Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen
á Herausgeber: Dr. Albers-Schönberg
Ergänzungsband 8
Archiv una Atlas
der normalen und pathologischen Anatomie
in typischen Röntgenbildern
Die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten
von
Dr. Georg Joachimsthal
Privatdozent an der Berliner Universität
— —
Hamburg
Lucas Gräfe & Sillem
(Edmund Sillem)
1902
Die angeborenen Verbildungen
Unteren Extremitåten
Dr. Georg Joachimsthal
Privatdozent an der Berliner Universitåt
Mit 62 Röntgenbildern auf 9 Tafeln und 52 Abbildungen im Text
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Hamburg
Lucas Gråfe & Sillem
(Edmund Sillem)
1902
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Vorwort.
Die den Gegenstand des vorliegenden Heftes bildende Bearbeitung der angeborenen
Verbildungen der unteren Extremitäten enthält ebenso wie meine als Teil Il des Archivs und
Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern erschienene Zu-
sarmmenstellung der angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten, vorzugsweise meine
eigenen, an klinischem Material gemachten Beobachtungen. Sie dürfte einen weiteren Beweis für den
geradezu unschätzbaren Wert der Durchleuchtung bei der Erforschung der kongenitalen Bildungs-
fehler erbringen. Mehrere in den Atlas aufgenommene Skiagramme sind mir von den Herren
Wirkl. Geheimen Rat Prof. Dr. v. Bergmann, Excellenz, Geheimrat Prof. Dr. J. Wolff (+),
Priv.-Doz. Dr. Borchardt und Dr. Helbing-Berlin, Dr. Tschmarke und Reichardt-Magde-
burg, Dr. Wuth-München, Stabsarzt Dr. Niehues-Bonn, Dr. Jacobs-Trier, Dr. Reiner-Wien und
Dr. Natvig-Christiania in freundlichster Weise überlassen worden. Die in einzelnen Kapiteln
besprochenen Präparate verdanke ich der Liebenswürdigkeit der Herren Geheimräte Prof.
Dr. Olshausen-Berlin und Prof. Dr. Garré-Kénigsberg, der Herren Professoren Dr. Benda
und Dr. v. Hansemann-Berlin. Endlich habe ich wiederum Herrn Prof. Dr. Pfitzner-Strass-
burg, der in einer Reihe meiner Beobachtungen durch die in dem Buche wiedergegebenen
Rekonstruktionsbilder nach dem von ihm beschriebenen Verfahren wesentlich zur Klärung der
Verhältnisse beitrug, sowie seinem Zeichner, Herrn E. Kretz, auch an dieser Stelle aufs ver-
bindlichste zu danken.
Mit Rücksicht auf den vornehmlichsten Zweck des Archivs und Atlas ist auch in diesem
Teil desselben der hauptsächlichste Wert auf die morphologischen Verhältnisse gelegt und der
Theorie und der auf dem Gebiete der angeborenen Verbildungen so überaus grossen Litteratur
nur, soweit dies unumgänglich nötig war, nachgegangen worden.
Bei den einer Therapie zugänglichen Anomalien ist auch dieser eine Besprechung
zuteil geworden.
Der Verfasser.
Inhalt.
— r — —
Seite
VWOBWOTE et O e e a ga
Einleitung . . . . : A E E e a ll
I. Die sogenannten fötalen Amputalionen Eoy e A O
II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen — unteren Extremität,
A. Die angeborenen Defektbildungen am Oberschenkel (mit Einschluss der Coxa vara congenita) 8
B. Die angeborenen Defektbildungen am Schienbein . . . . 2 2 2 2 2. do cd AS
C. Die angeborenen Defektbildungen des Wadenbeins .............. . 20
D. Die sogenannten Phocomelen . . . . . . . . + + + + + + =< * Oy ite OY E ar. VD
III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe.
A. Mangel der Kniescheibe . . Sé
B. Verdoppelung der Kniescheibe . . 2. 2 2 2: + + + + + + + + * + + . + + + + + 站
C. Der angeborene Hochstand der Kniescheibe . . . . . . . . + + + + + + + + + . 28
IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses . . . an be are BO
V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss de ect i uh. KS a “er do yt 299
VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremität . . . . . . + +, + + + 99
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. :
A. Beiträge zum Verhalten des Hüftgelenks bei der angeborenen Verrenkung ..... . 42
B. Die angeborenen Luxationen im Kniegelenk . . . . + 2. + + + + + arm i, ee
VII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses mit besonderer Berücksichtigung des angeborenen
Kilumpfusses.- % e o S G Q ne RR EE A SR eS a OE
IX. Die Sirenenbildungen....... 60
Litteratur. . a» is w a Z. a ALA QU e A
Tafelerklárung . . ......….. See ue e he oth Be. gees Ss ee. Es Et cas Bice cee oe 00
Einleitung.
Zur Erleichterung der Deutung der in den folgenden Kapiteln zu besprechenden Skia-
gramme schicke ich zunåchst im Anschluss an die von Lambertz im ersten Hefte des Atlas der
normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern gemachten Darlegungen
einige Bemerkungen über die normale Entwickelung der unteren Extremität voraus.
Bekanntlich erscheint die erste Anlage der unteren Gliedmassen beim menschlichen
Embryo in der dritten Woche. Das kleine Höckerchen zur Seite des Rumpfes nimmt in der
fürften Woche schon bestimmtere Gestalt an, ein distaler als Fuss vorgebildeter Teil gliedert
sich ab; der proximale Abschnitt zerfällt durch eine Querfurche in Ober- und Unterschenkel;
durch Einschntirungen kommt es zur Andeutung der einzelnen Zehen. Ebenso wie an der oberen
liegt auch an der unteren Extremität die spätere Streckseite zunächst dorsal, die Beugeseite
ventral. Im weiteren Fortgange der Entwickelung drehen sich beide Gliedmassen in entgegen-
gesetztem Sinne um ihre Längsachse, und zwar die obere in höherem Grade als die untere.
Auf diese Weise kommt am Oberarm die Streckseite nach hinten, am Oberschenkel nach vorn
zu liegen; Radius und Daumen sind lateralwärts, Tibia und grosse Zehe medianwärts gelagert.
Bei der Entstehung des Extremitätenskeletts ist ein Stadium der häutigen, der knor-
peligen und der knöchernen Anlage zu unterscheiden, Das letztere hat in seinen einzelnen Phasen
für uns besondere Bedeutung, da wir das Auftreten der einzelnen Ossifikationskerne aufs be-
quemste an Röntgenbildern verfolgen können. An den Röhrenknochen bilden sich je ein Kern
für die Diaphyse, einer oder mehrere für die Epiphysen. Eine Verschmelzung zu einem ein-
zigen Knochenstück erfolgt erst, wenn das Längenwachstum beendet ist. Das Auftreten der
einzelnen Knochenkerne geschieht dabei in einer bestimmten Reihenfolge:
Die Ossifikation der Diaphysen der langen Röhrenknochen beginnt in der achten Woche
des Fötallebens am Femur und schreitet dann auf Tibia und Fibula fort. Die Ossifikation der
Epiphysen erfolgt hier in der Weise, dass beim Femur vom Anfang des neunten Fötalmonats ab,
sehr selten, so weit es sich um ein ausgetragenes Kind handelt, erst nach der Geburt, ein Kern
in der distalen Epiphyse, bald nach der Geburt ein solcher im Caput femoris, ein weiterer einige
Jahre später im Trochanter major entsteht. An der Tibia findet sich häufig noch vor der
Geburt ein Kern in der proximalen Epiphyse; bis zum dritten Jahre folgt die distale Epiphyse,
später zuweilen je ein Nebenkern in der Tuberositas und im Malleolus. An der Fibula er-
scheint zuerst ein distaler Kern bald nach dem entsprechenden der Tibia, bis zum fünften
Jahre derjenige in der proximalen Epiphyse, später ein unbeständiger Nebenkern im Malleolus.
Am Tarsus beginnt die Verknöcherung im Calcaneus während des sechsten Fötal-
monats, zuweilen aber erst im Verlaufe der beiden folgenden Monate. Meist folgt bald der
Kern des Talus, auf dem Röntgenbilde durch seine proximale und tibiale Lage vom Calcaneus
unterscheidbar. Häufig beginnt kurz vor der Geburt noch die Ossifikation des Cuboideum. Im
ersten Lebensjahre folgt das Cuneiforme III und bis zum dritten oder vierten Jahre das Cunei-
forme I und II, gleichzeitig oder wenig später auch das Naviculare. Vom Tuber calcanei
bleibt ein grösserer Bezirk bis zum achten Jahre knorpelig und erhält dann einen besonderen
Joachimsthal, Untere Extremitäten. 1
9 Einleitung.
Ossifikationsherd. Die Metatarsalia verknåchern in der zehnten bis elften Woche des Embryonal-
lebens derart, dass die Ossifikation in dem zweiten beginnt, und dass sich der Reihe nach das
dritte, vierte und fünfte anschliessen. Vor dem ersten Mittelfussknochen ossificiert noch das Nagel-
glied der Grosszehe, hierauf in der elften bis dreizehnten Woche dasjenige der übrigenZehen. In
der 14. Woche beginnt die Ossifikation der Basalphalangen, während die der Mittelphalangen
erst im sechsten Monat einsetzt, ja, häufig noch beim Neugeborenen nicht begonnen hat.
Die Patella ossificiert im zweiten Lebensjahre, die Verknöcherung der beiden Sesam-
beine an dem Metatarsophalangealgelenk der Grosszehe erfolgt im zwölften Lebensjahre
oder später.
Endlich wäre noch zu erwähnen, dass am fötalen Becken zwischen der neunten bis
zwölften Woche von drei getrennten Punkten aus die Verknöcherung des Os ilium einsetzt. Am
Ende des vierten oder zu Anfang des fünften Monats markiert sich ein Herd im absteigenden
Sitzbeinast, dem in der Zeit vom Ende des fünften bis zum Ende des siebenten Monats ein
solcher im horizontalen Ast des Schambeins folgt. Vom sechsten Lebensjahre ab bilden sich
am Hüftbein noch eine Reihe weiterer Össifikationscentren, und im 16.—18. Lebensjahre ver-
einigen sich seine drei Hauptbestandteile im Grunde der Pfanne durch Synostose.
I. Die sogenannten fötalen Amputationen.
Wie an den oberen Gliedmassen und zum Teil in Verbindung mit gleichartigen Ver-
bildungen an diesen kommen auch im Bereiche der unteren Extremitäten Anomalien vor, bei
denen mehr oder minder ausgedehnte Abschnitte fehlen, und der restierende Teil des Gliedes
entweder vollkommen — selbst bis auf die Narbenbildung — einem Amputationsstumpf gleicht
oder, was nach meinen Erfahrungen an den unteren Extremitäten seltener als an den oberen
der Fall ıst, noch mit kleinen zuweilen auch rudimentäre Nägel tragenden, warzenförmigen Er-
habenheiten bedeckt ist. Ausserdem finden sich quasi als Vorstufen dieser sogenannten Spontan-
amputationen mehr oder minder tiefe cirkuläre Einschnürungen mit oder ohne elephantiastische
Verdickung des peripherwärts von der
Schnürfurche gelegenen Körperteiles. End-
lich kombinieren sich die angeborenen Ab-
resp. Einschnürungen noch mit anderen con-
genitalen Anomalien, Defekten einzelner
Knochen, beispielsweise des Radius, und
Klumpfussbildungen.
Einige Beispiele meiner Beobach-
tungen werden die verschiedenen Vorkomm-
nisse am besten illustrieren.
Fig. 1 zeigt das Verhalten eines
fünf Monate alten weiblichen Kindes mit
Abschnürungen im Bereiche aller vier Ex-
tremitáten. Das 5 cm lange Rudiment des
linken Oberschenkels zeigt auf der Höhe
des Stumpfes eine knopfartige Hervorragung
und rings um dieselbe eine Einziehung der
Haut. Es ist, ebenso wie dies bei den beiden
8 resp. 9 cm langen Rudimenten der Ober-
arme der Fall ist, aktiv und passiv frei
beweglich. Rechts fehlt der Oberschenkel
vollkommen. Die Haut zieht hier ohne Narbe, nur mit leichter Depression in der Pfannen-
gegend, über das Becken hinweg.
Von fötalen Amputationen im Bereiche des Unterschenkels sind zwei Beispiele auf
Tafel I, Fig. 1 und 2 im Röntgenbilde wiedergegeben. Es handelt sich um Föten aus der
Sammlung der Berliner Universitäts-Frauenklinik. Der erste (Tafel I, Fig. 1) ist 35 cm lang und,
wie wir auch aus dem Stande der Verknöcherung, namentlich des Beckens, schliessen können,
sieben bis acht Monate alt. Der Knochenkern des Os ilium zeigt bereits deutlich die Form der
Darmbeinschaufel. Vom dorsalen (hinteren) Rande geht ein dreieckiger kleiner dunkelkon-
tourierter, nach dem Centrum spitz zulaufender Keil ab (nach Falk aus dem Processus candalis
hervorgegangen). Von der Spitze dieses Keils zieht, besonders auf der linken Seite deutlich, eine
Leiste zur Grenze zwischen mittlerem und hinterem Drittel des oberen Darmbeinrandes, welche
1*
Fig. 1.
Fötale Amputationen an allen vier Extremitäten
eines 5 Monate alten Mädchens.
4 I. Die sogenannten fótalen Amputationen.
die Pars sacralis des Darmbeins abgrenzt. Weiterhin findet sich ein långlicher Knochenkern
mit einer medialen geraden und einer lateralen konvexen Fläche, der dem oberen Ast des
Sitzbeins entspricht. Endlich besteht ein kleinerer ovaler Knochenkern in dem oberen Ast des
Schambeins. Im Kreuzbein finden sich Knochenkerne in den Körpern und Bögen der vier
ersten Wirbel, es fehlen noch diejenigen in den Massae laterales. Beide Oberschenkel sowie
der linke Unterschenkel zeigen Verknöcherungen der Diaphysen, der
linke Fuss den dem Calcaneuskörper entsprechenden Kern. Der rechte
Unterschenkel weist eine ausgeprägte Defektbildung auf. Das konisch
zulaufende Rudiment der Tibiadiaphyse hat eine Länge von 2,2 cm
(im Gegensatz zu einer Länge der linken Tibia von 3,6 cm). Neben
‘ihm liegt der etwa 2,3 mm lange Fibulastumpf. Die peripheren
Teile fehlen vollkommen. Bei dem zweiten, nur 29 cm langen Fötus
(Tafel I, Fig. 2) ist in dem rechtsseitigen Unterschenkelstumpf nur
ein 1'/, cm langes, distal-
wärts stark verschmälertes
Stiick der Tibia erkenn-
bar. Die linke Tibia ist
3 cm lang. Von der linken
Fibula fehlt jede Andeu-
tung. Man konstatiert
weiterhin einen totalen
Defekt des rechten Radıus
mit gleichzeitigem Fehlen
des entsprechenden Dau-
mens und seines Mittel-
handknochens. Was hier
den Stand der Ossifikation
des Beckens anlangt, so
sieht man einen grossen
Knochenkern im Darm-
Fig. 2. bein, weiterhin einen läng-
Spontanamputationen lich ovalen Kern im linken
an beiden Händen und ; oberen Sitzbeinast. Cranial-
dem linken Fuss einer Fig. 3.
wärts und nach rechts
von demselben findet sich,
schräg von links oben nach rechts unten verlaufend, der Knochenkern des rechten oberen Sitz-
beinastes, welcher über die Mittellinie hinaus etwas nach links verschoben ist. In den oberen
Schambeinästen finden sich noch keine Knochenkerne, desgleichen fehlen solche in der Massae
laterales des Kreuzbeins. Verknöchert sind die Körper der drei ersten und die Bögen der
beiden ersten Kreuzbeinwirbel. Es handelt sich demnach um einen Fötus, der, da die Ossi-
fikation erst bis zum dritten Wirbel vorgeschritten ist, und der Knochenkern im Schambein
fehlt, aus dem Ende des fünften Monats stammen wird.
Eine Abschnürung im Bereiche des linken Fusses mit gleichzeitiger tiefer Schnür-
furchenbildung in dem entsprechenden sehr verkürzten Unterschenkel und Spontanamputationen
an beiden Händen zeigt eine 17 jährige, z. Z. in dem Samariterhaus zu Cracau bei Magdeburg
untergebrachte Patientin Anna M., von der Fig. 2 und das auf Tafel I, Fig. 3 wiedergegebene
Röntgenbild gefertigt sind.
In der Familie der Kranken ist keine ähnliche Bildung zu verzeichnen. Die Eltern
sowie sieben Geschwister sind normal. Die bei der Patientin bestehenden Anomalien wurden
sofort nach der Geburt bemerkt. Verwachsungen zwischen den verstümmelten Fingern sollen
17jährigen Patientin. Skizze des Röntgenbildes auf Tafel I, Fig. 3.
I. Die sogenanuten fötalen Amputationen. 5
im ersten Lebensjahre auf operativem Wege beseitigt worden sein. Das Mädchen, das Vor-
zügliches in der Herstellung von Handarbeiten leistet, trägt linkerseits einen Schienenstiefel, mit
dem es ohne die geringste Belästigung geht.
Der linke Unterschenkel erweist sich gegenüber dem rechten um 14 cm verkürzt. Er
endigt als ein zweifaustgrosser, runder, nach unten etwas spitz zulaufender Klumpen von 11 cm
Länge, 9'/, cm grösster Breite, der durch eine tiefe, wie durch ein enges Gummiband hervor-
gerufene, fast bis auf den Knochen gehende, auch auf dem Röntgenbilde deutliche Schnürfurche
ringfórmig von dem übrigen Unterschenkel abgegrenzt is. Die Schnürfurche befindet sich
171/, cm unterhalb des unteren Randes der Patella. Die den Klumpen überziehende Haut ist
sehr dick, etwas Öödematös, an der Vorderseite mit Falten und Buchten versehen, an der Rück-
seite glatt. Auffallend ist ein eigentümlicher Hautzipfel, der, im oberen Drittel der Vorder-
seite mit 2 cm breiter Basis entspringend, sich, allmählich spitzer werdend, nach oben bis
dicht über die Schnürfurche begiebt und dort mit einem
rundlichen, erbsengrossen Ende angewachsen ist, so dass
zwischen ihm und der von ihm überbrückten Haut ein
freier, für einen dicken Bleistift bequem passierbarer Raum
bleibt. Die Haut an der Unterseite des Klumpens hat
durchaus den Charakter der Hackenhaut; sie ist dick und
mehr weisslich, während die seitliche Haut, ziemlich scharf
abgegrenzt, mehr rötlich ist und nach der Angabe der
Patientin manchmal Taubheits- und Kältegefühl zeigt.
Im übrigen ist die Sensibilität der Haut des Klumpens
überall gleichmässig normal. Man fühlt in demselben
deutlich Knochen. An dem von dem deformen Unter-
schenkel in Seitenlage gefertigten Skiagramm (Tafel I,
Fig. 3) und der nach diesem gefertigten Skizze Fig. 3
erkennt man zunächst mit grosser Deutlichkeit die tiefe
Schnürfurche der Haut im untersten Drittel sowie die
vielfachen Faltungen in dem distalwärts gelagerten Klum-
pen. An den beiden unten mit einander verwachsenen
Knochen selbst findet sich keinerlei Rinnenbildung.
Peripher von der Furche ist namentlich die Tibia nach — a
i 3 i Abschnürungen un erwachsungen
vorn konkav geschweift und wie durch eine von aussen an den linken Zehen eines 12 júhrigen
einwirkende Kraft, die man in der oben erwähnten Haut- Knaben.
falte an der Vorderfliche des Klumpens suchen könnte,
nach vorn und oben gezogen. An die Unterfläche der Tibia schliesst sich ein nur als
Calcaneusrest zu deutender Knochen mit annähernd rechteckigem Durchschnitt an, von oben
nach unten ca. 5 cm, von vorn nach hinten 2 cm lang.
An den Händen sind nur die kleinen Finger normal; die übrigen zeigen meist im
Bereiche der zweiten Phalangen Spontanamputationen. Linkerseits sind die Weichteile beider
ersten Glieder des Zeige- und Mittelfingers miteinander verwachsen, die Phalangen, auch nach
Ausweis des Röntgenbildes, indess getrennt vorhanden. Am distalen Ende dieser beiden Glieder
hängt der Rest der Finger als kleines nagelloses Klümpchen, in dem die Durchleuchtung
keinerlei Knochenkerne erkennen lässt.
Das soeben erwähnte gleichzeitige Vorkommen von Abschnürungen und Verwachsungen
an den Fingern zeigt in analoger Weise an den Zehen des linken Fusses das in Fig. 4 wieder-
gegebene Bild eines jetzt zwölfjährigen Patienten. Die Hände des überdies mit einer offenbar
durch einen amniotischen Strang bewirkten Zweiteilung der Nase behafteten Knaben zeigen
Spontanamputationen in der Höhe der ersten Interphalangealgelenke des linken Daumens, Ring-
und kleinen Fingers, Einschnürungen in der Mitte der Endglieder des Zeige- und Mittelfingers.
Fig. 4.
6 I. Die sogenannten fötalen Amputationen.
Rechterseits finden sich ähnliche Einkerbungen am ersten Ring- und zweiten Kleinfingergliede;
von den durch Syndaktylie verbundenen Rudimenten der Zeige- und Mittelfinger grenzt sich
ein weiterer Zeigefingerrest durch eine tiefe Furche dergestalt ab, dass nur noch eine häutige
Verbindung bestehen bleibt. Auch im Bereiche der ersten Glieder des Mittel- und Ringfingers
besteht eine Syndaktylie. S a
Der rechte Fuss erweist sich als normal. Am linken besteht eine Spontanamputation
am distalen Ende der ersten Phalanx der grossen Zehe sowie eine Verschmelzung der vorderen
Enden der zweiten und dritten gleichfalls nagellosen Zehen. Das Röntgenbild (Tafel I, Fig. 5)
zeigt in der grossen Zehe noch ein proximales Rudiment der Endphalanx, in der zweiten Zehe
ein Fehlen der zweiten und dritten Phalanx, während an den übrigen Zehen die Knochen in
normaler Weise vorhanden und ausgebildet sind.
Fig. 5 und 6 zeigen endlich im
ersten und achten Lebensjahre ein und die-
selbe von mir wegen eines linksseitigen
Klumpfusses im Jahre 1900 durch Tenotomie
der Achillessehne und einen redressierenden
Verband erfolgreich behandelte Patientin,
die noch jetzt an der Grenze des mittleren
und unteren linken Unterschenkeldrittels
eine seit der Geburt vorhanden gewesene
eirkuläre Schnürfurche erkennen lässt. Die
Furche ist mit den Jahren flacher geworden.
Auch hier sind die Knochen, wie das
Röntgenbild (Tafel I, Fig. 4) erkennen lässt,
von der Schnürfurche unbeeinflusst geblieben.
Zur Zeit zeigen beide Beine gleiche Länge.
Der geringere Umfang des linken Unter-
schenkels erklärt sich zum Teil durch die
bei allen geheilten Klumpfüssen wieder-
kehrende Wadenformation, auf die wir bei
Fig. 5.
9 Monate altes Madchen
wit. «biroller Gehna Fig. 6. der Besprechung des Klumpfusses noch
furche an linken Unter- Die in Fig. 5 abge- zurückkommen.
schenkel und linksseitigem bildete Patientin im In den hier zusammengestellten
Klumpfuss, 8. Lebensjahre. Fällen, in denen wiederum wie bei den von
mir beobachteten Kranken mit Spontan-
amputationen im Bereiche der oberen Gliedmassen im Gegensatz zu den Kranken mit sonstigen
Missbildungen Erblichkeitsverhältnisse keinerlei Rolle spielten, dürfte wohl zweifellos das
átiologische Moment in äusseren mechanischen Einwirkungen zu suchen sein. Ich verweise
in dieser Beziehung auf die von mir bei der Besprechung der angeborenen Verbildungen der
oberen Extremitäten zusammengestellten Argumente für die Annahme der Entstehung der
Ab- und Einschniirungen unter dem Einfluss amniotischer Störungen. Neuerdings ist es
wiederum Jacob Wolff bei einem 6'/, monatlichen Fötus, der in toto mit Eihüllen und
Placenta abging, gelungen, eine vollständige Erhaltung des abschnürenden Fadens nach-
zuweisen. Dieser letztere, 10 cm lang, entsprang an der Ammiontasche zur rechten Seite der
Nabelschnurinsertion und zog als starker, gedrehter Strang zur rechten Hand des Fötus. Hier
hatte er die Endphalangen des Ring- und Mittelfingers, mit denen er fest verwachsen war, ab-
geschniirt. An der linken Hand fand sich — höchst wahrscheinlich durch einen zweiten
Faden bedingt — der gleichfalls aus der Lücke im Amnion neben der Nabelschnur entsprang,
4 cm lang war und im unteren Drittel nach der Placenta zu ein Kölbchen trug (höchstwahr-
I. Die sogenannten fótalen Amputationen. 7
scheinlich eine abgeschnürte Phalanx) — eine Abtrennung von zwei Phalangen des kleinen
Fingers, Syndaktylie des Ring- und Mittelfingers.
Die in meinem letzterwåhnten eigenen Falle vorhanden gewesene Kombination einer
Schnürfurche am Unterschenkel mit Klumpfussbildung auf derselben oder auch auf der ent-
gegengesetzten Seite ist in einer kleinen Anzahl in der Litteratur verzeichneter Fälle gefunden
worden. Stets war bei diesen indess der peripher von der Einschnürungsstelle gelegene
Abschnitt der Extremität durch ödematöse resp. elephantiastische Zustände oder daneben noch
durch Verstümmelungen an den Zehen in hohem Grade verunstaltet. So berichtet Koch
über ein drei Monate altes Kind mit einer 2!/, cm oberhalb der rechten Ferse rings um
den Unterschenkel gehenden Schnürfurche. Die dicht aneinanderliegenden Wände der-
selben liessen sich durch Fingerdruck leicht von einander entfernen, so dass alsdann der
Grund der Furche sichtbar wurde, auf welchem man unmittelbar unter der Sonde den
nur von einem dünnen, gespannten, etwas glänzenden Hautlappen bedeckten Knochen
fühlte. Die Tiefe der Furche bezw. die Höhe ihrer steilen Wände betrug ringsum an allen
Stellen 7—8 mm. Der distal von Einschnürung gelegene Teil des Unterschenkels war
enorm Ödematös geschwollen, ebenso der Fuss. Dieser letztere befand sich in hochgradiger
Klumpfussstellung. Die Zehen waren verkümmert und erschienen als kleine, knopfförmige
Anhänge. Der linke Fuss zeigte die Erscheinungen des gewöhnlichen hochgradigen Klump-
fusses, ohne dass an der linken Extremität Zeichen amniotischer Ein- oder Abschnürungen vor-
handen waren. An den Fingern fanden sich gleichfalls Verstüämmelungen. Bei einem von
Marchand beschriebenen weiblichen Fötus von sieben bis acht Monaten fand sich in der Mitte
des linken Unterschenkels eine tiefe cirkuläre Schnürfurche; der unterhalb derselben gelegene
Teil war wieder ödematös geschwollen. Rechts bestand Pes varus. Ausserdem zeigten mehrere
Finger Abschnürungen und Verwachsungen. In einem von Redard publizierten Falle kon-
statierte man im unteren Drittel des Unterschenkels eine tiefe Schnürfurche und an dem ent-
sprechenden Fuss eine leichte Valgusstellung. Das untere Drittel des Unterschenkels sowie
der Fuss waren auch hier stark ödematös geschwollen. Die Zehen waren atrophisch und ohne
scharfe Form, aber mit Nägeln versehen. Der rechte Fuss stand ebenfalls in leichter Valgus-
stellung, war aber sonst normal. An den Fingern fanden sich mehrfach rudimentäre Bildungen,
Abschnürungen und Syndaktylien.
Dass in diesen Fällen auch die perverse Stellung des Fusses mit dem Zuge amniotischer
Stränge in Verbindung zu bringen ist, gewinnt an Wahrscheinlichkeit nach einer von Jensen
gegebenen Beschreibung eines weiblichen Fötus vom sechsten oder siebenten Monate mit links-
seitigem Klumpfuss, bei dem die Varusstellung dadurch bedingt war, dass der Fuss durch ein
vorn am Fussrücken inseriertes amniotisches Band in diese Stellung hineingezwängt war.
Während der ein- und abschnürenden Wirkung der amniotischen Stränge gegenüber
die Weichteile ohne weiteres nachgeben, scheinen die knöchernen Teile hier in höherem Grade
widerstandsfähig zu sein. Wenigstens war ich weder bei der in Fig. 2 noch bei der in Fig. 4
u. 5 abgebildeten Patientin imstande, an der Stelle der Schnürfurche auf dem Röntgenbilde eine
auch nur angedeutete Einkerbung von Tibia und Fibula zu konstatieren. Dasselbe berichtet
Reinbach von einem fünfjährigen Mädchen, welches neben allerhand unbedeutenden Miss-
bildungen an Nase, Augenbrauen und Öberlippe sowie amniotischen Einschnürungen an den
Fingern der rechten Hand und den Zehen des linken Fusses eine tiefe ringförmige Einschnürung
des rechten Unterschenkels mit unförmiger elephantiastischer Verdickung des distal davon ge-
legenen Teiles des Unterschenkels und Fusses mit zur Welt gebracht hatte. Auch hier zeigte
sich auf dem Skiagramm keinerlei Wirkung der Schnürfurche auf die Knochen des Unter-
schenkels. |
8 II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt.
1I. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität.
A. Die angeborenen Defektbildungen am Oberschenkel (mit Einschluss der
Coxa vara congenita).
Angeborene Defektbildungen am Oberschenkel sind relativ seltene Anomalien. Ich
selbst habe dieselben zweimal am Lebenden zu sehen und mittelst des Röntgenverfahrens zu
studieren Gelegenheit gehabt.
Meine erste Beobachtung betraf einen Knaben, den ich schon im Alter von vier
Wochen und von neuem nach 2'/, Jahren zu untersuchen Gelegenheit hatte. Aus gesunder,
von Missbildungen freier Familie stammend, in Steisslage unter Anwendung von Kunsthilfe
geboren, zeigte er, als ich ihn zum ersten Male sah, eine Körperlänge von 53 cm und, ab-
gesehen von den sogleich zu beschreibenden Störungen, eine gute und kräftige Entwickelung
seines Körpers. Zunächst fand sich an dem rechten Kopfnicker eine fast den ganzen Muskel
einnehmende, spindelförmige Anschwellung. Kopf, Rumpf
und obere Gliedmassen waren wohlgebildet, das linke Bein
dagegen sehr wesentlich gegenüber dem rechten verkürzt.
An dieser Verkürzung partizipierte allein der Oberschenkel,
während die Entfernung von der Kniegelenkspalte bis zum
Malleolus externus beiderseits 11 cm, die Länge des Fusses
7 cm betrug. An Stelle des linken Oberschenkels fand sich
ein kurzes, sehr dickes, klumpiges Gebilde, in dem man
deutlich Knochen durchfühlte und die sich stark verwölbende
Muskulatur, an der Hinterseite die stark gespannten Beuge-
sehnen, abtasten konnte. An dem Knochen liess sich
aussen, etwa 5 cnı von der Kniegelenkspalte entfernt, ein
vermutlich dem Trochanter entsprechender Endpunkt
bestimmen. Im Kniegelenk waren Flexion und Extension,
im Hüftgelenk Flexion und Adduktion in normaler Weise
ausführbar, während die volle Streckung und Abduktion
des leicht auswärts rotiert stehenden Oberschenkels auf
Schwierigkeiten stiessen. Unterschenkel und Fuss zeigten
im übrigen die normale Gestaltung.
An dem s. Z. aufgenommenen Röntgenbilde Tafel II,
Fig. 7. Fig. 1 endet der obere Teil des rechten Femur in der fir
21/, Jahre alter Knabe mit einen Neugeborenen charakteristischen etwa der eines oberen
angeborenem Defekt des oberen Humerusendes analogen Form. Ein Knochenkern für die
Endes des rechten Oberschenkels.
obere Epiphyse ist noch nicht vorhanden. Links läuft die
ca. 4 cm lange Femurdiaphyse konisch zu, um am oberen Ende mit einer kleinen Anschwellung
zu enden. Das proximale Femurende ist hier nach oben luxiert; denn es überragt, entgegen
der Norm, die Gegend des Y-förmigen Knorpels um ca. 1'/, em. Die untere Epiphyse des
Femur und die obere Tibiaepiphyse zeigen in normaler Weise ihre Ossifikationskerne Im
Unterschenkel sind beide Knochen ausgebildet.
Der Knabe hat sich während der bis zur zweiten Untersuchung verflossenen 2 Jahre
vortrefflich entwickelt. Das s. Z. konstatierte Haematom des Kopfnickers hat sich, ohne Spuren
zu hinterlassen, zurückgebildet. Beide Unterschenkel und Füsse haben die gleiche Zunahme
erfahren, der Längenunterschied zwischen beiden Beinen ist indes, und zwar lediglich auf
Kosten des linken Oberschenkels, wesentlich auffallender geworden. Steht der Knabe (Fig. 7)
auf seinem rechten Bein, so reicht die Ferse des linken nur bis zur Grenze des oberen und
mittleren rechten Unterschenkeldrittels. Die Beweglichkeit im Knie, an dem man übrigens,
II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität, 9
ebenso wie bei der ersten Untersuchung, eine Patella vermisst, ist normal. Der Unterschenkel
steht meist flektiert und auswirtsrotiert. Die Einwärtsrotation, Extension und Abduktion sind
sehr beschränkt, die Adduktion in normaler Weise möglich.
Interessante Verhältnisse enthüllt uns das nunmehr angefertigte Röntgenbild (Tafel II,
Fig. 2). Der rechte Oberschenkelknochen hat sich in normaler Weise entwickelt, eine Länge
von 22 cm erreicht und die normale Gestalt angenommen. Der dem Caput femoris ent-
sprechende Ossifikationskern steht unter dem Pfannendach dicht gegenüber dem Y-fórmigen
Knorpel. Im Gegensatz dazu ist der linke Oberschenkelknochen nur 10,5 cm lang. Der Kern
seiner unteren Epiphyse hat sich, ähnlich wie auf der normalen Seite, weiter bis zur nahen
Anlagerung an die Diaphyse vergrössert. Eine obere Epiphyse fehlt vollkommen, das obere,
gegen früher wesentlich breiter gewordene Stück der Diaphyse ist etwas nach innen abgebogen
und wie bei einer angeborenen Hüftluxation an dem Darmbein entlang heraufgerückt, so dass
nunmehr der Horizontalabstand
seiner Spitze von dem Pfannen-
knorpel reichlich 3 cm beträgt.
In dem zweiten Falle
handelte es sich um ein sieben-
jähriges Mädchen, das ich in Ge-
meinschaft mit Herrn Kollegen
Feilchenfeld aus Charlotten-
burg am 30. Januar 1900 der
Berliner medizinischen Gesell-
schaft demonstrieren konnte. Es
ist das neunte Kind unter elf
Geschwistern. Die Eltern sind
nicht blutsverwandt; ihre zehn
anderen Kinder waren normal
entwickelt, vier von ihnen sind
noch am Leben. Das in Rede
stehende Kind hat mit 2?/,
Jahren laufen gelernt. Zu dieser
Zeit zeigte sich eine in ihrer Fig. 8. Fig. 9.
Intensitát sehr wechselnde, durch Defekt der Kopfepiphyse des rechten Femur, kombiniert mit
einen Herzfehler bedingte Blau- linksseitiger Coxa vara. (7 Jähriges Mädchen.)
fárbung. Herr Kollege Feil- i
chenfeld konnte betreffs des allgemeinen Gesundheitszustandes folgenden Befund erheben:
Die Herzgrenzen sind um einen halben Finger breit nach links verbreitert, ein starkes
systolisches Geräusch ist über dem ganzen Herzen zu hören, am stärksten links vom Brustbein
über dem dritten Rippenknorpel. Das Geräusch ist auch auf dem Rücken sehr deutlich, am
lautesten in der Mitte des linken Schulterblattes in der Höhe des vierten Brustwirbels. Der
Puls ist an beiden Radialarterien absolut nicht zu fühlen, die Pulszahl, an der Carotis gezählt,
ergiebt eine Frequenz von 104 in der Minute; man fühlt hier eine kleine, leicht unterdrück-
bare Welle. Über der Herzbasis ist bei flach aufgelegter Hand ein leichtes Schwirren fest-
zustellen. Die allgemeine Cyanose ist stark ausgesprochen, die Lippen sind gewulstet, dick,
blaurot. Die Conjunctivae bulbi und palpebrarum sind stark injiziert, die Venen im Augen-
hintergrunde stark erweitert; zahlreiche blaurote, oberflächliche Narben, von Kratzwunden her-
rührend, zeugen von der schlechten Ernährung der Haut. Die Endphalangen der stark blau-
gefärbten Finger sind kolbig aufgetrieben, die Nägel hart und verdickt. Die Temperatur
beträgt, in der Achselhöhle gemessen, 35,8, im Rectum 37,6. Meist besteht mässige Dyspnoe.
Die Intelligenz des Kindes entspricht ungefähr einem Alter von vier Jahren.
Joachimsthal, Untere Extremitäten, 2
10 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität.
An den unteren Gliedmassen ergaben sich nach meinen Feststellungen folgende Ver-
änderungen (s. Fig. 8 u. 9):
Die rechte untere Extremität erwies sich gegenüber der linken als wesentlich ver-
kürzt, und zwar, wie die genauere Messung ergab, lediglich auf Kosten des Oberschenkels,
der von dem als Trochanter anzusprechenden Punkt bis zur Kniegelenkspalte um 4 cm kürzer
erschien als links, während im Gegensatz dazu Unterschenkel und Fuss beiderseits nicht nur
die gleiche Länge, sondern an entsprechenden Punkten auch den gleichen Umfang aufwiesen.
Das rechte Bein befand sich bei gewöhnlicher Stellung in starker Auswärtsrotation. Die Ein-
wärtsrotation gelang nur bei gleichzeitiger und zwar mit dieser Bewegung zunehmender
Flexion, so dass, wenn die Grenze der Einwärtsrotation erreicht war, das Hüftgelenk in einem
Winkel von etwa 45° gebeugt erschien. Das Kniegelenk war in normaler Weise zu flektieren;
an der vollkommenen Streckung fehlte ein Winkel von etwa 15° Eine Patella war ich nicht
im stande zu fühlen. Wenn das Kind stand und ging, so beugte es das linke Knie- und Hüft-
gelenk in vermehrtem Masse und glich auf diese Weise die Differenz beider Beine so aus,
dass sich das Becken auf beiden Seiten in annähernd gleicher Höhe befand, und auch eine
statische Skoliose vermieden wurde.
Der Trochanter überragte die Roser-Nélatonsche Linie um etwa 2 cm und zwar
nicht nur auf der Seite der Verkürzung, sondern auch auf der entgegengesetzten Seite. Wenn
man das Kind von hinten her betrachtete, so gewährte die starke Prominenz der Trochanteren-
gegend mit der beträchtlichen Neigung des Beckens nach vorn und der Lordose der Lende
durchaus den Eindruck, als ob wir es mit einer doppelseitigen Hüftverrenkung zu thun hätten.
Die genaueren Verhältnisse des Skelets enthüllt das Röntgenbild (Tafel I, Fig. 6).
Es zeigt zunächst an der rechten Seite die beträchtliche Verkürzung des Oberschenkels. Es
zeigt ferner, dass der oberste Teil des Femur, der der Kopfepiphyse entspricht, vollkommen
fehlt. Da der Oberschenkel durch den erwähnten Mangel keinen Halt an dem Becken findet,
so ist er naturgemäss nach oben luxiert.
Ein sehr merkwürdiges Verhalten zeigt im Gegensatz dazu die linke Seite. Hier
sehen wir, dass sich der Kopf in der Pfanne befindet, dass sich dagegen der Schenkelhals-
winkel von seiner normalen etwa 128° betragenden Grösse auf etwa 80° verkleinert hat.
Endlich fand ich noch an dem Kadaver eines männlichen, 40 cm langen Neugeborenen
(Tafel II, Fig. 3) der Sammlung der hiesigen Frauenklinik, dessen Durchleuchtung ich mit
freundlicher Erlaubnis des Herrn Geh.-Rat Olshausen vorgenommen habe, neben vollständigem
Mangel beider Arme, beider Wadenbeine, der fünften Zehen und ihrer Mittelfussknochen beider-
seitige Oberschenkeldefekte. Rechts fehlte der Knochen in seiner ganzen Ausdehnung. An
Stelle des. linken Femur fand sich ein annähernd horizontal stehendes, medialwärts konisch
zulaufendes, ca. 5cm langes Rudiment, das offenbar der Femurdiaphyse entsprach. Vom Becken
war nur das Os ilium und os ischii verknöchert. Beide Füsse befanden sich in starker
Valgusstellung.
Es kann an dieser Stelle nicht meine Aufgabe sein, des genaueren auf die bisherige
Kasuistik der Oberschenkeldefekte einzugehen, zumal dieselbe in letzter Zeit von Adrian
im Anschluss an zwei Beobachtungen der Strassburger chirurgischen Klinik zusammengestellt
und eingehend erörtert worden ist. Da es sich nur in einem kleinen Bruchteil der von diesem
Autor gesammelten 45 Fälle (einige weitere hat vor kurzem Klaussner‘) mitgeteilt) um ana-
tomisch untersuchte Individuen handelt, und zur Entscheidung der Frage der Ausdehnung der
1) Neuerdings sind weitere Beobachtungen von Reiner, Blencke (Zeitschr. f. orthopäd. Chir.
Bd. IX, Heft 4) und auf dem 1. Congress der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie (1902)
von Drehmann mitgeteilt worden. Reiner’s und Drehmann’s Befunde an Röntgenbildern zeigen, dass
gelegentlich eine spätere Verknöcherung des oberen verkümmerten Femurendes zu stande kommt. Es
handelt sich dann um eine hochgradige Coxa vara, in welche ausser dem Schenkelhals das obere Ober-
schenkelende eingezogen ist,
II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt. 11
Hypoplasie bisher nur bei einem von Lotheisen in der Innsbrucker chirurgischen Klinik
beobachteten Kinde das Röntgenverfahren herangezogen werden konnte, dürften die bisherigen
Angaben über das Häufigkeitsverhältnis der totalen und partiellen Defekte wenig massgebend
sein — mit Rücksicht darauf, dass eine blosse Palpation in dieser Hinsicht vor Irrtümern
nicht schützt. Ich beschränke mich daher darauf, hier im Anschluss an meine eigenen Fälle
einige besonders bemerkenswerte Punkte hervorzuheben.
Es gehört sonst zu den grössten Seltenheiten, dass bei einem Defekt eines central ge-
legenen Knochens die peripheren Teile der Extremität ganz normal gebildet sind. So pflegen
beim Mangel des Radius der Daumen mit seinem Mittelhandknochen, beim Defekt der Tibia
die grosse Zehe und das erste Metatarsale zu fehlen, während die Defektbildungen der Ulna
und der Fibula sich in der Regel mit gleichzeitigem Mangel ulnar- resp. fibularwärts gelegener
Teile von Hand und
Fuss vergesellschaf-
ten. Reine Defekte
des Humerus bezw.
einzelner Teile des-
selben bei normalem
Verhalten der distal
gelegenen Extremi-
tátenteile scheinen
überhaupt nicht vor-
zukommen. Dagegen
ist in einem Drittel
der bisher publizier-
ten Fälle von Hypo-
plasie des Ober-
schenkels — wie bei
unseren beiden Kran-
ken — eine gute
Ausbildung der distal
gelegenen Teile des
Gliedes konstatiert
worden. In der Regel
hatten beieinseitigem Fig. 10.
Defekt Unterschenkel Doppelseitige angeborene Schenkelhalsverbiegung. (5 jähriges Mädchen.)
und Fuss der ver-
bildeten Seite eine gleiche Längenentwickelung wie diejenigen der gesunden Seite erfahren.
Die beim Gehen störende Differenz wurde entweder wie bei dem an erster Stelle von mir
besprochenen Knaben durch eine Korksohle ausgeglichen, oder die Kranken benutzten besondere,
am Unterschenkel befestigte Stützapparate, die die Verkürzung ausglichen und in einem künst-
lichen Fuss endigten. In einem von Grisson mitgeteilten Fall bediente sich der Patient an
Stelle des ihm verordneten Apparates einer roh gezimmerten Krücke, an welcher in richtiger
Höhe ein Trittbrett wie an einer Stelze befestigt war. Auf dieses setzte er beim Gehen den
betreffenden Fuss auf und war so im stande, stundenweite Wege zurückzulegen.
Einen ganz besonders interessanten Ausweg, um die Ungleichheiten beider Beine in
gewissem Sinne auszugleichen, hat die Natur in unserem zweiten Falle gefunden. Während
rechts der Oberschenkelknochen, dem der oberste der Kopfepiphyse entsprechende Teil fehlt,
naturgemäss nach oben luxiert ist, da er durch den erwähnten Mangel keinen Halt an dem
Becken findet, sehen wir, dass sich der Kopf linkerseits in der Pfanne befindet, dass sich da-
gegen der Schenkelhalswinkel von seiner normalen, etwa 128° betragenden Grösse auf etwa
D
12 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität.
80° verkleinert hat, wodurch naturgemäss die Länge auch dieses Oberschenkels wesentlich ver-
mindert wird.
Ich möchte als Analoga hierfür drei Beobachtungen heranziehen, die vor kurzem
einerseits von Albert, andererseits von Alsberg publiziert worden sind. Es hatten sich
an den am Präparat studierten Fällen von Albert zu einseitigen Hüftluxationen Schenkel-
halsverbiegungen der anderen Seite gesellt; der von Alsberg klinisch beobachtete Fall bot
dieselbe Kombination. Offenbar ist hier die Schenkelhalsverbiegung oder Coxa vara die Folge
der stärkeren Beanspruchung der ursprünglich gesunden Seite gewesen. Dass es sich bei
unserer Kranken um äbnliche Verhältnisse handelt, ist zweifellos. Die Entstehung der Defor-
mität wurde bei derselben offenbar durch eine abnorme Knochenweichheit, die möglicherweise
auf Rachitis zu beziehen ist, möglicherweise aber auch mit dem angeborenen Herzfehler in
Verbindung steht, begünstigt. Da sich auf diesem Wege die Ungleichheiten beider Beine in
gewissem Sinne ausglichen, so können wir hier der Schenkelhalsverbiegung eine gewissermassen
funktionelle Bedeutung nicht absprechen.
Andererseits ist auch die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass die links-
seitige Coxa Vara ebenso wie der rechtsseitige Femurdefekt eine angeborene Anomalie darstellen.
Durch die Arbeiten von Kredel, Kirmisson, Mouchet und Aubion kennen wir eine Coxa
vara congenita. Ich selbst konnte im Jahre 1899 über das Vorkommen einer doppelseitigen
angeborenen Schenkelhalsverbiegung im Sinne einer Verkleinerung beider Schenkelhälse bei
einem fünfjährigen Mädchen berichten, dessen sechsjähriger Bruder wegen einer doppelseitigen
angeborenen Hüftluxation dem Lorenzschen Repositionsverfahren unterzogen worden war. Das
in Fig. 10 wiedergegebene von dieser Kranken gewonnene Skiagramm zeigt eine Verkleinerung
des Schenkelhalswinkels rechts auf 70°, links auf 90°. Ein auf Tafel III, Fig. 1 reproduciertes
mir von Herrn Kollegen Reiner in Wien freundlichst überlassenes Skiagramm zeigt eine Coxa
vara congenita an einem in toto verkürzten und in seinen Dickendimensionen verjüngten Ober-
schenkelknochen. Es stammt von einem acht Jahre alten Mädchen mit einer fast ausschliesslich
auf den Oberschenkel entfallenden Verkürzung der rechten unteren Extremität von 12?*/, cm.
Auf dem Röntgenbilde steht der Mittelpunkt des Femurkopfes rechts 25 mm unterhalb der
Trochanterspitze, während er sich links 15 mm oberhalb derselben findet. Der Neigungs-
winkel des Schenkelhalses beträgt kaum 100°, während er in der Norm einen Winkel von
126—129° zeigt.
Einige Male hatten — ebenso wie mir dies bei meinem ersten Falle möglich war —
die Beobachter "Gelegenheit, die Patienten mit Oberschenkeldefekten in verschiedenem Lebens-
alter zu untersuchen und die weitere Entwickelung des deformen Gliedes zu verfolgen.
In dem Falle von Veiel war noch im 15. Lebensjahr keine Spur des Ober-
schenkelknochens nachzuweisen. In diesem, wie in einem von Redard beobachteten ana-
logen Falle handelt es sich offenbar um totale Defekte. Dagegen war bei dem von Grisson
beschriebenen Kranken, nachdem im Alter von 2°/, Jahren kein Knochen palpabel gewesen
war, bei einer erneuten Untersuchung nach 6/, Jahren festzustellen, dass ein „Trochanter“
gebildet, dass Hüft- und Kniegelenk getrennt vorhanden und frei beweglich waren. Weiterhin
war eine Patella, die man gleichfalls früher vermisst hatte, aufzufinden. Wie Lange mt |
teilt, konnte Lorenz zunächst bei einem zwei Jahre alten Mädchen den Trochanter major und
die Condylen des rechten Oberschenkels deutlich fühlen; eine Diaphyse war durch ein kurzes,
knöchernes Verbindungsstück nur gerade angedeutet. Ein Jahr später waren Trochanter major
und Condylen durch ein etwa 9 cm langes Knochenstück verbunden. Ferner wurde eine
kongenitale Luxation des Hüftgelenks konstatiert. Bei einem anderen Mädchen war bei der
ersten Untersuchung im Alter von drei Jahren ein Diaphysenteil am rechten Oberschenkel
‘überhaupt nicht zu fühlen. Der Trochanter ging unmittelbar in die Condylen über. Nach
zwei Jahren hatte der Oberschenkelknochen eine Länge von 13 cm erlangt und erwies sich im
Hüftgelenk nach hinten luxiert.
II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 13
Ebenso hatte sich bei einem von Weinrich im Alter von elf Monaten beschriebenen
und später von Adrian im Alter von 6'/, Jahren von neuem untersuchten Knaben der defekte,
nach oben luxierte Oberschenkel: von 10 auf 19!/, cm verlängert.
Im Gegensatz zu den bisher auf rein klinischen Untersuchungen basierenden Fest-
stellungen, wobei, wie dies die vorher gegebene Zusammenstellung wohl ohne weiteres zeigt,
die Deutung der einzelnen Teile des defekten Knochens eine vielfach rein willkürliche war,
bietet uns das Röntgenverfahren heutzutage die Möglichkeit, uns nicht nur in einem bestimmten
Lebensalter ein klares Bild der vorliegenden Verbildung des Knochens zu schaffen, sondern
durch erneute Aufnahmen die Weiterentwickelung
des deformen Gliedes in exakter Weise zu verfolgen.
Derartige Feststellungen bei partiellen Defekten der
Knochen dürften auch für die Frage des Anteils der
verschiedenen Wachstumszonen, beispielsweise am
Oberschenkel des Anteils der oberen und der unteren
Epiphysenzone, an den Wachstumsvorgiingen des
normalen Knochens nicht ohne Wert sein.
B. Die angeborenen Defektbildungen am
Schienbein.
Defektbildungen am Schienbein habe ich
einmal am Lebenden, einmal am Präparat zu sehen
Gelegenheit gehabt. Weiterhin verdanke ich noch
der Liebenswürdigkeit der Herren Dr. Tschmarke
in Magdeburg, Priv.-Doz. Dr. Borchardt und Dr.
Helbing in Berlin vortreffliche Röntgenbilder von
Kranken mit Tibiadefekten.
Es handelt sich in dem von mir beobachteten
im Jahre 1894 publicierten Falle um ein beim Ein-
tritt in die Behandlung ein Jahr sieben Monate
altes Mädchen, das zweite Kind gesunder Eltern.
Von irgendwelchen in der Familie beobachteten
Missbildungen war nichts zu ermitteln. Im übrigen
durchaus wohlgebildet, zeigte die Kleine, ein kräftiges
Kind mit stark entwickeltem Panniculus adiposus
und frischer Gesichtsfarbe, von Geburt an eine sehr
auffallende Anomalie der rechten unteren Extremität.
Es hielt hier mit Vorliebe den Unterschenkel zum
Fig. 11.
Oberschenkel in starker Flexion und gleichzeitiger ———— Tibiadefekt.
Addaktion derart, dass der in Klumpfussstellung (11/, jáhriges Mádchen.)
befindliche Fuss zwischen beide Oberschenkel zu
liegen kam (Fig. 11). Der Oberschenkel selbst erschien normal, nur ergab ein Vergleich mit
der gesunden Seite, dass die Entfernung vom Trochanter zum Condylus externus um 1 cm
verkürzt war. Die Condylen des Femur, zwischen denen die Patella nachweisbar war, traten,
und zwar besonders der innere, sehr deutlich nach unten hervor, zumal sich, wie dies schon
die Inspektion, noch sicherer aber die Palpation ergab, die untere Gelenkfläche des Femur frei
und ohne Verbindung mit knöchernen Teilen erwies. An der äusseren und hinteren Seite des
Condylus externus fiel ein Vorsprung auf, der bei Bewegungen des Unterschenkels in geringen
Exkursionen seine Lage änderte und sich nach unten hin in den einzigen, den verkürzten und
äusserst dünnen Unterschenkel bildenden Knochen fortsetzte, um in einer Prominenz zu enden,
die nach ihrer Lage an der Aussenseite des Fusses nur der Malleolus externus sein konnte.
14 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität.
Oberhalb des Vorsprungs an der Aussenseite des Kniegelenks, der sich somit als das nach
hinten und oben getretene Capitulum fibulae herausstellte, war die Haut in dem Umfange
eines Markstückes narbig verändert und eingezogen. Auch bei genauester Untersuchung liess
sich neben der Fibula, die sich um 2!/, cm gegenüber der linken verkürzt erwies, dieselbe
dagegen an Dicke beträchtlich übertraf, kein anderer knöcherner Teil in den Weichteilen des
Unterschenkels ausfindig machen. Die kleine Patientin vermochte den Unterschenkel zum
Oberschenkel in mässiger Ausdehnung zu beugen. Ver-
suchte man dagegen die Streckung, so kam man nicht
über den rechten Winkel hinaus; dabei spannten sich die
Flexoren des Unterschenkels stark unter der Haut an.
Dagegen war die Beugung des Unterschenkels bis zur
Berührung mit dem Oberschenkel möglich. Der Fuss
stand in hochgradiger Equinovarusstellung, derart, dass die
Planta pedis fast nach oben gerichtet erschien, und der
Malleolus externus
den Fuss nach unten
überragte.
An dem sonst
normalen Fuss zeigte
sith ein Defekt der
grossenZehe und des
dazugehörigen Meta-
tarsalknochens.
Das in der
Sammlung der hie-
sigen Universitäts-
Frauenklinik befind-
liche, mir von Herrn
Geh.-Rat Olshausen
in freundlicher Weise
zur Verfügung ge-
stellte Präparat von
angeborenem Defekt
der Tibia entstammt
einem am dritten
Tage nach der Ge-
burt verstorbenen,
von einer 14jährigen
Fig. 12. Fig. 13. elon
Rechtaseitiger Tibiadefekt. Baue eu Dae ea o Pane geborenen
(4jähriger Knabe.) Knaben. Es besteht
aus dem seiner Weich-
teile entkleideten, nur noch durch Bänder zusammengehaltenen Ober- und Unterschenkel der
rechten Seite, sowie aus dem noch vollkommen mit Haut bedeckten Fuss. An dem Femur ist
die obere Epiphyse abgetrennt.
Der Oberschenkelknochen zeigt normale Verhältnisse, sein Mittelstück ist etwas nach
vorn gekrümmt, das distale Ende zeigt zwei in ihren unteren und vorderen Gegenden über-
knorpelte Condylen. Hinten sind beide durch eine tiefe nicht überknorpelte Fossa poplitea
getrennt. In der Fossa patellaris liegt eine noch mit einigen Bänderresten in Verbindung
stehende, 1,4 cm breite und 1,7 cm lange Kniescheibe. An der Aussenseite des Condylus
externus findet sich eine Gelenkfläche für den einzig vorhandenen, an dem Präparat leicht
II. Die ‚angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 15
flektierten Unterschenkelknochen, die Fibula. Diese Gelenkfläche hat von oben nach unten eine
Ausdehnung von 1,6 cm, von vorn nach hinten ist sie 0,9 cm breit und reicht hier bis zur
hinteren Grenze des Condylus externus, während sie von der unteren Umrandung desselben
0,4 cm entfernt bleibt.
Die Fibula lst 6,4 cm lang und zeigt einen geraden Verlauf. Ihr mittlerer Abschnitt
ist sehr dünn, während die beiden Endteile anschwellen. Die Diaphyse bietet einen vorderen
und hinteren scharfen Rand, durch den zwei seitliche Knochenflächen gebildet werden. Nach
oben und unten zu rundet sich der Knochen ab. Die obere Gelenkfläche, von deren Umrandung
zur entsprechenden Artikulationsfläche des
Femur eine vollkommen geschlossene Ge-
lenkkapsel sich erstreckt, zeigt eine schräg
von oben aussen nach unten innen ab-
fallende Gestalt.
Der Fuss steht in höchstgradiger
Varusstellung, so dass der Malleolus ex-
ternus den tiefsten Punkt bildet, und die
Planta direkt nach oben schaut. Auch
die Ferse ist stark in die Höhe gezogen.
Der Fuss besitzt fünf normale Zehen.
Das mir von Herrn Dr. Tschmarke
freundlichst zur Verfügung gestellte Skia-
gramm (Tafel III, Fig. 2) stammt von
einem vierjährigen in Fig. 12 abgebildeten
Knaben. Derselbe ist im allgemeinen gut
entwickelt und genährt. Der rechte Unter-
schenkel ist dünner als der linke, etwa
3cm kürzer, steht in rechtwinkliger Flexion
und hochgradiger Adduktion zum Ober-
schenkel. Die Fibula ragt mit ihrem
oberen Ende als spitzer Knochen nach
aussen und hinten vom Femurende vor;
das letztere erweist sich als ziemlich spitz.
Man fühlt am Unterschenkel nur einen
Knochen, die Fibula, die eine S-förmige Fig. 14.
Krümmung aufweist, und deren unteres Linksseitiger Tibiadefekt mit Polydaktylie.
Ende als äusserer Knöchel ebenfalls spitz (6 Wochen alter Knabe.)
und scharf die Haut anspannt und den in
hochgradigster Varusstellung stehenden Fuss überragt. Die grosse Zehe und ihr Metatarsale
fehlen; von den Fusswurzelknochen lassen sich nur zwei undeutlich unterscheiden. Die Beweg-
lichkeit im Knie beschränkt sich auf ganz geringe Beugung und Streckung. Der Fuss ist
gleichfalls fast unbeweglich. Die normal gebildeten vier vorhandenen Zehen sind gut beweglich.
Die Patella fehlt.
Das Röntgenbild (Tafel III, Fig. 2 und das danach gezeichnete Rekonstruktionsbild
Fig. 13) bestätigt im wesentlichen den obigen Befund. Von der Tibia ist auch nicht die
geringste Andeutung vorhanden; die Fibula erscheint verbogen und an den Enden verdickt.
Der Oberschenkel endet scheinbar breit, die knorpelige Epiphyse, die nach der Palpation deutlich
spitz endet, ist undeutlich. Von den Fusswurzelknochen sind nur zwei, ein langer und vor ihm
ein runder zu sehen — offenbar der Calcaneus und Talus.
Das auf Tafel II, Fig. 4 wiedergegebene Skiagramm eines rechtsseitigen Tibiadefekts
stammt von einem 10 Monat alten Knaben aus der Berliner chirurgischen Universitäts-Klinik
16 II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt.
(Excellenz v. Bergmann). Die Fibula verläuft hier gerade. Die Verhältnisse sind im übrigen
analog denjenigen in dem eben besprochenen Falle.
Endlich zeigen Fig. 14 und Tafel II, Fig. 5 einen Fall von totalem Defekt der linken
Tibia mit Polydaktylie (Dr. Helbing). Es entspricht bei dem 6 Wochen alten Knaben die
5. Zehe, vom äusseren Fussrande gezählt, der grossen Zehe. Sie zeigt nämlich im Röntgen-
bilde nur zwei Phalangen, während die übrigen Zehen drei Phalangen haben. Der grossen
Zehe gliedern sich drei neue Zehen an, von denen die der grossen Zehe benachbarte zwei
Phalangen, die beiden anderen dagegen nur eine gemeinsame Grundphalanx besitzen. Dem-
entsprechend finden sich auch nur sieben Metatarsi.
Die angeborenen Tibiadefekte gehören allerdings zu den seltenen Missbildungen, sind
aber immerhin nicht so selten, als man dies bis vor kurzem in Deutschland angenommen hat.
Ich habe im Jahre 1894 im Anschluss an meine eigenen Beobachtungen Gelegenheit genommen,
die von Burckhardt im XXXI. Bande des Jahrbuchs für Kinderheilkunde gegebene Kasuistik
(zehn Fälle totalen und sechs Fälle partiellen Fehlens des Schienbeins) mit Einschluss der aus-
ländischen Litteratur auf 39 Fälle zu erhöhen, die an 31 Individuen konstatiert wurden.
Weitere Fälle sind seitdem von Waitz, Kümmel, Klaussner, Rincheval (Bardenheuer),
Tschmarke, Grosse und Helbing berichtet worden. Bei den 39 Individuen war die Affek-
tion 28 mal einseitig, 11 mal doppelseitig vorhanden. 24 waren männlichen, neun weiblichen
Geschlechts, bei 6 existierten in dieser Beziehung keine Angaben.
Fünfmal handelte es sich um nicht ausgetragene Früchte, vierzehn Patienten standen
zur Zeit des Eintritts in ärztliche Beobachtung im ersten, fünf im zweiten, einer im dritten,
zwei im vierten, einer im fünften Lebensjahr, ein Patient ist zur Zeit der Untersuchung zehn,
zwei zwölf, einer 13'/,, einer 15 Jahre alt; in vier Fällen endlich ist das Alter nicht vermerkt.
Unter 22 Fällen einseitigen Tibiadefekts, in denen der Sitz der Anomalie bezeichnet ist, war
19 mal die rechte und nur dreimal die linke Seite befallen.
Das Bild des totalen wie partiellen Tibiadefekts ist, falls man von dem von Bauer
beschriebenen Falle absieht, in dem gleichzeitig die Fibula vollkommen mangelt, ein so typisch
sich gleichbleibendes, dass die von den einzelnen Autoren gegebenen Abbildungen in geradezu
verblüffender Weise miteinander übereinstimmen.
Der Oberschenkel erscheint in einer Anzahl von Fällen vollkommen normal. Häufig
steht er etwas nach aussen rotiert. Meist ist derselbe in geringem Grade gegenüber der ge-
sunden Seite verkürzt, nur bei Reverdin besteht eine Verlängerung und zwar um 3 cm
auf der kranken Seite. Bei Burckhardts Patienten‘ bestehen Veränderungen am oberen Femur-
ende wie am Becken. An Stelle eines Trochanters lässt sich hier eine kolbenförmige Knochen-
kontour durchfühlen, die den Eindruck eines rundlich verdickten Endes des Femurschaftes
macht; die Gelenkverbindung des Oberschenkelendes mit dem Becken ist direkt nach unten
und aussen von der Spina anterior superior, die Pfannengegend als leere Grube deutlich zu
fühlen. Die ganze Beckenseite ist dabei in der Entwickelung zurückgeblieben.
Häufiger finden sich Veränderungen des unteren Femurendes vermerkt. Meist ist die
Fossa condyloidea nur schwach ausgebildet (Dreibholz, Melde,) oder fehlt ganz (Erlich,
Medini,) wobei die Condylen ein mehr plumpes Aussehen gewinnen, oder das untere Öber-
schenkelende besitzt eine konische (Reverdin) oder knopfförmige (Burckhardt) Gestalt. Bei
Hildemanns Patienten spaltet sich das Os femoris ungefähr in der Mitte des Oberschenkels
in zwei seitliche Hälften, welche auseinanderweichen und auf diese Weise sich wie zwei Schenkel
eines Dreiecks zu einander verhalten. Die Condylen sind also nicht wie in der Norm zusammen-
gewachsen, sondern stehen in einer ziemlich beträchtlichen Entfernung von einander, und zwar
der eine schräg nach unten und innen, der andere schräg nach unten und aussen. Zwischen
beiden Condylen liegt, von der Haut und dem Unterhautzellgewebe bedeckt, ein sehr straffes
Ligament, welches einen nach unten konkaven Bogen bildet. An der hinteren Seite des Con-
II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 17
dylus externus ist dann der einzige Unterschenkelknochen, die Fibula, eingelenkt. Erlich sah
bei seiner Patientin mit doppelseitigem Mangel der Tibia an jedem Oberschenkel einen nach
aus- und abwärts gerichteten, fast senkrecht gestellten Zapfen, an dem die Mm. gracilis,
sartorius, semitendinosus und semimembranosus inserierten. Erlich nimmt an, dass diese
Knochenzapfen auf den Oberschenkel verlagerte, d. h. heterotop entwickelte Tibiae darstellen.
Bei Kümmels und Rinchevals Patienten war zwischen der Beugeseite des Ober- und Unter-
schenkels eine Flughaut ausgespannt.
Die Patella feblt bei neun Patienten zwólfmal. Ist sie bei totalem Tibiadefekt vor-
handen, so zieht ihr Ligament, falls ein solches besteht, zur Fibula oder findet in der Knie-
gelenkskapsel seine Insertionsstelle. Fehlt das Ligament, so rückt die Patella bei Kontraktionen
des Quadriceps in die Höhe.
Fast in allen Fällen bestehen Flexionskontrakturen im Kniegelenk. Für gewöhnlich
ist eine Luxation der Fibula nach hinten eingetreten und zwar hier wieder meist gleichzeitig
an die Aussenseite des Condylus externus, wo sich in einzelnen Fällen eine völlige Nearthrose
ausgebildet hat. Die Verbindung der Fibula ist meist eine sehr lockere und gestattet seitliche
wie Rotationsbewegungen, oder man vermag, wie bei Albert, den Wadenbeinkopf an der
Aussenseite des Condylus externus wie eine Stange auf und ab zu bewegen. Fast stets fehlen
die Ligamenta cruciata und die Semilunarknorpel. Alle Autoren ausser Billroth, der dies
besonders hervorhebt, geben das Wadenbein zumal in seinem oberen und unteren Abschnitt
als gegenüber der Norm verdickt, gleichzeitig aber verkürzt an. Mehrmals verlief die Fibula
nicht gerade sondern konvex nach aussen mit einer Biegung nach hinten und innen; bei
Schrakamp bestand eine durch eine intrauterine Fraktur bedingte Knickung der Fibula.
Ist der Tibiadefekt kein totaler, so handelt es sich entweder, wie bei Thiele, um
ein haselnussgrosses aus hyalinem Knorpel bestehendes Rudiment innerhalb der Kapsel, oder
es zieht, wie bei Melde, von der Kniegelenkskapsel in der Gegend des Condylus internus zur
oberen Fläche des Talus ein fibröser Strang, der besonders in seinem Beginn die pyramiden-
fórmige Gestalt des oberen Endes einer Tibia zeigt und den sonst von der Tibia entspringenden
Muskeln zur Ursprungsstelle dient. Ein anderes Mal ist der vorhandene Teil der Tibia grösser
und schon bei der klinischen Untersuchung nachweisbar. Er repräsentiert dann das obere
Tibiaende in Form einer Pyramide und artikuliert mit dem Femur in normaler Weise. Bei
Craig, Albert, Rappold, Young und Helbing endet das vorhandene obere Schienbeindrittel
scharf unter der Haut, welche an dieser Stelle eine warzenartige Erhebung, resp. narbenartige
Einziehung zeigt. Erlich beschreibt einen sechsmonatlichen Fötus mit partiellem Tibiadefekt,
bei dem der vorhandene obere Teil des Schienbeins eine Pyramide darstellt, deren Basis mit
dem Femur artikuliert, deren Spitze distal frei auf der Oberfläche des Unterschenkels hervor-
ragt. Die so an der Hautoberfläche zu Tage getretene Spitze ist mit einem langen membra-
nösen Faden besetzt und ragt direkt nach vorn und aussen hervor, so dass es den Eindruck
macht, als ob ein spitzes Frakturstück der Tibia durch die Haut vorgetrieben wäre. Nur
einmal in der Beobachtung von Parona handelt es sich nicht um Fehlen des unteren
Anteils des Schienbeins, sondern es besteht linkerseits ein Mangel des oberen Schienbein-
drittels, während rechterseits die Tibia bis auf den unteren Anteil und einen Teil des mittleren
Drittels fehlt.
Die Fusshaltung ist stets die eines Varus und zwar meist beträchtlichen Grades. In
einer Anzahl von Fällen ist die Zahl der Zehen eine normale. Meist fehlt die grosse Zehe,
bei Bauer, Albert und Motta ist die Zahl der Zehen auf drei, bei Waitz und Rincheval
auf zwei reduziert. Parker sah beiderseits sechs Zehen, von denen jedoch keine die Eigen-
schaft der grossen Zehe besass, Melde beiderseits sieben Zehen, eine Anomalie, wie er glaubt,
bedingt durch eine links vollständige, rechts weniger vollständige Dreiteilung des Hallux. Bei
Paronas, Helbings, Medinis und Kümmels Patienten trugen die Füsse acht Zehen, und zwar
sassen bei den beiden ersteren die überzähligen drei Zehen an dem inneren Fussrande. Endlich
Joachimsthal, Untere Extremitäten. 3
18 II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt.
sind in Dreibholz’ Beobachtung rechts sieben, links acht Zehen konstatiert; hier waren an
dem einen Fuss neben einer mittleren Zehe die Halluces doppelt, an dem anderen sogar vier-
fach angelegt. Gleichzeitige Verbildungen, meist Defektbildungen an den oberen Extremitäten,
werden in einer Anzahl von Beobachtungen mitgeteilt, in anderen bestanden gleichzeitig
Polydaktylie und Syndaktylie an den Händen der betreffenden Patienten sowie eine Anzahl
anderweitiger Anomalien.
Es ist endlich noch erwähnenswert, dass ähnliche narbige Veränderungen, wie sie die
Haut unserer kleinen erstbesprochenen Patientin oberhalb des Fibulakopfes zeigt, auch in den
Beschreibungen von Thiele, Motta, Busachi und Kümmel wiederkehren; bei Mottas
Kranken fand sich eine ähnliche Veränderung der Haut auch in der Gegend des Malleolus
externus.
Ausser von Tschmarke und Helbing ist auch von Grosse bereits das Röntgen-
verfahren zur Untersuchung ihrer Patienten mit Tibiadefekt herangezogen worden.
In Bezug auf die Pathogenese und Ätiologie der in Rede stehenden Anomalie muss
zunächst bemerkt werden, dass bei sämtlichen bisher vorliegenden Beobachtungen das Vor-
kommen von Missbildungen bei den Eltern und Geschwistern in Abrede gestellt wird. Von
einigen Autoren wird dem jugendlichen Alter der Eltern eine Bedeutung für die Entstehung
der Anomalie zugeschrieben, wofür die Thatsache zu verwerten wäre, dass in unserer zweiten
eigenen Beobachtung die Mutter des Trägers der Deformität erst das 14. Lebensjahr er-
reicht hatte.
Man kann wohl a priori behaupten, dass es nicht angebracht sein kann, in dem Defekt
der Tibia einen primären Bildungsfehler sehen zu wollen. Es wäre sonst nicht begreiflich,
wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Condylen des Femur und auch der Talus
eine so normale Entwickelung hätten einschlagen können. Wie auch das Vorkommen fibröser
Stränge von der Gestalt des Schienbeins an Stelle des fehlenden Knochens, der in der Beobach-
tung von Dreibholz vollständig aus hyaliner Knorpelmasse besteht, es darthun, hat früher
offenbar eine Tibia in der Anlage bestanden, und ist deren Schwund erst später, nachdem
bereits das Knie- und Fussgelenk angelegt waren, zustande gekommen. Dass hierbei das
Amnion in der Weise wirkte, dass es durch Raumbeengung der Weiterentwickelung der Tibia
hinderlich wurde, wird wahrscheinlich aus dem Vorhandensein der oben erwähnten Narben,
ferner aus der Beobachtung Erlichs, in der an der Spitze des vorhandenen Tibiarudiments
ein langer, membranöser Faden hängt, wohl ein Überbleibsel der Verwachsung des Amnion
mit der Tibia, endlich aus einem von Hildemann berichteten Falle, in dem einmal das untere
Femurende gespalten ist; ausserdem verläuft hier um die linke Hand herum eine offenbar
durch Einschnürung entstandene Furche, und fehlt am vierten Finger die dritte Phalanx.
Ich kann es nach dem Gesagten nicht als richtig zugeben, wenn Burckhardt und
mit ihm eine Reihe anderer Autoren eine Abhängigkeit der Defektbildungen der Tibia von
den nach der Gegenbauerschen Archipterygialtheorie festgestellten Strahleneinheiten als er-
wiesen erachten. Wie bekannt, betrachtet Gegenbauer als den Stamm des Archipterygiums
der unteren Extremität die laterale Reihe ihrer Skelettteile, so dass derselbe durch den Femur-
knochen, die Fibula, zwei Tarsalknochen und die fünfte Zehe zusammengesetzt wird. An diese
einzelnen Glieder des Archipterygiums setzen sich die übrigen Skelettteile als Seitenzweige oder
Strahlen an. Der erste Strahl beginnt mit der Tibia, in das Skelett der grossen Zehe aus-
laufend; im Tarsus beginnend läuft der zweite, dritte und vierte Strahl in die betreffenden
Zehen aus. Wenn Burckhardt u. A. annehmen, dass wir es bei den Fehlen des Schienbeins
mit einer Defektbildung des ersten Nebenstrahles zu thun haben, so spricht dafür allerdings
das in einer Reihe von Beobachtungen wiederkehrende Fehlen der grossen Zehe und des dazu
gehörigen Metatarsalknochens als der Ausläufer des ersten Nebenstrahles. Abgesehen davon
jedoch, dass dieses Verhältnis durchaus nicht konstant ist, sind sogar im Gegensatz dazu in
einer Anzahl von Fällen, die ich oben zusammengestellt habe, Verdoppelungen gerade am
II. Die angeborenen Defekte der langen Rührenknochen der unteren Extremität. 19
Hallux beschrieben. Es besteht überdies, wie schon gesagt, an Stelle des fehlenden Unter-
schenkelknochens meist ein diesen repräsentierender fibröser Strang, der in einer Beobachtung
von Parona sogar, auf die wir bei den therapeutischen Massnahmen noch zu sprechen
kommen, nach einem gelungenen operativen Eingriff, der das betreffende Kind in den Stand
setzte, seine Beine selbständig zu benutzen, die Fähigkeit, noch nachträglich zu verknöchern,
zeigte. Dass auch die Polydaktylie bei Tibiadefekten unter dem Einfluss des Amnion zustande
gekommen sein kann, wird wahrscheinlich, wenn wir mit Marchand annehmen, dass ein zu
enges Amnion die Extremitätenstummel zu der Zeit, wo die Zehen zur Ausbildung kommen,
fest an den Körper gepresst und die einzelnen Anlagekeime auseinandergedrängt hat, so dass
z. B. die ursprünglich einfache Anlage für die grosse Zeche durch den anhaltenden Druck in
drei Teile getrennt wurde.
In Bezug auf die Frage, was aus der Missbildung im weiteren Verlauf der Jahre
wird, wenn sie einfach sich selbst überlassen bleibt, bieten uns diejenigen Fälle der Kasuistik,
die in dem zweiten Dezennium des Lebens zur Beobachtung kanıen, Aufklärung. Am meisten
Interesse beansprucht in dieser Hinsicht der von Burckhardt im Alter von 8 Wochen und
12 Jahren abgebildete Fall. Das starke Zurückbleiben in der Entwickelung nicht nur des
Unterschenkels, sondern auch des Oberschenkels und Fusses geht aus den Abbildungen ohne
weiteres hervor. Ähnlich liegen auch die Verhältnisse bei Paulys Kranken, der zur Zeit
der Beobachtung das 15. Lebensjahr erreicht hatte. Der Unterschenkel war hier auf der
kranken Seite um 17 cm kürzer als auf der gesunden und hing in schlotternder Verbindung
als störendes Anhängsel an dem Oberschenkel.
In therapeutischer Hinsicht haben eine Reihe von Autoren, selbst wenn sie die Kranken
in frühester Kindheit in Behandlung bekamen (in neuester Zeit auch Tschmarke) einzig und
allein die Exartikulation resp. Amputation des Unterschenkels für zweckentsprechend gehalten
und auch zur Ausführung gebracht. Albert war der erste, der zu einem mehr konservativen
Verfahren griff, indem er bei einem neun Monate alten Kinde die Fibula in die Fossa inter-
condyloidea des Femur implaniierte, nachdem er dieselbe vorher durch Resektion wund gemacht
hatte. Die Vereinigung erfolgte knöchern in stumpfem Winkel. In ähnlicher Weise wie
Albert verfuhren Motta, Busachi, Helferich und Parona. Eine knöcherne Vereinigung
ist dabei nicht zustandegekommen. J. Wolff eröffnete in dem von mir geschilderten Falle
das Kniegelenk, löste zunächst das Capitulum fibulae aus der Gelenkverbindung, die sich an
der Stelle seines ungewöhnlichen Sitzes an der Aussenseite des Condylus externus femoris
etabliert hatte, führte es in die Fossa intercondyloidesa und vernähte die Kapsel über dem-
selben. Nach diesem Eingriff, bei dem absichtlich, um die vorhandene Verkürzung nicht noch
zu vermehren, keine knöchernen Teile von den Gelenkenden entfernt wurden, war eine voll-
kommene Streckung des Unterschenkels nicht möglich; dieselbe gelang jedoch nach der
Heilung der Wunde durch Etappenverbände, so dass die Patientin, nachdem noch die Teno-
tomie der Achillessehne und das Redressement des Klumpfusses vollführt war, mit einem por-
tativen Gipsverbande, der später durch eine abnehmbare Hülse ersetzt wurde, und mit einem
erhöhten Stiefel zum Ausgleich der bestehenden Verkürzung des Beines munter umherzulaufen
imstande war.
In dem von Grosse mitgeteilten Falle von Tibiadefekt bei einem fünfjährigen
Mädchen befestigte v. Bramann die Fibula in der Fossa intercondyloidea, nicht aber wie
Albert mit Silberdraht, sondern indem die Fibula nach Zuspitzung ihres oberen Endes in
eine in der Fossa intercondyloidea geschaffene Höhle eingefügt wurde. Dabei wurde besonders
darauf geachtet, dass die Epiphyse der Fibula nicht verloren ging, was leicht hätte geschehen
können, da man zur Streckung des gebeugt fixierten Beines eine Kürzung der Fibula vor-
nehmen musste. Von einer Tenotomie der Beuger wurde Abstand genommen, um sie in ihrer
immerhin schon geschädigten Funktion nicht noch mehr zu beeinträchtigen. Der in Klump-
fussstellung befindliche Fuss wurde manuell redressiert und in möglichst normaler Stellung
8*
20 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität.
gegen die Fibula fixiert. Nachdem im Laufe von etwa vier bis sechs Wochen völlige Kon-
solidation zwischen Femur und Fibula eingetreten war, erhielt das Kind einen Schienenhülsen-
apparat, in dem es sich ganz selbständig fortbewegte. Das Beincheú hat sich seitdem gut
entwickelt. Die ehemalige Verkürzung von 5®/, cm hat sich im Laufe von 2'/, Jahren um
fast 2 cm vermindert. Die Fibula ist auch nach Ausweis des Röntgenbildes erheblich verdickt.
Das Kind vermag ohne Schiene das Bein als Stütze zu gebrauchen und sich damit leicht
hinkend fortzubewegen.
Endlich sei noch erwähnt, dass Bardenheuer nach dem Bericht von Rincheval in
seinem Falle von Tibiadefekt den Versuch unternommen hat, durch Spaltung des oberen
Fibulaendes und durch Implantation des unteren verjüngten Femurendes zwischen die Spangen
der Fibula ein funktionsfähiges Kniegelenk zu schaffen. In einer zweiten Sitzung sollte als-
dann die Fussdeformität nach der gleichen Methode beseitigt werden. Bei der Operation
wurde die atypisch verlaufende Arteria poplitea verletzt. Es trat eine Gangrän des Unter-
schenkels bis zur Mitte auf. Das Verfahren ist, so viel mir bekannt, bisher nicht weiter ver-
wandt worden.
C. Die angeborenen Defektbildungen des Wadenbeins.
Auch der angeborene Defekt der Fibula kommt ein- und doppelseitig vor und betrifft
entweder den gesamten Knochen oder nur einzelne Abschnitte desselben. Unter 97 von
Haudek im Jahre 1896 zusammengestellten Fällen (weitere Beobachtungen sind seitdem von
Kirmisson, Cotton, Guéry, Hendrik, Jacobs, Frieben, Taylor, Tausch, Klaussner,
Fröhlich u. A. publiziert worden) war der Defekt in 67 Fällen, also in 609%, ein totaler, und
zwar 22 mal ein beiderseitiger. Der partielle Defekt betraf unter 28 Fällen, in denen sich dies-
bezügliche Angaben fanden, neunmal den oberen, zweimal den mittleren, 17 mal den unteren
Teil der Fibula. Unter fünf Fällen von Fibuladefekt aus meiner eigenen Beobachtung, von
denen ich bei vier das Röntgenverfahren zur Anwendung bringen konnte, fand sich dreimal
ein totaler Mangel des Wadenbeins, zweimal fehlte dessen oberes Drittel.
Meist besteht eine bedeutende, im späteren Alter selbst 7 und 8 cm betragende Ver-
kürzung des betreffenden Unterschenkels. Die Tibia verläuft in einer kleinen Anzahl von
Fällen (in zwei meiner eigenen Beobachtungen) gerade, meist zeigt sie eine nach vorn innen
oder vorn aussen konvexe Biegung oder Knickung, die, gewöhnlich an der Grenze des mittleren
und unteren Drittels des Knochens gelegen, auf der Spitze der Konvexität eine narbenähnliche
Hautveränderung besitzt. Gelegentlich findet sich an dieser Stelle eine Pseudarthrose im Be-
reiche der Tibia. Der Fuss, an dem fast durchweg ein Defekt lateraler Zehen besteht (nur in
einer Beobachtung von Kirmisson fand sich gleichzeitig Polydaktylie) befindet sich gewöhn-
lich in Valgus- oder Equinovalgusstellung. Vielfach finden sich daneben anderweitige Ver-
bildungen.
Einige Beispiele mögen die verschiedenen Möglichkeiten erläutern.
Das 9!/, jährige Mädchen, von dem Fig. 15 gewonnen ist, stammt aus einer von Miss-
bildungen bisher vollkommen freien Familie. Der linke Fuss weist durchaus normale Verhält-
nisse auf. Rechterseits fällt zunächst eine starke Verkürzung der unteren Extremität auf,
für die die genauere Prüfung ergiebt, dass sie grösstenteils auf Rechnung des Unterschenkels
zu setzen ist, teilweise aber auch daraus resultiert, dass die kleine Patientin nicht mit dem
Fuss, sondern mit dem Malleolus internus den Boden berührt, dass dieser somit den am meisten
distalwärts gelegenen Punkt der Extremität darstellt, wobei der Fuss in starker Valgus-
stellung nach aussen umgelegt ist. Während die Entfernung von der Spina ossis ilei
anterior superior zum Apex patellae nur eine Differenz von 2 cm gegenüber der kranken
Seite aufweist, erweist sich die Tibia, von dem inneren Malleolus bis zur Kniegelenkspalte
innen gemessen, um 5 cm verkürzt, und der Fuss links 17*/,, rechts 13*/, cm lang. Die
Tibia selbst verläuft gerade und ist nur in der Gegend des Malleolus internus kolbig verdickt.
II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 21
Der Fuss steht ausser in extremster Valgus- noch in leichter Equinusstellung; die Ferse ist in
die Höhe gezogen, die Achillessehne stark gespannt. Von den Fusswurzelknochen lässt sich
auf Grund der klinischen Untersuchung nichts Bestimmtes aussagen; es fehlen ein Mittelfuss-
knochen und eine Zehe, möglicherweise die zweite, da
zwischen der ersten und zweiten vorhandenen Zehe ein
abnorm grosser Zwischenraum sich befindet. Die dritte
Zehe erweist sich als wesentlich kürzer als ihre Nachbar-
zehen. Durch die Behandlung mit Etappenverbänden gelang
es, den Fuss in die normale Stellung zu überführen, so dass
die kleine Patientin in den Stand gesetzt wurde, mit Hilfe
eines erhöhten Stiefels sich mit Leichtigkeit fortzubewegen.
Das Röntgenbild eines analogen mir von Herrn Dr.
Natvig-Christiania freundlichst überwiesenen Falles zeigt
Taf. III, Fig. 3. Es ist von einem 14 Monate alten Mädchen
aus gesunder Familie gewonnen, das an der lateralen Seite
des Unterschenkels im unteren Drittel eine narbenartige Haut-
einziehung erkennen liess. Die Fibula fehlt ganz. Der Fuss
besitzt hier ausnahmsweise alle fünf Zehen und fünf Meta-
tarsalia.
Der acht Wochen alte Knabe, den Fig. 16 darstellt,
ist das Kind blutsverwandter Eltern. (Der Vater sowie die
erst 15 Jahre alte Mutter sind Kousin und Kousine.) An der
den einzigen linken Unterschenkelknochen repräsentierenden
Tibia findet sich an der Grenze des mittleren und unteren
Drittels eine stark nach vorn: konvexe Abbiegung, darüber
eine Einziehung der Haut. Der Fuss besitzt nur drei Zehen.
Das Röntgenbild bestätigt zunächst die Annahme des voll-
ständigen Fehlens der Fibula. In Seitenlage angefertigt,
zeigt es die oben erwähnte Krümmung im unteren Teil des
Schienbeins.
Wesentlich schärfer ist die Abbiegung an der
typischen Stelle des Unterschenkels an dem auf Tafel III,
Fig. 4 wiedergegebenen Skiagramm, das ich Herrn Kollegen
Jacobs in Trier verdanke. Es entstammt einem drei Monate
alten Kinde. Das Bild zeigt gleichzeitig das Vorhandensein
von nur drei Zehen und Mittelfussknochen. Einen Defekt
des oberen Drittels der linken Fibula endlich zeigt das mir
von Herrn Geheimrat J. Wolff freundlichst überlassene auf
Tafel III, Fig. 5 wiedergegebene Skiagramm, von einem fünf-
jährigen Knaben gewonnen.
Indem ich, um Wiederholungen zu vermeiden, in
Bezug auf die Pathogenese des Fibuladefektes auf das bei
der Besprechung der Tibiadefekte Gesagte verweise, möchte
ich an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass vielfach die
Fig. 15.
Rechtsseitiger Fibuladefekt
(9'/, jähriges Mädchen).
Fig. 16.
Linksseitiger Fibuladefekt
(8 Wochen alter Knabe).
beim Fibuladefekt vorkommenden Verbiegungen resp. Pseudarthrosen der Tibia, wie dies
beispielsweise Braun annahm, auf äussere den Uterus treffende Gewalten oder den Druck
des Uterus selbst bezogen werden; mit grösserer Wahrscheinlichkeit wird ihre Entstehung
wohl gleichfalls pathologischen mechanischen Einwirkungen des erkrankten Amnions, besonders
amniotischen Verwachsungen und Störungen zugeschrieben. Dafür spricht vor allem die bei
22 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität.
den Biegungen oder Knickungen der Tibia an der Konvexität des Knochens gelegene Haut-
narbe oder Hauteinziehung. Hoffa hat ein derartig eingezogenes Hautstück exstirpiert und
mikroskopisch untersucht. Es war ganz deutlich, dass die Veränderung durch einen von
aussen herkommenden mechanischen Reiz, etwa durch den Zug eines amniotischen Stranges,
entstanden war.
Die Behandlung hat im wesentlichen in der Beseitigung der fehlerhaften Fussstellung
durch Tenotomie der Achillessehne und redressierende Verbände, in der Bekämpfung der
Winkelstellung der Tibia durch Osteotomie oder Osteoclase und in der Verordnung geeigneter
Prothesen zu bestehen. Neuerdings haben Bardenheuer, nach ihm Nasse und Mikulicz
mit gutem Resultat eine Malleolengabel dadurch künstlich hergestellt, dass sie die Tibia der
Länge nach spalteten und den Talus zwischen die beiden Hälften der Tibia einpflanzten.
D. Die sogenannten Phocomelen.
Mit der Bezeichnung der Phocomelen belegte Geoffroy St. Hilaire eine Form
der Missbildungen mit abortiven Gliedmassen (Monstres ectromeliens), bei der Hände oder
Füsse scheinbar allein ausgebildet sind und sich
unmittelbar an dem Rumpf inserieren. Der berühmte
Teratolog entnahm die Bezeichnung von dem See-
hund (Phoca), bei dem eine ähnliche Absonderlich-
keit normal besonders ausgebildet erscheint, obwohl,
wie auch Virchow neuerdings hervorhebt, dem
erfahrenen Forscher die Ähnlichkeit mit der Eigen-
tümlichkeit anderer Wassertiere (Fische, Cetaceen)
und gewisser Landtiere, z. B. der Maulwürfe, nicht
entging. In allen Fällen betrifft die Absonderlichkeit
in erster Linie die Zwischensegmente der Extremitäten
(Oberarm oder Oberschenkel, Vorderarm oder Unter-
schenkel), welche kürzer und kürzer werden, gelegent-
lich selbst in rudimentäre Zustände geraten, zuweilen
zum Teil fehlen, so dass die End-Segmente (Hand
und Fuss) sich immer mehr dem Rumpf nähern.
Die End-Segmente, sagt Geoffroy St. Hilaire,
seien häufig von gewöhnlicher Grösse, zuweilen
sogar ganz normal.
Der in diese Gruppe gehörige, auf Fig. 17
abgebildete Patient meiner Beobachtung mit exquisiter
„Robbenähnlichkeit*, z. Z. 66 Jahre alt, aus gesun-
der Familie stammend, und an Kopf und Rumpf
wohlgebildet, zeigt an den Extremitäten eine Reihe
von Abnormitäten. An den oberen Gliedmassen er-
weisen sich die Vorderarme als verhältnismässig zu
kurz. Die Hände stehen in Radialabduktions-, so-
Fig. 17. genannter Klumphandstellung und zeigen Defekte
66 jähriger Patient der Daumen und der ersten Mittelhandknochen. Auf
mit „Robbenähnlichkeit“. den Röntgenbildern erweisen sich beide Radii als
besonders stark verkürzt.
Die unteren Gliedmassen sind äusserst rudimentär entwickelt. Während der rechte
Fuss sich ohne ein fühlbares Zwischenstück unmittelbar an den Rumpf anschliesst, befindet
sich links zwischen dem Becken und dem hier in hochgradiger Varusstellung befindlichen Fuss
ein etwa 20 cm langer Knochen, im unteren Teil nach vorn und aussen stark konvex gekrümmt.
II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 93
In sitzender Position ruht der rechte Fuss der Unterlage mit der Planta auf, wåhrend links,
infolge der starken Klumpfussstellung der åussere und dorsale Teil des Fusses den Boden
berührt. In liegender Stellung schweben beide „Unterextremitäten“ frei in der Luft.
In sitzender Position wurde das auf Tafel IV, Fig. 1 abgebildete Skiagramm her-
gestellt. Dasselbe ergiebt links das Vorhandensein eines 21/,—3cm dicken Knochens, der
centralwärts offenbar in der Weise des Femur sich mit dem Becken verbindet und, im unteren
Drittel stark lateralwärts konvex, mit einer annähernd planen Gelenkfläche mit der Aussen-
seite des Calcaneus in Verbindung tritt. Ein Talus fehlt. Naviculare, mit Cuneiforme I und I
verwachsen, artikuliert an einer vorderen Gelenkfläche des Calcaneus neben den Cuneiforme.
Das sonstige Fussskelett erscheint normal. Linkerseits scheint auch auf dem Röntgenbilde jede
Verbindung des Fusses mit dem Becken zu fehlen. Das Fussskelett selbst zeigt die gewöhn-
lichen Verhältnisse.
Es erscheint interessant, den bei diesem Kranken erhobenen Befund mit dem von
Grunmach an dem bekannten Bärenweib mit Hilfe der Röntgenstrahlen gemachten Fest-
stellungen zu vergleichen. An den oberen Extremitäten fand Grunmach hier einen gut ent-
wickelten Humerus, aber statt des Radius und der Ulna zwei kurze Rudimente (2—3 cm lang,
breit und dick), ausserdem einen rudimentären Carpus, während die Metakarpal- und Phalangen-
knochen vollzählig vorhanden waren, letztere jedoch einen etwas krallenartigen Eindruck
machten. Dem Bau der oberen Extremitäten entsprach auch das Verhalten der unteren.
Während hier wieder der Oberschenkel gut entwickelt schien, zeigten sich im Skiagramm die
Unterschenkelknochen als Rudimente (4—5 cm lang, breit und dick). Daran schloss sich der
rudimentäre Tarsus, während sich die Metatarsal- und Zehenknochen vollständig ausgebildet
darboten.
Für eine Erklärung derartiger Abnormitäten, die in den verschiedensten Formen vor-
kommen, fehlt uns noch jeder Anhalt.
Es liegt auf der Hand, sagt Virchow, dass solche Zustände als Theromorphien an-
erkannt werden müssen. Er warnt aber vor der Versuchung, aus diesen thatsächlichen Ver-
hältnissen genetische Schlüsse in Beziehung auf Descendenz zu ziehen. Freilich habe es an
Schwärmern nicht gefehlt, welche jede Theromorphie auf Atavismus bezogen haben. Virchow
vermag diesen Schluss nicht anzuerkennen, weil es sich nicht jedesmal um typische Verhält-
nisse handelt, sondern zahlreiche Übergänge zwischen den Defektzuständen dieser Abteilung
bestehen und zwar Übergänge, welche schliesslich Gesamtformen hervorbringen, für welche
typische zoologische Vorbilder fehlen. Ja, es fehlt nach Virchow nicht an Beispielen, wo
sich zwischen Generationen mit Defektbildungen auch solche mit Excessbildungen, z. B. mit
sechs und mehreren Zehen einschieben. Virchow nimmt an, dass diese Monstrositäten nur
die äusserste Ausbildung einer Störung darstellen, welche mit einer blossen Mangelhaftigkeit,
einer Hypoplasie der Extremitäten beginnt und daher einen Zustand darstellt, der vielfach mit
fötaler Rhachitis, späterhin auch mit dem Kretinismus in Zusammenhang gebracht wurde, neuer-
dings aber allgemein als eigene Krankheitsform aufgefasst, meist mit dem von Kaufmann
eingeführten Nanıen der Chondrodystrophia foetalis belegt wird und gleichfalls zu dem den
Phocomelen eigentümlichen Missverhältnis zwischen einem langen Kopf und Rumpf: einerseits
und abnorm kurzen Extremitäten andererseits führt. Wie ich selbst dies an einer im Jahre
1898 der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins vorgeführten, an dieser letzteren Anomalie
leidenden, jetzt 14jährigen Patientin und den von den einzelnen Teilen ihres Körpers gefertigten
Skiagrammen demonstrieren konnte, besteht bei der Chondrodystrophie eine allgemeine Wachs-
tumsstörung eigener Art, gekennzeichnet durch die Unfähigkeit des meist excessiv gesteigerten
Epiphysenknorpels, in normaler Weise Knochen zu erzeugen. Sie ist sowohl von der eigentlichen
Rhachitis als auch vom Kretinismus als auch endlich von den sogenannten Phocomelen schon
mit Hilfe des Röntgenverfahrens leicht zu differenzieren.
24 III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe.
III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe.
A. Mangel der Kniescheibe.
Ausser denjenigen Beobachtungen, in denen der Mangel der Kniescheibe anderweitige
Verbildungen der unteren Extremität, so Defekte des Femur, der Tibia, der Fibula, die angeborenen
Kniegelenksluxationen (s. d.) begleitet, sind in neuerer Zeit eine Reihe von Fällen bekannt ge-
worden, in denen nur der Mangel der Kniescheibe, meist beiderseitig, in der Regel bei mehreren
Mitgliedern derselben Familie vor-
lag, ohne dass hierdurch irgend-
welche Störungen in der Funk-
tion der betreffenden Kniegelenke
bedingt wurden. So berichteten
Wuth und Wolf neuerdings über
zwei Familien, bei denen verschie-
dene Mitglieder, ohne Kniescheibe
geboren, vortrefflich funktionierende
Kniegelenke zeigten. Man gewinnt
daraus den Eindruck, dass die
Patella ein ziemlich überflüssiges
und für die normale Funktion der
Quadricepssehne beim Menschen
keinesfalls wichtiges Skelettstück
ist. Auch besitzt bekanntlich das
Känguruh, das sich ausschliesslich
springend fortbewegt und dazu einer
überaus schnellen und kräftigen
Streckbewegung des Kniegelenks
bedarf, keine Kniescheibe. _
Die auf Fig. 18 und auf
Tafel IV, Fig. 2 wiedergegebenen
Abbildungen sind mir von Herrn
Kollegen Wuth in liebenswürdig-
ster Weise zur Verfügung gestellt
worden. Sie stammen von dem
durch ihn eingehender besprochenen
z. Z. 35 jährigen Patienten, der
trotz seines Mangels die grössten
Strapazen auszuhalten vermag. Er
ist passionierter Reiter und Tourist;
Fig. 18. namentlich bei Derbyreiten und
Mangel beider Kniescheiben. (35 jähriger Mann.) Hochgebirgstouren hat er es zu
nennenswerten Leistungen gebracht.
Auffallend erscheint auf den ersten Blick die Konfiguration der Kniegelenksgegend.
Sie ist vor allem vollständig abgeflacht, was besonders bei seitlicher Ansicht bemerkbar wird.
Die normale Wölbung des Kniegelenks erscheint wie in einer senkrechten Ebene abgeschnitten.
Sehr stark springt dagegen die Tuberositas tibiae vor; sie bildet den prominentesten Punkt
der Kniebeuge überhaupt, so dass man bei flüchtiger Betrachtung sie für die Kniescheibe
halten könnte. Die mächtige Quadricepssehne setzt an dieser abnorm starken Tuberositas
tibiae an und zieht geradlinig zwischen den Femurcondylen nach oben. Ihre ausserordentlich
III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 25
kräftige Entwickelung ist an dem rechten Knie auf dem Bilde sichtbar, wo sie nach Art der
Achillessehne strangartig vorspringt, während links und rechts neben ihr die Gelenkkapsel in
tiefe Gruben eingesunken ist. Von einer Patella ist nichts zu bemerken, auch ist sie durch
Abtasten nicht aufzufinden. Dabei ist die Lage der Quadricepssehne normal, und ihr Gleiten
in der Fossa intercondyloidea bei den Bewegungen des Kniegelenks leicht zu fühlen. Die
Femurcondylen sind ungewöhnlich stark entwickelt und springen wegen des Mangels der Knie-
scheibe, namentlich bei rechtwinkeliger Beugestellung des Gelenkes, stark vor; besonders fällt
der innere Epicondylus durch seine Grösse auf (s. auf der Fig. linkes Bein).
Über das absolute Fehlen der Kniescheiben giebt das Röntgenbild Gewissheit. Es
zeigt sich, dass in der That keine Spur der Patella vorhanden ist. Auf dem lateral
bezw. sagittal und in leichter Beugestellung aufgenommenen Röntgenbilde (Tafel IV, Fig. 2)
sieht man die sehr starke Ausbildung der trochanterartig vorspringenden Tuberositas tibiae; die
schwach sichtbare Quadricepssehne zieht, straff gespannt, von hier aus nach oben und liegt
deutlich in der Rinne zwischen den Femurcondylen. Von der Patella ist keine Spur zu sehen.
Das Bild zeigt im übrigen neben dem lateralen Condylus femoris einen etwa bohnengrossen
Schatten, der dem bei den meisten Tieren konstanten, beim Menschen in etwa °’/, aller Fälle
vorkommenden Sesambein in der lateralen Ursprungssehne des M. gastrocnomius entspricht.
B. Verdoppelung der Kniescheibe.
Pfitzner beschreibt bei Nagern und Raubtieren das Vorkommen eines Sesamoids, das,
sich aufwärts an die Patella anschliessend, bei guter Ausbildung dieselbe wiederholt, eine mit
dem Apex aufwärts gerichtete Patella nachbildet. Es ist gut abgesetzt und lässt sich leicht
von der Quadricepssehne abpräparieren. Bernays beschreibt dasselbe bei Mäusen, Ratten und
Kaninchen. Pfitzner fand bei einer noch nicht ausgewachsenen Zibethkatze beiderseits eine
aus zwei Stücken bestehende Patella. An der rechten präparierten Seite lag die untere Patella
etwa an der normalen Stelle, die obere so hoch, dass sie höchstens bei äusserster Beugung auf
die überknorpelte Fläche des Femur trat. Am Menschen fand Gruber bei einer 21 jährigen
männlichen Leiche nach der Maceration beiderseits auf dem oberen lateralen Rande der Knie-
scheibe, in einem Ausschnitt liegend, ein selbständiges Knochenstück, etwa 13 mm lang, 6,5 mm
breit und ebenso dick. Nach der Beschreibung scheint es mit der Patella durch Koalescenz
verbunden gewesen zu sein. Bernays fand an mehreren Leichen von Erwachsenen, oberhalb
der verknöcherten Patella, eine kleine, selbständige, mehrschichtige Knorpellage, die nicht mit
dem Knorpel der Patella zusammenhing. Endlich fand Tillmanns bei einem „gesunden normalen
Kniegelenk eines Menschen aus den mittleren Lebensjahren“ in der Höhe der Kommunikations-
öffnung der Bursa subcruralis auf der unteren Fläche der Quadricepssehne eine Knorpelpartie.
Am Lebenden sind Doppelbildungen der Patella bisher nicht beschrieben
worden. Der folgende Fall, den ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Kollegen Reinhold
Natvig in Christiania verdanke, dürfte demnach ein ganz besonderes Interesse beanspruchen.
Es handelt sich nach dem mir von Dr. Natvig übersandten Bericht um ein Bauern-
mädchen von 33 Jahren, das angeblich im Alter von drei Jahren eine Rückenmarkskrankheit
durchgemacht hat. Vor zehn Jahren stellten sich Schmerzen in beiden Knieen ein, die im
letzten halben Jahre besonders zugenommen haben. Die Kranke geht mit in den Hüft- und
Kniegelenken flektierten Unterextremitáten. Die Oberschenkel sind adduciert. Die Kontrak-
turen sind spastischer Natur. Die Beine können in den Kniegelenken fast völlig gestreckt
werden. Beide Patellae gewähren den Eindruck, als ob sie in die Länge gezogen seien. Im
unteren Drittel fühlt man beiderseits eine quer verlaufende Furche, in die die Nagelspitze etwas
eingesenkt werden kann. Die Palpation an der Stelle dieser Furche ist empfindlich. Äussere
Verletzungen der Kniegelenke, Schlag, Stoss, Fall etc. waren nicht zu eruieren.
Die auf Tafel IV, Fig. 5 und 6 abgebildeten Skiagramme (siehe in Fig. 19 die
danach gefertigten Rekonstruktionsbilder) des rechten in gestreckter, des linken in stumpf-
Joachimsthal, Untere Extremitäten. 4
26 III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe.
winkeliger Beugestellung befindlichen Kniegelenks, bei an der Aussenseite anliegenden Platten
angeferligt, ergeben beiderseits eine Zweiteilung der Patella. Diese lHegt ausserdem ab-
norm hoch und hat in charakteristischer Weise ihre Gestalt veråndert.
Die Verhåltnisse werden verståndlicher, wenn wir zunåchst die Gestalt der normalen
Patella und ihr Lageverhåltnis zum Femur kurz erårtern.
Bekanntermassen bildet sich, wie dies schon H. v. Meyer hervorgehoben hat,
durch die Reibung der Trochlea femoris gegen die Kniescheibe auf dieser ein der Trochlea-
Rinne entsprechender senkrechter Wulst, welcher die Gelenkfläche in zwei nebeneinanderliegende
Hälften teilt. Senkrecht dazu besteht ein querer Wulst. Diese beiden kreuzweise angeordneten
Erhabenheiten bedingen somit die Form der Patellargelenkfläche, indem diese dadurch in vier
Teile zerlegt wird, deren paarweise Gruppierung die Bezeichnungen als oberes, unteres, äusseres
und inneres Doppelfeld rechtfertigen. Der unterhalb der überknorpelten Zone übrigbleibende,
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Fig. 19.
Angeborene Verdoppelung beider Kniescheiben bei einer 33 jährigen Patientin.
(Rekonstruktionsbild zu Tafel IV, Fig. 5 u. 6.)
etwa fingerbreite Teil der Hinterfläche der Kniescheibe bildet mit der Gelenkfläche etwa einen
Winkel von 135° und trifft an dem Apex patellae unter mehr oder weniger spitzen Winkel
mit der Vorderfläche zusammen. Diese Gliederung der Patella in eine obere überknorpelte
Fläche und einen winkelförmig von dieser abgehenden nicht überknorpelten Teil ist, wie wir
sehen werden, im wesentlichen der normal gelagerten menschlichen Kniescheibe eigen-
tümlich.
Bei gestrecktem Knie steht das untere Doppelfeld der Kniescheibe dem oberen Teil
der Trochlea gegeniiber. Wird der Unterschenkel gebeugt, so gleitet dieses selbe Feld so lange
auf dem oberen Teil der Trochlea hin, bis der oben beschriebene Querwulst die hóchste Stelle
der Rollenkonvexitát erreicht hat. Nun findet gleichsam ein Umkippen der Patella statt, indem
von nun ab das obere Doppelfeld der Kniescheibe mit dem unteren Teil der Trochlea zur
Artikulation gelangt und mit zunehmender Beugung in derselben Weise wie zuerst, jedoch
mit ausgewechselten Feldern, über die Rolle nach abwärts gleitet.
Abgesehen von dem rein physiologischen Interesse, welches dieser komplizierte Apparat
III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 27
beansprucht, ist die genaue Kenntnis der normalen Lage der Gelenkflåche insofern bedeutungs-
voll, als, wie schon in einer auf meine Anregung gefertigten Arbeit von Peltesohn hervor-
gehoben wurde, mit abnormer Stellung der Patella die Form derselben gewissen Umgestaltungen
unterliegt, auf die ich weiter unten zurückzukommen Gelegenheit haben werde.
Um für die auf Tafel IV, Fig. 5 u. 6 sowie in Fig. 19 wiedergegebenen Skiagramme
Vergleichsobjekte zu gewinnen, an denen die normalen Verhältnisse hervortreten, habe ich
eine Anzahl von Bildern von dem Kniegelenke eines Erwachsenen in verschiedenen Phasen der
Beugung hergestellt. Die photographische Platte sowie die Lichtquelle befanden sich dabei
rein seitlich.
Die Kniescheibe erscheint auf solchen Skiagrammen, gerade so wie auf einem durch
die Mitte sagittal gelegten Schnitt, annähernd als ein ungleichseitiges Parallelogramm, dessen
längere Seiten erstens von der dem Femur zugekehrten Artikulationsfläche (also die vier oben
beschriebenen Doppelfelder zusammengerechnet), zweitens von der vorderen, unter der Haut
liegenden Fläche gebildet werden, deren kürzere Seiten erstens der Ansatzstelle der Quadriceps-
sehne und zweitens derjenigen Fläche entsprechen, die, vom unteren Rande der Doppelfelder
beginnend, bis zum Apex patellae reicht. Diese Normalform vorausgesetzt, liegt bei gestrecktem
Bein (Tafel IV, Fig. 2) die Patella mit der unteren Hälfte ihrer langen Artikulationsfläche
dem höchsten Teil der Trachlea an, während die obere Hälfte bedeutend vom Femurknochen
entfernt ist und sie also in keinem Punkte berührt. Diese Verhältnisse ändern sich bei Beugung
bis 120° in der Weise, dass jetzt nur der mittelste Teil der Kniescheibengelenkfläche den
Femurknochen berührt. Oberhalb und unterhalb davon sieht man allmählich breiter werdende
Zonen auf dem Röntgenbilde Dieses Bild entspricht also dem von v. Meyer als Ausgangs-
punkt genommenen mittleren Beugungsstadium, bei dem der Querwulst der Kniescheiben-
artikulationsfläche ausschliesslich mit dem höchsten .Punkt der Rollenkonvexität in Kontakt
steht. Verfolgen wir die Beugung bis zum rechten Winkel, so liegt jetzt die obere Hälfte
der langen Kniescheibenartikulationsfläche einer weiter nach abwärts gelegenen Femurstelle an,
welche ungefähr in der Verlängerung der Femurachse liegt. Bei maximaler Beugung endlich
berühren sich nur noch der höchste Teil der Kniescheibe und die an die Fossa condyloidea
grenzenden Teile des Feniur. Diese Bilder bestätigen also vollkommen die Befunde H. v. Meyers
und orientieren uns ferner leicht tiber die jeweilige Stellung der Kniescheibe.
Stellen wir sie in Vergleich mit den von der in Rede stehenden Kranken gefertigten
Bildern, so fällt uns hier zunächst eine beträchtliche Längenausdehnung der in toto nach oben
verschobenen Kniescheibe auf. An dem rechten Knie hat die Patella von der oberen, dem
Femur zugewandten Partie bis zur unteren Spitze, die ihrerseits von dem als Tuberositas
tibiae anzusprechenden Teil 5 cm entfernt bleibt, eine Länge von ca. 7 cm. Dabei ist in auf-
fallender Weise ihre Gestalt so verändert, dass ihr Durchschnitt statt desjenigen eines Parallelo-
gramms den eines annähernden Dreiecks angenommen hat, dessen eine dem Femur anliegende
Seite im oberen Teil konkav geschweift ist, dessen zweite der Vorderfläche des Knies ent-
sprechende Seite in dem oberen Teil eine leichte Konvexität aufweist, während die dritte, kurze
Seite der Ansatzstelle der Quadricepssehne entspricht. Die Kniescheibe ist mit ihrem grösseren
Anteil weit über das Bereich der Kondylen nach oben gerückt, ihre Spitze ist ca. 3 cm von
der Gelenklinie entfernt. Ca. 2 cm nach oben von der Spitze zeigt sich eine anscheinend durch
die ganze Dicke bis nahe zur hinteren Fläche hindurchgehende Trennungslinie,
durch die demnach die Kniescheibe in ein unteres kleineres und ein grösseres
oberes Segment zerfällt.
Könnte die Betrachtung des Skiagramms des rechten Kniegelenkes allein so den Ein-
druck erwecken, dass wir es hier mit den Folgen einer Patellarfraktur zu thun haben, so lässt
die Betrachtung des Skiagramms des rechten Kniegelenks in dieser Beziehung jeden Zweifel
schwinden und nur die Annahme einer angeborenen Zweiteilung zu. Findet sich doch hier
genau an der gleichen Stelle eine fast die ganze Kontinuität des Knochens durch-
4*
98 III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe.
setzende breite helle Zone. Nur in der Mitte scheint eine kleine Brücke zwischen beiden
Teilen der Kniescheibe zu bestehen. Der Hochstand und die Gestalt der Patella sind die gleichen
wie an der rechten Seite. Gemäss den im nächsten Abschnitt zu besprechenden Verhältnissen,
auf die ich verweise, haben wir es hier offenbar mit den Folgen der in früher Kindheit
erworbenen spastischen Erkrankung im Bereiche der Oberschenkelmuskulatur zu thun, mög-
licherweise mit der angeborenen spastischen Gliederstarre selbst.
Der Zufall fügte es, dass ich
an dieser Stelle noch über ein neues
Präparat von Spaltbildung der Patella
zu berichten vermag. Dasselbe stammt
aus der Sammlung des verstorbenen Ge-
heimen Medizinalrats Prof. Dr. Du Bois
Reymond und wurde mir in freund-
lichster Weise von seinem Sohne, Herrn
Privatdozenten Dr. Rene Du Bois
Reymond, der durch die auf Tafel IV,
Fig. 5 u. 6 abgebildeten Skiagramme
auf die Seltenheit der Anomalie auf-
merksam geworden war, überlassen.
Wie dies auf Fig. 20 deutlich erkenn-
bar ist, ist an beiden Kniescheiben
Fig. 20. das laterale Viertel durch einen
Spaltbildung an beiden Kniescheiben. senkrecht herablaufenden Spalt
von den medialen drei Vierteln
abgetrennt. Die Symmetrie der Bildung, namentlich aber die deutliche Verzahnung an den
Spalträndern lässt auch hier nur die Annahme einer Bildungsstörung zu.
Ich möchte an dieser Stelle nur noch auf die praktische Bedeutung der vorliegenden
Befunde hinweisen. Die Durchleuchtung nur des einen Kniegelenks hätte möglieherweise zu
der fälschlichen Annahme einer voraufgegangenen Patellarfraktur führen können. Erst der
Vergleich mit der anderen Seite, an der in genau identischer Weise eine Zweiteilung bestand,
konnte in Bezug auf den angeborenen Charakter der Verbildung jeden Zweifel aufheben.
C. Der angeborene Hochstand der Kniescheibe.
Der schon im vorigen Abschnitt erwähnte Hochstand der Kniescheibe ist, worauf bisher
nur von Schulthess, mir selbst und in der obenerwähnten auf meine Anregung gefertigten
Dissertation von Peltesohn hingewiesen wurde, ein, wie es scheint, ausschliesslich bei der
angeborenen spastischen Gliederstarre zu beobachtendes Phänomen und demnach von hoher
differentiell-diagnostischer Bedeutung.
Man bezeichnet bekanntlich mit dem Namen der angeborenen spastischen Gliederstarre
oder Little’schen Krankheit einen Symptomenkomplex, dessen Ursache wir in gewissen cere-
bralen Veränderungen, teils kongenitalen Defekten, teils Verletzungen des Grosshirns suchen,
wie letztere bei schweren oder lange sich hinziehenden Geburten eintreten können. Ausser
Störungen des psychischen Verhaltens in den verschiedensten Abstufungen, Strabismus, gelegent-
lich auftretenden Konvulsionen, findet sich als konstantestes Symptom eine spastische Erkrankung,
namentlich im Bereiche der unteren Gliedmassen, die die Kinder oft vollständig unfähig zum
Gehen macht. Durch Überwiegen der Adduktoren der Oberschenkel, der Knieflexoren und der
Wadenmuskulatur bei diesen Spasmen entsteht eine charakteristische Stellung der Gliedmassen,
wie sie das auf Fig. 21 wiedergegebene Bild einer fünfjährigen in meiner Poliklinik behandelten
Patientin illustriert. Die Oberschenkel waren hier so intensiv aneinandergedrängt, dass ihre
Abduktion selbst bei stärkster Gewaltanwendung nicht gelang. Die Kniee standen gebeugt, die
III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 29
Fersen in die Höhe gezogen, so dass hier jede Art der Fortbewegung auf den Beinen, ja selbst
das Sitzen zur Unmöglichkeit wurde Durch Tenotonmien an den Adduktoren der Oberschenkel,
den Knieflexoren und den Achillessehnen, Gipsverbände in überkorrigierter Stellung und nach-
folgende orthopädische Massnahmen ist es mir gelungen, die Kleine zur selbständigen Fort-
bewegung zu befähigen. Patientin wurde von mir in diesem gebesserten Zustande am
6. Februar 1901 der Berliner medizinischen Gesellschaft demonstriert.
Was ich nun speziell an dieser Kranken zeigen möchte, das ist eine eigentümliche,
bei Beteiligung des Kniegelenks stets wiederkehrende Stellungsveränderung der Kniescheibe, die
besonders bei spitzwinkliger Beugung in die Augen fällt. Die Kuppe der Krümmung wird
hier nicht, wie beim normalen Knie, vom Condylus internus und von der oberen Partie der
Patella gebildet, sondern von der Patella allein und
zwar von einem ihrer Mitte nahegelegenen Punkte. Das
Knie bekommt dadurch ein eigentümliches, an das Knie
von Tieren erinnerndes spitzes Aussehen. Die Distanz
von dem untern Patellarende bis zur Tuberositas tibiae
ist grösser geworden, und damit das Ligamentum
patellae unzweifelhaft verlängert. Sehr deutlich lässt
sich dieses von der Norm abweichende Verhalten an
Röntgenbildern vor Augen führen. Unter gewöhnlichen
Verhältnissen steht die Patella, wie man das an einem
von dem Knie eines normalen siebenjährigen Mädchens
gewonnenen Bilde sieht (Taf. V, Fig. 1), unterhalb einer
in der Verlängerung der Femurachse gezogenen Linie.
An dem von der Patientin mit Little’scher Krankheit
gefertigten Skiagramm (Taf. V, Fig.2) ist sie beträcht-
lich, und zwar um mindestens 1?/, cm, in die Höhe
gerückt.
Ein weiteres diese Verhältnisse vortrefflich
wiedergebendes Bild (Taf. V, Fig. 3) stammt von einem
an dem gleichen Übel leidenden elfjährigen Knaben,
dessen Beobachtung ich Herrn Kollegen Reichardt in
Magdeburg verdanke. An dem nach längerer Behand-
lung in Streckstellung des Kniegelenkes gewonnenen
Röntgogramm findet sich hier die Kniescheibe vollkommen
im Bereich der Diaphyse des Femur, im Gegensatz zu
dem normalen Verhalten bei einem Kinde gleichen
Alters (Taf. 5, Fig. 4), bei dem etwa zwei Drittel des
Knochens vor der unteren Epiphyse des Oberschenkels
liegen. Ähnlich charakteristische Unterschiede finden
sich an den in rechtwinkliger Stellung hergestellten — VR OR
Bildern derselben Patienten (Taf. V, Fig. 5 u. 6). Wäh- SO er ae oe eae
Š 7 e b d Š 5 jåhrigen Patientin mit angeborener `
rend die Kniescheibe sich normalerweise der gleich- spastischer Gliederstarre (Little'schen
mässigen Rundung des Kniegelenkes anpasst, findet sich Krankheit).
bei der angeborenen spastischen Gliederstarre eine
starke, durch den oberen Teil der hinaufgerückten Patella entstehende Hervorragung.
Wir finden auf den Róntgenbildern dieses elfjährigen Patienten dieselbe Formver-
änderung der Patella bereits angedeutet, wie wir sie in ausgesprochener Weise bei der im
vorigen Kapitel besprochenen Kranken kennen gelernt haben (Taf. IV, Fig. 5 und 6). Genau
entsprechend dem Verhalten der Kniescheibe bei denjenigen Tieren, bei denen sie, wie ich
zeigen konnte, normalerweise weit am Oberschenkel in die Höhe gerückt ist (Hund, Katze,
30 IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses.
Kaninchen, Meerschweinchen, Ratte ete.), lässt auch hier die Patella die Einteilung der hinteren
Fläche in einen oberen, die Artikulation mit dem Femur besorgenden und einen unteren, unter
stumpfen Winkel von diesem nach vorn ziehenden Teil vermissen. Ihre ganze hintere Fläche
hat sich, der gleichmässigen Anlagerung an den Oberschenkelknochen entsprechend,
in eine von oben nach unten concav geschweifte Fläche verwandelt.
Fragen wir nach der Ursache des Hochstandes der Patella bei der Little'schen Krank-
heit, so erweisen sich zwei Erklärungen als möglich.
Entweder handelt es sich bei dieser Affektion um eine Anpassung der Streckmusku-
latur an die durch die Spasmen eingeschränkte Beweglichkeit des Kniegelenkes. Wir wissen
durch eine Reihe von Beobachtungen und Experimenten, wie sie Strasser, Roux, Marey
und ich selbst angestellt haben, dass bei einer dauernden Einschränkung der Beweglichkeit
eines Körperteiles eine Verkürzung des bewegenden Muskels und eine Verlängerung seiner
Sehne eintritt. Am bekanntesten ist hier das Variieren der Länge des Wadenmuskels. Ver-
kürzt man den Processus posterior calcanei und verringert damit seine Exkursion beim Über-
gang aus der Beugung in die Streckung des Fusses, oder ist die Beweglichkeit des Fuss-
gelenkes und damit der Ausschlag des Hackenfortsatzes dauernd eingeschränkt, wie
beispielsweise selbst nach der bestgelungensten Behandlung des angeborenen Klumpfusses, so
verkürzt sich der Bauch des Wadenmuskels bis auf die Länge des oberen Unterschenkeldrittels,
und verlängert sich die Achillessehne entsprechend.
So könnte man auch bei der Little’schen Krankheit, einer durch die Spasmen
bewirkten Einschränkung der Beweglichkeit des Kniegelenkes zufolge, eine Verlängerung der
Sehne des Quadriceps annehmen. Ein Hinaufrücken der Patella in der eben geschilderten
Weise würde indes hierbei schon deshalb kaum zu erwarten sein, weil der Hauptanteil der
Verlängerung auf den oberhalb der Patella gelegenen Teil der Sehne entfallen müsste. Auch
ist hier, in Gegensatz zu den vorhin angedeuteten, zu funktionellen Umwandlungen im Bereiche
der Muskulatur führenden Verhältnissen, die Einschränkung der Beweglichkeit keine dauernde,
sondern nur eine intermittierende. Lassen die Spasmen nach, so gelingt zeitweise — nament-
lich nach vorausgeschickter Verlängerung der Beugesehnen durch Tenotomien — die Bewegung
des Gelenkes in: vnllem Umfange — und trotzdem bleibt, wie wir feststellen konnten, das
Phänomen bestehen.
Bei den Widersprüchen, die somit die Erklärung des Hochstandes der Patella auf dem
eben angedeuteten Wege findet, bleibt nur eine andere Annahme übrig, nämlich die, dass bei
der Little’schen Krankheit durch die dauernden Spasmen eine Dehnung und Ver-
längerung der Patellarsehne durch Störung ihrer normalen Entwicklung und
damit das charakteristische Verhalten der Kniescheibe zu stande kommt, das
übrigens, so weit bisher bekannt, lediglich der Little’schen Krankheit eigentümlich, dagegen
bei den verschiedensten im späteren Leben auftretenden spastischen Erkrankungen der unteren
Gliedmassen zu fehlen scheint.
IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses.
Das Studium der überzähligen Bildungen im Bereiche des Fusses ist gleichfalls durch
die Anwendung des Röntgenverfahrens sehr erleichtert worden. Wir haben es hier in der
Regel mit Doppelbildungen im Bereiche der Zehen und der Metatarsalknochen zu thun. Der
überzählige Teil sitzt, ähnlich wie an der Hand, mit Vorliebe am Rande des Fusses, an der
tibialen oder fibularen Seite resp. an beiden gleichzeitig, so dass dann Anlagen zu je sieben
Zehen entstehen. Daneben finden sich indes auch Doppelbildungen mittlerer Zehen. Ge-
legentlich werden ganze Abschnitte des Fusses verdoppelt. Vielfach besteht für die über-
zählige Zehe ein vollkommen ausgebildeter Metatarsalknochen, oder ein Mittelfussknochen teilt
IV. Uberzåhlige Bildungen im Bereiche des Fusses. 31
sich gabelförmig in zwei Ausläufer. Die beiden Zehen sitzen in anderen Fällen auf zwei
getrennten Gelenkflächen des distalen Endes des Metatarsale. Schliesslich können auch die
Doppelbildungen erst im Bereiche der Phalangen stattfinden. Für die Doppelbildungen der
fünften Zehe hat Pfitzner den Nachweis erbracht, dass vielfach der tibiale Zwilling drei-,
der fibulare zweigliedrig ist, dass die fibulare Zehe eine ihrer ganzen Form nach ausgesprochene
fünfte Zehe ist, während die tibiale Zehe niemals eine fünfte repräsentieren kann, sondern
eine typische vierte Zehe darstellt — ein Verhalten, das ich bei meinen Kranken vielfach
bestätigt fand. |
Aus der grossen Zahl meiner eigenen Beobachtungen überzähliger Zehen mögen einige
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Fig. 22b.
Polydaktylie an beiden Füssen eines 36 jährigen Patienten.
(Rekonstruktionsbild zu Tafel V, Fig. 9)
hier besprochen werden. Meist bestand bei den betreffenden Patienten gleichzeitig Polydaktylie
an den Händen. |
Die auf Tafel V, Fig. 9 wiedergegebenen Skiagramme, nach denen die in Fig. 22
abgebildeten Rekonstruktionsbilder gezeichnet sind, entstammen einem 36jährigen Patienten
ohne Missbildungen in Ascendenz und Descendenz. Linkerseits (Fig. 22a) artikulieren die
fünfte und sechste Zehe an dem distalen Ende des vierten Metatarsale. Rechterseits (Fig. 22b)
besteht eine Gabelung in der Mitte dieses Knochens. Auch hier ist der tibiale Zwilling drei-
gliedrig, der fibulare zweigliedrig.
An dem auf Tafel V, Fig. 10 wiedergegebenen Skiagramm des rechten Fusses eines
50jährigen Patienten findet sich ausnahmsweise eime dreigliedrige sechste Zehe.
Tafel V, Fig. 7 zeigt das mir von Herrn Stabsarzt Dr. Niehues-Bonn freundlichst
übersandte Skiagramm eines Neugeborenen. Der rechte Fuss besitzt hier sieben Zehen und
Metatarsalia. Die beiden von dem übrigen Fuss durch eine Spalte abgetrennten überzähligen
Zehen sind offenbar eine Grosszehe und eine doppelte zweite Zehe. Denn die am meisten
medialwärts gelegene besitzt zwei, die folgende drei Phalangen.
32 IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses.
Tafel V, Fig. 8 und die in Fig. 23 wiedergegebenen Rekonstruktionsbilder zeigen die
Füsse eines 48jährigen Kranken. Ihm waren in frühester Jugend sechste Finger, die neben
den kleinen ihren Platz hatten, entfernt worden. Diese letzteren lassen noch jetzt eine abnorme
Breite ihrer Endglieder und der auf denselben sitzenden Nägel erkennen. An den Füssen fällt
neben einer besonders markanten Verbreiterung der zweiten Grosszehenphalangen das Vor-
handensein voll ausgebildeter sechster Zehen auf. Dieselben sind unter dem Stiefeldruck etwas
abgeplattet und verschoben, wie wir es ja häufig auch an normalen Füssen zu sehen Gelegen-
heit haben. Nach dem Röntgenbilde erweisen sich die Mittelfussknochen links gleichfalls um
einen vermehrt. Metatarsale III und IV artıkulieren hier mit dem Cuneiforme III, Met. IV
und V mit dem Cuboides. Rechterseits besteht ein Metatarsale V bipartitum. Die Trennung
Fig. 23. Fig. 24.
Anlagen zu je sieben Zehen an beiden Füssen eines 48 jährigen Doppelbildung an beiden
Kranken. kleinen Fingern desselben
(Rekonstruktionsbild zu Tafel V, Fig. 8. Kranken.
des einheitlichen Knochens in zwei Gabeln geschieht etwa in der Mitte. Die fibulare Zehe ist
wieder zwei-, die tibiale dreigliederig.
An den Halluces bestehen, neben eigentümlichen, deutlich auf den Bildern hervor-
tretenden Verschiebungen, Verdoppelungen der Endglieder, deren distale Abschnitte in je zwei
Zinken auslaufen. Bemerkenswert ist daneben das Vorhandensein von drei Sesambeinen. [Die-
selben sind auf den Rekonstruktionsbildern durchscheinend gezeichnet] Also auch hier
schon, nicht erst an den Endgliedern, besteht eine Verdoppelung.
Was die Hände des Kranken betrifft, so finden wir hier eine ähnliche Neigung zur
Gabelung an den kleinen Fingern. Die Spaltung in zwei Teile (Fig. 24) beginnt schon an den
distalen Abschnitten der zweiten Phalangen. Die ulnare Zinke ist namentlich linkerseits
schmäler als der radiale Teil. An dieser Stelle schliessen sich an die beiden Ausläufer
der Mittelglieder zwei getrennte Endphalangen, während rechterseits zunächst ein gemein-
sames Basalstück folgt, und eine nochmalige Trennung erst in dem peripheren Teil der
Schaufel eintritt.
Berücksichtigt man, dass an den Händen des Kranken, wie oben erwähnt, in frühem
Alter weitere überzählige Teile entfernt worden sind, so bestanden auch hier, wie jetzt noch
an den Füssen, Anlagen zu je sieben Fingern.
Von den zwölf Kindern des Patienten haben sieben die Polydaktylie an Händen
und Füssen geerbt. Drei von ihnen, die noch am Leben sind, sind von mir untersucht
worden.
IV. Uberzåhlige Bildungen im Bereiche des Fusses. 33
Fig. 25a und Taf. V, Fig. 8 veranschau-
lichen die Fisse des jetzt 13jåhrigen Sohnes. Es
bestehen beiderseits zunächst sechs ausgebildete
Zehen. Die Gabelung des mit den beiden letzten
Zehen artikulierenden Metatarsale V beginnt rechts
erst am distalen Ende, links finden sich sechs aus-
gebildete Mittelfussknochen. Daneben besteht ein
weiterer nur mittelst des Röntgenverfahrens festzu-
stellender überzähliger Knochen zwischen dem 1. und
2. Metatarsale, von einem vorspringenden Teil des
ersten Keilbeins ausgehend und mit dem ersten Mittel-
fussknochen etwa in dessen Mitte in gelenkige Ver-
bindung tretend — offenbar das Rudiment eines
weiteren supernumerären Strahls.
An beiden Händen sind in früher Kindheit
überzählige Finger operativ entfernt worden. Man
konstatiert zur Zeit noch an der linken Hand an dem
ulnaren Rande des fünften Metatarsale nahe dessen
Capitulum unter einer Narbe einen etwa 1 cm langen
Knochenvorsprung. Derselbe erweist sich bei der
Durchleuchtung als ein seitlicher Ast des Mittel-
handknochens, der offenbar die Gelenkfläche für den
überzähligen Finger getragen hat und nach der Ex-
artikulation desselben mittelst des erhaltenen Epi-
physenknorpels die Fähigkeit, sich nachträglich zu
vergrössern, beibehalten hat.
Bei der z. Z. zweijährigen Schwester, bei
der ich selbst unmittelbar nach der Geburt ulnar-
wärts prominierende Äste der fünften Metacarpalia
nahe deren distalen Enden mitsamt den daran arti-
kulierenden sechsten Fingern entfernt habe — zur
Zeit sind nur noch kleine Narben beiderseits erkenn-
bar — finden sich beiderseits wiederum sechs Zehen
(s. Fig. 25b). Linkerseits zeigen die vierte und
Fig. 25c.
Überzählige Zehen bei drei Geschwistern.
fünfte Zehe Syndaktylie. Bei dem z. Z. jüngsten, jetzt sechs Wochen alten Kinde, habe ich vor
kurzem wiederum überzählige kleine Finger entfernt und eine Verwachsung zwischen viertem und
fünftem linken Finger getrennt.
Die Füsse (s. Fig. 25c) zeigen
sich vollkommen analog denen des
Vaters gebildet. Die überzähligen
kleinen Zehen, sowie die abnorm
breiten Halluces mit einer An-
deutung eines doppelten Nagels
lassen mit Sicherheit die An-
lagen zu sieben Zehen erkennen.
Tafel VI, Fig. 2 und
die schematischen Zeichnungen
in Fig. 26 zeigen die Röntgen-
aufnahmen der Füsse einer gleich-
Fig. 26.
zeitig mit einer Gaumenspalte Rekonstruktionsbild zu Tafel VI Fig. 2.
Joachimsthal, Untere Extremitäten.
5
34 IV. Uberzåhlige Bildungen im Bereiche des Fusses.
hehafteten ausgetragenen (mir von Herrn Dr. Mainzer iiberwiesenen) månnlichen Frucht. Man
erkennt an denselben ohne weiteres das Vorhandensein von nach Årt der Greifzehen des Affen
medialwärts angefügten grossen Zehen mit zwei Gliedern, während alleübrigen Zehen drei Glieder
Fig. 27.
Verdoppelung des Endgliedes der zweiten
rechten Zehe bei einem 7 jährigen Mädchen.
erkennen lassen. Erste und zweite vorhandene
Zehen fügen sich dem Metatarsale primum an.
Ist in diesem Falle nicht mit Sicherheit zu ent-
scheiden, welcher der vier fibularwärts gelagerten
Strahlen verdoppelt ist — höchstwahrscheinlich
der zweite — so zeigt der auf Fig. 27 abgebildete
rechte Fuss einer siebenjährigen Patientin meiner
Beobachtung eine zweifellose Verdoppelung
im Bereiche des zweiten Strahls. Auf dem
abnorm breiten Endgliede der zweiten rechten
Zehe sitzen zwei getrennte Nägel. Die Durch-
leuchtung (Fig. 28) zeigt eine einfache Mittel-
phalanx. Von den beiden in den Diaphysen
getrennten Endphalangen erweist sich die fibulare
wesentlich weiter in der Össifikation vorgeschritten,
als die noch keinen Knochenschatten zeigende
tibıale.
In Bezug auf das Zustandekommen der Hyperdactylie stehen sich bekanntlich ver-
schiedene Auffassungen gegenüber. Die Thatsache des gewöhnlichen Sitzes am Rande von
Hand und Fuss haben von Darwin an einer Reihe von Autoren, in neuerer Zeit namentlich
Bardeleben, dazu Veranlassung gegeben, die Anomalie im atavistischen Sinne als einen
Rückschlag auf einen vielfingrigen Urahn aufzufassen, indem „verlorene“ radiale, resp. ulnare,
Fig. 28. .
Rekonstruktionsbild desSkiagramms
des in Fig. 27 abgebildeten Fusses.
tibiale, resp. fibulare Strahlen, welche man beim Menschen,
vielen Säugetieren, Reptilien und Batrachiern in Gestalt
längst bekannter, meist als Sesambeine aufgefasster Knochen
finden wollte, in Form von supernumerären Teilen in die
Erscheinung treten sollten. Gegenbaur, Tornier, Zander
u. A. haben diese Auffassung der Hyperdactylie als einer
theromorphen Varietät auf das Schärfste bekämpft; sie würde
selbst im Falle einer Berechtigung nur die gewöhnlichen
Fälle von Doppelbildung am Rande von Hand und Fuss
erklären. Zwischen den normalen Fingern und Zehen auf-
tretende überzählige Bildungen, wie sie das Röntgenverfahren
mehr und mehr erkennen lässt — ich verweise auf die oben
besprochenen eigenen Beobachtungen, sowie auf die in
meiner Bearbeitung der angeborenen Verbildungen der oberen
Extremitäten geschilderten Fälle — werden, nachdem
Albrechts Versuch der Zurückführung derselben auf die
Rochen, bei denen jeder Finger mit beinahe mathematischer
Regelmässigkeit sich gegen den Flossenrand in zwei Finger
spaltet, wohl von keiner Seite Anerkennung gefunden hat,
allgemein zu den Missbildungen im eigentlichen Sinne
des Wortes gezählt.
Die Hyperdactylie als Missbildung kann auf zweierlei
Art und Weise zu stande kommen, infolge einer dem Keim von
Anfang an anhaftenden Eigentümlichkeit oder durch von aussen
V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses. 35
auf die Extremitåtenanlage wirkende Momente, von denen man namentlich amniotischen Falten
oder Fåden, die sich den vorwachsenden Gliedmassen entgegenstellen, in dieselben eindriicken
und einschneiden und Teile derselben mehr oder weniger abtrennen, fir die fragliche Verbildung
verantwortlich gemacht hat. Amnionfalten, welche die Finger und Zehen, wåhrend ihrer Onto-
genese fest einschliessen und dadurch am strahlenfórmigen Auseinanderwachsen hindern, sollten
dabei gleichzeitig die die Hyperdactylie wie auch in mehreren der oben wiedergegebenen
Beobachtungen gelegentlich begleitende Syndactylie erklåren. Der ersteren Auffassung der
Verbildung als Resultat einer abnormen Keimanlage huldigen u. A. Ziegler, Pott, Falken-
heim. Sie stützen ihre Anschauung gegenüber den Anhängern der mechanischen Theorie im
wesentlichen auf die so häufige Symmetrie und Erblichkeit der fraglichen Anomalien. Diese
beiden Argumente hat neuerdings besonders Zander zu entkräften sich bemüht. Er betont
mit Gegenbaur die häufige — ja auch in mehreren der obigen Fälle konstatierte — Verschieden-
heit beider Teile bei bilateral symmetrischer Polydactylie und verweist in der Erwägung, dass
der Embryo sowohl wie das Amnion zunächst eine vollständig bilaterale Symmetrie zeigen, auf
die Möglichkeit, dass gelegentlich Falten in dem Amnion genau symmetrisch auftreten und auf
die gleichen Stellen der Gliedmassen einwirken können. Mit der häufigen Vererbung der Poly-
dactylie findet sich Zander in der Weise ab, dass er die zum ersten Male in einer Familie
auftretende Missbildung als eine im obigen Sinne erworbene auffasst, die als in einer frühen
Entwickelungsperiode, zu einer Zeit, wo sich die einzelnen Organteile noch nicht differenziert
haben, entstanden, sich dem betreffenden Individuum so fest aufgeprägt, dass sie auf die Nach-
kommenschaft übertragen werden kann. Zander verfällt hierbei unbewusst selbst auf das
dunkle Gebiet der Keimesvariation. Wenn man überdies die Schwierigkeiten in Betracht zieht,
Fälle wie den auf Tafel V, Fig. 8 und in Fig. 23 abgebildeten von gleichzeitiger Doppelbildung
an den tibialen und fibularen Rändern beider Füsse oder wie den auf Tafel V, Fig. 7 wieder-
gegebenen von Wiederholung der ersten und zweiten Zehe am Innenrande eines sonst normalen
Fusses, auf mechanische Weise entstanden zu deuten — in einem vor kurzen von Stopnitzki
publizierten und von dem Autor auf amniotische Einwirkungen zurückgeführten Falle fanden
sich an dem einen Fuss eines zwölfjährigen Mädchens nicht weniger als elf Zehen — wenn
man weiterhin die häufige Kombination der Hyperdactylie mit Verbildungen innerer Organe
in Betracht zieht, so kann man nicht umhin, über die mechanische Erklärung des Zustande-
kommens der Hyperdactylie und Syndactylie, so sehr dieselbe auch unserm Kausalitätsbedürfnis
entsprechen würde, vor der Hand noch ein non liquet auszusprechen.
V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfasses.
Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets®treten zunächst als Begleiterscheinungen
der Defektbildungen der langen Röhrenknochen der unteren Extremität auf. So fehlen, wie wir
sahen, in der Regel beim Tibadefekt die grosse Zehe mit ihrem Mittelfussknochen, beim Defekt
der Fibula ein oder mehrere laterale Zehen mit entsprechenden Teilen des Metatarsus. Indem
ich in Bezug auf die Einzelheiten auf die entsprechenden Kapitel verweise, möchte ich in diesem
Abschnitt lediglich solche Fälle vereinen, in denen bei guter Ausbildung der proximalen Teile
des Gliedes einzelne Strahlen im Bereiche des Fusses ausgefallen sind. Fehlen dabei mittlere
Zehen ev. mit ihren Mittelfussknochen, so entsteht die als Spaltfuss bezeichnete Anomalie.
Die ausgesprochene Neigung dieser Defektbildungen zur Vererbung zeigt zunächst eine
Familie meiner Beobachtung, in der ich bei einem 47jährigen Kanzleibeamten (Fig. 29) und
dessen beiden einzigen Kindern, einem 13 jährigen Mädchen (Fig. 30) und einem 10 jährigen
Knaben (Fig. 31) beiderseits nur die kleine Zehe nachweisen konnte. An den Händen bestanden
gleichfalls analoge Defektbildungen. Sọ waren beim Vater beiderseits nur das vierte und fünfte
Metacarpale vorhanden. Rechts schloss sich an dieselben lediglich der fünfte Finger, linker-
seits waren vierte und fünfte Finger ausgebildet, aber durch Syndactylie vereinigt. Bei beiden
5*
36 V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses.
Kindern waren auf beiden Seiten nur die kleinen Finger zur Ausbildung gelangt. Im Bereiche
der Mittelhand lagen bemerkenswerte Variationen vor. Während bei dem Knaben nur zwei
Metacarpalia vorhanden waren, zeigte das Mädchen links wie rechts deren drei. Linkerseits
Fig. 29. Fig. 30.
Defektbildungen an beiden Händen und Füssen Defektbildungen an beiden Händen und Füssen
eines 47 jährigen Patienten. der 13 jährigen Tochter.
divergierten die beiden äusseren Metacarpalia in einem Winkel
von etwa 45° und schlossen an ihren unteren Enden einen
querliegenden Knochen zwischen sich, mit welchem sie somit
ein vollkommen geschlossenes, fast gleichseitiges Drei-
eck bildeten, dessen einander berührende Teile gelenkig mit
einander verbunden waren. Der beide Mittelhandknochen
verbindende Knochen trug weder den Charakter eines
Metacarpale, noch den einer Phalanx; denn er besass
an seinen beiden Enden — abweichend von den nor-
malen Röhrenknochen der Hand — Epiphysenkerne.
Im Gegensatz zu diesen Variationen im Bereiche der
Handverbildungen zeigen sich die Defektbildungen an den Füssen
der drei Kranken in durchaus gleicher Weise. Die Unter-
schenkelknochen sind normal. Auch die Fersengegend zeigt
ihre normale Gestaltung mit dem nach hinten vorspringenden
Hackenfortsatz, an dem die Achillessehne in gewöhnlicher Weise
inseriert. In der Malleolengabel artikuliert der Talus; an ihn
schliesst sich distalwärts ein Rudiment des Naviculare. Die
Sehne des Tibialis anticus springt als deutlicher zu diesem
Knochen ziehender Strang hervor. Von dieser Partie an besteht
der Fuss nur aus seinem äusseren dem fünften Mittelfussknochen
Dela ch und der fünften Zehe entsprechenden Anteil, während an dem
Hude E, eg Innenrande ein tiefer, halbmondförmiger Ausschnitt bemerkbar
10 jährigen Sohnes. wird. Um die Unterstützungsfläche zu vermehren, haben sich
bei allen drei Kranken, die übrigens andauernd und ohne
Beschwerden zu gehen vermögen, die einzigen vorhandenen fünften Zehen vollkommen nach
der medialen Seite umgelegt.
Fig. 31.
V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses. 87
Über die Verhëltnisse des vorderen Fussskeletts orientieren uns die Skiagramme, die
von den rechten Füssen gewonnen sind, und die entsprechenden Rekonstruktionszeichnungen.
Beim Vater (Taf. VI, Fig. 5 und Textfigur 32) sind noch Naviculare, Cuboid und
Fig. 39. Fig. 33.
Rekonstruktionsbild zu Tafel VI, Fig. 5. Rekonstruktionsbild zu Tafel VI, Fig. 4.
fünfter Strahl zu identifizieren. Bei letzterem sind wieder
Mittel- und Endphalanx verschmolzen. Das Metatarsale V
mit regelrechter Tuberositas schliesst möglicherweise in der
tibialen Partie seiner Basis ein assimiliertes Rudiment des
vierten Strahles ein. Am Naviculare liegt, anscheinend an-
geschmolzen, ein Rest von Cuneiforme I.
Bei der 13jährigen Tochter (Taf. VI, Fig. 4 u.
Textfigur 33) liegen die Verhältnisse sonst wie beim Vater;
der Rest vom Cuneiforme aber ist selbständiger und mit dem
Metatarsale V ist anscheinend kein Rudiment vom Metatar-
sale IV verschmolzen. Bei dem 10jährigen Sohn endlich
(Tafel VI, Fig. 6 u. Textfigur 34) besteht im Naviculare eine
kleine Ossifikation, vom Cuneiforme I fehlt jede Spur.
Einen Defekt lediglich der Mittelphalanx der
zweiten rechten Zehe zeigt das von einer 16 jährigen
Patientin meiner Beobachtung stammende, auf Tafel VI,
Fig. 3 wiedergegebene Skiagramm. Zwischen zweiter und
dritter Zehe bestand Syndactylie.
Für die Defektbildungen mittlerer Zehen ev. mit
ihren Metatarsalknochen ist von Kümmel die der Spalthand
analoge Bezeichnung des Spaltfusses eingeführt worden. Der Fig. 34.
Fuss wird durch den bei einem solchen Defekt entstehenden Rekonstruktionsbild zu Tafel VI,
Spalt in zwei ungleichartige, meist gegen einander bewegliche, Fig. 6.
38 V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses.
häufig opponierbare Hälften geteilt. Dabei pflegen die zu jeder Hälfte gehörigen Glieder
untereinander eine festere Zusammengehörigkeit zu zeigen und sind nicht selten durch Syn-
dactylie verbunden. Häufig ist die Affektion beiderseits vorhanden. Vielfach finden sich
daneben Spaltbildungen an den Händen. Nicht selten ist die Anomalie exquisit erblich. So
konnte Mayer über eine Familie berichten, in der Spalthand und Spaltfuss durch vier
Generationen zu verfolgen war. Vier aus drei verschiedenen Generationen stammende Fälle
konnten inittelst des Röntgenverfahrens durchforscht werden. Von den seit dem ersten Auf-
treten der Missbildung in der Familie geborenen 20 Mitgliedern zeigten 13 die in Rede
stehende Anomalie. Dabei unterlag es keinem Zweifel, dass die Affektion durch die männ-
lichen Vertreter weiter verbreitet wurde. Der erste Behaftete war zweimal verheiratet und
hat mit der ersten Frau zwei. mit der zweiten vier Kinder erzeugt; aber alle zeigten die
Missbildung. Aller-
dings scheint die
missbildende Kraft
immer an Intensität
abgenommen zu ha-
ben. Während näm-
lich der älteste Sohn
an allen vier Extre-
mitäten die Spaltbil-
dung aufwies, war
bei dem zweiten die
linke Hand verschont
geblieben; bei den
übrigen vier Kindern
waren nur die Füsse
befallen. Ähnliche
Abschwächungen in
der Art der Miss-
bildungen zeigten
sich bei anderen
Zweigen der Familie.
Ein vortreff-
Fig. 35. liches Beispiel eines
Doppelseitiger Spaltfuss bei einem 23 jährigen Patienten. doppelseitigen
Spaltfusses zeigt
Fig. 35, nach einer Photographie eines 23jährigen Patienten, die ich Herrn Geheimrat Garre
in Königsberg verdanke. Dem Kranken fehlte auch beiderseits der Mittelfinger und sein
Metacarpale. Während scheinbar ein Defekt dreier mittlerer Zehen vorliegt, deutet die Ver-
breiterung und Doppelbildung am Nagel der grossen Zehe auf eine Verschmelzung zweier
medialwärts gelegener Zehen hin, und ebenso scheint auch eine Verschmelzung zweier Mittelfuss-
knochen vorhanden zu sein. |
Klaren Einblick in die vorliegenden Verhältnisse kann uns am Lebenden nur das
Röntgenverfahren bieten, das ausser von Mayer in seinen Fällen auch von Roloff bei der
Untersuchung eines an Spaltfuss leidenden achtjährigen Knaben und von Perthes bei zwei
Knaben mit Defekten der mittleren Zehen bezw. Finger bereits herangezogen worden ist.
Auch mir bot sich vor kurzem durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Benda
Gelegenheit, Röntgenbilder eines Spaltfusses zu gewinnen (Taf. VI, Fig. 7 und 8). Es
handelte sich um eine im Krankenhaus am Urban an Abdoninaltyphus verstorbene 20 jährige
Patientin, die ausser multiplen Spontanamputationen im Bereiche der rechten Hand, einem
VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremität. 39
rechtsseitigen Klumpfuss, einer Hauttasche am Rücken, linker-
seits einen Spaltfuss zeigt. Es waren scheinbar nur drei
Zehen vorhanden, deren beide äussere durch Syndactylie ver-
bunden waren. Zwischen der ersten Zehe und den beiden
äusseren ging ein tiefer Spalt in den Mittelfuss hinein. Die
Röntgenbilder (Taf. VI, Fig. 7 u. 8, Aufnahmen von unten
und von der Seite) lassen hier das Vorhandensein aller fünf
Mittelfussknochen in der Anlage erkennen. An die beiden
ersten Metatarsalia, die in ıhren distalen Enden zu einem
einheitlichen Knochen verschmolzen sind, schliesst sich eine
einzige zweigliedrige Zehe. Die vierten und fünften Meta-
tarsalia mit ihren Zehen (letztere zweigliedrig) sind vorhanden,
während ein Rudiment des dritten Mittelfussknochens sich
dem zweiten anlagert. Von den Tarsalknochen fehlt das
dritte Keilbein. (Vergl. die Rekonstruktionszeichnung von
Tafel VI, Fig. 7 auf Fig. 36.)
So sehr auch das in dieser Beobachtung neben dem
Spaltfuss konstatierte Vorkommen anderweitiger Verbildungen,
deren Entstehung unter dem Einfluss amniotischer Einwir-
kungen allgemein acceptiert ist, wie beispielsweise der Spon-
tanamputationen, für die von Kümmel und Riedinger
verfochtene Hypothese einer mechanischen Erklärung des
Spaltfusses und der Spalthand spricht, so mahnt doch die
enorme Vererblichkeit der Missbildung sowie die Symmetrie
ihres Auftretens in dieser Beziehung zur Vorsicht. Kümmels Fig. 36.
Eintreten fir den oben angedeuteten ausschliesslichen Ent- Rekonstruktionsbild zu Tafel V i
stehungsmodus erscheint um so wunderbarer, als sich in dem Fig. 7.
von ihm mitgeteilten Falle die Verbildung gleichfalls durch — Linksseitiger Spaltfuss bei einer
mehrere Generationen vererbt hat. 20 jährigen Patientin.
VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremität.
Die in diesem Abschnitt zunächst genauer zu besprechende z. Z. 15jährige Patientin
leidet an einer angeborenen abnormen Grössenentwicklung der drei medialwärts liegenden Zehen
des rechten Fusses und ihrer Metatarsalknochen mit gleichzeitiger, wenn auch geringerer
Hypertrophie der Knochen des rechten Ober- und Unterschenkels. Sie ist wegen ihrer Ano-
malie, die sofort nach der Geburt bemerkt wurde und im Laufe der späteren Jahre wesentlich
auffallender geworden ist, bereits im Jahre 1895 von Herrn Dr. Adler der Berliner medicini-
schen Gesellschaft demonstriert worden.
Aus gesunder Familie stammend und sonst frei von Verbildungen, zeigt Patientin ein
höchst auffallendes Missverhältnis in der Ausbildung ihrer beiden Unterextreimitäten, speciell
beider Füsse. Der rechte Oberschenkel ist um 3, der rechte Unterschenkel um 1 cm länger
als der linke (s. Fig. 37).
Was speciell den rechten Fuss anlangt, so zeigt derselbe ein höchst frappierendes
Verhalten. Während die Fusswurzel bereits eine leichte Vergrösserung der einzelnen medial-
wärts liegenden Teile erkennen lässt, zeigen speciell die drei ersten Mittelfussknochen und die
ihnen entsprechenden Zehen eine sehr erhebliche Hypertrophie. Im Gegensatz dazu sind die
beiden letzten Metatarsalia und ihre. Zehen kleiner als auf der linken Seite. Einen sehr guten
Überblick über die einschlägigen Verhältnisse gewährt uns das Röntgenbild (Taf. VII, Fig. 1
und die entsprechende Rekonstruktionszeichnung Fig. 38), das gleichzeitig die Möglichkeit einer
40 VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremitåt.
ungefähren Messung bietet. Wie die beigefügte, auf Grund von Feststellungen am Röntgen-
bilde hergestellte Tabelle erkennen lässt, zeigt beispielsweise der zweite Mittelfussknochen eine
Zunahme von 4,0, der dritte eine solche von 3,4 cm gegenüber der linken Seite; die ersten
| I II | HI | IV Vv
' rechts links rechts links rechts links rechts links rechts links
Metatars. 80 70 | 120 80 11,0 7,6 E 3 ÓN
Diff. +10 + 4,0 — — 3 05
Gph. 30 4,5 40 2,5 50 2,2 it Y. 15 AS
Diff. ` 1,5 +15 + 2,8 — 0,9 0%
Mph. N e $i 28 10 2,1 05 19 . 05 2,0
Diff. == +12 11 — O a
Eph. 35 2,0 | 15 0,9 is 69 | 03. 08 1.05. 04
Diff. ES +0,6 CN
Zehenglieder der beiden medialwårts liegenden Zehen sind rechts 1,5, dasjenige der Mittelzehe
2,8 cm långer als links, wåhrend die einzelnen Glieder des vierten und finften Strahles selbst
bis zu 1,5 cm kleiner auf der rechten als diejenigen auf der linken Seite erscheinen. Auf diese
Weise ergiebt sich ein so beträchtlicher Längenunterschied beider Füsse, dass die Entfernung
von der Ferse bis zur Spitze der zweiten Zehe
einen Unterschied von 3 cm erkennen lässt (r. 30,
l. 22 cm). Der rechte Fuss ist abgeflacht und
steht in leichter Valgusstellung, wodurch an der
Fig. 37.
Partieller Riesenwuchs am rechten Fuss einer 15 jährigen Patientin.
Innenseite eine starke Prominenz des Caput tali erzeugt wird. Ausser der Verlängerung und
gleichzeitigen Verdickung der Knochen konstatiert man im Bereich des ossifizierten Fuss-
abschnittes eine leicht elephantiastische Hyperplasie des Unterhautbindegewebes. Der Umfang
an der Ansatzstelle der kleinen Zehe beträgt rechts 26, links 20 em. Die Gelenke sind durch-
weg frei, die Beweglichkeit sämtlicher fünf Zehen, überhaupt die Beweglichkeit des Fusses
ungestårt. Die Sensibilität zeigt keine Veränderungen. An den Nägeln bestehen Nagelbett-
entziindungen, so dass ich zur Entfernung derselben gezwungen wurde.
An den affizierten Metatarsalia konstatiert man auf dem Skiagramm im Bereiche der
epiphysären Zone eine Verschwommenheit und Aufhellung des Knochengewebes. Während
linkerseits die distalwärts gelagerten Epiphysen durch helle, den Wachstumsknorpeln ent-
VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremitåt. 41
sprechende Zonen von der Diaphyse abgesetzt sind, sind an der kranken Seite die Epiphysen-
linien nicht mehr erkennbar. An dem vierten und finften Mittelfussknochen treten die-
selben wieder ebenso deutlich wie linkerseits hervor. Die Phalangen zeigen beiderseits bereits
eine Verschmelzung der Dia- und Epiphysen. Die Patella lässt beiderseits dieselbe Grösse und
Gestaltung erkennen. An den beiden Beckenhälften konstatiert man auch am Röntgenbild
keine Unterschiede. _
Der angeborene Riesenwuchs hat in der Neuzeit mehrfach Veranlassung zu Bearbei-
tungen gegeben. P. Wagner konnte in einer 1887
veröffentlichten Arbeit 46 Fälle zusammenstellen.
Weitere Mitteilungen einschlägiger Beobachtungen
verdanken wir u. A. Masmejean, Waitz, Machen-
hauer, Hoberg, v. Torday, Galvani, Grünfeld
und Köhler. Galvanis, Grünfelds und Köhlers
Fälle betrafen in
ähnlicher Weise
wie der unsrige
einzelne Metatar-
salknochen und
Zehen, während
die andern an-
nähernd normale
Verhältnisse dar-
boten. In Gal-
vanis Fall han-
delt es sich um
ein elfmonatliches
Kind, dessen linker
Fuss schon seit
der Geburt ein
übernormales Vo-
lumen besass. Die
zweite Phalanx der
grossen Zehe war
fast verdoppelt
und beinahe kug-
lig. Nach und
nach wurde von
der Deformitát
auch noch die
erste Phalanx be-
fallen, die sich Fig. 37.
gleichfalls ver. Partieller Riesenwuchs am rechten Fuss einer 15 jährigen Patientin.
grösserte und ab- Rekonstruktionsbild zu Tafel VII, Fig. 1.
rundete. Auch das
Metatarsale hatte eine Volumenzunahme erfahren, später begann auch die zweite Phalanx der
zweiten Zehe sich zu vergrössern. In Köhlers Falle handelte es sich um einen 18jährigen
Mann, dessen zweite und dritte Zehe am rechten Fuss beträchtlich vergrössert waren. Gleich-
zeitig fand sich an der Tibia desselben Fusses ein gestieltes Osteom. In dem Griúnfeld'schen
Falle, der, ebenso wie der eben erwähnte, bereits mittelst des Röntgenverfahrens durchforscht
worden ist, ergab sich ausser einem partiellen Riesenwuchs der rechten grossen Zehe und des
Josohimsthal, Untere Extremitäten. 6
42 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität.
entsprechenden Mittelfussknochens eine Hypertrophie nicht nur sämtlicher Knochen der linken
unteren Extremität, sondern auch der ganzen linken Beckenhälfte. Die linke Kniescheibe zeigte
an ihrem oberen äusseren Winkel einen unter der Haut stark prominierenden, wallnussgrossen,
knöchernen Höcker. Von irgendwelchen auf dem Skiagramm erkennbaren Veränderungen in
dem Aufbau der Knochen wird hier nichts berichtet.
Ich möchte dem gegenüber auf die Thatsache hinweisen, dass in unserem Falle im
Bereiche der Epiphysen der Mittelfussknochen ein eigentümlich verschwommenes Bild vor-
liegt, sowie dass hier eine vorzeitige Verknöcherung der Epiphysenlinien ein-
getreten ist, die die Lingenzunahme der affizierten Knochen z. Z. wohl als abgeschlossen
annehmen lässt. Diese Feststellungen erscheinen namentlich mit Rücksicht auf die von Broca
aufgestellte Hypothese interessant, welche als letzte Ursache der congenitalen Anomalie eine
noch unbekannte Störung des epiphysären und periostealen Knochenwachstums annimmt. Unter
dem Einfluss der verstärkten Ernährung der Teile soll auch die Massenzunahme in den übrigen
Weichteilen zu stande kommen.
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität.
A. Beiträge zum Verhalten des Hüftgelenks bei der angeborenen Verrenkung.
Die angeborene Luxation des Hüftgelenkes hat bereits in dem dritten Heft des Archivs
und Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern durch
Schede eine eingehende Bearbeitung gefunden. Ich beschränke mich daher, indem ich im
übrigen auf dieses Werk verweise, darauf, an den Bildern einer Anzahl von anatomischen
Präparaten diejenigen Veränderungen vor Augen zu führen, die bei der unbehändelt gebliebenen
Luxation des Hüftgelenks im späteren Lebensalter sich auszubilden und die erheblichen durch
diese Deformität bedingten Störungen zu stande zu bringen pflegen. Im Anschluss daran werde
ich eine Anzahl von Patienten meiner Beobachtung, die ich zum Teil auf dem 30. Kongress
der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Jahre 1901, zum Teil am 7. Mai 1902 der Ber-
liner medizinischen Gesellschaft vorgeführt habe, besprechen. Ich habe bei ihnen vor längerer
Zeit mit dauerndem Erfolg die unblutige Reposition des congenital verrenkten Kopfes. voll-
führt und dann mit Hülfe von in regelmässigen Zwischenräumen vorgenommenen Durch-
leuchtungen die Umwandlungen zu studieren versucht, die sich im Anschluss an diesen Eingriff
an den einzelnen Teilen des Gelenks vollziehen. Aus dem Vergleich der Präparate und den
Ergebnissen der Behandlung werden sich gewisse Grenzen für das in anatomischer Hinsicht
bei dieser Anomalie überhaupt Erreichbare ergeben.
Dem ersten Teil meiner Ausführungen dienen fünf Präparate angeborener Hüftluxationen,
von denen zwei mir von Herrn Prof. v. Hansemann aus der Sammlung des hiesigen Kranken-
hauses am Friedrichshain, ein weiteres Bänderpräparat aus der chirurgischen Klinik zu Rostock
von Herrn Geh. Rat Prof. Garr& freundlichst überlassen wurden, während die beiden anderen
Präparate meiner eigenen Sammlung entstammen.
Es wird sich empfehlen, die Veränderungen an den einzelnen Teilen des Gelenks der
Reihe nach einer gesonderten Besprechung zu unterziehen. :
Das grösste Interesse nimmt zunächst die Pfanne für sich in Anspruch. Dieselbe ist
an allen fünf Präparaten, von denen zwei doppelseitige Verrenkungen aufweisen, und zwar stets
in deutlichster Weise, vorhanden. Sie ist kleiner und flacher als normal, dabei aber an ein-
zelnen Präparaten so vertieft, dass ein stark abgeschliffener Kopf, wie es beispielsweise an dem
einer rechtsseitigen angeborenen Luxation eines Erwachsenen entsprechenden Gelenk (Fig. 38)
der Fall ist, namentlich in Abduktionslage, noch notdürftig in ihr Platz findet. Stets hat die
Pfanne die ihr normale Gestalt einer Hohlkugel verloren und sich dabei in eine mehr plane
Fläche von der Form eines gleichschenkligen Dreiecks verwandelt, deren obere und namentlich
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 43
hintere Umrandungen wallartig vorspringen; dem Foramen obturatorium gegenüber besteht
kein Grenzwall. Während in den meisten Beschreibungen die Pfanne bei Erwachsenen in der
Regel als von der Grösse eines kaum die Fingerbeere fassenden Grübchens geschildert wird,
zeigt dieselbe an meinen Präparaten
überall Durchmesser von 3—4 cm und
eine zum Teil recht ansehnliche, wenn
auch natürlich mit der gesunden Seite
nicht annähernd vergleichbare Tiefe (cf.
Fig. 39). Im Pfannengrunde finden sich
vielfache Protuberanzen, durchsetzt von
einer grösseren Anzahl von Ernährungs-
löchern. Das Becken erweist sich in der
Pfannengegend überall als so verdickt,
dass von einem Durchscheinen des gegen
das Licht gehaltenen Knochens, wie auf
der gesunden Seite, keine Rede sein kann.
An dreien der vorliegenden Ob-
jekte findet sich an der äusseren Darm-
beinfläche, nach hinten und oben von
dem hinteren oberen Pfannenrand, eine
Vertiefung, die dem neuen Standort des
Kopfes entspricht. Dass dieser sich bei Fig. 38.
der angeborenen Luxation am Becken, Präparat einer rechtsseitigen angeborenen Hüftluxation.
oder nach der Annahme von Trendelen-
burg das Becken am Oberschenkel häufig in recht grossem Umfange bewegt, dafür liefert das
von einer 47jährigen Kranken mit linksseitiger Verrenkung stammende Präparat (Fig. 40),
einen vortrefflichen Beweis. Besitzt doch hier die am Darmbein ausgeschliffene Grube Dimen-
sionen, die diejenigen des überaus atrophischen Caput femoris um reichlich das Dreifache über-
treffen. An dem in Fig. 39 abgebil-
deten Becken hat der rechtsseitig
luxierte Oberschenkel offenbar einen
festeren Halt gefunden; denn hier
zeigt die oberhalb der Incisura ischia-
dica major gebildete Grube eine enge
Umgrenzung und an dem stark durch-
scheinenden Knochen eine stärkere
Aushöhlung als die urprüngliche
Pfanne selbst.
Wir finden weiterhin an
sämtlichen Präparaten unterhalb der
Spina anterior inferior ossis ilei, ent-
sprechend der hier verlaufenden Ileop-
soassehne, eine tiefe Rinne. Diese Fig. 39.
schon von Dupuytren beschriebene Präparat einer rechtsseitigen angeborenen Hüftluxation.
Gleitfurche erklärt sich mit Leichtig- ;
keit aus der Thatsache, dass gerade an dieser Stelle der erwåhnte Muskel auf seinem Wege
zum dislocierten Trochanter minor das Becken von unten her stiitzt.
Von den weiteren, zum Teil sehr ausgesprochenen Verånderungen am Becken verweise
ich auf die bei den einseitigen Luxationen die gesamte Beckenhälfte betreffende, zum Teil recht
beträchtliche Atrophie, die steilere Richtung der Darmbeinschaufel, die Verkleinerung des
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44 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt.
Angulus ossis pubis mit der durch diese bedingten Eversion des Sitzbeinhåckers, Verånderungen,
die naturgemäss auch auf die Gestaltung des Foramen obturatorium nicht ohne Einfluss bleiben
und namentlich dessen untere Spitze stark nach aussen abweichen lassen mussten. Der horizontale
Schambeinast verläuft auf der Seite der Verrenkung
mehr in der Frontalebene und erscheint länger
als an der gesunden Beckenhälfte. Die Symphyse
weicht nach der normalen Seite ab. Die Pfanne
liegt höher und etwas mehr an der Vorderseite
(Fig. 41).
Nach einem kurzen Hinweis auf die
skoliotischen Veränderungen, die bei einseitigen
Verrenkungen die an einzelnen Präparaten noch
erhaltenen Lendenwirbel (s. Fig. 41) erkennen lassen
(die Zuschrägung der keilförmig verbildeten Wirbel
erfolgt nach der Seite des normalen Gelenks),
wende ich mich nunmehr zur Betrachtung der
für uns ungleich wichtigeren Verhältnisse des
Oberschenkels, den wir in seinen einzelnen Teilen,
dem Kopf, dem Hals und Schaft verfolgen müssen.
Am Kopf wie am ganzen oberen Femurende kon-
Fig. 40. statieren wir ausnahmslos eine beträchtliche Atro-
Präparat einer linksseitigen angeborenen phie. An dem einen Präparat, einer doppelseitigen
Hüftverrenkung. Luxation, scheint derselbe beiderseits ganz zu
fehlen, wobei allerdings schwer zu entscheiden
ist, wieviel hier späteren Abbröckelungen des ganz besonders morschen, brüchigen Knochens
die Schuld beizumessen ist. Die Abplattung der mit dem Darmbein in Kontakt gewesenen
inneren und hinteren Fläche des Kopfes tritt besonders an dem einen Oberschenkel (s. Fig. 38)
bei der Betrachtung desselben von der Rückseite zu Tage. Die Ansatzstelle des Lig. teres
erscheint dabei als spitz zulaufender,
von dem übrigen Knochen sich abgren-
zender Vorsprung. Der Winkel, den der
Schenkelhals mit dem Schaft bildet, ist
fast stets im Sinne einer Coxa vara, meist
bis zum rechten Winkel, verkleinert; nur
an dem Präparat der Rostocker chirur-
gischen Klinik, auf das ich bei der
Besprechung der Kapselverhältnisse zu-
rückkonıme — einem 47 jährigen Patien-
ten entstammend — zeigt derselbe auf
beiden Seiten eher eine Vergrösserung.
Hier ist auch die Länge des Schenkel-
halses, im Gegensatz zu seiner Verkür-
zung an allen übrigen Oberschenkeln der
Präparat einer rechtsseitigen angeborenen Hüftverrenkung Serie, eine annåhernd normale. Endlich
(vergl. auch Fig. 38). verweise ich noch auf einen, einem links-
seitigen Hüftverrenkungspräparat ent-
stammenden, in toto erhaltenen (in Fig. 42 abgebildeten) Oberschenkel, an welchem neben den
besonders ausgeprägten Veränderungen am Kopf und Hals, die bei dem Vergleich mit der
gesunden Seite deutlich in die Augen springen, die in letzter Zeit wieder von Schede besonders
betonte Sagittalstellung des Collum femoris deutlich hervortritt. Bei der in Fig. 42 zur Auf-
Fig. 41.
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 45
nahme gewählten Frontalstellung beider Schenkelhålse musste der linke Oberschenkel eine Ein-
wärtsrotation um ca. 30° vollführen.
Es erübrigt noch mit einigen Worten auf die Verhältnisse der Weichteile einzugehen,
zu deren Studium das oben erwähnte Präparat besonders geeignet erscheint, da an seiner rechten
Seite die Kapsel noch in der grössten Ausdehnung erhalten ist. Sie bildet zunächst mit der
Gegend der alten Pfanne eine Art von Tasche, die Lorenz treffend mit der Form der üblichen
Wagentaschen verglichen hat, und dann eine kuppelförmige Umhüllung für den nach oben
dislocierten Kopf, der entgegen der Norm schon durch die Kapsel hindurch seine Form
erkennen lässt. Der nach oben lang ausgezogene Kapselschlauch besitzt in der Gegend des
hinteren Pfannenrandes eine Art von Isthmus, durch den das Liga-
mentum teres von dem normalen nach dem abnormen Standort des
Kopfes zieht. Dass dieses häufig fehlende Band gelegentlich eine
recht beträchtliche Ausdehnung erfahren kann, erkennt man übrigens
auch an der linken Seite des Präparates, wo es auf das Drei- bis
Vierfache der normalen Länge angewachsen ist ünd sich beträcht-
lich verdickt hat.
Ich wende mich nunmehr zur Besprechung der Behand-
lungsresultate.
Ohne an dieser Stelle des genaueren auf technische Dinge
einzugehen, erwähne ich nur, dass ich in den zur Besprechung
gewählten Fällen die unblutige Reposition annähernd nach den von
Lorenz gegebenen Vorschriften vollführt habe. Als untere Alters-
grenze für den Beginn der Behandlung galt im Allgemeinen das
Ende des zweiten Lebensjahres, da es vor dieser Zeit kaum mög-
lich ist, die Verbände sauber zu erhalten, als obere Grenze für
einseitige Luxationen im allgemeinen das 9. bis 10., für doppel-
seitige Verrenkungen das 6. bis 7. Lebensjahr. Eine einleitende
Schraubenextension von 10—15 Minuten Dauer erwies sich nur bei
Kindern über das fünfte Lebensjahr hinaus als notwendig. Bei —
jüngeren Patienten wurde nach der Empfehlung von Kümmell Baids Oberschenkel
sofort mit der Abduktion begonnen. Während das Becken von des in Fig. 40 abgebildeten
einem Assistenten exakt fixiert wurde, wurde bei gleichzeitigem Präparates einer linksseitigen
manuellen Druck auf den Trochanter die Abduktion des im Hüft- angeborenen Hüftverrenkung.
und Kniegelenk rechtwinklig, oder je nach den Umständen auch
mehr spitz- oder stumpfwinklig flektierten Beines so weit bewirkt, bis der Kopf unter stets deut-
lichem Geräusch in die Pfanne einschnappte, was vielfach schon bei einem leichten Grad von
Abduktion geschah, während andererseits der Oberschenkel häufig bis über die Frontalebene
hinausgeführt werden musste, ehe die Reposition erfolgte. In extremster Abduktions- und recht-
winkliger Flexionsstellung des Hüftgelenks, bei indifferenter Rotationsstellung des Beins, wurde
dann ein Becken und Oberschenkel bis zum Kniegelenk umschliessender Verband angelegt, an
dem nach den Empfehlungen von Wolff, Ducroquet u. A. oberhalb des Trochanters ein
muldenförmiger Eindruck angebracht wurde, wodurch man am sichersten eine Reluxation ver-
hindert. Ich fertige diesen Verband in Bauchlage auf einer von mir für diesen Zweck ange-
gebenen Beckenstütze. Schon während der Anlegung der Gipsbinden, namentlich aber während
des Erhärtens derselben, wird, während eine Hand unterhalb des Knies den Unterschenkel um-
greift und das Bein in die Abduktionsstellung überführt, mit den hakenförmig zusammen-
gelegten Fingern der andern Hand die erwähnte Impression oberhalb des Trochanters erzeugt.
In diesem Verband wurden schon nach durchschnittlich zehn Tagen, nachdem die Ungleich-
heiten in der Länge beider Beine durch eine entsprechende Korkunterlage unter dem Stiefel
der reponierten Seite ausgeglichen waren, die ersten Gehversuche unternommen, die bald zu
46 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität.
einer vollkommen sicheren eigenen Fortbewegung der Kinder führten. Der durch eine über-
gelegte Wasserglasbinde widerstandsfähiger gemachte Verband blieb durchschnittlich drei Monate
liegen. Nach dieser Zeit wurde er entfernt und auf jede weitere Fixation verzichtet; vielmehr
wurde es den Kindern überlassen, durch eigene Bemühungen sich selbst wieder die normale Beweg-
lichkeit der Hüfte zu schaffen. Das Bild, welches sich uns gewöhnlich nach Abnahme des Verbandes
darbietet, ist eine fixierte Abduktionsstellung des kranken Hiiftgelenks. Flexion und Extension
sind dabei in gewissen Grenzen frei. Schon in den ersten Tagen, während welcher Bettruhe
verordnet wird, fordert man die Kinder auf, das kranke Bein möglichst in Parallelstellung mit
dem anderen zu bringen, wobei meist eine starke Beckensenkung eintritt, die eine häufig die
Eltern höchst beunruhigende Verlängerung des ursprünglich kürzeren Beines vortäuscht. Das
Sitzen, bei dem der Längenunterschied beider Beine gleichfalls sehr deutlich in die Erscheinung
tritt, ist schon nach wenigen Tagen zu gestatten. Durchschnittlich am zehnten Tage, nachdem
uns inzwischen eine Röntgenaufnahme die Gewissheit gebracht hat, dass der Kopf sich im
Pfannenniveau befindet, werden die ersten Gehversuche unternommen, und zwar zunächst mit
halber Sohlenerhöhung, wie sie, während der Verband lag, benutzt wurde.
Meist in sehr schnellem Tempo kann man diese Erhöhung vermindern und ist dann
meist bald genötigt, an dem gesunden Beine eine Erhöhung von 2—3 cm anzubringen, um den
jetzt bestehenden, durch die Beckensenkung auf der reponierten Seite bedingten Längenunter-
schied auszugleichen. In diesem Stadium habe ich die mir von ausserhalb überwiesenen Kinder
ruhig ohne Verband nach Hause entlassen und dann häufig nach Monaten, ohne dass irgend
welche weitere Massregeln zur Anwendung kamen, die Freude gehabt, sie mit einem so voll-
kommen normalen Gelenk wiederzusehen, dass die klinische Untersuchung kaum noch eine
Andeutung des früheren Übels nachweisen konnte, und nur das Röntgenbild, wie wir sehen
werden, noch anatomische Differenzen entdecken liess, die an die Veränderungen erinnern, wie
wir sie in ausgesprochenster Weise vorhin an den Präparaten kennen gelernt haben.
Bei doppelseitigen Luxationen habe ich. in meinen bisherigen Fällen zunächst die
eine Seite reponiert, und nach sechs bis acht Monaten, nachdem inzwischen auf dieser Seite
wieder die normale Beweglichkeit eingetreten war, in gleicher Weise die andere Seite behandelt.
Die einschlägigen Verhältnisse werden am deutlichsten aus den Krankengeschichten
einiger von mir nach diesen Grundsätzen behandelter Patienten hervorgehen.
Bei der ersten, jetzt zehnjährigen Patientin, Clara R. aus Berlin, habe ich vor
vier Jahren, am 8. Mai 1898, die Reposition einer linksseitigen angebornen Hüftluxation voll-
zogen. Die Verkürzung betrug 4 cm, so dass Patientin stark hinkte und den Fussboden nur
mit den Zehenspitzen beriihrte. Nach zehn Minuten langer Extension mit der Flügelschraube
und nach zehn Minuten lang fortgesetzten Abduktionsmanövern erfolgte die Reposition unter
sichtbarem und weithin hörbarem Einschnappen bei einem Flexions- und Abduktionswinkel
von 90° Diese Stellung wurde im Gipsverbande fixiert. Ein an der Innenseite des Ober-
schenkels, in der Gegend der Ansatzstelle der Adduktoren entstandenes, auf das grosse Labium
übergreifendes Hämatom schwand nach wenigen Tagen, so dass Patientin, deren Behandlung
ambulant durchgeführt wurde, nach zwölf Tagen die ersten Gehversuche mit einer Sohlen-
erhöhung von 12 cm auf der linken Seite machen und sehr bald ohne jede Unterstützung sich
auf der Strasse fortbewegen konnte. Am 6. August 1898 wurde dieser erste und einzige Verband
entfernt und nach 14tágiger Ruhe wiederum mit Gehversuchen begonnen, die, um die Abduk-
tionsstellung noch einigermassen aufrecht zu erhalten, zunächst noch mit einer Sohlenerhöhung
von. 6 cm ausgeführt wurden. Schon nach vier Wochen ergab sich, nachdem die Erhöhung
allmählich vermindert war, die Notwendigkeit, die gesunde Seite um 2 cm zu erhöhen. Nach
einer Zeit von etwa sechs Monaten, während welcher jede Art von Behandlung unterblieb, die
Patientin nur fleissig umherging, später in vorsichtiger Weise ein Dreirad benutzte, hat sich
auch diese Differenz vollkommen ausgeglichen und eine tadellose Funktion des Hüftgelenks
eingestellt. Das vor der Reposition in ausgesprochensten Masse vorhandene Trendelenburg ’'sche
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 47
Symptom, das Fallen des Beckens nach der gesunden Seite beim Stehen auf dem luxierten Bein,
ist geschwunden. Patientin, die ich am 7. Mai 1902 der Berliner medizinischen Gesellschaft
vorgestellt habe, vermag vielmehr auch beim Erheben des rechten Beines das Becken in der
Horizontalen zu halten.
Von dieser Kranken habe ich nun in Zwischenräumen von vier bis fünf Monaten
während der jetzt vier Jahre betragenden Beobachtungszeit Röntgenbilder herstellen lassen, die
einen interessanten Einblick in die allmähliche Gestaltung der Gelenkskonstituentien gestatten.
Während auf dem vor der Einrenkung gewonnenen Röntgenbilde, Tafel VII, Fig. 2a, eine
Pfannenvertiefung und ein Pfannendach nur gerade angedeutet sind, der ganze, auf dem Bilde
erkennbare Teil des Femur den Eindruck hochgradiger Atrophie gewährt, sehen wir an einem
sieben Monate später und den weiteren, im Laufe der Jahre gewonnenen Bildern der Patientin
die Pfanne allmählich durch Hineinbeziehen benachbarter Teile des Darmbeins sich vergrössern.
Ein am äusseren Ende des Pfannendaches nach unten vorspringender Zapfen trägt wesentlich
dazu bei, den sicheren Halt, den der Kopf nunmehr am Becken findet, zu verstärken. Wäh-
rend das Caput femoris annähernd die Grösse desjenigen der anderen Seite erreicht hat, fällt
uns an den in letzter Zeit sowohl in Einwärts- wie in Auswärtsstellung gewonnenen Bildern
(Tafel VII, Fig. 2a zeigt eine Mittelstellung) nur noch eine gewisse Kürze des Schenkelhalses
auf, deren Eindruck wohl zum Teil noch durch eine leichte Sagittalstellung vermehrt erscheint.
Bei der zweiten, dem Chirurgenkongress 1901 vorgestellten Patientin (Gertrud H. aus
Neudamm) ist die Einrenkung einer linksseitigen angeborenen Luxation im Alter von. sieben
Jahren im Oktober 1899 von mir vollzogen worden. Die Reposition gelang nach 15 Minuten
währender Schraubenextension und etwa zwei Minuten lang fortgesetzten Abduktionsbewegungen
durch Hebelung über die unter den Trochanter geschobene Faust bei einem verhältnismässig
geringen Abduktionswinkel. Die Patientin verliess 14 Tage später in ihrem Verbande Berlin, um
erst drei Monate später zur Abnahme desselben zurückzukehren. Nachdem das nach seiner Ent-
fernung gefertigte Skiagramm den Kopf als gegenüber dem Y-förmigen Knorpel stehend erwiesen
hatte, wurde Patientin schon 14 Tage später auf dringenden Wunsch der Mutter mit den nötigen
Weisungen ohne jeglichen Verband nach Hause entlassen. Sie hat die Sohlenerhöhung auf der
kranken Seite bald mit einer solchen auf der gesunden vertauschen können und drei Monate nach
der Entfernung des Gipsverbandes wieder regelmässig am Schulbesuch teilgenommen. Ich habe
die in der ganzen Zeit vollkommen ohne ärztliche Aufsicht gebliebene Patientin erst ein Jahr
später wiedergesehen und mich von einem Verhalten des Hüftgelenks überzeugen können, das
die frühere Verbildung nicht mehr ahnen lässt. Die 4!/, cm betragende Verkürzung ist
beseitigt, der stark hinkende Gang ist ein normaler geworden, das Trendelenburgsche Symptom
ist geschwunden. Patientin, die früher überaus leicht ermüdete, vermag stundenlang ohne
Beschwerden zu gehen, von einem Stuhle zu springen u. dgl. m. Das letzte Röntgenbild zeigt
hier (Tafel VII, Fig. 3b) im Gegensatz zu der kaum angedeuteten Pfanne vor der Einrenkung
(Tafel VII, Fig. 3a) eine tiefe, wenn auch mit der Pfanne der normalen Seite noch nicht ver-
gleichbare Höhlung, in der der Kopf jedenfalls eine sichere Stütze findet. Der letztere hat
annähernd die Grösse des rechtsseitigen Caput femoris. Auch hier ist man, wie bei der vorigen
Patientin, erstaunt, im Gegensatz zu dem vortrefflichen funktionellen Verhalten des Hüft-
gelenkes, auf dem Skiagramm noch einen recht kurzen Schenkelhals zu finden. Es war mir
hier möglich, an stereoskopischen Aufnahmen, deren Herstellung ich Herrn Kollegen Cowl
verdanke, den Nachweis zu erbringen, dass in der That eine Anteversionsstellung des Caput
femoris vorlag, die auf dem Skiagramm den Schenkelhals noch verkürzter erscheinen lassen
musste, als er es wirklich war.
Eine dritte Patientin zeigt weiterhin ein nicht nur in funktioneller, sondern auch in
anatomischer Hinsicht nahezu tadelloses Resultat. Bei der Patientin Marie N. aus Berlin habe
ich im Oktober 1899 im Alter von drei Jahren ohne voraufgegangene Extension binnen weniger
Minuten die Reposition einer linksseitigen Luxation (Tafel VIII, Fig. 1a) vollzogen und gleich-
48 VIL Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt.
falls nur einen einzigen Verband für drei Monate angelegt. Hier war, wie man dieses vielfach
bei Kindern in den ersten Lebensjahren sieht, auch die Adduktion des Oberschenkels nach
Abnahme des Verbandes nur auf kurze Zeit und in geringem Masse beschränkt, so dass die
Ungleichheiten in der Länge beider Extremitäten sich sehr bald ausglichen. Jetzt (auch diese
Patientin habe ich 1901 dem Chirurgenkongress und am 7. Mai 1902 der Berliner medizinischen
Gesellschaft demonstriert) ergiebt nicht nur die klinische Untersuchung ein so vorzügliches
Verhalten des früher luxiert gewesenen Gelenkes, dass ein Unterschied gegenüber der gesunden
Seite nicht mehr festgestellt werden kann, namentlich eine nach jeder Richtung hin freie
Beweglichkeit des an sich festen Gelenkes, sondern auch das Skiagramm beiderseits fast gleiche
Verhältnisse (Tafel VII, Fig. 1b). Nur das Pfannendach zeigt wiederum am äusseren Rande
kleine Vorsprünge und der Schenkelhals eine etwas geringere Länge; sonst lässt sich, nament-
lich was die Grösse des Kopfes, seine Stellung zum Y-förmigen Knorpel, seine Entfernung von
demselben etc. anlangt, einen Unterschied gegenüber der rechten Seite nicht entdecken.
Wie schnell man übrigens im frühen Alter auf dem geschilderten Wege gelegentlich
zum Ziele. gelangt, mag die zur Besprechung gewählte vierte Patientin, Margarete D., aus
Berlin, vor Augen führen. Ich habe bei ihr am 10. August 1900 die Einrenkung einer links-
seitigen Luxation (Taf. VII, Fig. 4a) im Alter von zwei Jahren vollzogen und die geschilderte
Nachbehandlung zur Anwendung gebracht. Zur Zeit des Chirurgenkongresses 1901, sieben
Monate nach der Reposition, vermochte sie in vortrefflicher Weise ihr Hüftgelenk zu gebrauchen.
An dem damals aufgenommenen Röntgenbilde (Taf. VII, Fig. 4b) erkennt man, dass der Schenkel-
kopf in genau dem der anderen Seite symmetrischer Weise dem Y-förmigen Knorpel gegenüber
seinen Platz gefunden hat.
. Tafel VOII, Fig. 3a u. 3b veranschaulichen das Verhalten einer Patientin im Alter von
zwei und drei Jahren. Nach der Einrenkung der linksseitigen Luxation kam es bei der Abnahme
des Verbandes zu einer Reluxation. Die erneute Reposition führte auch hier, wie ich der Ber-
liner medizinischen Gesellschaft zeigen konnte, zu einem in jeder Hinsicht tadellosen Resultat.
Fig. 44 zeigt an einer weiteren zur Zeit neun Jahre alten Patientin mit drei Jahre
zuvor von mir reponierter rechtsseitiger Luxation im Gegensatz zu einer in Fig. 43 wieder-
gegebenen gleichalterigen, unbehandelt gebliebenen Patientin die Fähigkeit der mit Erfolg
behandelten Kranken, auf dem ehemals luxierten Beine stehend, das Becken, wie in der Norm,
in der Horizontalen zu halten. (Trendelenburgs Symptom.)
Zum Schluss möchte ich noch über eine Patientin (Hertha R. aus Cuxhaven)
berichten, die wegen einer doppelseitigen Verrenkung (Taf. VII, Fig. 2a) in meiner Behand-
lung gestanden hat. Ich habe bei der damals zweijährigen Kranken im März 1899 zunächst
die Reposition der linken Seite, dann im Januar 1900 diejenige der rechten Seite in der
gleichen Weise wie bei den beiden eben besprochenen Kindern vollzogen und beide Male
je nur einen Verband drei Monate lang liegen lassen. Wenn irgend etwas die Zweifel
an der Wirksamkeit des unblutigen Repositionsverfahrens zu heben vermag, so ist es das
Verhalten eines Kindes mit doppelseitiger Luxation nach Einrenkung der einen Seite. Hier
stellen sich nach Abnahme des Verbandes oft die erheblichsten Längenunterschiede heraus,
die das Verhalten eines solchen Kindes zu einem höchst auffallenden gestalten. Auch bei
dieser Kleinen betrug der Längenunterschied nach Abnahme des linksseitigen Verbandes
5—6 cm. Nach Abnahme des Verbandes für die rechte Seite war diese wiederum zunächst
um 2—83 cm verlängert, ein Unterschied, der sich wenige Monate später wieder vollkommen
ausgeglichen hat. In dem klinischen Bilde dieser Patientin, die dem Chirurgenkongress 1901
vorgeführt wurde, ist besonders bemerkenswert das vollkommene Schwinden der hochgradigen
Lendenlordose. Die Patientin vermag beim Stehen sowohl auf dem linken wie auf dem rechten
Bein das Becken in der Horizontalen zu halten. Aus den Röntgenbildern der Patientin vor
der Behandlung (Taf. VII, Fig. 1a), nach Abnahme des Verbandes für die linke und desjenigen
für die rechte Seite und weiterhin zwei Jahre nach Beginn der Behandlung (Taf. VII, Fig. 1b)
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 49
lassen sich die verschiedenen Phasen auf das trefflichste studieren. Das Becken, zunåchst nach
links, dann nach rechts gesenkt, steht jetzt beiderseits gleich hoch. Beide Schenkelköpfe
befinden sich jetzt an normaler Stelle gegenüber dem Pfannenknorpel und haben unter einem
gut ausgebildeten Pfannendach einen sicheren Halt gefunden.
Im Anschluss an diese Fälle noch einige kurze Bemerkungen, die sich zunächst auf die
nach der Reposition notwendige Fixationsperiode beziehen.
Das soeben geschilderte Verfahren, bei dem nach der Reposition nur ein einziger
Fixationsverband für verhältnismässig kurze Zeit zur Anwendung gelangte, ist nach dem von
mir der Berliner medizinischen Gesellschaft
gegebenen Bericht bis zum Mai 1902 bei 45
Patienten mit angeborenen Hüftluxationen,
deren Behandlung mindestens sechs Monate
abgeschlossen war, darunter sieben doppel-
seitigen, verwendet worden. Die fraglichen
Patienten befanden sich im Alter von 1'/,
bis zu 9 Jahren. Bei der jüngsten Kranken
(Elisabeth F. aus Neudamm) war es mir
bereits im Alter von sechs Monaten möglich
gewesen, die Diagnose einer linksseitigen
Hüftverrenkung zu stellen und durch ein
Röntgenbild zu erhärten. Hier gelang es
dann bis zum 15. Monat das Kind so an
Reinlichkeit zu gewöhnen, dass die Ein-
renkung vollführt, und der Verband während
der drei Monate dauernden Fixationsperiode
vor Durchnässung bewahrt werden konnte,
was sonst in der Regel erst nach Ablauf
des zweiten Lebensjahres möglich ist. Unter
diesen 45 Fällen, bei denen im Anschluss
> a d i Fig. 43. Fig. 44.
an die Einrenkung niemals irgendwelche 9 jährige Patientin mit 9 jährige Patientin
Unglücksfälle, Frakturen, Lähmungen u. rechtsseitiger Hüft- mit drei Jahre zuvor
dgl. m. eintraten, auch Hernien niemals gelenksluxation erfolgreich reponierter
beobachtet wurden, sind bei 35 unmittel- (Trendelenburgs rechtsseitiger Hüft-
bar tadellose funktionelle Resultate erzielt Symptom). gelenksluxation.
worden. Bei zehn Kindern kam es zu
Reluxationen nach hinten. Finf von diesen Patienten konnten einer erneuten Reposition unter-
zogen werden, die nunmehr dreimal eine dauernde blieb.
In einer Anzahl von Fållen blieb der Kopf nicht im Pfannenniveau selbst, sondern
fand etwas vor demselben seinen dauernden Standort. An mehreren dem Chirurgenkongress
und der Berliner medizinischen Gesellschaft vorgestellten Kranken dieser Art u. A. an einem
9 jährigen Knaben, der fünf Jahre zuvor wegen einer rechtsseitigen Luxation in meiner
Behandlung gestanden hat, konnte ich gleichfalls vollkommen tadellose funktionelle Resultate,
das Fehlen jeglichen Hinkens, die Abwesenheit des Trendelenburg’schen Symptoms vor
Augen führen.
Der geschilderte Verband blieb im Durchschnitt drei Monate liegen. Nur bei einer
siebenjährigen Kranken (Margarete F. aus Berlin) entfernte ich nach der vor nunmehr 2!/,
Jahren vollführten Einrenkung den etwas gelockerten Verband schon nach sieben Wochen, in
der Absicht, denselben ev. zu erneuern. Der Versuch, zunächst auf eine neue Fixationsperiode
zu verzichten, führte auch hier zu einem vortrefflichen funktionellen Resultat.
Nach den in der Litteratur bisher vorliegenden Angaben wird es in der Regel für
Joachimsthal, Untero Extremitäten. 7
50 VIL Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt.
nötig erachtet, die Zeit der Immobilisation nach der Einrenkung wesentlich länger auszudehnen,
als dies bei meinen Fällen geschehen ist. Nur Wolff hat in seiner bereits erwähnten
Publikation zunächst von einem siebenjährigen Knaben berichtet, bei dem schon drei Monate
nach der Einrenkung einer linksseitigen Luxation die endgültige Abnahme des Verbandes
erfolgte, und weiterhin einen besonders günstigen Fall mitgeteilt, bei dem die Fixationsperiode
im ganzen nur 8'/, Wochen hindurch gedauert hat, und dennoch ein vorzügliches Resultat
zu stande kam. Es handelte sich um eine Patientin, bei der im Alter von vier Jahren und
elf Monaten eine rechtsseitige Luxation unblutig eingerenkt wurde. Elf Tage darauf wurde
das Kind, mit rechtsseitiger Sohlenerhöhung ziemlich gut umhergehend, aus der Klinik ent-
lassen. Unterhalb der rechten Spina anterior superior entstand ein Abscess, der es notwendig
machte, den Verband zu entfernen. Es war in Aussicht genommen, denselben so bald als
möglich zu erneuern. Da indes die Untersuchung der Hüftgegend stets wieder ergab, dass
der Femurkopf nicht aus seiner guten Stellung herausgerutscht war, so wurde die Anlegung
des neuen Verbandes immer wieder herausgeschoben, und zwar so lange, bis sich endlich er-
gab, dass überhaupt kein solcher notwendig war.
Im Gegensatz dazu finden wir sonst fast überall Vorschriften für eine wesentlich längere
Fixationsperiode nach der Reposition, als dieselbe in den erwähnten Fällen für notwendig
erachtet wurde. So pflegt Lorenz selbst die gewählte Primärstellung durch vier bis fünf
Monate zu fixieren und beginnt erst dann mit der etappenweisen Stellungskorrektur mittelst
weiterer Fixationsverbände. Im allgemeinen nimmt nach seinen Angaben die strenge Fixations-
behandlung etwa die Dauer von neun Monaten in Anspruch, kann aber häufig schon während
der letzten drei Monate durch Anwendung abnehmbarer Fixationshülsen eine Erleichterung
erfahren. Dreesmann, Broca, Mouchet u. A. immobilisieren sechs Monate lang. Hagopoff
in Konstantinopel, der den Eintritt einer wirklichen Reposition übrigens für ein nur ausnahms-
weise eintretendes Ereignis erachtet, vielmehr glaubt, dass es meist nur gelingt, eine günstigere
Einstellung des Kopfes im Pfannenniveau zu erlangen, will ein freies Umhergehen der Patienten
nach der „Einrenkung“ erst sehr spät (bei Knaben nicht vor 2'/, Jahren) und auch dann nur
mit der grössten Vorsicht, unter Benutzung eines besonderen Apparates, mit Verbot des Treppen-
steigens, Springens u. dergl. m. gestatten. Die im Gegensatz zu diesen Angaben bei meinen
Patienten erreichten Resultate dürften jedenfalls dafür beweisend sein, dass es vielfach bereits
nach wesentlich kürzerer Zeit möglich ist, die Kranken sich selbst zu überlassen und damit
naturgemäss die ganze Behandlung zu vereinfachen.
Wenn wir endlich noch einen Vergleich der Skiagramme unserer Kranken mit den
in ausgeprägtester Weise an den Präparaten vorliegenden Veränderungen vornehmen, so
scheint, so weit Réntgenbilder in dieser Beziehung verwertbar sind, daraus hervorzugehen, dass
die Pfanne sich unter der Einwirkung des reponierten Kopfes wesentlich zu vertiefen imstande
ist, dass weiterhin der Kopf vielfach relativ bald annähernd normale Grösse und Gestalt wieder-
erlangt, während der Hals seine Kürze und Anteversionsstellung amı längsten bewahrt. Ob es
sich hier um Veränderungen handelt, die überhaupt einer vollkommenen Rückbildung fähig
sind, muss erst die weitere Beobachtung der Patienten zeigen.
Was die eben erwähnten Veränderungen an der Pfanne und am Kopf anlangt, so muss
allerdings berücksichtigt werden, dass die Patienten in der Zeit zwischen den einzelnen Auf-
nahmen älter geworden sind, und dass auch die Pfanne der gesunden Seite sich vertieft, das
Caput femoris hier vergrössert hat. Immerhin sind aber die Unterschiede auf der kranken Seite
so auffallende und so durchaus abweichende von den Bildern gleichaltriger, nicht behandelter
Patienten, dass hier ein günstiger Einfluss der Behandlung auf die Entwicklung der Teile wohl
keinem ernsten Zweifel mehr begegnen kann.
Zum Schluss dieses Abschnittes möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf einen in
letzter Zeit mehrfach von mir erhobenen Befund hinlenken, der in Bezug auf die Ätiologie der
angeborenen Hüftluxation unser Interesse verdient. Bei einer vierjährigen Patientin (Maria D.
VIL Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 51
aus Mailand) mit rechtsseitiger typischer Luxation ergab das vor der Reposition gefertigte
Röntgenbild (Tafel VIII, Fig. 4a) auf der linken der klinischen Untersuchung nach anscheinend
vollkommen normalen Seite einen weiten Gelenkspalt zwischen Kopf und Pfanne, ein flaches
Pfannendach, einen kurzen, antevertierten Schenkelhals, kurz, Veränderungen, wie wir sie nach
geglückter Reposition einer Hüftgelenksluxation vielfach noch auf dem Skiagramm zu finden
gewohnt sind, während rechterseits das typische Bild einer ausgesprochenen unbehandelten
Luxation bestand. Die Verhältnisse sind auch auf dem sieben Monate nach der Reposition
der rechten Seite gefertigten Bilde noch erkennbar (Taf. VIII, Fig. 4a). Aus solchen Befunden,
wie sie in letzterer Zeit auch von Bade berichtet worden sind — Bade fand in 25°/, der
Fälle einseitiger Luxationen im Hüftgelenk der gesunden Seite eine zu weite Pfanne und ein
abgeflachtes, oberes Pfannendach — lässt sich wohl vermuten, dass am Hüftgelenk schon in
frühester Zeit Veränderungen bestehen, wohl im wesentlichen Verbildungen der Gelenkkörper |
und Erweiterungen der Kapsel, die prädisponierend für die Entstehung von Luxationen wirken
und, wenn Gelegenheitsursachen und sekundäre veranlassende Momente hinzukommen, auf einer
Seite zu einer Verrenkung führen, während eine solche auf der andern Seite ausbleibt. Es
liegt die Vermutung nahe, dass bei solcher Anlage auch gelegentlich einmal noch in der ersten
Zeit des extrauterinen Lebens eine Luxation zustande kommt.
Erwähnung verdient bei der Beurteilung dieser Verhältnisse auch ein von Wolff im
Jahre 1893 mitgeteilter Fall, in dem bei einer neunjährigen Patientin eine abnorme Weite der
Kapsel und des Bandapparates der meisten Körpergelenke festgestellt werden konnte, in drei
Gelenken, nämlich den beiden Hüftgelenken und dem linken Kniegelenk fixierte, in den beiden
oberen Radiusgelenken bewegliche angeborene Luxationen bestanden, und im rechten Knie-
gelenk eine willkürliche Verrenkung vorlag. Endlich dürfte an dieser Stelle noch auf eine
von W. Friedländer aus meiner Anstalt publizierte Beobachtung zurückgegriffen werden.
Bei einem zwölfjährigen Mädchen, das sieben Jahre zuvor von anderer Seite der blutigen
Reposition einer doppelseitigen Hüftverrenkung mit Ausgang in Ankylose auf beiden Seiten
unterzogen worden war, hatte sich hier eine habituelle Luxation beider Kniescheiben entwickelt.
Da eine Fortbewegung nur in der Weise möglich war, dass die Patientin bei jedem Schritte
ihre Kniegelenke überstreckte, erschien es mit Rücksicht auf die vorhanden gewesenen
angeborenen Hüftverrenkungen am plausibelsten, auch für die Kniescheibe eine congenitale
Disposition zur Entstehung der Luxation anzunehmen und den äusseren Anlass zum Zustande-
kommen der habituellen Verrenkung in der durch die Hüftankylosen veränderten Muskelaktion
zu suchen. Der Gedanke an solche hereditäre Disposition zur Entstehung von Luxationen,
wie wir sie auch bei der oben erwähnten Kranken, von der die auf Tafel VIII, Fig. 4a u. 4b
abgebildeten Skiagramme stammen, annehmen müssen, lag in Friedländers Fall um so näher,
als ein älterer Bruder der Patientin, gleichfalls und zwar dieses Mal wegen einseitiger con-
genitaler Hüftluxation mit Ausgang in Ankylose blutig operiert, genau wie die Schwester auf
der affizierten Seite eine habituelle Verrenkung der Kniescheibe davon getragen hatte.
Die beispielsweise auf dem auf Taf. VIII, Fig. 4a abgebildeten Röntgenbilde linker-
seits hervortretenden abnormen Hüftgelenksverhältnisse scheinen im Laufe der Jahre sich
von selbst zu normalen zu gestalten. Schon auf dem sieben Monate später gefertigten Bilde
(Tafel VIII, Fig. 4a) liegen offenbar günstigere Bedingungen vor, indem der Kopf näher an
das Pfannenniveau und mehr unter das Pfannendach getreten ist. Meine längste Beobach-
tung eines analogen Falles betrifft einen jetzt neunjährigen Knaben, Arthur S., bei dem ich
vor 5 Jahren mit dauernd gutem Erfolg die unblutige Reposition einer rechtsseitigen Hüft-
luxation vollzogen habe. Während an dem vor der Einrenkung gefertigten Skiagramm rechts
das typische Bild einer Luxatio iliaca vorlag, bestand links ein ähnliches Verhalten, wie wir
es soeben besprochen haben, ein flaches Pfannendach, ein weiter Abstand des Kopfes, der mit
seiner äusseren Hälfte die Gegend des Acetabulum nach aussen überragte. Hier bot sich mir
wiederum Gelegenheit, im Laufe einer längeren Beobachtungszeit durch mehrfache Aufnahmen
7*
59 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt.
die Gestaltung der Gelenkverhältnisse zu verfolgen. Rechterseits erinnert jetzt wiederum nur
noch die Kürze des Schenkelhalses an die frühere Deformität, während linkerseits die Form der
Pfanne, des Schenkelkopfes, sowie die Beziehungen der einzelnen Teile des Gelenkes zu ein-
ander einen Unterschied von der Norm nicht mehr erkennen lassen.
Zweifellos geht aus diesen wie analogen Beobachtungen hervor, dass für eine Anzahl
von Fällen in der Ätiologie der angeborenen Luxation des Hüftgelenkes ausser primären Ver-
bildungen der Gelenkkörper auch die schon von Sedillot und Stromeyer vertretene Anschauung
einer „Atonie, Erschlaffung und Erweichung des ligamentösen Apparates“ eine Rolle spielt.
B. Die angeborenen Luxationen im Kniegelenk.
Im Gegensatz zu der angeborenen Luxation des Hüftgelenks, von der wir jetzt mit
Lorenz annehmen, dass sie das häufigste aller congenitalen Gebrechen ist und mindestens
viermal so oft als der angeborene Klumpfuss vorkommt, welch letzteren man in der Häufigkeits-
skala der angeborenen Anomalien bisher immer obenan zu stellen gewohnt war, ist die congeni-
tale Luxation im Kniegelenk als seltenes Vorkommnis zu betrachten. Muskat hat im Jahre
1897 82 Fälle zusammengestellt. Von diesen betrafen 48 nur eine Seite, 31 waren beider-
seitig. Bei drei Fällen fehlten die entsprechenden Angaben. Bei einigen Patienten bestanden
zum Teil sehr schwere Komplikationen, Aneucephalie, Spina bifida, abnorme Weite aller Band-
apparate, Kontrakturen in den verschiedensten Gelenken, Verrenkungen im Hüftgelenk, Klump-
füsse und Klumphände, Defekte am Unterschenkel u. a. m. Am relativ häufigsten fanden sich
Verrenkungen im Hüftgelenk und Klumpfüsse. Die meisten Kinder zeigten indes ausser der
Affektion des Kniegelenks keine Abnormitát. Der Mangel der Kniescheibe, der siebenmal
beschrieben ist, wurde nur einmal anatomisch nachgewiesen.
Nur in einem kleinen Bruchteil der Fálle handelte es sich um echte Luxationen, bei
denen der Kontakt der Gelenkflächen von Femur und Tibia thatsáchlich gelöst war; in den
meisten anderen gewöhnlich als Luxatio genu congenita beschriebenen Beobachtungen lag ledig-
lich ein am besten als Genu recurvatum congenitum bezeichneter Zustand von abnormer
Überstreckung des Unterschenkels vor, ohne dass
der Kontakt zwischen Tibia und Femur ganz auf-
gehoben war. Nach den vorliegenden, durch
Muskat, Knauer u. A. zusammengestellten
Berichten fanden sich dabei die Diaphysen stets
völlig normal und ohne Verbiegungen. Es war
eine Verkürzung des Quadriceps vorhanden, welche
zugleich mit den Mm. sartorius, semitendinosus,
semimembranosus und biceps, die statt hinter den
Condylen oft vor denselben verliefen und so als
Überstrecker wirkten, eine Flexion verhinderten.
Die Beugemuskulatur war häufig etwas gedehnt.
Fig. 45. Die Gelenkkapsel verhielt sich in den einzelnen
Genu recurvatum congenitum bei einem Fållen verschieden. Bald war die vordere Wand
6 Wochen alten Mådchen. geschrumpft, die hintere gedehnt, bald war sie in
allen Teilen geschrumpft beziehungsweise erweitert,
Die Gelenkflächen des Femur zeigten vorn an Stelle der normalen Wölbung eine von unten
hinten nach vorn oben aufsteigende plattgedrückte und gut ausgeschliffene Gelenkfacette, die
nach unten hinten durch eine scharfe Kante abgesetzt war. Auf dieser Facette ruhten die meist
wenig veränderten Condylen der Tibia.
Meine eigenen beiden Fälle, bei deren einem ich die Durchleuchtung zur Anwendung
bringen konnte, gehören in diese letztere Kategorie.
Die erste Patientin, die ich im Jahre 1889 der Freien Vereinigung der Chirurgen
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. 58
Berlins als 1'/, Jahre altes Mädchen vorstellen durfte, war das Kind gesunder Eltern. Bei den
Geschwistern wie überhaupt in der ganzen Familie des Kindes waren keine Missbildungen
beobachtet. Die Geburt verlief in Schädellage ohne Kunsthilfe. Über die Mengenverhältnisse
des Fruchtwassers wusste die Mutter keine Angaben zu machen; ein Trauma hat sie während
der Gravidität nicht erlitten. Die Patientin war bereits im Alter von sechs Wochen von mir
untersucht worden. Der Zustand, den damals das rechte Kniegelenk darbot, veranschaulicht
die z. Z. aufgenommene Photographie (s. Fig. 45). Es war ein hochgradiges Genu recurvatum
vorhanden. Ober- und Unterschenkel bildeten einen nach vorn offenen stumpfen Winkel von
etwa 130°. Wenn man unter Druck auf das in der Kniekehle prominierende untere Ober-
schenkelende eine möglichst forcierte Flexion versuchte, so gelangte man bis zu einem nach
hinten offenen Winkel von ca. 160°; liess man mit dem Druck nach, so schnellte der Unter-
schenkel sofort wieder in seine hyperextendierte Stellung zurück. Eine Patella wurde nicht
gefühlt. An ihrer Stelle machte sich eine ziemlich tiefe dorsale Hautfurche bemerkbar.
Die in Aussicht genommene orthopädische Behandlung des Falles wurde zunächst auf-
geschoben. Dieser Aufschub hat zu der interessanten Beobachtung geführt, dass spontan eine
nicht unwesentliche Besserung in dem Verhalten des Kniegelenks eingetreten ist. Im Alter
von 1!/, Jahren — ich habe das Kind später nicht wiedergesehen — betrug der nach vorn
offene Winkel nur noch etwa 150°, während man bei forcierter Beugung bis zu einem nach
hinten offenen Winkel von 140° gelangte. Bei der Beugung trat übrigens eine schon bei
hyperextendierter Stellung bemerkbare Genu valgum-Stellung deutlicher hervor. Die Patella
erwies sich nicht als fehlend, sondern liess sich jetzt als kleines Körperchen nachweisen.
Noch interessanter in Bezug auf die spontane Rückbildung der bestehenden
Erscheinungen war mein zweiter Fall.
Es handelte sich um ein zur Zeit der ersten Untersuchung zwei Monate altes Mädchen
aus gesunder Familie, in Schädellage leicht geboren, das, anscheinend sonst vollkommen gesund,
am rechten Kniegelenk das gleiche Verhalten wie die eben besprochene Patientin darbot. Der
Unterschenkel stand hyperextendiert in einem nach vorn offenen Winkel von ca. 130°. Im
Sinne der Beugung war die Bewegung des Unterschenkels unter leichtem Druck nur bis zur
Gradstreckung des Beines möglich. Aus dieser Stellung federte dasselbe nach Aufheben des
Druckes in die Hyperextension zurück. In der Kniekehle sah und fühlte man die hinteren
Abschnitte der Condylen des Femur vorspringen. Die Gelenkfläche der Tibia stand nach vorn
vor, ohne vollständig von dem Femurschaft abgeglitten zu sein. An der Vorderseite fühlte man
die Patella. Wihrend die Haut an der Rückseite des Kniegelenkes straff gespannt war, erwies
sie sich vorn als schlaff und in mehrere Querfalten gelegt, die auch auf dem s. Z. angefertigten
Skiagramm sich deutlich markieren (s. Tafel VIII, Fig. 5). Trotz der Unmöglichkeit, die Kon-
touren der noch knorpeligen Gelenkenden zu erkennen, ist doch aus der Stellung der diaphy-
sären Teile von Femur einer-, Tibia und Fibula andererseits die Verschiebung des Gelenks im
Sinne des Genu recurvatum deutlich zu beurteilen.
Nachdem wegen der schwächlichen Konstitution der Patientin und mit Rücksicht auf
die in meinem ersten Falle gemachten, auch von anderer Seite bestätigten Erfahrungen zunächst
von einer Behandlung Abstand genommen war, habe ich die Patientin erst zwei Jahre später
im Alter von 2?/, Jahren wiedergesehen und dabei die erstaunliche Thatsache feststellen können,
dass das rechte Kniegelenk sich spontan zu einem vollkommen normalen umge-
gestaltet hatte. Beugung und Streckung geschahen in normalen Grenzen. Eine Überstreckung
war absolut unausführbar. Die Patella zeigte die normale Grösse und Lagerung. Dagegen
liess sich nun mit Leichtigkeit eine Luxation im Hüftgelenk derselben Seite nach hinten
und oben mit einer Verkürzung der Extremität um 1!/, cm auch durch das Röntgenbild fest-
stellen. Die Einrenkung nach dem Lorenz’schen Verfahren gelang ohne Schwierigkeiten.
Patientin ist zur Zeit vollkommen geheilt.
Der letztbeschriebene Fall dürfte namentlich mit Rücksicht auf das im Alter von
54 VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc.
zwei Monaten gefertigte, die fehlerhafte Stellung des Kniegelenkes deutlich zeigende Röntgen-
bild und die zwei Jahre später von mir konstatierte, spontan eingetretene vollkommene Heilung
Interesse bieten und dazu auffordern, die vorgeschlagenen unblutigen und blutigen Massnahmen
beim Genu recurvatum congenitum in den ersten Lebensjahren zu unterlassen.
VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses mit besonderer Berücksichtigung
des angeborenen Klumpfusses.
Von den angeborenen Verlagerungen des Fusses soll namentlich die häufigste und
wichtigste angeborene Fussverbildung, der Pes varus oder Klumpfuss, einer kurzen, dem Rahmen
dieses Archivs und Atlas entsprechenden Erörterung unterzogen werden.
Ohne hier des genaueren auf die vielumstrittene Frage der Ätiologie der Abnormität
einzugehen, erwähne ich nur, dass der Klumpfuss, ein- oder doppelseitig auftretend, sich sowohl
mit anderweitigen Stellungsanomalien des Fusses, namentlich einer Equinusstellung desselben,
kombiniert, als auch, wie wir dies mehrfach in den früheren Abschnitten gesehen haben, ander-
weitige Bildungsfehler des Körpers begleitet. Das gleichzeitige Vorkommen eines einseitigen
Pes varus und eines anderseitigen Pes varus resp. Pes valgus in der Weise, dass beide Füsse
ineinandergeschachtelt sind (Fig. 46 zeigt ein neun Tage
altes Kind meiner Beobachtung mit linksseitigem Pes varus
und rechtsseitigem Pes calcaneus; beide Füsse legen sich
genau in der deformen Stellung aneinander), hat in Verbin-
dung mit dem Nachweis von Druckstellen in der Haut, wie
sie v. Volkmann 1863 beschrieb, den wesentlichsten Grund
dazu gegeben, diese Deformitäten auf die Einwirkung in-
trauterin wirkender mechanischer Kräfte zurückzuführen.
An einem von mir beschriebenen Präparat einer 4!/, Monate
alten Extrauteringravidität hatte der Fötus in der engen,
stark gewulsteten Tube nicht nur eine Schnürfurche am
Fig. 46. e ge? . `
Tage wien Kind anit links Kopf, einen rechtsseitigen Schiefhals, Zehen- und Finger-
seitigem Pes varus und rechts- verschiebungen, sondern auch hochgradige beiderseitige
seitigem Pes calcaneus. Klumpfüsse davongetragen. Von anderweitigen Anomalien
fand ich neben Pes varus Zehen- und Fingerdefekte, Poly-
und Syndaktylie, Tibia- und Radiusdefekte, angeborene Schnürfurchen, Wirbelspalten, Hasen-
scharten, angeborene Luxationen in den Hüftgelenken u. a. m. Der in Fig. 47 u. 48 abgebildete
6 jährige Patient meiner Beobachtung zeigt die Kombination eines beiderseitigen Klumpfusses
mit beiderseitiger Hüftluxation. Gelegentlich spielen Erblichkeitsverhältnisse eine Rolle.
Beim Klumpfuss ist der äussere Fussrand gesenkt, der innere gehoben, die Fussspitze
nach innen gerichtet, der innere Knöchel verstrichen, der äussere stark prominiert. Der durch
Einrollung des inneren Fussrandes entstehende Winkel zwischen Vorder- und Hinterfuss ist in
leichten Graden ein stumpfer, in schwereren ein spitzer geworden. Je länger die Deformität
besteht, und je ausgedehnter der Patient seinen Fuss zur Fortbewegung benutzt, desto mehr
verbildet sich derselbe durch Anpassung der Form der einzelnen Knochen an die fehlerhafte
Funktion. Schliesslich kommt es zu den bekannten hochgradigen Veränderungen, bei denen
die Fussspitze bei nach vorn gerichteter Patella nicht wie in den ersten Lebensjahren nach
innen, sondern direkt nach hinten schaut. Eine ausgeprägte Furchenbildung in der Fusssohle
entsprechend einer Abknickung im Chopartschen Gelenk wird nach Adams als charakteristisch
für den angeborenen Klumpfuss angesehen und fehlt bei den erworbenen Formen des Leidens.
Die vielfach an anatomischen Objekten studierten Veränderungen der einzelnen Teile
des Fussskeletts beim Klumpfuss sowie die veränderte innere Architektur lassen sich, wie dies
bereits von Gocht und Wolff hervorgehoben worden ist, vortrefflich an Röntgenbildern vor
VII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 55
Augen führen. Tafel IX, Fig. 1 u. 2 zeigen Skiagramme von Klumpfusskranken im Alter von
6 und 14 Jahren mit den charakteristischen Veränderungen im Bereiche des Tarsus und Meta-
tarsus. Kirmisson konnte mittelst Durchleuchtung bei mehreren Mitgliedern einer Familie eine
seltene Form des Pes varus feststellen, bei der sämtliche Fusswurzelknochen mit einander ver-
schmolzen waren, und daneben knöcherne Ankylosen in den Articulationes metatarso-phalangeae
bestanden, demnach, wie wir sehen werden, der seltene Fall vorlag, in dem heutzutage noch
Knochenoperationen am Fussgelenk zur Beseitigung des Klumpfusses indicirt sind.
Die Behandlung des Klumpfusses soll so frühzeitig als möglich, womöglich schon
in den ersten Lebenstagen und -wochen begonnen werden. Eine Reihe von Autoren (Sayre u. a.)
empfehlen hier zunächst häufig vorzunehmende redressierende Manipulationen. Das wirksamste
Instrument ist dazu die menschliche Hand. Die Mutter oder Amme soll in einer ihr aufs
genaueste vom Arzt vorgeschriebenen Weise in Zwischenräumen von
einigen Stunden Tag und Nacht mit dem Fuss redressierende Mani-
pulationen vornehmen. Unterstützt werde diese Massnahme durch
Anlegen von weichen, die Zehen zur Beobachtung ihrer Färbung
freilassende Flanellbinden oder Heftpflasterstreifen. Diese Behand-
lung soll so lange fortgeführt werden, bis bei der Korrektion keine
Verfärbung der Zehen mehr eintritt. Alsdann ist das beste Mittel
ein Gipsverband, dessen Anlegung sich in gleicher Weise gestaltet,
wie bei hochgradigen Klumpfüssen älterer Kinder und selbst Er-
wachsener.
Ich übe die Anlegung dieser Verbände nach vorausgeschickter
Tenotomie schon in den ersten Lebenstagen. Um die Ausbildung
der Technik der Klumpfussverbände hat sich in den letzten Jahr-
zehnten namentlich Wolff unablässig bemüht. Ihm ist es zuerst
gelungen, bei den schwersten Klumpfüssen Erwachsener ideale
Heilungsresultate zu erzielen und so die früher vielfach geübten
Klumpfussoperationen zu verdrängen. Er verwendete den sogenannten
„Etappenverband“, mittelst dessen die einzelnen Teile des deformen
Gliedes nach und nach und zwar in mehreren — jedesmal um nur
wenige Tage auseinanderliegenden — Etappen in die den normalen
möglichst genau entsprechenden statischen Beziehungen zu einander |
und zu den übrigen — normal geformten — Gliedern des ganzen ige I
Körpers gebracht werden. = I —— ind
oppelseitigem Klump
Der Plan des Etappenverbandes geht dahin, nicht etwa fuss und doppelseitiger
durch das Redressement die fehlerhafte Knochenform abändern zu angeborener Hüftgelenks-
wollen, sondern diese Abänderung durch die „Transformationskraft* . luxation.
bewirken zu lassen, diejenige Kraft, welche nach dem „Gesetz der
Transformation der Knochen“ die Knochenform unter allen Umständen der Knochenfunktion
anpasst, und welche daher nach wiederhergestellten normalen statischen Beziehungen nichts
anderes verrichten kann als die den normalen statischen Verhältnissen einzig und allein ent-
sprechende normale Form wieder herzustellen.
An Sehnendurchschneidungen ist in den meisten Fällen diejenige der Achillessehne
selbst bei leichten Klumpfüssen kleiner Kinder unentbehrlich; die Sehnen der M. flexer digitor.
commun. und des Tibialis posticus, sowie die Durchschneidung der Plantoraponeurose sind nur
in älteren Fällen notwendig.
Sehr vorteilhaft ist vor der Anlegung der Gipsverbände die von König angegebene
manuelle Redression des Klumpfusses. In Narkose wird der auf einem Holztisch liegende
Patient auf die Seite gedreht, und bei gut fixiertem Knie der Klumpfuss mit seiner am
meisten konvexen Partie auf ein der Volkmannschen Schleifschiene ähnliches dreikantiges
56 VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc.
Stück Holz aufgestützt, der Operateur ergreift dann den Fuss in der Art, dass er mit der einen
Hand den Vorderfuss, mit der andern das Fersenbein umfasst und seine Körperschwere gleich-
mässig auf die beiden Hände einwirken lässt. Der Stützpunkt muss bei diesen Biegungs-
versuchen je nach der Art des vorliegenden Klumpfusses verschoben werden. Es muss bei
diesem Vorgehen krachen; es müssen Bänder einreissen, Knochen eingedrückt werden, wenn
das Verfahren erfolgreich sein soll. Der Kranke wird nunmehr auf die Seite gelegt. Man
erzwingt jetzt bei in Streckstellung fixiertem Knie, während man das Sprunggelenk in die
eine, den hintern Teil des Fusses und den untern Abschnitt des Unterschenkels in die andre
Hand nimmt, durch kräftiges Zurückbiegen des Fusses in die Dorsalflexion und Abduktion die
weitere Korrektur der Verbildung. Zuweilen genügt eine Sitzung, um einen anscheinend ganz
schweren Klumpfuss so zurechtzubiegen, dass er sich jetzt mit der grössten Leichtigkeit in
äusserste Abduktionsstellung bringen lässt; öfters sind dazu zwei bis vier weitere Sitzungen
Fig. 48.
Der bereits in Fig. 47 abgebildete 6 jährige Patient mit doppelseitigem Klumpfuss und doppelseitiger
angeborener Hüftgelenksluxation vor der Behandlung und nach Anlegung von Redressionsverbänden.
erforderlich. Man kann diese Redressionen auch mit Hülfe besonderer Apparate, so mittelst
des von Lorenz angegebenen Redresseur-Osteoklasten ausführen. Die Verbände, die nach
Ausführung des Redressements angelegt werden, sollen dann nur diejenige korrigierte Stellung
festhalten, die sich nunmehr ohne jede Gewalt lediglich durch Fingerdruck erreichen lässt. Bei
solchem Vorgehen vermeidet man Decubitus, die Zehen behalten ihr normales Aussehen, die
Schmerzen nach dem Erwachen aus der Narkose und Tags darauf sind geringfügig und
schwinden nach wenigen Tagen ganz. Nach zwei bis drei Tagen kann man ev. das Redresse-
ment steigern, entweder, wie ich dieses vorziehe, mittelst eines ganz neuen Verbandes oder
mittelst des von Wolff empfohlenen Keilausschnittes aus der lateralen Seite desselben.
Ist der Fuss so eventuell nach mehreren Sitzungen (binnen einer bis drei Wochen)
in die richtigen statischen Beziehungen überführt, so wird dem Verbande durch Abschaben
aller zu dicker Stellen eine zierliche Form gegeben. Eine übergelegte Wasserglasbinde sorgt
für Dauerhaftigkeit. Hierauf wird ein gut passender Schnürstiefel angefertigt, in welchem der
VIIT. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 57
Patient — bereits in der zweiten bis vierten Woche nach Beginn der Behandlung — mit
seinem normal gestellten Fuss schmerzlos und ohne irgendwelche Stütze auf der Strasse umher-
geht. Fig. 48 zeigt den auch in Fig. 47 abgebildeten 6 jährigen Knaben vor der Behandlung
und nach Anlegung von Redressionsverbänden.
Die geschilderten Verbände bleiben bei älteren Individuen drei Monate, unter Umständen
noch länger, liegen; bei kleinen Kindern empfiehlt es sich, dieselben nach sechs Wochen zu
wechseln, da das Wachstum der Teile ein längeres Liegenlassen verbietet. Aufs genaueste ist
darauf zu achten, dass kein Decubitus entsteht. Die am meisten in dieser Hinsicht gefährdeten
Stellen an der Aussenseite des Fusses vor dem Malleolus externus, sowie an der Innenseite der
grossen Zehe kann man ev. durch in den Verband eingeschnittene Fenster freilegen.
Erweist sich nach der Abnahme der Verbände das Resultat als ein noch nicht voll-
kommenes, so ist mit neuen Verbänden so lange fortzufahren, bis das gewünschte Ziel erreicht
ist. So vermeidet man die sogenannten Klumpfussrecidive, die nichts anderes bedeuten, als ein
Fortbestehen und infolgedessen eine wieder zunehmende Verschlimmerung der Deformität.
Ein einmal vollkommen redressierter Klumpfuss bedarf dann auch keines weiteren Apparates,
wie solche in zahlreichen Modifikationen von den verschiedensten Seiten empfohlen, aber meist
vollkommen zwecklos und überflüssig sind. Zur Nachbehandlung empfiehlt sich entweder
ein von Lauenstein vorgeschlagenes Verfahren, bei dem des Nachts die Fusssohle an einem
in der Längsachse des Fusses stehenden Stab befestigt wird, dessen hinteres Ende sich auf das
Lager der Kranken stützt, während das Bein durch die Wirkung der eigenen Schwere nach
aussen rotiert wird. In ähnlicher Weise
wirken von Heusner angegebene Spiral-
schienen aus Stahldraht. Auf die beiden
. Enden einer geraden Serpentinschiene
werden die Schuhe des Kindes in aus-
wärtsrotierter Stellung aufgenäht, oder
die Schiene wird in entsprechende Öff-
nungen des Absatzes eingeschoben. Beim
Zubettgehen zieht man die Schuhe an,
indem man die Schiene der Haltung der
Füsse entsprechend umbiegt; nach dem
Loslassen schnellt die Feder in ihre ur-
sprüngliche Lage zurück und dreht die Fig. 49.
Füsse nach auswärts, Die Patienten 1!/,jähriger Knabe mit rechtsseitigem Klumpfuss vor
können sich dabei ziemlich frei im Bett und nach der Behandlung. Zwischen beiden Aufnahmen
bewegen, da die Feder nach allen Rich- hogt ein Zeitraum von -£ Monsten;
tungen nachgiebt, um aber schliesslich
immer wieder in die Ausgangsstellung zurückzustreben. Zur Korrektion der Supinationsstellung
biegt Heusner die beiden Enden der Feder stumpfwinklig empor, so dass die Beinöffnungen
der Feder einander entgegengerichtet werden.
Gelegentlich. kann man nach dem Vorgange von Bardenheuer und Lange durch
operative Verkürzung der ungenügend gespannten Peronei das Dauerresultat sichern. Lange
macht mit Recht darauf aufmerksam, dass diese Muskeln sich von selbst relativ schnell ver-
kürzen, wenn, wie beim Klumpfuss des Erwachsenen, dem Redressement sich bedeutende
Widerstände entgegengesetzt haben, und wenn dabei ausgedehnte Blutungen eingetreten
sind. Hier ist meist nach der Verbandabnahme jede Nachbehandlung unnötig, da die Mus-
kulatur an der Aussenseite des Fusses genügend gespannt ist. Anders beim kindlichen
angeborenen Klumpfuss, bei dem das Redressement verhältnismässig leicht möglich, oft
aber die Nachbehandlung gerade wegen der Verlängerung und ungenügenden Spannung der
Peronei beschwerlich ist.
Joachimsthal, Untere Extremitäten. 8
58 VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc.
Wie bereits erwähnt, gelingt es mit Hilfe der portativen Verbände, selbst hochgradige
Klumpfüsse in verhältnissmässig kurzer Zeit zur Heilung zu bringen. Als Beispiel möge aus
meiner Beobachtung nur das auf Fig. 49 abgebildete Kind dienen. Es gelang mir hier, wie
in zahlreichen anderen Fällen, nach vorausgeschickter Tenotomie der Achillessehne, durch zwei
Verbände bei einem
1'/, jährigen Knaben
im Verlaufe von vier
Monaten das später an-
dauernde Resultat zu
erzielen, wie es Fig. 49
wiedergiebt.
Tafel VII, Fig.
5a u.5b zeigen weiter-
hin Skiagramme des
von der lateralen Seite
aufgenommenen hoch-
gradigen Kumpfusses
eines 8jährigen Knaben
vor der Behandlung und
fünf Monate nach Be-
ginn derselben. An dem
Fig. 50. ersten Bilde lässt kein
einziger Fussknochen
diejenige Gestalt er-
kennen, die er unter
normalen Verhältnissen
besitzt. Im Gegensatz
dazu zeigt das zweite
Bild, dass Talus, Cal-
caneus, Cuboideum, Na-
viculare, die Cuneiformia
und Metatarsalia ihre
normalen oder fast nor-
malen Konturen wieder-
gewonnen haben. Nur
die Hacke zeigt gewisse
Abweichungen von der
Norm, auf die ich noch
weiter unten zurückzu-
kommen Gelegenheit
Unterschenkel und Füsse eines 22 jährigen vor 13 Jahren wegen EE ;
rechtsseitigem Klumpfuss erfolgreich behandelten Patienten. Fig. 51 zeigt im Auch die
Gegensatz zu Fig. 50 die Bewegungsbeschränkung im rechten Fussgelenk, schwersten Klumpfüsse
die Kürze der Hacke sowie die typische „Klumpfusswade*. Erwachsener wider-
stehen dem geschilder-
ten Vorgehen nicht mehr, ein Umstand, der die Klumpfussoperationen mehr und mehr zurück-
zudrängen vermocht hat.
Zunächst im Jahre 1897 bei der Nachuntersuchung einer Reihe von Klumpfusskranken,
die vor langen Jahren von J. Wolff mit portativen Etappenverbänden zur Heilung gebracht
waren, späterhin auch an zahlreichen Kranken meiner eigenen Klientel, gelang es mir, eine
Fig. 51.
VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 59
fast ausnahmslos auch nach der scheinbar vollkommensten Wiederherstellung zuriickbleibende
Veränderung festzustellen, deren Deutung wesentlich durch Anwendung des Röntgenverfahrens
erleichtert wird. Es ergab sich bei einem grossen Teil der Patienten trotz guter Form und
Funktion des Fusses eine stets wiederkehrende, eigenartige Atrophie der Wade, durchaus
verschieden von dem gewöhnlichen Verhalten derselben bei mangelhafter Funktion der unteren
Extremitäten. Während nämlich bei einer gewöhnlichen Atrophie die Wade allmählich unter
gleichmässigem Schwund des Muskels abnimmt, drängt sich bei den in Rede stehenden
Patienten die Muskelmasse auf das oberste Drittel resp. Viertel des Unter-
schenkels zusammen und bildet hier eine starke Vorwölbung, während der ganze
untere Teil aus sehniger Substanz besteht und bei oberflächlicher Betrachtung
den Eindruck einer extremen Atrophie des Muskels gewährt.
Bei den von einem angeborenen Klumpfuss geheilten Kranken konkurrieren zwei Um-
stände, um diese Verkürzung des Wadenmuskels herbeizuführen. Einmal resultiert stets, selbst
nach der bestgelungensten Behandlung, eine Beweglich-
keitsbeschränkung im Fussgelenk; weiterhin besteht,
wie dies die Röntgenbilder aufs evidenteste zeigen
(Tafel IX, Fig. 3 zeigt den mittelst des Röntgenver-
fahrens aufgenommenen rechten Fuss eines 40 jährigen
in der Kindheit erfolgreich wegen Klumpfuss behandelten
Patienten), wohl als Teilerscheinung der den Klumpfuss
ausmachenden Verbildung der Fussknochen, eine mehr
oder minder ausgesprochene Kürze und Atrophie
des hinteren Calcaneusfortsatzes, häufig ver-
bunden mit einer plantarwärts gerichteten
Abknickung desselben, wodurch eine Verminderung
der Länge des Hebelarms für die Achillessehne und so
eine weitere Einschränkung der Exkursion ihres Ansatz-
punktes beim Übergang aus der Beugung des Fuss-
gelenks in die Streckung gesetzt wird.
Diese Verhältnisse werden ohne weiteres ver-
ständlich bei der Betrachtung der Unterschenkel und
Füsse eines 22jährigen, vor 13 Jahren wegen eines
rechtsseitigen Klumpfusses mit redressierenden Ver-
bänden behandelten Patienten, der, seinem Beruf nach
Ingenieur, seit dieser Zeit zu jeglicher Leistung befähigt
und sogar ein vortrefflicher Tänzer und Bergsteiger
Fig. 52.
Angeborener rechtsseitiger Plattfuss
bei einem 14 Tage alten Mädchen.
Bemerkenswert ist die Konvexität des
geworden ist. Fig. 50 und 51 sind in der Weise her- inneren, die Konkavität des äusseren
gestellt, dass je zwei das Extrem der Dorsal- und Fussrandes sowie die Verkürzung der
Plantar-flexion zeigende Negative auf dassselbe Papier grossen Zehe.
kopiert sind. Aus der Einschränkung der Fussgelenks-
bewegung und der auch an den Röntgenbildern der Füsse des Patienten (Taf. IX, Fig. 4)
erkennbaren Verkürzung der Hacke lässt sich die abnorme, den vorliegenden mechanischen
Verhältnissen angepasste Form des Wadenmuskels mit derselben Sicherheit schon am Lebenden
erklären, wie dies an der Leiche Wilhelm Roux und Riviére an dem Pronator quadratus
bei Verminderung der Pro- und Supination im Ellbogengelenk gelungen ist.
Diese meine Befunde an Klumpfusskranken sind in neuester Zeit von einer Reihe von
Autoren, Vulpius, Hoffa u. A. an eigenen Patienten bestätigt worden.
Von anderweitigen angeborenen Stellungsanomalien kommen nur der congenitale Pes
valgus und calcaneus in Betracht. Beide sind häufig miteinander an demselben Fuss kom-
8*
60 IX. Die Sirenenbildungen.
biniert. Beim angeborenen Plattfuss zeigt, wie dies der auf Fig. 52 abgebildete rechte Fuss
einer 14 Tage alten Patientin meiner Beobachtung erkennen låsst, die Fusssohle wie der
innere Fussrand eine ausgesprochene Konvexität. Der Rücken des Fusses ist konkav zusammen-
gebogen. Der Fuss steht stark proniert, etwas abduziert und gewöhnlich höchstgradig dorsal-
flektiert (Pes vulgo — calcaneus). Ätiologisch hat man dieselben Momente wie beim angeborenen
Klumpfuss herangezogen. Bemerkenswert ist eine gelegentlich (wie in dem auf Fig. 52 ab-
gebildeten Falle) beim angeborenen Plattfuss zu beobachtende abnorme Kürze der grossen
Zehe und ihres Metatarsale. Dieselbe pflegt nach dem Redressement, das in analoger Weise
wie beim Klumpfuss, nur in entgegengesetztem Sinne bewirkt und durch Gipsverbände fest-
gehalten wird, zu schwinden, wie die gelegentlich beim Pes varus bestehende scheinbare Ver-
längerung der grossen Zehe.
Hall fand in einem Falle bei der Präparation eine knöcherne Verwachsung des Cal-
caneus mit dem Os naviculare. Ähnliche am Skiagramm erhobene Befunde liegen zur Zeit
nicht vor.
Die anatomischen Veränderungen beim Pes calcaneus congenitus sind in letzter Zeit
besonders eingehend von Messner studiert worden. Auf eine Behandlung kann meist ver-
zichtet werden, da die Schwere des Vorderfusses in der Regel von selbst die Korrektur besorgt.
IX. Die Sirenenbildung.
Zum Schluss mag noch an zwei Skiagrammen, die von Föten der hiesigen Universitäts-
frauenklinik gewonnen sind, die als Sirenenbildung bekannte Anomalie erläutert werden, bei der
wir eine Verschmelzung und Verdrehung des Beckens und der unteren Extremitäten, vielfach
auch eine Verkürzung der verwachsenen Gliedmassen finden.
Der erste Fötus, 45 cm lang, zeigt ausser einer linksseitigen Totalskoliose im Bereiche
der oberen Rumpfhälfte, keine Abnormitäten. Äussere Glenitalien sowie der Anus fehlten.
Beide untere Gliedmassen sind mit einander in ganzer Ausdehnung verwachsen. Der auf diese
Weise gebildete Körperteil ist auf der vorderen Fläche abgeplattet, auf der hinteren konvex
gewölbt. Beide Füsse sind ausgebildet und mit je fünf Zehen ausgestattet, dagegen gleich-
falls, und zwar an der Aussenseite und in der Gegend der Ferse, miteinander verschmolzen
und so verdreht, dass die Plantarfläche nach vorn, die medialen Ränder nach aussen gerichtet
sind. Die Verdrehung der miteinander verschmolzenen Gliedmassen findet auch darin ihren
Ausdruck, dass der gemeinsame Unterschenkel bei der Beugung mit dem Oberschenkel nicht
wie ın der Norm einen nach hinten, sondern einen nach vorn offenen Winkel bildet.
Das Röntgenbild (Tafel IX, Fig. 5) enthüllt am Skelett die folgenden Verhältnisse:
Es besteht ein sehr grosser Knochenkern in jeder Darmbeinschaufel, welcher eine
Drehung medianwärts zeigt, wodurch der grosse obere konvexe Rand die vordere und zum Teil
die untere Begrenzung mitbildet. Durch diese Drehung ist auch der Knochenkern des Sitz-
beins stark medianwärts verschoben, so dass sich die Kerne beider Seiten mit ihren leicht kon-
kaven Rändern fast berühren. Die Knochenkerne der Schambeinäste treffen mit ihren medialen
Abschnitten zusammen. Sie sind in der Entwickelung weit vorgeschritten, stark caudalwärts
verschoben, und liegen auf diese Weise fast in gleicher Höhe mit dem oberen Rande der
Femurdiaphysen. Für die Massae laterales des Kreuzbeins sind bereits zwei Knochenkerne vor-
handen. Das Os sacrum, in dessen oberen Wirbeln sich für Körper und Bögen Ossifikations--
punkte gebildet haben, ist durch die Drehung der Darmbeinschaufeln nach oben und scheinbar
auch nach hinten verschoben.
Beide Oberschenkeldiaphysen erweisen sich medialwärts stark geschweift, die unteren
Epiphysen besitzen stecknadelkopfgrosse Knochenkerne. An den Unterschenkeln liegen die
Fibulae an der medialen Seite, die Tibiae lateralwárts. Die Füsse zeigen auf beiden Seiten
Verknócherungen im Calcaneus, Talus, den Mittelfussknochen und Phalangen.
IX. Die Sirenenbildungen. 61
Bei dem zweiten 50 gm langen Fåtus verschmålert sich der Rumpf nach unten zu in
eine einzige, ohne Fuss endigende, nach vorn konkav gestaltete Extremitåt. Die Genitalien und
eine Analöffnung werden auch hier vermisst.
Das Skiagramm zeigt (Taf. IX, Fig. 6) zunächst an der oberen rechten Extremität
einen totalen Defekt des Radius, des ersten Metacarpale und des Daumens. Der 7. Wirbel zeigt
eine Halsrippe, der 20. Wirbel gleichfalls ein verknöchertes, rechts stärkeres Rippenrudiment.
Während bis zum 22. Wirbel die Knochenkerne der Wirbelkörper und -bögen stark kontou-
riert und isoliert zu erkennen sind, ist der Knochenkern des 28. Körpers schräg gestellt und
scheinbar auf der rechten Seite an seiner cranialen Fläche mit der caudalen Fläche des 22.
verwachsen. Weiterhin bestehen, und zwar in grösserer Ausdehnung, Verwachsungen zwischen
24. und 25. Wirbel und zwischen den einzelnen folgenden Kreuzbeinwirbeln.
Die Darmbeinschaufeln, welche eine Drehung caudalwärts zeigen, sind in der Mitte
miteinander verwachsen. Auf dem Röntgenbilde hebt sich scharf von dem caudalen Teil des
verwachsenen Darmbeines seine nach unten mit einem konkaven Bogen endigende Masse ab.
Darunter findet sich ein runder, nicht sehr scharf kontourierter Knochenkern, offenbar der Ossi-
fikationskern der vereinigten Sitzbeine. Die horizontalen Schambeinäste bilden, in der Mittel-
linie gleichfalls verwachsen, um diesen Kern einen Halbkreis.
An das in dieser Weise verbildete Becken schliesst sich nach unten eine einheitliche,
7!/, cm lange Femurdiaphyse, proximalwärts schmal, nach unten sich um reichlich das Doppelte
verbreiternd. Es folgt der durch Verschmelzung zweier getrennter Kerne entstandene untere
Epiphysenkern. Der in dem distalen Teil des Stumpfes befindliche, der gemeinsamen Tibia-
diaphyse entsprechende, konisch zulaufende Knochen ist nur 3 cm lang und endet mit schmaler,
gerader Linie. |
Ohne bei der Mannigfaltigkeit der bisher beobachteten Formen auf Einzelheiten des
Skelettsystems der Sirenenbildungen einzugehen, erwähne ich nur, dass man auch für diese
Verbildung die Enge des Amnion, vorziglich der Schwanzscheide desselben, verantwortlich
gemacht hat.
So hält es u. A. Gebhard für am wahrscheinlichsten, dass zunächst schon vor Auf-
treten der Extremitätenanlagen infolge der Enge des Amnion ein frühzeitiger Verschluss der
unteren Teile der Visceralplatten zustande kommt, und dass dann die schon in ihrer ersten
Entwickelung zusammengepressten und verschmolzenen Keime der unteren Extremitäten hervor-
sprossen. Es ist diese Annahme eines voraufgehenden Verschlusses der Visceralplatten deswegen
wahrscheinlich, weil die Verwachsungen der beiden schon getrennt entwickelten Extremitäten
durch das zwischen ihnen liegende Schwanzende des Amnion verhindert werden müsste, ebenso
wie der Schultergürtel analog die Verschmelzung der oberen Extremitäten verhindert. Eben-
falls auf die Kompression von seiten des Amnion dürften auch die Anomalien des Beckens
zurückzuführen sein, namentlich die Verschiebung der einzelnen Teile nach der Mittellinie und
ihre mehr oder minder ausgeprägte Verschmelzung.
Infolge der frühzeitigen Verschmelzung ist auch die normaler Weise (s. Einleitung)
beim Fötus eintretende Wachstumsdrehung ausgeblieben, und so sind regelmässig die zu einer
einzigen Masse verschmolzenen unteren Extremitäten nicht an denjenigen Stellen, die bei einem
normalen Menschen einander zugekehrt sind, verwachsen, sondern haben scheinbar eine Drehung
von medianwärts nach vorn und lateralwärts vollführt, die distalwárts am deutlichsten hervortritt.
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Tschmarke: Zwei seltene Formen angeborener Missbildung. Zeitschr. f. orthopädische Chir. Bd. 8.
23. G. Joachimsthal: Über den angeborenen totalen Defekt des Schienbeins. Zeitschr. f. orthopädische
Chir. Bd. 3. 8.140. 24. Louis Burckhardt: Beiträge zur Diagnostik und Therapie der congenitalen Knochen-
defekte an Vorderarm und Unterschenkel. Jahrb. f. Kinderheilk. Neue Folge Bd.31 8.375. 25. H. Waitz:
Über einen Fall von congenitalem Defekt beider Tibien. Deutsche med. Wochenschr. 1895 No. 25.
26. Werner Kümmel: Die Missbildungen der Extremitäten durch Defekt, Verwachsung und Überzahl.
Cassel 1895. S. 12 u. 13. 27. Klaussner: l, c. S. 22. 28. Rincheval: Ein neues Operationsverfahren zur
Behandlung congenitaler Defekte eines Unterarm- und Unterschenkelknochens. Verhandl. der deutschen
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Arch. f. klin. Chir. Bd. 62 Hft. 4. 30. Louis Bauer: Handbuch der orthopädischen Chirurgie. Über-
setzt von B. L. Scharlau, Berlin 1870 S. 70. 31. Jacques L. Reverdin: Malformation congénitale de
la jambe droite. Revue médicale de la Suisse Romande 1885 S. 592. 32. Dreibholz: Beschreibung
einer sogenannten Phocomele. Inaug. Diss. Berlin 1873. 33. Richard Melde: Anatomische Unter-
suchung eines Kindes mit beiderseitigem Defekt der Tibia und Polydactylie an Händen und Füssen.
Inaug. Diss. Marburg 1892. 34. N. Erlich: Untersuchungen über die congenitalen Defekt- und Hem-
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Inaug. Diss. Kiel 1882. 837. E. Albert: Zwei seltene Fälle von angeborenen Missbildungen an den Glied-
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Litteratur. 63
ärztl. Landesvereins 1887 No. 80 S. 288. 40. Franz Thiele: Ein Fall von angeborenem Defekt der
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S. 244. 51. Hendrix: Absence congénitale du péroné. La Policlinique 1898 No. 8 p. 119. 52. Hercy
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Centralbl. f. Chir. 1899 No. 50 ga 1332, 54. Albert Frieben: Über congenitalen Defect der Fibula.
Inaug. Diss. Greifswald 1898. 55. Jacobs: Die Verwendung der Röntgenstrahlen in der praktischen
Heilkunde, Korrespondenzblatt der ärztlichen Vereine im Rheinland und Westfalen 1900. 56. Klaussner:
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chir. 1900 No. 5 8.49. 58. Braun: Über die intrauterinen Frakturen der Tibia. Arch. f. klin. Chir `
Bd. 34. S. 668. 59. Rinchevall.c. 60. Nasse: Chirurgische Krankheiten der unteren Extremitäten.
Deutsche Chirurgie Lis, Gë 1897. 61. Kümmel l. c. S. 12. 62. Geoffroy Saint-Hilaire: Histoire
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1836 T. II S. 206. 63. R. Virchow: Die Phocomelen und das Bårenweib. Verhandlungen der
Berliner anthropologischen Gesellschaft 1898 S. 557. 64. Grunmach: Das Bšrenweib. Verhandl. der
Berliner anthropologischen Gesellschaft 1897 S. 623. 65. Joachimsthal: Über Zwergwuchs und ver-
wandte Wachstumsstörungen. Deutsche med. Wochenschr. 1899 No. 17—18. 66. Ernst August Wuth:
Über angeborenen Mangel, sowie Herkunft und Zweck der Kniescheibe. Arch. f. klin. Chir. Bd. 58 Hft. 4.
67. Wolf-Lüdenscheid: Angeborener Mangel beider Kniescheiben. Münch. med. Wochenschr. 1900
No. 22 8. 766. 68. Pfitzner: Beiträge zur Kenntnis des menschlichen Extremitätenskeletts. Zweite
Abteilung IV. Die Sesambeine des menschlichen Körpers. Morphol. Arbeiten Bd. I Hft. 4 S. 976.
69. A. Bernays: Die Entwicklungsgeschichte des Kniegelenks des Menschen mit Bemerkungen über die
Gelenke im allgemeinen. Morpholog. Jahrbuch IV. 70. Wenzel Gruber: Anatomische Notizen IV.
(CXCVL) In Bildungsanomalien mit Bildungshemmung begründete Bipartition beider Patellae eines jungen
Subjekts. Virchows Archiv Bd. 94 8. 358 Tafel IX. 71. Hermann Tillmanns Beiträge zur Histologie
der Gelenke. Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 10. 72. H. v. Meyer: Der Mechanismus der
Kniescheibe. Archiv von His und Braune 3880. 73. Siegfried Peltesohn: Das Verhalten der
Kniescheibe bei der Littleschen Krankheit. Inaugural-Diss. Leipzig 1901. 74. W. Schulthess: Zur
Pathologie und Therapie der spastischen Gliederstarre (cerebrale Diplegie) (Freud). Zeitschr. f. orthopädische
Chirurgie Bd. 6 8. 1. 75. Joachimsthal: Über das Verhalten des Kniegelenkes bei der Littleschen
Krankheit. Berliner klin. Wochenschrift 1901 No. 8. 75a. Joachimsthal: Über Struktur, Lage und
Anomalien der menschlichen Kniescheibe. Arch. £f. klin. Chir. Band 67 Heft 2. 76. Brunner: Über
Genese, congenitalen Mangel und rudimentäre Bildung der Patella. Virchows Archiv Bd. 124.
77. H. Strasser: Zur Kenntnis der funktionellen Anpassung der quergestreiften Muskeln. Stuttgart 1883.
78. Wilh. Roux: Über die Selbstregulation der morphologischen Länge am Skelettmuskel. Gesamm.
Abhandl. Bd. I. 79. Marey: Recherches expérimentales sur la morphologie des muscles. Comptes rendus
hebdom. des séances de 1 Académie des sciences 1887 8. 44. 80. Joachimsthal: Funktionelle Form.
veránderungen an den Muskeln. Von der Pariser Akademie der Wissenschaften preisgekrånte Arbeit.
Archiv. f. klin. Chir. Bd. 54 Hft. 2. 81. Pfitzner: Ein Fall von beiderseitiger Doppelbildung der
fünften Zehe. Morphol. Arbeiten Bd.5 Hft.2. 82. Joachimsthal: Ein weiterer Beitrag zur Lehre von
der Polydactylie. Fortschritte auf dem Gebiete der Réntgenstrahlen Bd. IV 8.111. 88. R. Bardeleben:
Zur Morphologie des Hand- und Fussskeletts. Sitzungsber. der Jenaischen Gesellsch. f. Medic. und
Naturw. 15. Mai 1885, 30. Okt. 1885 u. s. w. 84. C. Gegenbaur: Uber Polydaktylie. Morphologisches
Jahrbuch Bd. 14 1888 8. 394. 85. G. Tornier: Giebt es ein Praehalluxrudiment? Sitzungsberichte
der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin 1889 S. 113 und 175. 86. R. Zander: Ist die
64 Litteratur.
Polydactylie als theromorphe Varietåt oder als Missbildung aufzufassen? Virchows Arch. Bd. 120 8. 458.
87. Albrecht: Über den morphologischen Wert überzähliger Finger und Zehen. Centralbl. f. Chir. 1896
S. 105. 88. R. Pott: Ein Beitrag zu den symmetrischen Missbildungen der Finger und Zehen. Jahrb.
f. Kinderheilk. 1884 Bd. 21 S. 382. 89. Falkenheim: Über einen seltenen Fall von heredärer Polydac-
tylie mit gleichzeitig erblicher Zahnanomalie. Jenaische Zeitschr. für Naturw. 1888 Bd. 22 8. 343.
90. Joachimsthal: Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten. Hamburg 1900. Abschnitt
Polydactylie. 91. Derselbe: Verdoppelung des linken Zeigefingers und Dreigliederung des rechten Daumens.
Berl. klin. Wochenschr. 1900 No. 88. 92. Stopnitzki: Ein Beitrag zur Kenntnis der Polydactylie.
Schriften der phys. med. Gesellschaft zu Moskau 1900 No. 14. 93. Kümmel l. c. S. 47. 94. v. Mayer:
Zur Kasuistik der Spalthand und des Spaltfusses. Beitr. z. pathol. Anat. und zur allg. Pathologie Bd. 23
S. 20. 95. Roloff: Über den Spaltfuss. Fortschr. auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen Bd. 8 S. 179.
96. Riedinger: Ein Fall von Spalthand. Internat. photogr. Monatsschrift für Medizin und Naturwissen-
schaft 1896. 96a. Perthes: Über Spalthand. Zeitschrift für Chirurgie. Bd. 63 S. 180. 97. Adler,
Über partiellen Riesenwuchs. Verhandlungen der Berliner medizinischen Gesellschaft 1895 I S. 17
98. P. Wagner: Kasuistik des angeborenen Riesenwuchses. Deutsche Zeitschrift får Chirurgie 1887
S. 280. 93. Masmejean: Hypertrophies latérales du corps totales ou partielles. Thèse. Montpellier
März 1888. 100. Waitz: Ein Fall von angeborener Elephantiasis. Centralbl. f. Chir. 1889 No. 29 8, 110.
101. Machenhauer: Fall von angeborenem partiellem Riesenwuchs mit Berücksichtigung der Åtiologie
desselben und verwandter Wachstumsabnormitäten. Centralbl. f. innere Medizin 1896 No.43. 102. Josef
Hoberg: Beitrag zur Kasuistik des angeborenen Riesenwuchses. Inaug. Diss. Greifswald 1898.
103. v. Torday: Ein Fall von Riesenwuchs der unteren Extremitäten. Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 43. 1896.
104. Galvani: Deux cas d'acromégalie. Revue d'orthopédie 1895 No. 3. 105. Grünfeld: Über einen
Fall von angeborenem partiellem Riesenwuchs. Verhandl. der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins
1900 I S. 86. 106. Alban Köhler: Knochenerkrankungen im Röntgenbilde Wiesbaden 1901 S. 35.
107. Massonaud: These de Paris 1874 No. 80 (cit. nach Hoberg). 108. Joachimsthal: Beiträge zum
Verhalten des Húftgelenks bei der angeborenen Luxation. Verhandl. der deutschen Gesellschaft für
Chirurgie 1901 I 8. 196, II S. 697. 108a. Joachimsthal: Verhandlungen der Berliner medizin. Gesell-
schaft. Sitzung vom 7. Mai 1902. 109. Lorenz: Pathologie und Therapie der angeborenen Hüftver-
renkung. Wien und Leipzig 1895 S. 31. 110. Lorenz: Über die Heilung der angeborenen Hüftgelenks-
verrenkung durch unblutige Einrenkung und funktionelle Belastung. Leipzig u. Wien 1900. 111. Julius
Wolff: Über die unblutige Einrenkung der angeborenen Hüftgelenksverrenkung. Berlin. klin. Wochen-
schrift 1898 No. 18. 112, Ducroquet: Luxations congénitales de la hanche. Réduction non sanglante.
Guérison. Nouvelle méthode de traitement. Bull de l’Académie de méd. 1900 S. 598, Progrès méd. 1899
No. 3. 113. Ad. Lorenz: Bemerkungen zur Therapie der angeborenen Hüftverrenkung durch die un-
blutige Reposition. Berl. klin. Wochenschr. 1899 No.3—6u.a.0. 0. 113a. Dreasmann: Zur unblutigen
Behandlung der angeborenen Hüftverrenkung. Münch. med. Wochensch. 1901 No.2, 114. A. Broca et
A. Mouchet: De la reduction non sanglante des luxations congénitales de la hanche. Gaz. hebdom. de
méd. et de chir. 1902 No. 62 S. 733. 115. Hagopoff: ibid. 1901 No. 22. 116. Bade, Wien. klin. Rundschau
1900 No. 46-48. 117. Julius Wolff: Uber einen Fall von willkúrlicher angeborener praefemoraler Knie-
gelenksluxation nebst anderweitigen angeborenen Anomalien fast sämmtlicher Gelenke des Körpers. Zeit-
schrift f. orthopäd. Chir. Bd. 28.23. 118. Wilhelm Friedlander: Die habituelle Luxation der Patella.
Arch. f. klin. Chir. Bd. 63 Hft. 2. 119. Gustav Muskat: Die congenitalen Luxationen im Kniegelenk.
Inaug. Diss. Berlin 1897. 120. Emil Knauer: Beitrag zu den congenitalen Luxationen im Kniegelenk.
Monatsschr. f. Geburtshilfe und Gynäkologie Bd. 5 Ergänzungsheft. 121. Joachimsthal: Vorstellung
zweier Fälle von congenitalen Luxationen im Kniegelenk. Berl. klin. Wocbenschr. 1889 No. 42 S. 923.
122. Gocht: Resultat einer Klumpfussredression in Röntgen’scher Durchleuchtung. Sitzungsber. der
physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg, Sitz. vom 24. Febr. 1898. 123. Julius Wolff: Über die
Wechselbeziehungen zwischen der Form und Funktion der einzelnen Gebilde des Organismus. Leipzig
1901 8. 26. 124. E. Kirmisson: Double pied bot varus par malformation osseuse primitive associé à
des ankyloses congénitales des doigts et des orteils chez quatre membres d’une méme famille. Revue
d'orthopédie 1898 S. 312. 124a. F. Lange: Über ungenügende Muskelspannung und ihre operative
Behandlung. Münch. med. Wochenschr. 1902 No. 13. 125. A. Riviere: Considerations sur l'ankylose
bipolaire des articulations radio-cubitales et l’adaption fonctionelle du tissu musculaire. Gaz. des höp.
1895 No. 48 8. 477. 126. O. Vulpius: Über die Behandlung des Klumpfusses Erwachsener. Münch.
med. Wochenschr. 1901. No. 1. 127. Alb. Hoffa: Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie 4. Aufl. 1902.
128. Messner: Über Knochenveränderungen beim Pes calcaneus congenitus. Arch. f. klin. Chir. Bd. 42
S. 518. 129. Carl Gebhard: Sirenenbildung. Inaug. Diss. Berlin 1887.
Erklårung der Tafeln.
Tafel I.
Fig. 1. Amniotische Abschnürung im Bereiche des rechten Unterschenkels bei einem 7—8
Monate alten Fötus.
Fig. 2. Amniotische Abschnürungen im Bereiche des rechten Unterschenkels und Defekt des
rechten Radius bei einem 5 Monate alten Fötus.
Fig. 3. Amniotische Abschnürung im Bereiche des linken Fusses mit gleichzeitiger tiefer
Schnürfurchenbildung an dem entsprechenden sehr verkürzten Unterschenkel bei einer 17 jährigen Patientin.
Fig. 4. Circuläre Schnürfurche an der Grenze des mittleren und unteren linken Unterschenkel-
drittels bei einer 8 jährigen mit einem Klumpfuss derselben Seite behaftet gewesenen Patientin.
Fig. 5. Spontanamputationen im Bereiche der Zehen am linken Fuss eines 12 jährigen Patienten.
Fig. 6. Defekt der Kopfepiphyse des rechten Femur, kombiniert mit linksseitiger Coxa vara
(7 jähriges Mädchen).
Tafel II.
Fig. 1. Angeborener Defekt des oberen Endes des linken Oberschenkels bei einem 4 Wochen
alten Knaben.
Fig. 2. Skiagramm desselben Patienten im Alter von 2!/, Jahren.
Fig. 3. Links partieller, rechts vollkommer Defekt des Oberschenkels, Defekt beider Waden-
beine, vollständiger Mangel beider Arme an einem 40 cm langen männlichen Fötus,.
Fig. 4. Rechtsseitiger Tibiadefekt bei einem 10 Monate alten Knaben.
Fig. 5. Linksseitiger totaler Tibiadefekt mit Polydaktylie bei einem 6 Wochen alten Knaben.
Tafel III.
Fig. 1. Coxa vara congenita an einem in toto verkürzten und in seinen Dickendimensionen
verjüngten rechten Oberschenkel eines 8 Jahre alten Mädchens.
Fig. 2. Totaler rechtsseitiger Tibiadefekt bei einem 4 jährigen Knaben.
Fig. 3. Totaler rechtsseitiger Fibuladefekt bei einem 14 Monate alten Mädchen.
Fig. 4. Totaler rechtsseitiger Fibuladefekt mit starker Abknickung der Tibia bei einem
3 Monate alten Kinde.
Fig. 5. Defekt des oberen Drittels der rechten Fibula bei einem 5 jährigen Knaben.
Tafel IV.
Fig. 1. „Robbenähnlichkeit* bei einem 66 jährigen Patienten.
Fig. 2. Mangel der Kniescheibe bei einem 35 jährigen Manne.
Fig. 3. Normales Kniegelenk eines Erwachsenen (seitliche Aufnahme in Streckstellung).
Fig. 4 u. 5. Angeborene Verdoppelung beider Kniescheiben bei einer 33 jährigen Patientin.
Tafel V.
Fig. 1. Spitzwinklig gebeugtes Kniegelenk eines normalen 2 jährigen Mädchens.
Fig. 2. Spitzwinklig gebeugtes Kniegelenk eines 5 jährigen Mädchens mit angeborener spas-
tischer Gliederstarre (Hochstand der Kniescheibe).
Fig. 3, Kniegelenk eines 11jáhrigen Knaben mit angeborener spastischer Gliederstarre in ge-
streckter Stellung (Hochstand und Formveränderung der Kniescheibe).
Fig. 4. Kniegelenk eines normalen 11jährigen Knaben in Streckstellung.
Fig. 5. Kniegelenk eines normalen 11jáhrigen Knaben in rechtwinkliger Beugestellung.
Joschimsthal, Untere Extremitäten.
66
Erklårung der Tafeln.
Fig. 6. Kniegelenk eines 11 jährigen Knaben mit angeborener spastischer Gliederstarre in recht.
winkliger Stellung (Hochstand der Kniescheibe).
Fig. 7. Fuss eines Neugeborenen mit sieben Zehen. |
Fig. 8. Polydaktylie an beiden Füssen eines 13jährigen Knaben. Rechts teilt sich der 5.
Mittelfussknochen am distalen Ende in zwei Teile, links bestehen 6 ausgebildete Metatarsalia. Daneben
findet sich ein weiterer überzähliger Knochen zwischen Metatarsale I u. II.
in der 6.
Fig. 9. Polydaktylie an beiden Füssen eines 36 jährigen Patienten.
Fig. 10. Rechter Fuss eines 50 jährigen Patienten mit Polydaktylie. Bildung von 3 Gliedern
Zehe.
Tafel VI. |
Fig. 1. Polydaktylie an beiden Füssen eines 48jährigen Patienten. Anlagen zu je 7 Zehen.
Fig. 2. Füsse eines Fötus mit Polydaktylie.
Fig. 3. Defekt der Mittelphalanx der 2. rechten Zehe bei einer 16 jährigen Patientin.
Fig. 4 Defektbildung am rechten Fuss einem 47 jährigen Patienten.
Fig. 5. Defektbildung am rechten Fuss der 13 jährigen Tochter.
Fig. 6. Defektbildung am rechten Fuss des 10 jährigen Sohnes.
Fig. 7 u. 8. Linksseitiger Spaltfuss bei einer 20jährigen Patientin. Aufnahme von unten und
von der Seite.
Tafel VII.
Fig. 1. Partieller Riesenwuchs am rechten Fuss eines 15 jährigen Mädchens.
Fig. 2a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einem 6 jährigen Mädchen.
Fig. 2b. Aufnahme derselben Patientin 3 Jahre nach der unblutigen Einrenkung.
Fig. 3a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 7 jährigen Patientin,
Fig. 3b. Aufnahme derselben Patientin 2 Jahre nach der unblutigen Einrenkung.
Fig. 4a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 2 jährigen Patientin.
Fig. 4b. Aufnahme derselben Patientin 7 Monate nach der unblutigen Einrenkung.
Fig. 5a. Rechtsseitiger angeborener Klumpfuss bei einem 8 jährigen Knaben.
Fig. 5b. Aufnahme desselben Fusses 3 Monate nach dem Redressenat.
Tafel VIII.
Fig. la. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 3 jährigen Patientin.
Fig. 1b. Aufnahme derselben Patientin 2 Jahre nach der unblutigen Einrenkung.
Fig. 2a. Doppelseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 2 jährigen Patientin.
Fig. 2b. Aufnahme derselben Patientin 2 Jahre später, nach der unblutigen Einrenkung beider
Hüftgelenke.
Fig 3a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 2 jährigen Patientin.
Fig, 3b. Aufnahme derselben Patientin, ein Jahr später, nach gelungener Einrenkung.
Fig. 4a. Rechtsseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 4 jährigen Patientin. An dem linken
Hüftgelenk bestehen gleichfalls congenitale Veränderungen.
Fig. 4b. Aufnahme derselben Patientin 7 Monate nach der unblutigen Einrenkung der rechten Seite.
Fig. 5. Genu recurvatum congenitum bei einem 2 Monate alten Mädchen.
Tafel IX.
Fig. 1. Angeborener Klumpfuss bei einem 6jáhrigen Patienten.
Fig. 2. Angeborener Klumpfuss bei einem 14 jährigen Patienten.
Fig. 3. Redressierter Klumpfuss bei einem 40 jährigen Kranken.
Fig. 4a. u. b. Beide Füsse eines 2 jährigen Patienten mit vor 13 Jahren redressiertem rechts-
seitigem Klumpfuss.
Fig. 5. Sirenenbildung. Sympus dipus.
Fig. 6. Sirenenbildung. Sympus apus.
Druck von Hesse & Becker in Leipzig.
JvachitSthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten Tafel I
Neue Photogr. Gesellsch. A-G. Berlin-Steglitz. Verlag von Lucas Gräfe & Sillem in Hamburg
Joachimsthal. die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel D
Neue Photogr, Gesellseh. A-G. Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Grafe & Sillem in Hamburg.
Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel M
\eue Photoger. Gesellsch. \-6.Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Gräfe & Sillem in Hamburg.
wachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel IV
\ene Photogr. Gesellsch. \-G. Berlin-Steglitz. Verlag von Lucas Gräfe & Sillem in Hamburg.
Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel V
Neue Photogr. Gesellseh, A-G. Berlin-Steglitz, Verlag von Lucas Gråfe & Sillem in Hamburg.
Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel VI
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