dicit,  hoc  cur  non  perinde  scripserit  ante  casum  suum  atque  illa  in 
epistula  ad  Augustum  (Trist.  II 250)  postmodo  consulto  repetita 
et  confirmata  Art.  amat.  I  34 

Inque  meo  nullum.  carmine  crimen  erit? 
Neque  timidum  aut  abiectum  animum  agnosco  in   eis,    quae  infra 
sequuntur  v.  18 

Dum  licet  et  spirant  ßamina,  navis  eat!, 
verum  aura  secunda  etiamtum  et  ut  entern  et  gaudentem^). 

Iam  quaeritur,  numquid  ex  hoc  prooemio  toto  Augusteae  car- 
minis  aetati  adsignando  de  pristino  primi  libri  principio  colligi 
possit.  'Aperte  respici'  dixit  Ehwald  non  solum  versus  IUI  3  illo 
certe  maiora  canehas  versum  II  3 

Nunc  primum  velis,  elegi,  maiorihus  itis^'), 
sed  etiam  versibus  IUI  1 1  sq. 

Tempora  curn  causis,  annalibus  eruta  priscis, 
Lapsaque  sub  teiras  ortaque  signa  cano 

')  De  Fastis  Verrii  Flacci  ab  Ovidio  adhibitis  (1885)  p.  58  et  Wochenschr. 
f.  klass.  Philol.  III  (1886)  p.  329. 

^  Parum  dilucide,  sed  utique  per  iocum  et  dissimulationem  dicta  sunt 
illa  V.  4 — 6. 

^)  Accedit  simile  IUI  10,  et  comparari  possunt  inter  se  praeterea  IUI  9  et 
II  6,  Uli  18  et  II  3.    Cum  II  3  sq.  congruit  infra  quoque  VI  22. 


376  EmU  Thomas, 

versus  I  1.  7.  2 

Tempora  cum  cmisis  Latmm  digesta  per  annum, 

Sacra  recognosces  annalibus  eruta  prlscü; 
Lapsaque  sub  tcrras  otiaque  signa  canam '), 
indo  sequi  primum  distichum  primi  libri  iam  olim  cjirminis  priu- 
cipium  fuisse.  Itane  voro?  Respexisse  videbitur  poeta  versu  IUI  11 
illum  retractati  prooemü  versumIT?  Vides  omnem  argumentationeiu 
concidcre.  Profecto  rei  cardo  vertitur  in  disticho  \\\\  11  sq.  IIoc 
quidem  contra  Merkelium  poetae  utique  vindicari  oportet  et  laude 
dignus  est,  quod  vindicavit,  licet  brevius  fortasse  egerit,  Ehwald. 
Nam  quod  ille  in  altera  editione  Lipsiensi  distichum  ULI  11  sq. 
scilicet  tamquam  a  nescio  quo  ex  pannis  Ovidianis  consutum  calli- 
deque  praeter  poetae  consilium  inculcatum  expulit,  ipso  poeta  ul 
balbutiret  minusque  inter  se  apta  et  cohaerentia  conecteret,  eftccit. 
Is  autem  consulto  consilio,  postquam  versu  IUI  10  maioris  cuius- 
dam  generis  opere  se  occupatum  esse  imagine  a  curriculo  repetita 
significavit,  operis  partem  tunc  ipsum  adgrediendam  proprio  sermom- 
versu  13 

Venimus  ad  quartum,  quo  tu  celeherrima,  menHem 
ita  indicat,  ut  haec  universi  carminis  argumento  ipso  quoque  proprio 
indicato  versibus  11  sq. 

Tempora  cum  causis,  annalibus  et'uta  priscis, 
Lapsaque  sub  terras  oHaque  signa  cano 
nitantur.  Nee  sine  arte  aliquanta  parte  operis  peracta  sollemni  loco 
auxilio  advocatae  suae  deae  Veneri,  quid  agat,  quid  vclit,  tamquam 
parum  gnarae  aperiens  operis  thema  repetit.  Ovidianum  autem  artifi- 
cium  reputanti  veri  simillimum  mihi  videtur  ipsa  verba,  quibus  prin- 
cipio  thema  complexus  erat,  hie  cum  emphasi  eum  repetivisse,  nisi 
quod  extreme  loco,  sicut  in  retractato  prooemio  I  2,  canam  ibi 
quoque  primitus  fuisse  crediderim'^),    pro    eoque  in  narratione  hie 


*)  Adnotavit  in  editione  nihil  inde  colligens  Peter:  IUI  11  tempora  cum  causis 
=  11,  annalibus  eruta  priscis  =  17,  IUI  12  =  I  2;  adnotavit  parum  recte  Hallam 
ad  IUI  11.  12  'repeated  from  I  1,  2  and  7'. 

-)  Per  se  illic  quoque  cano  potest  fuisse,  ut  Vergilius  dixit  in  Aeneid(> 
(sed  idera  canere  incipiam  in  Georgicis)  cius(iuc  excmplo  alii;  sed  ctiam  praetor 
retractatos  Fastos  in  illain  partem  apud  üvidium  comparari  potest  Meta- 
morphoseon initium  /ert  animus  .  .  dicere. 


De  Ovidii  Fastorum  compositioiie  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.   377 

cano  clictiim ').  Compertum  est'')  Ovidium  saepissime  sua  vel  ad 
verbum  vel  pauliim  immutata  repetivisse,  atque  id  partim  nullam 
aliam  ob  causam  nisi  opportunitatis  cuiusdam  et  commoditatis,  par- 
tim ea  mente  eoque  consilio,  ut  simul  certum  aliquem  locum,  ut 
sententiam  aliquam  lumenque  legentibus  in  memoriam  rediiceret'). 
Quo  in  gcnorc  nihil  memorabilius  quam  Fast.  III  549 sq.  in  enar- 
rando  Annac  Perennae  geniali  feste  Didonis  illiul  Carmen  sepulcrale 
'  Praehuit  Aeneas  et  causam  mortis  et  e7isem, 
Ipsa  sua  Diclo  concidit  usa  manu 

totiim    ex    Herold.  VII  193  sq.   repetitum,    ubi    quod    lieri    iubetur 
V.  189  sq. 

An7ia  soror,  soror  Anna,  meae  7nale  conscia  cidpae, 
190       lam  dahis  in  eine  res  ultima  dona  meos. 
Nee  con-sumpta  rogis  inscribar  Elissa  Sychaei, 
Hoc  tawen  in  tumidi  marmore  Carmen  erit, 
hoc  iam  factum   narratur   illic  v.  545  sq.  orationis  colore  simili  et 
qui    ipse    gnarorum  memoriam    evocet,    quo   certius  deinde  eadem 
verba  agnoscant, 

M')  Arserat  Aencae  Dido  niiserahilis  igne, 
Arserat  exstructis  in  sua  fata  rogis, 
Compositusque  cinis,  tumulique  in  marmore  Carmen 
lloc  hreve,  quod  mpriens  ipsa  reliquit.  erat. 
Ut  exemplum  Fastorum  fniibus  inclusum  addam,  non  sine  consilio 
Ovidius  postquam  I  527 sq.  in  vaticinio  Carmentis  posuit 
Iam  pius  Aeneas  sacra  et,  sacra  altera,  patrem 
Adferet:  Iliacos  accipe,    Vesta,  deos, 


')  An  subest  IUI  12  mirae  codicum  diversitati,  qiiorum  qiiidam,  in  eis 
quamvis  eraso  m  Petavianus,  canam  praebent,  vetusta  lectio  duplex  ita  expli- 
canda,  ut  putemus  ad  cano  ix  TrotpaXX'^Xou  adscriptum  fuisse  canam? 

'•')  Cfr.  quae  collegenmt  A.  Zingerle,  Ovidius  und  sein  Verhältniss  zu  den 
Vorgängern  u.  gleichz.  röm.  Dicht.  I  (1869)  20  sq.  A.  Lueneburg,  De  Ovidio 
sui  imitatore  (1888). 

3)  Utnimque  valet  etiara  in  utendis  aliorura  poetarum  verbis  et  sententiis; 
velut  consulto  admonet  Ennii  bis  in  eadem  re  Ovidius  Fast.  II  487  et  Metam. 
XIIII  814  et  idem  Catulli  Fast.  III  473  et  475.  Cfr.  M.  Haupt,  Opusc.  H 
p.  71,  Peter  in  edit.  II  ^  (1889)  p.  51. 


378  Emil  Thomas, 

in  explicando  Augusti  luliaeque  domus  stemmate  IUI  37  sq.  iisdem 
orationis  luminibus  usus  videtur 

Eine  satus  Äeneas,  pietas  spectata,  per  ignes 
Sacra  patremque  umeris,  altera  sacra,  tulit. 

Qu  od  si  per  se  consentaneum  est  in  quarti  libri  prooemio  non 
retractato    totius    carminis  argumentum  figurata  oratione  vorsu  10 

Nunc  teritur  nostris  area  maior  equis 
indicatum  deinceps  sollemni  loco  quasi  conceptis  verbis  rcpetitum 
esse  ex  operis  principio,  fidem  facit  praeter  cetera  medio  posteriori 
operis  prooemio  I  7  insertum  annalibus  eruta  priscis,  cuius  loco  in 
primo  disticho  ceteroquin  integro  adhibito  Latium  digesta  per 
annum  ponere  poeta  iam  maluerat.  Neque  componemus  auctore 
Petero  0  I  1  sq.  tempora  .  .  canam  cum  II  7  cano  .  .  tempora, 
sed  distichum  I  1.  2  cum  disticho  IUI  11.  12  ut  repetito  (nisi  quod 
canam  ibi  videtur  antea  fuisse  pro  cano)  pristino  operis  principio, 
simul  autem  versus  IUI  11  posteriorem  illam  partem  cum  eadem 
versus  I  7,  non  quo  illud  hinc  repetitum  sit,  sed  est  illud  repetitum 
ex  priore  prooemio,  hoc  in  posteriore  cura,  suo  loco  reiectum,  huc 
adscitum.     Ac  porro  inter  se  componenda  II  7 

Idem  Sacra  cano  signataque  tempora  fastis 
et  I  7  sq. 

Sacra  recognosces  annalilms  eruta  priscis, 
Et  quo  sit  merito  quaeque  notata  dies, 

quo  facto  et  I  7  sq.  praeter  illud  annalilms  eruta  priscis,  cuius 
origo  modo  patefacta  est,  ex  II  7  originem  traxisso  elucet  et  iam 
videmus  similiter,  ut  in  priore,  ita  in  altera  opera  quaternis  vcr- 
sibus  interiectis  ad  primum  distichum  paene  totum  nee  tamen 
totum  in  utraque  cura  idem  poetam  recurrisse,  deinceps  utrobique, 
quod  exorsus  erat,  suo  modo  pertexuisse.  Denique  apparet,  cur 
antiqui  editoris  pietas,  cui  quam  vis  in  alienum  locum  delatum 
prius  prooemium  acceptum  referimus,  primum  eius  distichum 
resecare  non  dubitarit:  non  modo  supra  exstabat  illud  novum  ad- 


')  Epist.  crit.  p.  13;  cfr.  supra  p.  370  ^ 


De  Ovidii  Fastonim  compositione  ad  loh.  Vahlenum  epistiila  critica.    379 

modum  simile,  verum  etiam  prioris  formae  ad  verbum  fere  repe- 
titum  infra'). 

Restat  una  quaestio  cum  ad  hanc  rem  consummandam  neces- 
saria  tum  ipsa  dign;i,  in  quam  curiosius  inquiratur.  Nam  post- 
quam  plus  ducentis  triginta  versibus  in  explicandis  Kalendis  lanu- 
ariis  maximam  partem  ipso  lano,  Sinni  origine',  duce  et  auctore 
Ovidius  versatus  est,  ad  a.  d.  III  Non.  lan.,  quem  diem  primum 
signi  alicuius  commemoratione  notaturus  erat,  novo  initio  sumpto 
ita  adgressus  libri  primi  v,  295sq. 

Quis  vetat  et  Stellas,  ut  quaeque  oriturque  caditque, 
Diceref  promissi  pars  sit  et  ipsa  mei, 

pergit  V.  297  sq. 

Felices  animae,  quibus  liaec  cognoscere  pi'imis 

Inque  domus  superas  scandere  cura  fuit! 
Credibile  est  illas  pariter  vitiisque  locisque 
300       Altius  humanis  exeruisse  caput. 

Non   Venus  et  vinum  suhlimia  pectora  /regit 

Officiumve  fori  militiaeve  labor; 
Nee  levis  ambitio  perfusaque  gloiHa  fuco 
Magnarumque  fames  sollicitavit  opum. 
?.05  Admovere  oculis  distantia  sidera  nostris 
Aetheraque  ingenio  supposuere  stio. 
Sic  petitur  caelum,  non  ut  ferat  Ossan  OlympuSj 

Siimmaque  Peliacus  sidera  tangat  apex. 
Nos  quoque  sub  ducibus  caelum  metabimur  Ulis 
310       Ponemusque  suos  ad  vaga  signa  dies. 

Ergo  tibi  nox  aderit  venturis  tertia  nonis,  eqs. 

Versus  296 ')  forma  supra  exhibita  auctoritate  nititur  optimi  codicis 
Petaviani,  quocum  congruit  Ursinianus,  tantum  quod  ista  habet 
pro  ipsa.    Contra  quod  propositi  pars  fuit  ista  mei  exstat  in  multi- 


^)  Ne  forte  quis  putet  propter  scripturae  diversitatem,  cuius  supra  p.  377  ^ 
mentio  facta  est,  ab  editoro  demum  in  quarto  libro  collocatum,  non  ab  ipso 
Ovidio  ibi  repetitum  esse  pristinum  principium,  satis  iam  cautum  spero. 

2)  Cfr.  IL  Peter,  De  P.  Ovidii  Nasonis  Fastis  disput.  crit.  (1877)  p.  14 
et  in  edit.  II '  p.  16. 


380  Emil  Thomas, 

fariam  interpolato  codice  IMallersdorliensi,  —  ut  omittamus  alios 
deteriorcs,  in  quibus  paria  similiave,  —  hoc  luilla  fido  dignum 
esse,  fuit  autem  pro  sit  ab  eo  invoctum,  qui  meiiiiiiisset  iam  1  2 
Ovidium  promisisse  ortum  occasumque  signorum  scse  canturum, 
Peterum  minime  fugit.  At  idem  haud  scio  an  ininria  inde  a  prima 
editione  poetae  Icvitatem  ac  festinationem  incusaverit,  quod  prologo 
adiecto  hunc  loeum  corrigere  neglexisset  et  inter  se  pugnantia  reli- 
quisset.  Nee  vero  magis  Knoegelio')  adsentior  ita  iudicanti  dis- 
crepantiam  esse  quidem  illam  inter  I  2  et  I  295 sq.,  sed  quadrare 
I  295  sq.  ad  prologum  libri  II  ex  Peteri  sententia  pristinum  et 
primigenium  putandum,  ut  in  quo  nihil  sit  de  astrologia.  Atque 
de  hac  re  post  superiorem  nostram  disputationem  verba  facere  vix 
opus  est.  Discrepantiam  autem,  quae  tum  profecto  cum  pristino 
prologo  ne  ipso  quidem  ea  thematis  parte  carente  non  minor 
intercederet,  nulhim  esse  sano  iudicio  sensit,  qui  utinam  ne  aliquo 
modo  de  via  dellexisset,  R.  Ehwald^).  Is  enim  dixit  versus  296 
ne  a  Petaviano  quidem  codice  oblatam  forraam  cum  carminis  prin- 
cipio  discropare,  immo  aperte  illuc  spectare,  gravius  elato  vocabulo 
sit  =  'maneat'  (possis  hoc  modo  declarare:  'sit,  sicut  est'),  cum 
promissi  necessario  ad  antecedentem  quandam  pollicitationem  refe- 
rendum  esset,  et  Stellas  superioribus  opponeretur.  Ilactenus  ego 
plaudo:  nam  quod  praeter  exspectationem  addit  sibi  tamen  prae- 
ferendum  videri  et  ista  codicis  Ursiniani,  certamque  esse  emenda- 
tionem,  qua  stet  pro  sit  scripsisset  Merkel,  dissentio.  Illud,  inquam, 
comprobo,  nisi  quod  a  principio  nimirum  pristinum  illud  disti- 
chum  ab  Ovidio  respectum  esse  aio,  postea  mutato  toto  carminis 
prooemio  neque  in  his  neque  in  proxime  insequentibus  quidquam 
mutari  eum  voluisse  adducor.  Nam  Potero^),  cui  hac  in  causa 
R.  Ehwald*)  adstipulari  videtur,  hoc  dare  nequeo  versus  297 — 310 
astronomiae  laudes  continentes  Germanici  eiusque  Arateorum  gratia 


1)  L.  1.  p.  11  adn. 

'-')  Cfr.  supra  p.  374'. 

')  In  editione  ad  h.  1.  (cfr.  etiam  II  ^  p.  23)  et  N.  Jahrb.  CXI  (1875) 
p.  503  sq.  Ceteniin  id,  quod  'perquara  prohalüle'  olim  putarat,  sibi  'esse 
videri'  satis  nunc  habet  dicere. 

*)  L.  1.  (cfr.  supra  p.  374')  p.  178. 


De  Ovidii  Fastoriim  compositione  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.   381 

in  retractatione  operis  adiectos  esse.  Tmmo  omnia  illa,  quemad- 
modum  exspectatur  ex  ipso  initio 

Felkes  anirnae,  quibus  haec  coc/noscere  primis 
Inque  domus  superas  scandere  cura  fuit!, 

ita  comparata  sunt,  ut  cascos  quosdam  astronomiae  conditores 
Chaldaeos  vel  Aegyptios  aut  summum  Thaletes  vel  Pythagoras  ob 
oculos  liabuisse  Ovidius  existimandus  sit.  Neque  Lucretium  praeter 
ceteros  hie  spectavit,  id  quod  fallaci  specie  usus  pro  eerto  affir- 
mavit  T.  A.  WashietP),  neque  omnino  quemquam  recentiorum 
£$0/7,  quamvis  sponte  ex  generali  vetustorum  sublimis  disciplinae 
auctorum  laude  ad  posteriores,  quicunque  eandem  disciplinam  co- 
luerunt,  auxerunt,  provexerunt,  aliquantum  redundet,  et  est  praeter 
universam  liorum  versuum  indolem  certa  quaedam  res'*),  quae,  ne 
Germanicum  inprimis  respici  cum  Petero  et  Ehwaldo  credamus, 
obstet  et  vetet.  Dico  illud,  quod  '  officium  fori  militiaeque  la- 
borem'  excelsos  illos  vires  non  attigisse  versu  302  Ovidius  prae- 
dieat:  nam  Germanici  et  forenses  et  militares  virtutes  —  sane  cum 
poeticis,  praecipueque,  ut  scimus,  poetae  res  caelestes  versibus  ex- 
plicantis,  consociatas,  —  idem  pleno  ore  celebravit,  atque  illas 
quidem  in  ipso  liuius  operis  prooemio  121  sq. 

Quae  Sit  enini  cidti  facundia  sensimus  ori's, 
Civica  pro  trepidis  cum  tulit  arma  reis, 

lias  in  epistula  ad  Suillium  data  Ex  Ponte  IUI  8,  C9sq.  ipsum 
Germanicum  ita  compellans 

Quod  nisi  te  nomen  tantum  ad  onaiora  vocasset, 
70       Gloria  Pieridum  suvuna  futurus  eras. 

Sed  dare  materiam  nohis,  quam  carmina,  mavis, 
Nee  tarnen  ex  toto  deserere  illa  potes. 


^)  De  similitudinibus  imaginibusque  Ovidianis  (1883)  p.  43  sq.;  contra 
\{.  Ehwald  1.  1.  p.  178. 

^)  Video  hanc  iam  sensisse  et  indicasse  Wintherum,  Wochenschr.  f.  klass. 
Philol.  III  (188G)  p.  327  Knoegelio  exprobrantem ,  quod  1.  1.  p.  21  Peteri 
coniecturae  ita  oceurrisset,  ut  diceret  de  Germanico  Arateorura  auctore  uon 
inter  omues  constare.  Cui  cum  non  obtemperatum  sit,  forsitan  nunc  persuadeant, 
quae  supra  disserui. 


382  Kmil  Thomas, 

NüTTi  modo  hella  gens,  numei'is  modo  verha  coerces, 
Quodque  aliis  opus  est,  hoc  tibi  lusus  ent, 

ubi  attendi  velini  maxime  illud  ad  maiora  ').  Itaque  adeo  noa 
praecipue  Germanici  causa  illud,  de  quo  agimus,  i^xttJix'.ov  insertum 
est,  ut  possit  quispiam  dubitare,  an  semel  scriptum  ob  ipsuni  Ger- 
manicum  mutaturus  aut  omissurus  poeta  fuerit.  Hoc  tarnen  propter 
eam,  quam  significavi,  laudis  ad  neminem  recentiorum  proprie  per- 
tinentis  indolem  abnuerim.  Ceterum  hanc  laudem  primigeniam 
interiectam  fuisse  indicio  est,  puto,  etiam  particula  ergo  v.  311, 
quae,  sicut  saepissime  igitur,  tum  maxime  loco  posita  videtur, 
cum  post  longiorem  digressionem  explicationemve  in  viam  et  ad 
propositum  reditur "). 

Posterius  prooemium  Germanico  dicatum  quae  nunc  excipiunt 
I  27 — 62  velut  generalem  quandam  de  fastis  Romanis  doctrinae 
partem  complectentia,  de  eorum  condicione  et  fatis  deinceps  ex- 
positurus  sum.  Atque  primum  quideni  annum  Romanum  Ovidius 
tractat  ita  I  27  sq. 

Tempora  digereret  cum  conditor  urbis,  in  anno 

Constituit  menses  quinque  bis  esse  suo. 
Scilicet  arma  magis  quam  sidera,  Romule,  noras, 
30       Curaque  finitimos  vincere  maior  erat. 

Est  tarnen  et  ratio,  Caesar,  quae  moverit  illum, 

Erroremque  suum  quo  tueatur,  habet. 
Quod  satis  est,  utero  matris  dum  prodeat  infans, 

Hoc  anno  statuit  temporis  esse  satis. 
.•!5  Per  totidem  menses  a  funere  coiiiugis  uxor 

Sustinet  in  vidua  tristia  signa  domo. 
Haec  igitur  vidit  trabeati  cura  Quirini, 

Cum  iiidibus  populis  annua  iura  daret. 
40  Martis  erat  primus  mensis,   Venerisque  secundus: 

Haec  generis  princeps,  ipsius  ille  pater. 
Tertius  a  senibus,  iuvenujn  de  nomine  qicartus, 


')  Etiam  in  ürientem  Gerraanicus  publica  auctoritate  missus  est  imperium 
habend  proconsulari  maius.     Cfr.  Tac.  Aun.  II  43. 

»)  Cfr.  Fast.  III  119:  F.  Hand,  Turselliuus  II  (1832)  p.  462. 


l)e  Ovidii  Fastonim  corapositione  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.    383 

'     Quae  sequitur,  numero  tiirba  notata  fuit. 
Ät  Numa  nee  lanum  nee  avitas  praeterit  umbras, 
Mensibus  antiquis  praeposuitque  duos; 

sequuntur  haec  de  dierum  discriminibus  et  officiis  I  45sq. 
Ne  tarnen  ignores  variorum,  iura  dierum, 

Non  habet  officii  Lucifer  omnis  idem. 
nie  nefastus  erit,  per  quem  tria  verba  silentur, 

Fastus  erit,  per  quem  lege  licebit  agi. 
Nee  toto^)  perstare  die  sua  iura  putaris: 
50       Qui  iam  fastus  erit,  mane  nefastus  erat; 
Nam  simul  exta  deo  data  sunt,  licet  omnia  fari, 

Verbaque  honoratus  libera  praetor  habet. 
Est  quoque,  quo  populum  iu^  est  includere  saeptis; 

Est  quoque,  qui  nono  semper  ab  orbe  redit. 
55    Vindicat  Ausonias  lunoriis  cura  Kalendas, 

Idibus  alba  lovi  grandior  agna  cadit; 
Nonarum  tutela  deo  caret.  omnibus  istis  — 

Ne  fallare  eave!  —  proximus  ater  erit. 
Omen  ab  eventu  est:  Ulis  nam  Roma  diebus 

Damna  sub  averso  tristia  Afarte  tulit; 

denique  causa  subiicitur,  quam  ob   causam  haec  omnia')  inserta 
sint,  I  61  sq. 

Haec  mihi  dicta  semel,  totis  haerentia  fastis, 
Ne  seriem  rerum  scindere  cogar,  erunt. 

In  quibus  cum  retractationis  vestigia  nemo,  quod  sciam,  de- 
preheudisse  sibi  visus  sit,  hoc  videlicet  solent  iudicare  Ovidium, 
priusquam  a  novo  prologo  ad  lanuarium  mensem  hie  quoque  no- 
vella  opera  Germanicum  appellans  I  63  sq. 

Ecce  tibi  faustum,  Germanice,  nuntiat  annum 
Inque  meo  primus  carmiue  lanu^  adest 

transiret,    integram  interpositam  voluisse  illam  generalem  partem, 


^)  Servo  ablativuin  toto;  Riese  et  Peter  (cfr.  eius  edit.  IP  p.  7)  et  Davies 
cura  Kreusslero  (Observ.  in  Ov.  Fast.,  1872,  p.  2)  toti. 

'■')  Melius  ad  v.  27—60  rettulit  Wiuther,  De  Fast.  Verr.  Fl.  ab  Üv.  adh. 
p.  5,  quam  ad  v.  45 — GO  in  editioue  Peter. 


384  Kmil   Thomas, 

ut' Caesar'  iam  intellegeretur  Germaniciis,  qui  quondara  Augustus. 
Nam  id  certe  tacite  sumiiiit,  et  apparet  tamen  retractationis  ali- 
quid tum  subesse  videri.  Ego  contra  valde  dubito,  an  invito  poeta, 
qui  haec  aut  oninino  abesse  —  id  veri  similUmuni  duco  —  aut 
prorsus  aliter  conformari  aliis  quoque  locis  mutatis  voluerit,  antiqui 
editoris  opera  exstent  loco  specie  suo  et  proprio,  re  vera  alieno. 
Atque  crediderim  iam  procedente  priore  cura  huius  mancae  leviterque 
incohatae  particulae  Ovidium  paenituisse. 

Age  examinemus  summatim  singula.  Priore  capite  (v.  27-44) 
quae  exponuntur  de  Ssxafxijvq)  anno  a  llomulo  instituto  adiectis 
mensum  et  denarii  numeri  et  singulorum  nominum  causis  et  de 
eodem  anno  a  Numa  duobus  meusibus  aucto,  eorum  nonnulhi  variis 
locis  recurrunt  vel  similiter  vel  secus  tractata '),  paene  omnia  autem 
in  tertio  libro,  ubi  v.  99 — 166  eadem  copiosius,  sed  partim  rairuni 
in  raodum  congruentibus  rationibus*),  tractantur  adiungiturque 
satis  plena  de  fastis  ab  lulio  Caesare  in  ordinem  redactis  narratio, 
quam  in  primo  libro  deesse  moleste  ferimus.  Numanum  institutum 
in  tertio  libro  obiter  tantummodo  ita  significatur  (v.  151 — 154) 
primum  illum  sensisse  duos  menses  abesse,  ubi  collocaverit,  non 
dicitur:  at  vero  libri  secundi  v.  47 — 54  dedita  cura  de  duorum 
mensum  loco  et  ordine ')  ita  agi  videmus,  ut  Februarium  anni  olim 
ultimum  mensem  lanuario  antea  quoque  primo  continuasse  decem- 
viri  memorentur,  id  quod  mirum  quantum  discrepat  ab  eo,  quod 
in  primo  libro  de  Numa,  sicut  scripserat,  relinquere  Ovidium  vo- 
luisse  credunt  v.  44 

Mensibus  antiquis  praeposuitque*)  duos. 
Quam  differentiam '")  hie  notare,  non  ad  fidem  historiae  *)  explorare 
volumus.     Levius    est,    quod   etiam  in  mensum  veriloquiis  aliquid 
discrepantiae  intercedere  videatur  inter  I  41 

J)  Velut  simillima  sunt  intcr  sc  I  39  sq.  et  IUI  57  sq. 

2)  Cfr.  inprlinis  lU  134  et  I  35  sq.,  III  124  et  I  33  sq.,  III  149  sq.  et  I  42; 
porro  III  103—114  et  I  29  sq. 

2)  Nihil  in  hac  causa  nos  adiuvant  V  423  sq. 

*)  Ita  ex  optima  memoria  iure  nunc  edunt. 

^)  I  43  Ovidium,  quia  ])arum  Interesse  jmtaret,  indiligcntcr  locutiiin  esse 
coutendit  0.  E.  Ilartmann,  Der  Römische  Kalender  (1882)  p.  22. 

6)  Cfr.  Th.  Mommsen,  Römische  Chronologie  ^  (1859)  p.  32  ". 


De  Ovidii  Fastorum  compositione  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.    385 

Tertius  a  senibus,  iuvenum  de  nomine  quartus 
et  quinti  sextique  libri  initia  de  mensis  Mai  et  lunii  nominum 
origine  fusius  tractantia,  si  quidem  ibi  praeter  haec  alia  et  diversa 
diversis  deabus  proponentibus  et  pugnaciter  defendentibus  rem 
dirimere  aut  certi  quidquam  statuere  sese  posse  poeta  ludens  negat. 
Nam  etiam  V  427  in  describendis  Lemuribus  Ovidius  scripsit 

Mensis  erat  Maius,  maiorum  nomine  dictus. 

Altero  illius,  quam  dixi,  generalis  partis  capite  I  45 — 60 
enucleare  Ovidius  adgressus  est  variorum  iura  diei^m,  quibus  nimi- 
rum  statae  fere  notae  in  fastis  publicis  respondebant.  Hie  ubi 
singulis  versibus  de  diebus  nefastis  et  fastis  breviter  egit,  quattuor 
proximis  parum  accurate  de  diebus  intercisis  agit').  Sequuntur 
uno  versu  dies  coniitiales,  et  iam  v.  54 

Est  quoque,  qui  nono  semper  ab  orbe  redit, 
quo  in  versu  paulisper  morari  liceat,  non  quo  dubium  sit,  quin 
nundinas  Ovidius  significaverit  nundinaliumque  litterarum  per 
fastos  dispositarum  niemor  fuerit,  sed  ut  experiamur,  si  possint 
verius,  quam  adhuc  factum  est,  ipsa  verba  explicari.  Ac  fuerunt, 
qui  haec  sana  esse  negantes  nonus  repositum  vellent  pro  nono^). 
Contra  nono  obtinens  '  est  quoque  (dies),  qui  nono  (die)  semper  ab 
orbe  [sc.  octo  praeteritorum  dierum]  redit'  enarravit  Peter,  cui 
praeivit,  obscurius  tarnen  maioribusque  quibusdam  ambagibus 
enarrans  Ph.  E.  Husclike').  Equidem  negaverim  Ovidium,  qui  plane 
soleat  et  perspicue  scribere,  eiusmodi  molestias  lectoribus  exhibuisse 
et  ad  mutandum  descendere  quam  ista  comprobare  mallem.  Versum 
qui  libera  mente  perlegit,  facere  non  potest,  quin  notio  ab  orbe 
coniuncta  velit,  idque  persuasum  habeo  ipsum  poetam  ita  voluisse, 
ut 'orbis'  intellegeretur  ' dies'.  Notum  est,  sicut  sidera,  ita  in 
orbem  agi  ipsa  tempora  Graecis  Romanisque  visa  et  dicta  esse, 
annumque  inprimis,  sed  etiam  maiora  minorave  temporis  spatia 
hoc  modo  descripta  et  significata.   Praeter  Homerica  illa  lieo;  irspt- 


1)  Ita  cum  Mommseno  (cfr.  CIL.  II  ^  p.  290)  iudicare  malo  quam  credere 
>P  dies  Ovidium  dicere,  quam  opinionem  defendit  L.  Lauge,  Rom.  Alterth. 
13  (1876)  p.  358  sq. 

^)  Kreussler  1.  L  p.  3  eumque  secutus  Riese :  cfr.  infra  p.  38G^. 

3)  Rüiiiische  Studien  I  (D.  alte  röm.  Jahr  u.  s.  Tage),  1869,  p.  291  ^^^ 

Festschrift   Vahleii.  25 


386  Emil  Thomas, 

x£XXo[i£voio  et  TtspiTrXofJievwv  inaoxiov  Euripideum  (Orest.  1645)  com- 
memoro  iviauxou  xuxXov  et  Sophocleum  (Oed.  R.  156)  TrepiteRofilvcxic 
«Spate  et  Arateum  (Phaen.  739)  ozoSTatr^  pir^vo?  irspiTeXÄExat  i^dic. 
Apud  Romanos  Vergilius  quidem  noii  solum  habet  (Aen.  VI  745) 
pcrfecto  temporis  orbe  et  (ibid.  V  46)  annmis  orbis,  sed  etiam 
(ibid.  I  269sq.7  tnginta  maynos  volvendis  ')nensibus  orbes  explebit 
et  (ibid.  Villi  7)  vohenda  dies^).  Deinceps  adscribere  iuvat  Senecae 
Epist.  mor.  12,  6  tota  aetas  partibus  constat  et  orbes  habet  circuin- 
ductos  maiores  minoribus:  est  aliquis,  qui  omnis  complectatur  et 
cingat;  hie  pertinet  a  natali  ad  diem  extremum.  est  altei',  qui 
annos  adulescenfiae  excludit.  est,  qui  totam  pueritiam  ambitu  suo 
adstringit.  est  deinde  per  se  annv^  in  se  omnia  continens  tempora, 
quoruvi  multiplicatione  vita  componitur.  mensis  artiore  praecingi- 
tur  circulo.  angustissimum  habet  dies  ggim^n,  sed  et  hie  ab  initio 
ad  exitum  venit,  ab  ortu  ad  occasum,  et  addere  ex  carmine  papyri 
Herculanensis  Anthol.  Lat.  1 482  R.  v.  60sq. 

Hos  inter  coetus  talisque  ad  bella  paratus 
ütraque  sollemnis  iterum  revocaverat  orbes, 
Consiliis  nox  apta  dv£um,  lux  aptior  armis. 

Nee  mirum,  si  certum  aliquod  temporis  spatium  simpliciter 
orbem  appellarunt,  ubi,  quäle  diceretur,  per  se  perspicuum  erat, 
velut  annos  (cfr.  etiam  supra  Verg.  Aen.  I  269  sq.)  hoc  modo 
significavit    Leontius    Anthol.    Pakt.  VII  575,  5  sq. 

rpr^ü?  [i-sv  (xopov  £up£v,  ocpsXXs  8^  fxupia  xüxXa 
Ztueiv  TÖiv  ocYaOuiv  ou  hz'/6\xz<3%a.  xopov. 

lam  cum  appareat,  nojio  ab  orbe  quo  iure  possit  'a  nono  die' 
intellegi^),  hoc  quid  sit,  adhuc  quaerendum  est.  Nono  quoque  (h"e 
sive  post  exactos  octo  dies  quoniam  redibant  nundinae,  nono  ab 
oi'be  convenienter    ita    accipi  videatur,    ut  valeat  'inde  ab  Oriente 


^)  Generali  notione,  ut  Quintus  Smyraaeus  V  378  aüroü  ol  ßifjxoto  Xyypöv 
TrepiT^XXeTat  9jfxap. 

^)  llallam  1.  1.  p.  187  ailnotavit  orbe  esse  videri  'revolution  of  eartli', 
i.  e.  'day'.  Quali  explicatione  in  Ovidio  iiti  miniine  licet:  cfr.  Fast.  VI  2G9  s(|. 
et  Metam.  I  12  sq.  de  terra  propter  JaoppoTiiav  immota.  Ceterum  ipse  diftisus 
addidit  fortasse  nonus  legeudum  esse. 


De  Ovidii  Fastorum  compositione  ad  loh.  Vahlenura  epistula  critica.    387 

(vel  orto)  nono  die'.  Atqui  scrupulum  iniciunt  exempla,  qualia 
sunt  Vergilii  Georg.  I  434 

Totus  et  nie  dies  et  qui  nascuntur  ah  illo 

ipsiusque  Ovidii  Fast.  III  94 

A  fnbus  hunc  primum  turba  Curensis  habet, 
(sc.  mensem),  ut  nono  ab  erbe  valere  videatur  'post,  i.  e.  post  ex- 
actum,    nonum  diein'.     Illud  quidem  aliquo  modo    defendi    potest 
exemplo  Ovidiano  Fast.  III  149  sq. 

Denique  quintus  ab  hoc  (sc.  Martio)  fuerat  Quintilis,  et  inde 
Jndpit,  a  numero  nomina  quisquis  habet, 

sed  hoc  haud  scio  an  tarnen  verius  sit,  praesertim  cum  Ovidius 
liabeat  Fast.  VI  795  sq. 

Tot  restant  de  mense  dies,  quot  nomina  Parcis, 
Cum  data  sunt  trabeae  templa,  Quirine,  fuae, 

de  die  agens,  qui  est  a.  d.  III  Kai.  lun.,  re  vera  de  mense  duobus, 
non  tribus  diebus  reliquis,  eodemque  modo  contra  rationem  ac 
numeros  commiserit  II  686  et  VI  725,  quamvis  alibi,  ut  puta 
I  705.  710,  II  857,  IUI  901,  in  consimili  causa  nihil  erraverit,  atque 
cum  de  Mentis  aede  dedicata  VI  247  sq.  narret 

Adspicit  instantes  mediis  sex  lucibus  Idus 
lila  dies,  qua  sunt  vota  soluta  deae, 

diem  signiiicans  a.  d.  VI  Id.  lun.,  quem  inter  et  Idus  ipsas  ex  nostra 
computandi  ratione  non  sex,  sed  quattuor  adeo  dies  medii  sunt, 
denique  cum  de  fastis  Caesarianis  III  163  sq.  doceat 

Is  decies  senos  ter  centum  et  quinque  diebus 
lunxit  et  e  pleno  tempora  quinta  die. 
1G5  Hie  anni  modu^  est.  in  lusti'um  accedere  debet, 
Quae  consummatur  partibus  una  dies, 

illud  praeceptum,  quo  quinto  quoque  anno  intercalari  imperabatur, 
perperam  sie  accipiens,  tamquam  pleni  quini,  non  quaterni,  anni 
singulis  diebus  augendi  essent'). 


1)  Cfr.  Merkel,    proleg.  edit.  a.  1841    p.  4  sq.;    Peter  iu   edit.  II  ^   p.  43. 
102:  Wiuther,  De  Fastis  Verr.  Fl.  ab  Ov.  adh.  p.  7  sq. 

25* 


388  Emil  Thomas, 

üenique  ne  offensioni  sit  pro  die  hoc  modo  illatum  auv(uvu[j-ov 
orbis,  Fast.  III  127 — 132  orhes — corpora — partes  promiseue  Ovidius 
dixit  idemque  intra  unuin  versum  Ex  Ponte  II l  1,  34  invenies, 
vei'e  si  reperire  voles. 

Sed  ad  reliqua,  si  placet,  pergamus.  Quod  si  ad  explicandum 
liunc  de  nundinis  versum  longius  excurrisse  videamur,  hoc  episto- 
licum  scribendi  genus  iustam  excusationem  dabit.  Deinceps  igitur 
versibus  I  55 — 60  Ovidius  postquam  monuit  Kalendas  lunoni,  Idus 
lovi,  nulli  deo  Nonas  sacratas  esse,  de  diebus  postriduanis  atris 
illiusque  religionis  causis  strictim  agit.  lam  tot  um  hoc  alt  er  um 
Caput  I  45 — 60  cum  superiore  arte  coniunctum  animo  contem- 
plantibus  nobis  fieri  non  potest,  quin  ipsum  quoque  mancum  videa- 
tur  et  parum  accuratum  et  facile  ipsi  auctori  reiciendum.  Nam 
ut  et  alia  omittam  et  neglectum  N  et  ^P  dierum  subobscurum 
discrimen,  et  atrorum  sive  religiosorum  dierum  mentionem  minus 
plenam^,  desiderantur  accuratiora  de  Kalendarum,  ISonarum, 
Iduum  origine  et  natura,  frustra  requiruntur  ea,  quae  vel  in  rusticis 
menologiis  adnotantur,  quot  dierum  sint  singuli  menses,  —  quae 
res  in  confmio  duarum  partium  tractari  poterat,  —  quae  quintanae, 
quae  septimanae  Nonae.  Deinde  vero  infra  in  contextu  operis 
quaedam  memorantur,  quae  proprio  huc  pertinebant,  dico  Q.  R.  C.  F. 
(quandoc  rex  comitiavit,  fas)  et  Q.  ST.  I).  F.  (quandoc  stercus  de- 
hatum,  fas)  iissorum  dierum  intercisis  similium^)  notas  V  727  sq. 
et  VI  7 13  sq.  tactas,  atque  etiam  de  quattuor  anni  temporibus  notas 
per  totum  superstes  opus  dispersas  (I  459sq.,  II  149sq.,  III  877sq., 
IUI  901  sq.,  V  601  sq.,  VI  789 sq.),  de  incipiente  vere  et  aestate 
deque  media  hieme,  vere,  aestate. 

Accedit,  quod  is,  ad  quem  haec  generalis  pars  scripta  est, 
simpliciter 'Caesar'  nomine  compellatur  131 

Est  tarnen  et  ratio,  Caesar,  quae  movent  illum,  eqs. 
Nemo    dubitat,    quin  Germanicum  Ovidius  hie  dixerit*).     Atqui  a 


>)  Cfr.  Momrasen,  CIL.  I  l  «  p.  296. 

=)  Cfr.  Mommsen  ibid.  p.  289.  295. 

^  Knoegel  1.  1.  p.  12  'ut  referaraus  ad  Germanicum,  ratio  postulat': 
idem  sequitur  ex  Peteri  ad  II  138  de  lioc  loco  silentio:  cfr.  etiam  editioiium  — 
non  solius  Rieseanae,  ubi  etiam  II  15,  IUI  20,  VI  763  ad  Germanicum  refe- 
runtur,  —  indices. 


De  Ovidii  Fastorum  compositione  ad  loh.  Vahlenum  epistula  critica.    389 

primo  certe  dixerat  Augustum  et  aegre  crediderim  pro  Augusto 
subito  Germanicum  intellegi  eum  voluisse,  cum  in  retractandis 
Fastis,  postquam  semel  (I  3)  sollemnem  in  modum  Caesar  Ger- 
manice^)  ipsum  appellans  scripsit,  infra  ubique  (I  63,  I  285,  IUI  81) 
nihil  nisi  Germanice  scripsisse  videatur  consilio,  neque  id  mirum 
sit,  praesertim  in  Caesarei  nominis  ambiguitate  et  in  fastis  frequen- 
tia^).  Itaque  non  mutata  appellatione  hoc,  ni  fallor,  conllrmatur 
propterea  in  hac  parte,  qua  vix  ulla  diligenti  retractatione  magis 
egebat,  nihil  Ovidium  mutasse,  quia  dudum  eam  aspernatus  erat, 
ac  iure  dubitari  posse,  an  eiusmodi  generalis  partis  condendae 
operisque  initio  intexendae  arduum  sane  poetae  consilium  omnino 
abiecerit. 

Quod  si  hano  pristinam  partem,  in  qua  omnia  inter  se  apta 
colligataque  sunt,  ex  operis  principio  cum  cura  reficto  eximimus,  illud 
quoque  sequitur,  ut  remotis  versus  I  27  verbis  tempora  digereret 
cum  conditor  urhvs  fortasse  partim  hinc  natus  versus  1 1  tempora 
cum  causis  Latium  digesta  per  annum,  quem  in  locum  primige nii 
(cfr.  IUI  10)  tempora  cum  causis  annalibus  eruta  priscis  successisse 
supra  evincere  studuimus,  eo  et  firmius  et  efficacius  stet,  atque  ut 
extrema  verba  prooemii  I  25  sq. 

Si  licet  et  fas  est,  vates  rege  vatis  habenas, 
Ampicio  felix  totus  ut  annus  eat. 


0  Item  Ex  Ponto  IUI  5,  25  (ad  Sextum  Porapeiura  consulem)  Caesar 
Germanicus,  contra  ibid.  IUI  13,  45  (ad  Caram  amicum)  Germanicus,  recto  casu 
utrobique. 

-)  In  epistula  ad  ipsum  Germanicum  scripta  Ex  Ponto  II  I  semel  nomi- 
natim  eura  appellans  v.  49  Ovidius  item  nudo  illo  Germanice  usus  est,  cum 
V.  1  Caesarei  triumphi  ad  Tiberium,  Augusti  filium  adoptivum,  v.  7  Caesar  et 
V.  17  Caesareae  mentis  ad  ipsum  Augustum  spectent.  In  humillima  epistula 
Ex  Ponto  IUI  8  re  vera  paene  ad  eundem  Germanicum,  quem  per  maiorem  car- 
minis  partem  ipsum  adloquitur,  nomine  tarnen  ad  Suillium  generum  missa  quod 
V.  23  Caesar  iuvenis  dictus  Germanicus  bis  quidem  v.  31  et  65  Germanice,  sed 
V.  63  Caesar  vocativo  casu  appellatur  nomine,  sua  est  huius  carminis  condicio 
neque  inde  irrita  iiunt,  quae  de  Fastis  supra  exposita  sunt.  Quid,  quod  vel 
ibi  in  tanta  v.  63  et  65  vicinitate  in  unum  fere  confluunt  Caesar — Germanice 
appellationes  ? 


390  Emil  Thomas,  De  Ovidii  Fastorum  corapositione. 

commode  excipiat  cognati  soni  gratulatio  I  63  sq. 

Ecce  tibi  faustum,  Germanice,  nuntiat  annum 
Inque  meo  prinms  cannine  lanus  adest,  cqs. 

T't  quaestionem  concludam,  perinde  atque  II  3 — 18  cancellis 
velim  saepiri  I  27 — 62,  non  quin  haec  sint  Ovidiana,  sed  qiiod 
ab  ipso  aiictore  postea  reiecta. 

Habeo  praeterea,  quae  de  Ovidii  Fastis  disputare  vellem,  sed 
cum  certi  sint  hiiiiis  seriptionis  fines,  subsistam.  Te  vero,  Vahlene, 
haec  pauca  boni  consulturum  spero.     Vale  et  salve! 


y^^ 


XXI. 
Paul  von  Winterfeld. 

De  Germaiiici  codicibiis. 


o 


Germanici  Caesaris  Codices  ad  diio  archetypa  rediro  primiis 
intelloxit  Orellius');  melioris  classis  duo  sunt  ordines,  Francicus 
et  Italiens,  deterior  Francica  est. 

1.  Codex  bibliothecae  publicae  Basileensis^)  sign.  A.  N.  IV  18 
saec.  IX  litteris  Francicis  scriptus  est,  nisi  quod  tres  paginae') 
manu  Saxonica  exaratae  sunt.  Compactus  est  ex  duobus  codicibus; 
posterioris    quo    Aratea    continentur    fasciculi    numerati    sunf). 


1)  Cf.  Phaedri  fab.  p.  149. 

^)  Cf.  Breysig^  p.  XII;  ipse  contuli  Berolini. 

^)  Non  tria  folia,  iit  ait  Orellius  p.  139;  neque  Eyssenhardtius  satis 
accurate  de  ea  re  rettulit  (Mart.  Cap.  p.  LXIIII).  Saxonica  sunt  fol.  11  v 
(schol.  p.  56,  8  ed.  Breysig^  lovem  usque  ad  p.  58,  3  deoruin;  pars  paginae 
vacat),  fol.  12v  (carm.  v.  17—46),  fol.  13r  (carm.  v.  47—64  et  schol.  p.  58,  5 
Ha}ic  usque  ad  p.  58,  16  j?/tus).  Fol.  12r  vacat;  fol.  llr  (carm,  v.  1 — 16  et 
schol.  p.  55,  2  Quuerüur  usque  ad  p.  56,  8  Herodotus)  et  fol.  13*  sqq.  Francica 
sunt.  At  in  fol.  12*'  v.  21 — 26  ab  eodem  librario,  qui  Saxonice  scribere  solet, 
Francice  scripti  sunt  praeter  Saxonicam  litterae  /  formam  {orrifero  v.  23,  facies 
V.  26).  Contrario  folii  13*  prima  syllaba  per-  Saxonico  compendio  scripta  est, 
quod  expressit  Breysig^  in  adn.  ad  p.  58,  16;  neque  igitur  codicis  Basileensis 
librarius  quicquam  aliud  voluit  quam  jjersequeretur,  quod  in  codice  Parisino 
scriptum  iure  commendavit  Kiesslingius  (cf.  Breysig*  p.  XXXIII),  receperunt 
Eyssenhardtius  (p.  381,  19)  et  Robertus  (p.  52o  15):  quamquam  hie  falsam 
quam  in  Basileensi  libro  esse  putabat  lectionem  etiam  ad  Parisinum  rettulit. 
Item  p.  60,  4  Saxonicum  particulae  autem  compendium  occurrit  (cf.  Breysig ' 
p.  XXXII);  quod  recte  solverunt  editores.  Utramque  scripturam  ita  coniungunt 
librarii  Fuldenses  (cf.  Traube,  Textgesch.  der  Regula  S.  Benedicti,  Abhdlg. 
der  k.  bayer.  Akad.  III.  Cl.  XXI  3,  661). 

*)  Cf.  Eyssenhardt  p.  LXII  sq.  Fasciculi  alterius  (fol.  18—23)  finis  falso 
notatus  est  in  fol.  25*,  tamquam  quaternio  sit,  quem  temionem  dixi;  quod 
fieri  non  poterat,  priusquam  codex  posterior  ligatus  esset. 


394  Paul  von  Winterfeld, 

Fiildae  codicem  scriptum  videri  eoniecit  Orellius '),  cum  fol.  45  ^ 
infra  subscriptionem  legatur  initium  epistulae  cuiusdam:  Honora- 
bili  domino  ac  patn  suo  C.  dei  gratia  Fuldensis  ecclesie 
abhati  H.  decanus  totusque  eiiLsdem  ecclesie  conventus  paratam 
ac  devotam  ohedienciam.  Litterae  saec.  XIII  sunt*),  nomi- 
num  compendia  certa*):  sie  ducimur  ad  abbatem  aut  Cunonem 
(a.  1216—1222)  aut  Cum-adum  III  (a.  1222,  se  abdicavit  a.  1247), 
et  Hertwigum  decamim  (circa  a.  1228*).  Multo  antiquiores  sunt 
eiusdem  utraque  manus  probationes  pennae:  Est  locus  Germanie 
insignis  et  est  locus  in  j  g  I  j  germana^')  Vulta^^  astra^):  unde 
codicem  saec.  X  Fuldae  servatum  esse  consequitur.  Involucro 
denique  inscriptum  est  litteris  recentibus  *) :  lil^er  astronomie 
Claudii  Cesaris  XL  VI  .  OR.:  quo  compendio  adhuc  non 
explicato  ordo  quadragesimus  sextus  bibliothecae  Fuldensis  in 
duodequinquaginta  ordines  dispositae^)  signiflcatur,  quo  com- 
prehendebantur  scriptores  astronomici "").  In  bibliothecam  Ba- 
sileensem    codex    inlatus    est    a.    1823    ex  museo  Remigii  Faesch 


^)  Cf.  p.  139. 

^)  Saec.  XIV  visae  sunt  Orellio,  saec.  XII  vel  XIII  Eyssenhardtio; 
I.  Schwalm  amicus  diplomatum  recentiorum  peritissimus  epistolium  circa 
a.  1230  scriptum  arbitratur.  De  simili  quodam  epistolio  item  Fuldensi  v. 
p.  404. 

3)  Abbatis  nota  'inextricabilis'  vel  L  vel  S  Orellio  visa  est. 

*)  Cf.  Schannat,  dioec.  et  hier.  Fuld.  p.  272  (n.  48.  50). 

*)  Litteras  valde  detritas  aut  insignis  aut  in  ger-  legerim  (i.  e.  in  Ger- 
germania; germana  inserta  littera  i  in  germania  correctum  videtur. 

*)  Cf.  Foerstemann,  altdeutsches  Namenbuch  11-  p.  538;  multo  saepius 
Vulda  aut  Fulta  scribitur. 

')  Sic  verbum  maioribus  ductibus  neglegeuter  scriptum  legerim,  astra  ex 
subscriptionis  (dö  gra  ti  as)  syllaba  extrema  supra  litteras  as-  posita  et  falsa 
versus  in  eodem  folio  scripti  lectione  nubibus  astris  (fragm.  4,  155)  in  codice 
astronomico  facile  effici  potuisse  ratus. 

*)  Cf.  Eyssenhardt  p.  LXII;  saec.  XIV  nota  tribuitur  ab  Hertzio  (cf. 
Breysig'  p.  XIII);  sed  multo  dintius  littera  monachalis  q.  d.  obtinuit.  Cata- 
logi  saec.  XV  post  innumeras  concilionim  iacturas  plures  fieri  solent. 

*)  Qua  de  re  post  N.  K(indlingerura,  Katalog  und  Nachrichten  von  der  ehe- 
maligen aus  lauter  ITss,  bestandenen  Bibliothek  in  Fulda)  diligenter  exposuit 
Gross,  über  den  Hildebrandslied-Codex  der  Kasseler  Landes-Bibliothek,  p,  12. 

'")  Cf.  Gross  p.  J3'o. 


De  Gerraanici  codicibiis.  395 

I.  C.  Basileensis  a.  1666  defuncti '),  cum  aliis  quibusdam  bibliothecae 
Fiildensis  codicibus '). 

2.  Codex  bibliothecae  regiae  Berolinensis  ^)  Phillippicus  n.  1832 
saec.  IX  olim  ad  bibliothecam  Metensem  pertinuit. 

B.  Codex  Parisinus  bibliothecae  publicae  n.  7886  saec.  IX 
unde  ortus  sit  non  traditur;  cum  autem  saec.  XI  ineunte  ex  eo*) 
correctus  sit  codex  Bernensis  n.  88  quem  Werinhenis  episcopus 
ecclesiae  Argentoratensis  (a.  1001 — 1028)  dedit  sanctae  Mariae^\ 
in  vicinia  certe  illius  bibliothecae  eura  tum  servatum  esse  pro- 
babile  est. 

4.  Codex  Matritensis  ^)  bibliothecae   publicae  n.  19  saec.  XII 


')  Cf.  Haenel,  catal.  librorura  inscr.  p.  6581):  Claudii  Caesaris,  Germani, 
oersio  Horatii,  c.  comm.;  membr.  In  adversariis  a,  1632  coeptis  (cod.  Basil. 
0  I  6  fol.  37r)  Faeschius  ad  Aratiiin  haec  refert:  'Penes  me  Reinig.  Feschiuin 
exemplar  extat  interpretationis  huius  Latinae  carmine  elegant!  vetiistissimum 
raembranaceum  cum  figuris,  cum  hac  inscript.  Liber  astronomiae  Claudii  Caesaris 
et  in  fine  literis  vei'salibus  Claudi  Caesaris.  Arati  phaenomena.  Sed  errore 
manifeste.  Huius  enim  translationis  nostrae,  quae  sola  superest  hodie,  Ger^ 
manicum  Caesarem  authorem  laiidat  confidenter  Casp.  Barthius  in  adversar. 
Hb.  X  cap.  21.  Huic  adstipulatur  exemplar  Bononiense  in  membranis  veteribus, 
quod  hunc  praefert  tit.  Aratus  Germanici  ad  Augustum.^  In  eodem  codice 
fol.  15r  de  Fuldensi  bibliotheca  Faeschius  compilavit  Monstenim  et  H.  Petri, 
sive  ipse  nescivit  plura  sive  se  scire  dissimulavit. 

*)  Cf.  appendicem  p.  402  sqq. 

3)  Cf.  Rose,  Verz.  der  Meerman-Hss.  p.  293;  Breysig=^  p.  V. 

*)  Breysigius  in  editione  Berolinensi  p.  XVII  lectiones  a  correctore  Ber- 
nensi  passim  additas  plerumque  cum  Basileensi  codice  conspirare  dixit.  Quod 
verum  est;  sed  eaedem  lectiones  etiam  in  Parisino  libro  sunt,  cuius  inter- 
polatio  V.  51  cum  in  Bernensem  inlata  sit  tendit  paene  ad  Ci/nosuran,  nullus 
dubito  quin  ipso  codice  Parisino  corrector  usus  sit.  Ex  Parisino  codice  etiam 
inscriptio  Bernensis  sumpta  est  Claudii  Caesaris  Arati  phoenotnena ,  quam  ille 
eadem  cum  forma  nominis  graeci  exhibet;  neque  enim  linea  inscriptioni 
scribendae  ad  regulam  ducta  est. 

^)  Cf.  Breysig*  p.  XIV.  Continet  codex  Parisinus  Alcvini  epigramma  de 
epistulis  Alexandri  atque  Diudymi  et  Senecae  atque  Pauli  (cf.  Duemmler, 
Poetae  latini  aevi  Carolini  I  p.  300;  Kuebler,  lulius  Valerius  p.  XXVII). 

^)  Cf.  Ewald,  Neues  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichts- 
kunde VI  p.  285  sqq.;  Loewe-Hartel,  bibl.  patr.  lat.  Hispan.  I  p.  315;  neuter 
omnia  notavit  quae  ad  rem  faciunt,  sed  utraraque  descriptionem  coniungi 
oportet. 


396  Paul  von  Wiuterfeld, 

olim  Casinensis ')  insigne  exempliim  est  eins  commercii  quod 
Karolo  Magno  cum  Alcviuo  et  Paulo  diacono  fuit.  Nam  fol.  52" 
scripti  sunt  versus  Pauli  diaconi  de  annis  a  principio,  fol.  159'' 
Älchvini  collectum  ex  sucra  scriptura  qualiter  septies  in  die  et  sertiel 
in  nocte  domino  laudes  oporteat  omnibus  christianis  referre,  fol.  160  ■■ 
epistola  KaroU  regis  ad  Albinum  ahbateni  de  septuagesima  sexa- 
gesima  quinquagesima  et  qiiadragesima ,  fol.  161*  Alchoini  ad 
Karolum  de  dioisione  philosophiae ,  fol.  löö""  epitaphium  Alchvini, 
fol.  171  "■  ex  Paulo  diacono'^).  Accedit  quod  Codices  Metensis 
et  Casinensis  etiam  Bedae  opus  quod  est  de  temporibus  com- 
plectuntur:  Paulus  autem  Angilramo  episcopo  Metensi  petente, 
prope  quem  in  quodam  urbis  monasterio  diutius  versatus  videtur^), 
gesta  scripsit  episcoporum  Metensium  et  in  Theodonis  villa  Status 
sui  umbram  circa  diem  natalis  domini  mensus  est^). 

5.  Codex  Strozzianus  n.  46  ^)  saec.  XIV  cum  Matritensi  co- 
dice  ita  coniunctus  est,  ut  ex  eodem  archetypo  neglegentissime  de- 
scriptus  sit,  cuius  ille  apographon  est  satis  integrum.  Neque  multo 
pluris  faciendus  est 

6.  codex  Arundelianus  n.  268,  de  cuius  aetate  iure  me  dubi- 
tavisse®)  ex  iudicio  E.  Bishop  cognovi.  Qua  de  re  quoniam  con- 
stabat,  actum  erat  de  fragmento  quinto,  quod  a  Baehrensio 
detectum    et    interpolatum    frustra     nuper     defendit    Housman'); 


')  Frustra  dubitavit  Breysig*  p.  VII  iudicii  ab  Ewaldo  (N.  A.  VI  p.  286) 
de  iraaginibus  lati  iminemor;  cf.  etiam  ea  quae  ille  de  codicibus  A  151  et  B  3 
scriptura  Casinensi  exaratis  dixit  p.  288  sq. 

2)  'In  Italia  sicut  .  .  .  videnlur'' :  haec  tantum  notavit  Loewe;  pro  certo 
habeo  locura  astronomicum  esse  ex  historiae  Langobardorum  libro  primo 
(cap.  5,  SS.  rer.  Langob.  et  Ital.  p.  50,  9—17)  de  umbra  Pauli  ipsius. 

=»)  Cf.  Waitz,  SS.  rer.  Langob.  et  Ital.  p.  20. 

■')  Cf.  locum  in  adn.  2  adlatum. 

5)  Cf.  Breysigi  p.  XIX  et "''  p.  XIII;  Knust,  Archiv  d.  Ges.  f.  alt.  deutsche 
Geschichtskunde  XII  p.  726;  Duemmler,  Neues  Archiv  IV  p.  102.  Coluccius 
Salutatus,  cuius  olim  fuit,  decessit  a.  1406  (cf.  Voigt,  die  Wiederbelebung  des 
classischen  Altertums'  I  p.  203). 

^)  Cf.  Brey.sig2  p.  X;  ectypon  catalogi  quamquam  minus  fidum  est,  mihi, 
qui  antea  de  aetate  non  dubitavissem,  imitatiouem  f)rodere  videbatur. 

'')  Classical  Review  a.  1900  p.  30.  Omnino  Heri  non  poterat  ut  illud 
fragmentura,  si  genuinum  esset,  a  ceteris  codicibus  si  non  totius  classis  0,  at 


De  Germanici  codicibus.  397 

quod  et  ego^  statim  intellexi  et  is,  quocum  rem  communicavi, 
Breysigius. 

7.  Codex  Siciliensis ')  deperditus  Strozziani  et  Arundeliani  fuit 
similis,  nisi  quod  in  eo  media  fasciculi  parte  evulsa  interciderant  ^) 
V.  440 — 582.  Huius  codicis  amplius  v.  431 — 439  et  fragmenti 
quarti  v.  1 — 51  decurtati  apographa  sunt  omnes  quicumque  per 
Italiae  potissimum  bibliothecas  extant  Germanici  Codices  saec.  XV 

certe  0^1  abesset.  Iure  igitur  tuemur  lectionem  traditain  umeris  virtutis  i,  e. 
robustis,  quae  Pauli  diaconi  aetati  bene  convenit,  ab  Augustea  aliena  est:  in 
Medeae  Annaeanae  v,  39G  fort,  scribendum  est  vultum  Furoris  cerno.  Ea  enim 
sententia  Atlanti  tarn  apta  est,  ut  eam  inmutare  uullo  pacto  liceat;  neque 
vero  potest  versus  ita  emeudari,  ut  elocutioui  cousulatur,  sententia  integra. 
Ceterum  Housmaiini  acumen  multuni  profuit  Germanico,  dum  aequius  ille 
iudicavisset  de  Breysigiana  editione,  cuius  lectiones  saepe  iniuria  vituperavit. 
\.  483  sq.  recto  ordine  tradi  intellexit  Kousman  (p.  33),  et  egregie  emen- 
davit  astris;  sed  ibi  subsistendum  erat:  flagrantia  sidera  recte  dicuntur  appo- 
sitionis  loco.  Neque  in  fragmenti  quarti  v.  133  pro  capricorno  scribendiun  erat 
Phryx  voraus,  quod  praestigiis  palaeographicis  ille  commendare  studuit  (p.  38), 
sed  simpliciter  Ganymedes;  neque  enim  a  litteris  huius  versus  raedicina 
petenda  est,  sed  capricomus  tribus  versibus  ante  a  poeta  conimemoratus  eadem 
versiculi  sede  hoc  loco  eiusdem  niensurae  similisque  initii  nomen  expulit. 

1)  In  codice  ürbinati  n.  1358  (cf.  Rreysig'  p.  XXI)  fol.  2»'  Aratus  Sicionins 
in  Sicilia  noviter  repertus  incipit  feliciler:  in  codice  Panormitano  (cf.  Breysig- 
p.  XI  sq.)  fol.  1''  fragmenlum  Arali  in  Sicilia  compertum  cum  commento,  sive 
fol.  4r  dicitur  Aratus  a  M.  Tullio  Cicerone  iraductus;  in  codice  Matritensi 
V  215  (cf.  Breysig-  p.  IX)  fragmenlum  cum  commento  Arati  nuper  in  Sicilia 
repertus  (sie),  in  codice  Berolinensi  lat.  0  149  (cf.  Breysig-  p,  VI):  vetuslissimum 
hoc  fragmenlum  Aiali  in  Sicilia  compertum  cum  commentario  vide,  et  fol.  6^ : 
Aratus  a  M.  Tullio  Cicerone  traductus.  Codex  ille  quam  inscriptionem  habuerit, 
discimus  ex  codice  Vaticano  n.  3110  (cf.  Breysigi  p.  XXII):  inveni  librum 
metrieum  et  j)7-osaicum  cni  titulus  erat  T.  Claudii  Cesaris  Arati  phenomena. 
Quam  inscriptionem  cum  non  intellexissent  Itali,  alii  Solensera  poetam  pro 
Arato  Sicyonio  acceperunt:  alii  Ciceronem,  qui  de  sua  interpretatione  Arati 
totiens  verba  fecit,  Germanico  substituerunt,  parum  solliciti,  qui  fieret,  ut 
nullus  versus  carminis  reperti  cum  libris  de  divinatione  et  de  natura  deorum 
concineret.  Neque  is  qui  Strozziano  codice  usus  est,  quis  sub  illo  nomine 
lateret,  cognovit,  priusquara  in  Lactantii  iustitutiones  divinas  incidit  (cf. 
Breysig  1  p.  XIX,  ubi  sine  dubio  legendum  est  solutis  compendiis  libro  I 
capitulo  XXV  et  libro   V  capitulo    V). 

2)  Neque  enim  dubito  quin  codex  Vaticauus  n.  3110  (cf.  Breysig'  p.  XXII) 
libri  Siciliensis  stirps  fuerit  primogenita. 


398  Paul  von  Winterfeld, 

scripti.  Qui  quamquam  in  genera  discribi  posse  videntur '),  tarnen 
id  non  moror,  cum  omnes  ad  unum  sine  damno  abici  possint.  Sed 
cavendum  est  ne  ideo  etiam  Cieeronis  Aratea  in  editione  Veneta 
a.  1488  codicibusque  Ambrosiano  et  Montepessulano  servata  con- 
temnamus^):  neque  enim  ea  ex  codice  Siciliensi  originem  ducunt^), 

1)  Ciceronera  pro  Germanico  nominant  Codices  Panormitanus  et  Berolinensis 
0  149  (Breysig*  p.  VI);  Cieeronis  Aratea  contineut  Codices  Ambrosianus  D  52 
inf.  (Avieni  carm.  rec.  Holder,  p.  XI)  et  Moutepessulanus  n.  452  (Catalogue  des 
departements,  4",  I  p.  462):  Yalerium  Flaccum  contiiient  codex  Vaticanus  n.  1653 
(Breysig*  p.  XXIII)  eteditio  princeps  (Breysigi  p.  XXV),  Serenum  Sammonicum 
codex  Vaticanus  n.3223  (Breysig'  p.  XXIII)  et  editio  Veneta  a.  1488  (Avieui  carm. 
p.  Villi);  Hyginum  Codices  Vaticanus  n.  3110  et  Gaddianus  pl.  89  sup.  n.  43 
(Breysig*  p.  XXIV).  Codex  Vaticanus  reginae  n.  1801  hanc  subscriptionein 
habet  (Breysig'  p.  XXIII):  plura  deßciunt,  quae  propter  vetustalem  et  quinternio- 
num  fractionem  colligi  neqtiaquam  potuerunt;  eaudem,  sed  pronomine  prorsus 
necessario  omisso,  exhibent  Codices  Panormitanus  et  Berolinensis  0  149,  in 
quo  particula  sed  ante  plura  adiecta  est.  Codex  Urbinas  1538  (Breysig  ' 
p.  XXI)  brevius  idem  ita  exprimit:  non  plus  invenitur;  quod  in  illo  latine,  id 
italice  legitur  in   codicibus  Gaddiano   et  Matritensi   V  215   non  sene  trova  piu. 

'■0  Ad  Cieeronis  Aratea  recensenda  editionem  Venetam  adhibuit  Orellius; 
sed  Baehrensius  eam  abiecit,  quamquam  saepe  cum  Harleiano  codice  stat,  ubi 
falsa  lectio  in  Dresdens!  est.  Velut  v.  71  Baehrensius  dubitat  an  marmore 
recte  scriptum  sit  in  codice  Dresdens! ;  sed  ea  inepta  illo  loco  lectio  est  neque 
in  editione  quicquam  aliud  est  quam  in  codice  Harleiano,  qui  murmure  habet: 
quod  nomen  minitandi  verbo  egregie  convenit.  Neque  v.  453  de  iactura 
cogitare  licet  propter  id  quod  in  Dresdens!  libro  est  tenet,  quoniara  integro 
versu  retinet  etiam  editio  Veneta  exhibet.  Bonas  aliquot  adscribo  lectiones, 
quae  editioni  cum  codice  Harleiano  communes  sunt:  v.  47  ales,  v.  79  supera, 
V.  84  Hie,  V.  104  qui,  v.  125  Curriculum  .  .  sedans,  v.  138  Clari,  v.  145  cernes, 
V.  160  Nam,  V.  173  amnem,  v.  175  lumina,  v.  184  permuket,  v.  185  tranat, 
V.  186  procul,  V.  197  labere  per  undas,  v.  199  Per/ringet,  v.  215  ßexo,  v.  224 
motutn,  V.  262  convestit  et,  v.  285  Hosce,  v.  301  fertur,  v.  304  cate,  v.  332 
convesiit,  V.  338  conficit,  v.  388  Inde,  v.  389  ipse,  v.  397  dispersa,  v.  401  atque 
exorlum,  v.  402  Persaepe,  v.  412  pluma  (om.  D),  v.  424  amenti,  v.  457  luslrans, 
V.  461  promit.  Quod  autem  Codices  recentiores  adtinet,  specimen  lectionum 
codicis  Ambrosiani  mecum  communicavit  Breysigius:  unde  eandem  in  iis  recensi- 
onem  esse  cognovi,  cuius  testis  sufficiens  editio  Veneta  extat;  quae  dum  con- 
iungatur  cum  codice  Dresdens!,  lectionibus  Ambrosianis  et  Montepessulanis  carere 
possumus.    Codices  Harleianum  W.  Levison,  Dresdensem  ego  denuo  contulimus. 

•*)  Inveterati  erroris  particeps  est  etiam  Dieckhoff,  de  Cieeronis  libris  de 
natura  deorum  recensendis  p.  52.  Qui  quod  v.  27  in  editione  mixtam  lectionem 
esse    dicit   onmis   ex  parle,   ea  archetypi   lectio    fuisse   videtur,    quae  duplici 


De  Germanici  codicibus.  399 

sed  ex  eo  libro,  quem  in  bibliotheca  Vercellensi  Cyriacus  Anconi- 
tanus  indagavit ');  ubi  codicem  Saxonicum  extitisse  mirum  iion  est'^). 
Duo  igitur  eiusdem  archetypi  Casinensis  apographa  extitisse 
videntur:  e  quibus  unum  Metensi  bibliothecae  intulerit  Paulus 
diaeonus '),  unde  descriptos  censeo  Codices  Basileensem  Berolinenseui 
Parisinum;  alterum  Casinense,  quo  redeant  Codices  Italici,  quoruni 
princeps  est  Matritensis.  lam  non  mirabimur  egregiam  huius 
classis  virtutem,  quoniam  Casinensem  eam  esse  intelleximus,  sed 
agnoscemus  consuetam  librorum  Casinensium  praestantiam"*).  Ne- 
que  licebit  amplius  neglecta^)  codicum  Italicorum  memoria,    qui 


ratione  metro  adcommodaii  poterat:  otnni  ex  parte  verum  est,  quod  praebet 
Priscianus;  omnis  parte  correctum  est  iu  codicibus  Harleiano  et  Dresdensi, 
eamque  lectionem  Probus  sequitur  (graram.  lat.  IV  p.  223)  cuius  testimoniuin 
ad  codicem  Yindobonensem  mihi  contulit  I.  Lechner. 

')  Cf.  Kauffmaim,  de  Hygiui  memoria  scholiis  in  Ciceronis  Aratum  Ilar- 
leianis  servata,  p.  27  sqq.,  qui  lectiones  editionis  principis  adferre  debuit; 
gravissimum  est  quod  v.  20  Cyriacus  Perseus  es  legit,  quo  uno  exemplo  res 
conficitur.  Quod  autem  Cyriacus  versus  ad  Persei  talaribus  instructi  'figuram 
egregiam'  pertinentes  descripsit,  Mercurii  sui  gratia  fecisse  videtur:  neque 
vori  dissimile  est  eam  Mercurii  imaginem,  quam  ex  Schedelii  udversariis  edidit 
0.  lahii  (aus  der  Alterthumswissenschaft,  tab.  7:  cf.  ]).  349),  ex  codice  astrono- 
inico  sumptain  esse:  nimis  similis  est  Perseo,  (juaiis  pictus  est  in  editione 
Sanctandreana  a.  1589  p.  242  ad  Hyginum:  quem  notum  est  coniungi  solitum 
cum  Ciceronis  Arato;  neque  vero  antiquiores  Hygini  editiones  ipse  vidi. 

2)  Cf.  domni  A.  Ebneri  iter  Italicum  (Frib.  Bris.  a.  1896)  p,  282.  De 
Saxonica  Ciceronis  Arateorum  origine  longus  esse  nolo;  Bedae  ea  nota  fuisse 
constat  (cf.  Baehrensii  praef.  p.  2),  et  supersunt  etiam  nunc  Codices  Har- 
leianus  u.  647  optimus,  Francicis  litteris  scriptus,  cuius  imagines  ad  Fuldensem 
consuetudinem  refert  A.  Goldschmidt,  aliique  Saxonici,  quos  ex  illo  descriptos 
dicunt:  quod  dubito  num  verum  sit. 

^)  Paulus  eniin,  cuius  memoriam  nuper  sollemniter  celebraverant  monachi 
Casinenses,  de  litteris  llomauis  optime  meritus  solus  fere  in  censum  veniret, 
etiamsi  nihil  tribuendum  esset  ei  rei,  quod  codex  Matritensis  cum  eo  coniunctus 
videtur.  Non  nescio  etiam  Sturmionem,  abbatem  postea  monasterii  Fuldensis, 
a  Bonifatio  Casinum  missum  esse:  sed  ille  omnia  alia  secutus  Germanicum 
certe  neglexit;  Paulus  vero  admodum  senex  Germanici  epigramma  novit,  quod 
puerulus  didicerat  (cf.  Breysig'-^  p.  58  sq.). 

*)  Quam  nuper  luvenalis  satirarum  et  Ovidii  heroidum  exemplis  iulustravi 
(Goettinger  gelehrte  Anzeigen  a.  1899  p.  895  sqq.). 

^)  Cf.  Dessau,  prosopogr.  imp.  Rom.  II  p.  178  n,  146. 


400 


Paul  von  Winterfeld, 


T.  Claudium  Caesarem  prae  se  ferunt,  de  poetae  praenomiiie  ario- 
lari;  sed  cum  Titum  verum  noii  esse  facile  adpareat,  lenissima 
mutatione  pro  Tito  efficiemus  Tiberium,  quod  praeuomeu  Claudio 
non  minus  dignum  est  quam,  id  quod  Mommsenus^)  ingeniosa 
sane  coniectura  inventum  commendavit,  Neronis. 

Deterioris  classis  Codices  quamquain  quattuor  sunt,  duo  tarnen 
exemplaria  efficiunt. 

8.  Codex  Einsidlensis  n.  338^)  saec.  XI  iam  saeculo  XIV  ^) 
in  monasterii  bibliotlieca  adservabatur,  neque  litterarum  forma 
dissimilis  est  aliis  illius  aetatis  codicibus  Helveticis.  Optime  ex 
hoc  libro  cognoscitur,  quae  indoles  archetypi  fuerit.  Caret  enim 
imaginibus;  at  saepe  vel  vacat  linea  vel  nota  diremptionis  ad- 
posita  est.  Gravissimas  semel  turbas  dedit  librarius,  e  quibus  se 
sociorum  ope  vix  potuit  expedire: 


425 
426 


427 

428 


429 


430 


^VJ 

II  versus 

<x 

versus 

^x 

II  versus 

^V] 

II  versus 

^v 

II  versus 

^V] 

II  versus 

Germ.  v.  200-208;  v.  224—232. 
Germ.  v.  233—240;  linea  vacans;  v.  241 

—247;    V.    209—210    (alia  manu);    v. 

211 — 212  (rursus  alia  manu). 
Germ.  v.  213—223;  v.  256-266.  268. 
Germ.    v.  248 — 255    (manu  semobliqua); 

linea  vacans;  v.  276 — 278  (alia  manu); 

V.  279 — 284  (manu  obliqua). 
Germ,  v,  285;  linea  vacans;  v.  387 — 393 

(manu    obliqua);     v.    315 — 320;    linea 

vacans;    v.   328—329   (v.    328    litteris 

rectis). 
Germ.    330—332;    linea 

— 340;    linea    vacans; 

Avieni  v.  749,    Germ 

747—748. 


vacans;  v.  333 
Germ.  v.  341, 
V.   342,    Av.  V. 


')  Hermes  XIII  p.  245;  Moramseno  adstipulati  sunt  Breysig  (Germanicus, 
ein  Vortrag,  '  p.  5)  et  Dessau.  Quodsi  quaeratur  qui  factum  sit  ut  nouiina 
coniungerentur  quae  coniungi  non  poterant,  oius  rei  causa  ex  poetae  vita  olini 
carinini  praefixa  repetenda  mihi  videtur. 

*)  Cf.  domni  G.  Meiert  cataloguin  codd.  mss.  Einsidl.  I  p.  311  sq. 

')  Cf.  G.  Meier,  Heinrich  von  Ligerz,  Bibliothekar  von  Eiusiedeln  im  14.  Jahr- 
hundert (Beihefte  zum  Centralblatt  für  Bibliothekswesen  II)  p.  61. 


De  Germanici  codicibus. 


401 


p.  431 
[).  432 
[K  433 


XVIII 

versus 

xvrii 

versus 

XVI  ri 

versus 

Av.  V.  750,  Germ.  v.  344;   linea  vacans; 

Germ.  v.  345—359. 
Germ.  v.  360 — 362;  linea  vacans;  v.  363 

—376. 
Germ.  v.  377 — 378;  linea  vacans;  v.  379 

— 386;  linea  vacans;  v.  414 — 419. 


Initialibus  litteris  ornati  sunt  v.  241.  256.  276.  387.  328.  341. 
345.363.  379.  414;  direraptionis  nota  semel  v.  201  adscripta  est; 
aliud  compendium  v.  236  et  v.  247  falso  praefixum  est,  ut  in- 
dicaretur  transpositio ;  post  v.  235  et  v.  255  adscriptum  est  hd 
(i.  e.  hie  deest),  post  v.  209  et  ante  v.  256  similiter  hh  (i.  e. 
hie  habes).  Tantae  perturbationis  origo  inde  repetenda  videtur, 
quod  librarius  Germanici  Carmen  ex  eo  codice  descripsit,  qui  ipse 
imaginibus  carebat,  sed  in  margine,  ne  imaginibus  inserendis  sub- 
scribendi  versiculi  deessent'),  ex  Avieni  Arateis  interpolatus  atque 
lineolis  aliisque  notis  ad  locum  imaginum  indicandum  instructus  erat. 

9.  ('odex  Vossianus  lat.  Q  79  saec.  IX,  quem  pulcherrimis 
imaginibus  exornatum  nuper  expressit  Thiele,  unde  ortus  sit,  quo- 
niam  testimonio  caremus,  coniectura  investigandum  est.  Gandavensem 
male  appellavit  eins  patronus'):  neque  enim  quicquam  inde  con- 
sequitur,  quod  ex  pictoris  cuiusdam  pergula  exeunte  saec.  XVI 
Gandavi  eum  emit  Susius;  rectius  inde  proficiscemur,  quod  codex 
Bononiensis  sive  ille  ex  Leidensi  descriptus  est'^)  sive  ex  communi 
archetypo,  olim  ad  Remensem  ecclesiam  pertinuit*):  atque  etiam 
imaginum  indolem  prope  abesse  ab  aliis  imaginibus  Remensibus 
iudicat  A.  Goldschmidt. 

Misses  facio  Codices  Bononiensem  ^)  et  Bernensem,  de  quibus 
quae  necessaria  erant  supra  dicta  sunt;  quibus  in  apparatu  critico 

0  Cf.  Thiele,  antike  Himmelsbilder  p.  81. 

-)  Antike  Ilimraelsbilder  p.  83;  cf.  p.  77'. 

•')  Sic  Thiele  p.  82  sq.;  cuius  sententiam  Breysigius  valde  labefactavit 
(■-'  P-  XV). 

*)  Catalogiie  des  departements  IV  p.  687  sq. 

^)  Faeschii  testimonium  supra  adscriptum  (p.  395')  ne  quis  ad  codicem 
Bononiensem  (Boulogne-sur-mer)  referat,  in  editione  Bouoniensi  (Bologna) 
a.  1474  ad  codicem  recentem  impressa  carmini  ita  inscriptum  esse  moneo: 
Aratlius  Germanici  ad  Auyustum  (cf.  Breysig'  p.  XXV). 

Festschrift   Vuhlen.  26 


402  Paul  von  Winterfeld, 

locus  negandus  est.  Quodsi  de  archetypo  qiiaeritur,  unde  Codices 
Einsidlensis  et  Leidensis  descripti  sint,  nihil  primo  obtutu  de  eo 
dici  potest  praeterquam  quod  eodeni  loco  Avieni  codicem  extitisse 
necesse  est ').  Avieni  autem  memoria  segregari  nequit  a  Vitruvio '), 
de  cuius  archetypo  Saxonico  nuper  disseruit  Rose'):  Saxonicae 
vero  scripturae  propriae  sunt  Avieni  corruptelae  olim  a  me  collectae^). 


DE   R.    FaESCHH   CODICIBUS   FULDENSIBÜS. 

Germanici  codicem  Basileensem,  postquam  eum  Berolini  tractare 
licuit,  Traubio  scripsi  sine  dubio  Fuldensis  olim  bibliothecae  fuisse. 
Quid  ille?  plures  etiam  Basileae  Codices  Fuldenses  esse  respondit 
ex  museo  Remigii  Faeschii  I.  C.  a.  1823  in  bibliothecfim  publicam 


')  Ideo  ne  ei  quidem  rei  raultum  tribuendnm  est,  quod  Augienses  saec.  IX 
in.  habuerunt -^raz^  astrologiam  (cf.  G.  Becker,  catalogi  antiqui  n.  6,  356.  10,2): 
neque  enim  Avieni  memoria  cum  Augiensi  monasterio  coniuncta  videtur. 
Quamqnani  codicem  Einsidlensem  ex  Augiensi  archetypo  pendere  non  mirarer. 

'')  Quoniam  in  Vitruvii  codice  Gudiano  132  Avieni  Arateorum  tituli  ex- 
tant  (cf.  Holderi  editionem  p.  XII)  cum  eadem  inscriptione  quae  est  in 
editione  Veneta. 

^)  Vitruvii  de  architectura  libri  decem  iterum  rec.  V,  Rose  p.  IV;  ne- 
que vero  Vitruvii  Codices  Gudianos  Fuldensis  bibliothecae  notas  exhibcre 
certiorem  me  fecit  0.  de  Heinemann.  De  Avieni  codicibus  et  editioiiibus 
quae  olim  dissenii  (de  metaphr.  Arat.  rec.  et  emend.  p.  1  sqc].),  cum  iudicii 
me  non  paeniteat  (Beiträge  zur  Quellen-  und  Textkritik  der  Wetterzeiciien 
Aviens  p.  10'),  paucis  augenda  sunt,  i^imirum  ad  descriptionem  orbis  terrae 
oramque  maritimam  quas  dudum  adhibuerunt  Orteliani  codicis  lectiones  a  X. 
Ileinsio  notatas,  eas  quainquam  verissime  reiecit  MuellenhoiT  (deutsche  Alter- 
tumskunde r-  p.  74*),  tainen  deniio  protulit  Holder.  Sufficit  rei  conficiendae 
brevis  Muellenhoffii  adnotatio:  cui  alterum  argumentum  addi  potest.  Qui  in 
editione  Veneta  permutato  ordine  suas  paginas  (fol.  43^  et  fol.  44'')  integras 
complent  descriptiones  v.  1048—1085  et  v.  1086—1123,  eodem  ordine  c.xtabant  in 
codice  Ortelii.  Neque  vero  editio  Veneta  in  versibiis  ita  ordinandis  archetypou 
exprimit  versuum  duodequadragenorum ,  sed  tabulas  typis  instructas  male 
coniunxit  typotheta:  unde  Ortelium  non  codice  manu  exarato,  sed  sola  editione 
principe  usum  esse  consequitur.  Arclictypon  oditionis  Venetae  singulos  et 
vicenos  plerumque  versus  in  paginis  habuissc  discimus  ex  absumptis  i»rae 
maritimae  particulis. 

■•)  De  Avieni  metaphr.  Arat.  rec.  et  emend.  p.  9  S((q.;  quo  loco  quod  p.  10 
de  semunciali  forma  litteranun  fp  s  verba  feci,  non  longe  abcraiii  ab  eo  ipiod 
verum  est:  Scotti  enim  et  Saxones  semuncialibus  litterls  indulgere  soleut. 


De  Gennanici  codicibus.  403 

inlatos;  neque  vero  rem  in  vulgus  notatn  esse  neque  quaestionem 
perfici  [xjsse  nisi  quis  in  ipsa  bibliotheca  Basileensi  Faeschii  legat 
vestigia.  Itaque  cum  sequentiis  edendis  apparatum  criticum  col- 
lecturas  bibliothecas  Helveticas  perscrutarer,  Basileae  libris  Fulden- 
sibus  operam  dare  constitui:  nee  spes  tefellit.  Dum  enim  summa 
C.  Chr.  Bernoulli  liberalitate  adiutus  Codices  evolvo,  in  aliis  easdem 
l)ibliothecae  Inildensis  notas  invenio,  quas  in  Germanici  codice  de- 
prelienderam ;  aliorum  scripturae  Saxonicae  ope  originem  convincere 
licuit.  Monachium  pergo,  Codices  a  me  notatos  cum  Traubii  schedis 
Fuldensibus  comparo:  praeter  calendarii  Fuldensis  fragmentum  et 
uuum  codicem  Scotticis  litteris  exaratum  omnes  ille  ex  Halmii 
catalogo ')  propter  Saxonicam  scripturam  excerpserat.  lam  ille, 
qua  me  prosequi  solet  amicitia,  uberrima  adversaria  Fuldensia 
mihi  obtulit;  sed  ea  compilare  vereor. 

1.  Codex  Basileensis  F  f  III  15*  Saxonicus  ^);  involucro  in- 
scriptum  est  liher  Jsidori  de  ordine  creaturarum  id  est  rotai'um 
VIII  oi\  7;  paulo  infra  stilo  insculptae  litterae  maiusculae,  Ratgart 
ut  videtur,  atque  duo  versus  inextricabiles. 

2.  Codex  Basileensis  F  f  III  15  •*  Saxonicus:  Liber  de  ordine 
creaturarum.  Item  vita  s.  Antigoni  et  Eufraxie  et  Euaxis. 
XXIIII  or.  IX.  Fol.  37''  incipit  vita  s.  Goaris:  In  diehus  Hildi- 
heiii^  cuius  nulluni  codicem  huic  praestantem  extare  censet  B.  Krusch. 
A  fol.  20  alius  codex  incipit  suis  nuraeris  signatus.  Ex  involucro 
catalogi  Fuldensis  fragmentum  Francica  manu  saec.  X  scriptum 
descripsi :  Sextus  ordo  inferioris  num. :  Glosae  in  alphab. ;  Hb.  Ca^siod. 
ab  psl.  L  usque  ad  CI;  item  Cass.  usque  infinem;  Hb.  de  propn'etate 
serm. ;  Hb.  Cassiani  de  instructione  mon.    Unde  iam  cognoscitur,  qui 


')  Verzeichiiiss  der  älteren  IIss.  lat.  Kirchenväter  in  den  Bililiotheken  der 
Schweiz  (Sitzgsber.  der  phil.-hist.  Cl.  der  Kais.  Akad.  in  Wien  L). 

-)  Cf.W.Wackernagel,  die  altdeutschen  ITss.  der  Basler  Universitätsbibliothek, 
p.  8;  Muellenhoff-Scherer,  Denkmäler  ^IIp.  356;  Koegel,  Gesch.  der  deutschen 
Litt.  I  2  p.  497  sq.,  qui  grammaticis  rationibus  commotus  codicem  Fuldensem 
esse  coniecit.  Meas,  quas  de  codicibus  Basileensibus  confeceram,  schedas  in 
hoc  codice  inter  cimelia  servato  comiter  supplevit  Bernoulli.  Codices  Ff  III  15'' 
et  Ff  III  15  f  adhibuit  G.  Becker  ad  Isidori  de  natura  rerum  librum  rccensendura. 

26* 


404  Paul  von  Winterfeld, 

factum  sit,  ut  fragnientiim  Schannatinum '),  de  cuiiis  origine  non 
constat,  complectatur  tertium  ordinem  superioris  uumeri:  iieque 
enim  dubitari  potest  quin  etiam  illud  in  codicis  alicuius  involucro 
scriptum  fuerit;  videntur  igitur  Fuldenses  in  codicum  involucris 
singulorum  ordinuiii  inventaria  scripsisse. 

3.  Codex    Basileensis    F  f  III  15"    Saxonicus :     Libcr    sancfi 
Ysidori  epucopi  de  sinonimis  et  cetera.      VIII  or.  IX  s. 

4.  Codex    Basileensis    F  f  III  15''    Scotticus:     Über    Ysidori 
iunioris  de  vitiis.      VIII  or.  IX  k. 

5.  Codex  Basileensis  Ff III 15®  corio    fusco  compactus'"')  in- 
scriptione  caret;  constat  ex  quattuor  ])artibus 

I:  fol.  1 — 9  (unum  folium  post  fol.  1  excissum  est);  nianus  est 
Francica,  initiales  litterae  Saxonum  more  punctis  miniatis 
circumdatae  sunt. 
II:  fol.  10 — 15;  incipit  manus  Saxonica,  folio  10^'  medio  litteris 
Francicis  pergitur  (sed  compendium  Saxonicum  syllabae  con- 
etiam  hie  occurrit);  fol.  ll''  iterum  incipit  Saxo. 

III:  fol.  16 — 21.22 — 25;  manus  est  Saxonica,  sed  in  foliis  22 — 25 
palirapsestis  sub  Saxonica  scriptura  latet  Francica;  Hrabani 
Mauri  abbatis  Fuldensis  esse  ex  libro  de  officio  missae  manus 
saec.  XIX  notavit^);  pennae  probandae  causa  Francice  adscripta 
sunt  nomina    Wolf  hart   Wol/mar^). 

IV:  fol.  26—33.  34—41.  42—49.  50—55:  fol.  26  vacat,  cetera 
Francice  scripta;  fol.  27  "■  incipit  Über  de  conßictu  vitiorum 
atque  virtutum  editus  inter  s.  Augustini  opera,  Bassani  a.  1797, 
XVII  col.  1821  sqq.;  ad  fabulam  de  diaboli  temptatione 
narratam  (col.  1836^)  saec.  X  vel  XI  adscriptuni  est  de  abbat c 
Lantfredo  et  eins  monacho,  quae  adnotatio  quo  spectet  nescio; 
fol.  35'  aut  eadem  manu,  qua  scriptum  est  epistolium  codicis 
A.  N.  IV  18,  aut  simili  scripta  sunt  haec:  Reverendo  in  Christo 
patn  ac  domino  domino  Berno-. 

')  Cf.  Gottlieb,  über  mittelalterliche  Bibliotheken,  p.  33  u.  GO. 

2)  Similiter  compactus  est  codex  Ff  III  15«;  neqne  igitur  dubitavi  etiam 
hune  codicem  Saxonica  Francicaque  scriptura  mixta  insignem  intcr  Fuldenses 
enumerare. 

^)  Cf.  Sleinmeyer,  die  althochdeutschen  Glossen  IV  p.  382. 

*)  In  vita  s.  Bonifatii  commeraorantur  ßdelis  vir  Vulfhardus  (SS.  II  p.  33.5) 
et  piscator    Vulftnarm  (SS.  II  p.  357). 


De  Gennanici  codicibus.  405 

llos  Codices  iam  pridem  coniunctos  fiiisso  iiide  apparet  quod  in  mar- 
ginibus  fol.  9  et  fol.  10  manu  aequali  additamentum  canonicum 
scriptum  est. 

6.  Codex  Basileensis  F  f  III 15  ^:  De  ordine  creaturaru7n  id  est 
Über  rotarum  Isidori.  VIII.  or.  6h.  Sub  hoc  nomine  latet  Isidori 
de  natura  rerum  liber. 

7.  Codex  Basileensis  Ff  III 15  =  :  Liber  {Ysidori  add.)  de  summo 
incommutabili  deo.  VIII.  ord.  3.  Fol.  1  Saxonicis  litteris  capitum 
index  scriptus  est;  fol.  2  sqq.  liber  ipse  manu  Francica  exaratus 
est,  cuius  errores  correxit  Saxo,  nee  Francicis  partibus  desunt 
elementa  Saxonica  (fol.  28'  littera  g  Saxonice  scripta,  fol.  32'" 
Saxonicura  compendium  pronominis  eiui);  quaterniones  numera- 
vit  Saxo. 

8.  Codex  Basileensis  Ff  III 15'  Saxonicus:  Liber  differentiarum 
Ysidori.      VIII  or.  8  Q. 

9.  Codex  Basileensis  0  IV  17  Saxonicus')  deuuo  compactus; 
ex  ligatura  antiqua  haec  schedula  superstes  est  Fuldensibus 
simillima:  Quaedam  de  s.  Martino.  Item  apologia  Sedidü  rhct. 
Item  vita  s.  Eulalie  virg.  Initiales  litterae  aut  totae  minio  vel 
viridi  coloro  scriptae  sunt  aut  ternis  punctis  ornatae. 

10.  Fragmentum  Basileense  ('Bruchstücke  u.  Nachbildungen 
von  llss.,  Hs. -Malereien'  II  59)  calendarii  cuiusdam  saec.  XI  scripti. 

Servat,  Christe  puer,  tuimet  (sie)  praesepe  december. 
Decemher  habet  dies  XXXI,  lun.  XX  Villi. 


F\         K. 


G 

Ä 
R 


IUI  N. 

III  N. 
II  N. 


Pass.  sancti  Longini  militis.  Eodem  die  s.  Armani 
mr.  Item  s.  Elegii  Noviomensis  episcopi.  Item 
ipso  die  s.  Materni  Remoi'um  episcopi. 

Pass.  sanctorum  Pigmenii  presbiteri,  Fausti,  Da- 
froxae^  Demetriae  et   Vivianae. 

Passio  sancti  Cassiani  mr.  Eodem  die  sancti 
Solae  presbiteri. 

Passio  s.  Barbarae  v.  et  mr.  Eodem  die  illatio 
s.  Benedicti  abb.  Item  ipso  die  passio  sanctorum 
Simphromi  et  Olympii. 


1)  Cf.  Sedulii  opera  rec.  Huemer  p.  IX  sq.;  quem  de  Turonensi  codicis  origine 
cogitare  miror. 


406 


Paul  von  W inte r fei d, 


c 

Non.  Dec 

D 

VIII  Id. 

E 

VII  Id. 

F 

VI  Id. 

G 


B 

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F 
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A 


B 

C 

D 
E 
F 
G 
A 


V  Id. 


IUI  Id. 
III  Id. 

II  Id. 

Idus 


XIXK  lan. 

XVIII  K 

XVII  K. 

XVI  K. 


XV  K. 
XII II  K. 

XIII  K. 

XII  K. 

XI  K. 

X  K. 
Villi  K. 


Depositio  sancti  Nicetii  Treoironim  episcopi. 

Transitus  sanctissimi  confessoria  et  epi- 
scopi Nicolai. 

Passio  sancti  Sacini  episcopi  et  rnr. 

Conceptio  sanctae  Mariae  virg.  Item  s.  Zenonis 
episcopi. 

Passio  sanctae  Leocadiae  o.  Eodem  die  s.  Si/ri 
et  Luentii  episcoporum.  Item  ipso  die  sanctorum 
Eucharii  Materni  et  Valerii  Treverensium  epi- 
scoporum. 

Passio  s.  Paidi  papae.  Eodem  die  passio  sanctae 
Eidaliae  virg. 

Passio  sanctorum  Victurici  (in  Victuricii  corr. 
man.  al.  ant.)  et  Fiisciani. 

Pass.  s.  Luciae  virg.  et  7nr.  Eodem  die  sanctae 
Otiliae  (in  Othiliae  corr.  man.  al.  ant.)  v.  Itern 
ipso  die  pass.  sancti   Ursicinii  martyris. 

Passio  sancti  Piatonis  mr. 


Passio  sancti  Ignatii  episcopi  et  mr.  Eodem  die 
sancti  Sturmis  ahhatis.  Item  ipso  die  sanctae 
Adalheidae  reginae. 

Depositio  s.    Winnebaldi  abbatis. 

Sancti  Gregorii  discipuli  sancti  Boni/aiti  arclii- 
episcopi  et  mr. 

Passio  s.   Thomae  apostoli. 

Passio  sanctae   Victoriae  o.  et  mr. 
Passio  sancti  Gregorii  episcopi  et  mr. 

in  folio  verso  leguntnr  haoc   vcrha 


Reliqua  pars  folii  abscissa  est 

item  decurtata: 

Quisquis  ad  legendum  vitas  vel  passiones  sanctorum,  quorum 
in  anteriori  pagina  nomina  taxavimtis,  animum  appulerit, 
noverit  non  sine  causa  nunc  eadem  iterato  recapitulari.    Ibi 


De  Germauici  codicibus.  407 

namque  iuxta  ordinem  kalendarii  diem  natalicii  aui  singula 
legitime  et  oi^dinabiliter  occiipant;  hie  autem  saepius  intercisa 
secundum  quod  ex  diversis  undecumque  collectis  exemplarihus 
per  intervalla  ...    . 

Hoc  calendarii  fragmentum  quamvis  satis  breve  sit,  tarnen  egregie 
ad  rem  facit,  quoniam  faustissimo  casu  evenit,  ut  in  tarn  paucis 
diebus  festiim  fori  occurrat  s.  Sturmis  abbatis  Fuldensis '),  quem 
anno  1139  canonizatum  esse  constat,  cum  hoc  fragmentum  sae- 
culo  XI  recentius  esse  nequeat;  neque  minus  magni  faciendum  est 
quod  s.  Gregorius  episcopus  Traiectinus  ita  dicitur  s.  Bonifatii 
discipulus,  ut  ipsius  nomen  atramento,  s.  Bonifatii  minio  pictum 
sit.  Neque,  quem  cum  codicibus  Fuldensibus  tam  arto  vinculo 
coniunctum  didicimus,  Faeschium  nostrum  hie  desideramus:  qui 
illud  folium  misere  decurtatum  impressis  libris  compingendis  in- 
servire  iussit  et  litterulis  elegantibus  sed  quae  paene  evanuerint 
librorum  titulos  inscripsit. 


')  In  codice  Vaticano  n.  3806  saec.  X,  quo  caleudarium  Fuldense  con- 
tiuetur,  a.  d.  XVI  Kai.  lan.  adnotatus  est  0  (i.  e.  ohitus)  Sturmi  abb.;  cf. 
Ebner,  iter  Italicum  p.  343,  nisi  quod  illum  in  die  afferendo  errasse  cognovi 
ex  apographo,  quod  mihi  roganti  comiter  confecit  II.  Pogatscher.  Alioquin 
inter  haec  calendaria  raro  convenit. 


(\A 


xxn. 

Richard  Reitzenstein. 

Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas. 


Ueber  die  allmähliche  Ausbreitung  des  Luxus  in  Rom  sind  uns 
bei  Macrobius  Seit.  III  c.  13 — 17  umfangreiche  Keste  einer  längeren 
Abhandlung  erhalten,  über  welche  m.  W.  nur  AVissowa  (Hermes 
XVI  502  ff.)  kurz  und  in  einzelnem  wohl  minder  glücklich  gehandelt 
hat.  Als  Hauptquelle  hat  er  des  älteren  Serenus  Sammonicus  Res 
reconditae  erwiesen.  Unsere  Auszüge  entstammen  drei  Abschnitten: 
1.  über  Tafel-Unterhaltung,  2.  über  Speisen,  3.  über  Luxusgesetze. ^) 
Die  Tendenz  des  Sammonicus  war,  die  eigene  Zeit  in  allen  Dingen  als 
einfacher  und  weniger  verdorben  zu  schildern,  als  die  der  gerühmten 
Alten  Wtar.  Wir  werden  sie  bei  der  Untersuchung  über  seine  Haupt- 
quelle nicht  weiter  berücksichtigen. 

Von  dieser  giebt  uns  der  kleine  Abschnitt  16,  1 — 8  die  beste 
Vorstellung:  zunächst  Zeugnisse  für  die  Schätzung  des  acipenser 
bei  den  Alten;  ein  Citat  aus  Plinius  n.  h.  IX  60-,-)  ein  Seitenblick 
des  Serenus  auf  den  Tafelbrauch  seiner  Kaiser;  endlich  ein  mit 
Plinius   sachlich    übereinstimmendes    naturwissenschaftliches    Citat 


')  Letzteren  Abschnitt  will  Wissowa  wegen  Gellins  II  24  auf  Ateius  Capito 
zurückführen.  Mir  scheinen  die  Aehnlichkeiten  beider  Stücke  viel  zu  gering, 
der  Unterschied  besonders  in  der  Auffassung  der  lex  Cornelia  für  W.  un- 
erklärlich. 

-)  Das  Citat  umfasste  ursprünglich  §  60  ganz  und  vielleicht  61,  vergl.  Macrob. 
§  7  sed  quod  ait  Plinius  de  acipenseris  squamis  sowie  apud  antiguos  autem  in  pretio 
fuisse  ego  testimoniis  palam  facto  mit  Plinius  §  60  und  Macrob.  16,  13 
inier  eos ,  ut  supra  dixi,  praecipuum  locum  lupus  tenuit  mit  Plinius  61  prae- 
cipuam  auctoritatem  fuisse  lupo.  Macrob.  §  12.  13  ist  Einlage.  Ausserdem 
stammen  aus  Plinius  nur  noch  Macrob.  15, 10  (Plin.  IX  171)  und  16,9  (Plin.  IX  67). 
An  beiden  Stellen  ist  er  genannt.     Nur  als  Nebenquelle  ist  er  benutzt. 


412  Richard  Reitzeiistein, 

aus  Nigidius  Figulus.  Die  Form  war,  wie  man  selbst  durch  die 
starke  Verkürzung  leicht  erkennt,  ausserordentlich  ungeschickt. 

l)ass  Serenus  die  Bacaria  des  Plautus,  Cicero  de  fato  und 
Nigidius  de  animalihus  selbst  eingesehen  hat,  wird  niemand  glauben. 
Scheidet  man  die  Einlage  aus  Plinius,  dem  einzigen  jungen  Autor,  den 
er  hier  benutzt,  aus,  so  bleibt  eine  einheitliche  Auseinandersetzung 
über  den  acipenser,  welche  den  Angaben  des  Athenaios  über  die 
verschiedenen  Fische  genau  entspricht  und  aus  einem  der  vielen 
litterarischen  Gastmähler  entlehnt  sein  könnte^).  Sie  bietet  gerade 
das,  was  Plinius  in  seiAer  Quelle  gelesen  haben  kann,  und  folgt 
derselben  zeitlichen  Anordnung.  Der  acipenser  wird  schon  von 
Plautus,  der  lupus  wenigstens  von  Lucilius  und  Titius  (vir  aetatis 
Lucilianae)  und  vielen  anderen  (Plinius :  Nepos  und  Laberius,  der 
eine  vielleicht  für  die  bei  Macrobius  nicht  mehr  erwähnten  aselli) 
genannt.  Somit  gehört  bei  Plinius  derselben  Quelle  §  62  (yiimc),  der 
uns  in  die  Zeit  des  Tiberius  führt,  sowie  die  Erwähnung  der  nächst- 
geschätzten Fischgerichte,  nmstelarum  iecur  und  mulli  (§  63 — 66). 

Hierfür  spricht  die  Benutzung  derselben  Quelle  in  §  60  quidum 
eum  elopem  putant,  (vgl.  Athen.  VII  294  F  'Attiojv  o'  6  Ypot[ji{iaTix6;  sv 
tq>  :rspt  xr^?  'Arcixiou  xpucpr,?  xov  iXoTca  xctXouasvov  xouxov  cpr^aiv  etvat 
xov  dxiTtT^atov)  und  §  66  M.  Apicius  ad  omne  luxus  genus  ingenio- 
sissimus  e.  q.  s.  Hierfür  spricht  ferner  der  einheitliche  Charakter 
der  Einzelangaben;  dem  Satz  (§  61)  bacchi,  qui  non  nisi  in  alto 
capiuntur,  ideo  praelati  prioribiis  entspricht  §  65  Tiec  litoralibus 
gratia,  dem  Satz  (§  61)  luporum  laiidat-ssimi,  qui  appellantur  lanati 
a  candore  mollitiaque  carnis  entspricht  §  65  laudatissimi 
conchylium  sapiunt;  nomen  hin  Fenestella  a  colore  mulleorum 
calciamentoruni  datum  putat^). 

^)  Die  saciiliche  Uebereinstiininung  von  §  7  mit  Athen.  VII  294  E  wird 
freilich  wohl  auf  Zufall  beruhen, 

-')  Der  Angabe  über  den  acipenser  „quidam  eum  elopem  vocanl'*  entspricht 
bei  Macrobius  in  der  Behandlung  des  scarus  (16,  10)  adeo  Italicis  litoribus 
ignotum,  ut  nee  nomen  Latinum  eius  piscis  habeamus  (bei  Plinius  nur  frequenles 
inveniuntur  Italiae  litore  non  antea  ibi  capti).  Also  stammt  die  bei  Macrobius 
einfache  und  klare  Erzählung  nicht  aus  der  verkürzten  und  geschraubten  Dar- 
stellung des  Plinius.  Wenn  Macrobius  die  Zeit  des  Praefecten  Optatus  nicht 
angiebt,  so  mag  er  darin  seiner  eben  der  Zeit  des  Tiberius  angehörigen  Quelle 
folgen.     Die  Bestätigung  dafür  wird  sich  uns  später  bieten. 


Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas.  413 

Die  Angabe  über  Feiiestella  nennt  Münzer')  ungeschickt  ein- 
geschoben; sie  habe  ursprünglich  einer  Auseinandersetzung  über 
die  roten  Schuhe  der  Senatoren  angehört.  Es  genügt  derartiger 
Willkür  gegenüber  auf  die  vorausgehende  Namen-Erklärung,  auf 
die  Betonung  der  Etymologie  in  den  griechischen  Gastmählern, 
z.  B.  bei  Herodian  und  Athenaios,  endlich  auf  ein  ganz  ähnliches 
Fragment  des  Fenestella  zu  verweisen,  Plin.  XXXIII  146:  Cornelius 
Nepos  tradit  ante  Sullae  victoriam  duo  tantum  triclinia  Romae  fuisse 
argentea.  o'epositoriis  argentum  addi  sua  memoria  coeptum  Fenestella, 
qui  obiit  novissimo  Tiberii  Caesaris  pri7icipatu,  ait,  et 
testudinea  tum  in  usum  venisse;  ante  se  autem  paulo  lignca  rofitnda 
solida  nee  multo  maiora  quam  mensas  fuisse;  se  quidem  puero 
quadrata  et  conpacta  aut  acere  operta  aut  citro  coepisse;  mo.v  addittim 
argentum  in  angulos  lineasque  per  commissuras.  tgmpana  vero  se 
iucene  appellata,  tum  a  stateris  (langulas)  et  laiices,  quas  antiqui 
magides  vocaverant^). 

Die  richtige  Interpunction  unserer  Stelle  und  die  endgiltige 
Festlegung  der  Zeit  des  Fenestella  verdanken  wir  Münzer.  In  der 
weiteren  Behandlung  und  der  Erklärung  des  Zusammenhanges  war 
er  m.  E.  unglücklich.  In  §  144.  145  wird  der  Luxus  vor  dem 
Sullanischen  Krieg  übertrieben  geschildert:  ganz  mit  Silber  bedeckte 
Sophas  für  vornehme  Frauen  gab  es  schon  längst,  auch  einzelne 
triclinia;  Silber-Einlagen  und  Gold-Einlagen  hatte  an  ihnen 
Carvilius  Pollio  zuerst  angebracht.  Später  wurden  sie  ganz  mit 
Silber  überkleidet.  Aufsätze  von  Silber  im  Gewicht  von  100  Pfund 
gab  es  über  150.  Die  Folge  solchen  Luxus  war  nach  den  annales 
der  erste  Bürgerkrieg.')  In  schroffem  Widerspruch  hierzu  steht 
die  zweite  Quelle:  versilberte  triclinia  habe  es  vor  Sullas  Sieg  nur 
zwei  gegeben;  Silbereinlagen  an  den  Aufsätzen  seien  erst  nach 
Caesars   Zeit    aufgekommen  u.  s.  f.     Es  ist  derselbe  Widerspruch 


')  Beiträge  zur  Quellenkritik  der  Naturgeschichte  des  Plinius  S.  345. 

^)  Vgl.  z.  B.  Athen.  II  49.  —  Der  hellenistische  Gebrauch  von  ,aayi;,  über 
welchen  die  Atticisten  später  stritten,  war  in  Italien  so  allgemein  geworden, 
dass  Yarro  /.  /.  V  120  es  als  lateinisches  Wort  betrachten  konnte. 

^)  Es  ist  die  übliche  rhetorisch -moralisierende  Auffassung  des  Bürger- 
kriegs, wie  wir  sie  bei  Sallust  (Kritz  I  fr.  12)  und  am  klarsten  bei  Petron 
de  hello  c'ivili  finden. 


414  Richard  Reitzenstein, 

in  der  Datierung  der  Verallgemeinerung  des  Luxus,  den  wir  auch 
sonst  nachweisen  können,  und  vielleicht  lohnt  es  schon  Jetzt,  die 
Tendenz  und  den  Sprachgebrauch  Fenestellas  festzulegen. 

Die  Verallgemeinerung  des  Perlenluxus  führt  Plin.  X\\\  11  12 
auf  den  Sieg  des  Pompejus  über  Mithridates  zurück.  Fenestella 
brachte  ihn  erst  mit  der  Eroberung  von  Alexandria  durch  Augustus 
in  Verbindung')  (1X123):  Romaein  promiscuum  ac  frequentem 
tisum  venisse  Alexandrea  in  dicionem  redacta,  primum  autcm  coepisse 
circa  Sultane  tempora  minutas  et  vilis  Fe?iestella  tradit.  Dem  ent- 
spricht im  obigen  Stück  repositoriis  argentum  addi  coeptum  — 
quadrata  .  .  .  coepisse  —  testvdinea  in  usum  venisse.  Man  vergleiche 
hiermit  XXXIII  17 — 21  frequentior  autem  usus  anulorum  non 
ante  Cn.  Flavium  .  .  .  deprehenditur  —  promiscui  autem  usus 
alterum  (vestigium)  secundo  Punico  hello.  Es  ist  doch  oflenbar  der- 
selbe Autor,  der  in  Polemik  gegen  einen  Vorgänger  die  Annalen- 
Angabe  deutet  anulos  depositos  a  nobilitate,  non  a  senatu  universo, 
und  der  im  §  21  von  Plinius  für  die  Angabe  benutzt  ist  ne  func 
quidem  (zur  Zeit  des  Bundesgenossenkrieges)  omnes  senatores  Iiabuere, 
utpote  cum  memoria  avorum  (das  ist  für  Fenestella  Sullas  Zeit) 
multi  praetura  quoque  functi  in  ferreo  consenuerint ,  sicut  Cal- 
purnium  et  Manilium,  qui  legatus  C.  Marii  fuerit,  lugurthino  hello ^ 
Fenestella  tradit.  Die  Angaben  (IX  123)  über  die  kleinen  und 
billigen  Perlen  der  Sulla-Zeit  und  (XXXIII  146)  über  die  „nur 
zwei"  silbergeschmückten  triclinia  derselben  entsprechen  sich  derart, 
dass  die  Annahme,  das  Nepos-Citat  gehe  auf  l'enestella  zurück, 
mir  fast  sicher  erscheint.  Das  gleiche  gilt  von  IX  61,  dem  Ab- 
schnitt, von  dem  ich  ausging  und  zu  dem  ich  nun  endlich  zurück- 
kehre. Nicht  Xepos  hat  sich  auf  Laberius  berufen;  er  hatte  dazu 
für  eine  Angabe  über  seine  eigene  Zeit  gai*  keinen  Grund;  für  den 
unter  Tiberius  schreibenden  Autor  tritt  der  Dichter  als  gleich- 
berechtigter Zeuge  neben  den  Historiker. 

Ein  ähnliches  zusammenhängendes  Stück  finden  wir  IX  168  bis 


')  Schon  dies  Aveist  darauf,  was  sich  uns  später  bestätigen  wird,  das.s  or 
es  ist,  auf  den  das  Geschichtchen  über  die  beiden  Perlen  der  Cleoi)atra 
Plin.  IX  119 — 121  zurückgeht.  Wer  der  Gegner  Fenestellas,  der  sich  auf 
Aelius  Stilo  beruft,  ist,  wage  ich  nicht  zu  sagen.  Zu  vergleiciien  ist 
vielleicht  XXXIII  29. 


Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas.  415 

174;  die  beiden  letzten  l^aragraphen  gehörten  eigentlich  nicht  an  diese 
Stelle;  sie  sind  nur  angefügt,  weil  sie  in  der  Quelle  hier  anschlössen; 
gemeinsam  ist  allen  das  eigentümliche  Verhältnis  zu  Varro  rer.  rust.  III. 
Den  Anfang  bildet  die  Erzählung  von  C.  Sergius  Orata,  die  im  wesent- 
lichen mit  Yalerius  Maximus  übereinstimmt,  also  wohl  aus  Nepos 
stammt^).  Die  Zeitbestimmung  des  Plinius  aetate  L.  Crassi  oratoris 
erklärt  sich  aus  der  Anecdote  bei  Valerius.  Mit  IX  60 — 68  berührt 
sich  eng  der  Satz  sicut  lupi  pisces  in  Tiberi  amne  inter  duos  pontis 
.  .  .  ne  culinarum  censura  peragatur  (vgl.  Macrob.  15,  7 — 8;  16,  IB). 
In  dieser  offenbar  sehr  ausführlichen  Quelle  muss  gestanden  haben, 
dass  Orata  auch  für  die  auratae  und  nur  für  diese  Bassins  angelegt 
habe,  sonst  könnte  Plinius  nicht  foi'tfahren  eadem  aetate  prior 
Licinius  Mwena  reliquorum  piscium  vicaria  invenit.  Dies  \\ider- 
spricht  der  Angabe  des  Cornelius  Nepos  und  stammt  indirect  aus 
Varro,  welcher  rer.  rust.  III  3,  10  sagt  nostra  aetas  .  .  .  piscinas 
protulit  ad  mare  et  in  eas  pelagios  greges  'piscium  revocavit.  non 
propter  Jias  appellati  Sergius  Orata  et  Licinius  Murenaf  quis  enim 
propter  nohilitates  ignorat  piscinas  Philippi,  Hortensi,  Lucullorum  ^)  ? 
Hieraus  macht  der  Autor  des  Serenus  Sammonicus  (Macr.  15,  2) 
Ituic  opinioni  M.  Varro  consentit  adserens  eodem  modo  Licinios 
appellatos  Murenas,  quo  Sergius  Orata  cognominatus  est,  quod  ei 
pisces  qui  auratae  vocantur  carissimi  fuerint.  Aehnliches 
muss  der  Autor  des  Plinius  in  Varro  hineingelesen  haben;  es  ist 
hier  fast  mit  Händen  zu  greifen,  wie  er  durch  diese  Betrachtung 
der  Namen  ^)  zu  der  Erlindung  seiner  Angaben  kommt.  Die  Unter- 
schiede zwischen  den  eupr^ptaxa  des  Orata  und  Murena  erfand  er 
selbst,  betonte  im  folgenden  den  Zeitfortschritt  schärfer,  nahm 
Varro  III  17,  9  mit  ähnlichen  Erweiterungen  hinzu  und  ging  dann 
zu  HI  2,  17  und  11117,3  über*). 

0  Vgl.  L.  Traube,  Sitzimgsber.  d.  Bayer.  Ak.  1891  S.  405. 

2)  Bei  Plinius  missverstanden  nobilüas  secuta  est  Philippi  Hortensi. 

^)  Vgl.  Fenestella  bei  Plutarch  guaest.  Rom.  41. 

"*)  Die  Zusätze  sind  murenarum  vivarium  privatim  excogitavit  ante  alias 
C.  Ilirrius  (lediglich  aus  Yarro  gebildete  Flunkerei,  die  wieder  nur  den  Fort- 
schritt der  luxuria  festlegen  soll)  cenis  triumphalibus  Caesaris  dictatoris  (vgl,  den 
ganz  ähnlichen  Abschnitt  Plin.  XIV  94 — 97),  endlich  der  Witz  des  Pompeius. 
Zu  vergleichen  ist  Macrob.  15,  6,  der  schon  wegen  des  Citates  aus  Varro  nicht 


416  Richard  Reitzenstein, 

Dasselbe  Streben,  die  zuerst  in  der  Litteratur  bezeugten  Be- 
sitzer derartiger  vivana  als  Erfinder  darzustellen,  zeigen  §  173.  174, 
die  auf  den  bei  Varro  (III  12,  1)  nur  erwähnten  Fulvius  Lippinus 
alles  das  zurückführen,  was  Varro  über  die  Zucht  der  Schnecken  über- 
haupt gesagt  hat.  Der  Hinweis  auf  Varro  (§  174)  wird  in  einer  ähnlich 
erweiternden  Umschreibung  gestanden  haben,  wie  bei  Macrobius  15,  2; 
jedenfalls  zeigt  er,    dass  Plinius  den  Varro  nicht  direct  benutzt'). 

Dieselbe  Technik  zeigt  Plinius  VIII  211  oicaria  eorum  (apro- 
ru/m)  ceterarumque  silvestrium  primus  togati  generis  invenit 
Fulvius  Lippinus  ....  nee  diu  imitatores  defuere  L.  Lucullus  et 
Q.  Horfensius^).  Auch  hier  gilt  es  zunächst  zu  sehen,  wie  weit 
das  Excerpt  reicht.  Das  Citat  aus  Catos  Reden  §  210  erinnert  uns 
daran,  dass  die  Quelle  des  Serenus  Sammonicus  die  älteren  Redner 
besonders  oft  anführt;  die  Angabe  über  P.  Servilius  Rullus  entstammt, 
wie  Münzer  gesehen  hat,  einer  Quelle,  die  erheblich  älter  ist  als 
Plinius;  auf  Fenestella  passt  sowohl  der  Hinweis  auf  Cicero  wie  die 
Bemerkung  tarn  propinqua  origo  nunc  cotidianae  rei  est.  In  dem 
vorausgehenden  Paragraphen  wird  zunächst  ein  inventum  M.  Apici 
erwähnt  (aus  Apion,  vgl.  IX  60.  66),  hierauf  leges  censoriae,  welche 
die  Quelle  des  Macrobius  ja  besonders  berücksichtigte,  endlich  eine 
Angabe,  Publilius  der  Mimograph  habe  seit  seiner  Freilassung  keine 
Mahlzeit  ohne  Schweinseuter  gehalten,  ja  eine  bestimmte  Zu- 
bereitung derselben  sei  nach  ihm  benannt*). 

III  2,  17  eiuea  charakteristischen  Zusatz  cum  heres  testamenio  Luculli  esset 
relictus,  entweder  aus  directer  Kenntnis  des  Testamentes  oder,  wie  ich  lieber 
glaube,  aus  einem  Missverständnis  von  Cicero  de  fin.  III  7 ff.  Aehnlich  ist 
unmittelbar  vorher  der  Zusatz  zu  Varros  Worten  quos  Cicero  piscinarios  appellat 
(vgl.  ad  Äitic.  I  19,  6.  20,  3,  wo  aber  die  Namen  nicht  genannt  sind).  Die 
Behauptung  Münzers,  Plinius  benutze  hier  eine  andere  Schrift  Varros,  scheint 
mir  durch  Macrobius  vollständig  widerlegt.  Eine  einzige  Differenz  zeigen 
Plinius  und  Macrobius:  die  gleiche  Anecdote  berichtet  der  eine  von  L.  Crassus, 
der  andere  von  Hortensius.  Serenus  Sammonicus  scheint  hier  eine  Einlage 
aus  anderer  Quelle  gemacht  zu  haben. 
')  Vgl.  Macrobius  13,  15. 

2)  Vgl.  Plin.  IX  170  cuius  deinde  exemplum  nobiliUis  secuta  est  Philippi 
Tlortensi. 

3)  Die  Deutung  Münzers  (S.  197)  scheint  mir  wegen  postr/uam  servitutem 
exueral  unmöglich.  Zur  Sache  vgl.  bei  Macrobius  13,  13  die  Angabe  über 
den  porcus  Troianus.     Für  lumhus  aprunus  bietet  den  Beleg  Macrob.   13,  12. 


Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas.  417 

Von  209 — 211  ist  gar  nicht  zu  trennen  223.  224;  hier  werden 
nach  einem  Citat  aus  Nigidius  (vgl.  Macr.  16,  7)  dieselben  cen- 
sorischen  Edikte  erwähnt,  endlich  mit  offenbarer  Verweisung  vicaria 
in  dolus  idem  qui  apris  instituit  hinzugefügt.  Das  Verhältnis  zu 
Varro  ist  das  gleiche. 

Aus  demselben  Zusammenhang  stammt  X  52,  auf  welches  ja  — 
für  Plinius  sehr  ungeschickt  —  schon  VIII  209  verwiesen  ist;  das 
Recept  des  Apicius  ist  nur  eine  Fortbildung  des  von  Metellus  oder 
Seins  erfundenen.  Die  einfache  Erwähnung  der  grossen  Gänse- 
züchtereien  beider  Männer  bei  Varro  III  10,  1  hätte  Plinius  sicher 
nicht  derartig  umgestaltet.  An  seinem  Autor,  dem  vielleicht  schon 
Apion  vorausgegangen  war,  kann  die  Flunkerei  nicht  mehr  be- 
l'remden.  Die  technischen  Wendungen  einer  gewissenlosen  Ge- 
schichtsschreibung verwendet  er  meisterhaft;  genauer  Bescheid  weiss 
er  in  der  Zeit  des  Tiberius '). 

Aehnlich  verfährt  er  X  45;  aus  Varro  III  6,  ß  und  1  ist  alles 
entnommen  ausser  den  Worten  saginnre  primus  instituit  circa  nocis- 
simum  piraticum  bellum'''^.  Ueber  die  Quelle  giebt  Macrob.  13,  1 
Aufschluss,  der  aus  Plinius  gar  nicht  stammen  kann.  Da  Aufidius 
auch  bei  Horaz  vorkommt,  mag  für  die  befremdliche  Datierung 
irgend  ein  anderer  Anhalt  vorgelegen  haben. 

Wichtiger  ist  der  Abschnitt  X  139 — 142  gallinas  saginare 
Deliaci  coepere  .  .  .  hoc  frimum  antiquis  cenai^m  interdictis  ex- 
eeptum  invenio  iam  lege  Gai  Fanni  consuli^  XI  annis  ante  tertiuni 

Ihmicum  bellum quod  deinde  caput  translatum  per  omnes 

Icges  amhulavit.  Die  Quelle  des  Serenus  Sammonicus  gab  den 
Wortlaut  der  Gesetze  (vgl.  z.  B.  17,  2)  und  achtete  auf  Wieder- 
holungen;  das  Alter  der  lex  Fannia  gab  sie  aus  Gn.  Gellius  ähn- 


^)  Vgl.  Seneca  nat.  quaest.  IV  3,  1.  —  Mit  dem  Satz  tribuetur  enim  a  me 
culinis  cuiusque  palma  CM?H^<fe  vergleiche  IX  169  ne  culinarum  censura  peragatur. 
Plinius  kürzt  dort,  wie  wir  sahen,  eine  längere  Auseinandersetzung  seiner 
Quelle  stark  ab. 

2)  Vgl.  1X174  saginam  commentus  est.  Auch  X  60  Cornelius  Nepos,  qui 
(Hin  Augusti  principaiu  obiit,  cum  scriberet  turdos  paulo  ante  coejAos  sagi- 
nari,  ndJidit  ciconiiis  magis  placere  quam  grues  möchte  ich  auf  dieselbe  Haupt- 
quelle zurückführen,  vgl.  IX  CO.  Gl. 

Festschrift   Vahleii.  27 


418  Richard  Reitzenstein, 

lieh  an  anno  posf  Bomam  conditam  DXCTIl').  Zwingend  weist 
auf  dieselbe  Quelle  das  folgende  aviaria  pmnus  instituit  inclusis 
omnium  generuni  acibus^)  M.  Laelius  Strabo  BruncUsi 
equestris  ordinis,  vgl.  Varro  r.  r.  III  5,  8.  Die  gesperrt  ge- 
druckten Zusätze  fand  l'linius  bereits  vor.  Nur  dadurch  konnte 
er  zu  dem  exemplum  luxuriae  des  Clodius  Aesopus  übergeleitet 
werden.  Er  verweist  dabei  auf  die  Schilderung  des  Luxus  des 
Sohnes  IX  122  und  verweist  ferner  XXXV  162 — l()i)  auf  unsere 
Stelle  zurück.  Die  patina  Aesopi  wird  dort  unmittelbar  nach  der 
Beschreibung  des  tripatinium  aus  Fenestella  angeführt*);  die  Ge- 
schichte von  der  Verschwendung  des  Sohnes  IX  122  steht  unmittel- 
bar vor  einem  Fragment  des  Fenestella.  Aber  auch  die  voraus- 
gehenden Paragraphen  IX  119 — 121  stammen  aus  Fenestella,  oder, 
wie  ich  zunächst  noch  sagen  muss,  aus  der  gemeinsamen  Quelle  des 
Plinius  und  Serenus  Sammonicus;  Macrobius  17,  14 — 18  kann  trotz 
aller  Aehnlichkeit  nicht  aus  Plinius  IX  119 — 121  stammen.  Selbst 
w^enn  Sammonicus,  der  nicht  einmal  die  beiden  Plinius  mehr  zu 
unterscheiden  vermag,  noch  gewusst  hätte,  wer  der  von  Plinius  er- 
wähnte L.  Plancus  war,  konnte  er  wirklich  die  ebenso  singulare 
wie  richtige  Angabe ,  dass  Cleopatra  die  rechtmässige  Gattin  des 
Antonius  war,  selbst  erfinden")?  Alle  Ausdrücke  sind  bei  Macro- 
bius ursprünglich  und  aus  bester  Kenntnis;  nicht  in  verliebter 
Laune  und  für  Cleopatra  will  Antonius  das  römische  Reich  erobern, 
sondern  um  es  selbst  als  regnum  wie  Aegypten  zu  besitzen^); 
auf  die  Rivalität  zwischen  Cleopatra  und  den  Römern  weisen  die 
Worte  qaae  vinci  a  Romanis  nee  luxuria  dignaretur;  der  allen 
ihren  Launen  willfährige  Munatius  Plancus  empfängt  einen  bos- 
haften Seitenhieb  dignus  sculna  Munatio  Planco,  qui  tarn  honesti 

■)  Vgl.  die  doppelte  Datierang  in  dem  aus  Fenestella  entlelniton  Stück 
XXXIII  19  und  20  und  öfter. 

2)  Vgl.  den  Abschnitt  über  die  Fischteiche  IX  168—172. 

■*)  tripatinium,  inquit  Fenestella,  appellabatur  summa  cenarum  lautitia;  unn 
erat  murenarum,  altera  lujjorum,  terlia  mixti  piscis. 

*)  a  Cleopatra  uxore  und  Cl.  uxor  Macrobius,  regina  meretrix  Plinius.  Die 
glänzende  Entdeckung  Kroinayers  (Hermes  29,  582  ff.)  setze  ich  als  bekannt  voraus. 

^)  ^Tst  es  überhaupt  gestattet,  den  rechtmässigen  Gemahl  einer  ägyptischen 
Königin  nicht  als  rechtmässigen  König  von  Aogypfen  zu  hotrachten?"  fragt 
Kromayer,  dem  unsere  Stelle  leider  entgangen  ist. 


Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas.  419 

certaminis    arhiter    electus  est^).     So    gehen  alle    drei   Stellen    des 
Plinius  offenbar  auf  dieselbe  Quelle  zurück. 

Der  Abschnitt  über  die  verschiedenen  Kleidungsarten  Plin.  VIII 
190 — 197  stammt,  wie  Münzer  richtig  betont,  nicht  direct  aus 
Varro,  ja  nicht  einmal  aus  einer  einheitlichen  nachvarronischen 
(^)uelle.  An  die  früheren  Ausführungen  erinnert  §  195  midulata 
vestis prima  e  laudatissimis  fuit^^ ;  inde  sororiculata  defluxit.  togas 
rasas  Pliryxianasque  divi  Augusti  novissimis  temporibus  coepisse 
scribit  Fencstella.  crehrae  papaveratae  antiquiorem  habent  origincm 
iam  ah  Lucilio  poeta'')  in  Torquato  notatae.  praetextae  apud 
Efruscos  originem  inveneve.  trahei^  usos  aceipio  reges  e.  q.  s.*) 
Unmittelbar  vorher  sagt  Plinius  de  reliquarum  infectu  suis  locis 
dicemus  in  concliyliis  maris  aut  herharum  natura',  er  hat  also 
schon  folgende  Stelle  vor  Augen  (IX  136):  ^pM/'^Mrae  usum  Romae 
semper  fuisse  video,  sed  Rornulo  in  trabca;  nam  toga  praetexta  et 
latiore  clavo  Tullum  Ilostilium  e  regibus  primum  usum  Etruscis 
devictis  satis  constat^).  Nepos  Coimelius,  qui  divi  Augusti  princi- 
patu  ohiit,  „wi<?,  inquit,  iuvene  violacea  purpura  vigebat,  cuius  libra 
denariis  centum  venibat,  nee  multo  post  rubra  Tarentina,  huic 
successit  dibaplia  Tyria,  quae  in  libras  denariis  mille  non  poterat 
emi.  liac  P.  Lentulus  Spinilter  aedilis  curidis  primus  in  praetexta 
tcsus  inprobahatur ;  qua  purpura  quis  non  iam,  inquit,  tricliniaria 
facitP'  Spinilter  aedilis  fuit  urbis  conditae  anno  DCXCI  Cicerone 
consule.  dihapha  tunc  dicebatur,  quae  bis  tinda  esset,  veluti 
magnifieo  inpendio,  qualiter  nunc  omnes  paene  commodiores  purpurae 
tinguuntur.  Die  Bestimmung  der  Zeit  des  Spinther,  der  grammatische 
Zusatz  über  die  dibapha,  alles  lässt  mich  auch  hier  an  eine  in- 
directe  Benutzung  des  Nepos  denken;  wer  die  Mittelquelle  ist,  geht 
aus  VIII  195  hervor. 


1)  Ygl.  die  ebenfalls  aus  dieser  Zeit  stammende  Charakteristik  bei  Velleius 
II  83.     Mit  Velleius  II  33,  4  berührt  sich  unser  Autor  bei  Plin.  IX  170. 

^)  Vgl.    IX  65   laudatissimi  (Fenestella),    IX  61    laudatissimi.      Grund  ist, 
dass  das  Standbild  des  Servius  Tullius  nach  Varro  die  undulata  i^estis  trug. 

^)  Vgl.  über  den  lupus  Lucilius  bei  Macrob  16,  17. 

^)  Die  Abzeichen  bestimmter  Stände  bilden  den  Schluss;    die  papaveratae 
haben  nicht  zu  den  laudatissiinae  gehört.     Plinius  kürzt  hier  stark. 

^)   Vgl.  X  52  sed  rpiod  cons/at. 

27* 


420  Richard  Reitzenstein, 

Dass  Fenestella  auch  die  allmähliche  Verbreitung  des  Oliveu- 
baues  besprochen  hatte,  zeigt  Plin.  XV  1  Fenestella  vero  omnino  non 
fuisse  (oleum)  in  Italia  Ilispaniaque  aut  Africa  Tarcpiinio  Prisco 
regnante  ah  annis  popuH  Romani  CLXXIIL  Das  Citat  geht  wahr- 
scheinlich weiter,  doch  lässt  sich  ein  fester  Beweis  nicht  erbringen. 
Dem  Stoff  nach  weiter  abliegend,  aber  in  der  Ausdrucksweise  ganz 
den  übrigen  entsprechend  ist  endlich  VIII  19  Romae  inignasse 
(elephantos)  Fenestella  tradit  primum  omnium  in  circo  Claudi 
Pulchri  aedilitate  curuli  M.  Antonio  A.  Postumio  coss.  anno  urbis 
DCL  V,  item  post  annos  XX  Lucullorum  aedilitate  curuli  adversus 
tauros. 

Benutzt  muss  Fenestella  ferner  nach  dem  indea  zu  XXXV  im 
Anfang  dieses  Buches  sein;  vielleicht  gehört  ihm  ein  Theil  der 
Angaben  über  die  Erfindung  der  imagines.  Im  index  zu  Buch  XIV 
wird  er  mit  dem  sonst  unbekannten  Redner  (?)  Tergilla  zusammen 
genannt.  Sehr  möglich,  dass  er  diesen  benutzt  hat  und  dass  die 
Angaben  über  die  Trunksucht  des  jüngeren  Cicero  und  des  Antonius 
ihm  gehören  (147,  148).  Wird  doch  in  gleicher  Weise  wie  in  dem 
frülier  besprochenen  Abschnitt  des  Macrobius  17,  14 — 18  (=  Plin. 
IX  119 — 121)  der  Bürgerkrieg  auf  die  Schlemmerei  des  Antonius 
zurückgeführt.  — 

Die  indices  der  Bücher  VIII,  IX,  X,  aus  denen  ich  jene  grösseren 
Abschnitte  über  den  Tafelluxus  zusammengesetzt  habe,  zeigen  nur  drei 
römische  Autorenangaben  gemeinsam,  die  des  Mucianus,  Nigidius  und 
Trogus,  die  alle  für  diese  Abschnitte  natürlich  nicht  in  Frage  kommen. 
Für  sie  kann  es  sich  nur  um  Fenestella,  dessen  Name  im  index  zu  X 
fehlt,  oder,  falls  er  nicht  direct  benutzt  war,  um  Cornelius  Valerianus 
handeln,  der  im  index  von  IX  nicht  genannt  ist.  Aber  nichts  spricht 
dafür,  dass  Valerianus  dies  Thema  überhaupt  behandelte,  und  die 
späteren  Citate  aus  Fenestella  sind  sicher  nicht  durch  ihn  vermittelt. 
So  bleibt  m.  E.  nur  die  Annahme  übrig,  dass  Fenestella  auch  hier 
direct  benutzt  und  sein  Name  im  i7idex  zu  X  durch  ein  Versehen 
des  Autors  oder  der  Schreiber  ausgefallen  ist^). 

*)  Münzer  hat  aus  der  Art  der  Anführuugen  schliesseu  wollen,  Fenestella 
sei  bei  Plinius  nur  ganz  gelegentlicii  für  einzelnes  bemitzt,  seine  Ausführungen 
seien  „vereinzelte  Lesefrüchtc".  Ganz  abgesehen  von  der  in.  E.  niisslungeuen 
Beweisführung  scheinen  mir  derartige  Behauptungen  bei  einem  so  oft  in   den 


Ein  verkanntes  Werk  Fenestellas.  421 

Es  war  eines  der  letzten  Werke  des  greisen  Grammatikers, 
schwerlich  vor  der  Mitte  der  Regierung  des  Tiberius  entstanden 
und  in  seiner  Tendenz  den  Wünschen  des  Kaisers  gewiss  ähnlich 
entsprechend,  wie  die  leidenschaftlichen  Declamationen  des  Plinius 
den  Wünschen  Vespasians  entsprachen.  Freilich,  dass  gerade  die 
Zeit  des  Augustus  besonders  stark  für  die  Ausbreitung  des  Luxus 
verantwortlich  gemacht  wurde  und  dass  der  Kampf  des  ersten 
Kaisers  gegen  den  Luxus,  wie  es  scheint,  mit  Stillschweigen  über- 
gangen war,  während  doch  die  älteren  leges  s^imptuariae  als  indicia 
sobrii  saeculP)  gefasst  wurden,  war  weniger  loyal  als  auf  Wirkung 
lierechnet.  Den  Titel  des  Werkes  kennen  wir  nicht;  die  Einkleidung 
könnte,  wie  schon  erwähnt,  die  einer  Tafelunterhaltung  gewesen  sein. 

Auf  ein  anderes  Werk,  welches  ebenfalls  weder  mit  den  Annalen, 
noch  mit  den  Epitomae  identisch  zu  sein  braucht,  mögen  die  zahl- 
reichen Angaben  über  das  Leben  des  Cicero  zurückgehen;  einen 
Anhalt,  anzunehmen,  dass  die  Notizen  über  die  Zeit  der  Kede  pro 
Roscio  Amerino,  über  den  Schwiegervater  des  Piso  oder  über  die 
Vertlieidigung  Catilinas  durch  Cicero  in  den  22  Büchern  vorkamen, 
welche  die  römische  Geschichte  von  Romulus  bis  zum  Jahre  697 
d.  St.  berichteten,  sehe  ich  nicht,  wohl  aber  manches,  was  dagegen 
spricht.*) 

Ich  gehe  nur  auf  eine  Stelle  ein.  Man  hat,  wie  es  scheint, 
allgemein  übersehen,  dass  Fenestella  die  Angabe,  Cicero  habe  den 
Catilina  verteidigt,  nicht  als  Thatsache,  sondern  nur  als  wahr- 
scheinlichen Schluss  gab  (Ascon.  77,  9  verum  ut  egerit  Muci  causam 


indices  f^enannten  und  direct  benutzten  Autor  überhaupt  unzulässig.  Wer 
würde  aus  der  Art  der  beiden  Citate  die  ausgedehnte  Benutzung  des  land- 
wirtschaftlichen Werkes  des  Celsiis  erschliessen,  die  Münzer  wenigstens  zugiebt? 

')  Vgl.  Macrob.  17,  10;  die  Tendenz  der  letzten  Quelle  tritt  selbst  in  der 
Unikehrung,  die  Sammonicus  ihr  gab,  noch  oft  hervor. 

-)  üass  nichts  uns  hindert,  eine  solche  Specialschrift  über  Ciceros  Leben 
oder  Reden  vor  die  entsprechenden  Abschnitte  des  Livius  zu  rücken  (vgl. 
E.  Schwartz,  Hermes  32,  602  ft".),  bemerke  ich  beiläufig.  Tendenz  und  Charakter 
der  dort  von  Schwartz  vermutungsweise  dem  Fenestella  zugeschriebenen  Be- 
richte ist  ähnlich,  wie  in  dem  bisher  besprochenen  Werke  Fenestellas  (vgl. 
besonders  Macrobius  13,  9  Sallustius  gravissimus  alienae  luxuriae  obiurgator  et 
censor). 


422  Richard  Keitzenstein, 

Cicero  sieut  Catilinae  egisse  eimi  oideri  vult  Fenestella,  vergl.  78,  3 
venne  simile  est).  Dann  aber  ist  es  hochwahrscheinlich,  dass  seine 
Quelle  hierfür  die  einzige  diesbezügliche  Stelle  Ciceros,  der  Brief 
an  Atticus  I  2,  war,  in  welchem  Cicero  diese  Verthoidigung  als 
unmittelbar  bevorstehend  erwähnt,  und  dass  Fenestella  denselben 
Schluss  wie  Bücheier  (Rh.  Mus.  34,  3r32  ff.)  zog.  Prüfen  wir  unter 
dieser  Voraussetzung  den  Gegenbeweis  des  Asconius:  nicht  um  die 
Abschwächung  eines  Zeugnisses  für  die  Thatsache  handelt  es  sich, 
sondern  um  die  Schlüsse  aus  einer  ausgesprochenen  Absicht.  „13ass 
Cicero  die  Rede  thatsächlich  nicht  gehalten  hat,  zeigt  eben  die  Rede 
in  toga  Candida;  in  ihr  musste  sonst  Cicero  sein  heneficium  Catilina 
gegenüber  erwähnen,  wie  er  das  sehr  viel  geringfügigere  dem  Antonius 
erwiesene  erwähnte."  Das  den  Antonius  betreffende  Citat  leitet 
sofort  zu  einem  zweiten,  etwas  über  das  Ziel  hinausschiessenden 
Argument;  es  folgte  in  nächster  Nähe  ein  Satz  über  Q.  Mucius.  „Er 
erwähnt  ja  selbst  eine  nur  geplante  Vertheidigung  des  Q.  Mucius, 
der  jetzt  ähnlich  wie  Catilina  geringschätzig  über  ihn  rede  und  doch 
einst  Hilfe  von  ihm  erbeten  habe.  Wenn  Fenestella  meint,  Cicero 
habe,  weil  die  Sache  Catilinas  zu  schlecht  gewesen  sei,  aus  Scham 
sein  Eintreten  verschwiegen,  so  zeigen  eben  die  Worte  über  Q.  Mucius 
(m  tua  tiü'pissima  causa),  dass  diese  Erklärung  nicht  genügt."  Im 
Uebergang  zu  diesem  llauptargument  will  Asconius  daran  erinnern, 
wie  wenig  in  diesen  Dingen  ein  Schluss  vom  Plan  auf  die  Ausführung 
möglich  ist,  und  sagt:  „mit  demselben  Recht,  wie  Fenestella  auf  die 
Ausführung  des  Planes  für  Catilina,  konnte  er  auch  für  Q.  Mucius 
darauf  schliessen."')  Es  folgt  der  positive  Beweis,  die  Stellen,  an 
denen  Cicero  jenes  Urteil  derart  erwähnt,  dass  er  es  nicht  selbst 
herbeigeführt  haben  kann.  Dass  sich  nirgends,  auch  in  den 
commentarii  nicht,  die  geringste  Spur  dieser  Rede  linde,  wird  dann 
kurz  erwähnt;  offenbar  hatte  Fenestella  das  nicht  bestritten,  sonst 
musste  die  Gegeninstanz  genannt  werden,  auf  die  er  sich  berief. 
Halten  wir  damit  die  Briefstelle  hoc  tempore  Catilinam  competitorem 
nosti'um  defendere  cogitamus  zusammen,  so  stimmt  alles;  von  beiden 

')  Fenestella  hat  dies  offenbar  nicht  gethan;  die  eigenen  Worte  Ciceros 
quo  tempore  cum  L.  (Jaleno  furti  (retis)  depeiius  sis  sprachen  ja  auch  dagegen. 
In  unseren  Verzeichnissen  der  verlorenen  Ucdcn  steht  freilich  noch  immer 
pro   Q.   Mucio  furti  reo. 


Kin  verkanntes  Werk  Fenestellas.  423 

Seiten  ist  das  gesagt,  was  auch  jetzt  einzig  gesagt  werden  kann').  — 
Dass  Fenestellas  Argumentation  in  den  Annalen  gegeben  war,  wird 
wohl  auch  anderen  unwahrscheinlich  dünken^). 

Dagegen  hoffe  ich  einen  weiteren  Beleg  für  meine  früheren 
Behauptungen  gewonnen  zu  haben.  Die  Quelle  des  Sammonicus, 
in  der  ich  nach  Plinius  Fenestella  zu  linden  glaubte,  kennt  die  so 
selten  benutzten  Briefe  an  Atticus  ebenfalls  und  weiss,  wer  die 
I  19,  6  und  20,  3  erwähnten  piscinarii  sind  (Macrob.  15,  6);  für 
eine  Benutzung  der  Briefe  an  Quintus  könnte  vielleicht  Macrob.  14,  11 
verglichen  mit  ad  Q.  fratrem  I  2,  14  sprechen. 

Charakteristisch  für  den  Autor  schien  uns  neben  der  Ver- 
wendung von  Varro  de  re  rustica  die  vorzügliche  Kenntnis  der 
älteren  Kedner.  Titius  wird  nur  hier  angeführt;  ihm  entstammen 
nicht  nur  die  beiden  Fragmente  16,  lö  und  13,  13;  auch  die  Angaben 
über  die  lex  Fannia  17,  4  gehören  offenbar  der  suasio  des  Titius. 
Aolmlich  ist  das  Fragment  aus  der  oratio  vetus  eines  Favonius  (?) 
bei  Gellius  XV  8;  nach  dem  ganzen  Charakter  passt  es  eher  auf 
die  alte  lex  Licinia  als  auf  den  Antrag  des  Jahres  55.  Sollte  auch 
Gellius  durch  irgend  welche  Mittelquellen  aus  unserem  Autor 
schöpfen?')  Einen  Anhalt  geben  vielleicht  die  Citate  aus  den  Reden 
des  jüngeren  Africanus.  Viel  bewundert  bis  in  die  Jugendzeit 
('iceros  werden  sie  doch  in  späterer  Zeit  äusserst  selten  genannt.  Ein 
einziger  Grammatiker  hat  sie  benutzt:  sie  erscheinen  nur  bei  Verrius, 
und  zwar  an  bestimmter  Stelle,  kurz  vor  den  Reihen  Catonischer 


J)  Einen  Beweis  dafür,  dass  Asconius  die  Atticus-lJriefe  nicht  gekannt 
hat,  finde  ich  auch  bei  Leo  (Miscell.  Ciceron.  Göttinnen  1892)  nicht,  höchstens 
dafür,  dass  er  ihnen  mehr  halte  entnehmen  und  schärfer  combinieren  können. 
Benutzt  haben  die  Briefe  Domitius  Marsus  (Leo  p.  6)  und  Fenestella.  Was 
ferner  der  in  diesen  Dingen  so  hochsinnige  erste  Kaiser  in  einer  postumen 
Publication  ertragen  oder  nicht  ertragen  konnte  und  wie  viel  er  z.  B.  in  der 
ersten  Zeit  nach  Atticus'  Tode  verhindern  konnte,  entzieht  sich  doch  wohl 
unserer  Entscheidung. 

-)  Für  die  Vermutung  von  Schwartz  könnte  man  vielleicht  noch  anführen, 
dass  das  Fragment  aus  de  consilns  suis  bei  Plutarch  Crassus  13  (Schwartz 
Hermes  32,  599)  sich  eng  mit  dem  bei  Asconius  74,  17  ff.  angeführten  berührt. 
Asconius  kann  hier  sehr  wohl  von  Fenestella  abhängig  sein. 

*)  Auch  über  die  lex  Licinia  bringt  Macrob.  17,  7  Angaben,  die  einer 
suasio  wenigstens  entlehnt  sein  können. 


424        Richard  Reitzonstein,  Ein  verkanntes  Werk  Fencstellas. 

Glossen.^)  Ein  einziger  Rhetor  hat  ihnen  Beit-piele  entnommen;  er 
liegt  uns  bei  Jsidor  de  figuris  verhoruvi  et  sententiurimi  vor  (lihet. 
tat.  min.  517,  15—522,  9)");  für  juristische  Antiquitäten  benutzt 
ihn  Massurius  Sabinus  (Gellius  IV  20  und  V  19).  Sonst  begegnet 
er,  abgesehen  von  der  Quelle  des  Sammonicus,  noch  bei  Gellius  II  20, 
und  zwar  in  Verbindung  mit  Citaten  aus  Varro  rer.  rust.  III. 
Freilich  ist  der  Gesichtspunkt  des  Gellius  ein  lexikalischer  (das, 
was  wir  vivaria  nennen,  hiess  zu  Varros  Zeit  leporaria,  zu  Scipios 
Zeit  roboraria),  aber  derartige  Anmerkungen  des  Grammatikers  zu 
kulturhistorischen  Beobachtungen  passen  für  Fenestella  vorzüglich 
(vgl.  Plin.  XXXIII 146).  Sodann  begegnet  er  bei  Gellius  VI  11  und  12, 
welche  einer  gemeinsamen  Quelle  entnommen  scheinen;  in  dem 
ersten  Kapitel  handelt  es  sich  um  die  Bedeutung  des  Wortes 
neqtiitia,  in  dem  zweiten,  in  dem  der  kulturhistorische  Charakter  sogar 
überwiegt,  um  die  tunicae  chiridotae.  Der  gemeinsame  Gesichtspunkt 
ist  offenbar  die  hwuria.  So  mögen  denn  durch  irgend  eine  Mittel- 
quelle auch  diese  vier  Gelliuskapitel  auf  Fenestella  zurückgehen.  — 
Mag  das  immerhin  zweifelhaft  bleiben.  Wichtiger  war  es  mir, 
zu  zeigen,  dass  es  uns  aus  Plinius  und  iMacrobius  möglich  ist,  uns 
von  einem  der  Nachahmer  und  Nachäffer  Varros  ein  klares  Bild  zu 
machen  und  die  eigentümliche  Mischung  von  Belesenheit  und  Leicht- 
fertigkeit, Pedanterie  und  Willkür,  vor  allem  aber  die  von  der  Haltung 
der  späteren  Epitomatoren  so  ganz  verschiedene  Stellung  zu  Varro 
selbst  zu  beobachten,  und  vielleicht  war  es  auch  nicht  ganz  überflüssig, 
die  Methode  eines  neueren,  ebenso  schönen  und  gehaltreichen  wie 
gefährlichen  Buches  in  einer  wichtigen  Einzelfrage  nachzuprüfen. 


1)  Festus  273  M  liederguisse  ist  Lucilius-Glosse,  258  Qualenus  beweist 
nichts,  da  im  Buchstaben  Q  die  Catouischen  Glossen  schon  fehlen. 

'^  Die  verschiedenen  Bestandteile  lassen  sich  mit  Hilfe  Quintilians 
wenigstens  einigermassen  sondern.  In  der  jüngeren  Rhetorik  leben  Cato  und 
C.  Gracchus  wieder  auf  (vgl.  Augustin.  149,  23  und  Julius  Victor  389,  21,  beide 
wohl  aus  Quellen  der  Archaisten-Zeit);  Scipio  bleibt  verschollen. 


Y^? 


xxm. 

Willielm  Heraeus. 

Ziiiii  Gastmahl  des  Triiiialcliio. 


Cap.  33  heisst  es  von  Trimalchio,  er  habe  während  eines  AVürfel- 
spiels  omnium  textoimm  dicta  verbraucht.  Die  einen  erklären, 
textor  stehe  hier  als  Repräsentant  der  ungeschlachten  Handwerker, 
wofür  Friedländer,  freilich  nur  zweifelnd,  auf  ^lart.  12,  59,  G  hinc 
instat  tibi  tea-tor,  inde  fullo  verweist.  Andere  halten  textoniin  für 
verdorben  und  suchen  darin  einen  zu  einer  solchen  Vertretung 
passenderen  Berufsnamen.  In  beiden  Fällen  ist  aber  auch  omnium 
anstössig,  weshalb  Heinsius  omnia  tcxtonvm  dicta  forderte,  was  Reiske 
später  bedauerte  nicht  in  den  Text  gesetzt  zu  haben,  Buecheler  in  seiner 
ersten  Ausgabe  für  wahrscheinlich  richtig  hält  und  auch  im  Index 
der  neueren  Ausgaben  in  diesem  Wortlaut  entgegen  seinem  Texte 
aufführt,  Friedländer  wenigstens  in  seiner  Uebersetzung  ('sämtliche 
Knotenspässe')  wiedergiebt.  Also  ohne  Aenderung  scheint  es  nicht 
abzugehn.  Wie  aber,  wenn  die  Ueberlieferung  bisher  nur  mit  Vor- 
urteil betrachtet  wäre  und  eine  andere  Auslegung,  welche  die  obigen 
Bedenken  beseitigte,  möglich  wäre?  Möglich  und  erwägenswert 
scheint  mir  wenigstens  die  Auffassung  von  omnium  teztorum  als 
Genitiv  von  omnia  teMa.  Textum  im  Sinne  von  textus,  wie  schon 
ähnlich  Verg.  Aen.  8,  625  clipei  non  enarrabüe  textum  =  argumentum. 
Die  ganze  Wendung  ist  natürlich  auch  so  als  der  Umgangssprache 
entlehnt  zu  betrachten. 

Cap.  34.  Während  hundertjähriger  Falerner,  Jahrgang  des  Opi- 
mius,  serviert  wird,  schlägt  Trimalchio  in  die  Hände  und  ruft:  eheu! 
ergo  diutius  vivit  vinum  quam  homuncio.  quare  tangomenas 
faciamus.  Aehnlich  nimmt  derselbe  c.  73  das  Bartfest,  das  einer 
seiner  Sclaven  an  dem  Tage  des  Gastmahls  feiert,  zum  Anlass  zu 
der  Aufforderung:  itaque  tangomenas  faciamus.     Dieser  antike  Vor- 


428  Wilhelm  Ileraeus, 

läiifer  der  Basedow -Goetheschen  Conclusion  ergo  hibamus  hat  viel 
Kopfzerbreclien  verursacht.  Seit  Miincker  bringt  man  tangomenas 
mit  dem  Anfang  eines  alkäischen  Trinkliedes  ley^s  ^rvsuaova?  oi.v(t) 
(fr.  39,  bez.  28  a  Bergk)  zusammen,  der  schon  im  Altertum  als  ge- 
flügeltes Wort  vielfach  nachgeahmt  ist  (die  Nachweise  am  voll- 
ständigsten bei  Steph.  Thes.,  wo  nur  Eratosth.  bei  Macr.  sat.  7, 
15,  23  xotl  ßaOuv  axpvJTO)  irvsufjiova  tsY^ofievo;  fehlt).  Die  Ver- 
derbnis legt  man  entweder  den  Abschreibern  oder  Trimalchio 
zur  Last.  So  von  Neueren  Jahn  und  Buecheler  in  der  ersten 
Ausgabe.  Dagegen  spricht  Bergk  a.  a.  0.,  der  sich  überhaupt  gegen 
jede  Ableitung  des  fangonienas  von  -£'[•(<»  erklärt,  wie  sie  von 
anderen  versucht  ist  (tengomenos  nos,  xsYYtujjiev  r^pa.^  u.  ä.),  dagegen 
auch  Friedländer,  da  tangonienas  überliefert  sei,  und  Buecheler  in 
dessen  Ausgabe.  Trotzdem  möchte  ich  an  ein  zu  Grunde  liegendes 
'\t'{Yj\ihjaz  faclamus  glauben.  Bekannt  sind  die  trunkenen  alten 
Weiber  in  der  Komödie  und  als  Gegenstand  der  bildenden  Kunst. 
Könnte  es  nicht  eine  Komödie  oder  Atellane  Te-f/ofASvai  (Tengo- 
menae)  'die  beschwippsten  Weiber'  gegeben  haben?  Im  folgenden 
Kap.  hören  wir  von  einem  mimus  laserpiciarius^  c.  62  ist  copo  com- 
pilatus  nach  Friedländers  ansprechender  Vermutung  eine  Atellanen- 
oder  Mimenfigur,  also  möglicherweise  auch  Titel,  endlich  würde  m. 
E.  das  sonderbare  rmdionum  fata  egit  c.  69  in  diesem  Zusammenhang 
betrachtet  viel  des  Anstössigen  verlieren  (vgl.  Friedländer  z.  d.  St.). 
Auch  die  participiale  Form  solcher  Titel  ist  bekannt  genug  (Epini- 
kos  Sujj.ßaXXoiAEvoi,  Ilerondas  Mimentitel  l'üvspYotCofj'.evai  und  '  Atto- 
vr^OTiCoasvcz'.,  die  Palliaten-  und  Atellanen-Titel  bei  Ribbeck  com. 
frgt.  IP,  502  ft'.).  Dass  daraus  im  Munde  des  halbgrieohischen  Frei- 
gelassenen, der  z.  B.  topanta  für  -7.  rav-a  (c.  37)  sagt,  tangmnenas 
wird,  kann  nicht  wunder  nehmen,  wenn  man  bedenkt,  dass  tango 
für  tingo  beim  Volk  später  ganz  gebräuchlich  war,  wozu  wohl  ausser  der 
Bedeutungsähnlichkeit  die  Composita  von  tango  wie  contingo,  attingo 
verführten.  So  sagt  der  Freigelassene  llabinnas  (c.  66)  de  melle 
nie  usque  tetigi,  was  ein  genaues  Analogen  hat  in  den  Worten 
einer  '  medicina  Plinii'    bei   Heim,    incantamenta   magica   p.  558 ') 

')  Ebenda  p.  563  Z.  30  erklärt  sich  das  von  TIeim  mit  Fragezeichen  ver- 
sehene furculam  antiliinum  aus  der  Glosse  ßoüXifjio;  6  (x^ya?  \i\i.6z  furcüla  C.  (tl.  L. 
11,259,26.     Nicht   anzutasten    waren    gut    bezeugte  Formen   wie  cenisa  Z.  21 


Zum  Gastmahl  des  Triinalchio.  429 

(Suppl.  N.  Jahrb.  XIX)  Lingulae  praecaiitatio:  duohus  manihus 
tangis  de  melle  et  dicis  haec  etc.  (anders  wohl  Rabirius  bei  Reiffer- 
scheid  Rh.  M.  23  p.  141  omitto  Fabium  Metenniae  interfectorem 
'potius  quam  maritum  qui parvo  contactam  mero  coniugem  trucidat). 
Anderes  s.  in  meinem  Progr.  „Sprache  des  Petronius"  (Offenbach  1899) 
S.  38.  Was  endlich  tangomenas  faccre  betrifft,  so  sei  für  diese  An- 
wendung von  facere,  jenem  Mädchen  für  alles,  besonders  im  A^olks- 
latein  und  danach  in  den  romanischen  Sprachen,  nur  auf  Suet. 
Nero  39  hingewiesen:  Datus  Atellanarum  histrio  in  cantico  quodam 
'Ti'i'ottvs  TiaTcp,  u^i'aiVi  (xr^xsp  ita  demoiistraverat ,  ut  hihentem  na- 
fantevique  faceret,  exitum  scilicet  Claudi  Agrippijiaeque  signi- 
ficans. 

Kap.  38  sagt  der  Tischnachbar  des  Encolpios  von  einem  über 
Nacht  reich  gewordenen  iNIitfreigelassenen  des  Trimalchio:  ego  iic- 
mini  inoideo,  si  quid  deus  dedit.  est  tarnen  suh  alapa  et  nou 
vidf  sH)i  male,^)  wofür  er  als  Beweis  ein  protziges  Mietsplacat,  das 
dieser  kürzlich  habe  anschlagen  lassen,  anführt.  Man  hat  sich 
von  jeher  Mühe  gegeben,  die  Worte  suh  alapa  esse  von  dem  bei  der 
Freilassung  üblichen  symbolischen  Schlage  zu  erklären:  mit  welchem 
Erfolg,  das  hat  Friedländer  dargethan.  Mit  überzeugenden  Gründen 
verlangt  er  nach  dem  Zusammenhang  den  Gedanken:  „ich  beneide 
niemanden,  doch  er  ist  aufgeblasen  und  gönnt  sich  das  Beste" 
und  fügt  hinzu,  dass  0.  Hirschfelds  Conjectur  suhßatus  für  suh  alapa 
dieser  Forderung  gerecht  werde,  paläographisch  aber  die  höchste 
UnWahrscheinlichkeit  besitze.  Nun  gab  es  aber  ein  volkstümliches 
Verbum  alapari  „prahlen",  über  welches  zuletzt  Roensch  im  Rh. 
Mus.  1879,  632  (=  coli.  phil.  25)  gesprochen  hat.  In  der  Litteratur 
erscheint  es  sicher  nur  bei  Commodian  carm.  apol.  453  nou  quasi 
malejicum  alapantur  cruce  levatum,  sonst  in  einer  Corveyer  vor- 
hieronym.  Bibelübersetzung  von  lac.  3,  14  quid  alapaminif  ([».yj  xct- 


(Heim  cej-visia)  und  neutrales  cinus  p.  559,  8:  letzteres  nicht  nur  in  einer  vor- 
hicronymianischen  Bibelübersetzung  und  bei  den  Gromatikern  (s.  Georges  Wtf.), 
sondern  auch  häufig  in  den  bilinguen  Glossen  (s.  C.  Gl.  L.  VI  s.  v.),  über  cer- 
visa  u.  —  esa  siehe  jetzt  Holders  altcelt.  Sprachschatz  s.  v. 

')  Letztere  Wendung  ist  mir  in  der  Litteratur  sonst  nicht  aufgestossen; 
um  so  interessanter  ist  ihr  Vorkommen  in  den  Glossen:  (1.  Gl.  L.  IV,  529,  36 
imjirobus :   {nconsideralus  vel  qui  sali  sibi  vult  hene. 


430  Wilhelm  Heraeus, 

Taxau/asÜs  das  Original,  iiolite  gloriari  die  Vulgata)  und  in  Glossen : 
C.  Gl.  n,  14,  23  alapatur:  aXcnzd^zi  (?),  was,  nach  der  Form  des 
Lemmas,  auf  eine  bestimmte  Autorenstelle  geht,  III,  372,  56  unter 
der  Rubrik  'de  moribus  humanis'  x^ü/r^xr^s  alapator,  V,  4,  11  (Gl. 
Plac.)  alapari  .  .  .  pro  iactantia.  Neuerdings  hat  man  das  Wort,  auf 
das  nach  Vulcanius  spanisch  alabar  =  laudare,  iactare  zurückgeht,  so- 
gar schon  bei  Plautus  im  Schutt  der  üeb erlief erung  erkennen  zu  können 
geglaubt:  Truc.  928  vermutet  Buecheler  niliü  alapari  satiust  milcs 
si  te  amari  postulas  für  das  überlieferte  nihili  phiari,  and  8chöll 
hat  es  aufgenommen;  Cure.  463  halopliantam  an  sycophantam  Jnnic 
magis  hoc  esse  dicam  nescio  schlägt  Brandes,  de  aspiratione  latina 
p.  15  (Bonn  1881)  alapantem  für  das  schon  von  den  alten  Er- 
klärern nicht  mehr  verstandene  und  verschieden  geschriebene  An- 
fangswort vor,  schwerlich  richtig,  da  offenbar  ein  komisches  Pen- 
dant zu  sycophanta,  bez.  sucopanta  erfordert  wird.  Auf  die  Ety- 
mologie jenes  Verbums  und  seinen  etwaigen  Zusammenhang  mit 
alapa  „Ohrfeige"  sei  hier  nicht  eingegangen  (man  könnte  vielleicht 
an  unser  „Ohrfeigengesicht"  erinnern).  Es  sei  nur  angesichts  der 
gut  bezeugten  Existenz  eines  vulgären  alapari  =  gloriari  an  den 
möglichen  Zusammenhang  der  Redensart  est  sub  alapa  im  Munde 
des  Petronischen  Freigelassenen  mit  jenem  Verbum  erinnert.  Man 
könnte  z.  B.,  da  eine  Bildung  suhalapa  allerdings  bedenklich  ist, 
an  subalapo  'etwas  prahlerisch'  denken:  vgl.  das  Personalsubstantiv 
occupo  in  einer  Freigelassenenrede  c.  58,  nugo  vom  Deponens  nugari, 
suhpilo   Lucil.  bei  Ausonius'),    degulo  Augustin.  C.  Gr.  L.  V,  502,  4 


')  Epigr.  77, 8  ed.  Peiper  (Lips.  1886)  Lucili  vatis  subpilo  pttUipremo  von 
einem  Pädcrasten.  Für  subpilo  las  man  früher  nach  Ferrarius  subulo  (daher 
fehlt  jenes  Subst.  in  den  Lexx.),  ohne  jeden  Gnind.  Die  Unsitte  ist  bekannt 
genug,  pilare  und  t-ellere  nebst  Compos.  devellere,  subvellere,  dep'ilare,  compilare: 
i'.  Gl.  L.  II,  105,  1  compilat  auXoI  (=  OuXa),  fxaoiCe'i  WO  compilare  und  comp'tlare 
zusammengeworfen  sind,  wie  bei  Georges,  der  Dosith.  C.  Gr.  L.  VII,  435,  28 
citiert,  wo  Keil  in  compilo  auvSpcü  TraxfC«)  das  (lompos.  von  op(o-oxtC«>  verkannt 
hat.  Die  Glossen  lehren  uns  auch  noch  deoppilo  II,  396, 45  =  TrapaxfXXw  und 
oppilo  II,  455,  34  ^  t(XX(o  kennen.  Was  die  andere  Lucilianische  Bildung  be- 
trifft, so  lässt  die  Ueberlieferung  pullo  premor  auch  pullo  premus,  wie  Schenkl 
will,  zu  oder,  was  noch  näher  liegt  und  durch  den  Einklang  mit  der  vorlicr- 
gehenden  Bildung  empfohlen  v;ud,  pullopremo,  wie  hamotraho  (l'aul.  Fest.  p.  102). 
Jedenfalls  war  kein  Grund,  dass  Bachrens  wegen  des  pulo  premor  einer  Ilaud- 


Zum  Gastmahl  des  Trimalchio.  431 

(fehlt  in  den  Lexx.,  auch  bei  Paucker,  suppl.  lex.  lat.).  Subolfacio 
findet  sich  in  vulgärer  Rede  c.  45  als  a-.  et'p.  — 

Derselbe  Freigelassene  erzählt  Encolpios  zum  Beweise  von  Tri- 
malchios  Ueppigkeit  eecc  intra  hos  dies  scripsit,  ut  Uli  ex  Iiidia 
seinen  boletorum  mitteretur.  Friedländer  vermutet  ei  für  Uli.  Correct 
wäre  das  Reflexivum  (sihi),  wofür  schon  Caesar  und  Cicero  ge- 
legentlich die  J)emonstrativa  is,  seltner  ille  eintreten  lassen,  aber 
nur  in  complicierteren  Satzfügungen  der  Deutlichkeit  halber,  wie 
die  Beispiele  bei  Draeger,  hist.  Synt.  §  29,  b  zeigen,  lue,  wie  is, 
erscheint  dann  bei  Sallust  öfter  für  das  Refl.,  auch  in  so  einfacher 
Hede  wie:  Lucullus  pecuniam  Quintio  dedit,  nc  Uli  succedereiur 
IV.  5, 11  Kr.  (vgl.  Kritz  zu  lug.  8,  2),  ferner  bei  Val.  Max.  8,  14  ext.  1 
Themistocles  cum  interror/aretur ,  cuius  voa:  auditu  Uli  futuva  esset 
(iratissima  cet.  Sen.  ep.  48,  8  rogant,  ut  ex  tania  illos  volutatione 
extralias.  Ausserdem  linde  ich  es  luv.  13,203  quaerehat  (Glaucus) 
an  hoc  Uli  facinus  suaderet  Apollo  und,  ein  Beispiel  aus  später 
Zeit,  Lact.  mort.  pers.  23,  8  udeo  hominem  misericordem,  qui  pro- 
viderit,  ne  quis  illo  imperante  miser  esset.  Schon  nach  diesen  Bei- 
spielen, die  sich  gewiss  noch  vermehren  lassen,  ist  also  gegen  jenen 
Gebrauch  von  ille,  zumal  bei  einem  Freigelassenen,  nichts  einzu- 
wenden, als  dass  er  eben  ungenau  ist,  von  der  paläographischen 
Probabilität  einer  Aenderung  gar  nicht  zu  reden.  Dazu  kommt,  was 
Friedländer  übersehen  hat,  dass  derselbe  Freigelassene  im  Verlaufe 
seiner  Rede  noch  einmal  diese  Anwendung  von  ille  macht:  incli- 
ouftis  quoque  rebus,  cum  timeref,  ne  creditores  illum  conturbare  existi- 
marenf,  hoc  titulo  auctionem  proscripsit  cet.  Ja,  man  möchte  selbst 
eine  künstlerische  Absicht  des  Schriftstellers  darin  erblicken,  zu- 
mal wenn  man  sieht,  mit  welcher  Vorliebe  er  die  Freigelassenen 
das  Pronomen  ille  gebrauchen  lässt,  das  ja  nach  Ausweis  der  ro- 
manischen Sprachen  im  Volkslatein  eine  grosse  Rolle  gespielt  hat. 
Das  Pron.  is  tritt  ganz  auffallend  gegen  ille  zurück,  wovon  jede  be- 
liebige Rede  jener  Leute  überzeugt,  ja,  ille  steht  sogar  ganz  pleo- 
nastisch,  z.  B.  sagt  Trim.  c.  ;")()  oves,  quod  lana  illae  (frz.  elles')  nos 

Schrift  culopremus  schrieb:  obscönes  premere  und  gewöhnlicher  comprimere  mit 
Personalobject  belegen  die  Lexika,  pu/Zanus  C.  Gl.  L.  II,  392,  6  =  TifttSspaGT^? 
(Petr.  43  puellarius  die  Ueberl.),  pultaria  faeles  in  jenem  Ausonius-Ei)igramm, 
jjtillus  =  puer  in  ddiciis  habkus  Fest.  p.  245,23.  244,  G.  Plac.  C.  Gl.  L.  V,  37,  23. 


432  Willielm  TIeraeus, 

gloriosos  faciunt.  Andrerseits  wenden  dieselben  Leute  das  Reflexivum 
entweder  nur  direct  (iion  vult  sibi  male  u.  a.)  oder,  wenn  indirect, 
falsch  an:  c.  43  habet  quod  sibi  debebatur.  Aus  älinlichen  Gründen 
möchte  ich  auch  mit  älteren  Kritikern  für  die  Ueberlieferung  ein- 
treten in  Trimalchios  Worten  c.  47  Jioc  solum  (sc.  flatum  continere) 
vetare  ne  Joris  pofesf.  Für  ne  setzt  man  heute  wieder  das  correcte 
nee  ein.  Allein  auch  7iec  findet  sich  in  den  Freigelassenenreden 
so  nicht  verwendet,  so  wenig  wie  nc-quidem,^)  wohl  aber  einmal, 
wie  es  scheint,  non  (c.  66  itaque  de  scribilita  quidem  non  minimum'') 
edi,  de  melle  me  usque  tetigi  erzählt  Habinnas  von  einem  Diner). 
Andrerseits  giebt  man  ne  für  ne-quidem  für  Apulcjus  und  Spätere 
zu:  Apul.  met.  1,23.  3,6.  11.  4,5  steht  es  in  allen  Texten,  desgl. 
Capitol.  Clod.  Alb.  5,  8.  Lamprid.  Diad.  7,  2.  Claud.  Mam.  de  statu 
an.  3,  14.  Querolus  p.  46,  20.  Paul.  Fest.  p.  69  s.  v.  doliola,  um  nur 
einiges  zu  erwähnen.  Auch  inschriftlich  ist  es  einmal  nachgewiesen : 
Anth.  epigr.  lat.  1178,  33Buech.und  wird,  was  man  übersehen  hat,  von 
Quintilian  1,  5,  39  als  Beispiel  der  detractio  (ne  hoc  fecit)  angeführt. 
Ich  möchte  also  auch  jenen  kleinen  Zug,  der  in  diesem  ne  liegt, 
in  dem  Gesamtbilde  der  vulgären  Sprache  bei  Petron  nicht  missen, 
wenngleich  die  Handschriften  in  solchen  Fällen  keine  Gewähr  l'ür 
die  Richtigkeit  der  Ueberlieferung  bieten;  ist  doch  z.  B.  c.  9  in 
urbaner  Rede  cuius  ne  spiritus  purus  est  überliefert  und  mit  Kocht 
von  den  Herausgebern  nicht  anerkannt  worden. 

Kap.  41.  Nachdem  der  Gastgeber  sich  auf  einige  Augenblicke 
entfernt  hat,  beginnt  eine  allgemeine,  ungezwungene  Unterhaltung. 
Dama    itaque   primus    cum   pataracina  po^wseissef,   ^dies    inquit 

')  Beiläufig  eine  Frage:  wo  findet  sich  bei  Diciitern  ne-quidem'i  ilir 
wenigstens  ist  es  bei  langer  Beobachtung  nur  in  Ovids  jugendlichen  Heroiden 
aufgestossen:  4,  121  ne  nuptn  quidem  und  10,  143  nc  poenn  quidem.  Der  gewöhn- 
liche N'ertreter  für  die  offenbar  prosaisciie  Verbindung  ist  nee  (seltener  net/uc), 
auch  non  (Prop.  2,9,  Id  at  tu  non  wui  potuisti  nocte  vacare  u.  ä.),  bes.  in  \  or- 
biudung  mit  ipse  (Verg.  Aen.  6,  444  vurae  non  ipsa  in  morte  reUnquunt)  oder 
quoqtie  (Ov.  met.  14,756  hoc  quoque  non  potuii,  wie  auch  in  Prosa  öfters).  luve- 
nal  hat  9,  147  nee  spes  Ins  saltem  gewagt.  Auch  unsere  Dichter  meiden  'uiibt 
einmal'. 

2)  Die  auch  mögliche  Erklärung  'nicht  wenig'  (wie  Cic.  Verr.  IV,  .0,  14 
Ulis  non  maxiina  u.  a.)  \\iders|»richt  dem  Zusauuuenhang,  weshalb  Jac.  Grouov 
non  nimium  vermutete. 


Zum  Gastmahl  des  Trimalchio.  433 

"nihil  est.  dum  versas  te  nox  fit  cet.'  Pataracina  hat  man  von  je- 
her für  stark  verdorben  gehalten:  zur  Probe  sei  Heinsius' Vorschlag 
patera  capaci  vina  erwähnt.  Vorsichtiger  sagt  Buecheler  (1.  Ausg.) 
'non  tarn  meracum  quam  grandioris  potorii  genus  appellatum  fuisse 
puto  qualia  anancaea  erant  vel  AUi/ana  ab  Horatio  vel  batiacae 
a  Plauto  Athenaeo  Arnobio  memoratae.  „poscunt  maioribus  poculis"^ ') 
dixit  Cicero  in  Verrem  act.  sec.  I,  26,  66'.  Eine  Erklärung  des  merk- 
würdigen Wortes  ist  aber  meines  Wissens  noch  nicht  versucht 
worden.  Ich  möchte  ein,  wie  viele  Geschirre  des  alltäglichen  Lebens, 
uns  von  griechischen  Lexikographen  überliefertes,  grösseres  Trink- 
geschirr heranziehen,  das  ui-o.y.vov,  irai^xvov,  Trsioty  vov  oder  TisSa/vov  ge- 
nannt wird.  Ilesychius  sagt  TCSxaxvov  Ttoxvjpiov  sxns-aXov.  lö  Ss  auxo 
y.rd  Tr£TO!)(vov,  desgl.  Trotxavia  xa  sxTrsxaXa  XccraSta  xoti  xa  sxTcsxaXa  xctt 
^laXostofj  TToxYjpia  aTrsoa/va  7.0X0001.  Oftenbar  Bildungen  vom  Stamme 
pot-  (pateo,  patera,  patella,  patina).  Legt  man  nun  Traxa/vov  (lies. 
I'hot.  p.  402,  2)  zu  Grunde,  so  giebt  dies  im  lateinischen  Munde  mit  be- 
kannter Epenthesis  patacinum,  wie  cicinum  xuxvov  C.  Gl.  III,  203,  30 
(unter  Silbergeschirren  zwischen  cocidiarium  und  concha;  vgl.  altital. 
{•ecino  Schwan),  licinus  =  Xu/vo?  u.  a.,  s.  Ritschi  opp.  II,  478.  516. 
Aus  pataeinum  konnte  sich  nun  leicht  im  Volksmund  pataracinum 
mit  Anlehnung    an    das    stammverwandte    patera    entwickeln,    das 


^)  Stowasser,  Wiener  Stud.  XII,  327,  erklärt  poscunt  vom  Stamme  po- 
„sie  faii<reii  zu  trinken  an",  da  die  bisherige  Erklärung  (Zumpt  z.  d.  St.)  „sie 
fordern  einander  zum  Wetttrunk  heraus"  nicht  genüge.  Letzteres  ist  richtig. 
Wie  ab'er  der  Abi.  maioribus  poculis  bei  posco  „fordern"  zu  verstehen  ist,  zeigt 
luv.  11,147  'in  magno  cum  posces,  posce  latine  (d.  h.  nicht  griechisch  Iv  [ieydXoj 
oder  ^v  jj-eiCovi),  wofür  Buecheler  Rh.  M.  52,395  treffend  auf  die  Schulgespräche 
C.  Gl.  L.  III,  219  (=653)  verweist,  wo  es  heisst  da  merum.  misce  calcium.  In 
maiore.  in  minore  libenler,  spero  enim  et  aliam  bibere.  Si  permittis,  propino  tibi 
(ganz  wie  im  modernen  TrinkcommentI).  Es  konnte  natürlich  auch  poscunt 
maiora  pocula  lieissen,  wie  Petr.  65  capaciorem  poposcit  sci/phum,  Hör.  sat.  2,  8,  35 
calices  poscit  maiores,  Lampr.  AI.  Sev.  39,  1  poculuni  idque  brecius,  nisi  siquis,  quod 
licebat,  mnius  liiere  postttlassef^  Athen.  504  b  atToOvxos  Aetovt'Sou  [XEi'Cto  TTOXi^ptov, 
vgl.  Men.  ebd.  502c  Ißowv  xr^v  [xey^XrjV,  481b  xrjv  (j-sf^ova.  Aber  der  Ablativ  ist 
von  Cicero  entsprechend  dem  Rufe  (in)  maiore  mit  ähnlicher  Kürze  gesetzt, 
wie  in  ßdibus  scire  (Ter.),  fidibus  (Cic.)  oder  armis  (Sen.  phil.)  discere,  ad  cenam 
promiliere  und  vielleicht  ßdibus  promittere  bei  luv.  6,387:  so  hat  wenigstens  auch 
Piiscian  C.  Gr.  L.  111,331  die  Stelle  gefasst. 

Festsclnift   Vahleii.  28 


434  Wilhelm  Hcraeus, 

z.  B.  Act.  fr.  Arv.  p.  CIX  Ilenzen  patara  gesehrieben  wird,  wie  um- 
gekehrt nach  der  Appendix  Probi  citera  für  cithara  vulgär  war 
(rumän.  u.  ital.  cetera)^  wie  klassisches  2)halerae  neben  odKapa,  Abi. 
polaris  G.  I.  L.  V,  7495,  iJÄaüar^s  X,  1202.  Wie  viele  Namen  von 
Trinkgeschirren  aber  mit  dem  Comment  aus  Griechenland  in  Rom 
eingedrungen  sind,  mag  folgende  Liste,  durch  welche  die  Lexika 
ergänzt  werden,  zeigen:  amystis  (s.  C.  Gl.  L.  VI  s.  v.),  anancaeum, 
ancon^  atena  (eiooc:  irof/iptou  öaTpaxoö  Gl.  Phil.,  wozu  Mommsen  die 
Hesycli-Glosse  a-Tava*  xTQfava  und  utanulus  vergleicht;  s.  C.  Gl.  L. 
VI,  100),  baris  sloo?  iroxr^piou  (so  ist  wohl  für  harisa  loo?  r.  zu 
lesen:  Schiffs-  und  Bechernamen  übereinstimmend  wie  in  condii, 
cmitharus,  cymbium,  gaulus\  vgl.  Macr.  sat.  5,  21,  9),  culatJius, 
cahfha  (Verg.  Copa  7,  s.  Leo  zum  Culex  p.  115),  carchesium,  can- 
tharus,  ciborium,  concka,  condij:  poculum  vel  scyphus,  unde  bibi- 
tur,  id  est  caucum  C.  Gl.  L.  V,  182,  39  (Grundwort  zu  frz.  gonda, 
gondola  nach  Diez,  was  Körting  wenig  befriedigte),  culigna,  dia- 
tretum,  gaulus,  haplopotis  (inschriftlich,  s.  Buecheler  Rhein.  Mus. 
52,  395),  lepista,  Lesbium,  phiala,  rhi/tion  (ausser  Mart.  2,  35,  2 
nur  Herm.  Montep.  C.  Gl.  L.  III,  324,  53  pu-ov  i^tium,  unsicher 
bei  Lucil.  489  L;  vgl.  Stowasser  Arch.  I,  117.  11,  476),  scaphium, 
scyphus,   Thericlea. 

Kap.  43  a.  E.  heisst  es  von  einem  geilen  Menschen:  non  me- 
hercide  illum  puto  in  domo  canem  reliquisse.  An  dem  alleinstehenden 
reliquisse  hat  neuerdings  v.  d.  Vliet  Arch.  f.  Lex.  XI,  249  Anstoss  ge- 
nommen und  den  Ausfall  von  viryinem  vermutet.  Schon  der  alte 
Goes  wollte  intactum  einschieben.  Allein  so  häufig  auch  zu  re- 
Unquere  „etwas  lassen,  wie  es  ist"  erklärende  negative  Participia 
wie  illaudatum,  intactum,  incorruptum,  inviolatum,  impollutum, 
neglectum  u.  a.  hinzutreten,  so  hat  doch  schon  das  Verbum  allein 
weil  negativen  Charakters  diese  Kraft  im  Zusammenhang  der  Rede: 
unbeachtet,  unerwähnt,  unbearbeitet,  ungestraft,  ungerügt  lassen 
u.  s.  w.  Ganz  so  wie  bei  Petron  im  Sinne  von  „ungeschoren,  un- 
verschont  lassen"  steht  es  Ov.  her.  9,  51  fg.  (Deianira  an  Hercules) 
non  tibi  crimen  ei^nt,  Teutlirantia  turba,  sorores,  quarum  de  po- 
pulo  nulla  relicta  tibist.  Aehnlich  an  der  mit  Lnrecht  angefochtenen 
Stelle  Cic.  imp.  Pomp.  §  4  duobus  potentissimis  regibus,  quorum  alter 
reliffus,    alter  lacessitics  occasionem  sibi  ad  occupandam  Asiam   ob- 


Zum  Gastmahl  des  Trimalchio.  435 

latam  esse  arbitrantur-,  relictus  ist,  wie  der  Gegensatz  lacessittis 
zeigt  =  qui  illacessitus  relictus  est  „in  Ruhe  gelassen"  (Halm  erklärt 
„nicht  völlig  besiegt").  Desgl.  Cic.  Att,  9,  7,  5  promitto  tibi  tegulam 
illum  in  Italia  nullam  relicturum,  nicht  „übrig  lassen",  sondern  „heil 
lassen". 

Kap.  44  schimpft  der  Freigelassene  Ganymedes  über  die  hohen 
Brotpreise  des  Städtchens,  au  denen  nach  seiner  Ansicht  die  Aedilen 
schuld  sind,  die  mit  den  Bäckern  unter  einer  Decke  steckten.  'Als 
ich  aus  Asien  ankam,  da  waren  hier  andere  Kerle,  die  den  Aedilen 
gehörig  auf  die  Finger  sahen:  illud  erat  vivere!  similia  dcilia  in- 
te riores  et  larvas  sie  istos  percolopabant  ut  Ulis  lupiter  iratus  esset' . 
Die  offenbare  Verderbnis  hat  man  verschiedentlich  zu  heilen  ge- 
sucht, am  besten  und  sinngemässesten  jedenfalls  Buecheler,  der 
neuerdings  simila  si  siligine  inferior  esset,  larvas  etc.  vermutet,  wie 
schon  ähnlich  in  seiner  ersten  Ausgabe.  Trotzdem  kann  man 
fragen,  ob  nicht  die  Worte  similia  sicilia  im  wesentlichen  richtig 
überliefert  sind.  Sie  machen  mir  ganz  den  Eindruck  einer  all- 
täglichen Redewendung:  si  milia,  si  cilia  (=  yilioi).  Man  ver- 
gleiche in  der  Rede  desselben  Libertinen  die  Phrasen  qnod  nee 
ad  caeluni  nee  ad  terram  pertinet,  serva  nie  servabo  te '),  aut  tunc 
aiit  nunquam  ^),  in  der  Rede  des  Ecliion  im  folgenden  Kap.  modo  sie 
modo  sie,  aut  hoc  aut  illud  u.  a.  Si  —  si  wie  in  der  bekannten 
sacralen  Formel  sei  deo  sei  divae,  Enn.  si  lud  si  nox  si  mox  si  iam 
data  sit  frux,  Plaut,  capt.  114  si  foris  si  intus  volent,  Fronto 
p.  235  N.  si  noctis  si  lucis  id  tempus  erit,  auch  in  Zauberformeln 
zur  Besprechung  von  Krankheiten  bei  Heim  a.  a.  0.  S.  47G  A.  1. 
Sollte  diese  Annahme  eines  vulgären  si  milia  si  cilia  richtig  sein, 
so  würde  die  Verderbnis  sich  auf  interiores  et  beschränken,  die 
vielleicht  ein   anderer  im  Anschluss  daran  auf  einfache  Weise  zu 


^)  Vgl.  ama  nie  amabo  te  auf  Riugen  bei  Le  Blant,  750  iuscr.  de  pierres 
gravees  n.  144. 

^)  Vorher  geht  urceatim  plovehat,  zu  ergänzen  ist  also  pluit:  si  quando 
unquam^  tunc  pluit.  Vgl.  Hör.  ep.  1,  17,  3  hie  est  aut  nusquam  quod  quaeriimts, 
Cic.  Lael.  2,9  aut  nemo  aut  ille  etc.,  Flor.  p.  17,  11  Jahn  tum  igilur  aut  nunquam 
alias  apparuit  vera  illa  Romana  virtus  nach  dem  Nazarianus,  was  vielleicht  dem 
sicut  nunquam  des  Bamb.  vorzuziehen  ist. 

28* 


436  Wilhelm  Heraeus, 

heben  weiss.  —  Griechisches,  mit  dem  die  Reden  der  geringen 
Leute  bei  Petron  ja  durchsetzt  sind  (in  den  Hdschr.  lateinisch  ge- 
schrieben, z.  B.  c.  48  Sibijlla  ti  felis  =  xi  OsXei?),  steckt  vielleicht 
auch  in  einer  Stelle  des  wunderbaren  Abenteuers,  das  Niceros  mit 
seinem  sich  plötzlich  in  einen  Wolf  verwandelnden  Kameraden 
gehabt  haben  will  (c.  62):  gladium  tarnen  strinxl  mafa  vita  tan 
U7nbras  cecidi,  donec  in  villam  amicae  meae  pervenirem.  Für  das 
Ueberlieferte,  das  man  doch  schwerlich  onomatopoetisch  erklären 
kann,  vermutete  Scheffer  in  tota  via  und  hat  Buechelers  Beifall 
gefunden.  Andere  haben  andere  lateinische  Worte  herauslesen 
wollen  (zuletzt  ^trelitz  rimata  via) .  Allein,  dass  so  einfache  Worte 
wie  in  tota  via  so  krass  corrumpiert  sein  sollten,  ist  weder  an  sich 
wahrscheinlich,  noch  findet  es  in  der  sonstigen  Petron-Ueberlieferung 
einen  Anhalt.  Vielleicht  verbirgt  sich  in  den  Worten  eine  Be- 
teuerungsformel wie  fxa  xav'Exaiav  (matan  icatan).  Ma  in  be- 
jahenden Sätzen  ist  zwar  erst  spätgriechisch,  dürfte  jedoch  bei  diesen 
Halbgriechen  nicht  auffallend  sein. 

Kap.  54.  Während  einer  Vorstellung  von  Gauklern  fällt  ein 
Knabe  der  Truppe  von  der  Leiter  gerade  auf  Trimalchios  Arm  herab. 
Darob  grosses  Geschrei  der  Dienerschaft,  Trimalchio  stöhnt  laut, 
Aerzte  rennen  herbei,  ebenso  seine  Gattin  Fortunata  Hände  ringend. 
Der  Knabe  geht  inzwischen  in  aller  Gemütsruhe  bei  den  Gästen 
herum,  um  Fürsprache  bittend.  Pessime  mihi  erat,  sagt  der  Er- 
zähler, ne  his precibus  periculo  a liquid  catastropha  quaereretuv. 
nee  enim  adhuc  exciderat  cocus  ille,  qui  ohlitus  fuerat  porcum  ex- 
interare.  itaque  totum  circumspicere  triclinium  coepi,  ne  per  parietem 
automatum  aliquod  exiret  etc.  Der  Sinn  ist  klar:  Encolpios  fürchtet, 
dass  das  Herabfallen  des  Knaben  eine  abgekartete  Geschichte  sei, 
die  nur  die  Einleitung  zu  einer  neuen  Ueberraschung  im  Menü 
bilden  sollte.  Aber  die  Worte  periculo  al.  cat.  sind  offenbar  ver- 
dorben und  die  Aenderung  catastrophae  (Scheffer)  genügt  nicht, 
weshalb  Buecheler  ed.  I  ausserdem  nostro  hinter  periculo  einsetzte, 
neuerdings  aber  mit  0.  Keller  per  ridiculum  aliquid  catastropha  (schon 
Heinsius  perridiculae  aliquid  catastrophae)  schreibt.  Einfacher  ist 
vielleicht  fericulo  aliquid  catastropha e.  Fenculum,  das  noch  c.  39 
(nur  hier  in  vulgärer  Rede,  und  zwar  als  Mask.),  68  und  69  für 
das  gangbare  ferculum  erscheint,  wie  pruefericulum,  ist  auch  c.  60 


Zum  Gastmahl  des  Trimalchio.  437 

von  Reiiiesius  aus  penculum  hergestellt  und  hat  sich  unter  dem 
Schutz  dieser  Corruptel  auch  sonst  erhalten:  Val.  Max.  9, 1,  1.  Sen. 
ep.  122,  3.  Plin.  n.  h.  35,  49.  Flor.  p.  102,  4  Jahn.  Fericuhim  selbst 
ist  noch  überliefert  bei  Seneca  ep.  90,  15.  95, 18.  tranqu.  an.  7,  2. 
Vit.  b.  25,  4.  Dagegen  lehrt  Eutyches  C.  Gr.  L.  V,  452,  24  fero  fer- 
culum  absque  i. 

Kap.  55  ist  in  den  bekannten  Versen   des  Publilius  Syrus  (?) 
von  der  Masse  der  Handschriften 

quo  margarita  cara  tribaca  indica? 

überliefert,  nur  die  beiden  guten  Hdschr.,  Bernensis  und  Leidensis, 
bieten  tibi  baca  t'nth'ca.  Die  älteren  Herausgeber  beruhigten  sich, 
ohne  an  dem  prosodischen  Fehler  in  tribaca  und  der  l'eberladung 
der  Rede  durch  Attribute  Anstoss  zu  nehmen,  bei  tribaca  =  quae 
tribus  bacis  seu  unionibus  constant,  unter  Hinweis  auf  Plin.  n.  h.  9,114 
hos  (uniones)  digito  suspendere  et  binos  ac  ternos  auribus  feminatmm 
gloria  est  und  andere  Stellen  gleichzeitiger  Schriftsteller.  Den 
ersteren  Anstoss  wollte  Salmasius  durch  unibacca^  ähnlich  Buecheler 
ed.  I  durch  vitribaca  heben.  Dagegen  ging  Heinsius  von  der  Lesart 
tibi  baca  ind.  aus  und  schlug  vor:  quo  margarita  cara,  tibi  bacam 
Imlicamf  Und  so  liest  jetzt  auch  Buech.,  desgl.  Ribbeck  in  den 
Komikerfragmenten  und  Friedländer,  nur  dass  diese,  wohl  um 
Gleichheit  der  Numeri  herzustellen,  margaritam  caram  (denn  das 
Neutrum  mai^garitum  ist  auch  sonst  gut  bezeugt)  schreiben.  Be- 
trachtet man  die  beiden  sich  gegenüberstehenden  Ueberlieferungen 
vom  paläographi sehen  Standpunkt,  so  kann  tribaca  aus  tibi  baca 
gerade  so  gut  als  umgekehrt  entstanden  sein.  Unter  den  Notae 
Papianae  et  Einsidlenses  C.  Gr.  L.  IV,  329,  30  findet  sich  t  =  tri  -, 
dieselbe  Note,  d.  h.  t  mit  übergeschriebenem  ?',  wird  aber  in  Handschr. 
ausser  für  tri  -  auch  für  tibi  angewendet  (vgl.  Wattenbach,  lat. 
Paläogr.  im  Kapitel  über  „übergeschriebene  Buchstaben").  Danach 
beurteile  man  Verschreibungen  wie  C.  Gl.  L.  H,  588,  23  ocrea:  muni- 
mentu7H  triarum  =  tibiarum  (f arum).  Andrerseits  sieht  die  Lesart 
tribaca  so  apart  aus,  dass  man  sie  nicht  ohne  Weiteres  preisgeben 
und  die  berechtigten  Anstösse  lieber  durch  eine  leise  Aenderung 

quo  margarita  cara,  tribacia  Indica f 


438  Wilhelm  Heraeus, 

beseitigen  möchte.  Zur  Bildung  der  Form  und  zur  Sache  ver- 
gleiche man  quadribacium  in  der  Inschrift  C.  I.  L.  II,  3386  Z.  10,  die 
Unebner,  Hermes  I,  350  besprochen  hat.  Genau  entspricht  iptxoxxta: 
temiones  C,  GL  L.  III,  203,  8  unter  der  Rubrik  'de  aureis';  vgl.  11, 
211,  9  uniones  [lap-^apTrat  [JS^aXot,  [j.ov6xoxxa.  Aehnlich  trifilum 
gemmarum  (dreifache  Schnur  von  Perlen)  xpiXivov,  xocffjio?  xi?  "/uvat- 
xeTo?  11,459,15  neben  xsxpaXtvov  p,  454, 12,  wo  das  Interpretament 
quadrißlum  fehlt,  monoUnum  Capitol.  Max.  duo  c.  27,  8  (codd.  mo- 
nolium,  corr.  Casaubonus),  bifilum  bei  Serv.  Aen.  12,  375,  was  ich 
gegen  Thilos  Aenderungsversuch  geschützt  zu  haben  glaube,  s.  Her- 
mes 34, 171. 

Kap.  58.  Hermeros  redet  sich  gegen  den  Schluss  in  immer 
grösseren  Zorn  über  Giton,  der  sich  über  ihn  lustig  gemacht  hat, 
und  giebt  dem  Agamemnon  Schuld  an  dem  schlechten  Betragen 
seines  Schülers.  'Wie  anders  war  es  in  unsrer  Jugendzeit:  dicebat 
enim  magister:  sunt  vestra  salva?  recta  domum.  cave  circumspicias. 
cave  muiorem  maledicas.  aut  numera  majpalia:  nemo  dupondii  eoadit. 
ego,  quod  me  sie  vides,  propter  artificium  meum  diis  gratias  ago\ 
Zur  Erklärung  von  mapalia  zieht  man  Fest.  p.  146,  25  herbei,  wo- 
nach 'solet  solute  viventibus  obici  id  vocabulum'  (so  vergleicht 
Buecheler  ed.  I  unser  „lüderliches  Haus",  von  Personen  gebraucht), 
ohne  jedoch  für  die  Worte  mit  numera  m.  eine  einfache,  befriedigende 
Erklärung  zu  geben,  sei  es,  dass  man  diese  Worte  nebst  den 
folgenden  bis  evadit  als  Worte  des  Hermeros  (so  Buech.-bei  Friedl.) 
oder  des  Lehrers  der  alten  Zeit  fasst,  der  den  Schülern  gute  Lehren 
auf  den  Heimweg  mitgab.  Auch  der  Versuch  Buechelers  bei  Friedl., 
die  Ueberlieferung  zu  deuten,  ist  nicht  ungezwungen  und  von 
Friedländer  mit  guten  Gründen  bekämpft.  Neuerdings  hat  nun  Birt 
im  Marburger  Lectionsverz.  1888/89  p.  XVIII  auf  Grund  von  Seneca 
apocol.  9  ego,  inquit,  p.  c,  interrogare  vobis  permiseram,  vos  mei'a 
mapalia  fecistis,  wo  mera  mapalia  im  Sinne  von  „reine  Possen"  steht, 
an  der  Petronstelle  cave  mera  mapalia  vermutet  als  AVorte  des 
Lehrers  (übrigens  schlug  schon  Jac.  Gronov  aut  tu  mera  mapalia  vor), 
und  Friedl.  billigt  wenigstens  vwa  mapalia  (über  den  Gebrauch  von 
merus  in  der  Volksspiache,  oft  bei  Plaut,  u.  Petr.,  s.  dessen  Be- 
merkung zu  c.  37),  indem  er  im  übrigen  die  ganzen  fraglichen 
AVorte  aut  nu  mera  —  ecadit  für  entstellte  Reste  eines  Satzes  hält 


Zum  Gastmahl  dos  Triinalchio.  439 

und  zwar  für  Worte  des  Hermeros.  So  weit  braucht  mau  nun 
wohl  nicht  zu  gehen,  zumal  die  Ueberlieferung  des  Petron  für  eine 
solche  Annahme  keine  weiteren  Stützen  bietet.  Mir  scheint  die 
Rede  vollständig  überliefert  und  glatt  zu  verlaufen,  wenn  man  mit 
geringfügiger  Aenderung  at  nunc  mera  7napalia,  nemo  dwpondii 
evadit  schreibt,  als  Worte  des  Hermeros.  Mit  nunc  setzt  Hermeros 
die  verdorbene  Gegenwart  der  in  der  vorhergehenden  Mahnung  des 
Lehrers  charakterisierten  guten  alten  Zeit  entgegen.  „Aber  jetzt  — 
die  reinen  Possen,  keiner  ist  einen  Dreier  wert,  der  heute  aus  der 
Schule  kommt."  Nunc  wie  c,  44  in  der  laudatio  temporis  acti  des 
Freigelassenen  Ganymedes,  illo  tempore  aurmn  pro  luto  erat,  asse 
panem  quem  emisses,  no?i  potuisses  cum  altero  devorare.  nunc  oculum 
buhlum  vidi  maiorem.  Evadere  wie  Cic.  or.  95  e  philosophorum 
scholis  tales  fere  evadunt  u.  a. 

In  der  Hede  des  Hermeros  bleibt  noch  eine  ollenkundige  Ver- 
derbnis zu  beseitigen :  7ion  didici  geometrias  cretica  et  alogias  menias^ 
sed  lapidarias  literas  scio  cet.  Cretica  ist  wohl  richtig  als  critica 
erkannt  worden,  aber  menias  scheint  jeder  Erklärung  zu  spotten. 
Die  vorgeschlagenen  Aenderungen  meras  Mentel,  neriias  Schefter, 
mentitas  Leo  (zu  Sen.  trag.  I  p.  91  n.)  genügen  nicht.  Sollte  nicht 
Men{en)ias  zu  lesen  sein  nach  Porph.  Hör.  sat.  2,  3,  287.  Menenium 
melius  furiosum  accipimtis  cel  potius  stultum,  unde  'Meneniae  stul- 
titiae  vel  ineptiae',  wo  zufällig  die  Hdschr.  auch  meniae  geben?  Ja, 
möglicherweise  schwebte  Porphyrie  eben  diese  Stelle  des  Petron  vor. 
Auf  Kenntnis  des  Petron  weist  ja  auch  die  Bemerkung  zu  carm. 
3,  2,  32  ijuod  dicitur  deos  iratos  pedes  lanatos  habere  (vgl.  Petr.  44) 
und,  wie  mir  scheint,  die  für  Tantalus  gebrauchte,  immerhin  nicht 
gewöhnliche  Wendung  non  hihit  inter  aquas  zu  sat.  1,  1,  68,  vgl. 
Petr.  82  non  bibit  inter  aquas  ....  Tantalus  und  das  dem  Petron 
zugeschriebene  Gedicht  Anth.  lat.  477,  9  Riese:  inter  aquas  urit  sitis 
arida  fauce.s. 

Kap.  68  findet  sich  in  der  Rede  des  Freigelassenen  Habinnas 
die  auffällige  Bildung  strabonus  von  einem  schielenden  Sclaven, 
w^ofür  lleinsius  strabosus  vorschlug,  was  nicht  minder  fragwürdig 
ist,  während  Buecheler  im  Index  der  neueren  Ausgaben  s.  v.  Ent- 
stellung aus  strabus  vermutet.  Näher  liegt  vielleicht  die  Vermutung, 
dass  strabonus  aus  der  volkstümlichen  und  im  Romanischen  (Archiv 


4-10  Wilhelm  Heraeiis,  Zum  Gastmahl  des  Trimalchio. 

f.  Lex.  V,  480)  in  erweiterter  Bedeutung  noch  fortlebenden  Form 
strambus,  auch  stranhus  geschrieben,  verdorben  sei.  Loewe  prodr.  31)1 
hat  diese  Form  zuerst  aus  reinhiteinischen  Glossen  nachgewiesen 
und  zugleich  die  Notiz  des  Nonius  p.  27  strahones  sunt  strambi, 
quos  nunc  dicimus  gegen  die  Aenderung  in  klassisches  strahi  ge- 
schützt. Auch  in  den  systematischen  Glossarien  des  3,  Bandes  der 
Glossen  findet  es  sich  p.  181,11  (Herm.  Monac.)  a-paßos  strambus, 
330,  19  (Herm.  Montep.)  s-paßoc:  stranhus  (sie).  Sonst  Hesse  sich 
auch  an  Entstellung  aus  strabulus  (straholus)  denken:  C.  Gl.  11, 
468,  1  UKoaipaßo?  lippus,  strabulus,  593,  44  stramhulu^ :  strantibus 
dei  mimitum,  d.  h.  wohl  strambus  diminutioum.  So  finden  sich  die 
Diminutiva  suppaetuhis,  Lippulus,  glauculus  u.  a. 


A 


a\ 


XXIV. 
Franz  Härder. 

Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Senecu. 


I 


Dass  man  bei  der  reststellung  und  Erklärung  eines  Schrift- 
stellertextes die  Gesetze  der  Sprache,  der  Logik  und  der  Thatsachen 
genau  beobachten  müsse,  scheint  eine  selbstverständliche  und  un- 
erlässliche  Forderung  zu  sein,  und  doch  hat  gerade  ihre  rücksichts- 
lose Befolgung  bei  der  Behandlung  der  antiken  Autoren  die  be- 
deutendsten Kritiker  der  vorigen  Jahrhunderte  zu  zahlreichen 
Emendationen  veranlasst,  die  jetzt  zu  einem  grossen  Teile  wieder 
ziemlich  allgemein  aufgegeben  sind.  Genauere  sprachliche  Unter- 
suchungen haben  gelehrt,  dass  selbst  die  besten  Schriftsteller  sich 
allerlei  Freiheiten  des  Ausdrucks  gestatten,  neben  die  streng  logische 
Auffassung  und  Erklärung  der  Texte  ist  die  psychologische  getreten, 
und  was  die  Sachen  angeht,  so  hat  man  mehr  und  mehr  eingesehen, 
dass  sich  die  Alten  oft  erhebliche  Irrtümer  haben  zu  schulden 
kommen  lassen,  nicht  nur  solche,  die  sich  erst  später  als  Irrtümer 
herausgestellt  haben,  sondern  auch  viele,  die  sie  ganz  gut  hätten 
vermeiden  können.  —  Dass  man  die  antiken  Schriftsteller  in  dieser 
freieren  Weise  behandeln  müsse,  wird  jetzt  wohl  allgemein  zu- 
gegeben, aber  über  das  Mass  dessen,  was  man  ihnen  an  Versehen 
des  Ausdrucks  und  der  Gedanken  zutrauen  dürfe,  gehen  die  Mei- 
nungen noch  auseinander;  man  braucht  ja  nur  an  die  Auffassung 
von  Stellen  zu  erinnern,  wie  Ovid  Met.  VIII  189  f. 

nam  ponit  in  ordine  pennas 
a  minima  coeptas,  lonc/am  hreviore  sequenti, 

oder  an  die  berühmte  vulpecula  des  Horaz  Ep.  I  7,  29  und  an  die 

nicht  minder  berühmte  Verwechslung  der  Scipionen  Carm.  IV  8,  15. 

Sehen  wir  uns  nun  nach  Hülfsmitteln    um,   die   uns  für  die 


444  Franz  Härder, 

Beurteilung  solcher  Stellen  eine  Art  von  Anhalt  bieten  können,  so 
werden  wir  nicht  verschmähen  dürfen,  das,  was  sich  von  ähnlicher 
Art  bei  modernen  Schriftstellern,  z.  B.  unseren  deutschen  Klassikern, 
findet,  zur  Vergleichung  heranzuziehen,  wie  dies  neuerdings  mehr- 
fach geschehen  ist.  Bei  einer  solchen  Betrachtung  haben  wir  den 
grossen  Vorteil,  dass  die  Überlieferung  so  gut  wie  sicher  ist,  und 
dass  wir  über  die  ganze  Art  des  Verfassers,  seine  Sorgfalt  und 
seine  Bildung  anderweitig  genügend  orientiert  sind.  Man  wird 
dabei  aber  nicht  vergessen  dürfen,  dass  die  einzelnen  Zeitalter  ihre 
besonderen  Vorzüge  und  Fehler  haben,  und  dass  man  nicht  ohne 
weiteres  alles,  was  in  dem  einen  gestattet  ist,  auf  ein  anderes 
übertragen  darf;  so  waren  die  Alten  in  der  Metrik  sicher  weit 
strenger  als  die  neueren;  ein  Werk  von  so  hohem  künstlerischen 
Range  wie  die  „Braut  von  Korinth"  hätte  sicher  kein  antiker 
Dichter  mit  dem  metrischen  Fehler  in  V.  25  ausgehen  lassen. 
Endlich  muss  man  die  Individualität  des  Schriftstellers  genau  ins 
Auge  fassen,  wie  man  z.  B.  bei  Dante  nicht  leicht  einen  Erklärungs- 
versuch unternehmen  wird,  der  auf  der  Annahme  einer  Nachlässig- 
keit des  Dichters  beruht.  Man  müsste  also  die  Eigentümlichkeiten 
der  verschiedenen  Zeitalter  und  die  der  einzelnen  Dichter  für  sich 
genau  und  bis  ins  einzelne  untersuchen,  ehe  man  sich  über  un- 
sichere Stellen  ein  bestimmtes  Urteil  erlaubt.  Für  einzelne  Autoren 
ist  in  dieser  Beziehung  schon  ausgiebig  vorgearbeitet  worden,  so 
besonders  für  Ovid,  auch  für  Iloraz,  bei  anderen  haben  sich  die 
Herausgeber  und  die  Verfasser  von  Abhandlungen  über  sie  auf 
einzelne  Bemerkungen  beschränkt.  Ich  habe  mir  nun  zur  Aufgabe 
gemacht,  die  Tragödien  des  Seneca  darauf  hin  zu  untersuchen,  ob 
und  welche  Fehler  oder  Sonderbarkeiten  in  der  Behandlung  der 
astrognostischen,  mythologischen  und  geographischen  Verhältnisse 
vorkommen,  und  möchte  im  folgenden  kurz  zusammenstellen,  was 
sich  mir  betreffs  der  beiden  ersten  Punkte  ergeben  hat.  Auf  die 
Frage  nach  dem  Verfasser  im  allgemeinen  und  dem  des  Hercules 
Oetaeus  im  besonderen  gehe  ich  nicht  ein,  da  vollständig  durch- 
geführte Untersuchungen,  wie  ich  sie  hier  für  einige  wenige  Gebiete 
vornehme,  eher  eine  Grundlage  für  die  Behandlung  jener  Frage 
bilden,  als  dass  sie  von  einer  Beantwortung  derselben  auszugehen 
hätten.     Wer  von   der  Unechtheit  des  Hercules  Oetaeus  ganz  fest 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  445 

Überzeugt  ist,   ^Yi^d  ja  leicht  aus  den  fulgendeii  Ausführungen   die 
dieser  Tragödie  entnommenen  Stellen  ausscheiden  können. 


I. 

In  der  Astrognosie  ist  der  Dichter  wohlbewandert;  er  gebraucht 
die  Sternbilder  oft  und  meist  sehr  geschickt  zum  Schmucke  seiner 
Verse,  wobei  es  nicht  an  geradezu  grossartigen  Vorstellungen  fehlt; 
so  lässt  er  Hercules  in  seinem  Wahnsinne  sehen,  wie  sich  der 
liüwe,  alle  dazwischenliegenden  kleineren  Zeichen  des  Tierkreises 
überspringend,  auf  den  gewaltigen  Stier,  den  einzigen  ebenbürtigen 
Gegner,  stürzt  (II  f.  949  ß".),  und  Medea  (693  11'.)  genügt  es  nicht, 
die  Schlangen  der  Erde  für  ihr  Rachewerk  zu  verwenden,  sondern 
sie  ruft  auch  die  des  Himmels  herab,  den  Drachen  (anguis  694  ff.) 
und  die  Schlange  des  Ophiuchus  (698);  die  daran  sich  anschliessende 
Erwähnung  des  Python  (700)  und  die  des  kolchischen  ])rachen 
(70)^  f.)  sind  aber  nicht  mehr  astrognostischer,  sondern  mythologischer 
Natur,  und  so  wird  bei  der  dazwischenstehenden  Hydra  (701)  nicht 
an  die  Wasserschlange  am  Himmel,  sondern  an  das  Ungeheuer  der 
Sage  als  solches  zu  denken  sein.  Die  Vorstellung,  dass  solche 
Schreckgestalten  in  der  Unterwelt  noch  fortdauern  und  gelegent- 
lich wieder  an  das  Tageslicht  kommen  können,  ist  ja  nicht  un- 
erhört: 

Oed.  609      priinus  emergit  solo, 

dextra  ferocem  cornihus  taui'um  prcmens 

Zetlms. 
II  ().  1927    anguesqiie  suos  hijdra  sub  undas 

territa  mersit. 
Stat.  Theb.  TV  375  .  .  .  iterumque  lorutam 

Sphinga  peti'is. 

Und    bei  Statins   steigen  auch  Theb.  IV  440    nachts    die  S[)arten 
aus  der  Erde  empor  „cana  in  proelia". 

Einmal  findet  sich  der  Tierkreis  vollständig  und  in  richtiger 
Reihenfolge,  was  sich  bei  den  römischen  Dichtern  durchaus  nicht 
von  selbst  versteht:  Thyest.  850  ff.;  die  Ilyaden  sind  852  f.  nur 
als  Bestandteile   des  Stieres  erwähnt.     Eigentümlich  ist  hier  aller- 


446  Franz  Härder, 

dings  die  Angabe,  dass  die  liyaden  in  den  Hörnern  des  Stieres 
stehen  sollen,  während  sie  gewöhnlich  im  Kopfe  selbst  gedacht  sind 
(sTTt  Tou  ßouxpavou:  Geminus);  aber  auch  für  jene  Vorstellung  hat 
der  Dichter  unmittelbare  Vorgänger  gehabt,  u.  a.  Ovid  Fast.  VI  197 
Hyadas,  TauHnae  cornua  frontü;  s.  Ideler,  Sternnaraen  S.  140. 
Die  Hyaden  stehen  eben  da,  ^e.v  quibus  locis  coimua  nascuntar  , 
wie  Hygin  Astron.  III  20  sagt;  s.  auch  die  auf  das  Altertum  zurück- 
gehende Abbildung  zu  German.  173  f. 

Eine  etwas  eingehendere  Betrachtung  dürften  folgende  Stellen 
erfordern. 

H  f .  12:  ferro  minax  hinc  terret  Orion  deos. 
Juno  beklagt  sich,  dass  der  ganze  Himmel  erfüllt  sei  mit  Ge- 
stirnen, die  den  Ruhm  der  paelices  des  Juppiter  verkünden:  die 
Bärin,  der  Stier,  die  Plejaden,  Orion,  Perseus,  die  Zwillinge  und 
die  Krone  der  Ariadne.  Hier  ist  die  Erwähnung  des  Orion  von 
Leo  I  18,  3  beanstandet  worden,  „in  quo  de  paelice  certe  querendi 
locus  non  erat"",  aber  Orion  stellt  doch  ebenso  gut  wie  die  anderen 
hier  angeführten  Sternbilder  in  Beziehung  zu  den  paelices.  Dass 
er  am  Himmel  erscheint,  ist  entweder  die  Folge  seines  Todes,  den 
Artemis  herbeiführte,  seine  Erwähnung  also  dann  eine  Hindeutung 
auf  die  Macht  dieser  Göttin,  der  Tochter  einer  „paelex",  oder  es 
Avird  aus  seiner  Verfolgung  der  Plejaden  erklärt,  zu  denen  Maia 
gehört,  und  die  ihretwegen  gerade  v.  11  erwähnt  sind.  Eher  könnte 
man  daran  Anstoss  nehmen,  dass  so  entweder  Artemis  (hier  und 
V.  15)  oder  Maia  (hier  und  v.  11)  zweimal  vorkommen.  Solche 
Wiederholungen  aber  sind  in  der  römischen  Poesie  überhaupt,  in 
diesen  Tragödien  besonders  so  häufig,  dass  man  sie  geradezu  als 
eine  Eigentümlichkeit  ilires  Stiles  bezeichnen  kann,  die,  soviel  man 
sich  auch  bemüht  hat,  sie  durch  Annahme  von  Interpolationen  zu 
beseitigen  (so  vor  allem  Goebel)  oder  auf  Missverständnisse  des 
Dichters  zurückzuführen,  doch  so  deutlich  hervortritt,  dass  man  sie 
eben  wird  hinnehmen  müssen. 

Med.  314  f.  lauten  in  E 

Tiec  quae  sequitur  ßectitque  sene,v 
Attica  tardus  plaustra  Bootes, 

während   in  A  Arctica  steht.     Auch  dies  giebt  einen  guten  Sinn, 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  447 

aber  unser  Dichter  gebraucht  statt  dieser  Form  stets  Arctous,  wie 
überhaupt  Arcticus  nur  sehr  selten  vorkommt.  Attica  aber  heissen 
die  plaustra,  weil  ihrem  Führer  Bootes,  dem  Attiker  Ikarius,  dieses 
Wort  zukommt  (s.  Val.  Flaccus  II  68  Aetaeus  Bootes),  wie  ja  auch 
bei  Properz  II  33,  24  Icarü  loves  gesagt  ist.  Eine  solche  Ver- 
schiebung des  Beiwortes  ist  nicht  auffälliger,  als  die  umgekehrte, 
wo  die  eigentlich  dem  Wagen  zukommenden  Bezeichnungen  auf 
den  Bootes  übertragen  werden,  z.  B.  frigore  Arctoo  rigens  Octavia 
234;  Hyperhorei  Bootae  Mart.  IV  3,  5;  Arctoi  Bootis  Avien.  descr. 
orb.  terr.  697;  gelidi  Bootis  ib.  1213. 

Thyest.  867  ft".  steht  nach  vollständiger  Aufzählung  der  Tier- 
kreisbilder 

867.  monstraque  nunquam  perfusa  mai  i 

868.  merget  condens  omnia  gurges; 

869.  et  qui  medias  dividit   Ursas, 

870.  fluminis  instar  lubricus  Anguis 

871.  magnoque  minor  iuncta  Draconi 

872.  frigida  duro  Cynosura  gelu, 

873.  ciistosqne  sui  tardus  planst ri 

874.  iam  non  stahiUs  ruet  Ardophylaw. 

Hier  hat  schon  Bentley  (s.  Hedicke,  Seneca  Bentleianus,  Progr. 
Freienwalde,  1899.  S.  14)  in  v.  867  astraque  oder  plaustraque  ändern 
wollen,  und  Leo,  der  davon  nichts  wissen  konnte,  hat  plostraque 
in  den  Text  gesetzt  und  dies  schon  I  221  zu  begründen  versucht. 
Aber  diese  Gründe  sind  nicht  zureichend.  Er  sagt,  dass  hier  sonst 
alle  Sternbilder  mit  deutlichem  Namen  genannt  seien,  während 
mo7istra  nur  eine  ganz  allgemeine  Bezeichnung  sei;  aber  erstens 
ist  für  jeden,  der  mit  der  antiken  astrognostischen  Terminologie 
vertraut  ist,  also  auch  für  das  römische  Publikum  des  Dichters, 
diese  deutliche  Bezeichnung  durch  den  Zusatz  nuniqiiam  perfusa 
mari  gegeben,  denn  die  übrigen  Circumpolarsterne,  wie  Drache, 
Cepheus,  werden  nur  ganz  selten  (z.  B.  Val.  Flaccus  II  64 f.)  so 
l>ezeichnet,  vielmehr  versteht  man  unter  den  'nicht  untergehenden 
Gestirnen'  fast  immer  nur  die  Bären,  eine  Ungenauigkeit,  die  be- 
kanntlich schon  auf  Homer  zurückgeht.  Od.  V  275;  ferner  aber  ist 
zu  beachten,  dass  vorher  alle  Bilder,   bei  denen  es  nur  irgend  an- 


448  Franz  Härder, 

geht,  als  lebende  Wesen  dargestellt  sind,  die,  in  den  Abgrund 
stürzend,  alles  mit  sich  reissen;  daran  schliesst  sich  monstra  weit 
besser  an  als  plaustra.  Dass  aber  Seneca,  wenn  inonstra  vorher- 
gegangen wäre,  869  nicht  ürsas,  sondern  illa  hätte  sagen  müssen, 
wird  dadurch  widerlegt,  dass  er  hinter  Amjuis  870  sogleich  im 
nächsten  Verse  Draconi  sagt,  obschon  Anguis  und  Draco  hier  auch  nur 
verschiedene  Benennungen  desselben  Bildes  (des  Drachen)  sind, 
ferner  869  Vrsas  und  dann  mit  neuer  Bezeichnung  der  einen  Ursa 
872  Cynosura;  vgl.  z.  B.  auch  Claudian  XXII  4581". 

Qion  inter  geminos  anguis  glaciale  Triones 
sibilet,  immodico  nee  frigore  saeviat   Ursa. 

Dazu  kommt,  dass  die  Bären  an  der  ganz  ähnlichen  Stelle, 
wo  sie  auch  mit  dem  Drachen  zusammengestellt  sind,  der  mit 
einem  Strome  verglichen  wird,  als  ferae  bezeichnet  werden.  Med. 
694  ft'. 

huc  nie  vasti  more  torrentis  iacens 

descendat  anguis,  cuius  iininensos  dune, 

maior  minor que,  sentiunt  nodos  ferae, 

als  arcfi  aber,  also  auch  als  Tiere,  Verg.  Georg.  I  244 f. 

maanimus  hie  ßexu  sinuoso  elahitur  anguis 
circum  perque  duas  in  morem  ßuminis  arefos  .... 

Auch  in  der  Behandlung  von  II  f.  129 ff.  kann  ich  Leo,  der 
V.  ISO  streicht,  nicht  beistimmen.     Die  Stelle  lautet 

129  Signum  celsi  glaciale  poli 

130  Septem  stellis  Arcados  ursae 

131  luxem  versa  temone  vocat. 

Da  Leo  an  der  Zusammenstellung  von  ursa  und  tenio,  wie 
seine  eigenen  Ausführungen  zu  der  Stelle  Thyest.  8(j7ff.  zeigen 
(I  221),  schwerlich  Anstoss  genommen  hat,  so  hat  ihn  wohl  der 
allerdings  etwas  schwerfällige  Satzbau  zu  der  Streichung  veranlasst. 
Betrachten  wir  indessen  Stellen  wie  Ovid  Met.  X  446 f. 

interque  triones 
ße.rerat  obliquo  plausttmm  temone  Bootes, 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  449 

Ovid  Trist.  V  3,  7 

quem  nunc  suppositum  stellis  Cynosuridos   TJrsae, 
Ovid  Trist.  I  4,  1 

tinguitur  Oceano  cusfos  Erymantliidos   Ursae, 
Lucan  IV  523 

flexoque   Ursae  temone 
und  Accius  566: 

sub  axe  posita  ad  Stellas  Septem, 

so  halte  ich  es  für  möglich,  dass  Seneca  in  seinem  Streben  nach 
Fülle  des  Ausdrucks  diese  einzelnen  Vorstellungsarten  vereinigt 
und  die  Verse  so  geschrieben  hat,  wie  sie  überliefert  sind.  Wie 
schwerfällig  die  Ausdrucksweise  bei  Seneca  geraten  kann,  wenn  er 
gar  zu  viel  von  den  Gedanken  seiner  Vorgänger  vereinigen  w411, 
zeigt  u.  a.  Leo  selbst  I  114  für  Oed.  709  ff.  Wie  man  aber  darüber 
auch  urteilen  möge,  ein  astrognostisches  Versehen  liegt  jedenfalls 
hier  nicht  vor. 

Sehr  beachtenswert  ist  Ag.  66 ff. 

66  7ion  Euxini  turget  ab  imis 

67  commota  vadis  unda  nivali 

68  vicina  polo, 

69  uhi  caeruleis  immunis  aquis 

70  lucida  versat  plaustra  Bootes. 

Hier  ist  der  Bootes  als  Circumpolargestirn  bezeichnet,  wofür 
sich  schwerlich  noch  ein  Beispiel  beibringen  lässt,  auch  nicht  etwa 
Thyest.  874,  während  an  sehr  vielen  Stellen  von  Homer  Od.  V  272 
an  auf  den  (langsamen)  Untergang  hingewiesen  wird.  Es  liegt  also 
nahe,  den  Begriff"  des  immunis  auf  die  Bären  zu  beziehen  und 
immunia  zu  schreiben,  wie  z.  B.  Ovid  Fast.  IV  575  den  grossen 
Bären  bezeichnet  als  signa  immunia  ponti  und  Met.  XIII  293  als 
immunis  aequoris.  Aber  ich  möchte  doch  glauben,  dass  Seneca 
hier  gerade  eine  besondere  Feinheit  angebracht  hat,  indem  er  eine 
so  hoch  im  Norden  gelegene  Gegend  bezeichnen  wollte,  dass  dort 
sogar  der  sonst  stets  untergehende  Bootes  nie  untergeht.  Das  würde 
allerdings  auch  zu  Senecas  Zeiten  erst  nördlich  vom  Polarkreise 
eingetreten  sein,  indessen  wird  man  dies  dem  Dichter  nicht  zu  ge- 
nau nachrechnen  dürfen,   ebensowenig   wie   die  Lage   des  Euxinus, 

Festschrift   Vahlcii.  29 


450  Franz  Härder, 

der  überhaupt  von  den  wenigen  römischen  Dichtern,  die  sich  dieser 
Form  bedienen,  in  den  höchsten  Norden  verlegt  wird.  Seueca  hat 
den  Namen  nm*  hier,  bei  Catull,  Vergil,  Horaz,  Properz,  Tibull,  in 
den  Priapea,  bei  Silius  und  Claudianus  kommt  er  überhaupt  nicht 
vor,  bei  Ovid  nur  in  den  Gedichten,  die  er  in  Tomi  geschrieben 
hat,  hier  aber  sehr  häufig,  ganz  vereinzelt  bei  Lucan  (IX  9()0), 
Manilius  (IV  755  f.)  und  Ausonius  (Epigr.  IV  5.  S.  396  Seh.). 

Mit  unserer  Stelle  Hessen  sich  solche  vergleichen,  wo  bei 
Schilderung  von  Ereignissen,  durch  welche  die  Ordnung  der 
Natur  gestört  wird,  die  Bären  in  das  Meer  tauchen  oder  tauchen 
wollen  und  der  sonst  langsame  Bootes  eine  schnelle  Bewegung 
annimmt,  z.  B.  Thyest.  867—874,  Med.  758,  Ovid  Met.  II  171.  176, 
Claudian  XXXV  188  if.,  besonders  aber  Lucan  III  249  ff.,  der,  wie 
Seueca  hier "  den  höchsten  Norden,  so  dort  den  tiefen  Süden  zu 
schildern,  die  Bären  zum  Teil  untergehen  und  den  Bootes  schnell 
sein  lässt: 

Orestas 
Carmanosque  duces  (quorum  iam  ßeorus  in  austrum 
aether  non  totavi  mergi  tarnen  aspicit  Arcton 
lucet  et  exigua  velox  ibi  nocte  Bootes). 

AVir  haben  aber  noch  einige  Stellen  allgemeiner  Art  zu  er- 
wähnen; H  0.  1362  findet  sich  die  Ansicht,  dass  es  am  Aequator 
immer  Tag  sei,  wie  sonst  nur  bei  Ausonius,  Technop.  (XXVI 1)  6, 
10 ff.:  ein  vielleicht  auf  Missverständnis  von  Stellen  wie  \'ergil 
Georg.  I  233  ff.  beruhender  Irrtum,  den  man  dem  sachkundigen 
Verfasser  der  Quaest.  nat.  nicht  zutrauen  möchte. 

Ebenda  861  und  H  f.  133  begegnen  wir  dem  wunderbaren  Aus- 
drucke, dass  der  Tag  am  Oeta  aufgehe,  obschon  an  diesen  Stellen  das 
Gebirge  in  VV.  bezw.  NW.  des  Sprechers  liegt:  bekanntlich  ein 
locus  communis  der  alten  Dichter,  wie  ja  auch  der  Abendstern 
(und  Morgenstern)  in  Verbindung  zum  Oeta  gesetzt  wurde  (s.  z.  B. 
Vergil  Ecl.  VIII  30  und  Vollmer  zu  Statins  Silv.  V  4,  7).  Die 
Vorstellung  scheint  uralt  zu  sein  und  in  eine  Zeit  hinaufzureichen, 
als  der  Oeta  der  Götterberg  war:  s.  von  Wilamowitz,  Herakles  1 
321,  103.  Wir  betreten  also  hiermit  bereits  das  Gebiet  der 
Mythologie. 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  451 

IL 

Nicht  ganz  so  günstig  wie  über  des  Dichters  Behandlung  der 
astrognostischen  Dinge  werden  wir  über  die  der  mythologischen 
urteilen  können.  Jedenfalls  hat  er  (s.  Leo  I  24,  Braun,  Rh.  Mus. 
32,  80)  Med.  652  ff.  die  Todesart  des  Idnion,  der  nach  aller 
sonstigen  Sage  bei  den  Mariandynern  umkam,  mit  der  des  Argo- 
nauten Mopsus,  der  in  Libyen  an  einem  Schlangenbisse  starb,  und 
ferner  den  Argonauten  Mopsus,  der  aus  Oichalia  oder  Titaron 
stammte,  mit  dem  Seher  aus  Theben  verwechselt,  und  H  0.  1473 
(s.  Leo  I  55)  wird  man  annehmen  müssen,  dass  die  Orakel  von 
Dodona  und  Del[)hi  miteinander  verschmolzen  sind.  —  Ferner  ist  es 
höchst  auffallend,  dass  Troad.  GO  unter  den  zu  verlosenden  gefangenen 
Frauen  auch  die  des  Antenor  genannt  wird,  da  doch  gerade  der 
glückliche  Abzug  dieses  Helden  mit  seiner  Familie  sonst  besonders 
hervorgehoben  wird;  hatte  doch  sogar  Polygnot  in  der  Lösche  zu 
J)elphi  das  Haus  des  Antenor  mit  den  Zeichen,  die  ihm  vor  den 
Griechen  Schutz  sicherten,  und  die  Frau  und  Kinder  dargestellt 
(Pausan.  X  27,  2).  —  Einen  archäologischen  Irrtum  begeht  Seneca, 
wenn  er  dem  Gotte  der  Unterwelt  einen  Dreizack  beilegt  (H  f. 
560  IL),  denn  dieser  Gott  führt  nur  den  Zweizack,  ot'xsXXot,  bidens, 
wie  z.  B.  auf  der  Statue  des  IMuseo  Pio-Clementino  bei  Reinach- 
(larac  440,  1850.  Wieseler  vermag  in  seiner  Abhandlung  De  diis 
Graecis  Romanisque  tridentem  gerentibus  (Gott.  1872)  S.  7  f.  nur 
unsere  Stelle  dafür  beizubringen,  dass  auch  Pluto  den  Dreizack 
führe,  und  es  wird  Welcker,  Griech.  Götterlehre  I  631,  recht  haben, 
wenn  er  meint,  Seneca  irre  sich. 

Hin  und  wieder  finden  sich  auch  mythologische  Anachronismen^ 
doch  nur  solche  von  geringerer  Bedeutung;  erwähnenswert  erscheint, 
dass  es  Med.  657  von  Peleus  heisst  exul  erravit  Thetidis  maritus, 
während  doch  die  Flucht  der  Argonautenfahrt  vorausgeht,  also 
keine  Strafe  dafür  sein  kann.  Gruters  errabit  verbessert  die  Sache 
nicht,  aber  den  Vers  mit  Leo  zu  streichen  liegt  kein  Grund  vor. 

Einige  Versehen  oder  Ungenauigkeiten,  welche  zugleich  die 
mythologischen  und  die  geographischen  Anschauungen  des  Dichters 
betreffen,  werden  besser  einmal  im  Zusammenhange  mit  den  übrigen 
geographischen  Dingen  behandelt:  so  die  Versetzung  der  Centauren 
auf  den  Athos  (H  0.  1048  f.),    die    Bezeichnung    des    Rhesus    als 

29* 


452  Franz  Härder, 

Anwohner  des  Tanais  (Troad.  8  f.),  die  Vermischung  von  Daulis 
und  Thracien  (H  0.  192  f.),  die  Verlegung  von  Methone  an  den 
Oeta  (Troad.  822  f.),  die  Verwechslung  des  euböischen  und  des 
thessalischen  Oechalia  im  HO.  (s.  z.  B.  125,  134,  168,  195)  und 
die  mir  ziemlich  wahrscheinliche  Verwechslung  des  opo;  XaXxouSoviov, 
an  dessen  Fusse  Pherae  lag,  die  Königsburg  des  Admetus,  mit 
Chalcedon  (Calchedon)  am  Bosporus  (Ag.  566;  vergl.  Culex  2()4, 
wo  Dorville  aus  dem  unsinnigen  chalcedoniis  u.  s.  \v.  nach 
Apollonius  Rhodius  I  49 f.  Chalcodoniü  hergestellt  hat:  s.  Haupt 
Opusc.  m  65). 

Damit  ist  aber  auch  die  Liste  der  ziemlich  sicheren  Versehen 
des  Dichters  wohl  erschöpft,  denn  dass  er  Med.  643  den  samischen 
mit  dem  arkadischen  Ancaeus  verwechselt  habe,  wie  Braun  Kh. 
Mus.  32,  79  behauptet,  ist  nicht  zutreffend;  auch  der  arkadis(;he 
wird  ja  ausdrücklich  unter  den  Argonauten  genannt,  z.  B.  Apoll. 
Rhod.  I.  164,  398.  Ich  gehe  nun  dazu  über,  einige  Stellen  auf- 
zuzählen, die  zwar  auffallend  erscheinen  können,  aber  einen  Tadel 
gegen  den  Dichter  nicht  als  begründet  erscheinen  lassen.  Wenn 
z.  B.  Telephus  Troad.  182  als  Thracier  bezeichnet  wird,  während 
er  sonst  und  auch  Troad.  215  Mysier  ist,  so  ist  das  nicht  anders 
zu  beurteilen,  als  H  f.  1165  Pelopis  Dardanii  oder  die  Bezeichnung 
der  Phoenizier  (des  Cadmus,  der  Europa)  als  Assyrier,  Phoen.  125, 
H  0.  553,  Phaedr.  87  und  wohl  auch  393;  es  ist  dabei  zu  bedenken, 
dass  nicht  nur  die  Wohnsitze  der  Mysier  bis  zu  den  Bithyniern 
heranreichten,  die  ja  oft  als  Thracier  bezeichnet  werden,  sondern 
dass  den  Mysiern  selbst  thrakische  Herkunft  nachgesagt  wurde; 
s.  Pauly- Wisse wa  s.  v.  Bithynia  510  f. 

Eine  leicht  verständliche  und  poetisch  wirksame  Uebertreibung 
ist  es,  wenn  Troad.  126  ff.  gesagt  wird 

summusque  dies 

Hectoris  idem  patriaeque  fuit; 

sie  findet  sich  bekanntlich  bereits  bei  Horaz  C.  II  4,  9  IT.  und  ist 
dort  vielfach  missverstanden  worden;  die  richtige  Deutung  gab  nach 
Mitscherlichs  Vorgang  Kiessling.  Schon  in  Euripides'  Hecabe  21 
zeigt  die  Wortstellung  den  gleichen  Gedanken,  ebenso  der  Vers 
des    Archias     'Exxopi    usv    Tpor/j    aw^xd-cbcnvzv ,    und     von     Stellen 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  453 

römischer  Dichter  sind  zu  vergleichen  Ilias  lat.  1019  f.  mit  otnnis 
in  urio  Ilectore  causa  Phrygum,  1056  (über  Hektors  Scheiterhaufen) : 
ardebat  flavima  namque  Ilion  illa,  und  die  Gedichte  auf  das 
Grabmal  Hektors  von  Ausonius  Epit.  (XVII)  15  S.  75  Seh.  und 
Pompilianus  (Baehr.  P.  L.  M.  IV  149,  147). 

Eine  Uebertreibung  anderer  Art  finden  wir  Ag.  162  f.  Hier 
sagt  Klytaemnestra 

pudet  doletque  —  Tyndaris,  caeli  genus, 
lustrale  classi  Doricae  pepen  caput. 

Es  scheint  fast,  als  solle  diese  anmassende  Benennung  zur 
Charakteristik  der  Königin  beitragen,  denn  die  anderen  nennen  sie 
nur  nach  der  Mutter  Ledae  genus  (125)  und  Leda  sata  (234);  die 
Anrede  'pater  im  Gebet  an  Juppiter  (581)  ist  natürlich  nicht 
anfechtbar. 

Vergleichen  lässt  sich  die  uns  seltsam  anmutentle  Art,  wie  im 
II  f.  Amphitruo,  der  doch  selbst  den  grössten  Wert  auf  die  göttliche 
Abstammung  des  Hercules  legt  (bes.  437  ff.),  ihn  immer  als  natus 
bezeichnet  (z.  B.  622,  760),  wie  auch  Hercules  ihn  genitor 
nennt  626. 

Für  die  grosse  Verwirrung,  die  in  diesen  Tragödien  bei  der 
Verwendung  der  Unterweltströme  herrscht  (s.  Oed.  160  ft".,  H  f. 
711  ff.,  Ag.  750  ff'.),  kann  man  den  Dichter  nicht  verantwortlich 
machen,  auch  nicht  dafür,  dass  er  die  Lethe,  die  nie  so  recht 
volkstümlich  geworden  zu  sein  scheint,  mit  den  schlimmen  Strömen 
zusammenstellt  (M  f.  680,  777;  Phaedr.  147  f.;  1202;  HO.  1162; 
1207  f.;  1550;  1985  vergl.  1983;  Oed.  560?);  darin  folgt  er  nur 
der  allgemeinen  Anschauung;  es  genügt,  auf  Stellen  wie  Tibull  I  3, 
79  f.,  HI  3,  10,  HI  5,  23  f.  und  Lucau  V  221  hinzuweisen.  So 
wird  man  auch  aus  der  Ausdrucksweise  H  f.  868  ff",  dem  Dichter 
keinen  Vorwurf  machen, 

omnis  haec  magnis  vaga  turba  terris 
ihit  ad  manes  facietque  inerti 
vela  Cocyto, 

s.  Vergil  Aen.  VI  302. 

Den  älteren  Dichtern  bereits  geläufig  ist  auch  die  An- 
führung der  Hekatoncheiren  Briareus  und  Gyas  (Gyges)  unter  den 


454  Franz  Härder, 

Feinden  der  Götter,  seien  sie  nun  als  Titanen  oder  als  Giganten 
gedacht  (II  0.  IGT  f.,  1139);  s.  M.  Mayer,  Die  Giganten  nnd 
Titanen  S.  159. 

Tn  der  Aufzeichnung  der  Herculesthaten,  zu  der  sich  dem 
Dichter  öfters  Gelegenheit  bot,  hat  er  sich  manche  Freiheit 
genommen,  die  aber  nicht  über  das  Mass  dessen  hinausgeht,  was 
sich  andere  bei  der  gleichen  Gelegenheit  erlauben  (z.  1^.  Lucr.  \ 
24  ff.,  Martial  IX  101,  1  ff.).  II  f.  527  ff.  ist  überhaupt  nur  eine 
Auswahl  gegeben,  Ag.  829  ff.  fehlt  in  dem  sonst  vollständigen 
Verzeichnisse  der  Ilauptthaten,  deren  Zwölfzahl  übrigens  11  f.  1282 
ausdrücklich  hervorgehoben  ist,  die  Geschichte  von  Augias,  II  0. 
15  ff.  fehlt  dieselbe  und  die  Erwähnung  des  Ebers,  dafür  ist  die 
Bezwingung  des  Antaeus  und  Busiris  eingereiht,  uiid  II  f.  220  ff. 
sind  zu  den  übrigen  Thaten  noch  die  Bezwingung  der  Schlangen 
durch  den  Knaben  und  die  Setzung  der  Säulen  hinzugefügt. 
Auffallender  ist,  dass  innerhalb  desselben  Stückes  II  f.  222  von 
den  eigentlichen  Thaten  zuerst  die  Erlegung  der  Hirschkuh  genannt 
ist,  944  f.  aber  die  Besiegung  des  nemeischen  Löwen  ausdrücklich 
als  primus  lahor  bezeichnet  wird,  ferner,  dass  487  der  Kampf  mit 
Geryones  unter  den  Parerga,  232  mitten  zwischen  den  Ilaupt- 
thaten erscheint. 

Besondere  Schwierigkeiten  hat  den  Auslegern  die  Erwähnung 
des  Eurytus  im  H  f.  477  und  der  sich  anschliessende  Vers  bereitet: 
hoc  Euryti  fatetur  eoersi  doimis 
pecorumque  ritu  virginum  oppressi  gt'eges. 
(euriti  E).  Erstens  sei  hier  die  Bezwingung  des  Eurytus,  also  die 
Eroberung  Oechalias,  sonst  die  letzte  That  des  Helden,  zu  früh 
angesetzt,  und  zweitens  stehe  der  Inhalt  des  folgenden  Verses,  die 
Vergewaltigung  der  (fünfzig)  Töchter  des  Thespius  (oder  Thestius) 
durch  Hercules  damit  in  keiner  Verbindung.  Allein  das  erste  Be- 
denken erledigt  sich  durch  den  Hinweis  darauf,  dass  auch  Euripides 
im  Herakles  473  jene  That  vor  den  Wahnsinnsausl)riich  setzt,  und 
dem  andern  ist  entgegenzuhalten,  dass  es  sich  im  \.  478  sehr 
wohl  um  einen  zweiten  Vorgang  handeln  kann,  der  mit  dem  in 
V.  477  in  keiner  Verbindung  zu  stehen  braucht;  der  Wortlaut 
lässt  das  sehr  wohl  zu,  denn  fatetur  477  und  hoc  479  beweist 
nichts  dagegen,  und  haec  opera  480  spricht  sogar  dafür.     Es  liegt 


Bemerkuiif^en  zu  den  Tnigödien  des  Seneca.  455 

also  kein  Grund  vor,  den  Eurytus  an  sich  zu  beseitigen,  ebenso- 
wenig, dafür  einen  auf  478  bezüglichen  Namen  einzusetzen,  wie 
in  unser  Ueberlieferung  schon,  offenbar  im  Hinblick  auf  Ovid  Her. 

IX  51,  geschehen  ist:  hoc  teutantis  c,  woraus  ])elrio  herstellte 
Teuthrantis  hoc.  Wollte  man  durchaus  beide  Verse  in  Verbindung 
setzen,  so  lag  es  näher,  auf  Grund  der  von  Diodor  IV  29  und 
Tansanias  IX  26,  4  erwähnten  Sagenform,  der  Vater  des  Thespius 
sei  (statt  Teuthras)  Erechtheus  gewesen,  zu  versuchen,  diese 
Namensform  in  den  Text  zu  bringen.  Allein  mir  erscheint,  wie  gesagt, 
die  Annahme,  dass  die  beiden  Verse  sich  auf  ganz  verschiedene 
Ereignisse  beziehen,  viel  wahrscheinlicher.  Wer  den  Einwand 
erhebt,  dass  Seneca  dann  in  478  die  Thespiaden  deutlich  hätte 
nennen  müssen,  wie  II  0.  369  geschieht,  der  möge  bedenken,  dass 
diese  eigentümliche  Sage  auch  den  Römern  sehr  geläufig  war, 
schon  darum,  weil  daran  die  Gründungssage  von  Croton  (Silius 
XI  18  f.)  und  die  Besiedelungsgeschichte  von  Sardinien  anknüpfte 
(Silius  XII  364;  s.  Apollodor  II  7,  6,  2;    Diodor  IV  29;    Pausanias 

X  17).  Das  zeigt  auch  Statins  Silv.  III  1,  42  f.  und  der  Spott 
des  Arnobius  IV  26,  und  wenn  es  richtig  sein  sollte,  dass  die  von 
riinius  n.  h.  XXXVI  33  erwähnte  Gruppe  der  Thespiaden  des 
Cleomenes,  die  sich  unter  den  von  Asinius  Pollio  der  allgemeinen 
Besichtigung  zugänglich  gemachten  Werken  befand,  diese  Sagen- 
gestalten darstellte  (s.  Preller,  Gr.  M.  IP  180, '2),  so  würde  man 
annehmen  können,  dass  Seneca  schon  deswegen  die  Namen  nicht 
zu  nennen  brauchte,  weil  er  bei  seinem  Publikum  Bekanntschaft 
mit  dieser  Gruppe  voraussetzen  konnte:  aber  bekanntlich  verstehen 
andere  auch  unter  diesen  Thespiaden  die  Musen  (s.  Collignon  II, 
692),  und  so  ist  dieses  Argument  nur  von  zweifelhaftem  Werte. 

1229  huc  ensem  date 

1230  date  huc  sagittas,  stipifem  huc  vastum  date 

1231  tibi  tela  frangam  nostra,  tibi  nostros,  puer, 

1232  rumpemus  arcus;  at  tuis  stipes  gravis 

1233  ardehit  umbris;  ipsa  Lernaeis  frequens 

1234  pharetra  teils  in  tuos  ibit  rogos: 

1235  dent  arma  poenas.    vos  quoque  infaustas  meis 

1236  cremabo  teils,  o  novercales  manus. 
(1230  ist  in  E  ausgelassen,  aber  unentbehrlich.) 


456  Franz  Härder, 

liier  hat  1229  Bentley  a.  a.  0.  S.  12  niul  dann  unaMiänj^ig 
von  ihm  Withof  Praem.  121  für  ensem  hergestellt  avcum^  und  Jieo 
hat  dies  in  den  Text  gesetzt.  Ich  glaube,  dass  ensem  nicht  so  ganz 
undenkbar  ist.  Hercules  hat  989  ff.  einen  Knaben  mit  einem  Pfeile 
getötet,  1002  ff.  einen  dadurch,  dass  er  ihn  an  die  Wand 
schleuderte;  1020  ff.  hat  er  einen  Knaben  so  bedroht,  dass  dieser 
schon  vor  Angst  starb,  und  Megara  ruft  dabei  quo  tendis,  amens? 
sanguinem  fundes  tuuinf  1024  ff",  wird  sie  selbst  mit  der  Keule 
erschlagen.  Nimmt  man  nun  an,  er  habe  den  dritten  Knaben  mit 
dem  Schwerte  bedroht  —  denn  quo  tendis  braucht  sich  nicht  auf 
das  Spannen  des  Bogens  zu  beziehen,  sondern  kann  im  allgemeinen 
Sinne  stehen,  wie  z.  B.  bei  IToraz  Sat.  I  9,  63  — ,  so  würde  er 
für  diesen  das  Schwert  (tela  1231)  zerbrechen,  für  den  6rsten  den 
Bogen  zerbrechen  und  Köcher  und  Pfeile  verbrennen  wollen 
(1231  f.  und  1234),  für  Megara  die  Keule  (1232),  und  bei  maiius, 
das  an  sich  auf  alle  passt,  kann  man  im  besonderen  an  den 
zweiten  Knaben  denken,  den  er  mit  eigner  Hand  an  die  Wand 
geschleudert  hat. 

Dass  eine  Erwähnung  des  arcus  neben  sagittas  1230  nicht  un- 
bedingt notwendig  war,  geht  daraus  hervor,  dass  der  Köcher  vorher 
auch  nicht  ausdrücklich  genannt  und  doch  nachher  erwähnt  ist, 
dass  aber  dem  Hercules  nicht  nur  in  der  ältesten  Zeit,  sondern 
auch  später  noch  ein  Schwert  beigelegt  wird,  zeigen  Stellen  wie 
Hör.  C.  IV  4,  61  non  Hydra  secto  corpore  ßrmior  und  HO.  867  ff., 
wo  Deianira  sagt 

eligere  nescis  anime,  cui  telo  incubes; 
utinam  esset,  utinam  fixus  in  thalamis  meis 
Herculeus  ensis:  huic  decet  ferro  inmori. 

Für  den  Plural  tela  im  singularischen  Sinne  vgl.  Ag.  734 
tela  =  ein  Beil,  Ovid.  Met.  VI  228  ein  Pfeil,  Ovid  Her.  XIV  76 
ein  Schwert  und  Ovid  Met.  XV  806  enses  ein  Schwert.  Auffallen 
könnte  hier  nur,  dass  unter  tela  1231  das  Schwert,  unter  teiis  1234 
die  Pfeile  verstanden  werden  müssten :  so  steht  aber  auch  Ag.  049  tela 
für  Pfeile  des  Apollo,  051  für  den  Blitz. 

Bisweilen  folgt  Seneca,  wo  mehrere  Sagenformen  zur  Auswahl 
standen,    der    selteneren;    so    giebt    er    Phaedr.  810    f.    das    Koss 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  457 

Cyllanis  dem  Castor,  nicht  dem  Polliix,  wie  Vergil  Georg.  JIl  89 
(s.  Etym.  Magn.  544,  54),  und  wenn  er  H  0.  1155  ff.  den  Typhoeus 
unter  Inarime  (Iscliia),  Enceladus  unter  dem  Aetna  liegen  lässt,  so 
schliesst  er  sich,  wie  Lucan  V  99  ff.,  der  Verfasser  des  Aetna 
G9  f.  und  besonders  auch  Claudian  (YII  159  f.;  XXYII,  17  ff.; 
XXXIII,  152;  XXXV,  158  ff.;  XXXVI  119  f.;  183  ff.; 
1/  32  f.)  an  Vergil  an  (Aen.  III  578,  IX  715  f.),  während  bei 
Ovid  (Her.  XV  11;  Fast.  I  573  f.  und  IV  491)  Typhoeus  unter 
dem  Aetnä  liegt,  wie  bei  Aeschylus  Prom.  351  ff.  und  Pindar 
Pyth.  I  30;  so  auch  Manil.  II  874  ff.  Silius  hat  beide  Sagen- 
Ibrmen  (VIII  540.  XIV  196)  und  daneben  für  Inarime  noch  eine 
besondere  (XII  147  ff".).  Genauer  behandelt  sind  diese  Sagen 
bekanntlich  von  Mayer,  Die  Giganten  und  Titanen,  S.  207  ff. 

Der  Durchbruch  des  Peneus  und  die  Bildung  des  Tempethales, 
nach  sonstiger  Ueberlieferung  ein  Werk  des  Poseidon  oder  eines 
Erdbebens,  wird  II  f.  283  ff.  dem  Hercules  zugeschrieben,  wie  auch 
bei  Lucan  VI  345  und  Diodor  IV  18,  und  Medea  660  ff.  erscheint 
Oileus  unter  den  Argonauten,  wie  auch  bei  Apoll.  Rh.  I  74  und 
llygin  fab.  14  S.  40,  16;  s.  Braun  Rh.  Mus.  32  S.  79. 

An  einigen  Stellen  scheint  der  Dichter  einer  Sagenform  gefolgt 
zu  sein,  die  uns  sonst  nicht  bekannt,  aber  schwerlich  von  ihm 
aufgebracht  ist.  Dahin  gehört  das  II  f.  319  ff",  erwähnte  Ereignis, 
dass  Hercules  in  den  Syrten  mit  dem  Schifte  stecken  geblieben 
sei  und  den  Weg  habe  zu  Fuss  fortsetzen  müssen  (s.  Leo  I  19,  4), 
ferner  die  Angabe  H  0.  907 ,  Hercules  habe  sich  von  der  an 
Gemahlin  und  Kindern  im  Wahnsinne  begangenen  Blutthat  fönte 
Cmyphio  sub  axe  Libyco  gereinigt.  Dafür,  dass  dagegen  H  f.  1341  ff. 
Athen  als  Ort  der  Sühne  genannt  ist,  bedarf  es  keiner  Entschuldigung, 
denn  solche  Widersprüche  in  verschiedenen  Stücken,  die  nicht  zu 
einem  grösseren  Ganzen  zusammengehören,  sind  selbstverständlich 
jedem  Dichter  erlaubt,  aber  was  heisst  fönte  Cinyphio?  Es  wird 
gewöhnlich  an  das  Ammonium  gedacht  (so  Leo  a.  a.  0.),  dessen 
Quelle  u.  a.  Herod.  IV  181,  Lucr.  VI  848  f.,  Juvenal  VI  554  f. 
ausdrücklich  erwähnen.  iVber  auch  das  Thal  des  Cinyps,  der  auf 
dem  XotpiTojv  Xocpos  entsprang  (Herod.  IV  175),  hat  infolge  seiner 
ausserordentlichen  Fruchtbarkeit  (s.  Herod.  IV  198,  Ovid  ex  Ponto 
II  7,  25)  die  Phantasie  der    Griechen    stark    beschäftigt,    und    so 


458  Franz  Härder, 

erscheint  es  nicht  ganz  ausgeschlossen,  dass  es  sich  hier  um  eine 
verschollene  Sage  von  der  wirklichen  Quelle  des  Cinyps  handelt. 
Eine  gewisse  A^erbindung  des  Flusses  mit  Herakles  und  den 
Herakliden  lässt  sich  auch  aus  Ilerod.  V  42  erschliessen ,  da 
man  nur  so  versteht,  warum  Dorieus  gerade  dorthin  fuhr. 

Oed.  485  wird  der  Tod  des  Pentheus,  der  in  der  gewöhnlichen 
Sage  von  dem  Sparten  Echion  abstammt,  als  Ophionia  cacdes 
bezeichnet,  und  TT  f.  268,  wo  Ophionius  (ophyonius  E)  cinis  über- 
Tiefert  ist,  hat  N.  TTeinsius  Echionium  genus,  Bentley  a.  a.  0.  S.  10, 
dann  Leo  I  112,  12  Ophionium  ^e;iws  hergestellt.  Unter  den  sonst 
(z.  B.  Apollod.  ITT  4,  1,  5  nach  Pherekydes,  Paus.  TX  5,  1)  im 
wesentlichen  übereinstimmend  überlieferten  Namen  der  fünf  Sparten 
kommt  Ophion  nicht  vor,  aber  es  finden  sich  doch  auch  Spuren, 
dass  noch  andere  Namen  genannt  wurden,  als  in  diesem  gewöhn- 
lichen Tvataloge  standen,  so  Kreon  bei  Timagoras  (Schol.  zu  Eurip. 
Phoen.  674),  wenn  es  sich  hier  nicht  etwa  nur  um  den  bekannten 
Kreon  als  Nachkommen  eines  der  Sparten  handelt.  Dem  Sinne 
nach  sind  Echion  und  Ophion  gleich,  und  als  Gigantenname  ist 
Ophion  hinlänglich  bekannt.  So  mag  denn  auch  der  Name  des 
Sparten  bisweilen  in  dieser  Form  aufgetreten  sein;  sonst  müssten 
wir  annehmen,  dass  Seneca  sich  durch  die  gleiche  Bedeutung  der 
Namen  habe  irreführen  lassen,  und  dann  gehörte  die  Stelle  unter 
die  S.  451  behandelten. 

Ag.  548,  wo  Aiax  dem  Lokrer  der  Ausruf  zugeschrieben  wird 
et  Hectora  iina  solus  et  Martern  tuli, 
ist  von  Leo  J  208f.  gestrichen,  weil  Mars  schon  erwähnt  und  una 
solus  ohne  Sinn  sei.  Allein  es  scheint  sich  hier  um  eine  uns  nicht 
weiter  bekannte  Scene  zu  handeln,  in  der  Mars  dem  Hector  etwa 
so  beistand,  wie  Athene  in  der  llias  V  dem  Diomedes,  und  Aiax 
aTTein  beiden  erfolgreich  entgegentrat.  Die  Persönlichkeit  gerade 
dieses  TTelden  hat  ja  auch  sonst  die  Phantasie  der  Dichter  stark 
beschäftigt,  und  so  erscheint  es  nicht  gänzlich  ausgeschlossen,  dass 
auch  ihm  eine  solche  aptOTsict  angedichtet  war. 

Ob  die  l^enennung  des  Somnus  TT  f.  1068  als  matris  genus 
Astraeae  eine  kühne,  immerhin  ansprechende  Neuerung  Senecas  ist 
oder  auf  alter  Ueberlieferung  beruht,  lässt  sich  nicht  ausmachen, 
ebensowenig,    ob    er    zuerst   den    Tiphys    zum    Könige    von  Aulis 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  459 

gemacht  hat,  Med.  622  (s.  Leo  T  202).  Dagegen  hat  Seneca, 
worauf  Lindloff  hinwies,  zuerst  in  geschmackvoller  Weise  statt  der 
rime  des  Vergil  (Aen.  VI  283),  vielleicht  angeregt  durch  Ovid  Met. 
\Y  482,  den  düsteren,  als  unheilvoll  geltenden  Taxus  als  den 
T'nterweltsl)aum  eingesetzt,  H  f.  ßOO,  worin  ihm  dann  u.  a.  Silius 
XIII  596  gefolgt  ist. 

Es  bleiben  nun  noch  einige  Stellen,  an  denen  die  l'ober- 
liofcrung  verdorben  oder  doch  anfechtbar  ist.  Eine  sichere  Heilung 
des  verzweifelten  Verses  Troad.  43  ff.,  wo  Acacis  in  E,  Acacidae 
in  A  steht,  ist  noch  nicht  gelungen,  aber  II  0.  1557  ff. 

non  tarnen  viles  eris  inter  umhras: 
Aeacos  inter  geminosqiie  Gretas 
facta  discernens,  feriens  ti/rannos, 

(so  E),  wo  A  Aeacosque,  c  Aeacuwque  hat,  wird  Gronovs  Aeaconque 
dem  Sinne  und  der  Ueberlieferung  völlig  gerecht;  der  IMural 
Aeacos  =  Unterweltsrichter  gäbe  doch  nur  einen  Sinn,  wenn  nicht 
Minos  und  Uhadamanthys  sogleich  besonders  bezeichnet  wären. 

Ein  Fehler  der  Ueberlieferung  liegt  vermutlich  Oed.  178  vor. 
Die  Stelle  lautet 

171  quin  Taenarii  vincula  ferri 

172  rupisse  canem  fama,  et  nostris 

173  errare  [errasse  A]  locis  (mugisse  solum) 

174  vaga  per  liicos  simidacra  virum 

175  maiora  viris,  bis  Cadmeum 

176  nive  discussa  tremuisse  nemus, 

177  bis  iurbatam  sariguine  Dircen, 

178  nocte  silenti 
Amphionios  ululasse  canes. 

Der  Hiatus  in  V.  178  wird  erträglich,  wenn  man  mit  Amphionios 
eine  neuen  Vers  beginnt;  ebenso  wie  hier  steht  ein  Monometer  mit 
anschliessendem  Dimeter,  allerdings  vor  einer  Pause,  erst  kurz  vor- 
her, Oed.  158  f.,  aber  nach  den  Ausführungen  von  Birt,  Rh.  Mus.  34 
S.  545,  und  besonders  Richter,  Progr.  Jena  1899  S.  38  f.,  wird 
man  an  dieser  Art  des  Versbaues  keinen  Anstoss  nehmen  können. 
Der  Sinn  der  ersten  Verse  ist  tadellos,  wenn   man  mugisse  solum 


460  Franz  Marder, 

;ils  Parenthese  auffasst,  wie  solche  oft  in  fliesen  Tragödien,  z.  R, 
sogleich  im  ersten  A'erse  des  Hf.,  vorkommen;  zur  Sache  lässt  sich 
vergleichen  Thyest.  671:  et  insultant  loco  maiora  notis  monstra. 
Wunderlich  aber  ist  die  Erwähnung  der  Hunde  des  Amphion; 
Hunde  als  Begleiter  des  Amphion  werden  nirgends  erwähnt,  zumal 
er  der  Jagd  und  den  Beschäftigungen  mit  den  Heerden  geradezu 
abhold  war:  s.  die  bekannten  Fragmente  aus  Euripides'  Antiope  und 
Horaz'  Ep.  I  18,  40f.;  wenn  der  Ausdruck  aber  heissen  soll 
'thebanische  Hunde',  so  wäre  das  ein  überaus  matter  Abschluss, 
Man  erwartet,  dass  irgend  etwas  Grässliches  genannt  werde,  und 
zwar  etwas,  das,  wie  das  nemus  Cadmeum  oder  die  Dirce,  mit  der 
Unglücksgeschichte  von  Theben  in  Verbindung  steht,  und  dazu 
passen  vortrefflich  die  Hunde,  die  ihren  eigenen  Herrn,  den  Enkel 
des  Cadmus,  Actaeon,  zerfleischten.  Seine  Geschichte  ist  den 
Dichtern  ausserordentlich  geläufig,  und  auch  Seneca  erwähnt  ihn 
in  Verbindung  mit  den  Hunden  Phoen.  13  f.,  wo  auch  andere 
Unglücksfälle  des  thebanischen  Königshauses  zusammengestellt  sind, 
und  Oed.  751  ft".,  und  Phoen.  207  und  Oed.  932  wird  auf  ihn  und 
Pentheus  hingedeutet. 

Auch  eine  Art  von  gespenstischem  Weiterleben  führt  er  in 
der  Sage,  wie  er  z.  B.  bei  Orchomenos,  mit  einem  Steine  in  der 
Hand,  das  Land  verwüstend  umhergewandert  sein  soll  (Paus.  IX 
38,  4),  und  auch  an  die  Hunde  haben  sich  allerlei  Sagen  angeschlossen 
(s.  Pauly-Wissowa  s.  v.  Aktaion  S.  1211  und  K.  0.  Müller, 
Orchomenos  *  342  f.).  Auf  die  Vorstellung  aber,  dass  Tiere  und 
Ungeheuer,  die  in  der  Sage  eine  Rolle  spielen,  sich  nach  dem  Tode 
in  der  Unterwelt  befinden  und  gelegentlich  auch  wieder  einmal  er- 
scheinen können,  ist  bereits  oben  S.  445  hingewiesen  worden. 

So  glaube  ich,  dass  Seneca  hier  bei  der  Erwähnung  der  Hunde 
an  die  des  Actaeon  gedacht  hat,  und  es  fragt  sich,  ob  man 
Actaeonios,  was  übrigens  schon  Beutley  a.  a.  0.  S.  18  angemerkt  hat, 
als  ursprüngliche  Lesart  in  den  Text  setzen  oder  einen  höchst  gesuchten 
Ausdruck  annehmen  soll,  so,  dass  für  ,Actaeonisch'  ,thebanisch' 
gedacht  und  hierfür  ,Amphionisch'  gesetzt  sei  —  was  doch  kaum 
glaublich  ist  — ,  oder  ob  man  dem  Seneca  zutrauen  soll,  dass  er 
einfach  die  Namen  verwechselt  habe.  Im  ersten  Falle  müsste  man 
annehmen,    dass    das    Wort  früli    entstellt  war  und,    wie  es  nicht 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  461 

nur  in  A,  sondern  auch,  wenn  auch  seltener,  in  E  geschieht,  durch 
frühe  Konjektur  ersetzt  worden  ist.  Dass  Seneca  gerade  diese 
Namen  sollte  verwechselt  haben,  ist  nicht  recht  glaublich,  da 
Actaeon  und  Amphion  so  sehr  geläufige  Sagengestalten  sind  und 
auch  gerade  in  diesen  Tragödien  beide  öfter  erwähnt  werden.  Ich 
halte  also  den  ersten  Fall  für  den  wahrscheinlichsten  und  lese  mit 
Bentley  Actaeom'os. 

Es  bleibt  nun  noch  eine  ziemlich  verzweifelte  Stelle  übrig, 
H  f.  575  ff.  Hier  heisst  es  von  der  Wirkung  von  Orpheus'  Gesang 
in  der  Unterwelt 

575  mulcet  non  solitis  vocibus  inferos 

576  et  su7'dis  resonat  clarius  in  locis. 

577  deßent  Euridicen  Threiciae  mirus, 

578  deßent  et  lacrimis  diffidles  dei, 

579  et  qui  fronte  nimis  crimina  tetvica 

580  quaerunt  ac  veteres  excutiunt  reos 

581  flentes  Euridicen  iuridici  sedent. 

Der  Vers  577  steht  in  A  ganz  sinnlos  hinter  580;  vermutlich 
hat  er  in  der  Vorlage  am  Rande  gestanden  und  ist  dann  falsch 
eingerückt  worden;  s.  hierüber  Richter,  Progr.  Jena  1899  S.  9. 

Es  fragt  sich,  was  Threiciae  nwms  in  diesem  Zusammenhange 
bedeuten  könne.  In  der  Orpheussage  kommen  thrakische  Weiber  vor, 
nämlich  die  Mänaden,  die  den  Sänger  umbringen,  und  an  diese  ist 
hier  nicht  zu  denken.  Und  wenn  früher  verstorbene  Genossinnen 
der  Eurydice  gemeint  sein  sollten,  so  wäre  die  Stelle  doch  gar  zu 
matt  und  inhaltlos,  zumal  die  Darstellung  an  sich  verhältnismässig 
knapp  ist.  So  ist  man  wohl  darüber  ziemlich  einig,  dass  das  Wort 
Threiciae  verderbt  ist.  Bentley  a.  a.  0.  S.  11  schrieb  unter 
Hinweis  auf  Claudian  XXXV  323  und  Verg.  Georg.  IV  476:  te 
flent,  Eurydice^  Elysiae  nurus;  die  wegen  des  Hiatus  bedenkliche 
Aenderung  der  ersten  Worte  geht  uns  hier  nicht  an,  aber  bei 
Elysiae  wie  bei  Withofs  Tartareae  und  Peipers  Taenariae  begreift 
man  nicht  recht  die  Entstehung  der  Verderbnis,  und  B.  Schmidts 
geistreiche  Aenderung  deßent  Eumenides  Threiciam  nurum  ist  wegen 
der  vorausgesetzten  dreifachen  Verderbnis  etwas  unwahrscheinlich. 

Sehen  wir  uns  nach  anderen  Stellen  um,  in  denen  die- 
selbe oder    eine    ähnliche  Situation    geschildert  ist,   so    finden  wir 


462  Franz  Haider, 

bei  Verg.  Georg.  IV  471ff.  umbrae  tenues,  matres,  viri,  corpora 
heroum,  pueri  innuptaeque  puellae,  impositi  rogis  iuvenes  ante 
ora  pareiituin,  die  Eumeniden,  Cerberus  und  Ixion,  bei  Ovid  Met. 
X  40ff.:  Tantalus,  Ixion,  die  Danaiden  (Belides),  Sisyphus,  die 
Eumeniden,  Proserpinji,  und  im  H  0.  10671t'.:  Ixion,  Tityos,  Charon, 
Tantalus,  Sisyplius;  bei  Horaz  C.  II  13,  3311.  wird  geschildert, 
welchen  Eindruck  des  Alcaeus  Gesang  macht  auf:  Cerberus,  die 
Eumeniden,  Prometheus,  Tantalus  und  Orion,  und  C.  III  11,  2111. 
staunen  über  den  Klang  der  Leier:  Cerberus,  Ixion,  Tityos  und  die 
Danaiden.  Man  sieht  also,  dass  dabei  gewöhnlich  auch  einige  der 
in  der  Unterwelt  Gepeinigten  erscheinen,  und  einige  der  Stellen 
nennen  auch  die  Danaiden.  Die  Erwähnung  gerade  dieser  Schar 
würde  an  unserer  Stelle  ganz  besonders  wirksam  sein:  durch 
Orpheus'  Gesang,  der  doch  von  der  Gattenliebe  eingegeben  ist, 
werden  auch  die  gerührt,  die  in  so  frevelhafter  Weise  ihre  Gatten 
umgebracht  haben.  Dass  die  Danaiden  auch  sonst  in  den 
Schilderungen  der  Unterwelt  zu  dem  stehenden  Inventar  der 
Dichter  gehören,  bedarf  keines  Beweises;  aber  wichtig  ist,  dass  sie 
auch  in  diesen  Tragödien  öfters  verwendet  werden:  H  f.  75011., 
Med.  744 ff.,  H  0.  942  ff.  und  95611.;  an  der  letztgenannten  Stelle 
werden  die  coniuges  fidae  in  Gegensatz  zu  den  Danaiden  gestellt: 
sonst  werden  sie  noch  H  f .  498  f.  genannt. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  aus  Threiciae  ein  auf  die  Danaiden 
bezügliches  Wort  hergestellt  werden  kann,  ein  solches,  das  auf  ihre 
Schandthat  hindeutet  und  so  die  Kunst  des  Orpheus  in  um  so 
hellerem  Lichte  erscheinen  lässt.  Wir  finden  dafür  erstens  eine 
Reihe  allgemein  tadelnder  Beiwörter,  wie  Danai  genus  infame 
(Horaz  C.  II  14,  18 f.),  saevas  sorores  (Ovid  Her.  XIV  15), 
Danai  proles  Venei'is  quod  numina  laesit  (TibuU.  I  3,  79),  spo7inafi 
truces  (Nemes.  Cyn.  23 f.),  dirarum  soroi'um  (Luxorius  246);  auf 
den  Mord  deutet  genauer  quaeque  yerunt  umeris  periiuras  Belides 
undas,  exsulis  Aegypti,  turha  cruenta,  nurus  (Ovid  Ib.  1751".), 
cruentae  regis  Aegypti  nurus  (II  f.  498),  besonders  häufig  aber 
finden  wir  Hinweise  auf  die  bei  dem  Morde  gebrauchten  Wallen. 
Die  römischen  Dichter  sind  durch  die  in  der  Porticus  beim  ApoUo- 
tempel  auf  dem  Palatin  aufgestellten  Statuen  des  Danaus  und 
seiner    Töchter    besonders    angeregt    worden    (s.  Schol.   zu  Persius 


Bemerkungen  zu  den  Tragödien  des  Seneca.  463 

n  56),  wie  Prop.  IT  31,  4  und  Ovid  (s.  u.)  zeigen.  Von  Danaus 
wird  ausdrücklich  gesagt,  dass  er  mit  dem  Schwerte  in  der  Hand 
dargestellt  war:  Ovid  A.  A.  1  74  et  stricto  stat  ferus  eme  pater 
und  ähnlich  Ovid  Trist.  111  1,  62  ut  stricto  barbarus  ense  pater. 
Heibig,  Führer  d.  d.  öff.  Samml.  [  S.  436  sagt  darüber:  , Offenbar 
hatte  der  Künstler  den  Moment  wiedergegeben,  in  dem  Danaus  die 
Mädchen  auffordert,  ihre  Verlobten  zu  töten,  eine  Scene,  welche 
reichliche  Gelegenheit  gab,  in  den  Figuren  der  Töchter  die  ver- 
schiedensten Gefühlsabstufungen  zu  vergegenwärtigen';  so  liegt  es 
nahe,  anzunehmen,  dass  einige  bereits  die  Dolche  trugen.  Von 
Waffen  in  der  Hand  der  Töchter  ist  sonst  z.  B.  die  Rede  H  0.  960 
si  qua  stricto  cruenta  Belias  ferro  stetit;  Hör.  c.  III  11,  30  ft. 
impiae  sponsos  potuere  duro  perdere  fen'O',  Ovid  fler.  XIV  5  quod 
manus  extimuit  iugulo  demittere  ferrum\  11  pater  .  .  .  me  iUo 
iugulet,  quem  non  bene  tradidit,  ense,  24  armatas  nurus,  56  non 
faciunt  molles  ad  fera  tela  vianus,  und  die  tela  werden  auch  44, 
65,  70  und  76  erwähnt. 

Ich  möchte  daher  glauben,  dass  Threiciae  aus  teligerae  verderbt 
sei.  Dieses  Wort  ist  einmal  von  A  überliefert,  H  0.  543,  beruht 
aber  hier  doch  wohl  nur  auf  Versehen,  da  E  dafür  te  aliger  bietet. 
Gerade  weil  das  Wort  so  wenig  vorkam,  wurde  es  wohl  früh  miss- 
verstanden, entstellt  und  durch  die  Konjektur  Threiciae  ersetzt. 
Dem  Sprachgebrauch  des  Dichters  fügt  es  sich  sehr  gut  ein,  da  er 
eine  besondere  Vorliebe  für  Bildungen  auf  ■/<??•  und  -ger  hat;  es 
kommen  vor:  aliger  (an  2  Stellen);  armiger  (Medea  980:  so  A; 
arinifer  E);  belliger  (5);  corniger  (3);  laniger;  saetiger  (2), 
securiger  (2);  stelliger  (3);  thyrsiger  (2);  Wörter  auf  -fer  habe  ich 
31  gezählt,  die  an  52  Stellen  vorkommen.  —  Den  Einwand,  dass 
die  Danaiden  in  der  Unterwelt  die  tela  nicht  mehr  führten, 
wird  niemand  erheben,  der  mit  dem  Wesen  und  der  Verwendung 
der  sog.  schmückenden  Beiwörter  in  der  antiken  Poesie  vertraut 
ist,  und  dass  ein  unverständlich  erscheinendes  Wort  in  einen 
geläufigen  Eigennamen  verkehrt  wurde,  findet  sich  z.  B.  auch 
Med.  382,  wo  E  statt  entheos  bietet:  penfheos,  und  ganz  ähnlich 
steht  Oed.  628  für  enthea  in  E  penthea.  Threiciam  aber  ist  in 
A  auch  H  0.  1033  fälschlich  für  das  in  E  richtig  überlieferte 
Pieriam  in  den  Text  eingesetzt  worden. 


%^ 


XXV. 

Friedricli  Vollmer. 

De  receiisendo  Homero  Latiiio. 


Festschrift   Vahleu.  30 


Carmen  illud  Latinum,  quod  in  vetustis  membranis  Homeri 
nomen  prae  se  fert,  in  recentibus  Pindari  Thebani,  non  uno  nomine 
dignum  est  in  quod  accuratius  inquiratur  a  philologis  quam  adliuc 
quaesitum  video.  Gerte  non  est  poema  maxima  laude  extollendum 
et  quam  longe  sequatur  exemplum  suum  in  litteris  Graecis  maxime 
venerabile  vix  dici  potest;  attamen  in  singulis  rebus  auctor  sua 
habet  merita  et  quam  late  usus  liuius  epitomes  per  medium  quod 
dicunt  aevom  in  scholis,  in  bybliothecis,  apud  historicos  et  carminum 
auctores  patuerit  satis  expositum  adhuc  non  est.  Neque  desunt 
problemata  et  quaestiones  propriae  quae  virorum  philologorum 
animos  allicere  et  teuere  possint:  gravis  est  quaestio  de  auctore  et 
tempore  carminis,  minores  at  sine  quibus  illa  solvi  nequeat  sunt 
de  verbis  singulis  constituendis,  unde  etiam  pendet  iudicium  de  arte 
metrica  ferendum. 

Neque  in  saeculo  quod  nunc  vergere  videmus  defuerunt  qui 
ederent  Carmen  hac  ipsa  re  iam  excitantes  et  promoventes  Studium 
in  eo  ponendum.  Lucianus  Mueller  recensuit  a.  1857  ut  Boeckhio 
gratum  animum  testaretur;  poetisLatinis  minoribus  (vol. III  p.l — 64) 
inseruit  Aemilius  Baehrens  a.  1881,  paullo  post  editionem  pecu- 
liarem  ab  Havetio  adiutus  emisit  Fridericus  PI essis  (Parisiis  1885), 
cuius  libri  neglegenter  facti  censuram  severam,  at  hercle  iustam 
egit  R.  Ehwald  (Phil.  Anz.  XVII,  1887,  p.  46—59),  postquam  quae 
a  Muellero  et  Baehrensio  peccata  fuerint  aliquam  partem  monstravit 
0.  Rossbach  (Hermes  XVII,  1882,  p.  515—521). 

Consentiunt  fere  editores  et  critici  querendo  Codices  quibus 
nitantur  verba    huius    carminis    nimis    recentes    esse,    et   re    vera 

30* 


468  Friedrich  Vollmer, 

codex  F  (Laurentianus  68,24^)),  ex  iis  quos  Baehrens  adhibuit 
antiquissimus,  Xl"  demum  saeculo  scriptus  esse  videtiir.  Primus 
Ehwald  —  auctore  A.  Schoene  —  monuit  de  codice  Valentiiiiano 
saec.  X',  cuius  vestigia  secutus  est  Carolus  Wotke  qui  (Wiener 
Studien  XV,  1893,  p.  155 — 159)  noimulla  utilia  de  hoc  codice 
dixit;  quae  autem  ex  eo  protulit,  tarn  neglegenter  relata  sunt,  ut 
publice  mihi  monendum  sit  ne  quis  ei  de  huius  codicis  lectionibus 
referenti  lidem  habeat.  Wotke  enim,  temporis  puto  angustiis 
cum  conferret  pressus,  non  ea  quam  res  exigit  diligentia  secrevit 
ea  quae  a  manu  prima  ex  archetypo  descripta  sunt  a  correctionibus, 
quas  lectores  partim  multo  posteriores  fecerunt  ut  qui  plurimis  locis 
volgatum  quem  dicimus  contextum  antiquae  memoriae  substituerint. 
Mihi  ipsi  favente  Fortuna  cui  grates  ago,  licet  malim  invidiam 
facere  quod  non  Properti  potius  vel  Catulli  talem  codicem  invenerim, 
contigit  ut,  priusquam  codicis  Valentiniani  notitiam  haberem,  Ant- 
verpiae  Belgarum  investigarem  codicem  Homeri  Latini  X"  saeculo 
scriptum,  quem  P  littera  distinguo.  Codex  est  Musei  Plantin-Moretus, 
notatus  n°  89  (D  66);  in  folio  primo  legitur  scriptum  a  manu 
vecentioYQ  Liber  S(anjc(tji  A7iclree  a(postoJli  de  castello.  Numeratur 
iam  in  vetere  catalogo  musei  anno  1650  confecto  et  H.  Stein  (Les 
Manuscrits  du  Musee  Plantin-Moretus,  Gand  1886)  narrat  quod 
„provient  du  couvent  des  chartreux  de  s'Coningsdale  pres  Gand  (über 
Vallis  Regalis  iuxta  Gandavum  Cartusiensis)."  Cum  catalogus 
codicum  musei  celeberrimi  et  pulcherrimi,  in  quo  et  alii  manu- 
scripti  pretiosi  adhuc  inexperrecti  dormiunt,  nondum  prodierit,  menm 
esse  duco  librum  paullo  accuratius  describere. 

fol.    1      inscriptio  supra  indicata 

iv  INCIPIT  Llß  DARETIS  FIUGII  INDESCRIPTIOXE 
BELLOR  GRECOIUIM  &  TROIANORUM 
16     epistropü  scedium  (Dares  p.  2ß,  2i)  Meister) 
EXPLICIT  LIBER  DARETIS  FRIGII 
sequitur  scriptum  a  manu  saec.   XU  Carmen 
Ter  binos  deciesq;  nouera  super  exit  in  annof 
i,  Anth.  lat.  647;ßnitj\  10 
Cetera  fecreta  nouit  dl'  arbiter  ?ui. 


■)  Cnius  collationera  una  cum   suis    coniecturis   edidit  Carolus    Sehen  kl 
(Zeitschrift  f.  oest.  Gymu.  XXVI,  1875,  p.  243—57). 


De  recensendo  Hoinero'Latino.  469 

iam  Incipit  theodolus  (c-/.  Leyseri  hisl.  Uli.   med.   aevi  p.  295) 

cuiiis  Carmen  finil  fol.   16". 
17      vacuum. 
17 V  INCIPIT    LIBER    HOMERI   POETAE,    scriplus    eadem    manu    saec.   X, 

quae  Daretem  depinxit.     scholia  haitd  ila  multa  adsparsa  sunt  a  manu  4. 

saec.  XllI,  quae  interdum  eliam  textum  depravacit  cel  correxit:  practerea 

manus  3.,   saec.    XI.,   el  ö.,   saec.    A'F,   rai-o   aliquid  adscripserunl,   cum 

man.  2.,    aequaeva   aut   eadem   cum  manu  /.,   suco  flavo   hie  el  illic  cor- 

rectiones  feceril  plerumque   ad    archetypon   ul    cidelur,     Perraro   radendo 

deleta  sunl  vesligia  manus  primae. 
35 V  EXPLICIT  LIBER  HOMERI  POETAE 

Piignatü  est  apud  troiam  eqs.  i.  exlremum  caput  Daretis  inde  a  p.  52,  5 

Meisler.     Sequitur  scriptum  a  manu  s.    XII: 

H§c    J'imt    ambigena    quae    nuptu    difpare    constant  j.  carmen  Eugeni 

Tolelani  (ss.  palrum   Toletan.  opp.   I  p.  30  1) 
36  in  medio  folio  ceteroquin  vacuo 

T. 
THEOD.   PVLMANNI 

36  V  Nee  fönte  labra  |)Iui  caballino 

post  prologum  SATYRA  PERSII  POETF^  INCIPIT 

48  ultimus  Persi  versus  Inuentul'  chrylippo  tili  finitor  acerui 
48^  duo     scholia.     In  /nedio  folio  Pulmanni  manus  scripsit 

A.  Augustini  Hunnari  lib.  quem  mihi  dono  dabat 

C.  meus,  ex  dono  Plantiui. 

M.  Miggrodij,  quo  is  me  donabat. 
secundum    hos    Codices    Pulmannus    in  foliis    anlecedentibus    verba    Persii 
correxit  et  nimis  inconsiderate  radendo  saepissime  funditus  manum  primam 
delevit. 

49  picla  et  explicala  funt  runarum  aliqua  genera. 

49  V  vacat. 

50  He_sunt  SENTENTi:^  &E    CORPORE  ET  SANGUINE 
&NI  ANÖREE  APtl  GREGORII  PAPAE 

secunlur  in  codice  alia  chrisliana,  inter  ea 
91     EPISTOLA  CLEMENTIS  PAPAE  MISSA 
AD  lACOBÜM  APOSTOLUM 

Iam  de  codice  Valentiniano  W  post  Mangeart  (Catal.  des 
manuscrits  de  la  biblioth.  publ.  de  Valeiiciennes ,  1849  p.  415), 
Ehwald  (1.  1.  p.  47),  Wotke  (1.  1.  p.  155)  nunc  refert  Catalogus 
generalis  bybliothecarum  publicarum  Galliae  (Departements,  vol.  XXV 
p.  384);  numeratur  hodie  448  (olim  420)  et  ab   auctore  catalogi 


470  Friedrich  Vollmer, 

IX'  vel  X*  saeculi  esse  aestimatur.  Addi  tarnen  oportet,  etlam 
in  W  sicut  in  P  versibus  Homeri  succedere  ultimum  Daretis  caput. 
Ipse  Valentinianis  degens  codicem  vidi  et  contuli  v.  1 — 72, 
1031 — 1070;  nunc  imagines  photographas  omnium  Ilomeri  foliorum 
intercedente  Fraucisco  Cumont,  qui  inter  Belgarum  philologos  et 
doctrina  et  liberalitate  facile  primum  obtinet  locum,  factas  et  missas 
apud  me  habeo.  Maxima  autem  cum  diligentia,  id  quod  iam  supra 
monui,  hie  codex  est  examinandus.  Namque  omnibus  in  pagiuis 
verba  a  manu  prima  scripta  multis  locis  correcta  sunt,  partim  a 
manu  2.  antiqua,  saec.  fere  XI,  quae  ut  ex  P  patet,  hie  illic  menda 
librarii  secundum  archelypon  sustulit,  multo  saepius  a  manu  3. 
saec.  XIII,  quae  impudentissime  radendo  delevit  vestigia  manus 
primae  et  sui  temporis  textum  volgatum  substituit.  Interdum  etiam 
man.  1  omisit  verba,  imprimis  in  finibus  versuum,  quae  propter 
nescioquam  causam  librarius  in  exemplari  legere  non  poterat;  et 
haec  ex  suis  copiis  fere  semper  supplevit  man.  3.  Ita  fit  ut  fide 
digna  sint  tantum  ea,  quae  manus  prima  scripsit,  hie  illic  quae 
manus  secunda  correxit,  plane  abicienda  autem  quae  a  manu  3.  pro- 
fecta  sunt'). 

Fortunae  autem  eo  nomine  maxime  gratia  habenda  est  quod 
cum  ambos  hos  Codices  P  et  W  nobis  servaret,  ubique  fere  de 
archetypo  quod  saeculo  IX  °  recentius  esse  vLx  potest,  pleno  et  certe 
constat.  Ea  enim  est  herum  librorum  affinitas  ut  ubi  prima  fides 
in  W  evanuit  subveniat  testimonium  P  codicis.  Hoc  iam  amplius 
erit  demonstrandum. 

W  enim  et  P  contra  omnes  reliquos  Codices  suum  sibi  locum 
et  auctoritatem  vindicare  probatur  primum  multis  locis,  ubi  PW 
aut  versus  integres  in  contextu  habent,  qui  in  ceteris  codicibus 
omissi  vel  a  correctoribus  demum  in  margine  suppleti  sunt,  aut  soll 
rectum  versuum  servant  ordinem.     Sunt  loci  hi: 

Post  V.  68  hiat  historia;  apud  Ilomerum  rem  absolvit  unus 
versus  A  457  tos  i'cpai'  euj^ojisvoc,  -ou  8'lxX'je  <l>otßos  'AttoXXwjv; 
in  carmine  Latino  versus  68  non  satis  declarat  sacra  Graecorum 
Apollini  accepta  fuisse;  recte  additur  in  PW 

')  Etiam  quod  vv.  969  sq.  suis  locis  restituit  ex  codicibus  volgatis  hausit. 
De  rcfte  posito  v.  597  vide  infra. 


De  recensendo  Homero  Latino.  471 

et  prope  consumptae  vires  redduntur  Achivis. 
quem    versum   etiam  G  (uelferbytanus  s.  XII)   et   novicii  Codices 
Parisiensis  14909  et  Bruxellensis  2718  praebent. 

In  V.  84  sq.  scriba  archetypi  illius  a  quo  pendent  ceteri  Codices 
omnes  aberraverat  a  vero  propter  similes  versuum  terminos  armis 
et  aums  et  duos  versus  84  et  85  in  unum  confuderat,  quem  posteri 
interpolatione  etiam  corruperunt.  Solus  E  (Amplonianus)  vestigia 
veri  servavit,  ita  tamen  ut  et  in  hoc  versus  85  abiret  post  82. 
Rectum  ordinem  eximio  quo  clarebat  acumine  iam  divinavit 
Ir.  Ritschi  et  paene  verba  restituit  scriptoris;  nunc  subeunt  Codices 
PW  monstrantque; 

At  Thetis  audita  nati  pi'ece  deserit  undas 
castraque  Myrmidonum  iuxta  petit  et  monet^  armis 
85     abstineat  dextram  ac  congressus;  inde  per  auras 
emicat  aethereas  et  in  aurea  sidera  fertur. 
Thetis  Sf  audita  prece  nati  P  patit  .  .  . 
mouet  .  .  .  aetherias  W 

üna  vox  emendatione  eget:   congressus  \  lenissima  sufücit  mutatia; 
congressihus  (cf.  v.  954). 

V.  92,  apodosin  maxime  necessariam,  in  margine  tantum  ad- 
dunt  codd.  BEFLG,  post  96  falso  ponunt  MN,  suo  loco  in  contextu 
legendum  praestant  PW. 

V.  605  omittunt  LV,  habent  in  margine  BFE  (qui  in  con- 
textu dat  versum  dolose  confictum),  recto  loco  cum  MN  exhibent 
PW. 

V.  751,  quo  carere  non  potest  sensus,  omiserunt  fere  Codices; 
additus  est  in  margine  ab  E  ^  et  G ',  legitur  in  contextu  apud  P  W, 
corruptus  scilicet  ut  in  E  '^  et  G  '\  at  unde  verum  enucleari  possit. 
Agamemno 

post  hos  gladio  petit  Iphidamanta; 
hie  f(rat}ris  dextram  gladio  ferit;  ille  dolore 
acrior  accepto  fugientem  Antenore  natum 
persequitur. 
Versus  Homeri  A  251  a-yj  o  £upa$  auv  ooupt  et  253  avtixpu;  8e  biia/z 
cpaetvoo  ooupo?  axtoxi^  evincunt  gladio  in  alterum  versum  ex  ante- 
cedentis  eodem  pede  inrepsisse;    reponendum  est  iaculo  simulque 
initium  versus  leniter  emaculandum: 


472  Friedrich  Vollmer, 

hinc  f rater  dextrmn  iaculo  ferit. 
Sic  omnia  recte  stant;    hinc  i.  iratiis  ob   Jphidamantls  fratris 
caedem. 

V.  957  falso  loco  exhibent  LMN,  omittunt  FGV,  intorpolato 
versu  commutavit  E,  recte  post  958  pommt  PW. 

Suam  autem  sibi  lidem  poscunt  PW  iion  sohim  pro  novis  quos 
ipsi  praebent  versibus  sed  etiam  contra  illos  quos  in  codicibiis 
recentioribus  adfinxerunt  interpolatores  docti  et  indocti. 

Post  V.  270  et  L  margo  et  E "  versum  addiderunt,  qui  nequö 
Ilomerico  ullo  fulcitur  neque  ipse  ullam  fidem  sibi  pai'at,  quia  plane 
diversus  in  duobus  codicibus  traditur.  In  PW  eins  nee  vola  ncc 
vestigium  apparet. 

Eodem  modo  iudicandum  est  de  v.  791,  quem  solus  E^  in 
margine  exhibet,  additum,  ut  sensum  re  vera  hiantem  expleret.  At 
mala  corrector  usus  est  fortuna,  cum  verba 

pulsa  metu  vallumque  et  muros  ärgere  saeptos 
transiliunt,  alii  fossas  volvuntur  in  ipsas 
aperte  reddant  versus  Homeri  H  Isqq. 

aijTap  STTsl  ota  ts  ay.okoTZ'xq  xat  xoccppov  eßr^oav 
cpeu^ovTS?  .  .  . 

)(X«)pot  uttÖ  Ssso?,  TTScpoßTQjxevot, 
qui  tamen  dicti  sunt  de  Troianis,  non  de  Danais,  ita  ut  appareat 
interpolatorem  non  fontem  qualemcunque  adiisse,  sed  suo  periculo 
rem  egisse  usum  versu  742  instaurantque  animos.  Nee  melius 
emendatio  Baehrensio  cessit  qui  eo  minus  excusari  potest,  quod  ei 
Homerus  praesto  esse  et  potuit  et  debuit,  non  interpolatori.  Quid 
rei  sit  facile  est  perspicere.  Ordo  versuum  iam  in  exemplari  vetu- 
etissimo  unde  omnes  fluxerunt  nostri  Codices  turbatus  erat;  qui 
si  quid  video  restituendus  est  ita: 

789  inde  cadit  Priameia  pubes 

792     'pulsa  metu  vallumque  et  muros  aggere  saeptos 
793'    transiliunt,  alii  fossas  volvuntur  in  ipsas. 
Lib.  XV 

794  Advolat  interea  Danaum  metus  impiger  IJector: 

790  acrius  insurgunt   Troes  ad  Achaica  bella, 

795  confugiunt  iterum  ad  classes  Agamemnonis  alae 

796  atque  inde  adversis.  propellunt  viribus  hostem. 


De  recensendo  Homero  Latirio.  473 

lam  vides  iiniim  versum  790  casu  aliquo  in  falsum  abiisse 
lociim,  cuiiis  erroris  alia  in  hoc  libro  exempla  videbimus  infra  ad 
V.  597  et  969,  cf.  etiam  supra  958.  Languido  illo  interca  utitur 
scriptor  etiam  v.  538  et  839  in  initiis  librorum  VI  et  XVIII. 

Duo  tarnen  sunt  loci  quibns  P  W  bonum  versum  omisemnt,  quem 
ceterorum  codicum  archetypon  servavit,  sunt  828  et  985.  In  certa- 
mine  enim  Hectoris  cum  Patroclo  legendum  est: 

825     Tunc  prior  intorquet  collectis  viribus  hastam 

Dardanides,  quam  prolapsam  celeri  excipit  ictu 
Patroclus  redditque  vices  et^  mutua  dona, 
ohicit  et  saxum  ingenti  cum  pondere  missum, 
quod  clipeo  excussum  viridi  tellure  resedit. 

Genuinum  esse  illum  versum  obicit  et,  quem  M  et  N  (hie  leviter 
corruptus)  et  E^  (hie  cum  altero  licticio)  exhibent,  clamat  arti- 
iiciosa  illa  repetitio  et  particulae  post  appositionem  quam  dicunt; 
de  quo  usu  vide  Stat.  silv.  III  3,  56  et  Gronovium  in  diatribe 
(p.  190"^).  Loco  genuini  post  827  W^  addidit  fictum:  Atq(ue) 
ferox  iaculu(m)  toto  cu(m)  rohore  mittit. 

Nee  minus  recte  stat  v.  985,  quem  omiserunt  PW  (in  W  ad- 
didit man.  3),  dant  ceteri  omnes,     Hector  sie  victorem  precatur: 

Priami  nunc  ßlius  orat 
te  primum,  dux  ille  ducum,  quem  Graecia  solum 
perti7nuit;  si,  nee  precibus  nee  munere  victus, 
985     nee  lacrimis  miseri  nee  clara  gente  moveris, 
afßicti  miserere  patris;  moveat  tua  Peleus 
pectora  pro  Priamo,  pro  nostro  pignore  Pyrrhus. 

In  qua  precatione  omni  cum  arte  edolata  correxi  non  veritus  ne 
ipsum  poetam  corrigam  primtim  (^priamus  codd.,  primus  mire 
Baehrens);  dicit  scilicet:  quem  omnes  timent,  ab  eo  tu  primus 
oraris.  deinde  restitui  ex  PWGTE''  munere  victus  i.  commotus 
(cf.  1034)  pro  volgato  vulnere  victi,  et  v.  987  scripsi  pignore  i. 
lilio  pro  pectore  PWL  (corpore  inepte  ceteri  codd.  et  editiones 
praeter  Kootenianam,  quae  nescio  quo  auctore  pignore  habet). 

Vix  videtur  opus  esse  pluribus  probare  P  et  W  proxime 
affines  esse,  sed  ne  quid  omisisse  dicar,  addo  utrumque  codicem 
versus  969  et  970  falso  loco  post  933  exhibere,  ubi  in  W  eos  ex- 


474 


Friedrich  Vollmer, 


punxit  manus  3.  addiditque  suo  loco  in  margine.  Quae  res  ea 
maximc  de  causa  notabilis  est  quod  comprobat  archetypon,  ex  quo 
descripti  sunt  PW,  habuisse  circiter  34  versus  in  uiia  pagina.  Nam- 
que  apparet  hos  duos  versus  in  contextu  archetypi  omissos,  deinde 
in  margine  inferiore  vel  superiore  additos  per  errorem  falso  loco 
ab  iis  qui  describebant  codicem  adpictos  esse. 

lam  cum  ad  res  minores  descendendum  sit,  unum  quodque 
folium  legenti  ostentat  eiusdem  stirpis  esse  Codices  PW.  Et  de 
crebro  consensu  inter  eos  res  in  oculos  cadet  ex  indice  versuum, 
qui  his  ducibus  infra  emendabuntur ');  dicendum  est  iam  de  dis- 
crepantiis.   Graviores  sunt  hae:') 

W  P 


1 

diua  (calliope  s.  scr.  m.  3) 

mul'a  (}  diua  s. 

scr.  m.  3.) 

21 

nata  s.  r.  causa 

causa  s.  r.  nata 

(*.7.) 

25 

imil" 

unuf  t  imif 

48 

i.  nonae  s,  noctil' 

i.  noctil'  s.  non^ 

(*.7.) 

52 

Perdere  (Pandere  m,2\  edere  in. 

3) 

Prodere 

59 

versum  habet 

versum  omisit 

70 

Meret 

lleret 

83 

Atthetif  audita  nati  p(re)ce 

Thetif  &  audita 

prece  nati 

87 

Pro  Dato 

A  nato 

137 

p(ro)t(er)uior  alt(er) 

proteruior  ulli 

140 

Correptu(m) 

Correctu(in) 

181 

Longaq(ue)  t(er)  denif 

Longaq(ue)  cum 

denif 

191 

Quol' 

Quai" 

201 

q(ue)— q(ue) 

que  bis  omisit 

259 

at  n(ou) 

annon 

314 

co(n)torlit 

intoriit 

333 

0  m(eu)r  amor  (corr.  m.  2) 

0  m(eu)f  ardor 

355 

agitur  (}  oritur  s.  scr.  m.  2) 

oritur  {sil.) 

372 

commot(us) 

concuffuf 

387 

uituf  m(od)o  (r  supra  it  scr.  m. 

.2) 

modo  uirtul' 

411 

calidu(m) 

calido 

452 

Difllpat 

Diffecat 

')  Aliquot  tarnen  locos  hie  profero  ut  omnibus  pateat  PW  vel  in  vitiis 
archetypi  concinere :  206  orda  pheneuj'  PW ',  986  moneal  tua  pelex  pro  Peleus, 
615  ad  ima  PW  pro  ad  arma,  909   lerra  PW  pro  Ira. 

'^  Adnoto   me    litteras  in  W   erasas  his  uncis    []    includere;    quae  intra 

hos  uncos   leguntur   sunt  supplementa  man.  3.     Ubi  de  P   ex    silentio  meae 

collationis  testor,  addidi  (st/.).  Unci  rotundi  ()  siguilicant  litteras  uotis 
designari. 


De  recensendo  Homero  Latino. 


475 


453 

spargit 

fparfit 

461 

mouebant 

mouerent 

465 

nigra  corpuf 

corpuf  nigra 

480 

Deiectu(m) 

Reiectura 

504 

auerfof 

aduerfof  (sjV.) 

526 

certamine 

contamine 

542 

cedit 

cecidit 

578 

q(ue) 

que  om. 

630 

telamini 

certamine 

653 

delabitur  {at  fort,  i  m.  1) 

dilabitur 

675 

exculfoq(iie)  i.  p(ro)terit 

excufliifq(ue)  i.  protegit 

682 

At 

Et 

757 

c(on)tento 

c(um)  toto 

762 

limite  (ne  s.  scr.  m.  2) 

limine  (siV.) 

788 

p(ro)mace(m)  p(ro)sternit 

promace(ra)  sternit 

807 

P(ro)uolat 

Peruolat 

809 

Nunc 

T(un)c 

826 

p(ro)lapra(m) 

perlapfam 

840 

gerit 

gemit 

851 

0  hector 

Ilector  {sil.) 

862 

ign[i]potenf 

om(ni)p(oten)f 

889 

niediul'  stabat 

stabat  mediul" 

899 

serualT(et)  maguaru(in) 

magnaru(m)  fernaffet 

902 

gentif  uobif 

nobir  gentif 

LiOS 

in 

in  om. 

920 

P(ro)pellit 

Appellit 

924 

Ilorridul' 

Torriduf 

930 

obiecto 

obducto 

945 

Pallente(m)q(ue)  uident 

Pallantefq(ue)  uident 

fup(re)mo  teCm)pore  natum 

fupremo  funere  natu(m) 

968 

Du(m)[q;] 

T(un)c 

980 

En 

& 

984 

Pretimuit 

Pertimuit  {sil.) 

1000 

Fert  d(omi)ui  s.  e.  tii(m) 

Fer  dominu(m)  s.  e.  t(un)( 

1002 

funera 

uulnera 

1006 

Tu(in)  circa 

T(un)c  circa 

1014 

In  l'ua  castra  redit  turbif 

In  fua  castra  tubif 

comitat(iis)  achillef 

comitatur  achillef 

1028 

0  graie  {virgulam  sub  e  add.  iii.  2) 

0  graiu(m) 

1046 

ex  more 

ex  morte 

1057 

pectore 

corpore  (sil.) 

1058 

P(ro)uolat 

Peruolat 

1068 

versus  extat 

versum  omisit. 

476  Friedrich  Vollmer, 

Hie  index  perito  sat  demonstrat  in  Universum  a  codice  W 
alterum  superari  diligentia  describendi;  pauci  loci  sunt  ubi  P  certo 
melior  est,  52,  137,  191,  333;  de  137  infra  plura  dicenda  sunt. 
Magna  pars  mendorum  rubricatori  debetur.  Nonnullis  locis  dubi- 
tari  potest  uter  testis  magis  fide  sit  dignus,  ut  372,  452,  461,  930. 

Vix  opus  est  verbis  expressis  dicere  fieri  non  posse  ut  ere- 
damus  W  codicem  ex  P  fluxisse;  haec  coniectura  repellitur  et  aetato 
librorum  et  eo  quod  in  P  desunt  versus  59  et  1068,  quos  suis  locis 
praebet  W.  Sed  ne  contra  P  ex  W  fluxisse  ponamus,  quod  per 
aetatem  dicere  liceret,  obstat  iterum  unus  locus  atque  is  gravissimus, 
versum  dico  137.     Legimus  ibi  de  Thersite  in  editionibus: 

hie  tum  Thersites,  quo  non  deformior  alter 
venerat  ad  Troiam  linguave  protervior,  ultra 
bella  gerenda  negat. 

At  linguave  in  solo  Guelferbytano  scribitur,  boni  Codices  omnes 
habent  nee  lingua.  Coniecturae  Bergkii  debetur  ultra,  omnes  Codices 
dant  alter,  ad  quod  'e.  u.  priore'  recte  adnotat  Baehrens.  lam 
videamus  nostros  Codices:  in  W  legimus  \linguaue^  p(ro)t(er)uior 
alt(er)  i.  linguaue  additum  est  a  manu  3.,  quae  cum  cura  radendo 
delevit  quod  a  manu  1.  scriptum  erat.  Verum  P  —  et  sit  hoc 
exemplum,  quanti  hie  codex  debeat  aestimari  iis  locis  ubi  prima 
manus  in  W  delituit  —  nulla  correctione  foedatam  exhibet  antiquam 
et  veram  lectionem: 

nee  lingua  protervior  idli, 

quam  ipsius  poetae  esse  evincit  vel  sola  libera  et  antiqua  senten- 
tiarum  iunctura.  Vides  igitur  quid  rei  sit:  in  archetypo  codicum 
P  et  W  inerat  etiam  bona  illa  et  vera  lectio  idli-,  sed  W  eundem 
errorem  commisit  quem  arehetypon  eeterorum  codicum  et  alter  ex 
versu  priore  iterum  in  fine  posuit  versus  139,  Hoc  igitur  loco 
vetamur  credere  W  codicem  esse  patrem  P  libri,  immo  eo  adduci- 
mur  ut  ponamus  P  et  W  ex  eodem  antiquiore  descriptos  esse.  Qua 
re  demonstrata  proniores  etiam  erimus  ad  credendum  et  aliis  locis 
ut  52.  191.  333.  930  P  eodici  potius  fidem  largiendam  esse 
quam  W. 

lam  nil  obstaret  quominus  procederemus  ad  officium  descrip- 
tione  codicum  multo  gratius  acceptiusque,  ut  scilicet  donis  Fortunae 


De  recensendo  Homero  Latino.  477 

utereinur  atque  ex  codicibus  tarn  bonis  verba  poetae  plerumque 
nimis  despecti  et  eastigati  emendaremus,  nisi  altius  etiam  liceret 
progredi  in  historia  traditionis ;  namque  ni  omnia  me  fallunt,  casus 
servavit  nobis  folium  unum  ipsius  archetypi  ex  quo  manaverunt  et 
W  et  P.  Paulus  Thomas  cum  indicem  componeret  codicum  Lati- 
norum  qui  in  bybliotheca  Regia  Bruxellensi  servantur,  descripsit 
sub  n°  29  (i.  4344  catalogi  generalis)  fragmentum,  quod  nunc 
format  tegimen  codicis  christiani  4343,  cui  inscriptum  est:  Pertinet 
monasterio  Canonicarum  Regulissarum  montis  sancti  Ni/coJai  in 
Aerschot.  Ego  A  littera  signo.  Descriptio  autem  quam  Thomas 
dedit  p.  13  catalogi  sui  aliquatenus  corrigenda  est:  non  sunt  duo 
folia,  sed  unum,  altum  29,  5  cm.,  largum  23  cm.  Fuit  igitur  co- 
dicis permagni  folium  ultimum,  id  quod  ex  eo  apparet  quod  in 
folio  postico  nihil  scriptum  erat.  Continuit  autem  pagina  antica 
olim  finem  Ilomeri  Latini  inde  a  v.  1048  Tufm)  pirfa]  c(on)- 
struit(ur)',  nunc  vv.  1058 — 64  latent  sub  tergo  codicis  recentioris. 
Scriptura  codicis  si  quid  in  his  rebus  sentio  non  est  XT  saeculi 
ut  Thomae  visum  est,  sed  IX'  potius  quam  X'.  Folium  tam  latum 
erat  ut  duo  versuum  ordines  alter  iuxta  alterum  scriberentur.  Prior 
ordo  continuit  vel  adhuc  continet  versus  al048usque  ad  finem  carminis 
i.  23  versus,  sequitur  litteris  uncialibus  scriptum  FINIT  HOMERI 
L[ib]ER,  iam  spatium  trium  fere  versuum  vacat,  secuntur  capitis 
Ultimi  Daretis  ()  versus,  ceteri  octo  in  secundum  ordinem  qui  est 
a  dextra  parte  cesserunt,  cuius  reliqua  pars  vacua  est.  Versuum 
Homeri  initia  partim  legi  iam  non  possunt. 

Atque  quod  pono  hoc  folium  esse  partem  illius  codicis  ex  quo 
depicti  sunt  PW,  non  pono  propter  consensum  trium  testium  in 
verbis  poetae  tradendis '),  sed  aliis  rationibus  ductus.  Namque  et 
in  his  tribus  codicibus  Relgicis,  in  A  sicut  in  PW,  Homerum  se- 

^)  Hoc  argumentum  nihil  valeret,  cum  ne  ceteri  quidem  Codices  in  his 
versibus  usquam  graviter  discrepent.  Cetenim  non  desunt  parvae  differentiae 
inter  PW  et  A  fragmentum 

1050     Argiuaq:  A  argutaq:  PW 
1057    ^  corpore  ciunx  A  pectore  W  corpore  P 
Yalde  autem  dolendum  est  quod  versus  1060  in  quo  PW  soli  dant: 

Turba  rapit  contra  tarnen  omnibus  usque  resistit 
nunc   in  A    legi  nequit  abditus    post  tergum    eins    codicis   qui  fragmento  con- 
volutus  est. 


478  Friedrich  Vollmer, 

quitur  illud  caput  Daretis  Pugnatum  est  apud  Troiam  eqs.')  et 
transpositio  versuum  969 sq.  post  933  in  PW  facillime  explicatur 
ex  natura  talis  codicis  qualis  fuit  A,  scilicet  in  quo  duo  versuum 
ordines  in  una  folii  pagina  scripti  erant.  Numerus  enim  versuum 
uno  ordine  compositorum  in  A  fuit  fere  33,  id  quod  optime  concinit 
cum  iis  quae  de  archetypo  PW  codicum  supra  invenimus. 

Constituta  igitur  et  probata  affinitate  ea  quae  est  inter  APW 
tandem  pervenimus  ad  munus  gratius  scilicet  ut  ope  codicum  vetu- 
storum  verba  poetae  emendemus.  In  Universum  quidem  fatendum 
est  iam  IX"  saeculo  admodum  depravatam  fuisse  memoriam  huius 
carminis,  non  in  nominibus  solum,  quod  facile  intellegitur,  sed 
etiam  permultis  aliis  locis,  unde  apparet  iam  bis  temporibus  ludi- 
magistros  summa  cum  licentia  tractavisse  versus  scholae  si  non 
destinatos  at  utilissimos.  Sat  tamen  extat  locorum  ubi  PW  soli 
vestigia  bonae  fidei  servaverunt  et  plures,  quod  re  ipsa  facile  ex- 
plicatur, in  fine  quam  in  initio  carminis. 

Melius  igitur  constitui  velim  secundum  PW  versus  hos:^) 

V.  7  ex  quo  protulerant  discordia  pectora  turbas, 
sceptriger  Atrides  et  hello  clainis  Achilles. 

Protulerant  ex  quo  PW  pugnaf  P  pugn\p]  W  Pertulerunt 
ex  quo  discordia  p.  turmas  Ermenriciis,  Mon.  Germ,  Epist.  V 
post.  p.  545. 

Recte  iam  Ehwald  (p.  49)  defendit  discordia  pectora, 
ad  quod  nomina  explicative  adponuntur;  non  minus  recte 
stat  protulerant,  cum  et  OlaaTr^'zr^v  initium  significet  discordiae. 
Neque  iam  dubito  quin  id  quod  Ermenricus  sen^avit  turmas  i. 
turbas  antiquius  sit  quam  puynas,  quo  adscripto  potuit  aliquis  inter- 
pretari  illud  turbas.  De  transponendis  primis  verbis  in  v.  7  dixi 
in  Berl.  philol.  Wochenschr.  1899  p.  69. 

')  Quo  capite  adiecto  etiam  ostenditur  codicem  F  Laurentiamim  eiiisdcm 
familiae  esse  ac  APW,  licet  in  codice  hoc  depravatissiino  iam  nequeant  certe 
monstrari  gradus  affinitatis  quibus  cum  illis  antiquioribus  iunctus  est.  Hoc 
solum  moneo  eum  propius  ad  P  quam  ad  W  accedere,  cum  in  F  sicut  in  P 
Homonim  sequatur  Persins  praevio  prologo. 

'^)  Practereo  fere  eos  versus,  ubi  ex  aliis  codiciluis  iam  uota  erat  lectio 
iu  PW  servata,  nee  minus  nunc  praetereo  si  qua  alia  in  verbis  emeudauda 
censeo. 


De  recensendo  Homero  Latino.  479 

V.  38  coniectura  Dusseni  si  qua  ut  confirmatur  ex  PW\ 
V.  76  consensus  codicum  PTV  cum  BLVN  suadet  ut  recipiamus 
defendere  se  ense,  quo  descriptio  litis  valde  animatur, 

Eadem  elisio  quam  dicunt  codicibus  PWM  vindicatur  in  v.  126 

cum  prtTnum  Titan  se  evierserit  undis, 

quam  constructionem  et  Manilius  exhibet  V  198. 

Asyndeton  quominus  cum  editionibus  tollamus  obstat  consensus 
bonorum  codicum  et  135  et  138  (cf.  infra  510) 

quorum  rex  fortia  dictis 
135    2:)ectora  collaudat,  grates  agit  omnibus  aequas. 

collaudat  P  collauda[ns]  W 

138     bella  gerenda  negat,  patrias  hortatur  ad  oras 
vertere  iter. 

patrias[q:]  W. 

Propter  rem  metricam  magni  momenti  est,   quod  etiam  PW 
sie  exhibent  versum  151 

Tunc  sie  deinde  senex:  moneo  remoneboque,  Achivi 
q(ue)  in  W  add.  m.  3. 

Libera  quoque  constructio  in  v.  156,  de  qua  vide  ad  Stat.  silv. 
V  3,  4,  defensores  invenit  antiquissimos  Codices: 

arma  paran 
dux  iuhet  atque  animos  aptare  et  pectora  pugnae. 

lam  V.  191  licet  ex  PW  certe  restituere  et  simul  novum  the- 
sauro  latino  addere  verbum: 

et  bis  vicenas  Locrum  fortissimus  Aiax 
190     instruxit  puppes  totide^nque  Euhaemone  natus, 
quas  iuxta  Graium  dui'us  comitator  Achilles 
cum  quinquaginta  materna  per  aequora  vectiis. 

191    Quo/  W    cet.    Qua/  P         iuxta   gra[uis    et]    dur(us) 
comitat[u]r'y(  graium  durus  comitator  P  (t  v  supr.  scr.  m.  3.). 

Quas  necessarium  est  propter  nude  positum  illud  cum  quinqua- 
ginta seil,  navibus;  durus  autem  comitator  appellatur  Achilles  a 
poeta  propter  [Jir|Vtv.  Lectio  interpolata  Graium  murus  (L  corr.') 
lluxit  ex  Ovid.  Met.  XIll  281. 


480  Friedrich  Vollmer, 

510  periodos  titubans  ex  PW  sanatur: 

conspicit  Atrides:  stncto  concurrere  ferro 
comparat  et  iaculum  .  .  .  intarquet 
sie  P,  stricto[q;  ocjcurrere  W. 

V.  520sq.  PW  suadent  iit  lectio  post  Weytiugliiuiii  relicta 
restituatur  quae  est  haec: 

post  hos  lovis  inclita  proles 
Sarpedon  bellum  funestaque  proelia  mücet. 
Cf.  V.  925:  funereas  acies  horrendaque  proelia  mücet. 
V.  528  PW  dant  fortissima  corpora. 

V.  532 sqq.  PW  difficultates  summas  non  modo  non  tollunt 
sed  augent.     Codices  omnes  fere  sie: 

Pugnat  helUpotens  casta  cum  Pallade  Mav&rs 
ingentemque  movet  clipeum,  quem  sancta  virago 
egit  et  extrema  perctissum  cuspide  caedit 
535     atfonüumque  simul  caelum  petere  ipsa  coegit. 
Haec  omnia  cum  Homero  vix  conciliantur.     Audax  iam  esset 
medela  ponere  in  versu  533  movet  cornum  {pinuvi  Baehrensius), 
quam  et  535  cum  Dusseno    /regit,    at    omnes    di  me  reliquerunt 
cum  legerem  in  P  v.  535  simul  petere  inferna  ipsa  coegit  et  postea 
in  W  simul  [celum  petere]  ipsa  coegit  ita  tamen  ut  sub  correctione 
manus  3.   clare   etiam  appareant  litterae  /er,   ut  dubium    non  sit 
olim    in  W  idem    fuisse    quod    in  P.     Aut   insipidissimi    lectoris 
de  diabolo  cogitantis   interpolatio  iam  vetustissimos  invasit  Codices 
aut  medela  totius  loci  ex  Ins  verbis  elicienda  felicioribus  restat. 
Contra  v.  565  nullus  dubito  sequi  fldem  codicum  PW 
parvumque  a  pectore  natum 
Astyanacta  tenet 

parvu(m)q(ue)  [ad]  pevtor{a\  W. 

V.  589  iterum  asyndeton  defenditur  codicibus  PW;  lege: 
principio  iaculant:  committunt  proelia  ielis. 
mox  rigidos  stringunt  enses 

commin[uni]  P,  litteras  seclusos  in  rasura  pinxit  m.  2. 

Cuicui  autem  propter  v.  535  auctoritas  codicum  PW  dubia 
videtur,  is  vinctas  praebebit  manus  cum  audiet  quam  bene  com- 
paratio  595 sqq.  eoriim  ope  restituatur.     Locus  sie  est  legendus: 


De  recensendo  Homero  Latino.  481 

595  non  sie  saetigeri  exacuunt  fervoribus  iras 

596  pectoribusciue  petunt  vastis,  modo  dentibus  uncis 

598  fortia  terga  premunt  spumantque  per  ora  vicissim 

599  fumiferne  nubes,  concretaque  fulgura  et  ignes 
(5(X)  iactaiitur  magnoque  impJentur  murmure  silvae: 
ßOl  talis  Priamides  ardorque  Aiacis  in  armis 

597  alteimi  librant  gladios  et  vulnera  miscent. 

Versum  601,  qui  in  ceteris  codicibus  sie  traditur  talis  priamides 
similisque  Eacides  in  armis,  inde  a  Schradero  editores  ut  spurium 
damnaverunt.  Verius  ex  PW  demum  discimus.  Quod  cum  co- 
giiitum  esset,  facile  erat  eonicere  versum  597  aequo  ac  supra  de  792 
vidimus  in  omnibus  codicibus  (etiam  in  PW)  falso  loco  poni  et 
in  line  demum  comparationis  recte  stare.  Quam  coniecturam  et 
cgo  ante  hos  duos  annos  feci  et  Rossbach  fecit  (Herrn.  XVII  518) 
et  fecit  is  qui  saeculo  XI II  codicem  W  correxit,  nempe  litteris  a — h 
[)raepositis  v.  597  post  601  relegavit.  Vides  autem  quam  bene  nunc 
omnia  in  comparatione  se  habeant.  Nulla  ex  quinque  quibus  editores 
lios  versus  deformaverunt  coniectura  opus  est:  et  petunt  et  premunt 
obiectum  habent  fortia  terga,  atque  concreta  fulgura  sunt  dentes 
aprorum  pugnando  impliciti,  quibus  rhetorice  et  ignes  per  ludum 
adicitur  pro  irae.  Maior  etiam  pars  codicum  {fulmina  MN)  stat 
pro  lectione  fulgura,  quam  post  Ovidii  fulmina  novavisse  videtur 
hie  poeta. 

Versus  621 — 626  contra  athetesin  editorum  iam  optime  defendit 
0.  Rossbach  (Hermes  XVII,  1882,  p.  516 sqq.).  Et  hie  auxilium 
Optimum  petitur  ex  PW;  vitium  enim  metrieum  quod  restabat  in 
v.  623  at  contra  r'eferre  parat  Telamonius  Äiax,  reetissime  tollit 
P,  in  quo  legimus  se  ferre,  quod  genus  dicendi  singuhire  auctor 
carminis  sumpsit  sine  dubio  ex  Verg.  A.  V.  372  qui  se  Bebrycia 
veniens  Amyci  de  gente  ferebat.  Idem  quod  in  P  olim  extitisse  in 
W,  maxime  est  simile  veri;  hodie  legitur  [jre^ferre  corruptum  a 
manu  tertia.  Neque  mihi  dubium  videtur  quin  in  v.  626  retinen- 
dum  sit  quod  optimi  Codices  (etiam  PW ')  dant,  scilicet: 

Hector  ut  Ilesionae  riomen  casusque  recordans, 
'  absistamus    ait 

quod  idem  est  ac  si   dixisset  ut  qui  .  .  ,  recordetur.     De   nomine 

Festsclirift   VaUlen.  31 


482  Friedrich  Vollmer, 

Hesionae  ut  niatris  Aiacis,  quod  inprimis  editoribus  in  causa  fiiit 
ut  hos  versus  abicerent,  iuvat  addere,  quod  Rossbachiuin  fugit '), 
legi  apud  Daretem  Plirygium  c.  19  (p.  25,  1  Meister)  cum  quo 
(Aiace)  cum  congvederetur  (liector),  cognovit  eitm  esae  de  sanguine 
suOy  erat  enim  de  Besiona  sorore  Priami  natus.  De  miro  hoc  con- 
sensu,  qui  fortasse  ad  unum  fontem  A^erg.  A.  YIII  157  sq.  redit, 
amplius  quaerere  hie  longum  est;  nunc  satis  est  ^Trsiaootov  poetae 
nos  £1?  ctci',  ut  speramus,  suspicioni  exemisse. 

V.  665  in  archetypum  reliquorum  codicuni  invasit  verbum 
emicat;  cum  in  versu  posteriore  omnibus  codicibus  praeter  E  desit 
que,  potior  lectio  esse  videtur  quam  dant  PW: 

princeps  Ti/dides  fulgens  ardentibus  annis 
per  viedios  hostes  inmani  pondere  feHur 

sie  P,  immani  [iurbine]  W. 

V.  679  P  recte  tradit 

se  rursus  Dmiai  turhati  caede  suorum 
convertunt; 
de  W  non  plane  constat;  man.  3  radendo  substituit  Sed,  subfuisse 
mihi  videtur  Si,  non  Sic  neque  aS^. 

In  versu  688  misere  corrupto  PW  non  medelam  aflferunt,  sed 
tarnen  monstrant  qua  lectione  nitendum  sit  ut  verum  inveniatur. 
Exhibet  P  niox  hoste  repulso  ut  GMN;  in  W  de  iis  quae  manus 
1  scripsit  nihil  restat,  m.  3  substituit  hostique  repulso.  Equitlem 
non  dubito  quin  poeta  scripserit  mon-  Nesiore  pulsi  i.  commoti, 
admoniti;  quae  lectio  abiit  in  nesto  repulsi^  deinde  in  hoste  repulso. 
Ablativum  hunc  potius  concederem  poetae  quam  dativum  graecum 
Nestm'i,  cf.  1020  hoc  i.  Hectore  defensa  senectus. 

V.  712  ceteri  Codices  tradunt  ßdens  aniwoque  manuque;  P 
habet  ßxus,  W  fi[dens],  vetus  igitur  traditio  videtur  esse  ßsus. 

In  V.  733  Baehrensii  coniectura  probatur  ex  PW:  legeu- 
dum  est 

praeda  umeros  onerant  multo  et  candore  nitentes 
Thracas  equos  rapiunt. 
&  legitur  in  P  et  sublucet  ex  rasura  in  W. 

-*)  Vidit  Havel  (Revue  de  philoIogie  X,  1886,    p.  46sqq.),    qui  inde  per 
peram  coniecit  versus  621— (5  ex  Darete  interpolatos  esse. 


De  recensendo  Ilomero  Latino.  483 

V.  765  id  qiiod  praebent  PW: 

äuget  victoria  vires  (praebet  cett.) 

commendatiir  v.  494:  f/eminat  victoria  vires. 

Nuni  V.  769sq.  antiquius  sit  quod  traduiit  PW: 

omnes  turhati  fugiunt  in  eastra  Pelasgi 

ct.  scondunt  puppes:  insfat  Troiana  iuventus 

dubitari  potest. 

Quod  habent  PW  in  v.  783: 

Xanthi  lavere  fluentis 

contm  ßucnto  commendatiir  versu  Vergili  IV  143  Xanthique  ßuenta. 

In  V.  790  insurgunt  (PWMN)  iam  supra  tacitus  restitui;  ad- 
surgunt  fortasse  eidem  dcbetur  interpolatori  qui  addidit  versum 
insfaurantque  manus. 

In  V.  817 sq.  PW  stant  pro  hac  lectione: 

occurrif  contra  magnoque  hunc  incrcpat  ore: 
Imc  age  nmic  converte  gradum. 

pr^xopixojTspov  iit  enuntiatum  accepto  testimonio  nostrorum 
codiciim  in  versibus  sequentibus  819sq. 

iam  nosces^  ultrix  quid  Troica  deuicra  possit 
et  quantum  hello  possit  fortissimus  Ilector. 

Initium  libri  XVIII,  v.  839 sqq.  sie  exhibent  PW: 

Interea  iuvenis  tristi  cum  plebe  suorum 
Nestorides  in  eastra  gerit  miserahile  corpus. 
Tunc  ut  Pelidis  aures  diverherat  horror, 
palluit  infelix  iuvenis. 

quod  interim  retineo. 

Versus  843 sq.  editores  post  Kootenium  damnaverunt.  Vide 
tarnen  an  sie  distineti  possint  servari: 

palluit  infeiix  iuvenis,  calor  ossa  reliquit, 
memhra  simul  lacrimans  materno  nectit  amictu. 
deflens  Aeacides,  tristis  de  caede  sodalis 
unguihus  ora  secat  eqs. 

Pro  tristis  stant  PW. 

31* 


4Ö4  Friedlich  Vollmer, 

Locus  fere  desperatissimus  totius  carminis  est  descriptio  scuti 
Achillis,  in  qua  PW  maximam  paitem  fidem  ceterorum  librorum 
sustentant.  lam  in  versibus  859  sq.  ego  aliam  medelam  non  inveni 
nisi  ut  coniciam  initia  versuum  locum  inter  se  mutavisse  et  fuisse 
primitus 

Evolat  atque  refert  divinis  aiiibus  arma 
mox  effeda  Thetis 
in  quibus  atque  posui  pro  codicum  meliorum  lectione  et  (sie  PW); 
transpositio  mihi  maxime  necessaria    videtur   propter   illud   quae, 
quod  sie  ut  verba  traduntur  plane  interclusum  est  ab  anna  quo 
referri  debet. 

Ipsa  autem  deseriptio  ubique  demonstrat  poetam  artis  suae  ad 
praeeepta  seholae  speeimen  quam  optimum  dare  studuisso,  plane 
seeurum  num  ab  Homero  reeederet,  at  omni  cura  operam  dando  ut 
singula  bene  diceret  et  formaret;  qua  in  re  optimum  invenit  exeraplum 
Ovidi,  deseriptionem  seilicet  regiae  Solls,  Met.  11  1 — 18.  Ingenium 
enim  ipsius  non  adeo  viguisse  ut  exempla  sua  plane  in  usuni  suum 
eogeret,  optime  ostendunt  versus  865 — 870,  quae  non  sunt  de- 
seriptio eaeli  sed  enumeratio  quaestionum  meteorologicarum,  qualem 
in  argumeuto  plane  diverso  eomposuerunt  (.'ic.  de  cons.  suo  II6sqq. 
Verg.  georg.  II  475sqq.  Ov.  met.  XV,  69sqq.  et  alii  multi,  quos 
attuli  ad  Stat.  silv.  V  3,  19.  Ceterum  non  omnia  mihi  adeo  cor- 
rupta  videntur  quam  adhuc  putabant  viri  docti.  Turbas  sane  feeit 
unus  versus  qui  est  873  apud  Baehrensium 

fecerat  et  Hquidas  mire  nm^eidos  arces 

(sie  PWBGEV),  quem  eodiees  reeentiores  post  8ß3  ponunt,  EL 
post  874,  bis  exhibent  et  post  863  et  post  874  PW,  altero  loeo 
viire  Hquidas  seribentes.  Atque  ego  persuasum  habeo  suo  loeo 
Stare  versum  post  874,  legendum  esse  Neleidos  et  interpretandum 
Hquidas  arces  ctp-jucpeov  cnrio?  Thetidis  (II.  XVIII  50),  suo  autem 
marte  poetam  aliquid  addidisse  de  domo  matris  in  fdi  seuto  depietae. 
A^ersus  igitur  eum  falso  loeo  insereretur  quasi  dissecuit  versum 
alium  quem  post  862  desideramus: 

sideraque  et  terras  et  cinctum  Nerea  circutn 
et  secum  traxit  frustulum    alius   versus,    verba   seilicet   redimifas 
undique  nymphan,  quae  sunt  variatio  illius  rinctum  Nerea  circum 


De  recensendo  Homero  Latino.  485 

facta  ab  iiiio  ox  iis  magistellis  qui  per  saecula  textum  poetae 
possumdedere;  liquidis  vero  irrepsit  ex  v.  873.  Quos  versus  si 
suis  reddimus  locis,  restat  mendum  leve  in  v.  869;  nempe  in 
subiit  pro  mw;  Luna  iam  orhe  cava  variat  Homericum  asXijvrjv 
TS  7rXy]9ou3av;  postquam  autem  poeta  duobus  versibus  dixit  de 
arcto  et  austro,  occasu  et  ortu,  solis  mentionem  ego  quidem  noii 
desidero.     Sic  ergo  mecum  restitue  v.  861  sqq.: 

IlUc  Ignipotens  mundi  caelaverat  arcem 
sideraque  et  terras  et  cinctum  Nerea  circum; 
annorumque  vices  dimensaque  tempora  noctis 
quatuor  et  nmndi  paHes,  quantum  arctos  ah  austro 
et  quantum  occasus  roseo  distaret  ah  ortti, 
Lucifer  unde  suis,  unde  Hesperos  unus  uterque 
exoreretur  equis,  et  quantum  iam  orhe  mearet 
Luna  cava  et  nitida  lustraret  lampade  caelum; 
addideratque  fretis  sua  numina:  Nerea  magnum 
Oceanumque  senem  nee  eundem  Protca  semper 
Tritonesque  feros  et  amantem  Dorida  ßuctiis, 
fecerat  et  liquidas  mire  Neleidos  arces; 
terra  gerit  eqs. 

V.  879  et  P  et  W  comprobant  veram  esse  coniecturam  Heinsii 
fronte  severa. 

Etiam  sequentes  versus  aliquid  lucis  trahunt  ex  PW.  Ad- 
pono  eos  ut  legi  velim: 

parte  alia  castae  resonant  paeatia  puellae 
dantque  choros  molles  et  tympana  dextera  pidsat; 
nie  Igrae  graciles  extenso  pollice  chordäs 
percurrit  septemque  modos  modulatur  avenis; 
carmina  componunt  mimi  resonantia  motum. 

caste  rejonant  sie  ponunt  PW  et  [dextra  tympana  pulsant]  W 
et  ' '  tympana  dextera  jnäsant  (puncta  posuit  m.  2)  P  et  timpana 
dextera  pulsat  Atque  Gesta  Bereugarii  I  65  (Mon.  Genn.  poet.  med. 
aevi  IV  1,  p.  360)     mundi  PW  cett. 

Mutata  structura  quae  est  in  dantque  choros  molles  et  tympana 
dextera  pulsat  antiquitatem  sapit.    Ille  (sie  PW,  in  quo  lUfaJ)  est 


486  Friedrich   Vollmer, 

Oeto?  dotob?  cpopfi-t'Cwv  Tlomeri  (XVIII  004),  v.  884  autem  ni  omnia 
me  fallunt  reddit  Ilomeri  vv.  605  sq.  ooiw  8s  xußiatyjXTjpe  xat  atitou; 
fioXirr;?  s^ap/ovtos  eoivsuov  xaxa  jxssaou?,  quare  pro  mundi  scripsi 
mimi,  ciiius  motus  carminibus  resonantibus  illius,  qui  modo  chordas 
percurrit  modo  tibiis  eanit,  componitiir  i.  regitur  et  mollitur. 

Versum  890  iit  sanarem  mihi  non  contigit;  PW  comprobant 
fidem  codicum  FMNV  exhibentes 

Qwe  diua  foejij  relique  circaque  sedehant. 

Verum  in  versu  insequenti  miror  neminem  adhuc  emendavisse  quod 
praesto  est: 

anguineis  maestae  Clotho  Lachesisque  capülis. 
De  Parcis  anguicomis  conferatur  S kutsch  (Fleckeis.  Jahrb.  1893, 
p.  838).    Apparet  autem  poetam  ab  Homero  (XVIII  535 sqq.)  longis- 
sime  recedere. 

In  V.  895  sq.  postquam  multa  temptavere  viri  docti,  tandem 
ex  PW  verum  prodit: 

895  vidü  Cijthereius  heros 

occut'ritque  viro,  sed  non  cum  viribus  aequis 
Aeacidae,  nee  corpus  erat,  tarnen  ira  coegit 
conferre  invictis  iuvenem  cum  viribus  arma. 
Aeacidae  aperte  dativus  est  pendens  ab  aequis.    lam  corpus,  quod 
extat  in  PW,    certe    corruptum    est;    tamen    coniectura  Spondani 
plerisque  editoribus  recepta,  quam  iam  in  W  tertia  manus  super- 
scripsit,    compar,    falsa  est,   cum    viribus   aequis    plane   idem    sit. 
Aut  ex  Verg.  A.  VIII  809  Pelidae  .  .  congressum  Aeneam  nee  dis 
nee  viribus  aequis  aliquid  corrigendum   quod   de    deae    matris   vel 
ApoUinis    tutela   intellegatur,    aut  —  et   id   verius   puto  —  post 
Aeacidae  gravius  interpungendum  et  legendum:  nee  torvus  erat^  quo 
poeta  excusaret  pium  Aeneam,    originem  clarae  gentis,  quod   cum 
validiore  manus  conseruisset. 

932  ex  PW  restituere  licet  anaphoram: 

quem  non  durae  timor  undique  mortis, 
non  patriae  tenuere  preces. 
mortis,  sie  PW. 

966  ex  PW  tandem  apparet  vera  lectio  simulque  quo  modo 
Codices  recentiores  corrupti  sint.     Restituendum  est: 


De  recensendo  Ilomero  Latino.  487 

nee  suferre  valet  ultra  sortemque  supremam 
stantemque  Aeacidem  defectus  mribtis  Hector. 

valet  in  caesura  non  abhorret  ab  arte  Vergiliana  quam  hie  poeta 
sequi tur;  sors  suprema  est  decisio  Fati  a  love  per  libram  quaesita 
(II.  XXII  209  sqq.),  stans  autem  Achilles  opponitur  defecto  viribus 
llectori. 

978  rectissime  PW  (hie  [fujnera)  testantur: 
Troes  sua  vulnera  deßent. 
Vulncravit  modo,  nondum  necavit  Achilles  Hectora;  huius  vulnera 
ut  sua  deflent  cives. 

Cum  in  v.  1008  etiam  PW  fidem  ceterorum  codicum  adiuvent 
(tijrj'in  P  tirsin  W),  ab  hac  corruptela  aperta  omnis  emendatio 
proficisci  debet.  Quia  autem  poeta  in  his  certaminibus  nunquam 
plures  duobus  certatoribus  nominatim  affert,  de  Merione  in  v.  1009 
non  erit  dubitandum  neque  de  epitheto  eins  cur/u  pedibu^que  ferocem, 
cum  quibus  iam  C.  Schenkl  (p.  257)  recte  composuit  II.  XIII  249 
Mr^ptov/j  MoXou  ulk  ttoSoc?  xa/u  et  XVI  342  MyjptovrjC  5'  'Axotfiavta 
äv/cU  TTosi  xotpTraXifAoiaiv.  Sententia  igitur  est:  Diomedes  Merionen, 
quam  vis  insuperabilis  cursu  pedibusque  fuerit,  vicit  tijrsinl  Quid 
hoc  est?  Non  potest  aliud  subesse  nisi  equorum  Diomedis  indi- 
catio.     Legimus  autem  apud  Homerum  XXIII  290: 

TU)   5'  ird  TuSsior^;  aipio  xpaispö;  AiOfiVjiivj?, 

et  iterum  v.  377 

tÄ?  OS  |X£T    E^scpspov  A\.o\t.rfizoQ  apösve?  nriroi 

Tptuiot. 
Quid  igitur?     Credo    poetam,    cui    saepius    formae   Troes,    Troum, 
Troas  usu  veniunt,    hie    ausum    esse    Trosin    ut  Diomedis    equos 
designaret,    et  sane  eius,  ut  Romani,  intererat  equorum,    ous  ttot' 
dur^upa  Aivet'otv,  silentio  non  praeterire  palmam. 

V.  1019 sq.  seeundum  fidem  archetypi  PW  sie  sunt  edendi: 
mit  omnis  in  uno 

Hector e  causa  Phrygum,  ruit  hoc  defensa  senectus 

afflicti  miseranda  patris.     Quem  eqs. 

fuit  hoc  P  frigu(m)  [cecidil  defecta  senectus]  W. 

De  ablativo  hoc  i.  Hectore  v.  quae  dixi  ad  v.  688. 


488  Friedrich  V'ollmer, 

De  versu  1050  iam  ogi  in  Berl.  phil.  Woch.  1S99  p.  70,  1. 
Rectissime  Lactantius  ad  Stat.  Theb.  VI  121  sie  cum  relcrt: 

cumqtie  cavis  f/aleis  clipeique  Argivaque  tela, 
caleis  clipeis  Monacciisis,  corr.  Jahnkc. 

eum  APW  Stent  pro  parte  ceterorum  eodicum  et  foedissimum 
hiatum  exhibeant 

et  clipei  galeaeque  cacae  Argivaque  tela. 
argutaq;  PW. 

In  V.  1060  autem  PW  verum  nobis  reddunt: 

procolat  Andromache  mediosque  inmitterc  iJi  ignes 
se  cuplt  Astijanacta  tenens,  quam  iussa  suamvi 
tuvha  rapit;  contra  tarnen  Omnibus  usque  rcsistif, 
dorne  conlapsae  ceciderunt  rohora  flammae. 

fuonim  P  [fuoi-ü]  W. 

Atque  ego  quidem  recte  puto  tradi  mssa  suarum  turba  rapit; 
ancillao  nimirum  a  Priamo  iubentur  abducere  a  pyra  coniugem 
infelicem  et  rapiunt  eam  i.  conantur  cam  abripcre;  Andromache 
autem  resistit  et  remanet  donec  rogus  exustus  est. 

Iam  in  epilogo  propter  acrosticlion  a  poeta  addito  nihil  lere 
novi  donant  APW;  sed  in  editionibus  ca  quae  tradita  sunt  tarn 
perverse  constituuntur,  ut  occasione  data  non  abuti  mihi  videar  si 
recta  hie  proferam: 

Sed  iam  siste  gradum  ßnemque  inpone  labori, 
Calliope,  vatisque  tui  moderare  carinani, 

1065     Remis  quem  cernis  stringentem  litora  paiicis. 

lamque  tenet  portum  7netamque  poteniis  Ilomeri: 
Pieridum  comitata  cohors,  svhmitte  rudentes 
Sanctaque  virgineos  lauro  redimita  capillos 
Ipsa  tuas  depone  Igras.     Ades,  inclita  Pallas, 

1070     Tuque  fave  cursu  vatis  iam,  Phoebe,  peracto. 

1063  Sed  mapna  initiali  PW  1065  Quem  cernis  puncis 

stringentem  litora  remis  APW,   corr.  Bachrens  1066  Namque 

tenet  kV\i . 


De  recensendo  Ilomero  Latino.  489 

Tmitatus  est  poeta  Lucretium,  cuiiis  hi  sunt  versus  (VI  92): 

tu  mihi  supremae  praescripta  ad  Candida  calcis 
currenti  spatium  praemonstra,  callida  musa 
Calliope,  .  .  . 
te  duce  ut  insigni  capiam  cum  laude  coronam. 

Qui  offenderunt  in  verbo  moderare  non  meminerunt  ultimam  partem 
navigationis  in  appellenda  navi  saepe  esse  longe  periculosissimam. 
Hecte  stat  quem;  nimirum  quod  de  nave  dici  potest,  suo  iure  ad 
nautam  i.  poetam  transfertur.  Paucis  autem  remis  remigatur 
si  iam  in  eo  est  ut  navis  appellat.  Vides  quam  bene  belleque 
poeta  se  gerat,  iam  liber  vinculo  imitandi  et  epitomandi.  Atque 
lumen  ei  dempsere  qui  illud  tenet  v.  1066  corruperunt  in  tenens; 
depingit  scilicet  vivide  ipsum  tempus  appellendi:  iam  poeta  tenet 
portum,  poeta  non  navis,  namque  altera  imagine,  Lueretiana 
scilicet,  addit  metam.  Statim  autem  redit  ad  imaginem  priorem 
compellitque  ceteras  Musas  quae  gubernatori  ministraverunt  ipsamque 
Calliopem  quae  navem  feliciter  in  portum  adduxit.  Finem  iam 
facit  aptissime  orando  deam  bellandi  canendique  deum. 

Atque  ut  ego  quoque  cursum  hie  illic  molestum  diffieilemque 
peragam,  summam  breviter  adpono  eorum  quae  ex  APW  lucrati 
sumus.  Infecti  quidem  iam  sunt  vel  hi  antiquissimi  Codices  labe 
jnendorum  ingenti  quam  hoc  Carmen  ut  in  scholis  tritum  traxit, 
at  servaverunt  nobis  aliquot  versus  bonos  vel  fide  sua  fulserunt, 
suspectus  alios  damnaverunt,  multis  locis  genuinas  lectiones  vel 
ipsi  protulerunt,  vel  ansam  dederunt  ad  eas  inveniendas.  Si  quis  autem 
denuo  editionem  carminis  haud  spernendi  parabit,  quod  munus  me 
ipsum  aliquando  suscepturum  spero,  poterit  ex  notis  criticis  maxi- 
mam  partem  tollere  testimonia  codicum  recentiorum  textumque 
recensere  flde  archetypi  saeculi  fere  noni  atque  eum  meliorem  puto 
quam  adhuc  circumfertur. 


XXVI. 
Fridolf  V.  Gustafsson. 

De  Statu  Acliilleidos  codice  Monacensi. 


^1 


Egregium  Stcatii  de  Achille  adulescente  Carmen  in  uno  omnium 
optime  codice  nobis  traditum  esse  magis  in  dies  magisque  constat, 
Puteaneo,  Parisino  8051,  saec.  X,  ita  tarnen  ut  ne  ceterorum 
quidem  omnis  librorum  memoria  videatur  esse  contemnenda.  Eorum 
autem,  quos  in  editione  sua  anni  1879  adhibuit  Ph.  Kohlmann,  et 
eorum,  quotqiiot  in  Italia,  Britannia,  aliis  in  terris  contuli,  proxime 
ad  Puteanei  similitudinem  accedit  codex  Monacensis  14557,  saec.  XIV, 
qui  nimis  diu  iacuit  neglectus.  Multa  illius  quidem  sunt  cum 
Etonensi  libro,  quem  descripsit  C.  Schenkl  (Wiener  Studien  IV 
96  seq.),  communia,  ut  nisi  hunc  plenius  habeas  collatum,  quae 
sunt  in  Monacensi  nihil  omuia  congerere  attineat. 

Quae  tarnen  et  in  ambobus  illis  vel  in  Monacensi  et  in 
Puteaneo  simul  adsunt,  in  reliquo  instrumento  Kohlmanni  non 
sunt,  ea  duobus  illis  band  parvam  fidem  adsignant,  sicut  I  381 
vultu,  non  vofo,  nedum  7iato;  495  gloria  non  copia-,  602  sibi  risit, 
892  pavorem,  908  p^osträvit,  928  atqtie  ipsas  cogitat,  947  egomet', 
II  21  ducere,  35  violavit,  98  ?iausisse,  106  arma,  116  terga,  aspi- 
rante  praesertim  etiam  in  minimis  rebus  similitudinis  aequabilitate. 
Neque  ex  ipso  Puteaneo  exscriptus  est  Monacensis,  in  quo  inest 
versus  I  772,  in  illo  omissus.  Mixtus  potius  est  aut  originem  duxit 
ex  vetustiore  libro,  quem  plurimis  locis  sive  licenter  correctum 
nimis  fideliter  reddidit  librarius,  sive  minus  dilucide  perscriptum 
tam  parum  intellexit,  ut  ab  initio  usque  ad  finem  suuni  opus  non 
solum  solitis  ceterorum  corruptelis  inquinaret,  sed  etiam  propriis 
et  miris  aspergeret  maculis,  ut  I  26  gutture  pro  gurgite,  480  secretius 
annos  pro  secreta  per  amnes,  I  569  illa  (sie !)  revisit  pro  resumit, 
763  iaruif  pro  ntcentum,    II  7  mirora  pro  aura,    108  cuncfis  pro 


494  Fridolf  y.  Gustafsson, 

cutis^  162  deficit  pro  cederet^  165  solet  hie  arcere  pro  solitus  placm'e. 
A^ersum  I  121  recte,  ut  Puteaneus  et  Etonensis,  exhibet  Monaeensis 
surgens  servato;  quae  addita  in  margine  sunt:  mater  Achillis  Thetis, 
falsam  argimnt  ceterorum  codicum  lectionem  mater.  Et  I  141,  ul)i 
ex  Puteaneo  scribitur.A^^te,  ei  propius  advenit  Monaeensis,  qui  nunc 
praebet  fa .  fa,  liabuit  certe  facta,  dum  alii  fata  Scripte  perpetrant 
corruptelam. 

Dignus  sine  dubio  est  Monaeensis  qui  ad  critieuni  Achilleidos 
stemma  enarrandum  adhibeatur.  Duobus  locis  vel  nunc  ex  eo  verum 
me  propositurum  confido,  quos  infra  commemorabo  additis  aliis 
optimarum  ni  fallor  lectionum  defensiuneulis. 

I  131.  Namque  modo  infestos  utero  mihi  contuor  enses, 
Nunc  jylanctu  livere  manus,  modo  in  ubera  saevas 
Ire  feras  et  q.  s. 

Puteaneus  infessos,  sed  infestos,  quod  de  telis  adversum  hostem 
petentis  reete  dicitur,  Monaeensis  addito  glossemate  odiosos,  cui 
parent  ceteri  fere  libri  et  Priseianus  et  Kohlmann,  qui  infensos 
praetulerunt,  quod  animi  est,  non  teli,  hie  ineptum.  Neque  in 
parvis  litterarum  duetibus  ulla  Puteanei  religio  est  servanda  ei  qui 
menda  eins  reeognovit. 

I  247.  .  .  cum  pueri  tremefacta  cpiies  oculique  j)Citentes 
Infusum  senser e  diem.     Stuj)et  et  q.  s. 

Patentes,  quod  et  in  Puteaneo  est  et  in  Etonensi  Monacensique, 
vivide  depingit  patulos  oculos  pueri  tum  ipsum  experrecti  et  nova 
loea  mirantis.  Ceteri  libri  et  Kohlmann  male  versum  explent: 
iacentis;  paventes  tentavit  Baehrens,  infelix  hie  Achillis  aestimator. 

I  496.     0  nimium  Phoehi  tripodumqv£  ohlite  tuorum 
Thestm^ide,  quando  oi'a  deo  possessa  movebis 
lustius,  aut  quianam  Parcaimm  occulta  recluAesf 

Quianam  scripsi  ex  Puteaneo,  ceteri  plerique  quaenam,  Mona- 
eensis quonam,  id  est:  quam  ad  rem  iustius  fata  reserabis?  Id 
ipsum  est  quianam.  Quod  quamquam  a  Servio  et  Festo  explieatur 
vocabulis  cur  et  quare,  facile  transiit  ad  haue  sententiam  ex  illa 
quam  volui  significatione:    quam  ad   rem.     Neque  ea   abhorret    ab 


De  Statu  Achilleidos  codice  Monaeensi.  495 

Ennii  loco  Ann.  130  (ed.  Yahleni  nostri  et  ed.  L.  Muelleri)  qui- 
anam  legiones  caedimus  ferrof  aut  a  Naevii  Bell.  Poen.  XVIII 
quianam  me  yenuistif  aut  a  Vergilii  Aen.  X  6.  Et  clarius  elucet 
ex  eiusdem  Aen.  V  16  quianam  tanti  cinxenint  aethera  nimbi, 
quicUe,  pafer  Neptune,  parasf  Tutius  igitur  est  apud  Statium 
paulo  rarius  et,  cum  de  vate  ponatur,  vetustate  commendatuni 
vocabulum  relinquere  et  interpretari,  quod  vocabulum  aegre  librarü 
tulerunt,    nedum  pro  quonam  vel  quaenam  in  textum   intulerunt. 

I  502.     sed  Mavors  et  Troia  arrepta  j}robabunt. 

Puteaneus  cum  nonnullis  abrepta,  quod  sane  vel  potius  insane 
novum  est,  urbem  abripi;  arrepta  et  alii  et  superscripta  prava 
explicatione  capta  Monacensis.  Verum  hoc  voluit  Statius  contorta 
ut  solet  vi  dicendi:  bellum  (Mavors)  Troianum  arreptum,  id  est 
i'estinanti  studio  susceptum.  Idem  Puteanei  libri  est  vitium  I  784: 
abrepto  tevipore. 

1  589.     Oscula  securae  dabat  insidiosa  sorori 

Frater  adhiic,  medii  donec  reverentia  cessif 
Sanguinis  et  versos  germatia  expavit  amores. 

Sic  ex  Monaeensi  scripsi;  veros,  quod  primo  obtutu  hie  ut 
V.  ()42  arridet  legenti,  latinum  et  antiquum  usum  consideranti  obscurat 
poetae  sensum  et  alio  detorquet;  neque  enim  aut  vero  aut  falso 
hie  locus  est  adfeetui,  sicut  Statio  (Silv.  IV  6,  12)  et  Vindici 
epulantibus  est  verus  amor.  Omissae  in  Puteaneo  non  in  fine 
solum  vocis  s  litterae  exempla  haud  desunt:  I  691  e  pro  se,  817 
agaci;  cfr.  I  459  deposita  pro  disposita. 

Post  I  592  Tandem  detecti  timidae  Nereidos  astus  in  IMona- 
censis  margine  prave  additur  hie  versus  producente  novos  partus 
de  more  Lucina;  sed  num  multo  prior  ille  ipse  melior,  ut  est 
solitarius,  cuius  similem  nemo  mihi  in  Achilleide  monstrabit,  et 
Thetidem  frigide  hie  ex  v.  534  et  624  timidam  appellans? 

I  650.     Ille  ego  —  quid  trepidasf  —  geniium  quem  caerula  mater 
*  *   *   silvis  nivibusque  immisit  alendum 
Thessulicia. 


406     Fridolf  V.  Gustafsson,  De  Statu  Achilleidos  codice  Monacensi. 

Ilieerto  loco  peneis,  peiieos,  peneios,  pelleis,  pelliacis  variaiit 
Codices,  peneleis  habet  Monacensis,  qiiod  proximuin  est  Puteaneo 
jyacneiouis.  Unde,  tamquam  ex  optimo  illo  libro,  U.  de  Wila- 
mowitz-Moellendorff  (Tnd.  Schol.  Gotting.  a.  1893 — 1894)  non  dubi- 
tavit  conicere  Paeoniis.  Sed  vix  in  eadem  re  confudit  Statius 
alterius  terrae,  ne  vicinae  quidem,  silvas  et  nives  alterius,  prae- 
sertim  cum  sufficiant  et  plene  sonent  nivosae  illae  Thessaliae 
silvae  —  quamqnam  recte  II  131  nominantur  Paeones,  sed  aliter 
neque  ullis  codicuin  turbis.  Longe  vero  nos  alio  ducet  ideni  illc 
optimus  Puteaneus.  Nam  nuptura  paene  lovi  quae  fuerat,  Thetis, 
Peleura  queri  solebat  thalamosque  minores  (I  90);  cui  Neptunus, 
Crederis,  inquit,  pejyerisse  lovi  (I  91).  Ipsa  autem  filio  (I  252s.) 
eadem  queritur:  si  thalamos  sors  aequa  dedisset,  quos  dabat  — 
id  est:  quos  paene  dedit  —  magni  puerpera  caeli  essem.  Scribe 
igitur  omissa  una  s  littera  ex  Puteaneo:  genitum  quem  racrula 
matei'  paene  lovi  silvis  et  q.  s.  Litterani  s  non  semel  supponit 
falso  Puteaneus  ut  I  89  manus,  574  sonantis;  II  49  repetitos  et  II 
153,  sicut  hie  sequente  s,  tantoÄ. 


^^^ 


xxvn. 

Max  Rotlistein. 

Ad  statu  Silvas  observationes  criticae. 


Festschrift   Vahleil  32 


Silvarum  Statianarum  emendatio  nunc  demum  solido  fundamento 
nititur,  postquam  coniuncta  Mauricii  Krohnii  et  Friderici  Völhneri 
opera  optimi  testis  lectiones  public!  iuris  factae  et  scriptoris  verba 
a  falsis  coniecturis  vindicata  sunt,  quae  per  seriem  saeculorum 
philologorum  studiis  vana  vanis  superstruentium  in  textum  irrepse- 
rant.  Atque  hoc  quidem  negotio  tam  strenue  functus  est  editor,  ut 
perpauca  aliis  reliquisse  mihi  quidem  videatur;  quorum  non 
nulla  quanta  iieri  potest  brevitate  tangam,  idque  ita  ut  in  facillimis 
et  certissimis  me  contineam. 

Rectö  dicitur  Violentilla  queri  (quen'tur  I  2,  122),  quod 
omnium  terrarum  ornamenta  ad  suum  cultum  non  iam  sufficiant, 
ut  Veneri  deorum  marinorum  ope  nova  quaerenda  sint;  vincit 
enim  illa  opes  animo,  id  est  vitae  splendore  (neque  enim  vera  mihi 
videtur  solita  herum  verborum  interpretatio,  qua  transitus  ad 
formae  cultum  parum  bene  praeparatur),  quem  laudibus  effert 
poeta,  ut  in  Claudio  Etrusco  III  3,  149,  testis  adhuc  largi  nitor 
inde  assuetus  Etrusci,  cid  tua  non  humilis  dedit  indulgentia  mores. 
utrumque,  ni  fallor,  certo  consilio  neque  ignorans,  quo  maxime 
laudis  genere  placere  et  amicorum  liberalitatem  elicere  possit. 
Neque  uUam  habere  mihi  videtur  offensionem,  quod  in  eodem 
carmine  (I  2,  202)  iuvenis  imagine  satis  vulgari  coepti  lahovis 
portum  prendisse  dicitur.  Perbene  opponi  praesentis  levis  imbres 
(I  6,  27  dum  nostri  lovis  hi  ferantur  imbres)  veris  imbribus  iam 
Klotzius  contra  Wachsmuthium  monuerat,  cum  verbum  hie  in 
simili  oppositione  rerum  praesentium  et  fabulosarum,  ubi  traditur, 
mutari  non  debuerit;  quod  si  (Polla)  didce  decus  viridesque 
resumeret  annos,   da    oeniam    Aleides,  fors  hie  et  pensa  tulisses  ita 

32* 


500  Max  Rothstoin, 

(lixit  Statius  (III  1,  Ißl),  ut  tiirpe  tlei  in  cfteminata  gente  servitiiim 
cum  praesenti  certamiuis  gymnici  honore  compoiieret.  Inice  aptum  est 
(II  1,  5)  cuvi  iam  egomet  cantus  et  verba  medentia  saevus  consero; 
excusat  eiiim  poeta,  quod  cum  eo  sermoiiem  consent,  cuius  animus  in 
magno  luctu  omne  alloquium  reformidat.  Laecum  sopareni  Naidos 
(II  3,  29),  quem  aversa  sagitta  tetigisse  Diana  narratur,  recte  iam 
accepisse  videtur  Queckius,  qui  adscripsit  „sinistrum  et  perniciosum" 
(rectius  fortasse  „non  opportunum");  addo  exempla,  quibus  haec 
loquendi  ratio  defenditur,  bis  ad  partus  venif  Lucina  7naniique  ipsa 
levi  gravidos  tetigit  fecunda  labores  (silv.  III  3,  122),  sanguine 
securos  iuvenum  perfundere  somnos  (Theb.  Y  119),  ut,  si  tarnen 
aliquid  dubitationis  restet,  id  non  ad  substantivum,  sed  ad 
adiectivum  pertinere  possit,  cum  praesertim  non  laevumque,  sed 
laevumque  aut  laevaque  tradi  nunc  constet;  quanto  aptius  hie,  ubi 
id  agitur  ut  nympha  aliquo  modo  e  somno  excitetur,  ipsa  nymplia 
dormiens  quam  certa  aliqua  corporis  pars  Dianae  sagitta  tangi 
dicatur,  neminem,  credo,  fugere  potest.  Mitto  feras  (II  5,  29) 
satis  iam  ab  Heimio  in  censura  editiouis  Vollmerianae  defen- 
sas,  quas  non  maiore  iure  vituperes  quam  Aclüllem  bella  ca- 
ventem  (non  canentem)  litore  virgineo  (II  6,  30);  cavet  enim 
bella  apud  Lycomedem  quamvis  invitus,  matris  iussis  et 
Deidamiae  amori  obtemperans,  et  optime  lioc  cum  occultandi  verbo 
in  unam  imaginem  coit,  qualis  ad  comparationem  poscitur,  cum 
mutatione  illa  (quam  nullam  fere  esse  concedo)  nova  res  neque 
apta  neque  vera  inferatur.  Apollo  lauro  Senium  longaeque  dccus 
viriutis  promittens  (IV  8,  19)  capite  Corona  laurea  ornato  votis 
adnuit,  ut  Hercules  Surrentinus  (III  2,  185)  popidea  moi'mn 
albentia  tempora  silca.  Audax  est  loquendi  ratio,  quae  tamen 
multo  facilius  ferri  potest  quam  illud  lauros  promisit,  quod  editiones 
occupavit;  apparet  enim,  ut  alia  omittam,  Statium  hie  nihil  agere, 
nisi  ut  fatorum  invidiam  et  mortis  periculum  Parcarum  voluntate 
et  dei  patrii  favore  ab  amici  domo  arceri  dicat.  Volucri  cursu, 
non  CU1TU  (V  1,  105),  Fama  imperatoris  laurus  Romam  vehit, 
non  modo  quod  alis  per  aerem,  ubi  proprio  munere  fungitur,  volat 
haec  dea  apud  Vergilium  et  ipsum  Statium  ne(|uc  recte  comparantur 
Famae  vel  Gloriae  currus,  quibus  dari  viri  ad  caelum  toliuntur 
(II  7,    108),    sed    (|nia     huius    senlentiae    vis    posita    est    in    deae 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  501 

celeritate,  noii  in  accurata  imaginis  descriptione,  iit  ipsum  illud 
adicctivum  colucri  non  tarn  veras  alas  quam  celentatem  significare 
mihi  videatur.  Neque  dubito,  quin  Statu  pater  (V  3,  180) 
probat is  salns  (hoc  ex  Baehrensii  coniectura  i}yo  tradito  probatur') 
et  certis  auguribus  Sacra  monstraverit,  nam  utrumque  (certum 
Apollinem  dicit  Horatius  carm.  I  7,  28)  non  ad  ipsos  adulescentes 
spectat,  quos  ille  docuit,  sed  ad  collegiorum  illorum  auctoritatem 
memoria  rerum  Romanarum  confirmatam. 

Multo  uberior  disputandi  materia  superesset,  si  in  contrariam 
partem  disserens  ea  colligere  vellera,  quae  nimio  tradita  defendendi 
studio  in  nova  editione  errata  esse  mihi  videntur.  Nam,  ut  solet 
culpae  fuga  in  vitium  ducere  vel  prudentissimos,  ita  vereor  ne  hie 
quoque  in  tanta  falsarum  mutationum  congerie  non  nuHae  etiam 
verae  et  necessariae  emendationes  eiectae  sint.  Mirum  est,  qua 
pertinacia  non  numquam  coniecturae  certissimae  et  simplicissimae 
sperni  vel  etiam  taceri  soleant;  velut,  ut  unum  saltem  exemplum 
alleram,  in  prima  praefatione  dubium  esse  non  potest  quin  Statius 
scripserit  in  fine  sunt  kalendae  Decembres,  qiäbus  utique  (i.  e.  vel 
sine  teste)  credetur,  scilicet  ab  iis  qui  librum  editum  legent; 
coniecturam  autem  facillimam,  qua  praesens,  quod  traditur,  in 
futurum  tempus  mutatur,  ne  ipse  quidem  auctor  Marklandius  in 
textum  recipere  ausus  est  neque  ceterorum  quisquam  comme- 
moratione  dignani  habuit.  Sed  graviores  quoque  mutationes 
admittere  haud  raro  necesse  est,  et  quamquam  hoc  recte  intellexisse 
mihi  videtur  Vollmerus,  mera  interpolandi  libidine  numquam  in 
horura  carminum  memoriam  peccatum  esse,  tarnen  poetae  verba  non 
paucis  locis  tam  male  scripta  aut  lecta  fuisse  mihi  persuasum  est, 
ut  haec  neglegentia  aut  ipsa  ad  interpolationem  prope  accederet 
aut  emendandi  conatum  vel  sine  mala  librarii  fide  poscere  videretur. 
Exemplis,  quae  e  Baehrensii  et  Vollmeri  apparatu  facili  opera  sumi 
possunt,  addam  pauca  quaedam  adhuc  non  observata  aut  non  recte 
emendata,  si  tamen  in  scriptore  tantis  artis  criticae  difficultatibus 
impedito  hie  illic  aliquid,  quod  festa  liac  scribendi  occasione  non 
indignum  habeatur,  invenire  mihi  contigit. 

A  facillimis  mutationibus  paulatim  ad  graviora  ascensurus 
incipiam  ab  eo  corruptelae  genere,  quod  levissimo  neglegentiae 
lapsu   continetur.      Versibus  omissis   haud  raro  in  silvis  peccatum 


502  Max  Rothstein, 

esse  cum  plures  viri  docti  intellexerint,  duo,  ni  fallor,  exempla  addi 
possunt,  unum  in  Hercule  SuiTentino  (III  1,  7()),  diffughmis,  festasque 
dapcs  redimitaque  vina  abripiunt  famuli,  nee  quo  concivia  migrcnt 
(in  tanta  festinatione  inveniunt),  quam  eis  innumerae  gaudentia 
rura  superne  insedcre  domus  e.  q.  s.,  alterum  in  epicedio  patris 
(V  3,  250),  his  tibi  pro  meritis  famam  laudesque  benignas  iudex 
cura  deum  nulloque  e  culnere  tiistem  (ad  vitae  terminum  natura 
constitutum  pervenire)  concessit.  raperis,  genitor,  non  indigus  acci, 
non  nimius  e.  q.  s, ;  nam  ipsa  verba  restituere  nemo  audebit  in  co 
poeta,  qui  nihil  antiquius  habet  quam  ut  simplicia  evitet,  nisi 
quod  altero  loco  transitum  ad  sequentem  aetatis  definitionem  aliquo 
modo  praoparatum  fuisse  certum  mihi  videtur.  Ad  solitam  autem 
aposiopeseos  defensionem  confugere  neutro  loco  licet,  cum  ne  Statius 
quidem,  quem  hac  ligura  saepius  ultra  modum  et  recti  sensum  uti 
concedo,  eam  sine  ulla  rhetorica  vi  admittere  possit,  neque  est  aut 
esse  suppleri  potest  ea  ratione,  qua  utroque  loco,  contra  latinitatis 
usum,  si  quid  sentio,  Vollmerus  voluit.  Neque  Marklandii  coniectura 
placet,  qui  laudes  benignas  nullo  e  vulnere  tristes  dici  voluit.  Alia 
omitto,  cum  omnia  interpretandi  aut  emendandi  conamina  percensere 
intra  fmes  huic  commentationi  positos  neque  hie  neque  in 
sequentibus  possim. 

Unam  litteram  poriisse  puto  in  alio  eiusdem  Ilerculis  Surrentini 
loco,  ubi  de  certamine,  quod  amicus  instituit,  haec  habet  poeta 
(III  1,  144), 

ipsae  pumiceis  virides  Nereides  antris 
exiliunt:  ultra  scopulis  urmntibus  haerent, 
nee  pudet  occulte  nudas  spectare  palaestras. 
spectat  et  Icario  nemorosiis  palmite  Gaurus 
siloaque,  quae  fixam  pelago  Nesida  coronat, 
et  placidus  Linton  omenque  Euploea  cannis 
et  Lucrina    Venus,  Fhri/gioque  e  vertice  Graias 
addisces,  Misene,  tubas,  ridetque  benigna 
Parthenope  gentile  sacrwn  nudosque  virorum 
certatus  et  parva  suae  siniulacra  coronae. 

In  hac  continua  praesentium  serie  futurum  addisces  ferri  iioii 
posse  certum  mihi   videtur,    neque  minus  certum,    de    ipso    verho 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  503 

dubitari  non  posse;  nihil  enim  aptius  aut  magis  e  Statu  more 
inventum,  quam  tubicen  Troianiis  post  mortem  novos  modos 
audiendo  addiscens,  neque  quod  re  vera  Misenus  Graecas  tubas 
iam  in  obsidione  Troiana  noverat,  maiore  iure  Marklandius  contra 
traditum  verbum  monuit,  quam  in  Thebaide  (V  751)  Pyliae  fata 
&cnectae  ab  Amphiarao  dici  posse  negavit  Bentleius,  quod  tum 
temporis  Nestor  nondum  senex  fuisset.  Nolim  tamen  praesens 
addiscis  restituere,  cum  illud  cum  iis  verbis,  quibus  proxime 
coniunctum  esset,  spectat,  ridet,  non  bene  coire  mihi  videatur,  sed 
Statium  credo  scripsisse  addiscens;  forma  orationis  eadem  est,  qua 
Propertius  dicit  (III  11,  67)  nunc  ubi  Scipiadae  classes,  ubi  signa 
Camilli,  aut  modo  Pompeia,  Bospore,  capta  manuf 

In  eodem  carmine  (III  1,  52)  aestivum  anni  tempus  his 
verbis  describitur, 

tempus  erat,  caeli  cum  torrenfissimtis  cucis 
incumbit  terris  ictusque  Hyperione  multo 
acer  anhelantis  incend'it  Sirius  agros. 

Multa  sibi  permittit  Statins,  neque  tamen  eum  ausum  esse 
crodiderim  Sirium  solis  radiis  ictum  dicere.  Exemplis  quidem, 
quae  Vollmerus  attulit  —  nam  contra  eins  commentarium,  quo 
nemo  iam  carere  poterit,  ubicumque  ab  eo  dissentio,  mihi  pugnandum 
est  idque  haud  raro  armis  ab  ipso  paratis  —  nihil  probari  mihi 
videtur;  duobus  enim  locis,  Iloratiano  (ep.  I  10,  16  momenta 
leonis,  cum  seniel  accepit  solem  furibundus  acutum.)  et  altero  Statu 
(silv.  IV  4,  27  dum  nimio  possessa  Hyperione  flagrat  torva  Cleonaei 
iuba  sideris),  de  zodiaci  signis  agitur,  quae  sol  intrare  cum  nobis 
quoque  dici  soleat,  veteribus  poetis  licebat  hanc  rem  magis  vivis 
coloribus  exornare  et  possidendi  verbo  uti,  cuius  usum  ad  Propertii 
verba  (I  18,  2)  et  vacuum  Zephyri  possidet  aura  nemus  illustravl; 
tertium  exemplum  ex  hoc  ipso  carmine  sumptum  (72),  tenuis 
graviore  Favonius  austro  im7?iaduit,  oninino  alienum  est  et  videtur 
mihi  ita  recte  explicari,  ut  poeta  pro  mutandi  verbo,  quod  pri- 
mum  animo  conceperat,  aliud  posuerit,  quo  mutationis  genus  accu- 
ratius  definiret.  Itaque  emendatione  cum  opus  sit,  Marklandii 
coniectura  perbona  auciusque,  quam  ille  exemplis  idoneis  com- 
mendavit  (poterat  addere  Manilii  verba  V  207   latratque   canictda 


504  Älax  Rothstein, 

ßammas  et  rabit  igne  suo  geininatqtie  incendia  solü),  mutatio  tarnen 
longe  simplicissima 

ictosque  Hyperione  multo 
acer  anhelantis  incendit  Sirius  agros 

multo  probabilior  mihi  videtur. 

Non  minus  facili  emendatione  sanari  possunt,  quae  de  villa 
Pollii  Felicis  Statius  dicit  (II  2,  54), 

mons  erat  hie,  ubi  plana  vides,  et  liistra  fuenmt, 
qua  nunc  tecta  subis:  ubi  nunc  nemora  ardua  cerni^, 
hie  nee  terra  fuit.     domuit  possessor,  et  illum 
formantem  rupes  expugnantemqm  secuta 
gaudet  humus.    nunc  cerne  iugum  discentia  saxa 
intrantesque  domos  iussumque  recedere  montejti. 

Totius  loci  sententia  aperta  est;  describitur  enim  quo  modo 
Pollius  rupes  ad  usum  villae  formaverit  montem  Ibdiendo  ad 
planitiem  redigens  et  solitaria  quaedam  saxa  ponte  superstruens ; 
hoc  enim  iugum  discentia  saaa  signiiicare  mihi  videntur.  Neque 
minus  facile  iussum  recedere  montem  intellegemus,  cum  praesertim 
eandem  rem  poeta  in  Hercule  Surrentino  fusius  illustraverit,  111  1, 
20  obluctantia  saxa  (Hercules)  summocit  nitens  et  magno  pectore 
montem  reppidit,  110  solidu^  contra  riget  umbo  Tnaligni  montis, 
113  asperaque  invitae  perfringam  viscera  terrae,  123  excindere  dextra 
oppositas  rupes,  134  descrescunt  scopuli.  Contra  donnis  intrantes  quid 
sint  aut  esse  possint,  non  perspicio,  neque  mihi  satisfacit  ea 
interpretatio,  quam  Vollmerus  probavit,  domum  novam  quasi  intrasse 
et  migrasse  ad  locum  antea  incultum,  cum  ne  sie  quidem  intrandi 
verbum  explicetur,  quod  aliter  quam  de  loco  clauso  aut  aliquo 
modo  circumscripto  dici  non  potest.  Keque  dubito,  quin  poeta 
scripserit 

intrantemque  domos  iussumque  recedere  montem^ 

ludens  in  montis  notione,  qui  in  novam  domum  intrare,  scilicct 
ea  parte  qua  aedilicatur,  et  simul  prae  illa  recedere  dicitur.  Talia 
enim  amat  Statius,  qui  cinerem  et  pumices  e  Vesuvio  erumpentes 
exemptum  terris  montem  aut  adflatum  montem  (V  3,  105.  207) 
dicere  ausus  est. 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  505 

Hercules  Surrentiniis  in  fino  carminis  (III  1,  166)  Pollium 
Felicem  ita  alloquitur: 

macte  animis  opibusque  meos  Imitate  labores, 

qui  rigidas  rupes  infemmdaeque  'pudenda 

naturae  deserta  domas  et  vertis  in  usum 

lustra  habitata  feris  foedeque  latentia  profers 

numiiia.    quae  tibi  nunc  meritoruni  praemia  soiüa?n? 

quas  re/era7)i  gratesf 

Apparet  quae  de  amici  meritis  deum  dicentem  facit  Statius, 
uno  tenoro  lluere  et  ad  unum  finem  tenderej  scilicet  ut  Pollius 
eodcm  quo  Hercules  modo  terram  incultam  ad  vitae  humanioris 
usum  aptam  reddidisse  llngatur.  Sed  ultimum  illud,  foedeque 
latentia  profers  numina,  si,  quod  unum  cogitari  potest,  ad  novum 
dci  templum  angustae  aedis  loco  a  Pollio  aedificatum  referimus, 
alienum  est  ab  hac  sententia,  neque  latendi  aut  proferendi  verba 
huic  rei  apta  mihi  videntur.  Itaque  non  temere  ludere  mihi  videor, 
si  poetam  conicio  scripsisse  foedeque  latentia  profers  f  lumin  a,  nam 
foede  latentia  ßuvnina  et  infecundae  pudenda  naturae  deserta  tarn 
accurate  sibi  respondent,  ut  eadem  cogitandi  via  utrumque  poetae 
se  obtulisse  appareat,  et  ipsum  illud  quod  reposui  verbum  commen- 
datur  Thebaidis  locis,  ubi  Hypsipyle  grati  inventrix  ßu)ninis  et 
fessis  Uanais  jlumina  monstrasse  dicitur  (V  703.  VI  222). 

Ultimum  Carmen  quibus  diflicultatibus  impeditum  sit,  sciunt 
qui  eins  interpretationi  operam  dederunt ;  ego  de  uno  verbo  disputabo, 
quod  probabili  emendatione  sanare  posse  mihi  videor.  Incipit  poeta, 
ut  solet  in  epicediis,  a  doloris  descriptione,  quo  etiam  poetica 
studia  interrumpi  queritur  (V  5,  32), 

incertam  digitis  errantibus  amens 
scindo  chelyn:  iuvat  heu,  iuvat  inlaudabile  carmen 
fundere  et  incompte  miserum  nudare  dolorem. 

Quibus  haec  subiungit, 

sie  meruif  sie  me,  cantuque  habituque  nefastum^ 
aspiciant  superif  pudeat  Thebasque  novumque 
Aeaciden?    nil  iam  placidum  manabit  ab  ore'^ 


506  yiax  Rothstein, 

Adscripsi  hos  versus,  iit  diias  res  ad  ociilos  domonstrcm,  nnn 
posse  oos  intellegi  ut  scribi  solent,  sed  opus  esse  interrogationis 
signis,  neque  in  hac  sententia,  quae  uno  tenore  fluit,  carere  nos 
posse  Domitii  coniectura,  qui  pro  tradito  imperfecto  mannbat 
futurum  restituit;  nam  quod  VoUmerus  eam  supervacuam  adeoquc 
stultam  dixit,  tarn  fortibus  verbis  nihil  moveor,  ubi  vel  sola  vocula 
iaj7i  quid  sententia  desideret  satis  aperte  indicatur. 

Pergit  poeta  in  suis  miseriis  enarrandis,  quas  eo  acerbius 
queritur,  quod  consolandi  illa  facultatc,  qua  olim  aliorum  luctum 
leniverat,  nunc  ipse  omnino  destitutum  se  esse  sentit.  Fuisse  sane, 
qui  se  monerent,  ne  alienis  damnis  suas  vires  absumeret,  ut  sibi 
tristia  carmina  servaret  (rectius  enim  quam  Vollmerus  Ilelmius 
haec  secundum  Baehrensii  coniecturam  constituit  et  explicavit); 
nunc  verum  eos  dixisse  se  intellegere,  nihil  enim  dignum  tanto 
f  ulmine  se  in  venire  posse  (51), 

inferior  vox  omnis  et  omnia  sordent 
verba.     ignosce  puer:  tu  me  caligine  maesfa 
obruis.     ah  durus,  viso  si  vulnere  carae 
coniugis  invenit  caneret  quod  Thracius  Orpheus 
dulce  sibi,  si  busta  Lini  complexus  Apollo 
non  tacuit.     nimius  fortasse  acidusqite  doloris 
dicor  e.  q.  s. 

Ilic  quoque  recentiorum  editorum  interpunctionem  Statu 
mentem  non  assequi  puto,  quae  ita  demum  apparebit,  si  a  verbis 
nimius  fortasse  ....  dicor  plane  novam  carminis  partem  incipimus, 
qua  poeta,  iustum  doloris  modum  se  non  excessisse  probaturus, 
ad  narrationem  pergit.  Sed  nos  ad  priorem  sententiam  et  haec 
maxime  verba  redimus  (38), 

nie  ego,  qui  (quotiens!)  blande  matrumque  patrumque 

vulnera,  qui  vicos  potui  mulcere  dolores, 

nie  ego  lugentum  mitis  solator,  acerbis 

auditus  tumulis  et  descendentibus  umbris, 

deficio  tnedicasque  inanus  fomentaqu^;  quaero 

vulneribus,  sed  summa,  meis. 

Corrupta  esse  ultima  verba,  quibus  Ovidii  versus  respicis 
antiquum  lassis  in  rebus  amicum  fomentisque  iuvas  vulnera  nostra 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  507 

tuis  (ex  Ponto  TI  8,  93)  imitatum  esse  poetam  siispicor,  plerique 
iudicarunt,  et  dubito,  iiuni  multum  mvemiir  Vollmeri  interprctatione 
,^aber  die  äussersten,  wirksamsten"- \  neque  enim  umquam  ita  potiiisse 
verbo  sumvius  poetam  uti  credam,  nisi  certa  exempla  afferentur, 
neque  ad  hiiius  loci  sententiam  et  colorem  aptiim  est  inter  fomentorum 
genera  discrimen  facero,  cum  illud  dicendum  fuerit,  nulla  omnino 
adesso  ibmenta,  quibus  dolorem  suum  vel  paulum  lenire  poeta 
possit.  Quid  sentcntia  poscat,  omuium  optime  perspexit  Polsterus, 
qui  scribendum  proposuit 

fomentaque  quaero 
vulneribus,  sed  suntne  meisf 

jNIelius  tamen,  ni  fallor,  in  eandem  fcro  sententiam  scribemus 

deßcio  medicasque  manus  fomentaque  quaero: 
vulneribus  sed  nulla  meis^ 

quae  optime  consentiunt  cum  iis  quae  sequuntur  (49), 

absumptae  vires  et  copia  fandi 
mala  mihi, 

et  clarius  iam  apparet,  quam  bene  propriis  remediis  destitutus 
transeat  poeta  ad  amicorum  invocationom  (iiunc  tempus  amici  .  .  . 
reddite  opem\  quos  suorum  meritorum  recordatione  movere  conatur, 
deindo  bis  ipsis  carminibus,  quibus  illos  consolabatur,  suas  vires 
so  perdidisse  intellegens  in  primariam  sententiam  rellectat. 

Facilius  erit  iudicium  breviorque  disputatio  de  alius  carminis 
verbis,  quae  non  minus  corrupta  esse  mihi  persuasum  est 
(IV  3,  145), 

audi,  quam  seriem  merentis  aevi 
pronectant  tibi  candidae  sorores. 

Nam  quamquam  duo  nuper  extiterunt  verbi  merentis  defensores, 
neuter  mihi  persuasit.  Aevum  quo  modo  suam  seriem  mereri  possit 
(haec  Vollmeri  explicatio),  me  fateor  non  intellegere;  Helmius 
autem  cum  merentis  passivo  sensu  accipiendum  esse  coniecerit, 
accidere  posse  ut  etiam  talia  admitti  debeant,  non  negaverim, 
numqujim  autem  aliter  nisi  in  sententia  tam  certa  et  aperta,  ut  vel 
invito  se  obtrudat,  cum  hoc  loco  nihil  praeter  simplicem  futuri 
temporis  significationem  posci  appareat.     Coniecerunt  multi  multa, 


508  >Iax  Rothstein, 

sequentis^  Immincntis^  7noranfis,  rotmith^  circntis,  quoruin  Jiiliil 
omni  ex  parte  placet,  neque  pro  certo  venditare  volim  ([uod  inilii 
ex  huius  poeta  more  iion  sine  probabilitate  conici  posse  videtur, 
scripsisse  eum  latent Is,  ut  Ovidii  verba  de  hicerti  acm  spatio 
(met.  XV  874)  imitaretiir.  Ulud  autem  maxime  observatione  dignuin 
mihi  videtur,  aberrasse  librarii  oculos  ad  verbum  mereHs  eodem 
lineae  supcrioris  loco  scriptum,  ut  etiam  supra  non  dubitavi 
Markhmdium  sequi,  qui  scripserat  (V  5,  34) 

incompte  misenim  nudare  dolorem 

pro  Imidare,  quod  ferri  non  posse  et  ex  praecedentis  versus  verbis 
ultimis  inlaudahile  Carmen  hie  irrepsisse  apparet. 

Amoris  et  honoris  vocabula  in  silvis  non  numquam  confunduntur; 
neque  enim  dubito,  quin  recte  olim  correctum  sit  (I  2,  194) 

las  midcet  dictis  tacitumque  inspirat  amorem 
conubii 

(verbum  dico,  non  casum,  de  quo  propter  ablativum  tacito,  qui 
traditur,  dubitari  potest)  et  (IV  4,  101) 

iamque  vale  et  penitus  noti  tibi  vatis  amorem 
corde  exire  oeta. 

Vollmeri  explicationem,  qui  tradita  defendit,  neque  his  locis 
sequi  possum  neque  tertio  (III  5,  105),  ubi  traditum  verbum  recte 
retinuisse  mihi  videtur.  Ubi  enim  post  longam  regionis  Neapolitanae 
descriptionem  ita  poeta  pergit, 

mille  tibi  nostrae  referain  telkiris  amores, 

apparet  eum  transitus  causa  complecti  quae  dixerat,  non  hoc  iani 
versu,  ut  voluit  Vollmerus,  novam  rem,  hominum  amicitias  in 
patria  contractas,  afferre.  Amores  igitur  non  possunt  esse  aliud 
quam  terrae  Neapolitanae  deliciae  et  amoenitates  antea  enarratae, 
ca  fere  loquendi  ratione  qua  Catullus  (13,  9)  unguentum,  quod 
amicis  praeparavit,  meros  amores  dicit,  neque  hie  locus  est  honoris 
verbo,  quod  ßaehrensius  hie  quoque  intrusit,  quia  id  pulchritudini.s 
sensu,  quem  habere  potest,  non  aliter  quam  singulari  numero 
usurpari  solet.  Aliter  autem  iudicandum  est  de  iis  verbis  (|uibus 
Earinum  Venus  alloquitur  (III  4,  36), 


Ad  Statu  Silvas  observatioiips  criticae.  509 

ducam  volucri  'per  sidera  curru, 
donum  hnvuine  duci:  ?iec  te  plebeia  maiiehurit 
iura,  Palatino  famulus  deberis  amori. 

Hie  enim,  etiaiii  si  quis  concedat,  quod  ego  quidein  nego, 
imperatoris  amorem  potuisse  Palatiimm  amorem  dici,  apertam 
amoris  significationem,  quam  per  totum  Carmen  ea  quam  res  ipsa 
poscebat  vcreeuiidia  poeta  vitavit,  ferri  non  posse  apparet. 
Scribeiulum  igitur  hoc  quoque  loco  mihi  videtur  honori,  quod 
verbum  ad  regiam  praecipue  dignitatem  spectare  haee  exempla 
docebunt,  silv.  YV  2,  43  (de  Domitiano)  tarnen  ore  nifehat 
dissimulatus  honos  IV  6,  90  no?i  aula  quidem,  TiryntJi'ie,  nee  te 
regius  ambit  honos  Theb.  I,  164  iam  sorte  cadehat  dilaius  Polijnieis 
lionos  XII  334  soceri  regnahis  in  aula.  hie  tibi  longus  honos,  hie 
indivisa  potestas. 

Non  multa  inventa  Statio  tam  bene  cesserunt  quam  senex  ille 
Caledonius,  qui  ducis  fdio  facta  patris  in  ipso  loco  demonstrat 
(V  2,  144), 

hie  suetus  dare  iura  parens,  hoc  caespite  turmas 
adfari:  vitae  specidas  castellaque  longe 
(aspieisf)  ille  dedit  cin,vitque  haee  moenia  fossa: 
belligeris  haee  dona  deis,  haee  tela  dicavit 
(eernis  adhuc  titnlos),  hune  ipse  vocantibus  armi^ 
induit,  hune  rcgi  rapuit  thoraea  Britanno. 

Apparet  haee  per  anaphoram  procedere,  quae  tarnen  semel 
interrnmpitur,  neque  id  sine  consilio;  nam  cum  caespes  et  arma 
dis  dedicata  e  proximo  monstrari  et  manibus  tangi  possint, 
munitionum  ars  et  peritia  non  apparet,  nisi  quis  latiore  circumspectu 
vieina  etiam  eomplectitur.  In  ea  autem  sententiae  parte,  qua 
haue  rem  exponit, 

vitae  speeulas  castellaque  longe 
(aspieisf)  ille  dedit  cinxitque  haee  moenia  fossa 

(ubi  cavendum  est,  ne  quis  haee  mooiia  ad  anaphoram  referat), 
primiim  verbum  eorruptnm  e'^se  omnes  intellexerunt,  plures  sanare 
conati  sunt.     Atque  Walleri  quidem   eonieetura    in   novum   textum 


510  Max  Rothstein, 

recepta,  lote  speculas  casfellaque  longe  ....  dedit^  admitti  non 
posse  nisi  per  iieglegentiae  lapsum  mihi  videtur;  nara  ad  eam, 
quam  Vollmerus  dedit,  interpretationem  desideratur  copula,  cuius 
omittendae  rationem  nullam  video,  cum  illa  speculas  castellaque 
separari  inter  se  non  possint.  Nolo  morari  in  refutandis  ceteris 
conaminibus,  nitidas,  vigiles,  vicis,  tutas,  Vetti.  Unus  Heinsius 
verum  fere  assecutus  est,  quem  si  ita  sequemur,  ut  pro  viden  has^ 
quod  ille  proposuit,  viden  ut  scribamus,  et  sententiam  restituemus, 
cuius  singulae  partes  ad  sanum  sensuni  coeunt,  et  orationis  formani 
poetis  dactylicis  familiärem,  e  quibus  ipse  Statins  eodem  versus 
loco  aliud  etiam  exemplum  habet  (Theb.  X  813),  viden  ut  iugulo 
con^umpserit  ensem.  Unum  illud  aspicis?  praeter  necessitatem 
additum  paulum  dubitationis  movere  posse  fateor,  sed  accuratius 
quaerenti  hoc  quoque  videbitur  orationis  vim  intendere  et  ad  rem, 
quam  poetam  quam  maxime  vivis  coloribus  legentium  oculis 
proponere  voluisse  apparet,  aptissime  excogitatum  esse,  ut  iilius 
in  munitionis  arte  nondum  versatus  a  sene  illo  acriore  animi 
oculique  intentione  totum  murorum  ambitum  circumscribere 
iubeatur. 

Proxime  iam  accedebant  haec  depravationis  exempla  ad  id 
corruptelae  genus,  quo  fortuita  litterarum  permutatio  adiuvatur 
tamen  specie  verbi,  quod  leviter  intuenti  librario  aptum  ad 
sententiam  videri  potest.  Nunc  transeo  ad  aliud  erroris  exemplum, 
quod  ab  interpolatione  non  indocta  non  multum  abest.  Alaximas 
turbas  moverunt,  neque  iniuria,  quae  de  Pollii  Felicis  studiis 
iuvenilibus,  postea  dimissis  postquam  ille  doctrinae  Epicureae 
portus  beatos  intravit,  Statins  tradit  (II  2,  133), 

tempus  erat,  cum  te  geminae  suffragia  terrae 
diriperent  celsusqu£  duas  veherere  per  urbes, 
inde  Dicarcheis  multum  venerande  colonis, 
hinc  adscite  vieis,  pariterque  his  largus  et  Ulis, 
ac  iuvenile  caletis  plectrique  errore  superbus. 

Nulla  est  in  his  difficultas,  nisi  in  ultimis  verbis,  quae  variis 
modis  interpretari  conati  sunt.  Erant  qui  plectri  errore  digitorinn 
motum  significari  crederent,  sive  ipsius  Pollii,  cuius  studia  poetica 
in  hoc  ipso  carmine  Statius  celebrat,  sive  alias  hominis  eius  laudes 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  511 

canentis.  Alii  erroris  verbum  ad  eam  rem  referebant,  quod  Pollius 
inter  duas  patrias  ambiguus  erat,  quam  sententiara  mirum  est 
Madvigium  (ut  aliorum  conamina  taceam)  etiam  emendatione 
(patriaeque  pro  plectrique)  restituere  voluisse.  Rectius  quam  hi 
omnes  de  Pollii  errore  Vollmerus  iudicavit,  qui  hoc  perspexit,  per 
totum  hunc  locum  ut  Epicureum  loqui  poetam,  neque  posse  hoc 
verbum  hie  intellegi  nisi  de  iis  quae  olim  contra  Epicuri  praecepta 
Pollius  peccaverat,  ut  nunc  celsa  mentis  ab  arce  errantes  despicere 
dicitur  (131).  Sed  quod  ille  plectri  verbum  ferri  posse  contendit, 
non  assentior.  Nam  quamquam  etiam  poetica  studia  vituperata 
esse  ab  Epicureis  constat,  neque  certo  negaverim  potuisse  Pollii 
carmina  duobus  eiusdem  carminis  locis  et  laudari  et  vituperari, 
tamen,  si  quis  vel  hos  solos  versus  perlegat  et  attendat  ad  ea  quae, 
non  sine  iocosa  quadam,  si  quid  sentio,  ironia,  de  utriusque  oppidi 
suffragiis,  de  curru  magistratus  insigni,  quo  ille  ludorum  municipalium 
occasione  usus  esse  videtur,  de  Pollii  largitionibus  poeta  dicit,  non 
negabit  totum  hunc  verborum  ambitum  ad  publicam  ambitioneni 
spectare,  neque  dubitabit  iuvenilem  illum  calorem,  a  quo  error  ille 
ultimis  verbis  dictus  secundum  orationis  formam  separari  non 
potest,  ad  eandem  rem  referre.  Clarius  etiam  hoc  apparebit 
praecedentibus  etiam  et  sequentibus,  ut  par  est,  examinatis,  e 
quibus  hos  versus  aft'erre  satis  habeo  (123), 

quem  non  ambigui  fasces,  non  mobile  vulgus, 
non  leges,  non  castra  tenent. 

Ttaque  quod  erroris  genus  hie  apte  dici  possit,  nuUa  est 
dubitatio;  idem  quod  in  Plutarchi  adversus  Coloten  libro  (c.  31) 
ipsis  scholae  verbis  ita  significatur,  ot  to  ßoiaiXsusiv  dcjxaptiotv  xctl 
SiotTTTtoatv  aTTocpat'vovTsc.  Plectrum  igitur  ab  huius  loci  sententia 
alienum  intulit  librarius  doctus  magis  quam  diligens,  qui  chelyn 
et  carmina  e  praecedentibus  (114)  memoria  tenens  ad  simile  verbum 
sceptri,  quod  invenisse  eum  suspicor,  non  satis  attendit. 

Claudii  Etrusci  pater  narratur  a  Tiberio  libertate  donatus  etiam 
sub  eins  successore  dignitatem  suam  retinuisse,  egregia  arte 
saevissimi  tyranni  insaniam  a  se  deflectens  (III  3,  71), 

7n7ic  et  in  Ärctoas  tenuis  comes  usque  pruinas 
terribilem  afatu  passus  visuque  üjrannum 


512  Max  Rothstein, 

immanemque  suis,  ut  qui  metuenda  ferarum 
corda  domant  e.  q.  s. 

Verbum  huius  sententiae  desiderari  mihi  quidem  certum 
videtur;  nam  si  haec  ita  accipienda  essent,  ut  Marklandius  et 
YoUmerus  voluerunt,  tenuis  romes  usque  et  in  Arctoas  pruinas 
j.mssus  (es)  tyrannum,  non  possent  dicta  esse  nisi  de  homine,  qui 
in  Britannia  degens  illuc  usque  saevitiam  imperatoris  Romae 
morantis  expertus  est.  Recte  igitur  iudieaverunt  qui  verbum  quod 
desideratur  coniectura  restituerunt,  Baehrensius  emollis^  llirschfeldius 
multo  elegantius  et  aptius  ad  similitudinem  a  poeta  propositam, 
subis,  quod  nulla  fere  mutatione  e  tradito  suis  elici  posset.  Ingeniosa 
est  coniectura,  cui  illud  unum  opponendum  esse  mihi  videtur,  quod 
mutat  verba  per  se  aptissima  (immanemque  suis\  relinquit  quod 
mihi  quidem  videtur  intellegi  non  posse.  NuHam  enini  explicationem 
admittit  illud  tenuis  comes;  quibus  verbis  cum  adscripserit  \o\\- 
merus  „trotz  deiner  Jugend",  vereor  ne  haec  desinat  interpretatio 
esse,  neque  id  quod  unum  cogitari  potest,  tenuem  comitem  esse 
humilem,  ut  in  eodem  carmine  (v.  142)  tenu£s  parentes  legimus, 
hie  nos  iuvat,  quia  si  quidem  inter  humiles  et  altioris  dignitatis 
comites  discrimen  facere  poeta  voluisset  (quod  ipsum  nullam  habet 
probabilitatem),  Etrusci  pater,  cuius  consuetudine  usum  esse  impera- 
torem  e  sequentibus  apparet,  certe  non  infimis  familiae  ordinibus 
adscriptus  fuisse  potest.  In  hoc  igitur  verbo  esse  corruptelae  sedem 
mihi  persuasum  est  eiusque  loco  sequeris  scribendum  esse,  quae 
coniectura  non  tarn  mutationis  facilitate  commendari  quam  orationis 
necessitate  flagitari  mihi  videtur. 

Uxoris  fidem  ita  laudat  poeta,  ut,  si  ipsi  Ulixis  iata  subeiinda 
essent,  illam  Penelopae  castitatem  superaturam  esse  dicat  (MI  5,  8), 

tu  mille  procos  intacta  fugares, 
non  imperfectas  cammenta  retexere  telas, 
sed  sine  fraude  palam  thalamosque  armata  negasses. 

Scripsi  imperfectas,  non  intersectas,  quod  quamquam  paulo 
propius  ad  traditum  inierfecta^  accedit  ob  eamque  rem  VoUmcro 
placuit,  certum  tamen  est  poetam  hanc  rem  ne  potuisse  quidem 
aliter  tangere  nisi  llomericam  narrationem  (Od.  2,  93  ff.)  accurate 
secutum,  e  qua  vel  singuhi  verba,  ooXov,  avaXustv,  IxteXsiv,  in  suum 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  513 

Carmen  transtulit.  Quo  clarius  liaec  appareiit,  taiito  graviores  dubi- 
tationes  movet  illud  armata,  quod  neque  in  Odysseae  historia 
liabet  aut  habere  potest  quo  referatur  neque  de  ipsa  Statu  uxore 
intellegi  potest;  omnes  enini  quot  sunt  quotque  fuere  ineptias 
superaret  imago  mulieris  ab  amatorum  cupiditate  non  modo  armis, 
quae  casus  ollerre  potest,  sed  etiam  armatae  se  defendentis.  Neque 
spero  quemquam  ad  liuius  lectionis  defensionem  fugandi  verbo 
usurum  esse  (tu  mille  jJi'Ocos  intacta  fugares),  quod  suam  habet 
explicationem  et  ipsuni  quoque  ad  Odysseae  narrationem  spectat, 
in  qua  ülixis  armis  id  efficitur,  quod  sohl  severitate  Penelope 
assequi  poterat,  si  modo  vere  casta  fuisset.  Statins  enim  quamquam 
e  communi  antiquitatis  more  Penelopae  nomine  ut  celeberrimo 
castitatis  exemplo  utitur,  tamen  cum  suae  uxoris  certa  fide  eam 
comparans  de  eins  castitate  dubitare  incipit  et  ad  contrariam  famam 
inclinare,  qua  longe  aliter  de  iüa  iudicabatur.  Nititur  auteni  haec 
quoque  suspicio,  quam  comicorum  poetarum  lascivia  maxime 
propagavisse  videtur,  ipsius  Ilomcri  n.u'i'.itione,  in  qua  haec  legimus 
(Od.  2,  91), 

a-pj'sXi'a?  TTpotETca,  voo,  5s  oi  aXXa  [jsvoiva. 

Neque  minus  ofVcndebantur  severioris  aetatis  iudicia  iis  quae 
de  Procorum  donis  apud  liomerum  (Od.  18,  187  il.)  traduntur,  de 
(|uibus  haec  habet  Plutarchus  in  libello  de  poetarum  lectione  (c.  8), 
TTOcXiv  xir^c,  II'/jvsXo'Trrj:  toi?  (jivr^atrjpsi  TrpiO(3oiotXs70[Jisv7j?  oux  cziravOpfo-ior, 
EX3tv(t)V  ris  o.hz-q  yapiCoiJ.svajv  iiJOCTta  xotl  xocJaov  aXXnv,  tjoojxsvo? 
'OouacJsüc  ouvcxot  töjv  txsv  S«ipa  rotpiXxsTo,  t>sÄ-jS  os  i}'j|jlov,  si  jxsv 
s-l  T"iQ  owpoooxia  X7i  'ÄXsovscia  yairjzi,  xov  xtoiKooouusvov  uTrspßaXXsi 
jjLaaTpoTTsia  [loXiVjpov  e.  q.  s.  Itaque  non  mirabimur  quaestionem 
philologicam,  cuius  Seneca  (ep.  88,  8)  mentionem  facit,  an  Pene- 
lope impudica  fuerit,  an  verha  saeculo  suo  dedent.  Nihil  autem 
magis  contra  vulgatam  famam  facere  videri  poterat,  quam  quod 
arcus  certamen  proponens  et  victori  nupturam  se  esse  dechirans 
coniugii  fidem  aperte  vioLavit.  Qua  re  quonam  modo  usi  sint  ad 
Penelopae  irrisionem,   et  Ovidius  docet  hoc  disticho  (am.  l  8,  47), 

Penelope  iuvenwn  vires  tentahat  in  arcu: 
qui  latus  argueret^  corneus  arcus  erat^ 

Festschrift    Vahlen.  .  33 


514  Max  Rothstein, 

et  auctor  carminis  non  minus  lascivi    quam    ingeniosi,    quod  inter 
Priapea  legitur,  qui  iii  J^enelopae  persona  ita  ludit  (68,  29), 

quae  sie  casta  manes,  ut  iam  convivia  vüas 

utqtie  fututorum  sit  tua  plena  domus. 
e  quibus  ut  srires  quicumque  valentior  esset, 

haec  es  ad  arrevtos  verba  locuta  proros : 
nemo  meo  melius  nei'vum  tendebat   Ulixe, 

sive  Uli  laterum  seu  fuit  artis  opus, 
qui  quoniam  periit,  vos  nunc  intendite,  qualem  (?) 

esse  virum  sciero,  vir  sit  ut  ille  meus. 

Talis  lascivia  cum  a  Statu  versibus  omnino  aliena  sit,  vitu- 
peratio  l^enelopae,  qua  illa  nititur,  optime  hie  locum  habet,  si 
quaerimus,  quam  rem  praeter  thalaraos  poetae  uxor  negare  potuerit, 
si  Penelopae  castitatem  superatura  erat.  Nam  quamquam  aliud 
adiectivum,  quod  copula  ad  verbum  thalamos  adnexa  cum  adverbio 
palam  coniungeretur,  reponere  sermonis  legibus  non  vetamur,  tamen 
neque  cuiquam  hac  via  contigit  ut  aptam  emondationem  excogitaret 
(proposuerunt  orbata,  animata,  irata),  et  vcri  multo  similius  est 
scriptum  hie  fuisse  substantivum  quod  cum  verbo  thalamos  duplici 
copula  artissime  eoniunctum  esset.  Itaque  in  eam  suspicionem 
incidi  ut  proponerem 

sed  sine  frauxle  palam  thalamosque  arcumque  neßasses, 

etsi,  cum  ipsum  arcus  certamen  proci  non  petiverint,  ad  alterum 
membrum  negandi  verbum  nisi  paulo  liberiorc  usu  non  rcfcrri 
posse  non  me  fugit. 

Similis  depravationis,  qualem  hie  agnosco,  alterum  exemplum 
oceurrit,  nisi  fallor,  in  epistula  gratulatoria  ad  Mcnecratem  (IV  <S,  (5). 
Quae  cum  a  diei  festi  quem  Neapolis  agit  descriptione  incipiat, 
ita  pergit  poeta, 

nee  solum  festas  secreta  Neapolis  aras 
ambiat:  et  son'i  portus  dilectaque  miti 
terra  Dicarcheo  nee  non  plaga  eara  madenti 
Surrentina  deo  sertis  altaria  cingat. 

Omnia  hie  plana  sunt  praeter  uiuim  verbum  secreta.,  in  (juo 
cum   multi  haeserint,  VoUmerus  id  cjuoque  defendere  conatus  est. 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  515 

8ecl  eius  explicationem  „in  vornehmer  Einsamkeit,  das  Wort  solum 
verstärkend"  in  urbem  festis  hominiim  coetibus  redundantem,  qualis 
Neapolis  describitur,  cadere  non  posse  apparet,  quaeque  addidit, 
,,socii  und  der  Satz  materni  qua  litvs  avi  geben  den  Grund  für  die 
Negierung",  ea  vereor  ut  quisquam  nisi  altero  commentario  addito 
intellegat.  Magis  placeret  Barthii  explicatio  „a  curis  nempe  et 
molestiis,  otio  dedita",  si  tarnen  hie  sensus  verbo  inesse  posset. 
Neque  coniecturis,  quas  viri  docti  protulerunt,  laetata,  erecta, 
secura,  reereata  persuadendi  vis  inesse  mihi  videtur,  nisi  quod  illud 
sccura  iis  quae  praecedunt,  procerum  tibi  nobile  vulgvs  crescit  et 
insani  solatur  damna  Vesevi,  paulo  melius  eommendatur  quam 
verbis  illis  ad  quae  Schwartzius  reiecit,  paa;  secura  loeis  (1115,  85); 
placere  tamen  ne  sie  quidem  potest,  cum  poetam  in  sententia 
admodum  inepta,  quam  breviter  tactam  ferimus,  nimis  diu 
morantem  faciat.  IMihi  probabile  videtur  addidisse  hie  poetam 
aliquid  ad  festum  oppidi  statum,  qualem  initio  carminis  descripserat, 
tcmpla  aperta,  vittis  ornata,  turibus  et  hostiis  referta.  Homines 
iiutoni,  qui  festas  aras  ambibant,  jmra  cum  veste  (Tib.  I  10,  27. 
II  1,  13)  venire  mos  erat;  itaque  candidus  tura  dat  servata  puella 
Ovidius  (am.  II  13,  23),  Candida  cidfu  Roma  salutat  imperatorem 
i'educem  apud  Martialem  (VIII  65,  5),  Candida  convivia  fmgit 
Propertius  (IV  6,  71),  ut  Apollinem  Actiacum  celebret.  Propius 
ad  communem  sermonis  usum  accedit  Horatius,  apud  quem  Avidienus 
(sat.  II  2,  61)  albatus  dies  festos  celebrat,  huncque  poetam,  ut  solet, 
expressisse  simul  et  elegantia  superasse  suspicor  Statium,  cui,  ni 
fallor,  er  et  ata  Neapolis  festas  aras  ambire  dicitur.  Cretatam 
mappam  dicere  Martialem  (XII  29,  9),  cretatum  bovem  luvenalem 
(X  65),  cretatam  ambitionem  Persium  (V  177),  Lucilii,  ut  videtur, 
exemplum  secutos,  in  vulgus  notum  est,  neque  de  emendationis 
facilitate  quisquam  dubitabit. 

Extremas  versuum  partes  depravationem  facillime  pati  frequens 
est  observatio,  cuius  insigne  exemplum  apud  Statium  occurrit  in 
primo  libri  quinti  carmine,  ubi  per  quattuor  continuos  versus  (81  ff.) 
ultima  verba  apparet  ita  deleta  fuisse,  ut  librarius  quasi  e  naufragio 
satis  haberet  expiscari  quae  legere  posse  sibi  videretur.  Simili 
casu  duo  versus  epicedii  in  patrem  corrupti  sunt,  in  ea  carminis 
parte  qua  poeta  exponit,  quibus  auxiliis  ad  Carmen  dignum  patris 

33* 


516  Max  Rothstein, 

meritis  concinnanduni  uti  velit  (V  3,  80).  Neque  oloris  neque 
Sirenum  neque  Philomelae  questiis  adhibebit  neque  eos  quos 
immodico  dolore  in  nova  corpora  nmtatos  esse  fabulae  tradunt, 
cum  haec  omnia  nimis  iam  decantata  sint.  Nolo  singula  l'usius 
interpretari,  quaniquam  fateor  mihi  neque  Vollmeri  neque  Sudhausii 
explicationem  probari.  Patrem,  inquit  poeta,  ipsa  dea  Pietas, 
lustitia,  Facundia  plangat,  cum  illis  l'allas  et  Phoebi  cohors 
Heliconia  i.  e.  poetae,  quorum  varia  genera  deinceps  enumerantur, 
epici,  lyrici,  philosophici,  tragici  (98), 

et  quis  lasciva  vires  tenuare   Thalia 
duice  vel  heroos  gressu  trvncare  leones. 

Recepi  veteres  coniecturas,  (piis  (pro  qui^  et  tenuare  (pro 
tenvere),  neque  video,  quomodo  sine  illis  orationis  formatio  constitui, 
nedum  sensus  intellegi  possit.  Ita  apparet  duo  poeseos  gonera 
artius  inter  se  coniungi,  quorum  alterum  illustratur  alio  Statu  loco, 
quo  poetarum  clegiacorum  enumeratioiii  haec  verba  pracmittnntnr 
(1  2,  250), 

sed  praecipue  qui  nobile  gressu 
extremo  fraudatis  opus, 

i.  e.  qui  alteri  cuique  hexametro  unum  pedem  dementes  (li.stichoii 
elegiacum  constituistis.  Cum  elegiacis  comici  tam  arte  componuntur, 
ut  appareat  Statio  duo  haec  poeseos  genera  proxima  aflinitate 
coniuncta  visa  esse,  quippe  quac  idem  illud  tenue  et  molle  scribendi 
genus  sequerentur,  quod  elegiaci  forti  carminis  epici  sono  opponore 
solent.  Quanta  intercedat  inter  utrumque  genus  similitudo,  Fridericus 
Leo  in  quaestionibus  Plautinis  (p.  129)  exposuit,  cuius  doctae  dis- 
putationi  illud  unum  oppoui  posse  mihi  videtur,  eo  magis  cavendum 
esse,  ne  ad  certi  alicuius  loci  imitationem  referamus,  quae  universa 
argumenti  et  stili  similitudine  satis  explicantur,  et  totum  illud 
comparandi  genus  paulo  maiorem  interpretandi  subt.ilitatem  poscero, 
quam  vir  doctissimus  aut  illo  loco  praestitit  aut  ubi  Proportii  mei 
peccata  castigavit.  Sed  redeo  ad  Statium,  qui  ne  illud  quidem 
sine  consilio  instituisse  mihi  videtur,  quod  in  ea  sententiae  parte, 
qua  comoediam  et  elegiam  complectitur,  Thaliae  nomine  usus  est, 
quamquam  proprio  et  grammatice  ad  comoediam  tantum  nomen 
illud  pertinere    fateor.     Thaliam    oiiim    noii    modo    comoediae,    ut 


Ad  Statu  Silvas  ohservationes  criticae.  517 

solemiis,  sod  etiam  elegiae  Musam  dicere  licet,  ciiiiis  nomine  Ovidius 
saepius  usus  est  (trist.  IV  10,  50.  V  9,  31),  semel  ita,  ut  distichi 
usum  ei  vindicet  (ars  I  263  hactenus  ....  praecipit  imparibus 
vccta  Thalia  rotü),  neque  observatione  indignum  est  in  Sapphus 
cpistula  omnia  mollioris  generis  carmina  ei  tribui  (83  sive  abeunt 
studia  in  mores  artisque  magistra  ingenium  nobis  molle  Thalia  facii). 
Neque  liis  finibus  huius  Musae  auctoritas  contenta  fuit.  Est  enim 
etiam  epigrammatis  dea,  quod  Friedlaenderus  ad  Martialem 
(IV  8,  12)  observavit,  idque  tam  late  patet,  ut  etiam  Culicis  auctor 
ludere  se  gvacili  modulante  Thalia  dicat;  quae  verba  non  minus 
bene  cum  nostro  lasciva  vires  tenuare  Thalia  quam  cum  Propertii 
versu  componere  licet,  quo  ille  Amorem  dicit  se  vetuisse  tam 
graciles  contemnere  Musas  (II  13,  3).  Bucolicum  etiam  Carmen 
eiusdem  deae  tutela  uti  iam  Heynius  e  scholiastae  ad  Apollonium 
(III  1)  testimonio  effecit,  ubi  traditur  Thalia  invenisse  -(stüp-'iotv  xai 
TYjv  Ttspl  xdc  cpuxa  TCpaYfictTsi'av,  hacque  observatione  usus  est  ad  Vergilii 
verba  interpretanda,  quibus  ille  Thaliam  suam  primam  Syracosio 
versu  lusisse  dicit  (ecl.  VI  1).  Rem  incertam  esse  fateor,  cum  sola 
nominis  etymologia  ductum  esse  grammalicum  illum  cogitari  possit, 
ita  tarnen  probabilem,  ut  dubites,  utrum  pedum  illud,  quod  artis 
monumenta  Tlialiae  dare  solent,  ad  senum  comicorum,  ut  volunt 
arcliaeologi,  usum  aut  rusticorum  vitam  in  comoedia  descriptam 
(ita  llelbigius  in  periegesi  Romana  272)  an  potius  ad  pastoricii 
baculi  imitationem  referendum  sit,  cum  praesertim  vestimentum  pellis 
l'ormam  imitans,  quod  Musa  comica  haud  raro  gerit,  ita  facillime 
explicari  possit.  Sed  utcumque  de  hac  quaestione  iudicatur,  hoc 
ccrtum  est,  Thaliae  tutelam  complecti  quae  ad  vitae  human ae 
dolicias  pertinent,  iisque  opponi  carminis  epici  materiam,  quod  in 
i'ortium  virorum  periculis  et  laboribus  describendis  versatur. 
Nobile  opus  dicit  Statius  loco  gemino,  quem  contuli,  ad  fortia 
personarum  epicarum  facta  respiciens,  et  hie  simile  aliquid  scriptum 
fuisse  credo  neque  ullum  locum  esse  posse  herois  leonibus  ea 
interpretandi  ratione,  quam  Vollmerus  commendavit,  ut  versus, 
quibus  viri  leonum  ritu  pugnantes  describuntur,  ipsi  leones 
dicerentur,  Neque  teriores  scripserira,  quod  inde  a  Domitio  reponere 
solent,  sed  labores,  quod  de  Troiae  maxime  fatis  Vergilius  et  ipse 
Statius    (II  1,  117)    usurpavit;    nam    gravius    damnum    huius    et 


518  Max  Rothstein, 

seqiientis    versus    partes     extremas     passas     esse     mihi     quidem 
constat. 

Pergit  enim  poeta  ita, 

omnia  namque  animo  complexus  et  omnibus  utor, 
qua  fandi  via  lata  patet,  sive  orsa  lihebat 
Aoniis  vincii'e  modis  seu  voce  soluta 
spargere  et  effreno  nimhos  aequare  profatu. 

Clarorum  poetarum  manes  iina  cum  dis,  quos  poeta  invocavit, 
iubentur  in  funere  patris  adesse,  quia  ille  tarn  strenuum  eorum 
sectatorem  se  gessit,  ut  eorum  opera  anime  complecteretur  i.  e. 
memoria  teneret.  Cui  sententiae,  quam  faeile  intellegimus,  etsi 
toto  hoc  genere  non  nimis  delectamur,  quam  inepte  adderet  poeta, 
suam  ipsius  personam  subito  interponens,  se  illorum  scrinia  ad 
epicedion  conficiendum  depilaturum  esse,  neminem,  puto,  fugere 
potest.  Sed  ut  de  elegantiae  sensu  taceam,  ipsa  poetae  verba 
docent  extremam  versus  partem  recte  traditam  esse  non  posse; 
quae  enim  sequuntur,  non  ad  poetae  consilia  spectant,  sed  ad 
patrem  mortuum  (libebat')  eiusque  orationis  subitae,  sive  prosae 
sive  poeticae,  facultatem,  quam  ille  assidua  veterum  imitatione  sibi 
paraverat.  Itaque  ne  vulgata  quidem  mutatio  et  omnibus  auctor 
satisfacit,  sed  ita  oratio  emendanda  erit,  ut  aut  usus  pro  utor 
scribamus  aut,  quod  multo  praestare  mihi  quidem  videtur,  sententiae 
formam  restituamus,  in  qua  illi  animo  alius  respondeat  ablativus, 
cui  sequentia  adhaerere  possint.  Neque  quidquam  melius  credo 
excogitari  posse  quam 

omnia  namque  animo  complexus  et  omnia  verbis 
(voce  propter  sequens  seu  voce  soluta  nullam  haberet  probabilitatem) ; 
tanto  studio  pater  se  ad  priorum  poetarum  opera  applicaverat,   ut 
ea  omnia  et  memoria  teneret  et  propriis   verbis  ex  tempore  imi- 
tari  posset. 

Ut  hie  versuum  partes  extremae,  ita  uno  quidem  loco  una 
sententia  per  duos  versus  pertinens  nescio  quo  casu  tarn  grave 
damnum  passa  esse  mihi  videtur,  ut  praeter  unum  verbum  nihil 
sine  mutatione  retineri  possit.  Neque  ita  iudicans  vereor  ne  in 
temeritatis  crimen  incurram,  cum  de  loco  desperate  agatur,  quem 
nemo  adhuc  feliciter  tractavit,  ut  venia  certe  audaciao  l'ortiora 
remedia  quaerenti  parata  sit,  quamquam  ita  certa  esse,  ut  nullam 


Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae.  519 

admittant  dubitationem,  talia  non  posse  apparet.  In  codem,  de 
quo  siipra  egi,  patris  epicedio,  postquam  patris  vitam  et  merita 
eiiarravit,  de  se  ipse  poeta  loqiii  incipit;  sibi  quoqiie  patrem 
aditiim  ad  Musas  aperuisse,  suis  recitationibus  eum  spectatorem  ad- 
fuisse  suisqiie  laudibus  et  praemiis  siimmo  gaudio  favisse.  Dolet 
tarnen,  quod  tantum  Neapolitanam  filii  victoriam,  non  etiam  Albanam 
illo  viderit;  tertio  enim  certamine,  Capitolino,  victum  se  esse  (231), 

narn  quod  me  mixta  quercua  non  pressit  oliva 
et  fugit  spei'atus  honos:  qua  dulce  parentis 
invida   Tarpei  caperes. 

Thebaida  quoque  patre  magistro  inceptam  et  elaboratam  esse, 
quae  nunc  velut  navis  gubernatore  orbata  incerto  cursu  erret. 
Neque  in  filium  solum  tantam  patris  pietatem  fuisse  sed  etiam 
in  uxorem. 

Fusius  exposui  sententiarum  conexum,  ut  optime  haec  inter 
se  cohaerere  demonstrem  neque  Heere  se  ex  unius  loci  difficultatibus 
ita  expedire,  ut  Fridericus  Leo  (in  quaestionibus  Plautinis  p.  42) 
voluit.  Post  mortem  poetae  hoc  carmen  imperfectum  editum  esse 
itaque  fieri  ut  temporis  definitiones  quae  in  eo  occurrunt  inter  se 
non  concinant,  certum  est;  in  hac  tarnen  carminis  parte  singulae 
sententiae  (ut  Vollmerus  iam  recte  observavit)  tarn  bene  se 
excipiunt,  ut  poetae  consilium  non  possimus  non  agnoscere,  sive 
ille  uno  tenore  haec  omnia  scripsit  post  certameu  Capitolinum  et 
ante  editam  Thebaidem  (neque  de  certaminis  tempore  ita  constat 
ut  hoc  negare  liceat),  sive  quae  postea  inseruit,  hie  quidem  summa 
cura  cum  ceteris  coniunxit.  Itaque  si  quid  a  librariis  hie  peccatum 
est,  huius  rei  culpa  iis  qui  post  poetae  mortem  ultimum  librum 
ediderunt  imputari  non  potest,  et  si  tamen  posset,  ne  sie  quidem 
quaerere  desineremus,  quid  ipse  poeta  voluisset.  Peccatum  autem 
esse  in  iis  verbis  quae  supra  exscripsi  neque  ea  ad  sanitatem 
redigi,  si  cum  Vollmero  quam  pro  qua  scribimus,  apertum  mihi 
videtur.  Neque  enim  sententia,  quam  ille  restituere  sibi  visus  est 
„mit  wie  süssen  Worten  würdest  du  die  Missgunst  Juppiters  zu 
versöhnen  gewusst  haben"  apta  est  clausula  ad  ea  quae  praecedunt 
aut  per  se  tam  bene  excogitata,  ut  pater  pro  filii  victoria  apud 
lovem  aut  imperatorem  verba  faciens  vel  apud  Statium  ferri  possit, 


520  '^1«''   llolhstoiu, 

ncquc  per  latiiii  scrmonis  legcs  licet  aut  iioiitro  pliiralis  incUla  pro 
siibstantivo  abstracto  uti  (Imnc  qiüdera  errorem  vitavit  Baelircnsiiis 
intima  i.  e.  intimas  animi  partes  reponens)  aut  neutrum  singiilaris 
diilce  hie  pro  adverbio  ponere;  quae  loquendi  ratio  cum  Statio  valdo 
placucrit  (dulce  pro/ari,  iuvenile  calen\  gründe  fremere  et  similia 
multa),  tarnen  inter  tarn  multa  silvarum  et  epicorum  carmiiiuin 
exempla  nulluni  occurrit  neque  potest  occurrere,  ubi  ab  eodem  verbo 
praeter  accusativum  illum  adverbialem  alius  etiam  accusativus 
pendeat.  Ceterorum  (Scaligeri,  Gronovii,  Marklandii ,  Koostlinii, 
Ellisii)  conamina  lieri  non  potest  ut  examinem;  iiullo  eorum 
sententia  restituitur  quae  placere  possit,  et  pleraque  eo  vitio 
laborant,  quod  tollunt  eam  senteutiae  formam,  quam  incepisso 
poetam  apparet,  ut  praeteritionis  formula  usus,  quod  summae 
victoriae  spes  se  fefellisset,  in  apodosi  certo  aliquo  argumento  sc 
consolaretur.  Quod  quäle  fuisse  possit,  non  sine  probabilitate  coni- 
cere  licet  ex  orationis  tertio  Thebaidis  libro  insertae  comparatione, 
qua  Aletes  vetera  Cadmeae  gentis  mala  prae  fraterni  belli  atrocitatc 
elevare  studens  nolle  se  dicit  Niobae  aut  Actaeonis  casus  qucri 
(111  205), 

sie  dura  sororum 
pensa  dahant  oisumque  loci. 

Similem  sententiam,  si  quid  sentio,  hie  quoquo  expectamus 
eamque  e  verbis  traditis  quamvis  corruptis  restituere  posse  mihi 
videor.  Cum  enim  soleat  Statins  milii  didec  est  et  similia  eo  sensu 
dicere  qui  a  simplici  voluntatis  signiilcatione  non  multum  distat 
(rem  exposuit  Vollmerus  ad  I  2,  74)  et  semel  etiam  habeat  ita 
dulce  loci  (Theb.  Yll  236),  illud  ipsum  ita  dulce  e  tradito  qua 
dulce  nulla  difficultate  restituere  licet.  Neque  tamen  lovem  primo 
quidem  loco  Statins  hie  appellavit,  sed  imperatorem,  si  modo 
pareutis  in  dativum  mutare  audemus;  Domitianus  enim  solet  a  pocta 
pater  urhis,  Latiae  urbis,  Ausoniae  urhis,  parens  Latius,  Romnmi?, 
orbis,  mundi  dici  (exempla  dabit  index  Kohlmannianus).  H.i' 
simplicia  sunt  quaeque  certa  esse  confiderem,  nisi  nuiiores  in  scquenti 
versu  restarent  difficultates,  de  quibus  omnem  dubitntionem  tolli 
posse  ne  ipse  quidem  alfirmare  audeo.  Si  enim  recte  adhuc  conieci. 
desideratur  genitivus   initio   versus  sequentis,  quem    mundi   fuiss- 


Ad  Statu  Silvas  ohservationes  criticae.  521 ' 

aiidax  vidcbitur  coiüectuva  e  nostro  scribendi  morc,  faclllima,  si  ad 
codiciim  rationem  recurrimiis,  in  qua  inter  mundi  et  invida  nihil 
interest  praeter  unum  apicem  et  ultimam  litteram.  Quae  restant, 
hoc  docent,  praeter  imperatorem  etiam  lovem  Capitolinum  appellatum 
fuisse,  quem  cum  soleant  Statins  et  Martialis  cum  imperatore 
componere,  hie  optime  locum  habet,  quia  illud  certamen  lovi 
Capitolino  sacrum  erat  eiusque  laudes  perpetuam  materiam  habebat 
(Qnint.  11 1  7,  4)  et  Statins  ipse  altero  quo  huins  rei  meminit  loco 
de  eins  dei  saevitia  queritur  (III  5,  31), 

tu  cum  Capitolia  nostrae 
inßtiata  lyrae,  saevum  ingratumque  dolebas 
mecum  victa  lovem. 

lovem  autem  Capitolinum  cum  Tarpeium  patrem  Propertius 
(IV  1,  7)  aliiqne  post  cum  dixerint  (Statins  ipse  IV  3,  161),  totam 
senteutiam  ita  mihi  videor  probabiliter  restituere  posse, 

ita  dulce  parenti 
7nundi  Tarpeioque  patri. 

Restat  tarnen  dubitatio,  in  metrica  versus,  qualem  restitui, 
forma  posita.  Solet  enim  Statins,  ut  ceteri  poetae  epici,  initio 
hexametri  verbum  spondiacum  vitare,  qua  de  re  Fridericus  Leo  (in 
indice  Gottingensi  anni  1893  p.  22)  ita  disputavit,  ut  talia  non 
mctricis  tantum  rationibus  regi  recte  exponeret.  Videntur  autem 
poetae  non  tam  varia  verborum  primo  versus  loco  positorum  genera 
spectavisse,  sed  id  maxime  cavisse,  ne  versus  incipiens  post  primura 
pedem  gravius  interrumperetur;  itaque  eo  facilius  verbum  spondiacum 
hoc  loco  admiserunt,  quo  apertius  nova  sententia  una  cum  versus 
initio  incipiens  et  deinceps  continno  cursu  iluens  a  prioribus 
separata  erat.  Haec  qui  reputaverit,  non  dubitabit  hunc  locum,  si 
qnidem  recte  conieci,  inter  gravissima  et  rarissima  huius  libertatis 
exempla  numerare,  quam  tamen  adeo  non  severe  Statius  fugit,  ut 
ter  in  hoc  ipso  carmine  non  minore  licentia  uteretur,  quos  e  vertice 
Surrentino  \  mittit  TyrrJumispeculatrixvirgo  profundi  (166),  illa  minas 
diüum  Parcarumque  acta  canehat,  \  quaynvis  decepto  vates  non  irrita 
Phoebo  (175),  Ms  tibi  pro  meritis  famam  laudesque  benignas  \  iudex 
cura  deum    ....    concessit    (251),    quibus    exemplis    unum    etiam 


522  M<*x  Rothstein,  Ad  Statu  Silvas  observationes  criticae. 

carminis  praeeedentis  addam  (V  2,  104),  tu  qiiamqiiam  non  ante 
forum  legesque  severas  \  passus,  sed  e.  q.  s.,  quod  proptev  gravem 
post  verbum  spondiacum  sententiae  intercisionem  omnium  quao 
inveni  gravissiinum  mihi  videtur.  Video  tarnen  hac  quoque  obser- 
vatione  paulum  probabilitatis  detrahi  coniecturae,  quae  per  se  non 
potest  non  audax  videri,  cum  in  tota  sententia  vix  unum  verbum 
intactum  relinquatur.  Neque  me  fugit  quanta  opus  sit  cautione  in 
Statu  silvis  emendandis,  et  multa  quae  sanare  posse  mihi  videbar 
hoc  timore  nunc  quidem  praetermisi.  lllud  tamen  hoc  ccterisque 
quos  tractavi  locis  demonstrasse  mihi  videor,  vel  post  diligentissimi 
enarratoris  operam  restare,  quae  aut  interpretationis  rationem  adhuc 
non  apertam  aut  emendatricem  manum  poscant;  de  iis  quae  ipso 
tentavi  expecto  virorum  doctorum  iudicium,  eins  maxime,  cui  hac 
qualicumque  scriptiuncula  grati  animi  testimonium  festo  die 
exhibere  volui. 


xxvm. 

Oskar  Froelide. 

Römische  Diclitercitate  bei  Gelliiis. 


<^- 


Die  Untersuchung  über  die  liektüre  des  Gellius  hat  sich  zunächst 
den  sachlichen  Quellen  desselben  zugewandt:  Grammatikern, 
Historikern,  Philosophen  und  Juristen.  Durch  Beobachtung  der 
Cltiermethode  und  der  Art  der  Quellenbenutzung  hat  man  festzu- 
stellen gesucht,  welche  der  zahlreichen  Autoren,  die  Gellius  in  den 
Attischen  Nächten  namhaft  macht,  er  selbst  in  den  Händen  gehabt 
hat,  welche  er  seinen  Quellen  verdankt.  Diese  Frage  ist  auch  für 
die  klassischen  Prosaiker,  soweit  sie  noch  nicht  besprochen  worden 
sind,  und  für  die  Dichter  der  Griechen  und  Römer  einer  besondern 
Untersuchung  wert.  Bei  einem  Excerptor  wie  Gellius  wird  man 
von  vorn  herein  geneigt  sein,  die  grosse  Masse  der  Citate  als  entlehnt 
zu  betrachten.  Das  gilt  von  citatreichen  grammatischen  Kapiteln, 
in  denen  ein  Probus  oder  Caesellius  ganz  gelegentlich  als  Quelle 
für  ein  einzelnes  Beispiel  citiert  wird,  während  er  thatsächlich  die 
Quelle  vieler  oder  aller  ist,  wie  das  Zusammentreffen  mit  andern 
Grammatikern  lehrt.  Das  gilt  durchschnittlich  von  zahlreichen 
lateinischen  und  griechischen  Schriftstellern,  deren  Namen  wir  nur 
einmal  im  Gellius  lesen.  ])as  gilt  von  der  grossen  Masse  der 
griechischen  Dichter,  die  Gellius  griechischen  Schriftstellern  wie 
Plutarch  und  älteren  römischen  Grammatikern  wie  Varro  verdankt, 
oder  die  er  griechisch  gebildeten  Zeitgenossen,  zumeist  Favorin,  in 
den  Mund  legt.  Hinter  der  Menge  der  abgeschriebenen  Autoren- 
stellen treten  die  eigenen  Zuthaten  des  Excerptors  zurück.  Um  sie 
zu  erkennen,  wird  man  denselben  Weg  einschlagen  müssen,  den 
die  Quellenanalyse  bisher  genommen  hat.  Im  folgenden  soll  der 
Versuch  mit  den  römischen  Dichtern  gemacht  werden.  Dass  der 
Zeitgenosse   Frontos    und  Liebhaber    der  archaischen   Litteratur  in 


526  Oskar  Froehde, 

ilmen  belesen  war,  dürfen  wir  voraussetzen.  Ich  gehe  von  ganzen 
Kapiteln  aus,  die  auf  einer  Dichterstelle  beruhen,  wende  mich  dann 
zu  einzelnen  und  deutlich  erkennbaren  Teilen  eines  Kapitels, 
bespreche  darauf  die  eingelegten  gelegentlichen  Citate  und  endlich 
solche,  die  Gellius  bereits  in  der  Quelle  vorgefunden,  al)er  nach- 
geschlagen und  selbständig  hinzugefügt  hat. 

Gellius  folgt  in  der  Regel  innerhalb  eines  Kapitels  nur  einer 
Quelle  —  diese  kann  auch  ein  Dichter  sein.  Da  unter  den 
Quellenschriftstellern  Yarro  die  erste  Stelle  einnimmt,  so  werden 
wir  Kapitel,  denen  Varronische  Satiren  zugrunde  liegen,  auf  Original- 
lektüre derselben  zurückführen.  Das  kleine  Kapitel  XV  19  soll 
laut  üeberschrift  und  Einleitung  einen  interessanten  Satz  aus 
Varros  Satire  repl  soeafxaTtuv  enthalten.  Die  Worte  des  Dichters 
folgen  im  §  2.  Das  Kapitel  ist  nur  um  dieses  Citats  willen  da. 
Dieselbe  Satire  gab  den  Stoff  zu  VI  16  nach  der  üeberschrift: 
locus  exscnptus  ex  satura  M.  Varronis,  quae  irspt  iozsitdxmv  in- 
scripta  est,  de  peregrinis  cihwum  generibus.  Gellius  hat  die  Satire 
nach  diesen  Worten  selbst  vor  Augen  gehabt,  obwohl  er  im  §  3 
darauf  verzichtet,  die  Verse  Varros  anzuführen,  und  aus  dem  Ge- 
dächtnis die  von  Varro  besprochnen  Delikatessen  mit  Angabe  ihrer 
Heimat  aufzählen  will.  Im  Anschluss  daran  erinnert  er  an  Verse, 
mit  denen  Euripides  Genügsamkeit  empfiehlt  (§  6),  Verse,  die 
Chrysippos  oft  gebraucht  habe.  Sie  folgen  mit  den  Worten:  versus 
Euripidi  adscribendos  putavi.  Bücheier  ^)  hält  für  möglich,  dass 
Gellius  sie  dem  Varro  verdankt.  Aber  er  kann  sie  auch  selbst- 
ständig nachgetragen  haben,  weil  er  sie  in  der  Üeberschrift  be- 
sonders hervorhebt  und  an  den  Schluss  des  Kapitels  gestellt  hat, 
wofür  ich  im  letzten  Abschnitt  Beispiele  bringe.  Die  Erwähnung 
aber  des  Chrysipp  und  Euripides  wird  er  Varro  verdanken,  wie 
auch  Ruske ')  vermutet  hat.  Auf  der  Satire  7iescis  quid  vesper 
serus  vehat  beruht  sicher  das  ganze  Kapitel  XIII  11,  in  dem  Gellius 
zwischen  Referat  und  wörtlichem  (Mtat  beständig  abwechselt  wie 
bei  dem  Auszuge  aus  Seneca  XII  2.     Den  Inhalt  von  XIII  31  be- 


1)  Petron»  S.  204  Frg.  403. 

^   De  A.  Gellii  Nociium   Atlicarum  fontibus    quaeationes    selectae.     Dissert. 
Breslau  1883  S.  30. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  527 

zeiclinet  Gellius  treffend  mit  der  Ueberschrift :  quid  sit  in  satura 
M.  Varronis  '  caninum  i)randiuvi\  Die  Untersuchung  ist  ein- 
gekleidet in  die  Form  eines  Gespräches  zwischen  Gellius  und  einem 
Prahler,  der  sich  auf  seine  Erklärung  der  Menippeischen  Satiren 
viel  einbildet.  Dies  Gespräch  ist  rein  fingiert,  ein  blosses  Kunst- 
mittel der  Darstellung  unseres  Autors.  Denn  der  Mitunterredner 
ist  erstlich  keine  benannte  historische  Persönlichkeit  und  bringt 
gar  nichts  zur  Sache  Gehöriges  vor.  Beispiele  solcher  bei  Gellius 
typischen  Figuren  hat  Dirksen')  gesammelt.  Sodann  lässt  Gellius 
nach  Abfertigung  des  Mitunterredners  die  Gesprächsform  fallen 
(§  13),  wofür  Dirksen^)  ebenfalls  Beispiele  giebt.  Dass  Gellius 
die  Satire  'l'opoxutov  selbst  gelesen  hat,  dafür  spricht  ausser  der 
Analogie  der  besprochenen  Kapitel  das  wörtliche  Citat  der 
Stelle,  an  der  caninum  'prandium  vorkam  (§  14).  Wo  Gellius  die 
folgende  Erklärung  dieses  Ausdrucks  hergenommen,  oder  ob  er  sie 
selbst  gefunden  hat,  lasse  ich  unentschieden.  —  Ausser  den  Me- 
nippeischen Satiren  Varros  hat  Gellius  auch  die  Satiren  des  Ennius 
gelesen.  Anhebend  mit  dem  Lobe  Aesops  erzählt  er  II  29  die 
Fabel  von  der  Haubenlerche.  Auf  die  Erzählung  (§  3  —  16)  folgt 
am  Schluss  die  Bemerkung,  dass  Q.  Ennius  diese  Fabel  in  den 
Satiren  in  versus  quadrati  ül)ersetzt  habe.  Als  Probe  führt  Gellius 
die  beiden  letzten  Verse  an,  welche  die  Lehre  der  Fabel  enthalten. 
Hiermit  verrät  er  uns  seine  wahre  Quelle.  Denn  dass  er  Aesop, 
der  nur  an  dieser  Stelle  begegnet  und  dazu  nur  in  lateinischem 
Gewaiide  ohne  griechische  Sprachproben,  nicht  gelesen  hat,  hat 
nach  Vahlen^)  Julius  Kretzschmer*)  mit  Recht  behauptet.  Ersterer 
machte  auf  die  altertümliche  Färbung  der  Sprache  des  Gellius  auf- 
merksam und  wies  Spuren  von  trochäischem  Rhythmus  in  seiner 
Erzählung  nach.  Dass  Gellius  auch  die  Annalen  des  Ennius  in 
der    Hand    gehabt    hat,    werde    ich    später    an    dem   Varronischen 


')  Die  Auszüge  aus  den  Schriften  der  römischen  Rechtsgelehrten  in  den 
Noctes  Atticae  des  A.  Gellius.  (Abhandlungen  der  Akad.  d.Wiss.  zu  Berlin  1851.) 
Note  2G,  27. 

'')  Note  33. 

')  Ennianae  poesis  reliquiae  S.  LXXXIX. 

^)  De  A.  Gellii  foniibus.     Greifswald.  Dissert  1860  S.  12, 


528  Oskar  Kroehde, 

Kapitel  XII  4  zeigen.  Dass  er  die  Annaleu  wie  die  Tragödien 
gemeinsam  mit  seinen  Freunden  und  Zeitgenossen  studiert  liat, 
bezeugen  die  Disputationen  mit  Julius  Paulus  XVI  10,  Antonius 
Julianus  XVTIT  5,  Julius  Celsinus  und  Fronte  XTX  10.  Ja  XX  10,  4 
führt  er  in  einem  Gespräch  sechs  Verse  aus  dem  achten  Buche 
der  Annalen  sogar  aus  dem  Gedächtnis  an,  was  Kretzschmer ')  für 
durchaus  glaubwürdig  hält.  —  Wenn  Gellins  den  Satiren  des  Varro 
und  Ennius  Steif  zu  ganzen  Kapiteln  entlehnt  hat,  so  werden  wir 
ihm  die  direkte  Benutzung  der  Satiren  des  Lucilius  nicht  ab- 
sprechen dürfen.  In  Kapitel  XVIII  8  will  er  nach  Ueberschrilt 
und  Einleitung  zeigen,  dass  Lucilius  über  rhetorische  Kunststücke 
wie  das  ojjl'jiotsXsutov  und  ouoiotixoütov  gespottet  habe.  Im  §  2  führt 
er  acht  Verse  aus  dem  fünften  Buch  seiner  Satiren  an  unter  An- 
gabe des  Zusammenhangs,  dem  sie  entlehnt  sind.  In  den  Worten 
des  Dichters  gipfelt  und  mit  ihnen  schliesst  unser  Kapitel.  — 
Ausser  den  Satirikern  hat  Gellius  die  Mimendichter  in  ganzen 
Kapiteln  ausgebeutet.  Wie  er  aus  dem  oft  und  direkt  benutzten 
Annalisten  Quadrigarius  XVII  2  seine  bei  der  Lektüre  gemachten 
grammatischen  Beobachtungen  mitteilt,  so  bringt  er  XVI 7  aus 
den  Mimen  des  Laberius  zahlreiche  Belege  für  kühne  AVortbildungen. 
Den  Citaten  aus  Laberius  ist  nur  an  einer  Stelle  ein  andrer  Autor 
beigesellt  (§  10).  Man  darf  aber  die  Herkunft  der  Laberiusst eilen 
nicht  etwa  durch  Zuhülfenahme  eines  Glossars  erklären,  denn 
Gellius  hat  diesen  Dichter  auch  in  einem  Nachtrage  benutzt,  der- 
gleichen seine  eigne  Arbeit  am  deutlichsten  verraten.  Auch  für 
das  15.  Kapitel  des  verlorenen  achten  Buches  w'ar  Laberius  die 
Vorlage  des  Gellius.  Das  lässt  die  Ueberschrift  deutlich  erkennen: 
quibus  modis  ignominiatus  tractatusque  sit  a  C.  Caesare  Laberius 
poeta;  atque  inibi  appositi  versus  super  eadem  re  eiusdeni  Labeni. 
Die  nähere  Ausführung  des  Themas  kennen  wir  durch  Macrol)ius  Saf. 
U  7,  der  von  Gellius  abhängt.  Daher  werden  w'ir  auch  die  Sanunlung 
von  Sentenzen  aus  den  Mimen  des  Publilius  Syrus,  aus  der  das 
Kapitel  XVil  14  besteht,  und  die  Macrol)ius  in  dem  angeführten 
Kapitel  wiederholt,  auf  Originallektüre  des  Gellius  zurückführen 
dürfen  und  nicht  als  Excerpt  aus  einem  ihm  vorliegenden  Auszüge 

')  S.  19. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  529 

von  Sentenzen  aus  diesem  Komiker  betrachten ').  Woher  hat 
Gellius  aber  die  im  §  2  berichtete  Erzählung  von  dem  Urteil 
Caesars  über  die  Mimen  des  Laberius  und  Publilius?  Hier  schreibt 
er  sich  selbst  aus,  denn  VTII  15  hatte  er  darüber  gehandelt,  s.  o.  — 
Eine  ähnliche  Untersuchung  wie  den  Mimen  des  Laberius  hat  Gellius 
auch  den  Mimiamben  des  Cn.  Matius  gewidmet.  Im  Kapitel  XV 
25  handelt  er  de  verhis  quibusdam  novis,  quae  in  Gnaei  Mati  mi- 
miambis  offenderamus  und  belegt  die  Ausdrücke  rccetitatur  und  edul- 
care  mit  Stellen  aus  diesem  Dichter.  Aber  es  bleibt  trotz  des 
qfetideramus  der  Ueberschrift  fraglich,  ob  er  ihn  selbst  gelesen  hat. 
Denn  in  dem  Kapitel  XX  9,  welches  dasselbe  Thema  behandelt, 
nennt  er  Antonius  Julianus  als  seinen  Gewährsmann.  —  Ebenso 
beruft  er  sich  auf  seinen  Zeitgenossen  bei  einem  dem  Laevius 
gewidmeten  Kapitel,  aus  dem  er  XIX  7  eine  Reihe  archaischer 
Wörter  aufzählt.  Er  will  dessen  Alcestis  als  Gast  bei  Julius  Paulus 
gelesen  haben  und  ruft  sich  auf  dem  Rückwege  mit  Julius  Celsinus 
begriffen  einige  seltene  Wortbildungen  daraus  ins  Gedächtnis  zurück. 
Aber  der  Anlass  zu  diesem  Kapitel  ist  wohl  fingiert.  Denn  Gellius 
beschränkt  sich  bei  der  Aufzählung  archaischer  Wörter  nicht  auf 
die  Alcestis  des  Laevius,  wie  das  Beispiel  §  6  Memnon  nocticolor 
lehrt,  und  geht  am  Schluss  des  Kapitels  von  den  archaischen 
Wörtern  weiter  zu  poetischen  Ausdrücken  desselben  Dichters  über. 
Dass  Gellius  mit  Laevius  bekannt  war,  verrät  auch  das  ein- 
geflickte Citat  II  24,  8,  s.  u.  —  Ein  besonderes  Problem  stellt  uns 
das  Kapitel  XV  24,  das  den  Kanon  der  römischen  Komiker  aus 
Volcacius  Sedigitus'  Lehrgedicht  de  poetis  enthält.  Hand- 
schriften des  Plautus,  die  aus  Gellius  excerpieren,  teilen  diesen 
Kanon  dem  Nigidius  zu,  für  den  sich  Ritschi  ^)  entschied.  Er 
vermutete,  dass  Nigidius  den  Kanon  des  Sedigitus  irgendwo 
citiert  hatte,  und  dass  ein  gelehrter  Leser  des  Gellius  den 
Namen  Nigidius  am  Rande  zugesetzt  habe,  der  dann  den  Namen 
Sedigitus  verdrängte.     Aber  Hertz  ^)  blieb   bei  Sedigitus  und  hielt 


J)  W.Meyer,  Die  Sammlungen  der  Spruchverse  des  Publilius  Syrus,  Leipzig 
1877  S.  36,  nennt  sie  die  erste  Spruchsammlung  und  betrachtet  sie  als  Quelle 
der  erhaltenen  Sammlungen. 

-)  Parerga  I  65,  241. 

^)   De  F.  Nigiclii  Fig.  titndüs  p.  47. 
Festschrift   Valilen.  34 


530  Oskar  Frochdc, 

Nigidius  für  eine  naheliegende  Verderbnis  dieses  Namens,  die 
aus  einer  fehlerhaften  Gelliushandschrift  in  die  plautinischen 
eindrang.  Ich  folge  ihm  mit  Kretzschmer ').  Während  Nigidius 
eine  viel  benutzte  Quelle  des  Gellius  ist,  begegnet  Volcaeius  aller- 
dings nur  noch  einmal  III  3,  1  als  Verfasser  eines  index  Plantinus 
und  ist  hier  aus  Varro  geschöpft.  Aber  der  Umstand,  dass  unser 
Kapitel  sich  nur  um  die  Verse  des  Volcaeius  dreht,  wie  auch  der 
Umfang  des  Citats  spricht  für  die  Annahme,  dass  Gellius  ihn  selbst 
vor  sich  gehabt  hat.  —  Endlich  gehört  hierher  vielleicht  auch  das 
Citat  aus  Accius  Pragmatica  XX  3.  Das  Thema  des  Kapitels  ist 
nach  der  Ueberschrift:  quam  oh  causam  L.  Accius  poeta  in  prag- 
maticis  sicinnistas  'nebuloso  nomine  esse  clixerit.  Freilich  hat 
Kretzschmer^)  nicht  übel  vermutet,  dass  Caesellius  Vindex  die 
Quelle  des  Gellius  sei,  wie  in  dem  vorhergehenden  Kapitel,  das 
die  Erklärung  des  ähnlich  anlautenden  Wortes  siiicines  enthält. 
Aber  Gellius  liegt  weniger  an  der  Erklärung  von  sicinnista  als  an 
der  Erkenntnis  der  Ursache,  weshalb  Accius  dafür  den  Ausdruck 
nehuloso  nomine  gebraucht  hat.  Daher  schliesst  er  auch:  credo 
propterea  nebidoso,  quod  ^sicinnimn  cur  diceretur,  ohscurum  esset. 
Von  den  Kapiteln,  welche  vollständig  auf  einer  Dichterstelle 
beruhen,  wende  ich  mich  zu  solchen,  in  denen  mehrere  Quellen 
benutzt  sind,  von  denen  eine  ein  römischer  Dichter  ist.  Varros 
Satiren  kennen  wir  schon  als  eine  primäre  Quelle  des  Gellius.  Sie 
begegnen  auch  hier  wiederholt.  Das  Kapitel  I  17  zerfällt  in  zwei 
Teile,  die  Gellius  schon  in  der  Ueberschrift  kenntlich  gemacht  hat: 
quanfa  cum  animi  aequitate  toleraverit  Socrates  mroris  ingcnium 
intractahile ;  atque  inibi,  quid  M.  Varro  in  qvadam  satura  de 
officio  mariti  scripserit.  Die  Quelle  des  ersten  Teiles  (§  1 — 3)  ist 
nach  einer  wahrscheinlichen  Vermutung  Ruskes^)  Favorin,  wegen 
der  Aehnlichkeit  dieses  Abschnittes  mit  II  1,  wo  Favorin  von 
Sokrates  erzählt.  Der  zweite  Teil  (§  4 — 6)  stammt,  wie  Gellius 
im  §  4  wiederholt,  aus  der  Satire  d£  officio  mariti^  aus  der  ein 
wörtliches  Citat  mitgeteilt  wird.     In  dem  Kapitel  III  18  erscheint 


')  S.  42. 
=*)  S.  98. 
')  S.  5G. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  531 

VaiTos  Satire  'Ittttoxuwv  verbunden  mit  Gavius  Bassus,  auf  dem 
das  folgende  Kapitel  allein  beruht ').  Aus  beiden  Quellen  führt 
Gellius  eine  Erklärung  des  Ausdrucks  j^^darii  senatores  an,  beide 
hat  er  selbständig  benutzt^).  Aus  vielen  Quellen,  lateinischen  wie 
griechischen,  hat  Gellius  III  16  Aeusserungen  über  die  Dauer  der 
Schwangerschaft  zusammengestellt^).  Den  §  13  leitet  er  mit  den 
Worten  ein:  hodie  quoque  in  satura  forte  M.  Varronis  legimus^ 
quae  inscrihitur  Testamentum,  verha  haec.  Wir  werden  der  aus- 
drücklichen Versicherung  eigner  Lektüre  nach  dem  bisher  Aus- 
geführten vollen  Glauben  schenken.  —  Auch  Ennius  begegnet  uns 
hier  wieder  XVII  17.  Gellius  teilt  den  bekannten  Ausspruch  des 
Dichters  über  seine  Sprachkenntnis  mit  zugleich  mit  einem  Bericht 
über  IMithridates,  der  zweiundzwanzig  Sprachen  gesprochen  habe. 
Beide  Teile  des  Kapitels  scheidet  er  auch  in  der  Ueberschrift. 
i\Iercklin'')  hat  richtig  erkannt,  dass  die  drei  aufeinander  folgenden 
Kapitel  15,  1()  und  17  aus  derselben  Quelle  stammen,  die  in  15 
genannt  ist,  Plinius'  naturalis  hisforia.  Nur  die  Notiz  über  Ennius 
sei  anderswoher  genommen  und  nicht  ungeschickt  zwischen  das 
Plinianische  Gut  gestellt.  Ich  zweifle  nicht  daran,  dass  Gellius 
den  Ausspruch  des  Ennius  über  seine  drei  Herzen  aus  ihm  selbst 
entnommen  hat.  —  Dass  Gellius  ferner  die  uns  verlornen  Stücke 
des  Plautus  gelesen  hat,  lehrt  die  Analyse  des  Kapitels  III 3. 
Er  beschäftigt  sich  in  ihm  mit  der  Frage  der  Echtheit  der  plau- 
tinischen  Komödien  und  knüpft  daran  die  Erzählung,  dass  Plautus 
und  Naevius  im  Kerker  gedichtet  haben.  Die  ITauptquelle  des 
Ganzen  ist  Varros  erstes  Buch  de  comoediis  Plautinü,  aus  dem  auch 
die  im  ersten  Paragraphen  aufgeführten  Verfasser  von  Verzeichnissen 
der  echten  Stücke  des  Plautus  stammen*).  Aber  die  eingelegten 
Versproben,  welche  die  Echtheit  dreier  zweifelhafter  Stücke  er- 
härten sollen,  verdanken  wir  nach  meiner  Ansicht  der  Original- 
lektüre des  Gellius.     Er  versichert  uns  dessen  dreimal  ausdrücklich: 


')  Mercklin,    Die   Gitiermethode  und  Quellenbenutzung  des  A.  Gellius  in 
den  Noctes  Atticae,  Jahrb.  f.  kl.  Phil.  Sup.  III  (1860)  S.  G65.  Kretzschmer  S.  99. 

2)  Ruske  30. 

3)  Mercklin  655. 
*)  S.  670. 

'")  Kretzschmer  40,  53. 

34* 


532  Oskar  Froehde, 

§  3  sicuti  ütajH,  quam  nuperrime  legehanms,  cui  est  nomen  Boeotia,  §  (> 
Favorimas  quoque  noster,  cum  Nervulariam  Plauti  legerem  .  .  .  inquit., 
§  7  no.s  quoque  ipsi  nuperrime,  cum  legeremus  Fretum.  —  Sehe  ich 
in  diesem  Falle  keinen  Grund,  die  Aussage  des  Gellius  zu  be- 
zweifeln, so  halte  ich  für  Schwindel,  was  er  uns  von  einem 
Exemplar  der  Odyssee  des  Livius  Andronicus  erzählt.  Erführt 
uns  XVIII  9  den  Streit  zweier  Grammatiker  über  die  Form  insece 
oder  inseque  vor,  von  denen  der  eine  sich  auf  Yelius  Longus' 
commentariv^  de  usu  antiquae  lectionis  stützt.  Mit  §  5  beginnt 
Gellius,  uns  seine  eigene  Ansicht  zu  entwickeln.  Er  beruft  sich 
für  die  Form  insece  auf  ein  Exemplar  der  Odyssee  des  ältesten 
römischen  Dichters,  das  er  in  Patrae  eingesehen  haben  will.  Aber 
Livius  begegnet  uns  nur  noch  zweimal,  und  III  16,  11  wird 
Caesellius  Vindex  als  Quelle  des  Citats  aus  der  Odyssee  genannt. 
Ich  habe  deshalb  zu  Gellius'  Versicherung  eigner  Lektüre  kein 
rechtes  Vertrauen.  Sie  erinnert  an  die  Erzählung  von  den  alten 
Büchern  IX  4,  deren  Kenntnis  er  nur  Plinius  verdankt.  Wie  das 
Gespräch  der  beiden  Grammatiker  rein  hngiert  ist,  und  Velins 
Longus  für  die  Verse  aus  Ennius  und  Plautus  und  wohl  auch  lür 
Gate  verantwortlich  ist '),  so  glaube  ich,  dass  auch  der  zweite  Teil 
des  Kapitels  einer  gelehrten  Quelle,  vielleicht  derselben,  entnommen 
ist,  eine  Annahme,  für  die  auch  die  Citate  aus  Homer  sprechen. 
Das  Fallenlassen  des  Gesprächs  wäre  dabei  nicht  auffällig.  Un- 
haltbar ist  die  Ansicht  Mercklins^),  der  Anfang  des  Kapitels 
stamme  aus  Verrius'  Schrift  de  obscuris  Cotonis,  den  Velius  erst  im 
§  4  ablöse.  Denn  wenn  auch  Ennius  bei  Paulus  S.  79  Th.  wieder- 
kehrt, so  sagt  Gellius  ja  ausdrücklich  im  §  4,  dass  er  ihn  aus 
Velius  kenne.  Dieser  wird  vielmehr  den  Verrius  l)enutzt  haben, 
auf  den  er  sich  auch  in  der  uns  erhaltenen  Orthographie  wieder- 
holt beruft'). 

Einen  leichten  Einblick   in   die  Lektüre  des  Gellius  gewähren 
uns  die  Nachträge  am  ivapitelschhiss,  die  er  liei  xler  Redaktion  des 


')  Kretzschmer  93. 
2)  S.  660. 

^)  l'eber  Verrius  als  Quelle    des  Velius   hat  Mackeuseu  De   Verrii  Flacci 
libris  orthopraphii-is  1896  S.  47  gehandelt. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  533 

Werkes  gemacht  hat.  Morcklin  hat  auf  sie  zuerst  hingewiesen  und 
die  Formeln,  mit  denen  sie  eingeführt  werden,  gesammelt').  Autoren, 
die  Gellius  vielfach  ganzen  Kapiteln  zugrunde  gelegt  hat,  be- 
gegnen uns  auch  in  den  Nachträgen,  am  häufigsten  Cato  (II  28,  4. 
V  G,  24.  VI  4,  5.  XI  1,  ().  18,  18.  XVI  1,  3.  XX  5, 13)  und  Quadri- 
garius  (II  2,  12.  V  17,  5.  III  7,  21.  X  13,  4.  XIII  30,  7.  XVII  13,  5). 
Daher  sind  die  Nachträge  ein  sichrer  Prüfstein  für  die  Frage,  ob 
Dichtercitate  selbstgelesen  sind.  Es  bedarf  nur  des  Beweises,  dass 
es  sich  wirklich  um  einen  später  gemaciiten  Zusatz  handelt.  Von 
schon  besprochenen  Dichtern  kehrt  hier  zunächst  Varro  wieder- 
Das  Kapitel  XIX  8  enthält  ein  Gespräch  des  Fronte  mit  einem 
l'reunde  über  die  l'rage,  ob  gewisse  Singulariatantum  auch  im 
IMural  vorkommen,  und  den  umgekehrten  Fall.  Fronte  lässt  im 
Laufe  des  Gesprächs  Caesars  erstes  Ikich  de  analo(jia  bringen  und 
liest  aus  ihm  eine  Stelle  wörtlich  vor.  Aus  dem  Vorkommen 
Caesars,  der  eine  (t)uelle  des  Plinius  in  seinen  libri  (hibii  sennonis 
octo  war,  schliesst  Beck  ^),  dass  Plinius  die  Quelle  unseres  Kapitels 
war.  Für  Gellius  trifft  diese  Schlussweise  schwerlich  zu,  da  er  dies 
Werk  kein  einziges  Mal  citiert  hat.  Oberster  Grundsatz  der  (^uellen- 
analyse  muss  bei  ihm  aber  sein,  nur  solche  (^Hiellen  zuzulassen, 
die  er  in  der  Einleitung  oder  im  Werke  selbst  namhaft  gemacht 
hat.  Wir  werden  bei  der  Ansicht  Kretzschmers')  bleiben  müssen, 
nach  welcher  Gellius  Caesars  Schrift  teils  selbst  gelesen,  teils  citiert 
gefunden  hat.  Bei  unserm  Kapitel  ist  die  Entscheidung  schwierig, 
da  die  Gesprächsform,  in  welche  dasselbe  gekleidet  ist,  es  zweifel- 
haft lässt,  ob  das  Gespräch  wirklich  stattfand  oder  nicht,  sodass 
Caesar  allein  als  Quelle  benutzt  wäre,  ob  Frontos  mündliche  Rede 
oder  eine  Schrift  von  ihm  zugrunde  liegt,  und  ob  Caesar  wirklich 
bei  ihm  vorkam,  oder  Gellius  zwei  (Quellen  verarbeitet  hat.  Genug, 
mit  §  16  lässt  Gellius  das  Gespräch  beendigt  sein  und  fügt  die 
Bemerkung  hinzu:  quod  unum  ergo  rarhsitnum  videbatur,  incenimus 
'  quadrigam  numero  singulari  dictum  in  libro  saturarum  M.  Varronis 
qui  inscriptus  est  Ecdemeticns.  '  Harenas  mitem  7rX-/jf)uvt'.xa)c  dictas 
minore  studio  quaerimus,   quia  praeter  C.  Caesarem,   quod  equidem 

1)  S.  701. 

'')  Studia  Gelliana  et  Pliniana  Jahrb.  Suppl.  19  (1892)  S.  18. 

3)  S.  60. 


534  Oskar  Froehdo, 

meminerim,  nemo  id  doctorum  homhium  dedit.  Aus  den  Worten 
Caesars  §  8  erhellt,  dass  er  die  Formen  qiiadriga  und  harenae  nicht 
für  möglich  hielt.  Fronte  folgt  ihm  §  3 — 4  und  fügt  im  §  11  eine 
Begründung  hinzu.  Der  Nachtrag  kann  also  aus  keinem  von  beiden 
stammen  und  ist  zweifellos  Gellius'  Eigentum.  Dass  es  sich  aber 
um  einen  späteren  Nachtrag  handelt,  schliesse  ich  aus  der  losen 
Verknüpfung  mit  dem  vorhergehenden  Gespräch.  —  Auch  Ennius 
treffen  wir  hier  wieder  an.  Kapitel  VI  12  handelt  über  tunicae 
chiridotae  und  stammt  aus  Scipio,  der  ihren  Gebrauch  dem  Sulpicius 
Gallus  zum  Vorwurf  machte').  Daran  schliessen  sich  Nachträge, 
auf  welche  die  Überschrift  des  Kapitels  nicht  Bezug  nimmt. 
Gellius  glaubt  auch  in  Worten  der  Dichter  Virgil  und  Ennius  einen 
Tadel  dieser  tunicae  zu  erkennen.  Beide  Stellen  führt  er  mit  dem 
lose  verknüpfenden  quoque  ein:  §  6  Vergilius  quoque  tunicas 
huiuscemodi  quasi  femineas,  probrosas  criminaiui\  §  7  Q.  quoque 
Ennius  CaHhaginiensiutn  'tunicatat7i  iuventutem  non  cidetur  sine 
yrobro  dixisse.  Dagegen  beruhen  die  nachträglichen  Citate  aus 
Ennius'  Alexander  und  Varros  8k  TraiSs;  ol  Yspov-s;  VII  5, 10  nicht 
auf  eigener  Lektüre  der  Dichter,  da  ihre  Herkunft  aus  Verrius 
Flaccus  feststeht.  —  Wir  sahen  ferner,  dass  Gellius  auch  mit 
Lab  er  ins  vertraut  war.  In  dem  Kapitel  III 18  folgt  auf  die  l)eiden 
Erklärungen  der  pedarii  senatores  ein  Zusatz,  den  auch  Kuske') 
für  Eigentum  des  Gellius  zu  halten  geneigt  ist:  §  9  versum  quoque 
Lahevii,  in  quo  id  vocabuluvi  posituin  est,  notari  iussinms,  quem 
legimus  in  mimo,  qui  Stricturae  inscriptus  est.  Die  Beobachtung, 
dass  Laberius  die  Form  pedxini  gebraucht,  veranlasst  den  folgenden 
Hchlusssatz  des  Gellius.  Auch  hier  haben  wir  die  Anknüpfung 
mit  quoque.  Zudem  versichert  uns  Gellius  seiner  eigenen  Lektüre 
ausdrücklich.  Endlich  ist  zu  beachten,  dass  der  Zusatz  nichts  zur 
Erklärung  der  pedarii  senatores  beiträgt,  die  das  Ilauptthema  des 
Kapitels  bildet.  —  Zu  diesen  Dichtern  gesellt  sich  Virgil,  den 
Gellius  selbstverständlich  kannte,  in  drei  Nachträgen,  die  sich  als 
solche  durch  die  Formeln  deutlich  zu  erkennen  geben,  lieber 
VI  12,6  habe  ich  eben  bei  Ennius  gesprochen.     Das  Kapitel  III  2 


0  Ruske  15. 
2)  S.  31. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  535 

über  die  Berechnung  des  Tages  bei  den  Römern  und  anderen 
Völkern  stammt  samt  dem  Bericht  aus  Mucius  Scaevola  §  12 — 13 
aus  dem  Buche  von  Varros  antiquitates  verum  Jmmanariim .  das 
de  diebus  betitelt  war').  Der  Schlussteil  aber  (§  14 — 16),  in  dem 
Cielliiis  durch  allegorische  Interpretation  in  einem  Virgilvers  eine 
Bestätigung  der  römischen  Zeitrechnung  findet,  kann  schon  aus 
chronologischen  Gründen  nicht  auf  Varro  zurückgehen.  Auch  hier 
kehrt  die  lose  Verknüpfung  mit  quoque  wieder:  non  dtibitabamus, 
quin  Vergilius  quoque  id  ipsum  ostenderit.  Dieselbe  chronologische 
Schwierigkeit  liegt  X  29  vor.  Gellius  behandelt  die  verschiedenen 
Bedeutungen  der  Partikel  atque.  Wegen  der  Aehnlichkeit  der 
grammatischen  Lehre  mit  dem  Artikel  7iec  bei  Festus  S.  162  Th., 
in  dem  Siunius  Capito  genannt  ist,  hat  Kretzschmer')  diesen  als 
die  Quelle  des  Gellius  erwiesen,  der  Capito  auch  an  anderen  Stellen 
direkt  benutzt  hat.  Ist  dies  richtig,  so  kann  der  Schluss  des 
Kapitels  mit  dem  Virgilcitat  wegen  des  chronologischen  Verhält- 
nisses nicht  aus  der  llauptquelle  stammen.  Dass  er  in  der  That 
ein  späterer  Zusatz  ist,  lehrt  die  Formel:  et  pmeterea  .  .  .  quo- 
que. —  Ein  Nachtrag  wird  auch  das  Citat  aus  Lucretius  sein, 
das  Gellius  XII  10  am  Schluss  des  Kapitels  angebracht  hat.  Er 
zeigt  hier  im  Anschliiss  an  Varros  Schrift  de  sermone  latino,  dass 
aeditumus  eine  lateinische  Wortbildung  ist.  Das  Citat  aus  Cicero 
§  6  wie  den  Schlusssatz:  Titus  autem  Lticretius  in  carmine  suo 
pro '  aedituis  aedituentes  appellat  hat  er  dagegen  selbst  dazugegeben^). 
Die  Bemerkung  über  Lukrez  trägt  zur  Sache  nichts  bei.  —  An 
Virgil  und  Lukrez  schliessen  wir  die  Tragiker  Pacuvius  und 
Accius  an.  Kapitel  XIV  1  enthält  bis  §  33  eine  Rede  Favorins 
gegen  die  Chaldäer.  Dann  folgt  ein  Nachtrag:  praeter  haec  autem.^ 
quae  dicentem  Favorinmn  aiidicimus,  multa  etiam  memini  poetarum 
ceterunt  testimonia  quibus  huiuscemodi  ambages  fallaciosae  confu- 
tantur.  Ex  quibus  est  Pacuvianum  illud  .  .  .  item  Accianum  illud. 
Die  meisten  Citate  aus  diesen  Dichtern  begegnen  zwar  in  gram- 
matischen Kapiteln  und  scheinen  abgeschrieben  zu  sein.     Aber  dass 


0  Dirksen  63.     Ruske  21.  64. 

-)  S.  62. 

^)  Kretzsctiraer  48. 


536  Oskar  Froehde, 

Gellius  sie  gekannt  hat,  scheint  mir  nicht  zweifelhaft.  So  gut  wie 
er  II  20,  13  Fronte  den  Paciivius  aus  dem  Gedächtnis  eitleren  lässt, 
kann  er  sich  selbst  früher  gelesener  Stellen  erinnern.  Accius  habe 
ich  schon  oben  als  Quelle  eines  ganzen  Kapitels  besprochen. 

Die  Nachträge  bilden  einen  besonderen  Teil  des  Kapitels,  der 
sich  aus  der  Arbeitsweise  unseres  Excerptors  erklärt.  Ich  wende 
mich  nun  zu  Citaten,  die  Gellius  bei  Gelegenheit  zugesetzt  oder 
eingeflickt  hat,  um  seine  Belesenheit  zu  zeigen.  Sie  sind  daran 
kenntlich,  dass  sie  mehr  oder  weniger  den  Zusammenhang  unter- 
brechen oder  aus  dem  Tone  der  Umgebung  herausfallen.  Wie 
Gellius  ein  Citat  einflickt,  sieht  man  in  einem  Falle  recht  deutlich: 
IX  4, 1.  Das  auf  Plinius  nat.  hist.  beruhende  Kapitel  beginnt  mit 
folgender  fingierten  Erzählung :  cum  e  Graecia  in  Italiam  rediremus  et 
Brundisium  iremus  egressique  e  naci  in  terram  in  portu  illo  inclito 
spatiaremur,  quem  Q.  Ennius  remotiore  pauhim,  sed  udmodum  scito 
vocahulo  '^praepetem  appellavit.  Das  ist  nicht  eine  Reminiscenz 
aus  eigener  Lektüre.  Denn  das  Citat  begegnet  noch  einmal  VII  6,  6, 
wo  der  Vers  d^r  Annalen  zu  lesen  ist:  Brundisium  pulcro 
praecinctum  praepete  portu.  Gellius  wendet  sich  in  diesem  Kapitel 
gegen  Hygin,  der  Virgil  mit  Unrecht  getadelt  habe.  Er  führt  in 
seiner  Polemik  §  5 — 9  Verse  aus  Älatius  und  Ennius  an.  Darauf 
folgen  Abschnitte,  die  auf  Nigidius  und  Sulpicius  Apolliuaris  zurück- 
gehen. Letzteren  hat  Mercklin  ^)  als  die  Quelle  des  Ganzen  hinge- 
stellt. Hierin  folge  ich  ihm  zwar  nicht,  da  ich  diese  Abschnitte 
für  spätere  Zusätze  halte.  Aber  das  glaube  ich  auch,  dass  die 
Polemik  in  §  5 — 9  nicht  Eigentum  des  Gellius  ist,  und  dass  die 
angeführten  Verse  nicht  eigene  Lektüre  der  Dichter  verraten. 
Sollte  ich  hierin  Recht  behalten,  so  kann  die  Anspielung  IX  4, 1 
auf  unser  Kapitel  nur  lehren,  dass  Gellius  sich  eines  früheren  Citats 
aus  Ennius  erinnert,  nicht  aber,  dass  er  es  eigener  Lektüre  des  Dichters 
verdankt.  Aber  die  Thatsache,  dass  Gellius  Citate  einflickt,  wird 
durch  dies  Beispiel  schlagend  erwiesen.  Auf  eigene  Lektüre  des 
Ennius  weist  aber  vielleicht  das  Citat  hin,  das  Gellius  am  Scliluss 
von  V  Ib  und  16  angeflickt  hat,  wenn  dieser  Vers,  den  schon 
Cicero  wiederholt,  aber  in  indirekter  Form,  citiert,  damals  nicht  in 

')  S.  659. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  537 

aller  Munde  war.  Beide  philosophischen  Kapitel  stammen  aus 
Calvisius  Taurus ').  In  beiden  werden  Ansichten  der  Stoiker, 
Epikurs  und  Piatos  dargelegt,  beidemal  bricht  Gellius  die  philo- 
sophische Untersuchung  ab  mit  dem  Hinweis  auf  die  Worte  des 
Ennianischen  Neoptolemus:  philosophandum  est  sed  paucis;  nam 
omnino  kaud  placet.  In  dem  ersten  Kapitel  citiert  er  sie,  im 
zweiten  verweist  er  auf  das  Citat'),  Dass  er  in  zwei  unmittelbar 
auf  einander  folgenden  Kapiteln  denselben  Schluss  wählt,  erklärt 
sich  aus  der  nicht  ganz  durchgeführten  Absicht,  die  inhaltsver- 
wandten Kapitel  zu  trennen.  —  Einen  Hinweis  auf  Laberius  giebt 
Gellius  in  dem  Kapitel  XVII  2.  Zu  den  zahlreichen  aus  dem 
Annalisten  (J^uadrigarius  gesammelten  sprachlichen  Bemerkungen 
führt  er  vereinzelte  Parallelen  aus  anderen  Autoren  an.  Wenn  er 
zur  Erklärung  des  Wortes  arrabo  §  21  sagt:  multo  cidetur  sordidius 
(irra  quamqiiam  arra  quoque  veteres  saephis  du-erint  et  comphiriens 
Laberius,  so  kann  dies  eine  Reminiscenz  aus  eigner  Lektüre  sein, 
da  er  mit  diesem  Dichter  wohl  vertraut  war.  Aber  der  Beleg  aus 
Novius  §  8  stammt  aus  einem  Grammatiker,  denn  Novius  kommt 
nur  noch  einmal  vor.  Mercklin  ^)  hat  für  §  5 — 8  wegen  der  Ver- 
wandtschaft mit  XVIII  12  an  Probus  gedacht.  —  Aus  dem  Zu- 
sammenhange fallen  die  Verse  aus  Laevius  und  Lucilius  in  dem 
Kapitel  II  24  heraus.  Im  Anschluss  an  die  Coniectanea  Ateius 
Capitos  geht  Gellius  die  alten  Gesetze  durch,  welche  sich  gegen 
den  Luxus  richteten.  Während  er  von  §  11  bis  14  über  die  lex 
Aemilia,  Antia  und  lulia  ganz  knappen  Bericht  erstattet,  knüpft 
er  an  die  lex  Fan?iia  und  Licinia  eine  weitere  Bemerkung.  Er 
leitet  sie  beidemal  in  derselben  Weise  ein:  §  4  hanc  Lucilius 
poeta  legem  signißcat .  cum  dicit,  §  8  htiius  legis  Laevius  poeta 
meminit  in  Erotopaegniis^  §  10  Lucilius  quoque  legis  istius  mcrninit 
in  his  verbis.     Hebt    man    die  Paragraphen  4 — 6  und  8 — 10  aus, 


')  Mercklin  A.  Gellü  N.  A.  capita  quaedam  ad  fontes  rerocaia.  Index  schol. 
Dorpnt.  1861  S.  11.     Ruske  52. 

-)  Ribbeck  hatte  T.  R.  F.  S.  53  aus  dem  Schluss  des  zweiten  Gelliuskapitels 
einen  zweiten  Enniusvers  zu  gewinnen  gesucht,  hält  aber  in  der  dritten  Auf- 
lage S.  73  mit  Mercklin  S.  668  die  zweite  Fassung  mit  Recht  für  eine  Um- 
schreibung des  Gellius. 

3)  Capita  S.  13. 


538  Oskar  Froehde, 

SO  würden  wir  sachlich  nichts  vermissen.  Nun  dürfen  wir  sie  zwar 
an  und  für  sich  einem  gelehrten  Kenner  der  alten  Jjitteratur  wie 
Capito  ebensogut  zutrauen  wie  dem  Gellius,  der  mit  diesen  beiden 
Dichtern  näher  bekannt  war,  s.  o.  Aber  dass  Gellius  selbst  in 
diesen  Zusätzen  hervortritt,  dafür  spricht  sein  eigener  Hinweis  auf 
Ateius  (§  6  sicuti  supra  diM) ,  mit  dem  er  gewisse  Erklärer  des 
liUcilius  widerlegt.  Die  Erwähnung  der  Commentatoren  des  Lucilius 
rührt  also  von  ihm  selbst  her  und  damit  auch  die  des  ])ichters. 
Auch  Dirksen ')  hält  diese  Citate  für  beiläufig  eingeschaltet,  und 
Mercklin  ■)  erklärt  sie  für  Ingredienzen  aus  der  eigenen  Belesenheit 
des  Gellius,  während  Ruske')  die  Frage  unentschieden  lässt.  Die- 
selbe Frage  kehrt  wieder  bei  dem  Kapitel  X  20,  zu  dem  ebenfalls 
Ateius  Capito  die  Anregung  gegeben  hat.  Es  handelt  sich  um 
seine  Definition  von  rogatio,  lex,  plebiscitum  und  privilegium.  Bei 
der  Herleitung  des  Wortes  privüegium  von  privus  macht  Gellius 
§  4  den  Zusatz :  quo  verbo  Lucilius  m  primo  satirarum  libro  usus 
est.  Dieser  grammatische  Beleg  ist  überflüssig  und  verrät  sich  als 
Eigentum  des  Gellius  so  gut  wie  der  Zusatz  aus  Sallust  am  Schluss 
des  Kapitels.  Zwar  könnte  man  einwenden,  dass  diese  Digression 
wieder  in  einem  Auszuge  aus  Ateius  begegnet.  Aber  die  Para- 
graphen 3—4  sind  ja  gegen  Ateius'  Definition  von  lex  gerichtet 
und  enthalten  Gellius'  eigene  Polemik.  Ein  drittes  Mal  citiert 
Gellius  den  Lucilius  1  3, 19  gelegentlich  und  zwar  aus  dem  Ge- 
dächtnis. Denn  er  bringt  ein  geflügeltes  Wort  an:  hoc  profecto 
nemo  ignorucit  et"^ priusquam  Tlieognis\  quod  Lucilius  oit,^ 7uiscerettir\ 
—  Ein  sicheres  Beispiel  unseres  Falls  ist  das  Citat  aus  Caecilius 
Y  6, 12.  Den  Inhalt  des  Kapitels  bezeichnet  Gellius  selbst  treftend 
mit  der  Ueberschrift:  de  coronis  militaribus;  quae  sit  earum  trium- 
phalis,  quae  obsidionalis,  quae  civica,  quae  murah's,  quae  casfrensis, 
quae  navalis,  quae  oualis,  qiuie  oJeaginea.  Die  Ausführung  der  ver- 
schiedenen coronae  ist  ganz  gleichmässig  und  verrät  sich  dadurch 
als  ein  Auszug  aus  dem  im  §  13  ganz  gelegentlich  genannten  elften 
Buche  der  lihri  memoriales  des  Masurius  Sabinus.  Nur  das  Citat 
aus  Cato  §  24  ist  ein  eigener  Nachtrag  des  Gellius.     Ausser  diesem 


1)  S.  33. 
*-')  S.  700. 
3)  S.  67. 


Römische  Dichtercitate  bei  Geilius.  539 

Citat  lesen  wir  nur  im  §  12  einen  Vers  aus  Caecilius.  Gellius 
spricht  bei  jeder  corona  über  die  Gelegenheit  ihrer  Verteilung  und 
das  Material,  aus  dem  sie  gefertigt  wurde.  Von  der  corona  cicica 
sagt  er,  dass  sie  aus  Eichenlaub  bestand,  und  fügt  hinzu:  fuit  etiam 
ex  ilice,  quod  genus  superiori  proximuin  est,  sicuti  scriptum  est  in 
qiiudam  comoedia  Caecilii:  '  adoehuntw''  inquit  ^  cuin  ilignea  corona 
et  chlamjjde;  di  vostram  /idem' .  Dieses  Citat  fällt  aus  dem  Stil 
der  ganzen  Darstellung  heraus.  Das  derselben  Schrift  des  Sabinus 
entlehnte  Kapitel  VII  7  weist  ebenfalls  keine  Verse  auf.  Das  Citat 
bildet  olfenbar  eine  Reminiscenz  eigener  Lektüre  des  Gellius.  Er 
entsinnt  sich  des  Stückes  nicht  mehr  genau  und  sagt  daher: 
171  qiuidam  comoedia.  Für  eingeflickt  halten  es  auch  Mercklin ')  und 
lluske^).  ■ —  Einen  Vers  aus  Lucretius  hat  Gellius  in  dem  schon 
bei  Ennius  besprochenen  Kapitel  V  15  eingeflickt.  Zu  der  auf 
Calvisius  Taurus  beruhenden  Definition:  corpus  autem  est,  quod 
aut  effjciens  est  aut  patiens;  id  Graece  deßnitur  't6  t^toi  ttoioüv  r^ 
Tiaayov'  macht  Gellius  einen  eigenen  Zusatz'):  quam  definitionem 
signi/icare  volens  Lucretius  poeta  ita  scripsit:  Hangere  enim  aut  tangi, 
nisi  corpus,  nulla  potest  res'' .  Dann  fährt  er  im  Anschluss  an  die 
griechische  Quelle  fort:  alio  quoque  modo  corpus  esse  Graeci  dicunt 
'-6  Tpt-/^  8(a3T7.xov',  —  Bei  zwei  anderen  Dichtern  wage  ich  kaum, 
einen  eignen  Zusatz  des  Gellius  anzunehmen,  da  die  übrigen  Citato 
aus  diesen  Dichtern  sicher  abgeschrieben  sind:  Naevius  V  12,  7 
und  Terentius  IV  9,  11.  An  erster  Stelle  spricht  Gellius  über 
die  Namen  Jupiters  und  bemerkt  dabei:  Lucetium  autem  lovem  Cn. 
Naecius  in  libris  belli  Poenici  appellat.  Das  Citat  aus  Terenz  ist 
so  kurz  wie  möglich  eingeleitet  (et  Terentius')  und  schwebt  völlig 
in  der  Luft. 

In  vielen  Fällen  beschränkt  sich  die  Selbständigkeit  des  Gellius 
darauf,  dass  er  ein  in  der  Quelle  vorgefundenes  Citat  nachgeprüft 
und  nachgetragen  hat.  Dass  Gellius  in  dieser  Weise  gearbeitet 
hat,  sagt  er  uns  einmal  selbst.  Den  Inhalt  von  VI  3  bezeichnet 
er  mit  der  Ueberschrift :   quid  Tiro   Tullius,  Ciceronis  libeHus,  re- 

')  De  Varrone  coronarum  liomanarum   militarium    interprete  praecipuo.     Ind. 
schol.  Dorpat.  1859  S.  6. 
'')  S.  70. 
^)  Cf.  Mercklin  Capila  S.  11.     Ruske  53. 


540  Oskar  Froehde, 

prehenderit  in  M.  Catonis  oratiom;  quam  pro  Rhodiensibus  in  senatu 
dixit',  et  quid  ad  ea,  quae  reprchenderat,  respondcninus.  Jm  §  49 
teilt  er  eine  Stelle  aus  Cato  mit,  die  er  bei  Tiro  nicht  golunden 
hat.  Er  sagt:  verha  adeo  ipsa  ponemus  Catonis,  quoniam  Tiro  ea 
practermisit.  Das  gilt  auch  von  Dichtercitaten.  Ich  beginne  mit 
Ennius.  Ein  interessantes  Problem  stellt  uns  das  Kapitel  VI  2,9. 
Gellius  wirft  dem  C'aesellius  Vindex  vor,  dass  er  in  seinen  lectiones 
antiquae  '  cor  als  Masculinum  mit  Ennius  belegt  habe.  Er  citicrt 
die  Worte  des  Caesellius  und  bemerkt  ausdrücklich,  dass  dieser 
zwei  Verse  des  Ennius  angeführt  habe:  §5  adscripsit  deinde  versus 
Ennii  duo:  ^  Hannibal  audaci  dum  pectore  de  me  kortatur,  ne  hdluiu 
faciam,  quem  credidit  esse  meum  cor\  Von  §  8  an  polemisiert 
Gellius  gegen  Caesellius  und  zeigt,  dass  dieser  quem  fälschlich  mit 
cor  verbunden  habe.  Er  hätte  weiter  lesen  und  den  dritten  Vers 
hinzunehmen  sollen :  '  suasorem  summum  et  studiosum  robore  belli  . 
Ist  diese  Polemik  Eigentum  des  Gellius,  so  hat  er  das  Enniuscitat 
des  Caesellius  fraglos  nachgeprüft  und  selbständig  ergänzt.  Mercklin  ^) 
hat  vermutet,  dass  Gellius  den  Caesellius  nicht  gekannt  hat,  weil 
er  stets  gegen  ihn  polemisiert  und  an  zwei  Stellen  gleichzeitig  mit 
Caesellius  Schriften  des  Scaurus  und  Sulpicius  Apollinaris  citiert,  die 
gegen  Caesellius  gerichtet  waren.  Ihnen  verdanke  er  alle  Caesellius- 
kapitel.  Dagegen  hat  Kretzschmer")  richtig  betont,  dass  Gellius 
den  Caesellius  auch  selbst  gelesen  habe.  Er  hätte  seine  Zeitgenossen 
Scaurus  und  Apollinaris  nicht  zu  oft  ausschreiben  dürfen,  ohne  sie 
zu  nennen.  Bei  unserm  Kapitel  spreche  auch  der  feine  Spott  und 
die  Siegesgewissheit  des  Angreifers  dafür,  dass  wir  es  mit  Gellius 
selbst  zu  thun  haben,  sowie  auch  das  opinor,  mit  dem  Gellius 
§  10  die  richtige  Deutung  der  Enniusverse  einleitet.  Ich  schliesse 
mich  diesen  Erwägungen  an  und  mache  noch  auf  die  Art  aufmerk- 
sam, wie  Gellius  den  Uebergang  von  einer  Quelle  zur  andern  ge- 
winnt: §8  hoc  Caesellius  quidem,  sed  aliud  long e  Ennius.  In  dieser 
deutlichen  Weise  scheidet  er  öfter  innerhalb  eines  Kapitels  zwei 
selbständig  benutzte  Quellen,  z.  B.  XII  3,2:  liaec  ita  Valgius  .  .  . 
sed  Tiro  Tullius.     Anders  geartet  ist  das  Citat  aus  Ennius'  Annalen 

>)  S.  659. 
»)  S.  96. 


Römische  Dichtercitate  bei  Gellius.  541 

XII  4.  Die  Ueberschrift  erweckt  den  Anschein,  als  ob  Ennius  die 
primäre  Quelle  des  Kapitels  wäre:  versus  accepti  ejc  Q.  Ennii 
sepfhilo  annalium^  quibus  depingitur  finiturque  ingenium  comitasque 
hominis  minoris  erga  amiciim  superiorem.  Im  §  1  giebt  Gellius 
eine  genaue  Inhaltsangabe  der  betreffenden  Verse,  im  §  4  folgen 
sie  selbst.  Aber  dass  Gellius  ihre  Kenntnis  einem  andern  verdankt, 
lehrt  der  Schlusssatz  des  Kapitels,  in  dem  Aelius  Stilo  citiert  wird. 
Nach  dessen  Ausspruch  soll  Ennius  mit  diesen  Aversen  sich  selbst 
gemeint  haben.  Stilo  ist  keine  direkte  Quelle  des  Gellius ')  und 
stammt  hier  aus  Varros  Schrift  de  poetis*).  Ich  glaube  aber  nicht, 
dass  Gellius  die  Verse  des  Ennius  aus  Varro  abgeschrieben  hat, 
sondern  bin  überzeugt,  dass  er  das  Citat  nachgeprüft  und  die  Verse 
selbständig  dazu  gethan  hat.  Dafür  spricht  die  Form  der  Ueber- 
schrift, in  der  nur  Ennius  als  Quelle  genannt  wird.  Ferner  motiviert 
Gellius  das  Citat  der  Verse  in  §  2 — 4  auffallend  ausführlich,*  wo- 
bei seine  Person  deutlich  hervortritt:  §  2  eos  ego  versus  .  .  .  me- 
moratu  dignos  puto,  §  3  7nea  quidem  sententia,  §  4  quapropter 
adscribejidos  eos  existimavi,  si  quis  iam  statim  desideraret.  D;ifür 
sprechen  auch  der  Umfang  des  Citats  von  ganzen  18  Versen  und 
der  Umstand,  dass  die  Inhaltsangabe  in  §  1  daneben  als  überflüssig 
erscheint.  —  Mehrfach  hat  Gellius  Verse,  die  in  einem  Kapitel  er- 
wähnt werden,  am  Schluss  desselben  nachgetragen.  Hierbei  bleibt 
es  mir  zweifelhaft,  ob  er  sie  selbst  nachgeprüft  hat,  oder  ob  es 
sich  nur  um  eine  besondere  Form  der  Darstellung  handelt,  die 
vermeiden  will,  dass  das  Referat  durch  ein  direktes  Citat  unter- 
brochen wird.  So  glaube  ich  mit  Kretzschmer  *)  kaum,  dass  er  den 
Vers  aus  Ennius'  Scipio  IV  7  selbst  hinzugefügt  hat.  Quelle  ist 
Probus ;  er  soll  sich  in  der  epistula  ad  Mareellum  für  die  Betonung 
von  Hannihalem  und  ähnlichen  Namen  auf  Plautus  und  Ennius 
und  andere  alte  Dichter  berufen,  aber  nur  einen  Vers  aus  Ennius' 
Scipio  beigebracht  haben.  Gellius  teilt  ebenfalls  nur  diesen  Vers 
mit  und  zwar  als  Nachtrag  §  4:  eum  versum  quadrato  numero 
factum  subiecimus.  Aber  möglich  an  sich  wäre,  dass  Gellius  dies 
Enniuscitat  nachgeprüft  hat,   wie  es  in  den  anderen  Fällen  sicher 

^)  Kretzschmer  41. 
^)  Kretzschmer  52. 

3)  S.  10. 


542  Oskar  Froehde,  Römische  Dichtercitate  bei  Gellius. 

geschehen  ist.  —  In  derselben  Weise  begegnen  uns  auch  Laberius 
und  Lucretius  wieder.  X  17  erzählt  Gellius  nach  Favorin')  von 
Demokrits  Selbstblendung  und  der  Darstellung  derselben  in  Laberius' 
Restio.  Er  schliesst  das  Kapitel  mit  acht  Versen  des  Dichters.  J)er 
Umfang  des  Citats  und  der  Umstand,  dass  Gellius  den  Laberius 
sonst  gelesen  hat,  macht  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  er  auch 
hier  selbst  nachgeprüft  hat.  Im  Kapitel  121  legt  er  dem  Favorin 
einen  Vergleich  des  Vii-gil  mit  Lukrez  in  den  Mund  und  trägt 
§  ()  selbst  das  Lukrezcitat  nach.  Vielleicht  ist  auch  der  Zusatz 
in  §  7  über  die  Nachahmung  des  Lukrez  durch  Virgil  Eigentum  des 
Gellius.  —  Zu  diesen  Dichtern  gesellt  sich  noch  Furius  XVIII  11, 
der  aber  nur  hier  begegnet.  Gellius  kennt  ihn  aus  ('aesellius 
Vindex,  mit  dessen  Tadel  des  Dichters  er  nicht  einverstanden  ist. 
Im  §  4  sagt  er:  versus  autem  ipsos  ex poevmtis  Furianis  .  .  .  suhdidi. 
Es  folgen  6  Verse.  Da  Gellius  in  der  Ueberschrift  zu  der  Inhalts- 
angabe des  Kapitels  hinzufügt:  versusque  ipsi,  in  quibus  ea  verba 
sunt,  subscripti,  vermute  ich,  dass  er  den  Furius  selbst  eingesehen  hat. 
Werfen  wir  noch  einen  Blick  auf  die  Dichter  zurück,  die  uns 
begegnet  sind.  Am  sichersten  gehen  wir  mit  der  Annahme  eigener 
Lektüre  bei  den  Dichtern,  die  wir  wiederholt  besprochen  haben. 
In  erster  Linie  stehen:  Ennius,  Varro  und  Laberius,  in  zweiter: 
Lucilius,  Laevius,  Lucretius  und  Accius.  Nur  ein  Beweismoment 
stand  uns  zu  Gebote  bei:  Vergilius,  Plautus,  Caecilius,  Pacuvius, 
Publilius  Syrus,  Volcacius  Sedigitus,  Furius  und  Matius.  Aus- 
drückliche Zweifel  habe  ich  bei  Livius  Andronicus,  Naevius  und 
Terentius  geäussert.  Der  Kreis  der  Dichter,  die  Gellius  selbst  ge- 
lesen hat,  ist  also  im  Verhältnis  zur  Zahl  der  namhaft  gemachten 
beschränkt.  Dasselbe  Verhältnis  hat  sich  indes  auch  bei  den 
übrigen  Quellen  herausgestellt. 

>)  Ruske  60. 


XXIX. 

Carl  Ziwsa. 


lieber  Entstehung  und  Zweck  der  Schrift 
Cyprians  „de  bono  patientiae". 


.^' 


Die  Tugend  der  Geduld  ist  ein  so  nahe  liegendes  Erbauungs- 
tliema,  dass  man  sich  wundem  niüsste,  wenn  nicht  schon  in  der 
älteren  patristischen  Literatur  Bearbeitungen  desselben  vorlägen, 
und  der  homiletische  Wert  dieses  Stoffes  wäre  an  sich  schon  ein 
ausreichender  Grund  zur  Bearbeitung  desselben.  Was  jedoch 
Cyprians  Schrift  de  boiio  patientiae  anlangt,  so  kennen  wir  eine  be- 
sondere Veranlassung  ihrer  Entstehung  aus  dem  73.  Briefe  des 
Verfassers.  Cyprian,  in  den  sogenannten  Ketzertaufstreit  mit  dem 
römischen  Bischöfe  Stephanus  verwickelt,  war  mit  seiner  Ansicht 
unterlegen  und  begründet  sein  Nachgeben  in  diesem  Streite  mit 
den  Worten:  nos  .  .  propter  haereticos  cum  collegis  et  coepiscopis 
nostris  non  contendimus,  cum  quibus  divinam  concordiam  et  domini- 
cam  pacem  tenemus  .  .  .  sei'vatur  a  nobis  patienter  et  leniter  cantas 
animi,  collegii  honor,  vinculum  fidei,  Concor  diu  sacerdotii  (ep.  73,  26 
ed.  Hartel).  Wenn  er  nun  unmittelbar  fortfährt:  propter  hoc  etiam 
libellum  nunc  de  bono  patientiae  .  .  .  conscripsimus ,  quem  ad  te 
(den  Adressaten  des  Briefes)  .  .  .  transmisimus ,  so  wissen  wir 
daraus,  dass  die  Entscheidung  des  Ketzertaufstreites,  bezw.  die  Ab- 
fassung des  73.  Briefes  der  Zeit  nach  mit  der  Fertigstellung  des 
Tractates  über  die  Geduld  zusammenfällt,  etwa  in  das  Jahr  256. 
Demnach  sollte  man  erwarten,  dass  in  dem  Tractat  sich  bestimmte 
Beziehungen  auf  dessen  Entstehung  und  Zweck  finden,  womit  das 
obenerwähnte  propter  hoc  .  .  conscripsimus  nachweisbar  würde. 
Doch  sieht  man  von  zwei  ganz  allgemein  gehaltenen  Stellen  ab, 
wie  apparet  illic  non  esse  patientia^n,  ubi  sit  insolens  adfectatae 
libertatis  audacia  et  exerti  ac  seTninu^i  pectoris  inverecunda  iactantia 
(2,  p.  39S,  15)  und  in  der  Aufzählung  der  Wirkungen  der  Geduld: 

Festschrift  Vahlen.  35 


546  Carl  Ziwsa, 

ipsa  est  quae  iram  temper at,  quae  linguam  frenat  .  .  .  pacem 
custodit  .  .  .  ßdei  nostroe  fundamenta  ßrmiter  munit  (19,  p.  411, 
27  ff.),  so  schweigt  die  ganze  Schrift  über  den  angedeuteten  Zu- 
sammenhang. Diesen  auffälligen  Mangel  der  Bezugnahme  suchte 
man  damit  zu  erklären,  Cyprian  habe  „in  feiner  Weise"  vermieden, 
den  Anlass  zu  erwähnen  (Schanz,  röm.  Lit.  S.  3 IG)  und  habe  takt- 
voll „die  Wunde  auch  nicht  von  ferne  berühren"  wollen,  um  nicht 
zu  reizen  (Möhler,  Patrol.  S.  832).  In  welche  Beziehung  übrigens 
Kirchenstreit  und  Geduldübung  gebracht  werden  können,  zeigt  der 
um  dieselbe  Zeit  verfasste  74.  Brief  Cyprians  (c.  10,  p.  807,  12): 
Fit  autem  studio  praesurnjitionis  et  cöntumaciae,  ut  quis  magis  sua 
jyrava  et  falsa  defendat  quam  ad  alterius  recta  et  vera  consentiat. 
cui  rei  prospiciens  .  .  .  Paulus  .  .  monet  episcopum  non  litigiosum 
nee  contentiosum  sed  .  .  docibilem  esse  debere  .  docihilis  autem 
nie  est,  qui  est  ad  discendi  patientiam  lenis  .  .  Ein  so  deutlicher 
Bezug  fehlt  in  der  Schrift  de  pat.,  was  um  so  auffälliger  ist,  als 
der  gleichfalls  in  der  Zeit  des  Ketzertaufstreites  verfasste  Tractat 
de  zelo  et  licore  einen  ganz  zweifellosen  Bezug  darauf  enthält: 
liinc  dominicae  imcis  vinculum  rumpitur  .  .  unitas  scinditur  .  . 
dum  .  .  qui^  .  .  dedignatur  alterüm  ferre  praepositum  (6,  p.  423,  9  ff.). 

Nun  sind  wir  sonst  gut  darüber  unterrichtet,  dass  Cyprians 
Schriftstellerei  den  praktischen  Erfordernissen  seines  Hirtenamtes 
gewidmet  war.  So  verdankt  z.  B.  die  Schrift .  de  mortalitate  der 
tadelnswerten  Haltung  eines  grossen  Theiles  seiner  Gemeinde  während 
der  Pest  ihre  Entstehung,  und  das  Buch  ad  Fortunatum  sucht  an- 
gesichts der  neuerdings  (h'ohenden  Verfolgung  fürs  Martyrium  zu 
begeistern.  Und  gerade  in  unserer  Schrift  sollte  ein  deutlicher 
Hinweis  auf  Veranlassung  und  Zweck  fehlen,  zumal  da  der  mit 
dem  Bischof  von  Rom  geführte  Ketzertaufstreit  (Cyprian  und  seinen 
Anhang  so  mächtig  erregte?  Denn  dass  dieser  Streit  überaus 
heftig  war,  beweist  Cyprians  74.  Brief  (besonders  c.  8)  und  das 
nachfolgende  an  Cyprian  gerichtete  Schreiben  Firmilians  (c.  22 — 24), 
das  wahrscheinlich  Cyprian  selbst  übersetzt  hat,  sowie  Augustinus' 
Urtheil  de  bapt.  V,  25,  194. 

Aus  all  diesen  Erwägungen  wird  es  wahrscheinlich,  dass  der 
Tractat  über  die  Geduld,  wenn  auch  nach  Cyprians  eigenen  Worten 
durch  den  Ketzertaufstreit  veranlasst,  doch   in   seiner  Ausführung 


üeber  Entstehung  und  Zweck  der  Schrift  Cyprians  „de  bono  patientiae".  547 

eine  über  die  Beilegung  jenes  Streites  und  die  Beruhigung  der 
Gemüther  hinausgehende  Absicht  verfolgte,  zu  deren  Ermittlung  es 
sich  empfiehlt,  auf  Tertullians  dasselbe  Thema  behandelnde  Schrift 
de  patientia  vergleichsweise  zurückzugi-eifen.  Zwischen  Tertullians 
und  Cyprians  Bearbeitung  besteht  nämlich  in  Anlage  und  Durch- 
führung eine  so  unverkennbare  Verwandtschaft,  dass  z.  B.  Teuftel 
(Rom.  Liter.  S.  968)  die  um  ein  halbes  Jahrhundert  jüngere  Schrift' 
Cyprians  geradezu  einen  „Abklatsch"  der  Schrift  Tertullians,  seines 
Meisters,  nennt.  Was  nun  beiden  gemeinsam  ist,  kann  füglich  für^ 
unsere  Frage  nichts  beweisen,  wohl  aber  das  Unterscheidende.  In 
dieser  Hinsicht  fällt  schon  die  Verschiedenheit  der  Eingangsworte 
bei  beiden  auf.  Der  temperamentvolle  Tertullian  klagt  sich  selbst 
der  Vermessenheit  an,  über  eine  Tugend  zu  schreiben,  die  er 
„semper  aeger  calonbus  impatientiae^  nicht  besitze,  während  Cyprian 
seine  Person  insofern  aus  dem  Spiele  lässt,  als  er  die  patientia 
seiner  Zuhörer  für  seine  Worte  als  notwendig  voraussetzt.  Dies 
findet  Rettberg  (Thasc.  C.  Cypr.  Gott.  1831,  p.  275)  „überraschend 
und  sogar  witzig" ;  doch  dass  es  sich  hier  um  keinen  Witz  handelt, 
zeigt  der  sittliche  Ernst  des  ganzen  Tractats.  Cyprian  scheint  vielmehr 
mit  diesen  Worten  eine  gewisse,  in  seiner  Gemeinde  bestehende  Er- 
regung anzudeuten,  die  kurzweg  das  Gegentheil  der  zu  empfehlenden 
Tugend,  also  die  impatientia,  ist.  Diesen  Zustand  der  Erregung  auf 
den  Ketzerstreit  zu  beziehen,  fehlt  jeder  Hinweis;  wohl  aber 
lässt  sich  aus  dem  Tractat  auf  eine  andere  Ursache  der  Erregung 
schliessen. 

Vergleichen  wir  zunächst,  wie  beide  Schriftsteller  die  Not- 
wendigkeit der  patientia  in  den  Leidenstagen  der  Verfolgungen  be- 
handeln. 


Tertull.  (ed.  Oehler,  XIIT.  p.  611,  2) 
cum  vero  producitur  (caro)  ad 
experimentum  felicitatis,  ad  occa- 
sionem  secundae  intinctionis 
(=  Märtyrertod)  .  .  .  nulla  plus 
illic  quam  patientia  corporis. 


Cyprian  (ed.  Hartel  12,  p.  405,  24) 
quibus  .  .  in  persecutionum  quo- 
qv£  ceHamine  .  .  .  subeundus 
carcer,  portandae  catenae,  animae 
inpendendae,gladius,  bestiae,  ignes, 
cruA^es,  omnia  denique  tormen- 
torum  ac  poenarum  getiera  ßde 
et  virtute  patientiae  perferenda  .  . 
35* 


548  Carl  Ziwsa, 

Tertullian  kommt  auf  diesen  Gegenstand  nicht  mehr  zurück,  nach- 
dem er  ihn  im  XIV  c.  durch  entsprechende,  übrigens  auch  von 
('yprian  verwendete  Beispiele  erläutert  hatte,  wohl  aber  sein  Schüler, 
w'enn  er  gegen  Schluss  des  Tractats  schreibt  (c.  21,  p.  412,  1411.): 
Et  quoniam  plurimos  scio  .  .  vel  pondere  iniuriorum  .  .  vel  dolore 
de  eis,  qui  adversum  se  grassantur  et  saeviunt,  vindicari  veJociter 
eupere,  nee  illud  .  .  reticendum  est,  ut  in  .  .  .  ludaeorum  sive  gen- 
filium  et  haereticormn  quoque  jjersecutionibus  constituti  patienter 
expectemus  ultionis  diem  nee  ad  vindictam  doloris  nostri  querula 
festinatione  properenms.  Hiermit  scheint  die  erregte  Stimmung  in 
der  Gemeinde,  die  den  Tag  der  Rache  für  so  viel  Bedrängnis  her- 
beisehnte, als  beklagenswerte  Ungeduld  charakterisiert,  der  Cyprian 
den  aus  mehreren  Schriftstellen  gefolgerten  Befehl  entgegenhält: 
expectare  nos  iubet  dominus  et  futurae  ultionis  diem  fmi;i  patientitt 
sustinere  (ibd.  412,  24)  und  weiter:  unde  et  clamantes  martyres  et 
ad  vindictam  suam  dolore  erumpente  properantes  expectare  adhuc 
iubentur  et  temporibus  consummandis  inplendisque  martynbus  prae- 
bere patientiam  (ibd.  413,  3)  und  schliesslich  noch  deutlicher:  Hunc 
(deum)  expectemus  .  .  .  iudicem  et  vindicem  nostrum  ecclesiae  suae 
populum  .  .  .  vindicaturum  (ibd.  23,  p.  414,  24).  Ein  ähnlicher 
Gedanke  findet  sich  bei  Tertullian  nicht,  aus  dem  einfachen 
Grunde,  weil  eine  ähnliche  Veranlassung  für  ihn  nicht  vor- 
handen war.  Cyprian  hingegen  sah  sich  durch  die  bezeichnete 
Stimmung,  die  sich  nicht  auf  wenige  in  seiner  Gemeinde  be- 
schränkte —  vgl.  oben  'plurimos  scio  .  .  cupere  —  veranlasst,  die 
ungeduldigen  Zweifler  an  der  Erfüllung  der  Verheissung  zu  der 
Einsicht  zu  bekehren:  qui  ad  vindictam  suam  nimium  festinat  et 
properat,  consideret,  quia  necdum  vindii'otus  est  ipse,  qui  vindicat 
(24,  p.  414,  26). 

Dass  der  Cyprianische  Tractat  nicht  ohne  rhetorischen  Effekt 
gerade  in  diese  eindringliche  Mahnung  ausklingt,  die  mit  dem 
Ketzertaufstreit  gar  nichts  zu  thun  hat,  scheint  die  Annahme  zu 
empfehlen,  Cyprian  habe  angesichts  der  Erregung  eines  grossen 
Theiles  seiner  Gemeinde,  der  an  Gottes  Strafgericht  über  die  Ver- 
folger seiner  Kirche  zu  zweifeln  begann,  mit  seiner  Schrift  die  be- 
sondere Absicht  verbunden,  die  Geduld  als  wirksamstes  Mittel  zur 
Bekämpfung  des  Zweifels  an  Gottes  Verheissung  darzustellen    uiul 


lieber  Entstehung  und  Zweck  der  Schrift  Cyprians  „de  bono  patientiae".  549 

ZU  empfehlen.  Dadurch  erhält  diese  Tugend,  wie  am  Anfange  des 
Tractates,  so  auch  in  seinem  Schlusstheil  actuelle  Bedeutung  für 
die  damalige  Zeit,  während  alles  l'ebrige  eines  unmittelbaren  Bezuges 
auf  die  Zeit  des  Schreibenden  entbehrt;  wie  denn  auch  thatsäch- 
lich  für  den  sonstigen  Inhalt  der  Schrift  nachweisbar  Tertullians 
50  Jahre  früher  verfasster  Tractat  der  Gedankenborn  ist,  aus  dem 
Cyprian  schöpft. 


b 


^ 


XXX. 

Josef  Zycha. 


Zu  Augustinus  de  Doctrina  cliristiana 
1.  II  c.  XV 


^^ 


In  den  Texts  and  Studies  IV  3  Cambridge  1896  will  Burkitt 
nachgewiesen  haben,  dass  unter  der  Itala  des  h.  Augustinus  nichts 
anderes  als  die  Vulgata  zu  verstehen  sei.  Es  ist  begreiflich,  dass 
diese  Erklärung  in  vielen  Kreisen  Aufsehen  erregt  hat.  Selbst  ein 
so  hervorragender  Fachmann  wie  P.  Corssen  schreibt  in  den  Gott, 
gel.  Anz,  1897  S.  416  ff.,  dass  sie  die  Forschung  von  einem  stö- 
rendem Phantom  befreit  hat  und  darum  Anspruch  auf  dankbare 
Anerkennung  habe.  Zwei  Jalu-e  später  scheinen  ihm  allerdings 
Bedenken  aufgestiegen  zu  sein;  denn  in  dem  Bericht  über  die 
Bibelübersetzungen  (Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  classi- 
schen  Alterthumsw.  1899,  I.  Heft)  sieht  er  sich  auf  S.  5  gezwungen 
Burkitts  Beweisführung  zu  modificiren  und  auf  S.  7  giebt  er  sogar 
die  Möglichkeit  zu,  dass  man  sich  gegen  jene  Erklärung  ablehnend 
verhalten  könne.  Corssens  Restriction,  dass  an  der  oben  erwähnten 
Stelle  es  sich  ausschliesslich  um  das  Alte  Testament  handle,  wird 
durch  Augustinus'  Worte  latinis  quibuslibet  e7nendandis,  durch  den 
Zusatz  quod  ad  uetus  testamentum  attinef,  der  nur  unter  der  Vor- 
aussetzung des  Neuen  Testamentes  einen  Sinn  hat,  und  durch  die 
bei  der  Wiederaufnahme  des  Gedankens  am  Schlüsse  des  Capitels 
gemachte  Unterscheidung  zwischen  Codices  ueteris  testamenti  und 
libri  novi  testamenti  widerlegt.  Der  andere  Einwand  Corssens, 
dass  zur  Zeit,  als  das  zweite  Buch  de  Doctrina  ehr.  abgefasst 
wurde,  die  Uebersetzung  des  Hieronymus  noch  nicht  ganz  erschienen 
war,  ist  als  Zeitangabe  richtig,  besagt  aber  für  die  Sache  selbst 
nichts,  weil  Augustinus'  Widerspruch  ein  principieller  ist  und  folg- 
lich auch  den  Theil  trifft,  der  damals  schon  herausgegeben  war. 


554  Josef  Zycha, 

Man  miiss  sich  aber  wundern,  dass  Burkitt  die  weitere  Aus- 
führung des  Capitels  nicht  beachtet  und  Corssen  sie  nicht  genügend 
gewürdigt  hat  und  dass  sie  sich  die  Frage  nicht  vorgelegt  haben, 
welchen  Zweck  Augustinus  mit  der  breiten  Auseinandersetzung  ver- 
folgte, die  er  der  Uebersetzung  der  LXX  widmet.  Ich  glaube, 
diese  Gründlichkeit  ist  nur  dann  gerechtfertigt,  wemi  man  die 
ganze  Stelle  als  das  auffasst,  was  sie  ist,  als  Polemik  gegen  die 
Praefatio  des  Ilieronymus,  die  er  seiner  Uebersetzung  der  Genesis 
vorausgeschickt  hat  (Migne  Bd.  28,  S.  150).  Das  I.  und  II.  Buch 
de  Doctrina  ehr.  ist  um  397  abgefasst.  Hieronymus'  Uebersetzung 
war  zwischen  392 — 395  erschienen;  sie  lag  also  Augustinus  vor 
und  gegen  sie  ist  die  Darlegung  im  Verlauf  des  Cap.  gerichtet. 

Hieronymus  betrachtet  die  LXX  als  einfache  üebersetzer,  die 
an  vielen  Stellen  der  h.  Schrift  geirrt  haben;  er  führt  dafür  Bei- 
spiele an  und  unterlässt  es  nicht,  auf  seine  Widersacher  hinzu- 
weisen, zu  denen  auch  Augustinus  gehörte.  Die  Nachrichten  über  die 
von  Mehreren  überlieferte  Absonderung  der  Siebzig  in  Einzelzellen  sind 
in  seinen  Augen  ein  Lügengewebe ;  denn  die  verlässlichsten  Zeugen 
berichten  vielmehr,  dass  die  Siebzig,  eingeschlossen  in  einer  Basi- 
lika, gemeinschaftlich  vergleichend  das  Werk  zu  Stande  gebracht 
haben,  ohne  die  Gabe  der  Prophetie  zu  besitzen.  Augustinus  fühlt 
sich  getroffen ;  er  stellt  der  Autorität  des  Hieronymus  das  überein- 
stimmende Urtheil  der  angeseheneren  Kirchen  entgegen,  dass  diese 
Üebersetzer  vom  h.  Geist  erleuchtet  gewesen  seien.  Wenn  in  ihrer 
Uebersetzung  Abweichungen  von  der  Hebraea  ueritas  vorkommen, 
so  habe  der  h.  Geist  durch  die  von  ihm  inspirirten  Männer  es  so 
und  nur  so  viel  offenbaren  wollen.  Augustinus  schreibt:  Ob  sie  in 
Zellen  abgesondert  oder  gemeinsam  vergleichend  das  Werk  voll- 
bracht haben.  Diese  disjunctive  Angabe  konnte  er  nur  auf  Grund 
der  Darstellung  des  Hieronymus  machen.  Denn,  soweit  wir  Nach- 
richten darüber  besitzen,  berichten  die  Einen,  dass  die  Siebzig  auf 
der  Insel  Pharos  oder  in  einer  Basilika  die  L  ebersetzung  vorge- 
nommen haben,  die  Anderen,  dass  sie  in  Zellen  abgesondert  ge- 
wesen sind;  Hieronymus  ist  der  Einzige,  der  das  Letztere  zurückweist, 
das  Erstere  als  Thatsache  nach  Aristeas  und  Josephus  hinstellt. 
Und  wenn  Augustinus  vollends  sagt;  Selbst  wenn  sie  vereinigt  eine 
solche  Uebereinstimmung    erzielt  haben,    nicht  einmal    dann  dürfe 


Zu  Augustinus  de  Doctrina  christiana  1.  II  c.  XV  22.  555 

ein  einzelner  Mensch,  mag  er  noch  so  viel  Verständnis  und  Er- 
fahrung in  derlei  Dingen  besitzen,  in  anmassender  Weise  sich  jenen 
gelehrten  Greisen  gleichstellen,  so  ist  mit  tmus  homo  qualibet  pe- 
ritia,  obwohl  sein  Name  nicht  genannt  ist,  doch  Hieronymus  so 
scharf  gezeichnet,  dass  damals  jeder  Leser  wusste,  wem  der  Hieb 
zugedacht  war,  so  wie  wir  uns  heute  keinen  anderen  Mann  aus  der 
Zeit  denken  können,  weil  wir  auch  die  Stellung  der  beiden  Kirchen- 
väter zur  Hebraea  ueritas  kennen. 

Es  steht  somit  fest,  dass  Augustinus  um  397  sich  theoretisch 
gegen  jene  Uebersetzungen  des  Hieronymus,  welche  nach  hebräischem 
Originaltext  angefertigt  waren,  ablehnend  verhielt,  aber  nur  gegen 
jene.  Auf  demselben  Standpunkte  steht  er  viele  Jahre  später  in 
der  Schrift  de  Ciuitate  dei  1.  XVIII  c.  43,  wo  er  constatirt,  dass  die 
aus  dem  griechischen  Text  der  LXX  gemachte  Uebersetzung  bindend 
für  die  lateinischen  Kirchen  ist  und  auch  denselben  Grund  wieder 
theilweise  gegen  Hieronymus  polemisirend  dafür  angiebt. 

Und  wie  verfuhr  Augustinus  praktisch?  Obwohl  er  die  Ueber- 
setzung des  Hieronymus  z.  B.  in  den  Quaestiones  in  Heptateuchum 
an  18  Stellen  (ed.  Z.  S.  664  f.)  citirt,  legt  er  doch  eine  lateinische 
Uebersetzung  nach  den  LXX  in  den  mehr  als  tausend  Stellen  dieser 
Quaestiones  und  Locutiones  zu  Grunde  und  macht  auch  sonst 
Citate  danach. 

Ist  damit  Burkitts  Erklärung,  die,  nebenbei  bemerkt,  nicht 
einmal  neu  ist,  in  der  allgemeinen  Fassung,  wie  er  es  thut,  durch 
Augustinus'  eigene  Worte  und  Praxis  widerlegt,  so  würde  die  Be- 
hauptung, dass  sie  gänzlich  verfehlt  und  ganz  abzuweisen  sei,  durch 
die  Thatsachen  widerlegt.  Und  dies  führt  mich  zum  Anfang  des 
oben  citirten  Capitels  zurück. 

In  ipsis  autem  interpretationibus  Itala  ceteris  prae/eratur;  nam 
est  uerborum  tenacior  cum  perspicuitate  sententiae.  Es  fragt  sich, 
was  interpretatio  Itala  bedeuten  kann.  Versteht  man  unter  Italae 
gentes  (de  Ciu.  dei  JII  27)  italische  Völkerschaften,  unter  pecudes 
Italae  (quaest.  in  Gen.  95)  die  in  Italien  lebenden  Thiere,  unter 
olea  Itala  (c.  lul.  Pelag.  6,  7)  den  in  Italien  wachsenden  Oelbaum 
u.  s.  w.,  so  kann  unter  interpretatio  Itala  nur  eine  L^bersetzung 
gemeint  sein,  die  in  italischen  Codices  enthalten  und  in  Italien  im 
Gebrauche  war,  im  Gegensatz  zu  afrikanischen,  spanischen  und  anderen 


556  Josef  Zycha, 

provinziellen  Uebersetzungsweisen.  Man  muss  hierbei  von  der 
Frage  ganz  absehen,  woher  die  in  Italien  damals  gebräuchlichen 
Ucbersetzungen  stammten;  diese  gehört  auf  ein  anderes  Gebiet  und 
kann  aus  Augustinus  allein  gar  nicht  gelöst  werden.  Auch  die  so- 
genannte Einheit  der  Bibel  des  Augustinus  muss  ganz  aus  dem 
Spiele  bleiben  und  nur  Thatsächliches  kann  beachtet  werden.  In 
den  Adnotationes  in  lob  citirt  Augustinus  durchweg  nach  Hiero- 
nymus'  erster  Uebersetzung  und  spendet  dieser  auch  sonst  Lob. 
Weiter  ist  es  bekannt,  dass  Ambrosius  dem  Augustinus  auf  seine 
Frage,  was  er  aus  der  h.  Schrift  zuerst  lesen  solle,  die  Antwort  gab: 
die  Psalmen.  Verfolgt  man  nun  die  in  den  verschiedenen  Bänden 
sich  wiederholenden  Verse,  so  wird  man  zugeben  müssen,  dass  im 
grossen  Ganzen  bei  Wiederholung  der  Verse  eine  wesentliche 
Verschiedenheit  sich  nicht  constatiren  lässt,  d.  h.  also,  dass 
Augustinus  dasselbe  Original  benutzte.  Die  Vergleichung  der  Va- 
rianten im  Psalm  118  (Enarratio  in  Psalmos,  Migne,  Bd.  37)  zu 
Vers  19  advena^  V.  43  supersperavi,  V.  56  iustijicationes  tuas, 
V.  60  ut  custodirem,  V.  66  disciplinam^  V.  119  exutimaci,  V.  147 
in  immaturitate,  V.  152  initio^  V,  176  vioißca  zeigt,  dass  sich 
diese  abweichenden  Lesarten  bei  Ambrosius  finden,  der  denselben 
Psalm  (Migne  Bd.  15,  S.  1197  ff.)  behandelte.  In  der  Regel 
stimmt  in  demselben  118.  Psalm  auch  die  erste  Uebersetzung  des 
Hieronymus  mit  den  Varianten  überein,  der  bekanntlich  die  Psalmen 
nach  einem  italischen  Codex  unter  Vergleichung  der  LXX  inter- 
pretirt  hat.  Wenn  die  Citate  eines  so  umfangreichen  Psalmes  über- 
einstimmen, wird  man  annehmen  dürfen,  dass  sie  einer  mehr  be- 
kannten LTebersetzung  entnommen  sind.  Und  diese  Codices  wird 
man  doch  Itali  und  die  I'cbersetzungsweise  eine  interpretatlo 
Itala  nennen  dürfen,  zumal  es  bekannt  ist,  dass  Augustinus  auch 
sonst  die  Codices  vorzieht,  die  aus  dem  liande  der  Wiege  des 
Christenthums  stammen,  wenn  wiederum  zwischen  diesen  und  den 
älteren  Afrikanern  sich  charakteristische  Abweichungen  feststellen 
lassen.  Auch  die  Vergleichung  der  Varianten  in  den  Quaestiones 
in  Heptateuchum  (z.  B.  S.  39,  58,  66,  68,  116,  131,  186  u.  s.  w. 
ed.  Z.)  weisen  vielfach  auf  italische  Codices  hin.  Dazu  kommt, 
was  (/orssen  S.  8  des  Berichtes  anführt.  Freilich  ist  nach  allen 
diesen  Seiten  hin  kaum  ein  Anfang  einer  gründlichen  Untersuchung 


Zu  Augustinus  de  Doctrina  christiana  1.  II  c.  XV  22.  557 

gemacht  worden.  Und  nur  diese  kann  darthun,  nach  welchen  Vor- 
lagen Augustinus  in  den  einzelnen  Theilen  der  h.  Schrift  citirt  hat. 
Dies  genügt  zum  Beweis,  dass  Augustinus  Itala,  in  dem  oben  an- 
gegebenen Sinn,  und  auch  Hieronymus'  Uebersetzungen  gekannt  und 
verwendet  hat. 

Wenn  aber  Augustinus  principiell  die  Uebersetzung  der  LXX 
der  Vulgata  vorzieht,  so  folgt  daraus  gewiss  nicht,  dass  er  an 
einzelnen  Stellen  letztere  für  die  Erklärung  nicht  verwandte.  Er 
citirt  z.  B.  de  Doctrina  ehr.  1.  IV,  c.  Ml  15.  16  (Migne  Bd.  34, 
S.  96)  Amos  mit  ausdrücklicher  Begründung  nach  Hieronymus  und 
zieht  in  den  Quaestiones  in  Ileptateuchum  die  Hel)raea  ueritas  zur 
Erklärung  heran;  ebenso  in  de  Ciu.  dei  1.  XVIH  c.  44,  wo  er  be- 
merkt: ufraque  uuctoritafe  iifeiidum  putaui  quoniam  utraque  una 
atque  diuina  est,  obwohl  er  im  vorhergehenden  Capitel  seinen  ur- 
sprünglichen Standpunkt  scharf  betont  hatte. 


XXXI. 

Bernhard  Kubier. 

Sklaven  und  Colonen  in  der  römisclien 
Kaiserzeit. 


lieber  den  Colonat,  jenen  persönlich  freien,  aber  an  die  Scholle 
gefesselten  Bauernstand,  welcher  in  nachdiocletianischer  Zeit  über 
das  römische  Reich  verbreitet  war,  enthalten  die  Gesetzbücher  des 
Thoodosius  und  Justinian  eine  Fülle  von  Nachrichten,  und  er  ist 
liienacli  von  Savigny  im  Jahre  1822  mit  gewohnter  Meisterschaft 
dargestellt  worden^).  Es  folgte  eine  lange  Reihe  von  Untersuchungen, 
in  welchen  auf  verschiedenen  Wegen  versucht  wurde,  die  Entstehung 
dieser  Institution  zu  ergründen  und  zu  beleuchten.  Es  war  dabei 
notwendig,  die  rechtliche  Stellung  der  späteren  coloni  mit  derjenigen 
tler  vordiocletianischen  freien  Pächter  zu  vergleichen.  Hierüber 
verbreiteten  drei  grössere  afrikanische  Inschriften,  die  in  jüngster 
Zeit  gefunden  wurden,  neues  Licht,  die  Inschrift  von  Suk  el  Khmis 
oder  das  Beeret  des  Commodus  für  den  saltus  Burunitanus"),  die 
Inschrift  von  A'in-Wassel  oder  die  lex  Hadriana  de  rudibus  agris'), 
und  die  Inschrift  von  Henschir-Mettisch  oder  die  Lex  Manciana*). 
Vieles,  was  vorher  dunkel  gewesen  war,  ist  durch  diese  Funde 
aufgeklärt  worden,  und  über  die  Hauptpunkte  herrscht  jetzt  Einig- 
keit^).    Auf  den  folgenden  Blättern  sollen  einige  auf  diese  Fragen 


')  Abgedruckt  in  Savigny's  Vermischten  Schriften,  Bd.  II  p.  1  ff. 

-)  Gefunden  i.  J.  1879.  Puhliciert  von  Momrnsen  Hermes  XV  p.  385  ff. 
C.  I.  L.  VIII  1057Ü.  14451. 

^)  Gefunden  i.  J.  1892.     Publiciert  von  Schulten  Hermes  XXIX  p.  204  ff. 

^)  Gefunden  i.  J.  1897.  Publiciert  von  Schulten  i.  Abhandl.  der  Göttinger 
Akademie  1897  (dazu  die  beachtenswerte  Recension  von  Hugo  Krüger,  Ztschr. 
d.  Sav.-Stiftg.  XX,  1900,  267  ff.)  und  von  Seeck  in  Ztschr.  für  Social-  und 
Wirtschaftsgeschichte  Bd.  VI  p.  305  ff. 

^)  Die  letzten  zusammenfassenden  Darstellungen  sind:  Schulten  Historische 
Ztschr.  N.  F.  Bd.  XLII  ]).  1  ff.  und  Beaudouin,  Les  grauds  domaines  dans  l'empire 
Romain,  Paris  1899. 

Festschrift   Vahlen.  36 


562  Beriiliard  Kubier, 

bezügliche  Gegenstände  behandelt  werden,  welche  in  den  früheren 
Untersuchungen  teils  weniger  beachtet,  teils  unrichtig  dargestellt 
oder  beurteilt  worden  sind. 

I. 

Die  Römer  der  Kaiserzeit  bewirtschafteten  ihre  Güter  entweder 
selbst  mit  ihren  Sklaven,  oder  sie  gaben  sie  in  Pacht.  Im  letzteren 
Falle  ist  zu  unterscheiden  zwischen  Grosspacht  und  Kloinpacht,  je 
nachdem  grössere  Güter,  beziehungsweise  Gütercomplexe  (saltus)  gegen 
jährlichen  Zins  einem  Unternehmer  (conductor)  in  Bewirtschaftung 
gegeben  oder  aber  kleinere  Parzellen  zur  Bebauung  verpachtet 
werden.  Die  Kleinpächter  werden  in  der  Regel  als  coloni  bezeichnet. 
Sie  sind,  wie  sich  denken  lässt,  mit  Glücksgütern  nicht  gerade 
gesegnet')  und  stehen  auch  in  einem  gewissen  Abhängigkeits- 
verhältnis zu  dem  Grundherrn,  dem  sie  den  Zins  entrichten;  aber 
immer  sind  sie  frei.  Ofellus,  der  sein  Gut  durch  die  Assignationen 
an  einen  oder  mehrere  Veteranen  verloren  hat,  bebaut  nun  den 
Acker,  der  früher  sein  eigen  war,  als  Colon  gegen  Pacht*).  In 
Caesars  Bellum  civile  1,  34,  2  heisst  es  vom  Domitius  Ahenobarbus, 
er  sei  nach  Massilia  mit  sieben  Sc^hiffen  gekommen,  quas  servis, 
libertis,  colonis  suis  compleverat^).  ])as  l^ronomen  sui  weist  darauf 
hin,  dass  alle  diese  Leute  in  Domitius  ihren  dominus  sahen^),  aber 


')  Hör.  Od.  II,  14,  12  sire  inopes  erimus  coloni.  1,35,5  te  pauper  umliit 
SoUicila  prece  ruris  colonus. 

2)  Hör.  Sat.  II,  2,  115. 

^)  Vom  Catilina  heisst  es  bei  Sali,  de  coni.  Catil.  59,3:  ipse  cum  iilieriis 
et  colonis  propter  aquilum  aJsistit.     Calonibus  ist  Schlimmbesseiiing  von  Diotscli. 

"•)  Auf  den  Reichtum  des  Domitius  an  Länderoien  lässt  Caes.  b.  c.  1,17,4 
scliliessen.  Domitius  verspricht  jedem  Soldaten  ex  suis  possessionihus  XL  inyern 
et  pro  rata  parle  centurionibus  eroccilist/ue.  Die  Ildsr.  haben  XL  iugera\  alle 
Herausgeber  —  leider  auch  ich  —  schreiben  mit  Glareanus  qualema  iugera. 
Dass  aber  die  Ueberlieferung  ohne  jeden  Anstoss  ist,  lehrt  ein  Blick  auf  die 
Flächenmaasse,  welche  bei  Aeckerverteilungen  üblich  waren,  wie  sie  von  Rudorff 
(iromat.  Institutionen  p.  364  und  Meitzen,  Siedelungen  I  p.  254  zusammengestellt 
äind.  l'nter  den  Triumvirn  scheinen  Loose  von  GO  und  ()ß'7:i  Iugera  als  üblich 
vorausgesetzt.  Man  muss  doch  bedenken,  dass  Domitius  sicherlich  möglichst 
grosse  Loose  verspricht.  Damit  wird  Bücheler's  Coniectur  quadrina  hinfällig; 
abgesehen  davon,  dass  es  höchst  bedenklich  ist,  altertümliche  Worte  durch 
Coniectur  in  den  Cäsartext  zu  bringen. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  563 

durch  die  Reilienfolge  servi,  liberti,  coloni  wird  zugleich  mit  der 
dem  Caesar  eigentümlichen  Genauigkeit  des  Ausdruckes  die  Ab- 
stufung des  Unterthänigkeitsverhältnisses  angedeutet.  Auch  Colu- 
mella  (I,  7,  1)  stellt  die  coloni  m  Gegensatz  zu  Aqw  servi:  praecipua 
cura  domini  i^equiiitur  cum  in  ceteris  rebus,  tum  ma,vime  in 
hominibu^.  atque  hi  vel  coloni  vel  servi  sunt,  soluti  mit  vincti,  wie 
schon  vor  ihm  Varro  de  r.  r.  I,  17,  1 :  omnes  agri  coluntur 
homiiiibu^  servis  aut  liberis  aut  utrisque:  liberis  aut  cum  ipsi  colunt, 
ut  plerique  pauperculi  cum  sua  progeiiie,  aut  mercennariis,  cum 
conducticiis  liberorum  operis  res  maiores,  ut  vinclemias  ac  faenisicia, 
administrant  etc.  Wenn  Rodbertus^)  gemeint  hat,  Columella  scheine 
„nicht  sowohl  einen  Gegensatz  zwischen  Freien,  die  Colonen,  und 
Sklaven,  die  entweder  gefesselt  oder  ungefesselt  waren,  als  vielmehr 
zwischen  Sklaven,  die  Colonen,  und  andern  Sklaven,  die  entweder 
gefesselt  oder  ungefesselt  waren,  aufstellen  zu  wollen",  so  ist  diese 
irrige  Ansicht  längst  widerlegt  worden').  An  keiner  der  Stellen, 
an  welchen  Rodbertus  Sklavencolonen  entdeckt  zu  haben  glaubt, 
wird  mit  dem  Worte  colonus  ein  Unfreier  bezeichnet.  Zwar  kommt 
es  vor,  dass  auch  Sklaven  zu  ihrem  Herren  in  einem  ähnlichen 
Pachtverhältnisse  stehen,  wie  die  freien  coloni,  und  Rodbertus  hat 
einige  solche  Stellen  angeführt  (Dig.  15,  3,  16.  33,  7,  18,  4), 
aber  nie  werden  diese  Sklaven  coloni  genannt;  im  Gegenteil,  es 
heisst  geradezu,  ein  solcher  Sklave  sei  quasi  colonus  in  fundo  (ülp. 
Dig.  33,  7,  12,  3),  oder  er  bebaue  den  Acker  mercede,  ut  extranei 
coloni  solent  (Scaev.  Dig.  33,  7,  20,  1)^).  Zweifeln  könnte  man 
höchstens,  was  Columella  meint,  wenn  er  bei  Schilderung  der 
Pflichten  des  Vilicus  (XI,  1,  14)  sagt:  plurimum  refert  colonos  a 
primo  mane  opus  aggredi  nee  lentos  per  otium  pigre  procedere. 
Dass  auch  hier  freie  Colonen  gemeint  sind*),  ist  nicht  unmöglich, 
da  es  vorkam,  dass  diese  bei  der  Arbeit  von  Aufsehern  aus  dem 


')    Zur  Geschichte    der    agrarischen  Entwickelung  Rom's.      Hildebrands 
Jahrbücher  f.  Nationalökonouiie  II  (1864)  p.  225. 

2)  Ileisterbergk,  Entstellung  d.  Colonats,  Leipz.  1876,  p.  83. 

^)  Mouimsen  Hermes  XIX  412,3.     Beaudouin  a.  a.  0.  p.  74. 

*)  So  versteht  Seeck  die  Stelle  a.  a.  0.  p.  337    und   wohl   auch  Mommseu 
Hermes  XIX  412,  1. 

36* 


564  Beinliard  Kubier, 

Sklavenstande  bewacht  wurden');  jedoch  glaube  ich,  dass  folumella 
das  Wort  coloni  hier  nicht  im  technischen  Sinne  gebraucht,  sondern 
nur  im  allgemeinen  „Landbauer"  (7£«>pYoi')  damit  bezeichnen  will. 

Sind  also  die  Kleinpächter  durchaus  freie  Leute  gewesen,  so 
entfällt  damit  auch  Rodbertus'  Ableitung  des  späteren  unfreien 
Colonates  aus  dem  Sklavenstande,  Sie  darf  heute  wohl  als  allgemein 
aufgegeben  gelten.  Nur  ein  Forscher,  Kniep,  hält  noch  daran  fest. 
Er  sagt*):  „Der  Colonat  hat  sich  aus  dem  Sklavenstande  entwickelt. 
Ursprünglich  wurden  kleine  Parzellen  an  Sklaven  verpachtet.  Durch 
Freilassung  dieser  Sklaven  entstanden  dann  die  freien  coloni." 
Des  weiteren  entwickelt  er  seine  Ansicht  an  der  43ten  Obligation 
der  Alimentartafel  von  Velleia.  Diese  betrifft  das  Gemeindeland 
der  Colonie  Luca,  das  zu  2500000  Sest.  abgeschätzt  wird.  Davon 
werden  900000  Sest.  in  Abzug  gebracht:  deductis  reliquis  colononim 
et  usuris  pecuniae  et  pretiis  mancipiorum,  quae  in  inemptiojie  eis 
cesserunt,  habita  ratione  etiam  vectigalium.  Hier  soll  nach  Kniep 
als  Subiect  zu  cesserunt  zu  ergänzen  sein  Lucenses'  eis  soll  sich 
auf  mancipia  beziehen,  quae  Obiect  sein,  abhängig  von  cesserunt. 
Die  Ländereien  seien  von  dem  städtischen  Regiment  in  Luca  an 
Sklaven  verpachtet  worden;  dabei  sei  gleich  eine  Summe  aus- 
gemacht worden,  für  welche  die  Sklaven  sich  hätten  frei  kaufen 
können.  Der  Kunstausdruck  für  solchen  Loskauf  (!)  sei  inetnpiio 
gewesen.  Mit  pretia  mancipim'um  sei  der  für  den  Loskauf  aus- 
bedungene Preis  bezeichnet. 

Es  ist  kaum  möglich,  eine  Stelle  schlimmer  misszu verstehen. 
Pretia  mancipiorum  kann  nicht  eine  mit  Sklaven  ausbedungene 
Summe  bezeichnen,  sondern  nur  den  Preis  für  Sklaven.  Cedere 
(dicui  aliquid  ist  allerdings  nicht  unmöglich,  in  den  Pandekten  sogar 
häufig,  freilich  mit  tribonianischer  Unterdrückung  von  in  iure\  aber 
viel  einfacher  ist  es,  quae  als  Subiect  zu  cesserunt  anzusehen;  denn 
die  Ergänzung  eines  Subiects,  das  erst  aus  dem  Zusammenhang 
gefunden  werden  muss,  ist  gar  zu  gekünstelt.  Ferner  bezieht  sich 
quae  nicht  auf  pretia,  sondern  auf  mancipia,  und  quae  eis  cesserunt 
ist  gesagt,  wie  z.  B.  Paul.  Dig.  18,  1,  40,  5  doJia,  quae  in  fundo 


>)  Plin.  Epiat.  IX,  37,  3. 

*)  Societa.s  puMicanoniiii.     Jena   1890  p.  4"20, 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  565 

domini  essent,  accessura  dixit:  etiam  ea,  quae  serciis  (jui  fundum 
eoluevat  emisset  peculiaria,  emptori  cessura,  oder  ])ig.  19,  1,  53, 
pr.  si  in  vendenda  insula  7)iercedem  emptori  cessuram  esse  dixeris^). 
Demnach  sind  die  mancipia  eine  accessio  emptionis  und  himmelweit 
verschieden  von  den  colonP).  Was  für  eine  emptio  ist  nun  gemeint? 
Ist  etwa  die  Verpachtung  als  emptio  bezeichnet?  Unmöglich  wäre 
das  ja  nicht');  aber  es  ist  doch  bedenklich,  anzunehmen,  dass  man 
in  einer  Urkunde  aus  der  Zeit  Traian's  das  Wort  emere  in  der 
uralten  Bedeutung  gebraucht  haben  sollte,  während  für  Rechts- 
geschäfte dieser  Art  längst  die  Ausdrücke  locare  conducere  ein- 
gebürgert waren.  Daher  ist  wohl  hier  mit  emptio  etwas  anderes 
gemeint.  Vermutlich  übernahmen  die  Coloni  das  instrumentunt 
fundi  käuflich^).  Man  wird  dabei  selten  volle  Barzahlung  verlangt, 
vielmehr  sich  meistens  mit  einer  kleinen  Anzahlung  begnügt,  den 
Rest  aber  auf  Ratenzahlungen  gestundet  haben.  Häufig  werden  in 
den  Pandekten  die  dotes  fundi  neben  den  reliqua  colonorum  genannt. 
Mit  diesen  dotes  ist  das  instrunientutn  gemeint^),  zum  instrumentura 
aber  gehören,  wie  bekannt,  die  Sklaven^),  die  familia  nistica.  Es 
ist  nun  sehr  wohl  denkbar,  dass  ein  solches  Ilineinkaufen  in  den 
fundus  und  sein  Instrumentum  als  inemptio  bezeichnet  wird,  und 
dass  man  also  auf  der  velleiatischen  Tafel  mit  Kniep  zu  lesen  hat: 

>)  Scaev.  Dig.  19, 1,  52,  2.  Tryph.  Dig.  37, 8,  7.  41, 1,  63, 1-2.  llp.  Dig. 
19, 1,  13, 10.  1 1.     Paul.  Dig.  10,  2,  36. 

')  Vgl.  Dig.  32,  78,  3.  101,  1.  33,  7,  27,  1.     Mehr  weiter  unten. 

^)  Fest.  p.  376  M.  renditiones  olim  dicebantur  censorum  locationes,  p.  270M. 
V.  redernjHores.  Alf.  Dig.  19,  2,  29.  Gai.  Inst.  III,  145  adeo  autem  emptio  et  een- 
ditio  et  locatio  et  conductio  familiarilatem  aiiquam  tnter  sc  habere  videntur,  ut  in 
(/uibusdam  causis  c/uaeri  soleat,  ulruni  emptio  et  renditio  contrafiatur  an  locatio  et 
conductio.  reluti  si  qua  res  in  perpeluum  locata  sit,  quod  ecenit  in  praediis  muni- 
cipum  etc.  Man  beachte,  dass  wir  in  unserm  Falle,  wenn  auch  nicht  praedia 
municipum,  so  doch  praedia  coloniae  haben.  Dig.  19,  2,  2,  1  ist  das  Beispiel  mit 
den  praedia  municipum  unterdrückt.  Vgl.  noch  Hygin.  Gromat.  p.  1 16,  12.  21.  22. 
Lachm.  Cato  r.  r.  150.     Fustel  de  Coulanges,  llecherches  p.  15. 

'')  Pomp.  Dig.  19,  2,  3  cum  fundus  locetur  et  aestimatum  instrumentum  colonus 
accipiat,   Proculus  ait  id  agi,  ut  instrumentum  eiiiptum  habeat  colonus. 

■')  Colum.  111, 3, 5  dotem  id  est  instrumentum.  Anders  Mommsen  Herrn. 
XV,  406. 

*■')  servum,  qui  aestimalus  olonae  adscriptus  est  Paul.Dig.19,2,54,2.  Mommsen 
Herm.  XIX  (1884)  p.  411. 


566  Bernhard  Kühler, 

in  inemptione.  Bedenken  erregt  aber,  dass  das  Wort  sonst  nicht 
begegnet,  und  dass  gerade  die  Pracposition  in  davor  steht.  So 
werden  wir  doch  wohl  eine  Dittographie  anzunehmen  haben.  Jedoch 
ist  das  für  unsern  Zweck  eine  Frage  von  untergeordneter  Bedeutung. 
Fest  steht  für  uns  folgendes:  Bei  der  Abschätzung  des  Grund- 
besitzes, welchen  die  Colonie  Luca  auf  der  Stadtflur  von  Velleia 
besass,  für  hypothekarische  Beleihung  werden  in  Abzug  gebracht 
1.  die  Restgelder  der  Pächter^),  2.  die  Zinsen  hievon,  3.  die  Preise 
der  Sklaven,  welche  den  Pächtern  bei  Uebernahme  der  Güter  über- 
lassen und  in  Rechnung  gestellt  sind. 


11. 

Zur  Erklärung  der  Thatsache,  dass  im  Verlaufe  des  ersten 
Jahrhunderts  der  Kaiserzeit  die  Bewirtschaftung  der  Güter  durch 
Kleinpächter  immer  mehr  in  Aufnahme  kam,  fülirt  man  gewöhnlich 
an,  dass  damals  Sklavenmangel  eingetreten  sei'').  Die  Preise  der 
Sklaven  müssten  also  in  dem  Maasse  gestiegen  sein,  dass  die 
Sklavenarbeit  sich  weniger  rentierte,  als  die  Arbeit  des  freien 
Mannes.  Nirgends  aber  findet  sich  ein  Versuch,  eine  so  enorme 
Preissteigerung  aus  den  Quellen  nachzuweisen;  und  doch  scheint 
dies  unabweislich,  wenn  ein  so  erfahrener  Landwirt  wie  Columclla 
versichert  (I,  7,  5):  ceterum  cum  mediocris  adest  et  salnhntas  et 
terrae  honitas,  nuinquavi  non  ex  agro  plus  sua  cuique  ciira  reddidit 
quam  coloni,  nunquam  non  etiatn  vilici,  nisi  si  maxima  vel  negle- 
gentia  servi  vel  rapacitas  intervenit. 

Bei  Horaz  Epist.  II,  2  kostet  ein  sonst  tadelloser  Sklave,  für 
den  der  Verkäufer  nur  nicht  die  übliche  Garantie,  fugitivum. 
erronem  non  esse,  übernehmen  will,  8000  Sest.  (1403,28  M.  Silber- 
wert, 1740,16  M.  Goldwert).  Sein  Davus  allerdings  behauptet  für 
500  Drachmen  oder  2000  Sest.  (350  M.  Silberwert,  435  M.  Gold- 


')  Danmter  wird  man  nicht  allein  die  rückständigen  Pachtgelder  (pensiones) 
zu  verstehen  haben,  sondern  auch  die  Hestkaufgelder  des  insirumenlum.  cf.  Pap. 
Dig.  46, 1, 52, 2:  ßdeiussores  a  colonis  datos  etiam  ob  pecuniaiu  dotis  pruf,- 
diorum  teneri  convenit,  cum  ea  quof/ue  species  localionis   vinculum  ad  se  trahal. 

2)  Z.B.Weber,  Römische  Agrargeschichte,  Stuttgart  1891.  p.  242.  Seeek, 
Untergang  der  antiken  Welt,  2.  Aufl.  Berlin  1897,  p.  377. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  567 

wert)  gekauft  zu  sein;  aber  dieser  Preis  ist  nach  dem  ganzen  Zu- 
sammenhange als  übertrieben  niedrig  anzusehen  (Sat.  II,  7,  43). 
Wir  werden  keineswegs  zu  hoch,  eher  zu  niedrig,  greifen,  wenn  wir 
als  Durchschnittspreis  eines  gewöhnlichen  Sklaven  zur  Zeit  des 
Iloraz  die  Mitte  annehmen  zwischen  dem  Preise  des  Davus  und 
dem  des  doch  immerhin  etwas  anrüchigen  Sklaven  der  zweiten 
Epistel  des  zweiten  Buches,  also  5000  Sest.  (877  M.  Silberw.,  1087  M. 
Goldw.).  Für  die  Zeit  der  Antonine  dagegen  berechnet  Wallen') 
den  Preis  des  gewöhnlichen  Sklaven  auf  500 — 625  Francs,  und  Mar- 
quardt^)  schliesst  sich  seinen  Angaben  ohne  Widerspruch  an.  W'o 
ist  da  nun  die  Preissteigerung?  Sollte  vielleicht  in  Wallon's  An- 
gaben ein  Fehler  stecken?  Die  Sache  ist  wohl  genauer  Prüfung  wert. 
Bei  Martial  (X,  31,  1)  verkauft  jemand  seinen  Sklaven  für 
1200  (1300?),  um  einmal  gut  zu  speisen: 

Addiati  sercum  nummis  here  inille  ducentis^), 
Ut  benc,  cenares,  Calliodore,  semel. 

Es  fragt  sich,  ob  Sesterzen  oder  Denare  gemeint  sind.  Marquardt 
und  Friedländer  nehmen  Sesterzen  an,  Wallon  Denare.  Es  hcisst 
weiter,  Calliodorus  habe  sich  für  den  Erlös  des  Sklaven  eine  Mcer- 
barbo  (rtmlhis)  gekauft.  Dies  war  einer  der  feinsten  Fische,  von 
dem  uns  folgende  Preise  bekannt  sind: 

Senec.  ep.  95,  42, 

luv.  IV,  15. 

Tert.  de  pall.  5,  p.  547  Gehler. 

Macrob.  Sat.  III,  16,  9. 

Plin.  Nat.  Hist.  IX,  67. 

Suet.  Tib.  34'). 

Sollte  Calliodorus  den  Mullus  für  2pOO  Sest.  gekauft  haben,  so 
würde  er  ihn  ungewöhnlich  billig  bekommen  haben.     Es  ist  daher 

')  Histoire  de  Tesclavage  dans  Panticpiitc'  11, 17411". 

''')  Privatleben  der  Römer,  2.  Autl.  p.  173 ff. 

^)  trecentis  die  Hdsr.  der  zweiten  Klasse,  vielleicht  richtig. 

*)  Dies  ist  das  richtige  Citat.  Bei  Marquardt  Privatl.  434,9  steht  irr- 
tümlich Plin.  n.  h.  9,  66.  Mau  hat  in  der  2.  Auflage  mit  gewohnter  Sorgfalt 
den  Irrtum  Marquardt's  entdeckt,  aber  die  richtige  Stelle  nicht  gefunden. 


mullus 

für    5000  Sest. 

« 

„      6000      „ 

n 

„      (JOOO      „ 

V) 

„      7000      „ 

11 

„      8(X)0      „ 

mulli 

„    30000      „ 

568  Bernhard  Kubier, 

wahrscheinlicher,  dass  Martial  1200  Denare  =  4800  Sest.  (oder 
13(X)  Den.  =  5200  Sest.)  gemeint  hat.  Dann  werden  wir  auch 
Mart.  VI,  66,  wo  jemand  auf  eine  famae  non  ribnium  horiae  puella, 
quales  in  media  sedent  Suhiira,  600  liieten  wollte,  sein  Gebot  aber 
zurückzog,  als  der  Praeco  das  Mädchen  küsste,  mit  Wallen  Denare 
verstehen.  ])och  kann  für  uns  der  Preis  einer  Dirne  gemeinster 
Art  gleichgiltig  sein. 

Wohl  aber  stimmt  es  zu  dem  Resultate,  nach  welchem  wir 
bei  Martial  für  einen  gewöhnlichen  Sklaven  den  Preis  von  4800 
resp.  5200  Sest.  ermittelt  haben,  dass  Columella  Jll,  .3,  8  den  l'reis 
eines  Winzers,  der  als  besonders  wertvoll  gilt,  auf  800(^>  Sest. 
(1403  M.  Silberw.,  1740,16  M.  Goldw.)  ansetzt.  Es  stimmt  ferner 
dazu,  dass  Paulus  Dig.  21, 1,  57,  1  den  Preis  eines  Sklaven  schwanken 
lässt  zwischen  10000  und  5000  Sest.  (si  servus  decem  miiibus 
emptus  quinqiie  miiibus  sit).  An  allen  übrigen  Pandektenstellen, 
an  welchen  Sklavenpreise  genannt  werden,  sind  dieselben  in  Aurei 
angegeben.  Hier  rechnet  nun  Walion  den  Aureus  zu  25  Frcs., 
Marquardt  zu  18  Mark.  Das  würde,  da  der  gewöhnliche  Preis 
eines  Sklaven,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  10  Aurei  beträgt, 
250  Frcs.  oder  180  M.  ergeben,  offenbar  ein  ganz  unmögliches  Resultat, 
dem  denn  auch  Wallen  und  Marquardt  ratlos  gegenüberstehen. 

Es  ist  eine  längst  bekannte  Thatsache,  dass  fast  an  allen 
Stellen,  wo  in  unserm  heutigen  l^mdektentexte  Geldsummen  in 
Aurei  oder  Solidi  angegeben  sind,  die  ursprünglichen  Angaben 
von  den  Juristen,  deren  Werke  Justinian  für  sein  Corpus  compilicren 
Hess,  in  Sesterzen  gemacht  waren;  zweifelhaft  kann  nur  sein,  ob 
die  Compilatoren  den  Aureus  zu  1000  oder  zu  100  Sest.  rechneten, 
oder  ob  sie  beide  Rechnungsarten  neben  einander  anwendeten.  P'ür 
einige  Fälle  ist  die  Gleichwertung  mit  1000  Sesterzen  bezeugt. 
Justinian  sagt  selber  einmal  (Inst.  III,  7,  3):  sie  enim  legis  Papiae 
summam  interpretaii  sumtcs,  ut  pro  mille  sestertiis  unus  aureus 
compiiteüir,  und  nach  dieser  Regel  verfährt  er  auch  sonst.  Man 
vergleiche  z.  B. 

Gai.  Inst.  III,  102  Just.  Inst.  Ill,  19,  5 

velut  si  sestertia  X  a  te  dari  veluti  si  decem  aureos  a  /^ 

stipuler  et  tu  scsfertia  V  pro-  dari  stipuletur,  tu  quinque 

mittat  promittas. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit. 


569 


Ebenso  Gai.  Inst.  II,  235  mit  Just.  Inst.  II,  20,  36,  Gai.  Inst.  Ill, 
161  mit  Just.  Inst.  III,  26,  8,  Gai.  Inst.  IV,  53  d  mit  Just.  Inst.  IV, 
6,  33  d. 

liencl  setzt  in  der  Palingenesia  für  den  Aureus  meist  1000  Sest. 
ein.  Nur  einige  Male  zweifelt  er,  so  bei  der  Strafe  für  das  album 
corruptum,  die  nach  Dig.  2, 1,  7,  pr.  auf  500  aurei  festgesetzt  ist^), 
bei  der  Geschenkgrenze  für  Beamte  nach  der  Lex  lulia  repetun- 
darum'),  und  bei  der  Grenze  des  Sachwalterhonorares').  Auf  einige 
andere  Fälle  kommen  wir  unten  zurück.  Dagegen  rechnet  Mommsen 
in    seinem    römischen   Strafrecht  den  Aureus  immer  zu  100  Sest.: 

lOOÜÜ  Sest.  Momras.  Str.  R.  508,2. 
.    ..  7ÜG. 


Strafe  des  Edicts  z. 

8.  C.  Silanianum 

100: 

uirei 

Dig-.  2»,5,25,->. 

10000 1 

BeeiuHussung     des 

Richters  durch  Be- 

treten seines  Hauses 

100 

'? 

.,    48,14,1,4. 

10000 

(irenze    des    Sach- 

walterhouorars 

100 

•■> 

„    50,13,1,13. 

10000 

Geschenkgrenze  für 

Beamte    nach    der 

Lex   lulia  repetun- 

tuudarum 

100 

»5 

„   48,11,6,2. 

10000 

Grabverletzung- 

100 

V 

,    47,12,3. 

10000 

Grenzfrevel 

50 

•0 

.   47,21,3. 

5000 

Album  corruptum 

500 

n 

„    2,1,7,  pr. 

50000 

A  mbitus 

100 

■n 

,   48,14,1,1. 

10000 

,    .  814. 

,    ,  825,6. 

n  „    .,  87o. 

In  einigen  dieser  Fälle  kann  sich  Mommsen  für  seine  Ansätze  auf 
anderweitige  Zeugnisse  stützen,  so  für  Ambitus  auf  die  Lex  Coloniae 
luliae  Genetivae,  in  deren  c.  132  eine  Strafe  von  5000  Sest.  für 
rechtswidrige  Beeinilussung  der  Wähler  vorgesehen  ist,  für  die 
Grenze  des  Sachwalterhonorars  auf  Tac.  Ann.  XI,  7  und  Plin.  Ep. 
V,  9,  für  den  Grenzfrevel  auf  die  Gromatiker,  bei  denen  p.  265,  2 
Lachm.  eine  Strafe  von  5000  Sest.  angegeben  ist.  Aber  diese 
Zeugnisse  sind  nicht  alle  einwandfrei.  Beim  Ambitus  richtet  sich 
das  Verbot  der  Lex  Col.  lul.  Gen.  nur  gegen  Einladungen  zu  Gast- 


1)  Edict  p.  46.     Palingen.  II  p.  427  N.  3. 

2)  Palingen.  II  p.  1215  Yen.  frgm.  40. 

3)  Palingen.  II  p.  1000  N.  2.     Ulp.  frgm.  2289. 


Dig.  50, 13,  1,  13. 


570  Bernhard  Kubier, 

malern  und  Erteilung  von  Geschenken.  In  den  Pandekten  dagegen 
ist  das  Vergehen  nicht  näher  charakterisiert;  es  kann  also  direkte 
Bestechung  gemeint  sein.  Ausserdem  wird  auf  einen  Senatsbeschluss 
Bezug  genommen,  welcher  recht  wohl  die  milden  Bestimmungen 
Caesar's  verschärft  haben  konnte.  Und  wer  bürgt  uns  dafür^  dass 
in  Hom,  wo  die  höchsten  Reichsbeamten  gewählt  wurden,  die  Straf- 
bestimmungen wegen  Amtserschleichung  nicht  höher  waren,  als 
wenn  es  sich  um  die  Bürgermeisterwahlen  einer  kleinen  Provinzial- 
stadt  handelte?').  Was  sodann  die  dolose  Yerrückung  des  Grenz- 
steines betrifft,  so  ist  die  Lesart  der  Gromatiker  nicht  sicher  bezeugt. 
Zwar  die  Spuren  der  Arcer'schen  Handschrift  führen  an  beiden 
Stellen,  an  welchen  die  Lex  Mamiiia  Peducaea  überliefert  ist,  auf 
5000  Sest."),  aber  der  Gudianus  hat  ss.  XXV.  Dazu  kommt,  dass 
die  Summe  von  4000  Sest.,  die  im  vorhergehenden  Kapitel  der  Lex 
als  Strafe  für  Verdunkelung  der  Grenze  bei  den  Gromatikern  über- 
liefert ist,  durch  das  entsprechende  Kapitel  (104)  der  Lex  Col.  lul. 
Genet.  nicht  bestätigt  wird.  Hier  werden  vielmehr  für  das  gleiche 
Vergehen  1000  Sest.  als  Strafe  bestimmt.  Wenn  Mommsen  nun 
annimmt,  dass  in  dem  Colonialgesetze  die  Strafe  gemildert  war,  so 
scheint  mir  eine  solche  Annahme  bei  dem  Grenzfrevel,  der  an 
jedem  Ort  des  Reiches  gleich  schwer  wog,  weniger  berechtigt,  als 
bei  dem  Gesetz  über  Amtserschleichung,  wo  Mommsen  Rom  und 
Osuna  mit  gleichem  Maasse  misst.  Zudem  haben  beide  Gesetze, 
das  sogenannte  Mamilische  wie  das  Stadtrecht  von  Osuna,  denselben 
Julius  Caesar  zum  Verfasser,  und  warum  sollte  bei  sonstiger 
wörtlicher  Uebereinstimmung  der  beiden  Paragraphen  in  dem  Stadt- 
recht gerade  die  Zahl  geändert  sein  ?  Aber  gesetzt  auch,  Mommsen  hätte 
mit  seiner  Annahme  Recht,  so  würden  doch  die  beiden  Ansätze 
der  gromatischen  Ueberlieferung,  4000  Sest.  für  fahrlässige  Ver- 
dunkelung der  Grenze,  5000  Sest.  für  dolose  Beseitigung  oder  Ver- 
rückung des  Grenzsteines,  in  keinem  durch  die  Grösse  der  Vergehen 


')  Beeinflussung  des  Geschworenen  bei  schwebendem  Prozess  soll  nach 
Dig.  48, 14,  1,4  nach  der  lex  ambitus  l)estraft  werden:  si  qui  reus  vel  accusator 
domuin  iudicis  ingredialur,  per  legem  luliain  iudiciariam  in  legem  ambitus  commiuil, 
id  est  aureoium  centum  fisco  inferre  iubetur.  Der  letzte  Satz  von  id  est  an  scheint 
interpoliert  zu  sein.     Das  ist  auch  die  Ansicht  von  Leael. 

*)  SÄ.  um,  n,  in  A.     s«  omnino  B. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  57 1 

gerechtfertigten  Verhältnisse  zu  einander  stehen.  Es  leuchtet, 
meine  ich,  ein,  dass,  wer  sciens  dolo  rnalo  den  Grenzstein  rückt, 
in  weit  höherem  Maasse  strafbar  ist,  als  wer  ohne  böse  Absicht 
beim  Pflügen  den  Grenzweg  nicht  genau  beachtet.  Bedenkt  man 
endlich,  dass  der  Grenzfrevel  zu  den  all  erschwersten  gehörte,  dass 
unter  Hadrian  die  Geldstrafe  bei  den  Freien  in  Relegation  auf  Zeit, 
später  sogar  auf  Lebenszeit,  geändert  wurde,  dass  die  Sklaven  dafür 
mit  dem  Leben  büssten,  so  wird  man  eine  Geldstrafe  von  50000  Sest. 
nicht  zu  hoch  finden.  Wurde  doch  die  dolose  Beschädigung  der 
Wasserleitungen  mit  100000  Sest.  gebüsst.  Dagegen  wird  allerdings 
die  Grenze  des  Sachwalterhonorars  bei  Ulp.  Dig.  50,  13,  1,  12  auf 
centum  aurei  angegeben,  während  sie  nach  Tac.  Ann.  XI,  7  unter 
Claudius  auf  10000  Sest.  angesetzt  war,  eine  Bestimmung,  die  unter 
Traian  erneuert  wurde  (Plin,  Ep.  V,  9).  Will  man  hier  nicht  zu 
der  schwächlichen  Ausflucht  sich  verstehen,  dass  die  Grenze  in  dem 
Jahrhundert  zwischen  Traian  und  Ulpian  um  das  Zehnfache  erhöht 
worden  sei,  so  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  sich  dem  Ansätze 
Mommsens  zu  fügen. 

Aber  anders  liegt  die  Sache  in  den  übrigen  Fällen.  Bei 
Gräberverletzung  sind  öffentliche  Bussen  von  1(_X)000  Sesterzen,  ja 
darüber  hinaus,  inschriftlich  mehrfach  bezeugt').  Dass  die  Strafe 
desjenigen,  der  durch  unzeitige  Eröffnung  des  Testamentes  eines 
Ermordeten  die  in  diesem  freigelassenen  Sklaven  der  Folterung 
entzog,  nicht  10000  Sest.  betrug,  wie  Mommsen  annimmt,  sondern 
1(X)()00,  ergiebt  sich  aus  Paul.  Sent.  IIl,  5,  12  a:  Hereditas  a  ßsco 
ut  indignis  aufertur  his  jmmum,  qui  cum  suspccta  nex^)  esset 
testatoris,  upertis  tahulis  testameiiti  vel  ab  intestato  adierunt  heredi- 
tatem  honorumve  possessionent  acceperunt:  ampUus  Ins  et  centtim 
milium  poena  inrogatur.  Man  wird  m.  E.  nur  in  den  zwingendsten 
Fällen  von  der  oben  angeführten  Regel  Justinians  abgehen  dürfen, 
nach  welcher  die  Compilatoren  für  den  Aureus  1000  Sest.  einsetzten. 
Oft  sind  sie  bei  der  Umschreibung  der  Summen  so  flüchtig  ver- 
fahren, dass  das  Ursprüngliche  Jioch  leicht  erkennbar  ist,  so  wenn 
sie  l'ür  ccniies  söstertium  (d.  i.  10  ^lill.  Sest.)  einfach  centies  aureorum 


')  Mommsen  Strafrecht  S.  817. 
-)  suscepta  re   die  Hdsr. 


572  Bernhard  Knbler, 

schreiben  (Cels.  Dig.  50,  10,  88.  Paul.  Dig.  32,  97).  Andere  Fälle 
derart  werden  wir  weiterhin  kennen  lernen.  Die  Strafe  der  Lex 
Fabia  wegen  Plagium  ist  uns  in  den  Digesten  nicht  überliefert, 
wohl  aber  in  der  Collatio  14,  3,  5,  Fragra.  de  iure  fisci  9^  Paul. 
Sent.  I,  6  A,  2;  sie  lautet  auf  50000  Best.');  sie  würde  in  den  Digesten 
auf  quinquaginta  aurct  normiert  worden  sein,  wie  die  Strafe  für 
den,  der  durch  Hinauswerfen  eines  Gegenstandes  aus  dem  F'enster 
einen  Vorübergehenden  verletzt^)  (Ulp.  Dig.  9,  3,  1,  pr.).  Zweifeln 
mag  man  mit  LeneP),  ob  die  Strafe  für  dolose  Beschädigung  des 
praetorischen  Albums  wirklich  500000  Sesterzen  betrug;  für  un- 
möglich halte  ich  es  nicht.  Weim  aber  in  den  Pandekten  die  Strafe 
des  F'reigelassenen,  der  ohne  praetorische  Erlaubnis  seinen  Patron 
vor  Gericht  zieht,  dreimal  auf  50  aurei  angegeben  ist  (Dig.  2,  -1-, 
12.  24,  25;  dazu  Just.  Inst.  IV,  16,  3),  so  ist  es  für  mich  aus- 
gemacht, dass  darunter  50000  Sest.  zu  verstehen  sind,  und  in  dieser 
Ueberzeugung  kann  mich  auch  der  umstand  nicht  wankend  machen, 
dass  im  Texte  des  Gaius  IV, 46  die  Formel  lautet:  RECVPERATORES 
ILLVIM  LIBERTVM  ILLI  PATRONO  SESTERTIVM  X  MILIA 
COMDEMNATE.  Denn  hier  ist  dem  flüchtigen  Schreiber  des  Codex 
Veronensis  der  Text  zu  corrigieren  und  mit  LeneP)  zu  lesen: 
L  MILIA.  Nach  dem  Cod.  Theod.  IX,  6,  1  (a.  376)  war  die  un- 
erlaubte Vorladung  des  Patrons  durch  den  Freigelassenen  mit  dem 
Tode  (ferri  aut  ignium  poena)  bedroht. 

Indessen  mag  es  bei  einzelnen  der  behandelten  F'älle  immerhin 
zweii'elhaft  sein,  welche  Bedeutung  dem  Aureus  der  Compilatoren 
beizulegen  ist*),  dass  er  bei  Angabe  von  Sklavenpreisen  nie  etwas 
anderes  bedeute  als  1000  Sest.,  das  lehrt  uns  ausser  der  bereits 
angeführten  Stelle  (Paul.  Dig.  21,  1,  57,  1)  ganz  besonders  die 
folgende:  Jul.  Dig.  10,  3,  25  si  Stichus  comtuunis  meus  et  tuiut  sercus 
habuent  Pamphilum  vicarium  aureorum  decem  et  mecum  actum  de 
peculio   fuerit    condemnatusque  decem   praestitero:    quamvis  postea 

')  Bei  Paulus  ist  D  überliefert,  aber  von  Huschke  richtig  in  \j  corrigiert. 
■)  So  auch  Lcnel  Edict  p.  133.     Paling.  II  p.  549  N.  2. 
')  Kdict  p.  46  N.  5.    Paling.  11  p.  427  N.  3. 
*)  Edict  p.  55. 

^)  Sie  sind  von  den  demnächst  zu  besprechenden  dadurch  verschieden,  dass 
die  betreffenden  Geldsätze  zu  Justiniaus  Zeit  noch  praktische  Bedeutung  haben. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  573 

Pamphilua  decesserit,  nihüommus  actione  comTnuni  diridundo  vel 
pro  socio  quinque  milia  pr'aestare  debebis,  quia  te  hoc  aere 
alieno  liberavi.  Der  vicarius  war  10  Aurei  =  10000  Sest.  wert. 
Der  eine  Socius,  welcher  aus  der  actio  de  peculio  verurteilt 
worden  ist  und  die  10000  Sest.  bezahlt  hat,  hat  gegen  den  andern 
einen  Anspruch  auf  r)(X)0  Sest.  Hier  haben  die  Compilatoren  ver- 
gessen milia  in  aureos  zu  verändern  und  uns  damit  einen  neuen 
Beweis  für  die  Richtigkeit  unserer  Annahme  geliefert^). 

Ausserdem  finden  wir  Sklavenpreise  von  10  aurei  =  10000  Sest. 
Jul.  Dig.  15,  1,  37,  1.  Afr.  Dig.  15, 1,  38,  2.  ülp.  Dig.  15,  1,  11,  5. 
47,  2,  14,  5.  Ein  Sklave  wird  für  10000  Sest.  von  einem  Faber  ge- 
kauft, und  nachdem  er  im  Handwerk  ausgebildet  ist,  für  20000  Sest. 
verkauft  Paul.  Dig.  17, 1,  26,  8.  Zwei  Sklaven  werden  zunächst  jeder 
für  10000,  dann  zusammen  für  30000,  also  jeder  für  15000  Sest. 
verkauft  Jul.  Dig.  18,  2,  17.  Zwei  Sklaven  werden  vom  Erblasser 
jeder  zu  20000  Sest.  geschätzt  Jul.  Dig.  30,  81,  4;  ein  Sklave  soll 
sich  für  drei  Jahreszahlungen  von  je  10000  Sest.  loskaufen  dürfen 
Ulp.  Dig.  40,  7,  3,  13.  Geringere  Preise  sind  selten.  Sklaven  im 
Werte  von  5000  Sest.  linden  wir  Jul.  Dig.  40,  9,  5,  2  und  Ulp. 
Dig.  15,  1,  11,  4,  eine  ancilla  furtiva  für  2000  Sest.  bei  Jav.  Dig. 
47,  2,  75,  wobei  zu  beachten  ist,  dass  es  sich  um  eine  Sklavin 
handelt,  die  weniger  wert  ist  als  ein  Sklave,  und  dass  sie  der 
Verkäufer  vielleicht  besonders  wohlfeil  losgeschlagen  hat,  weil  sie 
gestohlen  war.  Der  gewöhnliche  Preis  eines  Sklaven,  der  nicht 
durch  besondere  Fähigkeiten  einen  erhöhten  Wert  besitzt,  beträgt 
10000  Sest.  Das  bestätigen  auch  die  zahlreichen  Stellen  im  Titel 
de  statuliberis  (40,  7),  wo  es  immer  heisst:  Stichus  (servus),  si 
decem  dederit,  liber  esto.  Denn  die  klassischen  Juristen  hatten 
geschrieben  HS  X").  Das  gleiche  gilt  von  den  Legaten,  in  welchen 
alternativ  SStichus  aut  decem'  vermacht  wird,  und  von  den  alter- 
nativen   Stipulationen  'Stichum    aut  decem  dare  spondes'^).     Alle 

1)  Ein  ähnlicher  Fall  Paul.  Dig.  24, 3,  49,  pr.  Tgl.  Lenel  Palingen.  Praef. 
pag.  4  N.  3. 

2)  rip.  Reg.  2,4:  sub  hac  condicione  liber  esse  iussus,  SI  DKCEM  MILIA 
HEREDI  DEDERIT. 

3)  Gai.  Inst.  IV,  53 d:  SB^STERTIVM  X  MILIA  AVT  HOMINEM  STICHVM 
DARE  SPONDES? 


574  li  (' r  n  liar  (1  Kü  liier, 

diese  Stellen')  hegegnen  in  solcher  Fülle,  dass  die  Zahl  10,  d.  i. 
10000  Sest.,  geradezu  solenn  ist  und  fast  als  Gleichung  für  den 
Wert  eines  Menschen  auftritt. 

Nun  giebt  es  aber  einige  Stellen,  in  denen  der  gesetzliche 
Taxwert  des  Sklaven  zu  20  Solidi  oder  Aurei  angesetzt  wird.  An 
diesen  rechnet  Lenel,  während  er  an  den  bisher  aufgeführten  Stellen 
den  aureus  zu  1000  Sest.  angenommen  hatte,  plötzlich  dieselbe 
Münze  zu  100  Sest.  Was  sollte  aber  die  Compilatoren  bewogen 
haben,  von  ihrem  sonstigen  Princip  abzuweichen?  Es  lässt  sich 
kein  anderer  Grund  hierfür  ersinnen,  als  dass  diese  gesetzlich 
normierten  Preise  noch  zu  Justinians  Zeit  praktische  Bedeutung 
hatten.  Aber  gerade  dieser  Umstand  dient  dazu,  uns  besonders 
misstrauisch  gegen  die  Echtheit  der  betreffenden  Stellen  zu  machen. 
Jn  der  That  hat  es  mit  ihnen  eine  besondere  Bewandtnis. 

Justinian  bestimmt  i.  J.  530  (Cod.  7,  7,  1,  5),  dass,  wenn  einer 
von  mehreren  Eigentümern  eines  Sklaven  diesen  freilassen  will,  der 
oder  die  Miteigentümer  in  jedem  Falle  zustimmen  und  für  ihren 
Auteil  in  Geld  entschädigt  werden  sollen.  Dabei  setzt  er,  um 
Streitigkeiten  vorzubeugen,  feste  Sklavenpreise  an,  nämlich  20  Solidi 
für  einen  gewöhnlichen  Sklaven,  10  für  einen  Sklaven  unter  10  Jahren, 
oO  für  einen,  der  ein  Handwerk  versteht,  50  für  einen  Notarius, 
()0  für  einen  Arzt,  ausserdem  entsprechend  höhere  Preise  l'ür 
Eunuchen  der  verschiedenen  Gattungen.  Dieselben  Ansätze  wieder- 
holt er  im  Jahr  darauf  (Cod.  6,  43,  3,  1)  für  den  Fall,  dass 
zweien  oder  mehreren  die  Wahl  eines  Sklaven  vermacht  ist. 
In  diesem  Fall  solle  das  Los  entscheiden,  welcher  der  Ver- 
mächtnisnehmer wählen  dürfe,  der  oder  die  übrigen  sollen  nach 
den  eben  angegel)enen  Sätzen  in  Geld  abgefunden  werden.  Beide- 
male  ist  also  der  gewöhnliche  Sklavenpreis  auf  20  Solidi  oder 
Aurei  fixiert. 

Nun  heisst  es  Ulp,  Dig.  5,  2,  8,  16,  wenn  ein  Testament  in- 
folge der  Querella  inofficiosi  durch  richterlichen  Spruch  aufgehoben 
und  keine  Appellation  erfolgt  ist,  so  ist  das  Testament  ungültig, 
et  libertates  ipso  iure  non  valent  .  .  et  ita  divus  Hadnanus  et  dicus 


')  S.  dieselben  im   Artiliel  auf  des  Vocabulariuin  lurlsprudentiae  Romanae 
pag.537,  IG. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  575 

Pius  rescripserunt.  Dann  heisst  es  weiter  §  17:  PUme  si  post 
quinquennium  inofßciosum  dici  coeptum  est  ex  viagna  et  imta 
causa  ^  lihertates  non  esse  revocandas,  quae  competierunt  vel  prae- 
stitae  sunt,  sed  viginti  aureos  a  singulis  praestandos  Vic- 
tor i.  Gradenwitz')  hat  diesen  Paragraphen  für  interpoliert  erklärt, 
ohne  Gründe  oder  einen  Gewährsmann  zai  nennen.  Lenel  hat  sich 
ihm  zuerst  angeschlossen'),  ist  aber  dann  wieder,  wie  es  scheint, 
andrer  Ansicht  geworden  ^).  Nun  ist  aber  unschwer  in  den  20  Aurei 
der  von  uns  soeben  nachgewiesene  Normalpreis  Justinians  zu  er- 
kennen. Verdächtig  ist  ferner  der  Ausdruck:  e.v  magna  et  iusta 
causa.  Die  Bestimmung  endlich,  dass  testamentarische  Freilassungen 
nach  einem  Zeitraum  von  fünf  Jahren  nicht  rückgängig  gemacht 
werden  sollen,  iindet  sich  auch  in  dem  gleichfalls  verdächtigen 
Fragment  Scaev.  Dig.  40,  4,  29.  Hier  handelt  es  sich  um  folgenden 
Fall.  Ein  Mann  hat  seine  schwangere  Frau  Verstössen.  Diese  gebiert 
einen  Sohn  und  setzt  ihn  aus.  Er  wird  von  einem  andern  aufgezogen. 
Nach  dem  Tode  seines  Vaters,  der  von  seiner  Existenz  nichts  ge- 
wusst  hat,  meldet  er  sieh  zur  Erbschaft  und  wird  von  seiner 
Mutter  und  der  Grossmutter  von  väterlicher  Seite  her  anerkannt. 
Das  Testament  des  Vaters  ist  nichtig.  Wie  verhält  es  sich  mit 
den  testamentarischen  Freilassungen?  Der  Jurist  antwortet  klipp 
und  klar:  testamentum  non  valere.  Darauf  folgt  aber  noch  ein 
Satz:  servi  autem  manumissi  si  per  quinquennium  in  libertate 
morati  sunt,  semel  datam  libertatem  inßrmari  contrarium  Studium 
favore  Jibertatis  est.  Was  soll  hier  das  Quinquennium?  Davon 
war  ja  in  dem  vorgetragenen  Fall  gar  nicht  die  Rede.  Ausserdem 
ist  der  Satz  in  mehr  als  einer  Beziehung  sprachlich  anstössig. 
Mommsen  wollte  contrarium  Studium  favore  libertatis  durch  Enien- 
dation  heilen,  indem  er  vorschlug:  contrarium  studio  libertatis. 
Aber  mit  kleinen  Mitteln  ist  hier  nicht  zu  helfen.  Auch  semel  data 
libertas    und    libertatem    infirmare    sind    bedenkliche    Ausdrücke*). 


')  Interpolationen  in  den  Pandekten,  Berl.  1887,  S.  94. 
■'')  Palingen.  I  p.  720.     Modest.  tVj-in.  80. 

^)  Palingen.  11  p.  49G,    l'lp.  frgm.  501:    hier  ist  nur  zu  viyinti  aureos  an 
gemerkt:  HS  IL 

^)  Siehe  auch  unten  S.  578. 


576  Bernhard  Kühler, 

Der    ganze  Satz    ist  Machwerk    der  Interpolatoren^),    ebenso    wie 
Ulp.  5,  2,  8,  17. 

Der  Auseinandersetzung  des  Ulpian  im  Titel  De  inofficioso 
testaniento  folgt  ein  Fragment  Modestins  (5,  2,  9):  Si  autem  intra 
quinquenniwni  egerit,  libeHates  non  competunt.  sed  Paulus  ait 
praestatwum  ßdei  commissas  libertates,  seilte  et  viginti  aureis 
et  in  hoc  easu  a  singulis  praestandis.  Den  Schlusssatz  von 
sdlicet  an  hat  Gradenwitz  verdächtigt''),  sicherlich  mit  Kecht. 
Zwar  der  Ausdruck  in  hoc  easu,  an  dem  er  in  erster  Linie  Anstoss 
nimmt,  ist,  wenn  auch  bedenklich,  so  doch  nicht  ausschlaggebend 
da  sich  auch  bei  Gaius  m  hoc  casu  (I,  139),  in  quo  casu  (IV,  78), 
77i  utroque  casu  (ITI,  179),  in  quibus  casibus  (IV,  53)  findet.  Wohl 
aber  ist  der  angehängte  Ablativus  absolutus  des  Gerundivums  jus- 
tinianisch^), und  sachlich  ist  der  Satz  anstössig.  Lenel  schliesst 
sich  hier  Gradenwitz  an*). 

Bei  Pap.  Dig.  4,  4,  31  heisst  es,  wenn  eine  Frau  nach  Antritt 
der  Erbschaft  wegen  ihrer  Minderjährigkeit  in  den  früheren  Stand 
eingesetzt  ist,  so  sollen  trotzdem  die  in  Erfüllung  eines  Fidei- 
commisses  von  ihr  vollzogenen  Freilassungen  ihre  Gültigkeit  be- 
halten: nee  erunt  cogendi  viginti  aureos  pro  liheHate  rciinenda 
d^pendere,  quam  iure  optimo  consecuti  videntur.  Gegen  die  Ent- 
scheidung ist  nichts  einzuwenden^),  auch  der  Ausdruck  scheint 
tadellos;  nur  erregen  wieder  die  20  Aurei  A'^erdacht.  Vielleicht 
bringt,  die  nächste  Stelle  Aufklärung  und  Lösung  des  Rätsels. 

Pap.  Dig.  40,  4,  47.  Cum  ex  falsis  codicillis  per  errorem 
Hberfas,  licet  non  debita,  praestita  tarnen  ab  herede  fui^set,  viginti 
solidos  a  singulis  hominibus  inferendos  esse  heredi  princeps  c07\sfituit. 
Es  entspricht,   so  viel  ich  weiss,    nicht  der  Gewohnheit  Papinians, 


')  Auch  Lenel  weist  ihn  dein  Trihonian  zu  Palinff.  II  p.  'ifiO.  Sc;u'v. 
frgm.  107. 

2)  a.  a.  0.  p.  94. 

2)  Kalb  Juristenlatein  p.  71.  78.     Roms  Juristen  p.  Gl.  139. 

*)  Paling.  T  j).  720,  Mod.  frgm.  80. 

^)  adrersus  vianumissum  nulla  in  integrum  restitutio  potest  locum  habere  l'Ip. 
Dig.  4,  3, 7,  pr.  Mehr  bei  Burchardi,  Die  Lehre  von  der  Wiedereinsetzung  in 
den  vorigen  Stand,  Kiel  1831  p.  140. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  577 

den  Kaiser  ohne  Namensnennung  einzuführen.  Welcher  Princeps 
mag  gemeint  sein?  Ist  die  Constitution  erhalten?  Allerdings;  sie 
ist  in  der  Glosse  des  Accursius  zu  unserer  Stelle  angeführt^).  Ge- 
meint ist  eine  Constitutio  Hadriani:  Cod.  Just.  7,  4,  2.  Imp.  Änto- 
ninus  A.  Valerio.  Quamvis  codicilli,  quibus  avunculo  defunctae 
legatus  esse  videaris,  falsi  pronuiitiati  sunt,  tarnen  si  ante  motam 
criminis  quaestionem  iustam  libeHatem  es  a  legatario  consecutus, 
posterior  eventus  non  infirmat  ita  datam  libertatem.  plane  secun- 
dum  divi  Hadriani  constitutionem  datur  heredi  viginti  aure&ru7n 
repetitio.  Also  Hadrian  hat  wirklich  bestimmt,  dass  für  jeden,  der  auf 
Grund  eines  falschen  Codicills,  ungültigen  Testamentes  u.  s,  w.  freige- 
gelassen  ist,  falls  die  Freilassung  gültig  bleibt,  dem  Erben  20  Aurei 
zu  zahlen  sind?  Alle  von  uns  verdächtigten  Stellen  sind  echt? 
Zum  Glück  hilft  uns  Accursius  mit  dem  Nachweis  einer  zweiten 
Stelle  aus  der  Klemme:  Tryph.  J)ig.  37,  14,  23,  1  cum  ex  falsis 
codicillis,  qui  veri  aliquo  tempore  crediti  sunt,  Jieres  ignorans  quasi 
ex fideicommisso  libertatem  servis  praestitisset,  rescriptum  est  a  divo 
Hadriano  liberos  quidem  eos  esse,  sed  aestimationem  sui  praestare 
debere.  Hier  hat  sich  der  Interpolator  wieder  einmal  durch  seine 
Flüchtigkeit  verraten,  und  damit  ist  der  Fälscher  ertappt.  Denn 
hier  haben  wir  den  echten  Wortlaut  der  Constitutio  Hadriani.  Der 
Kaiser  hatte  angeordnet,  dass  dem  Erben  die  aestimatio,  der  Wert 
des  freigelassenen  Sklaven,  um  den  er  ärmer  geworden  ist,  zu  er- 
setzen sei.  Normalpreise  aufzustellen  ist  erst  Sache  einer  späteren 
Zeit;  die  Normalpreise  für  Sklaven  stammen  von  Justinian.  Sie  sind 
an  sämtlichen  von  uns  aufgeführten  Stellen  interpoliert.  Papiuian 
hatte  an  der  zuletzt  erwähnten  Stelle  (Dig.  40,  4,  47)  vermutlich 
geschrieben:  aestimationem  servi  praestandam  esse  divus  Hadnanus 
rescripsit.  Nachdem  der  Interpolator  für  die  aestimatio  die  viginti 
aurei  Justinians  eingeschmuggelt  hatte,  empfand  er  Bedenken,  den 
Namen  des  Hadrian,  dessen  Reskript  er  gefälscht  hatte,  stehen  zu 
lassen.  Kurz  entschlossen  setzte  er  dafür  princeps  ein.  Der  Com- 
pilator,  der  den  Titel  7,  4  des  Codex  bearbeitete,  war  weniger 
skrupulös.     Ihm  kam  es  nicht  darauf  an,  dem  Hadrian  die  viginti 

')  Ich  verdanke  ihre  Kenntnis   der  Liebenswürdigkeit    meines    Freundes 
E.  Seekel,  dem  ich  auch  für  manche  andere  Auskunft  verpflichtet  bin. 

Festschrift    Vahlen.  Ol 


578  Bernhard  Kubier, 

aureoi^m  repetifio  unterzuschieben.  Uebrigens  hat  der  vorhergehende 
8atz  eine  merkwürdige  Aehnlichkeit  mit  den  oben  verdächtigten 
Worten  des  Scaevola.     Man  vergleiche 

Scaev.  Dig.  40,  4,  29  Cod.  7,  4,  2 

8em£l  datam  lihertatem  infir-  posterior    eventus    non 

mari  contraHum  Studium  favore  infirmat  ita  datam 

lihertatis  est  libertatem. 

Hiermit  können  wir  diese  Untersuchung  abschliessen.  Ueberall, 
wo  die  Zahlung  von  20  aurei  für  solche  Sklaven,  die  unrecht- 
mässig, irrtümlich  oder  sonstwie  aus  einer  Erbschaft  freigelassen 
sind,  angeordnet  oder  erlassen  wird,  haben  wir  Emblemata  Tri- 
boniani  anzunehmen').  Der  gewöhnliche  Preis  eines  erwach- 
senen männlichen  Sklaven  betrug  zur  Zeit  der  klassischen  Juris- 
prudenz in  Italien  lO(XX)  Sest.  Viel  wohlfeiler  waren  natürlich 
Knaben  und  Mädchen,  bei  denen  der  Käufer  die  Erziehungs- 
ko.sten  auf  den  Preis  schlagen  und  ausserdem  das  Risico  des  vor- 
zeitigen Todesfalles  in  Rechnung  l)ringen  musste.  So  erklärt  es  sich 
vielleicht,  dass  in  der  pompeianischen  Quittungstafel  vom  J.  61  n.  C'hr. 
zwei  pueri  für  die  geringe  Summe  von  1450  Sest.  verpfändet 
werden^).  Ebenso  erklärt  sich  die  Niedrigkeit  des  Preises,  über 
die  Friedländer  sich  wundert,  bei  Petron  c.  68,  wo  Habinnas 
seinen  musikalischen  Knaben  für  300  Denare  (1200  Sest.)  gekauft 
zu  haben  behauptet').  Aus  Dacien  kennen  wir  durch  die  sieben- 
bürgischen  Wachstafeln  folgende  Preise:  i.  J,  139  ein  sechsjähriges 
Mädchen  für  205  Denare  (820  Sest.),  i.  J.  142  ein  Knabe  für 
600  Den.  (2400  Sest.).  Hier  kommt  zu  dem  geringen  Alter  der 
Sklaven  noch  der  Umstand  hinzu,  dass  in  der  Provinz  die  Preise 
niedriger  sein  mochten.  Doch  ist  der  Preis  einer  ancilla,  die  in  Dacien 
i.  J.  160  für  420  Den.  (1680  Sest.)  verkauft  wird,  nicht  so  gar  weit  ver- 
schieden von  dem  der  ancilla  furtiva  zu 2000 Sest., den  wir  aus  denPan- 

')  Auch  in  der  Constit.  Gonstantini  von  317  Cod.  Just.  G,  1, 4,  pr.  quicunqtie 
fugilivum  servum  in  dotnum  vel  in  agrum  inscio  domino  eius  susceperit,  eutn  cum 
pari  alio  vel  vi  ff  int  i  solidis  reddat  werden  die  gesperrten  Worte  interpoliert 
sein.     Vgl.  Cod.  Theod.  4,  9  =  Just.  7, 10,  9. 

^  Vgl.  Eck  in  seiner  vortrefflichen  Besprechung  der  rrkunde  Ztsclir.  d. 
Savigny- Stiftung  IX  (1888)  j).  87. 

^)  treceuiis  nach  Coniectur:  retentis  die  lldsr. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  579 

dekten  kennen  gelernt  haben.  In  Seleucia  bei  Antiochia  am  Orontes 
wird  i.  J.  166  ein  siebenjähriger  Knabe  für  200  Denare  (800  Sest.) 
aus  der  Kriegsbeute  verkauft').  Von  den  Luxuspreisen  von  20000 
bis  zu  13  Mill.  Sest.,  wie  wir  sie  aus  Plin.  VII,  129,  Martial.  I, 
58  1;  II,  63;  III,  62,  1;  VIII,  13;  XI,  38;  70  und  Senec.  Ep.  27,  7 
kennen,  können  wir  für  unsern  Zweck  absehen.  Den  Sklavenkauf 
von  Askalon^)  lasse  ich,  weil  ins  vierte  Jahrhundert  gehörig,  un- 
berücksichtigt. 

III. 

Dass  die  Preise  der  Sklaven  in  der  Kaiserzeit  gestiegen  waren, 
dürfte  durch  unsere  Untersuchung  festgestellt  sein,  die  Gründe 
hiefür  waren  mannigfacher  Art.  Keineswegs  lag  es,  wie  Weber 
meint,  nur  daran,  dass  sich  die  Sklaven  wegen  der  Art  ihrer 
Wohnung  und  Pflege  nicht  hätten  vermehren  können.  Nach  Weber 
wohnten  die  Sklaven  kaserniert').  Aber  sein  Gewährsmann  Colu- 
mella  I,  6,  3  sagt  ja  gerade,  dass  sie  in  Cellae  wohnten,  und  dies 
wird  durch  andere  Zeugnisse  bestätigt^).  Im  Ergastulum  wohnten 
nur  die  vincti^).  Aber  auch  wenn  dem  nicht  so  gewesen  wäre, 
wie  hätte  man  den  geschlechtlichen  Verkehr  zwischen  Sklaven  und 
Sklavinnen  hindern  wollen  oder  können? 

quis  tarnen  adfirmat  nil  actum  in  montibus  aut  in 
speluncisf 

Setzte  man  doch  den  Sklavinnen  Belohnungen  auf  Geburten.  Die 
Ratschläge  des  Columella  dürfen  auch  nicht  ohne  weiteres  als 
Quelle  für  die  thatsächlichen  Verhältnisse  ganz  Italiens  angesehen 
werden.  Wir  haben  Quellenstellen  genug,  aus  denen  wir  sehen, 
dass  ein  eheartiges  Familienleben  der  Sklaven  nicht  selten  war  und 
von  vielen  Herren  geduldet,  ja  begünstigt  wurde®).     Eher- mochten 

1)  Schulten  im  Herrn.  XXXII  p.  273  ff. 

2)  U.  B.  M.  316. 

3)  Römische  Agrargesch.  S.  239.  272.     Wahrheit  VI  p.  65. 

*)  Juv.  XI,  151  suspirat  longo  non  visam  tempore  matrem  et  casulam  et 
notos  tristis  desiderat  haedos.     Vgl.  Marquardt  Privatleben*''  p.  175  N.  6. 

^)  Columella  a.  a.  0.;  Apul.  Apol.  c.  47. 

6)  Scaev.  Dig,  32,  41,  2.  Ulp.  Dig.  33,  7,  12,  7.  Vgl.  Walion  a.  a.  0.  III 
p.  57.  Auch  Inschriften  bestätigen  es.  Gibbon  cap.  II,  S.  41  der  Uebersetzung 
von  Sporschil.     Marquardt  Privatleben''*  p.  176  N.  10. 

37* 


580  Bernhard  Kühler, 

die  massenhaften  Freilassungen,  für  welche  auch  nach  den  Leges 
Aelia  Sentia  und  Fufia  Caninia  immer  noch  Spielraum  genug  blieb, 
die  Sklavenzahl  mindern  und  damit  zur  Preissteigerung  beitragen '). 
Die  unsinnige  Menge  der  Luxussklaven,  welche  man  in  der  Familia  ur- 
bana  gebrauchte,  entzog  gleichfalls  der  Landwirtschaft  nützliche  Kräfte. 

Doch  welches  auch  die  Gründe  des  Sklavenmangels  auf  dem 
Lande  sein  mochten,  es  konnte  den  Grossgrundbesitzern  nur  er- 
wünscht sein,  wenn  ihnen  die  Arbeit  freier  Leute  als  Aushülfe 
angeboten  wurde ''^).  Dass  sie  dabei  nicht  zu  kurz  kamen,  dafür 
wussten  sie  als  geschäftskluge  Römer  schon  zu  sorgen.  Ihr  Capital- 
besitz  verlieh  ihnen  von  vorne  herein  das  Uebergewicht  über  die 
armen  Colonen,  und  die  Rechtsordnung  that  das  ihrige,  ihnen  alle 
Handhaben  zu  bieten,  um  die  Pächter  zu  übervorteilen.  Die  zahl- 
reichen Stellen  der  justinianischen  Compilation,  an  denen  von  den 
Coloni  die  Rede  ist,  beweisen,  wie  verbreitet  diese  Art  der  Be- 
wirtschaftung im  Jahrhundert  der  Antonine  war^).  Sie  leliren  uns 
die  rechtsschwache  Stellung  des  Colonen  dem  „Dominus"  gegen- 
über kennen. 

Das  Regelmässige  war  eine  Verpachtung  auf  fünf  Jahre  ^). 
Blieb  der  Colone  nach  Ablauf  der  Frist  mit  Einwilligung  des 
Eigentümers  auf  der  Pachtung,  so  galt  der  Vertrag  als  still- 
schweigend (um  ein  Jahr?)  verlängert^).  Ein  einziges  Mal  begegnet 
in  den  Digesten  die  Teilpacht,  bei  welcher  die  Leistung  des  Pächters 
in  einer  Quote  der  Früchte  besteht  '^),  eine  Form  der  Pachtung,  die 

*)  Beachtenswert  ist  jedoch,  was  Seeck,  Gesch.  d.  Untergangs  d.  ant.  Welt^ 
p.  327  hierüber  sagt. 

^  Gibbon's  Behauptung  (p.  43  d.  Uebers.  von  Sporsch.),  auf  dem  Lande 
seien  Sklaven  die  wohlfeilsten  und  fleissigsten  Ackerwerkzeuge  gewesen,  ist 
schwerlich  richtig. 

')  „Der  Mittel-  wie  der  Grossbesitz  sind  mit  dem  Colonat  an  sich  ver- 
träglich und  haben  deren  Inhaber  zu  allen  Zeiten  vielfach  in  dieser  Form  die 
Bodenrente  gezogen."  Mommsen  Herrn.  XV  (1880)  409.  Vgl.  auch  Herrn.  XIX 
(1884)  4 10  ff. 

*)  Geis.  Dig.  47, 2,  68,  5.  Pap.  Dig.  50,8,  5,  pr.Frgm.Vat.  13  fere  =  Herrn. 
Dig.  19, 1,  49,  pr.  Ulp.  Dig.  12, 1,  4,  1.  19,  2, 13,  11.  Paul.  Dig.  19,  2,  24,  2.  24,  4. 
34,3,16.  45,1,89. 

5)  rip.  (Trib.V)  Dig.  19, 2, 13, 11.  14.     Cod.  Just.  4,  65,  16  (a.  260). 

c)  coloniiH  pnriiarius  Gai.  Dig.  19,2,25,6.  (('od.  .Just.  4,05,  18?). 


Sklavon  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  581 

wir  aus  Plinius  und  den  afrikanischen  Inschriften  besser  kennen. 
Sonst  finden  wir  bei  den  Juristen  nur  die  Verpachtung  gegen  einen 
bestimmten  Geldzins  (merces) ').  Doch  kann  in  dem  Pachtvertrage 
ausgemacht  werden,  dass  der  Eigentümer  einen  Teil  der  Früchte 
zu  einem  bestimmten  Preise  in  Zahlung  nehmen  soll*).  Die  ein- 
zelnen Zahlungen  heissen  pensiones^).  Wie  oft  im  Jahre  sie  zu 
leisten  waren,  wissen  wir  nicht.  Einmal  wird  als  Zahlungstag  der 
1.  März  genannt^).  Sonstige  Leistungen  der  Colonen,  wie  Hand- 
und  Spanndienste,  werden  in  den  Pandekten  nicht  erwähnt.  Weiter- 
verpachtung ist  gestattet  ^). 

Der  Eigentümer  hat  dem  Pächter  den  Grund  und  Boden  zur 
Bewirtschaftung  zu  überlassen  und  liefert  ihm  ausserdem  gewöhn- 
lich auch  das  Wohnhaus  (villa)'')  und  das  Instrumentum.  Dazu 
gehörten  die  Oel-  und  Weinfässer,  die  landwirtschaftlichen  Ma- 
schinen, wie  die  Oelpresse  (prelmn,  torcular,  trapetum),  ein  kost- 
bares und  kompliciertes  Bauwerk,  das  von  Vitruv  VI,  9,  3,  Plinius 
Nat.  Hist.  XVm,  317  und  Heron  Mechan.  III,  15,  20  (vgl.  auch 
Colum.  XII,  50)  beschrieben  wird  und  dessen  Teile  Ulpian  (Dig.  19, 2, 
19,  2)  nach  Neratius  aufzählt,  ausserdem,  wie  wir  bereits  sahen, 
Sklaven.  Alles  übrige,  z.B.  die  Beutel,  welche  zum  Oelpressen 
nötig  sind,  hat  der  Pächter  zu  beschaffen.  Reparaturen  der  ge- 
lieferten Gegenstände    sind  Sache    des  Eigentümers,    ausser    wenn 


1)  Lab.  Dig.  20,  G,  U.  Jul.  Dig.  7, 1,  34,  1.  Afr.  Dig.  19,  2,  33.  47,  2,  62,  8. 
Gai.  Just.  IV,  147.  Scuev.  Dig.  33,  7,  20, 1.  Pap.  Frgm.  Vat.  13.  UJp.  Dig.  5,  3,  29. 
19,2,15,2:  7.  19,3.  nummis  co/ere  Paul.  Dig.  47,  2,26, 1.  ad  pecuniam  numeratam 
conducere  Gai.  Dig.  19,  2,  25,  6. 

2)  Ulp.  Dig.  19,  2,  19,  3.     Vgl.  auch  Cod.  Just.  4,  65,  21. 

3)  Scaev.  Dig.  7, 1,  58,  pr.  33,8,23,3.  Ulp.  Dig.  11,  7, 14,  1.  (Pap.)  19,  2, 
15,4.  Paul.  Dig.  19,  2,  24,  2;  4.  54,  pr.  32,  27,  2.  33,  7,  18,  4.  46,  1,  58,  pr. 
49, 14, 50. 

*)  Scaev.  Dig.  7, 1,  58,  pr.  dies  pecunianim  Colnni.  1, 7,  2.  Nach  Cincius  bei 
Laur.  Lyd.  de  mens.  4,  92  hiess  der  November  ursprünglich  Mercedonius;  h 
ft'jTijj  Y^p  '^'Jis  xTi^TOpatv  Ol  [Ata&ojTal  Tcts  zpoaoSo'j;  siarfspov  xoü  TcotpsXöovxos  x-j- 
xXou  eteptüv  xapTrdiv  au}}ts  sTrepj^ofjiEvtov. 

^)  Cod.  Just.  4,  6o,  G  (a.  224).  colonus  coloni  Paul,  zu  Lab.  Dig.  43,  16,  20. 
cf.  Pomp.  Dig.  41,  2,  25,  1.    Paul.  Dig.  19,  2,  24, 1.  41,  2,  30,  6. 

«)  Alf.  Dig.,  2, 30, 4.    Gai.  Dig.  19,  2,  25,  3. 


582  Bernhard  Kühler, 

durch  Schuld  des  Pächters  etwas  beschädigt  ist').  Der  Pächter 
hat  den  Acker  gehörig  zu  bebauen")  und  alles  so  zu  erhalten, 
wie  er  es  übernommen  hat').  Für  pünktliche  Erfüllung  der  im 
Vertrage  ausbedungenen  Leistungen  hat  der  Eigentümer  eine 
Garantie  durch  das  ihm  zustehende  Pfandrecht  an  den  dem 
Pächter  gehörigen  Sachen*)  und  den  Früchten^).  Zum  Schutze 
des  Pfandrechtes  an  den  invecta  et  illata  gegen  den  Pächter 
war  ihm  das  Interdictum  Salvianum  *)  und  gegen  Dritte  die 
actio  Serviana')  gegeben.  Daneben  kommt  auch  Sicherung  durch 
Bürgen  vor*),  wiewohl  seltener,  aus  naheliegenden  Gründen.  Das 
Rechtsverhältnis,  welches  zwischen  Eigentümer  und  Pächter  l)e- 
steht,  beruht,  wie  dasjenige  zwischen  Hausbesitzer  und  Mieter,  mit 
dem  es  in  den  Quellen  häufig  verglichen  wird"),  auf  einem 
Consensualvertrage,  locatio  conductio  genannt '°).  Dieser  steht  „nicht 
unter  der  Herrschaft  der  Fides,  d.  h.  die  Contrahenten  sind  sich 
nicht    besondere    Treue    und    Brüderlichkeit    schuldig.     Es    gelten 


^)  Ulp.  Dig.  19,2,  19,  2.  Cod.  Just.  4,  65,  20,  wonach  auch  der  Erbe  des 
Colonen  haftet. 

^  colere  ut  oportet  Paul.  Dig.  10,  2,  54,  1.  omnia  secundum  legem  con- 
ductionis  facere  Gai.  Dig.  10,  2,  25,  o. 

^)  Er  soll  nicht  inlempestiva  cultura  fundum  detcriorem  facere  Gai.  Dig. 
19, 2, 25,  3. 

*)  invecta  et  illata  {importata)  Lab.  Dig.  20,  (>,  14.  Jul.  Dig.  43,  33,  1. 
Pomp.  Dig.  20,  2,  7.  Gai.Dig.  20,4,  11,2.  Inst.  IV,  147.  Ulp.  Dig.  11,7,  14,  1. 
19,  2,  13,  11.  Cod.  Just.  4,  65,  5.  Anders  Pernice  Ztschr.  d.  Sav.-Stiftg.  XIX 
(1898)  91. 

»)  Afr.  Dig.  47,  2,  6  2,  8.    Gai.  Dig.  20,  4,  11,  2.    Pomp.  Dig.  20,  2,  7. 

6)  Gai.  Inst.  IV,  147.  Pernice  Ztschr.  d.  Sav.-Stiftung  IX  (1888)  208.  Herzen, 
Origine  de  I'hypotheque  Romaine,  Paris  1899,  p.  109ff. 

0  Just.  Inst.  IV,  6, 7. 

*-)  fideiussores  Pap.  Dig.  46, 1,  52,  2,  Paul.  Dig.  46, 1,  58,  pr.  47,  2,  8G. 

s)  colonus  vel(et)  inquilinus  Gai.  Dig.  19,2,  25,2.  Inst.  IV,  153.  Ulp.  Dig.  11,  7, 
14, 1.  43,  26,  6,  2,  (Trib.?)  50, 15,  4,  8.  Paul.  Dig.  10,  2,  24,  2.  41,  3,  31,  3.  Vgl. 
ausserdem  Lab.  Dig.  43, 16,  20.  Pomp.  Dig.  41,  2,  25,  1.  Gai.  Dig.  19,  2,  25,  1. 
Ulp.  Dig.  19, 1, 13,  30.  43,  32,  1,1.  Marcian.  Dig.  41,  2,  37. 

'0)  lex  locationis  Scaev.  Dig.  19,  2,  61,  pr.  Ulp.  Dig.  19,  2,  9,  3.  lex  con- 
ductionis  Gai.  Dig.  19,  2,  25,  3.  Ulp.  Dig.  19,  2,  15,  1.  forma  locationis.  Ulp.  Dig. 
24,  8,  7,  3.  agere,  teneri  ex  localo  Gai.  Dig.  10,  2,  25,  5.  l'lp.  Dig.  9,  2,  27,  1 1 
=  coli.  12,  7,  9.  Dig.  19,  1,  13,  30.  19,  2,  19,  2.  Paul.  Dig.  12,  2,  28,  6.  cf.  Jul. 
Dig.  2, 14,  56.  Senec.  de  benef.  VI,  4,  4. 


Sklaven  und  Coloueii  in  der  römischen  Kaiserzeit.  583 

vielmehr  beim  Abschluss  der  Verträge  alle  Vorteile" ').  Diese 
pflegen  aber  zumeist  auf  Seite  des  wirtschaftlich  Starken  zu  sein, 
zumal  wenn  er,  wie  im  alten  Rom,  noch  durch  die  Rechtsordnung  in 
jeder  Beziehung  unterstützt  wird.  Der  Pächter  hat  gegen  den  Eigen- 
tümer ein  obligatorisches  Recht  auf  Erfüllung  des  Vertrages,  nichts 
weiter,  kein  dingliches  Recht,  keinen  Besitzschutz,  weder  gegen 
den  Eigentümer  noch  gegen  Dritte.  Zwar  besitzt  er  den  Fundus 
natunditer'^)',  aber  das  hilft  ihm  wenig.  Civiliter,  worauf  es  allein 
ankommt,  besitzt  er  ihn  nicht  für  sich"),  sondern  nur  für  den 
Eigentümer*),  hierin  völlig  gleich  dem  Sklaven*).  Für  den  Eigen- 
tümer hält  er  auch  die  Grunddienstbarkeiten  aufrecht,  indem  er 
sie  ausübt ").  Seine  Stellung  dem  Eigentümer  gegenüber  ist  daher 
durchaus  precär.  Dieser  kann  ihn  jederzeit  vom  Fundus  vertreiben. 
Wollte  er  versuchen,  Widerstand  zu  leisten,  so  würde  ihm  das 
nichts  nützen;  denn  der  Eigentümer  hat  gegen  ihn  das  Interdictum 
uti  possidetis,  das  Interdictum  unde  vi  und  die  Reivindicatio  ^). 
Will  er  sein  Recht  auf  prozessualem  Wege  erstreiten,  so  steht 
ihm  kein  anderes  ]\echtsmittel  zu  Gebote,  als  die  Actio  ex  con- 
ducto ,  mit  welcher  er  aber  auch  nicht  die  Wiedereinsetzung  in 
den  Fundus,  sondern  im  besten  Falle  die  Entschädigung  in  Geld 
erzwingen  kann*),  ^'icht  einmal  die  Früchte,  die  er  selbst  gross- 
gezogen hat,  erwirbt  er  nach  der  Trennung  durch  einseitige  Besitz- 
ergreifung, sondern  strenggenommen  nur   durch  Uebergabe  seitens 

')  Pernico  Lal)eo  1  p.  454.  Dort  aucli  die  Belege,  namentlich  Paul.  Dig. 
19,  2,  22,  3. 

2)  Jul.  Dig.  41,  5,  2, 1.  Ulp.  Dig.  10,  3, 7, 11. 

^)  coloni  quamvis  clomini  non  sint  Ulp.  Dig.  47,  2,  14,  2.  colonus  qui  nee  vivo 
nee  mortuo  domino  ullam  possessionem  habet  Jnl.  Dig.  41,  3,  33,  1.  cf.  l'lp.  Dig. 
43, 26,  6, 2. 

^)  Lab.  Dig.  1»,  2,  60, 1.  Pomp.  Dig.  41,  2,  25, 1.  Afr.  Dig.  41,  2,  40, 1.  Gai. 
Inst.  IV,  153.  Pap.  Dig.  41,  2, 44,  2.  Ulp.  Dig.  43, 16,  1,  22.  Paul.  Dig.  41,  2,  3,  8 ; 
12.  30,5. 

*)  nee  inier  colonum  et  servum  nostrum,  per  quem  possessionem  retinemus,  quic- 
quam   interest  Pomp.  Dig.  41,  2,  25.  1. 

«)  Scaev.  Dig.  8,  6,  20,  Ulp.  Dig.  43, 19,  1,  7;  11.  3,4. 

0  0.  Fischer,  Soll  Kauf  Pacht  und  Miethe  brechen  ?  Berlin  u.  Leipzig 
1888  p.  7.     Windscheid  Pand.  §  400,  7. 

«)  Cod.  Just.  4, 65, 15  (a.  259). 


584  Bernhard  Kühler, 

des  Eigentümers,  wofür  aber  in  praxi  das  percipeve  ex  wluntate 
dovdni  eintritt  ^).  Denn  auch  die  Früchte  fallen  mit  der  Separation 
in  das  Eigentum  des  Dominus. 

Etwas,  wenn  auch  nicht  viel,  besser  ist  der  Pächter  gegen 
Dritte  geschützt.  Gegen  diese  hat  er  wenigstens  diejenigen  Rechts- 
mittel, die  jedem  Interessenten  gegeben  sind,  nämlich  das  Inter- 
dictum  quod  vi  aut  clam  auf  Ersatz  wegen  Beschädigung  der 
Früchte  oder  des  Grundstücks"-')  und  die  actio  furti  auf  Privat- 
strafe wegen  Entwendung  der  Früchte"^).  Aber  in  allen  übrigen 
Fällen  ist  er  für  den  Schutz  seiner  Interessen  auf  den  Dominus 
angewiesen.  Nur  dieser  hat  als  Besitzer  die  Besitzstörungsklagen*), 
als  Eigentümer  ausser  den  Klagen  wegen  Entziehung  und  Störung 
des  Besitzes  die  dem  Eigentümer  als  solchem  zustehenden  Rechts- 
mittel, nämlich  die  Condictio  furtiva  auf  Herausgabe  der  Früchte  ^) 
und  die  Actio  legis  Aquiliae  wegen  Sachbeschädigung.  Es  ist  eine 
bemerkenswerte  Ausnahme,  dass  wegen  Beschädigung  der  Saat  auch 
dem  Pächter  eine  Klage  (actio  in  factum)  gegeben  ist*^). 

Aus  alledem  geht  nun  schon  zur  Genüge  hervor,  wie  ab- 
hängig der  Pächter  vom  Dominus  ist.  Es  ist  daher  keineswegs 
verwunderlich,  dass  er  so  häufig  mit  dem  servus,  mlicus,  actor 
verglichen  wird').  Hat  er  auf  dem  Grundstück  Veränderungen 
vorgenommen,  durch  welche  der  Nachbar  geschädigt  wird,  so  rechncji 
die  Juristen  immer  mit  dem  Fall,  dass  er  iussu  domini^),  volente 
domino,  ex  vohmtate  domini  ^)  gehandelt  hat.  Dass  in  diesem  Falle  der 


1)  Afr.  Dig.  47,  2,  62,  8.  Llp.  Dig.  39,  5,  6.  Fischer  a.  a.  0.  p.  9. 

•')  Cels.  bei  Ulp.  Dig.  9,  2,  27, 14.  cf.  43,  24,  11, 12.  Ven.  Dig.  43,  24, 12. 

3)  l'lp.  Dig.  47,  2, 14,  2.  Paul.  Dig.  47,  2,  26,  1.  83. 1.  Auch  wegen  Haus- 
friedensbruches kann  er  klagen,  L'lp.  Dig.  47, 10,  5, 4. 

*)  Lab.  Dig.  43,  IG,  20.  Ulp.  Dig.  43, 1«,  1,  22.  cf.  §  10. 

*)  Lab.  Dig.  19, 2,  60, 5. 

«)  Cels.  bei  Ulp.  Dig.  9,  2,  27,  14. 

^)  servus  vel  colonus  Pap.  Dig.  41,  2,  44,  2.  Ulp.  Dig.  43, 16,  1,  22.  43, 19, 
3,4.  Paul.  Dig.  41,2,3,8;  12.  colonus  vel  servi  domini  Marcian.  Dig.39,  4,  16,  lU 
colonos  et  inquilinos  aut  servos  nostros  Pomp.  Dig.  41,  2,  25,  1.  colonus  vilicusque 
Martial.  II,  11,  9.  vilicus  aut  colonus  Martial.  VII,  31,  9. 

8)  Lab.  bei  Paul.  Dig.  39, 3,  5.  Jul.  bei  Ulp.  Dig.  43,  24,  13,  7. 

9)  Ulp.  Dig.  43, 24, 13, 6. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  585 

Eigentümer  mit  haftet,  ist  selbstverständlich.  Aber  auch  wenn  der 
Colone  ohne  Wissen  nnd  Willen  des  Herrn  gehandelt  hat  und  z.  B. 
dem  Nachbar  Wasserschaden  verursacht  hat,  so  kann  doch  nur  der 
Eigentümer  mit  der  Actio  pluviae  arcendae  belangt  werden,  qida  Is 
solus  restituere  potest^\  während  der  Colone  durch  das  Interdictum 
quod  vi  aut  clam  zur  Leistung  der  Kosten  der  AViederherstellung  und 
des  verursachten  Schadens  genötigt  wird.  Es  wird  ferner  der  Fall  an- 
geführt, dass  der  Colone  einen  Baum,  der  zwischen  ihm  (resp.  seinem 
Dominus)  und  dem  Nachbar  streitig  ist,  umgehauen  hat  ^).  Dass  hier 
der  Pächter  ohne  Befehl  des  Eigentümers  handelte,  wird  sehr  selten 
vorgekommen  sein.  Denn  es  war  ihm  streng  verboten.  Bäume,  Wein- 
stöcke u.  s.  w.  abzuhauen,  widrigenfalls  ihn  der  Eigentümer  mit  nicht 
weniger  als  fünf  Klagen  belangen  konnte:  ex  locato,  de  arboribus 
succisis,  arborum  furtim  caesarum*),  ex  lege  Aquilia,  interdicto  quod 
vi  aut  clam*).  Wenn  er  etwas  von  dem  Grundstücke  entfernt,  so  stehen 
dem  Eigentümer  drei  Klagen  gegen  ihn  zu,  die  Condictio,  die  Actio 
furti  und  die  Actio  ex  locato*).  Wenn  er  die  Früchte  am  Baum  ver- 
kauft und  der  Käufer  sie  heimlich  fortbringt,  macht  er  sich  der  Ent- 
wendung (furtum)  schuldigt);  desgleichen,  wenn  er  selbst  die  abge- 
ernteten Früchte  heimlich  vom  Gute  fortbringt,  da  sie  ja  dem  Eigen- 
tümer verpfändet  sind.  Er  haftet  für  jeden  Schaden,  der  durch  seine 
1^'ahrlässigkeit  (culpa)  verursacht  wird'').  Für  Schaden  dagegen, 
der  durch  unvorhergesehene,  namentlich  natürliche  Ereignisse  ent- 
steht (damnum  fatale),  soll  der  Dominus  aufkommen.  Hier  ist  es 
nun  schwer,  die  Grenze  zu  ziehen.  Als  Beispiele  des  Schadens, 
der  den  Dominus  trifft,  werden  angeführt:  Ueberschwemmung, 
Vogelfrass  (Krähen,  Staare),  feindlicher  Einfall,  Erdrutsch,  Korn- 
brand (uredo),  übermässige  Hitze,  Erdbeben;  wenn  dagegen  der 
Wein  sauer  geworden  ist,    die    Saat  durch  Würmer  (raucae)    oder 


1)  Ulp.  (Jul.)  Dig.  39,  3,  4,  2.    Paul.  (Lab.)  Dig.  39,  3,  5. 
■-)  Jul.  bei  Ulp.  Dig.  43,  24, 13,  7. 
3)  S.  Lenel  Paling.  I  p.  217  N.  2. 
*^  Gai.  Dig.  19,  2,  25,  5.  47,  7,  9.  Paul.  Dig.  12,  2,  28,  6. 
=•)  Paul.  Dig.  44,  7,  34,  2. 
«)  Afr.  Dig.  47,  2,  62,  8. 

0  Alf.  Dig.  19,  2,  30,  4.  Gai.  Dig.  19,  2,  25, 4  ff.  Llp.  Dig.  9,2,27, 11  =  coli. 
12,  7,  9.     Dig.  19,  2,  9,  3.  coli.  12,  7,  7.  Cod.  Just.  4,  65,  28  (a.  294). 


586  Bernhard  Kühler, 

Unkraut  (herbae)  verdorben  ist,  vorbeimarschierende  Truppen  ans 
Mutwillen  (per  lasciviam)  etwas  geraubt  haben'),  soll  den  Schaden 
der  Colonns  tragen.  So  Servius  Sulpieius  nach  dem  Referat  bei 
Ulpian*).  Auch  Gaius  im  zehnten  Buch  zum  Provincialedict^) 
sagt,  aus  t'i^  muior,  quam  Graeci  Osou  ßtav  o.ppellant,  solle  dem 
Pächter  kein  Schaden  erwachsen,  fügt  aber  hinzu:  alioquin  modicuvi 
danmum  aequo  animo  ferre  debet  colonus^  cid  immodicum  hierum  (!) 
non  aufertur.  Durch  diese  Worte,  wenn  sie  wirklich  von  Gaius 
sind^),  wird  wieder  alles  in  Frage  gestellt.  Mit  dem  imniodictitn 
luci'um  war  es  nach  allem,  was  wir  wissen,  so  weit  nicht  her. 
Und  was  ist  modwum  damnum?  .Gehört  dazu  Missernte?  Nach 
Papinian  konnte  der  Eigentümer  wegen  Missernte  (sterilitas)  die 
Pacht  eines  Jahres  erlassen;  folgten  dann  aber  gute  Jahre,  so  konnte 
er  den  erlassenen  Pachtzins  nachfordern^).  Alles  in  allem  scheint  es, 
dass  die  'Herren'  mit  Härte  auf  ihrem  Rechte  bestanden.  Dies 
Recht  aber  war  fast  unumschränkt.  Für  jede  Uebertretung  des 
Contractes  durch  den  Colonen  standen  den  Herren  eine  ganze  Reihe 
von  obligatorischen  und  dinglichen  Klagen  zu  Gebote;  der  Colone 
gegen  den  Herrn  hat  immer  nur  die  obligatorische  Actio  ex  conducto. 
Die  Entscheidung  über  Damnum  und  Vis  maior  wird  wohl 
meist  zu  Ungunsten  des  Pächters  ausgefallen  sein;  sein  rechtlicher 
Anspruch  auf  Erlass  der  Pacht  (^remissio)  war  gering^).     Bei  Fest- 

^)  Cod.  Just.  4,  65, 12  (a.  245j.  Vgl.  die  phrygische  Inschrift  bei  Anderson, 
Hellenic  Studies  vol.  XVIII  (1897)  p.  418  und  Schulten  Bull.  Archeol.  Gennan. 
XIII  (1898)  p.  232,  und  das  Edict  von  Scaptoparene  Mitth.  d.  ath.  Instituts  XVI 
p.  267. 

■^  Dig.  19, 2, 15,  2.    Heuschreckenfrass  Cod.  .Just.  4, 65, 18  (a.  290). 

3)  Dig.  19, 2, 25,  6. 

*)  Oder  spielen  vielleicht  griechische,  bez.  asiatische  Verhältnisse  hinein? 
—  Modicus  in  der  Bedeutung  „klein"  erfordert  eine  besondere  rntersuchung. 
Non.  p.  342  il.  modicum  in  consuetudine  pausillum  videmus  significare;  modicum 
veteres  moderatum  et  cum  modo  dici  volunt.  cf.  p.  520.  Serv.  Dan.  jid  (ieorg.  I,  177. 
Henues'  modicas.  Por[>li.  ad  Mor.  Od.  1,20,1  videtur  modicum  pro  parro  positum; 
quod  quidam  negant  existimantes  modicum  n  modo  dici  et  significalionem  habere  eius, 
ijuod  Oraece  jji^Tpiov  dicitur.  Isid.  Orig.  X,  172  modicus  parrus,  sed  afmsire,  ceterum 
rationabilis.     cf.  XVI,  26,  10. 

S)  Bei  Ulp.  Dig.  19,  2, 15, 4.     Vgl.  Cod.  Just.  4,  65, 8  (a.  231). 

^)  Ein  solcher  wird  allerdings  von  Alexander  Sevenis  Cod.  4, 65, 8  zu- 
gestanden, aber  stark  verclausuliert.     Vgl.  auch  Cod.  4,  65, 19. 


Sklaven  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit.  587 

Setzung  des  Pachtzinses  wird  man  bis  zur  äussersten  Höhe  der 
Leistungsfähigkeit  des  Gutes  gegangen  sein^).  ])ie  Folge  von  alle- 
dem war,  dass  die  Pächter  in  den  seltensten  Fällen  den  Zins 
pünktlich  und  voll  zahlen  konnten^).  Die  Rückstände  (^reliquii) 
die  wir  aus  der  velleiatischen  Tafel  kennen  gelernt  haben,  begegnen 
in  den  Pandekten  so  oft,  dass  man  annehmen  muss,  sie  hätten  sich 
von  selbst  verstanden').  Sie  hatten  für  den  Eigentümer  denselben 
Wert,  wie  der  Wechsel  des  Leutnants  für  den  Wucherer.  Sie 
waren  das  Mittel,  mit  dem  er  den  Colonus,  der  ihm  ursprünglich 
nicht  rechtsunterworfen  war^),  ganz  und  gar  in  seine  Gewalt  bekam. 
So  lange  die  Pacht  nicht  abgezahlt  war,  blieben  ihm  die  Sachen 
des  Colonus  verpfändet,  konnte  also  dieser  die  Pachtung  nicht  ver- 
lassen, es  sei  denn,  dass  er  Caution  stellte*),  was  ihm  aber  wohl 
nur  in  den  seltensten  Fällen  möglich  war*^).  Hieraus  erklärt  es 
sich  auch,  dass  man  dem  Legate  eines  Fundus  instructus  die 
Reliqua  colonorum  ausdrücklich  hinzufügte,  üeber  die  Coloni  selbst 
konnte  man  nicht  letztwillig  verfügen,  denn  sie  waren  dem  Rechte 
nach  frei,  wohl  aber  über  ihre  rückständigen  Pachtgelder,  durch 
welche  sie  selbst  an  das  Gut  gefesselt  waren.  Wären  sie  nach  dem 
Tode  des  Erblassers  abgezogen,  hätte  der  Vermächtnisnehmer  erst 
neue  Coloni  ansetzen  und  mit  dem  Instrumentum  ausstatten  oder 
gar  ein  paar  Dutzend  teure  Sklaven  kaufen  müssen,  so  hätte  er  in 
den  meisten  Fällen  wahrscheinlich  mehr  Betriebscapital  in  das  Gut 
stecken  müssen,  als  das  ganze  Gut  wert  war.  In  den  Reliqua 
colonorum    also    liegen    die  Keime  des  an  die  Scholle  gebundenen 

^)  Man  vergleiche  die  Schilderung  bei  Augustin  Epist.  247  (Migne  33,  1062) 
und  Joh.  Chrysost.  in  Matth.  Hom.  61,3  (Migne  58,  591). 

2)  Plin.  Epist.  III,  19.  IX,  37.  X,  8. 

3)  reliqua  colonorum  Jav.  Dig.  34,  3,  17.  Scaev.  Dig.  33,  2,  32,  7.  33,  7,  27,  2. 
Pap.  Dig.  32,  91,  1.  reliqua  irahere  Pap.  Big.  50,  8,  5,  pr.  reliqua  colonorum  et 
mancipia  Scaev.  Dig.  32, 101  =  Paul.  Dig.  32,  78,  3.  Scaev.  Dig.  33,  7,  27, 1.  cum 
suis  vilicis  et  reliquis  colonorum  Scaev.  Dig.  33,  7,  20,  pr.  cum  servis  et  omni  in- 
strumenta et  fructibus  et  rel.  col.  Scaev.  Dig.  33,  7,  27,  pr.  cutn  dotibus  et  rel.  col. 
Scaev.  Dig.  33,  7,  20,  1.  cum  dotibus  et  rel.  col.  et  vilicorum  et  mancipiis  Scaev.  33,  7> 
20,  3.  rel.  actorum  et  col.  Pa{>.  Dig.  32,  91,  pr.  Paul.  Dig.  32,  97. 

^)  colonus  noslro  iuri  subiectus  non  est  Gai.   Inst.  IV,  153. 

5)  Scaev.  Dig.  33, 7,  20,  3. 

«)  Vgl.  auch  Cod.  Just.  4,  65,  11. 


588    Bernhard  Kül»lor,   Sklavoii  und  Colonen  in  der  römischen  Kaiserzeit. 

Colonates,  wie  wir  ihn  in  den  Rechtsquellen  der  nachdiocletianischen 
Monarchie  ausgebildet  finden'). 

Es  hat  Jahrhunderte  gedauert,  bis  die  Entwickelung  vollzogen 
war  und  im  Reichsrecht  durch  kaiserliche  Constitution  ihre  gesetz- 
liche Sanction  erhielt;  aber  es  wäre  ein  Irrtum,  wenn  man  glauben 
wollte,  dass  Diocletian  oder  Constantin^)  oder  wer  es  sonst  gewesen 
sein  mag,  neue  Zustände  schuf,  als  er  die  Colonen  an  die  Scholle 
fesselte.  Die  Römer  hatten  wenig  Achtung  vor  der  Arbeit,  die  der 
Mensch  mit  seinen  Händen  leistet;  sie  hielten  sie  des  freien  Mannes 
für  unwürdig.  Bei  dem  Ackerbau  machten  sie  eine  Ausnahme: 
nihil  est  agri  cultura  meliiis,  nihil  uberius,  nihil  didcius,  nihil 
homine  lihero  dignius  sagt  Cicero  (de  off.  1, 151).  Aber  der  Versuch, 
auf  diesem  Felde  die  Arbeit  freier  Leute  mit  der  Sklavenarbeit 
konkurrieren  zu  lassen,  endete  mit  einem  elenden  Fiasco,  mit  der 
Knechtung  des  freien  Mannes.  Das  hatte  nicht  sowohl  die  Einfuhr 
des  Getreides  aus  den  Provinzen,  als  die  Macht  des  Capitals  und 
des  capitalistischen  römischen  Rechtes  zustande  gebracht. 


•)  Dies  hat  bereits  Fustel  de  Coulanges,  Le  colonat  Romain  in  Recherches 
sur  quelques  problemes  d'histoire,  Paris  1885,  p.  24  erkannt.  Es  soll  natürlich 
nicht  geleugnet  werden,  dass  auch  andere  l'instände,  wie  sie  in  der  umfang- 
reichen Litteratur  über  diesen  Gegenstand  dargestellt  sind,  zur  Ausbildung 
dieses  Rechtsinstitutes  mitgewirkt  haben.  Es  war  aber  bei  der  durch  den 
Zweck  dieses  Buches  gebotenen  Raumbeschränkung  nicht  möglich,  darauf  ein- 
zugehen. Nur  eins  sei  noch  bemerkt.  M.  Weber  hat  richtig  die  Analogie  der 
servi  terrae,  der  glebae  adscripti  mit  den  Decurionen  erkannt  —  die  betreffenden 
Quellenstellen  giebt  besser,  als  er,  Beaudouin  a.  a.  0.  j).  79,  2  —  er  hätte  aber 
nicht  sollen  Nov.  Maior.  7, 1  als  Beweis  anführen  ([).  206.  258).  Die  Curialen 
heissen  dort  nicht  seroi  curiae,  sondern  nertn  reipublicae.  Dass  dies  die  richtige 
Lesart  ist,  ist  über  allen  Zweifel  erhaben.  Der  Ausdruck  stammt  von  Cic.  de 
leg.  Man.  §  17,  wird  wiederholt  von  Ulp.  Dig.  48, 18,  1,  20,  und  dass  auch  Ma- 
iorian  so  und  nicht  servi  geschrieben  hat,  beweist  Cassiod.  Var.  IX,  18. 

-)  Vgl.  Hartmann,  lieber  den  römischen  Colonat  und  seinen  Zusammen- 
hang mit  dem  Militärdienst,  Arch.  epigr.  Mittheilg.  aus  Oestreich  XVIII  (18'J4) 
p.  125  ff.  Seeck's  Artikel  'colonus'  in  Pauly-Wissowa's  Realencyclopädie,  der 
mir  vom  Vf.  freundlichst  zugesandt  wurde,  kam  leider  erst  nach  Vollendung 
dieser  Studie  in  meine  Hände  und  konnte  daher  von  mir  nicht  mehr  berück- 
sichtigt werden. 


^^ 


XXXII. 
Johannes  Bolte. 

Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  ans 
dem  IG.  Jahrhundert. 


Obwohl  die  klassische  Renaissance  für  Frankreichs  geistiges 
Leben  keine  geringere  Bedeutung  hatte  als  für  Deutschland,  erfuhr 
doch  beim  üebergange  vom  jMittelalter  zur  Neuzeit  die  lateinische 
Schulkomödie  dort  weit  mindere  Pflege  als  bei  den  Nachbarn  im  Osten. 
Immerhin  gehen  die  Geschichtsschreiber  des  französischen  Dramas') 
über  dies  Gebiet,  wie  mir  scheint,  etwas  zu  rasch  hinweg.  Aus  dem 
von  ihnen  bei  seite  gelassenen  Materiale  greife  ich  eine  frische 
Pariser  Studentenkomödie  'Advocatus'  aus  dem  Jahre  1532  und 
sieben  1566 — 1568  von  Griaeus,  dem  Schüler  eines  Pariser 
Kollegs,  verfasste  dramatische  Exercitien  heraus,  um  jene  in  voll- 
ständigem Abdrucke^)  bekannt  zu  machen  und  von  den  andern 
Stücken  eine  kurze  Analyse  den  Lesern  dieser  Zeilen  vorzulegen. 
Als  passende  Umrahmung  dieser  Beispiele  einer  wenig  beachteten 
Entwicklungsreihe  füge  ich  ein  Verzeichnis  der  gedruckten  und 
handschriftlich  vorhandenen  lateinischen  Dramen  bei,  welche  im 
16.  Jahrhundert  auf  französischem  Boden  entstanden.  Die  Notizen 
dazu  sind  von  mir  schon  vor  zwölf  Jahren  gesammelt  und  werden 
sich    bei    weiterer  Umschau  auf  französischen  Bibliotheken  gewiss 


')  Vgl.  die  Bibliographie  von  Rigal  in  llistoire  de  la  langne  et  de  la  litte- 
rature  fran(,'aise,  publ.  sous  la  direction  de  L.  Petit  de  Julleville  3,318  (1897). 
Für  uns  kommen  besonders  in  Betracht  Cougny,  Des  representations  dra- 
matiques  et  particulierement  de  la  comedie  politique  dans  les  Colleges  (Memoires 
lus  a  la  Sorbonne  en  1867.  Histoire,  philologie  et  sciences  morales  p.  409 — 460), 
Faguet,  La  tragedie  franc^aise  au  16.  siecle  1883  p.  57 — 79,  Petit  de  Julle- 
ville, Les  comediens  en  France  au  moyen  äge  1885  p.  291 — 323:  'Les  ecoliers' 
und  Repertoire  du  theatre  comique  en  France  au  moyen  äge  1886;  ferner  P. 
L.Jacob  [Lacroix],  Bibliotheque  dramatique  de  Monsieur  de  Soleinne  1  (1843) 
und  Rahlmann,  Die  lateinischen  Dramen  1480 — 1550,  Münster  1893. 

'^)  In  den  von  Max  Tferrmann  herausgegebenen  Lateinischen  Litteratur- 
deukmüleru  des  15.  und  16.  Jahrhunderts,  Berlin  1900. 


592  Johannes  Bolte, 

noch  vermehren  lassen.  Absichtlich  übergehe  ich  die  Pariser  Nach- 
drucke biblischer  Komödien  der  Niederländer  Gnapheus')  und 
Crocus  und  die  'Comoedia  muta',  welche  Geiger'^)  einst  dem 
Guillaume  Farel  zuschreiben  wollte,  sowie  einige  handschriftliche 
Stücke  der  Pariser  Nationalbibliothek'),  die  augenscheinlich  nicht 
in  unsern  Zeitraum  fallen.  Dagegen  habe  ich,  der  Sitte  der 
französischen  Litterarhistoriker  folgend,  die  in  Douay,  also  ausser- 
halb des  damaligen  Frankreichs  erschienenen  Schauspiele  von 
Evrardus,  Hoius,  Gazaeus  und  Roulerius  aufgenommen. 

Selbstverständlich  ist  hiennit  nicht  die  gesamte  dramatische 
Produktion  der  französischen  Humanisten  dargelegt;  denn  wir  hören 
von  Aufführungen  mancher  lateinischen  Stücke,  die  für  uns  verloren 
sind.  So  Hess  der  berühmte  Grammatiker  Joh.  Despauterius 
(t  1520)  von  Schülern  ein  dramatisches  'Bellum  grammaticale'*) 
spielen;  der  Leiter  des  Pariser  Justizkollegs  Jean  Gallery  eigene 
Tragödien  und  Komödien  in  lateinischer  und  französischer  Sprache^), 
wie  auch  1573  Jean  Do  rat  die  lateinischen  Verse  zu  einem  Ballet 
verfasste,  das  in  den  Tuilerien  gespielt  wurde'').    Ebenso  gelangten 

1)  Gnapheus,  Acolastus  hsg.  von  J.  Bolte  1891  S.  XXVI  No.  32. 

2)  Archiv  für  Litteraturgeschichte  5,  543  (1876). 

')  Dialog  zwischen  Pilades  und  Horestes  (Mscr.  lat.  12440,  Bl.  43a; 
15.  Jahrh.);  Comoedia  sine  nomine,  sechs  Akte  in  Prosa  (Mscr.  lat.  81 G3: 
15.  Jahrh.  E.  Du  Meril,  Origines  latines  du  theatre  moderne  1848  j).  38).  Aus 
dem  17.  Jahrhundert  scheinen  zu  stammen:  Anarchia  Adolescentis  (im 
Mscr.  lat.  8438;  die  Legende  vom  Apostel  Johannes  und  dem  Jüngling,  der 
unter  die  Räuber  ging)  und  Passio  divi  Lamberti  (Mscr.  lat.  nouv.  acq.  131. 
Fünf  Akte  in  Versen  nebst  Nachspiel).  Ebenso  eine  Toulouser  Handschrift: 
'Soltanus  Pahar,  Sciecoggi  f.  Achebaiis  regis  Mogorum  N.  Iragoedia'  und  'Her- 
cules coelifer  tragicocomoedia' (Catalogiie  general  des  mscr.  des  bibl.  puld. 
des  departeraents  7, 490  No.  840).      - 

*)  Ballet  de  la  defaite  du  solecisme,  ou  les  Chevaliers  Preterit  et  Supiu 
repoussaient  l'assaut  des  princes  Solecisme  et  Barbarisino".  Desmaze,  L'uni- 
versite  de  Paris  1200-1875  (Paris  1876)  p.  26. 

')  Petit  de  Julleville,  Comediens  p.  315. 

^)  Magnificentissimi  spectaculi  descriptio,  Parisiis  1573.  22  Bl.  4°  (Ham- 
burg, Paris,  Petersburg);  vgl.  Dorat,  Oeuvres  poetiques  ed.  Marty-Laveaux  1875 
p.  LXXIIl.  —  Am  1.  Sept.  1572  ward  im  College  de  Navarre  eine  auf  die 
Pariser  Bluthochzeit  bezügliche  Tragödie  'Josua'  und  eine  Komödie  'Galatliea' 
dargestellt,  am  12.  Sept.  noch  andre  lateinische  Festspiele;  vgl.  die  Hs.  1117 
des  Innsbrucker  Ferdinandeums  und  Adam  Wolf,  Lucas  Geizkofler  1873  S.  70. 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.        593 

in  Bordeaux  lateinische  Stücke  von  Guillaume  de  Guerente 
(um  1540)  und  Jean  de  Niset  (1560  eine  allegorische  Komödie 
'Regnorum  integritas  concordia  retinetur')  zur  Darstellung^),  und 
in  Bothune*),  Saint-Omer^),  Lille^)  und  Cambrai^)  fand  die 
lateinische  Schulkomödie  gleichfalls  eifrige  Pflege.  Auffällig  ist  nur, 
dass  wir  von  Aufführungen  der  klassischen  Lustspiele  des  Plautus 
und  Terenz,  wie  sie  in  Ferrara  1499,  in  Metz  1502,  in  Löwen  1508, 
in  Deutschland  so  häufig  erfolgten^),  aus  dem  eigentlichen  Frankreich 
gar  nichts  hören.  Die  durch  einzelne  Ausschreitungen,  namentlich 
satirische  Durchhechelung  angesehener  Persönlichkeiten,  veranlassten 
Verbote  und  Massregelungen^)  beziehen  sich  wohl  durchgängig  auf 
französische,  nicht  lateinische  Fastnachtspossen,  bei  denen  die 
Studenten  seit  alters  mit  Vorliebe  mitwirkten. 


I.   Gedruckte  Dramen. 

1.  Galfredus  Pelri  aus  Bayeux  (um  1510):  P'ratris  Galfredi  Petri  Baioceii. 
Galli,  lectoris  sacraruin  literaruin,  De  vita,  ac  moribus,  atque  panis  miraculo  sancti 
Nicholai  de  Tollentiuo,  Comedia.  □  2  Bogen  8  **  o.  0.  u.  J.  (London). 
—  In  Prosa,  ohne  Aktabteilung.  Herausgeber  ist  der  Augustiner  Eduai-d 
Soppeth,  Drucker  R.  Pynson  in  London. 


1)  Gaullieur,  Histoire  du  College  de  Guyenne  1874  p.  254 — 259.  Petit  de 
Julleville,  Gomediens  p.  304.  309:  Theatre  comique  p.  395. 

''')  A.  de  la  Föns  Melicocq,  Memoires  de  la  soc.  des  antiquaires  de  la 
Morinie  20,  450-454  (1887).  Petit  de  Julleville,  Theatre  comique  p.  396f. 
Coruet,  Histoire  de  Bethune  2,  218  (1892). 

*)  Petit  de  Julleville,  Theatre  comique  p.  374. 

■*)  A.  de  la  Föns  Melicocq  1887  p.  451. 

^)  Durieux,  Le  coUege  de  Cambrai  1882  p.  20.  Petit  de  Julleville,  Theatre 
comique  p.  397. 

^)  Luzio-Renier,  Giornale  storico  della  lett.  ital.  11,  177  (1888).  Petit  de 
Julleville,  Theatre  comique  p.  356.  Macropedius,  Rebelles  und  Aluta  hsg.  von 
Bolte  1897  S.  VIP.  Holstein,  Die  Reformation  im  Spiegelbilde  der  dramatischen 
Litteratur  1886  S.  37. 

^)  Bulaeus,  Historia  universitatis  Parisiensis  5,  656.  761.  777.  782.  857 
(1670);  6,70.  186.  204.  330.  340.  526.  768  (1673).  Felibien,  Histoire  de  Paris 
2,728.  4,634.  645.  674.  744  (1725).  Dulaure,  Histoire  de  Paris  2,551  (1821). 
Jourdain,  Hist.  de  l'universite  de  Paris  1862—66,  Pieces  justificatives  p.  5. 
Bourchenin,  Etüde  sur  les  academies  protestantes  en  France  1882  p.  198.  361. 
Festschrift  Vahleu.  38 


594  Johannes  Bolte, 

2.  Remacins  Ardnenna  aus  Florennes  (1480—1524):  Remacli  Arduonne. 
floronatis  Palamedes.  17  Bogen  4  °  o.  J.  Gedruckt  bei  Gilles  de  Gourmont 
(Brüssel,  Haag,  Paris).  —  5  Akte  in  Prosa.  Die  Widmung  an  den  päpstlichen 
Legaten  Petrus  Gryphus  ist  datiert  'ex  museo  nostro  exiguo  London.  1512  Kai. 
Januariis.'  Argumentum :  'Venum  producit  Usus  mango  geminos.  Kmptor  ephebus 
[Palamedes]  Chrysi  victus  viribus  sortes  Fortune  consulit,  repcllitur.  Quare 
lamentis  se  dolentem  macerat,  donec  amici  [Phylotae]  nionitus  alloquio  recon- 
ciliatur  cum  Sophia    virgine.     Inde  Chrysum  simul  et  virginem  ducit  domum'. 

—  Vgl.  Biographie  nat.  de  Belgique  1,  365  (1866). 

3.  Alexander  Coniübertus  (1512):  Comoedia  nova  quae  Veterator  inscri- 
bitur  alias  Pathelinus,  ex  peculiari  lingua  in  Homanum  traducta  eloquium 
per  Alexandrum  Connibertum.  Parisiis,  Guill.  Ku[sta]che  [1512].  47  Bl.  8^  — 
0.  0.  u.  J.  [Paris,  Blanchet]  43  Bl.  8  "  (Haag).  —  Parisiis,  Simon  Colinaeus 
1543.  S'/s  Bogen  8  •'.  (Bern,  Kopenhagen,  Luzern,  Paris).  —  Ygl.  P.L.Jacob, 
Catalogue  Soleinne  1,  131  No.  673 — 675.  Schaumburg,  Zs.  f.  neufranz.  Spr. 
9,  46.     Banzer  ebd.  10,  103. 

4.  Joh.  Franciscus  Quintiauns  Stoa  aus  Brescia  (1484—1552):  Tragoedia 
de  passione  domini  nostri  Jesu  Christi,  que  Theoandrathanatos  inscribitur, 
Mediolani  per  Petrum  Märtyrern  Mantegatium  1508.  38  Bl.  4°  (London): 
Lugdimi,  Laur.  Hilarius  1515  (Göttingen):  Gandavi,  P.  Cesar  1518.  48  Bl.  8" 
(Brüssel):  in  J.  F.  Quintianus  Stoa,  Christiana  opera,  Parrihsii  in  edibus 
Johannis  petit  1514  Folio,  Bl.  9  a — 48  a  (Berlin,  Paris)  und  in  Christianae 
poeseos  opuscula  aliquot,  Basileae,  Oporiuus  1542,  p.  344—442  (Königsberg, 
London).  —  b)  De  extremo  Dei  iudicio  tragoedia,  quae  Theoer isis  inscribitur: 
in  seinen  Christiana  opera,  1514,  Bl.  78  a — 120  b.  —  Vgl.  Chassang,  Des  essais 
draraatiques  1852  p.  181. 

5.  Joannes  Rayisins  Textor  aus    Nevers    (Jean    Tixier    de    Ravisi,    1480 

—  1524):  Dialogi  aliquot,  o.  0.  und  J.  198  Bl.  8",  das  Privileg  des  Königs 
Franz  I.  ist  datirt  'Congnac  le  24.  iour  de  Feurier  1529  (zusammengebunden 
mit  einem  Theokrit  von  1531  in  München.  Auf  Bl.  196  a:  'Nicolaus  Reginaldus 
Ambianensis  candido  lectori.  Habes,  lector  caudide,  Joannis  Uauisij  Textoris 
aliquot  dialogos  e  numerosa  tot  tantarumque  editiomnn  turba  selectos').  — 
[Paris]  apud  Regln.  Chaudiere  in  insigni  hominis  silvestris  via  Jacobaea  1530 
(Besancjon).  —  Paris,  Chaudiere  1534  (Paris,  N'esoul).  —  Paris,  Joannes  Parvus 
1536  (Paris,  Cherbourg).  —  Paris,  Ambr.  Girault  1536  (Paris).  —  Paris,  Joa. 
Macaeus  1536  (Paris  bibl.  Mazarin).  —  Paris,  Mauricius  de  Porta  1542  (Paris 
Arsenal,  Carcassone).  —  Paris,  de  Mamef  1558  (Paris,  Troyes).  —  Antv.  1559 
(München,  Petersburg,  Trier).  —  Paris,  de  Mamef  et  Cavellat  1566  (Bayeux).  — 
Paris  1570  (Würzburg).  —  Paris,  IL  de  Marnef  1576.  —  ebd.  1580  (Frankfurt 
a.  M,,  Paris  Maz.,  Würzburg).  —  Paris,  Maur.  de  Porta  1582  (Paris).  —  o.  0. 
1592  (Tübingen).  —  [Genf]  J.  Stoer  1593  (Berlin,  London).  —  Coloniae  1595 
(Karlsruhe,    London,    Wernigerode,    Wien).  —  [Genf]    J.   Stoer    1600    (Krfurt, 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.        5Ö5 

Montbeliard,  München,  Münster,  Wien).  —  ebd.  1609  (Augsburg,  Petersburg, 
Stuttgart).  —  Basileae  1615  (Hamburg,  Stuttgart).  —  Col.  1616  (Dannstadt, 
Giessen,  Petersburg).  —  [Genf]  J.  Stoer  1626  (Zürich).  —  Roterodami,  A.  Leers 
1651  (Augsburg,  Besan^-on,  Chartres,  Kiel,  Kopenhagen,  München,  Paris  Ars., 
Stuttgart,  Würzburg).  —  o.  0.  u.  J.  (Chaumont).  —  Jean  Parradin  aus 
Louhans  übertrug  in  seiner  Micropaedie  (Lyon  1546)  den  Dialog  'Mors  et  Viator' 
in  französische  Verse:  ein  englischer  Anonymus  übersetzte  1537  den  Thersites 
(Dodsley-Hazlitt,  Old  english  plays  1.  1874),  Thomas  Ingelend  die  Komödie 
"Juvenis,  Pater,  Uxor'  als  'The  disobedient  child'  (Dodsley-Hazlitt  2)  ins  Englische. 

—  Vgl.  Massebiau,  De  Ravisii  Textoris  comoediis,  Paris  1878;  J.  Vodoz,  Le  theatre 
latin  de  Ravisius  Textor,  2  Progr.  Winterthur  1898—99  (dazu  Creizenach,  Zs.  f. 
französ.  Sprache  21,  188);  ferner  Cougny  1868  p.  413f.  und  Faguet  1883  p.  63. 

6.  Nicolans  Barptolemaens  (Barthelemy  aus  Loches,  1478  —  um  1535, 
Benediktinerprior  zu  Orleans) :  Christus  Xylonicus.  Parisiis,  Guill.  Bossozel 
1529.  4  Akte  in  Versen.  (Paris).  —  Parisiis,  Sim.  Colinaeus  1531.  öVg  Bogen 
8"  (Gent,  London).  —  Gandavi,  God.  Rode  1535.  9  Bogen  4  <>  (Gent,  Göttingen. 
Vanderhaeghen,  Bibliographie  gantoise  6,  6).  —  Busciducis,  G.  Hatardus  1537 
(Brüssel,  Dresden,  St.  Gallen,  Gent,  Leipzig  Univ.,  London,  Münster,  Paris, 
Zwickau).  —  Antverpiae,  Vidua  M.  Caesaris  1537  (Münster,  Oldenburg,  Paris). 

—  Coloniae,  J.  Gymnicus  1537  (Berlin,  Breslau,  Giessen,  Hannover,  Jena, 
Mainz,  Strassburg).  —  Antv.  1539  (Gent,  Haag).  —  Coloniae,  J.  Gymnicus  1541 
(Kopenhagen,  London,  München,  Münster,  Petersburg,  Stuttgart,  Würzburg).  — 
In  den  Comoediae  ac  tragoediae  ex  n.  et  vet.  testamento  desumptae,  Bas.  1541 
p.  450  (Augsburg,  Basel,  Breslau,  Haag,  London,  München,  Oxford,  Petersburg, 
Prag,  Tübingen,  W^olfenbüttel,  Würzburg,  Zittau,  Zürich,  Zwickau).  —  Coloniae 
1546.  —  Vgl.  Faguet  1883  p.  65;  auch  Nouvelle  biogr.  univ.  4,  621. 

7.  Georg  Buclianan  (1506—1582)  schrieb  zu  Bordeaux  in  den  Jahren 
1540 — 1543:  a)  Jephtes  sive  Votum  tragoedia.  Parisiis,  G.  Morelius  1554 
(London)  u.  ö.  Französisch  von  Claude  de  Vesel  1566,  Florent  Chrestien  1567, 
Pierre  de  Brinon  1613;  deutsch  von  Bitner  1569,  Steier  1571,  Titelius  1592, 
Dedeken  1595,  Nicephorus  1604;  englisch  von  Tait  1750,  Gibb  1870;  polnisch 
von  Zawicki  1587  bei  Wojcicki,  Bibl.  starozytna  1  (1843)  und  Bibl.  polska 
1,  97  (1855);  ungarisch  von  Hlyefalvi  1597.  —  b)  Baptistes  sive  Calumnia 
tragoedia.  Lutetiae  1564  u.  ö.  Französisch  von  R.  Brisset  1590,  P.  de  Brinon 
1614;  deutsch  von  Lobwasser  1583  und  einem  Anonymus  1585  (Heidelberger 
cod.  377);  englisch  1642  und  von  Gibb  1870;  niederländisch  von  Decker  1656. 

—  Vgl.  Ebert,  Entwicklungsgeschichte  der  französischen  Tragödie  1856  S.  88, 
Faguet  1883  p.  69  und  Bahlmann  1893  S.  82,  zu  dessen  Bibliographie  sich 
noch  manches  nachtragen  lässt. 

8.  Jacobns  Frachaens  aus  Saligny  (1550):  Latina  et  recens  comoedia, 
nostri  temporis  imaginem  ad  vivum  exprimens  eleganti  carmine  descripta. 
Jacobo  Frachaeo  Salligniensi  Borbonio  autore.  Lugduni,  apud  Sebast.  Gryphium 
1550.     40  S.  8».  —  Vgl.  Cat.  Soleinne  1,  83. 

38* 


596  Johannes  Bolte, 

9.  M.  Antonios  Mnretns  (1526—1585):  Julius  Caesar  tragoedia  [angeb- 
lich Burdigal.  1550]  iu  seineu  luvenilia  (Parisiis,  Vidua  M.  de  Porta  1552) 
p.  3 — 40  (Paris).  —  ebd.  1553  (Berlin,  London,  Paris).  —  Paris  1579  (Luzern, 
Upsala).  —  Bardi  Pomeran.  1590  (Augsburg,  Dresden,  Paris,  Rudolstadt, 
Stettin,  Stralsund,  Strassburg,  Weimar).  —  Kostochii  1591  (Haag,  Leiden, 
Strassburg).  —  Ilelmstadii  1623  (Bremen).  —  Lugd.  Bat.  1767  (Oldenburg, 
Strassburg).  —  An  Virdungs  Tragoediae,  Norib.  1609  (Bremen,  Zwickau).  — 
Französisch  von  Jacques  Grevin  1561.  —  Vgl.  Faguet  1883  p.  78.  Collischonn, 
J.  Grevins  Tragödie  Cäsar  in  ihrem  Verhältnis  zu  Muret,  Voltaire  und 
Shakespeare,  Marburg  1886, 

10.  Joannes  Calmus  aus  Sens  (1555)'):  Comoedia  recenter  edita,  autore 
Joanne  Calmo,  cui  nonnulla  per  eundeni  adiecta  sunt,  quae  non  parum  ad 
cognoscendara  &  scribendani  comoediam  conferunt.  Parisiis,  Apud  viduam 
Mauricij  ä  Porta  in  clauso  Brunello,  sub  signo  D.  Claudij.  1555.  4%  Bogen 
40  (Berlin).  —  Ebd.  llaeredes  M.  a  Porta  1558.  19  Bl.  4»  (Paris).  —  Vgl. 
Quicherat,  Histoire  de  Sainte-Barbe  1,  258  (1860).     Der  Prolog  lautet: 

Senex  habet  guatum  Cleophilus  Pamphilum, 
Quem  proventu  dotatum  ecclesiastico 
Lutetiam  ablegat,  suum  ut  artibus  bonis 
Excolat  animum.     Sed  tandem  fidicinam 
Nescio  quam  amens  amare  coepit  perdite. 
Quam  ut  uxorem  posset  habere,  sacerdotium 
Charino  eins  fratri  defert.     Intercipit 
Id  Bullivendus  et  curat  dandum  alteri. 
Ilinc  Chremes  generum  sibi  repudiat  Pamphilum, 
Qui  utraque  cella,  ut  aiuut,  excluditur. 
Sed  Bullivendus  argento  victus  bonum 
Interceptum  dolis  restituit  in  integrum. 
Optatara  Pamphilus  sie  ducit  coniugem. 

11.  Clandins  Rolllet  aus  Beaune,  Leiter  der  Kollegien  Bourgogne  und 
Boncourt  zu  Paris  (um  1510  —  um  1576):  Varia  poemata,  Parisiis,  Gal. 
lulianus  1556.  8  ■+•  150  Bl.  8°  (Antwerpen,  Augsburg,  Kiel,  München,  Paris, 
Petersburg).  Darin  stehen  die  Tragödien:  a)  Philanira  (französisch  von 
Roillet  selbst  1563);  b)  Petrus;  c)  Aman;  d)  Catharina.  —  Vgl.  Ebert 
1856  S.  163,  Tisserand,  Journal  de  la  soc.  de  la  morale  ehret.  8,  88  (1858), 
Faguet  1883  p.  74.  369. 


1)  Nach  Bulaeus  6,978  b  war  er  Professor  am  College  de  Sainte-Barbe 
und  Du  Plessis,  1545  l'niversitätsrektor.  Das  Stück  ist  zuerst  1554  'in  gyiu- 
nasio  Plessiaco'  aufgeführt. 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert,      597 

12.  Bernardns  Evrardas  aus  Armentieres  (1564);  Salomon  comoedia 
Sacra  ex  veteri  instrumento  desumpta  autore  Bernardo  Evrardo  Armenteriano. 
Duaci,  apud  Jacobum  Boscardum  1564.  28  Bl.  8 ".  —  Vgl.  Cat.  Soleinne 
1,  35  No.  221.     Faguet  1883  p,  65. 

13.  Carolns  Cfodranios  aus  Dijon  (um  1510— 1571):  Susannae,  Hclchiae 
Hliae,  tragica  comoedia,  heroicis  versibus  expressa,  ex  XIII.  Danielis  cap. 
Isabellae  Austrasiae  Francorum  Reginae  augustissimae  dicata,  Carolo  Godranio 
canonico  Divionensi  aiithore.  Divione,  Typis  lo.  des  Planches.  1571.  5V2  Bogen 
4  "  (Paris).     5  Akte  in  Hexametern  mit  Chören. 

14.  Andreas  Hoins  aus  Brügge  (1551 — 1631):  Matthaeus  et  Macha- 
baeus  sive  constantia,  tragoediae  sacrae.  Auetore  Andrea  Hoio  Brugensi. 
Acccssere  aliquot  auctoris  Elegiae  et  diversi  generis  poemata.  Duaci,  ex 
officina  loannis  ßogardi  1587.  71  S.  8 "  (Breslau,  Cassel,  Gent,  Ueidelberg, 
Paris).  —  ebd.  Balth.  Bellere  1595.  —  Vgl.  Duthilloeul,  Bibliographie 
Douaisiounc  1842  nr.  89  und  196. 

15.  Panag'ius  Salius  aus  St.  Omer  (Toussaints  du  Sei,  geb.  um  1555, 
gest.  1595):  Panagii  Salii  Audomareusis  Varia  poemata  (Parisiis,  ex  typ. 
Dionysii  a  Prato  1589)  enthalten:  'Nassovius  tragoedia',  die  von  dem  1584 
ermordeten  Wilhelm  von  Oranien  handelt.  —  Vgl.  Piers,  Biographie  de  la  ville 
de  Saint-Omer  1835  p.  68.  Cat.  Soleinne  1,  35  nr,  223. 

16.  (xuilielnius  Ciiazaeas  (Gazet  aus  Arras,  1554 — 1611):  Magdalis 
comoedia  Sacra,  authore  Guilielmo  Gazaeo  Ariensi,  paroeciae  d.  Magdaleues 
apud  Atrebates  pastore.  Duaci,  Joannes  Bogardus  1589.  86  Bl.  8 ''.  —  Vgl, 
Cat,  Soleinne  1,  35  nr,  226. 

17.  Adrianus  Roulerius  aus  Lille,  Geistlicher  des  Benediktinerklosters 
Marchiennes  bei  Douai  (1593):  Stuarta  tragoedia  sive  caedes  Mariae  sere- 
nissimae  Scotorum  reginae  in  Anglia  perpetrata,  exhibita  ludis  Remigialibus 
a  iuventute  gymnasii  Marcianensis.  Duaci,  Jac.  Boscard  1593.  8  +  31  Bl.  4*. 
—  Vgl,  Duthilloeul,  Bibliogr,  Douaisienne  1842  nr,  186.  Andre  Dramen  der- 
selben Schule  sind  nuten  nr.  29 — 30  verzeichnet. 

18.  Parabata  vinctus,  sive  Triumphus  Christi  tragoedia.  Lutetiae,  Apud 
Mamertum  Patissonium  Typographum  Regium.  In  ofticina  Roberti  Stephani. 
M.D.XCV^  Cum  privilegio.  8  +  33  Bl,  8 "  (Kopenhagen),  —  Der  ungenannte 
Verfasser,  der  hier  nach  dem  Vorbilde  des  äschyleischeu  Prometheus  den 
gefesselten  und  von  den  Engeln,  Hiob,  Moses,  Elias,  Johannes  dem  Täufer 
und  Gabriel  besuchten  Satan  vorführt,  datirt  seine  Widmung  an  die  Pariser 
Ratsherren  Jo,  Thumerius  und  Puteanus  aus  Tours  XllL  Kai.  Octbr.  1592. 

IJ).  Johannes  Jacoinotus  (Jacpiemot  aus  Bar-le-Duc;  geb.  um  1540,  gest. 
1609  oder  1615):  a)  Abrahamus  sacrificans,  tragoedia  gallice  a  Th.  Beza  iam 
olim  edita,  recens  vero  latine  a  loanne  lacomoto  Barrensi  conversa.  In:  Th. 
Bezae  Poemata  varia  1597  p.  283  —  343    (Dresden,  Genf,  London);    Genevae, 


598  Johannes  ßolte, 

Stoer  1599  (Berlin,  Genf):  ebd.  1614  (Genf,  Strassburg).  —  b)  Agrippa 
Ecclesiomastix,  tragoedia  auetore  Joanne  Jacomoto  Barrensi.  Genevae,  Matthaeus 
Berjon  1597.  95  Bl.  8°  (Berlin,  Bern,  Bremen,  Dresden,  Genf,  Kopenhagen, 
Leipzig  Stadtbibl.,  Petersburg).  Nach  Apostelgeschichte  Kap.  12.  — 
c)  Ehud  sive  Tyranuoktouos,  tragoedia.  [Lugduni,]  Joannes  Tornaesius 
1601.  8  Bl.  +  112  S.  8«  (Bremen,  Cassel,  Dresden,  Leipzig  Stadtbibl., 
Zwickau).  —  Vgl.  Faguet  1883  p.  67. 

20.  Federicus  Morellus  (1558—1630):  Alexander  Severus  Fed. 
Morelli,  Professoris  et  Iiitorprotis  Hegij,  Tragoedia  togata.  Lutetiae,  Apud  Fed. 
Morellum,  Architypographum  Kcgium.  CIO  IOC-  Ex  privilegio  Regis.  4  Bl. 
+  31  S.  8  0  (Marburg,  Paris). 


II.  Handschriftlich  erhaltene  Dramen. 

21.  Die  älteste  erhaltene  Dichtung  ist  ein  in  Hexametern 
geschriebener' Dialogus  super  abolitione  Pracmatice  sanctionis 
editus  cum  personatis  undecim  hie  loquentibus'  im  Mscr.  Fonds  lat. 
8402  der  Pariser  Nationalbibliothek  (12  Bl.  4").  Der  vermutlich 
dem  Universitätskreise  zugehörige  Verfasser  kämpft  für  die  Selb- 
ständigkeit der  gallikanischen  Kirche,  welche  durch  die  von 
Karl  VII.  1438  erlassene  pragmatische  Sanktion  begründet,  dann 
aber  1461  durch  Ludwig  XI.  trotz  des  Einspruchs  des  Parlaments 
und  der  Universität  aufgehoben  worden  war.  Eine  Vergleichung 
mit  der  1508  von  Pariser  Studenten  aufgeführten '  Moralite  du  nouveau 
monde' ')  würde  vielleicht  einen  inneren  Zusammenhang  beider 
Stücke  ergeben.  Jedenfalls  fällt  unser  Dialog  vor  den  Abschluss 
des  Konkordates  von  1516.  Die  Personen  sind  Sanctio,  Libertatis 
amor,  Universitas,  Praeco  veniarum,  Thurca,  eins  famulus,  Miles 
peccator,  eins  mater,  Ecclesia,  Populus  abusus.  Den  Anfang  macht 
Sanctio :  '  Quis  maiora  meo  patitur  contagia  morbo !  Quae  gi'aviora 
febris,  quae  deteriora  dabuntur  Vulnera'  .  .  . 

22.  Eine  im  Februar  1532  im  College  du  Maus  zu  Paris  auf- 
geführte 'Comoedia  Advocatus',  die  mit  derber  Laune  und 
gewandter  Charakterzeichnung  einen  Ehebruchshandel  vorführt, 
erwähne  ich  nur  kurz,  weil  ich  das  Stück  soeben  nach  der  Basler 
Handschrift  F.  VI.  47  besonders  herausgegeben  habe. 

')  Petit  de  Julleville,  Repertoire  du  theatre  comique  en  France  au  moyen- 
Age  1886  p.  87. 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem   16.  Jahrhundert.       599 

23 — 25.  Drei  hsl.  Komödien,  die  um  1533  in  einem  französischen 
Kolleg  entstanden,  sind  in  einem  Quartbande  der  Pariser  National- 
bibliothek (Fonds  lat.  8439)  erhalten: 

a)  Co  media  Mar  ab  ei  (Bl.  5  a  —  4ö  a),  5  Akte  in  Versen. 
Argumentum:  'Marabeus  inedia  propemodum  confectus  eo  usque 
paupertatis  redactus  est,  ut  victum  ostiatim  quaeritet.  Correptus  ab 
praofecto  multis  cum  fossoribus  ad  evacuandas  valli  Lutetiani  fossas, 
tanquam  ad  fustidinas  et  ferri  crepidinas  insulas  [Plaut.  Asin.  1, 
1,  21]  deducitur,  ubi  consilio  Macri  palatini  se  pestem  oppetere 
simulat.  Itaque  vinculis  solutus  relicto  Macro  socio  impune  abit. 
Ceterum  cum  nequeat  ab  pristino,  ut  fleri  assolet,  vivendi  more 
desistere,  mendicum  se  de  integro  praestat.  Cum  autem  aliquot 
emendicavit  elemosynas,  forte  fortuna  incidit  in  colloquium  cum 
Sophoclidista  palatina,  lena  Napea  simul  et  Ragotio,  quibus  summam 
fossoribus  inflatam  poenam  aperit.  Veruntamen  haud  procul  abest 
[Artemis]  lictor  [Rhadamanti]  praefecti,  cuius  nomine  solutus  tum 
abierat  Marabeus,  qui  colloquia  fusis  auribus  clanculum  excipit, 
tum  demum  eos  invadit  primumque  Marabeum  in  ergastulum,  inde 
ad  fossas  evacuandas  agit.  Praefecti  iussu  huic  adiungitur  Sopho- 
clidista palatina  vinculis  quoque  detenta.  Instat  Ragotius  subtiliter 
causam  agens.  Ad  extremum  Sophoclidista  palatina  precibus 
nobilium  dimittitur,  Napea  lena  cum  Marabeo,  quem  omnes  iure 
ludibrio  habent  tanquam  ignarum  et  sui  immemorem,  quod  denuo 
in  illud  periculum  inciderit,  [detinetur]'. 

b)  Comoedia  Lipocorduli  titulo  inscripta,  de  relictore 
cucullae,  1533  (Bl.  48b — 99a),  5  Akte  in  Versen.    Argumentum: 

Lipocordulus,  relictor  acceptae  prius 
Cucullae,  homo  cpiidem  taodio  aifectus  nimis 
Gravitate  oneris,  adivit  Eubulum,  fugam 
Postquam  arripuit  inde  ab  suo  coenobio, 
5     Petitum  ab  hoc  consilium  agendae  sibi  rei. 
Hoc  capto  in  Urticas  cucullam  postea 
Misit,  relicto  paenitentiae  loco 
Phoenicium  duxit  loquacem  coniugem 
Per  Eubulum.     Quod  mehercules  graviter  tulit 
10     Res  sutor  oranibus  satis  notus,  quoque 
Rivalis  et  flagrans  amore  plus  satis. 
Aurum  repertura  in  aedium  tecto  suae 


600  Johannes  Bolte, 

Phoeiiicio  fernere  nimis  concredidit 

Lipocordulus ;  naraque  aperuit  viciniae 
15     Toti,  suo  quod  ab  viro  resciverat. 

Ilic  porro  consilio  Eubuli  Phoenichim 

Cum  iudice  et  lictore  ridiculam  dedit 

Boloniaco  in  neraore  iugulati  nece 

Comitis  sui.     Lictorem  enira  per  Montium 
20     Huius  doraum  relatus  est  sine  sumptibus 

Aries,  prius  quem  dixerat  comitem  sibi. 

Wir  finden  hier  einen  verbreiteten  Volksschwank  von  der 
plauderhaften  Frau,  die  einen  angeblichen  Mord  ihres  Mannes  verrät 
(Cosquin,  Contes  populaires  de  Lorraine  2,  317  nr.  77.  R.  Köhler, 
Kleinere  Schriften  2,  nr.  54),  in  Paris  lokalisiert.  Sonst  wird  auch 
eine  andere  List  erzählt,  durch  die  der  Mann  das  Zeugnis  seiner 
schwatzhaften  Frau  über  den  entdeckten  Schatz  entkräftet  (Köhler, 
Zs.  f.  Volkskunde  6,  73  zu  Gonzenbach  nr.  37). 

c)  Dialogus  longe  facetissimus  de  temporum  ac  scientiarum 
mutatione,  disputationem  praesertim  Sophistici  et  Logodaedali 
complectens.  Est  autem  de  abiciendis  praecipue  sophistarum  gerris 
scilicet  et  de  matrimonio  praeceptoribus  minus  convenienti  ob  uxoris 
gravitatem  et  pondus  (Bl.  101a — 118a),  in  Senaren.  Dialogi 
interlocutores:  Cylindrus  et  Ribaldus  coqui.  Triphon  bibliopola, 
Sophisticus  et  Logodaedalus  rhetores,  Cordia  virgo  nupta,  Naphlaeus 
censor,  Grammatophorus.  —  Vgl.  Massebiau,  Les  colloques  scolaires 
1878  p.  229  -'  und  De  Ravisii  Textoris  comoediis  1878  p.  74. 

26.  Claudius  Jaitiins  Komödie  Arcaiozelotipia  von  lö54, 
5  Akte  in  Versen,  steht  im  Mscr.  Fonds  lat.  8365  der  Pariser 
Nationalbibliothek,  Bl.  6  b  —  60  a,  offenbar  einem  Dedikations- 
exemplare  für  den  Juristen  Philipp  Evrauld,  den  Jamyn  in  mehreren 
Gedichten  dieses  Bandes  und  Ms.  lat.  8365  a  und  in  einer  '  15.  Cal. 
Julii  ex  Schola  Plessaea'  datierten  Rede  feiert.  Die  Jahreszahl 
1554  steht  erst  auf  dem  letzten  Blatte  70  a.  Vermutlich  war  der 
dem  Kolleg  Duplessis  angehörige  Verfasser  ein  Verwandter  des  bei 
Bulaeus  6,  978  a  angeführten  Theologen  Guillaume  Jamyn  aus  Le 
Maus,  der  1543  Universitätsrektor  war.  Den  Inhalt  wird  man  aus 
einer  Stelle  des  Prologs  am  besten  ersehen; 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.       601 

—  —  —  —  —  —  —  —     Senex 

Hie  intus  est  Acheronticus,  decrepitus, 
Plenus  libidinis,  uxoris  sibi  adinnxit  loco 
Adolescentulam.     Cuius  elegantia 
Sic  insanit,  ut  nulli  ad  illam  via  pateat. 
Quin  imo  triarii  subsidia,  praesidia  domi 
Constituta  sunt,  quae  amatoribus 
Aditum  prohibessint.     Is  ipse  amatorculus 
Senex  suis  diffidens  omnem  movet  lapidem, 
Quo  pudicitiam  exploratam  habeat. 
Habet  tandem.     Interim  dura  hie  ludos  agit, 
Suis  ipse  dolis  ab  P>astria  deluditur. 
Eademque  postremo  hoc  ipsum  a  sene 
Exorat,  ut  pro  animi  voluntate  liceat 
Oberrare.     Nimia  licentia,  saepe  ut  Ht,  deterior 
Effecta,  divertit  a  sene  divagatve,  compotat. 
Ecce  autem  de  improviso  Argenalochus 
Illectus  forma  eam  deperit.     Oletronei 
Astu  sie  res  prospere  succedunt,  ut  ex  faucibus 
Erepta  Areaiozili  abducatur.    Fugam 
Dum  accelerat  Argenalochus,  apprehenditur. 
Mesiti  tamen  precibus  efficitur,  ut  redeant 
In  pristinam  gratiam.     Dehinc  ceterum 
Purgatis  auribus  attenditel     Si  quid  est 
Diminutum,  alii  iam  vobis  facient  palam. 

27.  Abel  Souris  aus  Rouen,  der  als  Lehrer  am  College  de 
Navarre  wirkte,^)  widmete  am  15.  December  1557  dem  Cardinal 
Karl  von  Bourbon,  Erzbischof  von  Rouen,  eine  steife  historische 
Tragödie  nach  antikem  Zuschnitt,  welche  kurz  zuvor  von  den 
Schülern  der  zweiten  Klasse  gespielt  worden  war  und  die  am 
10.  August  d.  J.  stattgehabte  Niederlage  bei  St.  Quentin  behandelte^). 
Sie  ist  im  Mscr.  Fonds  lat.  8136  der  Pariser  Nationalbibliothek 
erhalten  und  führt  den  Titel:  'De  sinistro  fato  Gallorum  apud 
Veromanduos  et  occasu  luctuoso  fortissimi  ducis  Totovillei  et 
comitis  Anguiani    tragoedia,    acta    primum    Lutetiae    Remigialibus 

•)  Vgl.  J.  Launoius,  Regii  gymnasii  Parisiensis  historia  1677  p.  695  f.  Ein 
Mauricius  Soris  Normanus  war  nach  Bulaeus  6,  976    1517  Universitätsrektor. 

-)  Eine  Schilderung  dieser  Schlacht  liefert  F.  de  Rabutin  in  Petitots 
Collection  complete  des  memoires  relatifs  ä  l'histoire  de  France  32,  56  (1823). 


602  Johannes  Bolte, 

ludis  a  secimdis  Navarricis  M.D.LVII.  (42  Bl.  fol.)-  o  Akte  in 
Versen  mit  Chören.  Im  ersten  Akte  erscheinen  König  Heinrich  II. 
und  der  Marschall  Anne  de  Montmorency,  im  zweiten  Johann  von 
Bourbon,  Herzog  von  Anghien,  der  von  seiner  Gattin  Maria  Abschied 
nimmt.  Die  Nachricht  vom  Tode  des  Herzogs  und  des  Vicomto 
Turenne,  Franvois  de  la  Tour  d'Auvergne,  trifft  im  vierten  Akte  ein. 

28.  Wie  eifrig  an  einzelnen  Stellen  die  lateinische  Dramatik 
gepflegt  ward,  lehrt  besonders  deutlich  das  Beispiel  des  Gaston 
Griaeus  (etwa  =  Desgrieux).  Dieser  verfasste  als  Schüler  des 
Pariser  Collegium  Becodianum,  an  dem  Männer  wie  Claude  Roillet 
(1546 — 1560),  Guillaume  Gallaud  (1543),  Jacques  Martin  (156()) 
und  der  Hellenist  Jean  Dorat  (Auratus;  1508—1588),  der  Lehrer 
Murets,  Baifs  und  Ronsards,  wirkten^),  im  Alter  von  11 — 13  Jahren 
sieben  lateinische  und  griechische  Stücke,  zu  denen  er  ja  vermutlich 
von  seinen  Lehrern  Anweisung  erhielt,  die  aber  doch  eine  beachtens- 
werte Gewandtheit  in  der  Handhabung  beider  antiken  Sprachen 
bekunden.  Da  die  in  der  ^letzer  Stadtbibliothek  als  Cod.  390 
aufbewahrte  Handschrift  bisher  unbekannt  geblieben  zu  sein  scheint"), 
wird  eine  kurze  Besprechung  von  Nutzen  sein.  Es  ist  ein  Quart- 
band, auf  dessen  Deckeln  die  eingepresste  Inschrift '  Gastonis  Griaei 
luvenilia'  prangt;  von  den  319  Blättern  ist  das  erste  ausgerissen. 
Darin  befinden  sich: 

a)  Bl.  3  a:  Tragoedia  Krastus,  a  nie  (iastone  Griaeo  in  secundo  Collogii 
J3ecodiani  ordine  scripta  anno  1566,  meae  aetatis  12  (fünf  Akte  in  2133 
lateinischen  Versen,  mit  Chorliedern). 

b)  Bl.  58a:  Tragoedia  Virginia,  a  me  (Jastone  Griaeo  in  primo  Collegii 
Becodiani  ordine  anno  sahitis  1567,  meae  aetatis  13  composita  (fünf  Akte  mit 
Chören,  1511  Verse). 

c)  Bl.  114  a:  Apäfjia 'Aöafxot;  |jLavi(i>OT/s,  -apd  [j.oü  raoTcuvo;  Fpio^ou  toü 
oÜToO  iviauToü  xal  tctgEU)?  TrejTotTjjxevov  (1238  Verse,  durch  Chorlieder  in  fünf 
Altschnitte,  den  Prolog  eingerechnet,  geteilt). 

d)  Bl.  152  a:  Tragoedia  Pygmalion  furens,  a  me  Gastone  Griaeo  in 
1.  Collegii  Becodiani  ordine  scripta  anno  1568,  meae  aetatis  14  (fünf  Akte 
mit  Chören,  1219  Verse). 


1)  Bulaeus  6,  946.  979. 

0  Verzeichnet   ist   sie    1879  im   Catalogue  general  des  manuscrits  des 
bibliotheques  publiques  des  departements  5,  162. 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem   16.  Jahrhundert.       60^ 

e)  inOa:  Apäfxa  rioXycpo'vTT];,  viap'  £[j.o'j  raaxcuvo;  toü  Fpiaiou  xoü  ouioO 
sviauTOÜ  xai  Totjetu;  7ie-oirj|j.evov  (1022  Verse,  durch  Chorlieder  in  fünf  Ab- 
schnitte geteilt). 

f)  BI.  222  a:  Ka)|J.<.ij8ta  Oüpavt'a,  TMp  iy-o^t  FdaKuvoc  toü  Fptai'o'j  toO  aüxoü 
IvtauToO  -icat  tkcecü;  TisTioirjjxevYj  (1530  Verse  ohne  Chöre;  die  fünf  Abschnitte 
sind  durch  Versalien  angedeutet). 

g)  Bl.  273a:  Comoedia  Philargyria,  a  me  Gastone  Griaeo  eodem  anno 
et  in  oadem  classe  composita  (fünf  Akte  ohne  Chöre,  1415  Verse). 

Das  erste  Stück  beruht  auf  einer  italienischen  Bearbeitung  des 
mittelalterlichen  Romans  von  den  sieben  weisen  Meistern,  von  der 
1565,  also  kurz  vor  Abfassung  unseres  Dramas,  eine  französische 
Uebersetzung  'Histoire  pitoyable  du  prince  Erastus'  erschienen 
war.  Aphrodisia,  die  Gemahlin  des  Kaisers  Diocletianus,  ist  für 
ihren  Stiefsohn  Erastus,  der  fern  von  der  Hauptstadt  dem  Studium 
obliegt,  in  Liebesleidenschaft  entbrannt.  Nachdem  sie  sich  mit 
ihrer  Amme  und  ihrem  vertrauten  Diener  Panurgus  beraten  hat, 
bittet  sie  den  Kaiser,  den  Prinzen  kommen  zu  lassen,  da  ihr  ein 
Traum  ein  ihm  drohendes  Unheil  offenbart  habe.  Diocletian  sendet 
den  Spudephorus  zu  Erastus,  der  im  4.  Akte  mit  seinen  Lehrern 
Dimurgus,  Ternus  und  Philantropus  eintriift,  aber  kein  Wort  redet. 
Aphrodisia  erbietet  sich,  dem  Stummen  die  Sprache  wieder  zu 
verschaffen;  aber  bald  darauf  ertönt  ein  Hilferuf  aus  ihrem  Gemache; 
sie  beschuldigt  den  Stiefsohn  eines  Attentats  auf  ihre  Ehre.  Da 
Erastus  sich  nicht  verantwortet,  bezichtigen  seine  Lehrer  die  Kaiserin 
der  Verleumdung,  erzählen  einige  Beispiele  von  Weibertrug  und 
Jähzorn  und  bewegen  dadurch  den  ergrimmten  Herrscher,  die  Hin- 
richtung des  Prinzen  noch  aufzuschieben.  Nach  sieben  Tagen  redet 
Erastus  wiederum,  legt  vor  dem  Senate  seine  Unschuld  dar,  und 
Aphrodisia  endet  freiwillig  ihr  Leben. 

Die  Handlung  der  Virginia  folgt  der  Erzählung  des  Livius. 
Als  Exposition  stellt  der  jugendliche  Verfasser  eine  Klage  eines 
Augurs  über  das  durch  die  Decemvirn  Rom  drohende  Unheil  voran. 
Dann  ruft  Appius  die  Göttin  Venus  an,  sie  möge  das  Herz  der 
Virginia  rühren.  Da  sein  Abgesandter  M.  Claudius  mit  Geschenken 
bei  dieser  nichts  ausrichtet,  sucht  er  sie  als  Kind  seiner  Sklavin 
in  seine  Gewalt  zu  bekommen.  Vergeblich  verteidigt  Icilius  die 
Braut  vor  Gericht;  bei  der  zweiten  Gerichtsverhandlung  führt  der 
herbeigerufene    Virginius    seine    Tochter    beiseit   und    ersticht    sie. 


604  Johannes  Bolte, 

Im  letzten  Akte  wird  Appius  gefangen  gesetzt  und  stirbt  durch 
Selbstmord. 

Der  Athamas,  dessen  Geschichte  Griaeus  wohl  aus  Apollodor« 
Mythologischer  Bibliothek  (1, 8, 1;  ed.  Aegius  1555  Bl.  20b)  schöpfte, 
wird  durch  einen  von  Hermes  gesprochenen  Prolog  eingeleitet,  der 
die  Handlung  des  Stückes  nebst  der  Vorgeschichte  erzählt;  Zeus 
habe  über  Theben  Seuche  und  Hungersnot  verhängt,  um  dadurch 
die  Misshandlungen  zu  strafen,  mit  denen  die  Königin  Ino  ihre 
Stiefkinder  plage.  Darauf  erscheint  Athamas  und  teilt  seiner  Gattin 
Ino  mit,  er  wolle  beim  delphischen  Orakel  nach  einem  Heilmittel 
wider  die  Pest  und  den  Misswachs  anfragen;  Ino  schlägt  ihm  ihren 
Diener  Talthybios  als  Boten  vor.  Dieser  kehrt  mit  dem  fingierten 
Bescheide  Apollos  heim,  der  König  solle  Phrixos  und  Helle,  seine 
Kinder  aus  erster  Ehe,  opfern.  Vergebens  bricht  Athamas  in  Klagen 
aus,  auf  Zureden  der  tückischen  Ino  entschliesst  er  sich,  das  Orakel 
den  beiden  Schlachtopfern  zu  offenbaren,  die  ihr  Loos  geduldig 
auf  sich  nehmen.  Aber  bald  darauf  berichtet  Talthybios  seiner 
Herrin,  ihre  Stiefkinder  seien  vor  dem  Altar  durch  einen  von  Zeus 
gesandten  goldenen  Widder  entrückt  worden.  Jetzt  ahnt  die  An- 
stifterin des  Truges  Unheil  für  sich  und  ihre  Söhne  Learchos  und 
Melikertes.  Von  Raserei  befallen,  stürmt  Athamas  herein,  tötet 
seinen  Sohn  Learchos  und  dann  sich  selber.  Ino  stürzt  sich  mit 
Melikertes  ins  Meer. 

Einen  verwandten  Schluss  hat  Griaeus  der  Tragödie  Pygmalion 
verliehen,  deren  Held  gleichfalls  nach  einem  Verwandtenmordo 
rasend  wird.  Der  erste  Akt  lehnt  sich  an  Vergils  Aeneis  (1,  347) 
an.  Dido,  der  in  der  verflossenen  Nacht  ihr  vor  kurzem  ermordeter 
Gatte  erschienen  ist,  um  ihren  Bruder  Pygmalion  als  seinen  Mörder 
zu  bezeichnen,  entschliesst  sich  auf  diese  Warnung  hin,  Tyrus  und 
seinen  grausamen  Herrscher  zu  verlassen.  Ihre  Schwester  Anna 
und  ihr  treuer  Diener  Carchedon  billigen  ihren  Plan  und  helfen 
die  Flucht  ins  Werk  setzen.  Zu  spät  sendet  der  von  stetem  Arg- 
wohne und  bösen  Träumen  geängstigte  Tyrann  im  folgenden  Akte 
einen  Boten  zu  Dido.  Auf  die  Meldung  ihrer  Flucht  verfällt  er  in 
Tollwut  und  ersticht  in  dem  Wahne,  Dido  vor  sich  zu  haben, 
seine  Gattin.  Allmählich  rufen  ihn  die  Vorstellungen  seines  Feld- 
herrn Polemarchus  zum  Bewusstsein  seiner  That  zurück.    Er  flieht 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.       605 

vor  dem  Schatten  des  Sichaeus,  den  er  zu  sehen  glaubt,  in  den 
Palast,  und  bald  darauf  meldet  der  Bote  seinen  Selbstmord. 

Den  Inhalt  des  Polyphontes  bildet  die  Bestrafung  dieses 
messenischen  Tyrannen  durch  den  Sohn  des  ermordeten  Herrschers 
Kresphontes,  mit  Namen  Aipytos  (Griaeus  schreibt  "Ettuto*).  Dieser 
kommt  verkleidet  mit  dem  Paidagogos  aus  Arkadien  heim  und 
meldet  dem  Könige,  er  habe  den  Aipytos,  der  seine  Tochter  geraubt, 
umgebracht.  Erfreut  verheisst  ihm  l^olyphontes  seinen  Schutz  und 
lässt  ein  Dankopfer  zurüsten.  Inzwischen  aber  hat  Merope,  die 
Mutter  des  Aipytos,  die  gezwungener  Weise  bei  Polyphontes  lebt, 
durch  einen  Boten  den  Tod  ihres  Sohnes  erfahren.  Sie  erblickt 
im  Garten  den  vermeintlichen  Mörder  schlafend  und  will  ihn  töten, 
wird  aber  vom  Boten  zurückgehalten.  Da  erwacht  Aipytos,  Mutter 
und  Sohn  feiern  ihr  Wiedersehen  und  verabreden  mit  dem  Päda- 
gogen die  Rachethat.  Wie  Polyphontes  zum  Opfer  in  den  Tempel 
geht,  betet  draussen  Merope  zu  Apollon.  Da  erscheint  Aipytos 
mit  dem  blutigen  Haupte  des  Tyrannen  und  berichtet,  wie  er  ihn 
am  Altar  erschlagen  habe.  Seine  Mutter  misshandelt  in  leiden- 
schaftlicher Erregung  das  Haupt,  bis  der  Pädagog  zur  ]\Iässigung 
mahnt.  Die  Söldner  Haimobios  und  Xiphochares  huldigen  dem 
neuen  Herrscher.  Als  Quelle  haben  dem  Verfasser  augenscheinlich 
Apollodor  (Bibl.  myth.  2,  8,  4),  aus  dem  er  auch  die  dort  (2,  8,  1) 
von  Alkmene  berichtete  Rache  am  Haupte  des  Feindes  entlehnte, 
und  Hygin  (Fab.  184)  gedient. 

Grösseres  Interesse  als  diese  steifen  Trauerspiele  erregen  die 
beiden  bürgerlichen  Komödien,  die  einen  Liebeshandel  auf  zeit- 
geschichtlichem Hintergrunde  vorführen.  Das  griechische  Stück 
Urania  spielt  1563,  also  fünf  Jahre  vor  der  Aufführung,  in  dem 
Städtchen  Toul  (Theopolis).  Ein  französischer  Veteran  Arikos,  der 
vor  kurzem,  um  den  Unruhen  des  Hugenottenkrieges  zu  entgehen, 
mit  seiner  Pflegetochter  Laurentia  aus  Paris  (Leuketia)  hierher  über- 
gesiedelt ist,  klagt  uns,  wie  sehr  ihm  die  Beschwerden  des  Alters 
zu  schaffen  machen.  Bevor  er  das  Haus  verlässt,  empfiehlt  er 
seinem  Diener  Sosias,  gut  auf  die  schöne  Laurentia  achtzugeben. 
Diese  wird  von  zwei  Jünglingen  der  Stadt,  Philikos  und  Kallias, 
heimlich  geliebt,  ohne  dass  ihre  Väter,  Menedemos  und  Kriton, 
darüber  recht  ins  Klare  kommen,    weil    die    Diener    es   lieber  mit 


606  Johannes  Bolte, 

den  Söhnen  halten  als  mit  den  Alten.  I'hilikos  dringt  zu  Laurentia 
ins  Haus,  um  sie  mit  List  und  Gewalt  zu  entführen.  Allein  auf 
ihren  Hilferuf  eilt  Kallias  herbei  und  greift  ihn  mit  dem  Degen 
an.  Die  Streitenden  werden  von  der  Stadtwache  gefangen,  deren 
Hauptmann  dem  heimkehrenden  Arikos  den  Handel  erzählt.  Von 
diesem  erfahren  nun  die  Väter  der  gefangenen  Jünglinge,  dass 
Laurentia  gar  nicht  seine  Tochter  sei,  sondern  sein  verstorbener 
Waffengefährte  Beraldus  habe  sie,  als  sie  1552  unter  dem  Herzog 
Franz  von  Guise  Toul  besetzten,  dort  in  einem  verlassenen  Hause 
gefunden  und  mit  sich  nach  Paris  geführt^).  Kriton  erkennt  darauf 
an  einem  Muttermale  in  Laurentia  seine  verlorene  Tochter  Urania, 
und  Menedemos  trägt  nun  kein  Bedenken,  für  seinen  Sohn  bei 
Kriton  um  das  Mädchen  anzuhalten.  Laurentia  findet  sich,  während 
jene  zum  Stadtgefängnis  eilen,  um  ihre  Söhne  auszulösen,  erst  all- 
mählich in  ihre  veränderte  Lage  und  willigt  bei  der  Rückkehr  der 
andern  in  die  Heirat  mit  Philikos. 

Auch  die  Handlung  der  Philargyria  fällt  in  die  Zeit  des 
ersten  Hugenottenkrieges,  genau  gerechnet  in  den  Februar  und 
Sommer  15G3.  Der  Schauplatz,  der  diesmal  ziemlich  eingehend 
geschildert  wird,  sind  einige  Strassen  von  Paris  und  der  A'orstadt 
St.  Germain.  Die  Hauptpersonen  sind  zwei  Pariser  Bürgerskinder, 
der  junge  Athanatophilus  und  die  schöne  Ambrosia.  Hirer  Vor- 
bindung steht  der  im  Titel  hervorgehobene  Geiz  des  reichen  Kauf- 
manns Glischrophernes  entgegen,  der  sich  weigert,  seiner  Tochter  die 
von  den  Eltern  des  Liebhabers  verlangte  Aussteuer  von  8000  Franken 
mitzugeben.  Da  Athanatophilus  von  der  Geliebten  nicht  lassen 
will,  entzweit  er  sich  mit  seinem  strengen  Vater  Dinogoneus  und 
geht  unter  die  Soldaten,  die  in  der  Provinz  für  Karl  IX.  wider  die 
Protestanten  fechten.  Der  erste  Akt,  welcher  drei  Monate  später 
spielt,  exponiert    ausführlich    die    Lage.     Glischrophernes  trägt  der 

')  Diese  Lösung  der  Verwickelung  durch  Wiedererkennung  eines  bei  einer 
Belagerung  verlorenen  Kindes  war  in  der  italienischen  Komödie  seit  Ariosts 
Suppositi  (1509;  französisch  1545  und  zweimal  1552:  lateinisch  von  Petreius 
1574  und  im  Pariser  Mscr.  lat.  8762,  Bl.  21a)  so  häufig  verwandt,  dass  Grazzini 
1551  im  Prologe  seiner  'Gelosia'  und  wiederum  1560  in  seiner  'Spiritata'  nach- 
drücklich dagegen  Einspruch  erhob.  Vgl.  v.  Reiiihardstöttner,  Plautiis  1886 
S.  332  und  Gaspary,  Gesch.  der  ital.  Litt.  2,  605. 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem   16.  Jahrhundert.       ßOT 

Magd  Bertha  auf,  seiner  Tochter  die  Liebe  zu  Athanatophilus  aus- 
zureden; aber  diese  will  lieber  ins  Kloster  gehn,  als  von  dem 
Verschollenen  lassen.  Andrerseits  bereut  Dinogoneus,  wie  seine 
Frau  Hyiolype  einem  teilnehmenden  Nachbar  Paregoralgus  aus- 
einandersetzt, längst  seine  Härte  gegen  den  Sohn  und  sorgt  sich 
um  dessen  Schicksal.  Im  2.  Akte  verabredet  der  Geizhals  mit 
Gamochares  und  dessen  Frau  die  Heirat  zwischen  ihrem  Sohne 
Dyscosmus  und  seiner  Tochter  Ambrosia.  Nachdem  er  in  ihrem 
Hause  herumgeführt  ist,  treten  sie  wieder  auf  die  Strasse;  Wein 
und  Früchte  werden  gebracht  und  die  Vermögensverhältnisse  be- 
sprochen. Da  Gamochares  keine  ]\Iitgift  verlangt,  werden  die  beiden 
bald  einig  und  gehn  zum  Notar  (Adeamus  scribas).  Ihren  beteiligten 
Kindern  teilen  sie  ihre  Abmachung  ziemlich  beiläufig  mit.  Der 
Tölpel  Dyscosmus  freut  sich  täppisch  darüber;  Ambrosia,  die  von 
der  schlauen  ^lagd  vorbereitet  und  zur  Verstellung  ermahnt  worden 
ist,  erklärt  sich  seufzend  bereit,  dem  Vater  zu  gehorchen.  Dass 
es  ihr  damit  nicht  Ernst  gewesen,  zeigt  der  3.  Akt.  Während 
Bertha  ihre  betrübte  Herrin  damit  tröstet,  dass  die  verhasste  Hochzeit 
jedenfalls  während  der  Fastenzeit  nicht  vollzogen  werden  könne, 
erscheint  der  Diener  Coragus  mit  einem  Briefe  seines  Herrn 
Athanatophilus,  der  'in  custodia  Carnuti  (d.  i.  wohl  Carnoet  in  der 
Bretagne),  cum  ab  hostibus  impiissimis  his  Calvinistis  obsideretur', 
gekämpft  hat  und  auf  Urlaub  nach  der  Vorstadt  St.  Honore  ge- 
wandert ist,  um  die  Geliebte  wiederzusehen.  Ambrosia  lässt  ihm 
voller  Freude  vermelden,  sie  werde  morgen  am  Sonntag  zu  ihm 
kommen,  sendet  ihm,  da  die  Truppen  seit  Monaten  keine  Löhnung 
erhalten  haben,  zehn  Goldstücke  und  vergisst  auch  nicht,  dem 
braven  Boten  ein  Frühstück  vorzusetzen^).     Als  darauf  ihr  Vater, 

I)  Sie  sagt  (Bl.  297  b): 

'Uli,  Bertha,  iam  Optimum  exprome 

Vinum  datoque  par  halecum  assatonim!  Nam  haec  optima 
Sunt  iis  viris,  qui  quadragesimale  amant  ientaculum, 
Nisi  butyrum  inalit  vel  uvas  passas  ficusve  aridas'. 

Dieser  Speisezettel  zeigt,  dass  mau  in  Paris  damals  nicht  mehr  ganz  so  streng 
dachte  wie  Heinrich  IL,  der  1553  eine  Bulle  des  Papstes  Julius  111.  verbi-ennen 
liess,  welche  Butter,  Käse  und  Eier  in  den  Fasten  zu  essen  gestattete.  Gleich 
darauf  (131.  298b)  wird  auch  das  Mahl  des  Kaufherrn  beschrieben: 


608  Johaniios  Bolte, 

der  den  Tag  über  am  Thore  St.  Denis  Wachtdienst  gethan,  müde 
zum  Mahle  heimkehrt  und  der  Tochter  mitteilt,  ihre  Trauung 
werde  morgen  um  2  Uhr  stattfinden,  lockt  ihm  diese  schmeichelnd 
die  Erlaubnis  ab,  vorher  in  der  Kirche  der  hl.  Genovefa  ein  Gebet 
für  ihre  verstorbene  Mutter  zu  verrichten.  Sie  benutzt  natürlich 
diese  Gelegenheit,  um  in  Männertracht  zu  ihrem  Geliebten  zu  ent- 
fliehen. Schon  in  der  nächsten  Scene  tritt  Glischrophernes  unruhig 
auf;  seine  Tochter  ist  noch  nicht  zurückgekehrt,  obwohl  er  jeden 
Augenblick  ihren  Bräutigam  erwartet.  Er  sendet  die  Magd,  die 
jede  Mitwisserschaft  leugnet,  nach  ihr  aus;  da  erscheint  Gamochares 
mit  Trauermiene  und  berichtet,  wie  sein  Sohn  beim  A'^orüberziehen 
einer  Soldatenschar  durch  einen  unversehens  abgefeuerten  Schuss 
getötet  worden  ist.  Betrübt  nehmen  die  beiden  kinderlosen  Väter 
von  einander  Abschied.  —  Der  4.  Akt  setzt  nach  einer  Zwischen- 
zeit von  mehreren  Monaten  ein.  Die  Eltern  des  Athanathophilus 
hoffen  nicht  mehr  auf  seine  Wiederkehl",  da  seit  dem  Friedens- 
schlüsse geraume  Zeit  verstrichen  ist.  Aber  die  Liebenden  wagten 
nicht  eher  heimzukehren,  weil  sie  von  dem  Tode  des  Dyscosmus 
noch  nichts  vernommen  hatten.  Jetzt  endlich  erscheinen  sie  in  der 
Vorstadt  St.  Germain,  und  zwar  Ambrosia  in  andern  Umständen, 
was  recht  unbefangen  erörtert  wird.  Sie  senden  einen  Handels- 
freund des  Glischrophernes,  den  Carnotenser  Torbelalethes,  und,  als 
dieser  lange  ausbleibt,  den  Knecht  Coragus  nach  Paris,  um  die 
Gesinnung  der  Eltern  zu  erforschen.  Weitläufig  führt  Torbelalethes 
seinen  Auftrag  bei  Glischrophernes  aus,  mit  dem  er  dann  zu 
Dinogoneus  geht.  Allein  wenn  auch  beide  hocherfreut  über  die 
Nachricht  sind,  vergeht  doch  noch  eine  Nacht  bis  zum  Wieder- 
sehen. Im  5.  Akte  meldet  Coragus  dem  ungeduldig  harrenden 
Paare  die  versöhnliche  Stimmung  der  Eltern.  Sie  gehn  schlafen 
und  werden  erst  am  nächsten  Morgen  von  Torbelalethes  abgeholt. 
In  Paris  verhandeln  unterdes  die  Väter  über  die  Mitgift;  der  geizige 
Glischrophernes  bequemt  sich  jetzt  zur  Zahlung  von  10000  Franken 


'Pruna  cocta  crudaque  violacea, 
lus  Optimum  pisorum  uvas  passasque,  ficus  aridas 
Nee  non  Damascenos  racemos,  poma,  avellauas,  pira 
Plurimaque  alia  bellaria;  non  eurat  marinos  eomedere 
Piscesve  Üuviales.' 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.       609 

(decein  taleiita)  und  verheisst,  die  Hälfte  der  Hochzeitskosten  zu 
tragen.  Das  Wiedersehen  wird  uns  nicht  vorgeführt,  sondern 
Athanatophilus  schleicht  sich,  während  seine  Eltern  auf  der  Strasse 
warten,  heimlich  ins  Haus,  was  ihm  als  löbliche  Demut  angerechnet 
wird;  ebenso  berichtet  Glischrophernes  nur  die  Heimkehr  seiner 
Tochter.  Der  Knecht  Coragus  schliesst  mit  der  Aufforderung  an 
die  Zuschauer,  heimzugehen,  denn  das  Hochzeitsmahl  solle  erst 
morgen  gefeiert  werden. 

Schon  aus  diesem  knappen  Referate  wird  man  hoftentlich  er- 
sehen haben,  dass  diese  Pariser  Schul erexercitien  wohl  die  Auf- 
merksamkeit des  Litterarhistorikers  einen  Augenblick  zu  fesseln 
vermögen.  Liegen  doch  hier  die  Zweitälteste  Dramatisierung  des 
Virginiastoftes^)  und  die  ersten  modernen  Behandlungen  der  von 
den  drei  grossen  griechischen  Tragikern  auf  die  Bühne  gebrachten 
Athamassage  ^)  und  der  Meropefabel  vor  uns,  die  seit  Euripides 
noch  manchen  neueren  Poeten^)  angelockt  hat!  Auch  die  beiden 
Lustspiele  entwerfen  ein  freundliches  Zeitbild  mitten  aus  den  blutigen 
französischen  Religionskämpfen,  die  bald  in  den  Greueln  der 
Bartholomäusnacht  einen  tragischen  Abschluss  finden  sollten.  Und  ist 
auch  die  Ausführung  der  dramatischen  Situation  oft  kindlich  oder  die 
Darstellung  namentlich  in  Hinsicht  auf  die  griechische  Orthographie 
und  Grammatik  keineswegs  einwandfrei  zu  nennen,  so  folgt  doch 
der  ganze  Zuschnitt  der  Tragödien  den  Vorschriften,  die  Scaliger 
1561  in  seinem  Lehrbuch  der  Poetik  erteilt  hatte,  ohne  damit 
freilich  viel  andre  Gesetze  zu  geben,  als  die  schon  von  Jodelle  und 
Grevin  befolgt  worden  waren.  Die  Handlung  ist  einfach  und  schreitet 


')  Schon  1530  schrieb  Hans  Sachs  eine  Virginia,  die  1558  gedruckt 
ward.  Die  1567  ins  Buchhäudlerregister  eingetragene  englische  Seneca-Nach- 
ahmung  Richard  Bowers  (Appius  and  Virginia)  erschien  15'(5,  Juan  de  la 
Cuevas  spanisches  Stück  1588. 

^)  Kurz  nachher  wurden  zwei  italienische  Trauerspiele  'Atamante'  von 
den  Accademici  Catenati  (Macerata  1579)  und  von  Girolamo  Zoppio  (Bologna 
0.  J.)  veröffentlicht. 

^)  Antonio  Cavallerinos  italienische  Tragödie  Telefonte  erschien  1582, 
der  Cresfonte  des  G.  Liviera  1588,  P.  Torellis  Merope  1589.  Die  jüngste 
Behandlung  des  von  Lessing  in  der  Hamburgischen  Dramaturgie  zergliederten 
Stoffes  dürfte  die  deutsche  von  Th.  Kock  (1882)  sein. 

Festschrift  Vahlen.  39 


610  Johannes  Bolte, 

geradlinig  vorwärts,  nicht  durch  den  Einschub  von  Nebenhandlungen 
gehemmt,  aber  bisweilen  in  schleppendem  Tempo.  Denn  leierliche 
Grandezza  herrscht  in  den  ausgedehnten,  nach  Senecas  Muster 
rhetorisch  ausgeschmückten  Reden;  der  einleitende  Monolog  der 
Aphrodisia  im  Erastus  misst  112,  die  Rede  der  Dido  im  Eingange 
des  Pygmalion  111  Verse.  Morde  und  Selbstmorde  geschehen  hinter 
der  Scene  und  werden  durch  Boten  erzählt;  trotzdem  wird  der 
Kopf  des  erschlagenen  Polyphontes  vor  den  Augen  der  Zuschauer 
misshandelt.  Den  Aktschluss  bezeichnen  Chorlieder  von  meist 
beträchtlicher  Ausdehnung,  die  offenbar  aber  für  die  Deklamation, 
nicht  für  den  Gesang  bestimmt  sind.  Auch  in  den  Komödien  fällt 
uns  oft  Breite  und  der  Mangel  jeder  Nebenhandlung  auf.  Der 
Dialog  zeigt  durchweg  Gewandtheit;  aber  der  Ton  herzlicher 
Empfindung  oder  stürmischer  Leidenschaft  ist  dem  nüchternen  Ver- 
fasser versagt;  nur  Gemeinplätze  und  Sprichwörter  stehen  ihm  dafür 
zu  Gebote.  In  der  Philargyria,  die  überhaupt  einen  freieren  Zug 
verrät,  wii'd  unbekümmert  innerhalb  des  Aktes  der  Ort  gewechselt, 
auch  die  Einheit  der  Zeit  vernachlässigt;  zwischen  dem  3.  und 
4.  Akte  liegt  eine  Pause  von  drei  Monaten,  zwischen  III,  2  und 
III,  3,  sowie  zwischen  V,  1  und  V,  2  eine  solche  von  einer  Nacht. 
Bühnenanweisungen  fehlen  völlig. 

Ob  die  Stücke  im  Kolleg  zur  Aufführung  gelangten  oder  im 
Pulte  des  Verfassers  blieben,  wissen  wir  nicht.  Wahrscheinlich  ist 
jedoch,  dass  die  Philargyria  wirklich  gespielt  wurde;  denn  sie 
enthält  einen  Prolog,  in  dem  sich  der  junge  Dichter  breit  über  die 
verachteten  Komödianten,  denen  der  Pöbel  zuläuft,  und  Ronsards 
und  Baifs  Uebersetzungen  antiker  Dramen  auslässt  und  sich  gegen  die 
Frage,  warum  er  lateinisch  und  nicht  in  seiner  Muttersprache  dichte, 
mit  der  rühmlichen  Sitte  der  Pariser  Studenten  verteidigt.  Ich  setze 
die  Hauptstelle  als  Probe  des  Ganzen  her; 

40    Vos  primum  orabo,  ne  ab  eo  [sc.  poeta]  inanes  fabulas 
Facetiasque  vel  odiosa  scommata 
Eiusdem  generis  exspectetis,  (piae  antea 
A  Martiinvillonun  grege  ac  Poguantium') 
Sermone  fetido  acta  fuerunt  Gallico, 


')    Nicolas  Michel  'dit  Martainville'  spielte  1558  in  Reuen   unter  der 
Truppe  des  Schauspielers  Pierre  Lepardouneur  mit;   als  'badin  de  Mai'tiuville' 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.       611 

45     Qui,  populi  ut  aures  demulcerent  facilius 

Pecuniasque  hinc  extorquerent  plurimas, 

Se  nunc  ineptos,  nunc  stultos,  nunc  ebrios 

Esse  simulabant.     Di  boni,  quantos  suis 

Risus  subuculis  turpibus  vel  anserum 
50     Aut  galiinarum  plumis  appositis  supra 

Infantuloruin  fetidas  calanticas, 

Denique  suis  farina  aspersis  vultibus 

Populo  excitarunt!     Siugula  persequi  haud  opus, 

Tamen  ego  miror,  quomodo  his  facetiis 
55     Nou  consecuti  sunt  minorem  laudem  apud 

Ignarum  populum  quam  ipsi  Ronsardi  vel 

ßaiiii  et  caeteri  poetae  Gallici'), 

Aequare  Graecis  quique  se  Latus  queuut 

Scribendi  in  omni  genere;  qui  nisi  patrio 
60     Sermone  usi  essent,  facile  superassent,  reor. 

Noster  veneratur  hos  et  imitari  cupit 

Poeta,  reicitque  Musarura  sacris 

Illos  nemoribus.     Nam  novam  comoediam 

Instituit  exhibere  vobis  publice, 
65     Istos  poetas  veteres  satiricos  sequi 

Abhorrens.  —  At  quis  forte  malevolus  roget, 

Cur  hie  poeta  noster,  natione  cum 

Sit  Gallus,  ut  ipsi,  Gallice  nou  scripserit. 

Contemnit  at  huius  invidiam  et  curat  nihil, 
70     Si  aures  in  altum  more  cervino  arrigat, 

Ut,  si  quid  est  vitiosura  hie,  virus  evomat, 

Quamvis  leve  tamen  obtenebrat  saepe  optima 

Vitium;  vitia  enim  obvia  magis  virtutibus. 

Quare  Omnibus  placere  difficillimum  est. 


wird  er  in  der  Farce  du  bateleur  et  de  son  valet  und  bei  Noel  du  Fall  ge- 
nannt (Petit  de  Julleville,  Les  comediens  en  France  1885  p.  343.  340).  1562 
wies  'Jean  Poignant,  dict  l'abbe  de  la  Lune,  et  ses  compagnons,  joueurs  de 
tragedies,  moralitez  et  farces'  in  Amiens  einen  Freibrief  des  Königs  für  alle 
französischen  Städte  und  Flecken  vor  (Julleville  ebd.  p.  347).  Beide  sind  so 
ziemlich  die  ältesten  Berufsschauspieler,  von  denen  die  französische  Theater- 
geschichte weiss. 

1)  Ronsard  hatte  (um  1549)  im  College  Coqueret  den  Plutus  des  Aristo- 
phanes  ins  Französische  übertragen  und  aufgeführt,  was  sein  Biograph  Binet 
die  erste  französische  'Komödie'  nennt.  Sein  Freund  Jean-Antoine  de  Ba'if, 
dessen  Vater  Lazare  de  B.  schon  1537  die  sophokleische  Elektra  und  1550  die 
Hekabe  des  Euripides  übersetzt  hatte,  gab  die  Antigone  des  Sophokles  und 
den  Miles  gloriosus  des  Plautus  (1567)  in  französischen  Versen  heraus. 

39* 


612  Jolianuos  Holte, 

75     Nemo  hoc  praestitit  adhuc  nee  i)raestabit,  reor.  — 

Inquirunt  alii,  cur  linguam  ditescere 

Poeta  videatur  Latinam  ac  suam  rudern  et 

Relinquere  ieiunam.     Si  ita  sit,  ut  sentiunt, 

Esset  colono  similis,  qui  alienum  colat 
80    Agrum,  suum  vero  esse  desertum  feris  sinat. 

Sed  ut  alienis  repetit  ex  regionibus 

Mercator  merces,  queis  sui  indigent,  ut  iis 

Adportet')  (etenim  non  similes  quodvis  solum 

Producit  fructus),  noster  ita  vates  facit 
85    Faventeque  Deo  faciet,  ut  posthac  suam 

Ditescat  linguam  non  peregrinarum  inscius^). 

Consuetudini  adhuc  noiuit  deesse  omnium, 

Lutetianae  qui  dant  operam  Palladi, 

Doctrinae  ut  aliquod  publice  exhibeaut  suae 
90    Graece  aut  Latine  specimen;  quod  vestro  tarnen 

Relinquit  iudicio,  atque  quas  comoedias 

Edet  ipse  posthac,  an  recipiendae  sient 

An  reicieudae.  —  Scire  denique  si  placet, 

Quo  contulit  sese  animo  (qui  iuvenem  tarnen 
95     Deberet  ob  aetatem  esse  comoedus  magis 

Quam  comicus)  hoc  anno  ad  novas  comoedias 

Graece  Latineque  argumento  dispari 

Scribundas,  paucis  aperiam.     Hoc  quidem  velim 

Noscatis,  uUa  nou  pulsum  arrogantia  aut 
100    Vana  de  se  persuasione  aut  denique 

Ut  provocaret  sibi  studio  quosquam  pares 

Socios  annisque  ad  similem  scribendi  genus, 

Sed  ut  studii  aliquod  tirocinium  sui 

Faceret.     Prius  etenim  incipere  quidvis  decet 
105     Quam  perficere;  alias  docti  sine  pulvere 

Evaderemus.     ludices  ergo  reor 

In  eum  aequiores  voce  fore.     Quod  si  senserit 

Gratam  et  aliquantum  istam  fore,  animum  augebitis 

Ad  res  maiores;  sin  minus,  sibi  non  tarnen 
110     Lusisse  persuadebit  operam. 

29.  Comoediade  Sancto  Georgio,  exhibita  Duaci  in  coUegio 
Marchianensi.     Handschrift  des  16.  Jahrh.  in  4  ",  in  der  öttentliclien 

')  Asportet  hat  die  Hs. 

*)  Mit  welchen  Latinismen  und  Graecismen  die  Pariser  Studenten  ihre 
Muttersprache  bisweilen  bereicherten,  zeigt  ergötzlich  Rabelais  im  Pauta- 
gruel  2,  6. 


Die  lateinischen  Dramen  Frankreichs  aus  dem  16.  Jahrhundert.       613 

Bibliothek  zu  Arras,  1628  dem  dortigen  Benediktinerkloster  St. 
Vaast  gehörig.  —  Vgl.  Catalogue  general  des  mscr.  des  bibliotheques 
publ.  des  departements  4,  161  No.  410,  1  (1872). 

30.  Oaiigericus  Hispanus,  Comoedia  de  Sancto  Landelino, 
exhibita  Duaci  in  gymnasio  Marchianensi.  Dem  Abte  des  Klosters 
St.  Vaast  zu  Arras  Philipp  Chavrel  (Caverel)  gewidmet.  Hand- 
schrift des  16.  Jahrh.  in  4  °,  in  der  öffentlichen  Bibliothek  zu 
Arras.  —  Vgl.  Catalogue  4,  161  No.  410,  2.  Ebenda  4,  319  No. 
804  sind  von  demselben  Dichter  'Aliquot  versus  in  laudem  S. 
Vedasti'  verzeichnet. 


Vl'^ 


xxxm. 

Vatroslav  Jagic. 


Die  Aulularia  des  Plautus 

in  einer  südslavisclieu  Umarbeitung  aus  der 

Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts. 


x^ 


Bekannt  ist  die  grosse  Bedeutung  des  Plautus  für  die  Komödien- 
dichtung der  einzelnen  romanischen  und  germanischen  Literaturen. 
Es  genügt,  auf  das  reichhaltige  Buch  Reinhardstoettners  (1886) 
hinzuweisen.  Die  slavischen  Literaturen  werden  darin  mit  keinem 
Wort  erwähnt.  Und  doch  gehörte  die  Ostküste  des  Adriatischen 
Meeres  mit  ihrer  slavischen  (serbokroatischen),  vom  Geiste  der 
romanischen  Cultur  getragenen  Stadtbevölkerung  zu  den  frühesten 
Pflegestätten  des  aus  dem  benachbarten  Italien  hinüberstrahlenden 
Humanismus.  Den  nächsten  Generationen  bleibt  es  vorbehalten,  die 
einst  zwischen  Italien  und  den  dalmatinischen  Küstenstädten  be- 
standene Harmonie  der  Culturentwickelung  im  Bereich  der  Literatur 
und  Kunst,  ja  des  ganzen  geistigen  Lebens,  eingehender  zu  durch- 
forschen. Nennenswerthe  Beiträge  liegen  schon  derzeit  in  einigen 
dem  europäischen  Westen  sprachlich  wenig  zugänglichen  literatur- 
geschichtlichen Etüden  südslavischer  (kroatischer)  Gelehrten  vor, 
worunter  auch  Schüler  Vahlens  aus  den  Jahren  seiner  Wiener 
Wirksamkeit  sich  befinden.  Da  auch  beim  Schreiber  dieser  Zeilen 
dasselbe  der  Fall  war,  so  möge  dieser  kleine  Beitrag  der  angenehmen 
Erinnerung  an  jene  Zeiten  seiner  ersten  Jugend  geweiht  sein. 


Der  Bearbeiter  der  Aulularia  ins  „Slovinische"  —  so  nannte 
man  damals  in  Ragusa  die  heutige  serbokroatische  Sprache  —  hiess 
Marin  Drzie,  italienisch  Darsa,  ein  Ragusaner  von  adeliger  Ab- 
kunft, der  zwischen  1520 — 1580  in  Ragusa  lebte  und  als  Dichter 
nebst  der  obligaten  Lyrik  der  Liebe  hauptsächlich  Dramen  schrieb 


V 


618  Vatroslav  Jagic, 

(im  Pastoral-  und  Plautinischen  Genre).  Als  dramatischer  Dichter 
war  Marin  Drzic  ohne  Zweifel  das  bedeutendste  Talent  Ragusas. 
Seine  gesammelten  Werke  erschienen  im  J.  1875  in  Agram  als 
siebenter  Band  der  auf  Kosten  der  südslavischen  Akademie  heraus- 
gegebenen „veteres  scriptores  eroatici"  (ßtari  pisci  hrvatski),  unter 
der  Redaction  des  Agramer  Universitätsprofessors  Franz  Petracic, 
der  ebenfalls  zu  den  Wiener  Schülern  Vahlens  zählte.  Die  er- 
haltenen Dichtungen  Drzic's  umfassen  einen  Band  von  482  Octav- 
seiten  gedruckten  Textes  und  enthalten  neben  einigen  lyrischen 
Liedern  zwölf  dramatische  Stücke.  Die  Textüberlieferung  ist  leider 
recht  mangelhaft,  den  meisten  dramatischen  Stücken  geht  der  Anfang 
oder  das  Ende  des  Textes  ab.  Auch  die  erwähnte  erste  und  einzige 
Gesammt-Ausgabe  könnte  kritischer  sein.  Man  erfährt  aus  der- 
selben gar  nicht,  ob  schon  zu  Lebzeiten  des  Dichters  irgend  etwas 
im  Druck  erschien,  was  man  nach  den  Worten  der  Vorrede  in  der 
Ausgabe  vom  Jahre  1607  allerdings  berechtigt  wäre  zu  vermuthen. 
Bisher  wird  die  Ausgabe  vom  J.  1607,  die  in  Venedig  gedruckt 
wurde,  als  die  älteste  angesehen.  Wie  viele  Exemplare  dieser, 
wie  es  scheint,  sehr  seltenen  Ausgabe  noch  vorhanden  sein  mögen, 
danach  wurde  bisher  wenig  gefragt,  ebenso  wenig  nach  dem  Ver- 
hältnis des  Textes  dieser  Auflage  zu  einigen  späteren.  Man  citiert 
nämlich  noch  Ausgaben  vom  J.  1(530  und  1632  in  Venedig  und, 
wenn  es  richtig  ist,  eine  oder  zwei  Ausgaben  des  XVIIL  Jahr- 
hunderts (vom  Jahre  1781  und  1786?).  Keine  von  den  älteren 
Ausgaben  umfasste  alle  Werke  Drzic's.  Das  früher  im  Druck  nicht 
Erschienene  hat  sich  in  einer  einzigen  Handschrift,  die  man  ins 
Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  setzt,  erhalten.  Diese  wurde  bei  der 
agramer  Ausgabe  als  Hauptquelle  benutzt  —  ein  jüngerer  Anhang 
zu  dieser  Handschrift  bietet  nur  Auszüge,  die  allerdings  nicht  aus 
jener  gemacht  zu  sein  scheinen  —  und  da  sie  nicht  mit  gi-osser 
Sorgfalt  geschrieben  ist,  so  lässt  die  gegenwärtige  Gestalt  des 
Textes  viel  zu  wünschen  übrig.  Auch  sollte  dem  nicht  immer 
leichten  Verständnis  der  Diction  mit  ihrem  localen  Colorit  und 
mancherlei  Anspielungen  an  Ragusas  Zustände  um  die  angegebene 
jZeit  durch  einen  reallexicalischen  Commentar  abgeholfen  werden. 
Niemand  will  gestehen,  und  doch  ist  es  sicher,  dass  man  an  vielen 
Stellen  den  Text  Drzic's  (es   handelt   sich    nicht    bloss    um    eine 


Die  Auhüaria  d.  Plaiitus  i.  e.  südslavisch.  Umarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.    f)19 

Komödie)    nicht    versteht.      Zur    miithm asslichen    Popularität    des 
Dichters    bei    seinen    Zeitgenossen,    die    man    aus    einigen    seiner 
Aeusserungen  folgern  könnte,  will  die  Thatsache  einer  so  schwachen 
Textüberlieferung  nicht  gut  stimmen.     Ich  vermuthe  jedoch,   dass 
der    übermässige    Einfluss    des    Clerus,    zumal    der    Jesuiten    im  i  ^^^^^^^ 
XVII.  Jahrhunderte,    der    Verbreitung  der  Komödien  Dr/ic's    mit  p^>  > 
ihrem     zuweilen   recht    derben   Humor    Hindernisse   in    den   Weg  '^^  ^^'"'^ 
stellte. 

Von  den  12  dramatischen  Stücken  des  Dichters  (Pastoraldramen, 
Plautinischen  Komödien  und  zwei  Rappresentazioni  biblischen  In- 
halts) nimmt  die  Umarbeitung  der  Aulularia  in  der  agramer  Aus- 
gabe die  sechste  Stelle  ein,  sie  ist  betitelt  Skup  (Avarus)  und 
wie  die  Mehrzahl  der  übrigen  Stücke  in  Prosa  geschrieben.  Nach 
den  allerdings  uncontrollierbaren  Angaben  wäre  Drzic's  Pastoral- 
drama „Tirena"  im  Jahre  1548,  die  im  mittelalterlich-plautinischen 
Genre  geschriebene  Komödie  „Dundo  Maroje"  im  Jahre  1550  und 
„Skup"  im  Jahre  1555  aufgeführt  worden.  Alle  natürlich  in 
Ragusa  und  wahrscheinlich  jedes  Stück  nur  ein  einziges  MaP). 
Für  die  Bestimmung  der  Zeit-  und  Reihenfolge  der  übrigen  Stücke 
fehlen  Anhaltspunkte.  Die  Komödie  ßkwp  besteht  aus  Prolog  und 
fünf  Akten,  die  auf  italienisch  als  atto  secondo,  terzo  etc.  bezeichnet 
werden.  Es  kann  natürlich  nur  fünf  Akte  geben,  die  ihrerseits 
wieder  in  „Scenen"  zerfallen,  die  letzteren  müssen  nicht  immer 
hervorgehoben  werden.  Auch  im  ,Skup'  wird  die  erste  Scene  nicht 
immer  als  solche  ausdrücklich  genannt.  Im  Prolog,  der  bei  Drzic 
nie  fehlt,  ausser  wenn  das  Drama  lückenhaft  erhalten  ist,  tritt  bald 
eine  Person  redend  auf,  bald  mehrere.  In  der  vierten  Komödie  — 
sie  hat  keinen  Titel  —  spricht  den  Prolog  eine  Vila  (ein  süd- 
slavisches  mythologisches  Wesen,  gleich  der  griechischen  Nymphe), 
in  der  sechsten  (Skup)  ein  Satyr,  in  der  siebenten  (Dundo  Maroje) 
ein  Negromante;  in  der  ersten  treten  im  Prolog  vier  Bauern-Hirten 
{„vlachen")^  in  der  dritten  zwei  Hirten  auf.  Ob  eine  oder  mehrere 
Personen  den  Prolog  sprechen,  in  der  Regel  wird  auf  den  Ort  der 
Handlung  angespielt  (das  ist   die  Stadt  Ragusa,    die    immer   mit 


'j  Nur  jTirena'  scheint  nach  zwei  Jahren  („onomlani"  das  erste  Mal)  wieder- 
holt worden  zu  sein  (vergl.  agr.  Ausg.  S.  2fi). 


620  Vatroslav  Jagic, 

^^''^J^  warmer  Liebe    und  Begeisterung    gepriesen   wird)    und    dann    der 
C7^  Inhalt  des  Stückes  möglichst  knapp  angedeutet.     Vor  der  eigent- 

lichen Inhaltsangabe  geschieht  gern  der  improvisierten  Gesellschaft, 
die  das  Stück  aufführen  wird,  in  humoristischer  Weise  Erwähnung. 
Das  waren  junge  Leute  aus  vornehmen  Kreisen.  I)r/ic  macht  drei 
solche  Gesellschaften  namhaft  in  seinen  Komödien.  Ob  jene  nach 
verschiedenen  Namen  auseinandergehaltenen  Gesellschaften  aus  ver- 
schiedenen Personen  bestanden,  ob  für  jeden  einzelnen  Fall  ein 
besonderes  Ensemble  gebildet  wurde,  alles  das  lässt  sich  derzeit 
noch  nicht  beantworten.  Es  fehlen  Angaben  und  Vorstudien.  In 
der  Regel  werden  es  persönliche  Freunde  des  Dichters  gewesen  sein, 
die  ihm  das  Stück  aufführen  halfen;  wahrscheinlich  spielte  er 
selbst  mit.  Die  Frauenrollen,  die  übrigens  in  allen  Stücken  stark 
zurücktreten,  sei  es  denn,  dass  von  Dienstboten  oder  ähnlichen 
Personen  niedriger  Stellung  die  Rede  ist,  wurden  ohne  Zweifel  von 
den  männlichen  Mitgliedern  der  improvisierten  Schauspielertruppe 
gegeben. 

Das  ragusanische  Publikum  des  sechzehnten  Jahrhunderts  — 
wohl  nicht  das  Volk  als  solches,  eher  ausschliesslich  die  vornehmen 
adeligen  Kreise  und  die  Patricier  der  Stadt  —  scheint  den  Pastoral- 
spielen mit  der  mythologischen  Romantik,  wobei  Gesänge  und  Tänze 
vorkamen,  mehr  geneigt  gewesen  zu  sein,  als  den  Piecen  ohne 
solche  Ingredienzen.  In  dem  vierten  Stücke  Drzic's,  das  wie  die 
meisten  anlässlich  einer  Hochzeit  gespielt  wurde,  tritt  im  Prolog 
eine  Bergnymphe  (Vila)  redend  auf,  sie  erzählt  dem  Publikum,  der 
Bräutigam  habe  die  Nymphen  gebeten,  mit  ihrem  Gesang,  Tanz 
und  sonstigen  Unterhaltungen  das  Fest  zu  verherrlichen,  sie  seien 
gekommen,  um  dem  Bräutigam  und  der  ganzen  Gesellschaft  Freude 
zu  bereiten,  doch  ihre  Berge  seien  grösser  als  diese  Stadt,  ihre 
Ebenen  ausgedehnter  als  dieser  Raum,  sie  fühlen  sich  hier  beengt, 
werden  sich  aber  bemühen,  ihr  Möglichstes  zu  leisten.  Im  ,Skup' 
(Avarus),  der  ähnlich  aus  Anlass  einer  Hochzeit  aufgeführt  wurde, 
tritt  im  Prolog,  als  etwas  Ungewöhnliches,  ein  Satyr  redend  auf,  er 
sagt:  Auch  heute  hätte  eigentlich  eine  Vila  (Nymphe)  den  Prolog 
hersagen  sollen,  und  zwar  in  schönen  glatten  Versen,  da  sich  das 
Publikum,  namentlich  die  Damen,  beklagt,  wenn  Nymphen  und 
Satyrn,  Kränze  und  Rosen,  wenn  Cupido  mit  den  Pfeilen  in  dem 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e,  südslavisch.  Umarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.    621 

Stücke  fehle.  Doch  diesmal  sei  etwas  Komisches  passiert.  Die 
wohlbekannte  Theatergesellschaft  —  der  Dichter  nennt  sie  „Njar- 
njasi",  eine  humoristische  Namensbezeichnung,  deren  Wirkung  so 
charakterisiert  wird,  dass  bei  der  Nennung  dieses  Namens  der  Hund 
wie  Yor  einem  Prügelstock  davon  renne  —  hätte  eine  Nymphe 
engagiert,  die  bei  einer  kühlen  Wasserquelle,  auf  Blumen  gebettet, 
früh  vor  dem  grauenden  Morgen  den  Prolog  hätte  recitieren  sollen, 
allein  da  im  Stück  eine  Schwiegermutter  vorkommt,  die  über  die 
jungen  Frauen  herfällt,  so  hätte  sich  jene  Schauspielertruppe,  die 
es  mit  den  jungen  Damen  halte,  geweigert,  das  Stück  aufzuführen. 
Da  musste  eine  andere,  minder  geübte  Truppe  die  Rollen  über- 
nehmen und  mit  dieser  trete  auch  er  (der  Satyr)  auf.  Nun  aber 
sei  es  bekannt,  dass  die  Nymphen  den  Umgang  der  Satyrn  meiden. 
So  habe  auch  die  in  Aussicht  genommene  Yila  (Nymphe)  nicht 
einmal  einige  Worte  hersagen  wollen.  Das  verehrte  Damenpublikum 
werde  also  für  diesen  Abend  ohne  Nymphen  fürlieb  nehmen  müssen 
(der  Redende  vertröstet  es  mit  dem  Versprechen  aufs  nächste  Jahr), 
auch  die  Herren  Edelleute  mögen  die  heutige  Aufführung  sehr  nach- 
sichtig beurtheilen.  Das  in  dieser  Weise  motivierte  Auftreten  des 
Satyrs  im  Prolog  hat  natürlich  sein  Vorbild  in  dem  Plautinischen  Lar, 
er  will  dem  Geizhals  des  Stückes  in  einem  Gebirge  den  Schatz  entdeckt 
haben,  also  Anspielung  an  Lars  Vorgang  (Aulul.  v.  24—25).  Der 
Stoff  der  Komödie  ,Skup'  wird  ausdrücklich  auf  Plautus  zurück- 
geführt. Satyr  spricht:  wollt  ihr  wissen,  was  für  Komödie  heute 
aufgeführt  wird,  „sie  ist  älter  als  mein  Gross-  und  Urgrossvater, 
älter  als  die  alte  Schlachtbank,  wo  jetzt  die  Kinder  baden'),  älter 
als"  —  (hier  folgt  ein  dritter  Vergleich,  den  ich  nicht  verstehe), 
„sie  ist  ganz  gestohlen  aus  einem  alten  Buch,  aus  —  Plautus,  den 
man  in  der  Schule  den  Knaben  liest".  Nun  folgt  kurz  die  Inhalts- 
angabe: „Es  wird  ein  Greis  auftreten,  der  in  einem  Krug  einen 
Schatz  gefunden  und  diesen  in  einen  Kasten  unter  dem  Herde  ver- 
steckt hat,  doch  er  leugnet,  ihn  gefunden  zu  haben  (ich  lese  das 
sinnlose  taj  im  Texte  als  taji).  Er  hat  eine  einzige  Tochter,  die 
er  lieber  unverheirathet  lassen  möchte,  als  ihr  von  dem  Schatz 
etwas  zur  Mitgift  zu  geben.    Was  aus  ihm  und  dem  Schatz  endlich 


')  Diese  Localitätsbezeichnung  ist  real. 


^  622  Yatroslav  Jagic, 

J"   > 
•u    V       V  werden  wird,    das  soll   euch  die  Komödie  erzählen."     Man  muss 

•yj/^  bedauern,  dass  nicht  wenigstens  ganz  kurz  im  Prologe  die  Lösung 

/^  des  Stückes  angedeutet  ist,   da  im  Text  die  letzten  Scenen  gerade 

so  fehlen,  wie  bei  Plautus.    Schon  diese  Inhaltsangabe  des  l'rologs 

zeigt,  wie  selbständig  der  ragusanische  Dichter  sein  Vorbild,  die 

Aulularia,  für  besondere  Zwecke  verwerthet  und  dem  Geschmack 

seiner  Zeit  und  seines  Publikums    entsprechend    umgestaltet    hat. 

Das  wird  die  Analyse  des  Stückes  selbst  noch  besser  illustrieren, 

zu  der  ich  gleich  übergehe,  von  Akt  zu  Akt,  von  Scene  zu  Scene 

dem  Texte  Drzic's  folgend,  mit  einiger  Ausführlichkeit,  die  durch 

die  geringe  Bekanntschaft    der  Sprache    des  Originals    im  Westen 

Europas  gerechtfertigt  sein  mag. 

1.  Akt.  1.  Scene.  Variva  (so  viel  als  Köchin,  von  variti:  kochen)  ist  ein 
alter  weiblicher  Dienstbote  (Köchin)  bei  dem  geizigen  Alten;  Gruba  (die  „Häss- 
liche")  ein  junges  Dienstmädchen,  durchaus  nicht  hässlich  gedacht,  wie  der 
Name  lautet,  bedienstet  im  Hause  der  nächsten  Nachbarschaft.  Die  beiden 
führen  vor  dem  Hause  des  Geizhalses  ein  Gespräch,  das  junge  Mädchen  war 
gekommen,  um  Feuer  zu  holen,  wurde  aber  vom  alten  Geizhals  aus  der  Küche 
über  die  Treppe  hinuntergejagt.  Den  Gegenstand  des  Gespräches  bildet  die 
Tochter  des  Geizhalses,  Andriana,  der  eine  Zwangsheirath  mit  einem  reichen 
Alten  bevorsteht.  Gruba  macht  sich  über  den  Alten  als  Heirathscandidaten  lustig. 

2.  Scene.  Während  dieses  Gespräches  vor  dem  Hause  wird  Yariva  vom 
Alten  hinaufgerufen,  sie  habe  nicht  mit  fremden  Menschen  zu  klatschen!  In 
der  Antwort,  die  sie  nicht  schuldig  bleibt,  gebraucht  sie  von  ungefähr  das 
Wort  ^tesoro'  (der  Schatz),  wodurch  sie  das  Misstrauen  des  Geizhalses  erweckt. 
Kr  schilt  sie  Diebin,  sie  antwortet:  in  diesem  Hause  sei  nichts  zu  stehlen, 
ausser  etwa  Spinngewebe,  kochen  lasse  er  nichts,  die  Töpfe  seien  leer,  sie  und 
seine  Tochter,  ein  Engel  von  Mädchen,  leiden  Hunger.  Der  Geizhals  sucht  sie 
zu  beschwichtigen,  sie  soll  nichts  von  irgend  welchem  Schatz  sprechen, 
es  könnte  sonst  jemand  wirklich  daran  glauben.  Variva  wünscht  etwas  für 
das  Mittagessen  einzukaufen,  das  Nachsinnen  über  den  Schatz  überlasse  sie 
ihm.  Dadurch  regt  sie  von  neuem  den  Greis  auf,  er  droht  ihr,  sie  bald  fort- 
zujagen, sie  habe  ihm  ja  eine  Auskundschafterin  ins  Haus  gebracht,  denn  was 
hätte  sonst  jenes  Mädchen  in  seinem  Hause  zu  suchen?  Er  schickt  sie  hinauf  zur 
Andriana.  Auf  die  abermalige  Frage,  ob  was  gekocht  wird,  macht  er  sich  über 
sie  mit  dem  Wortspiel  lustig:  sie  würde  ja  nicht  „Köchin"  (Variva)  heisson, 
wenn  sie  nicht  in  einem  fort  an  das  Kochen  dächte.  Sie  möge  sich  oben  mit 
dem  Spinnen  beschäftigen.  Da  kommst  du  mir,  der  Unglücklichen,  mit  einem 
Schatz,  erwidert  Variva.  Das  Wort  „Schatz"  bringt  von  neuem  den  Alten  in 
Wuth,  er  ist  nahe  daran,  sie  zu  prügeln.  Sie  geht  fort  mit  der  Ver- 
wünschung: der  Schlag  möge  ihn  treffen!     In  einem  Selbstgespräch  lamentiert 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Umarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.  623 

der  Geizige  so:  Diese  Ribalda,  diese  Eselin,  dieses  elende  Weib!  Das  ist  mein 
Ruin.  Jage  ich  sie  fort,  so  wird  sie  vom  Schatz  ausplaudei'u,  es  ist  aber  auch 
bedenklich,  sie  zu  behalten.  Sie  scheint  von  meinem  Schatz  etwas  zu  wissen. 
Doch  —  was  bedeutet  jenes  Klopfen  oben?  Per  santa  Maria,  sie  erbricht  ja 
das  Schlossl  Er  schreit  wehklagend:  ich  habe  Räuber  im  Hause!  Die  Köchin 
meldet  sich,  sie  hatte  Holz  gespalten.  Dennoch  verlangt  der  misstrauische 
Geizhals  den  Küchenschlüssel,  wobei  ihr  die  Worte  entschlüpfen :  er  müsse 
doch  irgend  welches  „Kleingeld"  („mraku",  soviel  als  Marke)  dort  oben  ver- 
steckt halten.  Dafür  giebt  er  ihr  eine  Ohrfeige,  worauf  sie  so  heult,  dass  die 
Tochter  Andriana  erscheint  und  den  Vater  zur  Besonnenheit  mahnt.  Er  jagt 
sie  beide  hinauf  und  führt  einen  Monolog  darüber,  wie  unglücklich  er  sei: 
kein  Gold  haben  sei  schlimm,  welches  haben  noch  schlimmer.  Unglücklicher- 
weise liebe  er  das  Gold  mehr  als  die  Seele.  In  einem  Krug  {muncielu)  habe 
er  es  gefunden,  in  diesem  bewahre  er  es;  er  sehe  wie  ein  Oelkrug  aus.  In 
einer  eisenbesclilagenen  Tnihe  würde  es  weniger  sicher  untergebracht  sein. 
Selbst  während  der  Messe  spreche  eine  innere  Stimme  zu  ihm:  gehe,  zeige 
dich  plötzlich  zu  Hause;  denn  wo  Gold  ist,  dort  giebt  es  keine  Tugend,  das 
Gold  verdirbt  den  Menschen,  Gelegenheit  macht  Diebe.  Das  Gold  sei  unter 
allen  Umständen  eine  Kalamität.  Nicht  Amor  sei  Amor,  sondern  das  Gold, 
das  alles  in  seiner  Gewalt  habe:  Alt  und  Jung,  Schön  und  Hässlich,  Heilig  und 
Sündhaft,  Weltlich  und  Kirchlich.  Jetzt  doctorieren  goldene  Esel,  weil  sie  golden 
sind,  ihre  ganze  Weisheit  bestehe  darin,  wohlbeleibt  für  schön,  reich  für  weise 
zu  halten.  Dem  Golde  werde  der  erste  Platz  eingeräumt.  —  Abermals  schreit 
er  hinauf,  ob  sie  (die  Köchin  und  die  Tochter)  oben  seien,  und  befiehlt  ihnen, 
niemanden  hinaufzulassen,  nicht  einmal  um  Feuer  zu  holen  CAulul.  v.  91 — 92), 
die  Treppenthür  abzusperren,  und  wenn  jemand  aus  der  Nachbarschaft  käme, 
um  etwas  auszuleihen,  sollen  sie  sagen,  die  Diebe  haben  alles  gestohlen,  nichts 
sei  im  Hause  geblieben.  Variva  bemerkt  spöttisch,  es  gebe  ja  nichts  im 
Hause  als  Spinnegewebe  (Aulul.  v.  84).  Der  Alte  monologisiert  weiter  über  die 
Schwierigkeit  seiner  Lage,  schwer  trenne  er  sich  vom  Hause  und  doch  müsse 
er  gehen,  weil  ihm  ein  Schuldner  für  heute  die  Bezahlung  der  Schuld  in  Aus- 
sicht stellte.  Gehe  er  nicht,  so  riskiere  er,  sein  Geld  zu  verlieren;  gehe  er,  so 
sei  der  Schatz  gefährdet.  Der  Sohn  höre  auf  Sohn,  der  Freund  Freund  zu 
sein,  Gold  verderbe  jede  Tugend.  Doch  der  Schlüssel  sei  ja  bei  ihm  und  die 
Weiber  wagen  nicht,  so  was  zu  thun.  Den  Schuldner  könne  er  doch  nicht 
aufgeben,  wenn  er  auch  sehr  ungern  auf  den  Markt  gehe,  wie  auf  den  Galgen 
(Aulul.  Y.  109  SS.).  Personen,  die  ihn  früher  unbeachtet  Hessen,  fangen  an  ihn 
jetzt  zu  grüssen,  sie  könnten  doch  etwas  gehört  haben  (Aulul._v^J.15s.)^ 

3.  Scene.  Kamillo  (der  im  geheimen  Andriana  liebt)  führt  ein  Gespräch 
mit  der  Gmba,  dem  Dienstmädchen  des  Hauses.  Er  ruft  sie  beim  Namen,  der 
„hässlich"  bedeutet.  Sie  knüpft  an  das  Wortspiel  an:  nicht  jeder  könne  so 
schön  sein,  wie  seine  Andriana.  Der  verliebte  Jüngling  fragt  seufzend,  ob 
sie  je  sein  wird.  Gruba  tröstet  ihn,  wofür  er  sie  beschenkt,  allerdings  giebt  er 


624  Yatroslav  Jagic, 

ihr  wenig,  aber  für  morgen  verspricht  er  ihr  ein  Taschentuch  voll  Ziickerwerk, 
wenn  sie  ihm  Variva  aus  dem  Nachbarhaiise  heninterrufen  wolle.  Das  Mädchen 
weigert  sich  das  zu  thun,  aus  Furcht  vor  dem  geizigen  Alten.  Er  weiss  ihr 
zwar  zu  sagen,  dass  der  Geizhals  jetzt  nicht  zu  Hause  sei,  dennoch  fertigt  ihn 
Gruba  mit  einem  Spmch  ab,  in  welchem  sie  ihm  für  weitere  Geschenke  ander- 
weitige Gefälligkeiten  in  Aussicht  stellt.  Inzwischen  öffnet  sich  bei  der 
Andriana  die  Thür,  Variva  erscheint  und  erzählt  dem  Jüngling  von  der  bevor- 
stehenden Zwangsheirath  seiner  Geliebten  mit  einem  reichen  Alten.  Sie  weine 
fort  und  fort,  dürfe  aber  nicht  herunterkommen  aus  Angst  vor  dem  Vater. 
Eamillo  bittet  die  Alte,  das  Mädchen  zu  trösten,  weiteres  werde  er  durch  Gruba 
mittheilen. 

4.  Sceue.  Dobre,  Kamillos  Mutter,  will  mit  ihrem  Bnider  Zlatikum  (etwa 
„Goldväterchen")  ausserhalb  des  Hauses  eine  Unterredung  haben.  Sie  giebt  in 
den  einleitenden  Worten  die  Inferiorität  des  Frauenverstandes  ohne  weiteres 
zu,  doch  die  Liebe  zum  Bruder  flösse  ihr  einen  guten  Rathschlag  ein.  Gleich- 
sam als  eine  Offenbamng  des  heiligen  Geistes  möchte  sie  ihm  hier  etwas  mit- 
theilen, was  sie  im  Hause,  in  Gegenwart  zahlreicher  Hausgenossen,  nicht  thuu 
könne.  Der  Rath  geht  dahin,  er  möge  heirathen.  Dem  Bruder  scheint  der 
Rath  etwas  spät  zu  kommen,  er  sei  ja  schon  alt,  habe  grauen  Bart,  graue 
Haare,  auch  der  Husten  verrathe  das  Alter.  Die  Schwester  giebt  nicht  nach, 
sie  hat  bereits  eine  Braut  mit  vielen  tausend  Dukaten  für  ihn  in  Aussicht 
genommen.  Von  einer  solchen  will  der  Bruder  schon  gar  nichts  hören,  sie 
würde  ihn  beherrschen  wollen  und  übertriebenen  Luxus  machen,  eine  Frau 
mit  Mitgift  lehne  er  entschieden  ab.  Sie  sucht  ihn  dennoch  umzustimmen  und 
so  kommen  sie  überein,  dass  er  eine  Frau  ohne  Mitgift  nehme,  wobei  er  selbst 
auf  die  Tochter  des  armen  Nachbarn  hinweist,  sie  sei  brav  und  wohlgesittet,  er 
habe  bereits  mit  dem  Vater  des  Mädchens  davon  gesprochen,  wenn  er  heiratheu 
sollte,  dass  er  seine  Tochter  zur  Frau  nehmen  würde.  „Zur  guten  Stunde"  — 
mit  diesen  Worten  begleitet  die  Schwester  die  ersten  Schritte  ihres  Bruders 
zum  Geizhals  (Aulul.  v.  120—175). 

II.  Akt.  1.  Scene.  Der  Diener  Kamillos,  er  heisst  Munuo  (etwa  „Wind- 
beutel"), klagt  im  Selbstgespräch  über  seine  schwierige  Aufgabe,  einen  vor- 
liebten Herrn  bedienen  zu  müssen,  wobei  dessen  launenhaftes  Benehmen  nach- 
geäfft wird.  Jetzt  sei  er  von  diesem  mit  dem  Auftrage  betraut,  auszukund- 
schaften, was  im  Hause  Andrianas  vor  sich  gehe  (Aulularia  v.  586—607;.  Am 
besten  wird  es  sein,  meint  er,  wenn  auch  er  seinerseits  sich  in  Gruba  verliebt, 
deren  feurige  Blicke  Pfeile  schiessen.  Sie  kommt  und  er  reicht  ihr  einen 
Apfel  (nach  der  südslavischen  Freiungssymbolik).  Sie  weist  die  Werbung  mit 
einigen  Verslein  zurück  und  läuft  weg  (Einzelheiten  dieser  Stelle  sind  in  der 
jetzigen  Textfassung  unverständlich).  Munuo  sagt,  nun  gebe  es  zwei  Verliebte, 
er  habe  sein  eigenes  Interesse  besser  als  den  Auftrag  des  Herrn  besorgt,  und 
so  verzehre  jetzt  das  Feuer  der  Liebe  beide,  den  Herrn  und  den  Diener.  Er 
will  dem  Mädchen   nachgehen,    da   erscheint   der  Herr  (Kamillo).      Zum  Glück 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Fmarheit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrli.  625 

hört  dieser  die  letzten  Worte  seines  Dieners  nicht;  er  kann  von  ihm  nur  das 
erfahren,  dass  bisher  nichts  ausgekundschaftet  worden. 

2.  Scene.  Der  Geizige  und  der  Freier  führen  ein  Gespräch.  Zuerst 
klagt  der  Geizige  (monologisch),  dass  er  mit  leeren  Händen  nach  Hause  gehe 
(Aulul.  V.  178),  wobei  er  sich  über  sich  selbst  wundert,  dass  er  nicht  mit 
grösserer  Ungeduld  nach  Hause  eilt,  um  nachzusehen,  ob  dort  alles  in  Ord- 
nung ist.  Ueberall  denke  er  nur  an  sein  Gold  zu  Hause  (Aulul.  v.  181),  das 
ohne  Geruch  ihm  am  besten  rieche.  Ob  es  nicht  schon  jemand  gerochen?  Wer 
ihn  früher  nicht  grüsste,  grüsse  ihn  jetzt.  Da  kommt  ihm  der  alte,  reiche 
Zlatikum  grüssend  entgegen.  Es  entwickelt  sich  ein  fein  durchgeführtes  Ge- 
spräch. Jedes  Wort  des  Freiers  wird  vom  misstrauischen  Alten  auf  die  Wage 
gelegt.  Jener  behauptet,  reich  sei,  wer  brav  ist,  dieser  umgekehrt:  brav  sei, 
wer  reich  ist;  er  als  armer  Teufel  könne  weder  sich  selbst  noch  anderen  brav 
sein.  Der  Freier  betheuert  ihm,  er  gelte  ihm,  so  wie  er  ist,  für  lieb  und  reich. 
Dem  Geizhals  ist  das  letzte  Wort  verdächtig,  er  spricht  (für  sich):  0  weh,  er 
hat  es  gerochen  (Aulul.  v.  216)1  0  Gold,  wie  hoch  geschätzt  du  bist  (Aulul. 
265)1  Der  Freier  fragt,  was  er  vom  Gold  spreche?  Der  Geizhals:  Gold  und 
Gold.  Du  bist  Gold  und  dein  Haus  ist  Gold,  ich  aber  bin  Rost  am  alten  Eisen. 
Armuth  ist  das  ärgste  Ding.  Der  Rost  verträgt  sich  nicht  mit  dem  Gold,  der 
Reiche  hat  keinen  Vortheil  von  dem  Armen.  Was  gelte  ich  dir?  Zlatikum: 
Du  giltst  mir  viel.  Der  Geizhals  (für  sich):  0  weh,  er  hat  es  gerochen,  dass 
ich  Gold  habe.  Zlatikum:  Was?  Der  Geizige:  Was  soll  das  Gold  mit  dem 
Rost?  Ich  habe  an  meinen  Sorgen  genug:  ein  mannbares  Mädchen  zu  Hause 
ohne  Mitgift  (Aulul.  v.  191)1  Zlatikum:  Alles  hat  man,  so  Gott  es  will.  Geiz- 
hals (für  sich):  Gewiss  hat  er  das  Gold  bei  mir  gerochen.  Zlatikum:  Was  sagst 
du?  Der  Geizige:  Gold  ist  Gnade  Gottes.  Doch  ich  habe  zu  Hause  viel  zu 
thun.  Hast  du  mir  noch  was  zu  befehlen?  Zlatikum:  Warte,  gleich  sollst 
du  gehen.  Wie  alt  ist  deine  Tochter?  Die  Armuth  lassen  wir  bei  Seite. 
Wolltest  du  sie  verheirathen?  Der  Geizhals  mag  in  seinem  Misstrauen  zunächst 
nichts  davon  hören,  weil  er  glaubt,  jener  speculiere  auf  seinen  Schatz,  doch  der 
Freier  lässt  ihn  nicht  fort  und  erklärt,  er  wolle  seine  Tochter  auch  ohne  Mitgift 
zur  Frau  nehmen.  Auch  dann  noch  hat  der  Geizige  seine  Bedenken:  sie 
beide  würden  ein  schlechtes  Paar  abgeben,  neben  dem  Reichen  eine  hungrige 
Laus,  die  ihn  nur  beisseu  würde  (Aulul.  226 — 235).  Der  Freier  beruhigt  ihn 
auch  in  dieser  Hinsicht.  Eben  haben  sie  sich  die  Hände  gereicht,  da  plötzlich 
fährt  der  Geizhals  erschrocken  zusammen  und  schreit:  ich  bin  ruiniert!  Er 
hat  einen  Schlag  in  seinem  Hause  gehört  und  läuft  eiligst  davon  (Auluh  242). 
Der  alte  Freier  wundert  sich  über  den  Schrecken  des  Geizhalses:  wenn  ein 
Reicher  zum  Armen  kommt,  glaubt  dieser  gleich,  jener  sei  gekommen,  um  ihn 
zu  hintergehen:  so  verscherzen  sie  oft  ihr  Glück  (Aulul.  244 — 249).  Indessen 
kommt  der  Geizhals  zurück  und  spricht  (wahrscheinlich  mit  Bezug  auf  die  letzten 
gehörten  Worte):  ich  werde  dir  schon  die  Zunge  herausreissen  (AuluL^oO)^ 
Das  Gespräcli  wird  erneuert,  beide  werden  darüber  einig,  dass  der  alte  Freier 

Festschrift   Vahlen.  40 


()2G  Vatroslav  Jagic, 

ohne  Mitgift  die  Tochter  des  Geizhalses  heirathet  (Aulul.  255—8).  Der  Geizhals 
begleitet  das  Fortgehen  des  Freiers  mit  der  höhnischen  Bemerkimg  (für  sich): 
von  seinem  Schatz  werde  er  nichts  bekommen,  möge  er  sich  auch  einbilden, 
dass  dieser  ihm  schon  gehört  (Aulul.  265 — 7). 

3.  Scene.  Der  Geizhals  spricht  zur  alten  Köchin,  jetzt  möge  sie  aufhören, 
in  der  Nachbarschaft  von  der  angeblichen  Mitgift  seiner  Tochter  herum- 
zuklatschen  (Aulul.  268)  und  lieber  die  Nachricht  verbreiten,  dass  der  reiclie 
Nachbar  seine  Tochter  ohne  Mitgift  zur  Frau  nehmen  werde.  Variva  erlaubt 
sich  Einwendungen  wegen  des  grossen  Altersunterschiedes,  die  vom  Geizhais 
nicht  unbeantwortet  gelassen  werden.  Der  Tochter  lässt  er  sagen,  dass  sie 
sich  hübsch  ankleide,  beide  sollen  die  Wohnung  in  Ordnung  bringen  (Aulul.  270), 
doch  niemanden  ins  Haus  lassen,  bis  nicht  er  selbst  mit  Einkäufen  zurück- 
kommt (Aulul.  273 — 4).  Variva  philosophiert  im  Selbstgespräch,  dass  für 
manches  Mädchen  es  besser  wäre,  in  einem  „Hospital"  das  Licht  der  Welt  zu 
erblicken,  da  würde  sich  Gott  zu  liebe  jemand  erbarmen  und  es  verheirathen, 
so  gut  es  eben  ginge,  man  würde  sie  nicht  so  „ins  Meer  werfen"  (wahr- 
scheinlich ist  die  ganze  Reflexion  Anspielung  an  irgend  eine  Sitte  jener  Zeit 
in  Ragusa  betreffs  der  Versorgung  der  „vaterlosen"  Mädchen).  Was  werde 
dieses  Mädchen  besser  haben  in  dem  Hause  des  alten  Mannes,  als  es  zu  Hause 
beim  geizigen  Vater  hat?  Nun  ja,  es  werde  satt  und  gekleidet  sein,  während 
es  zu  Hause  Hunger  leidet  und  nackt  herumgeht.  Sie  gedenkt  dabei  seufzend 
Kamillos,  der  in  demselben  Augenblick  vor  ihr  erscheint,  und  theilt  ihm  die 
Neuigkeit  mit.  Es  geht  ihm  wie  ein  Stich  durchs  Herz,  der  Diener  eilt  zur 
Hilfe.  Kamillo,  zu  sich  gekommen,  fragt,  ob  es  keine  Abhilfe  gebe?  Der 
Diener  gibt  ihm  den  Rath,  nach  Hause  zu  gehen  und  sich  krank  zu  stellen ; 
er  werde  die  Ursache  der  Krankheit  überall  erzählen  und  das  Gerücht  von 
seiner  geheimen  Verlobung  mit  Andriana  verbreiten.  Auch  Variva  beruhigt 
ihn,  Andriana  werde  treu  zu  ihm  halten,  doch  seinen  Wunsch,  das  Mädchen 
zu  sehen  und  mit  ihm  zu  sprechen,  kann  sie  ihm  nicht  erfüllen:  wenn  An- 
driana ihn  jetzt  sähe,  würde  sie  sich  vor  Verzweiflung  als  Wulmsiunige  ge- 
bärden, man  müsse  ihre  Ehre  schonen.  Schwer  trennt  sich  Kamillo  von  dem 
Ort,  nachdem  ihn  noch  der  Diener  damit  getröstet,  dass  sein  „dundo"  (Oheim) 
als  vernünftiger  Mensch  von  dem  Vorhaben  zurücktreten  werde,  sobald  er  er- 
fährt, dass  Andriana  dem  Kamillo  das  Versprechen  gegeben. 

4.  Scene.  Pasiraaha  (so  heisst  der  Diener  und  Koch  des  alten  Freiers, 
der  Name  ist  mir  unverständlich,  vielleicht  ist  „Pazimaha"  zu  lesen)  nimmt 
den  Mund  voll,  er  brüstet  sich  grossthuerisch,  mit  der  goldgefüllten  Tasche 
seines  Herrn  den  ganzen  Markt  mit  sich  zu  schleppen,  alles  laufe  ihm  nach, 
im  Nu  wären  alle  Einkäufe  besorgt.  Dabei  wird  die  Macht  des  (Jeldes  ge- 
priesen, und  auch  die  der  Liebe,  die  den  Freier  ganz  jung  gemacht.  Wie  ein 
Anführer  eines  Heereszuges  —  so  werden  auch  in  der  Volksdichtung  immer 
die  Hochzeitszüge  geschildert  —  will  der  Koch  mit  einem  Gefolge  von  ge- 
dungenen Leuten,  die  ihm  bei  der  Bereitung  des  Gastmahls  verschiedene  Dienste 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Fmarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrli.    ß27 

leisten    werden,    vor   dem    Hause   seines   Herrn   erscheinen  (vergl.  Aulul.  327 
bis  329). 

HI.  Akt.  1.  Scene.  Dobre  (soviel  als  Bona)  giebt  im  Selbstgespräch  der 
Besorgnis  Ausdruck,  dass,  wenn  der  Geizhals  ihrem  Bruder  eine  nur  zur 
Hälfte ')  zufriedenstellende  Antwort  erteilt,  die  ganze  Heirathsangelegenheit  in 
die  Brüche  gehen  könnte,  weil  ihr  Bruder  keine  entschiedene  Neigung  zur  Heirath 
hätte.  Da  erblickt  sie  einen  Bekannten  Namens  Gjivo  (Giovanni)  —  man 
muss  sich  die  Situation  so  vorstellen,  als  ob  dieser  Gjivo  irgendwo  von  der 
Angelegenheit  bereits  gehört  und  mit  dem  Geizhals  darüber  gesprochen  hätte  — , 
sie  knüpft  mit  ihm  ein  Gespräch  an,  das  auf  einem  Missverstäudnis  aufgebaut 
ist.  Sie  fragt,  ob  der  Geizhals  zufrieden  sei,  und  was  das  Mädchen,  die 
Tochter,  dazu  sage.  Er  meldet  das  Allerbeste,  weil  er  an  Kamillo  und  nicht 
an  den  reichen  Alten  als  Bräutigam  denkt.  Sobald  aber  Gjivo  den  Namen 
Kamillo  ausspricht,  geht  das  Schimpfen  Dobres  los,  zuerst  gegen  ihren  eigenen 
Sohn,  der  noch  zu  jung  zum  Heirathen  sei,  noch  dazu  ohne  ihr  Wissen,  und  als 
Gjivo  sie  beschwichtigen  will,  weil  sie  durch  die  Schwiegertochter  eine  Stütze 
fürs  Haus  bekommen  werde,  auch  gegen  die  Schwiegertöchter  im  allgemeinen: 
sie  schlafen  bis  in  den  hellen  Tag  hinein,  kaum  zwei  Zofen  reichen  aus,  um 
ihnen  beim  Schnüren  und  Ankleiden  zu  helfen,  vor  dem  Spiegel  mit  Haar- 
frisuren und  anderem  Aufputz  beschäftigt,  werden  sie  kaum  bis  zum  Mittag- 
essen damit  fertig;  wenn  in  die  Kirclie  gegangen  werden  soll,  sei  die  Messe 
schon  zu  Ende.  Noch  anderen  Zeitvertreib  wirft  sie  ihnen  vor,  es  ist  von 
kleinlichen  dem  Luxus  dienenden  Beschäftigungen  die  Rede  (deren  Einzelheiten 
wir  nicht  recht  verstehen),  wogegen  sie  von  den  Zeiten  ihrer  eigenen  Jugend 
ein  ganz  anderes  Bild  entwirft:  auch  wir  waren,  sagt  sie,  jung  und  hübsch,  aber 
wir  Hessen  uns  in  der  Küche  sehen,,  um  Ave  Maria  standen  wir  zur  Arbeit  auf. 
Mein  Verstorbener,  Gott  gebe  ihm  Seelenfrieden,  pflegte  mir  zu  sagen:  Dobre, 
du  wirst  dich  zu  Grunde  richten,  spät  legst  du  dich  nieder,  früh  stehst  du 
auf.  Thue  das  nicht.  Und  doch  —  bis  er  aufstand,  hatte  sie  schon  zwei 
Spindeln  gesponnen,  fürs  Mittagessen  das  Nöthige  besorgt  und  hundert  andere 
Dinge  verrichtet.  Gjivo  antwortet:  Das  war  zu  viel.  Die  Eltern  geben  ja 
ihre  Töchter  den  Männern  nicht  zu  Dienstboten,  sondern  zu  Frauen  und 
Herrinnen.  Er  lasse  seine  Frau  nicht  so  früh  aufstehen,  ihm  behage  es  mit 
ihr  in  der  Früh  im  Bette  Gespräche  zu  führen.  Wer  die  Frau  liebt,  der  liebt 
auch  alles,  was  sie  thut.  Sind  sie  denn  unsere  Sklavinnen?  Die  Dienstboten 
gehören  in  die  Küche,  die  Spinnerinnen  vor  den  Flachs,  die  Frau  soll  im 
Hause  herrschen.  Die  alte  Dobre  widerspricht  solchen  Grundsätzen:  sie 
herrschen,  ja,  aber  bei  den  Narren,  zupfen  diese  beim  Bart,  das  geschehe  ihnen 
recht.  Und  deine  verhätschelte  Frau,  wird  sie  dir  etwa  die  Hosen  flicken 
wollen?     Dafür  sind  die  Schneider  da,  antwortet  Gjivo,  nicht  aus  der  Fassung 


')  Statt  des   sinnlosen   ,s  povolje'   lese  ich  ,s  pu  volje'  im  Text  auf  S.  211 
der  agramer  Ausgabe. 

40* 


628  Vatroslav  Jagic, 

gebracht.     Ja,  früher  waren  andere  Zeiten,    sagt  er,    einst  gingen  die  Frauen 
in  Leinen  hemm,  jetzt  kleiden  sie  sich  in  Seide,  und  thun  wohl  daran. 

2.  Scene.  Gruba  kommt  und  meldet  Nachrichten  von  Kamillo.  Er  sei 
vor  Liebesgram  im  Sterben.  Die  Mutter  fragt  (offenbar  ist  sie  seit  ihrem  Ge- 
spräch mit  dem  Bruder  nicht  zu  Hause  gewesen);  wer  ist  im  Sterben?  Gruba 
wiederholt,  sie  sei  von  der  Frau  Gjivos  hierher  geschickt,  um  zu  melden,  dass 
Kamillo  im  Sterben  liege,  Gjivo  möge  Aerzte  holen.  Die  Mutter  fragt  aber- 
mals, wie  das  geschehen.  Gruba  erklärt,  ihr  Sohn  sei  krank  und  sein  Zustand 
verschlimmere  sich  mit  jedem  Augenblick,  seitdem  er  von  der  Verlobung 
seines  Onkels  (Zlatikum)  mit  Andriana  Nachricht  bekommen,  da  er  selbst  dieser 
früher  das  Versprechen  gegeben.  Gjivo  erfährt  hier  zum  ersten  Mal  von  diesem 
Plane,  den  er  missbilligt.  Auf  weitere  Fragen  giebt  Gmba  die  Antwort,  dass 
der  Kranke  in  einem  fort  gähne  und  nach  Andriana  seufze. 

3.  Scene.  Pasimaha  (der  Koch)  zieht  mit  seinem  Gefolge,  gleichsam  im 
Triumphzug,  vor  das  Haus  des  Geizhalses.  Er  schreit:  tara  tara  tan,  zum 
wirklichen  „exercitus"  fehlt  uns  nichts  als  ein  Tambour.  Wir  bilden  ein  sieg- 
reiches Heer,  in  welchem  jedermann  gern  den  Dienst  leistet.  Vor  diesem 
Heer  capitulieren  alle  Kastelle,  sein  Kapitän  ist  ein  glücklicher  Mann,  der  immer 
nur  Siege  feiert,  jedermann  beeilt  sich,  ihm  die  Schlüssel  entgegenzubringen. 
Glücklich,  wer  uns  empfangen  kann!  Den  Fahnenträger  (Driemalo,  d.  h. 
„Schlafhaube")  heisst  er  die  Fahne  schwingen,  damit  sich  die  Fortezza  ergebe. 
In  dem  Tone  der  grossen  Maulhelden  sclireien  beide  fort,  bis  sich  Variva  an 
der  Thüre  sehen  lässt.  Der  Koch  begrüsst  sie  ironisch,  heute  werde  sie  einmal 
in  Fett  schwimmen.  Sie  erfährt,  dass  das  Gefolge  im  Namen  des  alten  Freiers 
Einlass  begehre.  Sie  hatte  zwar  Befehl  niemanden  einzulassen,  deunocii 
kann  sie  sich  nicht  widersetzen.  Der  Koch  zieht  mit  seinem  Gefolge  trium- 
phierend ins  Haus  ein  (vergl.  Aulul.  350—370). 

4.  Scene.  Munuo,  Kamillos  Diener,  berichtet  im  Monolog,  was  bei  seinem 
Herrn  vorgeht.  Die  Mutter  reisst  sich  die  Haare  aus,  Aerzte  eilen  zur  Hilfe, 
es  gebe  aber  nur  ein  Heilmittel,  die  Andriana,  die  man  ihm  zur  Frau  geben 
sollte.  Die  Vorbereitungen  zur  Hochzeit,  die  er  aus  dem  Treiben  des  Kochs 
und  seines  Gefolges  erschliesst,  machen  ihm  Sorgen.  Kamillos  Sache  stehe 
augenscheinlich  nicht  gut,  wenn  hier  wirklich  Vorbereitungen  zur  Hochzeit 
getroffen  werden.  Er  findet  es  nicht  rathsam,  jetzt  nach  Hause  zu  gehen,  um 
über  das  Geschehene  Kamillo  zu  berichten.  Da  kommt  der  Geizhals,  den  er 
belauschen  will. 

5.  Scene.  Der  Geizhals  (im  Selbstgespräch,  auf  dem  Rückwege  vom 
Markt  nach  Hause) :  Wer  eine  lieirathsfähige  Tochter  besitzt,  hat  tägliches  Fiel>er, 
Tag  und  Nacht  kommt  er  nicht  zur  Ruhe;  wer  aber  Verleitung  und  Hochzeit 
feiert,  nimmt  die  Last  eines  Berges  auf  seine  Schultern.  Icli  wollte  etwas  für 
den  Abend  einkaufen,  um  den  Schwiegersohn  anständig  zu  empfangen,  allein 
alles  ist  theuer  und  man  bekommt  nicht  das,    was    man    möchte    (Aulul.  375). 


Die  Auhilaria  d.  Plaiitus  i.  e.  südslavisch.  Umarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.    629 

Doch  ich  werde  mich  nicht  übermässig  anstrengen,  durch  die  fingierte  Armiith 
mnss  der  Schatz  gewahrt  werden,  sonst  würde  jedermann,  der  etwas  davon 
hörte,  für  gewiss  halten,  dass  ich  ihn  habe.  Unterdessen  kommt  er  seinem  Hause 
näher  und  philosophiert  weiter:  will  man  einem  Unglück  vorbeugen,  so  muss 
man  ein  wachsames  Auge  haben.  Doch,  sieh'  da!  jetzt  bemerkt  er,  dass  die 
Thür  seines  Hauses  offen  ist.  Was  bedeutet  der  Lärm?  0  weh!  In  dem- 
selben Augenblick  hört  er,  wie  der  Koch  einem  Mann  seines  Gefolges  zunift: 
bist  du  eingeschlafen,  du  Schlafhaube  (Anspielung  an  den  Namen  Driemalo)? 
Den  Krug  vom  Herde  her,  den  Krug!  (Aulul.  390).  Der  Geizhals,  als  er  diese 
Worte  hört,  schreit;  0  weh,  den  Krug,  meinen  Schatz!  Räuber!  Ist  niemand 
da?  Zu  Hilfe!  Driemalo  antwortet  dem  Koch:  ich  bringe  schon  den  Krug. 
Der  Geizhals:  was?  du  bringst  ihn?  Ach,  ihr  Verräther,  Assassini,  Räuber! 
Ach!  (Aulul.  391—6).  Kamillos  Diener  (der  von  der  Seite  den  Vorgang  be- 
obachtet): Miserere,  Amen.  Hier  prügeln  sich  die  Menschen.  Was  soll  dieser 
Lärm?  Gereicht  er  meinem  Herrn  zum  Vortheil  oder  zum  Nachtheil?  Er  er- 
blickt den  aus  dem  Hause  kommenden  Koch  und  versteckt  sich. 

6.  Scene.  Der  Koch  findet,  dass  der  Scherz  mit  der  Erstürmung  des 
Kastells  eine  ernste  Wendung  bekommen  hat.  Der  Geizhals  habe  sie  aus  dem  Hause 
gejagt,  er  schimpfe  sie  Räuber,  die  mit  Messern  auf  ihn  herfallen  und  ihn 
erstechen  wollen.  Driemalo  macht  dazu  die  ironische  Bemerkung:  nicht  eine 
Eierschale  Blutes  würde  man  aus  ihm  herauszapfen!  Pasimaha  nimmt  im 
Namen  seines  Herrn  spöttisch  vom  Geizhals  und  seinem  Hause  Abschied  und 
spricht  zum  Gefolge:  ziehen  wir  fort  als  ein  geschlagenes  Heer,  Proviant  haben 
wir  verloren,  der  Feind  den  Sieg  davongetragen.  Der  Diener  Kamillos  (für 
sich):  Bis  jetzt  lauten  die  Nachrichten  für  uns  günstig.  Für  heute  Abend 
dürfte  die  Hochzeit  vereitelt  sein.  Da  kommt  der  Geizhals,  etwas  für  sich 
brummend.    Munuo  will  ihn  behorchen. 

7.  Scene.  Der  Geizhals  (allein):  Die  Sache  ist  gut  verlaufen,  der  An- 
schlag misslungen.  Wäre  ich  etwas  später  gekommen,  so  würde  der  Alte 
meinen  Schatz  davongetragen  haben.  Hütet  man  etwas  sein  Leben  lang  und 
versäumt  den  entscheidenden  Augenblick,  so  ist  das  so  viel,  als  hätte  man  es 
nie  gehütet  (die  nächst  folgenden  drei  Worte  verstehe  ich  nicht).  Mir  ge- 
lang es,  das  Meinige  gut  zu  bewahren.  Merkwürdig,  wie  der  Alte  meinen  Schatz 
verschlingen  wollte.  Es  hatte  den  Anschein,  als  möchte  er  ihn  durch  die 
Heirath  an  sich  reissen,  aber  sieh'  da,  er  wollte  ihn  eigentlich  auffressen. 
Pardon!  Meine  Tochter  ohne  Mitgift,  ja,  so  bald  er  will,  aber  der  Schatz,  mit 
Erlaubnis,  bleibt  mein  (Aulul.  460 — 461). 

8.  Scene.  Der  reiche  Alte  (Zlatikum)  philosophiert  über  seine  bevorstehende 
Heirath.  Er  wollte  sich  überzeugen,  wie  seine  Freunde  diesen  seinen  Schritt 
beurtheilen.  Man  lobe  ihn  allgemein:  thäten  alle  so,  so  würde  göttlichen  und 
natürlichen  Gesetzen  Genüge  geschehen.  Der  Reiche  soll  dem  Armen  an  die  Hand 
gehen,  arme  Mädchen  sollen  von  den  Reichen  geheirathet  werden,  das  verlange 


630  Vatroslav  Jagic, 

der  Yortheil  der  Menschheit.  Der  armen  Mädchen  Mitgift  sei  ihre  Tugend, 
diese  gelte  bei  einem  Mädchen  mehr,  als  grosse  Mitgift.  So  würde  es  auch 
um  die  Stadt  besser  bestellt  sein,  die  Armuth  würde  sie  nicht  aufzehren. 
Allein  die  Habsucht  habe  die  Welt  verblendet,  jedermann  schaue  nur  aufs 
Geld.  Der  belauschende  Geizhals  ist  mit  diesen  Gmndsätzen  ganz  zufrieden, 
und  der  alte  Freier  fährt  fort:  Die  Reichen  glauben  aus  einer  Heirath  mit 
reicher  Mitgift  Vortheile  zu  ziehen,  sie  vergessen,  dass  reiche  Mitgift  grossen 
Aufwand  zur  Folge  hat,  und  wenn  der  Mann  darauf  nicht  eingeht,  so  hat  er  die 
Hölle  im  Hause,  die  Frau  wird  ihm  Vorwürfe  machen  (Aulul.  475—493).  Diese 
"Worte  klingen  dem  Geizhals  wie  ein  Nachtigallengesang,  er  fühlt  sich  benihigt, 
der  Alte  rechne  nicht  auf  seinen  Schatz.  Dieser  setzt  sein  Philosophieren  fort. 
Armer  und  braver  Eltern  Töchter  können  unmöglich  anders  als  brav  sein,  sie 
werden  sanftmüthig,  gehorsam,  in  ihren  Wünschen  bescheiden  sein  (Aulul.  534). 
Die  Männer  werden  wegen  ihrer  Bescheidenheit  noch  mehr  für  sie  thun,  als 
sie  verlangen.  Der  Geizhals,  dem  alle  diese  Worte  ausserordentlich  ge- 
fallen, tritt  jetzt  vor  den  Freier,  lobt  namentlich  seinen  Grundsatz,  dass  der 
Reiche  dem  Armen  an  die  Hand  gehen  soll,  und  dass  auf  die  Güte  des  Hauses 
mehr  Gewicht  zu  legen  sei  als  auf  die  Mitgift.  Der  Freier  (für  sich)  findet, 
dass  der  Geizhals  die  Güte  und  Tugend  mehr  an  anderen  lobt  als  selbst  in 
Anwendung  bringt.  Habsucht  sei  Ursache  aller  Uebel.  Der  Geizhals,  der  die 
letzten  Worte  hörte,  stimmt  bei,  fügt  aber  hinzu;  noch  viel  ärger  als  der 
Habsüchtige  sei  eigentlich  der  Prasser;  denn  jener  erhalte,  dieser  aber  ver- 
schwende. Beides  ist  vom  Uebel,  meint  der  Freier,  darum  sollte  auch  er  (der 
Geizige)  bei  ber  Verlobung  der  Tochter  doch  nicht  zu  knauserig  sich  zeigen, 
viel  verlange  man  ja  von  ihm  nicht.  Des  Geizhalses  Misstrauen  erwacht: 
Dieser  müsse  doch  etwas  von  seinem  Schatz  erfahren  haben,  Variva  wird  ge- 
plauscht haben  (Aulul.  548),  doch  —  Geduld.  Der  Freier  greift  das  Wort  auf, 
und  der  Geizhals  erklärt  es  so:  wo  nichts  ist,  dort  muss  man  Geduld  hal)en. 
Zugleich  beschwert  er  sich  über  das  Heer  von  Köchen,  die  man  ihm  ins  Haus 
schickte,  die  ihn  erstechen  wollten,  sein  Haus  eigne  sich  dazu  nicht  (Aulul. 
552  SS.),  Der  Freier  benihigt  ihn,  es  sei  nur  eine  trauliche  Abendzusammen- 
kunft beabsichtigt,  er  werde  ein  fettes  Zicklein  (Aulul,  567)  und  ausgezeich- 
neten Wein  schicken  (Aulul.  569).  Als  der  Geizhals  erklärt  keinen  Wein  zu 
trinken,  macht  sich  der  alte  Freier  über  ihn  lustig:  ein  guter  Bissen  und 
feuriger  Wein  erhalten  den  Greis.  Wenn  er  keinen  Wein  trinkt,  so  soll  er 
sich  das  Grab  bereit  halten:  nehme  man  dem  Greise  den  Wein,  so  bereite  man 
ihm  die  letzte  Oelung').  Der  Freier  will  auch  gleich  zu  Abend  den  Geistlichen 
mitbringen,  um  alles  in  einem  zu  Ende  zu  führen,  denn  sein  Alter  erlaube 
ihm  nicht,  lange  verlobt  zu  sein.  Der  Geizhals  ist  auch  damit  einverstanden. 
Der  Freier  verspricht  also  abends  wiederzukommen,  zunächst  werde  er  zum 
Barbier    gehen  —  und  spricht  l>fiin   Abschiod  zum   Geizigen  die  Worte:  Jetzt 


')  So  fasse  ich  das  Verbum  jm/cu'  auf. 


Die  Auliilaria  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Umarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrii.    631 

bist  du  der  reichste  Mensch,  weil  du  alles  hast,  was  du  willst!  Dem  Geizhals 
klingen  sowohl  diese  Worte  verdächtig  als  auch  jenes  Anerbieten  des  Weines: 
er  werde  jetzt  gerade  nur  Wasser  trinken  (Aulul.  575 — 7).  Doch  der  Schatz 
sei  ja  da,  also  sei  er  wirklich  der  reichste,  allerreichste  Mensch.  Allein  da  er 
sich  von  dem  Gefolge  der  Köche  nichts  Gutes  verspricht,  wolle  er  für  heute 
Abend  den  Schatz  ausser  dem  Hause,  in  der  Kirche  verstecken,  um  ruhig  zu 
sein  (Aulul.  580— 582).  Der  Diener  Kamillos  (für  sich):  Schlimme  Nachrichten, 
mein  Kamillol  Heute  abend  wollen  sie  dir  Andriana  wegschnappen,  wenn 
keine  Abhilfe  gefunden  wird.  Statt  jedoch  schnell  nach  Hause  zu  gehen,  um 
über  das  Gehörte  zu  berichten,  will  er  noch  den  Geizhals  weiter  beobachten, 
dessen  letzte  Worte  er  gehört  hat.  Er  geht  ihm  nach,  sieht,  wie  er  in  der 
Kirche  ein  Grab  öffnet  und  den  Krug  versteckt.  Der  Geizhals  glaubt  zwar 
ein  Geräusch  hinter  sich  gehört  zu  haben,  doch  bemhigt  er  sich,  niemand 
werde  die  Gräber  öffnen  wollen,  auch  habe  er  den  Krug  mit  Knochen  zugedeckt. 
Jetzt  wolle  er  noch  zum  Kirchendiener  (eigentlich:  Diaconus)  gehen,  um  die 
Schlüssel  der  Kirche  für  diese  Nacht  bei  sich  zu  haben. 

IV.  Akt.  1.  Scene.  Der  Diener  Munuo  (allein)  findet  den  Schatz  und 
nimmt  ihn,  spricht  dabei  einige  Worte  der  Ueberraschung  und  Hoffnung,  von 
niemandem  gesehen  worden  zu  sein.  Jetzt  treten  zwei  neue  Personen  auf: 
Piero  (Pieric)  und  Onkel  Nicolo  (Niko).  Da  Onkel  Nicolo  auch  Kamillo  zum 
Neffen  hat,  so  wird  er  wohl  Dobres  Schwager,  d.  h.  ihres  verstorbenen  Mannes 
Bruder  sein,  Piero  ist  wahrscheinlich  sein  Schwestersohn.  Piero  ist  ein  lebens- 
lustiger junger  Mann,  der  schon  so  manches  nächtliche  Abenteuer  in  der  Stadt 
erlebte.  Sein  Onkel  Nicolo,  ein  strenger,  etwas  mürrischer  alter  Herr,  ist  mit 
der  heutigen  Jugend  sehr  wenig  zufrieden.  Beide  begrüssen  sich,  und  auf 
Pieros  Anspielung,  dass  der  Onkel  jetzt  ein  gutes  Werk  thun  könnte,  fragt  Nicolo 
spöttisch,  ob  der  junge  Mann  irgendwo  in  der  Stadt  einen  Einbruch  verübt,  wie 
es  heute  Sitte  sei,  denn  die  ausgelassene  Jugend  schwärme  jetzt  ganze  Nächte, 
die  Schule  sehe  sie  selten,  sie  leben  der  Stadt  und  sich  selbst  zum  Schaden. 
Ein  Ignorant  sei  weder  für  die  Stadt  noch  für  sich  selbst  von  Werth.  Auf 
die  weitere  Bemerkung  Pieros,  dass  es  sich  um  einen  Nothfall  handele,  be- 
merkt Nicolo  höhnisch:  ob  etwa  der  Nothfall  eingetreten  sei,  bei  einem  Lehrer 
vorzusprechen,  dass  sich  dieser  mehr  mit  ihm  abgebe,  in  Abendstunden  mit 
ihm  lese  (so  fasse  ich  die  dunkle  Stelle  auf).  Doch  nein,  in  Pieros  Alter  be- 
suche heute  niemand  mehr  die  Schule.  Der  Schulbesuch  gelte  jetzt  in  dieser 
Stadt  für  Schande,  aber  keine  Schande  sei  es,  weder  lesen  noch  schreiben  zu 
können.  Piero  wiederholt,  sein  Anliegen  sei  wichtig.  Der  Onkel  erwidert: 
wenn  es  sich  um  eine  anständige  Angelegenheit  handelte,  so  würde  Piero 
nicht  zögern,  es  herauszusagen,  es  werde  aber  wohl  etwas  derartiges  sein,  dass 
sich  der  junge  Mann  schäme.  Ich  kenne  euere  wichtigen  Sachen:  irgend  welche 
Schimpfred^ii  und  Verspottungen  oder  Dolchstichaffairen.  Ein  Dolch  hängt  dir 
am  Gürtel,  nicht  ein  Buch.  Hast  wohl  einen  nächtlichen  Spaziergang  mit- 
gemacht,  um  die  Geliebte  zu  besuchen?    hast   unterwegs    ein    Dienstmädchen 


632  Vatrosluv  Jagic, 

gekniffen?  Piero  sieht,  dass  er  auf  diese  Weise  nicht  zum  Ziele  kommt,  er 
muss  mit  dem  Namen  herausrücken.  Was  bnimmst  du?  fragt  ihn  Onkel  Nicolo. 
Meine  Worte  gefallen  dir  nicht,  aber  auch  mir  deine  Thaten  nicht.  Wir 
müssen  uns  euretwegen  schämen.  Wie  steht  es  jetzt  mit  der  literarischen  Be- 
schäftigung, wie  mit  den  Sitten  in  unserer  Stadt?  Man  stolziert  in  Mänteln 
von  persischem  Stoff,  in  Seidenhosen  und  parfümierten  Handschuhen,  man  ver- 
schmäht die  zu  Hause  fabricierten  Kleiderstoffe  und  verlangt  ausländische 
Materien,  um  sich  aufzuputzen,  aber  daran  liegt  uns  nichts,  dass  uns  Lehrer 
aus  dem  Auslande  kommen,  um  unseren  Verstand  zu  schmücken.  Jetzt  erst 
kommt  Piero  dazu,  dem  Onkel  Nicolo  von  der  Krankheit  Kamillos  zu  erzählen. 
Dieser  entgegnet,  er  sei  kein  Arzt,  oder  doch  —  er  verschreibe  als  Medicin: 
in  der  Nacht  nicht  aus  dem  Hause  gehen,  als  Syrup  dazu:  die  Schule  be- 
suchen, als  Rhabarber:  die  Ignoranz  austreiben.  Sie  sollten,  älter  geworden, 
nicht  wie  jetzt  etliche  sich  ihrer  selbst  und  der  Republik  unwürdig  zeigen, 
mehr  schädlich  als  nützlich.  Ignoranz  sei  immer  nachträglich.  Da  rückt 
Piero  mit  dem  weiteren  Geständnis  heraus:  Kamillo  habe  sich  geheim  mit  der 
Tochter  des  Geizigen  verlobt,  heute  aber  wolle  dieser  sie  mit  dem  reichen 
Alten  verloben.  Nicolo  macht  zur  angeblichen  Verlobung  Kamillos  spöttische 
Bemerkungen,  auch  die  Nachricht,  dass  dieser  jetzt  wegen  Andriana  krank 
sei,  rührt  ihn  nicht,  er  könne  da  nichts  helfen.  Piero  äussert  sich  sehr  un- 
willig über  die  Gefühllosigkeit  der  Onkel:  sie  predigen  Verstand,  und  mit 
dreissig  Jahren  noch  besuchen  sie  in  langen  Talaren  die  lateinische  Elementar- 
schule (den  Donatus).  Er  gelobt  seinerseits,  alles  anzuwenden,  was  in  seinen 
Kräften  steht.  Der  Geizhals,  der  sich  bei  Don  Marino  (dem  Diaconus  der 
Kirche)  zu  lange  aufhielt  —  von  den  Klagen  über  mangelnde  Frömmigkeit 
und  karge  Einkünfte  für  die  Kirche  wird  unten  die  Rede  sein  —  ärgert  sich, 
mit  dem  Absperren  der  Kirche  sich  verspätet  zu  haben.  Er  will  nochmals 
sehen,  wie  es  mit  dem  Schatze  steht. 

2.  Scene.  Der  alte  Freier  will  nach  Hause  gehen,  um  nachzusehen,  was  der 
Koch  angestellt.  Dieser  begegnet  ihm  unterwegs  und  erzählt  von  ihrem  Miss- 
erfolg und  Rückzug  aus  dem  Hause  des  Geizigen  mit  Schimpf  und  Spott.  Der 
alte  Herr  bedauert,  seiher  Schwester  Rath  befolgt  zu  haben,  es  geschehe  ihm 
recht,  in  seinem  Alter  hätte  er  sich  nicht  das  Heirathen  in  den  Kopf  setzen 
sollen.  Den  Koch  schickt  er  nach  Hause,  alle  Hochzeitsvorbereitungen  werden 
abbestellt.  Da  tritt  der  Geizhals  aus  der  Kirche,  lärmend  und  schreiend:  () 
weh,  Diebe  in  der  Kirche  —  aus  der  Kirche  —  fangen,  halten!  Kirchen- 
schändung! 0  weh,  auf  eine  solche  Weise  meinen  — ,  mein  Ding  — .  Zlatikum 
sieht  ihn,  hört  sein  Lamentieren  und  glaubt,  er  sei  von  Sinnen,  seinerseits 
tröstet  er  sich  damit,  dass  er  nicht  einmal  die  Hand  seiner  Tochter  angerührt 
habe.     Er  will  nicht  heirathen! 

3.  Scene.  Munuo  (der  den  Schatz  sich  heimlich  angeeignet)  frohlockt 
vor  Freude,  jetzt  sei  er  reich  wie  ein  Kaiser,  habe  den  Schatz  (Aulul.  808 — 10), 
nur  weiss  er  nicht,  was  damit  anzufangen.     Da  erblickt  er  Gruba,  das  schöne 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  l'marbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.   633 

Dienstmädchen,  nähert  sich  ihr,  möchte  sie  ernstlich  zur  Frau  haben.  Diese 
schimpft  auf  ihn,  dass  er  seinen  kranken  Herrn  im  Stiche  gelassen  habe, 
Gott  möge  ihm  helfen.  Ja,  Gott  hat  mir  geholfen,  antwortet  Munuo. 
Willst  du  mein  werden,  ich  werde  dich  in  Seide  kleiden.  Sie  ist  erstaunt 
und  befürchtet,  dass  er  irgendwo  einen  Diebstahl  begangen.  ¥jT  überhört 
die  Beleidigung,  will  sie  zur  Frau  haben,  verspricht  ihr,  alles  zu  thun,  was 
sie  immer  verlangen  sollte.  Doch  sie  will  von  ihm  nichts  wissen,  sie  hätte 
schon  bessere  Anträge  gehabt.  Mit  einigen  Verslein  fertigt  sie  ihn  ab  und 
geht  fort. 

4.  Scene.  Die  alte  Köchin  (Variva)  schildert  die  Verzweifhing  Andrianas 
über  ihr  zwiefaches  Unglück:  der  Vater  möchte  sie  verheirathen  und  ihr  lieber 
Kamillo  liege  krank.  Der  Geizhals  habe  inzwischen,  erzählt  sie  weiter,  die 
Köche  davongejagt,  aber  ihre  Sachen  seien  im  Hause  geblieben.  Was  soll 
damit  geschehen?     Sie  will  zu  Andriana  gehen. 

5.  Scene.  Gjivo  stellt  Betrachtungen  über  die  Verschiedenheit  der  mensch- 
lichen Charaktere  an:  die  einen  seien  sanft,  sie  lassen  mit  sich  reden;  die 
anderen  hart  wie  Stein,  mit  ihnen  könne  man  nichts  anfangen.  Der  junge 
Kamillo  habe  sich  in  das  Mädchen  und  dieses  in  ihn  verliebt,  aber  die  Mutter 
habe  keine  Geduld,  es  zuzugeben,  dass  er  sich  mit  dem  Mädchen  verlobe;  auch 
die  übrigen  Verwandten  theilen  das  Vorurtheil:  besser,  dass  er  sterbe,  als  mit 
einem  Mädchen  ohne  Mitgift  sich  verlobe.  Gjivo  würde  gern  helfen,  wenn  es 
ihm  möglich  wäre.  Wenn  er  den  Geizhals  sieht,  wird  er  ihm  zureden,  dem 
alten  Freier  aber  abrathen,  sich  in  diese  Angelegenheit  einzumischen,  da  ja 
die  Tochter  des  Geizhalses  dem  Kamillo  das  Wort  gegeben.  Und  was  Gott 
zusammengefügt,  das  sollen  die  Menschen  nicht  trennen.  Jetzt  kommt  Onkel 
Nicolo,  und  Gjivo  will  auch  mit  ihm  darüber  sprechen.  Das  Gespräch  lässt 
grelle  Meinungsverschiedenheit  hervortreten.  Gjivo  ist  Vertreter  menschen- 
freundlicher Grundsätze,  die  er  den  Satzungen  Gottes  entsprechend  findet. 
Ihm  ist  es  ganz  recht,  dass  Kamillo  die  Tochter  des  Geizigen  heirathen  will, 
er  wäre  aber  gegen  den  alten  Freier.  Onkel  Nicolo  missbilligt  dagegen,  dass 
ein  Armer  eine  Arme  heirathet,  aber  er  sieht  es  gern,  wenn  ein  reicher  Edel- 
mann das  thut.  Gjivo  nennt  das  eine  Berechnung  der  Welt,  Gottes  Satzung 
sei  es  dagegen,  heiratheu,  um  Kinder  zu  haben  zur  Vermehrung  der  Menschheit, 
mit  ihrer  Erziehung  sich  abgeben  und  nicht  klagen.  Gott  gebe  sie,  er  werde 
auch  für  sie  sorgen.  Wer  jung  heirathe,  finde  in  den  Söhnen  eine  Stütze  fürs 
Alter,  Onkel  Nicolo  erscheint  diese  Stütze  von  sehr  zweifelhaftem  Werth,  die 
Söhne  lassen  es  jetzt  an  Verehrung  gegenüber  den  Eltern  fehlen,  was  (ijivo  den 
Eltern  selbst  und  ihrer  Erziehungsmethode  zur  Schuld  rechnen  möchte.  Nicolo 
will  überhaupt  nichts  weiter  von  der  Heirath  Kamillos  hören,  er  werde  ihn 
nie  mit  Geld  unterstützen,  für  ihn  sei  er  verloren.  Jetzt  kommt  Gruba,  um 
Gjivo  im  Namen  Dobres  zu  Kamillo  zu  rufen,  der  noch  immer  gähne  und 
weine,  die  Mutter  erlaube  ihm  nicht  aufzustehen.  Bei  dieser  Gelegenheit  fragt 
sie  den  Gjivo  um  Rath,  wie  sie  sich  den  Anträgen  des  Dieners  Munuo  gegen- 


634  Vatroslav  Jagic, 

über   stellen    solle.     Das  erste  Mal   habe   sie    ihm    gesagt:    geh'    weg!     Gjivo 
meint,  sie  solle  auch  weiterhin  eben  so  sagen:  geh'  weg! 

A'.  Akt,  1.  Scene.  Kamillo  klagt  über  sein  Unglück,  ohne  Andriana 
könne  er  nicht  leben.  Ein  solches  Leben  wäre  Höllenqual.  Kr  wolle  nicht 
zulassen,  dass  der  Onkel  Zlatikum  Andriana  heirathet.  lieber  den  Diener 
Munuo  ärgert  er  sich,  weil  er  ihn  schmählich  im  Stiche  gelassen.  Auch  Variva 
lasse  sich  nicht  sehen,  jetzt  sei  er  ganz  vereinsamt.  Da  erblickt  er  den  (jeiz- 
hals  und  nach  einigem  Zögern  geht  er  auf  ihn  zu.  Es  entwickelt  sich  ein 
Gespräch  voll  von  Missverständnissen.  Der  Geizhals  hat  den  gestohleneu 
Schatz  (das  Gold)  im  Sinne.  Kamillo  denkt  an  einen  anderen  Schatz,  an 
Andriana.  Geizh.:  Wer  da?  Ah,  Kamillo,  hast  du  was  gehört?  K.:  Ja,  ich 
weiss  es,  doch  ich  bin  dein  Erster.  Wie  es  Gottes  Wille  ist,  so  geschieht  es. 
Ich  l)ekenne  mich  schuldig  und  will  mich  bessern.  Geizh.:  Also  du,  Kamillo, 
warst  der  Erste :  fremdes  Eigenthum !  Wer  Fremdes  anrührt,  du  weisst  es,  was 
ihn  erwartet.  Das  hättest  du  nicht  thun  sollen!  K.:  Wer  wird  sich  bei  solchen 
Dingen  nicht  verleiten  lassen?  Geizh.:  Ach,  mich  und  mein  ganzes  Haus  in 
Bestürzung  versetzen!  K.:  Bei  solchen  Dingen  ist  die  Jugend  nicht  nur  hab- 
süchtig, sondern  auch  gewaltthätig,  angreifend.  Für  derartige  Dinge  ist  man  selbst 
auf  Hiebe  gefasst.  Geizh.:  Böse  That  findet  keine  Entschuldigung,  die  ent- 
schuldigt auch  die  Jugend  nicht.  Das  ist  ein  Sacrilegium,  Altar  Gottes, 
Kirche!  Ach!  K. :  Was  einem  lieib  ist,  das  verblendet  ihn.  Und  einem 
jungen  Mann  ist  nichts  lieber  als  dieses  Ding.  Geizh. :  Mir,  dem  Alten,  ist 
es  lieber,  weil  es  mein  ist,  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  es  mein  ist.  K.: 
Was  Gott  und  Glück  einem  gegeben,  das  sollten  ihm  andere  nicht  wegnehmen, 
(leizh.:  Du  möchtest  das  mit  Gewalt  Genommene  dein  nennen.  Dieser  Grund 
ist  kein  Grund.  Was  mein  ist,  gehört  mit  Grund  mir,  und  mir  kommt  es  zu, 
es  zu  schenken,  nicht  aber,  dass  man  es  mir  mit  Gewalt  nimmt.  K.:  Das 
Ding  ist  genommen  und  kann  nicht  mehr  rückgängig  gemacht  werden.  Geizh.: 
Ich  sehe,  dass  es  genommen  ist,  aber  es  ist  auf  schlimme  Art  genommen. 
K.:  Das  kann  gut  gemacht  werden,  wenn  du  es  willst.  Geizh.:  Du  möchtest 
wohl,  Kamillo,  dass  ich  dir  in  kindischer  Weise  sage:  Na,  du  hast  es.  Dir 
scheint  das  eine  Kleinigkeit  zu  sein.  Weisst  du  denn  nicht,  dass  um  diese 
Dinge  Menschen  in  Händel  gerathen?  K.:  Ach,  ich  weiss  es,  dass  wegen  eines 
solchen  Dinges  Troja  fiel.  Entführte  nicht  Paris  Helena?  Geizh.:  Was  willst 
du  mit  Paris?  was  mit  Helena?  Meinen  Schatz  gieb  mir  ohne  Skandal  zurück, 
und  kein  Wort  weiter.  K.:  Was  ich  nahm,  kann  ich  nicht  zurückgeben:  was 
ich  nahm,  nahm  ich  nicht  mit  Gewalt.  Andriana,  deine  Tochter,  war  damit 
einverstanden.  Geizh.:  Andriana,  meine  Tochter,  war  mit  dir  einverstanden, 
dass  du  mir  das  Meinige  nahmst!  0  weh,  da  soll  man  sich  noch  auf  die 
Töchter  verlassen!  K.:  Die  Jugend  kann  fehlen.  Ich  gab  ihr  das  Wort  und 
sie  mir.  Geizh.:  Ihr  gabt  euch  das  Wort,  mir  die  Ehre  und  mein  Bestes  auf 
der  Welt  zu  rauben?  0  weh,  was  höre  ich!  Das  ist  mir  der  Lohn  dafür, 
dass  ich  ihr  unter  den  Reichen  dieser  Stadt  einen  V^erlobten  fand.     K.:  Nicht 


Die  Aulnlaria  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Uraarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.   635 

der  Reichthum  ist  das  Wichtigste,  auch  ich  werde  keinen  schlechten  Schwieger- 
sohn abgeben.  Geizh.:  Du  bist  schlecht,  sie  nicht  gut:  gieb  mir  meinen  Schatz 
zurück.  K.:  Solche  Dinge  können  nicht  zurückerstattet  werden.  Geizh.:  Wirst 
du  mir  meinen  Schatz  zurückgeben,  du  Räuber?  K.:  Räuber  eines  solchen 
Dinges  zu  sein,  dessen  schäme  ich  mich  nicht  und  bereue  es  nicht,  ja  ich 
würde  es  abermals  rauben.  Geizh. :  Ich  gehe  vors  Gericht.  K. :  Auch  ich  gehe 
vors  Gericht.  —  Nachdem  sich  der  Geizhals  entfernt,  fährt  Kamillo  fort:  Dieser 
Mensch  scheint  nicht  auf  das,  was  ich  in  Gedanken  hatte,  Antworten  gegeben 
zu  haben.  Er  sprach  von  Schatz,  von  der  Rückgabe,  ich  aber  wollte  sagen, 
dass  Andriana  mit  mir  verlobt,  mit  mir  verheirathet  sei;  sie  ist  schon  meine 
Frau,  kann  nicht  mehr  Mädchen  sein,  um  mit  einem  anderen  sich  zu  verloben, 
wenn  es  in  dieser  Stadt  Gerechtigkeit  giebt.  Er  aber  sprach  in  einem  fort: 
gieb  mir  zurück,  was  mein  ist.  Ach,  ich  Unglücklicher!  Ich  fürchte,  durch 
dieses  Gespräch  mit  ihm  hab'  ich  die  Sache  nur  verdorben.  Ich  will  ihm  von 
weitem  folgen,  um  zu  sehen,  wohin  er  geht  (vergl.  Aulularia  v.  731—775). 

2.  Scene.  Der  Diener  Kamillos  (Munuo)  stellt  sich  selbst  die  Frage, 
warum  er  sich  noch  nicht  mit  dem  Schatz  aus  dem  Staube  gemacht,  sondern 
warte,  bis  er  erwischt  wird.  Jemand  geht  zufällig  vorbei,  er  weicht  ängstlich 
aus  dem  Wege,  und  doch  schätzt  er  sich  glücklich,  gedenkt  der  Thorheit  des 
Mädchens  Gruba,  das  ihm  nicht  folgen  will.  Wieder  kommt  jemand,  dem  er 
ausweichen  will.  In  Gedanken  nimmt  er  von  Kamillo  Abschied,  denn  von 
weiterem  Dienen  bei  ihm  sei  jetzt  keine  Rede  mehr.  Ein  grösserer  Herr  stehe 
ihm  jetzt  zur  Seite,  und  der  grössere  stosse  den  kleineren  weg.  Da  erblickt 
ihn  Piero  und  fragt,  warum  er  Kamillo  im  Stiche  gelassen?  Er  findet  das  Be- 
tragen des  Dieners  verdächtig,  bemerkt,  dass  dieser  etwas  unter  dem  Kleid 
versteckt  halte,  das  er  nicht  zeigen  wolle:  er  droht  ihm  mit  der  Polizei  und 
will  ihn  nicht  mehr  loslassen. 

3.  Scene.  Der  Geizhals  ruft  seine  Tochter,  er  will  ihr  schon  zeigen,  was 
das  heisst  mit  den  „Ribalden"  zu  halten,  dem  Vater  den  Schatz  wegzunehmen 
und  ihm  Schande  anzuthun.  Kamillo  möchte  ihn  von  dieser  irrigen  Voraus- 
setzung abbringen,  er  erklärt  ihm,  mit  seiner  Tochter  nicht  bloss  verlobt,  sondern 
auch  verheirathet  zu  sein  (er  greift  dazu  als  zu  einer  Nothlüge  nach  eigenem 
Geständnis).  Der  Geizhals  giebt  seinen  Verdacht  nicht  auf,  sieht  darin  einen 
zweiten  Raubanfall,  einen  zweiten  Ruin  für  sich.  Ein  Unglück  kommt  nach  dem 
anderen.  Doch  möchte  er  nicht  so  ohne  weiteres  zugeben,  dass  sich  jemand 
das  Recht  anmassen  könnte,  sich  mit  seiner  Tochter  gegen  seinen  Willen  zu 
verloben.  Aon  Kamillo  aber  verlangt  er,  wie  früher,  seinen  Schatz  zurück. 
Jetzt  endlich  fragt  Kamillo,  was  für  einen  Schatz  jener  in  einem  fort  im  Munde 
führe,  er  habe  keinen  Schatz,  nur  seine  Tochter  beanspruche  er  zur  Frau  zu 
haben,  ob  mit  oder  ohne  Mitgift,  gleichviel.  Der  Geizhals  will  davon  nichts 
wissen  und  zeigt  auf  den  eben  ankommenden  Zlatikum  als  seinen  zukünftigen 
Schwiegersohn.  Doch  dieser  lehnt  jetzt  diese  Ehre  rundweg  ab,  er  will  von 
einer  Verlobung  nichts  mehr  wissen,  giebt  dem,  Geizhals  das  freie  Verfügungs- 


636 


Vatroslav  Jagic, 


recht  über  die  Hand  seiner  Tochter  zurück.  Kamillo  ist  darüber  nicht  weniger 
erstaunt,  als  der  Geizhals.  Dieser  möchte  die  beiden  einer  geheimen  Verab- 
redung beschuldigen.  Zlatikum  hält  ihn  für  verrückt.  Der  Geizhals  fängt  an 
zu  lärmen  und  Skandal  zu  machen. 

4.  Scene.  Gjivo  kommt  und  erkundigt  sich,  was  dieser  Auftritt  zu  be- 
deuten habe.  Kamillo  beschwert  sich,  Gjivo  möchte  zwischen  ihm  und  dem 
Geizhals  vermitteln.  Zlatikum  wiederholt,  der  alte  Geizhals  sei  verrückt.  Jetzt 
erscheint  auch  Piero  mit  dem  Diener  Kamillos  (Muuuo),  den  er  nicht  frei- 
gelassen hat.  Dieser  möchte  sich  irgendwie  aus  der  Klemme  herausreissen 
und  schickt  sich  an,  den  Anwesenden  Neuigkeiten  zu  erzählen,  die  für  sie 
lange  schon  keine  Neuigkeiten  sind:  dass  Kamillo  in  die  Tochter  des  Geiz- 
halses verliebt  sei,  dass  der  Vater  seine  Tochter  dem  reichen  Freier  geben 
möchte  .... 


Hier  bricht    der  Text    ab.     Allem  Anscheine    nach    war    die 

Komödie  Drzic's  zu  Ende  geführt.   Bei  den  Vermiithungen  darüber, 

wie  das  gemacht  wurde,  müssen  einige  aus  den  Schlussscenen  des 

Stückes  erhaltene  Sätze  (in  einer    neueren  Abschrift)    in   Combi- 

\  nation  gezogen  werden.     Einen  solchen  Versuch  machte  A.  Fabris 

^\        ||  a.  u.  a.  0.     Ich  gehe  darauf  nicht  näher  eni. 

Ich  setze  den  Inhalt  der  Aulularia  als  allgemein  bekannt  vor- 

\   aus.  j^Aus  der  vorliegenden  Analyse   des  Dr/ic'schen  ,Skup'  über- 

y^y^,  I  zeugt  man  sich  leicht,  dass  hier  von  einer  Uebersetzung  der  Aulu- 

j;  j   y^  I  laria  nicht  die  Rede  sein   kann.     Das  ist  vielmehr  ein    mit  Zu- 

1^        grundelegung  des  Plautinischen  Themas  ganz  selbständig  gemachter 

'  dramatischer   Bau,    bei   dem  nur    die  Ilauptcharaktere,    dann    im 

j  einzelnen  einige  Stellen   oder  Scenen  an  die  Aulularia  anklingen. 

Zu  dem  einigermassen  Vergleichbaren  fügte  ich  in  Klammern    den 

Hinweis    auf  die    entsprechenden    Verse    der    Aulularia    (ed.  Leo, 

Berlin  1895)  hinzu.     Gegenüber  der    präcisen,    fast    möchte    man 

sagen    lapidaren  Diction    des    Plautus    erweist    sich    die    Komödie 

Drzic's  als  eine  in  langsamerem  Tempo  sich  bewegende  Erweiterung. 

Dennoch    verdient    auch    die    Ausdrucksweise    des    ragusanischen 

Dichters  gegenüber  den  gleichzeitigen  italienischen  ^'achahmungen 

bei  Lorenzino  de'  Medici  und  bei  Gelli  als  kraftvoll  und  gut  pointiert 

rühmend  anerkannt  zu  werden.     In   meinem  Auszug  ging  freilich 

S       dieser  Vorzug  der  Komödie  so   gut  wie  gänzlich   verloren,   um  so 

•3        j  mehr  möchte  ich  ihn  ausdrücklich  betonen.  \  Prof.  M.  Srepel    in 

Vi  einer    im    99.  Band    der  Agramer    akademisch'en    Sitzungsberichte 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Traarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.   637 

„Rad"   publicierten  Abhandlung  (1890)  und  Cand.  pliil.  A.  Fabris      3 
in  einer  von  mir  aufgegebenen  Prüfungsarbeit  (mir  handschriftlich   ■^^- — ' 
im   April    1891    vorgelegen)    zogen    auch   Medicis    L'Aridosia    und  i_^ 

Gellis  La  Sporta  vergleichend  heran.  )  Im  Qegensatz;  zu   der  von\ 
diesen  beiden  Herren  vertretenen  Ansicht  halte  ich  dafür,  dass  von[ 
keiner  einzigen  Scene  im  ,Skup'  nachgewiesen  werden  kann,   dass 
sie  in  ihrer  Abweichung  oder  ihrem  Zusatz  gegenüber  der  Aulu- 
laria sei  es  der  Aridosia  Medicis,   sei  es  der  Sporta  Gellis  nach-  ^ 
gebildet  sei.     Ob  der  ragusanische  Dichter  die  beiden  Dramen  der       ^_     t: 
italienischen  Nachahmer  des  Plautus  überhaupt  gekannt  hat  oder'  u-v-»-^     ) 
nicht,  das  wissen  wir  nicht ;    doch  selbst  für  den  Fall,  dass  er  sie 
gelesen,    was  ja  leicht  möglich  ist,    da  er    mit    der    italienischen 
Literatur  gut  vertraut  Avar,  muss  ich  an  der  auf  dem  thatsächlichen 
Inhalt  beruhenden  Ansicht  festhalten,  dass  Drzic  dort,    wo  er  von 
der^ulularia  abweicht,  seine  eigenen  Wege  geht  und  das  Plautini- 
sche  Thema,  den  Geizhals,  ganz  unabhängig  von  Medici  oder  Gelli,    "^-nf^ 
mit  Rücksicht  auf  die  realen  Lebensverhältnisse  seiner  Vaterstadt^  ^*^'^?  ' 
ausgearbeitet   hat.     Der  Charakter    der  Hauptfigur,    des    Geizigen,           « 
war  gegeben  und  stand  fest:  beim  christlichen  Geizhalse  des  ragu-       ^JL 
sanischen  Dichters  findet  man  keine  wesentlich  verschiedenen  Züge'       tX^ 
von  dem  Plautinischen  Euclio.    In  Einzelheiten  gehen  sie  allerdings  u-  J-^^K 
auseinander.     Bei  Drzic  fehlt  jene  durch  einen  Dialog  dritter  Per-           iT*"*" 
sonen  illustrierte  Charakteristik,  die  bei  Plautus  in  den  Versen  299 
bis  320  enthalten  ist  und  auch  bei  Gelli  in  Atto  IV  Sc.  2  Wieder- 
hall findet.     Ebenso  fehlt   bei  ihm  jenes  drastische  Verhör,    dem 
bei  Plautus  Euclio  den  in  Verdacht  genommenen  Strobilus  unter- 
zieht (Aul.  628—660).     Die  Rolle    des  Zlatikum    bei  Drzic    deckt  -^ 
sich  zumeist  mit  jener  des  Megadorus  bei  Plautus.    Auch  Eunomia  ^ 
und  Dobre  sind  einander  sehr  ähnlich,   doch  tritt  die  letztere  viel 
plastischer    hervor    als  die    erste.     Drzic's  Variva    entspricht    der        4^....-^ 
Plautinischen  Staphyla,   um  einige  Nuancen  weniger  vorlaut.     Da-        A  '^'^ 
gegen  bei  der  Charakterzeichnung  der  Tochter  des  Geizhalses  musste 
Drzic  sowohl  dem  Plautus    wie  auch   den  Italienern  Medici    und 
Gelli  gegenüber    einen  ganz   unabhängigen  Standpunkt  einnehmen.     •  v    ^w-'^ 
Diesen  gebot  ihm  die  Rücksicht  auf  die    öffentliche  Moral    seiner    if^V"-^  ' 
Vaterstadt.    Die  Andriana  Drzic's  durfte  nicht  ein  freies,  von  Folgen  I  J     u-'^ 
begleitetes    Liebesverhältnis    mit    einem   jungen   Mann    anknüpfen,     A  '^^ 


638  Vatroslav  Jagic, 

wie  das  Itei  der  Phaedra  des  Plautus  und  der  Fiammetta  des  Medici 
und  Gelli  der  Fall  war.  Sie  musste  seine  Geliebte  und  angestrebte 
Braut  in  allen  Ehren  bleiben.  Wenn  ihr  geheimer  Anbeter  und 
erhoffter  Bräutigam  in  der  ersten  Scene  des  fünften  Aktes  so  thut, 
als  ob  schon  intimere  Beziehungen  das  junge  Paar  aneinander 
ketteten,  so  ist  das  nur  eine  Nothlüge,  zu  der  er  flüchtet,  um 
die  hartnäckige  AVeigerung  des  geizigen  Vaters  zu  brechen  (ocdje 
trjeha  lagat,  hier  muss  man  lügen,  sagt  Kamillo  auf  8.  343  d.  agr. 
Ausg.).  Selbstverständlich  musste  auch  infolgedessen  das  Ver- 
hältnis Kamillos  zum  Vater  des  Mädchens  etwas  anders  sich  ge- 
stalten, als  das  bei  l^yconides  in  der  Aulularia  der  Fall  ist,  obgleich 
jene  Hauptscene,  das  qui  pro  quo  in  ihrem  Gespräche,  auch  beim 
ragusanischen  Dichter  erhalten  blieb.  Er  motivierte  sie,  allerdings 
etwas  schwach,  durch  die  erwähnte  Nothlüge.  Die  infolge  der 
Erweiterung  der  Motive  nothwendig  gewordene  Vermehrung  der 
Zahl  der  handelnden  Personen  bei  Drzic  (das  sind  Gruba,  Gjivo, 
Piero  und  Nicolo)  deckt  sich  nicht  mit  den  Amplihcationen  des 
Stolfes  bei  Gelli.  Dieser  schuf  neben  der  Schwester  Lapos 
(=  Zlatikum),  Namens  Ginevra,  den  Typus  einer  geizigen  Mutter 
Alamannos  (=  Kamillos),  die  weder  bei  Plautus  ein  Vorbild  noch 
bei  Dr/ic  eine  Nachbildung  hat.  Seine  mona  Laldomine  wird  man 
doch  nicht  mit  Srepel  als  Vorbild  für  Gjivo  halten  wollen,  noch 
weniger  von  seiner  Lucia  die  originelle  Figur  der  Gruba  ableiten. 
Wo  sind  andererseits  bei  Gelli  Vorbilder  für  die  sehr  gelungenen 
Figuren  Pieros  und  Nicolos?  Man  sucht  nach  ihnen  vergebens. 
Eher  könnte  man  mit  A.  Fabris  versucht  sein,  eine  Parallele  zu 
ziehen  zwischen  dem  Auftreten  Gjivos  und  seinen  Grundsätzen 
einerseits  und  der  Kolle  des  Marcantonio  in  Medicis  FAridosia 
andererseits.  Gewiss  läge  sie  näher  als  der  Versuch,  Gjivo  mit 
Laldomine  zusammenzustellen.  Doch  stehen  im  ganzen  die  beiden 
Komödien  FAridosia  und  Skup  zu  weit  voneinander  ab,  als  dass  das 
Herausreissen  einiger  Aehnlichkeiten  auf  Entlehnung  schliessen 
lassen  könnte.  Für  die  Unabhängigkeit  des  Kagusaners  gegenüber 
den  erwähnten  italienischen  Dramen  spricht  sehr  stark  noch  folgender 
beachtenswerthe  Umstand.  Dr/ic  wollte  nicht  nach  dem  Vorl)ihl 
Medicis  oder  Gellis  irgend  welche  Scene  aus  dem  Klosterleben 
Ragusas   in  sein  Stück   einflechten.     Vielleicht    war    an    dem    da- 


.,^- 


Die  Aulularia  d.  Plautiis  i.  e.  südslavisch.  rmarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.  639 

maligen  Klosterlehen  der  Nonnen  Ragusas  nichts  auszusetzen,  jeden- 
falls würde  man  damals  in  Ragusa  derartige  Scenen,  wie  in   der         ^ 
Aiidüsia  Akt  11  Sc.  6  oder  in  der  Sporta  AkjJJI  Sc.  3,  nicht  ge- 
duldet haben.    Das  wusste  Drzic  ganz  gut,  darum  Hess  er  die  Nonnen 
ganz  bei  Seite.     Wenn  seine  Gruba,   das  witzig  übermüthige  aber      ^^     ^ 
durchaus  anständige  Dienstmädchen,    zu  dem  um    sie    werl>enden  v  ^^^^--^ 
Diener  Munuo  im  Scherze  sagt,    er  müsste  sie,    wenn  er  sie  zur        ^-^,.^. 
Frau   bekäme,    mit  Nonnenkrapfen  und   Nonnenmakronen    nähren  i»       "Ori."- 
(S.  226 — 7  agr.  Ausg.),  so  ist  das  keine  Kritik  des  Nonnenlebens,  j 
höchstens  ein  Ausdruck  der  öffentlichen  Meinung,  dass  sie  in  ihren 
Klöstern  gut  leben.    Und  wenn  der  Dichter  dort,  wo  er  den  Geiz- 
hals  zu  Don  Marino  um  die  Kirchenschlüssel  gehen  lässt,  einige 
Bemerkungen   an   die  Klagen  des  Diaconus  über  die  kargen  Ein- 
künfte der  Kirche  und  ihrer  Diener  anknüpft,  welche  diese  Klagen 
nicht   ganz    begründet    erscheinen    lassen  (S.  224  agr.  Ausg.),    so 
wird  auch  diese  zahme  Bemerkung  wesentlich  gemildert  dadurch, 
dass  sie  aus  dem  Munde    eines    Geizigen    kommt.     Selbst    dieser 
kann  nichts  anderes  gegen  die  Priester  vorbringen,  als  dass  sie  ein 
gutes  Leben   haben   (a  dobro   hrieme  imaju)  und  sich  mit  Gesang 
das  Brot  verdienen  (kantajuH  hljeh  dobicaju).     Das    ist  aber  auch 
alles,    von  den  Anzüglichkeiten    eines  Medici    und  Gelli    gänzlich 
verschieden. 

Wenn  im  Skup  an  zwei  Stellen  die  ragusaner  Jugend  aufs 
Korn  genommen  wird,  in  der  1.  Scene  des  III.  Aktes  die  jungen 
Schwiegertöchter  (S.  212—3  agr.  Ausg.)  und  in  der  1.  Scene  des 
IV.  Aktes  die  männliche  Jugend  (S.  223  agr.  Ausg.),  so  weiss  man 
zwar,  dass  derartig  eingeschaltete  Sittenbilder  der  Zeit  in  den 
italienischen  Dramen  nichts  Seltenes  sind,  dennoch  liefern  gerade 
die  beiden  Komödien  l'Aridosia  und  la  Sporta  in  diesem  Punkt 
kein  vorbildliches  Material.  Eben  so  wenig  wird  man  für  das 
prahlerische  Auftreten  des  Dieners  und  Kochs  zugleich,  der  Pasi- 
maha  heisst,  sei  es  in  der  Aridosia,  sei  es  in  der  Sporta,  ausreichende 
Anhaltspunkte  finden.  Der  Ragusaner  wollte  damit  jenen  bramar- 
basierenden Typus  in  seiner  Komödie  vertreten  sehen,  der  sich  in 
vielen  italienischen  und  spanischen  Stücken  des  XVI.  Jahrhunderts 
als  Capitano  bi-eit  macht.  So  und  nur  so  begreift  man,  dass 
Pasimaha  sich  selbst  den  Namen  „Kapitän"  giebt,   während   er  in 


640  Vatroslav  Jagic, 

der  Wirklichkeit  ein  Diener  und,  wenn  man  will,  Oberkoch  des 
alten  Freiers  war.  Er  spricht  (S.  210  der  agr.  Ausg.):  Hierher 
dem  Kapitän  (d.  h.  ihm)  nach,  ihr  elenden  Menschen,  ich  will  euch 
für  heute  alle  zu  guten  Menschen  machen,  ich  will  euch  in  meinem 
Heere  zu  grossen  Stellungen  erheben:  du  wirst  die  l''ahne  tragen,  d.  h. 
den  Spiess  drehen,  und  du  an  dem  Bombenmörser  (der  Bombarde) 
Lunte  anlegen,  d.  h.  ins  Feuer  blasen,  hast  guten  Athem,  und  du 
wirst  sergente  maggior  sein  und  mit  dem  Krüglein  hin  und  her 
laufen,  damit  das  Heer  in  Ordnung  stehe;  ich  aber  werde  Kapitän 
der  Lebensmittel  sein.  Und  an  einer  anderen  Stelle  (S.  215  agr. 
Ausg.),  wo  das  ganze  Gefolge  als  ein  im  Triumphe  sich  bewegendes 
Heer  zum  Hause  des  Geizhalses  zieht,  schickt  Pasimaha  seine 
Hauptstütze,  den  Driemalo  („die  Schlafhaube"),  voraus,  anzu- 
kündigen: Der  Kapitän  kommt,  macht  euere  Aufwartung!  Es 
kann  zwar  fraglich  erscheinen,  ob  bei  einem  Koch  und  seinem 
Gefolge  ein  solches  Maulheldenthum  angebracht  war,  aber  das 
unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  auch  diese  Zuthat  Dr/ic's  nicht 
den  beiden  italienischen  Komödien  abgelauscht  war,  sondern  aus 
der  allgemeinen  Bekanntschaft  des  Dichters  mit  der  gleichzeitigen 
italienischen,  möglicherweise  auch  spanischen  dramatischen  Lite- 
ratur sich  ergab. 

Der  Nachahmung  Gellis  wollte  man  auch  das  zuschreiben, 
dass  Divic  den  Schauplatz  der  Handlung  nach  Ragusa  versetzte 
(bei  Gelli  ist  es  Florenz).  Allein  der  ragusanische  Dichter  bewies 
mit  seinen  übrigen  Dramen,  die  meist  in  seiner  geliebten  Vater- 
stadt spielen,  dass  man  ihm  einen  solchen  Situationswechsel,  der 
viele  andere  Aenderungen  zur  Folge  hatte,  auch  ohne  Zuthun  eines 
fremden  Einflusses  zumuthen  darf.  Ragusa  war  bei  ihm  als  Schau- 
platz so  zur  Regel  geworden,  dass  er  sich  in  „Dundo  Maroje" 
geradezu  entschuldigte  (im  Prolog),  dass  dort  einmal  Rom  statt 
Hagusa  als  Ort  der  Handlung  gewählt  wurde.  Keine  Nach- 
ahmung Gellis  kann  ich  ferner  in  dem  zufälligen  Zusammentretten 
in  der  Zahl  der  handelnden  Personen  —  dreizehn  —  erblicken. 
Bei  Dr/ic  kam  diese  Zahl  ganz  unabhängig  von  Gelli  zu  Stande. 
Denn  abgesehen  von  der  sonstigen  Verschiedenheit  der  Rollen,  sei 
nur  darauf  hingewiesen,  dass  bei  Drzic  auch  die  Tochter  des  (reizigen, 
Aiidriana,  als   handelnde  Person   mitzählt,  was  bei  der  Fiammetta 


Die  Aulularia  d.  Plautus  i.  e.  südslavisch.  Umarbeit.  a.  d.  Mitte  d.  XVI.  Jahrh.    641 

Medicis  oder  Gellis  nicht  der  Fall  ist.  Richtig  ist  es,  dass  Drzic's 
Geizhals  ebenso  in  der  christlichen  Kirche  den  Schatz  versteckt,  wie 
bei  Gelli  der  geizige  Ghirigoro,  allein  die  näheren  Umstände  sind 
doch  ganz  verschieden  und  nach  dem  Vorbild  des  ,Fidei  fanum'  bei 
Plautus  lag  gewiss  die  christliche  Kirche  für  beide  Dichter,  auch 
unabhängig  von  einander,  nahe  genug.  Wer  wird  endlich  in  dem 
Umstand,  dass  Drzic  seine  Komödie  in  Prosa  schrieb,  und  zwar 
nicht  diese  allein  und  auch  nicht  diese  zuerst,  einen  Beweis  seiner 
Abhängigkeit  gerade  von  Gelli  erblicken  wollen?! 

Kurz  zusammengefasst  geht  mein  Urtheil  dahin,  dass  der  ,Skup' 
des  ragusanischen  Dichters  Marin  Drzic  zu  den  gelungensten  Nach- 
ahmungen und  Umarbeitungen  der  Aulularia  im  XVI.  Jahrhundert 
gezählt  werden  darf  und  als  solche  in  der  vergleichenden  Literatur- 
geschichte seinen  Platz  verdient.  \  - 


Nachträglicher  Zusatz.  Dieser  Aufsatz  war  schon  an  seinen  Be- 
stimmungsort abgesendet  und  gesetzt,  als  ich  durch  die  Freundlichkeit  des 
Herrn  Professor  Creizenach  (in  Krakau)  auf  einen  Beitrag  zur  selben  Frage 
des  Prager  Professors  Dr.  G.  Polivka,  der  in  Ilerrigs  Archiv  für  das  Studium 
der  neueren  Sprachen  und  Litteraturen  (Braunschweig  1888,  Band  81)  er- 
schien, unter  dem  Titel  „Der  Geizige  in  Ragusa",  aufmerksam  gemacht  wurde. 
Ich  bedauere  diese  Vorarbeit  übersehen  zu  haben,  glaube  aber  aussprechen 
zu  dürfen,  dass  sie  den  grössten  Teil  meiner  Darstellung  nicht  überflüssig  macht. 


j  c^' 


Festschrift  Vahlen.  41 


XXXIV. 

Josepli  Golling. 

Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax 
im  15.  und  16.  Jahrhundert. 


AV 


Litteratur. 

Litteraturgeschichtliche  und  grammatische  Werke.  J.  J.  Baebler, 
Beiträge  z.  e.  Geschichte  der  lat.  Gramm,  im  M.-A.  Halle  a.  S.  1885.  — 
Fr.  A.Eckstein,  Lat.  und  griech.  Unterricht.  Hrg.  von  H.  Heyden.  Lpz. 
1887.  —  Fr.  Haase,  Vorlesungen  über  lat.  Sprachwissenschaft.  Hrg.  von 
Fr.  A.  Eckstein.  Bd.  I.  Lpz.  1874.  —  Joh.  Müller,  Quellenschriften  und 
Geschichte  des  deutschsprachlichen  Unterrichts  bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrh. 
Gotha.  1882.  —  Ch.  Thurot,  Notices  et  extraits  de  divers  manuscrits  latins 
pour  servir  a  l'histoire  des  doctrines  grammaticales  au  moyen  äge.  Paris 
1868.  —  G.Voigt,  Die  Wiederbelebung  des  classischen  Alterthums  oder  das 
1.  Jh.  des  Humanismus.     3.  Aufl.  bes.  von  M.  Lehnerdt.     Berlin  1893. 

Monographische  Litteratur.  J.  Frey,  Zur  Geschichte  der  lat.  Schul- 
Grammatik.  Münster  i.  W.  1895.  (=  Frey  L)  —  Ders.,  Die  Thätigkeit 
Münsterischer  Humanisten  auf  dem  Gebiete  der  lat.  Syntax.  Münster  i.  W. 
1896.  {=  Frey  IL)  —  J.  Golling,  Einleitung  in  die  Geschichte  der  lat. 
Synt.  I.  Die  lat,  Synt.  bei  den  röm.  Nationalgrammatikern.  Wien.  1897. 
(=  Programm^).)  —  J.  Vahlen,  Lorenzo  Valla.     2.  Aufl.     Berl.     1870. 

Bibliographisches  HUlfsbnch.  L.  Hain,  Repertorium  bibliographicum. 
Stuttg.  u.  Paris.     1826—38. 


^)  Sowie  dieser  Aufsatz  bildet  gegenwärtiger  Versuch  eine  Probe  der 
skizzierten  Geschichte  der  lat.  Syntax,  welche  zur  Einleitung  der  bei  Teubner 
erscheinenden  grossen  lat.  Grammatik  bestimmt  ist.  Von  Vollständigkeit  in 
der  Berücksichtigung  der  einschlägigen  grammatischen  Erscheinungen  musste 
abgesehen  werden:  es  handelte  sich  nur  darum,  die  syntaktischen  Richtungen 
beim  Uebergange  aus  dem  M.-A.  in  die  Neuzeit  durch  Vorführung  ihrer  hervor- 
ragendsten Vertreter  zu  charakterisieren.  (Nur  die  verhältnismässig  späten, 
ziemlich  wohlbekannten  Arbeiten  von  Linacer,  Scaliger  und  Sanctius,  die 
ausserdem  der  streng  wissenschaftlichen  Forschung  angehören,  blieben  von  der 
Darstellung  trotz  ihrer  Bedeutung  ausgeschlossen).  Was  daher  übergangen 
ist,  war  dem  Unterz.  nicht  gerade  unbekannt.     Bezüglich  der  Grammatica  nova 


646  Joseph  Gollinpf, 

1.    Die  lateinische  Syntax  in  Italien  seit  Lorenzo  Valla. 

Der  Kampf  gegen  die  mittelalterliche  Latinität  und  die 
scholastische  Lehrweise  der  Grammatik  wurde  um  1440  von 
Lorenzo  Valla  eröffnet.  Sein  Hauptwerk  Elegantiarum  l.  Lat. 
sive  de  l.  Lat.  elegant ia  l.  VI,  noch  vor  1444  abgeschlossen 
und  147 1  zu  Rom  und  Venedig  gedruckt,  ist  allerdings  kein  syste- 
matisches Buch;  es  gibt  nur  Reihen  von  Beobachtungen,  Studien 
und  lexicalische  Excurse.  Die  drei  ersten  Bücher  handeln  über 
Nomina,  Verba  und  Indeclinabilia  für  sich  und  in  ihrer  gramma- 
tischen Verbindung,  die  beiden  folgenden  über  die  Bedeutungs- 
unterschiede der  Nomina  und  Verba.  Ueberall  ist  es  ihm  um  die 
Frage  zu  thun,  was  echtes  Latein  ist,  was  Sprachgebrauch  der 
besten  Autoren  —  Cicero  und  Quintilian,  welcher  eine  zweite  von 
Livius  und  Vergil  datierte  Epoche  der  Latinität  vertritt,  sind  ihm 
vor  allem  mustergiltig  —  und  was  unlateinisch.  Das  6.  Buch  be- 
zieht sich  auf  die  Worterklärung,  ist  also  von  rein  lexicalischer 
Bedeutung. 

Vallas  Werk  reichte  nicht  hin,  das  Gesamtgebiet  der  Grammatik, 
die  noch  immer  nur  den  Zwecken  des  I'nterrichts  diente,  gründlich 
umzugestalten.  Dazu  hat  Valla  insbesondere  das  syntaktische  Ge- 
biet nicht  allseitig  genug  behandelt.  Daher  wird  er  denn  zwar  als 
Autorität  geachtet,  die  man  theils  für  einzelne  syntaktische  Lehren 
heranzieht,  theils  auch  bekämpft;  aber  die  Syntax  als  Ganzes, 
speciell  das  syntaktische  System,  konnte  durch  die  Elegantiae  nicht 
gefördert  werden. 

von  Locher  (Philomusus),  die  angeblich  1495  erschien,  sei  bemerkt,  dass  die- 
selbe nicht  nur  den  Biographen  Lochers,  Zapf  und  Hehle,  nicht  vorgelegen  hat, 
sondern  auch  in  der  Bibliothek  zu  Freiburg,  wo  L.  gewirkt  hat,  nicht  vor- 
handen ist.  Auch  die  Universitäts-Bibl.  zu  München,  in  welche  die  alte 
Ingolstädter  Bibliothek  übergegangen  ist,  besitzt  kein  Exemplar:  und  doch  ver- 
brachte L.  auch  zu  Ingolstadt  mehrere  Jahre.  Man  darf  demnach  fragen,  ob 
eine  Gramm,  nova  von  L.  je  existiert  hat.  Zu  solchen  Resultaten  führt  die 
nähere  Prüfung  bibliographischer  Angaben.  Solche  wurden  überhaupt  nie  un- 
besehen verwertet,  sondern  bei  jedem  Werke  wurde  die  Fassung  des  Titels  und 
das  Jahr  der  ersten  Drucklegung  unter  Benutzung  sämtlicher  vorhandenen, 
unter  einander  oft  stark  variierenden  bibliograpliischen  Hülfsmittel  fixiert,  die 
benutzte  Ausgabe  nöthigenfalls  angegeben. 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert    647 

Die  Reform  der  lateinischen  Schulgrammatik  in  ihrem  ganzen  Um- 
fang kann  man  füglich  von  Guarino  (Varinus)  aus  Verona  (1370  bis 
1460)  datieren.  Seine  Regulae  (grammaticales)  wurden  zuerst 
zu  Venedig  1470  gedruckt.  Nach  Bemerkungen  über  littera,  syllaba, 
dictio  und  oratio  werden  die  Redetheile  durchgenommen  und  zwar 
zunächst  das  Nomen  mit  seinen  Accidentien,  es  werden  die  '  articuW 
(hie  haec  hoc)  und  der  Unterschied  zwischen  Substantiv  und  Ad- 
jectiv  und  schliesslich  deren  Congruenz  behandelt.  Es  folgen  die 
Declinationen ,  die  nach  den  Genetivausgängen  gesondert  werden, 
und  ein  Hinweis  auf  die  Nomina  propria.  Das  Verbum,  dessen 
Accidentien  mitgetheilt  werden,  ist  entweder  personale  oder  Im- 
personale. Congruenz  findet  statt  zwischen  Nominativ  und  Verb 
(das  Nomen  proprium  ist  dritter  Person,  mit  Ausnahme  von  ego, 
tu  und  dem  Vocativ)  und  zwischen  Relativ  und  Antecedens.  Zu- 
nächst handelt  es  sich  um  das  Impersonale  activae  et  passivae  vocis 
und  seine  Constructionen.  Zu  ersterem  gehören  1.  interest  und 
refert;   2.  libet,  liquet,  placet,  accidit;    3.   decet,  iuvat,  delectat; 

4.  piget  und  seine  Verwandten;  5.  incipit,  desinit,  debet,  solet, 
potest,  vult,  welche,  mit  einem  unpersönlichen  Infinitiv  verbunden, 
selbst  zu  Impersonalia  werden.  Die  Impersonalia  passivae  vocis 
sind  Bildungen  der  nun  zu  behandelnden  Verha  activa.  Diese  sind 
1.  Activa  simpUcia,  mit  dem  Acc.  2.  Possessiva:  'post  se  accu- 
sativum  personae  patientis  et  ultra  acc.  regunt  genitivum  vel 
ablativum  denotantem  precium  vel  causam  materialem:  ego  emo 
librum  decem  ducatorum  vel  decem  ducatis.'  Andere  sind:  damno, 
accuso,  impleo.  3.  Acquisitiva,  c.  acc.  et  dat.:  do.  4.  Transitiva, 
mit  zwei  Acc:  doceo,  moneo.  5.  Efectiva,  c.  acc.  et  abl.  sine 
praepositione :  spolio.  6.  Separativa,  mit  dem  Acc.  und  Abi.  mit  a: 
audio,  separo.  —  Die  Verba  passica  sind:  1.  SimpUcia^  mit  dem 
'nominativus  personae  patientis  ante  se'  und  dem ' ablativus  personae 
agentis'  mit  a  'post  se':  zelor,  legor,  vocor.  2.  Possessiva^  mit 
dem  Abi.  c.  a  personae  agentis  und  dem  Gen.  oder  Abi.  ohne 
Präposition :  vendor,  aestimor.  3.  Acquisitiva^  mit  dem  Abi.  pers. 
ag.  mit  a  und  dem  Dat.:  daris.  4.  Transitiva^  mit  dem  Abi. 
p,    a.    mit    a    und  dem    Acc:    doceris    a  magistro    grammaticam. 

5.  Ejfectiva,  mit  dem  Abi.  p.  a.  mit  a  und  einem  zweiten  ohne 
Präposition;  spoliaris  a  me  capa.     6.  Separativa:  sie  regieren  den 


648  Joseph  Golliug, 

Abi.  p.  a.  mit  a  und  einen  zweiten  Abi.  mit  a:  lectio  auditur  a 
me  a  magistro.  —  Verba  neutra.  1.  Verba  simplicia.  Hierher 
gehört  das  Verbum  copulativum  'quod  regit  talem  casum  post 
qualem  regit  ante  se'.  Copulativa  sind :  sum,  exsisto;  sto,  maneo; 
videor,  appareo;  vado.  2.  Fossesswa,  mit  dem  Nomin.  pers.  pa- 
tientis,  post  se  genit.  vel  abl.  sine  praepositione  pers.  agentis: 
egeo  denariorum  vel  denariis.  3.  Acquisitiva,  mit  dem  Dat.  pers. 
pat.:  servio.  4.  Transitiva,  mit  dem  Acc.  p.  p.:  aro  terram. 
5.  Eß'ectica,  mit  dem  Abi.  ohne  Präp.  oder  Acc.  mit  der  Präp. 
propter  p.  a. :  gaudeo  pace  vel  propter  pacem.  6.  Passiva,  mit 
dem  Abi.  mit  a:  vapulo  a  magistro.  7.  Neutropassiva :  gaudeo, 
fio,  soleo,  audeo,  fido  (Casusconstructionen  werden  hier  nicht  er- 
wähnt). 8.  Absoluta:  sie  regieren  keinen  Casus  ohne  Vermittlung 
einer  ausdrücklich  gesetzten  oder  zu  ergänzenden  Präposition: 
vado,  eo,  ambulo.  —  Verba  comtnunia,  mit  dem  Ausgange  -  or; 
sie  sind  activer  und  passiver  Bedeutung,  wonach  sich  ihre  Con- 
struction  richtet:  largior  =  *  ich  gebe'  und  'ich  werde  gegeben'; 
osculor.  —  Verba  ijieponentia.  1.  Possessiva:  utor,  misereor,  re- 
miniscor.  2.  Acquisitiva:  auxilior.  3.  Transitica:  sequor. 
4.  Efectica:  laetor.  5.  Passiva:  orior,  nascor.  6.  Absoluta:  pro- 
ficiscor.  ■- —  ])en  weiteren  Inhalt  des  Buches  bilden  die  Ortsadverbia, 
die  Construction  der  Städtenamen  und  sonstigen  Ortsbestimmungen, 
Supinum,  Gerundium  (mit  ad  und  a),  Participia  (Arten  und  Ueber- 
gang  zum  Namen;  s.  Frey  I,  S.  11),  Comparativ  und  Superlativ 
(Bildung  und  Construction),  figurae  locutionis  et  constructionis 
(letztere  sind:  prolepsis,  sillepsis  [conceptio],  zeugma,  sinthesis, 
antiptosis,  evocatio,  sinecdoche,  appositio),  Patronymica,  abgeleitete 
Verba  (incohativa,  meditativa  etc.),  Relativa  (Arten  und  Unter- 
arten), Heteroclita  (wozu  auch  die  Interrogativa,  Kelativa  und  In- 
finita  gerechnet  werden).  Es  folgen  die  Interrogativa  quis  und 
uter  mit  den  darauf  antwortenden  Tnfinita  wie  omnis,  quilibet 
oder  neuter,  sowie  deren  Construction  mit  dem  Gen.  oder  mit  dem 
Abi.  c.  de  vel  e  (ex).  Entsprechende  Adverbia  wie  ubique,  utro- 
bique.  *  Qui  componitur  cum  cumque,  quis  geminatur';  die  so 
entstehenden  Composita  sind  wie  Relativa  zu  behandeln.  Die  ver- 
schiedenen Verwendungsweisen  von  quis,  qui  als  Iniinita  und  Inter- 
rogativa und  aliquis.     Als  Lückenbüsser  erscheinen  auf  der  letzten 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  649 

Halbseite  vor  dem  Abschnitte  de  orthographia  und  den  versus 
differentiales  einige  Casusconstructionen  erläutert. 

Guarinos  System,  besteht  in  der  Behandlung  der  Grammatik 
nach  den  Redetheilen,  wie  sie  bei  den  römischen  Nationalgram- 
matikern allgemein  üblich  war,  nur  dass  die  Durchführung  dieses 
Planes  der  Vollständigkeit  und  Strenge  entbehrt  und  dass  auch  die 
Syntax  Berücksichtigung  findet.  Was  G.  in  letzterer  Beziehung 
lehrt,  blieb  für  die  Grammatiker  der  Folgezeit,  zum  Theil  selbst 
bis  in  unser  Jahrhundert,  mehr  oder  minder  massgebend.  Ab- 
hängigkeit von  Vorgängern  lässt  sich  nur  theilweise  mit  Bestimmt- 
heit erkennen.  Die  Lehre  von  der  dreifachen  Congruenz  findet 
sich  schon  im  Mittelalter,  z.  B.  bei  Alexander  de  Villa  dei:  s.  Frey 
I,  S.  13.  Allein  die  Behandlung  der  Casus  nach  dem  regierenden 
Verbum  und  zwar  speciell  die  von  Guarino  gewählte  Scheidung 
der  Verba  nach  eigenartig  benannten  Gruppen  kann  nur  ver- 
muthungsweise  als  Eigenthum  der  als  Modisten  bekannten  mittel- 
alterlichen Grammatiker  bezeichnet  werden.  Wenigstens  führt 
Thurot  p.  185  Michel  de  Marbais  (gest.  um  1300)  als  denjenigen 
Grammatiker  auf,  der  als  'modi  significandi  accidentales'  der 
Verba  ihre  Eignung  Casus  zu  regieren  erwähnt.  Dieser  dürfte 
die  seltsame  Terminologie  der  Verba  als  possessiva,  acquisitiva, 
effectiva  etc.  behufs  Anordnung  der  Casuslehre  zuerst  verwendet  haben. 

Guarinos  Grammaticae  institutiones,  zuerst  erschienen 
s.  1.  1475  (s.  Copinger,  Supplement  to  Hain's  Repertorium  II  1 
No.  2821;  ich  benutze  die  Ausgabe  Ven.  1544),  sind  eine  vollständige 
Grammatik.  Auf  die  Formenlehre  und  die  Lehre  von  den  acht  Rede- 
theilen (hier  erscheinen  unter  dem  Nomen  die  drei  Arten  der 
Congruenz)  folgen  die  ordines  verborum,  d.  i.  die  L'nterabtheilungen 
der  Genera  (der  activa,  passiva,  neutra  etc.).  Im  weiteren  schiebt 
G.  hinter  dem  Gerundium  die  Constructionen  des  Infinitivs  ein, 
desgleichen  hinter  dem  Superlativ  die  Nomina  partitiva  (uterque, 
alter,  alteruter,  neuter).  Endlich  handelt  er  beim  Particip  ein- 
gehender über  den  Ersatz  fehlender  Particlpia  im  Lateinischen.  — 
Bemerkenswert  ist,  dass  Pylades  von  Brescia  in  s.  Regula 
grammaticarum  institutionum  Ven.  1495,  der  im  Syntaktischen 
G.s  Institutiones  folgt,  in  den  damals  vorhandenen  fünf  oder  sechs 
Ausgaben  derselben  G.s  Eigenthum  stark  entstellt  findet. 


fioO  Joseph  Gollinf,', 

G.s  Plan  behält  im  wesentlichen  auch  beiPerottus  (Perotti), 
i*Jiccol6,  aus  Sassoferrato  1430 — 80,  dessen  Riidimenta  gramnia- 
tices  1468  abgefasst  und,  wie  es  scheint,  zuerst  1473  zu  Rom  (Hain 
12G43)  gedruckt  wurden.  Hinter  der  Lehre  von  den  Redetheilen 
wird  'de  orationis  constructione'  gehandelt  mit  nennenswerten 
Besserungen  von  Guarinos  Vorgang.  Voran  geht  die  Lehre  von  den 
drei  Arten  der  Congruenz,  die  Construction  der  Verba  substantiva 
und  vocativa,  allgemeine  Regeln  über  die  Casusconstructionen  der 
Verba,  namentlich  der  activa,  die  Casusverbindungen,  die  jedes 
Verbum  activum  eingehen  kann,  näheres  über  die  Fähigkeit  ge- 
wisser Verba,  infolge  verschiedener  Constructionen  in  verscliiiedenc 
Genera  und  Ordines  einzutreten  (audio  te  und  audio  tibi).  Jetzt 
erst  folgen  die  Genera  und  Ordines  verborum.  Der  weitere  Inhalt 
der  Rudimenta  ist:  Infinitiv,  Gerundium  (Unterschied  vom  Particip), 
Supina,  Particip,  Nomina  verbalia  (namentlich  die  auf  -tor  und  -trix), 
Relativa,  Patronymica,  Comparativ  und  Superlativ,  Adverb  und 
Heteroclita.  Die  Lehre  von  den  abgeleiteten  Verben  ist  aus  der 
Syntax  verwiesen.  Barbarismus,  Soloecismus,  Metaplasmus,  Sche- 
mata lexeos  und  Tropus  werden  nach  Isidorus  (s.  dessen  Etymo- 
logiarum  libri  XX  bei  Migne,  Patrologia:  Patres  latini  Vol.  82 
p.  THff.)  behandelt.  Als  Schlusspartie  erscheinen  unter  dem  Tropus 
die  acht  Figurae  constructionis. 

Die  Partien  der  Formenlehre  sind  endlich  so  ziemlich  aus  der 
Syntax  entfernt  bei  Sulpitius  Verulanus  (Giovanni  Sulpizio  a. 
Veroli):  De  arte  grammatica  opuscnlum  compendiosiim, 
Perusiae  1475.  (Im  vorl.  w^urde  die  Ausgabe  bei  Hain  15101: 
Grammatica  Sulpitii  Verulani  s.  1.  1486  benutzt).  In  dem  Ab- 
schnitte 'de  constructione  partium  orationis',  der  mit  den  Genera 
verbi  beginnt,  erscheinen  nach  den  sonstigen  Schlusspartien,  näm- 
lich den  Adverbia  localia,  der  (Jonstruction  der  Städtenamen,  den 
Figurae  constructionis,  der  Definition  und  den  Arten  der  Constructio 
(s.  Frey  I  S.  1 1)  ganz  äusserlich  zwei  Capitel  angeheftet,  '  de  nomi- 
nativo  et  vocativo'  und  'de  nominum  constructione'.  Letzteres 
behandelt  die  Casus  in  ihrer  Abhängigkeit  von  Substantiv,  Ad- 
jectiv  und  Particip  (beim  Acc.  und  Abi.  auch  die  Rection  der 
Präpositionen),  worauf  abgesondert  die  Casusverbindungen  der 
Adverbien  und  Interjectionen  folgen.  —  Präcise  theilt  Francesco 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  651 

Negri  (Niger)  in  seiner  Breois  grammatica  Ven.  1480  die  Con- 
structio  in  concordantia  und  regimen^  welch  letzteres  in  regimen 
praepositionis,  verbi,  adverbii,  participii  und  nominis  (Comparativ 
und  Superlativ,  Relativ,  Patronymicum,  Anomalum;  eine  eigent- 
liche Casusrection  des  Nomeiis  fehlt)  zerfällt.  Unter  dem  regimen 
verbi  wird  ausser  der  Casusrection  der  Verba  auch  die  ganze  übrige 
Verbalsyntax  in  herkömmlicher  Weise  abgehandelt.  —  Zumeist  an 
Perotti  schliesst  sich  an 

Antonius  Mancinellus  (Mancinelli)  in  seinem  Werkchen 
Epitoma  seu  regulae  constructionis.  Rom  1490.  Bezeichnend 
für  die  Neigung  der  Zeit,  syntaktische  Erscheinungen  in  lexicalischer 
Weise  zu  registrieren,  ist  desselben  Buch  De  varia  constructione 
thesaurus,  Rom  1490,  ein  alphabetisches  Verzeichnis  von  Verben 
und  Adjectiven  mit  ihren  Casusconstructionen.  —  Auch  Aldus 
Manutius  (Aldo  Manuzio)  bietet  in  seinen  Rudimenta  gram- 
matices  l.  L.,  Ven.  1501  (Ven.  1508  erschienen  als  Institutionum 
grammaticarum  l.  IV)  in  dem  syntaktischen  Theile  nichts 
Eigenartiges. 

Höhere  Ziele  als  die  vorbenannten  Grammatiker  verfolgt  Curius 
Lancilotus  Pasius  Ferrariensis.  Sein  Werk  De  arte  gram- 
matica l.  VllI  seu  de  rebus  non  vulgaribus,  Regii  Lepidi 
1504,  behandelt  die  Redetheile  der  Reihe  nach  ohne  Sonderung 
von  Formenlehre  und  Syntax  unter  Heranziehung  der  Grammatiker 
seit  Varro  ('a  Varrone  usque  in  hodiernum  diem'),  die  freilich 
zumeist  bekämpft  werden.  Nach  der  Titelangabe  will  er  '  ignorata 
ab  aliis  grammaticis  nee  non  omissa'  bringen,  wogegen  'vulgaria 
omittuntur'.  Er  lehre  nur  *haud  vulgaria'.  Was  er  hierunter 
meint,  ersehe  man  z.  B.  IV  15,  wo  es  in  der  Einleitung  zur  Casus- 
rection des  Verbs  heisst:  'Primum  idioma^)  dicitur  simplici  recto, 
quod    et    accusandi    casu    finitur    ut  Lancilotus    amat    Philippum. 


J)  Beim  Nomen  wird  III  ^o  endlich  einmal  an  richtiger  Stelle  und  in 
gehöriger  Ausdehnung  die  Rection  des  Adjectivs,  weniger  des  Substantivs 
unter  dem  Titel  Idiomata  nominum  (der  Ausdruck  ist  den  Alten  entlehnt; 
vgl.  z.  B.  Charisius  in  Keils  Gramniatici  I  291)  behandelt;  freilich  werden  fast 
nur  Belegstellen  nach  dem  Casus  geordnet  beigebracht.  Beim  Verbum  er- 
scheinen die  ordines  Guarinos  und  Perottis  (der  überhaupt  durchaus  ausgenützt, 
aber  nirgend  erwähnt  wird)  unter  dem  Namen  Idiomata  vorborum. 


652  Joseph  Golling, 

Triplex  est  observatio  non  vulgaris.  Prima,  rectiis  casus  signi- 
ficationem  agentis  habet,  ut  ego  laude.  Accusandi  casus  sive 
accusativus  patiendi,  vel  modura  similem.  ut  amo  Franciscum, 
patientis  quidem  signiflcatio  in  hoc  casu.  amo  virtutem,  non  vere 
dicitur  patiens,  sed  modus  patientis,  non  enim  virtus  fert.  Altera 
observatio  est,  omne  fere  verbum  praeter  proprios  casus  potest 
regere  dativum'.  cett.  Das  Streben,  über  das  Vulgäre  sich  zu 
erheben,  führt  zu  sonderlichen  Spitzfindigkeiten.  Das  Wesen  der 
Impersonalia  wird  VI  1  in  folgender  Weise  erklärt:  'Impersonalia 
inventa  sunt,  ut  ex  scriptorum  lectione  colligitur,  ornatus  qui  a 
varietate,  et  necessitatis  causa.  Ornatus  causa  patet.  ('um  dicit 
Terentianus  ille  Gnato.  Quid  agitur?  respondens  Parmeno  ait,  statur 
cum  dicere  potuisset  sto.  .  .  .  Necessitatis  causa  est  duplex  aut 
naturae  signilicationis,.  aut  consuetudinis'.  Consuetudo  sei  es,  wenn 
die  Schriftsteller  nicht  misereo  oder  tedeo  gebrauchen;  ebenso  wenn 
sich  servitur,  nocetur  finde,  nicht  aber  abestur,  potestur.  'Natura 
est  elocutio,  quae  est  vel  finita  vel  infinita.  si  finita,  quinque 
generibus  circumscribitur,  quorum  idiomata  notavimus.  ut  ego  amo 
deum.  si  infinita,  hoc  est  cum  pars  sensus  defit,  impersonali 
cnuntiatur  Interim,  ut  curritur.  non  enim  est  deterrainata  persona, 
sed  intelligitur  vel  a  me,  vel  a  te  .  .'  Nicht  ohne  sachliches  Interesse 
ist  die  Art,  wie  YII  6  die  Frage  erörtert  wird,  warum  die  Lateiner 
nicht  wie  die  Griechen  den  Genetiv  mit  dem  Comparativ  wie  mit 
dem  Superlativ  verbanden.  Er  führt  für  den  Abi.  compar.  die  Er- 
klärung der  '  Aristotelicorum  aemuli'  an,  'quia  casus  sequens  com- 
parativum  debet  significare  rem,  ut  ab  ea  est  modus  in  augmen- 
tum,  et  nullus  casus  significat  apud  latinos  rem,  ut  ab  ea  est 
modus,  nisi  ablativus'.  So  bezeichne  in  dem  Beispiele  'sum  doctior 
Francisco'  der  Abi.  'modum  in  augmentum  doctrinae  a  Francisco 
in  me'.  —  Von  Pasius  abhängig  ist  die  folgende  Arbeit.  Sie  führt 
den  Titel:  Augustini  Satnrnii  liazaronei  Buennatis,  Mercurii 
maioris,  sive  Grammaticarum  institiitionum  libvi  X. 
Basel  1546').      Das  Buch    verdient    als  eine    der    ersten    wissen- 

')  Die  vorangehende  Epistel  des  .Janus  Pyrrhus  Pincius  trägt  das  Datum 
1531.  —  Ueber  seine  Heimat  Buenniuu  spricht  der  Autor  V  16.  —  Eine  in 
der  Vorr.  genannte  Grammatik  des  \  f .  namens  .Mercurius  (im  Gegensatz  zu  dieser 
ist  vorliegende  Mercurius  maior  betitelt)  ist  bibliographisch  nicht  nachweisbar. 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  653 

schaftlichen  Arbeiten  syntaktischen  Inhalts  neuerer  Zeit  noch  heute 
sachliches  Interesse.  Von  systematischer  Vollständigkeit  ist  es 
weit  entfernt:  es  behandelt  nur  das  Verb  mit  seinen  (lassen  (ent- 
sprechend den  ordines  Guarinos  und  Perottis),  das  Adverb,  die 
Pronomina,  die  Comparationsgrade  und  die  Figurae  constructionis. 
Vor  allem  ist  es  dem  Autor  um  die  Syntax  zu  thun  (I  2),  wenn 
auch  die  Formenlehre  nicht  ganz  ausgeschlossen  ist.  Bei  der 
polemischen  Richtung,  die  das  Werk  charakterisiert,  begreifen  sich 
beispielsweise  die  Capitelüberschriften  des  achten  Buches,  welches 
fast  ganz  dem  Supin  gewidmet  ist:  2.  'Supina  non  esse  nomina'. 
3.  'Sup.  non  esse  verba'.  4.  'Supinum  esse  partem  orationis  per 
se'.  18.  'Supina  in-u,  quidquid  supra  disputatum  est,  nomina 
potius  videri'.  Als  Probe  seiner  Polemik  diene  c.  13,  das  gegen 
den  auch  sonst  am  meisten  bekämpften  Laurentius  gerichtet  ist, 
'qui  negavit  supina  in  -u  per  verbalia  recte  latineque  exponi  posse'. 
Er  fragt:  'Proh  divum  atque  hominum  fidem,  ecquae  maior  vel 
cognatio  vel  communitas  demonstrari  potest  esse  inter  supina  et 
verbalia,  quam  quod  altera  pro  alteris  eodem  in  sensu  collocari 
possunt?'  Nach  Vorführung  mehr  oder  minder  passender  Belege 
aus  Cicero  und  anderen  bis  Julius  Obsequens  ruft  er  aus:  'lamne 
igitur  sentis  Laurenti  .  .  his  te  exemplis  iugulatum?  Non  vides, 
ut  passivitas  illa  perinde  verbalibus  atque  supinis  communis  existat? 
Cum  igitur  nihil  referat,  utrum  quis  dicat,  res  rara  inventu,  an 
inventione,  quoniam  utrique  subest  eadem  passivitas  verbi,  et  idem 
sensus :  quidni  recte  supina  pro  verbalibus,  et  verbalia  pro  supinis 
accipiuntur?'  Anderswo  zieht  er  philosophische  Betrachtungen  un- 
nöthigerweise  in  die  Darstellung.  So  III  2.  '  Omnis  personalitas 
atque  impersonalitas  ipsis  verbis  extrinsecus  adnascitur.  Quoniam 
verba  secundum  se  ('an  sich')  neque  personalia  sunt,  neque  Im- 
personalia, sed  indifferentia.  Persona  autem,  definientibus  magna 
authoritate  philosophis,  est  naturae  rationalis  individua  substantia. 
Huic,  ut  sit,  tria  omnino  necessaria:  ut  individua,  ut  per  se 
existens,  ut  rationalis.  Igitur  sermo  quia  inter  loquentes  atque 
intelligentes  proprie  tantum  versatur,  necessario  fit,  ut  ea  triplex 
existat,  nempe  loquens,  audiens  etremota'.  Nun  werde  die  Person 
dem  Verb  durch  das  Subject  äusserlich  beigebracht  und  sei  dem- 
selben   nicht  von  Natur    eigen.     'Igitur    personalitas    omnis    ipsis 


654  Joseph  Golling, 

verbis  altrinsecus,  hoc  est,  a  supposito  venit:  quidqüid  somniant 
grammatici'.  —  Andererseits  corrigiert  er  in  manchen  Einzelheiten 
zutreffend  seine  Vorgänger.  So  I  31  '  exulo  verbum  non  esse  neu- 
trum  passivum'.  Oder  125,  wo  er  die  bestrittene  Structui' '  opus 
est  hanc  rem'  aus  Plautus  nachweist,  oder  endlich  IV  6,  wo  er 
behauptet  'non  Latine  dici,  Ciceronis  interest  esse  eloquentis'  und 
die  Forderung  anschliesst  'Nostrum  est,  non  quid  potuerint  aut 
debuerint,  sed  quid  dixerint  authores,  diligentissime  observare  .  .  . 
Fluxa  est  enim  omnis  ratio  Grammatici,  cui  nulluni  succurrit 
exemplum,  quam  recepta  scriptorum  authoritas  non  statuminat'. 
T  7  überrascht  geradezu  durch  die  über  die  Zeit  hinausragende  Er- 
kenntnis: 'Tota  vis  orationis  in  verbis  praecipue  consistit'.  Damit 
hängt  wohl  zusammen,  dass  das  Substantiv  von  seiner  Darstellung 
ganz  ausgeschlossen  ist.  Abhängigkeit  von  Pasius  (IV  29)  zeigt 
sich  besonders  I  46. 


2.    Bearbeitungen  der  lat.  Syntax  in  Deutschland,  Belgien 
und  den  Niederlanden  seit  1451. 

Die  zeitgenössischen  Grammatiken  der  Deutschen  und  ihrer 
Stammverwandten  sind  mehr  oder  weniger  eine  Copie  der  italienischen. 
Unabhängig  arbeitete  noch 

Henricus,  der  einen  Tractatulus  dans  modum  teutoni- 
sandi  casus  et  tempora  zu  Münster  i.  W.  1451  abfasste  und 
zwischen  1480 — 1490  daselbst  in  Druck  gab.  H.  geht  von  der  Er- 
klärung der  jeweiligen  Termini  (casus,  nominativus,  tempus  etc.)  aus 
und  erläutert  an  der  Hand  von  Nominal-  und  Verbalformen  (letztere 
von  lego  und  amo  gebildet)  sowie  auch  von  einfachen  Beispielen 
den  Gebrauch  der  Casus,  Tempora  und  Modi  und  deren  (nieder- 
deutsche) Uebersetzung.  H.  hält  den  Optativ  neben  dem  Conjunctiv 
fest,  welch  letzteren  er  in  Verbindung  mit  Conjunctionen  gebraucht 
findet.  Er  erkennt  bereits  die  nahe  Beziehung  des  Accusativs  zum 
Nominativ:  wente  dat  dinck  dat  wercket  in  nominativo  steyt,  so  stcyt  dat 
dinck  dat  lyth  in  accusativo  .  .  .  Iteni  dat  dinck  dar  de  werckinge  in 
geyt  edder  dat  gedaen  edder  gewercket  wert.  Sehr  ausfülirlich  wird 
über  den  Conjunctiv  nach  Conjunctionen  und  nach  dem  Relativ  ge- 
handelt. —  Die  Schrift  blieb  unbeachtet.  —  Näheres  bei  Frey  I  18  ff. 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  655 

Der  erste  in  Deutschland,  der  die  Arbeiten  der  italienischen 
Humanisten  für  die  lat.  Grammatik  verwertete,  ist  der  Wiener 
Professor  Bernhard  Perger.  Die  erste  datierte  Ausgabe  seiner 
Grammatica  nova,  auch  Aitis  grammaticae  Introduetorium  in 
octo  partes  orationis^  in  constructiones^  in  epistolas  conßciendas  fere 
ex  Nicolai  Perotti  traditionibus  translatum  betitelt,  erschien 
Passau  1482.  Die  Constructio  umfasst  22  Regeln:  sie  behandeln 
die  Congruenz  (1.  2.  5,  6.  7),  die  Comparationsgrade  (3.  4),  die 
Oonstruction  der  Impersonalia  (8 — 11),  in  grossen  Zügen  die  Casus- 
lehre, wobei  die  Abhängigkeit  der  einzelnen  Casus  von  Nomen  und 
Verb  in  gleicher  Weise  berücksichtigt  wird  (12 — 15),  den  Infinitiv 
und  das  Gerundium  mit  ihren  Casusconstructionen  (16),  Supina 
(17),  Particip  (18),  Adverbia  (wozu  auch  utinam,  o  si,  ne,  ja  auch 
necesse,  ecce,  ubicunque  gerechnet  werden),  Ortsbestimmungen  und 
Interjectionen  (19),  Präpositionen!  (20),  Conjunctionen  (21),  die 
'Possessiva'  wie  Euandrius  (22).  An  diese  Regeln  schliessen  sich 
die  ordines  verborum,  im  ganzen  nach  Perotti.  —  Die  Darstellung 
der  Syntax  ist  hier  Dank  der  vollständigen  nach  den  regierten 
Casus  geordneten  Casuslehre  ziemlich  lückenlos.  Ein  gleiches  gilt 
von  dem  anonymen  Lehrbuch 

Ewercitiutn  puerorum  grammaticale  per  dietas  distributum, 
Antwerpen  1485  (s.  Müller  S.  244 ff.).  Dieses  hält  sich  zwar  noch 
an  Alexander  (die  zwei  Theile,  Hractatus',  enthalten  die  ethimo- 
logia  und  die  grammatica  dyasinthetica,  in  letzterer  werden  durch- 
weg, soweit  dies  die  einzelnen  Redetheile  gestatten,  regimen  und 
constructio  unterschieden,  so  z.  B.  c.  6.  De  regimine  participiorum 
et  de  constructione  participiorum.  c.  7.  De  constructione  adver- 
biorum.  De  regimine  eorum),  aber  die  Syntax  wird  schon  nach 
den  Redetheilen  behandelt.  Voran  geht  nach  einleitenden  Regeln, 
namentlich  über  Congruenz,  das  regimen  nominum  substantivorum 
regentium  genetivum,  dat.,  abl.,  worauf  das  regimen  adectivorum, 
weiter  das  regimen  pronominum  und  dann  erst  das  regimen  verbi 
folgt.  Wie  hier,  wird  zwischen  mittelalterlicher  Theorie  und  der 
Syntax  Perottis  vermittelt  in  der 

Aurea  grammatica  puerulorum,  wohl  zu  Rostock  1488 
bis  1490  gedruckt  (s.  Müller  S.  268),  wo  über  die  Arten  der 
Constructio  (s.  Frey  I  S.  11),  de  supposito  (hier  auch  die  di-ei  Ai-teu 


656  Joseph  Golling, 

> 

der  Congruenz),  über  die  ronstruction  der  Impersonalia  und  de 
regimine  (Rectionsfähigkeit  der  einzelnen  Kedetheile,  die  (  opula) 
nach  Balbis  Catholicon  (abgefasst  1286;  gedruckt  zu  Mainz  1460) 
gehandelt  wird.  Alsdann  werden  die  ordines  verborum  Guarinos 
und  Perottis  und  die  übrigen  Kedetheile  behandelt.  Alexanders 
Doctrinale  wird  abschnittweise  an  entsprechenden  Stellen  abgedruckt, 
ohne  dass  die  Darstellung  regelmässig  darauf  Bezug  nähme.  —  In 
anderer  Weise  sucht  zwischen  alter  und  neuer  Theorie  zu  vermitteln 
Timann  Kemner.  Er  theilt  in  seinem  Compendiuvi 
aureum  Etymologie  et  syntaxis  grammatices,  Daventrie 
1502,  die  Syntax  mit  Alexander  in  die  Lehre  von  Regimen  und 
('onstructio.  Ersteres  erfolgt  nach  den  Redetheilen,  das  Substantiv 
voran.  Das  Regimen  verbi  beginnt  (nach  Alexander)  mit  dem 
Subjects-  und  Prädicatsnominativ  als  vom  Verb  regiert,  geht  auf 
die  Figurae  constructionis  über  und  sodann  auf  die  absoluten  Casus 
und  den  Gebrauch  der  Städtenamen.  Perottis  ordines  kennt  K. 
noch  nicht,  sondern  er  verfolgt  das  Regimen  verbi  nach  den  Casus, 
was  von  den  Grammatikern  der  Folgezeit,  vielleicht  nur  Brassicanus 
ausgenommen,  festgehalten  wird.  —  Der  Abschnitt  'de  ablativo 
recto  a  verbo'  enthält  auch  eine  Bemerkung  über  den  Ablativus 
absolutus.  Der  zweite  Theil,  die  'constructio  vocum',  von  Kemner 
später  als  concordantia  bezeichnet,  enthält  die  Wortfolge  im  Satze 
und  Congruenzregeln.  —  Wir  haben  es  sonach  gleich  dem  Exer- 
citium  nur  mit  einem  verbesserten  Doctrinale  zu  thun.  —  In  der 
letzten  (7.)  Ausgabe,  Münster  i./W.  1515,  ist  besonders  die  Auf- 
nahme der  ordines  verborum  nach  Perotti  unter  Wegfall  der  ent- 
sprechenden Abschnitte  der  früheren  Ausgaben,  die  Behandlung 
des  Abi.  abs.  beim  Particip  und  die  Kürzung  des  zweiten  Theiles 
beachtenswert.  Dieser  enthält  nur  mehr  die  dreifache  Congruenz, 
Substantiv  und  Adjectiv,  Relativ  und  Antecedens,  Interrogativum 
und  Responsivum,  während  die  Congruenz  zwischen  Nominativ  und 
Verb  an  den  Beginn  des  Regimen  verbi  versetzt  ist,  wo  nun  auch 
die  Figurae  constructionis  untergebracht  sind').  —  So  entwickelte 


')  A.  Bömers  Bemerkung  bezüglich  der  Ausgabe  v.  J.  1507  in  der  Zs.  f. 
Vaterland.  Gesch.-  und  Alterthumskunde  1895  I.  S.  196:  ,0b  Kemner  schon  in 
dieser.  Ausgabe  das  Werk    einer   neuen  Durchsicht   und  Verbesserung   unter- 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  ß57 

sich  also  K.s  Lehrbuch  aus  dem  System  Alexanders  allmählig  an- 
näherungsweise zu  der  Form,  welche  die  Grammatik  von  den 
italienischen  Humanisten  empfangen  hat. 

Nur  wenige  Grammatiker  sind  im  System  von  der  mittel- 
alterlichen Tradition  völlig  unabhängig.  Zu  diesen  gehört  Jac. 
Henrichmanus  (Heinrichmann):  Grammaticae  Insfitutiones, 
Pforzheim  und  Hagenau  1506.  Er  bearbeitet  die  Syntax  streng 
nach  den  Redetheilen  (Adjectiv,  Substantiv,  Verb  etc.),  ohne  die 
Gongruenz  auszusondern:  sie  wird  bei  den  betr.  Redetheilen  be- 
handelt. Verwandter  Natur  ist  des  Erasmus  v.  Rotterdam  Ah- 
solutissimus  de  octo  orationis  partium  libellus,  Köln  1514. 
(Ueber  die  Autorschaft  s.  Frey  H  S.  1 5 ').  Gegen  Frey  sei  übrigens 
bemerkt,  dass  Erasmus  auch  die  Gongruenz  bei  den  entsprechenden 
Redetheilen  untergebracht  hat).  Zum.  erstenmale  findet  sich  bei 
Erasmus  ein  Abschnitt  'quibus  verborum  modis  quae  con- 
gruant  adverbia',  wo  die  Modusverhältnisse  bei  ubi,  postquam,  ut 
(=  postquam),  cum,  simul,  quasi,  ne,  num,  quamquam,  quemad- 
modum,  ne,  allerdings  in  aller  Kürze,  besprochen  werden;  auch 
das  Pronomen  qui  'cum  habet  vim  causalem'  findet  Erwähnung. 
Dieser  Vorgang  blieb  lange  ohne  Nachahmung,  was  in  der  Nach- 
wirkung der  Autorität  Alexanders  seine  Erklärung  findet.  —  Mit 
Heinrichmann  berührt  sich  aufs  engste  des  Andreas  Ornito- 
parchus  Encheridion  latine  constructionis,  Daventrie  1515: 
s.  Frey  II  S.  Uff.  —  Aehnlich  angelegt  ist  auch  Philipp  Me- 
lanchthons  Syntaxis  sende constructione  liber,  Hagenau  1526. 
Er  beginnt  wie  Erasmus  mit  dem  Verb.  Erwähnung  verdient  die 
bei  den  Conjunctionen  berührte  Tempusfolge  von  ut  ('coniunctio 
caussalis'). 

Alle  folgenden  Grammatiker  behandeln  die  Syntax  mehr  oder 
weniger  ausdrücklich  nach  Concordantia  (ev.  in  Verbindung  mit 
Constructio)  und  Regimen,    stehen    also    theilweise    noch  auf  dem 


worfen  hat,  lässt  sich  aus  der  kurzen  Panzerschen  Titelangabe  nicht  ersehen', 
sei  dahin  erledigt,  dass  diese  Ausgabe  denselben  Umfang  zeigt  wie  die  vom 
J.  1505  (39  Bl.  4P)  und  weder  im  Titel  noch  am  Schluss,  der  bis  auf  die 
fehlenden  Worte  ,ac  pluribus  etiam  ab  eodem  auctore  iam  pridem  adiunctis' 
mit  dem  der  Ausgabe  vom  J.  1509  m.  m.  übereinstimmt,  die  Erwähnung  einer 
Revision  enthält. 

Festschrift   Vahieu,  42 


658  Joseph  GoUing, 

Boden  des  Doctrinale.  Vgl.  oben  S.  651  (Francesco  Negri).  AVo 
die  beiden  Begriffe  strenge  gefasst  werden  wie  bei  Valerius,  er- 
mangelt die  Syntax  völlig  der  A^ollständigkeit.  —  Zu  diesen 
Grammatikern  zählt  Joannes  Brassicanus.  In  seinen  Inst ituti- 
ones  grammaticae,  Strassburg  1508,  wird  zuerst  die  Concordantia 
vorgenommen  (Adjectiv  und  Substantiv,  Relativum  und  Referibile, 
Interrogativum  und  Responsivum),  worauf  de  regimine  et  concor- 
dantia (beim  Verbum  substantivum  und  vocativum,  bei  partitiven 
Verhältnissen:  quis  horainum,  nulla  feminarum;  beim  Comparativ 
und  Superlativ)  und  endlich  de  regimine  soluin  (nach  den  Rede- 
theilen:  Verbum  impersonale;  Nomen,  Particip,  Adjectiv,  Sub- 
stantiv und  Pronomen;  A^erbum  personale  mit  seinen  'Idiomata'; 
Inf.,  Gerundium,  Sup.)  und  über  die  Latinitas  oder  Constructio 
der  übrigen  Redetheile  gehandelt  wird.  —  Weiter  geht  die  Ab- 
hängigkeit von  Alexander  —  man  beachte  auch  die  Aehnlichkeit 
mit  Kemner;  s.  oben  S.  656  —  bei  Joannes  Coclaeus.  Sein 
Quadrivium  grammatices,  Nürnberg  1511,  enthält  die  Etymo- 
logia,  Diasynthetica,  Prosodia  und  Orthographia  und  behandelt  in 
der  Syntax  zuerst  das  Regimen^  nach  den  Redetheilen,  das  Sub- 
stantiv voran;  beim  Verb  ist  die  Eintheilung  nach  den  regierten 
Casus,  nicht  nach  ordines  getroffen.  Hinter  der  Interjection  er- 
scheinen die  absoluten  Casus,  wobei  auch  die  Städtenamen  be- 
handelt werden.  Der  Tractatus  de  Constructione  et  reguli^  con- 
gruitatis  bespricht  die  Arten  der  Constructio  (s.  Frey  I  S.  11), 
die  Wortfolge  im  Satze,  die  Congruenz  mit  ihren  exceptiones  und 
endlich  die  Conjunction.  Der  '  tractatus  de  modo  epistolandi'  und 
die  grammatischen  Figuren  bilden  den  Schluss. 

Offen  bekennt  sich  als  Verbesserer  des  von  ihm  hoch- 
gehaltenen Doctrinale  Joannes  Despauterius  (Jan  van  Pan- 
teren)  aus  Ninove  (Ostflandern).  Seine  Sgntaxis  muss  nach 
dem  Vorwort  zur  Prima  pars  grammaticae  (s.  Jo.  Despauterii 
Ninivitae  Commentarii  grammatici.  Paris  1537  p.  24)  zuerst 
c.  1510  erschienen  sein.  Das  Werk  kann  als  eine  zeitgemässe 
vernünftige  Umgestaltung  des  Doctrinale  bezeichnet  werden, 
insofern  D.  die  guten  Seiten  des  mittelalterlichen  Lehrbuches  und 
seine  Terminologie,  vor  allem  dessen  System  in  wesentlichen 
Punkten   festhält,    die  Fortschritte    der  Syntax    im    einzelnen   ver- 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  659 

wertet  und  namentlicli  eine  von  mittelalterlichen  Einflüssen  mög- 
lichst freie  Latinität  zum  Gegenstande  der  grammatischen  Betrach- 
tung wählt.  Eben  durch  die  Berücksichtigung  aller  nennenswerten 
Vorgänger  ist  seine  Syntax  der  Ausdruck  des  syntaktischen  Wissens 
am  Beginn  des  16.  Jahrhunderts.  D.  theilt  die  Syntax  in  Con- 
cordantia  und  Regimen:  das  Regimen  ist  infolge  Anschlusses  an 
das  üoctrinale  natürlich  nach  den  Casus  geordnet.  Beim  Nomi- 
nativ, der  vom  '  verbum  personale  finiti  modi'  regiert  wird  (1.  Regel), 
werden  die  Modi  finiti  (Indicativ,  Imperativ,  Optativ  und  Con- 
junctiv)  erwähnt,  desgleichen  die  Verba  exceptae  actionis:  pluit, 
ningit,  fulminat  u.  a.,  wo  natura  oder  deus  zu  ergänzen  sei.  An 
das  Verbum  substantivum  und  vocativum  (2.  Regel)  schliessen 
sich  die  Figurae  constructionis  an,  alsdann  folgen  die  Interjectionen 
en,  ecce,  heu,  o,  vae,  pro  mit  ihrer  Rection  und  endlich  die  Ellipse 
des  Regens:  Laus  regi  superno.  In  dieser  Anordnung  ist  bereits 
eine  Anschauung  angedeutet,  die  von  späteren  Grammatikern  bis 
in  die  jüngste  Zeit  immer  wieder  vertreten  ist,  dass  nämlich  auch 
das  verbale  Prädicat  als  solches  in  seinen  wesentlichen  Erscheinungs- 
formen hinter  dem  Subject  zu  behandeln  ist.  Beim  Accusativ  er- 
scheint die  Lehre  vom  Infinitiv,  Gerundium  und  Gerundivum, 
Supinum  und  Participium.  Beachtenswert  ist  die  Bemerkung: 
'  Valla  Perottus  ceterique  generali  vocabulo  gerundii  comprehendunt 
gerundivum',  und  weiter:  'Gerundivum  est  adiectivum  nomen  ex 
gerundio  ductum:  ut  legendus,  legenda,  legendum'.  Diese  Unter- 
scheidung bleibt  von  nun  an  in  die  Grammatik  eingeführt,  wenn 
sie  auch  in  der  nächsten  Zeit  noch  nicht  beachtet  wurde.  Vgl. 
auch  Programm  S.  8.  —  Die  'Regulae  elegantiae',  die  sich  auf 
seltenere  syntaktische  Verbindungen  beziehen  und  entsprechenden 
Orts  angebracht  sind,  waren  zum  Theil  Anlass  zur  späteren  Ab- 
sonderung der  Syntaxis  figurata  oder  ornata.  —  Die  beiden  ge- 
nannten Haupttheile  der  Syntax  hält  auch  fest  ein  Anonymus,  der 
seine  Secunda  pars  grammatices  sive  synthetica,  Münster 
1514,  in  Constructio  (Belehrung  über  Constructio  transitiva  und 
intransitiva:  s.  Alexander  Doctrinale  1370 ff.  und  dazu  Reichling, 
die  Congruenz)  und  Regimen  (dieses  an  zweiter  Stelle;  er  geht 
nach  den  Redetheilen  vor)  sondert.  lieber  die  Abhängigkeit  von 
Alexander  im  einzelnen  s.  Frey  II  S.  9 f.    —    Anschluss    an    Des- 

42* 


660  Joseph  Golliug, 

pauterius  dürfte  vorliegen  bei  Joannes  Pollicarius,  der  in  seinem 
Lehrbuch  De  construcfione,  Basel  1544,  Constructio  intransitiva 
(Congruenz)  und  C.  transitiva  (Regimen)  untei*scheidet.  Ob  übrigens 
in  der  Behandlung  der  (\  transitiva  nach  dem  regierten  Casus  nicht 
eine  späte  Nachwirkung  des  Doctrinale  zu  sehen  ist,  erscheint  frag- 
lich. —  Dem  äusseren  Umfange  nach  gleich  unvollständig  ist  die 
Syntax  bei  Cornelius  Valerius  Ultraiectinus,  In  seinen  Gram- 
maticarum  Institutionum  l.  IV,  Lutetiae  1550,  enthält  die 
Concordantia  nicht  auch  die  Figurae  constructionis,  die  in  den 
Anhang  zur  Syntax  verwiesen  sind.  Das  Regimen  stimmt  ziemlich 
genau  mit  der  Behandlung  des  Anonymus  überein,  insofern  z.  B. 
die  Casus  absolute  positi  (auch  Abi.  abs.)  und  die  Construction  der 
Ortsbestimmungen  hinter  dem  Regimen  verbi  erscheinen. 


3.  Aelins  Antonius  Nebrissensis.    Enianuel  Alyarus. 
Guillelnius  Tardivus.    Petrus  Hanms. 

Aelius  Antonius  Nebrissensis  (Elio  Antonio  Cala  Harana  del 
Oio  aus  Lebrija)  beginnt  den  syntaktischen  Theil  seiner  Intro- 
ductiones  latinae  explicatae^  Salamanca  1481,  mit  der  De- 
finition und  den  Arten  der  Constructio  (nach  Alexander;  s.  Frey 
I  11),  worauf  die  Figurae  constructionis  ohne  die  regelmässige 
Congruenzlehre  (wieder  nach  Alexander)  folgen.  Die  Constructions- 
lehre  (das  Verbum  voran)  erfolgt  fast  ganz  nach  Perotti:  auch 
Abschnitte  aus  der  Formenlehre  sind  nicht  ausgeschlossen.  J)en- 
selben  syntaktischen  Plan  zeigen  mit  geringen  Aenderungen  auch 
die  übrigen  grammatischen  Schriften  dieses  Gelehrten,  z.  B.  seine 
Introductiones  in  latinam  grammaticam  cum  longioribus 
glossematis,  Logrono  1508.  —  Wie  Pollicarius  unterscheidet  Ema- 
nuel  Alvarus  (Alvarez)  aus  Madeira  in  seinem  Lehrbuch  De  insti- 
tutione  grammatica  l.  III,  Lissabon  1572,  Constructio  intran- 
sitiva und  transitiva;  letztere  wird  nach  den  Redetheilen  behandelt. 
Uebrigens  sei  bemerkt,  dass  A.  bereits  einer  neueren  grammatischen 
Richtung  angehört.  Er  bespricht  Modusverhältnisse  bei  den  Con- 
junctionen  (fasst  also  die  Constr.  transitiva  in  eiiiem  weiteren  Sinne 
als  Pollicarius)  und  bringt  —  freilich  in  Form  eines  Anhangs  —  die 
ßgurata  constructio  (von  andern  Grammatikern  auch  constr.  ornata 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16,  Jahrhundert.  QQ\ 

genannt),  die  ihren  Ursprung  den  Figurae  constructionis  und  den 
Regulae  elegantiae  des  Despauterius  verdankt.  Bekanntlich  hat 
noch  in  unsern  Tagen  Zumpt  die  Syntaxis  ornata  behandelt. 

Originell  sind  die  syntaktischen  Lehren  der  beiden  hier  zu 
nennenden  französischen  Grammatiker.  Guillelmus  Tardivus 
(Tardif)  Aniciensis  zeigt  in  seiner  Grammatica,  c.  1484,  (dem 
ersten,  auch  selbständig  erschienenen  Theile  eines  aus  Grammatica, 
Elegantia  und  Rhetorica  bestehenden  Werkes)  bezüglich  der  im 
ganzen  syntaktischen  Partie  d.  h.  im  3.  Abschnitte  kein  bestimmtes, 
ja  überhaupt  kein  System.  Er  bietet  nur  einzelne  Capitel  zur 
Syntax,  die  auch  nach  zeitgenössischer  Anschauung  keine  voll- 
ständige Syntax  bilden.  In  diesem  3.  Abschnitt,  der  die  Auf- 
schrift führt:  'Tertia  grammatice  pars  cetera  latinitatique  pertinentia 
perficiens',  folgt  auf  die  Congruenzlehre  c.  5.  De  numeralibus 
dictionibus.  c.  6.  Nominative  sine  genetivo  quando  utendum  est. 
7.  Tempus  et  mensura  quomodo  accusativo  sive  ablativo  signi- 
ficatur.  Von  einigem  Interesse  sind  die  C'app.  19  (De  vicaria 
modorum  positione)  und  20  (Imperandum  quibus  modis  est),  in- 
sofern hiermit  im  Gegensatz  zur  herrschenden  Anschauung  die 
Moduslehre  als  zur  Syntax  gehörig  erscheint.  Näheres  bei  Haase, 
Vorlesungen  über  lat.  Sprachwiss.  I.  Ilrg.  von  F.  A.  Eckstein 
Lpz.  1874  S.  18.  —  Seine  eigenen  Wege  geht  auch  Petrus  Ramus 
Veromanduus  (Pierre  de  la  Ramee),  dessen  Werkchen  Grammaticae 
lihri  IV,  Avignon  und  Paris  1559,  im  3.  und  4.  Buch  die  Syntax 
enthält.  Er  theilt  die  Syntax  in  Convenientia  und  Rectio,  versteht 
aber  unter  Convenientia  alles,  was  nicht  der  Rectio  zufällt. 
Danach  behandelt  er  an  erster  Stelle  nicht  jiur  die  Congruenz, 
sondern  er  spricht  auch  von  convenientia  adverhii  (Verbindung  von 
quam,  ut,  tarn,  longe,  multo  mit  den  verschiedenen  Comparations- 
graden)  und  von  conv.  coniunctionis  (Stellung  und  Verbindung  mit 
gewissen  Tempora,    Polysyndeton  und  Asyndeton)^).      Die    Rectio 

^)  Vielleicht  ist  hierin  die  Lehre  der  Modisten  wiederzuerkennen,  wonach 
die  ,modi  significaudi  accidentales  relativi'  als  ,principia  construendi'  zu  be- 
trachten sind:  s.  Thurot  p.  223 ff.  So  bilden  beim  Nomen  Genus,  Numerus  und 
Casus  Principia  constr.,  beim  Pronomen  ausserdem  die  Person,  die  Demon- 
stratio und  Relatio,  beim  Adverb,  bei  der  Conjunction  und  der  Interjection 
deren  verschiedene  Bedeutungen.  Wichtig  ist,  dass  hierbei  auch  der  Ausdruck 
^convenientia'  Verwendung  findet:  Thurot  p.  224,  225,  227. 


ß62  Joseph  Golling, 

geht  nach  den  Eedetheilen  vor.  Innerhalb  der  Verha  personalia 
sind  die  Gruppen  nach  der  Bedeutung  gewählt,  wie  sie  theilweise 
schon  im  Doctrinale  gebraucht  werden.  R.  unterscheidet  verha 
activa,  verha  acquisitionü,  v.  rogand%  copiae  et  inopiae,  iudk'ialis, 
verbum  suhstantwum ,  verha  deliherationis  (opto,  cupio  c.  infin.), 
y.  mof;m  (mit  dem  1.  Sup.).  —  Hat  er  bei  der  Convenientia  die 
Figurae  constructionis  bereits  aufgegeben  (er  spricht  nur  von  Ano- 
malien), so  verweist  er  im  20.  Capitel  der  Scholae  grammaticae 
(s.  Scholae  in  liberales  artes.  Basel  1569.  I.)  die  Apposition  aus 
der  Figurenlehre  und  beweist  auch  für  die  Syllepsis,  dass  die  bei- 
gebrachten Beispiele  vielfach  unzutreffend  sind. 


Rückblick.  Die  vorgeführten  Bemühungen  auf  dem  Gebiete  der 
lateinischen  Syntax  erreichten  trotz  aller  stolzen  Versicherungen  der 
Grammatiker  im  ganzen  keinen  Fortschritt  über  die  mittelalterliche 
Grammatik  hinaus.  Abgesehen  davon,  dass  die  biblische  Latinität 
und  Barbarismen  vielfach  noch  immer  wie  classisches  Sprachgut 
verarbeitet  werden,  so  hat  man  nichts  als  Begriff  und  Umfang  der 
Syntax  aus  dem  Mittelalter  herüber  gerettet.  Vor  allem  Hess  man 
gerade  die  schwächste  Seite  der  überlieferten  Syntax  fortbestehen, 
indem  man  sich  mit  den  Ausführungen  über  Tempus  und  Modus, 
welche  die  Flexionslehre  bringt,  begnügte  und  so  einen  grossen 
Theil  der  Verbalsyntax  unbearbeitet  Hess.  Dafür  wurden  anderer- 
seits die  wissenschaftlich  wohl  berechtigten,  ja  unanfechtbaren  Grund- 
lagen der  mittelalterlichen  Syntax  angetastet.  Statt  nämlich 
Alexanders  Begriffe  von  Regimen  und  Constructio,  die  immerhin 
eine  vollständige  Behandlung  der  syntaktischen  Erscheinungen  er- 
möglicht hätten,  als  Eintheilungsprincip,  sowie  die  augenscheinlich 
richtige  Behandlung  des  Regimen  nach  den  regierten  Casus  fest- 
zuhalten, die  Constructio  aber  zu  erweitern,  wird  die  gesamte 
Syntax  entweder  nach  den  Redetheilen  verfolgt  oder  aber  nur  das 
Regimen,  dem  die  wenigen  Congruenzregeln  meist  ohne  weiteres 
coordiniert  werden!  So  griff  man  auf  die  Theorie  der  Alten  zurück, 
welche  die  Gesamtgrammatik  nach  den  Redetheilen  behandelten. 
Auf  diese  Weise  wurde  auch  die  vornelmiste  grammatische  Errungen- 
schaft des  Mittelalter,  die  wohlgefügte  Casuslehre  Alexanders,  preis- 


Zur  Behandlung  der  lateinischen  Syntax  im  15.  und  16.  Jahrhundert.  663 

gegeben,  die  Syntax  der  Casus  nach  dem  regierenden  Verb  geordnet 
und  nur  allmählich  auch  die  nominale  Rection  aufgenommen,  der 
vielfach  übergangenen  Rectionsfähigkeit  der  übrigen  Redetheile  nicht 
zu  gedenken  (Dass  auch  die  römischen  Nationalgrammatiker  das 
Verbum  zum  Eintheilungsgrunde  einer  Art  Casuslehre  verwendet 
haben,  ersehe  man  aus  Priscian  ed.  Hertz  bei  Keil  Gramm.  Lat. 
III  267  ff.  Vgl.  Programm  S.  9).  —  Unwissenschaftlich  ist  ein 
solcher  Vorgang  insofern,  als  verschiedene  Redetheile  (und  die  ver- 
schiedenen Classen  eines  und  desselben  Redetheiles,  s.  Guarinos 
und  Perottis  ordines  verborum !)  nicht  immer  verschiedenes,  sondern 
häufig  dasselbe  regieren.  J)as  Schlimmste  aber  ist,  wie  Haase 
(Allgem.  Litteraturzeitung,  Halle  1841:  Ergänzgs.-Bl.  S.  314f.)  aus- 
führt, dass  man  auf  die  besagte  Weise  nur  das  zufällige  Regens 
statt  des  für  die  Grammatik  zunächst  in  Betracht  kommenden 
Rectum  d.  h.  das  Uebergeordnete  statt  des  Untergeordneten,  das 
Specielle  statt  des  Allgemeinen  berücksichtigte.  „Jene  unter- 
geordneten, regierten  Begriffe,  welche  zur  Bestimmung  anderer 
dienen,  schliessen  sich  ihrer  Allgemeinheit  wegen  bald  an  diesen 
bald  an  jenen  Redetheil  an  in  sehr  mannigfaltiger  Weise  und  unter 
verschiedenen  Bedingungen,  und  derselbe  Redetheil,  ja  oft  dasselbe 
Wort  kann  nicht  nur  unter  verschiedenen  Umständen,  sondern 
sogar  zu  derselben  Zeit  durch  mehrere  verschiedene  Regimina  be- 
stimmt werden:  es  kommt  daher  vor  allem  darauf  an,  den  allge- 
meinen Sinn  dieser  Regimina  klar  zu  machen  und  daraus  die  Aus- 
dehnung und  Grenze  ihres  Gebrauches  zu  erkennen.  Dies  ist  der 
wahrhaft  grammatische  Weg." 


XXXV. 

Carl  von  Holzinger. 

Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung 
des  Platonischen  Phaidros. 


Gleich  im  Anfange  seiner  Abhandlung  über  den  Phaidros  sehen 
wir  Lutoslawski  (The  origin  and  growth  of  Plato's  logic,  1897, 
S.  326  ff.)  von  der  Ansicht  beherrscht,  dass  Piaton  selbst  sich  einer 
hohen  Gewandtheit  im  Unterrichten  erfreute. 

Die  Nothwendigkeit,  rhetorische  Kunstfertigkeit  zu  erwerben, 
habe  sich  ihm  daher  für  seine  Person  nicht  aufgedrängt.  Schon  in 
seinen  frühesten  Dialogen  ergiesse  sich  eine  natürliche  und  un- 
gesuchte Beredtsamkeit.  Die  Nützlichkeit  einiger  rhetorischer  Kunst- 
griffe habe  Piaton  erst  nach  der  Gründung  der  Akademie  kennen 
gelernt,  als  die  Zahl  seiner  Schüler  angewachsen  war  und  mehrere 
derselben  schon  seit  langem  mit  ihm  verkehrt  hatten.  Erst  als 
die  Schüler  Piatons  unter  seiner  Leitung  zu  lehren  anfingen,  ohne 
doch  die  gleiche  angeborene  Lehrfähigkeit  zu  besitzen  wie  er,  möge 
ihre  ünvollkommenheit  im  Unterrichten  den  Meister  auf 
einige  Gedanken  über  Rhetorik  geführt  haben,  die  er  in 
seinem  Dialoge  Phaidros  verkörperte.  Dies  sei  die  Er- 
klärung für  die  Schöpfung  des  Dialoges. 

Diese  Ansicht  über  die  Veranlassung  des  Dialoges  verbindet 
sich  bei  Lutoslawski,  wie  begreiflich,  mit  der  Anschauung,  dass 
Piaton  sich  eine  Rede  des  Lysias  als  Muster-  und  Meisterstück  des 
damals  bedeutendsten  Rhetors  auswählen  musste,  um  seine  eigenen 
Gedanken  über  Rhetorik  daran  anknüpfen  zu  können').  Hingegen 
sei  der  Inhalt  des  von  Piaton  gewählten  Erotikos  für  ihn  zu- 
fällig und  von  untergeordneter  Bedeutung  gewesen'). 


')  Lutoslawski  S.  327:  „purpose  of  a  discussion  on  rhetoric." 
-)  Lutoslawski    S.  328:    „The  subject    of   the    speech    to    be  selected  was 
accidental  and  secoudary"  und  „The  subjectmatter  is  of  secondary  importance." 


668  Carl  von  llolziiijrer, 

Man  sieht  nun  allerdings  leicht  ein,  dass,  wenn  diese  Auf- 
fassung richtig  wäre,  sie  ganz  wohl  zu  der  von  Lutoslawski 
angenommenen  Datierung  des  Dialoges  auf  die  Jahre  380 — 378 
(vgl.  a.  a.  0.  S.  352)  stimmen  könnte,  allein  dass  sie  richtig  sei, 
wird  man  durchaus  nicht  anerkennen. 

Man  muss  sich  wirklich  darüber  wundern,  dass  so  viele  Jahre 
nach  dem  vortrefflichen  Aufsatze  P.  Natorps  (Philologus  1889, 
Bd.  48,  S.  428 — 449  und  583 — 628)  längst  abgethane  Lehrmeinungen 
wieder  emportauchen  und  dass  nun  sogar  die  Sprachstatistik  dazu 
dienen  soll,  sie  zu  bestätigen'). 

In  dem  Dialoge  Phaidros  verfolgt  Piaton  den  Hauptzweck, 
dem  grossen  Publikum  seine  philosophischen  Speculationen  vor- 
zulegen, freilich  nur  so  viel  davon,  als  sich  von  seiner  Dialektik, 
Psychologie,  Unsterblichkeits-  und  Ideenlehre  in  einen  kurzen 
systematischen  Zusammenhang  bringen  Hess.  Alles  Uebrige,  was 
in  dem  Buche  steht,  entspricht  einem  Nebenzwecke  oder  ist 
nur  ein  Mittel  oder  auch  beides  zugleich,  Nebenzweck  und  Mittel. 

So  die  Erotik.  Natorp  spricht  (a.  a.  0.  S.  436)  von  einer 
„auf  Psychologie  und  Ideenlehre  gegründeten  Erotik"  und  sagt  ebenda: 
„Doch  bleiben  selbst  Psychologie  und  Dialektik  in  jener  Rede  dem 
eigentlichen  Thema,  der  Erotik,  untergeordnet."  Dieser 
Wendung  kann  ich  mich  in  einem  wesentlichen  Punkte  nicht  an- 
schliessen.  Allerdings  hat  es  Piaton  mit  meisterhafter  Kunst 
bewerkstelligt,  dass  die  zweite  Rede  des  Sokrates  den  Eindruck 
hinterlässt,  als  hätte  der  Autor  den  Hauptzweck  ins  Auge  gefasst, 
die  Athener  mit  seiner  Erotik  bekannt  zu  machen.  Für  ihn  aber 
ist  die  Erotik  zunächst  nur  ein  Mittel,  den  Inhalt  seiner  Philo- 
sophie in  einer  gerade  die  Athener  interessierenden  und  täuschenden 
Weise  vorzutragen.  Zugleich  erreicht  aber  Piaton  mit  dieser  Erotik, 
auf  welche  seine  Philosophie  im  Phaidros  und  im  Symposion  gleich- 
sam aufgepfropft  ist,  den  Nebenzweck,  sich  auch  über  die  Form 
seiner  Philosophie,  also  über  die  Erforschung  der  Wahrheit  durch 
das  Wechselgespräch  und  dadurch  auch  über  die  Dialogschriftstellerei 
auszusprechen. 

')  Lutoslawski  a.  a.  0.  S.  356:  „not  llie  least  iinportant  of  all  tliis  coutir- 
mations  is  given  by  the  stylistic  investigatioiis.'' 


Ueber  Zweck,  Yeranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidios.    669 

Das  Büttel,  diese  „Erotik"  einzuführen,  ist  die  Untersuchung 
über  die  Rhetorik,  also  ein  Gegenstand,  der  im  athenischen  Publikum 
ein  bereitstehendes  Interesse  vorfand,  das  nicht  erst  geweckt  zu 
werden  brauchte.  Gleichzeitig  erreichte  Piaton  den  Nebenzweck, 
sich  über  dieses  Gebiet  zu  äussern,  welches  auch  für  ihn  selbst 
von  Wichtigkeit  war.  Ich  hebe  dies  darum  hervor,  weil  es 
sich  im  Gegensatze  zu  dieser  Wahrheit  im  Dialoge  ergiebt,  dass 
die  Rhetorik  an  sich,  insoweit  sie  sich  nicht  mit  Philosophie  decke, 
nicht  viel  bedeute,  also  nicht  wichtig  sei. 

Als  Grundlage  dieser  Betrachtungen  über  Rhetorik,  auf  welche 
ich  hier  nicht  näher  eingehe,  erscheinen  die  drei  Reden  des 
sogenannten  ersten  Theiles  des  Dialoges.  Die  zwei  ersten  Reden 
haben  sichtlich  nur  die  Aufgabe,  der  Beispielgebung^)  dafür  zu 
dienen,  wie  die  Rede  nicht  beschaffen  und  wie  sie  beschaffen 
sein  solle.  Die  erste  Rede  des  Sokrates  ist  als  Gegenstück  zu  dem 
Erotikos  des  Lysias  gearbeitet,  jedoch  auf  Grundlage  der  einen 
Lysianischen  These:  ott  ou  yyq  toj  IpaivTi  )(aptCe3Öai'').  Der  Lysia- 
nische  Erotikos  ist  jedoch  von  Piaton  nur  als  scheinbare  Ver- 
anlassung des  ganzes  Dialoges  benutzt  ^),  nicht  weil  er  von  Lysias 
herrührt,  sondern  weil  er  ein  in  den  weitesten  Kreisen  Athens 
ehemals  berühmter  X070C  ipwiixoc  war"*).  Piaton  gräbt  ihn  wieder 
aus  und  publiziert  ihn  aufs  neue,  offenbar  weil  dieses  paradoxe 
Schriftchen    zur    Zeit,    als    der  Phaidros  erschien,    nur    noch    der 


^)  Vgl.  Phaidr.  p.  262  D:  ippTQÖ^trjv  xw  Xo'y«)  e/ovxe  xi  Trapa8etY[i.a  und 
p.  264  E;  aupd  .  .  TtapaSe^yfiaxa  -/.xX.  Dass  in  p.  262  D  unter  xw  Xoyu)  die 
Rede  des  Lysias  und  die  erste  Rede  des  Sokrates  zu  verstehen  seien,  geht 
aus  p.  243  C  hervor;  dvaiSdis  EipTja&ov,  ouxd;  xe  xal  6  Ix  xoü  ßtßXt'ou  ^r]8£t';. 

-)  Auch  die  zweite  Sokratische  Rede  ist  ein  Gegenstück  und  zwar  der 
Form  nach  gegenüber  der  Lysianischen  Rede,  hingegen  dem  Inhalte  nach 
gegenüber  der  Lysianischen  und  der  ersten  Sokratischen  Rede.  Dies  giebt 
Phiton  selbst  an:  p.  243  B  TiaXivtuSfav ,  p.  243  D  a'jp.ßouXe6o)  .  .  .  eiTidvxos  xöv 
xoü  Ipaaxoü  sTiatvov,  p.  265  A  xou;  sxlpou;  Xoyou;  ...  'Evavxt'cu  tüou  r^oxr^^^ 
womit  die  beiden  Sokratischen  Reden  gemeint  sind.  Ich  bemerke  dies  gegen 
Fr.  Thedinga,  1883,  Ilagen,  S.  6,  der  gegen  Schleiermacher  polemisiert. 

^)  Der  einzige  vorhandene  Erotikos  w^ar  er  nicht,  aber  wohl  der  einzige 
dieser  Art.  Vgl.  Phaidr.  p.  227  C,  Dümmler,  Akademika  S.  43  ff.,  Rudolf  Hirzel, 
Der  Dialog,  189Ö,  I,  S.  32. 

^)  Vgl.  Natoi'p  a.  a.  0.  S.  437. 


670  Carl  von  Holzingcr, 

älteren  Generation  bekannt  war').  Für  Piaton  war  die  Erinnerung 
an  diesen  verstaubten  Erotikos  ein  spficttov,  und  der  Gedanke,  seine 
metaphysischen  Speculationen  mit  dem  erotischen  Thema  zu  ver- 
binden, und  die  Absicht,  dies  in  der  Form  einer  sokratischen  Rede 
zu  thun  und  diese  zu  dem  Erotikos  des  Lysias  in  Gegensatz  zu 
bringen,  sind  wohl  in  demselben  glücklichen  Momente  blitzgleich 
geboren.  Dagegen  beruht  die  Einschaltung  der  nur  als  Gegenstück 
componierten  ersten  Hede  des  Sokrates  und  der  sogenannte  zweite 
Theil  des  Dialoges  auf  sorgfältiger  Construction  und  wirkt  darum 
auch  nicht  mit  gleicher  Unmittelbarkeit, 

Dass  dabei  auch  die  zweite  Rede  des  Sokrates  als  rrapaBci- [la 
verwendet  erscheint,  hat  viele  über  den  wahren  Zweck  dieses  /.o-jo; 
getäuscht.  Auf  die  Zeitgenossen,  denen  Piaton  seine  cp'Äoo'j'f  i'a  nur 
in  kleiner  Dosis  und  gleichsam  unvermerkt  einflössen  wollte,  war 
diese  Täuschung  wohl  berechnet,  da  die  meisten  ihre  Aufmerksamkeit 
nur  den  beiden  Vorspannthemata  zuwenden  mochten,  dem  erotischen 
und  dem  rhetorischen  Stoffe.  Von  Piaton  selbst  war  dieser  jiufhxo? 
ufivo;^)  (p.  265 C)  nur  nebenbei  auch  als  Musterbeispiel  gedacht. 
Hingegen  bestand  die  Hauptabsicht,  die  er  mit  dieser  Darstellung 
verband,  in  der  Mittheilung  ihres  philosophischen  Inhaltes. 
Man  vergleiche  hierzu  Natorp  a.  a.  0.  S.  435. 

Man  wird  sich  bei  dieser  Auffassung  des  Dialoges  mancherlei 
Fragen  vorlegen.  Wozu  bedarf  es  einer  kunstvollen  Täuschung  des 
athenischen  Leserkreises?  Warum  legt  nicht  Piaton  sein  philo- 
sophisches System  einfach  dar,  wie  es  späterhin  Aristoteles  that? 
Warum  bietet  er  dem  Leser  nicht  wenigstens  seine  Gedanken  über 
Rhetorik  in  wohlgeordneter  Darstellung  an?  Konnte  Piaton  ohne 
Grund  und  nur  so  nebenbei  über  Lysias  herfallen  wollen,  weil  sich 
damit  ein  passendes  Rahmengespräch  zu  dem  philosophischen 
Kern  seiner  Gedanken  ergab?  Diese  und  ähnliche  Fragen  beantworten 

')  Das  Gegentheil  meint  Schleierinacber,  I,  1,  S.  50. 

'^  Ich  Avill  doch  bei  dieser  Gelegenheit  zwei  alte  Fehler  verbessern,  welche 
die  zweite  Rede  des  Sokrates  auch  im  Schanz'schen  Texte  verunzieren.  Man 
lese  p.  2oOC:  6X(5xX7)pa  hi  vcal  drXä  xol  äptefAT)  (statt:  ötpefA^)  und  pag.  253K: 
&  8'  au  axoXtii;,  7iaj('j?  (nicht:  TroXüf).  —  Nebenbei  erwähne  icli,  dass  es  in 
pag.  2351)  heissen  muss:  ixi^a  ÜTTO&^aei  ÜTzi  statt  des  überlieferten  et^pa 
iinoo^^aet  etTreiv,  wofür  Schanz:  Srepa  i7:r/e(pet  ziizth  Itietet. 


lieber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    ()71 

sich  leicht,  wenn  man  aus  dem  Texte  des  Dialoges  nicht  blos  den 
Zweck  des  Werkes,  sondern  auch  die  Veranlassungen  zu  ge- 
winnen sucht,  die  den  Autor  dazu  vermochten,  sein  Buch  gerade 
so  und  gerade  damals  zu  schreiben,  wie  und  als  er  es  schrieb. 

Diese  Veranlassungen')  sind,  wie  natürlich,  äusserst  zahl- 
reich und  vielfach  verwickelt.  Es  wird  wohl  immer  nur  gelingen, 
einen  Theil  derselben  zu  reconstruieren.  Die  gelehrten  Bearbeiter 
dieser  Fragen  haben  sich  von  altersher  zumeist  auf  den  litterarischeu 
Standpunkt  eingeschränkt.  Sie  behandeln  eine  Schrift  als  Gegen- 
schrift, eine  schriftliche  Bemerkung  als  Gegenbemerkung  gegen  eine 
dem  Autor  vorliegende  schriftliche  Bemerkung.  Diesen  Gesichts- 
punkt der  litterarischen  Fehde  halte  ich  für  allzu  einseitig.  Mit 
jeder  wichtigeren  Behauptung  reagiert  der  Schriftsteller  auf  irgend 
etwas.  Was  dies  sei,  lässt  sich  in  manchen  Fällen  mit  Gewissheit 
sagen.  Aber  dass  die  paar  aus  den  Jahren  400 — 350  erhaltenen 
oder  gar  die  uns  nur  dem  Namen  nach  bekannten  griechischen 
Prosatexte  dieser  Zeit  in  der  Weise  auf  einander  polemisch  Bezug 
nehmen,  wie  dies  insbesondere  Teichmüller  übertreibend  darstellte, 
davon  kann  keine  Rede  sein.  Zahllose  Eindrücke,  die  ein  Mann 
wie  Piaton  in  einem  langen,  an  äusseren  und  inneren  Erlebnissen 
wechselvollen  Dasein  von  allen  Seiten  empfing,  sind  uns  unwieder- 
bringlich verloren.  Dass  ein  Satz  in  einem  Buche,  der  auf  eine 
Stelle  eines  anderen  Autors  hinzuweisen  scheint,  auf  diese  wirklich 
hinzuweisen  bestimmt  war,  ist  ohne  Zweifel  ein  seltenerer 
Fall,  als  man  gewöhnlich  annimmt. 

Auch  bei  dem  Platonischen  Phaidros,  so  reich  er  anerkannter- 
massen  an  Beziehungen  ist,  sind  die  litter  arischen  Anklänge 
nicht  zu  Ungunsten  zahlreicher  anderweitiger  Eindrücke,  die  den 
Autor  beeinflusst  hatten,  hervorzuheben.  Als  vornehmer  athenischer 
Bürger,  der  durch  die  Verhältnisse  nicht  um  sein  ererbtes  Ver- 
mögen gekommen  war,  hatte  er  es,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  „Gott 
sei  Dank,  nicht  nöthig  zu  arbeiten".  Nicht  wie  Lysias  und  Isokrates 
seit  ihrer  Verarmung,  sondern  als  ein  fSttuir^;  stand  Piaton  der 
Beredtsamkeit  selbst  und  dem  rhetorischen  Unterrichte  gegenüber. 
Was  mochte  der  grosse  Kreis  von  Verwandten  und  Bekannten,  von 

')  Vgl.  Zeller,  Philos.  d.  Griechen,  ll\  1,  S.  493 ff.,  523ff. 


()72  Carl  von  Hoizinger, 

Standes-  und  Altersgenossen,  und  selbst  Fernstehende,  kurz  die 
athenische  „Gesellschaft",  von  dem  hochbegabten  Manne  halten,  der 
in  seinen  schönsten  Jahren  weder  an  eine  reiche  Heirath  dachte 
noch  sonst  darauf  ausging,  sein  Vermögen  zu  mehren,  noch 
auch,  obwohl  er  leicht  in  den  Vordergrund  treten  konnte,  die 
politische  Laufbahn  einschlug'),  sondern  längere  Zeit  in  Megara 
zubrachte,  späterhin  ohne  ersichtlichen  Zweck  auf  Reisen  ging 
und,  wenn  er  in  der  Zwischenzeit  in  Athen  lebte,  kaum  jemals 
den  Weg  auf  die  Agora')  fand? 

Es  ist  nur  natürlich,  dass  die  Leute,  mit  denen  Piaton  ausser- 
halb eines  kleinen  auserwählten  Kreises  in  gelegentlichen  Verkehr 
trat,  durch  irgendwelche  Anfragen,  was  er  thue,  was  er  treibe,  oder 
durch  sonstige  Bemerkungen  ihrer  Verwunderung  über  ihn  Ausdruck 
verliehen,  und  dass  alle  diese  persönlichen  Berührungen  auf  ihn  als 
ausgesprochene  oder  wenigstens  als  stillschweigende  Vorwürfe 
wirkten.  Ein  feiner  Geist  wird  stets  empfindlich  sein.  Auch  ist 
Piaton  gewiss  länger  als  andere  ein  Werdender  gewesen.  Zweifel 
an  sich  selbst  und  an  der  Richtigkeit  seiner  Speculationen,  Selbst- 
vorwürfe und  Selbsteinwürfe  haben  wir  bei  ihm  in  reichster  Menge 
anzunehmen.  Als  er  im  Alter  von  vierzig  Jahren  die  Akademie 
begründete,  musste  dies  auf  ihn  als  eine  Selbstbefreiung  zurück- 
wirken. Er  wusste  nun,  was  er  wollte,  und  hatte  seinen  Platz 
im  Leben.  Abklärung,  Zufriedenheit  waren  die  Folge,  wenn  auch 
der  glückliche  Zustand  vielleicht  nicht  lange  anhielt. 

Aber  viel  früher  schon  war  er  als  Schriftsteller  aufgetreten 
mit  vielen  kleinen  und  einigen  ansehnlich  grossen  Büchern,  wozu 
ich  den  Protagoras,  den  Gorgias  und  eine  Abhandlung  vom  Staate 
rechne,  wenn  auch  nicht  das  Werk,  wie  es  uns  jetzt  in  zehn 
Büchern  vorliegt.  Ich  finde  es  nur  natürlich,  dass  aus  dem  Kreise 
der  Leser  dieser  Werke,  also  aus  jenem  Theile  der  athenischen 
Gesellschaft,  der  ein  besonders  reges  Interesse  an  Piaton  bekundete, 


')  Vgl.  Gomperz,  Plat.  Aufs.  I  (1887)  S.  9;  Griechische  Denker  VIll.  Lief. 
S.  219.  Ich  bemerke  hier,  dass,  als  ich  meinen  Aufsatz  im  April  1900  schriel», 
von  dem  genannten  Werke  nicht  mehr  erschienen  war. 

-)  Gorg.  p  4851);  cpeüyovxt  xd  fiiaa  x^;  T:(^Xe(uc  xol  xä;  äyopa;.  —  Theait. 
p.  173  C:  i%  v^ü)v  eli  dyopav  o6x  taoai  xtjv  66dv.  Es  fällt  auf,  wie  scharf 
Piaton  sein  eigenes  Wesen  von  dem  des  Sokrates  unterscheidet.  — 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Piatonischeu  Phaidros.    673 

eine  Reihe  neuer  „Vorwürfe"  an  das  Ohr  Piatons  schlugen,  die  sich 
auf  seine  schriftstellerische  Thätigkeit  bezogen.  Weder  der 
Inhalt  der  sog.  sokratischen  Dialoge  noch  auch  die  Gesprächsform 
selbst  besass  für  einen  attischen  Schriftsteller  schon  ein  litterarisches 
Bürgerrecht.  Dieses  musste  sich  erst  allmählich  Dahn  brechen, 
wozu  auch  einige  andere  Sokratiker  beitrugen,  die  ich  übergehe'). 
Auch  diesen  ist  von  Seite  ihrer  Leser  mancherlei  Kundgebung  der 
Verwunderung  und  des  Missfallens  zu  Theil  geworden. 

Aus  der  Zahl  der  Leser  Piatons  aber  müssen  wir  gerade  wieder 
die  Sokratiker  und  dazu  noch  einige  Redelehrer  als  besondere 
Gruppe  hervorheben,  weil  sie  selbst  schriftstellerten  und  sich  mit 
Rhetorik  oder  gar  auch  mit  „Philosophie"  als  Lebenszweck  und 
Erwerbsquelle  befassten.  Dass  diese  verhältnismässig  kleine 
Schriftstellergilde  in  Piaton  bald  einen  aufwachsenden  Concurrenten 
witterte,  ist  wohl  begreiflich  und  ebenso,  dass  ihm  aus  diesem 
Kreise  kritische  Bemerkungen,  die  er  erwidern  musste,  schriftlich 
vorlagen.  Da  wir  Philologen  fast  nur  für  Concurrenten  schreiben, 
spielen  die  sich  hieraus  ergebenden  Rücksichten  bei  unseren  eigenen 
Aeusserungen  eine  allzu  grosse  Rolle.  Man  hält  es  für  „modern" 
und  „geistreich",  solche  Verhältnisse  einfach  auf  das  alte  Athen  zu 
übertragen.  Ich  aber  bin  davon  überzeugt,  dass  Piaton  seinen 
Phaidros  weder,  wie  manche  glauben,  vorzugsweise  gegen  Lysias'), 
noch  auch,  wie  andere  meinen,  hauptsächlich  gegen  Isokrates') 
schrieb.  Das  im  Vordergrunde  des  damaligen  Bildungsinteresses 
stehende  rhetorische  Thema  und  daher  auch  die  Hauptvertreter 
verschiedener  Richtungen  auf  diesem  Gebiete  benutzte  Piaton  nur 
dazu,  sein  Buch  zu  einem  gelesenen  zu  machen,  es  in  dem 
athenischen  Leserkreise  von  Hand  zu  Hand  zu  bringen.  Eigentlich 
sinken  Lysias  und  Isokrates  mitsammt  ihrer  Rhetorik  für  Piaton 
auf  den  Rang  von  Reclamesäulen  herab,  an  denen  er  seinen 
philosophischen  Tractat,    nach  dem  sonst  wenige    gegriffen  hätten, 


')  Vgl.  Rudolf  Ilirzel,  Der  Dialog,  I  S.  29  ff. 

2)  Auf  dieser  Seite  steht  Grote,  Plato  and  the  other  companions  of  Socrates 
ir,  S.  232,  241,  242,  Thompson  introd.  p.  XVIII,  S.  178. 

2)  Man  vgl.  Bake,  Schol.  hypomn.  III,  p.  37,  Leonh.  Spengel,  Isokrates  u. 
Piaton  S.  764:  die  gesammte  Thätigkeit  dieses  Redners  wird  „im- Phaedrus 
zumeist  und  zunächst  vernichtet". 

Festschrift  Vahleu.  43 


674  Carl  von  Ilolzinger, 

anheftet^).  Es  konnte  sich  Piaton  doch  nicht  das  ernstliche  Haupt- 
ziel setzen,  einen  paradoxen  Erotikos  zu  zerpflücken,  den  der  ge- 
scheite und  scharfsinnige  Lysias  selbst  nur  als  Traqviov^)  gemeint 
hatte.  Und  wollte  er  es  thun,  warum  that  er  es  nicht  ordentlich, 
da  doch  jeder  von  uns  diese  Lysianische  Rede  gründlicher  abzuthun 
wüsste,  als  es  im  Phaidros  geschieht?  Aehnliches  gilt  von  Isokrates. 
üeber  beide  äussert  er  sich  nur  nebenher.  Darum  nimmt  auch 
Piaton  zum  Schlüsse  des  Dialoges  so  ruhigen  und  höflichen  Abschied 
von  beiden,  als  wäre  nichts  geschehen:  lauta  oi]  ouv  t(oi  pisv  Tiapa 
Ta>v8e  Ttüv  Ocojv  (u;  iixoi?  iratSixor?  'IdoxpaTsi  i?ctY*f£XX«),  au  8'  ixsiva 
6i<;  001?  Auota.  Ihm  lag  nur  daran,  seine  Philosophie  und 
daneben  allenfalls  auch  seine  Ansicht  über  Rhetorik  vorzutragen, 
keineswegs  etwa  Gegner  zu  vernichten,  die  er  selbst  nicht  für 
Concurrenten  hielt.  Diese  Betrachtungen  sind  auch  für  die  Auf- 
fassung des  sittlichen  Charakters  Piatons  von  Belang. 

Eine  Eigenschaft,  welche  bei  dem  Philosophen  hervortrat,  so 
lange  er  schrieb,  war  Klugheit  und  weise  Vorsicht.  Man  pflegt 
seine  Pietät  für  Sokrates  hervorzukehren,  wenn  man  seine  Dialog- 
schriftstellerei  zergliedert.  Gewiss  handelte  Piaton  pietätvoll,  wenn 
er  bis  in  sein  Alter  den  Sokrates  zum  Träger  schöner  Rollen  in 
seinen  Büchern  machte^).  Aber  andererseits  war  dies  auch  für  Piaton 
in  mehr  als  einer  Hinsicht  praktisch  und  bequem.  Ich  will  hier 
nur  hervorheben,  dass  der  Verfasser  eines  solchen  Dialoges  einen 
gewissen  Grad  von  Pseudonymität  füi*  gefährliche  Ansichten  er- 
reichte. Wollten  die  Athener  an  einem  Ausspruche  bei  Piaton 
ernstlich  Anstoss  nehmen,  so  war  es  schliesslich  „Sokrates",  der 
ihn  gethan  hatte.  Und  diesem  drohte  keine  Gefahr  mehr.  Der 
hatte  den  Giftbecher  schon  getrunken. 

Piaton  hütete  sich  wohl  davor,  unter  eigenem  Namen  ein 
Buch    irepl    Ostuv     zu    schreiben.      Widrige    Schicksale    einzelner 


1)  Dass  ihm  der  durch  seinen  Tod  berühmt  gewordene  Sokrates,  dann 
aber  auch  Protagoras,  Gorgias  und  mancher  andere  den  gleichen  Liebesdienst 
erweisen  mussten,  liegt  auf  der  Hand. 

2)  So  auch  Gercke,  Tferm.  32  S.  356,  der  freilich  S.  354  noch  zweifelt,  ob 
der  Krotikos  wirklich  von  Lysias  herrührt. 

3)  Vgl.  Uirzel,  Der  Dialog,  I  S.  271,  341,  Anm.  1. 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datienmg  des  Platonischen  Phaidros.   675 

„Atheisten"  und  insbesondere  der  Tod  des  Sokrates  hatten  auf  ihn 
einen  tiefen  Eindruck  gemacht.  Letzterer  allerdings  in  jedem  Sinne, 
aber  darum  auch  in  demjenigen,  den  ich  meine.  Der  Aristokrat 
getraute  sich  lange  Zeit  nicht,  der  Menge  seine  metaphysischen 
Lehren  vorzulegen  und  etwa  Anstoss  zu  erregen.  Es  ist  richtig, 
dass  diese  Ansichten  in  Piaton  nur  allmählich  anwuchsen.  Aber 
zu  jeder  Zeit  schrieb  Piaton  vorsichtiger  und  weniger  darüber,  als 
er  darüber  dachte.  Nur  zögernd  brachte  er  seine  Lieblingsgedanken 
vor  das  Volk.  Warum  er  es  dann  also  that?  Er  niusste  es  thun, 
nicht  bloss  aus  innerem  Drange,  sondern  auch  aus  Gründen  der 
persönlichen  Sicherheit.  Er  befand  sich  in  einer  Zwangslage,  hatte 
zwischen  zwei  Uebeln  das  muthmasslich  kleinere  zu  wählen.  Ge- 
heimniskrämerei ruft  Verdächtigungen  hervor,  lockt  gerade  die 
Sykophanten  ^)  herbei.  Tastend  streckte  daher  Piaton  im  Menon 
einen  Fühler  mit  der  Anamnesislehre  aus,  welche  die  Lehre  von 
der  Praeexistenz  der  Seele,  kurz  die  Unsterblichkeit,  zur  logischen 
Voraussetzung  hat.  Das  wird  dort  nur  angedeutet;  vgl.  Menon 
p.  81,  84,  86,  98.  Aber  in  Piaton  müssen  diese  Gedanken  bereits 
in  weitaus  vollständigerer  Form  gelebt  haben  ^),  bevor  er  unter 
sorgsamer  Berufung  auf  „Priester  und  Priesterinnen"  und  auf  „gött- 
liche Dichter"  (Menon  p.  81,  vgl.  Phaidr.  p.  235  C)  mit  derartigen 
Einzelheiten  und  zwar  in  absichtlich  enthusiastischer  Sprache  vor 
das  Publikum  trat.  Für  den  Verfasser  des  Menon  war  dieses 
Stück  seines  Systems  die  Hauptsache  an  dem  Gespräche,  daher 
er  denn  gerade  diese  Stelle  späterhin  citiert').  Es  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln, dass  Piaton  zur  Zeit,  als  er  den  Menon  schrieb,  schon 
einige  junge  Leute  um  sich  hatte,  gegen  die  er  sich  offen  aussprach 
und  deren  Unvorsichtigkeiten  im  Gespräche   mit  anderen  ihm  un- 


1)  Den  Gedanken,  dass  Sykophanten  das  Treiben  Piatons  beobachteten, 
drückt  auch  die  Anekdote  über  den  Chabriasprocess  aus.  Vgl.  Diog.  La.  III, 
18,  §  24.  Aber  die  Schlüsse,  die  Teichmüller  (II,  354)  aus  Menon  p.  94  E  und 
p.  99  zog,  sind  hinfällig.  Insbesondere  kann  von  einer  Ironie  Piatons  über 
die  göttliche  Begeisterung  der  Wahrsager,  Seher,  Dichter  u.  s.  w.  keine 
Rede  sein. 

2)  Vgl.  auch  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  IL  1,  S.  532. 

^)  Phaidon  p.  72  E,  vgl.  Überweg,  Unters.  S,  289,  Gomperz,  Platonische 
Aufsätze  ,1  (1887)  S.  10—11. 

43* 


676  Carl  von  Ilolzinger, 

bequem  werden  konnten.    Es  sind  dies  die  drei  oder  vier  in  einer 
Ecke  Wispelnden,  die  der  Dialog  Gorgias  (p.  4851))  kennt'). 

Unklug  mochte  Piaton  manchem  nur  dadurch  erscheinen,  dass 
er  berühmte  Sophisten  und  Rhetoren  geringschätzig  behandelte,  die 
bei  der  Menge  in  hohem  Ansehen  standen.  Aber  was  konnten 
schliesslich  diese  Männer  dem  unabhängigen  Grundbesitzer  anhaben, 
der  social  weit  über  ihnen  stand?  Hingegen  mit  dem  vielköpfigen 
Ungeheuer  war  nicht  zu  scherzen.  Seine  ganze  Vorsicht  musste 
Piaton  darauf  verwenden,  dass  etVa  fortlebende  Verdächtigungen 
des  Sokrates  wegen  des  xaiva  8at[Ji6vta  sJacpspeiv  und  des  Siacpöst'psiv 
Tou;  vsou?,  vor  allem  also  wegen  Asebie  und  unsauberen  Eros, 
nicht  auf  ihn  und  den  mit  ihm  sich  absondernden  Kreis  junger 
Leute  übergingen.  Von  dieser  Sorge  sehen  wir  Piaton  durch 
Jahrzehnte  begleitet.  Sie  bildet  für  ihn  eine  fortwirkende  Ver- 
anlassung, zu  Schriftstellern  und  mit  höchster  Verehrung  über  die 
Götter  des  Volksglaubens  zu  schreiben,  seine  eigene  Lehre,  deren 
Einzelheiten  ihren  Weg  zu  unberufenen  Ohren  finden  mussten, 
selbst  in  unverfänglicher  Art  partienweise  zu  publizieren,  dabei  die 
beglaubigten  „Götter"  stets  im  Munde  zu  führen  und  diese  bedenk- 
lichen Gegenstände  schon  durch  die  jedesmal  kunstvoll  motivierte 
gottbegeisterte  Darstellung^)  mit  einem  geheimnisvollen  ehrfurcht- 
erregenden Dunkel  zu  umgeben.  Ebenso  sorgfältig  berechnet  ist 
der  ständige  Hinweis  auf  die  Harmlosigkeit  der  Sokratischen  Erotik '). 
Im  Symposion  (p.  219)  tritt   diese  apologetische  Tendenz  in  einer 


1)  Darüber,  dass  der  Menon  später  als  der  Gorgias,  dieser  später  als  der 
Protagoras  geschrieben  wurde,  vgl.  man  u.a.  Zell  er,  Die  Philosophie  der 
Griechen,  11,1*,  S.  526— 533;  Natorp,  Philo!.  48,  587ff.;  Gomperz,  Plat. 
Aufs.  I  (1887)  S.  5ff.;  Anzeiger  d.  phil.  bist.  Cl.  d.  Wien.  Ak.  1898,  No.  XI, 
S.  4;  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Kritik,  Bd.  109  S.  175. 

2)  Im  Phaidros  sind  es  die  Musen  und  Nymphen,  die  aus  dem  Munde  des 
Sokrates  sprechen;  im  Symposion  verleiht  die  unbekannte  Seherin  Diotima,  die 
schon  durch  ihren  Namen  an  die  Gottheit  erinnert,  dem  Gespräche  die  Weihe ; 
auch  die  Begeisterung  des  Alkibiades  ist  durch  die  bakchische  Einwirkung 
motiviert ;  im  Phaidon  hören  wir  den  apollinischen  Schwanengesang  des 
Sterbenden,  dessen  Worte  schon  nicht  mehr  von  dieser  Welt  sind. 

2)  Vgl.  Schleiermacher  I,  1,  S.  45.  Hingegen  trifft  bei  ihm  S.  48  der  Aus- 
druck „apologetischer  Trotz"  nicht  das  Richtige,  Man  vgl.  auch  Thompson 
app.  I  S.  152  und  Natorp,  Philol.  48,  S.  437. 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    ß77 

für  uns  beinahe  befremdenden  Weise  hervor.  Aber  Piaton  musste 
wissen,  warum  er  so  drastisch  schrieb.  Es  ist  ja  richtig,  dass  er 
den  Sokrates  vertheidigt,  aber  gleichzeitig  schützt  der  unverheirathete 
Philosoph  auch  sein  eigenes  Haus  und  wartet  damit  nicht,  wie 
Sokrates,  bis  es  zu  spät  ist.  Wenn  ihn  selbst  ein  Sokratiker  dem 
Publikum  als  i'aOcov  vorführte  (Athen.  V,  220  D),  so  hatte  wohl 
Piaton  alle  Ursache  zu  weitgehender  Vorsicht. 

Piaton  war  frühzeitig  vom  „metaphysischen  Bedürfnisse"  be- 
herrscht. Darum  ist  er  der  grosse  Philosoph  geworden,  nicht  ausschliess- 
lich Dichter  oder  Redner.  In  den  „sokratischen  Gesprächen"  brechen 
einzelne  Strahlen  der  in  seinem  Inneren  leuchtenden  Sonne  schüchtern 
hervor  durch  das  dichte  Gewölk  der  damals  modernen  Themata. 

Diese  Lichteft'ekte,  die  für  Piaton  die  Hauptsache  waren,  gingen 
bei  ihrer  Vereinzelung  im  grossen  Publikum  wohl  zumeist  ver- 
loren. Soll  man  meinen,  dass  die  im  Menon  sich  plötzlich  ent- 
hüllende Anamnesistheorie  grosses  Aufsehen  machte?  Ich  glaube 
es  nicht.  Die  meisten  lasen  wohl  darüber  hinweg,  um  nur  rasch 
zu  erfahren,  ob  die  otpsTyj  lehrbar  sei  oder  nicht.  Denn  das  war 
eine  Tagesfrage.  Viele  mochten  nicht  wissen,  ob  Piaton  mit  der 
Wiedererinnerungslehre  etwas  Neues^)  vortrage  und  wie  weite 
Folgerungen  sich  bei  der  Annahme  dieser  Lehre  ergeben.  Andere 
dürften  in  einfacher  Nüchternheit  diesen  Gedanken  als  unerweis- 
lichen und  unwahren  aufgefasst  und  den  Verfasser  für  einen  zwar 
unschädlichen,  aber  unnützen  Schwätzer  gehalten  haben ^).  Alle 
aber  waren  von  dem  Werkchen  hinreichend  angeregt,  um  willig 
auch  das  nächste  Buch  Piatons  in  die  Hand  zu  nehmen.  So  ge- 
wöhnte Piaton  allmählich  das  athenische  Lesepublikum  an  seine 
Feder  und  erwarb  sich  langsam  das  Recht,  über  gefährliche  Gegen- 
stände neuartige  Bemerkungen  zu  machen,  ohne  einen  Asebieprocess 
und  eine  Verurtheilung  befürchten  zu  müssen. 


1)  Vgl.  Schleierraacher  I,  1,  S.  55;  Zeller  II,  1*,  S.  532;  Natorp,  Philol.  48 
S.  615. 

^)  Zu  diesen  Nüchternen  gehörte,  wenn  irgend  einer,  Lysias.  Auch 
Schleiermacher  I,  1,  261  ist  geneigt,  in  dem  Satze:  räaat  03at  [xeyaXat  täv 
Te/vüJv,  TTpoaS^ovxai  äooktsylai  xal  fj.eTe(upoXoYt'a!  cpüoeio;  Trept  (Phaidr.  p.  270 A) 
eine  Antwort  Piatons  auf  eine  Beschimpfung  der  Philosophie  von  Seite  „eines 
Rhetors"  zu  sehen. 


678  Carl  von  Rolzinger, 

Wenn  ich  nun  nach  diesen  scheinbaren  Umschweifen  zum 
Phaidros  zurückkehre,  so  stellt  er  sich  mir  als  eine  Schrift  dar, 
in  welcher  der  bereits  ermuthigte  Autor  ein  entscheidendes  Stück 
seiner  Gedankenwelt  dem  Publikum  preisgiebt.  Aber  natürlich 
geschieht  dies  unter  Anwendung  der  weitgehendsten  Vorsichts- 
massregeln. Zunächst  wird  einmal  die  ganze  Lehre,  die  Piaton 
diesmal  vorzutragen  sich  erkühnt'),  auf  möglichst  knappen  Raum 
zusammengedrängt  und  nicht  etwa  durch  Dialog  auseinandergezerrt. 
So  bildet  der  {lu&txo;  ufi-vo?  nur  etwa  ein  Fünftel  des  ganzen 
Werkes  und  verschwindet  dadurch  gleichsam  in  der  Masse.  Dabei 
tritt  noch  in  der  Darstellung  das  erotische  Thema  so  stark  hervor, 
dass  selbst  Kenner  getäuscht  werden.  Und  schliesslich  wird  diese 
Rede  des  Sokrates  im  sogenannten  zweiten  Theile  des  Dialoges  nur  als 
Paradigma  für  die  nebensächliche  Behandlung  der  Rhetorik  aus- 
genutzt, bei  welcher  alle  nur  erdenklichen  Rhetoren  aufmarschieren 
müssen,  um  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  von  der  gefährlichen 
Sache  wieder  abzulenken. 

Dass  dieses  Kunststück  dem  Philosophen  in  unvergleichlicher 
Weise  gelang,  wird  jeder  bemerken,  der  viele  Tractate  über  Piatons 
Phaidros  gelesen  hat.  Es  ist  interessant,  zu  sehen,  wie  die  einen 
sich  bemühen,  den  Sarkasmus  nachzuweisen,  mit  dem  Piaton  über 
Redner,  Redelehrer  und  Redenschreiber  herfalle,  während  andere 
eine  milde  Stimmung  aus  Piatons  Urtheil  heraushören.  Wahr  ist 
glücklicherweise  beides.  Piaton  verurtheilt  alle,  die  er  im  Phaidros 
nennt,  mit  gewohnter  Ueberlegenheit.  Aber  dass  manche  Beurtheiler 
hierbei  die  Milde  Piatons  zu  rühmen  wissen,  schreibt  sich  daher, 
dass  diese  Massenhinrichtung  für  den  Autor  des  Phaidros  nur 
nebensächlich  ist.  Sie  ist  für  ihn  nur  ein  im  ganzen  gleich- 
giltiges  Spiel,  wie  überhaupt  die  Behandlung  der  Tagesfragen. 
Sein  Ernst  weilt  bei  anderen,  höheren  Stoffen,  die  er  auch  durch 
eine  andere  Sprache  auszeichnet. 

Mit  grosser  Sorgfalt  hat  Piaton  im  Phaidros,  der  doch  in 
seinem  Hauptstücke  eine  Absage  an  die  Götter  des  Volks- 
glaubens in  sich  schliesst,  eben  diese  abgethanen  Götter  ehrfurchts- 
vollst behandelt.     Selbst  innerhalb  der  zweiten  Rede  des  Sokrates 


')  ToXpiTjTiov,  Phaidr.  p.  247  C. 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    ß79 

begegnen  uns  die  alten  Olympier  und  finden  durch  die  geistvolle 
Ausdeutung  des  Philosophen  ein  Plätzchen  in  seinem  System. 
Auch  die  Musen  und  Nymphen  werden  mit  Ehrfurcht  genannt,  und 
so  erfüllen  die  Stellen  in  pag.  230,  237,  238,  241,  wozu  dann 
noch  späterhin  p.  263  als  nachträgliche  Bestätigung  kommt,  nicht 
blos  den  Zweck,  die  enthusiastische  Diction  des  Sokrates  und  die 
ihm  ungewohnte  supoiot  (p.  238  C)  zu  motivieren,  dadurch  den 
Schwung  und  die  Tiefe  der  zweiten  Sokratischen  Rede  stufenweise 
vorzubereiten,  den  Kern  seiner  Rede  verhüllen  zu  helfen  und  dies 
alles  dabei  für  den  Eingeweihten  als  Piatons  eigene  über  Sokrates 
hinausgehende^)  Leistung  erkennbar  zu  machen,  sondern  der  Autor 
zeigt  darin  auch  die  Absicht,  dem  Glauben  an  die  geringeren  Gott- 
heiten der  Volksreligion  zu  entsprechen.  Auch  der  Oreithyiamythos 
dient  nicht  bloss  der  Andeutung  des  Weges,  den  die  Spaziergänger 
nehmen,  und  den  Zwecken  der  Scenerie.  Er  bereitet  ebenfalls  die 
begeisterte  Stimmung  vor  und  bietet  dabei  dem  Phaidros  die  Ge- 
legenheit, ein  rationalistisches  Gespräch  über  die  Göttermythen  an- 
zubahnen und  die  süasßeia  des  Sokrates  und  Piatons  selbst  zu  er- 
proben: pag.  229,  ah  touto  to  fiuOoXoY/yfia  r,z(\)ei  akr^^k;  sivott;  Aber 
Sokrates  stellt  nicht  einmal  die  Existenz  der  unglaubhaftesten 
übernatürlichen  Gestalten,  wie  Chimaira,  Gorgonen,  Pegasos,  Ken- 
tauren und  Typhon  in  Abrede.  Vielmehr  erklärt  er  laudabiliter, 
dass  er  alles,  was  die  heilige  Religion  zu  glauben  vorschreibe, 
wirklich  glaube:  :i:£t&6[xsvos  im  voaiC'>jJ-^v(o  Ttspi  auxmv.  Man  ver- 
gleiche auch  das  o-n:-(j  tw  i)e(u  cct'Xov  (p.  246),  das  Schlussgebet  (p.  279) 
und  andere  kleinere  Züge  dieser  Art. 

Lässt  sich  bezüglich  der  zuletzt  behandelten  Veranlassungen 
nur  behaupten,  dass  sie  Vorwürfen  entsprechen,  die  Piaton  von 
Seite  der  weitesten  Kreise  zu  befürchten  hatte,  so  sind  Vor- 
würfe wegen  der  Welt  flu  cht  des  Philosophen,  wegen  Hochmuthes 
und  wegen  Unnützlichkeit  und  Unbedeutendheit  seines 
Wirkens  unzweifelhaft  laut  geworden. 

Auf  derartige  Vorwürfe  antwortet  Piaton  in  einer  Reihe  von 
Schriften^),  und  auch  bei  der  Herausgabe  des  Phaidros  war  er  in 

')  Vgl.  Natorp,  Philol.  48,  S.  586 

^)  Ausser   Gorg.   p.  485   und  Theait.  p.  173  C   und  p.  174:  yeXoJxa  izupi-j^zi 
.  .  .  Tti)  äXXtj)  ojfXtp  vgl.  Republ.  VIT,  517  D:  cpafverac  acpdSpa  yeXoIos  und  Lutos- 


680  Carl  von  Holzinger, 

der  Stimmung,  solclien  l^emerkimgen  des  rublikums  entgegenzutreten. 
Darum  sagt  er  pag.  249D:  §;icjTa}X£vo?  oe  xüiv  dvöptoTTivcuv  ottouSo- 
(j}iaT(uv  xoti  ::pb?  tu)  Ostu)  '(i.')v6\izvoz  voudsTsixat  [).kv  uttö  täv 
iroXXwv  o)?  irapotxivuiv,  ivOouatocCojv  6s  ^eXr^^^sv  tou?  tuoXXouc  Mit 
dem  Dialoge  Phaidros  schrieb  sich  Piaton  viel  heimlichen  Aerger  von 
der  Seele  hinweg.  Ebenhierher  gehört  auch  Phaidr.  p.  230  A:  axo-to 
oü  zoio-za  dkV  IfiaüTOV,  sixe  ii  OTjptov  TU7j(av(u  Tucpaivoi;  TioXuTrXoxwTepov 
xai  [xaXXov  IriTsOufipievov,  eixe  TjfxepwTepov  xe  xat  aTrXoua-spov  C(»ov, 
Osi'a?  Tivo*  xcn  dxucpou  (jioipa?  cpuast  (aexs^ov^).  In  dieser  Stelle  hält 
Piaton  seinen  Tadlern  vor,  dass  man  ihn  durch  die  Klagen  über 
seine  scheue  Weltflucht  einerseits  und  seinen  Hochmuth  andererseits 
anscheinend  widersprechender  Eigenschaften  beschuldige.  Wollte 
man  seinen  Gegnern  Glauben  schenken,  so  müsste  er  ein  keines- 
wegs einfaches,  sondern  ein  wunderbar  zusammengesetztes ')  Wesen 
sein.  Das  Ganze  stellt  also  einen  Beweis  ad  absurdum  dar').  Ich 
will  damit  nicht  bestreiten,  dass  es  Antisthenes  gewesen  sei 
(=  Diog.  La.  YI,  1,  §  7),  der  sich  bei  einer  Bemerkung  über  Piatons 
Hochmuth  gerade  des  Ausdruckes  xucpoc  oder  xsxucpcufisvo?  l)ediente 
und  dass  Piaton  hierdurch  an  unserer  Stelle  auf  den  Typhon  ^)  hin- 
gelenkt wurde,  aber  die  Veranlassung  für  Piaton,  sich  wegen 
dieses  Vorwurfes  zu  vertheidigen,  lag  nicht  in  dem  einen  AVorte 
des  Antisthenes,  sondern  darin,  dass  Piaton  die  Verbreitung  dieser 
Auffassung  seines  Wesens  kannte. 

lawski  a.  a.  0.  S.  329;  auch  Phaidon  p.  65:  o'jx  a$tov  etvat  C^v,  ä}X  eyyüj  ti 
TEi'vsiv  Toü  TeOvdvat  und  ebenda  p.  64;  jrafpetv  eteovxe?  exefvoij,  wozu  man  auch 
Phaidr.  p.  278  B  nehme:  tou;  o^  öiXXou;  yafpeiv  im\. 

^)  ilan  vergleiche  hiermit  die  Stelle  über  die  ev  cptXoao'f  fa  otayovxe«  im  Theait 
p.  174  B:  Tov  TOtoÜTOv  6  p.^v  uXr^zlow  xai  6  yeiTouv  XiXr^Oev,  oü  |jl(5vov  5  tt. 
rpctTTEi,  cJXX*  öXfyou  xai  e{  avöpu)7:dc  laxiv  r^  xi  ötXXo  8p^[ji(j.a*  xi  li  tcox' 
eaxlv  av9pu)jro;  7.at  zl  x'^  xotaüxT]  cpüaei  zpoOT^xst  Stacpopov  xAv  aXXouv  Ttoielv  t) 
Tiaa/eiv,  C^jxei  xe  xai  rpctYjJ.ax'  fe'/et  8tep£uvu)f«.cvo{. 

-)  Der  Ausdruck  TroXuTiXoxcüxepov  eihiilt  also  sein  l.iclit  aus  dem  Gegen- 
satze äTiXoüdxepov,  wie  Stallliaum  richtig  sagt.  Man  vgl.  hierzu  Phaidr.  p.  270D, 
wo  ärrXoüv  dem  7roXuet5^c  gegenübersteht. 

')  Ich  halte  diese  Ausstellungen  weder  für  unberechtigt  noch  für  unver- 
einbar. Man  darf  ihnen  aber  eine  schönere  Färbung  geben,  wie  z.  B.  Lavater 
über  Goethe  sagt:  0  die  Künstler  vergessen,  wie  viele  Naturen  in  dich  nur 
mischte  die  Mutter  Natur;  sie  jubelte,  als  sie  dich  hinstellt. 

*)  Vgl.  Teichmüller,  Litt.  Fehden  II,  21. 


lieber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    681 

Dass  viele  die  geistige  Beschäftigung  Piatons  vom  Gesichts- 
punkte alltäglicher  Nützlichkeit  betrachteten  und  als  überflüssige 
Grübelei  geringschätzten,  geht  zum  Theil  aus  den  schon  ange- 
führten Stellen  hervor.  In  dieser  Hinsicht  erhält  das  ejisxatievo? 
Twv  avt>p(UTriV(«v  arouoaapiczTajv  (p.  249  D)  auch  seine  Beleuchtung 
aus  Theait.  p.  174.  Der  Spott  der  thrakischen  Magd  des  Thaies 
über  ihren  Herrn,  der  bei  dem  Beobachten  der  Sterne  in  einen 
Brunnen  fiel,  lässt  sich  verallgemeinert  „auf  alle  Philosophen  be- 
ziehen" :  lauibv  8s  dtpxsi  axöjfijxa  et:!  Travtct?  030i  £v  cpdoctocpta 
Siayouaii.  Allerdings  wird  auch  hier  wieder  Sokrates  vertheidigt, 
aber  manche  Einzelheit  der  Stelle  passt  weitaus  besser  auf  Piaton 
selbst,  da  Sokrates  in  voller  Oeffentlichkeit  lebte.  Ein  besonderer 
Theil  derartiger  Vorwürfe  bezieht  sich  auf  den  unpraktischen  Sinn 
eines  Philosophen  bei  der  Uebernahme  von  Staatsgeschäften, 
ein  anderer  wieder  auf  die  Unnützlichkeit  der  philosophischen 
Bildung  für  denjenigen,  der  sich  vor  Gericht  zu  vertheidigen 
habe.  Vgl.  Republ.  VH,  517:  dva-f/aCofAevoc  ev  oixaaxr^piot?  r^  äKko^C 
TTou  dYtoviCsaBat  xtX.  Betreff's  des  ersteren  Punktes  zeigt  Piaton  im 
Phaidr.  p.  252D  mit  dem  Ausdrucke  cptXoaocpo?  xö  xal  7)-(e(iovixo?') 
xrjv  cpuaiv  seine  wahre  Selbstauffassung.  Er  stellt  sich  dem  Vor- 
wurfe einfach  in  ganzer  Person  entgegen.  Denn  auch  Sokrates 
hatte  sich  in  einer  politischen  Stellung  bewährt. 

Jedoch  dem  Vorwurfe  der  Unnützlichkeit  philosophischer  Be- 
strebungen für  eine  künftige  Selbstvertheidigung  vor  Ge- 
richt war  nicht  so  leicht  mit  einer  kühnen  Behauptung  zu  be- 
gegnen. Hier  war  es  das  Andenken  an  das  Schicksal  des  Sokrates, 
das  dem  Piaton  zeitlebens  im  Wege  stand.  Darum  bemüht  er 
sich  wiederholt  nachzuweisen,  dass  Sokrates  sich  entweder  durch 
die  Flucht  retten  oder  sich  so  vertheidigen  konnte,  dass  er 
freigesprochen  werden  musste,  dass  er  dies  aber  nicht  thun  wollte, 
und  auch  weshalb  er  es  verschmähte.  Niemand  wird  leugnen,  dass 
sich  in  der  Apologie,  im  Kriton  und  Phaidon  das  liebevolle  Be- 
streben zeigt,  das  Bild  des  Sokrates  als  des  besten  und  edelsten 
Menschen  im  Bewusstsein  der  Zeitgenossen  festzuhalten ;  aber  Stellen 


')  Anders  benutzt  Natorp  a.  a.  Ü.  S.  441  diese  Worte. 


ß32  Carl  von  Ilolzinger, 

wie  Theait.  p.  174 C)  weisen  deutlich  auf  Vorwürfe  hin,  deren 
sich  Piaton  selbst  auch  noch  in  reifen  Jahren  zu  erwehren  hatte, 
und  so  ist  denn  auch  schon  die  Apologie  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  ^)  eine  Selbstvertheidigung  Piatons  gewesen.  Er  zeigt  darin, 
dass  er  eine  schöne  Gerichtsrede  schreiben  kann,  wenn  er  will, 
und  gleichzeitig  zeichnet  er  den  Sokrates  als  einen  Angeklagten, 
der  nur  unter  gewissen  Voraussetzungen,  aber  nicht  um  jeden  Preis, 
freigesprochen  werden  wollte.  Dass  Sokrates  ein  vollendeter  Redner 
gewesen  sei,  —  was  er  doch  gewiss  nicht  war,  vgl.  Phaidr.  p.  238  C 
eupoia,  —  wird  dabei  vorausgesetzt  und  auch  durch  die  ihm  in  den 
Mund  gelegte  Apologie  zu  erweisen  gesucht. 

Auch  im  Dialoge  Phaidros  antwortet  Piaton  derartigen  Vor- 
würfen. Man  hatte  ihn  merken  lassen,  dass  man  ihn  weder  für 
einen  Dichter  noch  für  einen  Redner  halte  und  dass  dergleichen 
Dialoge  zu  schreiben,  wie  er  es  thue,  keine  Kunst  sei.  Solche 
Vorwürfe  mussten  dem  Leserkreise  Piatons  entstammen.  In 
der  ganzen  Composition  des  Phaidros  liegt  die  Antwort  Piatons, 
die  sich  allenfalls  in  die  Worte  fassen  Hesse:  „Ich  könnte,  wenn 
ich  wollte,  unter  euch  der  erste  Dichter  und  gleichzeitig  der  erste 
Redner  sein.  Ich  weiss  aber  etwas  anderes  und  Besseres."  Dieses 
Gefühl  weist  auf  eine  Zeit  hin,  in  der  es  in  Athen  weder  einen 
lebenskräftigen  Dichter  ersten  Ranges'')  noch  auch  einen  Staats- 
redner von  durchschlagendem  Erfolge  gab.  Die  hohe  Meinung,  die 
Piaton  von  seiner  dichterischen  Leistungsfähigkeit  besass,  findet  im 
Phaidros  ihren  Ausdruck  in  der  Befremdung  des  Sokrates  über 
seine  eigene  Begeisterung  und   in   der  Bewunderung,   die  Phaidros 


^)  Sokrates  sagt  dort:  oxav  ^v  Stxaaxrjpdp  ^  «ou  äXXo&i  ävoYxaaöijj  irept  rdiv 
jiapct  r.6oai  xoi  tiLv  £v  (3cp8aX(j.ot;  oiaXif^a^cii,  fiXioza  uap^/et  ob  p,ovov  Spattat; 
äXXa  xot  Ttu  cEXXij)  ciX'*!''  ^''  ^piaroL  te  xa'i  zäaav  dnopi'av  £[j.7ti7:T(uv  üttö  änetpto;, 
xal  1^  öa/Tj[Aoaüvrj  oeivi^j ,  So^av  dpeXTepia;  Tiapijrofji^vT].  Iv  te  ■/ip  ■zaXi  XoiSopt'at; 
i5iov  lyrti  o6oiv  oüS^va  XoiSopeiv,  äz'  oux  eföibc  xaxov  ov>64v  oiSevoi  ^x  toü  [at) 
[xepieXeTTjx^voi  •  dTroptüv  ouv  ^eXoto;  ^afvcrai  xxX.  Vgl.  ebenda  p.  175  B.  Teich- 
müller behandelt  diese  Stelle  in  den  Litt.  Fehden  II,  S.  340. 

'■0  Teichrnüller  II,  83  übertreibt  auch  dies. 

')  Von  Aristophanes,  der  noch  lebte,  galt  damals  schon,  was  er  ehemals 
über  den  Kratinos  in  den  Rittern  gesagt  hatte,  v.  532:  ixitiirxouoüiv  xdiv 
i^ki■A^p^oy  xol  xoü  x<5vou  oux^t'  iv^vxo«. 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    683 

den  Reden  des  Sokrates  entgegenbringt.  Dass  sich  aber  Piaton 
gleichzeitig  für  den  d'(u)viaxr^q  xsXeo, ')  hält,  zeigt  die  paradigmatische 
Stellung,  welche  er  den  Reden  des  Sokrates  anweist,  und  die  auf 
dieselben  folgende  kritische  Besprechung  von  Einzelheiten. 

Lutoslawski  freilich  sagt  S.  345:  his  power  of  oral  eloquence 
has  been  unanimously  praised  by  the  tradition  of  his  times. 
Aber  als  Piaton  den  Phaidros  schrieb,  war  er  als  Redner  sicher- 
lich nicht  anerkannt'"').  Es  ist  auch  gar  nicht  abzusehen,  M'ie  das 
athenische  Volk  oder  auch  nur  der  Leserkreis  Piatons  und  die 
gleichzeitigen  Schriftsteller  hätten  zu  der  Ansicht  gelangen  sollen, 
dass  Piaton,  der  b/vocptovo?,  ein  ausgezeichneter  Redner  sei,  da  er 
doch  öffentlich  nicht  auftrat ').  Wenn  Piaton  trotzdem  über  Rhetorik 
schrieb  und  sie  herabsetzte,  wie  dies  insbesondere  im  Gorgias  ge- 
schieht, war  der  Vorwurf  unvermeidlich,  dass  er  selbst  sich  noch 
keineswegs  als  Redner  bewährt  habe.  Sehr  bezeichnend  ist  hierfür 
die  indirecte  Art  der  Antwort,  welche  Piaton  durch  den  Phaidros 
giebt.  Dadurch,  dass  er  Reden  des  Sokrates  abfasst,  die  besser 
sind  als  ein  Xo-^o?  des  Lysias,  will  er  das  Publikum  einladen,  ihn 
als  Redner  anzuerkennen.  Piaton  ist  sich  dessen  wohl  bewusst, 
dass  er  nur  den  Beweis  dafür  erbringt,  dass  er  Reden  schreiben 
könne,  und  dass  dies  etwas  ganz  anderes  ist  als  Redner  sein. 
Darum  geht  er  über  die  Fähigkeit  der  Staatsmänner,  das  Volk 
durch  die  augenblickliche  Gewalt  der  Rede  zu  fesseln  und  zu  leiten, 
stillschweigend  hinweg,  als  wäre  dies  eine  gar  nicht  zu  beachtende 
Kleinigkeit.  In  schelmischer  Art  rückt  er  nur  das  Psephisma  als 
das  Resultat  einer  symbuleutischen  Rede  in  den  Vordergrund.    Nur 

^)  Vgl.  Phaidr.  p.  269  D  und  allenfalls  Sympos.  p.  134:  T^ytuviaat. 

*)  Hingegen  Lysias  war  als  Redner  anerkannt,  vgl.  Phaidr.  p.  277  C: 
oacpi^veta  .  .  av  nä;  o)(Xoi:  aütov  iizai^ia-^i.  Das  ist  derselbe  oj^Xos,  der  von 
Piaton  als  Redner  nichts  wissen  will.  Denn  das  Volk  heisst  immer  »Pack", 
wenn  es  jemandem  nicht  schön  thut,  aber  „edle  Zeitgenossen",  wenn  es  sich 
liebenswürdig  erweist. 

ä)  Unbenutzbar  bleibt  Justus  von  Tiberias  bei  Diog.  La.  II,  5,  41:  xciTdßa, 
vgl.  Steinhart,  IX,  114.  Die  Anekdoten  bei  Diog.  La.  III  c.  14  §18—19; 
c.  18  §  23—24;  c.  25  §  37—38,  vgl.  Teichmüller,  Litt.  F.  II,  S.  338—339,  lasse 
ich  um  so  lieber  bei  Seite,  als  sie  schon  ein  hohes  Alter  Piatons  voraussetzen. 
Ueber  die  missglückte  „Vorlesung"  Piatons  vgl.  auch  Thompson,  introd.  XXIII 
und  Steinhart  IX,  S.  199. 


684  Carl  von  Fiolzinger, 

durch  diesen  Kunstgriff  konnte  es  ihm  gelingen,  auch  die  ttoXiti/oi' 
und  die  vojjLOÖsxai  in  die  grosse  Khisse  der  XoY07pa«fot  einzureihen '). 
Nothwendig  aber  war  dies  für  ihn,  da  er  selbst  nur  ein  Verfasser 
von  X6-j'oi  war  und  sich  dalier  nur  mit  den  XoyoYpa'fot  in  Vergleich 
setzen  durfte,  nicht  aber  mit  anerkannten  Rednern. 

Aus  demselben  Grunde  hebt  Piaton  von  den  übrigen  im  Dialoge 
genannten  Rednern  nur  das  Geschriebene  hervor  und  übergeht 
sie  als  Sprecher  vollkommen.  Eben  hieraus  aber  ist  auch  eine  der 
Ursachen  zu  erschliessen,  weshalb  er  sich  im  Phaidros  gerade  mit 
Isokrates  misst.  Auch  dieser  is/vocpwvo?  wusste  nur  vor  Schülern 
und  einigen  Bekannten  aufzutreten,  also  in  kleinem  Kreise  und 
nach  sorgfältiger  Vorbereitung,  während  er  es  nicht  wagte,  mit 
seinen  politischen  Ansichten  in  der  Ekklesia  eine  Rolle  zu  spielen 
oder  auch  nur  eine  wörtlich  auswendig  gelernte  epideiktische  Rede 
etwa  in  Olympia  zu  declamieren.  So  erklärt  es  sich  auch,  dass 
seine  Reden  so  unbeschreiblich  lang  sind.  ])a  nun  aber  Isokrates 
zu  der  Zeit,  als  der  Phaidros  erschien,  schon  als  Redelehrer  be- 
kannt und  bei  seinen  eigenen  Schülern  als  ein  nachstrebenswerthes 
Muster  und  Vorbild  anerkannt  war,  leistete  seine  Figur  dem  Dialog- 
schriftsteller ausgezeichnete  Dienste  bei  der  beabsichtigten  Ver- 
schleierung der  grossen  und  entscheidenden  Unterschiede,  welche 
den  Redner,  den  Redenschreiber  und  den  Redelehrer  von  einander 
trennen.  Dass  sich  derartige  Gesichtspunkte  in  den  Schriften  über 
Piatons  Phaidros  noch  immer  nicht  genügend  scharf  auseinander- 
gehalten finden,  vermag  ich  mir  nur  durch  die  Vermuthung  zu  er- 
klären, dass  die  meisten  unter  der  Vorstellung  leiden,  als  müsse 
man  dasjenige  jedesmal  wirklich  glauben,  was  Piaton  seinen  liesern 
darbietet.  Viele  haben  wohl  auch  gewiss  die  richtige  Empfindung, 
aber  nicht  den  Muth,  ihr  Ausdruck  zu  geben. 

Nach  dem  Gesagten  aber  wird  man  unschwer  verstehen,  dass 
Piaton  den  Isokrates  in  manchen  wichtigen  Punkten,  in  denen  er 


')  Den  Perikles  behandelt  er  gewissermassen  als  Ausnahme,  nämlich  als 
Philosophen.  Dadurch  weist  or  ihn  jener  spärlichen  Gruppe  zu,  welcher  der 
öeto;  dv^jp  —  Piaton  selbst  —  unter  seinen  Zeitgenossen  nach  seiner  eigenen 
Wertschätzung  in  Athen  wohl  allein  angehört.  —  Piaton  wehrt  sich  gegen 
die  Politiker  wegen  der  ihm  ertheilten  Bezeichnung  Xoyoypct^po;.  In  dieser 
Hinsicht  befand  er  sich  mit  Lysias  (Pliaidr.  p.  '2bl  C)  in  der  gleichen  Lage. 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    685 

sich  selbst  durch  den  schon  befestigten  Namen  des  Rhetors  decken 
konnte,  sehr  gut  behandelte,  während  er  ihm  mit  der  Schluss- 
prophezeiung einen  empfangenen  Tadel  wahrscheinlich  in  sehr  ähn- 
licher Weise  zurückgab  ').  Isokrates  hatte  sich  vielleicht  vor  einigen 
jungen  Freunden,  die  ihn  um  sein  Urtheil  über  einige  Schriften 
Piatons  befragten,  wohlwollend  geäussert,  dass  Piaton  rpoiouir^?  -r,<; 
y;).!X''o(c  in  der  Gattung  von  Schriftstellerei,  die  er  betreibe,  ge- 
wiss alle  anderen  weit  überflügeln  werde.  Damit  hatte  Isokrates 
dem  Piaton  ganz  ehrlich  den  Vorzug  etwa  vor  Antisthenes  und 
Aischines  gegeben.  Piaton  aber  giebt  ihm  die  Kränkung,  die  er 
nach  dieser  unbefriedigenden  Anerkennung  empfand,  durch  den 
Mund  des  weitaus  älteren  Sokrates  mit  einer  Verschärfung  (sttI 
fist'C«)  TIS  auTÖv  a-j-ot  6pi[j.rj  Osioxifjot  xtX.)  zurück,  während  er  ihn  in 
anderer  Hinsicht  als  seinen  natürlichen  Bundesgenossen^)  behandelt. 

Härter  muss  ihn  ein  Wort  des  greisen  Lysias  getroffen  haben, 
den  er  vom  Jünglingsalter  an  gekannt  und  vielleicht  eben  so  hoch 
verehrt  hatte,  als  dies  Phaidros,  das  Ebenbild  des  jugendlichen 
Piaton  ^),  im  Dialoge  thut.  Nach  einem  Lobe  aus  dem  Munde 
dieses  seines  einstigen  Rednerideals  hatte  Piaton  vergeblich  gestrebt. 
Seine  Aeusserungen  über  Lysias  sind  ein  Produkt  verschmähter 
Liebe.  Es  waren  grundverschiedene  Naturen,  deren  Unvereinbarkeit 
Piaton  allmählich  und  erst  in  reiferen  Jahren  in  ihren  wahren 
Gründen  erfasste. 

Der  nüchterne  Lysias,  der  gewiss  nie  eine  Zeile  über  oder 
gegen  Piaton  veröffentlichte,  dürfte  sich  wohl,  wie  mancher  andere 


')  Man  soll  doch  eine  derartige  „Retourkutsche"  für  den  geistvollen  Piaton 
nicht  als  unmöglich  erklären.  Der  Phaidros  selbst  giebt  ein  bekanntes  Bei- 
spiel für  diese  Gattung;  p.  228A:  w  «PalBpe,  Et  lyw  Oalopov  dyvoui  xxX.  und 
p.  236  C ;  El  i-fui,  u)  ^(uxpottE;,  ^IcüxpctTTj  äyvoü)  xtX. 

'^)  Nicht  bloss  gegenüber  der  alten  liyyr^;  vgl.  Gercke,  Herrn.  32,  366, 
dem  ich  jedoch  nicht  beitrete,  wenn  er  S.  380  meint,  der  Phaidros  sei  „für" 
Isokrates  geschrieben  und  enthalte  das  Programm  „für  die  Schule  des 
Isokrates." 

^)  ^  gl-  P-  '234  D:  ÖEi'a  xEcpa^,  p.  242  A:  ÖEto;  eI  TiEpl  tou;  Xoyou;,  p.  278  B: 
dytu  T£  xal  au  und  dgl.  Wie  käme  auch  sonst  der  schwärmerische  Myrrhinusier 
dazu,  den  nüchternsten  aller  Xd^oi  zu  bewundern.  So  hoch  als  Sokrates  über 
Phaidros,  steht  der  gereifte  Piaton  über  dem  einstmaligen  Jünglinge,  in  dessen 
geistigen  Zustand  er  sich  noch  sehr  wohl  zurückzuversetzen  vermag. 


686  Carl  von  Holzinger, 

Leser  der  sokratischen  Dialoge,  geäussert  haben,  dass  Piatons 
Schriftstellerei  keinem  ernsten  Zwecke  nachstrebe  und  sich  in  un- 
nützer Tändelei  (r.aioia)  verliere.  Daher  klingt  denn  Tzai'Cstv  und 
rotiota  an  vielen  Stellen  des  Dialoges  wie  ein  spöttisches  Echo 
wieder ').     Wie  sehr  aber  Piaton  durch  diese  geringschätzige  Auf- 


1)  Phaidr.  p.  2341)  lese  man:  Elev  ourtu  ot]  oel  ^.al!it^'^:  Phaidros  meint: 
„So  thust  du  denn  also  wirklich  das,  was  man  dir  längst  zum  Vorwurfe 
macht,  dass  du  nur  Possen  treibst  und  für  etwas  Ernstes  nicht  zuhalten  bist?" 
Sokrates  antwortet:  „Glaubst  du  denn  wirklich,  dass  ich  bloss  scherze  und  nicht 
vielmehr  ganz  im  Ernste  rede?"  Das  folgende  Mt)5o(|x(ü;  erklärt  sich  durch 
den  Gedanken:  [xt]  Xiye,  Sri  ^OTtoüSoxa? ,  dXXä  xb  dno  toü5e  OTcoüoaCe  xal  du; 
dXrjOü)?  zink  xtX.  Lysias  hatte  also  über  Platou  beiläufig  geäussert:  Sxt  oü5ev 
OTio'jSalov  eveaxiv  ev  toI;  IlXatouvot  Xdyoi;.  Piaton  giebt  dies  damit  zurück,  dass 
er  einen  X^/yoc  ipiunxö?  des  Lysias  wieder  ans  Licht  zieht,  den  Lysias  etwa 
in  demselben  Alter  geschrieben  hatte,  in  welchem  Piaton  stand,  als  er  den 
Phaidros  verfasste.  So  zeigt  es  sich,  dass  auch  Lysias  in  diesem  Lebensalter 
„nichts  Ernstes"  schrieb;  vgl.  p.  235A:  veavieueal^at  IrtSeixvjfjievo?.  Man  hat 
nicht  allseits  die  Ironie  verstanden,  mit  der  nun  Piaton  im  Folgenden  diesen 
A'orwurf  nicht  etwa  widerlegt,  sondern  ad  absurdum  führt,  indem  er  wirklich 
nur  zu  scherzen  vorgiebt.  Ja  er  findet  sogar,  dass  das  Schreiben  über- 
haupt nur  ein  schlechter  Scherz  ist,  und  steuert  scheinbar  alles  Ernstes  auf 
den  Satz  los,  dass  es  glücklicherweise  wenigstens  nicht  schimpflich  ist 
Xdyo'j;  zu  schreiben.  Vgl.  p.  2581):  oüx  aiajjpov  oüto  ye  tö  ypacpeiv  Xo^ou?. 
Als  ob  dies  einer  Auseinandersetzung  bedurft  hätte I  Man  vergleiche  nur  p.  2G2  D: 
TtpoOTra^Ctov,  p.  265C:  fxudixdv  xiva  up-vov  7:poaeT:aiaa|AEv  ...  tu}  ovxi  TraiSiqt 
■tztTzalis^ai,  p.  276  D :  raiStä;  idpw  arepei  .  .  .  TiaiSiau  aXXat;  /pÄVTai  .  .  tto^Ciuv 
otc($et,  p.  276  V,:  TrayxcfXTjv  zaiStav  .  .  toü  ^v  Xo'yot;  ouvctfx^vou  itai'Cetv,  oixatoa'jvrjc 
...  nipi  fxoSoXoYoüvTa ,  p.  277E:  Tiaiotav,  p.  278B:  ntnaia^^ui.  Dazu  nehme 
man  den  Gegensatz,  der  in  p.  234  D:  la-ouoax^vot,  p.  260  B:  aTiouBij,  p.  261  B: 
ououooia  liegt.  Vgl.  auch  Sympos.  p.  191  E,  p.  216E  und  Phaidr.  p.  265  B; 
13(0?  f«v  dXrjdoij;  Tivo;  i^airrdpievo;  .  .  Solche  Bemerkungen  zeigen  deutlich, 
dass  Piaton  seine  Selbstcharakteristik,  als  treibe  er  nur  ein  Spiel,  spöttisch 
fremdem  Munde  entnimmt  und  sie  geistreich  so  umwendet,  dass  sie  auch  einen 
zum  Theil  rühmlichen  und  ernsten  Inhalt  erhält.  Keineswegs  aber  darf  man 
mit  Teichmüller  a.a.O.  1,68  einfach  sagen:  „Für  Piaton  war  die  ge- 
schriebene Rede  nur  ein  Spiel";  I  S.  136:  „Er  fasst  die  ganze  Schrift- 
stellerei als  ein  blosses  Spiel  auf."  Richtiger  beurtheilt  Lutoslawski 
S.  345,  349,  339—340  die  angeführten  Stellen,  ohne  jedoch  der  Ironie  bis  auf 
den  Grund  zu  sehen.  —  Ich  füge  hier  noch  gelegentlich  hinzu,  dass  es  auch 
unrichtig  ist  zu  sagen,  Piaton  habe  die  Dichtkunst  oder  gar  die  Rede- 
kunst verachtet  —  er,  der  den  ganzen  Phaidros  nur  in  dem  Sinne  schrieb, 


üeber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    687 

fassung  seiner  Leistungen  von  Seite  einer  Autorität  im  Rede-  und 
Schreibfache  geärgert  war,  ersieht  man  daraus,  dass  er  gegen 
Lysias  ungerecht  wird^),  was  man  von  seiner  theilweisen  Polemik 
gegen  Isokrates  nicht  sagen  kann.  Dass  es  Piaton  mit  seinem 
Selbstgefühle  vereinbar  findet,  eine  schwache  Eintagsleistung')  des 
Lysias  mit  dem  Besten,  was  er  selbst  in  der  Brust  trug  (p.  2350: 
TTAT^ps^  t6  axTjOo?  ^X"^^)?  überhaupt  in  Vergleich  zu  setzen,  mag  als 
ein  Beweis  relativer  Jugendlichkeit  noch  hingehen;  aber  unschön 
finde  ich  es  vom  Darsteller  der  Idee  des  Schönen,  Guten  und  Ge- 
rechten, dass  er  den  Lysias,  um  sich  mit  ihm  gleichstellen  zu 
können,  bloss  als  Redenschreiber  behandelt,  währender  doch  ein 
grosser  und  erfolgreicher  Redner  war.  Als  Piaton  den  Phaidros 
verfasste,  kannte  er  nicht  bloss  die  TctTTcivoTr^c  und  die  aacpr^vs'.a  als 
Charakteristik  des  Lysianischen  Schreibstiles,  den  der  „o/Xo;"  be- 
wunderte *),  sondern  er  wusste  auch,  dass  Lysias  ein  wirkungsvoller 
Sprecher  vor  Gericht  und  zwar  in  eigener  Angelegenheit  und  noch 
weit  früher  ein  angesehener  Debatter  in  der  Volksversammlung  zu 
Thurioi  gewesen  war.  Letzteres  hebt  Thompson  introd.  p.  XXVIII 
mit  Recht  hervor.  Dass  Piaton  im  Phaidros  etwa  darum  auf  den 
Prozess  gegen  Eratosthenes  nicht  anspielte,  weil  er  einen  „Anachronis- 
mus" scheute,  kann  man  natürlich  nicht  gelten  lassen.  Jedenfalls 
aber  lag  das  öffentliche  Leben  des  hervorragenden  „Thuriers"  der 


dass  er  einen  noch  höheren  Ruhm  kenne,  denn  als  blosser  Dichter  oder 
nur  als  Redner  zu  erscheinen,  währender  doch  die  Anerkennung  des  Besitzes 
dieser  Vorzüge  nicht  missen  wollte. 

^)  Man  vergleiche  auch  Schleierraacher  I,  1,  51  und  Grote  a.a.O.  II,  254:  „this 
is  no  fair  specimen  of  the  autor".  —  Die  scheinbare  Anerkennung  des  axpoYyüXov 
(p.  234  E)  in  diesem  formell  ärmlichen  und  hölzernen  Erotikos  beruht  umsomehr 
auf  Ironie,  als  dem  Verfasser  das  „eigentlich  Rhetorische",  t6  ^TjToptxdv, 
abgesprochen  wird.  Der  Tadel  bliebe  also  bestehen,  selbst  wenn  der  rednerische 
Ausdruck  vollendet  wäre. 

^)  p.  228  A :  h  TtoXXijj  xp<5vu)  xaTd  c^oXtjv  suv^&r^xev  halte  ich  für  eine 
willkürliche  und  übertreibende  Bosheit  des  neuen  „Archilochos",  ebenso  wie 
den  Vorzug,  den  der  unbedeutende  Polemarchos  vor  Lysias  erhält  (vgL 
p.  257  B). 

^)  Vgl.  Phaidr.  p.  257  C :  xaTretvds,  p.  277  D  E :  ca^iQveta  .  .  o/Xo;  und 
p.  234E  mit  Blass,  ßeredtsamkeit  P,  S.  386,  388,  391,  401,  447,  449.  Das 
TaTTEivdv  ist  auch  bei  Xenoph.  Mem.  III,  10,  5  dem  ^).B-{aXoTzptT:ii  entgegengesetzt. 


688  Carl  von  Ilolzinger, 

Scenerie  des  Phaidros  weit  voran.  Man  wolle  nur  bei  diesem 
Punkte  gütigst  berücksichtigen,  dass  Lysias  nicht  im  Stande  ge- 
wesen wäre,  gegen  Eratosthenes  in  glänzender  Weise  als  Sprecher 
aufzutreten,  wenn  er  die  zu  solchem  Erfolge  erforderliche  Sicherheit 
nicht  schon  längst  besass.  Die  Stelle  bei  Lys.  or.  XII,  §  3:  out 
stxotuTOu  irouTTo-s  O'jTc  dXXoTpia  irpaYfiaia  rpa^ot;  .  .  .  d-ciiiioiv  .  .  be- 
zieht sich  nur  auf  das  dikanische,  nicht  aber  auf  das  symbuleutische 
Fach  und  ist  überdies  zum  Theil  nur  als  gewöhnliche  Form  der 
captatio  benevolentiae  aufzufassen.  Wäre  Piaton  in  seinem  Inneren 
davon  überzeugt  gewesen,  dass  diejenigen,  welche  er  bloss  unter  die 
Xo^o^pdcpot  oder  auch  unter  die  -eyyo-(pd(£oi  rechnet,  nicht  aber  als 
Sprecher  hervorhebt,  wirklich  nicht  Redner  waren,  während  er 
sich  selbst  bei  dem  so  sehr  verachteten  o/Xo;  als  Redner  angesehen 
wusste,  dann  wäre  der  Phaidros  gewiss  ganz  anders  geschrieben 
worden.  Dann  fänden  wir  sicherlich  in  dem  Dialoge  manches  von 
dem,  was  allenfalls  Alkidamas ')  seinen  Lesern  mit  der  packenden 
Kraft  der  Wahrheit  zu  sagen  hatte,  —  nicht  aber  Piaton  im 
Phaidros  auszusprechen  gewillt  war.  Niemals  noch  ist  ein  Philosoph 
darum  ein  Redner  gewesen,  weil  er  ein  Philosoph  war.  und 
solche  Wahrheiten  treten  auch  bei  Piaton,  z.  B.  im  Theait.  p.  173 
— 174,  weil  sie  unbezwinglich  sind,  gelegentlich  zu  Tage.  Im 
Phaidros  aber,  der  des  Hauptstückes  wegen  eine  Verherrlichung 
der  Philosophie  ist,  gelangt  Piaton  zu  dem  Satze:  Nicht  selbst 
reden  zu  können  sei  die  grosse  Kunst,  —  die  er  freilich  besser 
als  die  übrigen  verstehe,  —  sondern  in  anderen  Reden  zu  er- 
zeugen: Xo-yous  tixTstv  [xsTot  (piXosofpia?;  vgl.  Phaidr.  p.  276E  und 
Sympos.  p.  209,  210C  D. 

Begreiflich  ist  es,  dass  Piaton,  der  in  seinen  Dialogen  Rede 
auf  Rede  folgen  lässt,  sich  eben  darum  in  der  schmeichelhaften 
Ansicht  wiegen  konnte,  als  Redner  zu  erscheinen').    Thatsächlich 


')  Vgl.  Joh.  Vahlen,  Der  Rhetor  Alkidamas,  Sitzungsber.  d.  Wiener 
Akad.  XLIII,*  1863,  S.  511— 51G. 

-)  Platon  hält  sich  natürlich  selbst  auch  für  den  8etv(JxaT0{  tuv  tujv  vOv 
Ypaipetv.  Er  beweist  dies,  indem  er  den  Ly.sias  (vgl.  p.  228  A  und  p.  277  l)  K) 
auf  diesem  Gebiete  zu  besiegen  unternimmt,  aber  er  gielit  sich  den  Anschein, 
im  Vergleiche  zu  dem   \6fo\ti  T^xtetv  auf  das  X(Jyou{  Ypa^petv   als  auf  eine  zwar 


lieber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    6^9 

steht  der  Dialog  in  seinen  Elementen  der  Beredtsamkeit  näher  als 
der  darstellende  Stil.  Aber  dass  Redner,  wie  Lysias,  und  Reden- 
schreiber, wie  Isokrates,  auf  diese  Gattung  herabsahen,  wird  man 
ebenfalls  nicht  verwunderlich  finden.  Wie  gross  die  Kunst  ist, 
den  Dialog  als  ein  natürlich  erwachsendes  Gespräch  erscheinen  zu 
lassen,  dafür  hatten  weder  solche  Xo-^oYpa'^ot  noch  auch  gewiss 
viele  andere  Leser  Piatons  ein  richtiges  Verständnis. 

Aus  dem  Kreise  dieser  Leser  stammt  daher  auch  der  Vor- 
wurf der  Weitschweifigkeit,  die  doch  ein  unvermeidliches 
Merkmal  des  wissenschaftlichen  Dialoges  ist.  Daher  sieht  man 
Piaton  häufig  und  mit  den  verschiedenartigsten  Mitteln  bestrebt, 
sich  auch  gegen  diesen  Tadel  zu  schützen.  Im  Phaidros  gehört 
hierher  p.  241 E:  xi  Ssi  fxaxpou  X070U;  Richtig  deutet  allerdings 
Thompson  app.  I,  S.  151  an,  dass  Sokrates  nur  die  erste  These 
des  Lysias  behandeln  darf:  oti  w  ypr^  xo)  ipüivxi  yapi'Csaö«'.,  weil 
die  zweite  These:  oxt  )(pY)  ^^apt'Csaüai  xm  fiT]  spüivxt  unsittlich  ist. 
Auch  kann  man  hier,  wie  an  anderen  Stellen  des  Dialoges,  den 
stolzen  Hinweis  Piatons  auf  seinen  unerschöpflichen  Reichthum  an 
Gedankenstoff  hervorheben ').  Aber  es  liegt  in  dem  \izaoov  auxov 
(p.  241 D)  im  Vereine  mit  dem:  xi  Sei  [xctxpoS  Xo-^ou;  auch  ein 
Fingerzeig  für  die  Leser,  dass  sich  der  Autor  anstrenge,  zu  kürzen 
und  einige  Columnen  zu  ersparen.  Man  nehme  hinzu  p.  250 C: 
piaxpoxepa  £iV/)xo(t,  auch,  wenn  man  will,  den  Hinweis  (p.  257  A) 
darauf,  dass  die  Ausschmückung  der  Rede  nur  durch  die  dichterische 
Veranlagung  des  jugendlichen  Phaidros  verschuldet  werde,  ferner, 
dass  man  dergleichen,  wie  p.  259  bietet,  gehört  haben  müsse, 
wodurch  also  die  Mittheilung  entschuldigt  wird.  Ueberhaupt  ist 
die  ganze  Stelle  über  die   Cikaden   (p.  259),   über  deren   Räthsel- 


nützliche  (p.  276  D:  u-oji.vTjU.aTa,  p.  278  A:  JTrdfiivTjaiv),  aber  im  ganzen  neben- 
sächliche Thätigkeit  noch  weniger  Gewicht  zu  legen,  als  auf  das  Xeyeiv  (vgl. 
p.  278  C:    Äeycuv  auxö;  O'jvotö;  xd  fSfCiaiiiii^'x  cpaüXa  dTroSst^ai). 

1)  Vgl.  ötvrjxoo;  p.  243  E,  p.  259B:  äv^^xoo?  fip  und  dvi^xoov  sivat,  und 
dazu  p.  252  B:  dxo-jaas,  p.  259  E:  dxi^xoa,  p.  261  B:  dxi^xoas,  dxTjXoa,  dxi^xoa?, 
p.  272  C :  l:raxT|XOü);  und  die  Bemerkung  Schleiermachers  I,  1  S.  47  über  „die 
grosse,  fast  vorlaute  und  prahlerische  Freude  an  der  Sache,  welche  schon  an 
sich  offenbar  genug  auf  ein  neu  erworbenes  Gut  hindeutet;"  ebenda  S.  48: 
„das  geflissentliche  Grossthun  mit  dem  Ueberfluss  des  Stoffes." 

Festschrift  Valilen.  44 


690  Carl  von  Itolzinger, 

haftigkeit  sich  Schleiermacher  (I,  1,  S,  258)  verwundert,  eine  ver- 
steckte Vertheidigung  Piatons  gegen  den  Vorwurf  der  Makro- 
logie.  Die  Stelle  ist  dazu  bestimmt,  den  ermattenden  Leser  auf- 
zurütteln, ihn  wieder  gefügig  zu  machen  und  ihn  in  den  mühsam 
zusammengeklebten  Blättern  (p.  278  E)  bis  zu  Ende  zu  führen. 

Andere  Vorwürfe  erhoben  manche  Leser  Piatons  wegen  der 
Schärfe,  ja  geradezu  Grobheit  seiner  Polemik.  So  scheint  Natorp 
a.  a.  0.  S.  446 — 447  mit  Recht  Phaidr.  p.  260D:  «Ypor/otspov  tou 
Ssovxo?  X=Xot3op7]/0![x£v,  p,  268 D:  d-j-poixws,  p.  269  B:  aYpoixta;  auf 
Vorwürfe  zu  beziehen,  welche  die  schroffe  Behandlung  der  Rhetorik 
im  Gorgias  dem  Verfasser  eintrug;  vgl.  Schleiermacher  I,  1,  S.  261 
zu  S.  103  Z.  11  und  überhaupt  über  die  aus  dem  Gorgias  ent- 
standenen Vorwürfe:  Gomperz,  Griechische  Denker,  VIII.  Lief. 
S.  266,  268,  269. 

Dass  sich  Piaton  im  Phaidros  p.  27öE:  Xoioopr^ösU  to5  zarpoc 
«£•  osixai  ßoTjöou  (verglichen  mit  p.  277  A:  ^'■yr^bzXv  txavoQ  wegen 
der  naturgemässen  Mängel  schriftlicher  Darstellung  überhaupt  ver- 
theidigt,  ist  von  Natorp  a.  a.  0.  S.  443  bemerkt  worden.  Andere 
Vorwürfe  scheinen  sich  darauf  bezogen  zu  haben,  dass  Piaton  ta 
Stüxpatouc  schreibe.  Manchem  Leser  musste  wohl  auch  nahegelegt 
werden,  dass  Piaton  in  sich  einen  unaufhaltsamen  Lehrdrang  fühle 
und  dass  er  bereits  eifrig  als  Lehrer  wirke.  Andere  wieder  mochten 
sich  erkundigt  haben,  warum  nicht  Piaton,  der  in  rhetorischen 
Dingen  so  viel  besser  Bescheid  wisse,  als  die  von  ihm  dargestellten 
Rhetoren,  selbst  eine  tl/vr^  pyjtopixr^  herausgebe. 

Und  so  wäre  es  denn  vielleicht  eine  lohnende  Aufgabe,  neben 
dem  Kampfe,  den  Piaton  gegen  die  steigende  Papierfluth  führte, 
auch  die  Vorwürfe,  die  aus  den  wachsenden  Scharen  seiner  Leser 
gegen  ihn  anstürmten,  noch  eingehender,  als  ich  es  hier  vermag,  zu 
schildern.  Doch  muss  ich  schliessen,  um  den  mir  zur  Verfügung 
gestellten  Raum  nicht  allzu  sehr  zu  überschreiten. 


Das  Resultat,  dem  ich  durch  die  obigen  Ausführungen  zustrebe^ 
ist,  dass  die  Beurtheilung,  welche  der  Dialog  Phaidros  bei  Luto- 
slawski  findet,  trotz  mancher  ansprechenden  Bemerkung  im  ganzen 
unrichtig  ist.     Als  Piaton  den  Phaidros  schrieb,  war  vr  noch  voll- 


Ueber  Zweck,  Veranlassung  und  Datierung  des  Platonischen  Phaidros.    691 

auf  mit  sich  selbst  beschäftigt.  Er  war  wohl  nahe  daran,  sein 
Ziel  deutlich  zu  sehen,  aber  völlig  gefunden  hatte  er  es  noch  nicht. 
Der  Phaidros  ist  einige  Jahre  vor  der  Gründung  der  Akademie 
geschrieben,  und  die  ruhige  Heiterkeit  des  aus  den  Wogen  Gelandeten 
spiegelt  sich  erst  im  Symposion  ab.  Auch  im  Symposion  aber, 
welches  im  ganzen  derselben  Altersstufe  angehört  wie  der  Phaidros, 
zeigt  sich  Piaton  noch  von  dem  Ehrgeize  gespornt,  als  Meister  der 
freien  Rede  zu  erscheinen.  Das  einfache  rhetorische  Problem  des 
Phaidros  genügt  ihm  jedoch  nicht  mehr.  Setzte  er  im  Phaidros 
zwei  antilogisch  componierte  Reden  ^)  von  absichtlich  abgestufter 
Vollendung,  einen  '\)6yj(;  und  einen  sTrotivoc,  dem  tj^o^o^  eines  Fremden 
gegenüber,  den  er  das  eine  Mal  zumeist  in  der  Form,  das  andere  Mal 
nicht  bloss  in  der  Form,  sondern  auch  wesentlich  im  Inhalte  über- 
traf, so  lässt  er  im  Symposion  nur  seine  eigenen  Geisteskinder  um 
die  Palme  ringen  und  zeigt,  dass  er  nun  nach  den  zwei  Reden 
des  Dialoges  Phaidros  über  den  Eros  noch  sieben  einander  über- 
bietende Reden  desselben  Stoffgebietes  und  zwar  durchweg  £7:atvot 
aufzubauen  vermag^).  Der  Ansatz  „um  390"  für  den  Phaidros^) 
und  „etwa  385"  für  das  Symposion  trifft  demnach  das  Richtige. 
Phaidr.  p.  279 A:  oU  vuv  Imyzipel  bezieht  sich  natürlich  auf  den 
Panegyrikos  des  Isokrates,  aber  nicht  etwa  auf  den  fertigen  und 
herausgegebenen,  sondern  auf  die  von  Isokrates  geplante  oder  schon 
in  ihren  äussersten  Umrissen  entworfene  Prunkrede*).  Wen  soll 
es  Wunder  nehmen,  dass  Piaton  von  der  Absicht  des  Rhetors,  den 
grossen    und    patriotischen  Stoff  in    künstlerischer  Weise    zu  ver- 


1)  Vgl.  Schleiennacher  I,  1,  S.  48,  der  richtig  empfindet,  dass  sich  „Piaton 
den  grossen  Triumph  der  Sophisten,  entgegenstehende  Behauptungen  nach 
einander  zu  vertheidigen,  auf  eine  glänzende  Art  aneignet." 

^)  Vgl.  Symp.  p.  177  D:  Exaaxov  f;[ji(üv  eteeiv  sjraivov  "Eptoxo;  -/xX. 

3)  Mit  Susemihl,  Neue  Platonische  Forschungen,  Greifs wald,  1898  und 
Rh.  Mus.  53,  448  ff.  nehme  ich  die  Priorität  des  Phaidros  vor  der  Sophisten- 
rede des  Alkidaraas  an;  ich  betrachte  aber  die  Sophistenrede  des  Isokrates 
als  die  älteste  dieser  drei  Schriften.  Ich  halte  sonach  an  der  von  J.  Zycha, 
Progr.  Wien,  1880  vertheidigten  Reihenfolge  fest. 

■•)  Wenn  sich  der  Panegyrikos  zu  der  Zeit,  als  Piaton  den  Phaidros 
schrieb,  schon  in  den  Händen  des  Publikums  befand,  müsste  nicht  nur  diese 
eine  Stelle  (oi;  vüv  ^Trtj^etpet!),  sondern  vieles  in  diesem  Dialoge  anders  lauten. 


692  0-  v>  Holziiiger,  l'eb.  Zweck,  Veranlassung  u.  Datierung  d.  Plat.  Phaidros. 

arbeiten,  Kenntnis  besass?     Ganz  Athen  wird  davon  gewusst  und 
auf  das  Prachtstück  gewartet  haben. 

Bezüglich  einzelner  „Beweise"  Lutoslawski's,  die  der  logischen 
Abfolge^)  in  der  Entwicklung  des  philosophischen  Systems  Piatons 
entnommen  sind,  bemerke  ich  nur,  dass  jene  Theile  der  Behaup- 
tungen Piatons,  die  auf  der  frei  schaffenden  Phantasie  des  Dichters  ■) 
beruhen,  nicht  nach  der  gewöhnlichen  Logik  zu  beurtheilen,  sondern 
mit  jenem  Massstabe  zu  messen  sind,  den  wir  an  Dichtungen  an- 
legen. Poetische  Wahrheit  und  Thatsachen  unterliegen  verschiedenen 
logischen  Gesetzen.  Für  die  Aristophanische  Komödie  ist  dies 
längst  anerkannt.  Ebenso  hat  auch  der  Mythos  seine  eigene  Logik. 
Und  wenn  nun  Piaton  selbst  das  Stück  seines  Systems,  das  er  im 
Phaidros  profanen  Blicken  enthüllt,  doppelt  bedeutsam  als  |xuöixos 
u[xvo?  bezeichnet,  so  weist  er  damit  nicht  nur  auf  seine  dichterische 
Begeisterung  hin,  sondern  auch  auf  die  poetische  Wahrheit  des 
Dargestellten.  Da  er  nun  aber  noch  durch  weitere  vierzig  Jahre 
auf  dieselben  Ideen  zurückkam,  schaltete  er  mit  diesem  Stoffe, 
innerhalb  dessen  er  sein  eigener  Herr  war,  nach  der  jeweiligen 
besseren  Meinung,  ohne  jedesmal  danach  zu  fragen,  was  er  vor 
grauen  Zeiten  niedergeschrieben  hatte.  —  Viel  weiter  —  meines 
Erachtens  —  als  die  „Logik"  Lutoslawski's  führt  die  —  Psychologie. 


1)  Ein  schöner  Satz  Hermann  Useners  (Rh.  Mus.  35,  S.  151),  den  ich 
gerne  unterschreibe,  lautet:  „Neue  Gedankenkreise,  neue  Formen  des  Denkens 
werden  nicht  auf  dem  geraden  Wege  logischen  Fortspinnens  gefunden;  sie 
entwickeln  sich  wie  die  Keime  der  organischen  Gebilde." 

=*)  Vgl.  Grote  a.  a.  0.  I,  115:  „Many  of  his  philosophical  speculations  are 
nearly  allied  to  poetry,  and  acquire  their  hold  upon  the  mind  rather  through 
imagination  and  sentiment  than  through  reason  or  evidence." 


Register. 


u 


I.  Sachregister. 


Accius,  bei  Gellius  530  ff. 

Achilleis,  byzantinische  173fF. 

Adrastea  109  ff. 

Aias  227.    458. 

alapa,   älapari  429  f. 

Alkidämas  691. 

Ammonius,  der  Aristoteleserklärer  71  ff. 

Anonymus  Parisinus  (Mediziner)  139  ff. 

Anonymus   7:£pi   x(u[j.woias  II  (Kaibel) ; 

Kollegienheft  45. 

Versspuren  46. 

Quelle  46. 

Zuverlässigkeit  34  ff. 
Antiphanes,  Zahl  der  Stücke  33. 
Antonius  418. 
Apollo  vaufACtyos  113. 
dpcTaXdyoj  14. 
Arethas  136  ff. 

Aristeas,  Brief  an  Philokrates  119. 
Aristophanes  44.  682. 

Zahl  der  Stücke  39. 
Aristoteles,  repl  &pp.7]VEt'as,  Ueberliefe- 

mng  71  ff. 

Kommentatoren,  Citate  78. 
Lemmata  75. 
Artemidor  10  ff. 

Asconius, Polemik  gegenrenestella422. 
Ateiiis  Capito  411. 
Augustinus  551  ff. 

Polemik  gegen  Hieronymus  554. 
Augustus  als  Zeij;  'EXeuDepios  113. 


Aureus  iii  den  Pandekten  568  ff. 
Aushängeschilder  7  ff. 
Avienus,  Ueberlieferung  402. 
Bacchylides,    Nachahmung    bei   Iloraz 

297  ff. 
Boissonade-Struvesches  Gesetz  151. 
Cäecilius,  bei  Gellius  538  f. 
Caelius  Aurelianus  141ff. 
Caesar,  Bellum  Gallicum,Handschriften- 

klasseu  251. 
cervisa  428. 

Cicero,    Mittheilungen    des   Fenestella 
über  sein  Leben  421. 
angebliche   Verteidigung    des  Ca- 

tilina  421  f. 
Uebersetzungsfehler  232. 
historische  Irrtümer  233. 
Ueberlieferung  der  Aratea  398. 
Herausgabe    der    Briefe    an  Atti- 
cus  423. 
cinus  (für  cinis)  429. 
Cinyps  457  f. 

Citate,  abgekürzt  und  in  die  Darstel- 
lung hineingezogen  224ff. 
Cleopatra  418. 
Colonat,  römischer  559  ff. 
comitator  479. 
compilo,  compllo  430. 
Cornelius  Nepos  4l3ff. 
Cyprian,  de  bono    patientiae  543  ff. 
Cyriacus  von  Ancoua  399. 


696 


I.  Sachregister. 


Digenissage  187  fr.* 
Diodor,  der  Epigrammatiker  107  IT. 
Drusus,  Sohn  des  Germanicus  107  ff. 
Drzic,  südslavischer  Dichter  617  ff. 
^|x;:£ipt'a  bei  Aristoteles  49  iT. 
emptio  (tneinptio?)  565 f. 
Enuiiis,  bei  Gellius  527  ff. 
Epicharm,  Zahl  der  Stücke  37. 

Yvio|JLixd;  43. 
Eupolis,  Zahl  der  Stücke  38. 
Euripides,  Alexandros  306. 
Fenestella  409  ff. 
fericulum  {iüx  fenulum)  436  f. 
Französische  Renaissance;    lateinische 

Dramen  589  ff. 
Fuldaer  Handschriften  in  Basel  393  ff. 

402  ff. 

Bruchstück  eines  alten  Katalogs  403. 

Bruchstück  eines  Kalenders  405  f. 
furcula  428. 

Furius  Antias,  bei  Gellius  542. 
Gellius,  römische  Dichtercitate  523  flF. 

indirekte  Benutzung  des  Fenestella 
423  f. 
Georgios  Pisides  149  ff. 
Germanicus,  Vorname  400. 

Anrede  bei  Ovid  388  f. 

Handschriften  seines  Gedichts  391  ff. 
Herder  109  ff. 
Hesione  482. 
Hexameter,  lateinischer,  spondeisches 

Wort  im  ersten  Fuss  521  f. 
Hieronymus,    von    Augustinus    ange- 
griffen 554. 
Homer,   natürliche  Nachlässigkeit  der 

Erzählung  26  ff. 

Ungenauigkeit  der  Zeitangaben  23  f. 

feststehende  Formen  der  Erzählung 
21. 
Homerus  latinus  465  ff. 

Handschrift    des    Museum    Plantin- 
Moretus  (P)  468  ff. 
von  Valenciennes  (W)  469  ff. 


Archetypus  von  P  und  W  477. 
honos  508  f. 
Horaz ,      ursprünglicher      Titel      der 

Episteln  322. 

Abfassungszeit      der     Epistel      an 
Augustus  327. 

Nachahmung  des  Bacchylides  297  ff. 
lakcheion  9  ff. 
nie  431. 

Incubation  13  ff. 
Isokrates  673  ff. 
Itala  bei  Augustinus  553  ff. 
Kerameikos  11. 
Komödie,  alte,  Zahl  der  Stücke  34. 

mittlere,  Zahl  der  Stücke  35. 
Krates,  Zahl  der  Stücke  38. 
Kratinos,  Zahl  der  Stücke  37. 
Kreter,  im  ägyptischen  Heere  6. 
Laberius,  bei  Gellius  528  ff. 
Laevius,  bei  Gellius  529  ff. 
licebü  350  f. 

Livius  Andronicus,  bei  Gellius  532. 
Lucilius,  bei  Gellius  528  ff. 
Lukrez,  bei  Gellius  535  ff. 
Luxus,    römischer,    Litteratur  darüber 

411  ff. 
Lykon,  der  Pythagoreer  37. 

von  lasos  37. 
Lysias  667  ff. 
Macrobius  41 1  ff. 
fj.ayt';  413. 
Magnes,  2ahl  der  Stücke  38. 

erster  Aidvujoj  38. 
manu  227. 

Matius,  bei  Gellius  629. 
Menander,  Zahl  der  Stücke  39. 
(xv^fXT]  bei  Aristoteles  52. 
modicus  586. 
Monte  Gassino  395  ff. 
ne,  nee,  ne-  quidem  432. 
Nemesis  109  f. 

Nero,  Sohn  des  Germanicus  108. 
orbia  385  f. 


I.  Sachregister. 


697 


Ovid,  Metamorphosen;   üeberlieferung 
357. 

Herausgabe  337.  365. 
Doppelte    Recension    einzelner 
Stellen  335  ff. 
Fasti,  Composition  367  ff. 
Wiederholung   desselben  Wortes, 
zufällige  347. 
absichtliche  344 ff.  377  ff. 
zum    Zweck   der    Anknüpfung 

354. 
im  fünften  Fuss  und  im  ersten 
des     folgenden    Hexameters 
359  ff. 
Pacuvius,  bei  Gellius  535  f. 
Pandekten,  Interpolationen  574  ff. 
pataracinum  432. 
Patrai,  Heimat  des  Arethas  136. 

antike  Inschrift  137. 
Paulus  Diaconus  396  ff. 
Pausanias,  Üeberlieferung  131  ff. 
Penelope  5 13  f. 
Perikles,  bei  Plato  684. 
Personalsubstantiva,  lateinische   auf  o 

430. 
Peter  und  Magelone  197  ff. 
Philemon,  Zahl  der  Stücke  37. 
Philippus  von  Thessalonike  112. 
TTtvaxtov  9  ff. 

Pindar,  Nachahmung  bei  Horaz  299  ff. 
Plato  655  ff. 

Plautus,  Aulularia  in  südslavischer  Be- 
arbeitung 615  ff. 
Menaechmen,  Akteinteilung  205. 
Cantica  2 15  ff. 
Symmetrie  203  ff. 
verlorene  Komödien,   bei   Gellius 
531  f. 
Plinius,  der  ältere  411  ff. 
TroXtTe'jfjia  128. 
posco  433. 

Potentialis,  sich  dem  Irrealis  nähernd 
319. 
Festschrift  Vahleij, 


Properz,  Familie  276. 

Freunde  270.  276  ff. 

Herausgabe  der  Gedichte  279  ff. 

Composition  der  einzelnen  Bücher 
269  ff. 

Allitteration  274. 
Publilius  Syrus,  bei  Gellius  528  f. 
quianam  494. 
Ragusa  6 17  ff. 
Recusatio  317  ff. 
Reflexivpronomen,  lateinisches,  in  der 

Vulgärsprache  431  f. 
relinquo  434. 
Sarapis,  Sarapeion  11  f. 
Seneca,  Tragödien  441  ff. 
Serenus  Sammonicus  411  ff. 
Skiros,  Skiron  11. 
Sklavenmangel,    Sklavenpreise    in  der 

römischen  Kaiserzeit  566  ff. 
Sokrates  672  ff. 
Sophokles,  Alexandros  300. 
Soranus  141. 
Statius,  Achilleis,  Üeberlieferung  491  ff. 

Silvae,  Üeberlieferung  501. 
Strabo  107  ff, 

stramhus  (für  strabus)  439  f. 
Syntax,    lateinische,    im    15.    und  16. 

Jahrhundert  643  ff. 
tango  (für  tingo)  428. 
iiX^i\  bei  Aristoteles  49  ff. 
Terenz,  bei  Gellius  539. 
Tertullian,  de  patientia  547  ff. 
textum  427. 
Thalia  516  f. 
Theodoros  Studites  152, 
Theokrit,  c.  24  89  ff. 

c.  25  98  ff. 
Traumdeuter  7  ff. 
Trinkgeschirre,  griechische  Namen  im 

Lateinischen  434. 
ürtd,    nach    Verben   und  Substantiven 

von  passivischer  Bedeutung  127. 
Varro,  Satiren,  bei  Gellius  526  ff. 
45 


698 


II.  Stellenregister. 


Varro,  rer.  rust.,  bei  Fenestella-Pli- 
nius  415  flf. 

Vergleichung,  in  die  Metapher  über- 
gehend  240. 

Versausgang,  im  byzantinischen  Tri- 
meter  151  ff. 

Virgil,  Compositionskunst  282  ff. 


Unfertigkeit  der  Aencis  290. 
Volcacius  Sedigitus,  bei  Gellius  529  f. 
Wiederaufnahme    eines    Wortes,    der 

Deutlichkeit  wegen  242  ff. 
Wiederholung,  rhetorische  245  f. 
Zahlenangaben,  symbolische  Bedeutung 

33. 


II.  Stellenregister. 


Accius,Medea  fr.  II.  IHR  : 
221  ff. 

Alkiphron  III  59:  9  ff. 

Anacreont.  13:  319. 

Anonymus  bei  Gramer, 
Anecd.  Oxon.  III  195, 
7:  41. 

Anonymus  Tiepl  xwjjupStai 
II  (Kaibel)  v.  41 :  44. 
V.  65:  43. 

Anthol.  Palat.  VI  236: 
114.  251:  112.  IX 
219:  108.  405:  107. 
553:  114.  Revue  de 
philol.  19,  177:  112. 

Aristeas  epist.  adPhilocr. 
§  1:  120ff.  §  4:  122. 
§  17:  123.  §  18:  127. 
§  75:  123.  §161:  124. 
§  162:  126.  §  189: 
125.§192:126.  §211: 
124.  §219:  125.  §239: 
127.  §252:  125.  §255: 
126.§255:126.  §284: 
127.  §286:  127.  §310: 
128. 

Aristoteles  itepl  ip[j.T]ve(a; 
16  a  26:  84.  16  b  22: 
81.  16b  23:  84.    17b 


3:  81.  19b  11:  84. 
19  b  38:  82.  20  a  5: 
81.  21a  22:  84.  21a 
38:  84.  21b  6:  81. 
22  b  5:  84.  22  b  6: 
84.  23  a  13:  84.  ana- 
lyt.  post.  100  a  5: 
62.  metaphys.  I  c.  1  : 
49  ff. 

Augustinus  de  doctr. 
Christ.  II 15,  22:  551  ff. 

Ausonius  epigr.  77,  8 
(Peiper):  430. 

Bacchylidesl8(K.)208: 
311. 

Catull  c,  68:  329  ff. 

Caesar  bell.  Gall.  11  2,  5: 
251.  III  13,  9:  252. 
V  I,  7:  254.  VII  28, 
6:  254.  52,  2:  255. 
bell.  civ.  I  17,4:  562. 
18,  6:  256.  21,  1: 
258.  25,  1:  260.  32, 
1:  261.  45,  1:  262. 
73,4:  262.  II  22,  4: 
263.  30,2:  264. 

Cicero  Brutus  47:  233. 
59  :  226.  de  imperio 
Cn.   Pompei    4:    434. 


pro  Cluentio  66:  243. 
in  Catilinam  III  23: 
246.  pro  Murcna  29: 
244.  Paradoxa  I  12: 
238.  13:  242.  IV  28: 
238.  V  35:  245.  36: 
236.  41:  238.  Tuscul. 
disput.  137:  227.  101: 
228.  IV  52:  224.  77: 
226.  V  74:  234.  de 
nat.  deor.  11  89:  221. 
130:  243.  159:  227. 
Aratea  27:  398.  71: 
398.  453:  98. 

Codex  Justiuianus  6,  1, 
4:  578.  7,4,2:  577  f. 

Columella  I  7,  1:  563. 
XI  1,  14:  563  f. 

Corp.  inscr.  graec.  1104: 
9.  lat.  XI  1147,  VI 
60:  564  ff. 

Digesta  4,  4,  31:  576. 
5,2,8, 17:  574  f.  5,2, 
9:  576.  19,  2,  25,  6: 
586.  37,  14,  23,  1 :  577. 
40,  4,  29:  575  ff.  40,4, 
47:  576  f.  48,14,  1,4: 
570. 

Gaius  IV  46:  572. 


II.  Stellenregister. 


699 


Georgios  Pisides,  Ex- 
peditio  Persica  1,  68: 
153.  1,  143:  152.  1, 
236:  153.  2,40:  152. 

2,  194:  153.  2,  325: 
166.  3,96:  154.  Con- 
tra Severum  519:  152. 
455:  165.  635:  165. 
Hexaemeron  105:  170. 
782:  152.  1248:  166. 
1328:  152.  1527:  151. 
1546:  151.  In  Jesu 
Christi  resurrectionem 
35:  169.  Supplementa 

3,  15:  153.  3,  36: 
156.  Fragmenta  55: 
163. 

Germanicus     51 :      395. 

483  ff.:    397.      fr.    4, 

133:  397.  (fr.  5):  396. 

Schol.     Bas.     p.    58, 

16Br.:  393. 
Homer    A    609 ff.:    19 ff. 

B  695 ff.:  29.  r71ff.: 

28.A396:27.E418ff.: 

29.     H      476  ff:      24. 

1    713ff.:    26.     A   84: 

24.     n  778:    24.     (D 

287  ff:    29.     Q    399: 

28.     X  115 ff.:   27.     x 

231:  27.    S  23ff:  27  f. 

0  4ff.:  26 f. 
Homerus  latinus  7:  478. 

38:     479.     68:    470  f. 

76:    479.    84ff.:    471. 

92:    471.     135:    479. 

137:    476.    138:   479. 

151:    479.    156:    479. 

191:    479.    510:    480. 

520 f.:  480.  528:  480. 

532 ff.:  480.  565:  480. 

589:480.  595 ff.:  480 f. 

605:  471.  621  ff.:  481  f. 


665:  482.  679:  482. 
688:  482.  712:  482. 
733:  482.  751:  471. 
765:  483.  769 f.:  483. 
783:  483.  790:  483. 
791:  472.  817 f.:  483. 
819 f.:  483.  825:  473. 
839  ff.:  483.  843  ff.: 
483.  859  ff.:  484  f. 
879:485.  880 ff.:  485 f. 
890:  486.  895 ff.:  486. 
932:  486.  957:  472. 
966:  486  f.  978:  487. 
984:  473.  985:  473. 
987:  473.  1008:  487. 
1019 ff.:  487.  1050: 
488.  lOGO:  488. 
1063 ff.:  488 f. 
Iloraz  C.I6:  324.  IV  2: 
323.  IV  15:  327. 
epod.  14:  324.     epist. 

II  1:  319ff.  112:321. 
Lysias  12,3:  688. 
Martial  X  31,  1 :  567. 
Ovidmet.  1544 ff.:  338 ff. 

III  33:  348.  VI  280  ff 
341ff.\III284ff.:346f. 
596 ff.:  349 ff.  641  ff 
354 ff.  683 ff.:  357 ff 
686 ff.:  359 ff.  XI  58 
362  ff.  XII  192:  364 f. 
fastil  Iff.:  371  ff.  23 
371.  27 ff.:  382ff.  54 
385  ff.  295  ff:  379  ff. 
296:379. 11  3 ff.:  372 ff 
18:  372.  IV  Iff:  374  ff. 

Pausanias  II  13,  8:  134. 
X  12,3:  134.  25,4: 
134.     32,  6:    134. 

Petron  c.  33:  427.  34 
427  f.  38:  431  f.  38 
429  f.  41:  432  f.  43 
434.     44:  435  f.     47 


432.  54:  436  f.  55: 

437  f.  58:  439.  58: 

438  f.  62:  436.  68: 

439  f.  69:  428. 
Plato  Phaedrus  234  D: 

686.  235  D:  670. 
250  C:  670.  253  E: 
670.  262  D:  669. 

Plautus  Curculio  216 ff.: 
14.  463:  430.  Tni- 
cul.  928:  430. 

Plutarch  Aristides  27 : 
9  ff. 

ProperzI21:271ff.  122: 
271  ff.     11123:  269. 

Seneca  Agamemnon  66  f. : 
449  f.  162  f.:  453. 
548:  458.  566:  452. 
Hercules  furens  12: 
446.  129  ff.:  448  f. 
133:  450.  319:  457. 
477:454.  575 ff.:  46 Iff. 
1068:  458.  1229ff.: 
455f.  Hercules  Oetaeus 
861:  450.  907:  457. 
1362:  450.  1557 ff.: 
459.  Medea  314  f.: 
446  f.  396:  397.  622: 
458  f.  643:  452.  657: 
451  f.  Oedipus  178: 
459ff.  Thyestes867ff.: 
447 ff.  Troades  43 ff.: 
459.  126  ff.:  452  f. 
182:  452. 

Statins   Achilleis    I  121 
494.    131:    494.    141 

494.  247:494.  496  ff. 

494  f.    502:  495.  589 

495.  592:  495.  650  f. 

495  f.  silvae  I  praef. 
501.  2,  122:  499 
2,  194:  508.  2,  202 
499.     6,27:    499.     II 


700 


IL  Stellenregisler. 


1,5:  500.  2,59:  504. 
2,  137:  510f.  3,  29: 
500.  5,29:  500.6,30: 
500.  III  1,  53:  503. 
1,76:  502.  1,151: 
502.  1,  162:  500. 
1,  170:  505.  3,71: 
511  f.  4,  38:  508. 
5,8ff.:  512f.  5,105: 
508.  IV  3,  145:  507  f. 
4,  101:  508.  8,  6: 
514  f.  8,  19:  500.  V 
1,  105:   500.     2,  145: 


509 f.    3,  80 ff.:    516. 

3,  98:   516ff.     3,180: 

501.     3,   232:    51 9  ff. 

3,  250:    502.     5,  34: 

508.     5,  35 ff.;    505 f. 

5,38ff.:506f.  5,51ff.; 

506. 
Theodoros      Prodromos, 

Amicitia   exulans  80: 

152.     Catomyomachia 

273:  151. 
Theodosios  Diakonos  2, 

255:  151. 


Theokrit     c.   24:     89  ff 

c.  25:  98  ff. 
Tragiker,  römischer,  ine. 

ine.  fab.  XXXVIII  K; 

224. 
Virgil    ecl.   VI    1:    517. 

Aen.II8:24f.  567  ff. 

283.  III  204  a,  b,  c 
282.    230:    284.   262 

284.  595:  287.  684  ff. 

285.  702:   286.  IV  6 
25.  X  1:  25. 


iV  15  Ö56 


PA  Festschrift  Johannes  Vahlen 

26  zum  siebenzigsten  Geburt- 

V3  stag  gewidmet  von  seinen 

1900  Schülern 


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