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FESTSCHRIFT
ZV EHREN DES
KVNSTHISTORISCHEN INSTITVTS
FLORENZ
DARGEBRACHT
KVNSTHISTORISCHEN INSTITVT
DER VNIVERSITÄl' LEIPZIG
MDCCCLXXXXVII
LEIPZIG
VERLAG VON A. G. LIEBESKIND
1897.
FESTSCHRIFT
ZV EHREN DES
KVNSTHISTORISCHEN INSTITVTS
FLORENZ
DARGEBRACHT
VOM
KVNSTHISTORISCHEN INSTITVT
DER VNIVERSITÄT LEIPZIG
MDCCCLXXXXVII
LEIPZIG
VERLAG VON A. G. LIEBESKIND
1897.
THE J. PAUL GETTY CEMTift
UBRARY
LOB DER FLORENTINER KUNSTWELT
GEDICHT DES UGOLINO VERINI
MITGETEILT VON
HEINRICH BROCKHAUS
(Bihlioteca Lauren^iana, pliit. ßp, cod. 40, Epigramme des Ugolino yerini mit Sdihißbemerkuitg der Handsdirift vom Jahre 1491,
Bitdi III, Bl. 26 und 2-j).
De pictoi'ibm et sciiltoribiis floremtinis, qui priscis grecis equiperari possint
Pivthogenem Rhodii tabula mmviiur in tum
l/ix aunis illam pinxerat iüe decem!
Nicomaciis contra velox monimmta poetae!
Egregium parvo tempore fecit opus !
Parrhasitis Ephesus sie viira excelluit arte
Simitriae primum cui tribuere deciis!
Hos oliin multis produxit Graecia saeclis,
Et paria mgmiis dona fuere suis!
At nmtc pictores huius si temporis omnes
yidisset quanta hos Graecia laude canat!
Ouos uno ima pareris genuif Flormtia saeclo!
Quos hausim grais aequiperare viris!
Su/nt gemini insignes PuUo cognomime fratres,
Quorum alter pictor! scultor uterque bonus!
Spira/ntes fumdit vultus Antonius aere
Signaque de moüi vivida fingit humo!
Nee minor est Phydias noster Verrodmis! mio
Hoc superat graecum ('■) pingit et aera liquat!
__ IV —
Qitis fnerit sciiltor iiostra Donatus in urhe
Testaniur nomm vivida saxa suuni!
Nee Desiderio spirmiti marmore maior
Tbebaniis Scopas! Pmssitelesqiie fuit!
Aeqiiariqiie sibi noii iiniignctur Apelles
Saiidriiiii! /am iiotum est nomen ubique simiii!
Eradeota licet Zeiisis bene pinxeris uvis
Hand tame/i est Tbuscus Vinciiis arte minor!
Nee te pictoris sobolem memormide Phylippe
Praeteream! prinium dignm habere locutn!
Sed longum numerare omnes! nee temporis huius!
Quorum cum tabulis fama permnis erit!
(Buch yil, Bl. j6:)
camaoulo Christi, quam talmlam PhvUppns flormtimis pictor insignis pinxit
Regi Pannoiüae
Olli cupis aeterni convivia noscere Christi
Ultima discipulis cum data caena fuit
Aspice pictoris spirantia dona Phylippi
Pictaque non dicest sed magis ora loqui.
Latis eimdeni pictoris
Siquis picta Petri Puliensis viderit ora
Hie Petrus est! et non dicet imago Petri est!
Artifici cessit natura! ut verior ars sit!
Spirantem superat picta tabella virum.
FLORENTINER STVDIEN
AVGVST SCHMARSOW
NICCOLO VND GIOVANNI PISANO
Kaum irgendwo erquickt den Erforscher der Vergangenheit so fühlbare Genugtuung, als
wenn nach langem Werben um ihr Verständnis ein Denkmal nach dem andern sich erschliesst,
um das Denken und Empfinden eines längst begrabenen Geschlechtes ihm persönlich zu offenbaren.
Einst redeten die Werke der Kunst eine Allen verständliche Sprache; denn Auffassung und Sinnesart
ihrer Zeit kam ihnen auf halbem Wege entgegen, und was sie zu sagen hatten, lag gleichsam in
der Luft, die Künstler und Mitwelt gemeinsam atmeten. Heute dringen wir nur langsam zu dem
Kern ihres Wesens durch; die Erscheinungsformen nehmen unsern Blick zu sehr gefangen, die
UnvoUkommenheiten stören, die Eigenheiten befremden uns; oft bringt erst umfassendes Vergleichen
die charakteristische Note zur Unterscheidung. Haben wir aber einmal erfasst, worauf es ankommt,
so fällt es wie Schuppen von unsern Augen. Wir sehen ein, dass alle Merkmale des Stiles, die wir
so sorgsam beachten und schildern, doch nur Nebensache sind oder der vielfach bedingte Ausfluss
des Wollens, — dass der Urquell all dieser Äusserungsweisen stets im innersten Seelenleben des
Künstlers, seines Volkes und seiner Zeit zu suchen ist, und dass all unsere historische Charakteristik
an Ausserlichkeiten hangen bleibt, so lange die Empfindung selber uns nicht aufgegangen ist.
So sind uns die beiden bedeutendsten Bildhauer Italiens, welche die Skulptur des Mittelalters
emporgeführt, gar lange ein Rätsel geblieben, wie sehr auch das eifrige Studium der Antike bei
dem Einen, das leidenschaftliche Temperament bei dem Andern ins Auge fielen. Nicolaus und
Johannes von Pisa sind Vater und Sohn. Unsere historische Betrachtung ist gewohnt, sie deshalb
nahe miteinander zu verbinden. Der Eine blüht von 1260 — 1280, der Andere von 1278 — 132O; sie
gehören also einer zusammenhängenden Periode an, die wir als „gotisch" zu bezeichnen pflegen.
Der Sohn ist gar unter den Augen des Vaters aufgewachsen, arbeitet seit 1265 schon, aktenmässig
genannt, gemeinsam mit andern Gehilfen in der väterlichen Werkstatt und ist nach der Kanzel des
Domes zu Siena jedenfalls an dem Brunnen auf dem Domplatz von Perugia so stark mit dem
Hauptmeister beteiligt, dass es Manchem unmöglich scheint, das Eigentum des Einen von dem
des Andern zu scheiden.
Und doch, — betrachten wir die eigensten Werke des Nicolaus und die des Johannes nach
einander, ohne des engen Familienbandes zu achten, das ihre Urheber verknüpft, so könnte nach
gewöhnlichem Bedünken ein Jahrhundert zwischen ihnen verflossen sein. Nach dem Zeugnis der
Denkmäler ist Nicolaus der spätgeborene Sohn einer alten Zeit, Johannes der erstgeborene einer
neuen. Und unseres Erachtens sollte dieses Zeugnis der Werke in der historischen Darstellung
Recht behalten, auch gegen den Ausweis des Kirchenbuchs!
Die Marmorkanzel im Baptisterium zu Pisa von Nicolaus und die Marmorkanzel in St. Andrea
zu Pistoja von Johannes sind die beiden wichtigsten Belegstücke; denn sie bieten die nämliche Reihe
von Darstellungen und bestätigen so Schritt für Schritt den weiten Abstand, eine Kluft in der
kurzen Spanne Zeit zwischen 1260 und 1301, wo sie entstanden. Bis jetzt aber hat die Betrachtung
des ersteren Werkes sich immer durch die Nachahmung der Antike, die unläugbar darin auffallen
muss, vom Erfassen der Hauptsache und so vom eigentlichen Verständnis des Meisters ablenken
lassen. Deshalb stellen wir eine andere Arbeit an die Spitze: die Kreuzabnahme im Bogenfelde
des Nebenportales am Dome zu Lucca. Darin ist enthalten, was Nicolaus von Pisa selber war nach
dem glühenden Wunsche seines Herzens; da ist die Triebkraft, die ihn angespornt hatte, die herr-
lichen Überreste antiker Skulptur mit emsigem Bemühen anzueignen, in ihrem Wesen erkennbar.
Aus rohen Stämmen ist ein niedriges Kreuz errichtet, mit aufgeschütteten Steinblöcken, aus
denen der Schädel Adams hervorblickt, zur Sicherung am Fusse, und der Querbalken erscheint in
natürlicher Krümmung abwärts gebogen, der Linie der umfassenden Wölbung gemäss. Von links
her kommend tritt Joseph von Arimathia mit dem rechten Fuss noch auf den Erdboden, mit dem
linken gegen den Steinhaufen, und umfasst mit kräftigen Armen den entseelten Leib, dessen Hände
schon vom Holze gelöst sind. In lebendiger Bewegung sich selber Halt schaffend, stützt er zugleich
mit Brust und Schulter, die sich aufwärts drängen, die Last des Körpers, welcher am Kreuzesstamm
herabgleitet, so dass das Haupt, der eigenen Schwere folgend, seitwärts auf die Achsel des rechten
Armes sinkt. Auf der andern Seite des Kreuzes, rechts gegen das Geröll, kniet Nicodemus, bemüht
in dieser kauernden Haltung mit einer Zange den Nagel auszuheben, der beide Füsse auf dem
Brettchen festhält. Das rechte Bein des Gekreuzigten ist über das linke geschlagen, und so die
Beugung der Knie nach vorn und links, zu Joseph herüber, geschickt motiviert, während sonst in
allen Krucifixen jener Zeit der schlanke Körper eine weit ausladende Bogenlinie bildet. Maria und
Johannes haben die beiden Arme Christi erfasst, der Jünger rechts hinter Nicodemus, die Mutter
gegenüber dicht neben Joseph, — an ihren gewohnten Plätzen unter dem Kreuz, — und jeder netzt
sein Teil mit Tränen. Maria trägt den ganzen Arm, wie einst das Kind, auf ihren Händen und
neigt, darauf niederschauend, ihr gramerfülltes Haupt, während der Scheitel des Toten sich dem
ihren nähert. Johannes fasst nur die Hand mit der seinen und lehnt die Wange an den Arm, wie
er einst an des Meisters Brust gelegen. Das sind die Hauptgestalten. Dann folgt der Hauptmann
Longinus in römischer Kriegertracht. Auf die Lanze gestützt, das Schwert an der Seite umspannend,
blickt er gläubig auf zu dem Gottessohn. Ganz rechts in der Ecke kniet ein bärtiger Mann, der
auf verhüllten Händen einen Korb hält. Die blutige Dornenkrone, die man vom Haupt genommen,
und die Nägel aus den beiden Händen sind darin; der Träger wartet, auch den letzten Nagel zu
empfangen, der soeben gelöst wird. Drüben zur Seite Marias steht eine andere der Frauen, wol
Magdalena, in wehmütiges Schauen verloren, und in der Ecke kniet eine Dritte mit einem Tuch über
dem Arm und einem SalbÖlfläschchen in der Hand, den Toten für das Grab zu bereiten.
— 5 —
So bildet das Ganze in dem engen Rahmen, der das Bogenfeld umschliesst, einen woldurch-
dachten Organismus, der nach eigenem Bildungsgesetz in diesem Raum gewachsen scheint. Alle
Bewegungen sind klar erfasst und greifen wirksam in einander. Alles ist echt plastisch in körperliche
Aktion aufgelöst, und diese entwickelt sich nicht hastig und bunt, sondern ruhig und fühlbar vor
unsern Augen. Wir haben das Werk eines Meisters vor uns auf der Höhe seiner Kraft. Die glück-
lichste Wahl eines Bewegungsmotives, das den Keimtrieb des ganzen Bildwerkes enthält, hat diese
Leistung über die vorgeschriebenen Bildercyklen an den Kanzeln hinausgehoben und ihr die hohe
Anerkennung gesichert, die sie verdient. Einsichtige Forscher müssen dieses Marrriorrelief in Lucca
als die Krone der künstlerischen Tätigkeit des Meisters Nicolaus betrachten. Der wahrhaft bild-
nerische Gehalt auch im christlichen Stoffe, der hier zu Tage gefördert ist, die grandiose Kraft, mit
der sich physische und psychische Bewegung verbinden, Handeln und Empfinden zugleich in sicht-
barer Gestaltung erscheinen, — dies Gelingen setzt das eine Werk in Zusammenhang mit den grössten
Meistern der italienischen Skulptur, mit Donatello und Michelangelo.
Solch eine Schöpfung gelingt nur als Ausdruck der eigensten Sinnesart, wenn die Flamme
der Begeisterung aus der Tiefe des Künstlerherzens hervorbricht. Haben wir an der Kanzel zu Pisa
vom Jahre 1260 die Nachahmung antiker Vorbilder in den biblischen Geschichten, am Marmorschrein
zu Bologna 1267 in der Legende des heiligen Dominicus den ersten Versuch zur Gestaltung zeit-
genössischen Lebens, so offenbart sich hier in Lucca in glücklichstem Einklang der Ausdruck des
eigenen Empfindens.
„Wo ein Aufschwung im Gebrauch der Technik stattfindet", — schreibt Herman Grimm bei
Gelegenheit der Pisanofrage — „dürfen immer Ideen vorausgesetzt werden, zu deren Darstellung es
den Meister drängte, die er jedoch mit der vorhandenen Technik nicht wiederzugeben vermochte,
die ihn also zu suchen zwangen. Das allein hätte Nicolaus bewegen können, sich die Mittel der
antiken Meister anzueignen. Welche Ideen aber waren es, die ihn diese höhere Fertigkeit zu
gewinnen drängten? . . . Die Ideen fehlten offenbar. Es wäre also nur der unbestimmte Reiz der
vortrefflicheren Arbeit gewesen, die Schönheit." —
Ja, die Schönheit, und sie allein! müssen wir antworten. Freilich nicht die äusserlichen Vor-
züge der technischen Vollendung, der Wert überlegenen Verfahrens, die dem ausübenden Künstler,
der die Kräfte seiner Hände täglich erprobt, allerdings Veranlassung genug zu andachtsvollem
Wundern und sehnsüchtiger Einkehr gaben, — besonders dazumal, wo von gleichmässig geübter
Technik sehr wenig als gemeinsames Besitztum überiiefert ward. Nicht der unbestimmte Reiz vor-
trefflicherer Arbeit, den auch ein Steinmetz noch am Kunstwerk wol empfinden kann; sondern die
Schönheit, die aus allen Gestalten der antiken Überreste immer klar und lebendig hervorleuchtet,
die Schönheit des Menschenbildes vor allen Dingen, in ihrer mannichfaltigen Offenbarung, wie sie
den geringsten Abkömmlingen hellenischer Kunst noch gelang.
Giebt es denn damals, auch mitten im christlichen Mittelalter, nur christliche Ideen, die den
Bildhauer bestimmen konnten? Sollte ihm, dem Künstler, sei es in natürlichem Einverständnis mit
seiner besten Anlage und liebsten Betätigung, oder im bewussten Gegensatz zu den asketischen
Dogmen der Staatsreligion, nicht der Wert des menschlichen Leibes aufgegangen sein, in dem wir
nun einmal leben und weben? Sollte er, wo christliche Lebensformen diesen Wert entrücken und
verdunkeln mochten, nicht beim Anblick der bacchischen Vase und des Hippolytos-Sarkophages zu
Pisa, wie so manches andern antiken Beutestückes, das seine seefahrenden Landsleute heimgebracht
und als Schmuck bei den Heiligtümern der Stadt im Umkreis des Domes selber aufgestellt, in
dieses edelste Mysterium hellenischen Natursinns eingeweiht sein, ohne dass er sich verstandesklar
darüber Rechenschaft gab, wie er darob zum Heiden werden könne?
Es geht ein stolzes Bewusstsein von der eigenen Kraft des Lidividuum.s durch das Jahrhundert,
in dem er lebte; der Hohenstaufenkaiser, mit dessen Musenhof man auch diesen antikisirenden
Bildner so eifrig zusammenzubringen versucht hat, war nicht der Einzige, der solcher Gesinnung
huldigte. Gewaltige Männer und stattliche Frauen, ausgerüstet mit allen Gaben, die das Dasein
bieten und erfordern kann, übermütige Jünglinge und frische Knaben, energisch hässliche Weiber
selbst und wolgenährte Mönche, ja strotzende Kinder auf dem Mutterarm sind die Freude der
besten und vornehmsten Kreise damals, die Lust der Künstler vollends im Norden wie im Süden.
Nur Italien gelangt spät, in letzter Stunde gleichsam, zum bildnerischen Ausdruck dieses Fühlens. '
Und Nicolaus von Pisa ist der Träger dieses Wollens. Es ist die allerheiligste Idee des
bildnerischen Schaffens überhaupt, die ihn beseelt. Solche Menschen zu machen begehrt er mit der
Glut eines echten Künstlerherzens, und das anfängliche Unvermögen seiner armselig geschulten
Hände musste dies Verlangen nur steigern, wie unbefriedigte Leidenschaft. Deshalb giebt er sich
in die Schule der antiken Kunst, wo er solche Erscheinungen findet, und ringt in dem sichtbaren
Zwiespalt zwischen Wollen und Können. Ein herrliches Weib, das er auf etrurischer Aschenkiste
ruhen sah, begeistert ihn, den Wert solches Daseins noch einmal zu gestalten, und sie wird ihm
zum Ausdruck des hohen Ideales der Kirche: zur Gottesgebärerin. Der Anblick eines vollbärtigen
Mannes, der in weinseligem Zustand noch die grossartige Fülle seiner Kraft bewahrt, bestimmt ihn,
den indischen Bacchus zum Hohepriester Jehovas selber zu weihen. Vor der nackten Schönheit
hellenischer Jünglinge und den bemähnten Häuptern des edelsten Tieres, das dem ritterlichen
Geschlecht der Kreuzfahrer der liebste Gefährte war, betet er den Psalmenvers: ,.Ich habe Wol-
gefallen an des Rosses Stärke wie an Jemandes Beinen," mit Unterschleif eines einzigen Wortes, der
asketischen Verneinung, und in vollstem Einverständnis mit dem Schöpfer, der nach Moses sich am
siebenten Tage eingestand, seine Kreaturen seien wol gelungen. Selbst die Juden noch, die er —
als elende Spötter unter dem Kreuz — in den Augen seiner Gemeinde brandmarken soll, so arg es
geht, werden ihm mit ihren langen Barten und breiten Kapuzen lieber als er denkt, und sie spielen
gar unerlaubt auf seiner Kreuzigung eine prächtige Figur. Und nun sein Christus vollends am
Kreuzesstamm'. Ist es nicht ein Heldenleib, den man schmählich an das Holz genagelt, ein Mann
in der Vollkraft seiner Jahre von herkulischer Bildung in allen Gliedern — gerade so wie bei Dona-
tello! Der Sohn der Jungfrau ist ihm unversehens zum Sohne des Jupiter geworden. Und er liefert
I Zur selben Zeit reifen in Deutscliland die letzten Meisterwerke der romanischen Skulptur wie die Stifterstatuen
im Dom von Naumburg an der Saale (urkundlich um 1260!). Vgl. die INIeisterwerke der deutschen Bildnerei des Mittelalters
herausgegeben von A. Schmarsow und E. v. Flottwell, Magdeburg. Heft I.
uns gar den Nachweis dieser Herkunft an der Kanzel zu Pisa selbst; denn da steht die christliche
Tugend „Fortitudo" in der leibhaftigen Gestalt des nackten Herakles mit Löwenfell und Keule.
Kann es noch zweifelhaft sein, wo die Ideen zu suchen sind, die in diesem Bildner nach Aus-
druck ringen? Und doch ist es unbillig, ihn als Heiden und Ketzer zu steinigen, oder auch nur ihm
vorzuwerfen, das religiöse Gefühl versage bei ihm durchaus. Das Urteil freilich darf allein bei einer
Aufgabe gefällt werden, wo auch das bildnerische Schaffen sein Genüge findet, wo die christliche
Empfindung nicht rein passiv verharrt, und was die Herzen innedich bewegt, nicht in untätigem
Beharren nur sich offenbaren darf. In diesem Sinne wird uns die Kreuzabnahme in Lucca zum
wertvollsten Zeugnis seines eigensten Wesens, in diesem Sinne zum Höhepunkt seiner Künstler-
laufbahn. Das religiöse Gefühl dieses Mannes ist freilich nicht sentimental, etwa wie das des heiligen
Franciscus, nicht nervös und aufgeregt; aber welche Tiefe des Nachempfindens setzt eine Erfindung
voraus, wie diese Abnahme vom Kreuze! Es ist der grosse objective Schöpfergeist des echten
Künstlers, den wir vor uns haben; er denkt wie die Antike, nur im Gedankenkreis seines eigenen
Jahrhunderts. Das war für den Plastiker der höchste Triumph.
Damit aber ist Nicolaus von Pisa als der frühe Vorläufer einer neuen Glanzzeit erwiesen, die
länger als ein Jahrhundert auf sich warten Hess, bis Donatello kam, und kein Jahrhundert dauerte,
bis Michelangelo die Menschenform mit Geist erfüllte, dass sie sprang, — zugleich aber als der
Letztling einer Kunstperiode, die mit ihm dahin sinkt. Denn sowie Nicolaus die Augen schliesst,
ist auch das Trecento in Italien erwacht, und alle stolzen Ideale des Bildners von Menschenwert
und Leibesschönheit zerstieben wie die Marmorspreu unter dem genialischen Meissel — des eigenen
Sprösslings.
Schärfer scheiden sich wol nirgends die beiden Weltanschauungen, die aus der sogenannten
spätromanischen und frühgotischen Kunst so sprechend sich auch uns noch offenbaren, als zwischen
Nicolaus von Pisa und seinem eigenen Sohn Johannes. Nichts ist lehrreicher als ein vergleichender
Blick auf die Darstellung des Kreuzestodes an der Kanzel von St. Andrea zu Pistoja, Giovannis
Meisterwerk von 1301. Bis auf wenige Zutaten giebt er die selbe Komposition wie sein Vater an
der Kanzel zu Pisa. Aber welch ein Unterschied in allen Teilen!
Der Christus seines Vaters war ein Göttersohn, eine Hünengestalt, die man ans Kreuz genagelt,
ohne ihre Schönheit und Manneswürde zu verletzen. Und ein König bleibt es, der gestorben. Der
Christus des Sohnes hat für das Leben schon von Mutter Natur nur spärlich die Gaben entliehen,
— nur soviel, scheint es, um unter den Erdenkindern zu wandeln und ihnen die Nichtigkeit alles
Fleisches zu predigen. Im Tode vollends erscheint der nackte Körper, der am Holze hängt, nur
wie ein armes gebrechliches Gefäss aus Haut und Knochen — ein Jammerbild. Die Brust ist ein-
gefallen, der Leib geknickt, der ganze schwache Bau zusammengesunken. Nur das Haupt, das zur
Seite geneigt vornüber fällt, bewahrt in seinen edlen durchgeistigten Formen selbst im Elend noch
ein Hoheitszeichen. Die grosse Seele, die mit ihrer Liebe die Welt umfasst, entfloh aus diesem
dürftigen Gehäuse, — das sagt der Anblick, und das will er eben. Doch nicht genug; der Kriegs-
knecht mit der Lanze ist gerade im Begriff, das Eisen in die Seite des Gekreuzigten zu stossen, und
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links uncPrechts hängen auch die Sünder, die man mit ihm ans Kreuz gebracht, und blicken, hier mit-
leidig und fromm, dort hadernd und verstockt, auf den Dulder, der nun ausgekämpft hat, in ihrer Mitte.
Das ist die Zutat, die Johannes von Pisa zur Steigerung der Schmach und Not hier einführt, um
seine Gläubigen noch stärker zu erschüttern. Und Entsetzen erfasst die versammelten Juden, wie
unter dem Anblick des Mordes. Wie vom Sturme gejagt stürzen sie hinaus; nur betroffen, furchtsam
oder schaudernd blicken einige sich um, zu schauen, ob er tot sei, den sie hassen. Zum Gehen
gewandt, streckt auch der Hauptmann Longinus die Hand empor, zu bekennen: dieser war Gottes
Sohn. Drüben aber, wo die Seinen bei einander stehen, erhebt sich der Schmerz in seiner ganzen
Stärke. Wie ein schneidig Schwert durchdringt er die Mutter, die hier wie tötlich getroffen
zusammenbricht. Bebenden Kniees sinkt sie in die Arme der Frauen, die sie sorgend umgeben,
und haltend zugleich zum Kreuze emporblicken. Johannes fasst ihre Hand, bemüht, an Sohnesstelle
tröstend teilzunehmen; aber das eigene Weh verzerrt sein Antlitz, das sich zum Herrn herumwendet,
mit dem auch er seinen Halt verloren. Lauter denn alle jammert Magdalena, mit aufgehobenen
Armen, und richtet ihre Klage wie völlig selbstvergessen an den Toten hin.
So vertiefen sich alle Züge, beleben sich innerlich alle Beziehungen und steigert sich das
Ganze unter dieses Künstlers Hand zu hochgradiger Erregung. Alle Ruhe der Personen ist ver-
gessen, alle Schönheit der Formen wie des Angesichts geopfert, nur der Ausdruck dessen, was
die Seele bewegt, wird hervorgetrieben und wirksam so auch dem Betrachter zu Gemüte geführt.
Durchgehends sind die Gestalten in kleinerem Mafsstab gegeben, schlanker und feiner
gebildet. Nirgends überwiegt mehr die Freude an der Erscheinung des stattlichen Leibes, sondern
überall nur Bewegung und Anteil, bis zu pathetischer Gestikulation, als dringe der Wehlaut aus ihrer
Kehle und stelle das Wort sich vernehmlich ein. Der Körper ist diesem Bildhauer nichts mehr als
das ausdrucksfähige Gefäss der Seele, die gewaltsam hervorbricht und ungeduldig an dem Gefängnis
rüttelt, das ihr volles Ausklingen noch einschränkt. Deshalb wird von dem Knochengerüst und
Gliederbau des Leibes unter der Gewandung nur soviel angedeutet oder durchgeführt, als zum Ver-
ständnis seiner eingreifenden Bewegung o'der seiner sprechenden Gebärde notwendig gefordert wird.
Damit freilich eröffnet sich der Künstler die Darstellungsfähigkeit der ganzen Tragik christ-
licher Stoffe, erschliesst er die ganze hinreissende Poesie seelischer Schönheit, und beginnt in genia-
lischem Gebahren mit seinen Marmorgebilden zu dichten, so reich und so innig wie kaum ein Zweiter
in Italien. Nicht breit gelagert entfalten sich patriarchalische Propheten, sondern wie in sich hinein-
geschlungen kauern sie, nur noch mimetische Symbole des Gedankens. Nicht hochragend erheben
sich stolze Sibyllen als persönliche Verkünderinnen der Wahrheit, sondern erbebend empfangen sie
die Kunde; zitternden Leibes horchen sie wie angedonnert der inneren Stimme, oder winden sich
wie ein schwankes Rohr unter dem Sturm der Begeisterung. Aber wie energisch redet der Engel
im Traum zu den Königen; wie bezeichnend hat er den linken Arm auf die Brust des Schlafenden
gestützt und erhebt die Rechte hinausweisend in die weite Ferne! Wie gutmütig rührt er den
schlummernden Joseph an der Schulter und rät ihm freundlich zu dem Rettungsweg! Ganz Demut
und Verehrung ist der greise König, der seine alten Glieder vor dem Kinde beugt und das Füsschen
des Kleinen zum Kuss an seine Lippen führt. Welch innige Holdseligkeit erfüllt die Mutter bei
dieser Huldigung, durch alle Glieder ihres schlanken Leibes bis hinein in den Blick der Augen, deren
seelenvolle Tiefe wir zu sehen glauben! Das ist die Kunst dieses wunderbaren Mannes, dem wir
statt des Meisseis manchmal den Pinsel oder Zeichenstift gegeben wünschten, oder daneben alle
Mittel der Sprache gönnten, nur voll zu sagen, was er im Menschengebilde geschaut und empfunden. ^
Wer möchte läugnen, dass wir damit weit entfernt sind von dem natürlichen Ausgang und
dem eigentlichen Wesen der plastischen Kunst, dass diese Seelenbildnerei in Marmor nur noch an
wenigen Banden mit der leibhaftigen Körperlichkeit zusammenhängt, aus deren freudiger Wert-
schätzung und gesunder Entfaltung die Gestaltenbildnerei einst hervorgegangen, aus der sie in glück-
lichem Gelingen zur Zeit hellenischer Blüte ihre besten Kräfte empfangen, und zu der auch jetzt
wieder Nicolaus von Pisa wie zum echten Quickborn sich zurückgewendet hatte!
Man betrachte nur einmal die jämmerliche Figur, die aus dem antiken Herakles geworden,
wo Giovanni ihn als Vertreter der Stärke an der Kanzel des Domes zu Pisa (jetzt als Fragment im
Camposanto) verwendet, also sein Ideal eines nackten Mannes in vollster Kraft, — und vergleiche
sie mit dem nächsten Vorbild, der Fortitudo an der Kanzel seines Vaters im Baptisterium. Sonst
ist es überall die christliche Entfremdung von der irdischen Grundlage der menschlichen Existenz,
eine weit getriebene Durchgeistigung der realen Natur, die wir vor uns haben. Und sollten wir das
Wesen dieser Bildnerkunst Giovannis charakterisieren, so müssten wir im Hinblick auf verwandte
Erscheinung in der Architektur wol sagen: ganz ähnlich wie dort die Auflösung des Massenbaues
in einen Gliederbau systematisch vollzogen wird, ist es hier die Auflösung der Körpermasse in ihre
Glieder, ja bis in ihr Knochengerüst, die Darstellung der Konstruktiven mit möglichster Verringerung
aller nur füllenden und umhüllenden Teile.
I Vgl. unsere Abbildung des Christuskopfes nach dem in Holz geschnitzten und bemalten Crucifixi
1 Pistoja (Phot. V. Brogi).
— II —
Die mimische Funktion jeder Figur in der Oekonomie des Ganzen lässt sich vielfach —
gerade so wie in den ergreifendsten Malereien des Giotto — auf ein paar Linien zurückführen, etwa
wie in flüchtiger Andeutung des Skelettes, oder so, wie Villard de Honnecourt seine Gestalten ent-
wirft. Diese Runen aber, richtig herausgezeichnet, diese geraden Linien, die sich hoch aufrecken
oder in sich zusammenknicken, diese einfachen Kurven, die sich beugen und winden, mit den Hebel-
armen in mannichfaltiger Stellung zu einander, mit den Ovalen auf der Spitze, die sich zurück oder
vorwärts oder nach einer Seite neigen, — diese Symbole menschlicher Gebärdensprache geben als
Gesamtbild das ganze ausdrucksvolle Wesen, das leidenschaftliche Pathos seiner Schöpfungen wieder.
Doch wäre es unrichtig, den Charakter der Kunst Giovanni Pisanos allein aus seinen Relief-
skulpturen bestimmen zu wollen, oder nur die Statuetten herbeizuziehen, die an Ecken und Trägern
seiner Kanzeln in fühlbarer Abhängigkeit vom grösseren Ganzen erscheinen. Auch die Freifiguren
müssen zu Worte kommen. Sie sind unstreitig durch entschiedene statuarische Haltung ausgezeichnet.
So die herrliche Madonna im Bogenfelde des Hauptportals am Baptisterium zu Pisa oder am
Scrovegni-Grabmal der Cappella dell' Arena zu Padua, ja selbst die kleine Elfenbeinstatuette der
Cappella della Cintola im Dom zu Prato. Und doch verdanken auch sie ihre Wirkung nicht dem
eigentlich plastischen Princip, der befriedigten Entfaltung des ganzen Leibes in seiner ausdrucksvollen
Bedeutung, als vielmehr einer fremden Potenz, deren Erkenntnis
wiederum bezeugt, was wir herausstellen möchten. Johannes
von Pisa ist trotz der Gestaltenfülle, die er in überströmender
Schaffenslust hervordrängt, durch und durch Architekt, — eben
als gotischer Baumeister geschult' Seine Statuetten an den
Kanzeln haften mit dem Rückgrat in dem architektonischen
Gliede, das sie schmückend vertreten, und beugen sich in Aus-
übung dieser besonderen Funktion unter das Gesetz des Baues,
dem sie dienen. Das verrät ganz deutlich noch die kleine
Madonnenfigur im Museum zu Beriin, die mit ihren auffallend
kurzen Proportionen und ihrer abhängigen Haltung unzweifel-
haft einst dem Zwischenpfeiler einer Brüstung vortrat. An
gewisser Stelle geht "' die organische Form gleichsam in die
tektonische über, und der beseelte Madonnenleib wird wieder
zum Marmorblock. Dagegen befreit sich die Auffassung beinahe
ganz in der würdigen Priestererscheinung am Eckpfeiler der
Kanzel zu Pistoja, wo der Meister sich offenbar fast ebenso
unbeirrt der Natur selbst gegenüber befindet, wie in der Porträt-
figur des Scrovegni zu Padua, die unabhängiger für sich be-
stehend, noch architektonischer befangen bleibt. Statt des
biblischen Aaron oder eines jüdischen Leviten giebt Johannes
das persönliche Abbild eines Geistlichen aus eigener Umgebung
in Pistoja.
Auch aus den freistehenden Statuen des Giovanni Pisano
spricht stets die architektonische Grundform. Sie steigen von
viereckigem Sockel zu einem Höhepunkte empor, verjüngen sich
konisch nach oben, gipfeln im Kopf fast wie in einer Spitze
mit Kreuzblume darauf; — sie sind organisch aufgelöste Fialen-
risen. Oder, geht unser Auge von der Betrachtung des aus-
drucksvollen Hauptes der Madonna, der Arme mit dem lebendig
bewegten Kinde aus, so nimmt die Beseelung fühlbar ab, je
weiter wir abwärts blicken, und der Marmorblock als vierkantige
Pyramide macht sich schon im reichen Gewände, das den
Boden berührt, als tektonische Masse kenntlich. Enthält nicht
die Halbfigur im Camposanto zu Pisa alles, was das Frauen-
bild als solches zu sagen hat?
I Also entweder bei Arnolfo dem Kompagnon seines Vaters, besonders in Siena, oder sonst in französischer
Bauhütte vor der Vollendung des Baptisteriums und dem Beginn des Camposanto von Pisa.
- 13 —
Genug, wir finden in diesen Einzelgestalten des Meisters Johannes nur bestätigt, was wir den
Reliefgeschichten bereits abgewannen: der Sohn des Nicolaus von Pisa gehört der strengen archi-
tektonischen, auf konstruktive Berechnung gerichteten Künstlergeneration; er ist ein entschiedener
und eifriger Vertreter der „Gotik." Aber spricht denn nicht deutlicher, als dieser Einfiuss des
Architekten auf den Bildhauer in einer und derselben Person, seine Auffassung der menschlichen
Gestalt in mannichfaltiger Beziehung, sein Drang nach Abstreifung des Fleisches zu Gunsten des
mimischen Apparates aus Knochengerüst und Sehnenbändern, — spricht nicht deutlicher als alles
Übrige die grundverschiedene Empfindung, die wir beim Vergleich mit seinem Vater überall hervor-
brechen sehen? In seinem eigensten Innern allein giebt es eine Antwort auf die Frage, weshalb
sich der Sohn vom Vater losgesagt und die Formen der Antike, in denen er geschult war, die
teuerste Errungenschaft seines Lehrers, wieder aufgab? Mit der ganzen Leidenschaft religiöser
Begeisterung wirft er die Schönheit des kraftvollen Menschenleibes von sich, um nach dem Ausdruck
der Seele, der Schönheit des Innern Menschen allein zu ringen.
Ist es erlaubt, zwei so verschiedene, so gründlich entgegengesetzte Erscheinungen in der
Geschichte der Bildnerkunst zusammenzujochen, weil sie zeitlich, örtlich, persönlich so nahe stehen?
Nur das enge Familienband rechtfertigt einigermafsen die gewohnte Verbindung beider Künstler in
unserer historischen Betrachtung; aber auch nur, so lange sie eben biographisch bleibt. Sobald uns
die Kunst als notwendige Äusserung des Menschengeistes, ihre Geschichte als ein unveräusserlicher
Teil der Menschheitsgeschichte erscheint, werden Nicolaus und Johannes von Pisa zu zwei voll-
ständig durchgebildeten Typen verschiedener Entwicklungsphasen. Der Vater gestaltet aus einer in
sich befriedigten Weltanschauung heraus, der vollen Bedeutung des eigenen Leibes wol bewusst,
und bezeugt so das selbe Daseinsgefühl in Italien, das eine Reihe glücklicher Meisterwerke französi-
scher und deutscher Skulptur uns für den Norden ausser Zweifel stellt. Der Sohn, im Vollbesitz
dieses Könnens, gerät in offenen Zwiespalt mit diesem Ideal der spätromanischen Kunst, und wirft
sich mit Eifer der kirchlichen Auffassung in die Arme, welcher dieser irdische Leib nur als eine
vergängliche, wertlose, ja hassenswerte Hülle gilt, die, so lange wir in ihr hausen, nur als aus-
drucksfähiges Gefäss der unsterblichen Seele Bedeutung empfängt. Wie die Kirche den Einzel-
menschen nur als Glied des strenggeordneten Gottesreiches anerkennt, so gestaltet dieser Architekt
seine Menschengebilde nur in Abhängigkeit vom strenggegliederten Aufbau eines grösseren Ganzen
und wird so zum ausgeprägten Vertreter des „gotischen" Empfindungslebens.
Der Bruch zwischen Vater und Sohn bedeutet die Scheidung zweier Menschenalter, zweier
langen grossen Kunstperioden, in die das ganze Mittelalter sich auseinanderlegt'
' Der Aufsatz ist zuerst in „Nord und Süd" L. 152 erschienen; Näheres dann ausgeführt in des Verfassers
a", Breslau, .Schottländer 1890.
ANDREA PISANO
Es giebt Künstler, deren Schöpfungen so sehr im Mittelpunkt ihrer Kulturepoche stehen,
dass wir ferne Geschlechter sie unwillkürlich als typische Äusserungen des Zeitgeschmackes betrachten.
So verschwindet die Persönlichkeit des Meisters für uns hinter seinem Werke, wir vergessen die
schöpferische Tat, die dazu gehörte, gerade diesen Inhalt in dieser Form vollendet und mustergiltig
zum Ausdruck zu bringen, und statt des einen hochbegabten Mannes wird uns der Zeitgeist zum
Urheber solcher Gebilde. Das Eigentumsrecht verschiebt sich, ohne dass wir uns bewusst werden,
dem Einzelnen Unrecht zu tun, und wir sind um so mehr aufgelegt, seinen eigensten Anteil zu
unterschätzen, je glücklicher und harmonischer die Verkörperung gelungen, je weniger wir von der
Mühe und Anstrengung merken, welche die Arbeit gekostet. Ja, wir vergehen uns wohl schlimmer
noch, wenn die Formen, rein und fliessend, den Inhalt klar und unverkümmert versinnlichen; wir
denken geringer von der geistigen Bedeutung des Künstlers, der vollendet schafft, als von dem, der
sichtlich zu kämpfen hat, der Rätsel aufgiebt und Dunkelheiten übrig lässt. Nur der Letztere scheint
uns gedankenvoll, während der Andere nur ausspricht, was in der Luft lag, oder als Werkzeug einer
höheren Inspiration hervorbringt, was diese ihm eingiebt.
So verfahren wir mit Raphael gegenüber Michelangelo, so mit Overbeck gegenüber Cornelius,
so mit Thorwaldsen und vielen anderen. In gewisser Beziehung kann man dasselbe sagen von dem
Hauptvertreter florentinischer Wandmalerei vor Raphael, Domenico GTiirlandajo. In vollem Umfange
möchten wir es von dem Manne behaupten, dem unsere heutige Betrachtung gelten soll, von dem
edelsten Meister gotischen Bildnerstiles in Toscana, Andrea Pisano.
Er steht mit seinen Bronzetüren am Florentiner Baptisterium recht eigentlich im Mittelpunkt
plastischen Schaffens während der ganzen Epoche, die wir mit dem Namen „Trecento" oder
„Gotik" bezeichnen. Giovanni Pisano ist ihr Begründer, Orcagna ihr heimlicher Zerstörer, Andrea
Pisano ihr reinster Repräsentant, gleichsam Idealtypus für das Wollen und Können dieses Stiles, —
und hat deshalb das Schicksal, von uns als Durchschnittsmafs behandelt zu werden, als „Commonplace",
wie die Engländer sagen, — ebenso unverdient, wie Domenico Ghirlandajo und Raphael.
Andrea Pisanos Reliefs an der Pforte des Baptisteriums sind für alle Marmorbildner und
Goldschmiede seiner Tage zu Florenz eine Schule des Geschmacks geworden. Selbst Lorenzo
Ghiberti, der gefeierte Meister der beiden anderen Bronzetüren, verdankt diesem Vorgänger ein
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gut Teil seines Könnens und seiner Weisheit, die ihn zu den herrlichsten Verwirklichungen der
Schönheit befähigten. Nach diesen Früchten der Folgezeit, die unmittelbar daneben vor aller Augen
stehen, betrachten wir die Leistungen Andreas fast als selbstverständliche und natürliche Voraus-
setzungen, und vergessen, dass sie neue Taten sind, deren Zustandekommen selbst noch Er-
klärung heischt.
Statt einer hölzernen Türe, die aus kleineren, mehr oder weniger vielteilig zusammengesetzten
Platten und festem Rahmenwerk herum bestand, und höchstens zu festerer Haltbarkeit mit Eisen-
blech beschlagen, mit Nägelköpfen besetzt und mit ausgeschnittenen Zierstücken innerhalb der
Kassetten geschmückt war, jetzt eine ganz eherne Türe in Bronzeguss herzustellen, bedeutet einen
grossartigen Entschluss der florentinischen Gemeinde. Es galt den Wettstreit mit Pisa aufzunehmen,
das bis dahin durch seine glänzenden Bauten, seine Architekten und Bildner weit und breit berühmt
war, ja den Mittelpunkt monumentalen Schaffens zu bilden schien. Jetzt war auch in Florenz von
anderer Seite her ein Anfang gemacht worden. Nicht die Plastik, sondern die Malerei war durch
Cimabue und Giotto zu gleicher Höhe getragen, daneben auch hier gebaut, und wie der Dom zu
Pisa mit ehernen Türen prangte, sollte nun auch am Tempel des Schutzpatrons von Florenz
S. Giovanni, dem Dom gegenüber, ein ähnliches Werk den Stolz der Weifenstadt verkünden.
Aber in Florenz sind damals ausser seinen Malern, oder gar dem einzigen Giotto, nur Gold-
schmiede auf der einen und Steinhauer auf der andern Seite vorhanden. Die Bildnerei hatte bisher
keine Stätte gefunden; ja es ist merkwürdig zu sehen, wie die grossen Meister von Pisa, Niccolo,
Fra Guglielmo, Giovanni Pisano und ihre Genossen an den Toren von Florenz vorbeigehen, nach
Lucca und Siena, nach Pistoja und Bologna, nach dem entlegenen Padua nordwärts und nach
Perugia, nach Neapel südwärts berufen werden, selbst in unmittelbarster Nähe zu Prato erscheinen,
während die Hauptstadt Toscanas kein Werk ihrer Kunst aufweist. Florentinische Steinmetzen
werden ihre Schüler, aber wandern aus und finden anderswo, wie in Siena z. B. ihre Wirksamkeit.
Auch Andrea di Ugolino, aus Pontedera gebürtig, nennt sich wie mit einem Ehrentitel „Pisano".
Ein Goldschmied wird zum Vertrauensmann der Arte di Callemala gewählt, als diese
Genossenschaft, der die Sorge für das Baptisterium oblag, den Beschluss fasste, eine Bronzetür
machen zu lassen. Piero di Jacopo erhält den Auftrag, nach Pisa zu gehen, die ehernen Pforten
des Domes genau zu prüfen und eine sorgfältige Abbildung davon anzufertigen. Dann soll er nach
Venedig reisen, um einen guten Meister in Metallguss zu finden. Also was heisst das? In Florenz
war kein Mann vorhanden, welcher der eigentlichen Technik, auf die es ankam, näher gestanden wäre.
Auch in Pisa, wo um 1180 Bonannus die ehernen Türen des Domes gearbeitet, von denen
wenigstens eine noch erhalten ist, und wo er andere für Süditalien, nach Monreale geliefert, erwartet
man im Jahre 1329 nicht mehr einen Bronzegiesser aufzutreiben! Die Technik scheint wieder ver-
loren gegangen, wenigstens ausser Übung gekommen. Und in der Tat muss man sich aus Ober-
italien einen Glockengiesser requirieren, Lionardo del fu Avanzo da Venezia, der sich dann einem
so umfangreichen Werk sogar nicht gewachsen zeigt. Der Guss der Türflügel fällt so krumm aus,
dass man sie nicht aufstellen kann. Ein florentincr Goldschmied, Piero di Donato, soll dem ab-
helfen; aber er getraut sich nicht, aus Furcht, die kunstreichen Reliefs Andrea Pisanos vollends zu
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verderben. Endlich muss dieser selbst das Heilverfahren auf eigene Verantwortung übernehmen,
offenbar indem er den Venezianer Lionardo d'Avanzo, der alles Vertrauen eingebüsst, wieder heranzog.
Denn das ist wol zu beachten, auch Andrea Pisano steht der Technik des Bronzegiessens, beim
Beginne der Arbeit wenigstens, fern. Goldschmiede sind seine Berater, seine Mitarbeiter, ja vielleicht
seine Richter. Die Florentiner Piero di Jacopo, Lippo di Dino und Piero di Donato werden ihm
beigegeben, wo es sich um die Ciselierung des Gusses und um die Vergoldung der Tafeln handelt.
Er selbst mag unter Giovanni Pisano als Marmorbildner und Architekt beschäftigt, vielleicht auch in
Elfenbeinschnitzerei und getriebener Goldschmiedsarbeit erfahren gewesen sein. Auf die Grundlagen
der Comaskentradition zwischen Pisa und Pistoja weisen dagegen die Vorzüge wie die Schranken
seiner Relief kunst.' Manches Symptom, das wir während des Fortgangs der Arbeit beobachten, findet
nur so seine Erklärung. Besonders zu Anfang behalten seine Gebilde vielfach das Aussehen von Gold-
schmiedsarbeit, d. h. von halb erhabenen, aus feinem Metallblech getriebenen, oder gar auf die Fläche
aufgelöteten Figuren ; ebenso die Architekturteile, die Möbel und die sonstigen Requisiten, die Felsen
und Bäume selbst, die er hier und da zur Inscenierung braucht. Erst allmählich findet er sich in
die Bedingungen des einheitHchen Bronzegusses hinein, und es ist durchaus nicht notwendig oder nur
wahrscheinlich anzunehmen, dass die Wachsmodelle, die er vom 22. Januar bis 2. April 1330 herstellte,
samt und sonders ohne Umgestaltung oder Besserung so gegossen worden. Im Gegenteil, wir glauben,
dass er in den zwei Jahren vertrauter Zusammenarbeit mit dem Giesser Lionardo 1330 — 1332, die
künstlerische Tat vollzogen hat, die wir ungeteilt bewundern: die Eroberung eines wohl abgewogenen,
harmonischen Reliefstils. Damit geht er einen völlig andern Weg als seine pisanischen Meister und
erreicht für die italienische Plastik gotischer Gesinnung eine Idealität der Formen und eine Reinheit
des Geschmackes, die gerade im Gegensatz zu diesen Vorgängern eine Segnung ,der florentinischen
Kunst geworden sind. Der Grundzug seiner Komposition bleibt die einfache Reihung der Comasken.
Die Marmorreliefs des Giovanni Pisano sind vielfach mit Figuren überfüllt, jedes Plätzchen
der Marmorplatte benutzt, gleichgültig ob die Gestalten ganz und in ihrer Haltung verständlich sich
entfalten oder nur halb sichtbar, ohne verfolgbaren Unterkörper, in unnatürlicher Verschrobenheit
sich hinter den Vorderen hindurchwinden. Keine Rücksicht auf einheitliches Grössenverhältnis
dämmt diesen Überreichtum ein, der über die Ränder hervorquellend, von tiefen Höhlungen und
kühner Bohrarbeit durchfurcht wird. Diese Nachahmung der spätrömischen Sarkophagreliefs mit
ihren starken Kontrasten von Licht und Schatten wird von Andrea Pisano nirgends auf seine Bronze-
arbeit übertragen. Er beschränkt sich auf wenige Gestalten und eine, höchstens zwei Reihen, die
hintereinander gedacht werden. Selbst in der malerischen Entwickelung der Raumtiefe ist er äusserst
zurückhaltend, gerade weil er von comaskischer Bauskulptur ausgehend der Leistungsfähigkeit des
Bronzegusses nicht allzuviel zumutet, und steht so im natürlichen Gegensatz auch gegen Maler
wie Giotto und noch mehr Orcagna, wo diese für Marmorrelief gedacht haben. Das Einzige, was
I Die Herkunft aus gleicher Schule nach Guido da Como und den Urhebern der Martinslegende, des Monatscyklus und
der Porta S. Regolo am Dom zu Lucca ergiebt sich auch aus dem Vergleich der Einzelarbeit bis in technische Gewohn-
heiten, die bei Niccolo wie bei Giovanni Pisano nicht vorkommen. Auf dieser Grundlage sodann erfolgt die Ausbildung
des gotischen Stiles, der durch Arnolfo oder Giovanni Pisano vermittelt, oder aber in französischer Bauhütte selbst an-
geeignet sein mag.
an gleichzeitigen Vorbildern sonst herangezogen werden könnte, wären die Relieftafeln am Marmor-
brunnen zu Perugia, die Niccolo und Giovanni Pisano zwischen 1277 — 1280 gearbeitet hatten, oder
in Florenz näher liegend, obgleich heute allzusehr entrückt und vergessen, das Grabmal des Patriarchen
von Aquileja, Gastone della Torre (7 1317) im Klosterhof von Sta. Croce und das des Bischofs
Orsi (f 1321) im Dome, das Tino di Camaino von Siena bis 1323, wo er nach Neapel ging, an
der Innenseite der Fassadenmauer neben dem Hauptportal vollendete. Gerade hier ist mancherlei
Verwandtschaft erkennbar, wie denn diese Beispiele von sienesischen Händen aus „Pisaner" Schule
für die florentinische Skulptur die aufmerksamste Beachtung verdienen.
Für Andrea Pisanos Reliefstil war es vielleicht bedeutsamer, dass seine Erfindung, wie bei allen
Comasken vor ihm, von der tektonischen Bestimmung des ganzen ihm aufgetragenen Werkes geregelt
ward. Wenn statt einer hölzernen Türe eine bronzene verlangt wird, so behält der herkömmliche
Charakter eines Türschmuckes doch sein Recht. Die beiden Flügel werden durch schmale Längs-
und Querstreifen, welche dem üblichen Rahmenwerk entsprechen, in achtundzwanzig Felder geteilt,
die je vier nebeneinander, in sieben Reihen untereinander geordnet sind. Dieses stärkere Gerüst ist
überall auf den Kreuzungen der Leisten mit Löwenköpfen besetzt, welche die Stelle der stärksten
Nägel bezeichnen, und dazwischen läuft eine Reihe kleinerer Nagelköpfe oder Rosetten hin. Die
inneren Felder, deren Fläche sonst aus dünnerem, vielleicht schräggefasertem Holze oder aus
kleineren, zu symmetrischen Mustern zusammengeleimten Stücken besteht, werden auch wol farbig
gehalten, mit ausgeschnittenen Figuren aus Eisenblech beschlagen, damit entweder das dunkle Eisen
auf hellem Grunde oder umgekehrt das vergoldete Metall auf dunkler Platte sich abhob. Diese alte
Weise wirkt auch hier in gewissem Sinne nach, wo statt des flachen Ornamentes figürliche Gebilde
in erhabener Arbeit das Kassettenfeld beleben. Noch immer ist es, gleichwie bei Bauskulptur, in
erster Linie die Flächendekoration, von der des Künstlers Vorstellung ausgeht.
Die Tür eines Gebäudes hat sich ausserdem als ein Teil des monumentalen Gesamt-
organismus an ihrer Stelle einzuordnen und deshalb bestimmten Gesetzen der architektonischen
Umgebung Rechnung zu tragen, ja mehr noch als ein fortlaufender Cyklus von Wandmalereien im
Innenraum, den Anforderungen der strengen Schwesterkunst zu genügen. Wie jeder Türflügel in
zweimal sieben rechteckige Kassetten geteilt ist, wiederholt sich innerhalb dieser Felder ein innerer
Rahmen, und zwar in der Form eines gotischen Vierpasses, der von einer aufrechtstehenden Raute
und vier aus den Seiten heraustretenden Halbkreisen gebildet wird. Da diese symmetrischen Rahmen
mit ihren Halbkreisen die inneren Winkel des umschriebenen Rechtecks ausfüllen, mit ihren Spitzen
dagegen die Mittelpunkte der vier Seiten markieren, so wird durch diese Form gleichsam die vertikale
und die horizontale Mittelaxe betont, so dass die Verteilung der Massen innerhalb der „Compassi" d. h.
die Komposition des Bildners von selbst auf symmetrisches Gleichgewicht hingeleitet wird, ebenso wie
das Auge des Beschauers bewusst oder unbewusst die Macht dieser Linien empfindet. Betonen diese
Graden das Bestehende, so fallen den Kurven (also den Diagonalen) die Erweiterungen zu, die darüber
hinausweisen. Dort Beharrung, hier Bewegung; — dort gesetzmässiger Zusammenhalt, Geschlossenheit
in sich, hier vitaler Zusammenhang, Abhängigkeit von Incommensurablem ausserhalb; — dort Kon-
stitutives, hier Transitorisches.
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Die fünf oberen Reihen der Kassetten sind der Geschichte Johannes des Täufers gewidmet,
die uns ausführlich in zwanzig Bildern erzählt wird, jedoch so, dass die ersten zehn am linken Tür-
flügel der anderen Hälfte am rechten vorausgehen. Die beiden untersten Felderreihen sind mit
Einzelfiguren von Tugenden besetzt und bilden gleichsam den Sockel, der ungefähr eine Stelle ein-
nimmt wie die unten herumlaufende Holzvertäfelung in einem Zimmer zu den darüber befindlichen
Wandgemälden oder Gobelins.
Die vier weltlichen Tugenden: Fortitudo, Temperantia, Justitia und Prudentia machen den
Anfang; dann steigen wir zu den christlichen auf, deren Dreizahl: Spes, Fides und Caritas aber
nicht ausreichte und deshalb durch die Humilitas, eine mönchische Tugend ergänzt ward, die damals
besonders in Verehrung, wol auf Betrieb der Bettelorden sogar unter die Heiligen geraten ist.
Beide Reihen sind wieder sj-mmetrisch, wie ein äusseres und ein inneres Paar korrespondierender Glieder,
behandelt: die beiden inneren Figuren thronen ganz von vorn gesehen in ruhiger Majestät, die
beiden äusseren sind mehr in Profil einander zugewendet. Und das ist nicht gleichgültig für die
Charakteristik ihres Wesens. Der Glaube und die Gerechtigkeit forderten an sich schon eine solche
Darstellung wie ein unverändertes Prinzip; Mässigung und Liebe haben sich gefallen lassen ebenso
behandelt zu werden. So erscheint die erstere nicht wie sonst gewöhnlich mit zwei Gefässen, in
Begriff, den Inhalt des einen behutsam ins andere zu giessen, sondern mit dem Schwert in der
Hand, das sie soeben in die Scheide gestossen, mithin als Selbstüberwindung beim jähen Ausbruch
des Zornes. Die Caritas aber wird nicht als Mutter geschildert, die das Verlangen zahlreicher Kinder
zugleich befriedigt, sondern mit den ungewöhnlicheren Attributen, einem Füllhorn in der einen und
einem Herzen in der anderen Hand, Dagegen ist bei den übrigen vier die lebendige Bewegung
gerade dadurch motiviert, dass sie den ruhig thronenden Mächten gegenüber mehr in Tätigkeit
gezeigt werden. Sehnlich verlangend wendet sich die Hoffnung ihrem Ziel, der Krone des ewigen
Lebens, entgegen und spricht so ihr eigenstes Wesen aus. Und die Demut, ihr gegenüber, erhebt in
der Rechten die Kerze, während sie mit der Linken das Schleiertuch, das ihr Haupt verhüllt,
zusammenhält, wie im Begriff sich ehrfürchtig zu verneigen. Die Stärke, mit dem Schild am Arm, dem
Löwenfell um den Nacken und der erhobenen Keule in der Rechten, ist bereit, ihre Kraft im Handeln
zu bewähren, und darauf gerade kommt es an. Die Klugheit, ihr gegenüber, mit dem Doppelantlitz,
beobachtet die Schlange in ihrer Hand, als wollte sie Vorsicht und Verschlagenheit von ihr lernen ; das
Attribut in ihrer Linken, das jetzt abgebrochen ist, war wol ein Spiegel, wie die Nachahmung dieses
Vorbildes am Glockenturm beweist. — Selbst die Wahl der Plätze für die seitlich nach der Mittelaxe
bewegten Figuren ist absichtsvoll so getroffen, dass jede dieser Gestalten: Spes und Fortitudo links,
Humilitas und Prudentia rechts, die Türangel hinter sich haben, um die sich der Flügel dreht. —
Wenn in dem Sockel des Ganzen so sinnreich die Gesetze monumentaler Kunst beobachtet
sind, so dürfen wir voraussetzen, dass auch in der Hauptarbeit, den Geschichten Johannes des Täufers
die Erfindung nicht minder sorgsam und umsichtig verfahren sei. Versuchen wir es, die Kompositionen
daraufhin zu betrachten.
Bei der „Verkündigung an Zacharias" sehen wir die Symmetrie der Anordnung vollständig
gewahrt: links der Engel, rechts der Hohepriester, einander gegenüber; in der Mitte der Altar mit
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der ewigen Lampe, die, von einem Baldachin herabliängend, gleichsam das Zi.inglein an der Wage
vorstellt. Noch schwingt das Rauchfass des Priesters; es ist also der erste Moment, wo der Engel —
nah und doch unnahbar zugleich — erscheint. Doch kein Zeichen der Bestürzung, des Erschreckens;
sondern ruhig und würdevoll, wie es im Allerheiligsten des Temj^els nicht anders sein darf, geschieht
auch diese Begegnung zwischen dem überirdischen Boten und dem Diener Gottes auf Erden. Die
unsichtbare Mittelaxe der Komposition trennt die Bewohner zweier Welten.
Eine andere Bedeutung gewinnt dasselbe Verhältnis der Massen, sowie die Dominante sichtbar
verkörpert wird. Die folgende Scene bietet Schwierigkeit genug für die bildliche Darstellung; denn
sie soll erzählen, dass Zacharias plötzlich seine Sprache verloren hat, aus dem Tempel tretend nicht
zu sagen vermag, was ihm geschehen. Er deutet auf seinen Mund und begleitet diese Erklärung
mit einer Gebärde der andern Hand, fast wie mit Achselzucken, während die Ältesten des Volkes
ihn erstaunt anblicken. Er .steht allein auf der einen Seite als die Person, auf die sich alle Auf-
merksamkeit richtet; aber damit ist die Hauptsache noch nicht gesagt. Dieser Auftritt selber wäre
stumm und unverständlich für den Beschauer, ohne eine Mittelperson, die den Zusammenhang
begriffen hat und erklärt. Deshalb stellt der Künstler mitten hinein die Figur, deren Gebärdensprache
Antwort und Auslegung enthält, deren wir bedürfen: der Chorführer, mit dem Antlitz zu seinem
Gefolge, weist mit der einen Hand auf den Hohenpriester, mit der anderen nach oben, zum Zeichen,
dass es die Macht des Höchsten war, die hier eingegriffen. Diese Gestalt mit der dreifachen
Beziehung nach links, rechts und oben ist die A.xe, um die sich der ganze Vorgang dreht.
Die volle Schönheit seiner liebenswürdigen Natur entfaltet Andrea in der „Begegnung Marias
mit Elisabeth". Wie ein mittleres Dreieck hebt sich heraus, wo die Frauen einen Augenblick in
Umarmung innig vereint sind. Ohne Begleitung und doch würdig aus der Pforte ihres Hauses
hervorgetreten, empfängt Elisabeth als gastliche Wirtin die Ankommende, und während ihre Hand
den Leib der Gebenedeiten berührt, schaut sie ihr voll ins Auge; denn in ihr jubelt es auf bei dieser
Gelegenheit, und eine Ahnung der Zukunft durchzuckt beide Wesen. Vornehm und bescheiden
zugleich ist Maria, die freundlich den Blick der mütterlichen Freundin erwidert. Da sie einen weiten
Weg gemacht hat, folgt ihr wie billig eine Begleiterin. Aber auch diese ist so edel und fürstlich
in ihrem Auftreten, so anmutig in ihrer zurückhaltenden Bewegung, wie sie stehen bleibend voll
Anteil das Wiedersehen der heiligen Frauen betrachtet, dass wir uns in auserwählte Kreise
aristokratischer Gesellschaft aus den Tagen des Künstlers selbst versetzt glauben. Gerade die leise
Störung des Gleichgewichtes in dem Umkreise der ruhig sich heraushebenden Mittelgruppe, das
Vortreten des jungen Fräuleins und das Zurücktreten der Pforte hinter Elisabeth, bewirkt den Eindruck
des Vorwärtsgehens, wie er zum Verständnis des Augenblickes verlangt wird.
Weit zurück hinter diesem Meisterstück bleibt die Komposition der „Geburt Johannis" die uns
gleichsam ein früheres Stadium der Unsicherheit des Bildners in der Handhabung seiner Mittel, ja
in der technischen Behandlung des Reliefs erkennen lässt. Mehr als anderswo zeigt sich die
Anheftung der einzelnen, wie für sich ausgeschnittenen Bestandteile auf die glatte Fläche des Hinter-
grundes. Vorn auf schmaler Konsole sitzen die Mägde, die das Kindlein baden: die eine das Leinen-
tuch haltend, die andere mit dem Knäblein auf dem Schoss, im Begriff die Finger einzutauchen, ob
das Wasser auch zu heiss sei, — also eigentlich zwei Momente, vor und nach dem Bade bedeutend.
In der Mitte, höher hinauf, ruht auf dem Lager hingestreckt die Wöchnerin, und hinter ihrer Bettstatt
erscheinen in dritter Reihe die Halbfiguren zweier Gevatterinnen, die ihr Speise zur Erquickung
bereitet haben, wie es bei solchem Ereignis dem Nächsten geziemt. Jede Andeutung der Räumlichkeit
fehlt, und so ist auch der Perspektive keine Rechnung getragen.
Aber der Pisaner wollte die Genrescene so geben, wie er es aus seiner Schule gewohnt war;
deshalb übernimmt er sie von den Vorgängern in dieser Fassung und überträgt sie auf seine Nach-
folger in Florenz, bei denen sie Jahrhunderte lang so fortlebt.
Ganz vorzüglich dagegen gelang wieder das folgende Relief, mit dem die dritte Reihe des
linken Flügels beginnt. Dieser Stellung gemäss ist in der „Namengebung" der alte Zacharias ganz
auf die linke Seite gerückt. Auf seinem erhöhten Stuhl sitzt er, eifrig schreibend, mit übergeschlagenem
Knie ganz im Profil nach rechts; denn von dort her bewegt sich der Zug der Frauen auf
ihn zu. Freundlich sich neigend hält ihm die Erste das in Windeln eingeschnürte Knäblein entgegen;
es ist Maria selbst, voll Hoheit und Liebe, die Rolle der Patin übernehmend. Und welch ein Paar
innig teilnehmender Wesen, die beiden Begleiterinnen, deren mädchenhafte Köpfe einander zugewendet,
den Eindruck des Familienaktes wiederspiegeln! Bis in die fliessenden Falten ihrer schlichten
Gewandung hinein ein Bild edelster Sitte und harmonischen Daseins.
Nur eine einzige Menschenfigur, und noch dazu ein kleines Bübchen erst, sehen wir auf dem
folgenden Bilde, das uns erzählen soll, wie Johannes schon als Knabe in die Wüste ging, dem dunkeln
Drang seines künftigen Prophetentums gehorchend. Wir Nordländer stellen uns die Wüste als
unfruchtbare Landfläche oder endloses Haideland vor; historische Bibelkunde denkt an den Orient
und die kahlen Hochplateaus von Palästina, während moderne Maler uns eher an die Sahara und die
verdorrten Fluren Afrikas gewöhnt haben. Ein echter Sohn Toscanas, wie Andrea im Jahre 1330,
versteht das nach seiner Art viel besser so, wie alle unbefangenen Landsleute sich den Schauplatz
für die asketischen Vorübungen ihres Lokalheiligen vorstellen mussten. In Toscana sind alle Täler
und Ebenen fruchtbarer Boden, überall Gartenland, und die Kultur reicht auf die angrenzenden Hügel
hinauf, bis an die Höhe, wo kein Humus mehr die starren Felsen bedeckt, wo nur Moos sich
anklammert oder ein paar Waldbäume ihre Wurzeln in die Spalten und Ritzen des Gesteins einzwängen.
Wo die Arbeit des Landmannes aufhören muss, da beginnt die Wüste; wer die Einöde aufsuchen,
die Menschen fliehen will, muss in die Berge wandern. Aber auch hier ist nicht alles kahl: Eichen
und Buchen stehen noch vereinzelt, locken mit würziger Mast die Herde schwärzlicher, aber reinlicher
Schweine selbst auf die Höhen hinauf; Vögel wohnen in den Zweigen, die Eidechse sonnt sich auf
dem nackten Boden und huscht beim leisesten Geräusch in ihren Schlupfwinkel. Wen nicht sein
bescheidenes Hirtenamt, sondern seine stolzen Gedanken von dem Mitmenschen entfernen, dem geht
es wol wie Dante, dass er hier im dichten Walde sich verirrt. Dahin steigt auch der florentinische
Johannes mit seinem Kreuzstab, um allein zu sein mit seinen Träumen.
Bärtig und verwettert erscheint Johannes auf dem nächsten Felde, wo er als Bussprediger
auftritt. Ihm allein ist die rechte Hälfte der Bildfläche eingeräumt, während links vier Hörer stehen,
die zu ihm hinausgepilgert, mit eindringlichen Mahnungen empfangen werden. Ruhig und ernst hält
sich der Redner, geduldig lauschen ihm die bärtigen Pharisäer ; aber dem Ältesten scheint doch die
Hand unter dem Gewände sich unwillkürlich zur Faust zu ballen, als erhebe er Einspruch dagegen,
zum Otterngezücht gerechnet zu werden. — Deutet hier ein Bäumchen oben am Fels die Mittellinie
an, die beide Parteien trennt, so erblicken wir Johannes selbst in dieser Hauptaxe, wo er auf dem
folgenden Bilde seine Jünger auf den Messias hinweist, der gerade vorüberwandelt: „Ecce Agnus Dei".
So ist der Handelnde, der Vorläufer Christi in seiner besonderen Mission dargestellt; der Heiland
aber, der da kommen soll, doch die Haupterscheinung, auf die sich Aller Aufmerksamkeit richtet.
Deshalb räumt ihm der Künstler nicht nur die eine Seite ein, wie drüben dem Bussprediger, sondern
lässt ihn, vom Gebirgspfad heruntersteigend, eine höhere Stelle einnehmen als die Übrigen. Die Hörer
Johannes' aber schauen verehrend zu ihm auf, so dass die Richtung ihrer Köpfe und Gebärden nach
links aufwärts und der Fluss der Gewandfalten in derselben Diagonale zurück läuft. Schlicht und
milde ist das Christusideal, das uns Andrea Pisano vorstellt, die Gestalt eines Sanftmütigen, der als
stiller Denker daherwandelt, ohne darnach zu fragen, ob man ihn beachte.
Als „Täufer" nimmt dann Johannes wieder seinen Platz zur Rechten ein, während ein Buss-
fertiger sich entkleidet hat und demütig knieend die Taufe empfängt, indess seine Gefährten hinter
ihm andächtig der heiligen Handlung zuschauen. Die Schale mit dem Taufwasser ist als Symbol
des Sakraments das Centrum des Ganzen. — Zur sichtbaren Dominante wird die Verbindung
zwischen dem irdischen Zeichen und der Gottheit droben, wo der Gottessohn selber in den Jordan
hinabsteigt, sich dem Bussakt seines Heroldes zu unterziehen. Christus, nackt, bis an die Hüften
vom Wasser umspült, steht in der Mitte, und die Taube des heiligen Geistes schwebt über seinem
Haupt, während Johannes sich, weit ausholend, von rechts herüberneigt, links ein dienstfertiger
Engel mit dem Linnentuch knieend harrt. Es ist die altherkömmliche Darstellungsweise, die den
Künstler bestimmt und beschränkt hat; sie sicherte die klare Symmetrie der Komposition, veranlasste
aber auch eine konventionelle Behandlung des flüssigen Elements, welche dem Stand der Natur-
beobachtung des Meisters kaum mehr entspricht. Die Scheu vor dem Nackten, nicht bei ihm,
sondern bei der Kirche, und die Gefahr, durch liebevolle Durchführung der ganzen Menschengestalt
in ihrer unverhüllten Schönheit das Interesse des Beschauers allzusehr auf diese zu lenken, bestimmt
den Bildner, einen wunderbaren Stillstand des Wassers zuzulassen, für den die felsigen Ufer nicht
vorgesehen sind.
Nach dem höchsten Höhepunkt, der „Taufe des Gottessohns", beginnt auf dem andern Tür-
flügel die Leidensgeschichte des Täufers. Im Vollbewusstsein seines Predigtamts wagt es Johannes
sogar dem Tyrannen Herodes mit seiner Mahnung zur Busse nahzutreten. Wie er zum Thron des
Fürsten berufen wird, sich wegen seiner Lehre zu rechtfertigen, zieht er den Gebieter wegen des
Weibes, das er dem eigenen Bruder abspänstig gemacht, zur Rechenschaft und verletzt mit seiner
Rede die Königin auf ihrem Hochsitz. Der Augenblick, „wo der Angeklagte zum Ankläger wird",
wäre dramatisch ausserordentlich wirksam, aber Andrea Pisano behandelt ihn mit einer Mässigung
die wol nicht nur Weisheit, sondern auch Temperamentssache war. Der Eiferer bleibt vollkommen
ruhig, auch Herodes hört eher betroffen als erzürnt seinen Vorwürfen zu, und nur die leise Hand-
bewegung der Gattin, — die des Fürsten Arm berührt, ihn aufstört und in ungnädigster Miene
dreinschaut, wie Jemand, dem bittere Arznei gereicht ward, • — lässt uns ahnen, welche Peripetie
unmittelbar folgen muss. Der Keulenträger von der Leibwache steht des Winkes gewärtig hinter
Johannes; ein Wort noch, und er wird ihn ergreifen.
Im selben Geist der Milde geht auch die folgende Scene vor sich, wo der unbequeme Tadler
in das Burgverliess gesperrt wird. Ganz freundschaftlich nimmt der Krieger den sonderbaren
Schwärmer unter den Arm und weist ihm, wie ein gutmütiger Gefängniswärter, die Zelle an, wo er
verschwinden soll. Nur ein Hauptmann der Leibwache mit blossem Schwert und ein anderer
Soldat folgen etwas strammer hinterdrein, nach linkshin, wo die Gittertür des Käfigs sich öffnet.
Wie lebendig und wirksam ist dagegen, der Stimmung des Augenblicks entsprechend, auf
dem nächsten Felde die Gruppe der Jünger vor dem geschlossenen Gatter! Sorgend sind sie
gekommen, nach dem Verbleib ihres Meisters zu fragen, und werden auf das finstere Gelass gewiesen,
in das er geworfen ward. Der Eine scheint vorwurfsvoll zu klagen, dass man dem Heiligen Gottes
solche Schmach getan, während der Andere liebevoll nur verlangt, den Verehrten drunten in der
Tiefe zu erspähen. Vorgebeugt steht er, mit beiden Händen das Eisengitter fassend, und blickt in
die schwarze Öffnung, Johannes anzurufen und mit ihm zu reden.
Dem gefangenen Propheten aber liegt nur Eines noch am Herzen, um beruhigt, dass seine
Sendung erfüllt sei, zu enden. Er schickt seine Jünger zu Christus mit der Frage, ob er der ver-
heissene Messias sei, wie sein Vorläufer erwartet, oder ob sie eines Andern harren sollen. Diese
Begegnung schildert das folgende Relief und muss zugleich die Antwort Christi bezeichnen. Die
Jünger treffen ihn bei Wundertaten im Lande, und er erwidert ihnen mit dem Hinweis auf dies
Geschehen: „Gehet hin und sagt Johannes was ihr gesehen habt: die Blinden sehen und die Lahmen
gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen
wird eine Freudenbotschaft verkündet". Links die fragenden Jünger, rechts Christus, wie vornehm
vorüberschreitend, und dazwischen die Krüppel und Geheilten, die Hülfesuchenden und die Dank-
erfüllten, die sich vor dem Erlöser drängen wie zu einer sonnenhaften Erscheinung.
Festlich und heiter ist die Scene, in der sich das Schicksal des Täufers entscheidet, — und
doch, wie ruhig und wie edel gehalten! Andrea da Pontedera hat nichts von der dramatischen Ader
seines Vorgängers Giovanni Pisano, sonst wäre „der Tanz der Herodiastochter", um den blutigen
Preis wol anders ausgefallen. Vor einem Teppich an der Wand sitzen auf einer Bank zu Dritt,
Herodes und seine beiden Räte am Tisch, auf dem sie eben gespeist haben. Wie die Becher allein
noch übrig sind, ist von links ein Spielmann mit der Geige, rechts die Jungfrau Salome eingetreten,
um den Fürsten zu unterhalten. Wir heutigen Beschauer würden, ohne die Geschichte zu kennen,
kaum erraten, um was es sich handelt; denn das junge Mädchen steht gelassen an einem Ende des
Tisches, ohne rhythmische Bewegung der Beine, nur mit den Armen gestikulierend. Kaum ein Menuett
kann es sein, dass sie mit sittigstem Anstand und zurückhaltentkter Mimik zum Besten giebt. Wie
naiv und gewagt erscheinen dagegen französische Darstellungen desselben Momentes, wie unter den
Skulpturen der Kathedrale von Ronen oder im Skizzenbuch des Villard de Honnecourt, wo Salome
auf den Händen tanzt, den Körper in die Höhe wirft, dass die abwärtshängenden Beine frei schweben,
als gälte es einen Purzelbaum zu schlagen. Die nämliche Art eines burlesken Cancans sehen wir
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in den Wandmalereien des Domes zu Braunschweig- und an den deutschen Bronzetüren von
S. Zeno zu Verona, während zu Florenz in Sta. Croce Giotto, gewiss ein lebhafteres Temperament
als Andrea Pisano, sich ebenso mit einer leisen Schwingung des Körpers begnügt und jeden
Gedanken an ausgelassene Sprünge dadurch abwehrt, dass er der Tänzerin selbst eine Leyer in die
Hand giebt. — Es ist also der weite Abstand einer edleren, vornehmeren Kultur, der sich ausspricht.
Dem Italiener genügt die mimische Zeichensprache vollkommen, um den Herrscher zu bezaubern
und dem Beschauer die Erfüllung eines Mädchenwunsches begreiflich zu machen, der statt nach
Goldschmuck oder Süssigkeiten dem Bussprediger nach dem Leben steht. Das schöne Töchterlein
schmeichelt erst, verspricht das berückende Schauspiel, und erlangt das Jawort der Belohnung, um
dann, mit dem Aufgebot ihrer Reize, wie die Mutter sie's gelehrt, den Vater so lange zu betören,
bis inzwischen sein gewährender Wink Vollstreckung fand. — Deshalb wird „die Enthauptung
Johannes'" zwischen Anfang und Ende des Tanzes eingeschoben. Die Falltür des Kerkers hat sich
geöffnet, der Gefangene kniet auf der Schwelle und bietet mit gefalteten Händen sein Haupt dem Streiche
des Henkers dar. Dieser senkt soeben das Schwert, das er mit beiden Fäusten fasst, über seinen eigenen
Nacken zurück, um es im nächsten Moment mit wuchtigem Schwünge nach vorn zu fällen, und bei
diesem Ausholen heben sich seine Füsse unwillkürlich auf die Zehen empor. Ein Wächter mit
Schild und Lanze stiert erwartend auf das Opfer, unter dem magischen Bann des Grausens, während
ein Keulenträger halb mitleidig, halb erschrocken einen Schritt zurückweicht. So fühlen auch wir die
Katastrophe, ohne dass sie uns wirklich gezeigt wird.
Sie ist geschehen, bestätigt das folgende Relief, das uns wieder in den Speisesaal des Fürsten
zurückführt. Salome steht am andern Ende des Tisches, sie schlägt die Arme über die Brust zu-
sammen, wie Mignon nach dem Eiertanz, und erblickt den erbetenen Lohn, das Haupt Johannes' in
der Schüssel, die ein Diener knieend dem Herodes darbringt, und dieser weist ihn weiter an das
Mädchen. — Einfach und schlicht, durch sich selber bedeutsam, ist der Abschluss dieses häuslichen
Dramas, wo der beleidigten Königin das Pfand der Rache gebracht wird. Im Frauengemach auf
ihrem Hochsitz thront Herodias, die Schale mit dem blutigen Preis in den Händen, den ihr gehor-
sames Töchterlein ertanzt hat und knieend überreicht. Kein Grausen bei der Mutter, kein Mitleid
bei dem Kinde, aber auch kein Hass und keine Freude: nur der stille Triumph der siegreichen Frau,
die ihren Willen erfüllt sieht. Der Mund des Anklägers ist verstummt; — aber schweigen auch
seine Worte in ihrem Innern? Es ist die dumpfe Tatsache, die hier auftritt, ohne Zeugen, ohne
Chorus, im eigenen Kämmerlein. Schräg gipfelt sich die Gruppe gegen den Rand zur Rechten, ja
ein Türmchen auf der Halle setzt sich verstärkend auf die Schlussnote.
Dann nur noch das Finale, das uns menschlich versöhnt. Die Jünger Johannes' sind gekommen
und tragen den entseelten Meister zur letzten Ruhe. Rechtshin schreiten sie, zu Dreien einander
gegenüber; die vordere Reihe wird nur vom Rücken gesehen, und doch, wie wundersam prägt die
fortschreitende Bewegung sich aus in den langfliessenden Gewändern, und die Sorgfalt ihres Auftretens
in Rücksicht auf die teure Last! Das letzte Paar stützt auch das Haupt des Toten in seiner Lage
und blickt auf seine Züge mit einer Verehrung, die vollauf für alle spricht. — Es ist meisterliche Weisheit,
dass keine Andeutung der Örtlichkeit, kein Baum, kein Fels, keine Grabstätte im Hintergrund hinzugesetzt
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worden, den Eindruck dieser feierlichen Prozession zu stören. So gewinnt er eine Allgemeinheit,
die ihn über Zeit und Ort hinaushebt: allein in der weiten Welt, die letzte Sorge der Lieben ....
Aber der Körper des Gottesmannes wird ein heiliges Erbteil folgender Geschlechter; es ist ein
kirchliches Heiligtum mit Kuppelbaldachin und Tabernakel, wo man die Leiche des Schutzpatrons der
Arnostadt verwahrt. Vier Jünger senken den Körper in den Sarkophag hinab, während ein fünfter
das Leichentuch um die Füsse schlägt; zu Häupten steht ein Kleriker mit der brennenden Kerze,
zu Füssen der älteste der Jünger mit gefalteten Händen und gramvoller Miene, — der Träger des
Schmerzes, der dem Abgeschiedenen nachklingt.
So entrollt sich das Lebensbild des Täufers in einer einheitlichen Erzählung, deren zahlreich
ausgewählte Scenen in der Phantasie des Bildners völlig als Bronzereliefs empfunden und empfangen
sind. Nach einer solchen Betrachtung ihres Wesens scheint es fast müssig, an den Einfall zu
erinnern, dass Andrea Pisano nur die Erfindungen des Malers Giotto in seinen Erztafeln verkörpert
habe. Ein vergleichender Blick auf die Geschichten Johannes des Täufers, die Giotto in Sta. Croce
al fresco gemalt, genügt ja, um von der Leichtfertigkeit einer solchen Behauptung zu überzeugen.
Die wichtigsten Hauptmomente werden uns an einer Kapellenwand geschildert: die Verkündigung an
Zacharias; — die Geburt und Namengebung; — der Tanz der Herodiastochter und die Darbringung
des Hauptes an ihre Mutter — füllen drei Abteilungen unter einander. Die Erscheinung des Engels
geschieht im Freien, in Gegenwart einer grösseren Versammlung; der Altar trennt den Priester von
dem Himmelsboten und legt die Handlung lahm. Bei der Geburt sieht man nur die Wöchnerin auf
dem Lager mit ihren Frauen, die dienend um sie besorgt sind; nichts von der Genrescene, wie das
Neugeborene gebadet wird. Das Kind wird soeben ins anstossende Zimmer zu Zacharias getragen,
der den Namen niederschreibt; lebhaft und munter strebt es auf den Vater zu, aber diese unwahr-
scheinliche Beweglichkeit ersetzt nicht die mangelnde Ausprägung der charakteristischen Situation:
statt der Anstrengung des Stummen und der Teilnahme der Familie wird mehr die Feierlichkeit des
Auftritts hervorgekehrt. Lebhafteres Interesse gewährt allein der unterste Streifen, wo der Tanz und
die Darbringung des Hauptes zusammengezogen sind. In der Anordnung der Speisenden mit dem
Geiger zur Linken, der jugendfrisch in voller Breite dasteht, ist allerdings unverkennbar, dass Andrea
Pisano dies Fresko Giottos gekannt und verwertet hat, wie sonstige Leistungen der Vorgänger damals
überall benutzt wurden.' Dagegen ist Salome nicht bloss mit der Leyer dargestellt und von zwei
Zuschauenden begleitet, sondern in der Mitte auch sogleich der Kriegsknecht eingeführt, der das
Haupt des Täufers auf einer Schüssel über den Tisch reicht, vor dem er soeben niederkniet. Mitten
hinein, zwischen Tanz und Musik, drängt der Dramatiker Giotto das Schreckensbild, mögen die
Mittel seiner Kunst auch noch versagen, diesen Effekt in seiner vollen Wirksamkeit herauszubringen.
Lahm und äusserlich vollends bleibt der Moment daneben, wo die Tochter die Gabe der Herodias
überbringt. — Andrea Pisano ist nicht so heftig, nicht so leidenschaftlich und drastisch, wie Giotto,
der Alles auf ein paar starke eindringliche Hauptaccente setzt; aber er ist weit überlegen in der
psychologischen Durchdringung der ganzen Gestalt, in der sprechenden Darstellung des inneren
' Sehr lehrreich ist der Vergleich mit einem ebenso von Giotto lernenden wie von ihm abweichenden Fresko,
; jüngst in S, M. dei Servi zu Siena aufgedeckt worden, und so die Eigenart der Lorenzetti erst recht offenbart.
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Wesens unter der Situation des Augenblicks; denn er beherrscht als Bildner die Ausdrucksfähigkeit
des ganzen Körpers weit sicherer und rechnet mit ihr überall, wo es dem Maler mehr auf Breite der
Gewandung und Fülle des farbigen Reichtums ankommt. — Ebenso entscheidend ist die Ökonomie
der Raumentfaltung. Der Maler neigt, wenn auch dem Stand der Wandmalerei entsprechend nur
noch bescheiden, zur Ausbeutung der Tiefendimension: seine Bühne will sich ausbreiten; Seiten-
koulissen eröffnen den Ausblick in die Umgebung; selbst seine Stuben und Festhallen öffnen sich
schräg vor dem Auge des Beschauers. Bei dem Reliefbildner dagegen die weiseste Zurückhaltung,
möglichste Einfachheit auf einem, ohnehin noch schmalen Plan, und voller Verzicht auf alles Über-
einanderschieben. Nach dem einen Fehlgriff in der Wochenstube, wo ihn das Vorbild einer langen
Tradition verleitet, keine malerischen Anwandlungen mehr. Man stelle sich doch vor, wie anders
der Reliefstil der Bronzetür sich gestaltet haben müsste, wenn ein genialer Geist, aber eben doch
ein Maler, wie Giotto, die Entwürfe für diese Scenen vorgezeichnet hätte. Wie Giotto für Relief-
kunst gedacht hat, können wir ja sehen, wenn wir einen Blick auf die Schöpfungsgeschichten, auf
Noah in der Weinlaube und ähnliche Stücke werfen, die — als Bilder in starken sechseckigen
Rahmen — den Sockel des Campanile beleben. Mehr als alle diese Unterschiede der plastischen
und der malerischen Vorstellungsweise, des lyrischen und des dramatischen Naturells, spricht aber die
eigentümliche Beseelung aller Figuren und die einheitliche Gestaltung aller Scenen im Sinne seines
persönlichsten Empfindens bei Andrea Pisano. Da ist die Einmischung eines fremden Elementes,
die Anpassung an Vorschriften einer andersgearteten Phantasie undenkbar. Die innerste Überein-
stimmung mit sich selbst beglaubigt dies Urkundenbuch in bronzenen Tafeln und macht es zur einzig
wahren Offenbarung des Wesens dieser feinen, liebenswürdigen Künstlernatur.
Die engste Verwandtschaft mit diesen Gebilden der Erztür an S. Giovanni bürgt auch für
die Urheberschaft Andreas da Pontedera, bei einem Paar von Marmorstatuetten, die jetzt als Un-
bekannte in der Opera des Domes bewahrt werden. Die eine stellt die heilige Reparata, die andere
Christus selber dar. Ich vermag sie bis jetzt nicht anders zu charakterisieren, als wie ich es vor
Jahren' versucht habe. Sta. Reparata ist eine Erscheinung von zartester Jungfräulichkeit, von einer
schlichten Anmut und reinen Empfindung, wie sie der italienischen Gotik nur in ihren glücklichsten
Stunden gelang. In einfachem Kleide, das von den Schultern bis auf die Zehen gürtellos hernieder-
wallt, und ebenso glatt hinfliessendem Mantel, der, auf der Brust von einer Brosche zusammenge-
halten, von der linken Hand unter dem Busen emporgerafft wird, steht die schlanke Maid, mit der
Märtyrerpalme in der wenig tiefer vorgreifenden Rechten, sittig und bescheiden da. Und doch, es
bedarf kaum der achtseitigen, aus viereckigen Goldplatten zusammengesetzten Krone, um dem edeln
Anstand noch fürstliche Hoheit zu gesellen. Auf dem vollen Nacken und Hals wiegt sich vornehm
genug der runde Kopf mit dem vorquellenden, aber aufgebundenen Haar. Die weichen Formen des
Gesichtes haben bei aller Regelmässigkeit und Milde einen so aristokratischen Schnitt, dass wir dem
kleinen lebhaft gekräuselten Mund neben dem freundlichen Lächeln, das er uns zeigt, auch wol
> Im Jahrbuch der K. preuss. Kunstsammlungen 1887: „Vier Statuetten der Domopera in Florenz'
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ein schelmisches Witzwort, eine überlegene Zurechtweisung zutrauen. Christus ist als der herz-
gewinnende Meister, der allzeit milde Lehrer mit einem Buch im Arm und leise erhobener Rechten
dargestellt. Es ist der Typus eines Sanftmütigen mit weichem in der Mitte gescheiteltem Haupthaar,
das weit in. die Stirn reichend sorgfältig seitwärts hinter die Ohren gestrichen worden, mit ebenso
weichem, nicht gerade vollem und kurz gehaltenem Bart, der die freundliche Mundpartie freilässt.
Die schlichte, bis auf die nackten Füsse herabfliessende Tunica und das Manteltuch, das um die
Schultern gelegt, in massvollen Bogenlinien niederhängt, zeigt ganz die harmonische Behandlung wie
bei den schönsten Gestalten der Bronzereliefs. Dazu ist die technische Bearbeitung des Marmors
von einer Sorgfalt und Weichheit, dass sie bis in die feinsten Nuancen der Oberfläche hinein die
intimste Empfindung seines milden Schönheitssinnes offenbaren. ^
Eine Reihe von Apostelfiguren, die jetzt im Saal der Marmorskulpturen und auf der Treppe
des Museo Nazionale aufgestellt sind, darf wol dem Atelier des Meisters von Pontedera zugeschrieben
werden. Sonst hat Andrea selbst vor allen Dingen an den sechseckigen Reliefs am Untergeschoss
des Campanile mitgewirkt, deren Ausführung ihn eine Zeit lang aufs engste mit Giotto verband, bis
nach dem Tode dieses ersten leitenden Meisters auch der Bau selbst (1337 — 42) in seine Hände
kam, dessen zweites Doppelgeschoss mit je vier Nischen und einem schmalen Fenster an jeder
Seite von ihm herrührt, durch vortretende Lisenen dazwischen sehr deutlich als Zutat eines strengeren
Gotikers von dem Sockelbau Giottos unterschieden, zu dessen nationalerem Stil der Nachfolger
Andreas, Francesco Talenti, zurückkehrt. Den eigenen Anteil Andrea Pisanos an dem achteckigen
Relief erkennen wir besonders in den Darstellungen der Medicin, ^er Jagd, der Weberei, der Schifif-
fahrt, im Herkules als Feind der Wegelagerer, im Pflüger und im Wagenlenker, während die ersten
Reliefs der Frontseite, von der Erschafi'ung des Menschen bis zu Noah und zum Sterngucker, ebenso
wie die Darstellung der Architektur, Skulptur und Malerei am ehesten noch die Entwürfe Giottos,
die Denkweise eines Malers erkennen lassen. ^ Die fünf letzten Reliefs mit dem Trivium und
Quadrivium darin gehören schon Luca della Robbia, und- kamen erst 1437 — 1440 hinzu.
Die Urkunden der Domverwaltung von Orvieto, wo Andrea am Ende seines Lebens als leitender
Meister gewaltet, wissen freilich noch von einer „Majestas" zu berichten, die er im Jahre 1348
geschaffen. Sie durfte bis vor kurzem in der thronenden Madonna unter dem bronzenen Baldachin
über dem Hauptportal der berühmten Domfassade vermutet werden, die wegen eines gleichfarbigen
Anstrichs ebenfalls für einen Bronzeguss galt. 3 Neuerdings erst ist dieses, bisher an seinem Stand-
orte nur schwer sichtbare, Werk photographiert worden, so dass es möglich wird, auch seinen
Stilcharakter zu bestimmen. 1 Darnach darf es nicht mehr für Andrea Pisano oder seinen Sohn Nino,
1 Bode nimmt auch einen holzgeschnitzten Crucifixus im Berliner Museum (No. 25) für Andrea I'isano in Anspruch.
Vgl. Beschreibung der Bildwerke . . . Berlin 1888, p. Ii (mit Abbildung).
2 Näheres vgl. in dem oben angeführten Aufsatz im Jahrbuch der K. preuss. Kunstsammlungen 1887. Zu ähn-
lichen Ergebnissen gelangt neuerdings auch Julius v. Schlosser im Jahrbuch der Kunstsammlungen des allerhöchsten Kaiser-
hauses, Wien 1896 (XVII).
3 Vgl. Preussische Jahrbücher 1889. LXIII, wo dieser Aufsatz zuerst erschien, S. I17 u. Milanesi Vasari, Opere I. 495> 3-
4 Fotografia Luigi Armoni, Orvieto.
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der ihm im Amt des Caputmagisters am Dom von Orvieto gefolgt ist, ' in Anspruch genommen
werden, sondern die thronende Madonna gehört, ganz ebenso wie die Engel, die den Baldachin über
ihrem Haupt zurückschlagen, mit den Reliefskulpturen der Pfeiler unten zusammen, d. h. zu dem
wunderbaren, in Italien fast einzig dastehenden Marmorschmuck dieser Art, — in dem ich übrigens
schon lange die Hand eines auch an S. Martino in Kinsica zu Pisa nachweisbaren Meisters (Propheten,
Deborah u. s. w.) erkannt und von den Schöpfungsgeschichten unterschieden habe,^ die meiner
Überzeugung nach völlig französische Schulung aufweisen.
Die „Maestä", die Andrea Pisano für den Dom von Orvieto gearbeitet hatte, muss also
als verloren gelten. Von seinem Sohn Nino besitzt aber das Museo dell' Opera ein bisher fast
unbekanntes Meisterstück (No. 82) in einer Madonna mit dem bekleideten Knaben auf dem Arm, —
eine Marmorstatuette, mit Spuren der Vergoldung an Haar und Gewändern und bemalter Innenseite
des Mantels, durch deren Hervorhebung als Ninos eigenhändige Arbeit wir an dieser Stelle den
Unterschied der weicheren und volleren Formen des Sohnes von der strengen Schönheit seines
Vaters kennzeichnen möchten.
So wesentlich unsere Kenntnis des Letzteren auch die Marmorstatuetten der Domopera in
Florenz, seinen Christus und seine heilige Reparata gewonnen hat, wie durch die genauere Bestimmung
seines Anteils an dem Reliefschmuck des Campanile, immer stehen noch die Bronzetüren des
Baptisteriums mit seinem Namen „Andreas. Ugolini. Nini. De. Pisis. Me. Fecit. A. D. M. CCCXXX"
in erster Linie, wenn es gilt, die Originalität seines Wesens zu erfassen und in ihrem vollen, durch
florentinischen Lokalpatriotismus und sein Märchen von Giotto ungeschmälerten, Eigentumsrecht
anzuerkennen. Hier hat er die wundervolle Verbindung italienischen Schönheitssinnes mit den Stil-
principien französischer Gotik verwirklicht, wie sie nur ihm gelingen konnte, um hernach durch Lorenzo
Ghiberti zur Vorbereitung der Renaissance zu werden.
Es giebt Seelen, denen jede Abfindung mit der Aussenwelt Missstimmung und Schmerz be-
reitet. Jede Erfahrung des Lebens wird ihnen zum Kampf und hinterlässt in ihrem Innern die
Spuren des Tumults; ja, es ist, als ob ein Verbrennungsprozess vor sich gehe, dessen Asche und
Trümmer der Aufnahme neuer Eindrücke im Wege sind und selbst wieder neue Verwicklungen
herbeiführen. Es giebt andere, die jedem Ereignis rein und empfänglich gegenüberstehen, überall
das innere Gleichgewicht bewahren oder nach kurzer Frist wieder herstellen, und aus den ernstesten
Prüfungen harmonisch geläutert hervorgehen.
Sind aber diese Seelen künstlerisch veranlagt, so haben die Schöpfungen der Ersteren stets
das Schicksal, dass die Rechnung nicht völlig aufgeht. Sie bewirken trotz aller grossartigen Erhaben-
heit, die gerade an ihnen uns häufig zur Bewunderung hinreisst, am Schluss doch einen unbefriedigenden
1 Luzi, Duomo di Orvieto 1886 p. 362.
2 S. Martin v. Lucca und die Anfänge der toskanischen Skulptur im Mittelalter, Breslau 1890, S. 165. — Marcel
Reymond, der in seiner Sculpture Florentine, Florence 1897 diese Scheidung zweier Schulen wiederholt, hat merkwürdiger
Weise den französischen Stil der Schöpfungsgeschichten nicht erkannt.
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Eindruck. Sie scheinen immer noch einen Rest, eine Schlacke, ein ungelöstes Rätsel zu enthalten,
das vergebens zu bemeistern versucht ward. Die Andern dagegen scheinen uns wie Offenbarungen
der Schönheit selbst; wir sind geneigt, ihrem Urheber nicht das volle Eigentumsrecht beizumessen,
ja wir schätzen wol gar dies glückliche Gelingen weniger hoch, weil wir von den Mühen nichts
merken und von der Arbeit, die solche Vollendung erfordert.
Sie gleichen dem tiefblauen Alpensee, der auch wol, wenn der Föhn ihn peitscht, majestätisch
aufbraust, mit mächtigen Wogen seine innersten Tiefen durchwühlt; — wenn der Sturm vorüber ist,
liegt er bald wieder ruhig da, durchsichtig und klar bis zum Grunde, die ganze Umgebung an seinen
Ufern spiegelt sich in der glatten Fläche, und der Mond und die Sterne schauen glitzernd hinein. —
Solch ein Künstler ist Andrea Pisano, und darin gleicht er einem Raphael. Seine Gestalten gehen
leicht und unverkümmert aus seinem Innern hervor, wie er sie gewollt hat, geläutert und rein wie
die Seelen aus dem Purgatorio. Kaum Anderes als edle Empfindungen prägt sich in ihren Zügen
aus, und ihre schlichten weichen Gewänder umfliessen die Körper, gleichwie die langatmigen feier-
lichen Töne der Orgel die Singstimme des Menschen begleiten und alle Hörer mit hinausheben in
höhere Sphären.
Spinello Aretino, Galerie in
SANTA CATERINA IN ANTELLA
Wer an einem heiteren Sonntag die Hügel und Täler in der Nähe von Florenz durchwandert
wird immer aufs Neue beglückt durch die herrlichsten Ausblicke auf die Stadt am Arno, oder
hüben und drüben auf die Hohen von Fiesole und San Miniato. Dieser reich bebaute, mit Dörfern,
Villen und Häuschen übersäte Boden, der in mannichfaltigen Wellen von den Bergen herabsteigt
bis ans Ufer des grossen Flusses in der Mitte, diese wolgepflegten Ölgärten und halb vernach-
lässigten Parkanlagen. — Alles weit und breit atmet eine unbeschreibliche Anmut, als wehe noch
ein Hauch des alten Genius toskanischer Kunst durch diese lächelnden Gründe.
Und windet sich unser Pfad hinunter, zwischen den Mauern entlang, zu den Flüsschen und
Bächen, die zum Arno streben, dann ist im grünen Tal auch die Einsamkeit willkommen und sonn-
tägliche Stille, fernab vom geräuschvollen Treiben der Stadt.
Hier draussen ist alles in heiterer Ruhe. Kein Drängen, kein Hasten um die Wette. Und
das Wandern durch die freie Natur versetzt uns in den frischen, gesunden Zustand des Gemüts
zurück, wo wir empfänglich sind und rein für die Eindrücke des Schönen. Diese Stimmung ist die
rechte bei dem Ziel, dem wir zupilgern: vor uns, zwischen Ponte a Ema und Bagno a Ripoli, liegt
ein kleines Oratorium, das im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts von oben bis unten mit Fresko-
malereien geschmückt worden, nach der Heiligen, der es geweiht ist, Santa Caterina delle Ruote genannt.
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Schon an der Vorderseite des Kirchleins grüssen, wenn auch nur schattenhaft noch, vier
Heiligengestalten in spitzbogiger Umrahmung, eine Halbfigur der Madonna mit Engeln in der Tür-
lünette und Propheten mit Schriftbändern, die aus Rundfenstern herniederschauen. Ein Pultdach,
das darüber aus der Wand hervortritt, hat sie schirmen sollen; aber Regen und Sonne der fünf
Jahrhunderte, die darüber hingegangen, haben sie fast bis zur Unkenntlichkeit verwaschen und verbleicht.
Das Innere besteht aus einem rechteckigen Hauptraum, der durch einen Gurtbogen auf schwach
vortretenden Pfeilern in zwei Quadrate geteilt, mit Kreuzgewölben überspannt ist, und aus dem
niedrigeren Altarhaus, das auf quadratischem Grundriss kleinerer Ausdehnung erbaut, sich im
rundlichen Spitzbogen gegen das Langschiff öffnet. Die vordere Hälfte der Kapelle zeigt gegen-
wärtig nur weisse Wände und Deckenfelder mit einer ornamentalen Einfassung der einzelnen Ab-
teilungen, die bei der neuesten Herstellung nach dem Muster des alten Schmuckes ausgeführt worden.
Es ist auch unwahrscheinlich, dass sie jemals bemalt waren; denn die Legende der Titelheiligen
beginnt in der anderen Hälfte, an der rechten Wand links vom Beschauer, also von innen her, und
ausserdem ward die Arbeit des Malers durch ein unvorhergesehenes Ereignis auf den ersten Cyklus
von Darstellungen beschränkt. Das Kirchlein gehörte damals zum Landsitz der alten Familie Alberti,
die einst in der Flur von Antella begütert war, bis Messer Benedetto mit seinen Söhnen im Jahre
1387 aus Florenz verbannt und das Eigentum des liberalen Volksfreundes konfisciert ward.'
So konnte er vor seiner Pilgerreise nach Palästina, die er zu Schiff von Genua antrat, nur in
seinem Testament bestimmen, dass die letzte Scene aus der Legende der heiligen Katharina, welche
damals noch fehlte, auf dem oberen Wandfeld über dem Chorbogen hinzugefügt werde. Bei der
Rückkehr aus dem heiligen Lande starb er, kurz nach seiner Frau, die ihn begleitet, auf der Insel
Rhodus. Seine Güter wurden verkauft, und das von Antella gelangte in den Besitz der Venturi.
Ein Abkömmling dieser Familie, Angelo, Bischof von S. Severo, Hess 1626 die Gemälde im Altar-
hause übertünchen, ein Fenster darin einbrechen, und bald ward die ganze Kapelle entweiht, zu
profanem Gebrauch als Heuschober preisgegeben. Erst in unseren Tagen erwarb Professor Giuseppe
Poggi die Villa, Hess das Oratorium restaurieren, die Malereien sorgfältig reinigen, ohne einem
modernen Pinsel die Berührung der alten Überreste zu gestatten, und erhielt so ein Denkmal, das
in diesem Zustand mit jedem Jahrzehnt uns kostbarer wird.
Denn das Werk, das uns heute hergelockt wie schon manches Mal, ist nicht von unberühmter
Hand geschaffen. Kein untergeordneter Künstler, wie man ihn auf Dörfern erwarten mag, sondern
ein vielbegehrter Meister ward von Benedetto degli Alberti, dem reichen florentinischen Kaufherrn,
zum Schmuck seines Landsitzes berufen. Es ist Spinello di Luca von Arezzo, gewöhnHch Spinello
Aretino genannt, den derselbe Auftraggeber zugleich in der Sakristei von San Miniato al Monte mit
der Legende seines Namensheiligen Benedikt beschäftigt. Auch diese Malereien werden in dem
Codicill zum Testamente vom 11. JuH 1387 zugleich mit denen zu Antella erwähnt. Trotzdem ist
die Kapelle Santa Caterina mit den unbezweifelbaren Leistungen des Aretiners in der Kunstgeschichte
so gut wie garnicht bekannt. Selbst Crowe und Cavalcaselle wie Burckhardts Cicerone haben sie
' Vgl. L. Passerini, Gli Alberti di Firenze, Genealogia, storia e documenti. parte IJa pag. i86fr. Firenze 1870.
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vergessen. Und doch hat sich gerade, seitdem in der Sakristei von S. Miniato eine gründliche
Restauration stattgefunden, der authentische Wert dieser gleichzeitigen Gemälde bedeutend gesteigert.
Ja, auch abgesehen von der historischen Wichtigkeit, wird dies bescheidene Oratorium bei Ponte a
Ema gar manchem Freunde alter Kunst den wärmsten Anteil abgewinnen; denn in dieser ländlichen
Umgebung wirken die Bilder auf den schlichten Wänden so ergreifend und mächtig gleich der
persönlichsten Erinnerung an vergangene Kinderträume.
Sie schimmern uns so freundlich aus der Tiefe entgegen, in ihren halbverblichenen Farben
und ihren halb verschwebenden Personen, dass uns der Märchenduft gefangen nimmt, wie solch ein
Inhalt soll und will. Treten wir durch den schlichten Vorraum in das farbige Sanktuarium, so
schauen von der Leibung des Gurtbogens die zwölf Apostel aus rautenförmigen Rahmen nieder,
und unter dieser Reihe von Brustbildern stehen hier S. Franciscus, dort S. Ludwig von Toulouse
in ganzer Figur. Im Kreuzgewölbe sehen wir aus blauem Himmelsgrund die vier Evangelisten mit
ihren Attributen hervortreten. Beide Vollmauern darunter sind durch Ornamentstreifen in je vier
Felder geteilt, während die Schlusswand über dem Bogen des Chores eine breite Fläche, unterhalb
links und rechts zwei schmalere Ausschnitte bietet. Darin erscheint links S. Antonius, der Abt,
von dem nur noch die obere Hälfte erhalten ist, seit Angelo Venturi, der Bischof, die Tür zur
Sakristei ausbrechen und den steinernen Architrav mit seinem Namen und Wappen einsetzen Hess.
Rechts steht noch heute in ganzer Figur die Hauptheilige S. Katharina von Alexandrien mit
ihrem Marterwerkzeug, dem Rade, neben sich, etwas flüchtig und leer behandelt und abweichend
von dem lieblichen Frauenbild der Historien selbst. Neben ihr oben im spitzbogigen Wandfelde
beginnt die Erzählung ihres Lebens.
„Wie Santa Caterina und ihre Mutter mit einiger Begleitung zum frommen Einsiedler heraus-
kommen, um seinen Rat zu hören"' lautet die erste Unterschrift in damaligem Italienisch. Vor der
engen Behausung zur Rechten, unter deren Schirmdach aus breitem Fenster ein langbärtiger Greis
wie aus einem Beichtstuhl hervorschaut, haben auf steinernen Bänken die jungfräuliche Königin und
ihre verwitwete Mutter Sabinella Platz genommen. Blondlockig und jugendfrisch hebt die Heilige
ihr Antlitz zu dem Alten auf, der sie belehrt — ja, ihre Handbewegung scheint zu verraten, dass
sie nicht nur ruhig empfangend zuhört, sondern der natürlichen Anlage folgend auch hier schon ihre
weibliche Dialektik versucht. Bewundernd und andächtig lauschen die Begleiter, die in stattlicher
Schaar zur Linken stehen, wo im Hintergrund die Türme der Stadt Alexandrien, selbstverständlich
in toskanischer Trecento-Architektur zum Vorschein kommen. Die ganze Familie muss dabei sein,
wie noch heute die rein persönliche, intimste Angelegenheit eines Mitgliedes von sämtlichen An-
gehörigen, Freunden und Gevatterinnen mitverhandelt wird. Eine Matrone in nonnenhafter Tracht
mit zwei jungen Mädchen zur Seite bilden ein würdiges Gefolge. Im Vordergrund jedoch erregt
eine Gruppe von Männern für sich Interesse; denn sie erscheinen im zeitgenössischen Kostüm des
Malers und sind gewiss der Wirklichkeit entnommen. Ein bärtiger Signore im besten Mannesalter,
gefolgt von seinem Hunde, neben ihm ein Jüngling in derselben vornehmen Kleidung, hinter ihm
I Qui diprima di dimostra come Santa Katherina e la madre con certa compagnia venero per consiglio a
questo S. Romito.
aber ein anderer Mann, der mit der Hand die Schulter des Herrn berührend den Kopf vorstreckt,
um ihm ins Ohr zu flüstern. Haben wir in ihnen etwa Messer Benedetto degli Alberti, den Stifter
der Gemälde, mit seinem jungen Sohn Lorenzo, dem Vater des Leon Battista Alberti, und einem
vertrauten Geschäftsführer des reichen Handelshauses oder dem Fattore des Gutes zu erkennen, wie
sie beim Beginn der Arbeit in glücklichen Verhältnissen und reger Tätigkeit lebten? Und bliebe
als Letzter, doch nicht Geringster in der Mitte dieser Zuschauer der vollbärtige Mann im hohen
hellen Hut als Meister Spinello Aretino selbst übrig?
Den jungen Sohn und die alte Klosterfrau finden wir auf dem folgenden Bilde wieder, das
uns erzählt: „wie Santa Katharina voll Glauben und Frömmigkeit vom Eremiten die heilige Taufe
empfängt."' Sie kniet mit gefalteten.Händen vor dem Gehäus des Einsiedlers, während hinter ihr
zwei dienende Frauen das Wasserbecken tragen, die Nonne gleichsam als geistliche Erzieherin an-
dächtig zuschaut, und der Jüngling derweil die Krone hält. Rechts, der Heiligen zugewendet, knien
noch zwei andere Frauen und runden so die feierliche Gruppe trefflich ab. Den Mittelpunkt bildet
in jeder Beziehung die anmutige Erscheinung der jungen Königin, der zu Ehren droben in den Lüften
ein Engelreigen herniederschwebt.
Diese beiden Bilder des rechten Bogenfeldes sind am besten erhalten und zeigen uns den
Meister von seiner liebenswürdigsten Seite. Während in den Geschichten des heiligen Benedikt
droben in San Miniato immer das einförmige Mönchsgewand wiederkehrt und allerlei künstliche
Mittel aufgeboten werden müssen, um etwas Abwechselung in die Klostergeschichten zu bringen, so
bewährt der Maler hier eine Frische der Auffassung, wie sonst nur in den schlichteren Scenen des
Marienlebens in Siena oder der Verkündigung in Arezzo. Dazu entwickelt er bereits die räumliche
Umgebung, Landschaft und Stadtansicht mit einem malerischen Sinn, der an Ghiberti vorausmahnt.
Leider nicht unversehrt sind dagegen die beiden anderen Bilder. Die Feuchtigkeit hat die
unteren Teile sehr angegriffen und fast ein Drittel der Malerei vernichtet. Aber auch so noch er-
kennt man den selben Geist und die wachsende Freiheit der Bewegung im Räume. Der Einsiedler
hat der frommen Jungfrau den Heiland als himmlischen Bräutigam empfohlen und ihr ein Madonnen-
bild geschenkt, jetzt kniet sie verehrend vor diesem Bilde und vertieft sich innig in den Anblick des
Mariensohnes. Neben der Kapelle aber, wo sie es aufgehängt, ist ihr Schlafgemach, und dort werden
ihr die Worte des Lehrers und die Sehnsucht des eigenen Herzens zum lieblichsten Traume, der all
die Wünsche ihres unschuldigen Gemütes befriedigt. Maria selbst ist erschienen, hat sich mit dem
Söhnlein auf dem Schoss neben der Bettstatt niedergelassen, und schwebende Engel bilden mit
einem Teppich den Thron für die Königin des Himmels, während ein schönheitstralendes Gefolge
von Seraphim sich ihr zur Seite schart. Caterina selbst aber darf niederknien vor den Himmlischen,
wie sie vor dem Bilde gekniet, und Maria fasst ihre Hand, um sie dem Sohne zu verloben, der ihr
den Ring an den Finger steckt. Diesen Traum sehen wir leibhaftig vor uns, zur Wirklichkeit ge-
steigert, wie er es für die Heilige ward, die erwachend den Ring an ihrem Finger als Bestätigung fand.
Nun handelt sie fortan in dieser Überzeugung. Selbst zum Kaiser Maxentius geht sie, wie er
I In questa seconda storia si dimostra come Santa Kaüierina con molta fede e devotione riceue il santo
dal romito.
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im Tempel den Götterbildern opfert, und stellt ihm in Gegenwart der Priester und der Räte, der
Leibwache und des Heidenvolkes die Verwerflichkeit des Götzendienstes vor, indem sie mit dem
Aufwand ihrer philosophischen Bildung, wie ihrer weiblichen Beredsamkeit die i.iberlegene Allmacht
des ewigen Schöpfers dartut. Auch hier ist die Scene geschickt angeordnet und bezeichnender
Weise räumlich erweitert. Nicht in das Innere des Tempels, wie wir erwarten, versetzt uns der
Maler, sondern auf einen freien Platz, wo links der Thron des Herrschers, rechts eine Loggia mit
dem Götzenbild einander gegenüberstehen, während Katharina zwischen beiden die Mitte hält; der
andächtige Eifer der Heiden, die knieend anbeten, der Tubabläser und Priester, deren vornehmster
missmutig zur Heiligen herumschaut, das staunende Lauschen ihrer Hörer und die befehlende Gebärde
des Tyrannen, der sie zwingen will, dem Idol zu huldigen, — Alles wirkt dramatisch zusammen und
entfaltet sich offen vor unseren Augen. Es ist eine glückliche Vereinigung von Idealität und
Beobachtung des Lebens, die verständlich wird, ohne aus dem gehobenen Ton der Legende in die
Wirklichkeit des Alltags zu fallen.
Katharina hat den Kaiser selbst im Innersten erschüttert. Das ist ihr höchster Triumph, aber
auch ihr Schicksal. Es war ihre Schönheit, die ihn mit ergriffen. Er lässt die Weisesten aus allen
Teilen seines Reiches kommen und versammelt sie, um gegen Katharina zu disputieren; aber sie
bleibt unbeweglich, ja es gelingt ihrer glänzenden Dialektik auch, die Philosophen zu bekehren.'
In einer länglichen Loggia mit Kuppelraum am Ende, wo der Kaiser thront, zeigt uns der Maler die
Weisen vor Maxentius versammelt; sie sitzen zu dreien auf den Bänken vorn und in der Tiefe,
während rechts Katharina dem Eingang nahe steht, wo zwei Krieger sie überwachen. In vornehm
bescheidener, aber beredter Haltung antwortet sie den Einwürfen des Einzigen, der noch die Hand
demonstrierend ausstreckt. Alle anderen horchen schon ergeben, ernst nachsinnend, staunend über-
wunden, und der Schlaueste selbst blickt auf den Monarchen, wie flüsternd, dass der Streit verloren sei.
„Wie der Kaiser Maxentius die Weisen verbrennen lässt und die heilige Katharina sie ermahnt,
fest zu bleiben im Glauben an Gott", lautet die folgende Unterschrift. ^ Lichterloh schlagen die
Flammen rings um die Bekehrten empor. Wieder sitzt der Kaiser unter seinem Baldachin vor dem
Palast, wie beim ersten Auftreten Katharinas gegen den Götzendienst; die Wache umgiebt ihn, aber
er lässt es geschehen, dass die Christusbraut, die vor dem Feuertod erbeben sollte, glaubensmutig
zu den Duldern redet und sie tröstet, dass sie noch nicht getauft worden.
Nach einem solchen Autodafe wird denn doch auch Katharina ins Gefängnis geworfen;^
aber vom Gitter ihres Käfigs aus predigt sie den Wächtern, und der Hauptmann Porfirio mit seinen
zweihundert Rittern bekehren sich zu ihrem Glauben. Nachts aber besucht sie der himmlische
Bräutigam mit seinen Engelscharen, und überirdischer Lichtglanz stralt aus dem Kerker. Beide
Momente schildert das nächste Fresko der unteren Reihe, indem uns zugleich dort die Aussenseite,
hier das Innere des geräumigen Verliesses, oder richtiger offenen Käfigs auf der Strasse, gezeigt wird.
1 Come Masentio Imperadore fece raunare gli suoi savi che disputassero contro la sapientia et fede
Santa Katherina — sagt die erste Unterschrift des Bogenfeldes gegenüber.
2 Come Masentio Imperadore fece ardere gli savi e come santa Katherina gli conforta che stieno fermi ad dio
3 Come Sca Katherina fu messa in prigione e come Porfirio Capitano de doicento caualieri tucti si convertie
a Sca. Katherina.
5
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Unter den gläubig gewordenen ist auch die Gattin des Kaisers selbst; denn die folgende
Inschrift besagt: „Wie Kaiser Maxentius den Urteilsspruch fällt, dass die Königin und der Haupt-
mann Porfirio mit den zweihundert Reitern sämtlich geköpft werden sollen.'" Und diese Massen-
hinrichtung soll der Künstler den Christenmenschen zur Erbauung vor Augen stellen: — Andere
Zeiten haben es verlangt zur frommen Erschütterung der Gläubigen, um der Härtigkeit ihrer Herzen
willen, wie z. B. die grausamen Zeiten der Gegenreformation und des dreissigj ährigen Krieges.
Heute würde es vielleicht auf einer Ausstellung Furore machen, um der Wahrheit der absichtlich
ausgesuchten Blutscene willen, wenn man auch statt der Herzenshärtigkeit unseres Publikums lieber
die Überreizung unserer Nerven als Motivierung anführt. Doch das nebenbei! wozu dieser Seitenblick?
Spinello Aretino gehört noch zu den glücklichen Idealisten, die alles verklären und veredeln, was
ihre Hand berührt. Wol ihm und seiner Gemeinde! Ihnen genügt noch eine Andeutung des
furchtbaren Mordens auf Tyrannenbefehl. Nur ein Henker arbeitet; zwei Opfer liegen bereits
gefällt am Boden, ein drittes harrt zur Seite knieend, und der Hauptmann empfängt gerade den
Streich, während eine andere kleine Zahl gefesselt — von der Leibwache behütet — im Kreise
steht, und droben vom Söller Maxentius und die Königin zuschauen. Neben der Weisheit des
Malers in der Beschränkung, liegt zugleich die Schranke seines Kunstvermögens: die Bewegung des
Henkers, wie er zum Hieb ausholt, lässt doch zu wünschen übrig und scheint der tänzelnden Bravour
des Fechtbodens mehr als dem grausamen Ernst der Richtstätte zu entsprechen. Da werden wir eben
erinnert, dass der gewaltige Fortschritt, nach dem dieser Künstler fühlbar genug hinstrebt, doch erst
der folgenden Generation gelingen konnte, und rufen uns wol die Geschichten der heiligen Katharina
in San demente zu Rom ins Gedächtnis, wo gerade dieser Schritt mit besserem Erfolge versucht wird.
Das ist überhaupt das Eigentümliche in der Kunst Spinello Aretinos: er gehört einer Über-
gangsperiode an, der die altgewohnten Formen, die ererbte Ausdrucksweise nicht mehr genügt, aber
ein neues noch nicht gelingen will. Überall entdecken wir Spuren des eifrigen Strebens, über das
Hergebrachte hinauszukommen; doch die Mittel, welche die Schulung an die Hand gegeben, die er-
forderlichen Vorkenntnisse und Fertigkeiten, die man in der Jugend bereits erlernen und einüben muss,
reichen nicht aus, das Wollen in freiem Vollzug zu erfüllen. Daher das Gespannte in den Malereien
Spinellos, besonders, wo er, wie bei historischen Erzählungen, gerade sein Neues zu sagen hätte. Daher
erscheint die Ausführung in gewisser Beziehung zu flüchtig, wenigstens soviel minder sorgsam und liebe-
voll im Einzelnen als die seiner Vorgänger; aber wir sind ungerecht, wenn wir nur dieses tadeln, ohne
zu bemerken, wie sehr seine volle Anstrengung auf das Festhalten lebendiger Motive, auf dramatische
Steigerung des Geschehens, auf wirkliche Handlung gerichtet ist — ein Drang nach vorwärts, dem die
fleissige Glätte des Längstbekannten und Selbstverständlichen notwendig zur Nebensache wurde. Und
da uns Spinello Aretino gerade als Historienmaler wichtig und bekannt ist, so bestimmt sich unser
Urteil leicht zu einseitig nach dem, was er wirklich zu leisten vermocht. Wer aber die Geschichte
in ihrer Entwickelung verstehen will, dem ist gar oft das Verständnis desWollens viel mehr zu wünschen,
als die Wertbemessung des Könnens; denn dieses ist abgetan, jenes bewirkt das Werden.
I Come Masentio Inperadore diede per sententia che la reina e Porfirio Capitano ed i doicento c
tucti decapitati.
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Spinellos Erzählung der Katharinenlegende setzte sich einst im Altarhaus fort. Auch hier
boten unter dem Kreuzgewölbe die Lünetten und Wandfelder Platz für je eine Scene, wie die Ent-
hauptung der Königin, Katharinens Weigerung dann die Gattin des Kaisers zu werden, und ihr
eigenes Leiden. Aber gegenwärtig ist alles übertüncht und scheint unrettbar verloren. Links
schimmert nur noch der Kopf der Heiligen mit dem Nimbus durch. An der Fensterseite zwei
einzelne Heiligenfiguren; rechts, deutlicher als das übrige, die wunderbare Errettung aus der Marter,
die ihr zugedacht war, und deren lebhafte Darstellung offenbar den Beinamen des Kirchleins „delle
Ruote", Sankt Kathrin' mit den Rädern, veranlasst hat. Man sieht die Heilige dazwischen stehen
und die Henkersknechte setzen eben die scharfgezahnten Maschinen in Bewegung, um den Leib der
Jungfrau zu zerfleischen. Da fährt wie ein Blitz der Engel des Herrn herab und zersplittert die
Räder, ehe sie noch fassen, in tausend Stücke, dass die Peiniger getroffen oder bestürzt entweichen.
Wolerhalten ist dagegen der Abschluss des Ganzen. Über dem Eingang zum Chore war
noch ein Feld der Schmalwand in dem Hauptraume übrig geblieben, als am ii. Juli 1387 der
Stifter dieser Malereien als Verbannter in Genua das Codicill zu seinem Testament machte, das uns
erhalten ist, und so die Möglichkeit gewährt diese Fresken, wie die Sakristei von S. Miniato mit
wünschenswerter Genauigkeit zu datieren. Damals glaubte Benedetto degli Alberti zunächst nur auf
zwei Jahre seine Vaterstadt meiden zu müssen und fürchtete kaum, dass die Gegner so mächtig
würden, ihn und die Seinen für einen Rebellen zu erklären und so seiner Güter zu berauben. Deshalb
beauftragte er seine Angehörigen und Vertreter daheim, dass die Aussenseite des Chores seiner
Kapelle zu Antella mit der Bestattung S. Katharinens auf dem Berge Sinai ausgemalt werde und
der Platz vor dem Kirchlein ringsum aufgemauerte Sitze erhalte. Zu den Seiten des Bogens, der
das Altarhaus öffnet, sehen wir die beiden vorangegangenen Scenen, links Katharinens Abführung
aus dem Kerker und rechts ihre Enthauptung, in der Mitte darüber „wie die Engel ihren Körper
nach dem Berge Sinai tragen" und in einem Sarkophage zur Ruhe betten. Noch einmal hat der
Maler für seinen Gönner Benedetto, wol noch ehe die Kunde von seinem Tode, am 13. Januar 1388,
aus Rhodus herüberkam, die ganze Kraft zusammengenommen und seinen echten Schönheitssinn
bewährt. Er weiss die Schlussaccorde energisch zu greifen und das Drama, das so lieblich beginnt,
so tragisch sich steigert, auch versöhnend und harmonisch zu schliessen. Ungemein hübsch ist der
schmale Ausschnitt, wo ein bärtiger Krieger, entschlossen aber ehrfürchtig, Hand anlegt, die königliche
Jungfrau zu binden. Auf der anderen Seite ist der Streich geschehen: enthauptet liegt der Körper
am Boden, während der Henker das Schwert zurückstösst. Droben aber auf dem Berge wird der
entseelte Körper von zwei Engeln ins Grab gesenkt; ein dritter schwingt das Rauchfass und ein
Chor von andern singt knieend zu Häupten und zu Füssen der Heiligen ein Requiem. Gerade diese
knieenden Engel gehören zum Besten, was Spinello überhaupt gelungen, und erinnern abermals wie
der Anfang an den geistesverwandten Bildner Lorenzo Ghiberti.'
I Der Artikel erschien zuerst in der National-Zeitung (Berlin 25. Dec. 18S8). Die Photograpliieen von Alinari sind
alt und lassen zu wünschen übrig. Eine neue Aufnahme des Ganzen, die Brogi versprochen hatte, wäre dringend geboten.
Das Erdbeben war eine Mahnung und hat die Kapelle vielleicht vollends gefährdet.
DIE STATUEN AN ORSANMICHELE
Es ist Markttag. Die Bauern sind vom Lande in die Stadt gekommen und drängen sich auf
der Piazza della Signoria und hinein in die Via Calzajoli in hellen Haufen um die Zwischenhändler
und Mäkler. Feilschend und schwatzend vollführen sie ein ununterbrochenes Gesumme, das den
Grossstädter aus dem Norden, der sich gerade hier hindurchwindet, an die Hamburger Börse erinnern
muss, wo er nichts weiter vor sich hat als diesen geschäftigen Bienenschwarm, nur eingefangen unter
Dach und Fach, und so allmählich städtisch abgefeimt. Waren es doch die Urväter der heutigen
Florentiner, die den Brauch ihres Handels und Wandels auf Markt und Gassen hinaustrugen in die
weite Welt, wo noch jetzt ihre heimischen Ausdrücke bei allen Geschäften im Schwange sind.
Warum drängt sich der kleine Mann vom Lande und der Verwalter des grössern Grundbesitzers mit
dem Aufkäufer und Agenten der Stadt von dem geräumigen Platze — wie aus einem Riesensaal in
enge Nebengemächer — gerade in die schmale Gasse, die zum Domplatz führt? Warum schieben
sich die Gruppen, den ab- und zufahrenden Wagen und den durcheilenden Fussgängern zum Trotz,
nur ins erste Ende dieser Verkehrsader hinein und verteilen sich in die Seitengässchen und Durch-
gänge, bis die ganze Kirche S. Carlo umlagert ist? — Es spielt ein Stück uralter Gewohnheit da-
hinein. Denn hier, gegenüber dem jetzt geschlossenen Kirchlein des Borromäers, das früher
S. Michael geweiht war, stand einst das Getreidelager der Stadt mit seinem uralten Heiligtum der
Maria und ihrer Mutter Anna, die seit 1343, da an ihrem Festtage die Tyrannei des Herzogs von
Athen ein Ende nahm, neben der Mutter Gottes hier verehrt ward. ' Es ist das nämliche Gebäude,
bei dem auch wir Halt machen ; ein rechteckiger Kasten von drei Geschossen übereinander, ringsum
frei, nur an der Rückseite mit dem Häuserkomplex dahinter durch einen später angelehnten Schwib-
bogen zusammenhängend, der bequemern Zugang nach oben gewährt. Niemand wird eine Kirche darin
vermuten. — Das ganze viereckige Gebäude, mit zwei schmaleren Seiten als Front und Rücken und
zwei längeren in der Tiefenrichtung, gleicht mehr einem Palast als einem Tempel. Das untere
Geschoss war ursprünglich offen; man sieht noch deutlich die festgefugten Pfeiler aus Haustein mit
verbindenden Bögen darüber und ihrem Zusammenhalt bis ans erste Gesims sich von dem Füllwerk
dazwischen unterscheiden. Je zwei Arkaden öffneten sich nach vorn und hinten, je drei an den
' Die urkundlichen Notizen wurden zuerst nach Luigi Passerini, Curiositä storico-artistiche fioi
1866 beigebracht; bei dieser verbesserten Redaktion sind die Angaben von P. Franceschini 1892 aufgei
— ?>7 —
Langseiten, und gestatteten ringsum den Einblick in die zweischiffige Halle, die mit sechs Kreuz-
gewölben gedeckt ist. Diese Bogenstellungen sind dann später geschlossen worden. Über einer
Brustwehr erheben sich steinerne Pfosten, welche die breite Arkade zu einem dreiteiligen Fenster
umgestalten; darüber im Bogenfelde spätgotisches Mafswerk mit halbkreisförmigen und spitzen
Bogen verschiedener Weite, mit Radfenstern und kleineren Rosen, mit üppigem Laubwerk, in dessen
Dreiblattfüllungen menschliche Köpfe als Mittelpunkt hervorragen, und endlich mit einer Reihe von
Statuetten, die innen wie aussen die Fensterpfosten bekrönen. Die Apostel- und Prophetenfigürchen
sind vielfach bis zur Unkenntlichkeit verwittert, vielfach um die Mitte unseres Jahrhunderts erneuert.
Das riesige Stabwerk selbst ist oben hier und da noch mit alten Glasfenstern gefüllt, natürlich ver-
staubt und zurechtgeflickt, die unteren Partien dagegen überall mit Backsteinwerk vermauert; nur an
der Rückseite sind darin die beiden Kirchentüren angebracht.
Ausgezeichnete Meister, wie Lorenzo Ghiberti und der früh verstorbene Nanni d'Antonio di
Banco, der einzige Donatello und der ernste Verrocchio haben die Tabernakel der Pfeiler mit ihren
Meisterwerken belebt, und so den Felsblock, der wie ein Riesenwürfel hierher gewälzt scheint, zu
einem der bedeutendsten Monumente jener Kunstperiode erhoben. „Diese Statuen sind eine sprechende
Geschichte der florentinischen Skulptur", hat man mit Recht gesagt, d. h. der Übergang aus dem
XIV. Jahrhundert bis zur Vollendung des Stiles, den wir als „Quattrocento" bezeichnen, wird hier in
typischen Erscheinungen fast Schritt für Schritt verkörpert. In den vierzehn Pfeilernischen ringsum
aufgestellt, fesseln sie unsere Aufmerksamkeit trotz Strassenlärm und Marktgedränge, dass wir uns
gern irgendwo hindurchschieben und Posto fassen, wo wir ihres Anblicks teilhaftig werden, — selbst
auf die Gefahr hin, von dem Geschäftsvolk, das herumsteht, für wunderliche Gaffer gehalten
zu werden.
Sollte ein Künstler wie Andrea del Verrocchio nicht die Macht haben, uns eine Weile völlig
zu beschäftigen, und uns über die zufällige Umgebung des Augenblicks hinausheben zu stiller Zwie-
sprach mit seinen Gebilden? Winkt nicht aus der mittleren Hauptnische der Vorderfront schon von
Ferne die Bronzegruppe „Christus und Thomas", das grossartigste Bildwerk von ihm, das in seiner
Vaterstadt Florenz zu sehen ist? Und doch: „was steht ihr Männer von Norden und schaut nach
den alten Figuren" — fragen uns die erstaunten Augen seiner Landsleute. — „Wir sind soweit
gekommen, uns als Zeitgenossen eurer Urväter fühlen zu können, die diese Gestalten da hingestellt,
mag man uns darob für fortgeschrittener oder für zurückgeblieben erklären. Uns genügt, dass wir's
vermögen!" — Es ist wahr, diese Bildwerke da oben sind schwarz geworden und verstaubt; denn wie
Wenige achten ihrer, auch wenn sie hinaufblicken und nachlesen wer gemeint ist. Aber diese
Gestalten sagen uns, wie ein denkender Künstler aus hochbegabter Zeit sich den Heiland der Mensch-
heit vorgestellt in dem Augenblick, wo ein ungläubiger Schüler dem Meister mit dem Zweifel an
dem zu nahe tritt, was er für ihn und alle Seinen gelitten und vollbracht. Es ist kein schöner Mann,'
dessen Antlitz schon den Adel seiner .Seele und die Milde seines Wesens verkündete, sondern er
ist ernst und herbe im Ausdruck; die Spuren des Leidens, das er durchgemacht, sind auch bei dem
Auferstandenen nicht verschwunden, und wie die Nägelmale an den Händen, trägt er die Züge des
Kummers um Schläfen und Mund. Aber lange Locken wallen von dem Scheitel auf die Schultern,
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ein wolgebauter Körper trägt das Haupt voll überlegener Hoheit, und ein faltenreicher Mantel
umhüllt die Glieder in malerischer Breite. Menschlich nahe und doch so vornehm durch die Macht
des Geistes und die Seelengrösse, die ihm innewohnt, steht dieser Christus neben dem hartköpfigen
Jünger, der nur glauben will, was er greifen kann. Die linke Hand zieht das Gewand von der Brust
zurück und entblösst die Seitenwunde, wo die Lanze ihm ans Herz gestossen, während die Rechte
sich emporhebt über Thomas, als taufe er ihn mit dem Feuer des heiligen Geistes und giesse die
Segnung des Glaubens über ihn aus. Und diese Hände, die uns so wichtig mitspielend gezeigt
werden — wie erzählen sie für sich selbst! So wunderbar sind alle Fasern und Falten mit Empfindung
und Leben durchdrungen. Es ist die Hand eines völlig andern Menschen, die sich der Wunde
zubewegt, mit ausgestreckten Fingern die klaffenden Ränder zu betasten; sie ist jung und unerfahren,
derber und stumpfer als die des Dulders daneben. Sonst ist diesem schwerbegreifenden Schüler
alle Schönheit und Liebenswürdigkeit zugeteilt, damit uns nicht die beschränkte Rücksichtslosigkeit
eines Berufenen verletze, der ein sinnfälliges Zeichen haben will, um festzuhalten. Das glatte Gesicht
in blühender Jugendfrische, eine Flut von goldblondem Haargelock im Nacken, runde Schultern und
lange schlanke Beine unter der weichen Bekleidung, die mit üppigem Aufwand von Faltenmotiven
drapiert ist, ja ein paar köstlich verzierter Sandalen an den nackten Füssen, deren Zehen selbst den
nämlichen Tastsinn zu besitzen scheinen, wie die Finger dieses Sohnes der Sinnenwelt, — Alles
stralt uns an und schmeichelt sich ein neben der ernsten, gramdurchfurchten Gestalt des Meisters.
Christus mit dem Heiligenschein auf dem Haupt, steht in der halbrunden Nische auf einer
Stufe erhöht, während Thomas eifrig verlangend und doch bescheiden zurückhaltend auf ihn zutritt,
als böge er soeben um die Ecke links, die zu überschreiten ihm eigentlich nicht ansteht. So hat
Andrea del Verrocchio selbst die Enge des Tabernakels, die er vorfand, zum lebendigen Motiv für
seine zweifigurige Gruppe verwertet. Ursprünglich ward dieser Marmorrahmen errichtet, um eine
Einzelstatue aufzunehmen, und zwar den heiligen Ludwig von Toulouse. Donatello war es, der —
angeblich schon 1420 — 23' — den Auftrag dazu erhalten, und die Bronzestatue S. Ludwig in
Sta. Croce, die jetzt hoch oben unter dem Rundfenster der Eingangswand den Augen seiner
Freunde allzusehr entrückt steht, war ursprünglich für Orsanmichele bestimmt. Sonst hat der grosse
Bildhauer der Frührenaissance (ums Jahr 1440 erst, wie wir nach stilistischen Eigenschaften ver-
muten) nur den plastischen Schmuck des architektonischen Rahmens geliefert. Dieser selbst zeigt
uns den reinen Stil, den Filippo Brunelleschi gefunden, vielleicht ein wenig zu akademisch klassicierend,
um von ihm selber herrühren zu können, wol am meisten Michelozzos Weise verwandt. Nur das
Symbol des dreieinigen Gottes, ein dreifaches Antlitz, im Kranz mit Flügeln, welches das Giebelfeld
ausfüllt, und höchstens die Köpfe am Sockel sind eigenhändige Beiträge Donatellos; die Cherubim
mit Guirlande am Gebälkfries wie die Genien am Untersatz verraten eine derbere Schülerhand, die
Zwickelreliefs mit nackten Flügelknaben zwischen Nischenbogen und Pilastern dagegen schon ein
feines Gefühl für antike Vorbilder, gleich denen Rossellinos am Sockel des Grabmals in S. Miniato.
I Vgl. Pietro Franceschini, L'Oratorio di San Michele in Orto in Firenze 1892 p. 88, wo das ganze Tabernakel
für Donatello in Anspruch genommen und der Bildhauer zu einem der grössten Renaissance-Architekten erhoben wird —
freilich ohne Beweise!
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Drinnen die Concha jedoch und die Verbreiterung des Sockels sind wol schon Verrocchios
Zutat, der kurz nach 1463, als dies Tabernakel in den Besitz der Universitä dei Mercatanti über-
gegangen war, mit der Ausführung des bronzenen Statuenpaares beauftragt ward. Als nach langer
Arbeit 1483 die Gruppe vollendet war
und am Thomastage i486 enthüllt
wurde, da priesen die Zeitgenossen dies
Werk als das schönste, das hier zu
sehen sei.
Wir heute glauben allerdings,
bei aller Anerkennung für den tiefen
Gedankeninhalt dieser Gruppe, dass
Donatello mit den Standbildern des
S. Georg und S. Marcus, der eine 141 5,
der andere vielleicht geraume Zeit später
erst aufgestellt, in seiner Art vollauf
daneben bestehen kann. ' Seinen
Schöpfungen freilich wohnt ein völlig
anderes Wollen inne, als diesen Vor-
läufern der Kunst Lionardos. San
Giorgio ist zur fünfhundertjährigen Jubel-
feier seines Meisters endlich aus dem
allzu tiefen Madonnentempel der Süd-
seite, wohin er lange verbannt gewesen,
heraus genommen, aber zur besseren
Erhaltung in das Museo Nazionale ver-
setzt, während an seiner ursprünglichen
Stelle eine Bronzewiederholung Platz
gefunden hat, die an dieser Stelle nicht
wirken kann wie das marmorne Original,
dessen Erhaltung allerdings gebot, es
an dieser Wetterseite nicht preiszu-
geben. Aber auch seine Gefangen-
schaft im Käfig eines Museums ficht
den Kern seines Wesens nicht an: das
stralende Bild der Jugendschönheit und
Frische verfehlt auch heute nicht seine
I Über ihn ist ausführliclier in der Gelegenheitsschrift des Verfassers: Donatello, eine Studie über den Entwicklungs-
gang des Meisters und die Reihenfolge seiner Werke, Breslau 18S6, gehandelt worden. Die Abbildungen seurer Statuen
sind neuerdings so verbreitet, dass wir sie hier ersparen dürfen.
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Wirkung. Es ist die bezaubernde Verkörperung des glücklichsten Alters mit allen Anwartschaften,
die das Leben bieten mag, und doch durchgeistigt von dem Adel eines hohen Strebens, in dessen
Dienst der junge Ritter alles, auch dieses Leben selber einsetzt, wenn es sein muss. Die herrlichen,
elastischen Glieder von der Rüstung umschlossen, Haupt und Hände frei, den mächtigen Schild vor
sich auf den Boden gestützt, so schaut der mutige Streiter, jedes Angriffs gewärtig, heraus, einig mit
sich selbst und der höchsten Bestimmung seines Daseins. Das ist harmonische Schönheit, die uns
in den glücklichsten Gebilden hellenischer Künstler entzückt, auch hier, von der Hand eines „Realisten"
wie Donatello.
Daneben zeigt er uns den ausgereiften Ernst des vielerfahrenen Mannes in S. Marcus dem
Evangelisten, der majestätisch und würdevoll vor uns hintritt. Seinem kräftig gebauten Körper mit
stämmigen Beinen und breiter Brust, mit wuchtigen Armen und Händen und dem langen wallenden
Vollbart entspricht die energische Durchbildung seines imposanten Charakterkopfes so vollkommen,
dass der Eindruck überzeugender Sicherheit und wahrhaftiger Treue erweckt wird. Wenn es die
Aufgabe der statuarischen Kunst ist, uns eine vollausgerundete Persönlichkeit, auf sich selber gegründet
und in Übereinstimmung mit sich wie mit der Welt umher, gleichsam als Typus einer bestimmten
Daseinssphäre hinzustellen, so gehört dies Standbild zu den allergrössten Leistungen, die wir über-
haupt besitzen, und man braucht nur Umschau zu halten unter ähnlichen Versuchen der Zeitgenossen,
des Altertums und der neueren Zeit, um des Wertes inne zu werden, der diesem Marcus Donatellos
zuerkannt werden muss.
Schwächer als die beiden Meisterstücke, S. Marcus und S. Georg, und doch in ihrer Art
sehr beachtenswert erscheint die dritte Statue, S. Petrus, die als frühester Beitrag Donatellos zum
Schmuck von Orsanmichele wohl hauptsächlich deshalb betrachtet wird, weil der Name des Apostel-
fürsten noch in gotischen Lettern daran geschrieben steht. ' Sonst hat gerade diese Figur einen Zug
malerischen Wesens mit späteren Werken des Bildners gemein, wie mit der Bronzestatuette Johannes
des Täufers im Berliner Museum und dem Relief der Verkündigung in Sta. Croce.^ Ja, dieser Schwung
der weichen, tiefgefurchten Mantelfalten, die wie aus feuchtem Stoff sich um den Körper legen,
bestimmt im wesentlichen den Eindruck. Es scheint diesem „Felsen der Kirche" der rechte Halt zu
fehlen, den wir vom Standbilde verlangen, und mehr als eine Eigentümlichkeit erinnert an die frühen
Einzelfiguren des Giacomo della Quercia, dessen Beziehung zu Florenz man mehr als billig aus der
Geschichte der Skulptur zu tilgen sich bemüht. Dagegen hat auch diese Gestalt Donatellos ihre
bedeutenden Vorzüge, die sich jedem eindringenden Beschauer offenbaren. Mehr als irgendsonst an
1 Nach den urkundlichen Ausweisen hätte Donatello die Statue für die Zunft der Beccai im Jahre 1413 über-
, während der Marcus zeitweilig unvollendet stehen geblieben war. Vgl. Franceschini a. a. O. p. 8i. Damit würden
sich die Versuche von W. Pastor und W. Bode, diese Statue dem Nanni d'Antonio di Banco zuzuteilen, nur auf stil-
kritische Bemerkungen reducieren, aus denen ich diese letzte Folgerung nicht ziehen möchte, je mehr wir die Verwandt-
schaft mit Nanni in diesen Jahren bereits kennen, über die Zeit der endgiltigen Vollendung und Aufstellung des S. Marcus
aber nicht unterrichtet sind.
2 Ich habe dies Tabernakel aus Kalkstein mit den ursprünglich drei Paaren von Putten aus Terracotta als ein
Werk aus verschieden zu datierenden Bestandteilen erwiesen (vgl. a. a. O.) Das hinzu postulierte dritte Paar der
Guirlandenträger ist dann wirklich aufgefunden und von Bode als zugehörig beschrieben worden.
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einem Marmorwerk so früher Zeit hat der Künstler im Kopfe seines Petrus Wirkungen erstrebt, die
sonst als besondere Reize dem Tonmodell oder höchstens der Terracotta
vorbehalten bleiben. Er versucht es, die ganze Intimität der farbigen
Nuancen, die Unregelmässigkeit der kleinen Flächen und Vorsprünge,
den lockeren Zusammenhang der Haarwellen und des Bartgekräuseis
auf den Marmor zu übertragen. So ist die Oberfläche überall rauh
geblieben und infolge dessen — • nicht zur Erleichterung unseres heutigen
Urteils — stärker geschwärzt als die andern ringsum aus gleichem Material.
Auch hier ist die Stellung des Körpers, wie die Wendung des Kopfes
schon bestimmt für den Standort gedacht und berechnet: es ist die erste
Nische nächst der Front gegen die Strasse vom Dome zu, und dem
Vorübergehenden tritt dieser Apostel energisch genug entgegen, eben
weil er das kurzbärtige Haupt zu ihm herum wendet. Die linke Seite des
Leibes, das vortretende Bein, der Arm mit dem Buch, die Schulter mit
der Manteldraperie, legt sich in diesem Sinne heraus, und die ganze
Erscheinung gewinnt eine momentane Wirksamkeit, welche wir sonst fiHr^SUPlr^ I
an den glücklichsten Leistungen seines mitstrebenden Genossen Nanni
d'Antonio die Banco bewundern, der uns zunächst beschäftigen soll.
Nanni d'Antonio ist ein hochbegabter, für die neue Sehnsucht
seiner Zeit überaus empfänglicher Künstler, dessen Gemeinschaft mit
Donatello gerade in den schwierigsten Jahren des Übergangs von mittel-
alterlicher Idealität zum Realismus des Quattrocento die sichtlichste
Bedeutung gewinnt, je mehr wir sie beachten lernen. Von früher Jugend
an im Handwerk erzogen, und unter seinem Vater, der sich vom ehr-
samen Steinmetz zum tüchtigen Bildhauer und zum Dombaumeister
aufschwang, überall als Gehülfe verwendet, dem bald die feinere Arbeit
zufiel, ist er seinem Genossen Donatello in der Übung, ja als zünftiger
Meister voraus. Zeitweilig nähern sie einander so, dass man heute noch
Jugendwerke Nannis für Leistungen Donatos anspricht, und diese Ver-
wechslung ist für den nachmals Berühmteren keine Unehre zu nennen.
Man betrachte nur einmal das schönste Meisterstück, das Nanni gelungen,
die Himmelfahrt Marias am Giebel des nördlichen Domportals, über
deren Ausführung er 1420 allzufrüh dahinstarb, mit Donatellos Ver-
kündigung in Sta. Croce, und halte sich bewusst, dass die letztere nicht
die frühere der beiden Reliefdarstellungen sein kann, da Nanni bei der
seinen schon 1414 in voller Tätigkeit war. Hier aber an Orsanmichele
gehen die beiden jungen Meister wetteifernd neben einander her, und wenn
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Zeiten, wo Altes versinkt und neue Keime sich zum Lichte drängen, oft der Einfluss der gleichaltrigen,
suchenden Genossen wichtiger wird, als der der Meister", so konnte kein Beispiel mehr anspornend
auf Donatello wirken, in seinen Statuen des Marcus und Georg das Höchste zu leisten, als dieser
freundschaftliche Rangstreit mit Nanni di Banco. Und diese Verschlingung ihrer Wege zu beobachten
wird um so lehrreicher, als Nanni der Mittler ist zwischen zwei entgegengesetzten Richtungen, die
damals im künstlerischen Streben zu Florenz bestehen, und die wir gewohnt sind, schroff und unver-
mittelt in Donatello und Ghiberti verkörpert zu denken.
Es hat nicht jeder, wie Michelangelo, das Bedürfnis, Andersfühlende auf der Strasse anzu-
rempeln, und mit Beleidigungen aus ebenbürtiger Gesellschaft herauszuwerfen, wenn es nur anginge.
Ghiberti und Donatello mögen sogar gemeint haben, ganz das Selbe zu wollen, oder doch in der
Hauptsache durchaus einig zu sein; denn es dauert fast immer geraume Zeit, bis man sich des
Gegensatzes bewusst wird, der unvermerkt emporgewachsen, während wir nachträglichen Beobachter
uns einbilden, sie müssten als feindliche Potenzen schon geboren sein. Selbst bei Donatello, einer
.so entschiedenen und energischen Natur, wird es schwer, die Stelle in seiner Entwickelung zu
bezeichnen, wo ihm klar geworden, was er im Grunde seines Wesens eigentlich wolle, was er aufgeben
und vermeiden müsse. Er nähert sich seinem Ziel von verschiedenen Seiten, anfangs gar überraschend
wandelbar, wie es scheint, und hat doch stets den einen Hauptgedanken, die Aufgabe seines Lebens
unverrückt im Auge, das heisst die Schöpfung einer echten statuarischen Kunst. Deshalb
gerade ist es wertvoll, neben seinem Fortschritt während dieser Zeit des Werdens auch den gleich-
zeitigen Weg eines Mitstrebenden zu beachten, der in anderem Sinne so reich begabt war, wie
Nanni d'Antonio di Banco.
Auch Nanni hat drei Nischen an Orsanmichele mit Statuen besetzt. Verfolgen wir auch diese
Reihe rückwärts wie bei Donatello, und zwar mit der spätesten beginnend, so kommen eigentümliche
Resultate zum Vorschein. Noch bestimmter fast als bei Jenem bezeichnen diese Werke stilistisch
ebensoviel verschiedene Schritte in der Entwicklung, die erst nach einander möglich waren. S. Philipp,
der Schutzpatron der Schuster, ist jedenfalls der Letzte. Nirgends prägt sich die realistische
Gesinnung, in der sich Nanni und Donato damals zusammenfanden, so unverfroren aus wie hier. Es
ist ein Handwerkerapostel, nicht ohne einen Anflug von der banausischen Sphäre und dem linkischen
Benehmen eines Biedermannes vom Dorfe. Er trägt sogar zwischen Hand und Hüfte rechts einen
Gegenstand unter dem Mantel, als schäme er sich in der Stadt offen damit aufzutreten; und es
kann doch nur das Buch seiri, das ihm als Prediger des Evangeliums gebührt. Aber die malerische
Bereite dieser Draperie, das feste Auftreten und die entschlossene Durchbildung des Bauernschädels
mit starken Backenknochen darunter und halbgeöffnetem Munde, reihen diese Figur in die Mitte
zwischen Donatellos Petrus und Marcus ein. Nichts mehr von antikem Rhetorenkostüm! Ein schlichter
Kittel, am Halse in Falten gelegt, durch einen Gurt, einen Strick, hier gar durch einen abgeschnittenen
Randstreifen des Wollentuches um den Leib zusammengehalten, reicht nur bis auf die Schenkel herab,
so dass die nackten Füsse mit Holzsandalen frei heraussehen. Statt der römischen Toga wird ein
einfaches Stück Wollentuch um die Schultern geworfen, an dem ringsum der gekrollte Rand des
Gewebes stehen geblieben ist, wie es Donatello von seinem Vater, dem Tuchspanner, frischweg vom
der Fall des Stoffes von ungefähr beobachtet
Rahmen ins Atelier genommen. Nichts mehr von ciceronianischem Phrasentum im Wurf dieses
Umhangs, sondern möglichst natürliches Gehaben
und wiedergegeben, wenn auch hier und da die
ordnende Hand des malerisch sehenden Künstlers
nachhilft und stellenweis schon Motive heraus-
bringt, die noch ein Meister der Gewandung wie
Luca della Robbia sich dankbaren Sinnes zu eigen
macht.
In der Nische daneben stehen vier Heilige
beisammen: es sind die Märtyrer Kastor und
Symphorian, Nikostratus und Simplicius, die Schutz-
patrone der „Maestri di pietra e legname", Maurer,
Zimmerleute, Steinmetzen und Bildhauer. Nanni
selbst hat die Nische angeordnet, breiter als die
übrigen dieser Seite aus dem Pfeiler herausgehauen,
innen mit einem Teppich in Marmor ausgekleidet,
dessen Enden vorn an den Eckpilastern befestigt
sind, mit einem Relief am Sockel, wo die Arbeiten
dieser Zunftgenossen in schlichter Wirklichkeits-
treue gezeigt werden. Der Maurer beim Aufbau
einer Eckwand, der Steinmetz beim Bohren eines
gewundenen Säulchens, der Baumeister oder
Zimmermann beim Abzirkeln eines Kapitals und
endlich der Bildhauer beim Meissein einer nackten
Knabenfigur geben einen anziehenden Einblick in
die gemeinsame Tätigkeit. Aber nicht das allein
macht sie uns wert. Das Relief selbst ist als
solches ein Meisterstück, an das wiederum Luca
della Robbia anknüpft, im Gegensatz zu Lorenzo
Ghiberti wie gegen Donatello. Hier ist die körper-
liche Rundung der Gestalten, die geschmackvolle
Behandlung der Zeittracht, die zurückhaltende Ein-
beziehung des Nebenvverks wie des Raumes schon
völlig in der Weise vorgebildet, die wir an Lucas
Reliefbildern am Campanile mit den Vertretern
der freien Künste bewundern. Und dieser Mann
sollte nicht gewusst haben, seine vier Statuen in der selbsterbauten Nische zusammen zu bringen
und seine Zuflucht nehmen müssen zu den gewagten Verkürzungskünsten Donatellos? Die Heiligen
stehen ungeschmälert an Armen und Schultern neben einander, die beiden rechts sogar als
— 44 —
Gruppe aus einem Stück, ' und was Vasari von ihrer nachträglichen Einpassung zu berichten
weiss, ist nichts als eine alberne Künstleranekdote. Wol aber haben sie selber uns ein Stück
Geschichte ihres Meisters Nanni zu erzählen, wenn wir nur sehen wollen, was sie bedeuten. Diese
Männer entstammen zwei verschiedenen Generationen seines Stiles, stellen uns seinen Übergang von
der früheren Stufe zum einfach wahren Realismus sichtbar vor Augen. Die beiden Vorderen gehören
schon, wie wenig ältere Brüder, zur Art des heiligen Philipp; der eine trägt sogar denselben Tuch-
mantel mit dem angeblichen Faltensaum attischer Statuen. Aber bei beiden ist die Haltung der
Hand noch dieser malerischen Breite des Gewandes zu Liebe gewählt, nicht motiviert von Innen her.
Beide sehen aus wie Bildnisse, und ebenso der bartlose Alte weiter rechts, als hätten die nächsten
Freunde des Künstlers für ihre Patrone Modell gestanden. Aber dieser Hintermann ist noch befangen,
und der jugendlichste neben ihm, der seinen Krauskopf auf breiten Schultern und mächtigem Körper
so kühnlich trägt, gleicht vollends einem Römer in antiker Tracht. Ja noch mehr, er hat die grösste
Ähnlichkeit mit der Nachbildung einer antiken Figur, die Nanni an dem Portal des Domes gegen
Norden, im Laubwerk zwischen den Engelköpfen angebracht, als er um 1408 den Marmorschmuck
der Porta della Mandorla vollenden half ^ Es ist der nackte Herkules mit Löwenfell und Keule,
eine der frühesten und glücklichsten Versuche, nach antikem Vorbild zu arbeiten. Hier erscheint
der Heros bekleidet an Orsanmichele wieder, und die zahlreichen schmalen Querfalten der Toga
verraten sogar noch die Schulgewohnheit, die der junge Meister aus dem Atelier seines Vaters
Antonio mitbringt.
Und diese klassicierende Regelmässigkeit der Draperie hat der Herkules in der Toga wieder
gemein mit einem anderen Werke Nannis, das wir in der dritten Nische an der Eingangsseite des
Gebäudes finden. Es ist der Heilige der Hufschmiede S. Eligius. Die hohe Gestalt mit der Mitra
auf dem Haupt, mit dem feinen Chormantel um die Schultern, den eine breite Agraffe auf der Brust
zusammenhält, mit dem Buch in der linken und dem Bischofsstab in der rechten Hand, ist gewiss,
für sich allein betrachtet, eine geschmackvolle, würdige Erscheinung. Das sichere und doch so
elastische Auftreten des Kirchenfürsten, die momentane Hebung des Körpers bewirken in diesem
Standbild einen eigentümlichen Reiz, den es mit einem andern urkundlich beglaubigten Werke dieses
Künstlers, der sitzenden Gestalt des Evangelisten Lukas im Dome gemein hat. Diesem jugendlichen
Typus gleicht auch S. Eligius von Angesicht, bis auf den kurzgehaltenen Backenbart sogar, nur
sind die Züge älter und ernster gegeben als dort. Allein die sauberen, einförmigen Faltenzüge des
künstlich um die Beine geschlagenen Chormantels geben dem Bischof an Orsanmichele eine etwas
zahme Eleganz, in der wir wieder die Ähnlichkeit mit dem halbgotischen Antikenstudium des Antonio
di Banco erkennen.
Kein Zweifel jedoch, dass Nanni selbst der Erfinder dieses Standbildes gewesen. Nur von seiner
Hand konnte damals ein Relief gearbeitet werden wie dieses, zu dessen Aufnahme der ganze Sockel
eine ungewöhnliche Form erhalten hat, mit einer Erhöhung in der Mitte. Hier zieht er die lebendige
Gruppe seiner Wundergeschichte zusammen, wie S. Eligius als Hufschmied den Fuss eines besessenen
t Vgl. Franceschini, a. a. O. p. 83.
' Vgl. darüber meinen Aufsatz „Vier Statuetten der Domopera" im Jahrbuch der K. preuss. Kunstsammlungen I
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Pferdes beschlägt im Beisein der dämonischen Reiterin und des Knappen, der mit Mi.ihe dem auf-
sätzigen Rosse das Bein hält. Wenn auch noch nicht so frei in der Formgebung, bekunden doch alle
Gestalten, das Tier nicht minder als die Menschen,
die seltene Begabung des Künstlers. Endlich kommt
noch ein Umstand hinzu, der sämtliche Statuen Nannis
an Orsanmichele vereinigt. An allen drei Nischen
erscheint oben am Giebelfeld die Halbfigur des Er-
lösers, in malerisch drapierter Gewandung, und in so
freundlicher Milde des Ausdrucks wie nur seine Engel-
gestalten sonst, an der Porta della Mandorla des
Domes. Reizvoll und sehnsüchtig offenbart sich die
Verwandtschaft seiner Seele mit Lorenzo Ghiberti.
Als Jüngling verlangt auch er nach Schönheit, nach
den Idealen der entschwundenen Generation, die sein
Vater ihm gepredigt. Heranreifend zum Manne, wagt
er die Wahrheit dieses Lebens, schlicht und recht,
sei es auch etwas linkisch und plump, um die Wette
mit Donatello, — die entschlossene Wirklichkeitstreue,
der die Zukunft gehört. Da stehen die beiden Ziele
zu äusserst in den Nischen von Orsanmichele ver-
körpert: S. Eligius, aus einem Hufschmied zum Bischof
erhoben, ja zum Heiligen verklärt, und S. Philipp,
der Apostel, in Florenz zu seinen Zunftgenossen
herabgestiegen, als biederer Handwerker auftretend,
um den Patron seiner Schutzbefohlenen vom Leisten
gerade so zu spielen, wie sich diese ihn denken.
Eine andere Statue dagegen hat nichts mit
Nanni zu tun, obgleich man sie gewöhnlich ihm
zuschreibt. Die Frage, wem sie dann gehören mag,
ist freilich nicht leicht zu lösen. S. Jacobus mit samt
seiner Nische und dem Bildschmuck daran giebt dem
Auge des Forschers mancherlei Rätsel auf. Das
Relief am Sockel zeigt die Enthauptung des Apostels
in einem breitgedrückten Vierpass, ähnlich jenem an den
Bronzetüren des Baptisteriums. Die Scene darinnen
aber ist völlig im Sinne Ghibertis gegeben, so dass
man daran gedacht hat, auch die Statue selbst könne das früheste Werk von ihm an Orsanmichele
sein. Aber wir haben ein Marmorwerk vor uns und kennen von seiner Hand sonst keinen Versuch
der Steinskulptur, und gerade dieses Martyrium S. Jakobs setzt bereits mehrere Reliefs an der
Bronzetür voraus, besonders die Auferweckung des Lazarus, wo im Gegensinne die Gestalt Maria
Magdalenas, die sich Christus zu Füssen wirft, als Vorbild des enthaupteten Apostels hier erscheint
in der Marmorübersetzung. Auch das Innere der Nische
verrät in der Felderteilung und Profilierung schon sichere
Fortschritte in der Frührenaissance. Und das Giebel-
feld mit der Auffahrt des Apostels, der von Cherubim
getragen wird, ist wieder in völlig anderem Reliefstil
gehalten: wie jenes unten dem Lorenzo Ghiberti, steht
dieses dem Luca della Robbia nahe, und zwar seiner
Auferstehung und Himmelfahrt über den Sakristeitüren
des Domes. Im Standbild selber endlich glaubt man
einen Letztling der Gotik zu erkennen, so eifrig stilisiert
sind die Faltengehänge, so schulmässig der Strom
weichfliessenden Stoffes unter dem Mantel hervor um
die Füsse gewendet, so befangen erscheinen die Arme
an den Leib gelegt, so länglich und schmal das Antlitz
mit den scharfgeschnittenen Formten aber leblosen
Zügen. Trotzdem ist auch dieses Werk nicht so früh
denkbar, sondern verrät doch bereits das Streben, die
alte Gewohnheit zu überwinden, den Körper aufzurichten,
die Gliedmassen in ihrer Stellung künstlerisch zu ver-
werten, ja es lässt sich nicht verkennen, dass der Ur-
heber einen ausgesprochenen Sinn für die Erfordernisse
eines einzeln stehenden Standbildes besessen hat.
Sicher hat dieser Mann von Lorenzo Ghiberti gelernt
und geht über dessen früheste statuarische Leistungen
bereits glückUcher hinaus. Ein Gehülfe bei den Bronze-
türen wie Bernardo Ciuffagni, der dann unter
Niccolo d'Arezzo zugleich die Marmorskulptur betrieb,
dürfte am ehesten das Mafs der Kraft bezeichnen, die
wir vor uns haben,' während die Ausstattung der
Nische vielleicht erst später vollendet ward, als man
auch die Rundmedaillons über den Tabernakeln mit
Robbia-Arbeit ausschmückte.
Waltet doch ein völlig anderer Geist in
den Bronzestatuen des Lorenzo Ghiberti selber!
I Auch Pietro Franceschini, der diese stilistische Unterscheidung von n
für den kleinen Mafsstab der Figur, indem er annimmt, sie sei wol schon
Signoria 1404 die Errichtung von Tabernakehi befahl: „adattata nel tabern
sono i caratteri indiscutibili della scultura del rinascimento" a. a. O. S. 84.
wiederholt, sucht nach eint
1 Pfeiler vorhanden geweser
icolo nuovo eretto dopo e nei cui
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S. Johannes der Täufer ist freilich abschreckend genug, in der Haltung wie in der Gewandung
durchaus maniriert. Er beweist die ganze Befangenheit des Goldschmieds, der im engen Atelier
geschult worden, gegenüber den Marmorbildnern,
welche Statuen für die Öffentlichkeit denken; denn
in den Jahren 1414 — 1416, wo er entstand, schuf
Donatello seinen heiligen Georg! Der freilich musste
Allen die Augen öffnen. Welch ein Abstand gegen
diese dürftige Asketenfigur, deren schmale Körper-
masse nur durch ein Bravourstück von Manteldraperie
interessant gemacht wird ; und dieses Schulexercitium
an dem Mannequin, dies kunstvoll verschlungene
System von Kurven mit dem langen gotischen
Zopf als Finale! Nichts als Goldschmiedseleganz,
die, in solchen monumentalen Mafsstab übersetzt,
zur hohlen Phrase wird. Vor der Brust auf dem
Fellkleid statt der Agraffe sogar ein Knoten, an den
Füssen die saubersten Sandalen! Nur eins verrät,
dass auch Ghiberti die Luft des Quattrocento atmet ;
aber dies Symptom ist nicht einmal liebenswürdig
und woltuend. Es liegt in der Physiognomie des
Propheten: dieser Mann ist nicht asketisch von Natur,
nicht entsagend aus Idealismus; er ist aus einem
Wüstling zum Wüstenmenschen geworden, und ist
in der Einsamkeit nicht einmal geläutert, sondern
verirrt; — was giebt ihm ein Recht, den Bussprediger
zu spielen? er trägt ja die Wahrzeichen der Leiden-
schaft noch selbst an der Stirn.
Das Gewand ist auch die Hauptsache, worin
Ghiberti sein Heil sucht, an der Statue des Evan-
gelisten Matthäus für die Wechslerzunft. Merk-
würdig, — hat der entschiedene Übergang zur
Antike, der höchstens am Schuhzeug des Täufers
angekündigt war, sich nun erst zwischen 14 16 und
1420 vollzogen? Am 26. August 14 19 ward der
Matthäus ihm aufgetragen, nachdem ein Guss miss-
lungen war, mit Hülfe Michelozzos nochmals model-
liert, gegossen und 1422 aufgestellt, in einer Nische, die auch soviel als möglich antikisiert. Der
Apostel der Zöllner ist ein attischer Rhetor von oben bis unten, und darin liegt wieder ein Missgriff
in der Lösung der eigentlichen Aufgabe, wenn man nur herumblickt zum Marcus Donatellos. Von
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diesem sagte Michelangelo: „wenn so ein Biedermann das Evangelium schreibt, da muss man schon
glauben;" von Ghibertis Matthäus dagegen wendet man sich ab, zweifelnd ob es ihm Ernst sei; denn
die schauspielerische Eleganz dieses Griechen
erinnert an die Sophisten bei Piaton. Nur an
einer Stelle hängt auch hier noch gotische Schul-
gewohnheit nach: in der hohlen Falte über den
rechten Arm und in dem scharfen Bausch über
dem Leib zum offenen Buch hinüber, das auf-
recht in der Linken steht. Sonst ist alles einfach
und edel, sorgfältig, sauber und harmonisch; auch
der antike Kopf mit seinem wolgeordneten Bart
und seinem kraftvollen Haarschmuck, mit dem
Anflug des Olympischen. Wolabgewogen ist
auch die flachere Nische mit hellerem Hinter-
grund für das bronzene Standbild, das in vor-
nehmer Pose momentan imponierend genug
hervortritt, und gewiss die Verehrer klassischer
Formen höchlichst befriedigt.
Liebenswürdig und echt, der wahre Ghiberti,
wie wir ihn gern anerkennen und hoch halten
gegen mancherlei einseitige Unterschätzung, offen-
bart sich an Orsanmichele nur an einem einzigen
Werke: — S. Stephan. Er steht in der tiefen
Mittelnische zwischen den Türen, welche schon
141 2 für ein Marmorbild des Heiligen der Wollen-
weber bereit war, ' an dessen Stelle dann Ghiberti
sein Bronze werk zwischen 1425 bis 1426 vollendet
hat. In der Linken ein Buch, das wie zufällig
die rechte Mantelseite quer über den Leib nimmt
und so die beliebten Bogenlinien des Faltenzuges
veranlasst, in der Rechten ehedem eine Palme,
geht der junge Märtyrer aus der Tiefe des Raumes
hervor und blickt in freundlicher Milde zu uns
heraus, obgleich die leise emporgezogenen Brauen
und die Hautfalte vor der Stirn als Spuren des
Leidens geblieben sind, durch das er zu dieser Verklärung hindurchgegangen. Hier ist Wollaut der
Linien und Formen, Ebenmais und Harmonie des Vortrages mit aller Lebensfrische der neuen
I Der Beschluss, der Arte della Lana ein Bronzebild an die Stelle des vorhandenen Marmorvverkes zu setzen, datiert
vom 2. April 1425. Die alte Figur wurde 1427 an der Fassade des Domes aufgestellt.
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Zeit vereinigt, — das beste, was der Idealismus des Mittelalters gewollt, in einem Werke der
Renaissance erreicht. Aber, wir dürfen uns nicht verhehlen, die schöne Erscheinung beruht wesent-
lich darauf, dass die Gestalt in und mit ihrer räum-
lichen Umgebung gedacht ist. Sie ist in fliessender
Bewegung aus der Tiefe, wie die herrlichsten Gebilde
an der Area di San Zanobi im Dome und an der
Porta del Paradiso ; nehmen wir sie heraus aus ihrer
Nische, so würden wir nach begleitenden Wesen
suchen, die dazu gehören, nach einer Corona von
Andächtigen, aus der dieser Auserwählte hervortritt,
nach einem feierlichen Gefolge, mit dem er im Zug
der Seligen daher wallt wie in Wolkenbildern. Es
ist keine Freifigur, sondern die Verkörperung eines
malerischen Gedankens.
Damit sind wir am Ende des Rundganges,
scheint es; denn wir stehen vor der leer gewordenen
Nische, die sonst Donatellos S. Giorgio beherbergt,
oder vor den späteren Bronzestatuen von Baccio
da Montelupo und Gian Bologna. Aber die Reihe
der älteren Werke, die wir von Verrocchio bis
Ghiberti zurückverfolgt, ist noch nicht vollzählig,
die Geschichte der Skulptur, die Orsanmichele dar-
bieten kann, noch nicht erschöpft. Es fehlt sogar
der Anfang, wie jene ältere Figur S. Stephans in
Marmor und der allzu kurze Jacobus bezeugen.
Wir müssen die Zutaten von Baccio da Montelupo
und Giovanni Bologna bei Seite stellen; denn sie
sind an Plätze getreten, die schon von anderen
Figuren besetzt waren. Wir müssen auch das
geräumigste Tabernakel, das nun aufs neue verödet
worden, wieder ausfüllen, wenn es gilt, den richtigen
Ausgangspunkt des Gestaltenzuges zu gewinnen.
An der Vorderseite des Baues, gegen die
Strasse zu, wo jetzt der Lucas des Gian Bologna
die Reihe der Bronzewerke abschliesst, stand ursprünglich ein älteres Marmorwerk, und die Nische
ist unverändert geblieben, für den Sockel der neuen Figur nicht einmal tief genug. Droben am
Giebel erscheint noch das alte Gottesbild mit der Weltkugel in der Linken, segnend aus einem
7
— 50
flockigen Wolkenstreifen hervor; drunten am Untersatz das alte Symbol des Evangelisten, der
geflügelte Stier, wie ein Schosshündchen zu seinem
Herrn emporschauend , und symmetrisch stilisiertes
Rankenwerk, das nur ein früher Zeitgenosse Ghibertis
oder gar ein Vorgänger im sorgsamen Studium der
Antike gearbeitet haben kann. Aber wo finden wir den
alten Lucas, den einst die Zunft der Richter und
Notare an so vornehmer Stelle als ihren Patron verehrte,
aber auch so früh schon verschmähte und 1601 durch
den eleganteren des Gian Bologna, — einen römischen
Juristen in antikem Gewände, der mit dem Corpus
Juris in der Hand plaidiert, — ersetzen Hess? Er hatte
eine Zeit lang wenigstens in Donatellos Nische für
S. Giorgio ein Obdach gefunden, und steht jetzt, aber-
mals in einer fremden Behausung, in einem der oberen
Säle des Bargello. Dieser Marmorheilige ist allerdings
von derberem Schlage und einfacheren Sitten. Eine
breitschulterige, beinahe untersetzte Gestalt mit hartem
Schädel und kurzem Backenbart, wie wir S. Petrus
denken als Fels der Kirche. Seine Gewandung ist die
biblische Tracht der gotischen Tradition; die Behand-
lung jedoch und der Körper, der darunter steckt, die
Extremitäten, die hervorschauen, und der Kopf auf
diesem Stiernacken sind ebensoviel Anzeichen, dass
wir uns nicht mehr im Trecento befinden, sondern
dass der Geist des Realismus, aus dem ein Nanni
d' Antonio und Donatello hervorgegangen, bereits im
Schwange war, als dieses Werk entstand, und stärker
noch, als bei Ghibertis Johannes drüben, die Haupt-
sache bestimmt, die dieser Bildhauer will. Es ist ein
Gesinnungsgenosse des Niccolo dArezzo, der hier auf-
tritt; fast möchte man sagen, er ist es selber: so nah ist
die Verwandtschaft mit seinem sitzenden Evangelisten
Markus im Dome. Nur muss es auffallen, dass die
Augen ohne Angabe der Pupille gearbeitet sind, dass die
Hände, ausführlicher durchgebildet, merkwürdig flache
Nägel haben, an denen die Haut ringsum höher steht, und dass der vorguckende Fuss eine Reihe
von ganz kolossalen Zehen mit einem runden Riesen an der Spitze präsentiert. Ausserdem trägt die
Gewandung mehr klassische Einfachheit zur Schau, ist an keiner Stelle mehr so überladen, wie bei
— Si-
elen früheren Werken des Niccolo d'Arezzo, aber noch nicht so aufgeschürzt wie bei den späteren; —
genug, sie entspriclit der Weise eines eingeborenen Florentiners, der neben dem Aretiner hergeht,
und geradezu an der Ausführung geholfen haben müsste, wenn Niccolo dies Standbild erfand.
Weit wichtiger ist eine andere Erkennungsscene, die wir in einer finsteren Stube desselben
Museums erlebt haben, ohne sie Andern freilich so vermitteln zu können, — besonders wenn man
den Wechsel der Tonart nicht mit verstehen will — mit Johannes dem Evangelisten, der an der
anderen Seite von Orsanmichele den Platz des Bronzebildes von Baccio da Montelupo einnahm. „Am
20. Oktober 15 15, erzählt Giovanni Cambi, Hess die Zunft von Porta S. Maria an Horto S. Michele in
ihrem Pfeiler den Schutzheiligen Messer San Giovanni Vangelista aus Bronze aufstellen, und sie nahmen
einen aus Marmor, der da stand, weg, weil es keine allzu gute Figur schien." — „Im Jahre 1888
aber, könnte man fortfahren, kamen Germanen nach Florenz, die sich viel in alten Kirchen und Palästen
herumtrieben, und erkannten in der Dunkelkammer des Bargello einen Landsmann als Johannes den
Evangelisten von der Seidenzunft, hiessen ihn willkommen, wie jemand, den man lange gesucht und
nicht gefunden hat, und nötigten ihn auf einen Ehrenplatz, neben seinem Meister." — Auch dieser
Apostel ist ein Handwerker wie Nannis S. Philipp und andere Genossen aus jener Zeit, ja er ist
philisterhafter als irgend ein Plorentiner. Der Künstler scheint ihn sich halb als polnischen Juden,
halb als blonden Schreinermeister aus dem Schwabenland gedacht zu haben, und dies Schwanken
zwischen Idealen hat den ganzen Kerl um seinen inneren Halt gebracht. Unsicher in den Hüften
steht er da, wenn auch breit genug durch die Gewandung, die salopp um die Glieder hängt.
Es ist ein dürftiges, schlecht gewachsenes Modell unter der biblischen Kleidung, aber nicht bloss
eine Gliederpuppe mehr. Die Brust ist nicht eng, aber eingefallen, die Schulter eckig, und kein
kräftiger Hals sichert die Haltung des Kopfes, dessen längliches Gesicht, mit vortretenden Backen-
knochen, tiefliegenden kleinen Augen und vierkantiger Stirn, die unter spärlichem Haarwuchs etwas
zurückfliehend erscheint, gar fremdartig anmutet unter italienischen Volkstypen oder gar Abkömm-
lingen der römischen Antike. Lange dünne Locken fallen vereinzelt auf die Schultern und geben,
wie der reiche Bart und die Furchen der Stirn, die Hohlheit der Wangen, dem Antlitz etwas
Byzantinisches. Aber es kann kein Zweifel bleiben, diese Züge, dieser Körper, ja diese knöchernen
Hände gehören einem deutschen Schneider oder Zimmermann vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts!
War er nicht selber hier in Florenz, so ist sein Urbild aus irgend einem Passionsspiel doch jenseits
der Alpen, in Süddeutschland zu suchen, und lebte nur bestimmend in der Vorstellung des Bildhauers
fort, der ihn hier gemeisselt! Und damit ist der Meister genannt, den ich meine: Peter, der Sohn des
Johannes, aus Deutschland, oder „Piero di Giovanni Tedesco", wie er um 1383 — 1402 in Urkunden,
besonders der Florentiner Dombehörde, beglaubigt ist, als Urheber einer Fülle von Statuen und
Statuetten, von denen keine nachgewiesen ward bisher.
Es steht der Annahme, dass Peter Hansen der Deutsche die alte Statue des Evangelisten
Johannes für Orsanmichele gearbeitet, auch chronologisch kein Hindernis im Wege, da die Arte della
Seta, seit 1340 schon im Besitze ihres Tabernakels, nach Vollendung der oberen Geschosse des
Baues in den achtziger Jahren des Trecento, nicht lange gezögert haben wird, ihren Schutzheiligen
aufzustellen, da sie an der Verherrlichung dieses zünftischen Heiligtums in erster Reihe interessiert
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war.' Das beste freilich, was sie zum Schmucke beigetragen, ist nicht der abgesetzte Apostel im
Bargello, noch sein Ersatzmann an Ort und Stelle, sondern das Rundmedaillon mit dem Wappen
der Zunft, der Porta Santa Maria, von zwei nackten Bijbchen gehalten, ein Meisterstück des Robbia,
über der Nische des Eckpfeilers droben.
Doch nun zum altertümlichsten der Tabernakel, das heute verlassen steht. Es trägt am
Sockel die Inschrift, dass die Zunft der Ärzte, Spezeristen und Krämer am 13. August des Jahres
1399 dies Werk gewidmet. Und darinnen thronte das Bild der Himmelskönigin mit dem Kinde, die
Madonna della Rosa, die jetzt im Inneren der Kirche bewahrt wird. Ruchlose Hände hatten sie
wiederholt verunglimpft, und so nahm man sie 1628 von ihrem altgewohnten Standort. Wir müssen
sie zurückdenken an diese Stelle, und sähen sie gern in Wirklichkeit wieder dahingebracht, da in
unseren Tagen wol keinem, auch noch so fanatischen Juden in Florenz der Einfall kommen dürfte,
eine Marmorfigur der Maria mit ihrem Kinde zu verletzen, wie es 1493 geschah, noch einem Christen-
menschen, der Madonna zuzutrauen, dass sie an offener Strasse die Augen verdreht, wie 1628, um
statt draussen in ihrer Loggia lieber im dunkeln Innenraum zu sitzen, wo sie nur selten gesehen
wird und all dem lebendigen Treiben der Strasse entrückt ist. Wie das Tabernakel wird auch das
Madonnenbild 1399 vollendet sein; denn zweifellos wurde die Nische eigens dafür gearbeitet, und die
Inschrift meldet uns das Datum der feierlichen Enthüllung. Der Charakter des Werkes bestätigt
diese Erwägung; denn es ist der doppelseitige des Übergangs: Gewohnheiten der Trecentokunst, noch
stark und bestimmend im Aufbau und in der Gewandung; aber auch schon Regungen des neuen
Sinnes in der Vergrösserung der Formen, in der Breite der Entfaltung, in der Derbheit besonders
des Jesuskindes. Das Ganze giebt uns den Typus der matronenhaft verschleierten aber gekrönten
Jungfrau mit dem bekleideten Kinde ungefähr so, wie Niccolö d'Arezzo in seinen frühesten Werken
am Dom seiner Vaterstadt und zu Florenz, aber frei von überladenem Faltengeschlängel, deutlich
herausgewachsen aus der Madonna del Fiore am Domportal der Canonici.
Der Künstlername, der uns genannt wird, ist Simone da Fiesole. Das wäre ein Schüler
Donatellos, und unsere Zeitbestimmung wäre ein Irrtum, da Donatello selbst erst 1386 geboren ward.
Aber auch dieser Simone, der Sohn des Nanni, der einer bekannten Künstlerfamilie, den Ferrucci
von Fiesole, angehört, welche der toskanischen Bildnerei eine Reihe tüchtiger Kräfte geliefert hat,
ist erst 1402 geboren und noch 1467 in voller Tätigkeit nachweisbar, kann also nicht der Urheber
dieses immer noch gotischen Madonnenbildes sein. Simone di Nanni Ferrucci ist auch sofort in
Donatellos völlig realistischer Kunstweise erwachsen und solchen Überresten mittelalterlicher Schul-
tradition völlig fremd. Sollten wir in diesem Marmorbildner um 1399 nicht vielmehr Simone di
Francesco Talenti, den Sohn des Dombaumeisters, erkennen, denselben Künstler also, welcher um
1375 die Fensterfüllungen von Orsanmichele gearbeitet hatte und die zahlreichen Statuetten auf den
Pfosten drinnen wie draussen! — der seit 1379 das Kirchlein S. Michele (jetzt S. Carlo) bis an die
Bekrönung hinauf geführt hat, sodass nach seinem Tode nur noch der letzte Abschluss des
' Aber das Datum der Ausschmückung dieser Tabernakel verbietet schon, ganz abgesehen von stihstischen Gründen,
Statue weiter zurück ins Trecento zu versetzen, wie dies neuerdings sehr leichtfertig von Mr. M. Reymond, La sculpture
geschehen ist, der unter seine Abbildung das Datum 1340 setzt.
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Kranzgesimses übrig war, der 1404 hinzukam. Er ist auch sonst als Bildhauer beglaubigt, und es
liegt nahe, dass das Standbild der Madonna dem damaligen Obermeister übertragen sei, welcher nach
Andrea Orcagnas unerwartet frühem Tod das meiste für Orsanmichele geleistet hat. Dies Tabernakel,
das ganz mit dem Stil seiner Fensterarkade übereinstimmt, mit der Statue Marias darinnen, wäre das
letzte Werk, das er hier geschaffen. Und dies bestätigt wiederum der Stil des kleinen, weit aus-
ladenden Tempelbaues am Pfeiler, der mit dem Geschmack Orcagnas, wie mit dem Anteil Francesco
Talentis am Glockenturm die nächste Verwandtschaft zeigt, d. h. einen dekorativen Stil, der mit
dem Auftreten des Giovanni di Piero Tedesco und des Niccolo d'Arezzo verschwindet. Der Ver-
gleich der in grossem Mafsstab gehaltenen Madonna mit den kleinen Statuen der Propheten und
Apostel an den Fenstern ist freilich eine schwierige Sache, und die Mehrzahl dieser Figuren sind
erneut oder so verwittert, dass sie von seiner Bildnerkunst keinen Begriff mehr gewähren. Aber die
wenigen Reste ergeben bei genauer Prüfung doch auch wol die beste Wahrscheinlichkeit für unsere
Wiedertaufe: Simone di Francesco Talenti, statt der leicht erklärlichen Verwechselung mit
Simone di Nanni Ferrucci, so dass sie durchaus nicht als philologische Konjektur verstanden sein will.
Nach dem Ausscheiden dieses Mannes, der bis dahin der Weiterentwickelung der Speicher-
kirche vorgestanden, trat eine Pause ein, die ein erneuter Beschluss von 1406 mit der Entscheidung
beendete, dass alle Zünfte binnen zehn Jahren ihre Heiligen aufstellen sollten. Niccolo d'Arezzo
ward herbeigezogen, die Anordnung der Tabernakel zu überwachen — daher wol die Änderung
im Stil — und selber den Haupteingang mit Skulpturen zu schmücken. Er arbeitete freilich nicht
die vier Prophetenfiguren unter dem Fenster, die man ihm beigemessen — (denn drei davon sind
neu!) — , wol aber den gebrochenen Kielbogen mit dem Giglio auf der Spitze, und an den Tür-
wangen, scheint es, wie an der Porta della Mandorla, eine Reihe von Engelsköpfen, die zum Teil
jetzt im Mauerwerk eingelassen sind, und bekrönte sein Werk schliesslich, etwa zur Zeit, als Donatello
unter seiner Mitwirkung die Statue des Marcus in Auftrag erhielt, mit den Meisterstücken Maria und
Gabriel, die jetzt auf der Nische von Ghibertis Matthäus, dicht neben dieser Türe, stehen.
Treten wir ins Innere der Kirche, so umfängt uns tiefes Dunkel, aus dem allmählich erst
Orcagnas Tabernakel und die Malereien der Pfeiler auftauchen. Und wir können nur mit dem
Wunsche schliessen, dass an Stelle der kirchlichen Finsternis wieder die Helle eines nationalen
Heiligtums trete, indem man statt der barbarischen Vermauerung der alten Bogenöfihungen die
Fensterarchitektur des Simone Talenti wiederherstelle, dem Tageslicht wieder den Eintritt öffne,
wenn auch gemildert durch schützende Glasscheiben nach dem Vorbild der alten ringsum. Dann
erst wird Andrea Orcagnas Madonnenbild, das ihm 1352 bezahlt ward,' und die Nische mit den
Überresten des wundertätigen Idols am sorglich bewahrten Pfeiler darin verschliesst, wieder zur vollen
Geltung kommen, und die seltsamen Fabeleien von Ugolino da Siena und Bernardo Daddi oder
gar Don Lorenzo Monaco durch den Glanz seiner eigenen Schönheit verschwinden. Bis dahin sind
alle Schätze des Innern gleichsam lebendig begraben.
I Diese Tatsache wurde schon von Passerini a. a. O. und in der ersten Fassung des Aufsatzes in der National-
zeitung 1889 ausgesprochen. Franceschini bringt diese Ansicht in ausdrücklicher Polemik gegen Milanesi 1892 (a. a. O.
S. 53 ff.) wieder.
DIE KAISERKRÖNUNG
IM MUSEO NAZIONALE
Den nordischen Wanderer, der längere Zeit in Welschland umherzieht, überkommt wol
manchmal die Sehnsucht nach dem frischen Grün der Wälder und der rauhen Luft seiner Heimat,
nach dem Sturm in ihren Bergen und dem Wogenschwall an ihrem Seestrand. Ein ähnliches
Gefühl überschleicht ihn an berühmten Stätten auf fremdem Boden, wo die Erinnerung an deutsches
Wesen und deutsche Heldengestalten so lebendig emporsteigt wie nirgends im gewohnten Dasein
daheim. Wie selten aber begegnet er noch heute leibhaftigen Erscheinungen, die seine geschicht-
lichen Ideale verkörpern, oder einem alten ehrwürdigen Denkmal der Vergangenheit selbst, das die
Gebilde seiner Phantasie plötzlich in greifbare Form verwandelt.
So wird es gewiss manchem deutschen Forscher ergangen sein, als er zum ersten Mal die
Räume eines grauen Palastes aus ferner Kaiserzeit betrat, * — so vielleicht auch hier in Florenz im
alten Bargello, wo er zwischen all den italienischen Werken der „Krönung eines deutschen Kaisers"
ansichtig ward. Selbst für den Kunsthistoriker, der in diesen mittelalterlichen Mauern längst nur die
Sammelstätte für allerlei Bildwerk vergangener Jahrhunderte zu sehen gewohnt ist, nimmt sie, auf
die Dauer noch, sich fremdartig aus. Verwundert empfinden wir wol, dass diese Eine Anschauung
sich enger mit der zufälligen Umgebung im Palazzo del Podestä verbindet, und das romantische
Spiel mit Beziehungen und Gegensätzen umspinnt den halb verwitterten Stein so vollständig, dass
wir gedankenvoll davon gehen, — nur beschäftigt, den mächtigen Eindruck und unsre mitgebrachten
Vorstellungen in Einklang zu setzen.
So erklärt sich vielleicht psychologisch auch das Spiel der Meinungen um dieses Bildwerk.
Mancher sonst so scharfsichtige Forscher scheint das Denkmal träumend verlassen zu haben, ohne
es selbst recht kritisch ins Auge zu fassen. Die Ansichten, die darüber ausgesprochen werden,
beharren noch immer auf einem unentwickelten Standpunkt, während unsre Erkenntnis der mittel-
alterlichen Skulptur doch sonst erkleckliche Fortschritte verzeichnet. Und es erscheint am Ende als
Hellseherei, wenn jemand von all diesen schwankenden Erklärungen nichts wissen will, und zu einem
Ergebnis gelangt, das mit dem Mittelalter kaum noch zu rechnen bedarf. Es muss jedoch auch
hier versucht werden, Romantik und Nationalgefühl bei Seite zu lassen, und das alte imponierende
- 55 —
Gestaltenpaar für sich zu betrachten wie andre historische Urkunden auch, vor allen Dingen das
Werk in seinem heutigen Zustande selber zu Worte kommen zu lassen, damit es aussage, wie viel
es sicher zu bezeugen vermag. '
Bis dahin hat die Phantasie der Betrachter zu schnell begonnen, sich mit geschichtlichen
Kombinationen am Gesehenen zu beteiligen. Das Bruchstück, das vor Porta Romana im Boden
gefunden sein soll, zeigt in beinahe frei herausgearbeitetem Hochrelief eine Gruppe von zwei Figuren,
die Eine sitzend auf einem Thronstuhl mit hoher Rücklehne, die Andre daneben stehend, im Begriff,
mit beiden vorgestreckten Armen sich über das Haupt des Sitzenden vorzubeugen und dem Gesalbten
eine Krone aufzusetzen. Aber diese Krone, von der Form wie der Krönungsornat der deutschen
Kaiser sie einst enthielt, ist, wie die Hand des Kirchenfürsten, eine Zutat, die bei der Aufstellung
im Museum hinzumodelliert worden. Wir wissen also nicht, was die abgebrochenen Hände taten.
Und die Form der Krone, in der wir Karl den Grossen abzubilden pflegen, darf ebenso wenig irre-
führen. Der Thronende hält jedoch den Reichsapfel in der einen Hand, ein Bruchstück des Scepters
in der andern, so dass wol wirklich der Moment der Krönung selber angenommen werden muss,
wie andrerseits nur an die kirchliche Weihe eines weltlichen Fürsten gedacht werden kann. Er
trägt die Dalmatica mit Stola und Cingulum, lauter Abzeichen, die keinen Zweifel übrig lassen, dass
ein römischer Kaiser deutscher Nation gemeint .sei, der im Diakonengewand gekrönt ward. Der
Pontifex dagegen, der die heilige Handlung vollzieht, erscheint nicht mit der päpstlichen Tiara,
sondern mit der bischöflichen Mitra; es kann also kaum an die Krönung eines deutschen Kaisers
gedacht werden, die in Rom durch einen der Päpste selber geschehen ist, sondern — aus der vollen
mittelalterlichen Vorstellungswelt heraus — nur an eine Ausnahme, wo ein Kardinal oder ein Bischof
an die Stelle des Pontifex Maximus getreten.
Seltsam genug, dass man, von diesem Punkt der historischen Erwägungen aus, nun nicht weiter
auf die Form der Bischofsmütze und die übrigen Bestandteile des Ornates einging, sondern aus der
Kostümkunde sogleich auf die Biographie der deutschen Kaiser abschwenkte, wo solche Ausnahmen
zu finden .seien. Es war der Name „Krönung Karls des Grossen", der den Widerspruch der deutschen
Gelehrsamkeit herausforderte und auch deutsche Kunstforscher verleitete, von der Chronologie dieser
Realien der Tracht vorschnell abzusehen. So riet man auf Ludwig den Bayern.^ Aber dieser vom
Papst gebannte König ward am 17. Januar 1328 mit seiner Gemalin Margarete von vier Vertretern
des römischen Volkes gekrönt, und von zwei gebannten Bischöfen, von Venedig und von Aleria
auf Corsica, in St. Peter gesalbt. — Deshalb rückte die Benennung weiter zu dem folgenden Bei-
spiel solcher Ausnahmen, zu Karl IV. dem Luxemburger, der am Ostersonntag 1355 vom päpstlichen
Legaten in Rom, dem Kardinal von Ostia, die Krönung empfing. ^ Damit ist allerdings die Dar-
stellung dieses Bischofs besser erklärt. Aber in beiden Fällen sollte sich die weitere Frage geregt
haben: wie kam man in F"lorenz dazu, die Kaiserkrönung Ludwigs des Bayern oder Karls IV. von
1 Vgl. Preiissische Jahrbücher l!d. LXI. i88ff.
2 Bode in Burckhardts Cicerone, 4 Aufl. 1879. Zusätze p. 811. „Charakter der Arbeit, Art der Darstellung und die
Gestalt des deutschen Königs machen es wahrscheinlich, dass hier die Krönung Ludwigs des Bayern wiedergegeben ist".
3 Daselbst 5. .\ufl. 1887, p. 330 m. vgl. Ortsregister p. XIX.
- 56 -
Böhmen durch ein Marmorvverk zu verherrlichen? Die Darstellung so nahe gelegener historischer
Ereignisse fände doch wol nur in ganz besonderem Anlass eine ausreichende Erklärung. So finden
wir im Dom eine Hindeutung auf den Tod Heinrichs VII., der die Stadt Florenz belagert hatte;
aber an dem Grabmal ihres Bischofs und hartnäckigen Verteidigers gegen diesen Angriff: Antonio
d'Orso (t 1321) von der Hand des Tino da Camaino. Von Ludwig dem Bayern, gegen den sie sich
mit neapolitanischer Streitmacht gerüstet, war die weifische Stadt umgangen; von Karl IV. auf seinem
Zug zur Krönung oder zurück ebenso wenig betroften.
An diese Benennungen mit festem Namen für den Dargestellten hat sich bisher auch die
Datierung des Werkes geknüpft. In Florenz galt die Gruppe damals als Skulptur des XIII. Jahr-
hunderts. Der Cicerone Burckhardts erkennt in Bodes Bearbeitung 1879 darin „ein hervorragendes
Werk aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts", — indem er an Ludwig den Bayern (1328) denkt,
und setzt also gleichzeitige Entstehung dieses Abbildes voraus. In der folgenden Auflage von 1884
wird es unmittelbar hinter Alberto di Arnoldo, dem Lombarden aufgeführt, so dass der Leser sich
verlockt findet, es diesem geistlosen Handwerker beizumessen, der in den sechziger Jahren des
Trecento die Madonna mit zwei Engeln zur Seite für den Altar des Bigallo gearbeitet. Im Orts-
register wird „Pisaner Schule" hinzugefügt, so dass wir in Florenz an die Nachfolger des Andrea Pisano
und seines Sohnes Nino denken müssten, die sich von Orcagna wesentlich unterscheiden.
Robert Vischer dagegen vermutet, in seinen „Studien zur Kunstgeschichte" 1886 p. 81 gar
deutschen Ursprung, wie an den Werken der Hohenstaufenzeit in Capua und einer weiblichen
Marmorbüste aus Amalfi (Scala) im Berliner Museum, und nennt mit diesen Arbeiten zusammen „das
Reliefbild der Krönung Ludwigs des Bayern" im Museo Nazionale zu Florenz als deutsches Skulptur-
werk aus der Periode des „Übergangs vom romanischen zum gotischen Geschmack". Diese Zusammen-
stellung enthält wol mindestens Einen Anachronismus, und zwar um ein volles Jahrhundert. Gehört
dies Hochrelief dem Übergang der deutschen Skulptur aus dem Romanismus in die Gotik an, so
ist unmöglich die Krönung Ludwig des Bayern von 1328 dargestellt, oder umgekehrt: haben wir
diesen Kaiser zu erkennen, dann gehört das Bildwerk der Gotik an, die in Deutschland damals
längst ausgebildet, in Italien seit Giovanni Pisano (um 1300) zum entschiedenen Durchbruch
gekommen war.
Überall ward das Schielen nach dem historischen Anlass und nach der Person des Dargestellten
für das Urteil über die Entstehungszeit verhängnisvoll. Aber wissen wir denn, dass die Entstehungszeit
des Marmorwerks in Florenz auch nur annähernd mit der Lebenszeit des Gekrönten und dem Datum
seiner Krönung zusammenfallen muss? Die alte Bezeichnung als „Karl der Grosse" rückte die Arbeit
doch schon ins XIII. Jahrhundert, betrachtete sie also nicht als gleichzeitige Wiedergabe eines
Porträts, sondern als Idealkomposition. Kommt aber die Frage so an den Kunsthistoriker zurück,
so sollte es ihm näher liegen, sich nach Darstellungen solcher Krönung umzusehen, die einiger-
massen im Widerstreit dieser Datierungen in Betracht kommen können. Historische Kostümkunde
und stilistische Analyse mochten sich zu gegenseitiger Hülfe die Hand reichen.
Die Krönung Ludwigs des Bayern mit der Longobardenkrone, die Guido Tarlati, der Bischof
von Arezzo, am 26. Juni 1327 in S. Ambrogio zu Mailand vollzogen, haben wir im Dom von Arezzo
an dem Grabmal dieses Bischofs (721. Oktober
1327 in Montenero), das die Sienesen Agostino
di Giovanni und Agnolo di Ventura 1330 mit
Relief tafeln geschmückt, also in zeitgenössischer
Darstellung: „Hoc opus fecit magister Augusti-
nus et magister Angelus de Senis MCCCXXX"
sagt die Inschrift. '
In der Regierungszeit seines Nachfolgers,
Karls IV (| 1378) führt uns dagegen ein Relief
mit der gleichen Ceremonie im rechten Kreuz-
schifif des Domes zu Monza, das ursprünglich
die Rückseite der Kanzel geschmückt haben
soll und dem Erbauer der Kirchenfassade
Matteo da Campione zugeschrieben wird.^ Hier
sieht man auf dem länglichen Marmorstreifen,
der die Füllung einer Brustwehr bildete, die
Krönung eines deutschen Kaisers mit der
longobardischen Königskrone in aller Ausführ-
lichkeit, mit zahlreichen Beischriften erläutert,
und zwar ohne Zweifel in viel authentischerer
Wiedergabe des herkömmlichen Ritus als in
dem Relief der Sienesen am Kenotaph Tarlatis
in Arezzo, also ein entscheidendes Beispiel.
Links steht der Altartisch mit einem
Kruzifix und drei Kelchen, lauter Prachtstücken
des Domschatzes von Monza, und darüber
hängen an einer Stange vier Kronen. Neben
dem Altar harrt der Diakon mit dem Bischofs-
stab, von seinem Subdiakon begleitet, während
der „Archipresbyter hujus ecclesie" in bischöf-
lichem Ornat, der auf besondere Erlaubnis des
Papstes statt des Mailänder Erzbischofs die
I Phot. V. Alinari, Abbildu
lg in Stackes Deutscher
Geschichte I, 2. p. 607 fälschHch
auf die Kaiserkrönung
in Rom bezogen.
2 Es ist durchaus in d
;r alten comaskischen
Behandhing des Rahmenreliefs,
iiit Einer Figurenreihe
als Regel, gearbeitet, wie dies
schon die romanische
Skulptur des XIII. Jahrhunderts
aufweist. Vgl. darüber
Schmarsow, S. Martin von Lucca,
Breslau 1890, p. 99.
- 58 -
Krönung vollziehen darf,' soeben im Begriff ist, das sogenannte eiserne Diadem — hier eine
Zackenkrone von friihgotischer Form — auf das Haupt des Erwählten zu setzen. Der „Imperator",
wie ihn die Inschrift an der Schräge des Randes nennt, sitzt im königlichen Schmuck auf dem
Thron, das Scepter, mit Lilienspitze, in der linken Hand, während die Rechte sich auf das Knie
stützt. Neben dem Thron, hinter dem ein Teppich hängt, steht zunächst der „Archiepiscopus
Colon(iensis)", neben diesem ersten der geistlichen Kurfürsten folgen die übrigen mit je einem
weltlichen abwechselnd; zunächst der „Dux Sanxonie" mit dem Schwert des Reiches, aufgerichtet
mit umgeschlungenen Bandelier, in der Rechten, die Linke am Dolch; dann der „Archiepiscopus
Trever(ensis)", der seinen Nachbar auf die Scene hinweist. Dieser trägt die Handschuhe des Kaisers
und ist durch die Überschrift „Landegrevi" als der Landgraf von Thüringen bezeichnet. Ruhig
nach vorn gewendet steht der Kurfürst von Mainz „Archiepiscopus Magancie", während der Letzte,
der „Marchio Brandeburgensis" sich den Bürgern von Monza zuwendet, deren Häupter erschienen
sind, dem Kaiser zu huldigen und die Bestätigung ihrer Privilegien zu empfangen: „Homines Modoetie
A Major' Usque Ad Minorem Semper Fuere et Sunt Imperatorie Mayestatis Fidelles" sprechen sie zum
Kanzler des Reichs, der ihnen antwortet: „Dns Rex Bene Novit Quod Dixistis Jdeo Amplificabit
Fortiter Et Confirmabit Privilegia Vestra" und zwei Urkunden mit schweren Siegeln, die „Privilegia
Comunis Modoetie" darreicht. Über der Krönung steht die Formel bei der feierlichen Ceremonie :
„Altissimi Dei et Apostolice Sedis Gratia Concedente Prout Constitutum Est Modoetie Que Caput
Lombardie Et Sedes Regni Illius Esse Dignoscitur In Sancto Oraculo Sancti Johanis Baptiste Ferreo
Diademate De Jure Regni Corono Te Prius Electum Juste Atque Unctum Regem Provintie Italice".
Das Relief trägt noch deutliche Spuren polychromer Bemalung und Vergoldung. Es verdient
die volle Aufmerksamkeit der Kunsthistoriker^ als charakteristisches Beispiel der durch Giovanni
Balduccio nach Oberitalien verpflanzten Kunstweise Toscanas, das jedoch stilistisch der Area di
St. Agostino im Dom von Pavia (begonnen 1362) näher steht als der Area di S. Pietro Martire in
St. Eustorgio von Mailand, also noch ausgesprochener die Kunstweise der Lombardei selber vertritt
als die Werke jenes pisanisch geschulten Meisters. In diesem Stil aber bezeugt gerade die Gestalt
des Königs einen fremden Einfluss, dessen unverkennbar französische Zierlichkeit wol nur durch
Vorbilder auf Siegeln 3 oder Münzen, und zwar des luxemburgischen Kaisers Karl IV. am ehesten,
erklärt werden kann. Je weniger das Ceremonienbild selbst, das auf dem Relief im Dom zu Monza
gewiss nur das Privilegium dieser Kirche veranschaulichen sollte, auf ein historisches Faktum zurück-
geht, — je entschiedener die Überzeugung Recht behalten muss, dass die Krönung Karls IV. selbst,
die am 6. Januar 1355 auch in Mailand und nicht in Monza stattfand, hier nicht gemeint sein kann,
' Vgl. Muratori, De Corona Ferrea, Mediolani 17 19 u. Frisi, Ant. Fr. Memorie della Chiesa Monzese Milano 1774 — 80.
2 Es hat neuerdings eine treffliche Würdigung bei A. G. Meyer, Lombardische Denkmäler des XIV. Jh. (1893)
p. 119 ff. gefunden, wo auf den Codex Balduini Trevirensis und die dort geschilderte Krönung Heinrichs VII. hingewiesen
wird. Vgl. sonst C. Aguilhon, Scult: di Matteo da Campione ... in Monza 1878 und Intorno ad un bassorilievo della basilica
di Monza. Roma 1879, sowie Barbier de Montault „Inventaires de la basilique de Monza" (Bulletin monumental V. Serie,
tome 9. 1881, XII. Le basrelief du couronnement S. 7ooff. m. Heliogravüre).
3 Schon das Grabmal des Guillaume de Narbonne von 1289 im Klosterhof der SS. Annunziata zu Florenz zeigt
in der Reiterfigur die Benutzung des französischen Siegels.
— 59 -
desto entschiedener muss auch das Hineinspielen dieser Vorlagen, von Siegeln des Luxemburgers,
wie z. B. im Städtischen Museum zu Frankfurt am Main, betont werden.
Damit haben wir jedenfalls eine annähernde Vorstellung gewonnen, wie eine Krönung
Karls IV. von einem Bildhauer des Trecento ausfallen konnte. Nur die Durchführung in grösserem
Mafsstab und Hochrelief wäre noch hinzuzudenken, und statt des lombardischen Künstlers hätten
wir hier im Bargello die Arbeit eines Toskaners, womöglich eines florentinischen Meisters zu
gewärtigen.
Die Frage, wie eine derartige Krönung mitten im vierzehnten Jahrhundert ausgesehen haben
würde, wenn wir annehmen, sie sei in Florenz von einem der angesehensten Bildner ausgeführt
worden, zwingt zu einer Umschau auf dem Gebiet der Trecentoskulptur und das eigentümliche
Verhältnis der Stadt Florenz zu den Nachbarn. Mit Andrea Pisano beginnt erst die Verpflanzung dieser
Kunst in die Mauern der Guelfenstadt. Sein Beiname noch kennzeichnet den Meister aus Pontedera
als Fremden. Seine Reliefs an der Tür des Baptisteriums haben etwas von französischer Eleganz,
seine feinknochigen Gestalten bewegen sich schwungvoll, wie im Innersten durchdrungen von dem
Rhythmus der reinen französischen Gotik. Darin sind sie dem langlockigen König und den Edelsten
des Reiches um ihn her, wie das Krönungsrelief des Matteo da Campione in Monza sie schildert,
verwandt genug. Aber die Tracht dieser deutschen Fürsten und der Bürger von Monza, die
Wendung und Formation der Köpfe, soweit sie den Zeittypus wiedergeben, der Eindruck der Kostüm-
bilder findet sich eher bei Andrea Orcagna, an den Zeugen der Himmelfahrt Marias auf der Rück-
seite seines Tabernakels von Orsanmichele, mit dem Datum 1359.
Welch ein Abstand aber, wenn wir nach den besten Gruppen der Reliefs an diesem Taber-
nakel mit ihrer starken Austiefung und ihrem Ungeschick der Einordnung in die selbstgewählten
Rahmen uns wieder dem Hochrelief des Museo Nazionale zuwenden. Am ehesten Hesse sich noch
eine Krönung Marias zum Vergleich herbeiziehen, die als halbverkommenes Bruchstück im Dom von
Prato bewahrt wird. Herbeiziehen freilich, nur um ein Beispiel aus dem Trecento zu haben, das
wenigstens die technischen Eigenschaften und den äussern Zuschnitt dieser Werkstätten vor Augen
führt. Das Relief gehört zu der alten Area, die einst den Gürtel der Madonna umschloss, und
zwischen 1354 und 1360 von Niccolö di Cecco del Mercia und Sano (di Matteo?) aus Siena, nebst
Giovanni di Francesco Fetti aus Florenz gemeisselt war. Die Fragmente sind im Nebenraum der
Capella della Cintola in die Wand eingemauert; die Krönung Marias ist halb zerschlagen gewesen
und macht den Eindruck eines unvollendeten Überrestes, aber der Seitenschmuck mit Konsolen und
Fialen belehrt eines Bessern. Ihr Gegenstück bildete die Scene, wie S. Thomas die Reliquie einem
frommen Vertrauensmann zur Aufbewahrung übergiebt. Hier haben wir in der stehenden Figur des
Apostels eine Parallele zu dem krönenden Bischof im Bargello, während die sitzenden Figuren dem
thronenden Kaiser an die Seite gesetzt werden mögen, — wenn auch nur, um die Unvergleichbarkeit
in der Hauptsache darzutun.
Durch solche Seitenblicke auf alles Übrige, was damals in der florentinischen Skulptur geleistet
wurde, muss auch für das stumpfeste Gefühl der Kontrast herausgetrieben werden, der zwischen den
Denkmälern des Trecento und dem Hochrelief der Kaiserkrönung im Museo Nazionale besteht. Die
— 6o —
toskanische Bildnerei hat im ganzen vierzehnten Jahrhundert dergleichen nicht aufzuweisen. Diese
mächtige, fast frei herausgearbeitete Gruppe steht mit dem Geist der italienischen Gotik ebenso in
Widerspruch wie mit ihren Formen. Daher mochte auch wol der Gedanke an deutsche Bildwerke
der spätromanischen Zeit, wie in Braunschweig oder Naumburg aufsteigen, in denen ein ähnliches
Gefühl für den selbständigen Wert des Leibes, der wolgerundeten Körperlichkeit waltet wie hier.
Und insofern hat der Urheber dieses Vergleiches, Robert Vischer, mehr Verständnis für den
innersten Zug der Gestaltung bewiesen, als die Geschichtsklitterer, die das Werk in die Tage des
Böhmenkönigs Karl versetzten. Es ist ein wuchtiger Wurf in dem Ganzen, wie ihn weder die milde
Schönheit Andreas von Pontedera kennt, noch die bürgerliche Befangenheit des Andrea Orcagna.
Damit ist die unterscheidende Eigentümlichkeit des Innern Wesens bezeichnet; aber die stilistischen
Merkmale der äussern Behandlung bleiben noch unerklärt, wie die allgemeine Bildung der Zeit, in
der eine solche Grossartigkeit der Auffassung gedeihen konnte. Die technischen Kennzeichen
gestatten es ebenso wenig, die Gruppe mit den letzten Ausläufern des Romanismus in Deutschland
oder gar in Italien zusammen zu denken. Nicht jenes „urwüchsige Antikisieren", jene „rauhe Gross-
heit typischer Natur" haben wir vor uns, die hier und da für kurze Zeit vor dem zähmenden Einfluss
streng kirchUchen Empfindungslebens hervorbrachen, das den gotischen Stil durchbebt. Es ist
vielmehr die echt realistische Grundstimmung, die rücksichtslos wahrheitsgetreue Gesinnung, aus
denen die Plastik der Frührenaissance, die statuarische Kunst Donatellos hervor wächst, es ist die
Kunst des Quattrocento, der auch dieses Denkmal angehört. Das wenigstens ist seit lange schon
meine persönliche Überzeugung, und ich habe mündlich bei verschiedener Gelegenheit, wie schriftlich
an entscheidender Stelle die Ansicht verfochten, dass dies Hochrelief im Bargello weder in das
XIII. noch in das XIV. Jahrhundert gehören kann, sondern erst im vollen Zuge des XV. Jahrhunderts
möglich war.'
Gute Kenner haben sich von diesem Schluss wol nur durch den Zustand des Marmors abhalten
lassen. Seine Oberfläche ist vielfach angegriffen, an dem Gesicht des Kaisers, an den Löwenköpfen
des Thronsessels ist die Korrosion soweit vorgeschritten, dass die Formen fast unkenntlich werden,
und vorstehende Teile sind ganz zerfressen. Skulpturen des Quattrocento so zu sehen sind wir
noch nicht gewohnt, wie bei denen der Antike oder des Mittelalters. Die Verwitterung täuscht
auch bei jedem Wiedersehen des Originals zu Anfang aufs neue und hat vielleicht manchen Forscher
daran gehindert mit einer stilkritischen Bestimmung nach den eigenen Grundsätzen der kunst-
geschichtlichen Methode, oder auch nur mit den Hilfsmitteln der Kostümkunde, den Realien des
geistlichen Ornates u. dgl. Ernst zu machen. Sonst hätte man doch sachgemäss in kühlster
Unbefangenheit zunächst feststellen müssen, dass diese Form der Bischofsmütze mit ihren Besatz-
stücken, dieser Schnitt des Überwurfs, den man eher für eine Casula als für ein Pluviale halten könnte.
I Vgl. Berichte der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur, Sitzung der archäologischen Sektion am
27. Januar 1887, wo das volle Resultat gedruckt worden, das ich natürlich in meinen Vorlesungen über die Ital. Plastik in
Breslau und in Florenz (Winter 1888/89) mitgeteilt habe. In diesem Sinne ist auch die Bezeichnung am Gipsabguss der
Gruppe im Berliner Museum auf XV. Jh. abgeändert worden. (Vgl. Verzeichnis der Gipsabgüsse, Berlin 1879, S. 109,
No. 1565, XIII. Jh.?)
— 6i —
diese Diakonengewänder beim Kaiser, wie alle kleinen Abzeichen der Kleidung und des Thrones
sonst, dem XV. Jahrhundert angehören.
Überblicken wir darnach die Beispiele wieder, die aus den ersten Jahrzehnten des Quattro-
cento für diese beiden Gestalten in Betracht kommen könnten, so belohnt sich diese Umschau
sofort. Monumentalfiguren in weiter Gewandung, so breit und wuchtig hingesetzt, wie dieser
deutsche Imperator, — wo wären da zahlreiche Seitenstücke zur Vergleichung, wenn nicht eben in
Florenz? —
Die vier Evangelisten, die einst an der Domfassade neben dem Hauptportal sassen, jetzt im
Innern der Chorkapelle, sind die nächsten Beispiele: Niccolö d'Arezzo hat den Marcus, Bernardo
Ciuffagni den Matthäus, Nanni d' Antonio di Banco den Lucas und Donatello den Johannes geschafifen.'
Mit den Jahren ihrer Entstehung 1408 — 141 5 ist auch der Geist des Realismus wie das Verständnis
für die statuarische Kunst des klassischen Altertums in Florenz emporgewachsen: in der Figur des
Aretiners noch derb und starr, in der Ciufiagnis befangen und stumpf, in Nannis Lucas schon von
edlem Schwung bewegt, der die Majestät des Thronenden zu stören droht, in Donatellos Johannes
noch gebunden, wie bei jenen, aber mächtig und hoheitvoll in dem langbärtigen Haupte des greisen
Sehers von Patmos. Mit keinem dieser Bildwerke jedoch stimmt die Behandlung der Diakonen-
gewänder des korpulenten Kaisers genauer überein, der doch so breit und aufrecht zugleich, so
sicher und imponierend dasitzt, als werde die Salbung durch Priesterhand ebenso wenig im Augen-
blick, wie die Last der Krone fürderhin, sein Haupt zu beugen imstande sein. Höchstens ein paar
Querfalten zwischen den Knieen hin, die absichtlich ausgetieft sind, und die schlichte Grossflächig-
keit um Brust und Schultern, die auch Donatellos Johannes aufweist, erinnern an diese Erstlinge
der Statuenbildnerei des Quattrocento. Doch der allgemeine Eindruck, die Haltung des Gesamt-
charakters sagt desto bestimmter, dass jene Evangelisten schon vor diesem Kaiser auf ihren Thronen
gesessen haben. Vor Donatellos Meisterstücken war auch die Krönung undenkbar; das beweist ein
Blick auf seinen stehenden S. Marcus an Orsanmichele, den er beim Beginn der Arbeit noch auf
ein Kissen treten lässt (141 1 — 1413), bei der späteren Ausgestaltung, besonders der oberen Hälfte,
jedoch zu solcher Wucht und Breite zu steigern verstand. Fassen wir dagegen die weichen, hier
und da wulstigen und tiefzügigen Falten des krönenden Bischofs ins Auge, so entdecken wir nirgends
grössere Verwandtschaft als mit den Heiligen Eligius und Philippus oder den vier Togafiguren in
einer Nische, die Nanni d'Antonio di Banco für Orsanmichele geliefert hat. Diese Leistungen des
jung, schon 1421, verstorbenen Genossen Donatellos, vor allem der Philippus und die vordem Figuren
des Quartetts, das zum Teil aus einem Stück gearbeitet ist wie eine Reliefgruppe, müssen den
Bildner der Krönung besonders angezogen haben, so dass er sich daran mit Sorgfalt schulte.
Scheint es doch, als hinge sein technisches Gebaren unmittelbar mit diesem Meister zusammen.
Für den Körper selbst bevorzugt er entschieden den gedrungenen, breitschultrigen und rund-
köpfigen Römertypus und die vollen Formen, die nicht eckig hervorragen. Die Züge des Kardinal-
bischofs haben sogar eine auffallende Verwandtschaft mit der Grabfigur Johannes XXIII., die Donatello
' Vgl. Schmarsow, Donatello, Breslai
für das Denkmal des einstigen Papstes im Baptisterium geschaffen. Wer dieses Bronzebildnis des
weltlichen Bartolommeo Coscia vergleicht, wird sofort die Verschiedenheit in der Gewandbehandlung
zwischen dem Erzguss dort und der Marmorarbeit hier bemerken. Und gleitet sein Auge beiläufig
nieder auf die Löwenköpfe der Bahre, so müssen die Vorzüge des Thronschmuckes hier wol
ebenso auffallen. Und schreiten wir endlich zu Donatellos Lieblingsschöpfung dem „Zuccone" am
Glockenturm hinüber und halten auch hier die tiefgefurchten bauschigen Falten mit denen des
krönenden Bischofs zusammen, indem wir zugleich den Unterschied im Körperbau hervorheben, so
ist auch der Kreis der Vorbilder, der in Frage kommen mag, so ziemlich umschrieben, und erst
weiterer Ausblick, auf das dreifache Antlitz der Trinität im Giebel über Verrocchios Thomas und
Christus, auf die Grabplatten Donatellos in Siena und Rom (mit Einschluss der Martins V.) und auf
die Züge seines Gattamelata in Padua, würde die Behandlung der Innern Gesichtsteile wie der festen
Struktur seiner Köpfe noch näher ins Licht setzen.
Diese Runde unter den charakteristischesten Hauptwerken florentinischer Bildhauer aus der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts ergiebt für den Kundigen zugleich das weitere Resultat, dass
keiner von diesen Meistern der Urheber der Kaiserkrönung sein kann. Denn mit keiner dieser
wolbekannten Individualitäten stimmt das Wesen der grossartigen, völlig freien und doch wieder
nicht gewaltsam leidenschaftlichen, sondern in sich ruhevollen, ja feierlich getragenen Darstellung
überein. Sie ist allen verwandt und doch von allen verschieden, soviel ihrer hier genannt worden;
sie ist sicher die Arbeit eines gleichstrebenden Genossen dieser ersten Generation des Quattrocento,
zu der als Maler auch Masaccio gehört, und setzt sich als solche in Gegensatz zu allen Leistungen
der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, wo Andrea del Verrocchio und Antonio del PoUajuolo oder
Antonio Rossellino und Benedetto da Majano den Ton angeben.
Verrocchio steht der deutschen Empfindung so nahe, wie kein andrer Meister der Renaissance
in Florenz. Der Lehrer Lionardos und Peruginos mit seiner ernsten Gesinnung, seiner Gemütstiefe
und seiner quälerischen Sorgsamkeit würde sich mit dem deutschen Albrecht Dürer unmittelbar
verstanden haben. Er ist der Psycholog des Quattrocento. Der Bildner dieser Krönung hängt
nicht so emsig der Wiedergabe des Individuellen, des Einzelnen und auch des Kleinen nach.
Hier herrscht noch der grössere Zuschnitt, der voll und harmonisch auf das Ganze geht, und am
Leibhaftigen ist ihm mehr gelegen, als an der Seele, an der physischen Grundlage und ihrem festen
vollen Aufbau mehr, als an Erregung und Bewegung des Innern. Aber auch mit der freundlichen,
leicht etwas süssen Lieblichkeit eines Benedetto da Majano, wie mit der herben Anmut des Desiderio
da Settignano wird ihn Niemand verwechseln, ebensowenig mit der trockenen Schärfe, der Magerkeit
und Haltlosigkeit eines Mino. Dem Bernardo Rossellino scheint er eher verwandt als dem Antonio,
der zu sehr schon der Folgezeit angehört und ohne Verrocchios Nähe nicht recht mehr gedacht
werden kann. Wer aber kennt unter der früheren Bildnergeneration schon Michelozzo neben
Donatello als greifbare, scharf sich sondernde Persönlichkeit? Und dieser sorgfältige Klassiker nach
dem Herzen der Humanisten im Dienste der Medici hat doch auf die Bildner nicht nur, sondern
auch auf Maler wie Fra Filippo bis zum Weggang nach Prato, als Lehrer des Faltenwurfs und der
Figurenzeichnung wie der Architekturprospekte den ausgiebigsten Einfluss geübt! Mit Michelozzos
I
- 6s -
Reliefs am Grabmal Aragazzi in Montepulciano sind wir der Formanschauung auch dieses Hochreliefs
im Bargello ganz nahe, während uns seine schlanken gestreckten Statuen und Einzelfiguren in Nischen
dieser Monumente in Florenz und Neapel gleich viel von den gedrungenen Proportionen der Krönung
entfernen. '
Damit ist gesagt, was ich meine! Nach beiden Seiten sind die Innern Grenzen gezeichnet,
und ihr Umriss beschreibt den Platz eines Mannes, der allein noch übrig bleibt, diese Mitte zu
füllen. Mir erscheint die Hochreliefgruppe der Kaiserkrönung im Museo Nazionale zu Florenz als
ein Werk des Luca della Robbia; denn mit seinem Wesen allein stimmt der Charakter dieser
grossgedachten, so einfachen und zugleich so wuchtigen Gestalten überein. So frischweg im monu-
mentalen Sinne der antiken Kunst, wie aus natürlicher Wahlverwandtschaft mit ihrer vollendeten
Auffassung des Reliefs, schuf nur er.
Allerdings dürfen wir, schon des bedeutenden Gegenstandes wegen, der hier behandelt worden,
zur Vergleichung nur seine bedeutendsten Werke betrachten. An Madonnen und Engelchen, an
Kinderreigen und Sängerchöre sollen wir nicht denken, sondern höchstens an die grosse glasierte
Thongruppe der Begegnung Marias mit Elisabeth in S. Giovanni fuorcivitas zu Pistoja. Dann aber
mehr noch an das Grabmal des Bischofs Federighi (1456 voll), das draussen vor Florenz im Kirchlein
S. Francesco di Paola seine Zufluchtstätte gefunden und so vergessen und verwahrlost steht, als ob
für diesen Bischof von Fiesole nicht ebensogut Platz im Dome seiner Stadt gewesen wäre wie für
Salutati, dessen Kapelle von Minos Hand mit Altar und Grabmal, von Cosimo Rosselli ^ mit Fresken
geschmückt ward. Ganz besonders empfehlen sich an dem Marmorwerk des Luca della Robbia die
drei Halbfiguren, Christus im Grabe, Maria und Johannes, an der Hinterwand der Nische, die in
flacherem Relief, aber zur Wirkung im Dämmerlicht der Vertiefung in derberem Verfahren als sonst,
absichtlich summarisch ausgeführt sind, sodass sie mit dem verwitterten Monumentalstück im Bargello
viel Vergleichungspunkte gewähren. Die liegende Grabfigur ist ihrer Stelle gemäss feiner, ja ausser-
ordentlich sorgsam vollendet, aber in der Form der Mitra und der Behandlung der Gesichtsformen
schlagendes Belegstück für die Übereinstimmung mit der Kaiserkrönung und ihrem Urheber. Ganz
überraschend zeugen in nächster Nähe dieses Hochreliefs, im selben Saal des Museo Nazionale, die
beiden kleinen Reliefplatten mit der Befreiung des Petrus aus dem Kerker und seiner Kreuzigung,
gerade weil sie unfertig liegen geblieben und in verschiedenen Stadien der Arbeit erhalten sind.
In den schlichten Kompositionen verwertet Luca gewiss unmittelbar die Entwürfe Masaccios für die
Brancaccikapelle, die dann noch Filippino Lippi bei Vollendung der Wandgemälde zur Nachachtung
vorgelegt sein müssen. Durch diese Wahl erfahren wir schon die Verwandtschaft des eigenen Sinnes
bei Luca selbst und empfangen die Erklärung für die gleiche Eigenschaft der Krönung. Dann im
Einzelnen der Formgebung die nämlichen konstitutiven Merkmale: man vergleiche nur auf der
Kreuzigung des Petrus den eben aus dem Rohen herausgehauenen Kopf des Apostelfürsten und die
untersetzten Proportionen des Körpers mit denen des Kaisers, sowie das Profil der Schergen und
^ Vgl. Schmarsow, Nuovi studj intorno a Michelozzo, Archivio storico dell 'Arte 1892.
2 Die Wandmalereien der Capp. Salutati im Dom zu Fiesole werden fälschlich Benozzo Gozzoli zugeschrieben. Sie
erweisen sich auch in ihrem restaurierten Zustand noch als Cosimo Roselli.
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Krieger mit dem des Bischofs. Auf der Befreiung bietet der Apostelkopf und das Antlitz des Engels,
wie des eingenickten Wächters die nämlichen Analogieen mit dem Kopf und der Gesichtsbildung des
Krönenden, bis hinein in die scharfgezeichneten Nasenflügel, die vorgeschobenen und dadurch plastisch
wirksamen Lippen, die energische Rundung des Kinnes. Durch den kopfüber gesehenen Unterteil des
Gesichtes beim gekreuzigten Petrus wird unsere Aufmerksamkeit gerade auf diese Praxis des Bildhauers
hingelenkt, und der ähnliche Anblick beim schlafenden Soldaten, der am Boden hingestreckt links in
der Ecke vor der Wächterbank sichtbar wird, xerrät uns wol, weshalb der nämliche Künstler das
Doppelkinn des bartlosen Kaisers so absichtsvoll ausbeutet, wie es in der Krönung geschehen.'
Gerade diese Überreste unvollendeter Arbeiten von Luca della Robbia für einen Marmoraltar des Domes
haben mich am ersten überzeugt, dass auch die grosse Krönung sein Werk ist und keines Anderen.
In ihrem nächsten Umkreis finden wir auch weitere Bestätigung, nämlich in den fünf Reliefs
am Campanile, in denen Luca (1437 — 40) die sieben freien Künste dargestellt hat, und zwar so,
dass er auf zwei Bildfeldern der Reihe die Vertreter zweier Disziplinen vereinigt und als Paar in
Beziehung setzt, — nämlich Logik und Rhetorik auf dem Einen,^ Geometrie und Arithmetik auf dem
Anderen, während Grammatik, Musik und Astrologie ihr Feld allein behaupten. Die Gewandung des
Entdeckers der Sphärenharmonie, der hier gemeint ist, mag er als solcher Pythagoras oder wegen
seiner Hammerschläge auf dem Ambos als Tubalkain angesprochen werden, wie die des alten Schul-
monarchen, der als verkappter Donatus oder Priscian oder als Urahn unseres Zumpt, jedenfalls in
der Tracht eines Lehrmeisters dieser Renaissance-Generation erscheint, und ihr — in zwei ebenso
erfreulichen Musterexemplaren florentinischer Schuljugend — das Lesen und das Schreiben beibringt,
dieser ,weite Tuchmantel des Scholarchen, wie die Tunica des Patriarchen gewähren wieder die
mannichfaltigste Gelegenheit, die Gewohnheiten der Drapierung und des technischen Verfahrens zu
vergleichen, die sich ebenso an dem Hochrelief der Krönung zeigen, wenn wir die Anforderungen des
Kastenreliefs in den sechseckigen Rahmen des Campanile und die etwas abweichenden Bedingungen,
denen die Krönung gerecht zu werden hatte, in Abzug bringen. Der Kopf des Professors gleicht
wieder dem des Bischofs, während die Kopfbildung der Jungen in allen Teilen die genaueste
Übereinstimmung mit der Struktur des Imperatorenkopfes aufweist, so weit die Korrosion des letzteren
irgend noch festen Anhalt bietet. Die Hand des Kaisers, die das (abgebrochene) Scepter haltend,
ruhig auf dem Schosse liegt, zeigt die gewohnte Bildung Lucas wie die des Schulmeisters auf seinem
Pulte; die Linke, die den Reichsapfel hält, hat die zugespitzten Finger wie die Knaben, oder Orpheus,
der über die Saiten der Guitarre greift, oder Petrus in der Befreiung. Überall die nämlichen Formen,
die gleichen technischen Gewohnheiten; überall die selbe ruhige Sicherheit, der harmonische Vortrag,
die Luca della Robbia unter seinen Zeitgenossen auszeichnen und von Ghiberti wie von Donatello
charakteristisch unterscheiden.
» Der bärtige Hellebardenträger kommt sogar den Löwenköpfen des Kaiserstuhles nahe.
2 Es sind also, mögen die Vertreter benannt werden wie üblich, sicher nicht bloss „Sophistae" wie Julius v. Schlosser,
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses, XVII. Wien 1896, sie bezeichnet. Creometer
und Arithmetiker erscheinen beide in arabischem Kostüm mit Turban, Orpheus als fahrender Sänger mit Reisehut inmitten
des Waldes, dessen Tiere ihm lauschen, sehr malerisch in der Landschaft gelagert.
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Wo dagegen die äussere Behandlung dieser Hochrelieffiguren von den übrigen Marmorarbeiten '
Lucas abweicht, da bemerken wir eine sehr bezeichnende Übereinstimmung mit seinen glasierten
Terracotten. So manche Partieen des glattpolierten Überwurfs und in dem Faltenarrangement des
Untergewandes beim Bischof verraten das Hineinspielen dieser Kunstgattung; ganz besonders ist dies
auch bei der Drapierung des weiten Unterkleides der sitzenden Kaiserfigur der Fall. An anderen
Stellen springt der Meister mit dem Marmor verwegen um, wie es bei ausschliesslicher Vertrautheit mit
diesem einen Material oder dauernder Bevorzugung der Steinskulptur nicht erklärlich wäre, beim gleich-
zeitigen Modellieren für Bronze und Terracotta aber von selber sich einstellt: so der frei vorstehende
Rand der Dalmatica, der deshalb auch so vielfach abgestossen ist, und die äusserste Einfachheit der
Falten unter dem Gürtel. Indessen diese absichtliche Beschränkung auf wenige wirksame Mittel legt
es nahe, dass das Bildwerk wol für verhältnismässig hohen Standort berechnet war und für die
Wirkung im offenen Tageslicht. Wahrscheinlich sollte, wenn nicht volle Bemalung, doch Musterung
und Schattierung der Gewandstoffe und sicher Vergoldung einzelner Stellen hinzukommen. Die Unter-
scheidung des harten Goldbrokats der Dalmatica, der weichen wollenen Unterkleider, des seidenen
Doppelstoffes scheinen in diesem Sinne vorbereitet. Und am Saum des kaiserlichen Krönungs-
ornates sind gar runde Vertiefungen aufgereiht, wie sonst Eindrücke mit dem Finger in der Thon-
masse die Naht oder den Besatz bezeichnen.
Schliesslich ist der Schritt zu einem so starken, die Körper fast voll ausrundenden Hochrelief
kunstgeschichtlich sehr bedeutsam und kaum einem Meister des Quattrocento so natürlich zuzutrauen
als eben Luca della Robbia selber. Sein Streben schlägt deutlicher als irgend eines Anderen die
Bahn der griechischen Reliefplastik ein. ^ Und der Mut, sie auch in Marmor zu versuchen, konnte
wol nur auf Grund einer längeren Beschäftigung mit allen Graden der Erhebung bis zur vollen
Körperlichkeit in Terracotta, d. h. unter seinen Mitstrebenden eben nur ihm erwachsen. Ist aber
diese Gruppe in Marmor von Luca geschaffen, wie ich fest überzeugt bin, und nur von ihm herleitbar,
der in Terracotta sogar Freifiguren wie die leuchtertragenden Engel in der Domsakristei gewagt hat, —
so gewinnen wir damit zugleich sehr erwünschte historische Erklärung für eine Arbeit, wie die
Begegnung der Maria mit Elisabeth in Pistoja, deren beide vollrunde Figuren aus zwei Hälften, einer
oberen und einer unteren, zusammengesetzt sind, und deshalb Zweifel erregt hatten, ob eine Ent-
stehung bei Lebzeiten Lucas, der übrigens hochbetagt erst 1482 gestorben ist, anzunehmen erlaubt sei.
Allem Anschein nach steht das Marmorwerk im Museo Nazionale, mit seiner grandiosen Wucht
der Auffassung, noch der Sinnesart der führenden Hauptmeister, dem Siegeslauf Donatellos näher,
gehört also in die erste Hälfte des Quattrocento, soweit sein inneres Wesen abgesehen von der Aus-
führung des Einzelnen darüber entscheiden darf. Die Grabfigur Federighis, die Luca 1456 vollendet,
ist feiner durchgefühlt, aber auch für näheres Anschauen eingehender bis ins Kleinste durchgearbeitet.
1 Unter ihnen ist besonders auch das Sakramenthäuschen in Peretola (von 1442) zu beachten, das mit den Reliefs
!s Petrusaltars wie des Federighigrabes grosse Verwandtschaft aufweist und die Annäherung an Michelozzo besonders
Hitlich offenbart. Phot. Brogi 5841^.
2 Vgl. hierzu das Kapitel über Reliefauffassung bei Hildebrand, das Problem der Form in der bildenden Kunst,
IS zur Würdigung Robbias wesentlich beitragen muss.
— 66 —
Die Bestimmung des Hochreliefs im Bargello war jedenfalls eine andere, wenn auch gerade Luca
immer mehr ins Einzelne ging und seinem Formgefühl genugtun musste, während Donatellos Bravour
im Interesse dekorativer Wirkung wie an den Orgelbalustraden auch dies Bedürfnis des Bildners
hintansetzt. Immerhin gestattet der beschädigte Zustand des Denkmals keine zuverlässige Beurteilung
mehr, mit deren Hilfe das Werk zeitlich in die Reihe der übrigen Marmorarbeiten Lucas ein-
geordnet werden dürfte.
Um so mehr drängt sich nun, da wir die Kaiserkrönung, so lange wir nicht mit Gründen
eines Besseren belehrt werden,' als eine der bedeutendsten Leistungen Lucas betrachten, der Wunsch
auf, sie mit dem einen oder dem anderen Teil seiner Werke noch ausser den Marmorskulpturen in
nähere Verbindung gesetzt zu sehen. Da bieten zunächst seine Terracotten, auf deren technische
Behandlung, deren Formenwahl und Gewandbehandlung wir schon wiederholt Rücksicht nehmen
mussten, die eine grosse Schwierigkeit zur Vergleichung im Einzelnen, dass sie eben glasiert sind
und nicht selten durch die Farbe wie durch den Glanz zu einer andersartigen Wirkung kommen,
bei der die Genauigkeit und Schärfe der ursprünglichen Modellierung nicht so rein hervortritt wie
im weissen Marmor, oder in anderem Steinmaterial und in naturfarbener unglasierter Terracotta
ebenfalls.
Doch verlohnt es sich wenigstens auf eins der berühmtesten Werke dieser Art hinzuweisen,
sei es auch nur, um eine nebensächliche Zutat der Krönung als Lucas Eigentum darzutun. Ich
meine die vier grossen Rundreliefs mit sitzenden Evangelisten darin in den Zwickeln der Cappella
Pazzi. Es ist eine Zeit lang behauptet worden, unser trefiflichster Kenner florentinischer Kunst, Karl
Eduard von Liphart, habe s. Z. die Erfindung dieser Gestalten auf den Erbauer der Kapelle, Filippo
Brunelleschi zurückführen wollen. Das ist' eine Entstellung seiner Ansicht, die nur dahin zielte, Luca
della Robbias Kunst mit der Bildnerei Brunelleschis selber in Zusammenhang zu denken, und aus
der Grossartigkeit des Abraham im Konkurrenzrelief dieses Goldschmiedes die Grossartigkeit des
Wurfes und der Charakteristik dieser kongenialen Schöpfungen des Thonbildners herzuleiten. Die
eine Gestalt mehr als die andere schien ihm Brunelleschis selber würdig. Es war also ein Werturteil,
das Liphart aussprach, nicht eine Verschiebung des Eigentumsrechtes. Solch ein Werturteil hatte
indessen besondere Bedeutung zu einer Zeit, wo die liebenswürdigen, milden und zarten Eigenschaften
der Robbia mehr geschätzt wurden, als die rauhe Grösse und wuchtige Kraft der gewaltigen
Begründer der Quattrocentokunst selber. Und als solches Zeugnis für die Grossartigkeit des Sinnes
bei Luca della Robbia, der diesen Persönlichkeiten wie Donatello, Masaccio und Brunelleschi als
treuer Bundesgenosse zugehört, hat die Auffassung Lipharts, die mitten aus seinem täglichen Verkehr
mit diesen Meisterwerken hervorging, auch heute noch eine lehrreiche Bedeutung. Wir wären sonst
vielleicht allzu geneigt, je mehr wir an Donatello Geschmack gewonnen, die eigentümliche Stärke
Lucas, der neben ihm aufwuchs, zu übersehen, und ihm Dinge nicht zuzutrauen, die doch als Haupt-
bestandteile in sein Lebenswerk gehören. Erst allmählich wird ja der Glaube an einige seiner
monumentalsten Schöpfungen zurückerobert, wie z. B. die wenigen vollausgerundeten Figuren in
' Die neueste Auflage des Cicerone 1893 hat im Register S. 30 die Nachtragsnotiz: vom Anfang des 15. Jhdrts.
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Terracotta, die wir besitzen, und auf Lipharts eigene Anregung sogar eine Zeit lang für den dunkeln
Ehrenmann Fra Paolino da Pistoja in Anspruch nehmen sahen.
Zwischen den Evangelisten unter der Kuppel der Pazzikapelle und den Werken der grossen
Nachbarn, wie Brunelleschi hier und Donatello dort, fehlte nämlich für unser Verständnis der ein-
leuchtende Zusammenhang, der auch Lucas eigener Persönlichkeit ihr Recht bestehen Hess. Seither
ist, besonders bei Bode, die Neigung hervorgetreten, den ersten Robbia, soweit er den vollgültigen
Quattrocentisten angehört, nur als Nachtreter Donatellos zu denken, vor dieser Bekehrung zum
Renaissancekünstler vom reinsten Wasser vielmehr eine Periode nahen Zusammengehens mit den
halbgotischen Thonbildnern anzunehmen, die eher mit Ghiberti als mit seinem Gegner Brunelleschi
verwandt sind, und ausserhalb Florenz, in Venedig und Verona, in Modena und Castiglione d'Olona
sich leicht und gern der Spätgotik Oberitaliens anbequemen. Damit würde Luca della Robbia in
eine Kategorie mit dem sogenannten Meister der Pellegrinikapelle, d. h. einem Dello Delli und
ähnlichen Plastikern geschoben, und erst das Vorbild Donatellos würde ihn aus dieser Befangenheit
befreien. Die Annäherung an jene halb noch gotischen Übergangskünstler hat sicher ihr Gutes;
ich bin überzeugt, die Eigenart Lucas wird gegen diese Gesellschaft reagieren und sich mit der Zeit
in einer verfolgbaren Reihe von Jugendwerken zu erkennen geben. Andererseits jedoch würde der
Hinweis auf Donatello allein die Chronologie der beiden Zeitgenossen wol nicht ungestraft ver-
schieben und uns ausserdem den Weg zur persönlichsten Kraft des wundersamen Meisters der
Reliefkunst versperren, indem wir alles Heil nur von Donatello erwarten, als habe Luca della
Robbia nicht seinen eigenen Genius gehabt, der ihn zwischen Ghiberti und Donatello mitten hin-
durchführt. Damit würde ferner wol ein richtiges Gefühl unseres alten Meisters Liphart wieder
erdrückt, vielleicht ein fruchtbarer Gedanke zur genetischen Erklärung Lucas achtlos veruntreut.
Ich meine die Beziehung jener Evangelisten der Pazzikapelle zu Filippo Brunelleschi, die Liphart
ausgesprochen und irgend ein Notizenjäger so verdreht hat. Liphart dachte sich nicht erst Donatello,
sondern vielmehr Filippo Brunelleschi als Lehrer des Luca della Robbia, der 1399 geboren ist, also
sicher mit Masaccio gleichen Schrittes gehen mochte.
Uniäugbar haben sich die langbärtigen Patriarchentypen, die Luca in jenen Rundmedaillons
als Verfasser der heiligen Schriften hingelagert zeigt, aus Brunelleschis Abraham auf dem Relief der
Opferung Isaaks, der ja wol in bildnerischen Leistungen des künftigen Architekten nicht allein
gestanden sein wird, entwickelt. Aber diese Ableitung der Gebilde Lucas aus jenem Konkurrenzrelief
Brunelleschis ist schon aus zeitlichen Gründen nicht unmittelbar zu denken, weil dieses Probestück
der Goldschmiedskunst noch am Anfang des Jahrhunderts steht, und mitten aus gotischer Schul-
gewohnheit die ersten Eroberungen aus der Antike und die ersten Regungen des neuen Geistes
eigener Schöpferkraft hervordrängt. Sodann aber tragen die Evangelisten in der Pazzikapelle durch-
aus das Gepräge des eigenen selbstgefundenen Stiles, der ihren Urheber deutlich genug und zweifellos
als Robbia erkennen lässt. Freilich ist dieser Stil noch nicht ganz in sich abgeklärt und einheitlich
ausgeglichen: rauhe Seiten stehen unvermittelt neben milden; hartknochige Gestalten, mit ungeschlachten
Gliedern und unliebenswürdigen Köpfen, wie Marcus und Johannes, neben gutmütigen und bieg-
sameren Werkzeugen der Offenbarung, wie Lucas und Matthäus; oder die grossartigen, vortrefflich
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beobachteten Tiere, wie Ochs und Löwe, neben dem schlanken zarten Engel, der wie ein bleiches
Schulmädchen dem Matthäus die Tinte hält.
Zwischen diesen Arbeiten Robbias und jenem Konkurrenzwerk Brunelleschis liegt für beide
Künstler eine beträchtliche Spanne Weges, lang genug den kurzen Siegeslauf eines Masaccio zu
vollenden. Von Filippos Seite begegnet uns wieder nur ein
vereinzeltes Beispiel der mehr und mehr verlassenen Bildnerei,
der Crucifixus in S. M. Novella, — nach der Tradition auch ein
Konkurrenzstück, nämlich zum Bauer Donatellos in Sta. Croce.
Was aber steht in dieser Idealfigur des Heilandes vor uns
da, wenn nicht das klare Bekenntnis eines hochsinnigen
Aristokraten? Diesem Idealismus huldigt Luca della Robbia
Zeit seines Lebens überall und bleibt ihm treu im Grunde
seines Herzens, so stark auch sein Drang nach Wahrheit
und Wirklichkeit des Erdenleibes trachten mag im Sinne
Donatellos und aller Gesinnungsgenossen des Quattrocento.
Und was könnte von seiner Seite etwa in Anspruch
genommen werden, um den Zusammenhang zwischen jenen
Evangelisten und der Bildnerkunst Brunelleschis zu vermitteln?
Gerade mit dem Versuch, die Übergangserscheinungen der
Terracottaware zur Erklärung Lucas allein zu verwerten,
kommen wir dieser Verbindung nicht näher. Ich glaube der
Hypothese Lipharts daneben wenigstens die Beachtung zurück-
gewinnen zu können, die sie verdient, indem ich einen Fund
in die Wagschale Brunelleschis lege, der mir vor Jahren, auf
völlig anderen Pfaden meiner eigenen Forschung begegnet
ist. — Also Hypothese gegen Hypothese: zwei Jugendwerke
Robbias, aber für die Goldschmiedskunst, nicht in Terracotta
sondern in Bronzeguss.
In dem nämlichen Museum, das einen gewaltigen
Christuskopf von Melozzo da Forli birgt, den nur gewohnte
Rechnung mit allbekannten Grössen noch auf Signorelli be-
ruhen lässt, in der nämlichen Pinakothek von Cittä di Castello
stehen zwei Heiligenfiguren, die zu einem „Reliquiarium von
1420" gehörten.' Der eine von diesen Heiligen ist S. Franciscus,
der den Schlitz seiner Kutte lüftet, um die Seitenwunde zu zeigen; der andere darf nach dem
Buch in der Linken und nach dem langlockigen und langbärtigen Kopf, nach damaliger Dar-
stellungsweise, als Johannes der Evangelist angesprochen werden, während im alten Testament nur
t Phot. V. Alinari 5176.
Moses und Abraham Seinesgleichen wären, oder ein besonders würdiger Prophet, denen allen dreien
damals kaum ein gebundenes Buch als Abzeichen gegeben wäre, wie dem Apostel hier. Beide Köpfe
tragen meiner Überzeugung nach die unzweifelhaften Kennzeichen der Formgebung des Luca della
Robbia an der Stirn. Unter den klaren Brauen liegen die grossgeschnittenen Augen mit dem ruhig-
sinnenden Blick, zwischen ihnen steigt die kräftige Nase mit
breitem Rücken gerade hernieder; wirksam öffnet sich das
Lippenpaar, rundet sich das Kinn unter dem Bartwuchs
plastisch deutlich und fest. In langen welligen Strähnen fliesst
der Vollbart bei Johannes auf die Brust und die Ringellocken
vom Ohr auf die Schultern, während das Haupthaar wieder
ausserordentlich charakteristisch für Lucas Weise auseinander-
gelegt und massig im Sinne des Zusammenhaltes behandelt
wird. Ebenso der Kranz des geschorenen Haares um den
nackten Schädel beim Franciscus von Assisi.
Die Haltung des Körpers zeigt noch die gotische Ge-
wohnheit. Bei dem Mönche geht die Bogenlinie durch die
ganze Figur, wie die Hüfte des Standbeins sich herausdrängt,
ein Bausch der Kutte über den Gürtel fällt und gegen das
Buch herabfliesst, das die Linke haltend anlehnt. Über das
Spielbein flutet das weiche Gewand glatt, die Kniehöhe kaum
bezeichnend bis auf die Zehen und schleift leise auf dem Boden
nach, während der Arm sich hebt, die Hand sich nach innen
dreht, um die Seitenwunde frei zu legen. Die Einfachheit der
Faltenlagen, die Weichheit und Grossflächigkeit zeugt wieder
für Luca della Robbia trotz der unleugbaren Herkunft aus den
'selben Schulprinzipien, die wir an Donatellos Jugendwerken
auf der Porta della Mandorla und noch drinnen im Dom an
jenem Daniel gewahren, den die Beschreibung nur als „uno
che si piega" bezeichnet. — In der Figur des Evangelisten
ergeht sich die gotische Stilisierung noch mehr in der Draperie,
schon weil Tunica und Mantel der biblischen Idealtracht kon-
ventioneller als die Ordenstracht der Minoriten zur Charakteristik
des Apostels beitragen. Aber auch hier ist die Häufung der
parallelen Faltengehänge und die Scharfkantigkeit, die wir in
Brunelleschis Abraham ebenso wie an Ghibertis Johannes dem Täufer an Orsanmichele finden, also
die technische Manier der eigentlichen Goldschmiede, die natürliche Gewohnheit der Metallarbeit
nicht anzutreffen, sondern plastische Klarheit, schlichte Ruhe, die sich mit grossen Zügen begnügt,
und eine durchgehende Weichheit bewahrt, die zwingend genug die Vorstellung der glasierten oder
doch bemalten Terracotta wachruft, wie wir sie nur von Luca della Robbia kennen. Leider ist die
— 70 —
rechte Hand des Apostels, die nach auswärts greifend das herabhängende Mantelstück aufhebt, in
der Mitte der Phalanx verletzt, ein Stück ausgefeilt um die Figur seitlich zu befestigen, vielleicht mit
einem vorspringenden Teil des Gehäuses zu verbinden, genug gewaltsam entstellt; sonst zeigt sie
gleich den übrigen Händen nicht minder als die Füsse mit ihren langen Zehen und der besonderen
Betonung der vordersten die schlagendste Übereinstimmung mit den authentischen Werken Lucas.
Nichts von der abflachenden, die Falten glättenden Manier des Bronzegiessers Michelozzo,
dagegen mancherlei Verwandtschaft mit Nanni d' Antonio di Banco, besonders mit seinem Evangelisten
Lucas im Dome und dem Relief der Porta della Mandorla oder den Engelköpfen, in denen ich
seinen Anteil an der Marmorumrahmung dieser Tür erkannt zu haben glaube.' Dennoch ist eine
Verwechselung mit diesem 142 1 gestorbenen Jugendgefährten Donatellos, bei dem Luca die Anfangs-
gründe der Marmorskulptur erlernt haben könnte, bei den Bronzestatuetten in Cittä di Castello nicht
möglich: dafür sind sie dem Abraham Brunelleschis und den Evangelisten der Pazzikapelle zu
nahe verwandt.
Somit ist zugleich mehr als einmal ausdrücklich anerkannt, dass die Zuweisung dieser Bronze-
güsse von einem Reliquienschrein an den jugendlichen Robbia, den Bemühungen Bodes, ihn auf dem
Gebiet der Thonbildnerei zunächst zu suchen, keineswegs zuwiderläuft. * Nur sind es doch Freifiguren,
und damit der Weg für statuarische Versuche, wenn auch kleineren Mafsstabes, eröffnet, gegen deren
Abläugnung oder Vergessenheit bei Luca wir bei jeder Gelegenheit entschiedenen Einspruch erheben.
So sei es auch hier erlaubt, bevor wir zu den Reliefmedaillons der Pazzikapelle zurückkehren, an die
Freigruppe der sitzenden Maria mit dem nackten Knaben auf dem Schoss im South Kensington
Museum zu erinnern, die wir lange schon als eigenhändige Schöpfung dieses Meisters bezeichnet
haben, während der Katalog sie Jacopo della Quercia zuteilt (Robinsons Catalogue No. 7574 mit
Abbildung). Von diesem unglasierten, etwas über drei englische Fuss hohen Terracottabildwerk
mögen die beiden leuchtertragenden Engel in der Sakristei des Florentiner Domes als ebenso voll-
runde aber weiss glasierte Figuren mittlerer Grösse zu den grossen Reliefgestalten der vier Evangelisten
zurückleiten; denn der geflügelte Himmelsbote des Matthäus weist uns hin auf seine Brüder zu den
Seiten Gottvaters in einem ganz flachen von Luca gezeichneten, gemalten und glasierten Tympanon
in der Opera des Domes,3 der Löwe des Marcus aber auf die Gruppe der Kaiserkrönung im Museo
Nazionale.
Dieser Marcuslöwe zeigt in dem Kopf eine so mächtige Naturwahrheit und so monumentale
Breite der Modellierung, dass sämthche Löwen seiner Zeitgenossen davor in die Ecke kriechen, und
selbst Donatellos berühmter Marzocco gerade in diesen Eigenschaften zurückstehen muss. Nun aber
hat der Kaiserstuhl bei der Krönung im Museo Nazionale als Lehnenköpfe vorn zwei solche Exemplare
von Löwen, die trotz der untergeordneten Rolle, die sie spielen, und trotz dem verwitterten Zustand,
1 Vgl. die Abbildung auf Seite 41.
2 Ein bisher unerkanntes Relief von Luca della Robbia scheint mir auch ein unglasiertes, braun angestrichenes und
gefirnisstes Kniestück der Madonna mit dem Kinde auf dem Schoss, das ein Schriftband haltend von ihr und drei Engelchen
angebetet wird im Museo di S. M. Nuova. (Phot. Alinari 6184. Scuola di Donatello.) Vgl. unsere Abbildung oben z. S. 64.
3 Vgl. Repertorium für Kunstwissenschaft. 1889. XII. 208.
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in dem sie erhalten sind, sich als Kinder dieses apokalyptischen Tieres in Cappella Pazzi ausweisen,
selbst wenn sie, statt der Flügelfreiheit für die Luftregion, hier zur regungslosen Knechtschaft unter
dem Herrschersitz verurteilt sind. Meines Erachtens zeigt in solchem Beiwerk selbst der Meister der
Krönungsgruppe seine Löwenklaue, die er sein Leben lang sich vorbehalten hat, so reich und stralend
ihm auch die Jugendschönheit und Frauenanmut gelang, die wir ihm danken, nur — aus Einseitigkeit —
zu ausschliesslich verdanken wollen.
Unum sed leonem! — klingt es auch an anderer Stelle des Museo Nazionale, und ich glaube
die Stimme als die des Luca della Robbia zu kennen. Es giebt daselbst ein anderes Gebilde seiner
kräftigen Hand, das nur aus Vorurteil noch nicht als sein Eigentum anerkannt worden. Ich meine
die unglasierte Terracottabüste eines jungen Mannes, der — wieder voll ausgerundet — barhaupt
mit üppigem Haar, in ganz schlichtem, eng anliegendem, vorn zugeknöpftem Rock, der oben am
Halse fest zusammenschliesst, bis nahe an den Gürtel gezeigt wird. Die Arme sind nach unten
etwas abstehend noch vor dem Ellbogen abgeschnitten. " Dies Bildnis stand, dunkel gefirnisst, lange
als Gegenstück zu dem geharnischten Krieger von Antonio del Pollajuolo unter dem Namen dieses
Künstlers, zu dessen Eigenart es garnicht passen will. Durch solchen Widersinn abgestossen
schwankte die Wage der Kenner zunächst ins andere Extrem, indem Bode den Namen Benedetto
da Majano in Vorschlag brachte. ^ Er fühlte jedenfalls die Milde ja Sanftmut der Künstlernatur
heraus, die hier gewaltet, und mit der leidenschaftlichen Energie, der krampfhaften Kontraktion, die
Pollajuolo liebt, durchaus nicht zusammengeht. Wahrscheinlich, wenigstens mir hat sich diese Lösung
lange bewährt, liegt auch hier die Wahrheit einigermassen in der Mitte. „Die Hand des ebenso
tüchtigen, aber weit schlichter und weicher empfindenden Künsders", die Bode darin erkennt, dürfte
vor allen Dingen nicht in der zweiten Hälfte des Quattrocento zu suchen sein, der die vorgerücktere
und mehr ins Einzelne gehende Auffassung und Arbeitsweise des Antonio Pollajuolo wie des
Benedetto da Majano beide angehören, sondern in der ersten Generation der Frührenaissance, die
noch mit konstitutiven Dingen der Plastik genug zu schaffen hatte und gerade die einfachere Sinnesart
besass. Die „weichere Empfindung" aber wird gewiss zum grossen Teil auf Rechnung der Formen-
behandlung im weicheren Material, der Gewöhnung ans Modellieren für glatte, bemalbare oder
glasierbare Terracotta geschoben werden, wenn man einmal, von dem Gegenstück Pollajuolos ganz
absehend, die Tüchtigkeit der Leistung ohne Vorurteil zu würdigen versucht. Es ist eins von jenen
ruhevollen Meisterwerken Lucas, die dem Wesen griechischer Plastik näher kommen, als alle leiden-
schaftlicheren Bemühungen seiner Zeitgenossen und Nachfolger. Es überwiegt der Sinn für das
leibhaftige Dasein der Kreatur, für das vegetative Leben, der zu Gunsten unseres Wirklichkeitsgefühles
ganz andere Faktoren vor Augen stellt, als die Erregung des Augenblickes und das Hämmern der
Gedanken hinter der Stirn. Es sind die selbstverständlichen Grundlagen der körperlichen Natur, die
er als echter Bildner zuerst erfasst und als Hauptsache festhält. So bleibt auch das Auge ohne
bestimmt gerichteten Blick, junonisch gross und voll, in sich selber ruhend, und das Wesen der
Person nicht gespannt und gereizt von einem Äusseren abhängig, sondern sich selber genug, in sich
' Vgl. unsere Heliogravüre nach Phot. Alimari 6288.
54. II 379 d. (1893 weggelassen.)
— 72 —
ganz und abgeschlossen ringsum. So spricht diese Büste den Beschauer vielleicht weniger an, als
der moderne Museumsbesucher fordert und nötig hat; aber sie hält auch dem wiederkehrenden
Betrachter, der sie sucht, länger Stand als manches andere, anfangs interessantere Bildnis und
befriedigt ihn in mancherlei Stimmung, indem er ihren Kern stets sich bewähren fühlt. Die Formen-
behandlung dieser Züge, der struktive Aufbau des Knochengerüstes, die Wiedergabe des ruhigen
Schauens der Augen und des Haares in kompakten Lagen stimmen aber so weitgehend einerseits
mit den Köpfen der Krönungsgruppe, andererseits mit den jungen Kerlen der Sängertribüne überein,
dass man sich fragt, wie weit in solchem Porträt noch das Individuum zu seinem Recht gekommen
sein möge. Tatsächlich hinterlässt es den Eindruck, als ob die Auffassung des Besonderen, dem
Einzelwesen Eigentümlichen, soweit es vom Normalen abweicht, nicht gerade die starke Seite in der
Begabung des Künstlers gewesen sei. Und gerade der genauen Übereinstimmung mit den durch-
gehenden Typen des Luca della Robbia danke ich allein die Sicherheit, mit der ich wage, diese
Porträtbüste für ihn in Anspruch zu nehmen und sie als wichtigen Bestandteil seines Werkes zu
betrachten, der wesentlich dazu beiträgt, den Charakter seiner natürlichen Anlage zu verstehen. Die
Verwandtschaft dieser zu seiner Zeit ihm allein eigenen Anlage mit den Haupteigenschaften der
antiken Plastik erklärt sich wesentlich auf dieser Grundlage; die Gefahr, sich aus Wahrheitsliebe bis
in die Einseitigkeit individueller Bildung zu verlieren, scheint für ihn nicht bestanden zu haben.
In der Schöpfung der plastischen Form selbst, im Hinstellen des physischen Daseins und in der
Durchdringung dieser Form mit vegetativem Leben ist er unerreicht.
Und deshalb muss, neben den zahlreichen Zügen jugendlichen Eifers und übermütiger Daseins-
lust, zarter Anmut in den Mägdlein und derber Kraft bei den Buben, auf den Reliefs seiner Sänger-
tribüne, die wir alle lieben, in dieser Gruppe der Kaiserkrönung ganz besonders die Wucht einer fast
antiken Inscenierung solcher Ceremonie anerkannt werden. Es ist ein urwüchsig gewaltiges Gehaben
und Gebaren in diesen beiden Repräsentanten, der weltlichen und der geistlichen Macht, dass sie
auch dem stumpferen Beschauer unwillkürlich die Ehrfurcht auferlegen, im Anblick dieses Auftritts
zu verharren, der in solcher Einfachheit so weittragende Bedeutung erzwingt.
Zu Gunsten der Menschengestalt, die hier ganz und gar, in ihrer physischen Kraft und ihrer
charaktervollen Würde zugleich, gegeben wird, so ganz im Sinne der klassischen Skulptur, verlor
vielleicht auch hier für den Meister die individuelle Bildung der Köpfe, das Bildnis einer bestimmten
historischen Person selbst, an Wert, — zumal wenn der Bestimmungsort des Hochreliefs die feinere
Wirkung der Einzelzüge von vornherein aus seiner Rechnung ausschloss. Auf Grund der Terracotta-
büste, die wir demselben Künstler zugeschrieben, dürften wir solches Hinwegsetzen über die Ähnlichkeit
in diesem Falle durchaus erklärlich finden. In der Tat erinnert der krönende Bischof zunächst an
die Grabfigur im Baptisterium, „Joannes quondam papa XXIII", die Donatello geschaffen, wir
wissen nicht, wie genau im Anschluss an die Züge des Bartolommeo Coscia, der als Kardinal-
bischof von Florenz 14 19 gestorben war, d. h. an die nächste Gestaltung solches Würdenträgers der
Kirche, die zur Zeit des Künstlers sich schon als Kostümfigur vorbildlich aufdrängen musste. Und
der Römertypus des Imperators? — fragen wir weiter; wie steht es mit der Bildnistreue dieser
Hauptperson?
— 71 —
Nun erst stehen wir wieder vor dem Anliegen, die Person des Dargestellten zu bestimmen,
und sei es auch nur zu dem Zwecke, aus der Persönlichkeit des Dargestellten oder dem äusseren
Anlass der Bestellung einen Anhalt für die Entstehungszeit und eine Bestätigung für die Person
des Künstlers zu gewinnen, die für uns inmitten des XV. Jahrhunderts gewiss im Vordergrunde
bleiben darf.
In der Tat ist nicht zu läugnen, dass ein gewisser Grad von Ähnlichkeit mit überlieferten
Bildnissen für die Meinung spricht, hier sei niemand anders als Ludwig der Bayer gemeint. Sein
Grabmal in München und sein Porträt im Rathaus zu Nürnberg, sein Siegel selbst auf Urkunden
dürften angeführt werden, diese Annahme zu begründen. Überall erscheint dieser Kaiser bartlos,
so auch bei seiner Krönung zum König von Italien, auf dem Relief des Tarlati- Monumentes in
Arezzo. K. E. v. Liphart war von dieser Überzeugung fest durchdrungen. Aber wie sollte man
im vollen Zug des XV. Jahrhunderts dazu gekommen sein, auf italienischem Boden die Kaiserkrönung
Ludwigs in Rom zu verherrlichen? — Eine Krönung mit der eisernen Krone durch Guido Tarlati
mochten die Aretiner sich zur Verherrlichung ihres Bischofs vielleicht bestellen, wenigstens wäre
solch ein Auftrag an Luca della Robbia denkbar. Aber eben diese Ceremonie in Mailand kann es
nicht sein, damit stimmt nicht das Diakonengewand, der kaiserliche Ornat, der nur dem Ritus der
Krönung des Imperator in St. Peter entspricht. Karl IV. erscheint überall bärtig und kommt gewiss
für die sonstige Figur durchaus nicht in Betracht. Dann aber gelangt erst Sigismund wieder zur
Kaiserkrönung in Rom; diese Feierlichkeit jedoch ist von Eugen IV. im Jahre 1433 vollzogen, von
einem Papste, dessen Bildnis in Florenz sicher ebenso, wenn nicht nach seinem langen Aufenthalt
in der Arnostadt viel genauer bekannt war, als das des Kaisers. Dieser Bischof ist nimmer Eugen IV.,
dieser Kaiser nicht der bärtige Sigismund. Und wie anders erscheint der Hergang der Krönung
auf den Türen von St. Peter dargestellt, in der Reihe der Reliefs von Antonio Averlino Filarete.
Da sitzt nicht der Kaiser, sondern der Papst auf seinem Thronstuhl neben dem Altar, mit der
dreifachen Tiara auf dem Haupt, und vor ihm kniet in demütiger Verehrung der nordische Herrscher,
mit seinem langen Barte dem alten Barbarossa vergleichbar! —
Sein Nachfolger Friedrich, der 1452 nach Rom zog, um von Nicolaus V. die Krone zu
empfangen, ist seinerseits wieder bartlos auf einer Medaille aus späteren Jahren (im Germ. Museum
in Nürnberg) wie auf seinem Grabmal im Stephansdom zu Wien. Aber wie sollte Nicolaus V., den
Fra Angelico im Vatikan schon an Stelle Papst Sixtus II. in der Legende des hl. Laurentius mit
voller Porträtähnlichkeit gemalt, den die Florentiner schon als bescheidenen Bücherwurm in der
Freundschaft der Medici kannten, wie sollte er in solcher Triumphscene nicht nach seinen Medaillen
konterfeit sein? Dann aber hätte gewiss auch er, der kluge Tommaso Parentucelli aus Sarzana, der
Vater des neuen Rom, auf dem Hochsitz der Kirche gethront, und der Kaiser sich bequemen müssen,
vor dem Pontifex Papa zu knieen.
Aus dieser Verschiebung der Rollen schon ergiebt sich, dass hier keine Kaiserkrönung aus
dem XV. Jahrhundert gemeint sein kann, keine Wiedergabe eines historischen Faktums aus den
Tagen des Quattrocento, in denen das Hochrelief entstand, — sondern, dass wir es mit einer Ideal-
komposition zu tun haben, in der die Kaiserkrönung nach mittelalterlichem Brauch geschildert
— 74 —
werden sollte, und diese vielleicht im Hinblick auf ein berühmtes Herrscherhaupt. Dürften wir
annehmen, dass der Künstler trotz der vorurteilsfreien Wiedergabe des bischöflichen Ornats aus seinen
eigenen Tagen, im vollentwickelten Stil des Quattrocento, doch bei dem Kopf des Kaisers wenigstens
ein Bildnis zur Nachachtung vor sich gehabt, — so kämen wir schliesslich zu der alten Lokaltradition
zurück, dass die „Krönung Karls des Grossen" gemeint sei. Damit wäre nicht nur der römische
Bischof, das Vermeiden der dreifachen Papstkrone, auch ohne ängstliche chronologische Gelehrsamkeit,
natürlich vereinbar, sondern ebenso der bartlose Kaiserkopf, wie er in Rom zu sehen war. Nur
Karl der Grosse lebte damals in der dankbaren Erinnerung der Florentiner. Von ihm erzählten sie
sich als vom Gründer ihrer Stadt, dass er die Mauern nach langer Zerstörung wieder aufgebaut und
die freie Selbstverwaltung bewilligt habe. ' Ihm mochte man deshalb zu jener Zeit, wo die Rolle
der Parte Guelfa vorüber war, auch ein Standbild errichten, das die Übertragung der römischen
Kaisergewalt an den Verleiher der Stadtprivilegien vor Augen stellte.
Solch ein Platz für die Krönung des weltlichen Herrschers im christlichen Gottesreich mochte
sich füglich im Fortgang des Schmuckes der Domfassade selbst ergeben, an deren Hauptportal unten
die Erstlingswerke der Renaissance-Skulptur, die vier Evangelisten, seit 141 5 schon, aufgerichtet
sassen. Damit wäre denn auch vielleicht der Fundort vor Porta Romana erklärlich geworden. Denn
beim Abbrechen der alten Domfassade wurden viele der sonst nicht verwertbaren oder gering
geachteten Skulpturen nach dem Grundstück der Villa Poggio Imperiale hinausgeschafft, wo sie
natürlich verwahrlost blieben. Mussten sich doch Propheten oder Kirchenväter gefallen lassen, in
Idealfiguren Homers, Virgils, Dantes und Petrarcas verwandelt zu werden. Indessen, diese Erklärungs-
versuche sind für uns von keinem Belang. Sie mögen lieber ganz aus dem Spiel bleiben, wenn nur
die Hauptsache unserer Erkenntnis, die richtige Bestimmung des grossartigen Hochreliefs der Kaiser-
krönung selbst desto schneller zum Durchbruch gelangt.
Nicht in der Mitte des XIII. oder des XIV. Jahrhunderts ist das Werk florentinischer Bildhauer-
kunst entstanden, sondern mitten im Quattrocento. Als Kunstwerk, nicht als Gegenstand romantischer
Anwandlungen, darf es auch in seinem heutigen verwitterten Zustande noch einen hohen Rang
beanspruchen, und als eine gediegene Leistung monumentalen Stiles, von der Hand des Luc a de IIa
Robbia betrachtet, wird es — so hoffen wir — im Verein mit einer Reihe verwandter Bestrebungen,
die wir für denselben Meister in Anspruch nehmen, auch einen wichtigen Platz in der Geschichte
. der italienischen Renaissance erobern, jedenfalls die Charakteristik, die wir künftig vom ersten Robbia
entwerfen, entscheidend mitbestimmen.
I Vgl. noch Fr. Albertini, Opusculum de mirabilibus novae et veteris urbis Romae. — Cap. XVII. De laudibus
s (ed. Schmarsow, Heilbronn 1886. S. 57).
NEUORDNUNG FLORENTINISCHER MUSEEN
Seit einiger Zeit haben die Kunstsammlungen von Florenz in der Anordnung ihrer Schätze
wirklich Fortschritte gemacht. Das verdient um so mehr Anerkennung, je mehr man weiss, dass
die Neigung zu Veränderungen hier zu Lande nicht immer von glücklicher Hand oder klaren Grund-
sätzen geleitet wird. Ruhelose Umordnung von Museen kann den Besucher in ärgere Verzweiflung
bringen als' dauerhafte Unordnung, an die man sich wenigstens gewöhnt.
Hier in Florenz scheint besonders die Sammlung von Zeichnungen, nachdem sie einmal aus
dem Gang zwischen Uffizien und Pittigalerie entfernt worden, garnicht mehr zur Ruhe kommen zu
können, während das fortwährende Umkleben und Ausrahmen, besonders aber die schutzlose Preis-
gabe an den Fenstern im hellsten Tageslicht die unersetzlichen Blätter der sichern Zerstörung
entgegenführt. Und doch wird niemand den guten Willen, auch hier etwas Rechtes zu erreichen,
in Abrede stellen. Wir wenigstens sind immer bereit, das redliche Bemühen anzuerkennen, selbst
wenn hier und da die Kräfte fehlen oder die sonstigen Voraussetzungen neuen Aufwands nicht vor-
handen sind, oder wenn das Talent, neue Hebestellen für die Brandschatzung der Fremden zu
erfinden, grösser ist als die Vorbildung für sachliche Reform. Doch nicht die Neuordnung der
Museen als solche soll erörtert werden, sondern die Aufstellung der Schätze giebt nur die willkommene
Gelegenheit, sie in besserm Lichte zu geniessen. '
Neu entstanden sozusagen ist während der letzten Jahre das Museum der „Opera del Duomo"
mit seinem Oberlichtsaal und seiner Ausstellung der Entwürfe zu der Domfassade, die mittlerweile
fertig dasteht und sich immer mehr mit ihrer Umgebung aussöhnt. Gar bald wird all die ohnmächtige
Konkurrenz vergessen sein und aus dem einen Zimmer des Museums wieder ein Archiv werden, das
nur Gelehrte noch besuchen. Die Mehrzahl dieser Entwürfe bezeugt ja nur, wie lange in diesem
Land der Künste der Sinn für grosse Kunst abhanden gekommen war, sie dürften — aus Schonung
für das Andenken ihrer Urheber — verschwinden. Dagegen enthält der Oberlichtsaal eine Auswahl
wirklich wertvoller Kunstwerke, die gerade in so geringer Zahl desto besser zu ihrem Recht gelangen.
Die Gesamtwirkung ist durchaus erfreulich, und die vorzüglichsten Einzelwerke würden nur durch
besondere Fürsorge für ihre Eigentümlichkeit noch gewinnen.
erschien zuerst 1893 in der Nationalzeituhg Berlin 26. Mai; 8. 11. Juli u. I. August.
- ^6 -
Die Hauptveranlassung zu dem Umbau sind die Orgeltribünen von Donatello und Luca della
Robbia gewesen, deren Reliefs früher im Museo Nazionale untergebracht waren, während das Eigen-
tumsrecht des Domes, für den sie gearbeitet waren, nicht zweifelhaft sein konnte. Der Wunsch,
das Ganze dieser Sängerbühnen in der ursprünglichen Anlage wieder herzustellen, war verständlich
und lobenswert, wenn in der neuen Räumlichkeit, für die sie nicht gedacht waren, auch nur ein
Kompromiss möglich blieb. Leider hat das antiquarische Interesse dies Verfahren zu ausschliesslich
bestimmt, und die Rücksicht auf bequemes Sehen wie auf den besonderen Charakter der beiden
Werke sind dabei zu kurz gekommen.
Und doch hätte man aus Vasaris wolbekannter Erzählung, wie verschieden beide Künstler
ihre Aufgabe erfasst hatten, und wie verschiedenartig die Wirkung an Ort und Stelle war, die sie
mit dieser entgegengesetzten Behandlungsweise erreichten, wenigstens die Hauptsache lernen können,
die bei der Aufstellung in einem Museum vor allen Dingen in Betracht kommen musste. Hier war
und blieb das erste und unabweisliche Gebot, dass die wertvolle Arbeit der Meister in ihrer Eigenart
genossen und vollständig erkannt werde. Hinter dieser Forderung musste das antiquarische Inter-
esse an der Herstellung des ursprünglichen Standes völlig zurücktreten, zumal da die ursprüngliche
Räumlichkeit im Dome selbst zur Wiederaufstellung versagt ward. Vasari, der sie an ihrem Platz
im Dome sah, macht nun aber ausdrücklich darauf aufmerksam : Donatello hatte seine Reliefs genau
für die hohe Aufstellung berechnet, damit die Gestalten tanzender und jubilierender Genien, die er
darstellt, auch im Dämmerlicht des Kuppelraumes für den unten stehenden Beschauer zur Wirkung
kämen. Deshalb hatte er die Hauptlinien und -Formen stark betont, übertreibend herausgearbeitet,
alle feineren Einzelheiten aber vernachlässigt oder gänzlich unterdrückt. Ganz anders Luca della
Robbia. Seine Marmorreliefs mit singenden und musicierenden Knaben und Mägdlein machten an
Ort und Stelle im Dom bei weitem nicht den Eindruck, weil seine Arbeit zu sorgsam und eingehend,
sein Relief zu massvoll in der Erhebung und im Schattenschlag vorspringender Teile, für das Auge
bei der vorhandenen Entfernung zu sehr verschwamm. Die Betrachtung aus der Nähe dagegen,
wie sie während des Aufenthalts im Museo Nazionale möglich war, hat erst den Ruhm dieser
Skulpturen begründet und Luca della Robbia auch als Marmorbildner in seinem vollen Wert
bekannt gemacht. Seine treuliche Wiedergabe aller Formen, mit zarten Einzelheiten und mannich-
faltigstem Ausdruck der Gesichter wie der Gebärde, seine weichen Übergänge in der Abstufung des
Reliefs sind verlorene Liebesmüh, sobald das Werk sich aus bequemer Sehweite von dem Auge
entfernt. Während diese Eigenschaft für den ursprünglichen Bestimmungsort im Dom ohne Zweifel
ein Fehler war, den Donatello nicht mehr beging, indem er seine Arbeit viel derber hielt, konnte
bei der Neuaufstellung im Museum garnicht davon die Rede sein, und es handelte sich sicher nicht
darum, Vasaris Bericht wiederum wahr zu machen, sondern vielmehr die Erfahrung zu verwerten,
die er uns überliefert hatte : der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Donatellos dekorative Leistung
nur aus angemessener Entfernung geniessbar ist, Lucas feinsinnige Marmorbilder dagegen nur in
angemessener Nähe ihren ganzen Reichtum an Leben und Schönheit zu entfalten vermögen. Die
Behandlungsweise, in der jedes dieser Werke durchgeführt worden, musste die Entscheidung geben,
sobald die endgiltige Aufstellung in einem eigenen Museum beschlossen war. Das eben ist hier
— n —
nicht geschehen, und damit ist ein schlimmer Fehler begangen, der geradeswegs der Bestimmung
eines solchen Museums zuwiderläuft. Donatellos Sängerbühne musste dem Auge so fern gerückt
werden, wie der Raum und die Sehweite des Beschauers irgend erlaubten, Luca della Robbias
Reliefs dagegen mussten in möglichst bequemer Nähe bleiben. Und die symmetrische Aufstellung
der beiden Bühnen? — sagt man — sie wäre ja damit unmöglich geworden! Wie hätte das aus-
gesehen? Die eine Balustrade hoch an der Wand, die andere niedrig; das musste doch wol im
Interesse monumentaler Wirkung vermieden werden! — Allerdings, die Anbringung der beiden
Gegenstücke in gleicher Höhe einander gegenüber, wie sie einst über den Sakristeitüren des Domes
gestanden, erschien aus architektonischen Gründen auch hier im Oberlichtsaale des Museums sehr
empfehlenswert; aber sie wurde durch die Hauptforderung, die wir aus dem besondern Charakter
jedes der beiden Werke abgeleitet, nicht ausgeschlossen. Auch die architektonischen Teile, Simse
und Rahmungen, die Luca della Robbia für seine Reliefs angeordnet hatte, sind nicht vollständig
mehr erhalten, sondern an mehreren Stellen durch Gipsabgüsse ergänzt. Auf den beiden Schmal-
seiten, die bei den Mafsverhältnissen des Saales nicht überschaut werden können, hat man auch
die Reliefs durch Gipsabgüsse ersetzt und die beiden herrlichen Originale mit eifrig singenden
Buben drunten unter anderen Kunstwerken der Sammlung ausgestellt, so dass sie vortrefflich in
allen Einzelheiten gesehen werden. Nun, da ist die Lösung auch für das Übrige gegeben! Droben
an der Bühne entziehen sich die Feinheiten der Arbeit doch dem Auge, und auf die untere Reihe
vollends, die zwischen den tragenden Konsolen angebracht worden, wirft das vorspringende Podium
einen so kräftigen Schatten, dass auch bei günstigster Helligkeit des Tages kein klarer Eindruck
der Formen erreicht wird. Dies ist um so weniger der Fall, als die natürliche Farbe des Marmors
sich allmählich gebräunt hat. Hier würden also schon aus Gründen der Beleuchtung die weissen
Gipsabgüsse mehr am Platze sein. Und welcher Verlust, die Originale solchen Bedingungen auf-
zuopfern, — welcher Gewinn für das Museum, die köstliche Reihe eigenhändiger Skulpturen von
Luca della Robbia neben den beiden anderen Stücken aufgestellt zu sehen, meinetwegen in der
gleichen Pilasterrahmung wie oben, oder in bräunlicher Holzfassung nach diesem Vorbild des Meisters
selbst. Der Reichtum der Sammlung wäre geradezu verdoppelt. Jetzt bleiben ihre wunder-
vollsten und für Jedermann geniessbarsten Schätze in unverantwortlicher Weise dem Besucher vor-
enthalten.
Was das heisst, wissen Alle, die jemals Gelegenheit gehabt haben, die Originale, wie sie
einst im Museo Nazionale erreichbar dastanden, zu bewundern, oder auch nur Photographien nach
diesen liebenswürdigen Schöpfungen zu sehen. Sie gehören zu den intimsten Offenbarungen der
italienischen Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts, die wir das Quattrocento nennen, und werden jedem
empfänglichen Auge, das für plastische Formen Gefühl hat, die reinste Freude gewähren. Denn sie
zeigen eine wolgebildete Jugend mit allen Gaben für das Leben ausgestattet, hier im ernsten Eifer,
dort im ausgelassenen Spiel, überall in ungehemmter Frische. Sie zeigen uns eine Unbefangenheit
der Beobachtung, eine Innigkeit des Formensinnes, eine Vertrautheit mit allen leisen Wandlungen
vom entwickelten Kindesalter bis an die Grenze der Jugendreife, je nach Jahren und Geschlecht; —
sie atmen eine Naturnähe, dass man sich kaum völlig klar macht, wie viel doch die harmonische
- 78 -
Auffassung des Künstlers mitgewirkt hat und wie viel dem glücklichen Ebenmafs seiner Darstellung
verdankt wird, wenn der Eindruck dieser italienischen Jugend uns an die Heiterkeit und Lebensfülle
der schönsten hellenischen Bildwerke erinnert.
Dem schärferen Beobachter verraten sich Ungleichheiten in der Behandlungsweise zwischen
den einzelnen Tafeln, die gewiss durch ihren besonderen Platz im Rahmen des Ganzen mitbestimmt
waren. Aber es sind lauter eigenhändige Arbeiten von Meisterhand, Versuche zur Wiederfindung des
vollkommensten Reliefstils und als solche ausserordentlich lehrreich und wertvoll. Denn kein Marmor-
bildner dieser Zeit, — auch Nanni d'Antonio di Banco und Michelozzo nicht, die sich eifrig darum
bemühten, — ist der griechischen Harmonie so nahe gekommen, wie Luca della Robbia, dem hier die
Ausgleichung mehr aus angeborenem Geschmack zu gelingen scheint, als aus irgendwie bewusster
Nachahmung der Antike. In der Geschichte dieser Kunst fehlt eine Reihe der wichtigsten Dokumente
aus den Tagen Ghibertis und Donatellos, so lange die Sängerbühne Lucas dem nahen, eingehenden
Studium entzogen bleibt.
Donatello hat in richtiger Erwägung des Abstandes sogar auf eigenhändige Durchführung
zum grossen Teil verzichtet. Nur die herrlich kühn bewegten Genien zur Rechten zeugen für seine
Hand, während die grinsenden Lockenköpfe zur Linken einem manierierten Gehilfen gehören, dessen
Mitwirkung wir auch sonst in grösseren Arbeiten dieser Jahre wiederfinden. Die beiden Stücke
zwischen den Konsolen darunter sind vollends geringes Schulgut; aber sie erfüllen in ihrer Starrheit
gerade die Aufgabe, die ihnen an dieser Stelle zukommt. Und die Wirkung des Ganzen erscheint
in gehörigem Abstand und nicht allzu klarer Beleuchtung durchaus bewundernswert. Die luftige
Reihe gekoppelter Säulchen, die anfangs durch ihre Goldpunkte befremden mögen, schafft unter dem
stark vorspringenden Sims den festgegliederten Raum für den bacchantischen Zug, der in wilder
Jagd von rechts nach links dahin wirbelt, und die Säulchen wirken wie Cäsuren, als hörte man im
unaufhaltsamen Strom der Töne den Taktstock des Dirigenten aufschlagen, wie es der italienische
Musikmeister in Wirklichkeit nur allzu laut vollführt.
Das dritte Hauptstück des Museums, der silberne Altar vorsatz aus dem Baptisterium, hat in
der Mitte der Längswand Platz gefunden, so dass es dem Eintretenden sogleich ins Auge fällt. Um
1366 begonnen, gehört die ganze Vorderseite noch Goldschmieden der gotischen Kunstperiode an,
wenngleich schon der späteren Verfallszeit dieses Stiles, in der kaum nodi originale Schöpfungen
erwartet werden dürfen. Schwäche der Erfindung, Auflösung der strengeren Prinzipien der Kom-
jaosition, zunehmendes Eindringen neuer Einzelbeobachtung, die zunächst nur zersetzend wirken kann,
charakterisieren diese Geschichten Johannes des Täufers. Gewährt schon die Bildnerei der zweiten
Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, besonders nach dem Tode Orcagnas, keinen erfreulichen Anblick,
so ist es mit der Kleinarbeit der Goldschmiede nicht besser bestellt, zumal wenn ihr Aufgaben der
Darstellung zufallen, die über ihr Vermögen hinausgehen, wie hier. Auch das ist ein Zeichen der
Zeit: Maler werden berufen, die Statuen für Glockenturm, und Dom zu zeichnen, wie Relieffiguren für
monumentalen Schmuck zu entwerfen, und Goldschmiede sollen die Geschichte des Stadtpatrons
erzählen. Sie arbeiten für die Nähe des Betrachters, der andächtig auf den Altarstufen kniet, und
immer voran mit dem technischen Absehen, das kostbare Material möglichst schimmernd ins Licht
— 79 —
zu setzen. So verdienen diese Scenen trotz der emsig geduldigen Arbeit, die ihre Ausführung in
Silberblech erheischt hat, keine höhere Wertschätzung in künstlerischem Sinne, als irgend eins von
vielen Beispielen im allgemeinen Niedergang der Trecentokunst, und weder der Preis des Materials
noch die ehrwürdige Bestimmung darf darüber täuschend mitreden. Selbst die Zutat des Quattro-
cento an dieser Vorderseite, die Statuette des Täufers in der Mitte von Michelozzo, kann nur für
ein steifes, ziemlich lebloses Machwerk angesehen werden. Die besten Arbeiten, vier Reliefs von
andern Quattrocentisten, unter denen Antonio del Pollajuolo und Andrea del Verrocchio, ver-
bergen sich an den Schmalseiten, deren Besichtigung leider etwas beengt ist. Es sind die ersten
und die letzten Scenen aus der Geschichte des Johannes, die hier im Gewände florentinischen Lebens
gezeigt werden: die Verkündigung an Zacharias und die Begegnung der Maria mit Elisabeth auf
einem Bilde, darunter die Geburt des Johannes und auf der andern Seite das Mahl des Herodes mit
dem Tanz der Tochter und darunter die Enthauptung des Täufers. Dies letzte, erst 1477 von Andrea
del Verrocchio gelieferte Relief, in dem man die Beihilfe des Lionardo da Vinci vermutet, hat die
vollendetsten Gestalten voll Charakter und Ausdruck, aber die centrale Perspektive des Schauplatzes
wirkt in ihrer schulmässigen Konstruktion besonders an diesem Standort des Bildes ungünstig, als
müssten die Figuren, die wir von oben sehen, aus der Bühne herauspurzeln, auf der sie schon etwas
gespreizt umhersteigen und Bravourstücke der Kraft vollführen.
Dagegen erscheint Pollajuolo bedeutender als hier am Silberaltar in dem ausführlichen Leben
des Täufers, das er für Stickereien der Messgewänder um 1469 — 70 schon gezeichnet, deren Über-
reste ebenfalls ausgestellt sind. ' Diese Scenen mit leidenschaftlich gestikulierenden, abenteuerlich nach
Modelaunen seiner Zeit gekleideten Personen sind ein wichtiges Dokument für die entscheidende
Mitwirkung dieses Meisters an der künstlerischen Arbeit seiner Tage. Hier ist ein Kapital von
Ausdrucksmitteln, Handbewegungen, Stellungen, Haltungen, Faltenspiel gegeben, das den Malern der
heranwachsenden Generation zu statten kam und besonders von den umbrischen Meistern des seelischen
Ausdrucks wie Pietro Perugino und Fiorenzo di Lorenzo eifrigst ausgebeutet wurde. ^
Zu beiden Seiten des Silberaltars stehen, etwas allzu nah, die Marmorfiguren der Verkündigung,
die den Namen des Niccolo d'Arezzo führen, — nicht mit Unrecht, selbst wenn seine Mitarbeiter am
nördlichen Domportal Antonio di Banco und dessen Sohn Nanni mehr Anspruch darauf hätten. 3
Die Köpfe schon allein verraten die Arbeit zweier Hände und verschiedenen Geschmack; die Finger,
die bedeutsam mitsprachen, sind leider grösstenteils erneut. Der Engel ist fast noch völlig gotisch,
aber im Antlitz dem strengen Schönheitsideal der Antike nachgebildet, die Jungfrau derber, nach der
Wirklichkeit gegeben mit runden Formen und kurzen Haaren, als wäre eigentlich sie zum männlichen
Träger der Botschaft bestimmt gewesen. Jedenfalls ist die Gruppe ein lehrreiches Beispiel für die
Bildnerei des Übergangs, in dem die Entwicklung Ghibertis, Donatellos und Luca della Robbias liegt.
Und die beiden Richtungen, die auseinanderstrebend sich darin ankündigen, setzen sich fort in zwei
1 Eine lavierte Zeichnung dieser Reihe, die sich in den Uffizien erhalten hat, ist wol die fertige Vorlage für die Rica-
matori, in Rücksicht auf ihr Handwerk gearbeitet, und zwar ni. E. von Piere Pollajuolo hergestellt.
2 Vgl. Schmarsow, Pinturicchio in Rom, 1882, S. 5.
3 Näheres darüber im Jahrb. d. k. preuss. Kunstsammlungen 1887.
— 8o —
Madonnenreliefs, die im selben Saal einander gegenüberstehen: das eine, der Annunziata verwandtere,
ist von Pagno di Lapo Portigiani, einem Gehilfen des Michelozzo, das andere dem Engel Gabriel
näher, giebt in flacherer aber willkürlicher Behandlung, fast wie im Bilde, Maria mit dem Kind, umgeben
von Engeln, mit wehenden Gewändern und fliessenden Falten, flatternden Haaren und gespreizten
Flügeln, wie im Wellengewoge. Es ist eine virtuose Leistung des Agostino d'AntoniodiDuccio,
dessen künstliche Manier in Perugia und Rimini mehr bekannt wird als in seiner Vaterstadt am Arno. '
Zur Seite des befangenen Michelozzoschülers, der auch am Papstgrabe des Baptisteriums
gearbeitet, erscheinen die beiden Statuetten des lehrenden Christus und der heiligen Reparata, die
hier ausserordentlich bezeichnend das XIV. Jahrhundert vertreten, wie knospenhaft in sich beschlossen
und doch sicher gefasst in ihrem engern Kreis. Sie sind nach unserer Taufe dem reinsten Trecento-
bildner, Andrea Pisa no, als unbezweifelbares Eigentum zurückerstattet, und besonders die königliche
Martyrin mit der Palme zeigt neben der etwas allzu sanften Milde des Messias die ganze vornehme
Liebenswürdigkeit und sinnige Frische des Meisters.^ Drüben dagegen steht dem verwaschenen
Frauenkopf eines späteren Trecentisten die farbige Büste eines Meisters der Hochrenaissance gegen-
über, die mit ihrer freien Grossartigkeit und junonischen Fülle doch an die Grenze der Leerheit
streift. Als Beispiel der Polychromie aus glänzender Zeit ist auch dies Stück von besonderem Werte.
Eine ähnliche Reihe von Kunstwerken in chronologischer Folge zu überblicken, wie auf dem
Gebiete der Skulptur, gewähren die Malereien dieses Museums freilich keine Gelegenheit. Wir
könnten mit dem Madonnenbilde des Taddeo Gaddi von 1334 beginnen, durch einige spätere
Übergangsarbeiten zum heiligen Ivo mit zwei Bittstellern, einem ausgemachten Werk des Quattro-
cento gelangen, das vielleicht den Namen des Pesello verdient, um mit einer Intarsiatafel von
Giuliano da Majano und einem Mosaikkopf des heiligen Zenobius in der Art der Ghirlandajo
abzuschliessen. Aber wir wollten nur bei den Hauptsachen verweilen.
So mag es genug sein, neben den Reliefplatten des Baccio Bandinelli vom Domchor, die
das Treppenhaus schmücken, noch einiger Prophetenköpfe des XIV. Jahrhunderts zu gedenken, deren
begeisterter Aufblick in diesem Innenraum überraschend zur Geltung kommt, und endlich in der
Eintrittshalle unten die farbige Terracotta zu erwähnen, die das Bogenfeld einer Seitentür füllt. Es
ist die Halbfigur des segnenden Gottvater zwischen zwei Engeln in einem prächtigen Fruchtkranz,
nicht in Relief wie Robbias glasierte Arbeiten sonst, sondern ganz flach, wie eine Ofenkachel. Dieser
Umstand hat wol dazu beigetragen, dass man meint, dies Stück sei in der Werkstatt der Robbia
nur glasiert worden, die Zeichnung sei jedoch von fremder Hand. Die Behandlung stimmt indes völlig
mit der reizenden Einfassung des Federighigrabes in S. Francesco di Paola überein, und ich zweifle
keinen Augenblick, dass das ganze Werk das beste Anrecht auf den Namen des Luca de IIa
Robbia selber hat, dessen Wiedergabe der Formen und dessen eigentümlichen Farben das Ganze
viel zu bestimmt entspricht, als dass an die Vorlage eines Fremden gedacht werden dürfte. 3
1 Vgl. Ernst Burmeister, der bildnerische Schmuck des Tempio Malatestiano zu Rimini, Breslau 1891.
2 Vgl. oben den Artikel über Andrea Pisano mit Abbildung zu S. 26.
3 Wie etwa Alesso Baldovinetti oder Graffione. Vgl. oben S. 70, 3.
— «I —
Langsameren Ganges als in den Uffizien und im Bargello hat sich die Umgestaltung in der
Akademie der schönen Künste vollzogen; aber eine letzte Erweiterung in diesem Winter (1892 — 93)
erst hat schnell und überraschend eine Galerie geschaffen, die einen völlig neuen Eindruck macht.
Wer sich des alten Zustandes erinnert, bekennt sich gewiss noch zu der Lehre, dass es keine
ungünstigere Aufstellung von Gemälden giebt als eben in einer sogenannten „Galerie". Lange
fortlaufende Gänge mit ungegliederten Wänden, wo auf beiden Seiten ein Bild neben dem andern,
vielleicht gar in mehreren Reihen über einander, aufgehängt worden, — drängen sie uns nicht un-
willküriich zum Weitereilen und Vorbeigehen? Das setzt ja selbst einen wertvollen Teil der Galerie
des Louvre in Nachteil gegen ärmere Sammlungen in angemessener Räumlichkeit.
Dies alte Princip der doppelten Bilderspaliere ist nur noch im ersten Eintrittssaal der Floren-
tiner Akademie erhalten geblieben, und auch hier nur ein letztes Übergangsstadium vor dem
Abschluss der neuen Ordnung. Denn die Versammlung der ältesten Überreste, die früher ohne
Rangunterschied und Gruppenbildung hier jeden Wunsch persönlicher Annäherung erlahmen Hess,
ist zu Gunsten der neuen Säle stark gelichtet. Es ist ein Vorzimmer für Unbekannte daraus
geworden, die höchstens in chronologischer Reihenfolge oder in Schulklassen antreten können, um
der einstigen Erlösung aus dem schattenhaften Dasein des Incognito zu harren. Streng geordnet,
der frischen Aufmerksamkeit der Kennerblicke ausgesetzt, hätten sie am meisten Aussicht, durch
eine eigene Visitenkarte den Zutritt zu den innern Räumen zu erlangen und ihren Platz im geschicht-
lichen Zusammenhang einzunehmen, der einigen von ihnen jedenfalls noch gebührt. Augenblicklich
hängen gerade sie noch, in vernachlässigter Toilette, zu schlecht beleuchtet oder zu hoch entrückt,
um solche Einführung zu gestatten.
So dient dieser Eintrittssaal nur als Durchgang für den Besucher, der Bilder sehen will und
rechts in das Kabinet des Fra Angelico einbiegt, oder gar als Durchblick allein für den Fremden,
den Michelangelos David am Ende dieses Hauptschiffes unwiderstehlich nach dem Kuppelraum in
der Mitte zieht.
Wer einmal an der kleinen Seitenpforte zum Meister von Fiesole vorübergeht, dürfte den
Weg nicht wiederfinden, selbst wenn er heimkehrend auch Michelangelo den Rücken wendet und
gern nachholte, was er beim Vordringen vergessen. Nicht als ob die Räumlichkeiten so zahlreich
oder so verworren wären, um sich zu verirren. Aber es könnte wie im Vatikan mit der Kapelle
Nicolaus des Fünften gehen, die Fra Angelico mit Wandgemälden geschmückt hat, ehe noch die
voll gewonnene Freiheit der Kunst die grossen Meister, die ihm folgten, in völlig andere Bahnen
riss. Wenn auf Michelangelo in der sixtinischen Kapelle nicht einmal die Natur noch schmeckt,
wie Goethe meint, weil man sie doch nicht mit so grossen Augen wie jener zu sehen vermag. —
wie viel mehr müssen Gebilde einer Kunst gegen ihn abfallen, die alle Dinge dieser Erde, ja Himmel,
Hölle und Weltgericht nur in der Enge der Klosterzelle schaut. Muss einem nicht auch hier in der
Akademie das Nebenzimmer des Angelico wie ein Kabinet für Kurzsichtige vorkommen, wenn man
zuvor die Augen am Grössten ausgeweitet hat! Immer fühlt man hier den Zusammenhang seiner
Anschauungen mit der Kleinkunst der Buchmalerei, den Miniatur-Mafsstab — viel mehr als im
Kloster San Marco. Dort im Kreuzgang unter freiem Himmel erhebt sich der fromme Dominikaner
auch zu freier Grösse, im Kapitelsaal zu idealer Darstellung der Kreuzesandacht, wo Zeit und Ort
verschwinden, wie in ewiger Gegenwart, und in mancher Zelle scheint die Kleinheit des wirklichen
Gemaches sich wunderbar auszudehnen, wie bei den Visionen der gläubigen Seele, die drinnen
gehaust und aus irdischer Gefangenschaft sich in die unendliche Heimat hinausgesehnt. Hier im
Angelicozimmer der Akademie betrachten wir die Passions-Geschichten wie ein Bilderbuch, nehmen
uns zusammen, den jüngsten Tag in engem Rahmen mit winzigen Figürchen zu fassen, als blickten
wir verkehrt in ein Fernrohr, und meinen doch, das Bild könne seinen rechten Sinn erst gewinnen,
wenn wir die Augen schlössen und die aufgefangenen Farbenpünktchen aus dem Innern wieder in alle
Weiten um uns her ausstralen Hessen. Indessen, wer möchte daran zweifeln, sie würden dabei ver-
schwimmen und verschweben ohne Halt. Sie wollen Stück für Stück beachtet sein: nur intimster
Hingebung erst erschliessen sie sich ganz. Diese Gebilde des feinsten Pinsels sind wie Blumen des
Gemütes, die nur im innigen Verkehr ihren vollen Duft entwickeln.
So ist es gut, wenn seine Werke hier beisammen bleiben; wir wünschten ihr Gemach nur
traulicher eingerichtet und von allem Fremdartigen befreit. Ein gewisses Mafs der Vergrösserung
schon dürfen diese gefühlvollen Geschöpfe des Mönches nicht überschreiten. Das lehrt ein Blick
auf seine Altartafeln, besonders wenn er, statt der tronenden Madonna mit ruhig stehenden Heiligen
herum, einen historischen Vorgang zur Darstellung bringen will, oder gar physische Anstrengung
wie die Abnahme vom Kreuz, die man mit Unrecht im grossen Saal am Ende vereinzelt und bei
vollster Beleuchtung aufzustellen beliebt hat. Wie leer und flach und unzureichend erscheint sie dort.
Im Allerheiligsten Angelicos dagegen würden ihre höchsten Eigenschaften, der Ausdruck der Rührung
bei so trauriger Pflicht und die Einfalt der reinen Sinnesart, erst recht zur Wirkung kommen, und
ihre Mängel, die in hellerem Raum zumal den Farbensinn verletzen, gewiss weniger stören. Und wie
ganz anders würde daneben die herrliche Beweinung ihren Wert behaupten, dies einzige hier vor-
handene Beispiel, das grossartig wie ein Wandgemälde in monumentalem Stil gedacht ist, und seinen
Vollgehalt eben dadurch bewährt, dass die Erinnerung es stets in grösseren Mafsstab überträgt, als es
wirklich gemalt ist. Ich wenigstens habe, beim Anblick einer Photographie etwa, auch nach langer
Bekanntschaft mit dem Original, immer wieder den Eindruck, als breite sich ein Fresko vor mir aus.
In der Nähe dieses Meisters zarter Seelenmalerei begrüssen wir sonst gern einige Schöpfungen
seiner späteren, aber einflussreichen Nachfolger, die zum Teil den glücklichsten Sinn für harmonische
Farbenstimmung dazu besassen, der Meister Umbriens, aus denen Raphael herausgewachsen ist.
Die wundervollen Köpfe der beiden Vallombrosaner, die man lange diesem Grössten zugetraut,
hängen hier als Zeugen verwandten Strebens, ein Paar der besten Leistungen des Pietro Perugino.
Nicht minder lehrreich wirkt eine kleine Verkündigung in Einzelfiguren von Fra Filippo, dem nächsten
Zeitgenossen des frömmeren Mönches: mitten unter Angelicos Bildern sanfter Herzensgüte fühlt man
hier im nämlichen Anschauungskreis doch ein völlig anderes Empfinden, einen Hauch von Erden-
frische und Sinnenlust heraus. Und wie wäre es endlich, wenn ein Bild des andern grossen
Dominikaner-Malers, des Nachfolgers in S. Marco selbst, in der Nähe stünde, eins von den gross-
artigsten Werken Fra Bartolommeos, der soweit hinausgewachsen über die Enge des Klosters
und die letzten Anhängsel des Mafsstabs mönchischer Miniaturmaler.
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Die Hauptgemälde dieser Meister müssen wir abseits in einer anderen Zimmerflucht suchen
die an den linken Kreuzarm neben dem Kuppelraum der Mitte angrenzt. Es sind drei neue durch-
einandergehende Säle von massigen Dimensionen, alle von einer Seite her beleuchtet und nach Art
unserer vorgeschrittenen Museen in einfacher stumpfer Farbe getüncht. Keine übermässige Anzahl
von Bildern ist hier in möglichst symmetrischer Verteilung aufgehängt, so dass in angemessenem
Abstand von den Nachbarn jedes einzelne zu ruhiger Wirkung kommt. Dieser Schritt verdient die
vollste Anerkennung.
Das mittlere Zimmer, durch das man eintritt, führt den Namen „Sala del Perugino" und bringt
den Zusammenhang der umbrischen Richtung mit Fra Angelico da Fiesole sofort zum Bewusstsein.
Bei allen Vorzügen seiner fortgeschrittenen Malerei scheint dieser Lehrer Raphaels dem Gedankenkreis
heiligen Wollens und frommer Kindlichkeit noch garnicht entwachsen. Welche Zumutung gläubigen
Hinnehmens stellt er an den sehenden Betrachter noch in der Himmelfahrt Marias, auf der wir die
Jahreszahl 1 500 lesen. In der Nähe, wie es jetzt unmittelbar neben dem Eingang hängt, glänzt das
Bild dem Auge in saftiger Farbenpracht entgegen. Aber die Komposition fällt für die Anschauung
unvermeidlich in ihre Teile auseinander: die unten stehenden Heiligen, gerade aufgereiht in plastischer
Selbständigkeit, — die sitzende Maria, in ihrer farbigen Glorie schon äusserlich besonders eingerahmt, —
die schwebenden Engel neben ihr, und endlich — die Halbfigur des segnenden Gottvater in einem
zweiten Farbennimbus oben. Und während schon Friedrich Wilhelm IV. als Kronprinz eine Anzahl
verschiedener Schülerhände in dem Ganzen unterscheiden wollte, bleibt jetzt nur die einheitliche
Schulung aller Mitarbeiter, der gleichmässige Ton der Farben und die sorgfältig ausgeglichene Be-
handlung als bewundernswerter Zusammenhalt übrig. Ein Urteil über das grosse Altarbild ist an
dieser Stelle eigentlich ausgeschlossen, wie fast immer wenn Kirchenbilder in eine Galerie kommen.
Die ursprüngliche Wirkung am rechten Standort kann nicht hergestellt werden, es sei denn mit
räumlichen Opfern, vor denen man auch hier zu Lande zurückschreckt, obwol die mächtigen Klostersäle
so manche Mafsregel gestatteten, die bei uns unmöglich wären. Diese hohe, oben abgerundete
Tafel für den Hochaltar zu Vallombrosa war bestimmt, allein zu stehen und ihre Stelle zu behaupten,
sie verträgt keine Nachbarn neben sich, sondern nur architektonische Umgebung und verlangt die
zerstreute dämmerige Beleuchtung eines Kirchenraums. Dort freilich würde sich auch die Einzel-
arbeit der Gehilfen, unter denen man ausser Spagna auch Raphael vermutet, dem Auge des Forschers
wieder entziehen. Hier steht es als zusammengeleimtes Stückwerk, wie es im Atelier entstanden war.
Der Geniessende beschränkt sich gern auf die unten stehenden, vier herrlichen Gestalten, deren aus-
drucksvolle Köpfe den beiden Bildnissen der Vallombrosaner ebenbürtig sind, und deren feierliche
Gewandung oder glänzende Rüstung uns würdig vorbereiten auf das rauschende Farbenkonzert am
Himmel droben, in dem nur hier und da ein liebliches Engelsangesicht erfreut.
So wünschte man den alten Platz auf einem Altartisch und die minder klare Beleuchtung
einer Kapellennische auch gewiss dem benachbarten Bilde mit der „Beweinung Christi". Nach den
Voraussetzungen des einstigen Standortes, für den der Maler gearbeitet hat, sollen wir in an-
gemessener Entfernung über den Altar hin, in eine Pfeilerhalle blicken, die ringsum often wie ein
Baldachin die Figurengruppe überspannt und, unter dem Tabernakel eines Grabmals gleichsam, den
Körper des Toten mit den Leidtragenden herum beherbergt. Maria hält den Leichnam des Sohnes
auf den Knieen, Magdalena sitzt zu Füssen, Johannes kniet zu Häupten und ein Paar heiliger Männer
steht zu den Seiten dabei. Gleich einer plastischen Gruppe aufgebaut, sind die Gestalten wie aus
Holz geschnitzt oder in Thon modelliert und glänzend bemalt. Dieser Behandlung nach, wie dem
hellen Ton, der Wahl und Zusammenstellung der Farben gemäss, muss die Entstehung des Bildes
in die zweite Hälfte der achtziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts fallen, also nicht erst in die
Hauptzeit Savonarolas, mit dessen Auftreten man diese und ähnliche Darstellungen der Pietä in
Zusammenhang zu bringen versucht hat. — Der Ausdruck wehmütiger Trauer bis zu Tränen ist
hier — als Vorbild für die Rührung des Beschauers — bereits mit einer Klarheit aller Bewegungen
wolgebildeter Körper verbunden, und in einer Reinheit gelungen, die den Vorrang dieses Geschmackes
vor den florentinischen Zeitgenossen ausser Zweifel stellt. Das Verlangen, aus all ihrem Individualismus
heraus zu einer idealen Kunst hindurchzudringen, ist unverkennbar ausgesprochen. Überall in Mienen,
Gebärden, Stellungen eine Ruhe, wie sie dem Schmerze edler Seelen geziemt, — und selbst
Michelangelo verdankt die Harmonie des Eindruckes seiner Marmorgruppe von 1499 nicht zum
wenigsten solchen Schöpfungen des Meisters von Perugia, den er später verhöhnte.
Da wundern wir uns nicht, in einem andern, etwas späteren Bilde Peruginos, das im
anstossenden Saale hängt, den Gekreuzigten mit der Schmerzensmutter und dem heiligen Hieronymus
an Stelle des Lieblingsjüngers in eine Landschaft gestellt und in bläulich kühler Abenddämmerung
wie bei hereinbrechender Finsternis zu sehen, so dass die umgebende Natur mit der Stimmung
menschlicher Wesen darin gar wundersam zusammenwirkt, als klänge in diesen Farbentönen die
Klage um das untergegangene Leben aus, das den Seinen wie das Licht der Sonne geleuchtet und
nun erloschen sie in nächtlicher Öde zurücklässt. Dieser künstlerischen Absicht gemäss, die der
Umgebung mindestens gleichen Anteil an dem malerischen Ganzen zugesteht wie den Figuren selber,
sind diese letzteren schon in kleinerem Mafsstab, in schlankerem Gliederbau und nicht mehr so
vollauf selbständiger, statuarischer Bildung gegeben — ein sicheres Zeichen, dass dieses Werk
Peruginos erst in den neunziger Jahren entstanden ist. Der Gegensatz zu der wenig erweiterten
Darstellung des nämlichen Gegenstandes im Kloster von S. M. Maddalena de' Pazzi, dem herrlichsten
seiner Wandgemälde, das urkundlich 1496 vollendet ward, bezeugt ausserdem, wie bewusst Perugino
nach der Verschiedenheit der technischen Bedingungen im Ölgemälde ganz anders denkt und
anderes will als im Fresko.
Wir können solchen Gegensatz unmittelbar und stärker noch in diesen Zimmern der Akademie
selbst uns anschaulich machen. Ein Blick auf Signorellis ergreifenden, grossartig plastischen
Crucifixus, mit der verzweifelten Magdalena am Kreuzesstamm, genügt, den weiten Abstand der
Intentionen zu fühlen. Auf dem heissen Felsgestein des Appennin kniet hier ein Weib aus dem
Volke vor dem heissgeliebten Manne, den man gekreuzigt hat. Ein paar Zutaten der kahlen
Umgebung dienen nur, den Mafsstab zu gewinnen und dem völlig statuarischen Gebilde Raum zu
geben, in dem es einsam aufragt, wie in der Wüste.
Das selbe Wollen dagegen wie Peruginos Kreuzigung, das selbe Vorwalten seelischer Empfindung
im malerischen Einbezug der Landschaft bestimmt auch den Charakter seines „Gebets am Ölberg",
das als Gegenstück jener plastischen Gruppe der Beweinung im Mittelsaal, dem Gekreuzigten
Signorellis gegenüber hängt. Hier sehen wir Christus, abseits von den Jüngern, die er mitgenommen,
an einem Hügel knieen. Angstvolle Ahnung durchschauert ihn in der Stille der Nacht, deren drohende
Gefahr ihm nicht verborgen war. — Wäre dieses einsame Ringen des Wachenden neben dem
friedlichen Schlaf der Gefährten allein geblieben in dem durchsichtigen Dunkel des Ölgartens mit
dem tiefblauen Himmel darüber, so hätten wir ein Stimmungsbild in voller Reinheit und sähen die
verräterischen Schatten den Verlassenen umlauern, auch ohne sie leibhaftig zu gewahren. Jetzt ist
der Mittelgrund mit tänzelnden Figuren der Häscher und des Judas erfüllt, die uns nur die Mitwirkung
eines schwachen Gesellen oder einer schwachen Stunde des Meisters verraten.
Nehmen wir nun noch das letzte Werk hinzu, das die Akademie von Perugino besitzt, so
haben wir eine ganze Geschichte im Auszug beisammen. Es ist die „Abnahme vom. Kreuz", die,
ursprünglich dem Filippino Lippi aufgetragen, von diesem nur angefangen hinterlassen war und 1505
an Perugino überging. Oben, in dem Körper des Gekreuzigten, in dem würdigen Greise, der ihn in
seine Arme nimmt, d. h. in unmittelbarer Nachbarschaft mit Filippinos Hand, strengt auch der
Nachfolger sein Bestes an. Er arbeitet selbst im Bewusstsein der ernsten ehrenvollen Aufgabe, die
durch den Tod des Mitstrebenden ihm zugefallen war. Drunten aber ist alles vernachlässigt: die
Gruppe der ohnmächtigen Mutter mit den Frauen von Masaccio entlehnt, die übrigen locker hin-
gestellten Figuren charakterlose Dutzendarbeit, — Veranlassung genug für den unbarmherzigen Tadel
Michelangelos, der den gewinnsüchtigen Maler von Perugia aus Florenz in seine Heimat zurücktrieb.
Dennoch bleibt die Reinheit idealen Geschmackes und die harmonische Schönheit stimmungs-
voller Farben als Fortschritt malerischen Wollens bestehen. Das ist aus den Keimen der Seelen-
malerei Angelicos durch den unibrischen Meister geworden und steht in Florenz zu jener Zeit fast
unverstanden, — für einen so ausschliesslichen Gestaltenbildner wie Michelangelo gewiss auch
unverständlich da. In der Tat, um der ganzen Bedeutung dieses umbrischen Beitrags für die
Kunstentwickelung innezuwerden, muss man die Leistungen der Florentiner zwischen Angelico und
Perugino daneben betrachten.
Es ist ein anderes Geschlecht als jene Stimmungsmaler, diese echten Florentiner des
Quattrocento. Wie markig erscheint Fra Filippo bei all seinem linkischen Benehmen schon in
früheren Werken. Wenn Franciscus und Antonius neben Cosmas und Damian auch am Thron der
Madonna nur ängstlich sitzen, als hockten sie, verschämten Bauernjungen gleich, am unbequemsten Rande
der Marmorbank, um nicht ins Rekeln zu verfallen,' so sind die Kinder und Mägdlein, die Frauen und
Greise gegenüber beim rosenbekränzten Krönungsfest Mariens von warmem Leben erfüllt und
gesundester Frische. Selbst aus plattgedrückten, breitmäuligen Köpfen, die man auf einer Kirmes in
Holland suchen würde, atmet ein Hauch ländlicher Poesie, als wären wir Sonntags in die dicht-
gefüllte Dorfkirche geraten, wo die voUwangige Jugend von den Feldern ringsum zu den Kloster-
brüdern hereindrängt, die ihnen ein Schaugepränge aufgebaut haben und Musik dazu machen.^
: Altar aus der Cappella Medici in Sta. Croce.
■■ Altar aus S. Ambrogio, vollendet 1441, Restzahlung 1447?
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Im anstossenden Zimmer vollends hängt eine Predella von Filippos Hand aus den Tagen
seiner höchsten Meisterschaft. Darin ahnt man bereits den mächtigen Wurf, das heroische Gebaren
Michelangelos. Da greift ein frommer Bischof zur Hacke, um den Lauf eines Flusses in ein anderes
Bett zu leiten; da sitzt ein Mönch in seiner Klause am Schreibpult, von Begeisterung gepackt, und
dichtet zu Ehren der Dreifaltigkeit, deren Bild in seine Brust stralt und mit ihrem Geheimnis wie Pfeile zum
Herzen dringt; da geleiten Engel einen trauernden Gottesmann seines Weges und richten den Tief-
gebeugten mit ihrem Zuspruch auf; da kniet Gabriel vor Maria, nicht wie einst zur Empfängnis des
himmlischen Segens in Inbrunst gebunden, sondern reicht als Bote des Todes der Matrone die
geweihte Kerze dar, wie frommer Brauch den Sterbenden, und ihre Flamme erstralt darob wie im letzten
Aufflackern des Lebens gleich dem Stern am dunkeln Firmament.' In Stellungen, Gebärden und
Gesichtszügen überall eine Wucht und Grösse, als gälte es, seelische Kraft in physischem Ausbruch
zu zeigen und im Zusammenspiel aller Gliedmafsen mit einem Donatello zu wetteifern. Dieser Bilder-
streifen offenbart die ganze Stärke genialer Begabung Filippos so frei von Vernachlässigung, wie
kein umfangreicheres Werk, bei dessen längerer Arbeit ihn fast immer die Unlust und Halt-
losigkeit überkommt. Hier wirft er seine Gestalten in bauschigen Gewändern schon als Vorbote des
Signorelli, sodass wir die Vorliebe Michelangelos begreifen, von der Vasari zu erzählen weiss. Hier
erfreut er sogar durch saftige, volle, harmonische Farben das Auge, im Gegensatz zu seinem Lands-
mann und Nachfolger Botticelli, dessen bunte Altartafel darüber hängt. ^
Welch ein Aufgebot überladenen Pompes in der Festdekoration, in der hier Sandro eine
Anzahl von Heiligen am Thron der Madonna versammelt, welche luftlose Räumlichkeit, welch ein-
schneidende Umrisszeichnung in diesem Bilde, das an seinem Standort in einer Kirche gewiss viel
günstiger wirkte als hier in der Galerie. Aber vor allen Dingen, sind die kleinen Figuren Fra Filippos
in der Staffel nicht viel grösser als die grossen statuarischen Schutzpatrone in der mächtigen Tafel
Botticellis? Woran liegt das, allem Unterschied der Mafse zum Trotz? — Etwas anders steht es um
die gewaltige Krönung Marias mit den heftigen Propheten und Heiligen drunten, die im „ersten Saal
Botticellis" das Hauptstück bildet. Dort stösst sich der Blick immer am Rahmen, am Glanz der
Firnissfläche und den sonstigen Kennzeichen des Tafelbildes, als könnte diese Komposition nur als
Fresko auf einer ganzen Kapellenwand ihre eigentlichen Vorzüge behaupten. Sie fordert durchaus
die zwingende Gesetzmässigkeit architektonischer Linien, den strengen Aufbau eines Raumes um
sich her. Der einfassende Rand allein kann gegen die innere Bewegung nicht aufkommen.
Kaum wiederzuerkennen ist derselbe Meister in der „Allegorie des Frühlings", dem einzigen
grösseren Stücke, das in der Akademie, ausser ein paar vortrefflichen Staffelbildern, einen richtigen
Begriff von dem Botticelli zu geben vermöchte, der auch unter modernsten Künstlern heute seine
Freunde wirbt. Und gerade dieser „Frühling", in dem wir die Dichtung eines der eigenartigsten
1 Es ist bekanntlich die Predella zu dem Altarwerk der Barbadori, dessen Haupttafel aus Sto. Spirito in den Louvre
gekommen, mit dem Wunder S. Fredianos, der Vision S. Augustins und der Zusammenführung der Apostel zum Tode Marias.
2 Ein echtes, ziemlich frühes Werk Botticellis ist auch die heilige Konversation im Innengemach mit S. Katharina
und Magdalena, wo S. Cosmas und Damian vor dem Sitz der Madonna knieen. Aber das Kind besonders ist in der Art
Raffaellinos übermalt.
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Poeten von echt florentinischem Geblüt erblicken, muss sich neuerdings, neben der richtigen Deutung
seines mythologischen Inhalts, auch eine Deutung des künstlerischen Strebens darin gefallen lassen,
die den liebenswürdigsten Romantiker, der je mit Göttern des Olympes spielte, zum äusserlichsten
Nachahmer antiker Gewandzipfel und klassisch verpfuschter Sarkophagreliefs erniedrigt. Vermag
selbst dieses florentinische Maifest keine Ahnung vom eigensten Wesen der Künstlernatur zu erwecken,
vom angeborenen Temperament des Geistes, der hier gedichtet, vom leidenschaftlichen Schwung
persönlichsten Empfindens, — dann allerdings bleibt für die Kunstgeschichte nichts übrig, als sich
in archäologische Schnörkelkunde und philologischen Aberwitz zu verzetteln, d. h. sich selber
aufzugeben.'
Wem der besondere Charakter einer so auffallenden Erscheinung wie Botticelli unter den
Augen zerfliesst, der wird diese originelle Eigentümlichkeit auch nicht weiter verfolgen können zu
Filippino Lippi, der in seinen frühen Arbeiten oftmals wie eine jüngere Ausgabe seines Meisters
gelten mag und spät noch zu Botticellis verwickelten Gewandmotiven und heftigen Gebärden zurück-
greift, als könnten nur sie der phantastischen Laune der eigenen Erfindung genügen. Aus Filippinos
letzter Zeit sind hier drei Einzelfiguren, die früher Castagno zugemutet wurden, ein Johannes der
Täufer und eine Büsserin Magdalena, die man mittlerweile als sein Eigentum erkannt hat, und da-
zwischen ein Hieronymus, der sich selbst kasteit, ebenso unverkennbar, nur stumpfer in der Farbe, —
alle drei in seltsamem Gegensatz zu den friedlichen, zahmen Idyllen des Lorenzo di Credi darunter.
Kein Wunder, wenn Botticellis Einfluss auf Sienesen wie Francesco di Giorgio und Pacchiarotto
sich dem Auge der Antikenjäger entzieht, die natürlich der Triumphbogen mit goldenen Pferdchen
als Palastpforte Elisabeths bei der Begegnung mit Maria viel mehr interessiert als die beiden Frauen-
gestalten selbst in dem wichtigen Bilde, mit dem Pacchiarotto hier auftritt. Da wird auch die Ver-
wechslung Botticellis mit andern Meistern, die ihm nur nachgeäfft, wol fortdauern bis zu energischer
Sichtung und scharfer Charakteristik seines Eigensten. Dass man ihn hierzulande noch hartnäckig
mit Verrocchio zusammenwirft, hängt allerdings nur von der anerzogenen Gewohnheit des Autoritäts-
glaubens ab, dem furchtlose Kritik für ein Verbrechen oder für Skandalsucht gilt; denn sonst hat
auch dieser Meister eine Fülle individuellen Wesens aufzuweisen, die ihn von andern kenntlich genug
unterscheidet. Schwieriger mag es sein, mit einem Durchschnittsmaler aufzuräumen, der noch dazu
den ähnlichsten Namen führt, wie Francesco Botticini. Gewiss hat man aus alten wolunterrichteten
Verzeichnissen schon früh den berühmteren Botticelli herausgelesen, und die andere Endung des
Namens für ein Versehen des Schreibers gehalten, wie man im Vatikan so unglaublich lange eine
Pietä des Bartolommeo „Montagna" unter dem bekannteren Namen „Mantegna" gehen Hess.
So wurde unvermerkt die Brücke abgebrochen, die Fra Filippo, Botticelli, Verrocchio und PoUajuolo
mit einander verband, und mit dem Namen Botticini der lebendige Träger einer Gemeinschaft, der
persönliche Repräsentant des historischen Zusammenhanges aus unserer Geschichte ausgestrichen.
Selbst ohne rechte Bedeutung für den Fortschritt der Kunst, ist er doch wegen seiner zahlreichen
I Diese allgemein gewendete Warnung könnte ebensogut bei Gelegenheit von Raphaelforscliungen (wie Goethe-
philologie u. dgl.) ihre Stelle finden, wo die Methodik vermeintlich exakter Wissenschaft oft den wertvollsten Kern
ausser Acht lässt.
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Beziehungen zu den Grösseren wichtig genug, um ihm hier eine Erwähnung zu gönnen, wie wir schon
früher einmal, bei Gelegenheit der Neuordnung der Londoner National Gallery auf ihn hingewiesen.'
In England gelten ein paar Hauptstücke fälschlich für Botticelli, z. B. die Krönung Marias, die auch
Vasari als dessen Eigentum beschreibt. Auch hier in der Florentiner Akademie sind unter anderen
Namen verborgen mindestens zwei, vielleicht gar mehr Stücke von Botticinis Hand. Sicher gehören
ihm zwei schmale Flügelbilder mit den Einzelfiguren des Bischofs Augustin und seiner Mutter Monica,
unter der Bezeichnung ,,Maniera del Pollajuolo". Sie haben die nächste Verwandtschaft mit einem
wichtigen Altarwerk in Sto. Spirito, für dessen Kapellen, wie für benachbarte Heiligtümer der Maler
überhaupt viel beschäftigt war und auch sein Sohn Rafifaellino di Francesco (de'Carli oder de'Capponi
zubenannt) noch manches gearbeitet hat. Noch am ursprünglichen Standort auf einem Altar der
Familie Capponi befindet sich die thronende Monica, umgeben von einer Schar Augustinernonnen,
vor der zwei junge Novizen knieen. Die Köpfe dieses arg gedunkelten, aber unberührten Tempera-
bildes sind von einer Lebendigkeit und Schärfe, dass man sie für Bildnisse halten darf und
unwillkürlich an Verrocchio denkt.
Die Übereinstimmung mit Andreas Art herrscht auch in der Anordnung der Komposition mit
den Marmorschranken im Hintergrund, über welche Palmen und andre Bäume von metallischer Starrheit
hervorgucken. Und in derselben Kirche, auf einem anderen Altar der Capponi befand sich das Bild
mit den drei Erzengeln, die den kleinen Tobias geleiten, das jetzt in der Akademie hängt — von
der wissenschaftlichen Forschung nach Bayerdorfers Vorgang als Werk Verrocchios anerkannt.
An langweiligen Stellen streift die Malerei, der Gewänder besonders, so nah an die Manier Botticinis,
zum Beispiel in den Kleidern jener Novizen, dass man seine Beihilfe vermutet und daraus eine Reihe
von Wiederholungen des Drei-Engel-Bildes oder des Mittelstückes erklären möchte, wie deren eine
im letzten Saal der Akademie selber vorhanden ist. Trauten wir doch die starre Palme in Verrocchios
berühmter Taufe Christi, an der schon Lionardo mitgeholfen hat, lieber dem Gesellen Botticini als
dem Meister zu, da sie mehr aus Blech geschnitten als aus Bronze gegossen aussieht. Die schönen
Engel, die er in Empoli neben der Marmorstatue S. Sebastians von Rossellino gemalt hat, machen
der Leistungsfähigkeit des Francesco alle Ehre. Sonst geschieht es ihm leicht, dass der grössere
Mafsstab seine Gestalten entleert. Wie anmutig und lebendig wirken die kleinen Figuren seiner
Geschichte Virginias auf den beiden Cassonebildern beim Duca di Brindisi (Antinori zu Florenz),
während grössere Apostelgestalten, die langgestreckte Verkündigung in Empoli, den rechten Halt
verlieren. Und der Rossi-Altar in Berlin von 1475 bezeugt, durch die Ungleichmässigkeit der Heiligen
unter dem Kreuzesstamm, nur das Bedürfnis nach Anlehnung, das eifrige Bemühen, sich an Stärkeren
aufzurichten, sei es Verrocchio oder Botticelli oder wer sonst.
Es ist ein Kennzeichen schwacher Köpfe auch unter Malern, dass sie nicht zu einheitlicher
Verarbeitung und reifer Ausgleichung der verschiedenen Bestandteile gelangen, die zur Ausbildung
von jedem aufgenommen und angeeignet werden, dass sie bei glücklichster Empfänglichkeit nicht zu
einem eigenen Stil hindurch zu dringen vermögen. Zu solchen Trabanten nur gehört — trotz seinem
zweiten Teil dieser Sammlung den Aufsatz
bekannteren Namen — auch Cosinio Kosselli. der seiner Barbara hier einen hölzernen Turm, das
alberne Modell eines Kistenmaclu rs. in den Arm gegeben, um es treulichst konterfeien zu können
und durch dies unbequeme Attiil)ut diu ganze Haltung der Heiligen zu verderben. Von ihm ist
auch im letzten Saale die Hohlkel)le mit den Halbfiguren Gottvaters, Gabriels und der Annunziata
in runden Rahmen, die man licno/./.o Go/.zoli zugeschrieben hat, und eine Anzahl Heiligenbilder in
ganzer und halber Figur als ünbekamito im Eintrittszimmer und dem Kabinet des Angelico. Mit
seinem Genossen Benozzo Gozzoli wird er auch im Dome zu Fiesole, in den Wandmalereien der
Cappella Salutati verwechselt.
Dagegen begrüsst man mit Freuden wieder ganze Meister, wie Domenico Ghirlandajo, Fra
Bartolommeo und Andrea del Sarto. und nimmt nebenher auch ihre Begleiter wie Francesco Granacci,
Mariotto Albertinelli u. a. gern in den Kauf. Ihre Werke hängen freilich auseinandergerissen, teils
noch in dieser Zimmerflucht, teils in der letzten Erweiterung, jenem langen grossen Saal am Ende,
der durch Schahvände in drei, immer noch grosse Säle abgeteilt worden. Diese Trennung des
Zusammengehörigen bleibt ein Cljclstand für den Betrachter, der die Arbeiten der selben Hand unter
dem Gesichtspunkt fortschreitender Entwickelung oder organischer Stilwandlung zu vergleichen pflegt.
Die Madonna mit Heiligen von Domenico Ghirlandajo ist eine seiner glücklichsten Leistungen
geübter Meisterhand. Die bescheidene Bürgersfrau, die er als Himmelskönigin auf den Marmorsitz
erhoben, benimmt sich in ihrer herzlichen Fröhlichkeit etwas eckig, indem sie mit beiden Armen das
nackte Bübchen hält, des.sen grosser Kopf und wolgepolsterte Formen an die Kinder Verrocchios
erinnern. Die würdigen Heiligen aber, Dominicus und Clemens, die vorihr knieen, Dionysius Areopagita
und Thomas von Aquino, die zur Seite stehen, haben nicht allein die malerische Breite, die er seinen
Gewandfiguren zu geben weiss, sondern auch den stillen Ernst, die sinnende Tiefe des Blickes, die
ihnen eindringliche Wirkung siclierii. auci\ wenn sie stärkerer Eigenschaften persönlichen Charakters
ermangeln, durch begeisterten .Sciiwung oder leidenschaftliches Gebaren nicht mitzureissen vermögen.
In dieser Hinsicht steht Ghidandajo den Malern von Perugia näher als irgend einer seiner Land.sleute
von Florenz. Diese Verwandtschaft s[tiiclit wie hier aus den Engeln am Thron, besonders aus einer
kleinen Anbetung der Könige, die aus der Badia di Settimo ins Museum von .Sant' Apollonia ge-
kommen, und aus einer Begegnung der Maria mit Elisabeth, die unerkannt im letzten Saal der
Akademie hängt. Hier sind die Köpfe sri sinnig und fein, die Gewandung so knitterig gebrochen,
wie gefütterter Atlas, und die Hände mit dem gespreizten kleinen Finger gleichen den Knollen des
Knabenkrautes genau so wie bei Fiorenzo di Lorenzo. Die Anmut der Bewegungen aber, wie die
Innigkeit der Empfindung erinnert an ein Predellenstück in Berlin mit der Begegnung des Jesus-
knaben und des jugendlichen Johainres, das man in die nächste Umgebung Lionardos versetzen möchte.
Kehren wir von diesem Ausflug zu Domenico Ghirlandajos thronender Madonna in der
Florentiner Akademie zurück, so wäre nur noch hervorzuheben, dass in der zugehörigen Staffel mit
Geschichten der Heiligen und einer Pieta nicht mehr der Meister selbst zu erkennen ist, sondern ein
geschickter, andersartig geschulter Geiiülfc. der auch im Altarwerk der Domsakristei zu Lucca die
Hand im Spiel gehabt, und wahrscheinlich die kleine Scene zwischen weissgekleideten Mönchen im
schmalen Zimmer der Uffizien neben der Tribuna gemalt hat.
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Geraume Zeit früher als die thronende Madonna mit Heiligen ist Ghirlandajos Geburt Christi
oder Anbetung der Hirten, die im letzten Saal als Hauptstück der zweiten Abteilung auf besonderer
Staffelei prangt. Diese Altartafel aus der Sassetti-Kapelle in Sta. Trinitä vom Jahre 1485 bezeugt,
soweit die eigene Hand des Meisters reicht, sein ernstes Ringen mit dem Eindruck, den das
stralende Ölgemälde des Hugo van der Goes in S. M. Nuova auf ihn gemacht hat. Die derben
Bauern, die er mit Bildnistreue wiedergiebt, selbst die Schwertlilie in der Ecke und der tiefe Ton
der Farben im Vordergrund lassen keinen Zweifel über diesen Zusammenhang und erwecken Bedauern,
dass Ghirlandajo sich diese männliche Kraft der Farbe und diese Lebenswahrheit nicht länger erhalten.
Der Zug der Könige im Hintergrund ist ebenso bunte Gesellenarbeit wie in der grossen Anbetung
der Innocenti von 1488, an der die Brüder schon starken Anteil genommen, wie an der ganzen
Krönung Marias für Narni.
Diese festlichen schmuckreichen Kavalkaden am Ende des Jahrhunderts sind noch immer
Nachklänge des wunderbaren Gentile da Fabriano, dessen schimmernde Tafel von 1423 den ganzen
Reiz erwachender Weltfreude, liebevollen und doch noch schüchternen Natursinnes, unermüdlicher
Aneignung von Einzelheiten des Lebens und Treibens der Menschenkinder und ihrer Gefährten aus
dem Tierreiche bewahrt. Aus ihr schon geht ja der ganze Benozzo Gozzoli hervor, mit seinem
Königszug in der Medici-Kapelle und seinen lachenden Bildern der Gegenwart im Camposanto zu
Pisa, wo er Geschichten des alten Testaments frisch weg im Gewände seiner eigenen Zeit erzählt.
Mit Recht steht diese Offenbarung neuer Ziele, die Gentile da Fabriano den Florentinern vor
Augen gestellt, mitten im ersten Saal der letzten Reihe, wo die toskanischen Meister von Cimabue
und Giotto bis zum Ende des Quattrocento vereinigt sind. Gern sähen wir neben einem Don Lorenzo
Monaco und Rossello di Jacopo Franchi, dem Genossen des Bicci di Lorenzo, das Bild Masaccios
aus Sant Ambrogio eingeordnet, in deren Reihe es zeitlich hineingehört.
Im zweiten Raum enttäuscht das sechzehnte Jahrhundert, erfreut nur Mariotto Albertinelli
und b)elehrt die Verwandlung des Fra Bartolommeo aus einem befangenen, kleindenkenden Nach-
eiferer Peruginos mit florentinischem Mangel an Farbensinn zu dem schwungvollen, grossartigen,
koloristisch überlegenen Freunde Raphaels. Im dritten Saal endlich geraten wir unter die Manieristen
des siebzehnten Jahrhunderts, deren Vorzügen nur schwer gerecht wird, wer sich zuvor in Giotto und
Lorenzetti, in Fra Angelico oder Botticelli vertieft hat.
Zwischen den drei verschiedenen Abteilungen der akademischen Gemäldesammlung von Florenz
liegt mitten inne der Kuppelraum mit dem David Michelangelos; in den anstossenden Kreuzarmen
ist eine Reihe von Gipsabgüssen nach Werken dieses Meisters und in Rahmen an den Wänden die
Braunsche Aufnahme der Deckenbilder der Sixtinischen Kapelle und der Zeichnungen in Photographie-
druck vereinigt. Während im Hofe des Akademiegebäudes wenigstens ein einzelnes unvollendetes
Originalwerk, die halb noch im Marmorblock begrabene Gestalt eines gewaltsam bewegten Mannes
den Anblick der Arbeitsweise dieses unnachahmlichen Bildhauers gewährt, bietet sich hier im Innersten
der Galerie, um den David herum, die Gelegenheit, in den Hauptzügen die Tätigkeit dieses
schöpferischen Lebens an sich vorübergehen zu hissen. FreiHch fehlen noch Originahvcrk'c, die Florenz
zum Teil selber besitzt, und zur Vollständigkeit wären weitere Gänge erforderlich.
Eins aber vermag bisher diese Versammlung um den Riesen David allein zu bieten: eine Vor-
stellung von dem Grössenverhältnis der Werke unter einander. Und das ist, — ganz abgesehen von
dem sachlichen Tatbestand und der Feststellung wirklicher Mafse, die auch einzeln aufgenommen
werden könnten, — eine heilsame Klärung des Bewusstseins über die Tragweite oder die Belanglosigkeit
solcher Unterschiede. Sic lehrt uns, dass der ästhetische Mafsstab sich nicht mit Zahl und
Mafs ermessen lässt! Der künstlerische Eindruck einer Gestalt spottet der Elle, mit der die
Schulweisheit ihm so gern zu Leibe gehen möchte. — Wer würde glauben, dass der Moses in Rom,
dieser gewaltige Heros des Volkes Israel, — in Wirklichkeit so klein ist, wie er hier neben David
erscheint? Man hat allerdings den unglückseligen Einfall gehabt, ihn auch hier in die Nische zu
setzen, in die ihn nur ein trauriges Missgeschick ehedem, nach langem Widerstand, hineinzuzwängen
vermochte.
Und wie gewinnt die Pietä hier aus S. Peter ihre ursprüngliche Grösse zurück, deren die
Verhältnisse der Kirche, ja der Kapelle schon, in die sie hinein geraten, und albernes Beiwerk in
Rom, sie vollends berauben. — Wer kann neben diesem toten Christus auf dem Schofs der Mutter,
die in der ganzen Welt allein sind, noch den lebenden Christus ertragen, der als schöner Mann und
weiter nichts, sein Kreuz nur wie ein lästiges Stück einen Augenblick zu halten geruht. „Le beau
Dieu de la Minerve ä Romel" ist das Michelangelo? Leider ja, wie manches andere auch. Und es
scheint wol leichter, mit dem Giovannino in Berlin beginnend den Weg zum grösseren bis hinauf
zum David zu finden, als im auferstandenen Erlöser noch den edlen Dulder, den Sohn Mariens wieder
zu erkennen. Das bringt dies Spiel der Gegensätze zwischen wirklichem und ästhetischem Mafsstab
zum Vorschein, sobald wir den Giganten in der Mitte haben.
Wer zuerst den Einfall gehabt, die lagernden Gestalten der Medici-Gräber dem David auf
Piazzale Michelangelo unter die Füsse zu geben, der ahnte nicht, wie jämmerlich der Hirtenknabe
auch diese Goliathleiber zertreten werde; — er dachte gewiss die Figuren nach ihrem idealen Eindruck
zusammen, den sehnigen Burschen mit dem furchtbaren Auge wol gar als kühnen, nur geistig über-
legenen Bezwinger der elementaren Gewalten, die jene in so ungebärdiger Urkraft verkörpern.
Sowie sie in seine Nähe kamen, da sah man sie zum Riesenspielzeug werden. Doch nein! — man
hat es selbst dann noch nicht gesehen und hat dies Göttergeschlecht mit aller Seelenruhe zu Sklaven
werden lassen, zu Gefangenen eines florentinischen Schleuderers aus niederem Volk, der vor den
uralten ewigen Mächten höchstens die Frechheit des Emporkömmlings voraus hat. Aber steht es
denn besser mit dem Originalwerk, dem David aus Marmor hier drinnen in der akademischen Tribuna?
Gegen wen wird er den ersten Stein schleudern, den er schon lauernd in den Fingern wägt? Doch
gewiss gegen den Unverstand, der ihn in diesen Kuppelkäfig eingesperrt hat, im klassischen Innen-
raum eines Museums — quel mascalzone fiorentino?
Das Bedürfnis nach einer Gesamtansicht des Schaffens grosser Meister, das wir aus dem
Norden mitbringen, während hier vielleicht der Genuss der einzelnen Schöpfung mehr zu seinem
Rechte kommt, — der Sinn für historische Auffassung, der uns Deutschen anerzogen ist, erregt auch
— 92 —
vielleicht den Wunsch, diese Bestandteile der Akademie mit den \\'Liken im Bargello vereinif,^ zu
sehen, am liebsten im Museo Nazionale, wo die übrige Geschichte der Skulptur zusammensteht, um
dort neben dem Donatello-Saal auch einen ähnlichen Überblick über die Bildnerei Michelangelos zu
erlangen. Dann aber würden wir weiter wünschen, die beiden Höhepunkte, des Anfangs und des
Endes einer langen stattlichen Entwickelungsreihe, auch hier m(>glic]ist klar und übersichtlich aus-
einander gehalten zu sehen. Und dazu sind wieder die Räumlichkeiten des alten Bargello nicht eben
geeignet. Ausserdem fehlen auch hier wichtige Bestandteile, die Hauptschätze des neuen Museo
deir Opera, die in eine einheitliche Florentinische Skulpturengalerie ebenso notwendig hineingehörten.
Also stellen wir keine Forderungen, die v'orläufig wenigstens auf unüberwindliche Hindernisse stossen,
und freuen uns des Fortschrittes, der weiteren Erfolg verspricht.
ITALIENISCHE STVDIEN
IN
ANDERN
SAMMLVNGEN
RAPHAELS SKIZZENBUCH IN VENEDIG
Eine Reihe von Federzeichnungen in der Kunstakademie von Venedig, welche wir unter dem
Titel „Raphaels Skizzenbuch" zu begreifen pflegen, hat neuerdings wieder die Aufmerksamkeit der
Forscher und Liebhaber auf sich gezogen: es ist versucht worden die Zusammengehörigkeit dieser
Blätter zu bestreiten und die Autorrechte an verschiedene Meister zu verteilen. Ein Skizzenbuch
Raphaels, ^das von seinen Anfängen bis in seine Florentiner Zeit hinein reichen soll, mithin für die
ersten zwanzig Jahre des Künstlers ein unschätzbares Material zu intimsten Beobachtungen darböte,
wäre doch ein köstliches Besitztum der Kunstgeschichte, ja der Geschichte menschlicher Entwickelung
überhaupt; wir könnten nicht dankbar genug sein, dass es auf uns gekommen, wo so viele der
wertvollsten Denkmäler verschwunden, so schmerzlich entbehrte Zeugnisse auf immer verloren sind.
Mag sich sonst das persönliche Gefühl des Einzelnen in seinem Kämmerlein mit dem Wider-
spruch Andersgläubiger abfinden, in diesem Fall ist es mit subjektiven Meinungen nicht getan.
Wo so viel auf dem Spiele steht, haben die wenigen, die berufen sind, jedenfalls die Pflicht, unverweilt
durch gewissenhafte Kritik eine Entscheidung herbeizuführen. Die nachfolgenden Zeilen sollen den
Antrag auf Dringlichkeit stellen und ihn mit einigen vorbereitenden, aus unmittelbarer Anschauung
geschöpften Bemerkungen motivieren."
Die Federzeichnungen in Venedig, um die es sich handelt, sind so häufig publiciert worden,
dass es jedermann leicht ist, sich mit ihnen bekannt zu machen. Sie sind von Scotto und Rosaspina
gestochen,^ von Alinari, Perini und Braun photographiert, von Ongania in Heliotypie faksimiliert
worden; aber gerade diese bequeme Zugänglichkeit ist eine Hauptursache, weshalb die neueste
Forschung so vielen Zweifeln Raum gegeben und in diesem Augenblick unsicher hin und her schwankt.
Keine dieser Reproduktionen, selbst die Photographieen von Braun und von Perini nicht, geben einen
nur annähernd richtigen Begriff von dem überaus zarten Charakter der Originale. Die Blätter sind
bis auf wenige Ausnahmen mit feinen Federstrichen auf nicht ganz leimfestem Papier gezeichnet; die
1 Dieser Aufsatz erschien im XLVIII. Bande der Preussisclien Jalirbüclaer 1881.
2 Celotti, Disegni originali di Raffaello per la prima volta publicati, esistenti nella imperial regia Accademia di
Belle Arti di Venezia. 1829.
Tinte hat einen hellbräunlichen fast blonden Ton, der in der Photographie unfehlbar schwarz wird;
Stellen, wo die Flüssigkeit ins Papier ausgelaufen oder die ursprüngliche Schärfe des Striches zerrieben
ist, werden durch den chemischen Prozess völlig karikiert. Gerade der gewissenhafteste Forscher,
der täglich mit den Photographieen verkehrt, ist so der schlimmsten Infektion des Erinnerungsbildes
ausgesetzt, das er aus Venedig von der Betrachtung der Originalzeichnungen mitgebracht und als
unveräusserliche Habe zu besitzen wähnt. Je genauer er daheim die Zweifel prüft, die man gegen
diese Blätter äussert, desto zugänglicher
dafür muss er werden; denn die viel-
gepriesene Photographie lässt die leichtesten
Federzüge derb und ungeschickt erscheinen
oder leiht flüchtig hingeworfenen Skizzen
ein ängstlich pedantisches Aussehen. Tritt
man jedoch, vollständig skeptisch, auf jede
Resignation gefasst, wieder vor die Zeich-
nungen hin, so erschrickt man wie völlig
falsch die Vorstellungen sind, die man
mitbringt, und muss angesichts einer solchen
unbewussten Vergiftung des Gedächtnisses
erklären, dass ein Urteil über diese Blätter
überhaupt nur vor den Originalen selbst
gefällt werden kann.
Hier, bei unmittelbarer Anschauung
erledigen sich leicht einige Vorfragen, deren
sichere Beantwortung den Standpunkt für
die unbefangene Untersuchung wesentlich
mitbestimmt.
Vom Maler Giuseppe Bossi, dem
einstigen Besitzer, stammt die Annahme,
diese Zeichnungen hätten zusammengehört
und ein Skizzenbuch gebildet. „Es war
ein Bund von 53 Blättern, die etwa eine
Spanne in der Höhe und weniger in der
Breite mafsen". ' — Wenn das richtig wäre, so würden manche Hypothesen, die mit losen Blättern
ein leichtes Spiel treiben, von vornherein eingeschränkt oder ausgeschlossen.
Eine Anzahl gemeinschaftlich ausgestellter und tapfer mitpublicierter Zeichnungen der Venezianer
Akademie scheidet sich ohne Mühe aus. Die wunderschöne Darstellung Apoll und Marsyas hat
mehr als doppelte Dimensionen; minder gross ist der Unterschied bei einem Streit um die Fahne,
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[ Memorie inedite di Giuseppe
Archivio storico lombardo Anno V. (l5
— 97 —
Reiter und Fussgänger, doppelseitig; die Rötelzeichnungen Moses vor dem feurigen Busch nach dem
Deckenfresko der Stanza dell' Eliodoro und S. Paulus nach dem Cäcilienbilde in Bologna, dieselbe
Figur von der Hand eines Kupferstechers, Tritonen nach dem Triumph der Galatea und eine Kampf-
scene (Rahmen XXXV No. 12), die auf die Constantinsschlacht zurückgehen mag, gehören oftenbar
nicht hierher. Ebensowenig ein Christuskopf im Rahmen XXVII No. 10. Ein schmales Blatt mit
einer stehenden und einer knieenden Frau in verehrender Haltung gehört dem Mariotto Albertinelli,
während ein Jüngling mit gefalteten Händen, vielleicht ein Hirt aus der Anbetung des Kindes
(XXXV, 8), bis auf weiteres in die Klasse der florentinischen Raffaellinos zu verweisen wäre.
Einzelne Blätter, die in Frage kommen, sind offenbar beschnitten worden; sonst aber bestätigt
der Augenschein Bossis Annahme vollkommen. Das Papier hat durchgehends die nämliche Farbe
und, soweit dies bei der Einspannung zwischen zwei Glasplatten konstatirbar, auch dieselbe Textur.
Mehr noch als die gleichen Dimensionen spricht die gleichartige Behandlung für die Zusammen-
gehörigkeit, und der Zustand ihrer Erhaltung lässt keinen Zweifel übrig, dass sie einem Buche
angehörten und gemeinsamer Abnutzung und Beschädigung ausgesetzt waren. An der einen Seite sind
die beiden Ecken durch Abstossen gerundet, während die andere Seite, unversehrt und gerade
abgeschnitten, damals im Buchrücken geschützt sass. Ausserdem trägt noch fast jedes Blatt, so
gerichtet in der Ecke rechts oben, die fortlaufende Nummer, welche den Schriftzügen nach bis ins
siebzehnte Jahrhundert zurückreichen mag. Jedenfalls fand Bossi diese Ziffern vor; denn er erzählt
ausdrücklich, beim Ankauf der Sammlung habe Fol. 48 gefehlt, das er hernach unter anderen, bereits
zwei Jahre früher in Paris, aus dem Nachlass von Le Grand, erworbenen Zeichnungen auffand. '
Ausserdem waren einzelne Blätter in andern Sammlungen, die wir heute als zugehörig erkennen,
gewiss schon früher herausgelöst und verzettelt worden.
Bei so vielen Anhaltspunkten muss man doch sofort darauf verfallen, ob und in wie weit eine
Rekonstruktion der ursprünglichen Reihenfolge möglich sei? ^ Natürlich wird man sich von vorn-
herein über den Wert einer solchen E^inordnung der Blätter nicht täuschen. Es handelt sich ja nicht
um den Text einer Handschrift, dessen innerer Zusammenhang von Seite zu Seite, von Blatt zu Blatt
dadurch wiederhergestellt würde. Im Gegenteil, fast jede Zeichnung besteht für sich, nur selten ist
direkte Aufeinanderfolge mehrerer gefordert. Und der Maler benutzt die weissen Blätter ganz wie
es ihm beliebt, zeichnet bald hier bald dort hinein, hier wird eine Reihe von Vorderseiten benutzt,
deren andere Hälfte er vielleicht nach geraumer Zeit gelegentlich ausfüllt; dort greift die eifrige Hand
nach der ersten besten Stelle, um eine vorübergehende Erscheinung in flüchtiger Skizze zu fesseln;
ein ander mal wird wenigstens nach einem Platz gesucht, wo nicht allzu heterogene Dinge dazwischen
kommen. Genug, die Herstellung der örtlichen involviert nicht ohne weiteres auch die zeitliche Folge.
I „Per combinazione veramente singolare trovo mancarvi il foglio 48 e osservo tra i fogli vicini alcune figure
panneggiate nello Stile d'una figurina di Raffaello, che feci acquistare a Parigi due anni sono alla morte di Le Grand.
La cerco nel volume della Scuola antica e romana, e riconosco non solo essere della stessa mano, ma essere lo stesso
foglio 48 che mancava al libro" a. a. O. S. 288. Lermolieff verschweigt diesen Umstand. Allerdings läuft die noch vor-
handene Paginierung von 6 bis 55; doch scheint Bossi die einzelnen Blätter des losen Bündels, er sagt 53 Stück, gezählt
zu haben, wozu denn noch das nachträglich gefundene Fol. 48 als No. 54 zuzurechnen wäre; dann hätten wir unsererseits
von Fol. 55 rückwärts gezählt bis Fol. 2, d. h. ohne den Titel. 54 Stück.
Für die Bestimmung der letzteren müssen die Gegenstände der Darstellung, durchgehende Vorbilder,
Stil und Technik u. dgl. zu Hülfe kommen. Jedenfalls aber wird Eins gewonnen: in ursprünglicher
Reihe angeschaut müssen sich, wenn irgendwo, die natürlichen selbstredenden Kombinationen ergeben;
nur so kann man auf legitimem Wege die Vorstellung erwecken, als folge man beim Durchblättern
dem Meister selbst in seinen Studien nach.
Um ganz objektiv zu verfahren, lassen wir für die Herkunft der einzelnen Zeichnungen alle
Möglichkeiten offen, die bei einem solchen Taccuino statthaben. Vor allen Dingen darf nicht
abgewiesen werden, dass mehrere Hände das Buch benutzt, sei es zur Zeit des Eigentümers selbst,
also etwa von Lehrern oder Genossen, mit denen er arbeitete, sei es von späteren Besitzern.
Nur so viel darf wol ohne Widerspruch vorab erklärt werden: die Mehrzahl der Zeichnungen
geht mit Bestimmtheit auf die umbrische, oder wenn man will umbroflorentinische Schule beim
Übergang aus dem XV. ins XVI. Jahrhundert zurück.
Mit Fol. 6, wo die heute noch lesbare Paginierung beginnt, setzt sogleich eine Folge von
Studien ein, deren Stil unzweifelhaft auf Luca Signorelli hinweist. Es sind grösstenteils Aktfiguren,
deren Stellungen ganz ähnlich oder doch mit unmittelbar einleuchtender Modifikation in bekannten
Werken des Meisters vorkommen. Ein junger Mann mit erhobener Posaune nach links
gewendet (Fol. 6a); ein Jüngling, der auf der linken Hand eine Schale, in der Rechten einen Krug zu
halten scheint, mit dem Fuss eines Knieenden daneben (7 a); zwei nackte Jünglinge von hinten
gesehen, mit einem Kind im Lauf korb zur Seite (8 a); ein stehender Krieger nur mit einem Helm
auf dem Kopf, in Rückansicht (8b); eine Gruppe von vier jungen Leuten, deren Mittlerer gekrönt
wird, während ein Kind zu seinen Füssen spielt (iia); ein nackter Mann, der eine Keule schwingt,
um ein neben ihm liegendes Rind zu treffen (12 a), gehören jedenfalls in den Kreis der Erfindungen
Signorellis, welche in den Weltgerichtsscenen zu Orvieto und den Clairobscur-Medaillons darunter(i 50off.),
in den Geschichten des Totilas zu Montoliveto maggiore (1497) und in mythologischen Darstellungen
wie die Erziehung des Pan, im Palazzo Petrucci zu Siena (1498) verwertet wurden. Auch die fliehende
Frau, die ihren Säugling vor dem Schergen des Herodes schützt (7b), verrät die charakteristischen
Merkmale Signorellis in den Bewegungen, besonders in der Beinstellung, wie in der Gewandung und im
Kopfputz. Im Dom von Orvieto, links über der Tür zur Capeila S. Brizio begegnen uns ähnliche
Motive. Der flötenblasende Hirt nach links hinten gewendet, mit einer Armstudie daneben (14 a),
kehrt fast ebenso auf dem Tafelbilde der Erziehung des Pan im Museum zu Berlin wieder, und
Fol. 16 bringt eine verwandte Figur, mehr in Profil nach links schreitend. Selbst in den tanzenden
Putten (8 b), einem Frauenkopf (8 a) und der eingerahmten Halbfigur der Madonna mit dem Kinde,
das an einem Kreuze spielt (13 a), zeigen sich noch hinreichende Spuren der Auffassung und des
Geschmacks, die wir an gleichzeitigen Werken Signorellis wahrnehmen. '
Gerade diese Zeichnungen, wie besonders die beiden Figuren aus dem Kindermord, beseitigen
indess andrerseits jeden Gedanken, als hätten wir Signorelli selbst zu erkennen. Mehrfach treten
I Grotteskenornamente auf den Rückseiten einiger Blätter können ebenso wol mit der Dekoration des .Signorelli
z.B. in Orvieto, als mit Arbeiten perusisclier Maler um 1500 zusammenhängen. Aus Sta. Maria del Popolo zu Rom stammen
sie nicht. Vgl. m. Vortrag: Der Eintritt der Grottesken in die Dekoration der Renaissance im Jahrb. d. k. pr, Kunstsmlg. i88l.
*
— 99 —
Anzeichen hervor, dass wir es mit einer Jüngern Hand zu tun haben, die nach Vorlagen des Cortonesen
sich übt, vielleicht unter persönlicher Leitung des Meisters, welcher am Ende der neunziger Jahre,
wohin diese Darstellungen ohne Zweifel gehören, auf der Höhe seiner künstlerischen Kraft und seines
Ruhmes stand.
Eine andere Folge von Skizzen führt uns noch weiter zurück und zwar nach Urbino. Hier
befand sich im herzoglichen Schlosse eine Reihe von Idealbildnissen berühmter Dichter und Philosophen,
weltlicher und geistlicher Schriftsteller, welche der Herzog Federigo von Montefeltre für sein
Studirzimmer hatte malen lassen. „Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini", sagt man in Urbino :
auch unsere 28 Porträts sind durch diese geistlichen Herren von [ihrem ursprünglichen Standort
entfernt und befinden sich heute zur Hälfte noch zu Rom im Palast Barberini, zur anderen Hälfte im
Louvre zu Paris. Zwölf solcher Bildnisse sind im venezianischen Skizzenbuch nachgezeichnet, das erste
Fol. 21 b hat die späte Beischrift Quintus Curtius erhalten, das nächste Fol. 25 a ist ohne Namen,
die folgenden haben die Unterschriften: PLATONI. — ARISTOTELI. STAGIRITAE — ANNAEO
SENECAE CORD VE. — M. TVLIO. CICER. — HOMERO SMYRNAEO. — CL. PTOLOMAEO.
ALEX. — FI. BOETIO (beide auf Fol. 29 b) — P. VERG. MARONI. MANTVANO. — VITORINO.
FELTRINO und endlich ANAXAGORA, den wir unter den Bildern in Rom |und Paris ebenso wenig
wie Quintus Curtius genannt finden.
Die Gemälde zeigen ein Gemisch von flämischer Auffassung und eifiem dem Melozzo und
dem Giovanni Santi gemeinsamen Stil, Elemente die auch in der malerischen Ausführung an
einzelnen mehr gesondert, an anderen enger verquickt hervortreten Sie sind um das Jahr 1474
gemalt, und ihre Nachzeichnungen können nur in Urbino selbst entstanden sein. Kleine Abweichungen
der letzteren von den ausgeführten Malereien und sonstige Eigentümlichkeiten machen es wahr-
scheinlich, dass auch diese Studien nach den Originalzeichnungen der Meister, nicht nach den Bildern
selbst, kopiert wurden, und so werden wir wol direkt in das Atelier der Urheber, zu Giovanni Santi
und Melozzo nebst Justus von Ghent oder deren Erben gewiesen.
Auf diese älteren urbinatischen Lokalmeister gehen noch andere Blätter des Skizzenbuches
zurück: so die runzlige Hand auf Fol. 49a und eine andere mit Cirkel auf Fol. 12b; das Abenteuer
mit dem Löwen, der einen starken Mann zu Boden geworfen und brüllend über dem Schreienden
steht, während eine mächtige Dogge bellend assistiert, und ein Hirt in der Ferne ruhig sitzend kaum
seine Dudelsackpfeife vom Mund absetzt.' Die Erfindung dieser Scene ist noch ebenso naiv wie die
Darstellung des Kindermordes auf einem der allerersten Blätter; aber die Ausführung zeigt den
grossen Fortschritt der nämlichen Hand, die jenen kindlichen Versuch gewagt. Als vorbereitende
Skizzen mögen die Löwen bezeichnet werden, welche sich auf den Rückseiten von Fol. 47 und 48
finden. Hierher gehören ferner: ein knieender Geistlicher, der sich anbetend im Profil nach rechts
wendet (Fol. 23 b) und ein Alter, der in gebückter Haltung sinnend nach rechts gewendet dasitzt,
während ein Genius hinter ihm Blumen über ihn ausstreut. Dies Motiv erinnert an Signorellis Engel
in Orvieto, die Formgebung dagegen bereits an Perugia. Endlich pflanzt sich dieselbe Technik noch
I Der liegende Mann lässt sich einem Krieger auf Giovanni Santis Auferstehung Christi in Cagli vergleichen,
:ugt aber wo! schon den Einfluss des Antonio Pollajuolo auf die Vorlage, die hier benutzt wird.
— 100 —
in andern Blättern fort, wie in einer Madonna mit dem schlafenden Kinde, in mehreren Frauenköpfen,
in der Kinderschar, die mit einem Schvveinchen spielt, und in dem Porträtkopf eines jungen Mannes
mit Malerkappe, einmal in gerader Haltung nach links, und nochmals auf die Hand gestützt nach
oben blickend (i8b), mit der Aufschrift: „d vnz B. — L. paro", die Signorelli wieder nahekommt.
Dazwischen treffen wir auf kindlich behandelte Stadtansichten, Berghänge, Felsen und dergleichen
landschaftliche Stücke, die oft ganz flüchtig skizziert, aber unverkennbar auf Wanderungen in der
Nähe von Urbino aufs Papier geworfen wurden: wenn Urbino selbst sogar auftritt," so begrüssen wir
auch Motive, die uns Castel Durante und Pian de Meleto, Cagli und Fossombrone ins Gedächtnis
zurückrufen und dürften somit die bemannten Galeeren dazwischen nur auf die nächstgelegenen
Hafenorte wie Fano und Pesaro beziehen können. Wer wollte sich darnach dem Gedanken
verschliessen, dass die jugendliche Hand und Phantasie eines urbinatischen Künstlers viele dieser Blätter
mit Versuchen gefüllt, die bald mehr, bald minder gelungen, doch einen durchgehenden Charakter
zeigen, und mit den früher besprochenen Studien nach Luca Signorelli sehr wol verträglich wären!
Nun aber tritt nach der Mitte des Buches noch eine dritte Reihe von stilistisch zusammen-
gehörigen Zeichnungen auf, nach welcher man bisher vorwiegend das Ganze beurteilt und datiert hat.
' Die nebenstehende Abbildung giebt das Scliloss i
aneben links.
i Substruktionen und die Cliorpartie des ehemaligen
I
Sie führt uns mit Bestimmtheit auf Perugia und den Stil der beiden Hauptmeister dieser Schule an
der Scheide des 15. und 16. Jahrhunderts Bernardino Pintoricchio und Pietro Vannucci, genannt
Perugino. Das Wappen der Stadt, der Greif, auf einem dieser Blätter, mag als Ortsangabe zuerst
erwähnt werden. Die Richtung selbst setzt entschieden ein mit zwei Propheten auf Fol. 13b und 14b,
welche noch einen älteren grossartigeren Stil Peruginos repräsentieren als jene matte Nachblüte im
Cambio, bei der die letzte Kraft verbraucht ward. Auch der heilige Andreas ist ohne Frage dem
Fiorenzo di Lorenzo verwandt und streift nahe an seine Apostelgestalten auf dem Altarstück der
Galerie von Perugia, das neben seinem vollen Namen die Jahreszahl 1487 enthält.' Recht hölzern
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erscheint dagegen der heilige Sebastian, den der Zeichner mit auffallender Geduld stückweise auf
drei Seiten (45 a, 46a, 46b) wiedergegeben hat, ein Verfahren mit dem kleinen Buche, das seine
Bestimmung völlig verkennt, also einen fremden Eingriff verrät.
Ganz anders gedacht, ganz im Sinne der kleinlichen Verhältnisse, und mit der Vorliebe für
hagere Körper, enge puppenhafte Gesichter und konventionelle Gebärden, welche dem Pintoricchio
seit seiner Rückkehr aus Rom (1498) eigen sind, ist die Figur eines langbärtigen Greises mit Turban
behandelt, der in schleppendem Gewände nach rechts schreitend den Kopf auf die andere Seite
dreht (l6b). Individueller belebt als man bei Pintoricchio damals erwartet ist wenigstens eine Gruppe
I Er findet sich in der Tat unter Fiorenzos Aposteln am Hochaltartabernakel v. S. Giov. i
von Köpfen, die augenscheinlich Zuschauern eines Vorgangs gehören. Auf eine Arbeit des selben
Meisters müssen die zwei Reiter zurückgehen, deren einer nach rechts, der andere nach vorn
gewendet ist; doch geht auch hier das Verständniss, besonders in den Köpfen, bereits über Bernardinos
Leistungen hinaus (47 a).
Von Fol. 48 bis ans Ende des Buches schliessen sich gleichartige Übungsblätter an, deren
Herkunft letztlich ins Atelier Peruginos zurück verfolgt werden muss.' Eine junge Frau, die knieend
nach rechts gewendet, die Hände zu irgend einer Manipulation erhebt, verrät uns, in welchem Umkreis
wir die Vorbilder zu suchen haben: es ist die Frau, welche die Beschneidung Mosis vollzieht, auf
einem Fresko der Cappella Sistina des Vatikans; Perugino hat es unter Beihülfe des Pinturicchio ums
Jahr 1482 gemalt. Vergleicht man die vorliegende Zeichnung mit der Figur des Wandgemäldes, so
wird man die naheliegende Vermutung, als hätten wir eine vorbereitende Studie des ausführenden
Meisters selbst vor uns, doch baldigst aufgeben. Die Haltung stimmt in Zufälligkeiten, die sich nur
erklären, wenn man bereits die zugehörigen Figuren der Gruppe daneben hat, mit dem ausgeführten
Fresko überein; die Stellung der Finger ist zu sicher, ohne jegliches Pentimento, gezeichnet; andrer-
seits trägt die immerhin ziemlich oberflächliche Skizze durchaus nicht den Charakter ursprünglicher
Erfindung, sondern ist viel zu regelmässig, berechnet und befangen. — Ganz ähnlich verhält es sich
mit dem Frauenkopf auf Fol. 17b links unten; man hat gemeint, es sei die Studie zum Kopf der
Ziporah, die ihren Knaben führt, eben auf diesem Fresko der Reise Mosis. Die Übereinstimmung
ist auch hier in Nebensächlichem zu genau, in den feineren Qualitäten gar nicht vorhanden. So durfte
man auch den Kopf daneben als den der sitzenden Frau zu äusserst rechts im Fresko bezeichnen
und in den Oberen Versuche für die Krugträgerin links im selben Bilde erkennen; aber nur ganz
äusserliche Beobachtung kann sich dabei beruhigen.
t Vgl.
1 Folgenden Preuss. Jahrb. XLVII. S. 49 ff- (Jai
— 103 —
Bestimmter noch als diese beiden Zeichnungen von der „Reise Mosis" sind andere aus der
„Einsetzung des Schlüsselamtes" herzuleiten, die Perugino in einem anderen Fresko derselben Kapelle
dargestellt. Der Jünger rechts vom knieenden Petrus, der die eine Hand auf seine Brust legt und
mit der andern eine Schriftrolle hält, ist im Skizzenbuch ohne dieses Papier gegeben und mit
Quadratnetz überzogen; desgleichen sein älterer Nachbar zur Rechten. Der nämliche Jüngling kehrt,
wenig verändert von der Gegenseite genommen, auf dem nächsten Blatte wieder. Die letzte Skizze
dann stellt den Jünger zu äusserst links im Fresko dar und neben ihm eine andere gleichartige
Gestalt, die im Wandgemälde durch 'eine Porträtfigur ersetzt ward. Alle diese Umstände führen
darauf hin, dass wir eine frühere Redaktion, Teile eines hernach veränderten Entwurfes für die
Schlüsselübergabe vor uns haben. So würden sich auch zwei ganz analoge Figuren auf Fol. 54a als
solche für die rechte Seite bestimmte, bei der Ausführung durch Porträts verdrängte Zuschauer erklären.'
Es bliebe also nur die Alternative: diese Blätter des Skizzenbuches sind entweder die Original-
entwürfe des ausführenden Meisters von 1483, oder aber spätere Reproduktionen des ursprünglichen
Entwurfes, Studien eines Schülers nach dem Carton Peruginos. Die Mehrzahl ist mit Quadratnetz
überzogen, man könnte meinen zur Übertragung in grösseren Mafsstab; doch wäre dies bei Blättern,
die im Buche festsitzen, mindestens unbequem gewesen. Da nun allen diesen Skizzen durchaus der
originäre Charakter frischer Erfindung abgeht, vielmehr eine gewisse Nachlässigkeit und Äusserlichkeit
anhaftet, so erklären wir uns für die letztere der beiden Möglichkeiten, um so mehr als die nämlichen
Figuren in zahlreichen Variationen auf späteren Arbeiten Peruginos, Pintoricchios, Raphaels und der
ganzen perusischen Schule vorkommen. — Pietros Cartons zur „Übergabe der Schlüssel", zur
„Reise Mosis" und zur „Taufe Christi" waren jedenfalls neben anderen Vorbildern aus seiner frucht-
barsten Periode zum Studium seiner Schüler und zur Benutzung seiner Gehülfen im Atelier aufgestellt.
Solche Übungsblätter eines Lehrlings sind auch diese Zeichnungen im venezianischen Skizzenbuch,
und zwar aus einer Zeit, wo mit diesem Schulgut bereits recht mechanisch umgegangen wurde.
Gleichartige Gewandfiguren dazwischen mögen aus andern Cartons des Meisters herrühren; z. B. die
knieende Jungfrau, die ofienbar das Kind verehrt, auf 51b, dankt ihren Ursprung vielleicht jener
Darstellung der „Geburt Christi", die Perugino an der Altarwand der Sixtinischen Kapelle gemalt hatte,
wo hernach ein Befehl Pauls III. dem Weltgericht Michelangelos Platz schuf, dieselbe Figur kommt
auch in Peruginos Anbetung in Villa Albani von 1489 vor, — und wir hätten in dieser Skizze eine
Wiederholung desselben Originals, das Pintoricchio in den neunziger Jahren in der ersten Kapelle von
Sta. Maria del Popolo benutzt hat. Andere Jünger- und Frauengestalten dürften sich in gleicher
Weise auf die „Findung Mosis" zurückführen, wären diese Gemälde der Altarwand nicht ebenso dem
grossen Fresko Michelangelos zum Opfer gefallen. Peruginos Schöpfungen für die Sixtinische Kapelle
sind jedenfalls als die Musterleistungen zu betrachten, an denen Pintoricchio so gut wie die ganze
Schule von Perugia seitdem gezehrt hat.
[ Verwandt ist auch das Blatt in Lille, Bra
II.
Auf die letztbesprochene Reihe von peruginesken Figuren und ihre oberflächliche Indentifizierung
mit den Freskomalereien in der Cappella Sistina gründet Ivan Lermolieff seinen sogenannten Beweis,
dass die bei weitem grösste Zahl dieser schönen Federzeichnungen in Venedig, welche der verstorbene
Professor Bossi zuerst wieder für Raphaels Eigentum erklärt hat, „keinem andern gehören als dem
armen verkannten Bernardino Pinturicchio", und dass sich in dem Band, den wir das venezianische
Skizzenbuch nennen, ausserdem nur „noch zwei Zeichnungen von Raphael, ein paar von Antonio
del Pollajuolo nebst einigen anderen unbedeutenden aus der Peruginischen Schule" befänden.
Nun sind aber diese von Lermoliefif anerkannten „paar Zeichnungen von Antonio del Pollajuolo"
durchaus keine Originale dieses Meisters, sondern Wiederholungen derselben Schülerhand nach
Vorlagen von dem hochberühmten Zeichner, nach denen so viel andere Zeitgenossen sich auch
gebildet haben. Und wie wenig die letztgenannten
Gewandstudien den Charakter von Originalentwürfen,
oder auch nur von sorgfältigen Ausarbeitungen
Pinturicchios nach flüchtigen Skizzen des Perugino
an sich tragen, ist oben dargetan. Ebenso wenig
aber wie um 1482 diese Ankleidepuppen, kann der
Altersgenosse Peruginos „in viel späterer Zeit" die
Nachbildungen nach Luca Signorelli gemacht haben.
Die Erfindungen des Meisters von Cortona gehören,
wie wir nachgewiesen, in die zweite Hälfte der
neunziger Jahre, vielleicht gar an den Eingang des
Cinquecento, in eine Periode also, wo Bernardino
Pinturicchio ebenfalls in seiner besten Kraft und
als Hofmaler Papst Alexanders VI. auf einer Höhe
des Ruhmes stand, wo er wenig aufgelegt war,
die Skizzen des Cortonesen nachzustudieren. Diese
Blätter des venezianischen Albums zeigen ausserdem die unverkennbaren Merkmale einer ungeübten
Hand, welche unmöglich einem fünfzigjährigen, vielerfahrenen und damals anerkanntermafsen
routinierten Maler zugemutet werden dürfen. Von einer Beziehung Pinturicchios zu den urbinatischen
Lokalmeistern, oder gar von einem Aufenthalt in Urbino und Umgegend, welche bei der zweiten
Reihe von Skizzen notwendig vorausgesetzt werden mussten, wissen wir garnichts.
Indessen, es ist nicht meine Absicht, dieser Kontroverse jetzt schon näher zu treten, ehe wir
eine gründlichere Charakteristik des Bernardino Pinturicchio besitzen. ^ Auch die Lösung der Skizzen-
buchfrage kann nur mit gewissenhafter Berücksichtigung des gesamten hierher gehörigen, in andern
Sammlungen vorhandenen Zeichnungsmaterials vollbracht werden. Eine solche genaue Verwertung
der verwandten Denkmäler würde, davon bin ich fest überzeugt, durch streng methodische Arbeit
' Seither ist ein weiter'
Meyers Künstlerlexikon unter dei
' Beitrag dazu in meiner Schrift „Pinturicchio in Rom", Stuttgart 1882 gegeben i
Namen „Betti" eine Zusammenfassung versucht worden.
- I05 —
auch über die Autorfrage eine befriedigende Entscheidung herbeiführen, die gegen leichtfertige Angriffe
und das willkürliche Spiel subjektiver Kennerurteile gesichert wäre. Resultate, die auf legitimem
Wege und mit anerkanntem Verfahren erbracht sind, können ja durch ein einfaches Dekret nicht
kassiert werden; sondern jedermann muss sich redlich mit ihnen abfinden.
Solange jedoch diese Arbeit nicht getan ist, mag wenigstens ein Urteil berechtigt erscheinen,
das aus eingehender Beschäftigung erwachsen ist. Ich vermag nur meine bereits früher ausgesprochene
Überzeugung zu wiederholen, dass dies venezianische Skizzenbuch keinem andern als dem jungen
Raphael von Urbino gehört haben kann.
Den Ausschlag giebt hierbei zunächst natürlich der unmittelbare Eindruck der Zeichnungen
selbst. Während alle bisherigen Reproduktionen ein vielfach entstelltes Ansehen darbieten, indem
sie die Abstufungen des Farbenauftrages nicht getreu wiedergeben, die Unterschiede zwischen den
leichten und kräftigen Zügen verwischen, die Klarheit und Schärfe des Striches abstumpfen, übt der
Anblick der Originale, obschon 'der Zustand ihrer Erhaltung zu wünschen übrig lässt, doch einen
Reiz, der alle Zweifel überwindet, mag man auch — wie es mir erging — mit noch so skeptischen
Gesinnungen gekommen sein.^ Gleicht ihr Aussehn doch aufs Haar der Doppelzeichnung im Berliner
Kupferstich-Kabinet, mit dem Entwurf zur Madonna Connestabile auf der einen und dem Entwurf
zur Madonna del Duca di Terranuova auf der andern Seite. ^
Ausserdem haben wir für einige dieser Blätter bereits früher einen so engen Zusammenhang'
mit unbezweifelten Gemälden und zahlreichen in anderen Sammlungen befindlichen Zeichnungen
Raphaels nachgewiesen,^ dass dadurch auch die nächstverwandten Blätter des Skizzenbuches demselben
Meister zufallen. Nur auf ein Hauptstück mag hier mit allem Nachdruck hingewiesen werden: das
Selbstporträt des höchstens fünfzehnjährigen Raphael in der Zeichnungssammlung zu Oxford, in dem
wir doch sicher einen Mafsstab dafür besitzen, was wir diesem Künstlerknaben zutrauen dürfen und
müssen. ■» — Gewiss niemand wird die herrliche Studie nach einem antiken Relief anzweifeln, die auf
der einen Blattseite den Kampf zweier Fussgänger gegen einen Reiter, auf der andern einen Fahnen-
träger nach linkshin schreitend, in nackter Schönheit darstellt, — oder die ganz verwandten Speer-
träger, die nach rechts einen Angriff machen, und zu der im Louvre befindlichen Darstellung eines
Sturmes auf Perusia Augusta gehören, die dagegen als Kopie von Schülerhand zu gelten hat. s
Endlich haben wir in der Gesamtheit dieser Skizzen einen so reichhaltigen Entwickelungsgang
vor uns, dass die Auswahl unter den umbrischen Malern beim Übergang des Quattrocento ins
Cinquecento wahrhaftig nicht gross bleibt und die Entscheidung nicht schwer.
1 Gänzlich irreführend sowol der Auswahl wie der Wiedergabe nach sind die Holzschnitte des Seemannsche
Verlages zu dieser Frage.
2 Vergl. über diese Zeichnung Lippmanns Aufsatz im Jahrbuch der Königl. Preuss. Kunstsammlungen II, i, wo di
denselben Gegenstand darstellende Federzeichnung in Lille mit Unrecht als späte Kopie verworfen wird: sie ist allerding
nur zum Teil alt und echt.
3 Vgl. Raphael und Pinturichio in Siena, Stuttgart 1880.
4 Ich darf mich hierfür auf das Urteil des Nestors deutscher Kunstforschung in Florenz, Karl Eduard von Liphai
berufen. Man vergleiche doch den weibl. Kopf der Sammlung Malcolm (Br. Ii6) und den heil. Thomas in Lille.
5 Venedig, Rahmen XXXV, 9 mit der Nadel durchstochen und auf der Rückseite nachgezogen. Vgl. ausser der
Louvreblatt auch Wien, Albertina, Braun 154.
14
— io6 —
Überblicken wir also diese Reihen von Studien einmal unter der Voraussetzung, dass sie dem
jungen Raphael gehören.' Vielleicht wird man merken, dass sich dann alles wie von selbst in die
bekannten Tatsachen seines Bildungsganges einordnet, ja, dass hier erst, an der Hand dieses Skizzen-
buches eine befriedigende Einsicht in sein Werden und Wachsen, eine Vorstellung über die Haupt-
faktoren gewonnen wird, die zusammenwirken und ineinandergreifen mussten, um eine solche
Erscheinung hervorzubringen.
Man hat so oft das Kind Raphael in seiner Umgebung zu fassen gesucht und mit haus-
väterlicher Phantasie geschildert, wie ihn Papa und Mama geliebt, Ohm und Base miterzogen u. s. w.
Unmittelbarer als irgendwo begegnen wir dem heranwachsenden Gesellen hier, wo er auf Spazier-
gängen um Urbino, auf weiteren Ausflügen in die Gebirgstäler ringsum das neue Taccuino an der
Seite führt. Im frischen Eifer sind die weissen Blätter verschwenderisch mit landschaftlichen Skizzen
zweifelhaften Wertes gefüllt, deren Motive in manchen seiner selbständigen Gemälde wiederkehren.
Daneben könnte man sich kein Zeugnis wünschen, das charakteristischer für die Betätigung jugendlich
unerfahrener Einbildungskraft spräche, als eine Scene des Kindermords, die wir unter diesen frühesten
Versuchen antreffen. Unschuldig wie die Kindlein ist die Seele des Erfinders; er hat noch keine
mörderische Tat gesehen, keine Krieger, die mit dem blutigen Handwerk Ernst machen, keine Mütter,
die verzweifelt ihr Liebstes verteidigen. Hier wird ein Dolchstoss geführt, ein Degen gezückt; aber
es fliesst kein Blut. Fantini des Herzogs von Urbino ^ spielen zur Übung eine Pantomime. Die eine
der Mütter sieht dem drohenden Verderben des Säuglings in ihrem Schofse wehrlos zu, indem sie
nur die Hände erhebt, wie jede junge Anfängerin auf der Bühne, die andere will wenigstens davon
eilen, wird aber am Haarschopf festgehalten; ihr Bübchen verzieht eben das Gesicht zum Weinen,
während eine Alte den unhöflichen Knappen mit ihrem Pantoffel ohrfeigt. Man würde die Scene
nur humoristisch nehmen, wenn sich nicht trotzdem verriete, wie ernstlich die Erfindung gemeint ist,
wie intensiv die knabenhafte Phantasie gearbeitet. Die naive Sinnesart der ostumbrischen Künstler-
generation mutet uns an, Avie in Raphaels Heimat aus jenen Fresken des Lorenzo und Jacopo da
San Severino im Kirchlein S. Giovanni Battista. Es ist Empfindung ohne Afifektation, angeborene
Grazie und eine köstliche Reinheit des Geschmacks in dieser instinktiven Äusserung einer Natur,
welcher künstlerische Produktion zum Lebensbedürfnis gehört.
Dieser eigenen Leistung des Knaben darf wol zunächst eine Reihe von Studien angeschlossen
werden, deren Vorbilder in den Arbeiten seines Vaters Giovanni Santi selbst oder im Kreise der
lokalen Kunstunternehmungen zu Urbino gesucht werden müssen, die enge Zusammengehörigkeit mit
dem Flamänder Jost van Ghent, wie mit Melozzo da Forli bestimmt den Stilcharakter der Schule,
in welcher Raphael unbewusst seine ersten Schritte tat. Wenn wir bei dem frühen Tode des
Vaters (1494) ein gut Teil dieses Einflusses auf die blosse Vererbung schieben müssen, so zeigen
: Zu Gunsten dieser Annahme darf für die Tradition des Skizzenbuclies dann die Stelle (bei Passavant) in Anspruch
1 werden, wo Bellori als im Besitz des Carlo Maratta citiert: Un Libro di alcuni avanzi de' Studj giovanili di
Raffaelle, che approvano le sue prime fatiche con un esattissima imitazione a maggior finimento terminato.
2 Wir begegnen ihnen in der nämlichen Tracht in der Auferstehung Christi des Giov. Santi zu Cagli, auf den
Galeeren im Skizzenbuch und mehrfach bei Raphael sonst.
— 107 —
uns diese Skizzen andrerseits, wie auch die Eindrücke der urbinatischen Kunstschätze, die Bilder,
welche den erwachenden Genius umgaben, sich laut und entschieden zur Geltung bringen. Die
Malereien, mit denen Herzog Federigo seine Residenz geschmückt, sind ohne Frage als Lehrmeister
des Knaben mitzurechnen; es kommt nur darauf an, nicht blos Namen aufzuzählen, sondern eine
Charakteristik dieser Erscheinungen als lebendigen Faktor in die Jugendzeit Raphaels einzuführen.
Das Skizzenbuch lehrt uns, dass entweder im Atelier Santis, welches auf seinen Schüler Vangelista
da Pian de Meleto übergegangen scheint, oder sonst an zugänglicher Stelle in Urbino mancherlei
Zeichnungen zu Malereien vorhanden waren, welche von Melozzo, Giovanni Santi und Jost van Gent
gemeinschaftlich ausgeführt sein müssen.
Reproduktionen solcher Vorlagen sind jene Phantasieporträts berühmter Männer, die wir oben
besprochen. Einzelne sind höchst sorgfältig, nicht nur mit der Feder sondern auch mit Tusche
ausgeführt, andere minder genau oder nur teilweise, einzelne gar flüchtig bis zur Karikatur,' wie
z. B. Vittorino da Feltre. Der Zeichner ist offenbar ein Knabe, dem die Aufgabe des Kopierens
mit der Zeit langweilig geworden; aber seine Hand ist bereits geschult, und, wo nur die Geduld
ausreicht, schon ganz sicher in der Wiedergabe des eigentümlichen halb flämischen, halb umbro-
florentinischen Stiles. Sie sind mit derselben Fertigkeit und zur selben Zeit gemacht, wie die
Propheten nach einem Meister von Perugia und andere Köpfe, die von Luca Signorelli herkommen.
Die voraufgehenden Studien müssen uns den Weg weisen, wie und wo sich diese Fertigkeit
ausgebildet. Luca Signorelli ist es, den wir diesen zahlreichen Blättern zufolge, als einen der ersten
und einflussreichsten Lehrer des jungen Raphael aufzustellen haben, und zwar gerade in einem Lustrum,
wo die Spezialforschung bis heute ziemlich ratlos gestanden ist.
Man hat ausgerechnet, dass Raphael nicht vor 1499 in das Atelier des Pietro Vannucci nach
Perugia gekommen sein könne, und glaubt als einzigen bedeutenden Meister in Urbino den Timoteo
della Vite zu haben, auf den aller Inhalt dieser wichtigen Jahre zurückgeführt werden müsse. Das
Skizzenbuch belehrt uns eines Bessern. Das Blatt mit dem fliehenden Weibe, das ihr Kind geo-en
den Schergen des Herodes verteidigt, kann nur von einer knabenhaft ungeübten Hand gezeichnet
sein; die Vorlage dagegen gehört dem Luca Signorelli.
Signorelli aber kam, wenn nicht schon öfter bei früherer Gelegenheit, im selben Jahre nach
Urbino, in dem Raphaels Vater gestorben ist. Im Juni 1494 wird mit ihm abgemacht, er solle für
die Brüderschaft von Sto. Spirito in Urbino ein Proze.ssionsbild malen, mit der Kreuzigung auf der
einen und der Ausgiessung des heiligen Geistes auf der andern Seite. Zur Ausführung werden drei
Monate bedungen. Diese Darstellungen von Signorellis Hand sind noch heute in der kleinen Kirche
Sto. Spirito, wenig Schritte vom Geburtshaus Raphaels, zu sehen, und wir dürfen annehmen, dass
der Meister sie zu Urbino selbst gemalt; denn von Cittä di Castello, wo wir Luca damals vornehmlich
beschäftigt finden, würde der Transport über die hohen Gebirgspässe schwierig und kostspielig^
1 Von späteren Schmierereien darin natürlich abgesehen.
2 Die Brüderschaft von Sto. Spirito stipulierte ausdrücklich, der Meister solle sie aufstellen „omnibus suis sumptibus
;xpensis, excepta tela seu panno lini", die sie ihm liefern mochten. (Pungileoni, Elogio Stör, di Giov. Santi S. 77.)
14*
gewesen sein, — eine Voraussetzung, die um so wahrscheinlicher wird, als wir sichere Belege besitzen,
dass Signorelli die Kunstschätze Urbinos gekannt hat. Bei seinen Dekorationen in der Cappella di
S. Brizio des Doms zu Orvieto haben ihm bei den Bildnissen berühmter Männer unverkennbar die
Darstellungen in dem „Studio dei ritratti" von Urbino vorgeschwebt, eben jene Idealporträts, die
auch Raphael um diese Zeit gezeichnet hat.
Andrerseits jedoch stünden einem zeitweiligen Aufenthalt Raphaels beim Luca in Cittä di
Castello die Präsenzzeugnisse in Urbino durchaus nicht im Wege. Wie dem auch sein mag, ein
direkter Verkehr mit dem Meister von Cortona, und zwar das Verhältnis eines Lernenden zu dem
anerkannten Vorbilde, ist uns in dem Skizzenbuch dokumentiert. ^ Ausserdem besitzen wir ja in der
Sammlung Wicar zu Lille eine Zeichnung Raphaels nach zwei Bogenschützen auf dem Martyrium
des heiligen Sebastian, welches Luca Signorelli 1496 für die Kirche von S. Domenico, in Cittä di
Castello gemalt hat, eine Skizze, die durchaus die Hand eines Anfängers verrät, und in das Skizzenbuch
gehörte. Von den frühzeitigen Aufträgen, die dem jungen Maler in dieser Stadt zu Teil wurden
und persönliche Beziehungen vermuten lassen, ganz zu schweigen.
Genaue Betrachtung der einzelnen Studien nach Signorelli ermöglicht bald eine Sonderung
zweier, nach ihrer Qualität, besonders ihrer technischen Vollendung auseinander gehender Reihen:
wir haben eine ältere vor uns, in welcher wir die Härten der urbinatischen Lokalschule, die Ungeübtheit
des jungen Schülers zugleich mit sorgfältiger Nachahmung des Cortonesen erkennen, und eine spätere
Gruppe von weit vorgeschrittener Feinheit, wo die Nachbildung bereits in überlegte Aneignung mit
selbständiger Auswahl kongenialer Elemente übergeht. Zwischen beiden Gruppen scheint bereits
eine Berührung mit dem zarten Geschmack der Meister von Perugia stattgefunden zu haben, oder
eine ausgesprochene Richtung des eigenen Naturells hervorgetreten. Die trefflichen Studien nach
Luca führen uns in einen Gedankenkreis, welcher festdatierte Arbeiten dieses Meisters in der zweiten
Hälfte der neunziger Jahre umschreibt; aber keines der Blätter fordert die persönliche Gegenwart
Raphaels bei diesen Malereien in Montoliveto, Siena und Orvieto ; desto entschiedener dagegen setzt
die Bekanntschaft mit den vorbereitenden Versuchen des Meisters vertraulichen Umgang voraus:
der liebenswürdige Urbinate nimmt an dem innersten Schaffen Signorellis teil, gerade in einer Periode,
welche die Vorstufe für jene höchsten Leistungen bedeutet.^
Zahlreiche Anregungen der Antike, stoffliche wie formelle, werden hier von einem echten
Quattrocentisten verarbeitet. Eine Beschäftigung mit heidnischer und christlicher Poesie, besonders
mythologischen Inhalts, eifrige Studien nach römischen Skulpturen liegen zu Grunde. Vor allem aber
ist es immer die menschliche Gestalt, nackt, in Ruhe und mancherlei Bewegung, die hier verstanden,
bewältigt, vollständig angeeignet werden soll. Wie weit diese Gemeinschaft gegangen sein niuss,
erhellt auch daraus, dass einige Rundbildchen in Orvieto, z. B. jene Herkulesarbeiten, als
Variationen anderer Skizzen Signorellis zu denselben Gegenständen angesehen werden müssen, welche
' Ich weise mit Vergnügen auf die scliätzenswerten Bemerl<ungen Rob. Vischers über den bedeutenden Einfluss
dieses Meisters auf Raphael, in seiner Monographie über Luca Signorelli (Leipzig 1879) S. 332 ff.
2 Man vergleiche übrigens auch die neuerdings erst bekannter gewordenen Wandmalereien Signorellis in S. Crescenziano
zu Morra zwischen Citta di Castello und Cortona. (phot. Alinari.)
I09
den Studien Raphaels, hier im Buclic, zum Vorbild dienten, so z. B. Herkules Kämpfe mit dem Stier, '
mit dem nemeischen Löwen, mit dem zu Boden geworfenen Riesen.
Das Jahr 1497, in dem Signorelli dann von Cittä di Castello nach Montoliveto bei Chiusuri
übersiedelte, um die Fresken aus dem Leben des heiligen Benedikt auszuführen, ist der früheste
Termin für eine direkte Berührung Raphaels mit Perugino. Pietros Bilder in Sta. Maria nuova oder
delle grazie zu Fano tragen das Datum 1497 und 1498.
Fano aber ist wenige Stunden von Urbino entfernt und bequem erreichbar; ja der Meister
von Perugia wird sicher den kürzeren Weg über Cittä di Castello und Castel Durante gewählt haben,
der unmittelbar an Urbino entlang führt, statt des weit beschwerlicheren über Gubbio und Cagli, der
durch den Furlöpass kurz vor Fossombrone auf die andere Strasse mündet.
Mehr jedoch als diese äusserlichen Verhältnisse erzählen uns die Gemälde Peruginos in Fano
II».-«*- '^
\
selbst. Es fehlen ihnen die dunkelvioletten und bräunlichen Töne, welche Perugia eigentümlich sind;
das Ganze ist heller, kühler gehalten. Und die Predellenstückchen unter der thronenden Madonna,
welche die Geburt Maria, die Darstellung im Tempel, das Sposalizio, die Verkündigung vor einer
langen perspektivisch verkürzten Säulenhalle und die Himmelfahrt der Jungfrau enthalten, haben mich
bei jedem Besuche direkt an Raphael gemahnt. Die Ähnlichkeit einzelner Gestalten und Motive mit
denen in Raphaels frühen Gemälden, besonders mit den Stafifelbildchen zu seiner Krönung Maria (im
Vatikan) ist so gross, dass eine genaue Bekanntschaft mit ihnen vorausgesetzt werden muss.
Ich kann angesichts dieses sorgfältig, aber nicht fehlerfrei ausgeführten Gradino die Vermutung
nicht unterdrücken, dass wir von 1497 in Fano die Verbindung Raphaels mit Perugino datiern sollten.^
1 Vgl. dazu Oxford, Raph. Zeichg. i8 (Braun).
2 Nach den Anmerkungen zum Vasari (Opere III S. 605) bew
tritt, seine Anwesenheit in Fano am 21. April 1498 (so ist offenbar
Florenz, und wiederum im Juni 1498.
L Kontrakt, in dem Perugino als Zeuge ai
8 zu lesen). Im Januar 1497 ist er noch
Jedenfalls müssen wir in jener Reihe feiner und feiner wiedergegebener Zeichnungen nach Signorelli
ein neues Moment in der Entwicklung Raphaels konstatieren. Ein schwebender Engel mit einem
Reif oder Tamburin in den Händen (Fol. lOb), ein nach links schreitender Hirt, der die Dudelsack-
pfeife bläst, eine wunderschöne Darstellung des Herkules, der dem nemeischen Löwen den Rachen
aufreisst wie Simson,' sind sprechende Beispiele des Übergangs zum perusischen Geschmack. Aber
die Zeichnung der nackten Teile, wie die Behandlung der Gewandfalten erinnern noch vollständig
an Signorelli z. B. an die blumenstreuenden und krönenden Engel in Orvieto. Jener Greif, der uns
als Wappen der Stadt, Raphaels Anwesenheit in Perugia bestätigt, ist in der nämlichen, durchaus
nicht peruginesken Handweise
gezeichnet, aber schon zarter,
echt umbrischer als manche
Studien nach dem Cortonesen.
Hat Raphael bei Perugino
die Behandlung des Bisterpinsels
gelernt, und die weiche Model-
lierung im Sinne der verrocchio-
schen Schule? Sie zeigt sich
zuerst auf den ebengenannten
Blättern, an einem liegenden
Knäblein, das sonst nichts Peru-
gineskes hat (Fol. 2ia), an einem
liegenden Kinderkopf (22 a),
einem segnenden Jesus (24a) und
an den Galeeren, die uns wieder
an den Hafen von Fano erinnern.
Darnach erscheint die
Reihe manierierter Kopieen nach
peruginesken Schulfiguren wie
ein Rückfall in banausische Pedanterie. Ist es Perugino selbst, der den jungen, vielversprechenden
Urbinaten auf diese Weise zum brauchbaren Ateliergehülfen umzustempeln sucht, ^ oder sollen wir
bereits in Manier und Geist dieser Assimilationsübungen die Oberleitung des Pinturicchio erkennen?
Jedenfalls nach einer Vorlage des letzteren sind jene beiden Reiter gezeichnet, deren einer nach rechts
umbiegt, während der andere gradeaus vom Hintergrunde herzukommt. Noch verraten uns die Halb-
monde im Geschirr, dass sie aus Bernardinos Geschichten vom Prinzen Djem in der Engelsburg
1 Dabei muss daran erinnert werden, dass schon Perugino selbst, so eifrig wie Fiorenzo vielleicht, nach Antonio
del Pollajuolo gezeichnet hatte und dem Lionardo nahe gestanden war.
2 Hier wäre stilistisch der einzige Anknüpfungspunkt für den, der die Frage nach Raphaels Teilnahme an den Decken-
malereien des Cambio exakt untersuchen wollte. Ich habe anderweitig wiederholt auf die Unhaltbarkeit des Versuches von
Crowe und Cavalcaselle hingewiesen, wie auf die Eigenart des andern Gehülfen, der an der Decke des Cambio mitgewirkt.
herrühren, oder für die Piccolominifresken in Siena bestimmt waren. Aber die flüchtige Skizze hält sich
offenbar nicht genau an das Vorbild: wo er an den Kopf der Pferde kommt, fängt des jungen
Künstlers selbständige Beobachtung an wie unwillkürlich hineinzuspielen; besonders der höchst lebendige
und anatomisch genaue Kopf des vorderen Gaules sitzt ganz fremd an dem hölzernen Rumpfe. Hier
haben wir nicht die Lehre Signorellis zu erkennen: seine Pferdeköpfe sind miserabel gegen diesen;
auch nicht Peruginos bessere Einsicht: es fehlen uns Beispiele bei ihm. Vielmehr Raphaels persönliche
Eigenart ist es, der Sinn für dies
edelste Tier, den er aus Urbino von
dem berühmten herzoglichen Marstall
mitgebracht, und der ihn unter allen
Umbrern auszeichnet, d. h. den grössten
Maler feuriger Rosse, den diese Zeit
neben Lionardo hervorgebracht, schon
in seinen Anfängen verkündet. In einer
Skizze zum Cartoncino des ersten Fresko
der Libreria zu Siena, welche sich neben
dieser Tuschzeichnung selbst in den
Uffizien befindet,' giebt den Beleg für die
spezifische Beobachtung der nämhchen
Race. Vollends diesen Entwurf mit
Raphaels Handschrift darauf schreibt
nur der nicht dem Schöpfer der beiden
heiligen George in Petersburg und im
Louvre zu, dem die Grenzen des Kunst-
vermögens der Lokalmeister von Perugia
überhaupt verschwimmen.
Ganz florentinische Freiheit atmet
schon die Ausführung der Gruppen
nackter Männer im Streit, die von antiken
Reliefs entlehnt sein könnten, auf den
beiden Seiten eines späteren Blattes von
Raphaels Hand, das zu bequemem Vergleich ebenso in der Akademie in Venedig erhalten ist. Die
Schwierigkeiten, welche die sienesische Marmorgruppe der Grazien dem umbrischen Meister noch
bereitete (Fol. 28a), sind hier vollständig überwunden: die ganze Schönheit antiker Formgebung wird
angeeignet, in den nackten Leibern der Jünglinge wie in dem herrlich bewegten Rosse. Nur ein
Schritt liegt zwischen der Reiterstudie zum Cartoncino des ersten Fresko in der Dombibliothek von
Siena und diesem Kampf des Reiters gegen zwei Fussgänger, und doch, welch ein Schritt! Hat
i No. 505 (vgl. unsere Abbildung), die fertige Kc
. Br. 5K
— 112 —
sich an demselben antiken Vorbild zu Florenz etwa Lionardo zu seinem Kampf um die Fahne
begeistert? '
Die Blätter am Schluss des Skizzenbuches dagegen sind die unerquicklichsten des Ganzen,
und ihnen gegenüber wird man kaum mehr den Eintritt Raphaels in die perusische Künstlersippe
als besonders glückliches Schicksal preisen können. Hier tritt, im Vergleich zu dem unter Signorelli
Erstrebten, allzu deutlich hervor, dass wenig frisches Leben in den Malern des Cambio keimte, dass
vielmehr die ganze triebkräftige Organisation Raphaels, der sicherste Instinkt dazu gehörte, um die
I Vgl. übrigens die ganz im Charakter des Skizzenbuclies gehaltene Nachzeichnung nach einem Kampf des Herakles
mit drei Kentauren, in dem noch die Art des Antonio PoUajuolo deutlich erkennbar ist, Uffizien 494, No. 1476, die wir
abbilden, und dazu die perugineske Bearbeitung der nackten Halbfigur eines Sebastian von PoUajuolo als büssender Hieronymus,
daselbst 56/248 und diesen Büsser unter dem Crucifixus auf Raphaels frühem Bild aus Dudleyhouse.
— 113 —
fruchtbaren Elemente vergangener Tradition vmter dem Wust leerer Formen und Manieren für sich
auszusuchen und zu verwerten.
Zwischen den drei Hauptreihen im Skizzenbuch verstreut deuten nur ganz vereinzelte Spuren
auf Florenz. Es sind etwa vier bis fünf freigebliebene Seiten, die hernach gelegentlich benutzt worden.
Drei Köpfe nach Lionardo da Vinci (Fol. 33a) überraschen am meisten: oben ein kahlköpfiger
Imperatorenschädel, unten zwei karikierte Alte im Profil einander gegenüber. Den oberen dieser
Typen hat Raphael auf einer Zeichnung in Oxford (Br. 15) freier umgestaltet, um ihn endlich in
seinem Fresko zu San Severo in Perugia (1505) als Camaldulenserheiligen auszuführen. Indessen
muss gesagt werden, dass wir verwandten Köpfen auch bei Signorelli z. B. in Orvieto auf der Predigt
des Antichrist unter den Zuhörern rechts, neben dem reichgekleideten Jüngling begegnen. Mehr wie
Vermittelungen zwischen Lionardo und PoUajuolo (durch Signorelli) sehen die Athleten aus, die
nackt und kahlköpfig fast nur in Umrissen mit starker Betonung der Muskulatur gezeichnet sind.
(Fol. 39a 39b 40a 43b vgl. Lionardos Zeichnungen zur Figurenproportion.)
Direkt aus Florenz stammt natürlich die Studie nach dem roten Marsyas, ' der aus altem
Besitz der Medici in die Uffizien gekommen sein muss. Wir finden sie auf der Rückseite eines der
ersten Blätter; der Charakter der Zeichnung erlaubt indess nicht bestimmt genug eine Entscheidung,
ob sie unmittelbar vor dem Originale selbst entstanden ist, oder etwa nach einer solchen Aufnahme
Signorellis kopiert wurde,
III.
Die Einblicke in Raphaels Jugendzeit, welche das Skizzenbuch zu Venedig eröffnet, sind so
entscheidend und der herrschenden Meinung gewiss unerwartet, dass es wol ratsam erscheint, zuletzt
noch einige seiner in dieser Zeit ausgeführten Gemälde vergleichender Prüfung zu unterziehen, um
dem Zweifel gerecht zu werden, ob denn der soeben konstatierte Entwickelungsgang des Zeichners
auch der anerkannten Laufbahn des Malers entspreche? Vielleicht ergänzt die letztere noch einige
Lücken, die sich im ersteren fühlbar machen: werden doch z. B. definitive Entwürfe für Malereien
kaum in einem Skizzenbüchlein von diesen Dimensionen Platz gefunden haben '.^
Vor allem fragt man uns mit Recht, wo bleibt bei dieser neuen Zusammensetzung der Einfluss
des Timoteo della Vite? Passavant hat auf ihn als ersten Lehrer Raphaels hingedeutet; neuerdings
hat es Lermoliefif energischer wiederholt und mit einer erklecklichen Reihe von Belegen zu unter-
stützen versucht. Seinem Hinweis konnten wir mit Vergnügen zustimmen; sein Beweismaterial wäre
zu prüfen. (Mir scheint neuerdings, es wird aus chronologischer Erwägung recht hinfällig werden.)
Die Einführung Signorellis als Hauptfaktor neben Pietro Perugino, welche nach den obigen
Ergebnissen unerlässlich wurde, restringiert schon von selbst die Mitwirkung des Timoteo Viti. Da
wir indessen das alte Schachtelsystem nicht acceptieren, das nur den Aufenthalt im heimatlichen
1 Ich verdanke diese Identifizierung Herrn Konservator Dr. Ad. Bayersdorfer in München.
2 Ich halte deshalb die Erwartung, dass in diesem Taschenbüchlein Studien zu authentischen Gemälden Raphaels
enthalten sein sollten, für eine Verkennung des ganz anders gearteten Zweckes eines solchen gebundenen Buches von so
kleinem Mafsstab. Man fordert zuviel, wenn man den Beweis der Ächtheit davon abhängig macht wie A. Springer.
15
— 114 —
Nest bis 1499 und das definitive Ausfliegen nach Perugia in Betracht zieht, so bleibt uns immerhin
mancherlei Gelegenheit übrig zur Berücksichtigung des seit 1495 in Urbino ansässigen Meisters, der
seine bestimmende Richtung zu Bologna in der Schule des Lorenzo Costa und Francesco Francia
empfangen hat. Wir suchen Raphael um diese Zeit auf der ganzen Linie zwischen Urbino und
Perugia; denn er hat nachweislich, solange er im Atelier Peruginos oder selbständig in Perugia. Citta
di Castello und Umgegend tätig war, mit Urbino in persönlichem Verkehr gestanden und sich
mehrfach in der Vaterstadt aufgehalten, wie wir auch andererseits für spätere Wanderungen nach
Siena, vielleicht gar nach Montoliveto bei Chiusuri, Belege genug besitzen. '
Die Lehrerschaft Timoteos bei dem jungen Sohn des Gio\anni Santi konnte erst 1495 ein-
treten,^ und hat jedenfalls nicht lange gedauert. Neben einem so energischen Meister wie Luca
Signorelli vermochte eine intensiv wie extensiv so wenig ausgiebige Kraft, wie dieser Schüler des
Francia, nicht aufzukommen bei Raphael.
Lermolieffs Urteil über seine Bedeutung als Künstler ist weitaus übertrieben, kein Wunder
allerdings, da er ihn mit manchen fremden Federn zu schmücken weiss. Die Majolikateller im Museo
Correr in Venedig, deren Zeichnungen er ihm zuschreiben möchte, sind nicht in Urbino entstanden
sondern in Faenza und gehören ihrer technischen Behandlung, besonders den Farben nach, frühestens
in die Zeit um 1515 — 25. Selbst wenn die verdächtige Jahreszahl auf einem dieser Teller die Zeichnung
dazu in die neunziger Jahre des Quattrocento zurückdatiert,^ so erkennen wir in den zugehörigen
Darstellungen doch bereits eine Richtung der bolognesischen Schule, welche erst im vollen Zuge
des Cinquecento möglich war und bestimmte Anregungen von der Kunstweise der venezianischen
Terra ferma in sich aufgenommen hat, ja Kompositionen im Geschmack des Giorgione, des Giulio
Campagnola und ähnlicher Oberitaliener arrangiert. Jedenfalls liegt dieser Ausläufer der I'rancia-
schule, welchen die Tellerzeichnungen repräsentieren, vollständig jenseits der Richtung, die Timoteo
bis 1495 in Bologna annehmen konnte; ein flüchtiger Vergleich seiner Formgebung und Gewand-
behandlung auf den beglaubigten Bildern mit denen dieser siebzehn Majoliken sollte genügen, den
Anachronismus klarzulegen. '^
In demselben Bemühen zu Gunsten seines Lieblings hat sich Lermolieff auch einen wirklich
tiefgreifenden Beweis für die Beziehungen Timoteos und Raphaels entgehen lassen, indem er nämlich
1 Den Widersachern der „Beeinflussungstheorie" mag bei dieser Gelegenheit ein treffendes Urteil Rumohrs in
Erinnerung gebracht werden, das der einseitigen Provinzialsperre gilt, mit der man die Kmistgeschichte unlängst wieder
beglücken wollte: „Was sie Schule nennen, ist eigentlich nur Geburtsland; denn ob ein Künstler dieser oder jener andern
Schule angehöre, wird bei ihnen nicht durch Lehre, oder Untei-weisungen in technischen Dingen entschieden, sondern ganz
allein durch den nackten und blofsen Taufschein. Wer diese grobe Handhabe einführt, wo man den Meistern selbst gegen-
über tritt, der ist notwendig ein . . . ungelenker . . . Kopf. Den Gemälden gegenüber will und soll man sehen in welchen
Stücken, in welchen Zeiten und Persönlichkeiten die verschiedenen örtlichen Schulen einander entgegenkommen, mit ein-
ander austauschen, sich gegenseitig berühren oder ganz verschmelzen." (Drey Reisen nach Italien, Leipzig 1832. 12°. S. 285.)
2 Unterm 4. April 1495 verzeichnete Francia die Abreise seines Timoteo aus Bologna.
3 Auf Salomos Götzendienst stehen unter dem Namen SALOMON links auf dem Sockel zwei Buchstaben wie G
und I (oder L) in O ? dazu die ebenso schwer lesbare 14 nebst zwei völlig blass gekommenen Ziffern; Kostüm und Architektur
gehören aber durchweg dem 16. Jahrhundert an!
4 Sie sind neuerdings von Anderson photographiert und werden überall als Ware von Faenza anerkannt.
— 115 —
das Gemälde Apoll und !Marsyas bei Mr. Morris Moore in Rom (jetzt im Louvre) seinem Timoteo
vindiciert. Betrachten wir die Zeichnung zu diesem Bilde in der venezianischen Akademie, ein Blatt,
dessen unbeschreibliche Schönheit in jeder Reproduktion völlig entstellt wird,' so treten uns Elemente,
die unzweifelhaft auf Timoteo zurückgehen, neben andern entgegen, die man gerade bei ihm durchaus
nicht erwarten darf.
Rechts steht der junge Gott in aufrechter Haltung; mit der erhobenen Linken fasst er einen
langen Stecken, stützt den andern Arm in die Seite und blickt mit vornehmer Überlegenheit auf
den eitlen Flötenbläser gegenüber, der auf einem Stein sitzend ganz in sein Spiel vertieft ist. Neben
Apoll zu seiner Rechten, ragt ein schlanker blätterloser Baumstamm empor, während sich zwischen
beiden Figuren eine Flussniederung öffnet, mit einem Hügelkranz und einem Städtchen im Hintergrunde.
Die Komposition zeigt den bolognesisch-ferrarischen Geschmack der Schule des Costa und Francia,
den wir z. B. auf den frühen Stichen des Marc Anton ebenso antreffen; die Landschaft erinnert wol
an Timoteo Viti; die Köpfe jedenfalls zeigen in ihrer kugeligen Schädelform eine Verwandtschaft
mit diesem Meister, die Beachtung fordert: man vergleiche nur die heilige Magdalena in Bologna. '
Aber die Zeichnung der beiden nackten Körper geht völlig aus Timoteos Geleisen heraus, und weist
uns von der glatten, eleganten Formgebung des Francia vielmehr auf florentinische Kenntnis der
Anatomie. Wenn man das Skizzenbuch geprüft hat, muss man auf das Richtige verfallen: es ist
der Schüler des Luca Signorelli, den wir vor uns haben. Die Behandlung der Gelenke, der
Muskulatur, die meisterhafte Beobachtung der Bewegungen, frei von jeglichem Arrangement und
theatralischer Pose, in lebendiger Elasticität erfasst, sprechen deutlich genug für sich selber. Sogar
die eigentümliche Form der Gliedmafsen, der Hände mit dem Spiel der Finger, der Füsse mit dem
starken Ballen der grossen Zehe, verrät ihre Herkunft von dem Cortonesen, mit dem sie auch Pietro
Perugino in einer Periode gegenseitiger Annäherung gemein hat, wie z. B. auf dem grossen Fresko
in Sta. Maria Maddalena dei Pazzi zu Florenz (1493 — 9Ö)- Nicht minder charakteristisch ist die
Behandlung der inneren Teile des Gesichtes und der Haare beim Apoll, wenn auch eine Vermischung
der Schönheitsideale des Luca mit dem des Timoteo bei Raphael ganz natürlich erscheint.
Eine Vergleichung einerseits mit Adam und Eva und den blumenstreuenden Engeln aus dem
Fresko zu Orvieto, nebst dem nackten Jüngling in der Darstellung der „letzten Tage Mosis" in der
Cappella Sistina des Vatikan, sowie andrerseits mit der genannten Magdalena in Bologna und dem
heiligen Sebastian auf dem Brerabilde Timoteos muss die Abrechnung zwischen den beiden Lehrern
und das Facit bei ihrem Schüler klarstellen.
Entscheidend ist endlich Wahl und Auffassung des Gegenstandes: die Erfindung dieser Scene
schliesst sich unmittelbar an den mythologischen Gedankenkreis an, den wir in zahlreichen Blättern
des Skizzenbuches vertreten sahen, und ist ganz im Sinne jener Darstellungen des Luca Signorelli,
wie die Erziehung des Pan und ihresgleichen. Selbst der lange Stecken mahnt als unvermeidliches
Requisit an seine Modelle. 3
1 Braun, Venedig Xo 146.
2 Photogr. Alinari.
3 Man vergleiche nur das genannte Bild im Berliner Museum (Phot. Hanfstängl).
— ii6 —
Den letzten Zweifel an dem Eigentumsrecht Raphaels, welcher bei Beurteilung des Entwurfes
in Venedig noch übrig bleiben könnte, beseitigt die Konfrontation mit dem Gemälde selbst. Bei
der Ausführung in Farben hat eine Metamorphose stattgefunden, welche für unsere Einsicht in
Raphaels Stilentwickelung höchst bedeutsame Resultate ergiebt. Trägt die Zeichnung den Stempel
von Lucas Kenntnissen und von Timoteos Geschmack, so gewahrt man im Bilde eine Annäherung
an die Ausdrucksweise der perusischen Meister. Am auffallendsten ist diese Veränderung im Kopf
des jungen Gottes, der den edelsten und reinsten Typen Peruginos angeglichen ist, zartere Formen,
sorgfältiger arrangiertes Lockenhaar mit einem Knoten über der Stirn bekommen, aber den Kranz
abgelegt hat. Der schlanke Baumstamm ist abgehauen und nur ein Stumpf mit der Leyer Apolls
erinnert noch an gleiche Staffagen auf dem Magdalenenbild Timoteos in Bologna. Zierliche Bäumchen
mit dünnem Laubwerk stehen nach umbrischer Weise im Mittelplan, während Vorder- und Hinter-
grund mit liebevollem Detail geschmückt sind; Pinturicchios Vögel, die vom Falken verfolgt durch
die Luft schiessen, nicht zu vergessen. Nur noch die Landschaft bleibt in der farbigen Ausführung
der Art Timoteos näher; die beiden nackten Leiber stralen in bräunlichem Goldton, warm und
lebendig, wie es nur die vollendete Technik Peruginos ermöglichte. Wie man angesichts dieser
echt peruginesken Malerei noch an Timoteo della Vite denken mag, wird wol allen unbegreiflich
bleiben, denen der Unterschied zwischen Perugia und Bologna als Centralstätten zweier Kunst-
richtungen aufgegangen ist.' Ich wenigstens kenne kein Werk, das ich neben dem bezeichneten
Sposalizio so ohne Zögern Raphael zuweisen müsste als dieses trefflich erhaltene Bildchen, das
von Mr. Morris Moore in den Salon carre des Louvre gewandert ist. Dass überhaupt Zweifel daran
aufgekommen, erklärt sich nur aus der Vergessenheit, in welche die Werke in Cittä di Castello gefallen
sind.^ Man vergleiche doch nur den vortrefflich hingelagerten Adam in der Schöpfung des Weibes
auf jener Kirchenfahne daselbst, die jetzt endlich in die städtische Galerie gerettet worden. Ausser
der Farbe ist doch an dem herrlichen Akt nichts Perugineskes; ebensowenig an dem vornübergebeugten
Schöpfer, dessen Kopf an Giovanni Santi gemahnt, während die Stellung völlig der Art Signorellis
entspricht. Nur die schwebenden Engel zeugen auch in der Zeichnung für einen Durchgang durch
die Schule von Perugia.3
Einen ähnlichen Kompromiss zwischen (bolognesisch)-urbinatischen und peruginesken Elementen
haben wir in dem verwandten Gemälde Raphaels „Der Traum des Ritters" in der Nationalgalerie zu
London, wo sich auch die Zeichnung dazu befindet. In der Mitte, unter einem Lorbeerbäumchen,
schlummert in beinahe sitzender Lage, den rechten Arm auf seinen Schild lehnend, aber ohne rechte
Stütze für das behelmte Haupt, ein junger Ritter, dem im Traum zwei allegorische Frauen erscheinen.
Die Gestalt zu Häupten trägt Schwert und Buch, die zu Füssen ein Blumensträusschen; den Hinter-
grund bildet eine umbrische Gebirgslandschaft, die man am trasimenischen See suchen, oder schon
nach den Aufnahmen des Skizzenbuches erwarten würde.
1 Es ist seitdem sogar für ein Bild des Pietro Perugino selbst gehalten worden!
2 Vgl. unsere Abbildung nach Phot. Alinari der sehr beschädigten Originale, dazu den Umrissstich bei Förster,
Denkm. der ital. Malerei III, 48.
3 Die Skizze zum Gottvater habe ich seitdem auf der Rückseite einer unbezweifelbaren Zeichnung in 0.\ford entdeckt.
(Vgl. unten den Bericht über die Nat. Gall. in London.)
— 117 —
Die Zeichnung, jünglingsmässig wie sie ist, hat noch mehr vom Gepräge Timoteos als die
Ausführung.' Die allegorische Figur zur Linken erscheint timoteisch, wie Lermolieft" richtig bemerkt: die
rundliche Kopfform, die Faltengebung, das kurze bis an die Knöchel reichende Gewand, entsprechen
Gestalten wie jene Magdalena und eine hl. Margaretha im Besitz des Herrn Senatore Morelli zu
Mailand. Auch der Kopf ihrer Rivalin zur Rechten führt auf die nämliche Kunstweise; die Haare
sind ähnlich wie die der Jungfrau auf dem Verkündigungsbild in der Brera arrangiert. Aber schon
das Gewand zeigt fremde Motive, die von Perugia herkommen. Im Gemälde ist diese Gestalt vollends
peruginesk geworden und auch der Typus der ersteren in dem nämlichen Sinne verändert. Ihr
Gewand und der Lorbeerbaum erinnern noch an Timoteo Viti; der Kopf des jungen Ritters ist
bereits von N. Heibig zu dem schlafenden Wächter in Peruginos Auferstehung Christi in Beziehung
gebracht werden. ^ Zeichnung und Gemälde dokumentieren uns demnach einen Übergangsprozess
in Raphaels jugendlicher Kunstentwickelung, wie wir ihn nicht klarer und verständlicher erwarten
können. Die frühe Skizze zum Traum des Ritters gehört neben dem vollendeten Entwurf zum
Marsyasbilde zu den wichtigsten Zeugnissen, die wir ausser dem Skizzenbuch, gleichsam als nötigste
Ergänzungen für das Verständnis dieser Periode besitzen.
Die liebliche Frauengestalt zur Rechten im Gemälde kündigt bereits im voraus ihre Schwestern
im Sposalizio an und mag uns zu einem andern verwandten Bildchen hinüberleiten. Sie trägt einen
auffallenden Schmuck: Perlenschnüre von roten Korallen sind hier um Brust und Taille geschlungen;
„die drei Grazien" bei Lord Ward in Dudleyhouse j sind mit ähnlichen Ketten um Hals und Haar
herausgeputzt, die uns an den nackten Göttinnen um so merkwürdiger vorkommen.
Zu diesem Gemälde liefert uns das venezianische Skizzenbuch nicht sowol den ausgeführten
Entwurf des Ganzen, den wir als verloren betrachten müssen, als vielmehr eine vorbereitende Skizze,
welche direkt vor dem Urbilde, der antiken Marmorgruppe in Siena entstand.
Die nackten Gestalten sind absichtlich in eine flache Landschaft gestellt, um den harmonischen
Fluss der Linien nicht durch fremde Formationen, schroffe Felsen oder aufragende Kirchtürme, zu
stören. Die Gesichter haben bei der Ausführung in Farben vollständig den Typus der gleichzeitigen
Frauenköpfe von Raphaels Hand bekommen und verraten nichts mehr von der antiken Herkunft.
Wenn die Figuren sogar noch etwas gedrungener scheinen als wir sonst bei ihm erwarten, so mag
darin ein letzter Nachklang der Schönheitsideale Signorellis erkannt werden; ein Blick in das
Skizzenbuch erklärt das.
Überhaupt müssen noch manche Elemente, die auch Raphaelkennern in den Arbeiten dieser
Zeit zu schaffen machen, auf ihren Ursprung von Luca Signorelli und Timoteo della Vite zurückgeführt
werden. Man denkt bisher eben nur ausschliesslich Perugino, wenns hoch kommt ein Bischen Giovanni
Santi zu Anfang und vielleicht Pinturicchio am Ende (1503) zu finden; mag es erlaubt sein, wenigstens
einige Ingredienzien aufzuweisen, die der Schüler Francias und der Meister von Cortona hinzugetan.
1 Oder ist umgekehrt, von Timoteo später völlig assimiliert; denn das Bild in der Brera mit den beiden jungen
Heiligen Crescentius und Vitalis neben der Madonna ist viel späteren Datums. Vitalis trägt die breiten Schuhe sog. Kuhmäuler.
2 Zeitschrift für bildende Kunst. VIII, S. 302 ff.
3 Jetzt in Chantilly, Sammlung Duc d'Aumale.
— ii8 —
Am wenigsten beachtet, aber für den allgemeinen Eindruck der Werke oft sehr bedeutsam
sind zahlreiche Gewandmotive, Kostüme u. dgl., die Raphael teils von Timoteo, teils von Signorelli
angenommen und bis in seine florentinische Zeit, ja weiter hinaus beibehalten hat. So steht jene
allegorische Figur zur Linken im Traum des Ritters nicht allein, sondern Mancherlei in der Zeichnung
zum fünften Fresko der Libreria von Siena,^ im Cartoncino zum ersten Fresko daselbst, erklärt sich
nur, aber auch unmittelbar, wenn wir Gestalten von Timoteo wie die heil. Margareta^ und S. Vitalis
in Mailand, sowie das Altarbild in der Sakristei des Domes von Urbino herbeiziehen, oder andrer-
seits Gewänder von Signorelli mit ihren bauschigen Falten und schweren Stoffen als Vorbilder in
Rechnung bringen. Aber es fragt sich stets, wie weit die Chronologie dazu berechtigt.
Darnach sind es die Köpfe mit dem runden, fast völlig halbkugeligen Schädel und dem reinen
Oval des Gesichts, das in ein spitzes vorn etwas abgeplattetes Kinn ausläuft, — eine Lieblingsform
Raphaels, die er auf Anregung des Timoteo, oder
vielmehr nach dem durchgehenden Lokaltypus seiner
Heimat, um diese Zeit ausbildet, und selbst in der ganz
peruginesken Periode nur eine kurze Weile mit der
Atelierschablone Vannucci's vertauscht. Überall wo
keine absichtliche Nachahmung der Manier Peruginos
vorliegt, — welche wir in manchen beim Meister selbst
bestellten und von Gehülfen ausgeführten Arbeiten
entschieden annehmen müssen, — bleibt er diesem
Typus getreu. Wir können ihn beinahe in seiner
Entstehung verfolgen, wenn wir auf die frühesten
Zeichnungen zurückgehen; wenigstens giebt es kein
besseres Mittel den Sinn für das acht Raphaelische
in dieser Jugendepoche zu schärfen als solche Ver-
gleichung charakteristischer Beispiele, welche auch
an sich höchst lehrreich ist. Man lege sich nur den
Kopf des vorderen Fantino in jenem kindlichen Kindermord neben den schematisch behandelten
ersten Reiter auf der florentiner Skizze zum Cartoncino der Reise des Enea Silvio; den zweiten dort
neben den zweiten hier ; dazu den Engel im Berliner Entwurf zur Madonna Terranuova, den Marsyas
in Venedig, den Enea Silvio auf dem Cartoncino der Uffizien und den träumenden Ritter in dem
Bilde der Londoner Nationalgalerie. Dann betrachte man das Portrait mit der Malerkappe im Skizzen-
buch Fol. i8b, das durchaus in der Art Signorellis gehalten ist, und die beiden oberen, fein modellierten
Jünglingsköpfe auf Fol. 13 a, den Pagen dicht hinter Enea Silvio im Cartoncino zu Florenz, endlich
Apoll auf der venezianischen Zeichnung zum Marsyasbilde, den Kaiser und Heinrich Leubing auf
der Zeichnung in Casa Baldeschi zum fünften Fresko der Libreria, — ferner den schwebenden Engel
mit Tamburin (Fol. lob) und die nackten Jünglinge (Fol. 1 1 b) dicht dahinter, und ziehe dann Beispiele
' Publ. in m. Kaph. & Pinturicchio. Taf. VI. (nach <
2 Publ. b. Lermolieff a. a. O. S. 345 und 347.
ner Durchzeichnung i
i Peter Cornelius).
von den Lehrern, wie Signorelli's strammen Söldling hinter dem falschen Totilas zu Montoliveto
nebst dem heiligen Sebastian Timoteos aus der Verkündigung in Mailand heran. ' Zu einer ähnlichen
Vergleichung fordern die Frauenköpfe des Skizzenbuches (Fol. 17 b), eine Madonna mit dem schlafenden
Kinde, die Köpfe der Grazien auf dem Gemälde und auf der Skizze, die allegorischen Erscheinungen
im Traum des Ritters, die Hofdamen der Eleonore von Portugal in der Zeichnung der Casa Baldeschi,
sowie die Madonna Connestabile und andere Marienbilder dieser Zeit heraus.
Ausser dem Kopf sind es dann die Hände, die in ihrer allgemeinen Form und momentanen
Bewegung beachtet sein wollen. Lermolieff macht mit Recht auf das breite viereckige Metacarpium
mit verhältnismässig kurzen Fingern aufmerksam, das Raphael mit Timoteo Viti gemein hat. Er
giebt die Hand des träumenden Ritters als Beispiel; man lege sich daneben jene spezielle Hand-
studie neben den Modellfiguren zu musizierenden Engeln auf einem köstlichen Blatte zu Oxford,
welche fi.ir die Krönung Mariae im Vatikan bestimmt waren, ferner die Hand des Heinrich Leubing
auf dem Entwurf in Casa Baldeschi zu Perugia und die des Engels mit Tamburin im Skizzenbuch.
Die Hand mit dem weitabstehenden, ganz gestreckten oder leise gekrümmten kleinen Finger lässt sich
ebenso von Timoteos hl. Vitalis und Margaretha zu den Oxforder Engeln, zur Krönung des hl. Nicolaus
V. Tolentino in Lille, sowie zu Heinrich Leubing und zu Adam in der Erschaffung Evas auf der
Kirchenfahne in Cittä di Castello verfolgen. Eine andere Reihe bilden: die Hand der allegorischen
Figur mit dem Schwert im Traum des Ritters, die des Pagen hinter Enea Silvio im florentiner
Cartoncino und andere im Skizzenbuch wie auf Gemälden Raphaels vorkommende Stellungen. Auf
dem Entwurf zur Madonna Terranuova in Berlin haben wir die kleine breite fleischige Hand, die von
Timoteo stammt, beim Johannisknaben, neben der grossen, langfingrigen steifgestellten, die auf Luca
Signorelli zurückweist, unmittelbar neben einander. Auch die Finger der Madonna Connestabile, auf der
Rückseite desselben Blattes werden durch die übermässigen Vorderglieder und breiten Nägel entstellt.
Die Fingerstudie auf dem Oxforder Blatte betont in auffallender Weise die Muskelbänder zwischen
den Gelenken; sie sind gleichsam unter der Haut angedeutet. Dasselbe findet sich in zahlreichen
Blättern des Skizzenbuches besonders in den Reproduktionen der berühmten Männer aus dem Studio
de ritratti in Urbino, sowie in den Kopieen nach Signorelli, — ein Fingerzeig, woher Raphaels Sinn
für anatomische Richtigkeit erwachsen war.
Ist es doch dieses Streben nach Naturwahrheit, das man als sicheres Merkmal Raphaelischer
Arbeit während der peruginesken Periode bezeichnen muss. Selbst bei geflissentlicher Nachahmung
der Gefühlsmasken, welche das Atelier Peruginos damals lieferte, erkennen wir überall den gewissen-
haft erzogenen Sohn des Giovanni Santi, dem unter Signorellis Anweisung das Verständnis der
menschlichen Körperformen aufgegangen war, so dass er seitdem keine Figur hinstellte ohne sich
über jede Bewegung angesichts der Natur Rechenschaft zu geben. Sowol im Skizzenbuch als in
anderen Zeichnungen tritt uns ein fortgesetztes Studium am nackten oder leicht bekleideten Modell,
meistens von Knaben und Jünglingen entgegen. Kein Wunder, dass sich solche Nachwirkung
1 die Adepten der neuesten Chiromantie und Oto-
i, wie die der Madonna mit dem geigenspielenden
:<echnung Lermolieffs gerade um!)
I Diese Aufforderung zur Koi
Sequenz richtet
sich besonde
gnostik. (Die spätere Entstehungszeit a
ich dieses Bilde
von Timote
Engel nebst S. Crescentius und S. Vita
is dreht aber die
chronologisc
Signorellis auch in ausgeführteren Arbeiten dieser Zeit verrät. Im Anschluss an die Modellstudien
zu Engeln in Oxford und zu Christus mit der Jungfrau in Lille für die Krönung Mariae, sowie an
jene Figuren einer Auferstehung, ebenfalls in Oxford, dürfen wir die Knappen auf dem Stafifel-
bildchen der „tre Re Magi" und die vorzüglich bewegte Gestalt des stabbrechenden Freiers, rechts im
Sposalizio hervorheben. Zu diesen aber gehören notwendig die prächtigen Reiter auf dem Entwurf
zur Reise des Enea Silvio, im Gang der Uffizien zu Florenz, und der ihnen voranschreitende Piken-
träger, dessen Beine uns auf mehrere Blätter des Skizzenbuches zurückweisen. Den Letzteren haben
zweifellos Vorbilder von Luca Signorelli selbst zu Grunde gelegen, und eben jene Arbeiten Raphaels
für Pinturicchios Fresken in Siena, deren nahe Verwandtschaft mit dem Sposalizio in die Augen
fällt, führen uns abermals direkt auf einzelne Figuren Signorellis. Ich meine jene Landsknechte auf
einer Skizze Raphaels in Oxford,' welche für das Fresko der Dichterkrönung bestimmt waren, und ihre
Genossen auf der Zeichnung in Casa Baldeschi zu
Perugia, welche die Begegnung Kaiser Friedrichs III.
mit Eleonora von Portugal darstellt. Die zeugungs-
kräftigen Urbilder dieser Figuren sind Signorellis
Prachtexemplare auf den Totilas-Fresken zu Monto-
liveto Maggiore. Wir finden sie fast alle ganz ähnlich
oder in geläufigen Variationen, im selben Sinne oder
von der Gegenseite wieder. Dieselben Landsknechte
haben auch in dem letzten grossen Fresko in Siena,
über dem Eingang der Libreria im Dom, ausgiebige
Verwertung gefunden. Die Masse der Zuschauer
bei der Krönung Pius III. wird von der Schweizer-
wache in Ordnung gehalten: eine Scene, deren
Ausführung, im Gegensatz zu dem oberen, von
Pinturicchio selbst gemalten Teil, die Beihülfe des
Eusebio di San Giorgio erkennen lässt.'' Wie weit
die Beliebtheit und Verbreitung dieser Gestalten von Signorelli reichte, bezeugt uns auch die grosse
Passion Albrecht Dürers, wo Herm. Grimm auf dem Eccehomoblatte ganz rechts am Rande einen
Söldling gewahrt hat, der augenfällig genug auf Seinesgleichen in den Totilasfresken zu Montoliveto
zurückweist; 3 dies ist wenigstens der nächstliegende Schluss, da Signorellis Fresko 1497 entstand
und wir von der Holzschnittfolge Dürers nur das Datum der Publikation 15 10 wissen.
Genug, der durchgreifende Einfluss Signorellis, den wir im Skizzenbuch vorfanden, verrät sich
auch in anderweitigen Arbeiten Raphaels aus dieser Zeit mit hinreichender Bestimmtheit. Die
1 Bei Ottley, Itali
2 Es ist wol die;
Goldgulden zu zahlen.
3 Nur die Beinstellu
Wandgemälde in der Cap. Si
Christi in Morra.
School of Design, u. Fisher, Facsimih
Leistung, für welche Pinturicchio siel
> 11, s.
1506 veqjflichtet dem Eusebio hundert
ist dem Platze gemäss verändert. Bei Signorelli haben wir übrigens bereits auf dem
na zu Rom, also 1483, ganz ähnliche Gestalten zu konstatieren. Sonst vgl. die Geisselung
Verwandtschaft der Typen, wie einzelne Handgriffe und Gewohnheiten, leiteten zugleich auf frühe
Unterweisung durch Timoteo Viti, jedenfalls auf wiederholte Berührung mit ihm in Urbino. Nehmen
wir dazu die Tradition, welche Raphael im Atelier Peruginos und in persönlichem Verkehr mit
diesem einstigen Schüler des Verrocchio sich aneignete, endlich noch jene kontraktliche oder freund-
schaftliche Abhängigkeit von Bernardino Pinturicchio, welche an anderer Stelle erörtert worden sind,
so haben wir eine Reihe beisammen, welche die wichtigsten Elemente für Raphaels Jugendbildung
enthält. Daraufhin eine sorgfältige Analyse vorzunehmen und eine offenbar, je nach den Oscillationen
der eigenen Produktivität, variable Synthesis zu konstatieren, scheint die einzige adäquate Auffassung,
welche dem vorliegenden Material — das wir glücklicher Weise für Raphaels Werden besitzen —
gerecht zu werden vermöchte. Es würde doch jedenfalls mehr befriedigen, wenn ein organisches
Gebilde aus den hier bezeichneten Elementen an die Stelle jenes unbeschreiblichen liebenswürdigen
Etwas träte, das man als einziges untrügliches aber völlig subjektives Erkennungszeichen der Jugend-
werke Raphaels immer noch hinstellt.
Sind wir mit den obigen Andeutungen, die ja keineswegs den Anspruch abgeschlossener
Forschungsresultate erheben, nicht gänzlich auf Abwege geraten, so wird aus alledem wenigstens
soviel erhellen, wie tief die Frage nach der Echtheit des Skizzenbuches in Venedig in die wichtigsten
Angelegenheiten der ganzen Jugendgeschichte Raphaels eingreift, wie zahlreiche Beziehungen
zwischen diesen Blättern und seinen anerkannten Arbeiten, Gemälden wie Zeichnungen, hinüber und
herüber spielen. Möchte mit dem Nachweis dieser Zusammengehörigkeit nur das eine erreicht werden,
das wir beantragen wollten, nämlich eine gründlichere Prüfung und methodische Umarbeitung dieses
bedeutsamen Abschnitts in Raphaels Leben. '
I Mit diesem Aufsatz vgl. Crowe und Cavalcaselles Raphael, bis life and works. London 1882. (Die deutsche
Übersetzung 1883), und meine Recension in den Göttinger gelehrten Anzeigen, 8. August 1883, p. 1003 — 1012.
ITALIENISCHE MALERSCHULEN
IN DER
LONDONER NATIONALGALERIE
Die Nationalgalerie zu London hat soeben eine durchgreifende Umgestaltung erfahren, die
uns wol veranlassen darf, ihre Räume wieder einmal zu durchwandern. Statt der engen dunklen
Seitengänge, die bis vor kurzem links zu den englischen, rechts zu den ausländischen Gemälden
führten, öffnet sich jetzt in der Mitte ein prächtiges Vestibül mit breiter Treppe, hell und festlich
den Zugang zu allen Teilen gewährend. Eine Reihe von neuen Sälen ist hinzugekommen, darunter
mehrere mit Oberlicht, so dass die Aufstellung des gesamten Bestandes erweitert werden konnte.'
Vor allen Dingen aber hat man sich auch hier entschlossen, die Sammlung so genau wie möglich
nach Lokalschulen zu ordnen, wie es in unseren Hauptgalerien in Deutschland, besonders in München,
in Berlin, in Dresden mit glücklichstem Erfolg geschehen ist. Diese kunsthistorische Organisation
vollendet eigentlich erst den monumentalen Charakter des Ganzen; denn sie giebt dem Beschauer
überall das Gefühl eines innerlichen, dem Wesen der Sache entsprechenden Zusammenhangs.
Während sonst der Fachmann, der bestimmte Studien verfolgte, sich genötigt fand, hier und
da herumzusuchen, und der Emsigste zuweilen, um Verwandtes vergleichen zu können, unstät hin
und her lief, — mochte dem Laien, der aus dem Gewühl der Londoner Strassen nicht mit voller
Gemütsruhe eintrat, wol zu Mute werden wie in den show-rooms irgend eines grossen Geschäftes,
wo die Waren aus aller Herren Ländern ausgebreitet liegen. Jetzt mag man sich getrost dem Ver-
lauf der Räume überlassen, ohne vorgefassten Zweck nur aufzunehmen, was sich darbietet: man wird
überall den Anblick wolgeordneter Gruppen empfangen und muss Verständnis gewinnen für das
Gemeinsame, das sie verbindet, wie für die Unterschiede, die sie trennen. Das Bewusstsein einer
sichern Einheit, die auch Gegensätze umspannt, wird mehr oder minder deutlich in allen Beschauern
hervorgebracht und verleiht dem Institute nach aussen die Geschlossenheit und Selbständigkeit, die
wir anerkennen.
Die englische Nation besitzt nun wirklich eine Gemäldegalerie, die sich den ersten der Welt an
die Seite stellen darf. Gehört sie auch nicht zu den glänzendsten, wie Florenz im Palazzo Pitti, Paris
' Dieser Aufsatz erschien in der Nationalzeitung, Berlin 19. — 26. August 1
im Louvre und unser Dresden sie aufzuweisen haben, so steht sie an Vielseitigkeit des Vorhandenen,
an Gediegenheit jedes einzelnen Stückes und an geschickter Auswahl des Erworbenen wol einzig da.
Sie zählt deshalb zu den lehrreichsten Sammlungen, wie die Uffizien zu Florenz oder unsere Berliner
Galerie, mit der sie das Schicksal teilt, erst eine moderne, verhältnismässig sehr junge Anstalt zu
sein, die mit allen Schwierigkeiten des heutigen Kunsthandels zu kämpfen hat. Manche Lücken
können, wenn überhaupt, nur ganz allmählich, oft nur bei zufälliger Gelegenheit ausgefüllt werden.
Kein Wunder, wenn auch die neue Anordnung dem Kundigen zu wünschen übrig lässt. Man
vermag eben die Räume nicht jedesmal nach dem zeitweiligen Bestand dieser oder jener Schule zu
schaffen, nicht jeder Gruppe von Meistern ihr eigenes kleines Reich im Ganzen anzuweisen, oder es
gerade dorthin zu verlegen, wo man es der geschichtlichen Entwickelung gemäss am liebsten eingefügt
sähe. Eins aber ist geradezu beneidenswert in dem gegenwärtigen Zustand der Londoner Galerie:
die Säle sind, wenn auch nicht gerade besonders hoch, doch so gross, dass die Wände nicht von
oben bis unten mit Bildern behängt zu werden brauchen; es bleibt fast überall genügender Raum
ringsum, und das Auge vermag auszuruhen, sich zu neutralisieren, ehe es zum nächsten übergeht.
Das ist ein ungemeiner Vorzug. Es sichert nicht allein dem Ganzen den Eindruck vornehmer Ruhe,
umfassender Klarheit, sondern auch dem Einzelnen die Wirkung, die es für sich auszuüben vermag.
Es fehlt in den neuen Räumen nicht an Schätzen, die wir das erste Mal begrüssen, aber auch
manches lange vorhandene Stück ist erst jetzt zur vollen Geltung gelangt.
I.
Die toskanischen Meister sind es mit Recht, die den Eintretenden empfangen: den Florentinern
und ihren nächsten Angehörigen hat man die ersten Säle eingeräumt, und Lionardo da Vinci,
Michelangelo Buonarroti und Andrea del Sarto sind die Höhepunkte, denen wir zustreben. Hier
sehen wir die Vorgänger dieser Grossen beisammen, aus denen die Vollender hervorgewachsen, und
ein Paar Nachfolger daneben, die das Erworbene weiter ausgebeutet. So begegnen uns Fra Filippo
und Pesellino, Botticelli mit Filippino Lippi, Piero di Cosimo, Pollajuolo und Verrocchio, Lorenzo
di Credi neben Lionardo da Vinci, aber auch Pontormo und Bronzino, ja Marcello Venusti neben
Michelangelo. Ridolfo Ghirlandajo ist durch die grosse Kreuztragung aus dem Palast Antinori
vertreten, aber wir entbehren seinen so viel bedeutenderen Vater Domenico. Auch Franciabigio
fehlt nicht als Genosse des Andrea del Sarto; doch zur Vorbereitung auf diesen bietet sich nur ein
kleiner Albertinelli an, während die Erwerbung eines würdigen Fra Bartolommeo noch zu hoffen
bleibt. Das zweite Zimmer, an der einen Seite dieses Oberlichtsaales, enthält die Werke des Fra
Angelico und Benozzo Gozzoli und einige frühe Sienesen, wie Duccio, Lorenzetti bis zu Matteo di
Giovanni und Benvenuto di Siena, von denen die trefflichsten Stücke aus dem Munistero di Siena
gekauft worden, und als letzter Girolamo del Pacchia, der in jener Gegend die Kunst [des Fra
Bartolommeo, ja der Florentinischen Madonnen Raphaels verwertet. Auf der anderen Seite bringt
das dritte Zimmer noch mehrere Bilder von Fra Filippo, Botticelli, Filippino und das Reitertreffen
von Paolo Ucello, während das anstossende vierte Gemach die Anfänge der Florentinischen Malerei
im Trecento, ja bis auf Margaritone d'Arezzo zurückverfolgen lässt.
Wer aber den Hauptsaal der florentinischen Meister durchschreitet, gelangt im nächsten
Oberiichtraum zu der umbrischen Abzweigung, wo wir aus Piero della Francesca und Melozzo da
Forli und Signorelli auf der einen Seite, aus Pinturicchio und Perugino auf der andern die Kunst
Raphaels erblühen sehen.
Zuvor jedoch mag es vergönnt sein, bei einzelnen, besonders interessanten Gemälden noch
einen Augenblick zu verweilen. Da ist sogleich zu Anfang ein abgenommenes Fresco von Domenico
Veneziano, das sich früher an einer Strassenecke in Florenz befand, eins der wenigen erhaltenen
Werke dieses Meisters. Zwei Köpfe von Heiligen, die zu demselben Tabernakel gehörten, waren
schon früher in der Galerie ausgestellt, das Mittelstück mit der thronenden Madonna in ganzer Figur
und dem segnenden Gottvater in starker Verkürzung zu ihren Häupten, ist dann von dem Karl of
Crawford and Balcarres geschenkt worden. Es ist eine majestätische Frauengestalt, mit langem
Oberkörper, ganz von vorn gesehen, die mit den langen spitzen Fingern ihrer weichen Hände das
Christkind, nackt und gerade stehend, auf dem Knie hält. Vor diesem Fresco, das allerdings beim
Übertragen auf Leinwand etwas gelitten hat, begreift man erst, das Domenico Veneziano der Lehrer
des grossen Piero della Francesca gewesen, nnd macht sich beim Anblick dieser Modellierung des
Fleisches, ja dieser spiegelnden Scheiben als Heiligenscheine klar, wie viel von seinem Realismus
der Meister der Perspektive und der Schattengebung bereits als Erbteil von diesem Lehrer
empfangen mochte.
Zu den Lieblingsmeistern unter den Florentinern des Quattrocento gehört Sandro Botticelli,
den man in mancher Beziehung hier vortrefflich kennen lernen kann. Die lagernde Venus mit den
spielenden Amorinen, die sie mit Rosen überschütten, ist noch befangen und unfrei; voll eigenartiger
Poesie, aber doch wol schwerlich sein Eigentum. Dann die wunderbare Darstellung der heiligen
Nacht, wo in einsamer Hütte der verheissene Erlöser geboren wird, und in dem Dunkel ringsum
die Engel sich umarmen, sich vor Freude küssen und den jubelnden Reigen durch die Lüfte schlingen
(v. Jahre 1500). Das ist die Schwärmerseele, die sich in Dantes Dichtung vertieft. In seiner eigenen
Kunst am grössten erscheint er jedoch in der Anbetung der Könige, die sicher ihm und nicht
Filippino Lippi gehört, von dem hier wol nur ein Gemälde desselben Gegenstandes vorhanden ist.
Dies Rundbild ist eine der reichsten Kompositionen, wo sich die Verehrung der Weisen aus dem
Morgenland durch die Fülle ihres Gefolges zu einer glänzenden Huldigung gestaltet, — jener
rührenden Cantate des „Gloria in excelsis" gegenüber eine rauschende Festouverture mit dem ganzen
Pomp des feierlichen Hochamts.' Ein Werk, das die Eindrücke seiner römischen Zeit verrät und
den Fresken der Cappella Sistina, besonders der Tempelscene mit der Versuchung Christi, in deren
prächtiger Entfaltung uns ebenfalls so viele Züge an Filippino^ gemahnen, auch zeitlich nahe steht,
ist dann erst das grosse Breitbild mit der Anbetung der Könige, das sich in St. Petersburg befindet.
Die beiden Darstellungen desselben Gegenstandes von Sandro Botticelli in London bilden mit dem
1 Es ist seither von Ulmann mit Recht als das Exemplar der Familie Pucci bestimmt worden.
2 Nach diesem Wortlaut des sonst mehrfach benutzten Aufsatzes kann ich bei Ulmann, Botticelli S. 97 i
Lapsus memoriae annehmen. Ihm war auch aus Vorlesungen meine Überzeugung von Filippinos Anteil in dt
nicht unbekannt.
— 125 —
Kleinod der Uffizien und dem von Vasari ausdrücklich erwähnten römischen (in Petersburg) eine
ausserordentlich wichtige Reihe für die Geschichte der Komposition.
Vor wenigen Jahren erst ist das umfangreichste Stück aus der Sammlung Hamilton erworben
worden, von dem uns Vasari ausführlich zu erzählen weiss. Es ist eine Krönung Marias in Gegen-
wart aller Heiligen des Himmels, die in koncentrischen Bogenreihen geordnet, von Engeln belehrt,
den Vorgang bewundern, während drunten am leeren Sarkophag, aus dem Lilien sprossen, die
Apostel versammelt stehen, und das Stifterpaar, Matteo Palmieri und seine Frau, in weiter Land-
schaft knieen, in deren Hintergrund eine Ansicht von Florenz mit der vollendeten Domkuppel
Brunelleschis sichtbar wird. Vasari berichtet, es sei für S. Piero M-aggiore gemalt worden, aber
bald aus der Kirche entfernt, da die Geistlichkeit Einsprache gegen die Insassen des himmlischen
Amphitheaters erhob. Seitdem gilt es als wolbeglaubigtes Werk des Botticelli, und noch Crowe
und Cavacaselle rühmen es als eins der „lebensvollsten und hervorragendsten seiner Gemälde". Ganz
neuerdings erst hat Direktor Bode darauf aufmerksam gemacht, dass es mit einem Altarwerk in
Berlin und einem Cosimo Rosselli zugeschriebenen, der National-Gallery selbst, zusammengehört und
nebst anderen Stücken einem Meister zuzuweisen sei, dessen Name er noch nicht herausgefunden.'
Ich muss dieser Ansicht beistimmen und glaube auch den Maler nennen zu können. Besonders das
Altarwerk der National-Gallery, das unter Cosimo Rossellis Namen leider nicht im selben, sondern
im gegenüberliegenden Seitenraum hängt, hat mich schon früher an ein nah verwandtes Bild in
Empoli erinnert. Dort sehen wir in ganz ähnlichem altem Rahmen zu den Seiten einer Mittel-
nische, die für eine Statue des Erlösers bestimmt war, die langen schlanken Figuren Johannes
des Täufers und des Apostels Andreas, und unten eine figurenreiche Predella mit dem Abendmal
und den Martyrien der beiden obigen Heiligen. Die Typen, die Gewandung, wie die ganze Tempera-
malerei haben die grösste Übereinstimmung mit dem Altarwerke der National-Gallery, das aus
Fiesole stammt. Es zeigt in der Mitte in besonderer Umrahmung statt der Nische den büssenden
Hieronymus, zu den Seiten je zwei Heilige und in kleinen Figuren den knieenden Stifter Girolamo
Rucellai mit seinem Sohn. Mit Hülfe dieser beiden Bilder und anderer Stücke, z. B. zwei Engeln
und einer Verkündigung, die sich ebenfalls in der Collegiata zu Empoli befinden, ist die Zusammen-
gehörigkeit mit dem sogenannten Rossi-Altar in Berlin und der grossen Krönung Marias in der
National-Gallery schlagend nachzuweisen. Nun aber ist der Johannes-Altar in Empoli ein beglaubigtes
Werk des Francesco Botticini, von dem wir noch andere Bilder z. B. in einer Bruderschaftskapelle
in Via Romana zu Florenz besitzen. Zu den Werken Francesco Botticinis, die nur durch unmittel-
baren Verkehr mit Andrea del Verrocchio erklärt werden können, rechne ich besonders das Altarwerk
der Capp. Capponi im Kreuzarm von S. Spirito mit S. Monica und 12 Nonnen, wie das unter
Verrocchios Namen im Saal der Toskaner ausgestellte Altarwerk in den Uffizien. Volle Verant-
wortlichkeit des Verrocchio selber erscheint dagegen notwendig bei dem Drei-Engel-Bilde der
Akademie, das Bayersdorfer auf Verrocchio getauft hat, und bei der Geburt Christi in der Gall. zu
Modena. Dies also ist der Name des Meisters, den wir suchen, und die Ähnlichkeit der Namen
■ Jahrbuch der k. preuss. Kunstsammlungen 18:
— 126 —
Botticini und Botticelli erklärt zugleich die Verwechselung beider bei Vasari. Gehört aber unserm
Francesco Botticini diese ausgedehnte Krönung Marias, deren Wert durch den geringeren Namen
nicht herabgesetzt werden kann, so hat dieser Künstler doch seine Geschichte gehabt und eine
Entwicklung durchgemacht, die wol etwas genaueres Studium verdient. Ich will nur auf eins
hinweisen: es besteht eine sehr enge und aufiallende Gemeinschaft zwischen den Typen seiner
Heiligen und Engel, die hier der Krönung Marias beiwohnen, und zwischen den Propheten und
Sibyllen andererseits, die als eine der frühesten Folgen in der Geschichte des Kupferstiches zu
Florenz eine so wichtige Rolle spielen. Spricht man die Krönung Marias, wie gewiss mit Recht noch
andere Werke, dem Botticelli ab, um sie dem älteren Meister Botticini zurückzugeben, so darf
auch nicht vergessen werden, welcher Einfluss dann diesem Älteren auf Botticelli beizumessen ist.
Sandros eigene Art, wenn auch kaum seine eigene Hand, glauben wir hier eher in einem
reizenden kleinen Bildchen zu erkennen, das nur als unbekannter Florentiner des 15. Jahrhunderts
gilt. Es stellt den Kampf zwischen Amor und Castitas dar: der junge Liebesgott, ein schlanker
Florentinischer Jüngling, verfolgt mit Bogen und Pfeilen die spröde Jungfrau, die sich mit einem
Schilde schützt, [an dem die Geschosse zersplittern. Das fliehende Mädchen gehört noch nicht zu
den allbekannten Lieblingstypen Botticellis, aber desto bestimmter offenbart die Zeichnung des
jungen Gottes, der eher einem Apoll gleicht, und die Landschaft mit den kleinen Bäumchen bis in
die einzelnen Blätter hinein, ja die Goldschmiedsarbeit des Schildes den Geschmack und die Eigenart
Sandros selbst. Es ist ein hübsches Beispiel mehr, wie die Stoffe antiker Mythologie und daran
anschliessender Gelehrsamkeit sich in der Phantasie dieses romantischen Renaissancekünstlers gestalten.
In dieselbe Kategorie reiht sich eine andere Darstellung, Apoll und Daphne, die lange verkannt,
mittlerweile als ein sehr bezeichnendes Werkchen Pollajuolos gegeben wird. Daneben darf es
Verwunderung erregen, dass unter den Bildern, die sonst als Pollajuolo aufgeführt sind, noch immer
keine Scheidung eingetreten ist, während die allgemeine Überzeugung der besten Kenner einen
Teil für Andrea del Verrocchio in Anspruch nimmt. Man hat es hier doch nicht mehr mit
den wechseinen Meinungen der Kritiker, sondern mit Resultaten der Wissenschaft zu tun, mit denen
gerechnet werden muss. Von Pollajuolo und zwar meines Erachtens nicht von Antonio, sondern
von Piero gemalt, besitzt die National-Gallery nur noch das grosse Martyrium des heiligen Sebastian
(voll. 1475).^ Dagegen ist der Engel Raphael mit dem kleinen Tobias ein eigenhändiges Werk des
1 Dass Piero dies Bild gemalt, bezeugt auch Francesco Albertini (1510). Die Komposition dagegen, besonders die
Zeichnung der kühn verkürzten Figuren des Heiligen oben und der Schützen vorn, wird wol dem Antonio beizumessen
sein, der nach seinem eigenen Zeugnis (im Briefe an Gent. Virginio Orsini) viel mit seinem Jüngern Bruder zusammen
gearbeitet hat. Für die Auseinandersetzung zwischen beiden Meistern darf also jedenfalls diese Kategorie brüderlicher
Gemeinschaft nicht aufgegeben werden. Da Antonio 1429, Piero erst 1443 geboren ist, wird während der sechziger Jahre
besonders der Anteil des Altern überwiegen, wie z. B. am Bilde in S. Miniato. Unter den Tugenden der Mercanzia (in
den Uffizien) zeigen die Prudentia und die Justitia den Charakter Antonios, Temperantia und Fides den Pieros, während
Spes und Caritas in der Mitte bleiben, d. h. wol von Antonio entworfen, von Piero ausgeführt sind. Dann folgt das
Londoner Bild von 1475 ""^ die Verkündigung in Berlin, die nicht weit vor 1480 datiert werden darf, wie das Relief am
Silberaltar von S. Giovanni. Von 1483 ist das bezeichnete Bild Pieros in S. Gimignano mit der Krönung Marias. Zur
Unterscheidung wichtig ist auch die Herkunft von zwei verschiedenen Lehrern. Vasari nennt Andrea del Castagno als
den Meister Pieros, aber die Chronologie widerspricht ihm: Castagno ist 1457 gestorben, da Piero erst 14 Jahre zählte.
— 127 —
Verrocchio und unter den Augen dieses Meisters entstand gewiss auch das liebliche, für die
Empfindung Peruginos und das Verständnis Lionardos so ungemein wichtige Madonnenbild mit den
beiden Engeln. Cavalcaselles Vorschlag, Lorenzi di Credi, den Lieblingsschüler Verrocchios, als den
Autor der Malerei anzunehmen, darf immerhin bestehen bleiben; aber es muss doch als geistiges
Eigentum des Meisters selber betrachtet werden und als eine Äusserung seines intimsten Wesens
zur Zeit der innigsten Vertrautheit mit Lionardo.
Brauchen wir doch diese Kenntnis Verrocchios unmittelbar, wo wir uns Lionardos „Madonna
della grotta" gegenüber befinden. Zwischen zackigem Felsgeklüft, wo auf feuchtem Moose die
wunderreichen Alpenkräuter spriessen und durch ein zackiges Bogentor im Gestein ein kühler Luftzug
von den blauen Bergen hereinströmt, hat Maria mit dem Kleinen eine Zufluchtstatt gefunden, und
ein Engel macht den schützenden Gefährten und den erheiternden Gespielen, wo die Mutter allein
verzagen mag. Die Malerei ist ungleich, die zarteste Vollendung der Figuren und der Vegetation
erzählt, dass die Felspartie und die Ferne nur derb und obenhin dazu gemalt worden, wenn auch in
dem beabsichtigten Ton.' Man mag den Seeleninhalt der Gruppe geniessen, ohne sich um das
Beiwerk allzuviel zu kümmern.
Ohne die Kenntnis Verrocchios ist eben so wenig auszukommen, wenn wir Michelangelos
Jugendwerk in diesem Saal betrachten. Das Christuskind auf dem Schofse der Maria, der kleine
Johannes, der sich verehrend anschmiegt, verraten in der Körperbildung wie in der Gewandung
die Herkunft von der Kunstweise dieses Meisters, der im letzten Drittel des Quattrocento als Lehrer
der ganzen Florentinischen Künstlergeneration dasteht. Das zweite Gemälde Michelangelos, eben
so unvollendet wie das erste, leitet dagegen zu seinen Nachfolgern über. Es ist die Bestattung
Christi, wo der Leichnam an allerlei Bandagen möglichst frei in der Schwebe gehalten wird zwischen
aufrechtem Sitzen und Stehen. Hinten rechts sieht man die Grabkammer im Gebirg, wohin man ihn
tragen will. Gewöhnlich wird dies Werk unrichtig datiert. Lünettenbilder in der Sistina haben die
nächste Verwandtschaft.
Verrocchios Gemälde, und gerade die Madonna mit dem Granatapfel und den beiden Engeln,
gewähren auch die beste Vorbereitung für das Verständnis der umbri sehen Schule. Im nächsten
Zimmer begegnen wir nun freilich erst den Ferraresen, von Cosimo Tura bis Garofalo und Dosso;
aber wir lassen dies Einschiebsel vorerst bei Seite, um den Zusammenhang zwischen Florenz und
Umbrien festzuhalten.
* *
II.
In Florenz empfing seine künstlerische Bildung der erste Maler, der in dem neuen Oberlichtsaal
der Umbroflorentiner genannt werden muss. Piero della Francesca ist ein Schüler des Domenico
Veneziano, dessen grossartiges Madonnenfresko wir vorhin betrachtet. Pietro, eigentlich dei Franceschi,
Wol aber passt die Beziehung zu Castagno, besonders zum Fresko des Gekreuzigten mit vier Heiligen (in S. Matteo), für
Antonio dal Pollajuolo, während Piero ebenso aus den frühen Werken des Baldovineti (Verkündigungsengel in dem Uffizien-
bilde) herausgewachsen scheint. Dies auch als Anmerkung zu Ugolino Verinis Versen.
I Das Bild im Louvre ist jedenfalls eine frühere Redaktion.
— 128 —
aus Borgo San Sepolcro im oberen Tibertal gebürtig, hat in der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts von seiner Heimat bis nach Rom und auf der anderen Seite von Ancona bis Ferrara
hinauf einen bedeutsamen und segensreichen Einfluss ausgeübt. Ausser Arezzo, wo seine grossen
Wandmalefeien erhalten sind, wüsste ich keinen Ort, wo man sich eine bessere Vorstellung von ihm bilden
kann, als in der National Gallery. Keine andere Sammlung besitzt so wichtige Stücke seiner Hand.
Das bedeutendste ist die Taufe Christi mit den schönen drei Engeln, die in schlichtem Gewand mit
Kränzen auf dem Haupt wie die Grazien gesellt unter einem Baume stehen. Eine Anbetung der
Hirten ist befangen, unfertig und stellenweise zerstört, aber wichtig als Komposition wegen seiner
Verwandtschaft mit Alesso Baldovinetti. Ein drittes Bild, das best erhaltene, wird mit Unrecht
seinem Schüler Fra Carnovale zugeschrieben: es ist ein heiliger Michael mit dem abgeschnittenen
Kopf eines so friedlichen Riesenais in der Hand, dass wir kaum dabei an die Verkörperung des
Bösen als Untier denken. Die Tafel gehörte wahrscheinlich mit einem heiligen Mönch in Casa Poldi
Pezzoli in Mailand zu einem und demselben Altarvverk.
Sein Schüler wiederum ist Melozzo da Forli. Von ihm sind die beiden Gemälde aus dem
Schloss von Urbino, die mit unseren Berliner Bildern zu einer Folge gehören. Diese Darstellungen
der Musik und der Rhetorik, d. h. einer Prinzessin auf dem Thron und eines knieenden Verehrers
zu ihren Füssen, dem sie hier ein Buch, dort eine Handorgel übergiebt, erscheinen in der Bewegung
der Figuren, in der Durchmodellierung der Porträtköpfe, in der malerischen Behandlung der Stoffe
und in der Lichtführung so vollendet, dass man ernstlich daran denken könnte, sie einer späteren
Zeit, dem sechzehnten Jahrhundert erst zuzuweisen, wenn nicht festgestellt wäre, dass sie um 1475
gemalt sind. '
Mit Piero della Francesca, wie mit Melozzo hängt Luca Signorelli von Cortona zusammen.
Von ihm hat die National Gallery neuerdings zwei wichtige Werke aus Casa Mancini in Cittä di
Castello erworben. Besonders die Darbringung im Tempel ist ein charaktervolles, durch und durch
würdiges Bild seiner besten Zeit, während die Geburt Christi schon einer weicheren Stilperiode
angehört, wo er, der Empfindung Peruginos und dem malerischen Vortrag Ghirlandajös nachstrebend,
die rauhe Grösse seiner Typen einbüsst. Daneben verdient das abgenommene Fresco aus Palazzo
del Magnifico zu Siena, der Triumph der Keuschheit, kaum eines Wortes. Die Penelope am Webstul
hingegen, die Pinturicchio für dasselbe Zimmer gearbeitet, gehört immer zu den anmutigeren und
umfänglicheren Schöpfungen, die man in ausseritalienischen Galerien von ihm sehen kann. Wer
Piero della Francesca würdigen will, muss nach Arezzo und Borgo S. Sepolcro gehen; wer Pinturicchio
nicht in Rom und Siena aufgesucht, vermag nicht mitzusprechen. Eine Reihe von Truhenbildern,
die uns in London unter seinem Namen vorgestellt werden, haben nichts mit ihm zu tun, und
verraten auch mehr von der Schule Signorellis als von der seinen. Eine heilige Katharina mit dem
knieenden Stifter gehört nur einem Gehülfen, der mit ihm im Appartamento Borgia des Vatikans die
achteckigen Bilder mit den Geschichten von Isis und Osiris gemalt hat. Nur die Halbfigur der
Madonna mit dem Kinde, das vor ihr auf der Brüstung steht, ist ein echtes Werk Pinturicchios.
' Vgl. Schmarsow, Meloi
— 129 —
Bemardino Pinturicchio ist der umbrisclie Maler, der am wenigsten von den Segnungen der
florentinischen Kunst empfangen hat, obgleich auch er mittelbar durch seinen Lehrer Fiorcnzo di
Lorenzo mit der Schule des Verrocchio zusammenhängt. Die Lust zu fabulieren überwuchert bei ihm,
gerade wie bei Benozzo Gozzoli, dem unermüdlichen Erzähler unter den Florentinern, und erstickt
das Interesse an der Durchbildung des Einzelnen, an Vertiefung des Gehaltes und Koncentration
im Aufbau.
Leider ist von Fiorcnzo di Lorenzo nur ein sehr ungünstiges Beispiel seiner Fähigkeit
vorhanden. Wir sähen gern an dieser Stelle ein Bild wie die schöne Verkündigung, die erst vor
kurzem an die Kirche S. M. degli Angeli bei Assisi geschenkt worden, oder wie die Madonna mit
dem Stieglitz in der Sammlung Castellani, die wir vor Jahren schon mit seinem Namen belegt.' So
wird man ihn kaum für einen Zeitgenossen Peruginos halten, besonders da dieser selbst in vollem
Glanz erscheint.
Auch Pietro Perugino ist ein Schüler Verrocchios gewesen, hat in Gemeinschaft mit Lionardo
den ernsten Bestrebungen des Meisters obgelegen und dieser Verbindung dankt er sicher sein bestes
Können. Sein glücklicher, wenn auch etwas leerer Schönheitssinn befähigt ihn, manches zum
geniessbaren Ausdruck zu bringen, was dem meist überlegenen Lionardo selbst, der tiefer greift, nie
voll und rein gelingen will. Das kleine Madonnenbild mit dem stehenden Christkind und der Halb-
figur des Johannes gehört zu den anmutigsten Überresten seiner ersten Meisterschaft. Die helle
Temperafarbe, die er später mit einer vollendeten Oltechnik in warmem bräunlichen Grundton
vertauscht, lässt wol keine Wahl übrig: es muss ungefähr um die Zeit seines ersten erhaltenen
Frescobildes in der Cappella Sistina entstanden sein, mit dessen Frauentypen und Kindern auch diese
hier übereinstimmen. ^ Kein anderes Werk in öffentlichen Galerien kann sich dagegen an saftiger
Fülle der Farben wie an liebenswürdiger Zartheit des Ausdruckes der dreiteiligen Altartafel vergleichen,
die aus der Certosa von Pavia in die Londoner Sammlung gekommen ist. In der Mitte Maria, die
verehrend vor dem Kinde kniet, daneben der Erzengel Raphael mit seinem Schützling Tobias, sind
Verkörperungen eines kindlichen Glaubens, die wir heute noch nachzuempfinden vermögen. Aber der
Erzengel Michael zeigt in all seinem zierlichen Putz, woran es fehlt: es ist ein süsslicher Knabe, ohne
Charakter; nichts von dem Schwung eines überirdischen Streiters, nicht einmal die Kraft des Mannes,
ohne die wir uns den Sieger nicht vorstellen können. Das ist bezeichnend. Das Gemälde entstand
zu einer Zeit, wo alle anderen Künstler Italiens wie er an einer zaghaften Verkleinerung des Stiles
kranken, während in demselben Jahre die Heroen des Cinquecento, Michelangelo seine Pietä und
Lionardo sein Abendmal vollenden.
In Peruginos letzte Periode, schon in den vollen Zug des sechzehnten Jahrhunderts fällt das
dritte Bild von seiner Hand, das uns hier gezeigt wird: eine stehende Madonna, über deren Haupt
1 Jahrbuch d. k. preuss. Kunstsammlungen 1884. S. 221. Diese Taufe wiederholt auch Bode in seinen Bildhauern
der ital. Renaissance 1887 pag. 123. Über das Verhältnis des Fiorenzo di Lorenzo zu Verrochio vgl. bereits Schmarsow,
Pinturicchio in Rom 1882 p. 4 ff.
2 Vgl. m. Aufsatz, das Abendmal von S. Onofrio, Jahrb. d. k. preuss. Kunstsammlungen 1S84. p. 227 und das
Kapitel über die Capp. Sistina im Melozzo da Forli. p. 2 14 ff.
— I30 —
zwei Engel eine Krone halten, mit den Heiligen Hieronymus und Franciscus. Die Gestalten sind
wieder grösser gewollt, aber konventionell in der Haltung und leer im Ausdruck, ja trotz der
prächtigen Farbe fast widerwärtig durch die Manier. Es ist hart, dem Lebenden ins Gesicht zu
sagen, dass er sich überlebt hat; aber Michelangelo tat es, und die Geschichte hat sein Urteil über
Perugino bestätigt. Sie begegnet auf Schritt und Tritt solchen Erscheinungen; aber es gehört ein
klarer Kopf dazu, das selber einzusehen, und mehr als ein klarer Kopf, darnach zu handeln.
Raphaels ganze reiche Tätigkeit in Rom stand vor den Augen der Welt, und sein alter Lehrer
malte noch immer dieselben Bilder in Perugia fort. In Florenz waren sie doch unmöglich geworden;
aber Umbrien hat eine zahlreiche Generation von Nachfolgern hervorgebracht, die lange nicht
darüber hinauskamen. Nur ein paar Bemerkungen über diese Schulgenossen Raphaels, ehe wir zu
ihm selber kommen.
Die National Gallery hat neuerdings ein sehr wichtiges kleines Bild erworben, das eine alte
Streitfrage wieder anfacht. Es ist eine Madonna mit Kind von Ligegno, bezeichnet mit A. A. P.
d. h. Andreas Aloysii pinxit. Es ist unzweifelhaft der urkundlich in Assisi nachgewiesene Gehülfe
Peruginos, den Crowe und Cavalcaselle dadurch zu beseitigen dachten, dass sie ihn für identisch mit
Fiorenzo di Lorenzo erklärten. Während ein anderes Bildchen, das hier früher schon dem Ingegno
beigelegt ward (No. 702), nichts ist als das jämmerliche Machwerk eines hölzernen Pinturicchioschülers,
der eine Komposition Fiorenzos in kleinlicher Formensprache wiederholt, mit roten Nasen, Wangen
und Knien, wie sie den Geschmack irgend eines umbrischen Dorfes erfreuen mochten, haben wir in
dieser neu erworbenen Madonna (No. 1220) in der Tat einen Ateliergenossen Peruginos selbst vor
uns, der dem Meister nahe zu kommen verspricht und in anderen Stücken ihm vielleicht so nahe
gekommen ist, dass die Scheidung schwer fiel. Hier ist er noch nicht so weit: er ist härter und
fester in den Formen, manierierter in der Faltengebung, bräunlich im Ton, aber ohne die Wärme
Peruginos, und ohne Sinn für Luft und Licht in der landschaftlichen Ferne. Dies Stück muss den
Ausgangspunkt für weitere Verfolgung bilden: ich glaube darnach z. B., dass ihm eine Reihe von
anfangs bestechenden, aber eigentlich leblosen Zeichnungen gehört, die auf graugrundiertem Papier
sorgfältig getuscht und weiss gehöht, eine sehr saubere Technik verraten. Sie gehen in den
Sammlungen unter Peruginos oder Pinturicchios Namen.
Ein anderer Gehülfe Giannicola Manni ist durch eine Verkündigung vertreten, während die
Windsorsammlung mehrere Zeichnungen zu einem Gebet auf dem Olberge von seiner Hand besitzt.
Diese Scene ist dann wieder der Gegenstand eines Gemäldes der National Gallery von Giovanni
Lo Spagna, den man so lange mit Raphael selbst verwechselt hat. Ein anderes Bild, das mit einem
Fragezeichen unter seinem Namen ausgestellt ist, hat garnichts mit ihm gemein. Diese Glorie der
Jungfrau mit musicierenden Englein ist von Bertucci daFaenza gemalt, wie ein Vergleich mit dem
bezeichneten Madonnenbild seiner Vaterstadt ausser Zweifel stellt. Dagegen stammt eine breite
Tafel mit Christus und Thomas in Gegenwart des Antonius von Padua und eines knieenden Stifters,
welche als umbrische Schule des sechzehnten Jahrhunderts gegeben wird, wol aus Cittä di Castello
und rührt von Francesco Thifernate her, einem Peruginoschüler, der in seinen dürftigen Gestalten
doch die Bewegung des Luca Signorelli und in der Stifterfigur die Kenntnis des Giovanni Santi verrät.
— 131 —
Nach alledem ist es lehrreich, neben Raphael auch eine jNIadonna dieses seines Vaters zu
sehen und erinnert zu werden, dass die Lehre eines Piero della Francesca und eines Melozzo da Forli
droben in Urbino eine Stätte gefunden und von dem Vater des Malers gepflegt wurde, der alle diese
Bestrebungen des unibrischen Gebietes aufs glücklichste vereinigen sollte, nachdem er abermals aus
dem frischen Born florentinischer Kunst geschöpft.
„Der Traum des Ritters" ist eine kleine Perle aus Raphaels Jugendzeit. S. Michael und
S. Georg in Paris, die drei Grazien, die neuerdings aus Dudleyhouse verkauft worden, und das lang-
umstrittene Kleinod „Apoll und Marsyas" im Louvre, bis zum Heiligen Georg in St. Petersburg
gehören in diese Reihe. Sie haben alle etwas Kindliches, Märchenhaftes; sie atmen in der Reinheit
der Empfindung und der emailartigen Farbenfrische die klare Gebirgsluft seiner Heimat und einen
Hauch romantischer Poesie, der die Dichtung seines Vaters erfüllt. Die ganze Auffassung, das
Verhältnis der Figuren zum Schauplatz, die Lockerheit der Komposition u. s. w. müssen für alle
diejenigen befremdend bleiben, die das Bild in Cittä di Castello nicht kennen. Die kleine Kirchen-
fahne mit der Dreieinigkeit nebst S. Sebastian und S. Rochus auf der einen Seite, und der Erschaffung
Evas in Gegenwart zweier Engel auf der andern, ist das erklärende Mittelglied, das die verschiedenen
Einflüsse, die hier zusammenwirken mussten, am deutlichsten aufweist. Ganz leichtfertiger Weise hat
man dies Werk anzweifeln wollen. Ich bin in der glücklichen Lage, die Echtheit beweisen zu können.
Eine Federzeichnung in Oxford mit Madonnen und Kindern, die keinem Kritiker einfallen wird zu
beanstanden, enthält auf der Rückseite in schwarzer Kreide die Gewandfigur eines sich niederbeugenden
Mannes. Sie ist ganz in der Technik ausgeführt wie die Studien zum Altar des heiligen Nicolaus
von Tolentino, und diese Figur ist, was Robinson entgangen, der Gottvater in der Erschafi"ung Evas.
Doch das nebenbei! Auch hier in London haben wir die Federzeichnung zur ganzen Komposition
neben dem Bilde vor uns. Man könnte sich denken, Raphael habe eine Scene aus dem Gedicht
seines Vaters illustriert, so fühlbar begegnet sich diese Vorstellung mit den allegorischen Erfindungen
des Giovanni Santi. Ein junger Ritter in neuer Rüstung ist am Scheidewege unter einem Lorbeer-
baum vom Schlaf befallen; da erscheinen ihm zwei edle Frauen, dass er zwischen ihnen wähle.
Die eine ist bescheiden gekleidet, wie eine Magd; aber sie hält ein Buch und ein Schwert in der
Hand. Die andere ist lockend mit allem Zierrat, schillernden Stoffen und Perlengeschmeide angetan
und bietet ihm eine Blume als Zeichen ihrer Gunst. Der Knabe sieht so fromm aus, dass wir
nicht zweifeln, wem er folgen wird.
Von dem grossen Altarbilde der Madonna Ansidei ist vielfach die Rede gewesen, als es vor
kurzem für unerhörtes Geld aus Blenheim in die National Gallery wanderte. Es ist immer ein
glänzendes Beispiel umbrischer Kirchengemälde und steht hier inmitten der vorbereitenden
Erscheinungen vollkommen an seinem Platze. Aber einen rechten Begriff von der Kunst Raphaels
kann es nicht geben, weil es einer Übergangsperiode angehört, wo er noch mit sich selbst nicht
einig war. Es ist jedoch als Kunstwerk viel besser, als sein Ruf sich neuerdings bei uns gewendet hat.
Wer diese Arbeit aus Raphaels Eigentum streicht, treibt Bilderkritik nach Kupferstichen. Es ist in
der Farbe viel harmonischer, als die Grablegung im Palazzo Borghese und stellt die sogenannte
Regia di Napoli, die jetzt im Saal der Teppichkartons im South Kensington Museum zu sehen ist,
17*
diesen „Raphael d'une million" vollständig- in Schatten. Als Jahreszahl vermag ich höchsens MDVI
zu lesen, worin die I durch die Falte des Gewandsaumes gebrochen wird. Jedenfalls ist zwischen
Beginn und Vollendung des Gemäldes ein merklicher Zeitraum hingegangen, in dem die Kunst des
jungen Meisters selbst energische Fortschritte machte. Der alte würdige Bischof Nicolaus erzählt
von der Gemeinschaft mit Alfani und Ridolfo Ghirlandajo, während Johannes der Täufer in der
Wendung des Kopfes und der Wahl einer schwierigen Verkürzung ganz offen an die Heilige
Katharina erinnert, d. h. an ein Bild, das anerkanntermafsen in der letzten florentinischen Zeit entstand.
Die Halbfigur der begeisterten Jungfrau hängt dicht daneben zur Vergleichung.
Das letzte Bild von Raphaels Hand in dieser Galerie wäre dann (von Repliken oder Kopien
wollen wir absehen) die Heilige Familie aus dem Hause Aldobrandini. Leider hat diese wunderliebliche
Schöpfung aus der römischen Zeit so stark durch Abreibung gelitten, dass der Genuss, wenn auch
einseitig, doch ungestört und reiner aus Brauns vortrefflicher Photographie gewonnen wird. Da sie
bei uns verhältnismässig wenig verbreitet ist, mag sie den Lesern besonders empfohlen sein.
III.
Der Oberlichtsaal der umbro-florentinischen Schule stösst unmittelbar an den früher schon
vorhandenen, in dem jetzt, statt des bunten Gemisches aus allen Teilen Italiens, die Schule Venedigs
allein prangt. Aber welch ein Sprung, wird mancher denken, von Umbrien nach Venedig. Und
doch ist dieser Übergang höchst lehrreich. — Ja, giebt es denn wirklich einen Übergang zwischen
Raphael und Tizian? Oder zwischen den Älteren gar, zwischen Perugino und Giambellin, auch nur
irgend welche nähere Beziehung: Mehr als eine, lautet die Antwort. Wol möglich, dass auch dem
kundigen Beschauer die Übereinstimmung zuerst wenig einleuchtet, da die Unterschiede so glänzend
in die Augen fallen. Doch drängt sich uns eine Fülle von Gesichtspunkten zur Vergleichung auf,
wenn wir ruhig den Weg verfolgen, den wir eingeschlagen. — Und wie bisher vom Früheren zum
Späteren, von den Keimen zur Blüte fortschreitend, haben wir im Sinn, die Verbindung sogar enger
zu schlingen, als sonst geschehen.
Kunsthistorische Finessen vorzubringen, ist nicht unsere Absicht. So wollen wir auch bei
dem kleinen Bildchen des Vittore Pisano, das uns die Anfänge realistischer Naturbeobachtung mitten
aus gotischen Stilgewohnheiten heraus so liebenswürdig darstellt, garnicht daran erinnern, dass dieser
Pisanello ein dankbarer Schüler des umbrischen Meisters Gentile da Fabria no gewesen, mit dem
auch Jacopo Bellini nach Florenz ging. Aber gegenüber diesem Bildchen, das aus Ferrara stammt
und dort seine Früchte getragen hat, hängt Antonello da Messina, der Maler, den wir als Einführer
der flandrischen Öltechnik aus dem Atelier van Eycks, als Begründer der venezianischen Farbenkunst
zu betrachten pflegen. Eine längliche Tafel zeigt auf schmaler Grundlinie den Gekreuzigten und die
Seinen. Unten am Boden kauern im Schmerz Maria und Johannes einander gegenüber, und hoch
oben hängt der Erlöser am Holze, während zwischen ihm und seinen Lieben ein weiter Ausblick auf
Stadt und Land und doch eine Ode klafft. Es ist dieselbe Stimmung erreicht, die der alte Ghiberti
in seiner Kreuzigung am Baptisterium zu Florenz so meisterhaft hervorbringt. Es liegt in der
— 133 —
räumlichen Anordnung- weit mehr als im Ausdruck der Gesichtszüge, in dem starken Auseinanderweichen
der innerlich so eng verbundenen Wesen, und gerade dadurch mutet mich dieses Bild Antonellos
so germanisch an, als hätte die Empfindungsweise eines Niederländers mächtig auf diesen Süditaliener
eingewirkt, wie etwa die Martin Schongauers auf Pietro Perugino. Die Überschau über die örtliche
Umgebung, so von oben her, kommt hinzu. Und obgleich man sagen muss, dass gerade dieses
Werk wieder eine Schule für Italiener geworden, und zwar besonders in Ferrara, überwiegt doch der
Nachklang niederländischer Eindrücke ganz eigentümlich. — Wie aber steht es mit dem Christuskopf,
den wir daneben erblicken? Nur das Haupt bis an die Schultern wird uns gezeigt und die lehrend
erhobene Rechte; wie durch eine Fensteröffnung hereinschauend sehen wir das Antlitz ganz von vorn;
die schlichten Haare, in der Mitte gescheitelt, fallen zu beiden Seiten herab; die Augen stehen mehr
träumerisch als eindringlich völlig gerade. Auch da gewiss eine erkleckliche Summe nordischer
Auffassung; dazu die Zeichnung der Hände, der bräunliche Gesamtton der Ölfarbe. Dennoch hat
der Mann, der diesen Christustypus darstellt, auch den Einfluss eines Landsmannes erfahren, den man
bisher allzuwenig mit ihm in Beziehung gedacht hat. Ich meine Piero della Francesca, das Haupt
der Umbroflorentiner, die wir soeben verlassen. Ein Bild seines Schülers Melozzo, auch ein Christuskopf
in Cittä di Castello, wäre vielleicht am besten geeignet, diese Verbindung darzutun, wenn nicht die
spätere Eigenart der Porträts von Antonello eine Berührung mit dem römischen Hofmaler Sixtus IV.
schon ausser Zweifel stellte. Die geradestehenden Augenachsen bei Melozzo da Forli und Giovanni
Santi haben ja früher schon Beachtung gefunden.
Bei dem dritten Bilde, das hier den Namen des venezianisch gewordenen Messinesen trägt,
geraten wir gar auf römische Erinnerungen selbst. Es ist das Porträt eines Mannes in mittleren
Jahren, das vor kurzem erst in Rom erworben ward. Aus der Umgegend Roms kam es auch zum
Vorschein: ich sah es, ehe die gekrümmte Holztafel geplättet und neu gefirnisst ward. Die Taufe
auf den Namen Antonellos rührt von sehr kompetenter Seite her, ward von der Galeriedirektion
zweifellos gebilligt und gewiss von den meisten Fachgenossen. Dennoch mahnt mich das Wiedersehen
in England mit diesem Antonello an umbro-florentinische Meisterstücke auf den Fresken der
Sixtinischen Kapelle. Die Anordnung dieser Büste, die sprechendere oder, sagen wir, mehr durch-
empfundene Wendung zur Dreiviertelsicht, der sinnigere Blick des Auges haben einen dem Antonello
fremden Charakter, der gerade den Umbrern eigen ist. Und nun vergleiche man die packenden
Porträts, die Perugino auf seinem letzten Fresko in der Sixtinischen Kapelle nach lebenden Kunst-
genossen in die Darstellung des Schlüsselamtes hineingestellt hat. Da sind die Gegenstücke, die
zugleich die Entstehungszeit dieser Arbeit in London bestimmen. — Bin ich mit einer ketzerischen
Anwandlung zur Wiedertäuferei, die mich angesichts dieses Kopfes fortgerissen hat, im Irrtum, so
giebt es wol keinen stärkeren Beweis für den Zusammenhang zwischen Antonello und diesen Umbrern
in Rom, dessen Erkenntnis manches Rätsel löst, das unserem Verständnis des wandernden Sizilianers
im Wege stand. Das ist Anlass genug, die neue Anordnung willkommen zu heissen, dass hier
Umbrien und Venedig nur durch eine Tür getrennt sind, während sich sonst Berge zwischen ihnen
aufrichten. Wir vergessen in unserer Geschichte der Malerei so leicht das Adriameer, das eine
grosse Verkehrsstrasse, die Lunge zum Ein- und Ausatmen für die Lagunenstadt war, und längs der
— 134 —
Küst6 von Ravenna bis Ancona und weiter den Austausch mit den Marken, wohin sich die Wege
Umbriens öffnen, ganz natürlich machte.
Auch sonst sind die Beziehungen venezianischer Künstler zu denen der umbro-florentinischen
Schule zahlreich genug. Die Verwandtschaft zwischen dem Schönheitsideal Giovanni Bellinis und dem
des Melozzo da Forli ist aufgewiesen worden. ^ Die Farbenpracht Peruginos in seiner Glanzperiode
hat nur in der Stadt des heiligen Marcus ihresgleichen. Ein lebendiger Zwischenträger war Piero
della Francesca und sein Freund der Mathematiker und Lehrer der Perspektive Luca Pacioli.
Einen Fachgenossen dieses Mannes, den er selbst wegen seines perspektivischen Zeichnens
rühmt, zeigt uns ein vortreffliches Bild des Gentile Bellini, das ebenfalls zu den neuesten Erwerbungen
gehört. Es ist das Brustbild eines greisen Denkers mit dem Zirkel in der Hand: der Mathematiker
Girolamo Malatini, in schwarzem Kleid und schwarzer Kappe über dem silbernen Haar und den
bleichen Zügen, aus denen die scharfblickenden Augen ernst und energisch hervorleuchten. Die dünne,
fast trockene Farbengebung stimmt vortrefflich zu dem verstandesmässigen, beinah asketischen
Charakter. Das Bild hing besser unten in dem Durchgangsraum zur Rotunde; so hoch in dem
Oberlichtsaal kommt es nicht voll zur Geltung.
Es ist unzweifelhaft ein Hauptstück zur Kenntnis des älteren Gentile, der in unseren Galerien
so selten vorkommt. Der jüngere Giovanni Bellini ist dagegen — wenn auch manches, was unter
seinem Namen geht, nur von Laien noch als solches hingenommen wird — durch mehrere sehr
bezeichnende Stücke vertreten. Auf seine grossen leuchtenden Altarwerke müssen wir schon zu
Gunsten seiner Vaterstadt verzichten. Nur eine kleinere Madonna mit dem Kind giebt auch hier
eine Ahnung der stralenden Herrlichkeit. Das Bildnis des alten Dogen Leonardo Loredano ist so
wundervoll in der Farbe und so charakteristisch in der Auffassung, dass der Heilige daneben,
S. Petrus Martyr, trotz aller Feinheiten nicht recht aufkommen kann, während ein ähnlicher Kopf,
S. Dominicus, im South Kensington Museum, obgleich als Malerei viel einfacher, auch an ungünstiger
Stelle ergreifend wirkt. Ganz eigentümlich ist das Breitbild, Christi Gebet im Garten Gethsemane,
das uns in weiter, nackter Hügellandschaft den Heiland einsam knieend zeigt, während seine drei
Jünger schlafen, und in der Ferne schon der Verräter mit den Kriegsknechten sichtbar wird. Die
kahlen Felsen und der rote Abendschein am Himmel geben dem angstvollen Ringen im Gebet einen
Ausdruck, wie er nur dem echten Maler beifallen konnte. Die Komposition selbst findet eigentlich
nur Verständnis, im historischen Sinne, wenn wir das Skizzenbuch, das Gentile und Giovannis Vater,
Jacopo Bellini gehört hat, im British Museum betrachten. Dort sind mehrere solcher Scenen mit
derselben Weiträumigkeit behandelt. Der Hinweis auf Mantegna, den man gewöhnlich bringt, genügt
eben nicht. Ja dieser Hinweis sollte umgekehrt erfolgen, d. h. Bellini als Quelle malerischer Anregung
auf Mantegna genannt werden, zu seiner Zeit.
Sonst allerdings wird man sich gerade bei diesem Bilde Giovanni Bellinis veranlasst fühlen,
einen Blick in das anstossende Gemach zu werfen, gegen die Tribuna zu, wo die paduanische Schule
und die älteren Venezianer aufgestellt sind. Die Engländer lieben diese Richtung besonders und so
Melozzo da Forli p. 12S. 173. 318.
— 135 —
ist ein grosser Reichtum an solchen Gemälden hier zusammengekommen. Da glänzt vor allen
Mantegna nicht nur mit einem trefflichen Kirchenbild von hellster und doch für ihn äusserst
geschmackvoller Färbung, sondern auch mit einer Reihe mehr oder minder einfarbiger Werke, die
man fast als kolorierte Zeichnungen ansprechen möchte. Da ist auch sein Schulgenosse, der zurück-
gebliebene Gregorio Schiavone mit zwei Bildern, einer kleinen Madonna und einer vielteiligen Altar-
tafel, nach welchen wol festzustellen wäre, welchen Anteil er unter den Leuten des Francesco
Squarcione an der Ausmalung der berühmten Kapelle der Eremitani genommen, wo wir den schnellen
Aufstieg Mantegnas zur Meisterschaft bewundern. Ausser diesen beiden Schülern des alten Ricamatore
wirkte dort auch Niccolo Pizzolo, den wir so schwer zu fassen vermögen. Deshalb sei hier die
Zwischenbemerkung gestattet, dass ich glaube, in England eine Zeichnung und ein Gemälde nach-
weisen zu können, die begreiflicherweise bisher als Mantegna gelten. Ich meine die Anbetung der
Hirten bei J. Boughton Knight, Esq. , die 1882 in Burlington House ausgestellt, dann in einem
Holzschnitt im „Magazine of Art" abgebildet wurde, und eine Zeichnung zu den Hirten in diesem
Gemälde, die sich in der Sammlung der Königin zu Windsor befindet. Beide zeigen uns einen derber
angelegten Künstler, der bei einfacheren Mitteln doch entschieden naturalistischer gesonnen ist, als
Mantegna selbst. Das nämliche Bild bestätigt, wenn ich mich recht erinnere, auch die Zuweisung
einer Zeichnung in den Uffizien: die knieende Madonna vor dem Kinde darstellend.
Da sind ferner die alten Vivarini von Venedig, Antonio mit zwei einzelnen Heiligenfiguren,
Bartolommeo mit einem vorzüglichen Madonnenbild, und ein Stilverwandter des dritten Vivarini,
Aluise, nämlich Marco Marziale mit zwei sehr verschiedenen Leistungen. Sie alle werden jedoch
überragt von dem bevorzugten Liebling der Engländer, der sogar unter den heutigen Künstlern
seltsam genug Schule macht: Carlo Crivelli, ein Schüler des Antonio und Genosse des Bartolommeo
Vivarini. Nicht weniger als acht Werke seiner Hand sind hier vereinigt, von dem grössten, figur-
reichen Tabernakel in altertümlichem gotischen Aufbau bis zum kleinen Predellenstück, und jedes
zeigt ihn, trotz mancher Verzerrung, charaktervoll in seiner leidenschaftlichen Energie. Diese Vivarini
und vornehmlich Crivelli haben den ersten Import venezianischer Malereien in das Küstengebiet der
Adria geliefert. Überall in den Marken begegnen sich ihre Erzeugnisse mit denen Umbriens, und es ist
kein Wunder, wenn Leute wie Niccolo (Alunno) ausFuligno und Lorenzo IL da San Severino,
von dem eine Verlobung S. Catharinas im vorigen Saal hängt, den Einfluss dieser Kunstweise
deutlich offenbaren. Am stärksten ist dies im Gebiet von Ferrara bis Bologna der Fall, wo die
Tätigkeit des Piero della Francesca fast überwuchert wird durch diese paduanisch geschulten Venezianer.
Bartolommeo Vivarini und Carlo Crivelli finden ihre unmittelbaren Nachfolger oder ihre nächsten
Gesinnungsgenossen in Marco Zoppo, Cosimo Tura und anderen Altferraresen, so dass wir nicht
umhin können, von ihrem Standort in der National Gallery zu dem Zimmer der ferrarisch-bolognesischen
Meister, das wir vorhin zwischen Florenz und Umbrien ausgelassen, nun absichtsvoll zurückzukehren.
Denn auch dort begegnen sich umbroflorentinische Elemente, wie der Name Piero della Francesca
sagt, mit paduanisch- venezianischen. Die strenge Zeichnung und leidenschaftliche Energie der
Squarcioneschüler wird gründlich durchgemacht, ja ins Extrem getrieben, bis dann aufs neue Bellinis
Formenschönheit und Farbenpracht ein glücklicheres Bündnis eingeht mit Peruginos Empfindung und
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religiöser Weihe, in den Werken eines Costa, eines Francia und Ercole di Giulio Grandi. Beide
Perioden, wo man zuerst Ferrara, dann Bologna als Centrum nennen könnte, sind hier befriedigend,
ja hervorragend vertreten. Nur für die Glanzperiode des Cinquecento wünscht man neben dem
schmeichelhaften Meisterwerk des Garofalo ein ebenbürtiges Prachtstück des Dosso Dossi zu sehen.
Doch damit greifen wir vor, während es hier nur unsere Absicht ist, über die allbewunderten
Kirchenbilder eines Francesco Francia und Lorenzo Costa und die wichtigen Altartafeln des jüngeren
Grandi und des Ortolano hinweg, ein paar alte Ferraresen hervorzuheben, die erst neuerdings die
Aufmerksamkeit gefunden haben, deren sie wert sind. Unter dem Namen des Bolognesen Marco
Zoppo geht hier die Einzelgestalt eines heiligen Dominicus als Einführer des Rosenkranzes, während
das Ganze, wie schon früher erkannt ward, ausgesprochen ferraresischen Charakter trägt. Die
Behandlung der Örtlichkeit und der visionären Erscheinung am Himmel hat fast noch mehr als die
Hauptfigur die nächste Verwandtschaft zu einigen Predellenbildern in der Pinakothek des Vatikans,
die jetzt bei wissenschaftlichen Forschern allgemein als ferraresisch gelten. ' Unter dem Namen
CosimoTura erscheinen hier vier Gemälde, die sicher nicht alle von einer Hand sind. Das kleinste
unter ihnen, ein toter Christus im Grabe von Johannes dem Evangelisten und Joseph von Arimathia
betrauert, in Halbfiguren, ist schon von kompetenter Seite dem Marco Zoppo zugewiesen, dem soeben
ein grösseres Stück abgesprochen wurde. Es zeigt in der Formengebung noch viel Befangenheit in
der Manier des Gregorio Schiavone, in der Farbe dagegen leuchtende Kraft. Das beste und
bezeichnendste für Cosimo Turas Eigenart ist der heilige Hieronymus, der, sich selbst kasteiend, vor
seiner Felsenhöhle kniet: ein Charakterbild von rauher Grösse und herben, auf allen Reiz des farbigen
Lebens verzichtenden Asketentums. Dagegen befriedigt die nächststehende kleine Madonna bei dem
ausgesprochenen Mangel an harmonischem Farbensinn nur wenig. Und die Altartafel mit der
thronenden Madonna wird durch die kindische Geschmacklosigkeit, mit der die manierierte Zeichnung
koloriert worden, so abstossend, dass man trotz mancher Übereinstimmung den grossen Meister
Cosme davon freisprechen möchte. Ein ganz einziges Stück ist das Porträt des jungen Fürsten
Lionello d'Este von Giovanni Oriolo, dessen volle Namensbezeichnung uns einen ferraresischen Maler
kennen lehrt, der am reinsten vielleicht den Stil Mantegnas mit der heimischen Malweise vereinigt.
Dieser Kopf steht auf der Höhe der besten Wandgemälde im Palazzo Schifanoja zu Ferrara und
verdient dort nicht vergessen zu werden. Als neue Erwerbung kam aus Dudley House die Mannalese
der Juden in der Wüste von Ercole di Roberto Grandi hierher, freilich das Original zu der
nämlichen Darstellung in alter Kopie zu Dresden, aber selbst durchaus nicht unverdorben. Wie
ganz anders noch wirkt dagegen das kleine wundervoll erhaltene Bild eines „Norditalieners aus dem
XV. Jahrhundert", ein Abendmal, dessen Typen denen Ercole Grandis so nahe kommen, dass ich
glauben möchte, wir haben nichts anderes, als ein unverletztes Werk von ihm selber vor uns. In
beiden Gemälden tritt das Studium Antonellos da Messina deutlich zu Tage, und die Kreuzigung
dieses Meisters, die wir vorhin besprochen, dürfte das beste Belegstück dafür sein.^
1 Daraufhin ist neuerdings von Frizzoni das ganze Altarwerk rekonstruiert und auf Francesco Cossa getauft worden.
2 Zu einem andern Ergebnis könnte jedoch der Vergleich mit Bramantinos An1)etung der Könige in der SammUmg
Layard zu Venedig führen.
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Kehren wir nach diesem Ausflug in den Hauptsaal der Venezianer zurücl<, so müssen wir
zunächst einen Augenblick bei den andern Vertretern der Terra ferma verweilen, die von dem Geist
und Geschmack der Lagunenstadt schon abhängiger scheinen, als das lang widerstrebende gelehrte
Padua. In Vicenza ist Bärtolommeo Montagna zu hause, ein Meister, der ausser Italien fast nur
durch Werke zweiten Ranges oder gar Atelierstücke bekannt, noch vielfach unterschätzt wird. Er ist
nicht nur ein tüchtiger Schüler des Giovanni Bellini, und zwar dessen älterer Richtung, sondern hat
auch den monumentalen Zuschnitt des Melozzo da Forli so erfolgreich studiert, dass er mit besserem
Recht als Falconetto von Verona zu dessen Jüngern gezählt werden darf. Die Brera zu Mailand,
die Sakristei von San Nazaro e Celso zu Verona und die Kirche auf Monte Berico bei Vicenza
besitzen Leistungen, nach denen man seine Kunst beurteilen muss. Wer diese kennt, wird sich mit
uns verwundern, dass die herrliche Pietä der Pinakothek des Vatikans so viel umstritten und allen
Ernstes Giovanni Bellini zugeteilt werden konnte, während der traditionelle Name „Mantegna", unter
dem sie im Vatikan hängt, nur einen Lesefehler enthält: es muss „Montagna" heissen!' Auch die
National Gallery besitzt von ihm ein recht gutes, wenn auch noch unfreies Bild: die Halbfigur der
Madonna wird hinter einem Fenster sichtbar, gegen dessen Steinrahmen lehnend das Christkind
eingeschlafen ist. Es zeigt den strengen Stil seiner Formengebung, etwas herben Ausdruck und
tiefbraunen Farbenton. Ein zweites Madonnenbild, von hellerer Färbung, wo das Kind auf einem
Buch sitzt und eine Erdbeere hält, ist nicht von Montagna, wie der Katalog angiebt, sondern von
einem andern Bellinischüler, nämlich Christoforo Caselli von Parma, den man noch besser als in der
Sakristei von S. Maria della Salute zu Venedig in seiner Vaterstadt kennen lernen kann.
Aus Verona sind eine Reihe interessanter Beispiele versammelt. Das ganz vorzügliche Porträt
eines alten Mannes von Francesco Bonsignori sollte für die Kunstweise dieses Meisters gewissen-
hafter beachtet werden, als es bei neuesten Zuweisungen auf seinen Namen geschehen ist. Eine
Madonna von Liberale da Verona zeigt den etwas ungeschlachten Maler viel liebenswürdiger und
beweglicher als sonst. Eine freundliche Muttergottes von Francesco Moroni leitet uns schon
unmittelbar zu dem heiteren, farbenfrischen Girolamo dai Libri hinüber, der das veronesische
Schönheitsideal verwirklicht, dem wir auch den prächtigen Cinquecentisten Paolo Morando genannt
Cavazzola, noch nachstreben sehen. Von ihm ist ausser der heiligen Familie, die ich hier im Auge
habe, ein stehender Pilger, S. Rochus, in ganzer Figur, dessen koloristische Pracht bereits den Zeit-
genossen des Garofalo und Dosso Dossi, d. h. mehr ferraresischen als venezianischen Geschmack
offenbart.
Damit sind wir jedoch wieder vorausgeeilt und haben die näheren Schüler Bellinis nachzuholen,
die noch vielfach mit ihm selber verwechselt werden. Da ist von Vicenzo Catena ein heiliger
Hieronymus in seinem Studierzimmer, unter dem Namen des Lehrers, und eine grossartigere Verehrung
der Madonna durch einen Rittersmann, dessen Pferd mit dem Knappen zur Seite wartet. Da ist
der stralende Bissolo mit einem wunderlieblichen Madonnenbild in sonnenklarer Landschaft und
Basaiti mit einem Kabinetstück, das den lesenden Hieronymus in einer Felsgrotte darstellt. Hier
I Diese hier vollgültig ausgesprochene, bei mir schon lange vorher gehegte Überzeugung ist hernach auch von
Ad. Venturi verfochten worden, wird also wol zu Recht bestehen.
wetteifert mit ihm Cima da Conegliano, indem er denselben Heiligen als Büsser knieend zeigt,
in Feinheit der Durchführung und Reichtum der Scenerie. Daneben zwei Madonnenbilder von seiner
Hand, das eine ausgezeichnet frisch, dass andere blass und unbedeutend; schliesslich aber noch eine
grosse Altartafel: Christus und Thomas im Kreise der Jünger, eine feierliche Komposition, die
sich in Farbenharnionie und Charakterzeichnung fast den Meisterwerken seines Lehrers vergleichen darf.
Und doch, welch ein Schritt noch von diesem Schüler Bellinis zu Giorgione, Palma Vecchio
und Tizian! Keiner von diesen macht uns die Tatsache, dass wirklich zusammenhängende
Entwickelung stattfand, so glaubhaft, ja so sichtbar wie Lorenzo Lotto. Nur sind in der National
Gallery nicht gerade Bilder seiner Frühzeit vorhanden, wo er noch ganz eng mit Bellini zusammen-
hängt; sondern wir lernen ihn sogleich in seinen meisterhaften Porträts kennen, in denen eine eigene
feinsinnige Beobachtung individuellen Lebens zum Ausdruck kommt.
In die Mitte zwischen Bellinis Glanzperiode und dem Aufgang des neuen siegreichen Gestirnes
Tizian gehört hier ein einsames kleines Bildchen ohne Namen aus dem ersten Jahrzehnt des Cinque-
cento. Sogar der Gegenstand der Darstellung ist nicht recht klar und der Katalog bezeichnet ihn
als unbekannt. In einem Garten mit dichtem Gebüsch sitzt rechts auf einem erhöhten Thron mit
darüberhängendem Baldachin ein kurzbärtiger Mann in dunkelgrüner Tunika und maisgelbem Pallium
mit einem Kranz im Haar. Hinter ihm kniet ein Diener mit einem Teller voll Früchten, während
ein Jüngling im enganschhessenden Kostüm der Zeit, auf den Stufen des Thrones sitzend, die
Mandoline spielt. Vor dem so Verehrten aber, in dem wir jedenfalls einen antiken Dichter oder
Philosophen, vielleicht Pythagoras oder Piaton, zu erkennen haben, steht ein Knabe in grauem Rock
nach damaligem Modeschnitt und hält demütiglich seine Kappe in der Hand. Weiterhin zur Linken
schleicht ein junger Panther herum, während ein Pfau auf dem dürren Ast eines Baumes sitzt.
Jenseits der Gebüsche und eines phantastischen Felsgebildes blicken wir in eine Hügellandschaft
mit Bauernhütten und anderen Gebäuden im Charakter des venezianischen Festlandes gegen die
Alpen zu. Lassen wir heute dahingestellt, was diese Scene bedeuten mag, die offenbar eine
Allegorie auf die persönlichen Ideale eines angehenden Humanisten enthält, — wir kommen bei
anderer Gelegenheit einmal darauf zurück. Wohin aber gehört die Malerei als solche? Schon das
Zusammenwirken der halb genrehaften, halb persönlich bestimmten Figuren mit einer landschaft-
lichen Umgebung voll poetischer Reize führt auf eine Geschmacksrichtung, die durch Bellini und
seine Leute vorbereitet, zu Anfang des i6. Jahrhunderts in der venezianischen Malerei sehr beliebt
war. Wir bezeichnen sie gewöhnlich mit dem Namen Giorgione. Bei dem vorliegenden Beispiel
an ihn selber zu denken, sind jedoch besonders die Gestalten zu schwach und verraten hier und da
Eigentümlichkeiten, die mehr an Palma Vecchio erinnern. Doch gehört diese kleine Tafel in der
Anordnung der Figuren innerhalb ihrer Umgebung, in der Behandlung des Landschaftlichen,
namentlich der Bäume und der Staffage aufs Engste mit zwei Bildern ganz ähnlichen Formates in
der Galerie der Uffizien zusammen, deren Besseres — sie sind bei aller Übereinstimmung der Mache
doch so ungleichwertig, dass man verschiedene Hände vermutet — eine Wundergeschichte aus dem
Leben des Moses vorstellt. Sie heissen dort Giorgione; mindestens eins aber trägt wie dieses hier
die Merkmale eines dilettantischen Künstlers, der mit überraschender Virtuosität und doch nicht sicher
— 139 —
als sein Eigentum bald von diesem bald von jenem Meister gefällige Züge für sich erhascht, und
so möchte ich hier den Namen des Giulio Campagnola vorschlagen, der gewöhnlich nur als
Kupferstecher genannt, doch literarisch auch als Maler und als Musiker beglaubigt ist. Unter ihm
lernte Domenico Campagnola, der Gehülfe Tizians, und vielleicht auch Agostino Veneziano, bevor
er zu Marcantonio Raimondi überging. Die nähere Begründung würde hier zu weit führen, mag
uns also aufbehalten bleiben. Nur sei noch hervorgehoben, dass alle drei Tafeln, die beiden in
Florenz, wie diese in London, im Farbenton und mancher Einzelheit nicht rein venezianisch sind,
sondern auch das Vorbild der Franciaschule in Bologna bezeugen. Davon wird man sich um so
mehr überzeugen, wenn man in der kleinen Anbetung der Könige, die ebenso namenlos, doch mit
mehr Anspruch auf die Bezeichnung Palma, unmittelbar daneben hängt, den Goldschimmer der
echten Schule Venedigs wahrnimmt.
Dann beginnt der gewaltige Aufschwung, dessen Zeugen uns hier von allen Wänden des
Saales entgegenstralen. Wir finden keine Ruhe mehr, vor dem Mittelgut wie Carianis heiliger
Conversazione noch auszuharren, sondern geben uns gern den Meisterwerken ersten Ranges hin.
Dies ist in der Tat ein Triumphzug der venezianischen Schule, wie man ihn ausserhalb Italiens gar
nicht erwartet, und man sollte meinen, dass diese Halle von Farbenglut und Schönheit mitten in den
grauen Strassen Londons schon allein zum Heiligtum werden müsste, das mächtig jedes empfäng-
liche Wesen anziehen und im stillen Schauen erquicken mag.
Ein Hauch von Giorgiones Poesie weht noch durch Tizians frühe „Erscheinung Christi vor
Magdalena im Garten". Äusserlich nur von massigem Umfang, birgt es eine Fülle inneren Lebens,
und — nicht allzu nah betrachtet — wirkt die wunderbare Gegenwart des Auferstandenen über-
wältigend, wie auf das schöne Weib zu seinen Füssen, auch auf uns, und der Zauber der Landschaft
begleitet das Ereignis wie mit einem sonnigen Wiederschein des Paradieses. — Welch ein Ausbruch
bacchantischer Liebesglut dagegen in der Begegnung des Dionysos mit Ariadne auf Naxos. Alles
jubelt und sprüht in Wonne, wie der Gott dem verlassenen Mägdlein entgegentaumelt, und es ist
als ob die Farben eine rauschende Harmonie vollführten, die alle Sehnsucht übertönend, sie schnell
für sich gefangen nimmt.
Dazwischen das Dichterporträt, das stille, weiche, vornehme Bildnis Ariosts in einer Lorbeer-
laube, wo er sann. Ist diese Erscheinung eines geistig Adligen in ebenso edlem Körper nicht selber
ein Gedicht? Es eröffnet die Reihe stattlicher Porträts aus der bevorzugten Gesellschaft italienischer
Patrizier, Kaufherren und Gelehrter, die hier wie im Wetteifer von Meisterhänden geschaffen, vor uns
stehen, als lebten sie mit uns. Die Kunst eines Alessandro Bonvicino, genannt Moretto von Brescia,
oder eines Giambatista Moroni, des Bergamasken, bedarf keiner Empfehlung: diese geschmackvolle,
grossartige und doch nicht gemachte Wiedergabe menschlicher Charaktere aus einer glücklichen
Zeit spricht unmittelbar und wirksam für sich selber. Zwischen Bildnis und Genrebild in der Mitte
steht eine Dame in silbergrauem Schleier von Sa voldo, in der wir Maria Magdalena erkennen sollen,
weil sie ein Salbgefäss auf den Grabesrand gesetzt hat und sich wie im Gehen nur flüchtig zu dem
Beschauer herumwendet. Von Tintoretto ist wol ein Damenporträt, das man noch ohne Namen
gelassen hat. Auch die Leistungen eines Leandro Bassano verdienen besondere Anerkennung.
— 140 —
„Die Barmherzigkeit des Samariters" gehört zu den besten Darstellungen biblischer Stoffe von seiner
Hand und vermag sieh sogar neben Tizian zu behaupten. Da schwinden die etwas äusserlichen Reize
des Paris Bordone, wie die des neuerworbenen Bonifazio auf ihren wahren Wert zusammen, und
wir bewahren einen gewissen Vorbehalt selbst gegenüber den Prachtgemälden des Paolo Veronese,
der hier in verschiedenen Phasen seiner Entwickelung, zum Teil in höchster Gediegenheit, sich darstellt.
Befremdend allein unter all diesen echten Vertretern venezianischer Farbenschönheit nimmt
sich Sebastiano del Piombo aus, der freilich ein Venezianer von Geburt, doch seinen Werken nach,
die hier vorhanden sind, kaum mehr zu seinen Landsleuten gehören will. Zwei Porträts hängen
neben seinem Meisterstück, der Auferweckung des Lazarus, die in allen Teilen so sehr die Abhängig-
keit von Michelangelo und das erfolgreiche Studium der Teppiche Raphaels bezeugt, dass nur Rom
die Bedeutung des Bildes erklären kann.
Nun, es war von Anfang eine Hauptzierde der englischen Sammlung und darf einen Ehrenplatz
einnehmen, wo der Besucher, durch die anstossenden Säle und die Rotunde daherkommend, schon
aus der Ferne davon angezogen wird, und in der Tür, dem Gemälde gerade gegenüber, den
richtigen Standpunkt gewinnt, noch ehe der volle Glanz Venedigs ihm entgegenstralt. Übrigens
war das Bild Sebastianos vor der starken Nachdunkelung offenbar auch in der Farbe sehr tüchtig
und bewahrt besonders in der landschaftHchen Umgebung die Vorzüge seines venezianischen Erbes.
So mag es als die Frucht einer langen Entwicklung, zu der Florenz, Umbrien und Venedig gemeinsam
beigetragen, gleichsam im Mittelpunkt des Ganzen stehen.
Denn, dass wir die Höhe hinter uns lassen, merken wir nur zu bald, wenn wir auf der andern
Seite aus dem Saal der Venezianer in das Zimmer der Lombarden übertreten. Und doch sind
diese Maler jetzt so sehr begünstigt, dass mailändische Lokalforscher ihre Freude haben werden. In
einem Raum, der früher [mit italienischen Quattrocentisten überfüllt war, dürfen sie sich jetzt aus-
breiten, dass man eine gewisse Leere empfindet, weil — ja ohne Zweifel nur, weil der Gehalt dieser
Bilder nicht so bedeutend ist, wie die Werke aus andern Schulen. Die Lombarden sind bereits in
ansehnlicher Auswahl vereinigt und erscheinen hier eigentlich zum ersten Mal im Ausland in ihrem
eigenen Licht für sich allein. Ich fürchte, die Gefälligkeit, die man ihnen erwiesen hat, richtet sie; —
aber das wird ein Gewinn sein für unsere historische Erkenntnis!
Das wichtigste Hauptstück der Älteren ist jedenfalls die grosse Anbetung der Könige von
Vincenzo Foppa, die früher fälschlich Bramantino zugeschrieben, mit Recht ihrem wirklichen Urheber
zurückgegeben worden, und den Meister ausserhalb Italiens sehr ehrenvoll bekannt macht. Da weder
Farbe noch Typen gerade anziehend sind, erregt die Komposition als solche von selbst das Interesse,
das sie verdient. Man darf dazu auffordern, sie einerseits mit der Darstellung dieses Gegenstandes
im Appartamento Borgia des Vatikans, andererseits mit Luinis Fresco in Saronno zu vergleichen.
Daneben ist Ambrogio Borgognone fast reichlich stark vertreten; doch muss die Gelegenheit
willkommen sein, ausser der trefflichen, noch voll charakterfesten Arbeit, wie sie die Altartafel mit
der thronenden Madonna zeigt, auch den weicheren Ausdruck, die etwas verschwimmende Haltung in
dem Triptychon zu beobachten. Das ist lehrreich für das weitere SchicksaL der Schule, selbst wenn
man, wie hier so ausgezeichneten Bildnissen von Andrea Solario begegnet und von Luini nur
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Christus unter den Schriftgelehrten im engsten Anschluss an Lionardo zu sehen bekommt. Lionardo
ist ja auch die Seele Boltraffios, von dem hier eine der schönsten Madonnen uns wol für ihn
einnehmen kann. Die neuerworbenen Halbfiguren von Heiligen des Macrino d'Alba sind unerfreulich;
aber der Meister erhebt sich überhaupt selten zu so gediegenem Schaffen wie in der Certosa von Pavia.
Hat nun schon Solario in seiner Porträtkunst viel von Bellini gelernt, so gehört Francesco
Taccone mit seiner Madonna vollends in die Werkstatt dieses Venezianers und nicht zur lombar-
dischen Kunst, trotz seiner Herkunft aus Cremona. Auch sein Landsmann Boccaccino „mit den
Eulenaugen" verdankt viele seiner besten Eigenschaften dem Studium BeUinis, Carpaccios und Cimas
da Conegliano. Die National Gallery besitzt ein Hauptwerk von seiner Hand: eine figurenreiche
Kreuztragung Christi, deren Bewegungsmotive und saftige Lackfarbe auch an Ercole Grandi den
Älteren erinnert. Wirklich Cremonesisches kommt eigentlich erst in dem Cinquecentisten zum
Durchbruch, der hier ebenfalls mit einem Meisterstück auftritt: Altobello de Meloni. Die Begegnung
Christi mit den Jüngern auf dem Wege nach Emmaus ist mit vollem Namen und der Jahreszahl 15 17
bezeichnet und erhält dadurch noch ein besonderes kunsthistorisches Interesse. Es ermöglicht uns,
wie ich glaube, den Spuren des Künstlers, der uns sonst vorwiegend als Frescomaler in seiner
Heimat bekannt ist, auch als Tafelmaler nachzugehen, ja — wenn ich nicht irre, auch ihn bis ins
Atelier Bellinis zu verfolgen. Es gibt nämlich eine kleine Anzahl von Bildern, die mit mehr oder
minder Zweifel seinem Mitbürger Boccaccino beigemessen werden, nach diesem authentischen
Beispiel von Altobello jedoch dem letzteren gehören dürften.
Es sind dies unter anderm eine Fusswaschung Christi in der Akademie zu Venedig (dort gar
als Perugino!), daselbst eine kleine Tafel mit Christus zwischen Pharisäer und Schriftgelehrten (nur
Brustbilder) und ein sehr feines Werkchen vom selben Zuschnitt in der Pinakothek zu Modena. Alle
diese Proben stimmen mit dem hiesigen Gemälde sehr wol überein, wenn man dies eben als späteres
Erzeugnis seines vollentwickelten Stiles ansieht, wie es dem Datum nach geschehen muss und die
andern als frühere Arbeiten, etwa im ersten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts (die Fusswaschung hat
sogar die Jahreszahl 1500) aus den selben Einflüssen erklärt, wie die Werke eines Lorenzo Lotto
und anderer Bellinischüler. Denn in die Schule des Bellini weist uns der schwarze Hintergrund
ebenso, wie die Anordnung der Figuren und die kräftige harmonische Färbung. Alle zeichnen sich
aus durch feingeschnittene, zartmodellirte Köpfe und eine ganz eigene Vorliebe für Atlas oder andere
Seidenstoffe, die zuerst knitterig gebrochen, allmälich in grösseren Falten und breiteren Flächen
behandelt werden. Die Farbe ist in dem frühesten Beispiel am leuchtendsten, in diesem späteren
bleicher geworden, wie sich aus der Gewohnheit des Frescomalens ergeben mochte, wenn es nicht
allgemeine Geschmackssache war, die wir bei Moretto da Brescia und Paolo Veronese ebenso finden.
Ausser diesen venezianisch geschulten Lombarden und den Mailändern unter Lionardos
Leitung hängen nun in diesem Raum noch Correggio, von dem wir nur die reizende kleine Madonna
mit dem übermütigen Kinde und die (späte) Erziehung des jungen Amor durch Venus und Merkur
hervorheben wollen, — und endlich die riesenhafte Madonnenvision seines Schülers Parmigianino,
dessen Bravour uns schon zu den Nachzüglern und Manieristen versetzt, die sich in einem anderen
Raum zusammenfinden.
— 142 —
Nicht zu ihnen, sondern mitten hinein in die Blütezeit der flandrischen und holländischen
Schule, zu Rubens, van Dyck und Rembrandt führt uns der nächste Saal und das anstossende
Gemach nach der Rotunde zu, während das Eckzimmer, das früher dem Vermächtnis Wynn Ellis
allein gewidmet war, nun auch die altflandrischen und deutschen Gemälde aufgenommen hat, die
sonst in dem kleinen Entree oder an Schirmwänden verteilt aufgestellt waren. Die späteren Italiener
bereiten uns einerseits, wie die Spanier an der anderen Seite, auf die französische Schule vor, denen
sich die Engländer des achtzehnten Jahrhunderts anreihen als Abschluss des Ganzen. Trotz dieser
Umordnung, durch welche die Übersichtlichkeit der Sammlung entschieden gewonnen hat, gewährt
doch dieser zweite Teil der National Gallery noch nicht die Befriedigung, die wir in der italienischen
Abteilung fast ungestört empfinden. Hier hängen immer noch zu viele Stücke an einer Wand, die
sich gegenseitig beeinträchtigen und den ruhigen Anblick jedes Meisters in seiner Individualität nur
dem gestatten, der mit ernstlicher Anstrengung jeden ablenkenden Einfluss abwehrt. Am unglück-
lichsten wirkt wol das Eckzimmer, wo an einer Seite all' die kleinen Tafeln der flandrischen und
deutschen Altmeister hängen, — die köstlichen Perlen von Jan van Eyck darunter — und auf der
andern grosse, oft sogar nur dekorativ gedachte Niederländer der späteren Zeit, wie z. B. die
ärmlichen Selbstwiederholungen eines Teniers. Die vlämischen Kabinetsstückchen sind eben nicht
für Salwände, und will man die monumentale Wirkung grossartiger Räumlichkeiten in einem öffent-
lichen Museum nicht entbehren, so muss man auch etwas Monumentales hineinzuhängen haben. Die
wundervollsten Gemälde, die für Wohnstuben und trauliche Häuslichkeit berechnet sind, werden zu
winzigen Lappen und Puppenstubenmafsstab degradiert, wenn man sie in einer hohen Halle Gross
und Klein neben einander, oder gar in mehreren Reihen übereinander aufhängt. Das ist ein woltuender
Vorzug der Münchener Galerie z. B., dass uns diese Kalamität des Magazinierens erspart bleibt.
Nun, hoffentlich wird auch die zweite Abteilung der Londoner National Gallery in nicht
allzulanger Frist die Erweiterung erfahren, die jetzt vorwiegend den Italienern zu Gute gekommen ist,
und wird dann sicher denselben würdigen und durchaus vornehmen Anblick darbieten, der in den
ersten Sälen so erhebend und feierlich wirkt
Bis dahin müsste bei einer Besprechung des übrigen Bestandes ein völlig anderes Verfahren
eingeschlagen werden, und wir dürfen deshalb für dies Mal unsere Wanderung beschliessen.
MEISTER DES XIV. UND XV. JAHRHUNDERTS
IM
LINDENAU- MUSEUM ZU ALTENBURG
Das kunsthistorische Institut der Universität Leipzig, das sonst, für italienische Studien an
Originalen, auf Reisen zu den benachbarten Museen von Dresden und Berlin angewiesen ist, hat noch
in nächster Nähe, im Herzoglichen Museum zu Altenburg, ein Arbeitsfeld gefunden, das für die
Zwecke des Lehrens und Lernens nicht minder willkommene Aufgaben bietet. Das Vermächtnis des
Ministers Bernhard August v. Lindenau (1799 — 1854) umfasst einen Schatz von alten italienischen
Originalgemälden meist kleinen Mafsstabes, die der einsichtsvolle Kunstfreund, einst den Spuren
C. F. v. Rumohrs folgend, für sich gesammelt hat. „Der Grund zu dieser Sammlung, heisst es im
eigenen Vorbericht zu der Beschreibung seiner sämtlichen Kunstgegenstände, wurde durch einen
vom verstorbenen Professor Hartmann in Dresden gemachten Ankauf gelegt, und seitdem zunächst
durch die freundliche Vermittlung des Dr. Braun in Rom und durch eigene in Italien gemachte
Erwerbungen auf den jetzigen Bestand gebracht". Darunter befinden sich 166 alt-italienische Gemälde,
die zunächst das 14. und 15. Jahrhundert umfassen, von Duccio und Cimabue bis zu Rafaels Meister
Pietro Perugino reichen, und eine Übersicht der drei Hauptmalerschulen jener Zeit der Sieneser,
Florentiner und Umbrischen gewähren".
Obwol die Dresdener Kunstkenner v. Quandt und H. W. Schulz, das Verzeichnis der (1844
abgeschlossenen, seit 1848 zugänglichen) Sammlung gemeinschaftlich bearbeitet, dann Crowe und
Cavalcaselle sie noch an ihrem alten Standort im sogenannten Polhof, dem Besitztum der Familie
V. Lindenau gesehen haben, und neuerdings Herrn. Hettner, wie vereinzelt auch andre Forscher nach
Altenburg gekommen sind, so ist doch bisher weder die Bedeutung des Besten hinreichend erkannt,
noch die Bestimmung der beachtenswerten Beispiele nach Schulen und Meistern ernstlich genug
durchgeführt worden, so dass eine zuverlässige Verwertung des hier erhaltenen Bestandes im Sinne
der modernen Forschung erfolgen könnte. Die Überlieferung beim Ankauf der Bilder ist begreiflicher
Weise, den Verhältnissen der vierziger Jahre entsprechend, äusserst willkürlich und unzuverlässig
gewesen, ihre schriftliche Aufbewahrung scheint vernachlässigt und ein 1848 gedruckter Katalog
erweist sich fast überall unzulänglich. Kein Wunder: eine ganze Reihe falsch datierter und falsch
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getaufter Bilder kann überhaupt erst mit den heutigen Mitteln umfassender Studien und photographischen
Vergleichsmateriales genauer bestimmt und nach ihrem eigentlichen Wert für die Kunstgeschichte
gewürdigt werden. Die gegenwärtigen Mitglieder des kunsthistorischen Seminars in Leipzig haben daran
ihre Kräfte versucht, die älteren von ihnen unter Leitung ihres Direktors einzelne Untersuchungen vor-
genommen; ein wissenschaftlicher Katalog ist nahezu vollendet, so dass ein Gang durch die Altenburger
Sammlung auch an dieser Stelle wenigstens über die Hauptergebnisse Rechenschaft zu geben vermag.
Unsere Kenntnis des Trecento wie des Quattrocento hat dabei gewonnen, soviel darf im
Voraus versichert werden. Folgen wir, soweit es erreichbar, dem historischen Gange der Kunst und
der üblichen Sonderung der Schulen, so wird sich der Ertrag im Einzelnen wol bequem und über-
sichtlich dem bekannten Besitz an Anschauungen und Überzeugungen einordnen oder angliedern,
sei es auch, dass hier und da ein mitgebrachtes Vorurteil zerpflückt, dort ein fest geglaubter
Zusammenhang gelockert, hier Getrenntes wieder vereinigt werde. Im Grunde gewähren diese
Stichproben unserem fortgeschrittenen Verständnis des Quattrocento nur erwünschte Bestätigung;
wie viel aber unsere Einsicht in die Entwicklung des Trecento noch zu wünschen übrig lässt, weiss
jeder denkende Forscher zu wol, um nicht einigen Zuwachs an verwertbaren Beispielen schon mit
Freuden zu begrüssen. Ist für diesen Zeitraum die Orientierung von Florenz aus, als dem Mittelpunkt
oder dem Ausgangspunkt der ganzen Kunst, die wir an der Hand Vasaris kennen lernen, nicht schon
ein Irrtum, — oder wenigstens das Vertrauen auf diesen Führer eine unkritische Einseitigkeit, die
sich mit falschen Vorstellungen bestraft?
Vielleicht erhalten die „Florentiner Studien" gerade durch diesen Ausflug in die Altenburger
Galerie nach der schwachen Seite der bisherigen Erkenntnis hin eine wirksame Ergänzung. Die
Sammlung von Lindenau ist im Vergleich zu den bedeutendsten Museen ausserhalb Italiens ganz
besonders reich an Beispielen des Trecento und besitzt darunter einige Perlen von hervorragender
Bedeutung, sei es für die Augen des historischen Forschers, sei es für die des geniessenden Lieb-
habers, die sich zuweilen wol auf dieselben Täfelchen vereinen werden.
^^^
^-Ä,-
SIENESISCHE TRECENTISTEN
Charakteristisch ist schon die Tatsache, dass die Meister des vierzehnten Jahrhunderts hier
nicht mit Giotto beginnen, und sei es auch nur mit seinem Namen. Wer einigermafsen den chrono-
logischen Gang zu verfolgen trachtet, muss nach den sogenannten „Byzantinern", unter denen der
neue Katalog schon ein Palimpsest von sienesischen Händen zweier Jahrhunderte kennzeichnen wird,
sogleich bei dieser Nachbarschule droben im Gebirg einsetzen und in seiner Erinnerung an die
berühmten Werke eines Duccio di Buoninsegna den Anhalt suchen, der hier vermitteln kann. Was
beim Stifter der Sammlung von Lindenau vielleicht nichts Anderes war, als der Einfluss des
Vorurteiles, das seltsam genug überall bei C. F. v. Rumohr gegen Giotto zu spüren ist,' das wird
I In der Einleitung des alten Verzeichi
mehrfacher Hinsicht lücken- und mangelhaft -
schreibt Lindenau selbst: ,,r;
:h in kunstgeschichtlicher Hin
wenn auch
Vert haben,
— I40 —
hier zu heilsamerem Gegengift gegen Vasaris einseitig florentinische Geschichte. Wie in Rumohrs
„Itahenischen Forschungen" tritt hier für die Anschauung vielmehr Siena in den Vordergrund, und
ebenso Simone Martini als Hauptmeister an die erste Stelle der Trecentisten. Wie Giotto zu Cimabue
steht Simone zu Duccio im Verhältnis eines unmittelbaren Nachfolgers oder eines fortschreitenden
Zeitgenossen, aber auch eines durchaus selbständigen Neuerers. So vollzieht sich zwischen den
Sienesen hier, den Florentinern dort in der Malerei, was auf dem Gebiete der Skulptur nur von
Pisa aus geschehen konnte, zwischen Vater und Sohn, Niccolö und Giovanni Pisano, — die Scheidung
zwischen romanischem und gotischem Stil, nur auf italienischem Boden überall in viel persönlicherem
Sinne und weit individuellerem Gebaren, als es anderswo erscheinen will, da dort kein Name die
Reihe von Meisterwerken verbindet.
Betrachten wir aber Simone Martini von Siena als Gotiker in der Malerei, wie Giotto di
Bondone von Florenz, dann drängt sich ein andrer Vergleich auf, der sich mit dem vorigen verkettet.
Der Maler Giotto ist schon mit dem Bildner Giovanni Pisano in Beziehung gesetzt worden, nament-
lich nachdem ihre verschiedenen Wege, an den Toren von Florenz vorbei, sie zu Padua in der Cappella
deir Arena zusammengeführt. Sonst liegt der Schwerpunkt der früheren Tätigkeit, die Periode des
Wachstums, für Giotto in Assisi und in Rom, wo ihm Cosmaten und Arnolfo, der Meister gotischer
Kanzeln und Tabernakel, begegnen, für Giovanni Pisano dagegen in der Vaterstadt und in Siena
bis nach Pistoja, d. h. auf ghibellinischem Gebiet, das vom aufstrebenden Florenz, vom werdenden
Charakter der Guelfenstadt sich scheidet. In Siena eben erwächst, wie gotische Spitzgiebel und
Statuenschmuck auf dem romanischen Unterbau des Baptisteriums zu Pisa oder des Sieneser Domes
selbst unter der Bauleitung Giovannis, nun Simone Martini, der gotische Meister, aus dem letzten
romanischen Vertreter der alten byzantinischen Lokaltradition hervor. Als Maler aber erscheint er
vielmehr einem andern Bildner vergleichbar, mit dem ihn ausserordentliche Verwandtschaft der
Seelen für unser Gefühl in eine Reihe stellt: ich meine Andrea da Pontedera, der schon in ganz
anderm Verstand als Niccolö und Giovanni den Beinamen „Pisano" führen darf, — den reinsten
Gotiker, mit einem harmonischen Schönheitssinn und einem milden Gemüt, wie man sie sonst nur
bei Sienesen erwartet.
Ohne jede Bezeichnung findet sich im alten Katalog (Nr. 23) hinter einem vermeintlichen
Duccio, und mit einer Madonna von Taddeo Bartoli zusammengefasst, die Einzelfigur Johannes des
Täufers, die keinem andern gehört als Simone Martini selber. Auf Goldgrund hebt sich die dunkle
Gestalt im purpurnen Mantel ab und hat schon im Ton der Farben nichts von dem Spätling Taddeo
Bartoli. Der letzte Prophet des alten Bundes steht auch nicht aufrecht in ganzer Figur, wie wir ihn
sonst zu sehen gewohnt sind, sondern thront auf goldenem Sessel mit Löwenköpfen, die seitlich
hervorschauen. Unter seinem Fuss steht ein sechseckiger Schemel auf dem dunkeln Boden, der
unbestimmt gegen die goldige Fläche den Ort andeutet, wo wir ihn zu denken haben. Mit über-
geschlagenem Beine, ein Kreuz in der Linken, die Rechte zur Begleitung seines Wortes erhebend,
weil diesen Gemälden ein Ausdruck von Innigkeit und Frömmigkeit, wie er in keinem andern Zeitabschnitt vorkoi
innewohnt. Nach meinem Gefühl bietet nur die neuere Kunst in den weiblichen Köpfen von Hess und Overbeck etwas
demjenigen Gemütsreichtum dar . . ."
sitzt der Vorläufer Christi, obgleich die Augen herausblicken, doch so entschieden seitlich gewendet,
dass wir 7.11 dieser spitzbogigen Tafel eine zweite mit dem Anziehungspunkt seiner Bewegung, und
vielleicht eine dritte als Gegenstück des hier vorhandenen linken Flügels hinzu fordern möchten.
Jedenfalls kann nur ein Thronen im Himmelreich, zur Seite des Höchsten selber gemeint sein, und
wir mögen statt einer Madonna mit dem Kinde wol eher den Erlöser oder den Weltenrichter am
jüngsten Tage, wenn nicht die Gruppe der Dreifaltigkeit in der Mitte, und eine entsprechende
Figur, wie Johannes, den Verfasser der Apokalypse zur Linken der Gottheit (also schwerlich Maria),
ergänzen, um die Form eines Triptychons nach damaligem Brauch zu gewinnen. Überraschend
freilich bliebe das Dasitzen in ganzer Figur, und es wäre nicht unmöglich, dass dieser Täufer selbst,
auch in der seitlichen Drehung des Körpers, das Hauptstück in der Mitte gebildet, während zu den
Seiten etwa in zwei oder mehreren Bildern übereinander die Geschichte seines Lebens erzählt ward.
So hätten wir einen Johannes-Altar gleich dem des Beato Agostino Novello, jetzt im Chor von
S. Agostino zu Siena, d. h. einem anerkannten Werke des Simone Martini.
Wie dem auch sei, die geschwungene Haltung des Körpers mit seinen hageren Gliedmafsen,
wie die Faltenzüge der Gewandung, die dies Gehaben begleiten, — sie sind durchaus charakteristische
Beispiele für die Gewohnheit 'des Künstlers, dem wir das Werk zurückgeben. Ganz ähnlich sitzt
der Kaiser in der Legende S. Martins, die Simone in einer Kapelle der Unterkirche von S. Francesco
in Assisi gemalt hat, wenn auch der ärmellose Rock aus zottigem Fell, mit härenem Gurt um den
Leib, und der weite Purpurmantel, der die Arme und Beine mit ihrer braunen Hautfarbe absichtlich
frei lässt, eine selbstverständliche Modifikation ergeben. Das Haupt des Wüstenpredigers ist von
schlangenartig abstehenden Haarbüscheln umkränzt, der Bart teilt sich ebenso regelmässig in
gelockte Zotteln. Das Antlitz zeigt eine tiefgefurchte Stirn mit wulstigen Falten zwischen den
Brauen, breite vorstehende Backenknochen und eingefallene Wangen; zwischen den dunkeln schwarz
umränderten Augen steigt die leicht gebogene Nase scharf geschnitten herunter und legt auch das
linke Auge in Schatten. Der Typus stimmt in allen Einzelheiten mit den Darstellungen des Täufers
überein, wie Simone sie auf andern Gemälden gegeben hat, ganz besonders aber mit der Halbfigur
des fünfteiligen Altarwerkes im Museo dell' Opera am Dom von Orvieto. Hier kehrt auch die
Gebärde des rechten Armes ebenso wieder, der vom Elbogen auf eine gerade Linie bildet, Knochen
und Elbogenspitze deutlich hervortreten lässt. Und sowie wir uns weiter im Umkreis Simones
umschauen, etwa den Johannes von Lippo Memmi auf dem Fresko zu S. Gimignano vergleichen,
so überzeugen die Unterschiede von dem ganz engen, nur persönlich erklärbaren Zusammenhang
zwischen dem Altarwerk in Orvieto und dem vereinzelten Hauptstück in Altenburg.
Zu dieser Übereinstimmung des Typus und der Haltung kommen dann noch einzelne Merk-
male, die ebenso charakteristisch die Eigenart des Simone selber verraten. So die Eleganz der
Bewegung, bis hinein in die Stellung der Finger, die dieser Maler der vornehmen Sitte und des
höfischen Anstands sogar dem verwahrlosten Asketen verleiht, so wie er am Thron der Gottheit droben
seinen Stul eingenommen. Welch eine beredte Gestikulation für sich vollführen die Finger der Rechten,
die lehrend erhoben ist : der Daumen und der vierte Finger legen sich aneinander, die beiden andern
dazwischen strecken sich aus, während der fünfte zierlich gekrümmt wird. Ebenso graziös fassen
19*
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die ersten Finger der linken Hand das leichte Kreuz, während die andern diese Tätigkeit spielend
begleiten. Es kommt dem Meister der Anmut auch bei dem rauhen Bufsprediger mehr auf feine
Zier als auf die freie Natur an. Und wo er die nackten Gliedmafsen geben muss wie hier, bemerken
wir auch den Mangel seiner anatomischen Kenntnisse, die Unfähigkeit zur Wiedergabe einer
verkürzten Form, wie bei dem vornstehenden Fusse. Dagegen wendet er seine ganze Sorgfalt auf
die ornamentalen Einzelheiten und fröhnt dem sienesischen Goldschmiedsgeschmack schon in der
Anordnung und Symmetrie der Bartlocken, wie in der Musterung des Heiligenscheines mit einem
Kranz epheuartiger Blätter darin, bis hinein in die Löwenköpfe des Klappstuls, die ebenso in den
Goldgrund hineingearbeitet sind, wie in dünnes Metallblech. Die nämliche Sinnesart bestimmt auch
die Ökonomie seiner Arbeit mit den sonstigen, unterscheidenden Mitteln des Malers, der Farbe
sowol wie des Lichtes. Die Farbstoffe des Bildes sind offenbar von ausserordentlicher Qualität
gewesen und sorgfältig aufgetragen. Besonders durch das Vorherrschen der breiten Flächen von
Rot und Gold wird eine Leuchtkraft und Tiefe gewonnen, zwischen denen das düstere Grau des
Fellkittels trefflich vermittelt. Auch das Antlitz erhält durch die feine Vertreibung der braunen und
roten Tinten mit grünlicher Untermalung ein warmes Leben. Die besondere Beleuchtung ist sparsam
neben der allgemeinen Rechnung zwischen Kontrasten der Polychromie, wie Gold, Rot, Braun und
wenig Grau. Belichtet sind nur, aber ganz zart, der Nasenrücken und die Lippen. Die Arme und vor
allen Dingen die Beine sind weniger sorgfältig schattiert, bis auf grosse Schlaglichter fast gleichmässig
mit der dunkeln Hautfarbe in den Grenzen des Umrisses ausgetuscht; erst bei den Händen beginnt
wieder das Licht intimer mitzuspielen. Nur der Sitz des Ausdruckes und der beweglichen, aber vom
Anstand höfischer Sitte geregelten Mimik hat für diesen Meister volle Bedeutung und Wichtigkeit.
Im Vergleich zu dieser ganzen Figur des tronenden Vorläufers Christi, die wir als eigen-
händiges Werk des Simone Martini zu kennzeichnen versucht,' erweist sich die Halbfigur des heiligen
Franciscus, die der alte Katalog schon der Zeit dieses Meisters zuteilt (Nr. 19), als ein ziemlich ödes
und abgeleitetes Produkt, das wol eher unter den letzten geistlos und leer gewordenen Vergrösserungs-
versuchen des Lippo Memmi (wie z. B. sein Altar in der Cappella del Corporale zu Orvieto), wenn
nicht bei Leistungen eines Sassetta, seinen Platz erhalten dürfte. Schon die Einrahmung mit dem
rundbogig ausgezackten Linern des Spitzbogens und die Horizontalstreifen im Giebelaufsatz (dessen
Spitze hier fehlt) sprechen für spätere Entstehungszeit; den Typus des Heiligen von Assisi, dessen
Seitenwunde durch einen Schlitz in der Kutte gezeigt wird, hat ausserdem eine Abwandlung erfahren,
die sowol Simone selbst wie seinen Zeitgenossen fremd ist: er nähert sich dem Bildnis des heiligen
Bernardin so stark und gleicht auch im Ausdruck der Züge, dem sinnenden traurigen Blick so
auffallend den vielfach verbreiteten Darstellungen des letzteren, dass wir auch als Autor dieser
Tafel fast einen Zeitgenossen des Predigers vermuten könnten. Das Ganze der Malerei selbst mit
seinem Graubraun auf Goldgrund, seinen regelmässigen Umrissen und seinen leeren nur von abge-
zirkelten Falten umgebenen Flächen, so in Fleischpartieen wie im Gewände, gehört trotz aller Sorgfalt
und Glätte nur einem Handwerker, keinem Künstler von fühlbarer Individualität.
I Das Bild wird im Jahrgang 1897 der „Kunsthistorischen Gesellschaft für photographische Publikationen"
veröffentlicht. H. I lo X B. 53 cm. Nur geringfügig ausgebessert und im Ganzen etwas getrübt.
Dagegen gewährt eine mit vollem Namen bezeichnete Madonna ein höchst erfreuliches
Beispiel vom besten Können des nächsten Arbeitsgenossen Lippo Memmi, mit dem Simone Martini
lange genug auch in der Kunstgeschichte zusammengeschweisst war.' LIPPUS . MEMMI . DE .
SENIS . ME — PINXIT steht am untern Randstreifen des Täfelchens, über den der Zipfel vom
Mantel Marias, vor dem letzten Wert unterbrechend, herniederhängt. Die Inschrift, ursprünglich in
roten Buchstaben, ist schwarz und teilweise mit unrichtigen Formen aufgefrischt, aber in allem
Wesentlichen zuverlässig und unbezweifelbar, so dass wir ein eigenhändiges, mit liebevollster
Sorgfalt vollendetes Werk darin begrüssen, das ganz besonders geeignet ist, eine Vorstellung von
dem Können des Meisters zu gewinnen, den wir sonst in Gemeinschaft mit dem Schwager nur
schwer zu fassen vermögen.
Über die fein verzierte Randleiste des Goldgrundes, die sonst ringsum läuft, fällt unten in
ganzer Breite ein prachtvoller Teppich aus Goldbrokat, der über die hohe Rücklehne des Thronsitzes
geschlagen, auf beiden Seiten die Armlehnen wie die Bank und ihr Kissen verhüllt, und [mit schweren
vom Restaurator hinzugefügten Hermelinschwänzen] am Rande, bald die reichgemusterte Vorderseite,
bald die schlichte Rückseite zeigend, links und rechts in gleichwertigen Massen von der Spitze
herabhängt, und im anmutigen Geschlängel des Saumes bald nach aussen, bald nach innen sich
auslegt. So rahmt die gotische Draperie in rein dekorativem Sinne die Figuren in der Mitte ein,
und zwischen den Höhepunkten des Gestüls, das unserm Blick entzogen wird, breitet sich der grosse,
mit doppeltem Blattkranz gesäumte Heiligenschein bis über die Randleiste droben, wie eine Gold-
scheibe von byzantinischem Umfang, auch den kleineren daneben überspannend, und umkränzt so
die Sphäre für die beiden nah aneinander gerückten Köpfe von Mutter und Kind: Maria neigt ihr
Antlitz in Dreiviertelsicht nach rechts gegen das rötlich blonde Gelock des Knaben, der auf ihrem
Schofse aufgestanden ist, und gegen ihre Schulter lehnend, die Rechte segnend erhebt, während
die Linke ein Schriftband mit den Worten: EGO SVM LVX MVNDI hinausstreckt, indem der Mund
sich leise zum Sprechen öffnet. Die vollen Wangen, das runde Kinn mit dem kurzen Hals und
die hohe Stirn sind doch durchaus kindlich und frisch; nur der seitwärts gerichtete Blick, der etwas
ängstlich auf einen fremden Verehrer zu fallen scheint, und das Zusammennehmen auf der Mutter
Geheiss zu dem ernsten Tun, beeinträchtigen etwas das reine Glück der beiden Wesen. Denn
beitragen muss auch die Mutter zu dem feierlichen Auftreten: die linke Hand greift unter dem
Ärmchen vor und hält so den Mantel des Kleinen über der Tunica zusammen, die rechte legt sich
sorglich vor, den Leib zu stützen, wenn er gleiten will, während der Blick ihrer Augen bescheiden
zur Seite geht, die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht für sich zu beanspruchen.
Auch in ihrem ovalen Antlitz, das, in Augenhöhe breit, gegen das Kinn sehr schmal zusammen-
flieht, ist im Verein mit dem Manteltuch über dem zarten Schleier, die das Haar verhüllen, noch ein
Nachklang des alten sienesischen Ideales zu spüren, das Duccio in leiser Abwandlung des byzan-
tinischen erneuert. Aber die unmittelbare Herkunft aus Simone Martinis Maestä ist kaum zu bezweifeln,
und es ist das Vorbild dieses Malers, das auch Lippo Memmi fähig macht, in einer Reihe mit ihm
I Als Teile eines gemeinsamen Altarwerkes könnten die kleinen Hnlbfiguren von Heiligen Xr. 12 und 36 angenommen
werden, die der alte Katalog als „Eremiten" dem Pietro Lorenzetti zuschreiljt.
— I50 —
und den beiden grössten Vertretern der gotischen Stilperiode, den Brüdern Lorenzetti, die reizende
Ausbildung der sienesischen Madonnenmotive zu vollziehen. Der blaue Mantel mit goldgesticktem
Saum fliesst über die schmalen Schultern herab, dem schlanken Hals entspricht ein langer Ober-
körper, dessen Formen unter dem glatten rosa Kleide kaum angedeutet sind; die erhobenen Hände
mit ihrem breiten, aber gestreckten Gelenk, ihren gleichmässig angesetzten, von einander getrennten,
aber in sich gliederlosen Fingern, sind noch unvollkommen gezeichnet und zu unbelebt für die Rolle,
die sie im Ganzen spielen. Da merkt man die Schwierigkeit für den Miniaturmaler, mit Simone zu
wetteifern. Und dies innerlich beseelte Ganze schliesst eigentlich mit den Füssen des Kindes und
dem Schofs der Mutter ab, ist also in Sitzhöhe zu Ende. Hier steckt der Kern der Erfindung, hier
erschöpft sich alle Beziehung nach Innen wie nach Aussen. Die untere Hälfte der Frauengestalt,
das undeutliche Sitzen, die schräge Haltung der Knie, der breitgelagerte Mantel, der nirgends mehr
das rosa Kleid oder gar die Form der Glieder durchblicken lässt, ist nur äusserliche Erweiterung,
und, wesentlich durch sie gefordert, bewirkt allein die Draperie des Teppichs über dem Thron
wenigstens den Schein lebendigen Gebarens daneben.'
Verfolgen wir aber das mangelhafte Gefühl für organischen Zusammenhang durch die Gestalt
Mariens hin, so überrascht daneben destomehr die ausserordentlich lebendige Erfindung des Kindes,
die durch das Widerspiel unsicherer Ängstlichkeit und entschiedener Anspannung so reizvoll wird,
dass wir uns unwillkürlich an die besten Gedanken des Simone Martini selbst erinnert fühlen. Der
rosarote, goldig gesäumte und himmelblau gefütterte Mantel ist durch die Bewegung des Kindes im
Begriff von den Schultern zu gleiten, der Oberkörper wird frei, und durch das Weiss des schlichten
Kleidchens schimmert das rosige Inkarnat; selbst durch die dichteren Falten des Mantels verrät sich die
Stellung der Glieder, deutlich hebt sich das Knie des Spielbeines, das etwas allzu seitlich gesehen wird,
und wirksam genug betont sich die verschiedene Rolle der Füsschen auf dem dunkeln Mantel Marias.
Jedenfalls gehört das ganze kostbar ausgeführte Bildchen zu den anmutigsten und erfreulichsten
Leistungen, die mit dem Namen des Lippo Memmi auf uns gekommen sind, und gerade die bescheidene
Grösse hat der Feinmalerei des Miniaturisten, wie der mangelnden Naturkenntnis günstigere Bedingungen
gewährt, als die grossen Altarwerke oder gar Wandgemälde, in denen er sich oft genug nur als leeren
Nachahmer zu zeigen vermochte. Alles was geduldige Hingebung und emsiger Fleiss an Reinheit der
Temperafarben und zarter Bearbeitung des Goldes beizutragen im Stande war, das Auge zu erfreuen
und den Wert der Gnadenspende, den das Bild veranschaulichen will, für den Sinn der Erdenkinder wie
in einem Kleinod einzuschliessen, das ist hier aufgewendet, und die wunderbare Erhaltung aller wesent-
lichen Bestandteile, die dieser Sorgfalt zu danken ist, sichert dem vollbezeichneten Werke des siene-
sischen Meisters das Recht, zu den Perlen der Sammlung gezählt zu werden, in die sie gewiss das
eigenste Entzücken des Stifters nach Deutschland geführt hat, so fern ab von ihrer lieblichen Heimat.^
1 Dieser blaue Mantel ist allerdings an mehreren Stellen übermalt und hat dadurch wol etwas von der dekorativ
wenigstens schwungvolleren Behandlung des gotischen Miniators eingebüsst. Restauriert ist ferner die Musterung des Teppichs,
die ursprünglich helleres Rot hatte. Zutat der schwarze Rand des Ganzen.
2 Eine Aufnahme auch dieses Bildchens ist für die Kunsthistorische Gesellschaft für photographische Publikationen
gemacht worden. H. 49 X B. 34.
— 151 —
Do:h „der Ausdruck von Innigkeit und Frömmigkeit, der Gemi.itsreichtum", den der Begründer
der Altenburger Sammlung in diesem Werke bewunderte, hat der ernsten Madonna Lippo Memmis
noch eine Verwandte gesellt, die milder noch und menschlicher zugleich die Mutter mit dem Kinde
zeigt, das als teuerster Schatz nur ihr allein gehören mag. (Sieneser Schule um 1340 sagt das alte
Verzeichnis.) Die kleine vergoldete Tafel mit reich gemustertem Rand enthält nur die Halbfigur der
stehenden Maria mit dem Knaben noch als Wickelkind in den Armen; aber sie drückt es mit
beiden Händen zärtlich an das Herz und der Kleine, dessen Arme und Brust bis unter die Achseln
nackt sind, liebkost mit seiner rechten Hand das Kinn der Mutter; die Wangen Beider sind einander
ganz nahe, die Augen kennen kein anderes Ziel als das Liebste, ausser dem die übrige Welt kaum
vorhanden scheint. Und doch wirkt die fremde Weite da draussen als Ahnung einer feindlichen
ringsum drohenden Macht, die das Mutterherz beklemmt, mit hinein in die reinen Züge und erklärt
uns, so unmittelbar verständlich, auch die Hast dieser Umarmung und das Festhalten des unschuldigen,
noch hilflosen Kindleins. Das geneigte Antlitz dieser Madonna in Dreiviertelsicht' hat eine über-
raschende Ähnlichkeit mit der neuerdings viel verbreiteten Abbildung in Holzschnitt nach dem
Kopf einer allegorischen Frau aus den Fresken des Stadthauses von Siena, dass sich der Name
„Lorenzetti" auf die Lippen des kunsthistorischen Betrachters drängt. Aber dieser moderne Holz-
schnitt (auch in Seemanns kunsthist. Bilderbogen) stimmt nicht sehr getreu mit seinem Urbild, dem
Wandgemälde des Ambrogio Lorenzetti überein; die Vertupfung an einigen Stellen der Gesichter im
Altenburger Bildchen muss andrerseits ebenso, als irreführende Milderung einer ursprünglich strengeren
Wiedergabe der Formen, ausser Rechnung bleiben. Aber die ganze Behandlung der wol erhaltenen
Teile sonst zeugt von der Hand eines Meisters, der auf grösseren Flächen mit kühnem Pinsel zu
malen gewohnt ist, nicht Mühe hat, wie der Miniator, die Enge seiner Anschauung und die Kleinheit
seiner Bewegungen zu erweitern, sondern eher umgekehrt, die Breite seines Vortrags einzuschränken,
das summarische Verfahren der Freskotechnik mit der Feinheit und Nähe des Tafelbildchens zu
vertauschen. In grossen Flächen und einfachen Falten fällt der blaue Mantel über das Schleiertuch,
das Haar und Ohr Marias verhüllt, über Schultern und Arme herab, schlicht und glatt auch das
rote Gewand darunter. Die goldgemusterten Besatzstreifen sind ohnehin mehr angedeutet als durch-
geführt, nur das zarte Linnen um den Leib des Kindes und das Windelband aus seidenweichem
Gewebe mit goldiger Umschnürung in fühlbarem Kontrast gegeben. Fast ähnliche Wertunterschiede
wirken mit, wenn er die eine Hand der Mutter, die den Mantel raffend, zur Faust zusammengeschlossen,
nur eine untergeordnete Rolle spielt, viel kleiner zeichnet, als die andere, die — in voller Breite aller-
dings — sich schützend über den Leib des Kindes legt und so zum mitsprechenden Träger des
Ausdrucks wird. Nehmen wir dazu die grossen Heiligenscheine, mit dem eingelegten Kreuz in dem
des Christusknaben, und das Verhältnis der beiden Figuren zu dem Goldgrund, der als Teppich
hinter ihnen ausgespannt erscheint, so dass auch an der ruhigen Seite links der Mantel Maria's von
der Schulter mit dem Stern herab sich deutlich als Körper vor dem Grunde hervorhebt, so haben
I Leider ist mitten durch die Tafel ein Sprung, der die Lippe der Maria und die vier Finger der Hand auf deni
I>eib des Kindes verletzt hat, neu hinzugekommen, während an den Augen beider wie in den benachbarten Teilen dei
Gesichter Retouchen altern Datums erkennbar sind.
— 152 -
wir lauter Merkmale beisammen, die zu dem Namen des Brüderpaares hindrängen, die als bedeutendste
Vertreter der monumentalen Freskomalerei von Siena dastehen: Pietro und Ambrogio Lorenzetti.
Dieser stilkritischen Erkenntnis von einer Seite kam dann eine descriptive Feststellung für die
Katalogarbeit von anderer Seite zu Hülfe. Die Rückseite des Bildchens ist ursprünglich sorgsam
behandelt, ringsum mit gemustertem Rande umzogen und die Fläche marmoriert, so dass sie als
Aussenseite betrachtet werden konnte, d. h. es war bestimmt, entweder nur die eine Hälfte eines
Diptychons zu bilden, oder doch einen Deckel zum Schutz des eigentlichen Gemäldes zu erhalten.
Nun aber besitzt die selbe Sammlung ein anderes Täfelchen (Nr. 48) von der gleichen Grösse
(H. 29 X B. 20 cm), und die nämliche Bemalung und Einfassung der Rückseite beweist vollends die
Zugehörigkeit der beiden Stücke, deren Rahmen sogar — unter erneuerter Vergoldung — so genau
i.ibereinstimmen, dass auch die Vorderseiten das Innere eines und desselben Diptychons gebildet
haben müssen. Diese andere Hälfte, die als Deckel zum Madonnenbilde gehört, trägt unten die
volle Bezeichnung
PETRVS LAVRETII DE SENF ME PIXIT
an der nur das letzte Wort erneuert worden und so über die Grenze hinausgeht. Hier ist nämlich
in dem Goldgrunde ein Fensterrahmen aus buntem Marmor gemalt, auf dessen unterer Leiste vorn
die Inschrift in goldenen Buchstaben und zwar in den Formen der Übergangsperiode steht, deren
sich Pietro auch sonst bedient.' In dem oben dreieckig zugespitzten Fenster, dessen Rahmen
perspektivisch gezeichnet ist, wird auf dem dunklen Grunde die Halbfigur des toten Christus sichtbar,
wie aus dem Grabe hervorschauend, so dass ein Teil nur des breiten Heiligenscheins um das Haupt,
das sich leise auf die rechte Seite vornüber neigt, den schräg ansteigenden Rahmen bedeckt. Die
Arme sind über dem Leibe gekreuzt, so dass die beiden Hände mit den Wundmalen darin sich
gegen die Hüften breiten und mit den Fingerspitzen den dünnen Schurz berühren, dessen obere
Falten nur noch sichtbar werden. Die Malerei des nackten Körpers ist „bis auf wenige Retouchen
wolerhalten", aber schon ursprünglich als Deckelbild flüchtiger gehalten als die farbenprächtige
Madonna, hat aber eben dadurch die grösste Verwandtschaft mit den Wandgemälden des Pietro
Lorenzetti, den Vasari gewiss in missverständlicher Lesung einer gleichen Inschrift Laurati statt
Laurentii bezeichnet, während wir korrekter Piero di Lorenzo sagen sollten. Der Christustypus mit
den gescheitelten, leicht gelockt auf die Schultern herabfallenden, hellblonden Haaren, mit dem
spärHchen Bart um Lippen und Kinn, dem halb geöffneten kleinen Munde und den gebrochenen,
nicht zugedrückten Augen ist genau der selbe, wie in den Fresken der Unterkirche von Assisi, in der
grossen Kreuzigung und den Passionsgeschichten daneben. Dies Bildchen in Altenburg wird also
zu einer durchaus zwingenden Urkunde, die durch volle Namensbezeichnung den nämlichen Meister
auch als Autor jener vielumstrittenen Wand- und Deckenbilder bestätigt. Die eigentümlich summa-
rische Behandlung, des Haares in langen gewellten Strähnen, des Antlitzes mit niedriger breiter
Stirn, geradlinigen Brauen, breit geschlitzten Augen, langer gerader Nase und grossen Wangenflächen
mit vorstehendem Backenknochen, der gleichmässigen Fülle der Oberarme mit merkwürdig starker
I Besonders die halbrunde Form des 6, die Zusammenzieliung des H und V, die oben runde Form des /T\
bemerkenswert.
— 153 —
Verjüngung vom Einbogen bis ans breite Handgelenk, der weiten Zwischenräume zwischen den
dünnen spitzen Fingern, der leeren oberflächlichen Ausführung des Brustkastens und des Rumpfes,
die sich auf Andeutung des Notwendigsten beschränkt, das alles sind Eigentümlichkeiten, die hier
wie auf einem Altarwerk in der Galerie zu Siena ebenso, wie auf jenen hochbedeutenden Passions-
bildern in S. Francesco wiederkehren. Das Doppelbild in Altenburg wird also sehr wesentlich zur
genaueren Erkenntnis des Pietro Lorenzetti und zur Unterscheidung von seinem Bruder Ambrogio
beitragen. '
Auf einen andern Weg des künstlerischen Schafifens, auf dem sich beide betätigt haben sollen,
wo also die Frage nach der besondern Weise des Einen wie des Andern sich gleichermafsen
einstellt, auf das Gebiet allegorischer Darstellungen, führt uns ein anderes Werk der Altenburger
Galerie, das mit der doppelten Bezeichnung „Schule von Siena um 1400, angeblich Gherardo Starnina"
(alter Katalog Nr. 10) den Kunsthistoriker zunächst vor eine noch schlimmere Alternati\'e stellt.
Das Hochbild hat zwei Darstellungen über einander. Das Spitzbogenfeld oben enthält Christus
am Kreuz mit Maria und Johannes darunter. Unter der wagerechten Grundlinie dieses Bildes ist
das Hauptstück im Halbkreisbogen geschlossen und die Zwickel, die daneben übrig bleiben, mit
Rankenwerk in Relief verziert, dessen Früchte aus eingelassenen buntfarbigen Edelsteinen oder Glas-
pasten gebildet waren, deren Fassungen jetzt leer sind. (Das Ganze mifst H. 98 x; B. 52 cm
Pappelholz).
In der Mitte des Hauptbildes sitzt auf reich verziertem gotischem Throne, — mit hoher Rück-
wand und in perspektivischer Zeichnung schräg dagegen laufenden Seitenlehnen die von zweigeteilten
Spitzbogenfenstern durchbrochen sind, — die Gestalt der Maria ganz von vorn gesehen, doppelt so
gross als alle andern Figuren, seien sie dem Hochsitz zunächst oder ganz vorn dem Beschauer zunächst
aufgestellt, d. h. ohne Rücksicht auf den Abstand, im Widerspruch mit der Perspektive. Nur die
Bedeutung für die Gedanken bestimmt hier den Mafsstab dieser Figur, und demgemäss ist sie, genau
in der ' Mittelaxe des Ganzen, in senkrechter, unbeweglicher Haltung, in ruhiger, geschlossener
Gewandung, wie ein Götterbild in statuarischer Feierlichkeit hingesetzt. Es ist nicht die liebevolle
Mutter, die wir kennen gelernt, sondern die erhabene Himmelskönigin, mit der Krone auf dem Haupt.
Ihr Antlitz ist nicht das jungfräulich zarte, noch das matronenhaft gealterte, sondern das der
unberührten Gottesgebärerin, in der Mitte der Zeit, aber in die Ewigkeit aufgenommen, und so in
Leidenschaftslosigkeit erstarrt wie ein Marmorbild. Der ovale Umriss wie die innern Gesichtsteile sind
von strengem Ebenmafs. Die breite, massig hohe Stirn, die gross geschwungenen Brauen, die tief-
liegenden, weit auseinander gerückten Augen mit mandelförmigem Schnitt und geradeaus gerichteten
Pupillen, die lange kräftige Nase mit anliegenden Flügeln, der geschlossene Mund mit schmalen
Lippen, das feste breitgerundete Kinn verleihen dem Ganzen mehr Hoheit und Stärke als Anmut
und Huld. „In diesen Zügen wohnt kein Herz" — und die rotblonden Haarwellen, die vom Scheitel
herabfliessend auch die Ohren bedecken, das Manteltuch, das am Hinterhaupt emporgezogen ist und
I Das Diptychon wird deshalb im Jahrgang 1897 der „Kunsthistorischen Gesellschaft für photographische Publika-
tionen" veröffentlicht.
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das Antlitz wie den starken Hals umrahmt, auf der Brust von einem prachtvollen Kleinod zusammen-
gehalten, die dunkle Masse des blauen Mantels selbst, der von den Schultern in einfachen Falten-
zügen bis auf den Boden den ganzen Körper umschliesst, all das trägt nur dazu bei, die ernste
Majestät dieses Weibes zu erhöhen, das als keusches Gefäss des göttlichen Willens gedient hat und
als Trägerin des Heiles selber geheiligt ward.
Nur da, wo die Hände unter dem wenig gelüfteten Mantel hervorkommen, sieht man das
kostbar gewebte rotgoldene Gewand, das ihren Leib umfängt, und diese Hände sind schlank und
schmal, ausserordentlich vornehm. Die langen schöngestellten Finger halten den Gottessohn, der
von der Brust abwärts in eine reichgeblümte Tunika aus grünem Goldgewebe verborgen ist. Trotz
dieser schimmernden Hülle, die ihn wie der Panzer eines Goldkäfers einschliesst, bewahrt das Knäblein
die ganze Lebhaftigkeit eines gesunden Kindes, ja die grausame Lust an verwandtem Leben. Sein
Körper ist wolgenährt, die Brust sogar fleischig, die Arme rund mit zahlreichen Einschnürungen der
Haut über dem weichen Polster; der runde voUwangige Kopf sitzt auf kurzem Halse und wird von
reichen blonden Löckchen umrahmt. Unter der hohen Stirn funkeln ein Paar grosse dunkle Augen.
Denn in der Rechten hält es mit hartem Griff ein flatterndes Vöglein am Schwänze fest, um mit
der Linken nach dem Palmzweige zu langen, der ihm von frommer Himmelsbraut geboten wird.
Sein Köpfchen wendet es ganz herum, und treibt so, im Gegensatz zur ernsten Mutter, auf eigene
Hand sein fröhliches Spiel.
Durchaus sienesisch ist dies Zusammenstossen der starren, gedankenhaften Allegorie mit der
naiven Kindlichkeit und den intimen Beziehungen menschlicher Wesen. Und keine Frage, diese Ver-
einigung der Kinderscene, die sienesische Madonnen sonst so glücklich macht, mit der thronenden
Majestät, die wir aus Stadtpalästen kennen, ist nur denkbar auf dem Boden der sienesischen Kunst.
Die Leistungen eines Simone Martini wenigstens, wenn nicht schon die eines Duccio sind ihre
Voraussetzung. Und sehen wir diese Verbindung gerade da sich einstellen, wo abstrakter Ideen-
gehalt in die Region zeitloser Bedeutsamkeit über die natürlich menschlichen Dinge hinausstrebt, da
darf auch der dritte Name nicht fehlen, Lorenzetti. Ohne die allegorischen Darstellungen, die
sie — vielleicht angeregt durch Giottos Verherrlichung der Tugenden des heiligen Franciscus oder
durch die lehrhafte Bilderschrift, die vom Dominikanerorden verlangt und gepflegt ward, — im geist-
lichen wie im weltlichen Sinne versucht haben, ohne ihr Streben, die Gedankenspiele der Zeit in
Gemälden anschaulich zu machen und so die Bedeutung, den Rang ihrer Kunst durch die Heirat
mit dem scholastischen Geist der höchsten Gesellschaft zu erhöhen, ohne diese Verquickung, die
gerade Pietro und Ambrogio Lorenzetti vollzogen haben, ist schon die triumphierende Gottesgebärerin
dieses Bildes nicht erklärbar.
Wie vielmehr nun die übrigen Bestandteile, die noch hinzukommen! An das Podium des
Thronsitzes, dessen Stufe mit goldenem Teppich belegt ist, stossen links und rechts vorspringende
Flügel der Estrade, — hier im Hochbilde nach vorn gerichtet, während sie sich auf jenen Wand-
gemälden der „Maestä" nach beiden Seiten hin ausdehnen. Es ist derselbe Mosaikfussboden aus
buntem Marmor, dessen wolbekanntes Rautenmuster zwischen den einander durchkreuzenden Streifen
in perspektivischer Verkürzung gezeichnet ist. Auf dieser geheiligten Schwelle stehen Bewohner
— 155 —
des Himmels als Zeugen aufgereiht, hier wie dort, nur in Rücksicht auf das Hochformat des Bildes
hier paarweis gesellt. Ganz vorn einander gegenüber die Apostelfürsten Petrus und Paulus, dann
die Lokalpatrone Johannes der Täufer und Nicolaus von Bari, in bischöflichem Ornat mit den drei
goldenen Bällen auf der Hand. Es folgen weiter nach innen, links neben dem Täufer ein bardoser
Mönch in schwarzer Kutte mit einem Krückstock in der Rechten und einem Rosenkranz in der
Linken, also ein jüngerer Ordensheiliger in der Art des S. Giovanni Gualberto oder Agostino Novelle,
und gegenüber S. Agatha, die ihre abgeschnittenen Brüste darbringt; endlich, dem Thron zunächst,
die königliche Jungfrau Katharina von Alexandrien auf der rechten und eine ebenso jugendliche
Martyrin in weltlicher Tracht, ohne anderes Attribut als den Palmzweig, auf der linken Seite vom
Beschauer. Jenseits dieser beiden Heiligenpaare hüben und drüben, die gewiss dazu dienen können
den ursprünglichen Bestimmungsort des Bildes ausfindig zu machen, werden oben fliegend noch je
drei Engel sichtbar, die zu pyramidalem Gipfel der beiden Reihen geordnet in verschiedenen Stellungen,
durch die Fenster der Thronwangen hindurch schauend, die Königin des Himmels verehren.
Nun aber kommt zu diesen herkömmlichen Bestandteilen der Maestä noch ein Neues hinzu:
zwischen der Thronstufe und den Seitenflügeln der Estrade bleibt in der Mitte ein trapezförmiger
Ausschnitt frei, wo statt des glänzenden Mosaikfussbodens der grüne Boden der Mutter Erde offen
daliegt. Hier streckt sich in schräger Lage, auf einen Einbogen gestützt den Oberkörper empor-
richtend ein Weib von mächtigen Formen. Ein schwärzliches zottiges Fell umschliesst die Beine, so
dass unten nur die nackten Füsse mit ihren langen fingerartigen Zehen hervorschauen, bis an die Taille,
wo die rote glatte Innenseite herausschlägt. Von hier ab hebt sich die volle Büste mit den Armen,
nur von einem durchsichtigen feinfaltigen Hemd mit Ärmeln, das alle Formen erkennen lässt, bedeckt,
— wie aus einem Purpurkelch — , und verstärkt die Wirkung des schönen jugendlichen Kopfes mit
reichem aufgelöstem Lockenhaar, dessen gross gezeichnete regelmässige Züge nur von schmerzlichem
Ausdruck durchzogen werden. UnwillkürHch denken wir zuerst an die Büsserin Magdalena; aber der
polygone Nimbus um das blonde Haupt belehrt uns, dass keine vollgültige Heilige gemeint sei, und
ein Schriftband in der Rechten enthält nicht die Worte „Dilexit multum . . ." sondern in gotischer
Minuskel ^ßupen^ becepit nie tt caniEtii . . . und diese Antwort auf die Gewissensfrage Jehovas (Genesis
III, 13) geben die Trägerin als die Stammmutter des Menschengeschlechts zu erkennen, durch die
Sünde und Tod in die Welt gekommen, und bezieht sich, wie die abweisende oder klagende Gebärde
der Linken, auf die Schlange, die sich auf der andern Seite daher ringelt und den ebenso blond-
lockigen Frauenkopf zu ihr herüberstreckt. Die verführerische Rede dieses dämonischen Wesens steht,
soweit sich aus den abgeriebenen Goldbuchstaben in gotischer Minuskel erkennen lässt, am Innern
Rande des Podiums geschrieben, das die Arena einschliesst. Wenigstens sind die Worte: ^ . . . gucm
... tß ... Et jfructUJ» illiU^ ülllti^ zwischen Ornamentstreifen erkennbar geblieben, die sich vielleicht
aus dem Kommentar Thomas' v. Aquino ergänzen lassen. Damit ist Eva, die von der verbotenen
Frucht des Baumes der Erkenntnis gegessen hat, und ihren schönen Leib, das herrlichste Gebilde
des Schöpfers, verhüllt, in Angst und Zittern vor dem zürnenden Vater, der Stimme des Gewissens
die schuldbewusste Antwort stammelnd dargestellt, und so am Boden sich windend in deutlichem
Gegensatz zur keuschen Jungfrau Maria gezeigt, die droben in ewiger Reinheit als Siegerin über die
- 156 -
Sünde thront. Die unberührte Gottesnnagd wird der Schlange den Kopf zertreten, hatten die Propheten
des alten Bundes geweissagt; hier stehen die Zeugen des Evangeliums und bestätigen die Erfüllung.
Wir haben also eine von jenen allegorisch-symbolischen Kompositionen vor uns, wo Maria,
das stralende Weib der Apokalypse, über das Böse triumphiert, wie die reine Lehre und ihr gefeierter
Verfechter Thomas von Aquino über die Irrlehren der Ketzer, die zu seinen Füssen sich krümmen,
in jenem Bilde des Francesco Traini zu Pisa.^ Eine solche allegorische Dichtung über das Erlösungs-
werk, in der Christus, der gekreuzigte, als Sieger über den Tod die Hauptrolle spielt, besitzen wir
in einem kleinen, leider fast zur Unkenntlichkeit verwischten Breitbilde der Galerie von Siena, das
dort dem Pietro Lorenzetti beigemessen wird. Dort aber vollzieht sich, wie auf den berühmten
Fresken des Camposanto und wie die Schilderung des Eremitenlebens auf einer Tafel der Uffizien,
die man ebenso mit dem Namen Lorenzetti in Verbindung bringen möchte, die Handlung oder der
Gedankenfortschritt in verschiedenen Momenten durch die Bildfläche hin. Hier in Altenburg ist
dagegen der Tod des Erlösers und der Schmerz der Mutter mit dem Lieblingsjünger, der den Sohn
ersetzen und für die Jungfrau zeugen soll, in das Bogenfeld gewiesen, das ursprünglich schon flüchtiger
gemalt, doch am besten erhalten ist.^ Der genaueste Zusammenhang der zwei Figuren mit den
drei Spitzen des Throngiebels unten stellt die dekorative Absicht ausser Zweifel. — So aber wird es
möglich , die Hauptscene zu einem feierlichen Triumph, zeitlos in seiner bleibenden Bedeutung, sub
specie aeterni zu erheben. Dadurch unterscheidet es sich von jener religiösen Allegorie auf Christus
Triumphator in der Galerie von Siena und bekommt mehr Verwandtschaft mit der Darstellung des
guten und des bösen Regiments im Stadtpalast, d. h. den weltlichen AUegorieen des Ambrogio
Lorenzetti, in denen sich der fortschreitende Gang aneinander gereihter Einzelmomente noch mit
der feierlichen Ruhe der thronenden Gottheiten, dem Urbilde der Maestä, den Rang streitig macht,
ohne durch einen engen Anschluss an die Raumgesetze der Architektur zu einem befriedigenden
Ergebnis echt monumentaler Malerei zu gelangen.
Schon in diesem Sinne gehört das Altenburger Hochbild mit seiner Verteilung des Stoffes
auf eine Haupttafel und ein sekundäres Bogenfeld, wo gerade die Kreuzigung so häufig schon über
der Madonna mit Heiligen ihre Stelle fand, mitten hinein in die Entwicklungsreihe. Es ist also eine
Urkunde für die allmähliche Auseinandersetzung zwischen Altarwerk und Wandmalerei auf der einen
Seite, zwischen Historien- und Repräsentationsbild oder successiver und simultaner Auffassungsweise
auf der andern. So kann auch seine Entstehungszeit nur da gesucht werden, wo diese Unterschiede
noch unsicher und fliessend waren, wo denkende Maler, wie die Urheber der genannten Beispiele,
je nach der Gelegenheit, die sich darbot, zu Versuchen veranlasst wurden, deren glückliches Gelingen
erst der klaren Einsicht in das Wesen auch der Nachbarkünste, Architektur und Plastik, verdankt
werden kann, d. h. über das Verständnis der Trecentisten hinausliegt. Die besondere Lösung, die
1 Vgl. Herrn. Hettner, Italienische Studien S. 107 ff.
2 Auf summarisch dargestelltem Felsboden steht das einfache Kreuz, daran eine fast karrikierte schmale lang-
beinige Gestalt des Gekreuzigten, links die Madonna in Vorderansicht in blauen Mantel eingehüllt, mit finstern, alten
Zügen, rechts Johannes in Profil mit braunrotem Mantel, beide ohne viel Ausdruck. Auch darin die sekundäre Wirkung
absichtlich der Ökonomie des Ganzen untergeordnet.
— 157 -
hier auf Grund der gewohnten Ökonomie eines Tafelbildes, gleichsam mit Einbeziehung eines Predellen-
stückes in die Hauptkomposition, versucht wird, und der Zusammenhang mit jener religiösen Allegorie
zu Siena, wo der Sündenfall den ersten Moment der Reihe bildet, wie hier die Unterlage der Maestä,
weisen beide zwingend auf ein ganz bestimmtes Stadium in der Entwicklung der sienesischen Malerei,
mag auch das Tafelbild in Altenburg für einen auswärtigen Bestimmungsort geschaffen sein, wie
etwa Pisa, wohin die alte Benennung als Gherardo Starnina, wie die Bevorzugung des Nicolaus v. Bari
zugleich hinzudeuten vermöchten. Der Urheber gehört der sienesischen Schule an, und hängt, darüber
kann wol kein Zweifel walten, mit Ambrogio Lorenzetti aufs Engste zusammen.
In erster Linie muss hier der Typus der Himmelskönigin entscheiden, die durchaus Hn die
Versammlung von Idealköpfen hineinpasst, die Ambrogio in der Verherrlichung des guten Regiments
im Stadthaus seiner Vaterstadt gegeben hat, und zwar entspricht die kalte Regelmässigkeit ihrer
Züge, der starre Ernst ihres Ausdrucks mehr den Vertreterinnen eines unbeugsamen Principes, wie
etwa des Rechtes, als den anmutigen oder gar liebreizenden Wesen, die er als Verheissungen des
Friedens oder der Barmherzigkeit so lockend zu beleben weiss. Hier in der Mitte wird auch die
Vorderansicht wie felsenfeste Unbeweglichkeit des Götterbildes beibehalten. Wie absichtlich das
geschieht, darüber belehrt das perspektivische Streben in unmittelbarer Umgebung wie der Drang
nach Bewegung schon im Kinde. Eben hier aber darf nicht verkannt werden, dass die räumliche
Auseinandersetzung der tektonischen wie der plastischen Körper auf dem gewollten Schauplatz, die
Wiedergabe eines palco scenico nach damaligem Festapparat im Kirchenchor oder auf der Piazza
del Campo selbst, doch neben überraschender Erfahrung auf der einen Seite, nämlich der Architektur,
auch unläugbare Fehlgriffe nach der andern, nämlich der Plastik, vor Augen stellt.
Das Verhältnis der Figuren zu ihrem Standort und zu einander ist freilich durch die Ver-
grösserung der Hauptfigur zu Gunsten ihres idealen Wertes gestört worden, indem diese, wie gesagt,
an der zurückliegenden Stelle des Schauplatzes, wo eine Verkleinerung geboten wäre, vielmehr
doppelt so gross als die Heiligen vor dem Thron gebildet ist. Dabei ward auch die Untensicht,
wie sie auf erhöhtem Podium sich einstellen musste, im Kopf der Maria ausser Acht gelassen. Aber
auch die paarweis geordneten Heiligen sind in der zweiten Reihe etwas grösser als die der vordersten;
die Engel, die in dritter Reihe schweben, dagegen auffallend kleiner, auch wenn nur halbwüchsige
Mägdlein gemeint sein mögen. Perspektivische Unsicherheit auf dem plastischen Gebiet der Gestalten-
bildung und Zeichnung verkürzter Form macht sich überall und besonders auch darin bemerkbar,
dass bei der häufigen Anwendung der Dreiviertelsicht die abgekehrte Seite des Kopfes zu stark
zusammenschwindet. Selbst bei Paulus, dessen Gesicht fast ganz nach vorn gedreht ist, verführt
den Maler diese Gewohnheit, die eine Gesichtshälfte scharf abzuschrägen. Seine Figuren sind eher
gedrungen als schlank, bei kaum mehr als sieben Kopflängen wolproportioniert in den Gliedmafsen, nur
die Schultern überall schmal, selbst bei Maria, unter dem grossen Kopf besonders auffällig. In ihrer
Bewegung macht sich ein Rest von Befangenheit in der Scheu vor weiterem Ausgreifen bemerkbar,
während die Wendung und Drehung sonst schon sehr mannichfaltig, in der Lebhaftigkeit des Kindes
sogar zu kühnem Kontrast der Körperlage nach links und der Abkehr des Kopfes, der Arme und
des Brustkastens nach rechts hin, sehr vorgeschritten erscheinen.
Diesem Grade seines Verständnisses für die Gestaltung entspricht auch die Art der Gewandung.
Sie legt sich überall weich und ziemlich eng an die Leiber an und lässt, mit wenigen Ausnahmen,
wo die Tracht es mit sich bringt, nirgends gehäufte und durchlaufende Faltenzüge hervortreten oder
gar selbständig als ornamentale Draperie das Gestell überwuchern. Er ist also fern von dem spät-
gotischen Gehänge und Geschlängel, das in Siena gerade am Übergang ins XV. Jahrhundert, in den
Tagen eines Taddeo Bartoli und Don Lorenzo Monaco so häufig Überhand nahm. Im Gegenteil
bezeugen die Ausnahmen, wie die Mäntel des Petrus, Johannes und Paulus mit dem Motiv der schräg
ansteigenden, glatt gelegten und in einem Punkte zusammenlaufenden Falten, dass er seine Studien
nach antiken Togafiguren gemacht hat, während er die steifen Flächen und Bruchfalten des Gold-
brokats im Pluviale des Bischofs Nicolaus und dem Fürstenmantel Katharinas von der schmiegsamen
Weichheit und dem sanften Fluss der sonstigen Stoffe weiblicher Kleider unterscheidet. Die schweren
Goldgewebe mit ihren reichen Mustern und sonstigem Zierrat giebt er noch in der ganzen emsigen
Genauigkeit sienesischer Goldschmiedsarbeit aus bester Zeit, ebenso wie den eingelegten Fussboden
und den Teppich, der vom Throngiebel über den Sitz und die Stufen herabhängt. Und wie in den
Farben, hier noch zurückhaltend, steigert er in den Gewändern der Heiligen die Pracht: Petrus
erscheint in hellblauer Tunica mit gelbem Mantel, der bei Paulus violett, bei Johannes über dem
Fell tiefrot gehalten ist. Neben der schwarzen Kutte des Mönches stralt die Nachbarin in zinnober-
rotem Überwurf über blauem Kleide, während gegenüber S. Agatha nonnenhaft die blaugraue Hülle
über den Kopf gezogen hat, und Katharinas Purpurgewand unter dem hellrosa Goldbrokat des
Mantels hervorleuchtet. Ihr begegnet das Grüngold des Jesusknaben und über dem rotgoldigen
Kleid Marias breitet sich beruhigend, zwischen dem schimmernden Glanz der Engel und des Thrones,
der weite dunkelblaue Mantel der Königin.
Es ist unläugbar, hier sind die wolabgewogenen Kontraste wie Vermittelungen eines Malers,
der auf dem Grunde der mittelalterlichen Polychromie und ausgesprochener Farbenfreude die Vorzüge
eines Koloristen zu entwickeln im Begriff" war, soweit die Aufgaben und die Sinnesart seiner Zeit
die eignen Ansprüche eines solchen Geschmackes aufkommen Hessen.' Damit vereinigt sich die
Mannichfaltigkeit und die Abwechslung der Typen, die ihm zu Gebote steht, zur Bereicherung
verschiedenartigen Lebens, das der einförmigen Zeugenschaft bei solchem Stillstand des eigentlichen
Geschehens zu Hülfe kommt.
Petrus zeigt auf kurzem, kräftigem Halse mit stark betonter Muskulatur des Nackens einen
etwas verdrückten Kopf mit scharf beschnittenem grauem Haupthaar und kurzlockigem Vollbart.
Sein Antlitz hat eherne, fleischlose Züge, zugekniffene Augen mit unheimlich blitzendem Weiss und
eine vorgebaute Mundpartie, die den Ausdruck des Ingrimms verstärkt. Ihm zugekehrt weist
Johannes auf den Sohn Mariens hin, während in der Linken ein langes Schriftband mit dem voll-
ständigen Spruch: „Ecce agnus dei qui tollit peccata mundi" in schwarzer gotischer Minuskel, flattert.
Sein Gesicht ist schmaler und jugendlicher, von starkem braunem, aber nicht in die Höhe strebendem
I Die Farben haben durch Alter und besonders durch einen brüchig gewordenen Firnis gelitten, die Fleischfarben
jetüt bei allen Gestalten einen Stich ins Grünliche oder Bräunliche, mit fein vertriebenen Lichtern, Aber der ursprüngliche
Schmelz und die Vollsaftigkeit der Tinten behauptet sich auch in diesem Zustand.
— 159 —
Haar und dunklem in langen, vereinzelten, aber nicht scharf gedrehten Locken herabhängendem Bart
umwallt. In lauter kleine Fältchen zieht sich das bartlose Antlitz des Mönches zusammen, während
die Märtyrin neben ihm in heiterer Jugendfrische blüht. Vielleicht die Schönste im ganzen Bilde ist
die bräutliche Katharina: ihr anmutiges Haupt wiegt sich auf schwankem vorgestrecktem Halse,
üppiges rotblondes Haar fliesst von dem Scheitel unter dem zierlichen Diadem, das ihre Stirne
schmückt, auf die Schultern nieder. Ihr edles Profil ist das einzige weibliche, das eine freie hohe
Stirn, eine nicht zu lange Nase und eine wolproportionierte untere Gesichtshälfte aufweist. Nur als
Folie dient ihm das schmale Antlitz Agathens mit traurigem Ausdruck. Als weissbärtiger Greis
erscheint neben ihr Nicolaus in weisser goldgezierter Mitra mit bronzefarbenen aber regelmässigen
Zügen; nur der Blick der schmalen Augen hat etwas Stechendes, das wol die Aufmerksamkeit auf
Petrus den Apostelfürsten gegenüber bezeichnen soll. Denn sein Nachbar Paulus wendet sich dem
Betrachter zu nach aussen. Mit dem blanken Schwert in der Rechten, das auf den linken Arm
herüber neigt, hält er vier Briefe zwischen den Fingern, die in perspektivischer Zeichnung so getrennt
hintereinander stehen, dass auf jedem der Anfang seiner Adresse sichtbar wird. Das ältliche Antlitz
des kahlwerdenden Kopfes ist von mächtigem braunem Vollbart eingerahmt, tiefe Falten über der
Stirn und lange Furchen von der Nase über die Wangen erinnern an das byzantinische Urbild dieses
Typus. Und nehmen wir dazu die Engel hinten, mit ihrem reichen rotblonden, in vollen Wellen an
den Schläfen zurückgestrichenen Lockenhaar, mit den hochsitzenden mandelförmigen Augen, mit dem
langgezogenen Oval auf schlanker Säule des Halses, und dem ernsten Ausdruck in diesen Zügen,
so rühren wir abermals an das köstliche Besitztum einer uralten Kunsttradition, das seit Duccios
Tagen noch bei den nächsten Nachbarn fühlbar genug den Grundstock all ihrer Vorstellungen bildet,
sobald sie zu den idealen Regionen, des Himmlischen und zur ewigen Majestät der Gottheit emporstreben.
Auf der andern Seite wird das Bestreben nach Tiefenentfaltung im Schauplatz der bedeutungs-
vollen Scene nicht unterschätzt werden dürfen. Schon die vorderen Paare der Heiligen links und
rechts vermitteln zwischen Flanken- und Frontstellung, d. h. zwischen dem Beschauer und dem
Hochsitz der Himmelskönigin. Die perspektivische Zeichnung des marmornen Parquets, auf dem sie
stehen, lässt keinen Zweifel über die Richtung, wenn sie auch mit der Höhenaxe zusammen geht.
Der dreigieblige Thron steht auf breitem Sockel, Stufen führen zu ihm hinan, der schräge Verlauf
der Seitenlehnen gegen die Rückwand betont mit ihren Spitzbogenfenstern in voller konstruktiver
Entschiedenheit die Tiefe des Gestühls. Ganz besonders aber wird schon der erste Anblick durch
den trapezförmigen Ausschnitt aus dem Podium bestimmt. Das Zusammenfliehen des Stufenrandes
über dem natürlichen Erdboden, der als Arena für den Auftritt zwischen Eva und der Schlange
dient, wie für den Zweikampf bei einem Gottesurteil, — diese Eröffnung einer Vorbühne zu Füssen
des eigentlichen Festapparates ist ein sehr charakteristisches Mittel in der Raumökonomie, das die
Frage, wo sonst dergleichen im Trecento zu finden sei, dringlicher und persönlicher als die doppelte
Rechnung zwischen Wollen und Können sonst, erneuert.
Unter den erhaltenen Denkmälern können hier ausschliesslich die Gemälde des Ambrogio
Lorenzetti in Betracht kommen. Ganz besonders verwandt ist die Anordnung einer Madonna mit
Engeln und Heiligen in der Galerie zu Siena, ein anerkanntes kleines Hochbild, wo Maria auf teppich-
— i6o —
belegten Stufen thront, die Verehrer links und rechts aufgereiht zu ihr emporschauen, und der
trapezförmige leere Raum in der Mitte nur vorn mit einer Blumenvase geschmückt ist. Hier sind
auch sonst alle charakteristischen Merkmale beisammen, die an der Altenburger Tafel herv^orgehoben
werden mussten: die mannichfaltigen, zwischen fleischlosem Asketentum und üppiger Jugendfrische
auf- und absteigenden Typen, mit der entsprechenden hier zarten und rosigen Karnation, dort
runzligen olivenbraunen Haut über den Knochen, der wunderbar emailartige Auftrag der Farbe
ohne jede Spur der Pinselzüge, und ihre noch in mangelhafter Erhaltung überall erkennbare
Reinheit und Leuchtkraft, die geschmackvolle Zusammenstellung wirksamer Kontraste der Poly-
chromie wie der Übergang zu harmonischer, ja entschieden koloristischer Verwertung der Natur-
farben. Selbst die Gewandbehandlung stimmt überein, soweit der Aufbau aus Figuren allein ohne
die tektonischen Bestandteile dazwischen nicht andere Rechnung vorschrieb. Und dann zwei
auffallende Eigentümlichkeiten: die perspektivische Durchführung der Muster auf Fussboden und
Teppich mit ihrer überraschenden Virtuosität, und die seltsame Verquetschung der Köpfe mit
ihrer besonders unterhalb der Schädelbasis schnell zusammenschwindenden Gesichtshälfte, die dem
Beschauer abgekehrt verkürzt erscheinen soll, aber verkümmert oder verzerrt, oft gar mit schief
gezogenem Munde, nicht selten die schönsten Gesichter entstellt. — Da haben wir die fehlerhaften
Angewohnheiten mit den überlegenen Vorzügen eines Meisters beisammen, die sich in dieser Ver-
quickung kaum anderswo wiederfinden. Berücksichtigt man daneben die besondern Bedingungen
der Allegorie, wo der Ausdruck abstrakter Gedanken und symbolischer Beziehungen die freie
schöpferische Tätigkeit des Künstlers unterband und die malerischen Vorzüge seines sonst geläufigen
Verfahrens gefährdete, so werden auch Abweichungen und Flüchtigkeiten im einzelnen nicht ver-
wundern. Dem dogmatischen Begriff, ja dem beigeschriebenen Wort musste notwendig ein Teil
der künstlerischen Durchführung zum Opfer fallen. Geht nun aber gerade in diesen Wahrzeichen
mühvollen Ringens zwischen geistigem Inhalt und sichtbarer Form die allegorische Darstellung in
Altenburg, wie wir dargetan, als zugehöriges Glied in eine Reihe von anderen Versuchen desselben
Meisters ein, und geht sie andrerseits deutlich über die Bestrebungen des altern Bruders Pietro hinaus,
so kann diese wichtige Urkunde für den geistigen und künstlerischen Fortschritt der sienesischen
Schule, die wir in Altenburg vor uns haben, vorerst nur mit dem Namen des jüngeren. Ambro gio
Lorenzetti verbunden werden. Bei der eigenartigen Erfindung und den verwickelten Schwierigkeiten
der Aufgabe, die hier zu lösen versucht ist, verbietet es sich von selbst, mit leichtfertiger Abschiebung
an einen unbekannten Schüler zu denken. Es ist die selbstgewollte durchdachte Leistung eines
Meisters, der noch im vollen Zuge der echten Kunst steht, also im dritten Viertel des Jahrhunderts seine
reifsten Früchte zeitigen mochte. Weder von der ornamentalen Stilisierung der Spätgotik mit der
ein Jacopo della Quercia zu ringen hatte, ohne sich daraus erlösen zu können, noch von der Auf-
lösung der sienesischen Kunsttradition, die sich im letzten Drittel des Trecento fühlbar macht, ist in
der Altenburger Tafel irgend etwas zu spüren, sondern nur das hochstrebende Wollen eines überlegenen
Kopfes, dem das erlernte und erreichbare Können seiner Zeit zu eng wird für seine Gedanken.'
I Das Gemälde wird von der Kunsthistorisclien Gesellschaft für photographische Publikationen im Jahrijang 1897
■ö ff entlicht.
— i6i —
Was es heisst, dieses Bild erst gegen 1400 (und damit in die Tage des Florentiners Gherardo
Starnina) zu datieren, wie es im alten Verzeichnis geschieht, — das lehrt eine Vergleichung mit
andern Beispielen der sienesischen Schule bis zu den ausgesprochenen Meistern des Übergangs, an
denen die Sammlung Lindenau besonders reich ist, zur Genüge. Am lehrreichsten ist auf der einen
Seite vielleicht die Gegenüberstellung eines kleinen Breitbildes mit dem Tode Marias, das als eine
Abwandlung Duccios in einen milderen Geschmack erscheint, wie er in den Werken eines Bartolo
di Maestro Fredi oder den bekannten Wiederholungen Duccioscher Vorbilder im Museo dell' Opera
zu Siena sich äussert. Die Grundzüge der Komposition, die würdigen Gestalten der Apostel links
und rechts, wie der Engel, die Christus begleiten, besonders der Erzengel Michael, mit Schwert und
Kugel, zu Häupten und Gabriel, noch die Leiche segnend, zu Füssen, neben dem Gottessohn, der
die Seele in Gestalt eines Kindleins auf seinen Arm nimmt, gehören der geheiligten Tradition und
bewahren ihren machtvollen Adel; aber die Idealfigur in der Mitte, wie das Vorherrschen weicher,
zarter Farben, besonders Hellrosa, die Durchführung der Stralenglorie bekunden dazwischen das
Erlahmen der künstlerischen Kraft, die Neigung zu einer sanfteren aber auch minder charaktervollen
Schönheit.^ Auf der andern Seite würden die Werke eines Taddeo di Bartolo, eines Giovanni di
Paolo und Sano di Pietro wenigstens der Entstehungszeit nach schon ins folgende Jahrhundert führen,
in dessen erstem Jahrzehnt noch Spinello Aretino mit seinem Sohne Parri den Stadtpalast von Siena
mit historischen Wandgemälden schmückt. In welchem Umkreis wir uns dann, am Ausgang des spät-
gotischen Stiles bewegen, mag an dieser Stelle die Abbildung eines Predellenstückes vor Augen
stellen, das die Flucht nach Ägypten darstellt und dem Florentinisch gewordenen Sienesen Don
Lorenzo Monaco gehört.^
1 Vgl. die Abbildung oben S. 145; es wird im alten Verzeichnis, Nr. 34 als „sienesisch um 1340 wahrs
Ambrogio Lorenzetti" aufgeführt.
2 Im alten Katalog Nr. 31. Schule von Siena, aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.
FLORENTINER TRECENTISTEN
Längst vor Lorenzo Monaco, den erst neuerdings ein Aktenstück als gebürtig aus Siena
erwiesen hat, weiss die alte Tradition in Florenz von Künstlern zu erzählen, die aus derselben Heimat
zu kürzerem oder längerem Aufenthalt an den Arno herniedergestiegen, hier ihren Wirkungskreis
gefunden. Durch Vasaris sonst so lokalpatriotische Geschichte zieht sich, oft genug in naivem
Widerspruch zu seiner eifrig florentinischen Tendenz, eine Reihe sienesischer Namen, die eine dank-
barere Generation zu Florenz in lebendiger Erinnerung aufbewahrt hatte, wenn auch oft in irriger
Verknüpfung mit erhaltenen Werken. Aus den wolüberlegten Kapiteln, wo das Recht der Priorität
zur Sprache kommt, absichtsvoll genug hinausdrängt, spielen diese Namen an anderer Stelle zuweilen
eine seltsame Rolle und stellen zum Entgelt gelegentlich alles auf den Kopf. Aber auch so noch giebt
dieser Rest einer unparteiischen Überlieferung dem kritischen Historiker zu denken, und zwar nicht
allein bei jenen Anfängen, sondern auch während des ganzen Trecento, wo die sorgfältige Scheidung
der Schulen schon wie etwas Selbstverständliches hingenommen und immer wiederholt wird.
Gerade damals übertönt in Vasaris Darstellung der gute Klang des Namens Simone von Siena,
gleichviel ob Memmi oder Martini dabei steht, die Einheimischen von Florenz und räumt diesem
Fremden neben Taddeo Gaddi selbst da eine Stelle ein, wo er gar nicht hingehört, wie in Cappella
Spagnuoli bei S. M. Novella. Sein Landsmann „Laurati" wird gar durch ganz Toscana, wie Vasari
versichert, mit Aufträgen förmlich verzogen. Noch immer spukt Ugolino da Siena im Tabernakel
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des Andrea Orcagna, und weder Bernardo Daddi noch Lorenzo Monaco will es gelingen, ihn zu
verdrängen.
Zuverlässiger als Gerede der Leute, und sei es noch so alt, oder als Geschichtschreiber der
Renaissancezeit, und seien sie noch so klassisch, geben noch immer die künstlerischen Urkunden
selber Auskunft, die auf uns gekommen, gar manche Frage zu beantworten, die keiner von Jenen
gestellt. Eine Reihe von Gemälden der kleinen Sammlung in Altenburg führt uns, dem Ort ihres
Ursprungs und der Eifersucht ihrer Mitbürger entrückt, mitten hinein in den Widerstreit zwischen
florentinischer Geschichtschreibung und italienischer Kunstgeschichte.
Es sind zunächst drei Krönungen Marias, die hier in Betracht kommen, — zwei davon in
trefflichster Erhaltung, eine dritte leider arg verputzt und an entscheidender Stelle töricht verschmiert,
aber trotzdem kaum weniger wichtig als die beiden andern. Der Gegenstand der Darstellung schon
verknüpft sie mit Giottos berühmtem Altarwerk für die Cappella Baroncelli in S'? Croce. Dies war
der Kanon für alle florentinischen Maler, die dasselbe Thema in Angriff nahmen; sei es auf bestimmtes
Verlangen, sei es auf eigenen Antrieb, der Ausgangspunkt liegt dort. So wird der Verfolg der
Abwandlungen, die diese Komposition Giottos bis zum Anfang des Quattrocento erlebt, willkommene
Gelegenheit, die Oscillationen des Geschmacks und die Einflüsse auf den innern Kern des künstlerischen
Schaffens zu beobachten, die gar manche bisher geglaubte Erzählung berichtigen wird. Hier nur
in grossen Zügen ein paar Bemerkungen, die bereits verwertbar scheinen.
Alle drei Krönungen der Altenburger Galerie bestehen aus einem einzelnen Hochbilde, während
Giottos Altarvverk, ein dreiteiliges Breitbild von niedrigeren Verhältnissen, unter dem mittleren Bogen
nur die beiden Hauptfiguren Christus und Maria auf dem Thron und vier knieende Engel davor
enthält, die Chöre der Seligen aber als dichtgedrängte Reihen in die Seitenflügel hinaus verlegt.
Hier dagegen sind alle Zeugen in unmittelbarer Nähe des göttlichen Paares selber versammelt.
In dem ersten dieser Beispiele' bleibt jedoch der Anschluss an Giotto durchaus fühlbar, so
mannichfaltig auch die Abweichungen sich einstellen. In halber Höhe der gedrehten Säulen, die den
weiten ein gleichseitiges Dreieck einschliessenden, mit Rundbogenfries und Zahnschnitt ausgelegten
Spitzbogen tragen, liegt die Stufe des Thrones, dessen fester Aufbau mit hoher Rückwand und je
zweien, im Kleeblattbogen sich öffnenden Giebelfenstern über den schräg gestellten Seitenlehnen, die
beiden oberen Drittel der ganzen Bildfläche füllt. Auf der abgeschnittenen Spitze des Rückgiebels
steht auf breitem Fuss eine Monstranz in Tabernakelform, während die ansteigenden Simse, statt
mit knollenartigem Blattwerk, hier mit hohen Rankenwindungen besetzt sind, die dem Kopfstück
gotischer Krummstäbe gleichen. Schlanke Fialen krönen die Stäbe zwischen den Fenstern, Wimperge
mit Kreuzblumen diese Öffnungen des Gestüls, das so wie ein fünfteiliger Flügelaltar auseinander
zu klappen scheint. Die weisse Marmorwand hinten ist mit reichgemustertem Goldbrokat bedeckt,
dessen Spitze an sieben Nägeln aufgehängt in s}'mmetrischen Bogenlinien sich glatt ausspannt. Vor
ihm sitzen die beiden Thronenden in gleicher Höhe einander zugewendet und Christus setzt, wie bei
Giotto mit beiden erhobenen Armen der jungfräulichen Mutter die Krone aufs Haupt. Er selbst ist
' Altes Verzeichnis Nr. 137. H. 69 X B. 38 cm im Rähmclien. Die Erh.iltung
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barhaupt und jugendlich, wie auf dem Vorbild in S'? Croce, aber in scharfem Profil gesehen und
mit grossem Kreuznimbus als der Erlöser bezeichnet, während Maria nicht so matronenhaft verschleiert,
sondern mit zartem durchsichtigem Gebände, wol den Blick aber nicht die Stirn so demütig senkt
wie bei Giotto. Ihre Hände liegen gekreuzt über dem Leib hier wie dort, und bis auf den Schnitt
der Ärmel, die beim Christus Giottos den glockenförmigen Überfall bis an den Einbogen haben,
deren eckig abstehender Rand hier vermieden ist, bewahren auch die geraden Linien der Mäntel von
den Schultern nieder und die breiten Massen, die den untern Teil der Körper bedecken, viel Ähn-
lichkeit. Aber sie sind hier wuchtiger als dunkle Flächen mit schwerem Goldmuster und Besatz-
streifen ausgelegt, um im Gegensatz zu der feineren Gliederung der Architektur majestätisch zu
wirken. In der oberen Region aber, wo sich die Gewandmasse öffnet, die Arme sich vorstrecken,
die Gesichter gegen einander blicken, da kommt durch Engelköpfe, die links und rechts durch die
Fensterpaare schauen, noch ein Zuwachs an Leben und verständlicher Teilnahme hinzu. Zu den
Seiten darunter reihen sich dann die auserwählten Zeugen auf, je sieben links und rechts. In der
Höhe der Sitzbank zunächst die Büsten Johannes des Täufers neben Maria und des Apostels Petrus
neben Christus, als Vorläufer und Nachfolger des Gottessohns; dann paarweis nur bis an die Schulter
sichtbar die andern zwölf, unter denen links vielleicht Paulus neben einem andern Apostel (Thomas?)
oder Evangelisten (Lucas?) mit Buch und rechts Franciscus mit dem Wundmal an der Hand, neben
einem Bischof in Mitra, die Diakonen Stephanus und Laurentius in der Mitte, Katharina mit könig-
lichem Diadem vorn neben S. Bernhard und gegenüber eine Nonne neben einem bärtigen Eremiten
besonders kenntlich werden. Vor der Stufe des Marmorthrones, die mit zierlichem Vierblatt in den
quadratischen Kassettenfeldern der Vorderseite geschmückt ist, wird der Goldgrund der Bildfläche als
Boden für die stehenden Paare frei. Hier kommt von rechts ein Engelreigen in langen weissen
Gewändern, mit dem Dudelsackpfeifer an der Spitze, dem Posaunenbläser am Ende, hereingeschwebt
und beginnt soeben den Tanz zu Ehren der Himmelskönigin. Gegenüber zur Linken steht vor dem
zweiten Flötenbläser ein anders gekleideter Engel in rotem Chormantel mit bunten Flügeln und
blauem goldgeziertem Käppchen auf dem Scheitel, beflissen, zwei jungen Ankömmlingen den Zutritt
zu diesem Allerheiligsten zu gewähren, dessen Anblick ihnen unter seinem Schutz zuteil wird. Darin
haben wir ohne Zweifel eine Zutat auf besondere Veranlassung des Bestellers zu erkennen, der seine
Kinder oder früh gestorbenen Geschwister wol empfangen von einem, dem geistlichen Stande
angehörigen Bruder bei dieser höchsten Feier der Seligen gegenwärtig sehen wollte. Durch diese
kleine Episode ist eine Stelle für den intimsten Anteil des Beschauers gewonnen, und durch die leise
Störung der Symmetrie im Halbkreis des Engelreigens, der den Vordergrund schliessen will, der
Eintritt für das lebendige Gefühl eröffnet, das den ganzen Vorgang so viel menschlich näher bringt,
als die hehre Ceremonie mit Weihrauchopfer bei Giotto, — der die Mitte vorn frei lässt vor den Stufen
des Thrones, dessen Schwelle die Stirn des gläubigen Verehrers eben noch berühren mag, wenn
ehrfurchtsvolle Andacht vor dem Bilde seine Seele dahin entrückt.
Hier, im Bilde des späteren Meisters atmet Alles freier auf und eriebt den Vorgang an sich
selber. Das kommt schon durch die Bewegung der Engel, die den Boden berühren und mit wirk-
lichen Leibern gleich uns ausgestattet sind. Ihre Formen werden unter den fliessenden, über die
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Hüften gegürteten Gewändern überall sichtbar, wenn auch der Rumpf die etwas weiche unbestimmte
Fülle behält, die allen Figuren der Zeit bis hinauf zu Christus und Maria eigen ist. Bekundet sich
gerade darin schon ein Unterschied von Giottos Gestaltung, die sich flächenhafter noch häufig mit
linearen Grenzen begnügt, so wird hier durch die Modellierung der Gliedmafsen, vor allen Dingen
aber durch die vollere Rundung der Gesichter ein ausgeprägter plastischer Sinn zur Geltung gebracht,
der den Wunsch perspektivischer Vertiefung des Throngestüls auch in der Anordnung der Körper,
besonders im Vordergrund verfolgt und nur in den seitlichen Stollen der Zeugenschar noch nicht
zu seinem Rechte kommt.
Ziehen wir aber diese Eigenschaften in ihrer vollen Wichtigkeit in Betracht, und befragen
zugleich die Besonderheit dieser Gestaltenbildung und dieser Gesichtstypen, so muss das Ganze, das
durchaus den Eindruck einer selbständigen Schöpfung macht, wol den Namen eines bestimmten
Meisters ergeben. Die Klarheit der Horizontallagen, wie die Sonderung der unteren von gedrehten
Säulchen eingeschlossenen Bildfläche und des oberen Bogenfeldes mit seinen zahlreichen Durch-
brechungen, Gipfelungen und Zierstücken, die sichere Ökonomie dieses Aufbaues, von einer Körperlich-
keit, die im Verhältnis zum Rahmen wuchtig und gedrungen erscheint, sie verrät in Allem einen plastisch
und architektonisch denkenden Kopf, der sich von ausschliesslichen Malern der Nachfolge Giottos
greifbar genug unterscheidet. Eben die Vorliebe für Breitenwirkung, die Betonung der Horizontalen
innerhalb der Gotik, das vorgeschrittene Stadium in der italienischen Entwicklung dieses Stiles, die
hier unläugbar vor Augen stehen, sind Merkmale genug, die zur Mitte des Jahrhunderts, wenn
nicht schon in die zweite Hälfte weisen. Die rundliche Bildung der Köpfe, die gradlinig aus der
Stirn herniedersteigende Nase, die feste Spitze des Kinnes, die energische Verwertung der Augen-
höhle wie der Lippenschwellung für die Formation, d. h. die plastische Grundlage der Gesichter,
dann die mandelförmigen Augen selbst mit schräggestellten Brauen, die breite Fläche der Wangen
und Schläfen bis ans Ohr, die deutliche Rechenschaft über den leiblichen Bestand der Figuren sonst,
den die kirchlichen Maler damals so gern vergessen, — und neben w^elchem nur eine seltsame
Vernachlässigung der Vorderarme, ja Verkümmerung der Hände befremden muss, — alle diese
Eigenschaften sprechen für keinen Andern, als Andrea Orcagna selber.
Für ihn müssen wir das Werk aus voller Überzeugung in Anspruch nehmen, und diese
Überzeugung bestätigt auch die Notiz des alten Verzeichnisses „vielleicht von Andrea di Cione,
genannt l'Arcagnuolo (Orcagna)", die dort nicht weiter begründet, uns später erst bekannt ward.
Unsere Bestimmung darf sich in erster Linie auf die Wandmalereien der Cappella Strozzi in
S. M. Novella berufen, die sowol in den Typen, wie in der Anordnung mancherlei Übereinstimmendes
bieten. Noch deutlicher spricht allerdings die Verwandtschaft mit den Marmorarbeiten desselben
Meisters am Tabernakel von Orsanmichele. Und dies ist wichtig; denn die beiden beglaubigten
Tafelbilder, die bei der Bestimmung des Altenburgischen zu Hülfe kommen könnten, sind: einmal
das bezeichnete 1354 bestellte und 1357 datierte Altarwerk in der Strozzikapelle und zweitens das
Gnadenbild, das in dem berühmten Tabernakel von Orsanmichele selber verehrt wird, von 1352.
Dies vielumstrittene Gemälde war allzu lange für das Werk des Ugolino da Siena gehalten
worden, das an dem alten Pfeiler gemalt war, der noch heute im Innern des Tabernakels eingeschlossen
— i66 —
steht, und der vorgeschrittene Charakter der jetzt sichtbaren Tafel hatte veranlasst, an eine Erneuerung
durch Bernardo Daddi oder an eine Übermalung von der Hand des Lorenzo Monaco zu denken.
All diesen Vermutungen von Milanesi oder Cavalcaselle und Andern gegenüber steht die urkundliche
Nachricht, dass die Laudesi von S. Michele, die das Tafelbild ebenso wie das ganze Tabernakel bei
Andrea Orcagna bestellt, diesem Meister am 17. April 1352 das fertige Gemälde bezahlt haben,'
während Bernardo Daddi vom i. Mai 1346 bis 16. Juni 1347 an einem Madonnenbild für die Capitani
von Orsanmichele beschäftigt gewesen war, das mit der Stiftung der Laudesi, die der schwarze Tod
von 1348 erst veranlasste, gar nichts zu schaffen hat.
Die Komposition des Tafelbildes von Orcagna giebt selbstverständlich die des alten Gnaden-
bildes wieder, das am Pfeiler dahintersteckt. Sie ist in dem Madonnenmotiv, dem lebendigen Knaben
in langem Kittel, ein Vögelchen in der einen Hand und die andere liebkosend an die Wange der
Mutter gestreckt, durchaus sienesisch; im Typus der Maria jedoch, wie in den Reihen von je vier
Engeln am Thron, deren vorderstes Paar knieend das Weihrauchfass schwingt, ebenso der byzan-
tinischen Tradition ergeben wie Duccio und Cimabue. Die Ausführung aber zeigt durchaus, bis in
die Faltenzüge hinein, die Kunst Orcagnas, und in den Typen der Engel mischt sich eigentümlich
das sienesische Schönheitsideal mit dem persönlichen, des soviel plastischer und deshalb leibhaftiger
fühlenden Meisters. Gerade hier aber leuchtet auch die Verwandtschaft mit den Engeln am Thron
in Altenburg noch ein, wie andrerseits die Gewandbehandlung mit diesem Werke und dem Altar in
S. M. Novella von 1357, mit dem begreiflicher Weise die Typen der Hauptpersonen in Altenburg,
wie Maria und Petrus z. B. genauer übereinstimmen, als in der Nachbildung der wundertätigen Madonna
von Ugolino da Siena.'
Der Vergleich der datierten Bilder von 1352 und 1357 ergiebt aber, dass diese wie zeitlich,
so auch stilistisch näher zu einander gehören, als zu der Krönung Marias in Altenburg, die einerseits
den Wandgemälden der Cappella Strozzi, andrerseits dem Reliefschmuck des Tabernakels verwandt,
noch so deutlich aus dem grossen Vorbilde Giotto hervorwächst, dem kein Meister des Trecento
sonst so glücklich nacheifert wie Orcagna. Bei den späteren Werken erklärt sich ausserdem gewiss
Manches, das für den Bildner leer und starr erscheinen will, aus der Mitarbeit seines Bruders Jacopo,
der auch das letzte Bild, die dreiteilige Tafel, die 1367 zur Verherrlichung des hl. Matthäus vom
Arte del Cambio für ihren Pfeiler in Orsanmichele bestellt war, nach dem Tode Andreas 1368 vollenden
musste. Dies Verhältnis zu Jacopo, wie zu dem andern Bruder Nardo (Lionardo), den Vasari in
1 Dies steht schon bei Luigi Passerini, Curiositä storico-artistiche fiorentine, La Loggia di Orsanmichele, Firenze
i866 p. II. Vgl. Schmarsow, Florentiner Studien, Die Statuen an Orsanmichele, Nationalzeitung Berlin 1889 und neuer-
dings wieder gegen Milanesis Annahme Pietro Franceschini, L'Oratorio di S. Michele in Orto in Firenze 1892 S. 55.
Darnach hat es auch der Cicerone 1893. — Orcagna hat dann noch im Jahre 1366 ein Bild für den Audienzsaal der
Compagnia di S. Michele vollendet.
2 Das Tabernakel dagegen, das nach dem Codex des Lenzi biadaiolo in der Laurenziana auf dem Titel der
Schrift Franceschinis abgebildet ist, und sich ähnlich auch in einem Codex des R. Archivio di Stato Nr. 470 wiederfinden
soll (a. a. O. p. 53, l) ist durchaus florentinisch, eine „Madonna del Fiore" wie die Marmorgruppe von 1399 im Innern von
Orsanmichele. Darnach sind die Bemerkungen Franceschinis zu verbessern, von denen jedoch stehen bleibt: „la miniatura
del codice laurenziano non puö ripetere che le forme della tavola dipinta nel 1347 dal Daddi, perche appunto il codice e
di circa il 1350".
- i67 -
Cappella Strozzi namhaft macht, giebt auch dem grossen Altarvverk aus S. Piero Maggiore gegenüber,
das in die National Gallery nach London gekommen ist, zu kritischer Analyse Veranlassung genug'
und erhöht den Wert des Altenburger Stückes, auch wenn es die schriftliche Beglaubigung nicht
für sich hat, eben durch die Verwandtschaft mit den Wandgemälden und den Skulpturen Andreas
ganz ausserordentlich.
Über die frühere Entstehungszeit dieser Krönung Marias giebt aber noch ein anderes Dokument
erwünschtes Zeugnis, das denselben Gegenstand in ganz abweichender Auffassung behandelt, und
doch ebenso unzweifelhaft mit dem Schaffen Orcagnas zusammenhängt. Es ist das zweite Stück
der Altenburger Reihe, die leider gerade oben sehr verwaschene und schwerfällig wieder übergangene
Krönung Marias, die offenbar eine spätere Redaktion darbietet, die erst nach der Strozzikapelle
möglich war und das Mittelstück eines Triptychons gebildet hat. ^
Es entspricht durchaus nicht mehr der Komposition Giottos im Noviziat von S'.^ Croce, sondern
zeigt die beiden Hauptfiguren in der mandelförmigen mit Cherubköpfen besetzten Glorie, droben in
der Luftregion schwebend, über den Köpfen der Zeugen, die in zwei Zügen, die Männer unter Führung
Johannes des Täufers von links, die Frauen unter Führung Katharinas und Magdalenas von rechts,
in der Mitte einander begegnen und einen schmalen Raum zwischen beiden Chören frei lassen.
Der Vorgang selbst ist als Vision der Heiligen hoch oben in himmlischen Sphären gefasst, und der
Schauplatz im Äther droben, fernab von aller Erdenschwere, viel absichtsvoller ausgeprägt, als in
Orcagnas Wandgemälde der Strozzikapelle, das die Seligkeit im Anschauen der Gottheit, der Mutter
und des Sohnes auf gemeinsamem Herrscherthron so ausführlich und umfassend darstellt, wie keins
zuvor. Während dort noch immer der schwere tektonische Aufbau des Gestüls in der Luft steht,
wir fragen wol wie, — öffnet sich darunter doch schon der leere Raum, wie eine Strasse, durch die
der Festzug der Seligen aus und ein wallen mag zur Verehrung und Freude. Dieselbe Ökonomie,
des Intervalls zwischen den Reihen der Prozession unter dem thronenden Paar, erkennen wir auch
hier im Altenburger Bilde. Aber die Beseitigung des massiven Hochsitzes und die Einführung der
Mandorla mit Cherubköpfen, deren ausgebreitete Flügel den Rand zu fassen scheinen, d. h. die
entscheidende Form für die neue Darstellung der himmlischen Vision, findet ihre Erklärung erst aus
dem Altarbilde derselben Kapelle von 1357, wo Christus in dieser Glorie hereinschwebt, um Petrus
die Schlüssel und Thomas von Aquino das Buch zu reichen. Diese Redaktion der Krönung Marias
ist also eine Ausgestaltung der künstlerischen Gedanken, die getrennt und unvermittelt bei Orcagna
in der Strozzikapelle vorkommen, und zwar eine reifere Ausbildung in eigentlich malerischem Sinne,
deren Idealität gerade durch Abstreifung alles Plastischen und Tektonischen auch über das Relief an
der Rückseite des Tabernakels, mit der Auffahrt und Gürtelspende an Thomas über dem Tode
Marias, hinausgeht, an dem sich „Andreas Cionis pictor" mit der Jahreszahl 1359 bezeichnet hat.
Gehört diese rein malerische Lösung des verwandten Problems in Altenburg, die jenes
» Man vergleiche mit dem Londoner Bild (Phot. v. Hanfstängl) auch die Krönung der Florentiner Akademie ^
Niccolö di Piero Gerini und maestro Simone, vollendet von Jacopo di Cino 1373 (Phot. Aünari 635).
2 Altes Verzeichnis Nr. 139 (H. 127 X B. 74 mit Rahmen) „Aus Giottos Schule, vielleicht von Tommaso
Stefano, gen. Giottino".
— i68 —
malerische Relief, mit seiiien fast hellenistischen Kunstgriffen zur Raumscheidung durch Felshöhle
und Baum, so entschieden hinter sich lässt, noch dem letzten Jahrzehnt des Meisters Andrea di Cione
selber an, oder erblühte -sie erst einem Nachfolger aus dem Erbteil seines Schaffens?
Die schlanken, feinknochigen Gestalten des Altenburger Bildes haben nichts mehr von der
gedrungenen Kraft und Fülle, die wir vorher beobachtet und charakteristisch hervorgehoben. Aber
solche gestreckte und schmächtige Bildung begegnet uns sowol im untern Teil jenes Reliefs am
Totenbett Marias, als auch im untern Teil jenes Wandgemäldes, wo die Scharen der Seligen zur
Herrlichkeit zusammenströmen. Auch in anerkannten Werken Orcagnas findet sich also dieser
Übergang vom untersetzten zum überhöhten Mafsstab der Figuren, oder eine gleichzeitige Vermischung
beider, sei es durch die Anforderungen der Örtlichkeit oder die Mitwirkung anders geschulter Hilfs-
kräfte bedingt. Einzelne Typen bestimmter Heiligen, wie Johannes der Täufer und die Apostel, oder
die Jungfrauen und Engel zeigen überraschende Ähnlichkeit sowol mit dem Fresko wie mit der
Altenburger Krönung (Nr. 1 37), die zeitlich vorangehen musste. Ganz besonders beachtenswert ist aber
die Innigkeit des Ausdrucks, die nicht allein alle Gesichter verklärt, sondern in der Haltung der
beiden Hauptpersonen zu einander bestimmend weitervvirkt. Christus neigt das Antlitz, das ebenso
in scharfem Profil und mit dem nämlichen Kreuznimbus gegeben ist wie auf dem früheren Bilde, hier
liebevoll zur Mutter, und diese erhebt beide Arme, faltet die Hände zum Gebet und blickt mit
entgegenkommender Beugung des Nackens doch voll Seligkeit zum Sohne auf.
Es ist ein anderes, zarteres Geschlecht, sollten wir meinen. Und die Farbe entspricht, soweit
sie noch erhalten ist, nirgends dem Verfahren des Andrea Orcagna selber, noch dem seines Bruders
Jacopo, das wir aus dem Matthäusbilde in der Sammlung des Spitals von S. M. Nuova kennen lernen.
Es wäre demnach wol nur an einen andern Gehülfen, der ihm in Cappella Strozzi zur Seite gestanden,
oder an einen Abkömmling zu denken, der diese Werke Orcagnas mit seltner Seelentiefe in sich
aufgenommen und geläutert hat.
Eine Entscheidung über diese Frage wird jedenfalls erst nach einem weiteren Umweg möglich
sein, den uns die dritte Krönung in Altenburg eröffnet. ' Ihr Urheber ist von der neueren Forschung
schon bestimmt worden, und zwar an der Hand eines Triptychons im Berliner Museum, dessen
Mittelstück dem Altenburger so nahe kommt, dass die Verfasser des Berliner Kataloges unser
Exemplar für eine eigenhändige Wiederholung ansehen. ^ Bei genauerem , völlig vorurteilsfreiem
Vergleich ergiebt sich freilich das umgekehrte chronologische Verhältnis. Das Beriiner Triptychon
enthält eine spätere Redaktion, die im Aufbau des perspektivisch vertieften, auf polygonem Untersatz
und unter eben solchem Kuppelbaldachin weit geräumiger angelegten Thronsitzes einen entschiedenen
Fortschritt des Malers bedeutet, und zwar auf der Bahn, die zu wirklichkeitsgetreuer Konstruktion
des ganzen Schauplatzes und aller räumlichen Verhältnisse führen musste, wie erst Brunelleschi sie
gefordert und die Maler des Quattrocento sie allmählich erzielen. Rings um dieses Mittelstück ist
aber die Anordnung aller übrigen Figuren fast ebenso wie in Altenburg gegeben, nur die musicierenden
Engel im Vordergrunde noch vermehrt, und gerade diese senkrechte Aufreihung solcher Stollen will
t Altes Verzeiclinis No. 133 (H. 53 X B. 32) „aus der Schule des Giotto, vielleicht von Angiolo Gaddi"
2 Katalog No. 1064 (Phot. v. Hanfstängl No. 374).
— i6g —
mit dem Kern des neuen fortgeschritteneren Aufbaues nicht stimmen, — kann also nur äusserliche
Wiederholung eines früher schon erworbenen Besitzes sein. Im Figürlichen waltet auch eine ober-
flächlichere Routine, die über die spätere Entstehung des Berliner Triptychons ebenso wenig Zweifel
aufkommen lässt, wie über das Vorrecht des Altenburger Stückes in allen Qualitäten ursprünglicheren
Schaffens. Gegen die Identität der Person des ausführenden Künstlers, die vom Berliner Katalog
angenommen wird, kann dies Verhältnis beider Werke keinen Widerspruch hervorrufen. Es ist auch
unserer Überzeugung nach hier wie dort Bernardo da Firenze, derselbe, dem Milanesi unter der Bezeichnung
Bernardo Daddi noch zwei verwandte Triptycha der Galerie von Siena zugeteilt, und den er für den
Autor des Gnadenbildes in Orsanmichele gehalten hatte. ' Zu seiner Feststellung besitzen wir zunächst
in der Akademie zu Florenz ein Triptychon (No. 53) mit der Madonna zwischen Heiligen auf dem
Mittelbilde und der Inschrift: nomine BERNARDVS DE FLORETIA pinxit h. op. anno Dni
MCCCXXXII. — Dann im Kloster Ognissanti noch eine Madonna zwischen Heiligen in halber
Lebensgrösse, bezeichnet: A. D. MCCC . . XXIIII. Frater Nicolaus de Mazzinghis de Carpi me
fieri fecit, pro remedio animae matris, fratrum. BERNARDVS DE FLORENTIA pinxit. Ausserdem
war in der ehemaligen Sammlung Bromley in London eine Kreuzigung mit acht Heiligen und der
Signatur: anno Dni MCCCXLVII BERNARDVS pinxit me quem Florentia finxit.*
Von Bernardo Daddi, den Milanesi, mit diesem Bernardo da Firenze identificiert, wissen wir,
dass er 1346 auf 1347 ein Madonnenbild für die Capitani di Orsanmichele gemalt hat, und 1349
mit Jacopo da Casentino sich um die Organisation der Lukasgilde bemüht, während ihm nach Vasari
die Fresken der Cappella S. Stefano e Lorenzo in Sta. Croce gehören, die unter den Händen des
Restaurators viel von ihrem ursprünglichen Charakter eingebüsst haben.
Lassen wir diese Personenfrage zunächst aus dem Spiel, um in erster Linie den reichen
Zuwachs zu sichern, den die Kenntnis des Meisters Bernardo da Firenze, noch mehr als aus dem
Triptychon in Berlin, hier in Altenburg gewinnen kann. Die Krönung Marias befindet sich in ihrem
alten Rahmen, einem schlicht, ohne jede Gliederung zwischen tragenden und getragenen Teilen
verlaufenden Spitzbogen, in den schlanke Ecksäulen mit glattem Stamm eingestellt sind, die einen
inneren Spitzbogen mit geknickter Einlage tragen. Die einspringenden Nasen bestimmen die Höhe
der Thronpfosten, zwischen denen sich ein ähnlicher Kleeblattbogen wiederholt, dessen Giebelkrönung
in das mittlere Bogenfeld hinaufragt. Die Tiefe des Tabernakels, dessen offene Seitenarkatur
perspektivisch gezeichnet ist, wird durch den eingespannten Teppich, der Rückwand und Seiten
zugleich überzieht, etwas verschleift, gleich wie drunten die Stufen, deren unterste zwei nur deutlich
hervortreten. Das Ganze ist leichte Schreinerarbeit eines Falegname mit Intarsien, die wir am Schrank-
werk der Sakristei oder dem Chorgestühl jener Zeit bewundern. Hier sitzt Maria, die Hände auf der
Brust kreuzend, dem Sohne gegenüber, der ihr mit beiden Händen die Krone auf das Haupt setzt.
Das Vorbild Giottos für die Baroncelli-Kapelle hat in der Gestrecktheit der Figuren und ihrer graderen
Haltung, in der Schlichtheit der Ärmel, im Griff der Hände unter den inneren Rand der Krone und
deren spitzere gotische Form, wie in der Hebung der Arme Marias vom Schofs gegen den Busen,
' Vgl. Milanesi zu Vasari, Opere II. l8i.
' Vgl. Crowe und Cavalcaselte II. 29. u. Rumohr, Ital. Forschungen II. 223.
- I/o —
nur eine leise Abwandlung erfahren, die durch strenge Schulregel gebunden scheint. Die nämliche i
Starrheit der Schablone spricht aus der senkrechten Aufreihung der Figuren, die in zwei Doppel-
kolonnen die beiden Streifen neben dem Thronbau füllen, so dass nur die vordersten Paare in ganzer
Gestalt, alle andern fast nur bis auf die Schulter gesehen werden. Der Gottheit zunächst flattern
oben die Cherubim und Seraphim, rote und blaue Flügelköpfe, dann folgen je zwei Vertreter der
übrigen sieben Ordnungen, von den Throni mit der Mandorla und den Erzengeln mit Kreuzfähnlein
in voller Rüstung, den Dominationes mit Scepter und den bewaffneten Streitern, mit Schwertern hier
und Lanzen dort, zu den Waltern der Gerechtigkeit mit Wagschalen und den Sendboten mit
wehenden Schriftbändern, die schon vor dem Throne gegen die Mitte leiten. Dort knieen zwei Geiger
und beugen zwei Orgelspieler ein Knie, so dass in leiser Verschiebung der Symmetrie der Fusspunkt
des Höhenlotes frei bleibt. — Zuäusserst erkennen wir S. Franciscus rechts und S. Dominicus links,
S. Katharina und S. Clara, S. Ludwig von Toulouse und einen Bischof (S. Augustin), S. Ludwig von
Frankreich und S. Antonius von Padua, S. Stephanus und S. Laurentius, S. Petrus und S. Paulus,
S. Johannes den Täufer und König David, mit einem Seraph und einem Cherub darüber, ebenso
schematisch aufgereiht.
Mit der strengen Disziplin in der Anordnung geht aber eine ausserordentliche Präcision der
Zeichnung und Sauberkeit des Farbenauftrages Hand in Hand: überall sichere Technik, reinHche
Sorgfalt und vorschriftsmässige Verteilung des Goldschmuckes neben durchgehender Schlichtheit der
Stoffe, überall das zureichende Mafs des Ausdrucks und Anteils; aber nirgends das Hervorleuchten
persönlicher Begeisterung, oder gar ein Hauch genialer Schöpferkraft. Es ist das Ergebnis emsigen
Fleisses und zünftiger Schulung, das wir vor uns haben, als solches ein Meisterstück im mittelalterlichen
Sinne, noch nicht ein Beispiel gewohnheitsmässiger Routine, wie in Berlin, deren untrügliche Finger-
fertigkeit sich auch in dem speckigen Glanz der hellen Farben widerspiegelt, — und behauptet sich
vielmehr auch durch die Tiefe und den Ernst der farbigen Gesamthaltung als ein gediegenes Muster-
werk, mit dem sich der Maler die Anerkennung seiner Zunftgenossen und das Vertrauen seiner
Mitbürger zu sichern getrachtet.
Eine solche Leistung giebt eben deshalb besonders zuverlässigen Bescheid auf die Frage nach
dem Schulzusammenhang. „Quem Florentia finxit', bekennt er noch 1347; darüber kann auch hier
kein Zweifel walten. Und die bestimmte Modifikation, in der das Vorbild Giottos aus der Baroncelli-
kapelle, die schon der Schüler Taddeo Gaddi mit Fresken aus dem Marienleben geschmückt, in dieser
Krönung zu Altenburg auftritt, bezeugt ebenso bestimmt die Lehre, die dieser Maler Bernardo bei
Taddeo Gaddi durchgemacht hat. Das ist nicht minder klar, als die nämliche Herkunft von Taddeo
bei AUegretto Nuzi von Fabriano, der einmal in Florenz zünftig geworden, auch durchaus florentinische
Schulung in Umbrien weiter übt. Bernardo wie AUegretto nehmen von Taddeo die Gestrecktheit
seiner Figuren, das längliche Oval der Köpfe, die langen graden Nasen und die grossgeschnittenen
Augen darin an, treiben aber die Zuspitzung des Kinnes häufig bis zur Verkümmerung der unteren
Gesichtshälfte. Der Vergleich beider Schüler mit ihrem Meister ist besonders bequem in Berlin, wo
neben dem Triptychon Bernardos ein bezeichnetes Werk AUegrettos und ein Triptychon von
Taddeo Gaddi mit voller Bezeichnung vom September des Jahres 1334 beisammen sind.
— 171 —
Eben dieses Altärchen Taddeos zeigt um die thronende Madonna in eigenem gebrochenem
Bogen ähnlich zu beiden Seiten aufgereihte Heilige und Propheten, und in den Flügeln links die
Geburt Christi, rechts die Kreuzigung unter zwei Wundergeschichten des heiligen Nicolaus, die die
Hälften des Bogenfeldes füllen. Da haben wir in den Hauptbildern der Flügel wenigstens dieselben
Gegenstände wie auf dem Triptychon Bernardos neben der Krönung Marias daselbst. Mit Hülfe
beider Stücke, sowie der vereinzelten, soeben besprochenen Krönung in Altenburg, lässt sich auch
in dieser Sammlung noch ein zweites Werk Bernardos nachweisen, und zwar ein Triptychon,' das
in der Entwickelung des Meisters dem Berliner Bravourstück schon näher kommt, während es
andererseits mit den beiden Altärchen gleicher Art in Siena aufs engste verbunden erscheint. Es
enthält in der Mitte die Madonna mit dem Kinde unter einem Tabernakel thronend, neben dem je
zwei Engel hervorschauen, während vor ihnen links ein Bischof und ein Diakon, rechts zwei königliche
Frauen stehen, deren eine (wol Katharina) dem Christkind eine Blume reicht. Vor dem Podium stehen
links der Täufer und rechts S. Jacobus Major mit dem Pilgerstab. Auf dem linken Flügel ist die
Geburt mit der Verkündigung an einen Hirten über dem Dach der Hütte, auf dem rechten Maria
und Johannes unter dem Kreuz, und in den Giebelfeldern die Verkündigung, links der knieende Engel
Gabriel, rechts die sitzende Jungfrau in ihrer Zelle dargestellt. Auf einem der Triptychen in Siena,
die zunächst zur Bestimmung des nämlichen Meisters in Altenburg geführt haben, ist in der Mitte
die Zahl der Engel am Thron zu vier Reihen gehäuft und ausser den Apostelfürsten daneben stehen
vorn der Täufer und S. Nicolaus, während über der Geburt und der Kreuzigung, wo Magdalena
hinzugekommen, nun zwei Wundergeschichten erzählt werden, wie auf Taddeo Gaddis Altärchen
in Berlin.
Das Altenburger Beispiel gehört zu den besten Bildern des Trecento, die diese Sammlung
beherbergt, und gerade die köstliche Farbenfrische seiner wie Email vertriebenen Tempera, die
schimmernde Wirkung des Goldgrundes und der aufgelegten oder eingegrabenen Muster, der
wundervolle Schmelz des hellen Blau und Rosa, die im Ganzen vorherrschen, die lichte Fleischfarbe
und ein paar entschiedene Kontraste zwischen Braunrot und Weiss, haben gewiss dazu beigetragen,
die alte Bezeichnung als „sienesische Schule" zu veranlassen. Der Kern dieser Beobachtung bleibt
richtig. Denn lässt schon das Vorkommen zweier ganz ähnlicher Stücke in Siena selbst den Aufenthalt
des Bernardo da Firenze in dieser Stadt vermuten, so lehrt die genauere Analyse der Komposition,
wie stark die Besonderheiten der sienesischen Kunst ihren Einfluss auf den Florentiner ausgeübt
haben. Die Breite des Madonnenkopfes mit seinem grossen Heiligenschein, die Bewegung des
Kindes, das nur durch ein Tuch über den Knieen verhüllt, sonst völlig nackt auf ihrem Schofse
sitzt und mit einem gefangenen Vögelchen spielt, das doppelte Motiv des Aufblickens zur Mutter, die
warnend den Finger erhebt, und des Hinstrebens zur dargebotenen Blume, sind auf dem Boden siene-
sischer Kinderfreude und intimerer Innigkeit zwischen Mutter und 'Söhnchen erwachsen. Demgemäss
haben auch die Typen, besonders der weiblichen Heiligen und der Engel Verwandtschaft mit denen,
die wir bei Simone Martini und Lippo Memmi, bei den Lorenzetti und ihren Genossen kennen gelernt
I No. 39. H. S7XB. 53 (insgesamt. Mittelstück 26, Flügel je 13 cmj „Sienesische Schule, Mitte des XIV. Jahr-
hunderts" genannt.
~ 172 —
haben. Die gekrönte Heilige mit dem Kreuz in der Hand (Helena?) entspricht genau der Madonna
selbst auf dem Bilde in Siena, wo das Kind noch ruhig segnend, mit verhüllten Beinen dasitzt.
Wie aber die Häufung der Motive doch nicht zu fliessender Bewegung gedeihen will, das lehrt
ausser dem Kinde des Altenburger Triptychons, auch noch ein drittes Beispiel in derselben Sammlung:
eine Kreuzigung in reicherer Komposition, die offenbar das Mittelstück eines solchen Altärchens
gebildet hat. ' Hier gehen zwischen den Figuren, unter denen der Hauptmann Longinus eine hervor-
ragende Rolle spielt, lange farbige Schriftbänder als gerade oder eckig umgeschlagene Streifen nach
oben und nach unten, sodass ein äusserlicher Schematismus das Streben nach reicherer Fülle und
mannichfaltigerem Leben wieder zu Schanden macht. Dies Bild leitet durch unläugbar verwandte
Züge zu der Kreuzigung auf dem rechten Flügel des Berliner Triptychons über, das als spätestes
Werk dieser Reihe erscheint. Alle drei Gemälde in Altenburg, die Krönung Marias, die Kreuzigung
und das Madonnenaltärchen sind durch ihre Erhaltung besonders auch den sienesischen Beispielen
weit überlegen und gehören so zu den besten Belegen für die Eigenart und die Fortschritte des
Malers Bernardus, der sich auf Arbeiten nach auswärts wol vorwiegend als „de Florentia" bezeichnet.
Die Kreuzigung in Altenburg wie die in Berlin erinnern beide, besonders in den ritterlichen
Gestalten an Spinello Aretino, und machen es wahrscheinlich, dass wir in Bernardo den Lehrer dieses
so manche sienesischen Elemente in sich vereinigenden Malers vor uns haben. Das aber wäre nach
Vasari nicht Jacopo da Casentino, sondern Bernardo Daddi, dessen Fresken mit Geschichten des
Laurentius und Stephanus in Sta. Croce besonders in ihrem heutigen, vielfach erneuerten Zustand
nur schwer eine Vergleichung mit den kleinen Tafelbildchen gestatten, im Grunde jedoch ausser der
Verwandtschaft der Typen und der Haltung auch die Ungeübtheit im Bewältigen des grossen Formates
erkennen lassen, und zwar in der Leerheit der Köpfe und Formen wie in der Lockerheit der
schematisch geregelten Komposition. Bei der mannichfaltigen Beziehung zu sienesischer Kunst lässt
sich selbst Milanesis irrige Meinung, das Gnadenbild in Orsanmichele sei von Bernardo Daddi gemalt,
erklären, und die flüchtige Wiedergabe der „Madonna del Fiore" oder „della Rosa", die sich im
Codex Laurentianus des Lenzi biadaiolo findet, würde gestatten, in dem Bernardo Daddi, der das
Urbild 1346/47 gemalt, auch unsern Bernardo da Firenze zu erkennen. Dann hätten wir wenigstens
einen greifbaren und einheitlichen Zeitgenossen neben Jacopo del Casentino, der die Gewölbe von
Orsanmichele (seit 1350) und gewiss auch manchen Heiligen an den Pfeilern des Innenraumes
gemalt, ^ und mit dem Bernardo Daddi im Rat der Lukasgilde seit 1 349 tätig war.
Wird es bei so unzureichendem Material, das sicher mit Daddis Namen verbunden ist, auch
vorerst geraten sein, die zuverlässige Gruppe von Werken des Bernardo di Firenze von solcher
Verschleifung frei zu halten, so geht jedenfalls aus der Tätigkeit dieses Meisters eine wichtige
Tatsache hervor, die für die Geschichte der florentinischen Kunst volle Beachtung verdient: das ist
der Einfluss sienesischen Geschmackes schon auf die Zeitgenossen des Taddeo Gaddi und die
1 No. 17. H. 45 XB. 24 „Sienesisclie Schule der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts.
2 Crowe und Cavalcaselles Zuschreibung der Predella mit der Petruslegende und Einzelfiguren der Apostel in
den Uffizien an diesen Jacopo del Casentino ist jedenfalls ein Irrtum; sie gehört einem Übergangsmeister zur Zeit des
Masolino, wie die Steinigung des Stephanus in der Capp. dell' Assunta des Domes zu Prato.
— 173 —
unmittelbaren Abkömmlinge der Giottoschule in ihrem engsten Umkreis. Bei der strengen Disziplin,
die wir in allen Grundlagen seines Könnens hervortreten sahen, und bei der keineswegs leicht
beweglichen Art seiner Anlage, die nirgends über ein bescheidenes Mafs eigenen Geisteslebens hinaus-
drängt, fällt diese Abwandlung ins Sienesische doppelt ins Gewicht und bedeutet mehr als die
Beschäftigung sienesischer Künstler in Florenz. '
Ein ähnliches Problem für die unparteiische Kunstgeschichte wird aber kurz darauf in der
Person des Giovanni da Milan o gestellt, den die bisherige Betrachtung, nur von Florenz und
Giottos Schule ausgehend, einfach als Schulgenossen der Florentiner annimmt. Dem schärferen Auge
kann es jedoch nicht entgehen, dass er ein gut Teil oberitalienischer Elemente mitgebracht und in seiner
Tätigkeit am Arno beibehalten hat, Eigenheiten einer fremden Kunst, die erst völlig greifbar werden,
wenn die lombardische Plastik oder Relief kunst wenigstens, in Ermangelung ausgedehnter Malereien,
soweit durchforscht worden, wie zu einer durchgehenden Charakteristik der Darstellungen auf der
Fläche gehört.
Dagegen lebt sich ein anderer Fremdling aus Oberitalien, Antonio Veneziano, viel unbefangener
und vollständiger zunächst in die florentinische Schulung ein, als ob er vorher noch keine technischen
Gewohnheiten anderer Art angenommen hätte. Wenn dieser „Antonius Francisci de Venetiis" irgend
etwas aufweist, das seiner Herkunft aus der Lagunenstadt entspräche, so wäre es nach allem, was
wir aus Resten seiner Werke noch erraten können, am ehesten das Auge, der Sinn für die farbige
Erscheinung der Dinge, für Luft und Licht, und daneben die Freude an der wirklichen Natur oder
Menschenwelt, die ihn umgiebt. Oder wüssten auch seine Architekturprospekte, mit dem Einblick
in luftige Hallen und malerische Winkel noch weiteres zu erzählen, das ihm auf der Wanderschaft
begegnet war? Wir besitzen ja nichts mehr, als die Fresken im Camposanto zu Pisa, die er zwischen
1384 und 1386 ausgeführt, mit Geschichten aus dem Leben des heiligen Rayner, die Andrea da
Firenze begonnen. Und er tritt doch schon 1374, also zehn Jahre früher in die Zunft der Barbiere
und Chirurgen in Florenz.
Trotz der Spärlichkeit dieser Reste glauben wir ihm in Altenburg ein Tafelbild zuweisen zu
dürfen. Es ist nur ein Flügel eines dreiteiligen Altars, der wahrscheinlich eine Himmelfahrt Christi
darstellte, denn es sind sechs knieende Apostel darauf, die sich mit dem Ausdruck des Staunens,
der Aufregung nach links wenden. Und denken wir nur an die gleiche Scene, wie noch Luca della
Robbia sie auf seiner Türlünette über der Sakristei im Dom von Florenz dargestellt, so fordern wir
links entsprechend die übrigen Zeugen der Auffahrt hinzu, so dass das Mittelbild des Triptychons
für Christus selber auf der Höhe des Hügels frei blieb. ' Auf dem erhaltenen Flügel kniet vorn
Petrus fast in vollem Profil mit erhobenen Armen, nur das Gesicht dreiviertel nach vorn gewendet,
hinter ihm ein bartloser Jünger, vom Rücken gesehen in hellem Gewände, das lockige Haupt jedoch
• Wie wäre es sonst möglich, dass die Malereien eines Andrea da Firenze und seiner Gehilfen an Wänden
und Decke der Cappella Spagnuoli von Vasari für sienesisch angesehen und in beträchüichem Umfang als Arbeit des
Simone „Memmi" anerkannt worden sind? Auch dieser Andrea ist ein Mischling wie Bernardo.
2 An eine Verklärung auf Tabor, wie das alte Verzeichnis meint, kann nicht gedacht werden, schon wegen der
Zahl der anwesenden Jünger. No. 61. „Manier des Agnolo Gaddi." H. 142 X B. 62.
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nach Innen gekehrt, sodass sein Profil gegen die runde Scheibe des Heiligenscheines steht. Ähnlich
dreht sich sein Nachbar mit kahlwerdendem Scheitel, während ein Langbärtiger hinter Petrus die
gefalteten Hände gegen das Kinn hebt und den bekümmerten Blick seitwärts in die Höhe richtet.
Hinter ihm wird noch der Kopf eines Greises wie Andreas, bis an die Lippen sichtbar, und in der
Mitte der letzten Reihe, gegen eine Felspartie mit einsamem Bäumchen darauf der dunkle Kopf
eines jüngeren, im vollen Mannesalter stehenden Apostels, der beide Hände über der Halsgrube
zusammenlegt und auch im Blick seiner schwarzen Augen die hingebende Unterwerfung ausdrückt.
Er könnte wol für Jacobus oder Bartholomäus gelten, doch fragen wir kaum nach dem Namen des
Apostels, denn uns tritt der eines anderen Heiligen auf die Lippen, der hier bei der Himmelfahrt
keine Stelle hat, für uns aber der wichtigste wird, da er den Namen des Malers ausspricht. Es ist
S. Ranieri, wie Antonio Veneziano ihn auf seinen Fresken im Camposanto gemalt hat, und niemand
anders auch hier!
Nun aber stimmen die sonstigen Eigenschaften der Tafel mit dem Charakter dieses Malers
so genau überein, wie nur irgend zwischen Fresko und Tempera auf Goldgrund möglich ist. Mit
vollem Recht sagt das alte Verzeichnis: in der Manier des Agnolo Gaddi. Die Grundzüge der
Zeichnung, Gestaltenbildung und Typen, ja der Farbengebung verrät die Schulung gleicher Art.
Crowe und Cavalcaselle heben an den Wandbildern hervor: die Gewänder sind einfach, die Falten
häufiger, ihre Einzelheiten genauer studiert und ohne dass dabei der Ausdruck der darunter befindlichen
Formen litte . . . Seine Draperien schliessen im Gegenteil eng an den Körper; Hände und Füsse sind
sorgfältig und eingehend gezeichnet. Das darf genau so von diesem Tafelbilde gelten, ja die Hände
und Füsse nicht allein sind wuchtig und genauer als sonst gegeben, sondern die Modellierung der
kraftvollen Gestalten malt sich überall unter der Hülle und ist, wie man an Petrus sieht, klar
angegeben, bevor die Falten, des Mantels etwa, darüber gelegt wurden. Die Rückseite des
Jugendlichen ist von überraschender Schönheit und erinnert abermals an das herrliche Relief von
Luca della Robbia, so dass wir uns Masaccio nahe fühlen und die Wirkung eines solchen Bildes
begreifen. Ganz im selben Sinne sind auch die Köpfe der Apostel sonst anerkennenswerte Leistungen,
in der Sicherheit der festen Form und der Breite der Auffassung, so dass selbst das Haar als Masse,
hier und da wulstig oder mit Schattenlinien abgehoben, dort zurechtgeschnitten, hier in Locken frei
fallend, diesen plastischen Absichten auf volle Rundung dient. Der Kopf des Jüngsten mit seiner
abstehenden Stirnlocke hat Ähnlichkeit mit Nanni di Bancos schönem Engel, der an der Porta della
Mandorla am Florentiner Dom, die Madonna gen Himmel tragen hilft. Das Überraschendste jedoch
ist wol die seitliche Beleuchtung, über den Haarschopf des Nachbars z. B. zwischen dem Jugendlichen
vorn und S. Ranieri, wie wir den Jacobus noch einmal nennen wollen. Das sind Eigenschaften, die
unter der bleichenden Sonne und der zersetzenden Witterung an seinen Fresken im Camposanto
vielfach verloren gegangen, aber an einzelnen Resten deutlich vorhanden gewesen sind, wie z. B.
unter dem grossen Segel des Schiffes bei den Insassen, die im Halbschatten darunter hervorsehen.
Da stecken wie hier schon Effekte der Beleuchtung, durchsichtige Schatten, die nur dieser Venezianer,
nirgends Agnolo Gaddi noch irgend ein Florentiner gekannt hat, bis auf die Nachfolger eben dieses
Fremden wie Gherardo Starnina, Masolino, Fra Angelico, und Masaccio selber.
Und doch kann, schon bei
der genauen Übereinstimmung
des dunkeln Apostels mit der
Hauptperson der beglaubigten
Fresken in Pisa, nur Antonio
Veneziano der Urheber dieser
Tafeln sein, und nicht etwa sein
Abkömmling Gherardo Starnina
in Vorschlag kommen. Viel eher
darf hier die Frage aufgeworfen
werden, ob die Geschichten des
Nicolaus von Bari in Sta. Croce, die
Vasari Starnina zuweist, während
Crowe und Cavalcaselle sie Agnolo
Gaddi beilegen möchten, nicht
vielmehr Antonio Veneziano, dem
Maler dieser Tafel „in der Manier
des Agnolo Gaddi" gehören? Die
Übereinstimmung der Köpfe,
Hände und ihrer Gebärdensprache
ist zum Teil ganz ausserordentlich.
Aber es sind abgekratzte Fresken.
Dies Temperabild auf Holz steht
bis jetzt für sich allein da, wenn
es auch durchweg die Übung in
Fresko verrät.' Petrus hat blass
fleischrote Ärmel unter gelbrotem
Mantel, sein jugendlicher Nachbar
blassblauen Überwurf S. Ranieri
ist braun gekleidet, also auch
durch die Farbe auffallend seinem
1 Die Erhaltung der Farben-
schicht auf der dicken, ganz wurm-
zerfressenen Pappelholztafel lässt zu
w ünschen übrig. Ein Riss geht von oben
bis an die Kniekehle der vordersten Figur,
daher die Gesichter der beiden Apostel
auf der rechten Seite stark ergänzt. Wol-
erhalten die 4 links bis an die Schläfe, den
Nacken und die Fingerspitzen Ranieris.
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Urbild ähnlich, zwischen den andern in graublauem Rock und rötlichen Mänteln. Die Ökonomie
des Lichts bestimmt die Farbennuance, nicht die Einheit des Stoffes.
Ein Künstler wie Spinello Aretino fasst dann schon im letzten Viertel des Jahrhunderts die
Errungenschaften verschiedener Schulen zusammen und verwertet sie alle in seinen Freskencyklen,
wie Domenico Ghirlandajo am Ende des Quattrocento. Er ist in Florenz, in Pisa und Siena, wie
in seiner Heimat Arezzo zu Hause, und muss als Nachfolger der Lorenzetti ebenso wie der Giottisten
gelten, ohne dass die Erbschaft der Einen und der Andern die Summe seines Eigentums deckte.
Von ihm besitzt die Altenburger Sammlung einen Crucifixus mit dem knieenden Franciscus
(Stigmatisation) und zwei sitzenden Karthäusern auf Goldgrund, von vortrefflicher Erhaltung und
frischen Farben, das schon im alten Verzeichnis richtig als sein Eigentum bezeichnet wird.' Die
volle Herrschaft über seine Mittel und ein energisches, auf das Notwendige beschränktes Verfahren,
das besonders durch Linienschärfe und Lichtkontraste wirkt, stellt diese Tafel in eine Reihe mit
den besterhaltenen Teilen der Wandgemälde in der Sakristei von S. Miniato al Monte.
Der Entartung der Trecentokunst beim Anbruch einer neuen Zeit gehört auch eine Darstellung
des Abendmales an, wo Christus mit den Jüngern an hufeisenförmiger Tafel sitzt, an ihrem Kopfende
die Hauptperson, drinnen zwischen den Flügeln der Verräter. Die Derbheit der Darstellung und die
Oberflächlichkeit der Malerei weisen wie der Typus einiger Apostel, besonders der Kopf des Judas,
auf einen Spätling der florentinischen Schule, der von Pietro Gerini herkommend, doch von den
berühmten Wandbildern des Camposanto wie dem Trionfo della Morte starken Einfluss erfahren hat. ^
Erst am Ende des Trecento oder gar am Anfang des folgenden Jahrhunderts darf auch ein
Bild zur Sprache kommen, das bei Vasari beschrieben und bei Rosini, Storia della Pittura II, 126
abgebildet, stets in der Geschichte der Malerei und der Ikonographie der Madonnendarstellung an
viel zu früher Stelle, nämlich um 1345 verwertet worden ist. Die jetzt in Altenburg befindliche
Tafeln war, als Rosini sie abbildete (1840) im Besitz eines Herrn Ranieri Grassi, und zwar schon in
traurigem Zustand. Sein Stich aber enthält noch viele Einzelheiten, die heute nicht mehr vorhanden
sind. Er giebt das Tafelbild als eine Kopie des Tabernakels am Pal. Gianfigliazzi zu Pisa, das
Vasari im Leben des Stefano Fiorentino beschreibt und unmittelbar vor seiner Tätigkeit in Pistoja
(1346) ansetzt; Rosini meint, das beschriebene Tabernakel sei ein Fresko gewesen und beim Abbruch
des Pal. Gianfigliazzi am Lungarno, als dort Pal. Corsini gebaut ward, heruntergeschlagen. Vasaris
Beschreibung sagt aber nichts von einem Mauergemälde, sondern widerspricht einem solchen eigentlich
durch die Betonung des kleinen Mafsstabes: „un tabernacolo piccolo in un canto che vi e, dove
figurö con tal diligenza una nostra Donna, alla quäle, mentre ella cuce, un fanciullo vestito, e che
siede, porge un uccello, che per piccolo che sia il lavoro non manco merita esser lodato, che si
faciano l'opere maggiori e da lui piü maestrevolmente lavorate". Darnach kann die Tafel aus dem
1 No. 121. H. 58 XB. 43.
2 Schon im alten Verzeichnis 140. „Schule des Giotto, zu Ende des 14. Jhrhdrts."
3 No. 58. Holz, Goldgrund, aber verschabt, Tempera H. 91 X B. 52. Vgl. Rosini II. 127. Anm. 5. Zwei Über-
malungen, eine ältere und eine neue, die sich namentlich in den Fleischpartieen mit rosa Tönen und in Gewändern bemerkbar
macht, haben die ursprüngliche Malerei verändert, aber die Umrisse nicht entstellt, bis auf Wolkenstreifen unter den Engeln.
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Besitz des Ranieri Grassi ganz einfach das Original sein, das beim Neubau abgenommen worden, und
der Zustand des Bildes, das wie vom Regen abgewaschen aussieht, spricht fast zwingend für längeren
Aufenthalt im Freien, wo es zuletzt verwahrlost jeder Witterung ausgesetzt gewesen. Sehr bezeichnend
ist aber Vasaris gewundene Beschreibung des Gegenstandes. Das Kind, das in Hemd und Leibbinde
auf einem Schemel mit Kissen neben der Mutter sitzt und ihr das Vögelchen zeigt, das es nach
Kirschen picken lässt, während sie beim Nähen eines Röckchens beschäftigt ist, — wird bei ihm zu „un
fanciuUo", also qualunque, während es der Christusknabe sein soll: darüber lässt das Paar anbetender
Engel, die mit gekreuzten Armen über ihm daherschweben, wie die Taube des heiligen Geistes unter
dem Scheitel des Spitzbogens keinen Zweifel. Dazu die Unterschrift in goldgehöhten Buchstaben
SALUE SANTA PARENS. Schon dies Genremotiv hätte wegen der Datierung des Bildes um die
Mitte des XIV. Jahrhunderts dem Ikonographen die stärksten Bedenken erwecken sollen. Die Analyse
des Kunsthistorikers kann sie nur bestätigen und muss Vasari wie Rosini eines starken Irrtums zeihen.
Die Komposition gehört bereits dem Anfang des Quattrocento ; die Wiedergabe der Räumlichkeit wie
die Zeichnung der Figuren darin, selbst die Reste der ursprünglichen Temperafarbe zeugen für einen Zeit-
genossen des Lorenzo Ghiberti, des Masolino und Paolo Uccello. Bleibt der überlieferte Name „Stefano
Fiorentino" bestehen, den Vasari fälschlich mit dem angeblichen Vater des Giottino identificierte, so
gehört dieser Maler in eine Reihe mit Paolo de' Stefani (Fresco in S. Miniato al Monte 1426) und
Rosselli Jacopi Franchi (Altarwerk mit Krönung Marias 1420 in der Akademie, ein anderes ähnliches
in Chantilly, wie bei Ch. Fairfax Murray 1439) und steht dem Niccolo di Pietro Gerini nicht fern.
Das spätgotische Gestühl mit vorspringender Kehlung unter dem Kranzgesims zur Rechten,
mit dem drehbaren Lesepult zur Seite, der hölzerne Schemel des Knaben und die Wandverkleidung
dahinter, wie der perspektivisch quadrierte Fussboden beweisen schon fortgeschrittene Bestrebungen,
die Körper räumlich auseinanderzusetzen, und stehen mit dem Goldgrund in Widerspruch. Die
schwebenden Engel schiessen, obwol sie bewundernd zur Maria schauen, so eiligen Fluges schräg
empor, dass wir an Lorenzo Ghibertis Kranzträger an der Area di S. Zanobi erinnert werden und
fast eine äusserliche Nachbildung des feurigen Engels in der Vertreibung aus dem Paradiese auf
Masaccios Fresco der Cappella Brancacci vermuten. Durchaus Ghibertis Gewandfiguren steht auch
die sitzende Madonna nahe, deren Bewegung schon „S. Anna selbdritt" aus S. Ambrogio in der
Akademie zu Florenz überbietet. Und das Kind ist wie seine Mutter schon den Typen des Luca
della Robbia verwandt, wenn auch oberflächlich gemalt und deshalb, bei den Ansprüchen an
Wirklichkeitstreue, die das Motiv aus der Kinderstube weckt, doppelt unbefriedigend. '
Zeitlich Hesse sich demnach dieser Stefano Fiorentino, der in Pisa gemalt hat, bis auf Weiteres
am ehesten mit dem Schwiegersohn des Giuliano Arrighi genannt Pesello, also dem Vater des
Francesco Pesellino zusammenbringen; aber der Name kommt ja häufig vor. In die nämliche Kategorie
gehören auch in Altenburg einige kleinere Bilder mit der thronenden Madonna und Heiligen herum,
sowie eine Krönung der Jungfrau, die ebenso oberflächlich gemalt sind, aber in der Akademie zu
Florenz wie in kleinern Sammlungen sonst ihre Verwandten finden.
I Maria halb lebensgross trägt ein weisses mit goldnen Sternen und Borten besetztes Kleid, ein weisses Kopftuch und
blauen Mantel; der Kittel, an dem sie näht, ist rosa. Das Kind in weissem Hemd mit roter Leibbinde. Alle Hände zu klein.
QUATTROCENTISTEN
Florentiner
Ein ungünstiges Geschick, das uns die Werke des Gherardo Starnina und des Masolino in
Florenz nicht gegönnt hat und die Jugend eines Fra Angelico verdunkelt, trägt doch nicht allein
die Schuld, dass die Anfänge der Quattrocento-Malerei noch immer unvermittelt und rätselhaft genug
erscheinen. Es ist auch die Abkehr von leeren Wiederholungen der altgewordenen Trecentokunst,
die Verdammung der Nachzügler und Letztlinge des vierzehnten Jahrhunderts, die noch weit in das
— 179
folgende hinein reichen, und die unwiderstehliche Anziehungskraft des Neuen zugleich das doppelte
Hindernis, den allmählichen Übergängen nachzuspüren und geduldig zu beobachten, wie aus vielen
kleinen Bächlein, ja spärlichen Rinnsalen, doch erst nach einem guten Stück Weges der Strom
zusammen wächst, dem wir in seinem vollen Lauf mit Freude folgen.
Wie lange noch wird man Angelicos Verkündigung und Marienleben in Cortona für Jugend-
werke der frühesten Zeit annehmen, ohne sich zu sagen, dass
die perspektivische Wiedergabe von Renaissancearchitektur
vor der Rückkehr in den Umkreis Brunelleschis ganz undenk-
bar wäre? — Es ist gewiss ein Irrtum, ihn vor seinem Eintritt
ins Kloster schon zum ausgelernten Künstler zu stempeln;
aber es ist schwer, seine Erstlinge so völlig trecentistisch
vorzustellen, wie sie nach streng chronologischer Rechnung
ausgesehen haben müssen. Die Vorstellung der vollendeten
Meisterwerke spottet noch immer der ernstlich historischen
Bemühung um die Vorstufen und hadert wol ob vermeint-
licher Blasphemie. Hört man doch von Künstlern wie
Botticelli und Ghirlandajo gelegentlich immer wieder das
Märchen, sie seien eigentlich fertige Künstler von vornherein,
die am Ende ihrer Laufbahn die selben gewesen wie am
Beginne!
Für eine kleine Sammlung, wie die in Altenburg, ist
es allerdings ein Glück, vollgültige Proben solcher Maler zu
besitzen, bei Fra Angelico zumal, dessen Fortschritte nur
durch ausgiebiges Vergleichsmaterial aus allen Jahrzehnten
seiner Wirksamkeit ersichtlich werden. In die Zeit seiner
reinsten Übereinstimmung mit sich selbst und dem religiösen
Bedürfnis seiner Gemeinde, gehören die vier Stücke seiner
Hand, die Bernhard v. Lindenau erworben. „Die Feuer-
probe der Franciskaner vor dem Sultan" war offenbar ein
Bestandteil der nämlichen Predella, aus der in Berlin „die
Verklärung des Franciscus" und „die Heiligen Franciscus und
Dominicus" stammen,^ während die Komposition andererseits
dem Münchener Bildchen mit Cosmas und Damian vor Lysias
verwandt ist. Wenn der Wert dieser „Feuerprobe" gegen-
wärtig durch einen Sprung und starken Firniss beeinträchtigt wird, so erfreuen dagegen drei einzelne
Heiligengestalten ^ auf Goldgrund, die wol im Rahmenwerk eines Altars gesessen haben, durch
unberührte Schönheit und stille Tiefe der Empfindung. Nur sie waren dem ursprünglichen Eigentümer
I No. l66. H. 27XB. 31 (die Berliner messen 26x31) im alten Verzeichnis als Pesello.
* No. 120, in einem Rahmen, jedes H. 39XB. 14 cm.
der Sammlung als Werke des frommen Dominikaners bekannt, während das Predellenstück infolge
einer irreführenden Notiz mit Pesello oder Pesellino in Zusammenhang gebracht wird, obgleich
heutzutage über Fra Giovanni da Fiesole als seinen Urh- uer kein Zweifel auftauchen kann.
Der Name des Francesco Pesellino, der eine Zeit lang unter Fra Filippo gearbeitet hat,
führt uns weifer zu einem andern wichtigen Besitz in Altenburg. Giovanni Morelli berichtet von
einem Bildchen in seiner Sammlung, das als früher Pesellino gelten dürfe, und einen hl. Hieronymus
als Büsser in der Einsamkeit darstellt, während vorn ein Klosterbruder mit dem Löwen spielt, im
Hintergrund oben ein Kirchlein sichtbar wird.' Diese Beschreibung passt ganz genau auf eine
Tafel, die das alte Verzeichnis als Paolo Uccello aufführt: in Wahrheit aber ein Original von Fra
Filippo selber ist.^ Auf terrassenförmig abgestuftem Felsboden kniet halb entblösst der kahlköpfige
Greis, das bartlose Antlitz auf den Gekreuzigten in seiner Hand gerichtet, während die Rechte im
Begriff ist, mit einem Stein die nackte Brust zu schlagen. Auf der Felsstufe vor ihm liegt ein
Totenkopf, aus der Hütte hinter dem Büsser guckt sein roter Kardinalshut hervor. Im Vordergrunde
kauert der Löwe und erhebt brüllend die Tatze gegen einen Klosterbruder, der furchtlos und
selbstbewusst genug zur Linken sitzt und den Löwen mit einem Leckerbissen, den er in der aufgestützten
Faust verbirgt, eher zu necken als frommer Übung obzuliegen oder dem Tiere zu helfen bereit
scheint. In der Wahl des Schauplatzes und der Einordnung der Figuren in die steinichte Umgebung,
in Typen und Zeichnung steht es besonders dem Tod S. Bernhards im Dome von Prato nahe. Die
Schilderung der Waldestiefe mit der Geburt des Heilandes darin, wie auf dem Altarstück der Cappella
Medici in Berlin oder den beiden Wiederholungen in der Florentiner Akademie, liegt hinter ihm.
Aber das Problem der durchleuchteten Schatten ist geblieben; das Bildchen gehört schon zu den
eintönigen Helldunkelversuchen, die ihm auch seine Freskomalereien getrübt haben. Ja die Figuren
und die Landschaft sind in ein grünliches Licht getaucht, wie es unter breiten Baumkronen waltet,
— also eigentlich im Widerspruch zu dieser kahlen Höhe, der Einöde, wo die Vegetation aufhört,
unter freiem Himmel. Aber es giebt dem Ganzen seine farbige Einheit und löst wie ein Duft die
scharf gezeichneten Formen durch weiche Übergänge. Neben dem Grau der Felsen und der
Mönchskutte kommt fast nur das Komplement des Tieftones zur Verwendung, das Rot, im abseits
liegenden Kardinalshut, im umgeschürzten Mantel und endlich im Kirchlein droben, das nur dieser
letzten Abtönung zuliebe so angestrichen worden. Sonst nur das braungelbe Fell des Löwen, das
Strohdach auf rohen Stämmen und ein paar dunkelgrüne Baumwipfel zur Seite.
So ist das Ganze von eigentümlich romantischer Stimmung durchdrungen und zieht auch den
Betrachter, bei aller Naivetät der Darstellung, in diesen Abendzauber. Der echt malerische Gedanke,
der das Gegenständliche bereits unterwirft, gewährt uns wertvollen Aufschluss über Jahre des Strebens,
die über jene Periode erster Meisterschaft hinausliegen. Während dort im Dienst der Medici besonders
eine enge Gemeinschaft mit Michelozzo, dem Architekten des Palastes, überall hervortritt, wie in den
Figuren und ihrer Gewandung, so in reicher Perspektive, bemerken wir nun in der Gestaltung, besonders
" Galerie Doria Panfili p. 335. Nur das Citat aus Vasari IV, 183 ist ungenau und irreführend, da
einen Crucifixus mit S. Girolamo und S. Francesco handelt.
2 No. 76 H, 54 X B. 37 cm.
in der breiten, ins Schräge gehenden Formgebung, der Köpfe zumal, das Vorbild der Reliefkunst
Donatellos während der fünfziger Jahre.
Wenn äussere Beziehungen, die sich um ein Bild ranken, den Wert in den Augen der Liebhaber
noch erhöhen können, so mag auch darauf hingewiesen werden, dass dies Kleinod vor dem feinsinnigen
Sammler, der es hierher gebracht, schon in Florenz einen erlauchten Besitzer und einen Kenner des
Quattrocento erfreut hat. Vasari hebt in seinem Leben des Fra Filippo wol eben dies Original des
Meisters hervor: Ma molto meglio (als der kurz zuvor erwähnte hl. Augustin, „un quadretto piccolo"
im Besitz des Bernardo Vecchietti) e un Sant' Jeronimo in penitenza, della medesima grandezza in
guardaroba del Duca Cosimo."
Darnach wäre vielleicht der Pesellino der Sammlung Morelli mit diesem besonders geschätzten
Bildchen Fra Filippos in Beziehung zu setzen. Francesco Pesellino ist schon 1457, F*"^ Filippo 1469
gestorben. Sein Mitarbeiter in der letzten Zeit zu Prato und Spoleto, wie sein nächster Fortsetzer
wird Fra Diamante, dessen eigene ohne Zweifel ausgedehnte Wirksamkeit erst allmählich, mit Hilfe
der abschliessenden Bestandteile des Freskenschmuckes in Spoleto und der Tafel mit der Geburt
Christi im Louvre,' im Umkreis seiner Nachbarn deutlicher heraustritt. Eine Auseinandersetzung
zwischen ihm und Sandro Botticelli auf der einen und Andrea del Verrocchio und dessen Gehilfen
Francesco Botticini auf der andern Seite wird in Kurzem unvermeidlich sein.
Den Namen Sandro Botticelli müssen wir aus vollster Überzeugung vor einem Porträt in
Altenburg * aussprechen, das den Spezialforschern entgangen ist und im alten Verzeichnis als Domenico
Ghirlandajo gilt, während Crowe und Cavalcaselle (III. 225) zwischen einem „Nachfolger des Piero della
Francesca, der PoUajuoli oder des Castagno" schwanken, weil sie es jedenfalls an seinem damaligen
Standort im Polhof nicht genügend sehen konnten. In einem schlichten grauen Fensterrahmen
erscheint die Halbfigur einer Dame bis an den Einbogen des Armes in scharfem Profil nach links
gewandt, wo ein zweites Fenster anstösst, durch das sie hinausblickt, während ihre kräftige Rechte
sich auf ein blaugrünes Buch, in dem sie gelesen, gegen diese Fensterbank stützt. Durch ein drittes
Fenster im Hintergrund wird ein Fluss mit einer Brücke, Pappelbäumen auf Wiesengrün und in der
Ferne Mauern und Türme einer Stadt sichtbar, — so dass Hals und Hinterkopf mit dem hellen
aschblonden Haar gegen den blauen Himmel stehen, das Antlitz dagegen sich vom dunkeln Grunde
der Architekturteile abhebt. Eine grosse Linie geht von der vorgewölbten Stirn über die leicht-
gebogene kräftig heraustretende Nase zur ebenso entschieden entwickelten Mundpartie und dem fest
gebauten Kinn, und das gross geschnittene blaue Auge spricht in seinem Blick schon für einen
durchdringenden Geist. Mit Sorgfalt sind nur die blonden Haare — offenbar ein Stolz der Herrin —
in lockigen Puffen an der Schläfe geordnet, und die üppigen Flechten aufgesteckt, sonst Alles schlicht.
Das lichtgrüne Gewand fällt von dem frei aufragenden Halse und ziemlich schmalen, aber starken
Schultern einfach, in wenigen Falten nieder, nur von einem rotvioletten Kragen eingefasst. Aber die
' Eine Begründung dieser von Schmarsow herrührenden Taufe giebt H. Ulmann in seiner Breslauer Doktordissertation
„Fra Filippo Lippi und Fra Diamante als Lehrer des Sandro Botticelli" 1890 p. 64.
2 No. 79. H. 81XB. 53. Grossenteils sorgfältig und geschickt übergangen, besonders mit rosa Anflug über der
gelbgrünlich gewordenen Karnation, grünen und braunen Architekturteilen.
ganze Haltung, die Linie des steilen Nackens, wie der Arme, und die wuchtigen Hände, die noch
im Spiel der Finger die Energie jeder Bewegung verraten, verkündet das stolze Auftreten einer
Gebieterin, die noch jung und lebhaft, aber fern von zarter Weiblichkeit und milderem Liebreiz, mit
verstandesklarem Sinn vielleicht schon überlegen in die Welt schaut. Ein Heiligenschein von durch-
sichtigem Goldschimmer will uns glauben machen, es sei hier eine Himmlische gemeint, aber die
mächtige Individualität straft selbst das Attribut der Martyrpalme Lügen und das gezahnte Rad, auf
dem die Linke ruht. Nur der Name „Katharina" bleibt für diese bei Lebzeiten schon vergötterte
Persönlichkeit übrig, die den Maler veranlasst hat, sie selbst als ihre Schutzpatronin darzustellen.
Und fragen wir gespannt weiter, welcher hohen Frau dies grossartige Profil gehören mag, so
gelangen wir mit Hilfe einer bekannten Medaille zu dem vollen Namen: Catharina Sforza-Riario. Diese
Medaille ist schon in späten Tagen gemacht, da sie als Witwe des Girolamo Riario und Vormünderin
ihres Sohnes Ottaviano die Regentschaft von Forli
und Imola führte. Aber unter dem Schleier selbst
und in der Fülle der kinderreichen Mutter, deren
Büste breit geworden und im Rund der Denkmünze
sich erst recht mit dem Kopf zusammen drängt,
ist das charaktervolle Profil noch das nämliche
geblieben, und diese sichere Urkunde genügt,
das Frauenbild in Altenburg als ihr Porträt zu
bestimmen. ^
Darnach aber wäre dies Bildnis in der Zeit
ihres ersten Glanzes als junge Gattin des päpstlichen
Nepoten, Girolamo Riario, gemacht und versetzte
uns nach Rom an die Kurie Sixtus IV. Als
illegitime Tochter des Herzogs Galeazzo Maria von
Mailand (nach einigen 1457, nach Pasolini um 1463) geboren und später von ihm anerkannt, an
seinem Hofe erzogen, reichte sie 1477 dem Lieblingsneffen des Rovere die Hand, und müsste
von Sandro Botticelli gemalt sein, als dieser an der Sixtinischen Kapelle beschäftigt war, wol noch
vor ihrem Wegzug in die neuerworbene Herrschaft Forli 1481.
Dem entspricht auch die Besonderheit des Werkes durchaus. Durch die Grossheit der Formen-
auffassung, besonders durch die wuchtigen fast männlichen Hände, erweist es sich als Nachbar des
heiligen Augustin in Ognisanti von 1480, und einer Reihe monumentaler Schöpfungen, seien dies
Altartafeln für Kirchen oder Wandgemälde wie in der Sixtina. Die Umrisse sind mit einschneidender
Schärfe gezeichnet, die Modellierung bewegt sich dazwischen in grossen Flächen, und die gleiche
I Es darf neben der Medaille, die nach Dennistoun Memoirs of the Dukes of Urbino London 1851, II p. 243 hier
mitgeteilt wird, und einer andern bei P. D. Pasolini, Caterina Sforza, Roma 1893, II p. 28 hinzugefügten als das einzige
authentische Bildnis, direkt nach dem Leben angesehen werden. Das Jugendbildnis aus Forli bei Pasolini ist durchaus
apokryph; die späteren dagegen abgeleitete Produkte mit Benutzung der Medaille hergestellt. Über das Fresko in S. Girolamo
zu Forli, vgl. Schmarsow, Melozzo.
Einfachheit der Farben verschmäht den intimeren Reiz der Ausführung ebenso. Das Ganze, das
allerdings durch Ausbleichen entkräftet und verstimmt ist, bleibt in einer gewissen grauen Blässe,
besonders die Karnation erscheint blutleer und will sich, im Widerspruch zur gesunden Festigkeit
der Konstitution, nicht erwärmen. Aber eben dieser Zustand wird an fast allen Arbeiten Botticellis
wahrgenommen und selbst der Eindruck der Leere, den seine Wiedergabe des Lebens in solchem
Mafsstab, auch hier, dem ausgeprägten hidividuum gegenüber, hervorbringt, stimmt völlig mit den
bekannten Leistungen jener Jahre überein. • Überzeugend für den Namen dieses Meisters sollte
jedoch, mit Ausschluss aller Übrigen, die sonst angesichts des Bildes genannt worden, das
künstlerische Problem wirken, das hier vorliegt und, wie in einer Reihe anerkannter Arbeiten
Botticellis, auch in dieser Porträtfigur verfolgt ist. Das Beispiel in Altenburg ist nur ein Glied aus
einer Kette.
Es genügt ein Blick auf die Bildnisse, besonders der weiblichen, die in Ulmanns Monographie
vorgeführt werden, wie z. B. das bei Mrs. Jonides in Brighton oder das der fälschlich so genannten
Simonetta in der Pittigalerie, wo die Halbfigur ebenso in einen Kasten aus Fensterwänden oder
TürötTnungen hineingestellt ist, um eine wirksame Beleuchtung der plastischen Form zu erreichen,
aber auch im Eifer der perspektivischen Konstruktion dieser Rahmenprofile gar mancher Zusammenstoss
tektonischer und organischer Linien mit in den Kauf genommen wird. Den Verfolg dieses Problemes
vom einfachen Anblick einer — vielleicht gar in Terracotta modellierten — Büste (wie bei einem
Männerporträt daselbst) in schlichter Fensterhöhle bis zu komplicierten Einblicken in den Winkel
eines Gemaches, wo Decke und Wände zusammenstossen oder Durchblicken durch anstossende
Räume dazu, stellen aber ausser den Bildnissen auch Madonnenkompositionen vor Augen, die bis
zu Fra Filippos Rundbild in Pal. Pitti mit der Geschichte von Joachim und Anna hinter Maria mit
dem Kinde und auf die Gruppe mit Engeln vor dem Fenster in den Uffizien, d. h. zum künstlerischen
Kapital für Sandros frühestes Schaffen zurückreichen. Die Hereinnahme der ganzen Figuren, mit
der Bewegung und Ausdrucksfähigkeit auch der untern Hälfte, bezeichnet dann ein folgendes Problem,
zu dem das Beispiel der Plastiker wie Pollajuolo und Verrocchio hindrängen musste. Durch die spätem
Lösungen, sogar im Rundbild, wird Sandro dann der Vorläufer Signorellis und Michelangelos; sie
gehören der folgenden Periode nach der Rückkehr aus Rom, und hängen nicht selten mit den
Anforderungen zusammen, die Dantes Visionen an den Zeichner gestellt haben. ^
Die Gegenprobe, dass dieses Frauenporträt ein eigenhändiges Werk Sandro Botticellis und
nicht Domenico Ghirlandajo's ist, erleichtert sich durch einen Seitenblick auf das geringe Erzeugnis,
das von einem mittelmässigen Nachfolger des Ghirlandajo oder richtiger seines Schwagers Bastiano
Mainardi herrührt, eine hausbackene Bürgerin in stumpfer grauer Tempera ohne Reiz.
1 Es wäre also nicht ausgeschlossen, dass die gewohnte Stilisierung, die seine Formensprache bei selbsterfundenen
Gestalten aufweist, auch der Wiedergabe des Individuellen sich aufgedrängt habe, und z. B. in der Länge des Halses
unbewusst vom Original abgewichen sei.
2 Ulmann, Sandro Botticelli, München (Bruckmann 1893) bringt die Principien der Komposition nur bei der Anbetung
der Könige in den Uffizien zur Sprache und verliert sie nach der römischen Zeit aus dem Auge, so dass für die spätere
Tätigkeit des Meisters die treibenden Kräfte zu fehlen scheinen.
S i e n e s e n
Versuchen wir darnach an der Hand der Altenburger Bilder dem Gange des Quattrocento
auch in Siena zu folgen, so zeigt sich in den ersten Jahrzehnten die durchgehende Verwandtschaft.
Wie der Sienese Lorenzo Monaco in Florenz eine ausgedehnte Wirksamkeit findet, bis Fra Angelico
da Fiesole ihn ablöst, so arbeiten am Taufbrunnen in Siena die Florentiner Lorenzo Ghiberti und
Donatello friedlich neben den Sienesen Turino di Sano mit den Seinen und Jacopo della Quercia,
ja der Letztere erscheint wol gar als leidenschaftlichster Vertreter des Fortschritts. Und in der
Malerei wirkt dort wie hier ein Fremder, der aus Oberitalien kommt und seinen Weg über Florenz
und Siena nach Rom nimmt: der Umbrer Gentile da Fabriano.
Bis zu seinem Erscheinen in Siena (1424 — 26) hatte der Erbe der einheimischen Überlieferung
Taddeo Bartoli das Feld behauptet, und war während seines Lebens (f 1422) der eigentliche
Träger der Malerkunst in der Vaterstadt und Tonangeber für die umbrischen Nachbarn gewesen.
Von ihm besitzt die Sammlung v. Lindenau die Halbfigur eines segnenden Christus ganz von vorn
gesehen, der ein aufgeschlagenes Buch auf den vorderen Rand stützt, um die Worte „CdP© fum
uiam (sie!) uttita^ tt uita gui tttiiit inme nan amfiulat in tenefiti^ mi^efas (sie)" zu zeigen. Über
die blaue Tunica ist ein roter Mantel mit gelber Innenseite geschlagen, durch Goldränder eingefasst.
Der Typus des Gesichtes mit dem glatten in der Mitte gescheitelten, über die Ohren und auf die
Schulter lockig herabhängenden, rötlichen Haare und dem kurzen zweizipfeligen Bart, der wie ein
spärlicher Flaum nur die untere Hälfte umgiebt, erinnert an den Christus des Andrea Pisano und
seiner Verwandten, fällt aber durch die Breite der Backenknochen auf, neben der sowol die Augen
mit den schmalen sanft geschwungenen Brauen wie der Mund mit seinen zusammengezogenen Lippen
allzu klein erscheinen. Mit dem grossen Heiligenschein in der Fläche des Goldgrundes dahinter
wirkt das Ganze, trotz der Schrägansicht des Buches und der segnenden Rechten, mehr breitgedrückt
als körperhaft. Das oben spitzbogig geschlossene Stück war jedenfalls colmetto eines grösseren
Altarwerkes,' wie am Triptychon mit der Verkündigung in der Galerie von Siena.
Wenn schon in diesem Christustypus, leuchtet noch mehr in einer Madonna desselben Meisters^
die nahe Beziehung ein, in der Gentile da Fabriano selbst zu ihm gestanden; denn an sie Hesse sich
unmittelbar anknüpfen, was dieser Umbrer mit reicheren Mitteln freilich, die er inzwischen anderweit
erworben, zwischen Florenz und Rom, sei es in Pisa, in Siena selbst, oder in Orvieto gemalt. Maria
sitzt in kauernder Haltung wie auf einem Kissen am Boden; ihr weiter dunkelblauer Mantel breitet
sich nach beiden Seiten aus und verbirgt uns den Sitz wie die Haltung des Körpers; nur vorn wird
das gelblich grüne golddurchwebte Kleid sichtbar und das Kind auf ihrem Schoss, das mit ihrem
Antlitz die Hauptsache des Ganzen bildet. Maria trägt auf dem Haupte einen weissen Schleier, der
über ihre weichen Wangen herabfällt und eine goldne mit Edelsteinen verzierte Krone, ganz ähnlich
wie auf dem bezeichneten Altarwerk der Galerie zu Perugia vom Jahre 1403. Das Kind ist halb
nackt, unten in Windeln und ein rotes Tuch eingewickelt, aber Brust und Arme bleiben frei. Es
I No. 28 schon im alten Verzeichnis „wahrscheinlich Taddeo Bartoli."
ä No. 24 schon im alten Verzeichnis als Taddeo Bartoli.
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hält in der Rechten einen Vogel, legt die Linke vor den Leib und schaut in rosiger Gesundheit
mit dunkeln kleinen Augen vergnüglich, ohne jeden Anspruch an Bedeutung in die Welt. Nur die
roten Cherubim, die ganz nah über den Schultern der Mutter flattern zeugen neben der Krone auf
ihrem Haupt für den höheren Zusammenhang, und nur der Goldgrund hinten wie die unbestimmte
Allgemeinheit des rotbraunen Fussbodens vorn beschränken noch die wirklichkeitstreue Entwicklung
des Genremotivs von Mutter und Kind als Mittelpunkt ihrer Welt für sich. Mit dieser Hervorkehrung
des lebensvollen Kerns, dem Mantel und Diadem, Cherubflügel und Goldgrund nur als Folie oder
Einfassung dienen, ist aber auch der Fortschritt gegenüber dem Kirchenbild zu Perugia im Sinne
der neuen Zeit bezeichnet, und eben dadurch wird es zur nächsten Vorstufe für Gentile da
Fabriano, dessen leider verlorene, nur in Beschreibung gerühmte Madonna von Siena, wir am
besten im Anschluss an diese Leistung Taddeo Bartolis vorstellen. Durch diesen Vergleich erst
wird der Unterschied des Wandgemäldes in Orvieto von dem Mittelstück des florentiner Altar-
werkes von 1425 und der kleinen, ebenso am Boden sitzenden Madonna des Spitals von Pisa recht
verständlich. '
Die folgenden Quattrocentisten Sienas in der Altenburger Sammlung sind von Crowe und
Cavalcaselle schon ausführlicher berücksichtigt worden, so dass es mehr darauf ankommt einige
Irrtümer zu berichtigen, die sich auch in Nachträgen zum IV. Bande der Geschichte der italienischen
Malerei (deutsche Ausgabe) eingeschlichen haben. So ist die Versicherung eine „Madonna mit Kind,
Johannes und zwei Engeln" wie sie im alten Verzeichnis (No. 73) schon mit falscher Einfügung des
Johannes aufgeführt steht, „mit Recht dem Giovanni di Paolo zugeschrieben" werde (IV, 90.
Anm. 104) wol zu verbessern, wie hernach gezeigt werden soll. Dagegen gehören diesem langlebigen,
bis 1457 oder gar 1482 beglaubigten und ziemlich wandelbaren Meister zwei Kreuzigungen in Quer-
format, eine grössere (No. 30) und eine etwas reducierte Komposition (No. 33), deren Mittelgruppe
als selbständiges Hochbild in Berlin vorkommt.^ — Eine charakteristische Eigenschaft ist der kleinliche
Zug, der in subtiler Behandlung sowol zeichnerischer wie farbiger Elemente der Darstellung besonders
aber des Ausdrucks selbst über die Gränzen des Natürlichen hinaus Befriedigung sucht. Von Miniatur
und Illustration ausgehend, sieht er seine Figuren nicht in Farben und Formen der Wirklichkeit
sondern in konventioneller Befangenheit der ererbten Kunsttradition, die ihre Verwandtschaft mit
den Schriftzügen nirgends verläugnet, und bleibt in dem Verfahren von Schwarz oder Rot auf Weiss
oder Gold im mehr oder minder willkürlichen Spiel der Polychromie. Seine Figuren begnügen sich
gleich Buchstaben hier mit stiller Zurückhaltung in engen Gränzen und gradlinigem Stande oder
greifen dort um sich gleich den Schnörkeln, schlagen über die Stränge, wo leerer Raum zu füllen
bleibt, und werden aus ornamentaler Rücksicht zum Zerrbild menschlicher Wesen. Aber sie behalten
trotzdem ihre mimische Bedeutung und geben, auch wo sie übertrieben gesteigert sind, ein Beispiel
1 Bei dieser Gelegenheit darf auch auf eine Madonna der Sammlung Bartolini .Salimbeni in Florenz hingewiesen
werden, die von der Gentileforschung unbeachtet geblieben.
2 Im erzbischöfl. Museum zu Utrecht findet sich (im I Zimmer an der Wand rechts neben dem Kamin) unter der
Bezeichnung „Paolo di Neri 1342" eine Kreuzigung ähnlicher Art, kl. Breitbild, das nach E. Haenels Mitteilung sicher dem
Giovanni di Paolo gehört.
eigner Art, wie mitten in den Bestrebungen des Realismus ein uraltes Kapital des Mittelalters nach
Mafsgabe der neuen Ansprüche ausgebeutet wird, — und offenbar einen grossen Teil des Publikums
befriedigt. Die Zahl der Arbeiten jeden Mafsstabes in Siena beweist wenigstens für die Zahl der
Aufträge dieses seltsamen Mannes, der fast alle Sünden byzantinischer Askese und verknöcherter
Schematisierung auf sich nimmt, die man oströmischer Kunst nachsagt.
Den beiden, im Einzelnen höchst interessanten Kreuzigungen steht noch eine kleine Tafel
nahe, die in mancher Beziehung merkwürdig ist. Darauf ist unter einer längern Inschrift^ ein „Noli
me tangere" dargestellt. Links steht Christus, den weissen goldgemusterten Mantel über die linke
Schulter geschlagen, so dass der Zipfel hinten nachflattert, die Kreuzfahne in der Linken, die Rechte
abwehrend vorgestreckt; denn die knieende Magdalena, in rotem Kleid und lose herabfallenden
blonden Locken, strebt mit beiden Händen zu ihm hin. Die beiden Köpfe sind lang gezogen, die
Gesichter zart, die Brauen hoch geschwungen, die Gewänder in flache gradlinige Falten mit Zickzack-
Enden gelegt, soweit sie nicht unmittelbar an die Körperform anschliessen. Ausserordentlich naiv
und doch überraschend ausfühdich ist die Landschaft: den Boden bedeckt dunkelgrünes Gras, in
dem in gleichmässiger Verteilung hellgrüne Büschel eingesetzt sind; rechts steht ein Orangen-, links
ein Lorbeerbaum; dahinter dehnt sich, von blauen Bergen umsäumt eine weite Flur mit mathematisch
abgezirkelten Parcellen, kleinen Hügeln, einzelnen Bäumchen und Häusern dazwischen. Die Freude
an der perspektivischen Wiedergabe der Gegenstände ist unverkennbar, aber in dem umfassenden
Überblick fällt alles zu winzig aus und erscheint wie Spielzeug, aus einer Nürnberger Schachtel
aufgebaut, ohne Verhältnis zu den Figuren darin, vor allen Dingen ohne Vermittlung.
Nach Anlage, Komposition und Detailbehandlung gehört dies Bild demselben Meister, von
dem aus englischem Privatbesitz vier Predellenstücke mit Geschichten Johannes des Täufers in
New Gallery Exhibition London 1893/94 ausgestellt waren. Ist schon die Gestaltenbildung und die
Durchführung des Gesichtstypus dieselbe, so beweist daneben besonders die Eigenart der Landschaft
für das besondre Streben einer bestimmten Person. Wenn wir diese Darstellungen dem Giovanni
di Paolo zusprechen dürfen, — und die Ähnlichkeit mit den sichern Werken, der Darbringung im
Tempel in Siena (No. 236) z. B. ist eine ganz hervorragende — so hätten wir mit dem Altenburger
Stück eine wertvolle kleine Tafel gewonnen, die ebenso die nahe Beziehung zu den Reliefs am
Taufbrunnen, namentlich der Taufe Christi von Lorenzo Ghiberti, bezeugt wie die Johanneslegende
in England. Und diese ganze Gruppe wird wichtig besonders wegen der perspektivischen Bemühung
um die Wiedergabe des Lmenraumes wie der Landschaft, durch die er sich vorteilhaft vor andern
Zeitgenossen unterscheidet.^
Zu diesen Künstlern muss auch Sano di Pietro (c. 1400 — 1481) gerechnet werden, einer
der bessern Schüler Sassettas, der seinem Stil nach zwischen diesem und Vecchietta vermittelt.
Sonst hat er am meisten Verwandtschaft mit umbrischen Künstlern, die von Benozzo Gozzoli gelernt,
wie Pier Antonio Mezzastris und Konsorten, d. h. er ist in schnellfertiger Flächendekoration geübt
1 No. 49. Wir überlassen die Inschrift in got. Majuskel, in der die Jahreszahl MCCCC vorkommt, dem Katalog
ebenso, wie die Erörterung der Frage, wie weit hier ein Kalenderbild vorliegt.
2 Vgl. hierzu auch die Sano di Pietro zugeschriebene Vision des hl. Franz in ChantiUy.
und verfolgt keine Gedanken, sei es an Wahrheit und Wirklichkeitstreue, sei es an Ausdruck und
Beziehungsreichtum, die diesem bequemen Verfahren in Fresko oder Tempera beschwerlich fallen
könnten. Die Köpfe seiner Figuren sind leicht kenntlich an dem weichen lockigen blonden Haar
und den grossen scharf umrissenen braunen Augen, die eigentümlich aus dem rosig angehauchten
zarten Gesicht herausschauen. Diesen Typus der BocüJtig weisen zwei kleinere Madonnenbilder in
Altenburg auf (No. 38 und 50). Auf beiden findet sich Maria in etwa dreiviertel Lebensgrösse als
Halbfigur das Kind auf dem Schofs, in zärtlicher Umschlingung, umgeben von jugendlichen Engel-
paaren und Heiligen. Die Übereinstimmung mit Werken wie die Krönung der Maria in der Galerie
in Siena ist schlagend. In erhöhtem Mafse kehren die Eigenschaften wieder in dem kleinen Brustbild
der Madonna (No. 51), während grade das von Crowe und Cavalcaselle hervorgehobene Stück
verwandter Art, (No. 73) dagegen abfällt, aber nicht als Giovanni di Paolo, sondern als AteHerwerk
des Sano di Pietro bezeichnet werden darf.
Auf der Höhe seiner Kunst zeigen diesen Meister selbst wieder zwei kleine Tafeln in Querformat,
die ihren völlig gleichen Mafsen nach (31x47) wol als Gegenstücke gedacht sind, d. h. zu einer
Predella gehört haben: die Eine stellt den Besuch Marias bei Elisabeth, die Andre ihre Himmelfahrt
dar. Auf dem ersten Bilde werden wir mitten in die Strasse einer phantastischen Stadt geführt,
rechts und links ragen prächtige Gebäude empor mit Loggien, Pilastern und Säulen, mit dem bunten
Material des Steins mischt sich das Grün von Orangen und Cypressen; eine stolze Kuppel weist
auf die Nähe des Tempels, während ein Pfau auf der Brüstung einer festlich heitern Halle nur als
Prunkstück aus der Villa hergekommen scheint. Das Alles ist mit voller Verwertung der Renaissance-
formen und geschickter Perspektive vorgeführt, wie in den Wandgemälden des Spedale della Scala
von Domenico Bartoli und seinen Genossen. Und anmutig genug entfaltet sich in dieser Umgebung
der Auftritt, der geschildert werden soll. Von links ist Maria, begleitet von drei Paaren junger
Mädchen herangeschritten. Nun kommen ihr aus dem Hause Elisabeth und Zacharias mit einem
Gefolge von sechs Frauen, deren Eine einen Knaben führt, entgegen, und die Begrüssung vollzieht
sich mit sprechenden Gebärden vor dem Grunde einer zinnenbekrönten Mauer. — Die nämlichen
schlanken und biegsamen Gestalten mit etwas schweren Köpfen begegnen in der Himmelfahrt, die
das alte Schema der Komposition etwas gewaltsam auch in niedrigem Breitbild wiederholt, —
besonders in den zweimal neun Engeln, die Maria begleiten. Statt des blauen Himmels ist hier
auch der Goldgrund beibehalten.
Da sind wir ganz nahe bei einem Nachfolger Benvenuto di Giovanni, der endlich zur
voll ausgeprägten Generation des Quattrocento gehört wie Matteo di Giovanni und Guidoccio
Cozzarelli, die allesamt hier ebenso zu finden sind, wie die nächsten Verwandten des Cecco
di Giorgio mit seinen langen Gestalten, die zwischen Pollajuolo und Botticelli in der Mitte, doch
ihr echt sienesisches Wesen behaupten und so vorbildlich geworden sind für die heimischen Maler
bis in Peruzzis Zeit.
Auch diese Gruppe lässt deutlich das Auftreten Gentiles da Fabriano als Zeitpunkt für den
Beginn der Umwandlung erkennen. Da ist eine kleine Anbetung der Könige, die vom alten Verzeichnis
dem Peruginer Benedetto Buonfigli zugeschrieben wird, aber dem erstgenannten Sienesen, Benvenuto
di Giovanni gehört.' In der Anordnung des Bildes offenbart sich trotz der Zusammendrängung ins
Hochformat von geringen Dimensionen das Vorbild, Gentiles Anbetung für Palla Strozzi von 1423, ebenso
wie in dem kleinen Quaderbau zur Linken, der Höhle für Ochs und Esel, dem liegenden Jagdhund
vor den Pferden rechts, dem Auftreten der Affen im Sattel, und der Landschaft über den Orangen-
bäumen. Selbst der goldne Stern ist in Relief gegeben. Die Typen der schlanken Figürchen mit
grossen Köpfen, schwerer, meist aschblonder Perrücke bezeugen aber den genannten Sienesen, dessen
Madonna mit ihrem langen Oberkörper und ihren schmalen Schultern ebenso wie die hellblonden
Begleiterinnen dahinter von Cecco di Giorgio herstammen, während seine stumpfe, überall ins Gräuliche
fallende Tempera sich wenig zum Farbenglanz Gentiles eignen will. Die Unsicherheit im Mafsstab
der Figuren, die lange Maria und die kurzen Pferdchen sprechen wie die Nachahmung selbst noch
für ein frühes Stadium im Gange dieses Malers. Mit seinem Namen muss auch ein Triptychon
verbunden werden, das in der Mitte die Halbfigur der Madonna, auf den Flügeln die S. Vittores
und S. Girolamos darstellt,^ — und in manchen Dingen Anklänge an ferraresische Ouattrocentisten
aufweist, wie auch andre Werke seiner Hand.
Sein Nachbar Matteo di Giovanni (1435 — 1495) ist durch drei Stücke eines Altarwerkes
aus bester Meisterschaft vertreten, deren grösstes im alten Verzeichnis seltsamer Weise als Schule
des Fra Giov. Angelico geführt wird. 3 Es ist die Einzelgestalt des hl. Nicolaus von Bari, in reichem
farbenprächtigem Ornat, und die kleineren Figuren eines andern graubärtigen Bischofs (S. Savino?)
und des Vincenzo Ferren, beide in rundbogiger mit Marmorinkrustation geschmückter Nische, —
Beispiele von männlich ernstem Charakter, fast ferraresischer Energie und trefflicher Erhaltung,
besonders des verkannten Hauptstückes.
Dem Guidoccio Cozzarelli dagegen, der zuweilen mit ihm verwechselt wird (wie z. B. auch
in einer Madonna der New Gallery Exhibition, London 1893/4), möchten wir ein Breitbild mit der
Beweinung Christi-* beimessen, das bisher als florentinische Schule des 15. Jh. angesehen wird,
während dem Cecco di Giorgio Martini eine thronende Madonna mit der heiligen Katharina und
einem durch Unterschrift ausdrücklich als „Gerardo" benannten Franciskaner, ganz nahe steht, deren
augenblicklicher Zustand nur einen Hinweis auf die kleinen Geschichten S. Bernhardins in der Opera
del Duomo zu Siena gestattet. s Durchaus architektonisch gedacht, auf schlichtem Thronbau mit ein
Paar abenteuerlichen Auswüchsen an den Anten der Nische, die langgestreckten und doch wuchtigen
Gestalten, die so bestimmt schon als Vorläufer der Frauen des Baldassare Peruzzi erscheinen.
Beschränken wir uns damit auf das Wichtigste, sei es durch den künstlerischen Wert, sei es
durch das kunsthistorische Interesse Hervorragende, so mag hier das Rundbild eines Sienesischen
Meisters aus dem 16. Jahrhundert den Beschluss bilden: eine heilige Familie, die im alten Verzeichnis
1 No. 165. H. 56 X B. 40.
^ No. 155- H. 37 X B. 43-
3 No. 130. (H. 42XB. 23) „Schule des Fra Angelico" und 13. 14. (H. 36XB. 17.) „Schule des Matteo di Giovanni."
Vgl. No. 21.
4 No. 81.
5 No. 90. „wahrscheinlich von Gentile da Fabriano." H. 86xB. 43 mit Giebelrahmen, Hauptbild 47X33- Durch
Restauration verschleiert, S. Katharina übermalt.
dem Francesco Mazzuoli, genannt il Parmigianino beigelegt/ aber schon von Hofrat H. W. Schulz
als ein Werk des Domenico Be ccafumi erkannt worden ist, dem es zweifellos gehört, und dessen
Vollreife Blütezeit es charakteristisch mit ihren Vorzügen wie ihren Mängeln kennzeichnet.
U m b r e r
Nach der florentinischen und sienesischen Schule will die Sammlung v. Lindenau, wie ihr
Stifter erklärt, womöglich auch die umbrische Schule im Überblick über ihre Entwicklung vorführen.
Nachdem wir aber in einem Trecentisten wie Allegretto Nuzi nur den Schüler Taddeo Gaddis
erkennen, und keinen Gentile da Fabriano als Vertreter der eigenen Bestrebungen Umbriens am
Übergang ins Quattrocento gefunden haben, mussten wir einen vermeintlichen Benedetto Buonfigli
vielmehr für Siena in Anspruch nehmen. Dagegen besitzt die Galerie eine Madonna von Matteo
da Gualdo ^ und zwei kl. Heilige von Pierantonio Mezzaftris.^ Zu den ausgemachten Quattrocentisten
gehört zuerst der zwischen Florenz und Perugia soviel ernstlicher vermittelnde Meister Fiorenzo di
Lorenzo, der in der Werkstatt des Andrea del Verrochio sein Bestes gelernt hat. Von ihm besitzt
die Altenburger Galerie zwei grosse wolerhaltene Tafeln, die einst als Flügel zu einem Altarvverk von
sicherster Ausführung aus der reifsten Zeit gehört haben. Es sind die beiden Einzelfiguren Johannes
des Täufers und der Magdalena, die der alte Katalog irrtümlich allerdings, aber nicht ohne guten
Sinn dem Verrocchio beigemessen hat."* Die Gestalten stehen auf marmoriertem Boden gegen
Goldgrund (eine davor gemalte Spitzbogenarkade deckt nur die weggebrochene Einfassung des
alten Rahmens in diskreter Weise mit grauer Steinfarbe zu). — Johannes in härenem Gewand, über
das er den karminroten, grüngefütterten Mantel geschlagen, weist mit der Rechten nach der andern
Seite hinüber, — so dass wir „das Lamm Gottes" an seiner Linken zu denken haben. In dem linken
Arm lehnt ein langer krystallener Kreuzstab, während die Hand das emporwehende Schriftband mit den
Worten ECCE • AGNVS • DEI • hält. Magdalena ist reich gekleidet; sie trägt ein grünes Untergewand
mit Ärmeln aus lila Goldbrokat über das ein ziegelroter, innen blaugrüner Mantel geschlagen ist,
während über beide Schultern das blonde Lockenhaar in langen Wellen herabfällt. Sie ist im Begriff
die Salbbüchse, die sie in der Linken hält, mit den Fingern der Rechten zu öffnen, die so die eigen-
tümliche Haltung von gespreizter Zierlichkeit annehmen, die dem Meister besonders lieb war, und
schon bei seiner hl. Mustiola mit dem Ringe Marias auf einem früheren Altarwerk in Perugia vorkommt.
Die scharf umrissene Zeichnung der Formen mit stärker Betonung des Knochengerüstes wie
der Muskellagen und Aderzüge zeigt den Maler ebenso in unmittelbarer Gemeinschaft mit dem
Bildner Verrocchio, wie die wulstige tiefgefurchte Faltengebung der Doppelstoffe. Beides bewahrt
wie das zottige Haar und Fellkleid des abgezehrten Täufers einen merkbaren Überrest vom metallischen
Charakter der Arbeit, als ob sie ursprünglich für die Ausführung in Bronzeguss gedacht wäre. Bei
I No. 125. Durchmesser 92 cm. in altem reichgeschnitzten Rahmen. Der Kopf des Kindes übermalt mit rosiger
Farbe, die zu den gelblich gewordenen Gesichtern ringsum nicht stiinmt. Ein geringes Atelierstück ist dagegen No. 124.
4 No. 116 u. 117. H. 121 XB. 42, unten etwas beschnitten. Beide erscheinen im Jahrg:
historischen Gesellschaft für photogr. Publikationen. .
— IQO —
dem wettergebräunten Täufer fallt die Verwandtschaft mit Verrocchios Christus an Orsanmichele
natürlich erst recht auf, während andrerseits der üppige Frauenkopf Magdalenens durch die herbe
Betonung fester Form in Nase, Kinn und Lippen gar, den strengeren Charakter der geläuterten
Hingebung erhält. In der farbigen Durchführung dagegen macht sich der umbrische Geschmack des
Meisters ebenso woltuend fühlbar, wie in der wunderbaren kleinen Madonna der Sammlung Castellani
und dem weicheren Bilde im Städelschen Institut in Frankfurt a/Main, das wol im Atelier des
Florentiners selbst entstanden sein mag. Besonders glücklich ist bei Magdalena der Farbenaccord
violett, grün, rot, mit dem Goldgrunde zu einheitlicher Tonart gestimmt.
Am nächsten kommt den Altenburger Stücken unter allen bekannten Werken des Fiorenzo
di Lorenzo wol die Madonna mit dem Kinde in der Berliner Galerie vom Jahre 1481. Formengebung,
Zeichnung und vor Allem auch die Färbung zeigen die engsten Beziehungen; nur ist der Zustand
einer fast tadellosen Erhaltung hier bei dem Vergleich mit der vielfach gereinigten Tafel in Berlin
gebührend zu berücksichtigen. Nimmt man nun aber die Übereinstimmung auch in Nebendingen,
wie der Inschrift, wahr, die Anordnung auf marmoriertem Grunde, und namentlich die Einheit des
Mafsstabes, — so kommt man wol mit grösster Wahrscheinlichkeit zu der Annahme, dass die
Berliner Madonna aus der Sammlung Solly nichts Anderes sei, als das Mittelstück zu dem nämlichen
Altarwerke, dessen Seitenflügel, ein wenig niedriger und schmäler als das Hauptbild wie es damals
üblich war, sich hier in Altenburg befinden.'
Ausser diesen bedeutenden Flügelbildern grossen Formates besitzt die Galerie noch ein kleines
Bild von Fiorenzo, auf dem in abgerundeter Komposition Gottvater mit der Weltkugel umgeben von
einem Engelkranz dargestellt ist. Die Taube, die darunter schwebt, besagt, dass das Stück oben
im Rahmenwerk eines Altars gesessen, dessen Hauptbild entweder die Taufe Christi oder eine
thronende Madonna enthielt.^ Die Zeichnung hat durchaus den Charakter des Meisters, die routinierte
Durchführung besonders in bunter flacher Farbe weist dies Beispiel jedoch in die späte Zeit seines
Lebens, wo Perugino und besonders Pinturicchio schon ihren nachbarlichen Einfluss ausüben.
Dagegen reiht sich unmittelbar an seine sorgsamen Werke, die wir in den achtziger Jahren
zur Vollendung gedeihen sehen, die Arbeit eines römischen Kunstgenossen, der mit Fiorenzo di
Lorenzo einerseits und mit Domenico Ghirlandajo andrerseits in einem Zusammenhang steht, der
sich nur durch persönliche Gemeinschaft erklären lässt: es ist die Halbfigur einer Madonna mit dem
nackten Kind auf dem Arm, in warmer dunkler Färbung gegen den zierlich geschmückten Goldgrund
gesetzt, 3 das im alten Verzeichnis schon dem Fiorenzo di Lorenzo beigemessen, dem Antoniasso
Romano zurückgegeben werden muss, und zwar auf Grund des ebenso sorgfältig und warm auf
Goldgrund ausgeführten Bildes, das die Compagnia dell' Annunziata auf ihrem Altar in S. M. sopra
Minerva hat machen lassen. Hier malte Domenico Ghirlandajo die Kapelle der Tornabuoni nebenan,
1 Berlin. K. Museen No. 129 misst 144x66 cm. Es hat durch Reinigung den warmen Goldton verloren, der die
Altenburger Tafeln auszeichnet.
2 Vgl. hierzu den Gottvater im Cherubkranz auf dem Altar von 1487 in der Galerie zu Perugia. Sonst gehören
der Art nach mit Fiorenzo di Lorenzo noch vier geringe Hochbilder mit Joh. d. Täufer, Petrus, Maria und Gabriel
(No. 142—145) zusammen.
3 No. 147. H. 49XBr. 36.
— 191 —
während Fiorenzo wenigstens am Tabernakel des Hochaltars von S. Giovanni in Laterano nach-
weisbar ist.'
Kommen wir damit schon in die Nachbarschaft des Bernardino Pinturicchio in Rom, so führt
uns ein Bild von Giovanni Santi, dem Vater Raphaels nach Urbino, ins ostumbrische Kunst-
gebiet hinauf. Er zeigt uns^ in einer Hi.igellandschaft die Jungfrau mit dem Kinde auf dem Arm
stehend, während von links die kleine Agnes in ärmlichem Kleide, den Stab im Arm, als Hirten-
mädchen naht, das auf der Wiese ihre Lämmerherde gehütet, und rechts der hl. Sebastian nackt
an den Baum gebunden, wie er auf vielen Bildern des Meisters mehr oder minder tüchtig gegeben
wird. Der dunkelfarbige Zustand des Bildes lässt auf Verwendung von Ol schliessen; er kommt
mit der nämlichen Trübung auch auf dem Bilde der Visitation in S. M. delle Grazie zu Fano
vor, dem dies allerdings recht unbedeutende, aber deshalb doch unzweifelhafte Stück auch sonst
nahe steht.
Nicht erfreulicher als Raphaels Vater ist auch Raphaels Lehrer Pietro Perugino in Altenburg
vertreten, obschon die Beispiele bekannt und literarisch beglaubigt sind. Zwei Einzelgestalten von
Heiligen stellen die Kaiserin Helena und Antonius von Padua vor, sind in Tempera gemalt, aber
das erstere stark mit Ol übergangen. Die beiden Flügel wurden in Florenz vom Kunsthändler
Metzger erworben, dessen Sohn die beiden noch zugehörigen S. Lucia und Joh. d. Täufer an den
Herzog von Meiningen verkaufte. ^ Sie stammen aus der Kirche der SS. Annunziata und schmückten
die Kapelle de Rabatta, wo sie Vasari neben der Himmelfahrt Marias beschreibt. An eben diese
Letztlinge des einst gepriesenen Peruginers in Florenz knüpft sich die Erzählung vom beissenden
Spott der Florentiner, der ihn in seine heimatliche Provinz zurücktrieb.
Zahlreiche kleine Madonnen geben uns daneben mannichfaltige Spielarten der umbrischen
Schule zwischen Perugino und Pinturicchio t oder gar Signorelli, der mit einer Reihe trauriger
Fragmente eines Altarwerkes hier vorkommt, die ihn keinen Augenblick charakterisieren können,
obwol sie fast zu den einzigen Bildern gehören, die bisher als Originale in Altenburg von unsern
Reisebüchern hervorgehoben wurden.
Zeigt sich schon in der Landschaft Giovanni Santis auf dem kleinen Beispiel hier, wie selbst
auf seinem Fresko in Cagli, der Einfluss niederländischer Gemälde, so ist das Eindringen dieser
nordischen Weise in noch stärkerem Mafs immer aufgefallen bei einigen Neapolitanern, die man so
1 Vgl. über Antonatius und seine Beziehungen zu andern in Rom beschäftigten Meistern, sowie über Buonfiglis
und Fiorenzos Arbeiten daselbst Schmarsow, Melozzo da Forli, Stuttgart 1886.
2 No. 154. H. 74 XB. (2. Im alten Verzeichnis die Xotiz: „angeblich von Raphaels Vater, für den das Bild /u
unbedeutend ist, — wol aus der Mark Ancona." Dagegen fälschlich ihm zugeschrieben No. 77.
3 No. u8 u. 119. H. 162XB. 67. Vgl. Crowe u. Cavalcaselle Nachträge zu Bd. IV p. 592 u. p. 242 Anm. Die
Bestellung nach dem Tode des Filippino Lippi 1504 zur Vollendung einer Kreuzabnahme (in der Akademie zu Florenz)
das Hauptbild der Kapelle.
4 Wir heben nur eine Madonna von Tiberio d'Assisi, und eine der manieriertesten Pinturicchioschule hervor, die
im alten Verzeichnis mit niederländischer Art verwechselt worden ist.
— 192 —
gern für van Eyck oder Rogier van der Weyden ausgiebt. Selbst in Sicilien sind neuerdings
altlioUändische Spuren erkannt worden.'
Hierher gehören auch drei grössere Bestandteile eines Retablo mit der Krönung Marias vor
Gottvater, und die Heiligen Petrus und Paulus, die offenbar H. W. Schulz, der Herausgeber der
Denkmale Süditaliens ganz richtig als „Neapolitanische Schule" bestimmt hat. Bei genauerer
Untersuchung hat sich auch Jahreszahl und Monogramm gefunden: auf dem Gebetbuch des Paulus
steht neben dem Bibeltext auf einer Seite 1488 / DIE 14 / OCTV / BER / dann ein aus TFLR
zusammengesetztes Zeichen, und zwar alle übrigen dem Stamm des T angefügt, das R nur in
kleinerem Mafsstab, den Mittelstrich des F so durchschneidend, dass auch ein A noch angenommen
werden könnte. ^
Sonst pflegen wir das Eindringen nor-
discher Einflüsse oder die nachbarliche Ver-
wandtschaft mit germanischem Wesen eher, in
Oberitalien zu suchen. Als verhältnismässig
frühes Beispiel dieser Art, das man zunächst den
Umkreis Veronas zuweisen könnte, wäre ein
kleines Madonnenbild zu nennen, das auf der
Rückseite in gelben, etwa zollgrossen Kapital-
buchstaben auf dunkelgrünem Grunde die un-
verdächtige Künstlerinschrift trägt: OPVS /
lOHANNIS, in der die Breite des merklich
kleineren O, die Verkürzung des zweiten Vertikal-
strichs am H und die Brechung des Horizontal-
balkens im A beachtenswert sind. 3 Auf dem
alten Rahmen sind zwischen dem innern Rund-
stäbchen und dem äussern Profil vier lange
Blumenstengel gemalt, zwei Kornblumen und
zwei Pechnelken, wie locker hingelegt auf dem
Goldstreifen, — so dass wir an die beliebten
Randleisten der Miniaturmalerei, besonders während der Übergangszeit im Norden erinnert werden.
]\Iit diesem Merkmal verbindet sich der Charakter der Madonna, die in purpurrotem hochgegürteten
Kleid und grünem goldgefütterten, und über den Kopfschleier gezogenen Mantel den nackten Knaben
sitzend auf der Hand hält, während sie mit dem Zeigefinger der Rechten seine Brust berührt. Das
kräftig entwickelte Bürschlein von etwas eckigen Gliedmafsen streichelt ihre Wange und blickt fröhlich
1 Cicerone 1893 p. 646. 649.
2 Nr. 97—99. Dazu die Anmerkung: „ein andres Bild desselben Meisters, welches früher in Sta Restituta war,
befindet sich jetzt im Museo Borbonico zu Neapel. De' Dominici, der lügenhafte Erzähler der neapolitanischen Kunst-
geschichte, schreibt dies Bild (I. 31) einem Filii^po Thesauro zu, dessen Existenz zweifelhaft ist".
3 Nr. 5. H. 25 XB. 18 cm. Pappelhol/. Im alten Verzeichnis gänzlich verkannt.
— 193 —
aus den hellen Augen. Sein dicker vollwangiger Kopf mit struppigem Haar sitzt etwas unbeholfen auf
kurzem Halse und bekommt so etwas Bäurisches, wie die Hände mit grossen eckig gebogenen Fingern
der Mutter. Die Malerei ist dünn, flüssig, aber der Pinselstrich hier schräg verlaufend, dort bogenförmig
der Form folgend überall erkennbar, die Farben saftig und ziemlich tief, die Karnation ins Rötliche
fallend. Nehmen wir diese Eigenschaften zusammen, so leitet besonders der Typus der Madonna,
wie die breite Form des Kindskopfes zu den Übergangsmeistern der Frührenaissance in Verona, in
die Nachbarschaft des Vittore Pisano und des Stefano da Zevio, und zeigt Verwandtschaft mit den
Wandgemälden im Chor von S. Anastasia neben dem Reiterdenkmal Serego, oder mit einer lavierten
Zeichnung in Paris, der Büste eines jungen Mädchens in Profil, die sonst Pisanello genannt, neuer-
dings wol irrtümlich für Altichiero in Anspruch genommen ist. Beachten wir aber nochmals die
kralligen Finger mit gebrochenen Gelenken, die Faltenzüge und die Malweise der Gewänder, so
kommen wir darauf, dass dieser Johannes doch wol niemand anders sein kann als Giovanni di
Paolo von Siena, den Vasari schon als Schüler des Gentile da Fabriano bezeichnet.
Oberitaliener
Von der andern Seite nähern wir uns dem Hauptsitz des ernsten Quattrocento, dem gelehrten
Padua und den Bestrebungen eines Francesco Squarcione und Jacopo Bellini mit Andrea Mantegna,
dessen Wirkungskreis dann über Mantua bis gegen Mailand vorrückt, ' wenn wir, den eigentlichen
Charakter der ferraresisch-bolognesischen Schule zu erfassen, den starken Eindruck vergegenwärtigen,
den die Arbeit eines Rogier van der Weyden auf die einheimischen Künstler ausgeübt haben muss.
Andre Züge freilich, das Gemeinsame zwischen diesen und Crivelli von Venedig, oder gar florenti-
nische Vorbilder müssen wir ins Gedächtnis rufen, um schliesslich doch den ferraresischen Ursprung
eines Bildes zu erkennen, das die Altenburger Sammlung besitzt: ein breites niedriges Predellenstück
mit der Geburt Christi. ^
In der Mitte sieht man unter dem Dach einer zerfallenen Hütte die Jungfrau anbetend vor
dem Kinde knieen, das nackt auf dem Boden liegt, während Joseph am Pfosten gegenüber zusammen-
gekauert hockt und Ochs und Esel neugierig aus dem Dunkel hervorlugen. Auf beiden Seiten
erstreckt sich eine öde Landschaft, wo in nächtlichem Dunkel links ein Engel in der Luft zwei
Hirten auf die Hütte weist, indess rechts ein dritter mit seinem Korb herankommt.
Auf den ersten Blick zeigt sich im Charakter ein Unterschied zwischen Mitte und Seiten, der
vor allem farbig sich aufdrängt. Rote, blaue und gelbe Töne sind drinnen angeschlagen und heben
sich noch auf der neutralen Folie des grauen Mauerwerks der Hütte. Dem gegenüber sind die
Seiten fast monochrom durchgeführt. Nur graue, braune, olivenfarbige und verwandte Mitteltöne
sind zur Verwendung gekommen und in ihnen gleichermafsen Landschaft wie Personen gegeben.
1 Als eine vielleicht zeitgenössische Wiederholung von Andrea Mantegnas Komposition die weder die
noch seinem Sohn Francesco zugeschrieben werden darf, erscheint Nr. 138.
2 Vgl. unsere Abbildung S. 195. Auch eine Verkündigung von Galasso Galassi ist hier vorhanden.
25
— 194 —
Ebenso unterscheiden sich die beiden Teile in der Art der Arbeit: während die Mitte verhältnis-
mässig sauber und sorgfältig ausgeführt ist, sind die Seiten kaum mehr als flüchtig skizziert und
summarisch hingepinselt. Bei dieser Wertbemessung waltet aber einheitliche Absicht und erzeugt
so aus beiden Bestandteilen ein Neues.
Fühlt man sich bei der Mittelgruppe an Pesellino erinnert, beim verkürzten Engel an Masaccios
kühne Leistung in der Brancaccikapelle, so dürfen wir als unmittelbares Vorbild wol am ehesten ein
frühes Werk von Fra Filippo vermuten. Die landschaftlichen Teile dagegen haben ausgesprochene
Verwandtschaft mit der Auffassung eines Jacopo Bellini und der Ausführung des Crivelli, so dass wir
sie durchaus als oberitalienisch bezeichnen müssen. Bei all dieser Abhängigkeit macht sich doch
ein eigner Charakter geltend, der in solcher Zusammenfassung eines farbig leuchtenden Kerns mit
seiner nächtlich unbestimmten Umgebung schon sich ausspricht. Der blaue Mantel Marias weist in
seinem Faltenzug, seiner Beleuchtung und seinem Ton ganz bestimmt auf Ferrara, in die Nähe eines
Cosimo Tura, und die summarische Behandlung der Contadini, die ans Burleske streifen, verrät die
Vorliebe für dörfliche Derbheit und einen gewissen rustikanen Humor, der die rauhe Aussenseite
gerade da hervorkehrt, wo das Gemüt sich mächtig regt. ' So vereinzelt, als Predellenstück, lassen
wir dies Mittelglied zwischen den bezeichneten Schulen um so lieber ohne Namen, als es jedenfalls
den eignen Charakter seines Urhebers noch nicht in ausschliesslicher Fassung ausprägt, und geben
die Abbildung bei.
Eine sehr wichtige Namensbestimmung erlaubt jedoch eine kleine Tafel, die schon im alten
Verzeichnis der Schule nach als paduanisch richtig erkannt worden.^ Es stellt die Verlobung der
hl. Katharina mit dem Christusknaben in Gegenwart des alten Joseph inmitten eines kleinen Gartens,
dar, der schon durch ein aufgemauertes Blumenbeet vorn und eine Marmorbank, auf der Maria sitzt,
zur Seite, sowie durch ein breites Portal mit geradem Gebälk aus rotem Veroneser Stein architek-
tonisch bestimmt, durch eine marmorne Tempelfassade nach dem Muster antiker Gräberbauten
— hier als Casa Santa di Loreto gedacht — vollends strengen Abschluss erhält, und sowol den
ernsten Charakter der gelehrten Renaissance in Padua als den engsten Zusammenhang mit dem
perspektivischen Bestreben der rigorosen Quattrocentisten bekundet, die wir mit den Namen Francesco
Squarcione und Andrea Mantegna in Verbindung denken. Genauere Vergleichung mit den erhaltenen
Beispielen dieser Künstlergenossenschaft führt aber mit aller Bestimmtheit auf Ansuino da Forli, der
die Predigt des heil. Christophorus vor den Kriegsknechten in der Eremitani-Kapelle mit seinem
Namen bezeichnet hat. Es ist im schulmässig aufgebauten Gerüst der Komposition nur ein Spiegel-
bild der hier vorliegenden heiligen Familie im Garten des Hauses. Die Übereinstimmung der Typen,
der Kopfstellungen, der Wiedergabe der Augen und sonstigen Gesichtsteile, wie der Gewandung
leitet aber ebenso zwingend über das einzige Wandbild hinaus, das bisher, an der Seite des Bono
da Ferrara, für Ansuino vorhanden schien, und beweist die Zugehörigkeit der beiden oberen Dar-
stellungen im Bogenfeld, welche die Vorgeschichte des Christophorus enthalten, und durch dieselbe
' Vgl. z. B. die Anbetung der Hirten von Carlo Crivelli in der Galerie von Strassburg und die Pietä in der Pina-
kothek von Ferrara, die dort Galasso Galassi heisst; sonst etwa die hL Apollonia in der Pinakothek von Bologna.
2 Nr. 68. H. 53 X B. 32. Tannenholz.
Einfassung wie das bezeichnete Opus Ansuini
von dem Anteil des Bono unterschieden, schon
einmal aus stilistischen Gründen als Arbeit
des nämlichen Forlivesen angesprochen
worden sind/ während sowol Crowe und
Cavalcaselle wie noch die letzte Auflage des
Cicerone sie für Marco Zoppo erklären.^
So gewinnen wir zu den drei Fresken
der Cappella Ovetari-Leoni in S. Agostino
degli Eremitani zu Padua noch ein Tafelbild
von Ansuino in Altenburg, das heisst statt
einer vereinzelten Arbeit deren vier, die
uns gestatten, seinen Weg wenigstens vom
Eintritt als Gehilfe bei Francesco Squarcione
bis zum Abbruch dieser Gemeinschaft zu
verfolgen, und ihn einerseits von dem
Gefährten Bono da Ferrara, der vielmehr
durch Piero de' Franceschi als durch padua-
nische Weise bestimmt scheint, andererseits
von den übrigen Squarcionesken, wie Gregorio
Schiavone, Niccolo Pizzolo und Andrea
Mantegna selbst zu unterscheiden. Geben
uns die beiden obersten Fresken Aufschluss
über seine Herkunft aus anderer Schule, so
lassen das bezeichnete Wandbild wie die
Tafel in Altenburg, die ihrer perspektivischen
Konstruktion nach enger zusammengehören
und nur an der Hand eines und desselben
Problems einen Fortschritt von befangener
Lösung (auf der Tafel hier) zu klarer Kon-
kurrenz mit Mantegna (im Fresko) bezeugen,
den strengsten Anschluss an die gemein-
same Aufgabe an Ort und Stelle und zwar
im Sinne realistischer Raumkunst erkennen.
Ansuinos Architekturkoulisse auf der rechten
' Vgl. Schmarsows im Herbst 1885 erschienene
Monographie über Melozzo da Forli p. 305.
2 Vgl. Gazette des Beaux-Arts, Sept. 1897, wo
ein genauer Beweis mit Abbildungen gegeben ist.
— 196 — "
Seite des eintretenden Beschauers und Mantcgnas bei der Taufe durch Jacobus auf der linken Wand
stehen einander als Hälften eines einheitlich bearbeiteten Ganzen gegenüber. Nach dieser vollendeten
Einordnung in die Disciplin der Squarcione -Werkstatt verschwindet der Forlivese und Mantagna
allein behauptet das Feld, um in jedem folgenden Bild ein neues Problem oder eine bessere Lösung
zu versuchen.
Mit diesem Hinweis der kunsthistorischen Studien auf die Geschichte der künstlerischen
Probleme in der Hand eines Meisters, einer Schule, einer Stilperiode sei der Rundgang in der
Sammlung v. Lindenau zu Altenburg beschlossen, und mancher interessante Nachtrag wie einzelne
Stücke aus der venezianischen und lombardischen Schule (Vivarini, Hieron. de Tarvixio, Macrino
d'Albar), die wir noch namhaft machen könnten, der Einzelarbeit des neuen Katalogs überlassen.
AUGUST SCHMARSOW
FELIX BECKER FELIX WITTING
ERICH HAENEL
A. GOSCHE P. SCHUBRING
INHALT
Florentiner Studien Seite
1. Niccolö und Giovanni Pisano I — 13
2. Andrea Pisano 14 — 28
3. S'a Caterina in Antella 29—35
4. Die Statuen an Orsanmichele 36—53
5. Die Kaiserkrönung im Museo Nazionale 54 — 74
6. Neuordnung florentinischer Museen 75—92
Italienische Studien in anderen Sammlungen
7. Raphaels Skizzenbuch in Venedig 95—121
S. Italienische Malerschulen in der Londoner Nationalgalerie 122 — 142
9. Meister des XIV. und XV. Jahrhunderts im Museum v. Lindenau zu Altenburg 143—196
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Heliogravüren: 21
1. Niccolö Pisano, Tympanon am Dom von Lucca
2. Andrea Pisano, S. Reparata und Christus . . .
■ Florenz, Museo dell' Opera
3. Spinello Aretino, S. Caterina in Antella ....
zwei Doppeltafeln nach den beiden Haupt-
wänden
4. Luca della Robbia, Kaiserkrönung
Florenz, Museo Nazionale
5. Luca della Robbia, Porträtbüste in Terracotta .
Florenz, Museo Nazionale
6. Raphael, Frauenköpfe aus dem Sposalizio . . .
Mailand, Brera
7. Raphael, Joseph und Freier aus dem Sposalizio
Mailand, Brera
[8. Raphael, Erschaffung Evas
Kirchenfahne in Cittä di Castello
9. Raphael, Dreifaltigkeit mit S. Sebastian und S.
Rochus
Kirchenfahne in Cittä di Castello
10. Andrea Orcagna, Krönung der Maria
Altenburg, Museum v. Lindenau
n. Fra Filippo Lippi, S. Hieronymus
Altenburg, Museum v. Lindenau
12. Sandro Botticelli, Caterina Sforza-Riario ....
Altenburg, Museum v. Lindenau
Autotypie-Tafeln :
1. Andrea Pisano: Spes und Humilitas
von der Bronzetür des Baptisteriums in
Florenz
2. Andrea Pisano: Begegnung Marias mit Elisabeth
Besuch der Jünger Johannis am Kerker .
von der Bronzetür des Baptisteriums in
Florenz
3. Nanni d'Antonio di Banco, Himmelfahrt Marias .
Giebelrelief an der Porta della Mandorla des
Domes v. Florenz
4. Nanni d'Antonio di Banco, Vier Heilige in Nische
Statuen an Orsanmichele zu Florenz
5. Simone di Francesco Talenti, Madonna della Rosa
V. 1399
Florenz, Orsanmichele
6. Luca della Robbia, Madonna mit Engeln, Terra-
cottarelief 64
Florenz, Museo S. M. Nuova
7. Pietro Perugino, Beschneidung am Sohne Mosis,
Gruppe aus d. Fresko 102
Rom, Capeila Sistina
3. Raphael, Reiterskizze zum Cartoncino des ersten
Fresko der Libreria zu Siena Hl
Florenz, Uffizien
J. Bernardo da Firenze, Krönung Marias 168
Altenburg, Museum v. Lindenau
). Benvenuto di Giovanni, Anbetung der Könige . 188
Altenburg, Museum v. Lindenau
Textillustrationen :
:. Niccolö Pisano, Christus von der Kanzel im Bap-
tisterium zu Pisa 8
'.. Giovanni Pisano, Christus von der Kanzel in S.
Andrea zu Pistoja 9
;. Giovanni Pisano, Christuskopf vom Holzkrucifix
in S. Andrea zu Pistoja H
.. Giovanni Pisano, Priesterfigur (Aaron) von der
Kanzel daselbst 12
. Spinello Aretino, Bestattung Marias, Gal. in
Siena 29
. Andrea del Verrocchio, Christus und Thomas,
Orsanmichele, Florenz . 39
. Nanni d'Antonio di Banco, Türfassung mit Engeln,
Dom zu Florenz 41
. Nanni d'Antonio di Banco, S. Philippus, Orsan-
michele, Florenz 43
. Nanni d'Antonio di Banco, S. Eligius, Orsan-
michele Florenz 45
. Bernardo Ciuffagni? S. Jacobus, Orsanmichele,
Florenz 46
. Lorenzo Ghiberti, S. Johannes Baptista, Orsan-
michele, Florenz 47
. Lorenzo Ghiberti, S. Matthäus, Orsanmichele,
Florenz 48
. Lorenzo Ghiberti, S. Stephanus, Orsanmichele,
Florenz 49
. Antonio di Banco? S. Lucas, Museo Nazionale . 50
15. Matteo da Campione, Krönung mit (
Krone, Relief im Dom v. Monza
16. Luca della Robbia, S. Franciscus, Bronzestatuette
in Cittä di Castello
17. Luca della Robbia, S. Johannes Ev., Bronze-
stuette in Cittä di Castello
18. Raphael, Flötenbläser, Zeichnung nach einer
antiken Bronzestatuette, Venedig
19. Raphäel, Überfall durch einen Löwen, Zeichnung,
Venedig
20. Raphael, das Schloss von Urbino, Zeichnung,
Venedig
21. Raphael, zwei Frauenköpfe nach Perugino, Zeich-
nung, Venedig
22. Raphael, ein Frauenkopf nach Perugino, Zeich-
nung, Venedig
23. Raphael, Reitknecht und Hirt im Skizzenbuch
zu Venedig, Studien zur Anbetung des Christ-
kindes im Vatikan
(vgl. Zeichnung in Stockholm zur ganzen
Komposition d. Predella)
! 24. Raphael, Simson oder Herkules mit dem Löwen,
57 ■ Zeichnung in Venedig iio
\ 25. Raphael, Dudelsackbläser, Zeichnung in Venedig m
68 I 26. Raphael? Kentaurenkampf, Zeichnung in den
Uffizien in Florenz 112
69 j 27. Raphael, Kopf eines jungen Mannes im Reise-
hut, Zeichnung in Venedig 118
96 28. Kopf z. hl. Sebastian, Zeichnung in Venedig . . 120
29. Sienesische Schule des XIV. Jh., Tod Marias,
I Lindenaumuseum in Altenburg vgl. Text S. 161 145
30. Don Lorenzo Monaco, Flucht nach Ägypten,
Lindenaumuseum in Altenburg 161
31. Antonio Veneziano, sechs knieende Apostel, Altar-
flügel, Lindenaumuseum in Altenburg .... 175
32. Fra Angelico da Fiesole, Drei Heiligenfiguren,
Lindenaumuseum in Altenburg 179
33. Medaille der Catharina Sf. de Riario 182
I 34. Johannes (Giovanni di Paolo da Siena?) Madonna,
, Lindenaumuseum in Altenburg 192"'
35. Ferraresische Schule des XV. Jh., Geburt Christi
1 (Predella), Lindenaumuseum in Altenburg ... 194
n W. Drugulin in Leipzig.
DRUCK VON W. DRUGULIN'S BUCHDRUCKEREI, LEIPZIG
f DRUCK DER HELIOGRAVÜREN VON MEISENBACH RIFFARTH & Co., BERLIN
SLIOGRAVUREN UND AUTOTYPIEN VON MEISENBACH RIFFARTH & Co., BERLIN
PAPIER VON SIELER & VOGEL. LEIPZIG
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