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Full text of "Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen - Ergänzungsband 8 1902"

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Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen 
á Herausgeber: Dr. Albers-Schönberg 
Ergänzungsband 8 


Archiv una Atlas 


der normalen und pathologischen Anatomie 








in typischen Röntgenbildern 


Die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten 


von 


Dr. Georg Joachimsthal 


Privatdozent an der Berliner Universität 


—  — 


Hamburg 


Lucas Gräfe & Sillem 
(Edmund Sillem) 
1902 


Die angeborenen Verbildungen 


Unteren Extremitåten 


Dr. Georg Joachimsthal 


Privatdozent an der Berliner Universitåt 


Mit 62 Röntgenbildern auf 9 Tafeln und 52 Abbildungen im Text 


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Hamburg 


Lucas Gråfe & Sillem 
(Edmund Sillem) 


1902 


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Vorwort. 


Die den Gegenstand des vorliegenden Heftes bildende Bearbeitung der angeborenen 
Verbildungen der unteren Extremitäten enthält ebenso wie meine als Teil Il des Archivs und 
Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern erschienene Zu- 
sarmmenstellung der angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten, vorzugsweise meine 
eigenen, an klinischem Material gemachten Beobachtungen. Sie dürfte einen weiteren Beweis für den 
geradezu unschätzbaren Wert der Durchleuchtung bei der Erforschung der kongenitalen Bildungs- 
fehler erbringen. Mehrere in den Atlas aufgenommene Skiagramme sind mir von den Herren 
Wirkl. Geheimen Rat Prof. Dr. v. Bergmann, Excellenz, Geheimrat Prof. Dr. J. Wolff (+), 
Priv.-Doz. Dr. Borchardt und Dr. Helbing-Berlin, Dr. Tschmarke und Reichardt-Magde- 
burg, Dr. Wuth-München, Stabsarzt Dr. Niehues-Bonn, Dr. Jacobs-Trier, Dr. Reiner-Wien und 
Dr. Natvig-Christiania in freundlichster Weise überlassen worden. Die in einzelnen Kapiteln 
besprochenen Präparate verdanke ich der Liebenswürdigkeit der Herren Geheimräte Prof. 
Dr. Olshausen-Berlin und Prof. Dr. Garré-Kénigsberg, der Herren Professoren Dr. Benda 
und Dr. v. Hansemann-Berlin. Endlich habe ich wiederum Herrn Prof. Dr. Pfitzner-Strass- 
burg, der in einer Reihe meiner Beobachtungen durch die in dem Buche wiedergegebenen 
Rekonstruktionsbilder nach dem von ihm beschriebenen Verfahren wesentlich zur Klärung der 
Verhältnisse beitrug, sowie seinem Zeichner, Herrn E. Kretz, auch an dieser Stelle aufs ver- 
bindlichste zu danken. 

Mit Rücksicht auf den vornehmlichsten Zweck des Archivs und Atlas ist auch in diesem 
Teil desselben der hauptsächlichste Wert auf die morphologischen Verhältnisse gelegt und der 
Theorie und der auf dem Gebiete der angeborenen Verbildungen so überaus grossen Litteratur 
nur, soweit dies unumgänglich nötig war, nachgegangen worden. 

Bei den einer Therapie zugänglichen Anomalien ist auch dieser eine Besprechung 


zuteil geworden. 


Der Verfasser. 


Inhalt. 


— r — — 


Seite 

VWOBWOTE et O e e a ga 
Einleitung . . . . : A E E e a ll 
I. Die sogenannten fötalen Amputalionen Eoy e A O 


II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen — unteren Extremität, 
A. Die angeborenen Defektbildungen am Oberschenkel (mit Einschluss der Coxa vara congenita) 8 


B. Die angeborenen Defektbildungen am Schienbein . . . . 2 2 2 2 2. do cd AS 
C. Die angeborenen Defektbildungen des Wadenbeins .............. . 20 
D. Die sogenannten Phocomelen . . . . . . . . + + + + + + =< * Oy ite OY E ar. VD 
III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 
A. Mangel der Kniescheibe . . Sé 
B. Verdoppelung der Kniescheibe . . 2. 2 2 2: + + + + + + + + * + + . + + + + + 站 
C. Der angeborene Hochstand der Kniescheibe . . . . . . . . + + + + + + + + + . 28 
IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses . . . an be are BO 
V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss de ect i uh. KS a “er do yt 299 
VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremität . . . . . . + +, + + + 99 
VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. : 
A. Beiträge zum Verhalten des Hüftgelenks bei der angeborenen Verrenkung ..... . 42 
B. Die angeborenen Luxationen im Kniegelenk . . . . + 2. + + + + + arm i, ee 
VII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses mit besonderer Berücksichtigung des angeborenen 
Kilumpfusses.- % e o S G Q ne RR EE A SR eS a OE 
IX. Die Sirenenbildungen....... 60 
Litteratur. . a» is w a Z. a ALA QU e A 


Tafelerklárung . . ......….. See ue e he oth Be. gees Ss ee. Es Et cas Bice cee oe 00 


Einleitung. 


Zur Erleichterung der Deutung der in den folgenden Kapiteln zu besprechenden Skia- 
gramme schicke ich zunåchst im Anschluss an die von Lambertz im ersten Hefte des Atlas der 
normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern gemachten Darlegungen 
einige Bemerkungen über die normale Entwickelung der unteren Extremität voraus. 

Bekanntlich erscheint die erste Anlage der unteren Gliedmassen beim menschlichen 
Embryo in der dritten Woche. Das kleine Höckerchen zur Seite des Rumpfes nimmt in der 
fürften Woche schon bestimmtere Gestalt an, ein distaler als Fuss vorgebildeter Teil gliedert 
sich ab; der proximale Abschnitt zerfällt durch eine Querfurche in Ober- und Unterschenkel; 
durch Einschntirungen kommt es zur Andeutung der einzelnen Zehen. Ebenso wie an der oberen 
liegt auch an der unteren Extremität die spätere Streckseite zunächst dorsal, die Beugeseite 
ventral. Im weiteren Fortgange der Entwickelung drehen sich beide Gliedmassen in entgegen- 
gesetztem Sinne um ihre Längsachse, und zwar die obere in höherem Grade als die untere. 
Auf diese Weise kommt am Oberarm die Streckseite nach hinten, am Oberschenkel nach vorn 
zu liegen; Radius und Daumen sind lateralwärts, Tibia und grosse Zehe medianwärts gelagert. 

Bei der Entstehung des Extremitätenskeletts ist ein Stadium der häutigen, der knor- 
peligen und der knöchernen Anlage zu unterscheiden, Das letztere hat in seinen einzelnen Phasen 
für uns besondere Bedeutung, da wir das Auftreten der einzelnen Ossifikationskerne aufs be- 
quemste an Röntgenbildern verfolgen können. An den Röhrenknochen bilden sich je ein Kern 
für die Diaphyse, einer oder mehrere für die Epiphysen. Eine Verschmelzung zu einem ein- 
zigen Knochenstück erfolgt erst, wenn das Längenwachstum beendet ist. Das Auftreten der 
einzelnen Knochenkerne geschieht dabei in einer bestimmten Reihenfolge: 

Die Ossifikation der Diaphysen der langen Röhrenknochen beginnt in der achten Woche 
des Fötallebens am Femur und schreitet dann auf Tibia und Fibula fort. Die Ossifikation der 
Epiphysen erfolgt hier in der Weise, dass beim Femur vom Anfang des neunten Fötalmonats ab, 
sehr selten, so weit es sich um ein ausgetragenes Kind handelt, erst nach der Geburt, ein Kern 
in der distalen Epiphyse, bald nach der Geburt ein solcher im Caput femoris, ein weiterer einige 
Jahre später im Trochanter major entsteht. An der Tibia findet sich häufig noch vor der 
Geburt ein Kern in der proximalen Epiphyse; bis zum dritten Jahre folgt die distale Epiphyse, 
später zuweilen je ein Nebenkern in der Tuberositas und im Malleolus. An der Fibula er- 
scheint zuerst ein distaler Kern bald nach dem entsprechenden der Tibia, bis zum fünften 
Jahre derjenige in der proximalen Epiphyse, später ein unbeständiger Nebenkern im Malleolus. 

Am Tarsus beginnt die Verknöcherung im Calcaneus während des sechsten Fötal- 
monats, zuweilen aber erst im Verlaufe der beiden folgenden Monate. Meist folgt bald der 
Kern des Talus, auf dem Röntgenbilde durch seine proximale und tibiale Lage vom Calcaneus 
unterscheidbar. Häufig beginnt kurz vor der Geburt noch die Ossifikation des Cuboideum. Im 
ersten Lebensjahre folgt das Cuneiforme III und bis zum dritten oder vierten Jahre das Cunei- 
forme I und II, gleichzeitig oder wenig später auch das Naviculare. Vom Tuber calcanei 


bleibt ein grösserer Bezirk bis zum achten Jahre knorpelig und erhält dann einen besonderen 
Joachimsthal, Untere Extremitäten. 1 


9 Einleitung. 


Ossifikationsherd. Die Metatarsalia verknåchern in der zehnten bis elften Woche des Embryonal- 
lebens derart, dass die Ossifikation in dem zweiten beginnt, und dass sich der Reihe nach das 
dritte, vierte und fünfte anschliessen. Vor dem ersten Mittelfussknochen ossificiert noch das Nagel- 
glied der Grosszehe, hierauf in der elften bis dreizehnten Woche dasjenige der übrigenZehen. In 
der 14. Woche beginnt die Ossifikation der Basalphalangen, während die der Mittelphalangen 
erst im sechsten Monat einsetzt, ja, häufig noch beim Neugeborenen nicht begonnen hat. 

Die Patella ossificiert im zweiten Lebensjahre, die Verknöcherung der beiden Sesam- 
beine an dem Metatarsophalangealgelenk der Grosszehe erfolgt im zwölften Lebensjahre 
oder später. 

Endlich wäre noch zu erwähnen, dass am fötalen Becken zwischen der neunten bis 
zwölften Woche von drei getrennten Punkten aus die Verknöcherung des Os ilium einsetzt. Am 
Ende des vierten oder zu Anfang des fünften Monats markiert sich ein Herd im absteigenden 
Sitzbeinast, dem in der Zeit vom Ende des fünften bis zum Ende des siebenten Monats ein 
solcher im horizontalen Ast des Schambeins folgt. Vom sechsten Lebensjahre ab bilden sich 
am Hüftbein noch eine Reihe weiterer Össifikationscentren, und im 16.—18. Lebensjahre ver- 
einigen sich seine drei Hauptbestandteile im Grunde der Pfanne durch Synostose. 


I. Die sogenannten fötalen Amputationen. 


Wie an den oberen Gliedmassen und zum Teil in Verbindung mit gleichartigen Ver- 
bildungen an diesen kommen auch im Bereiche der unteren Extremitäten Anomalien vor, bei 
denen mehr oder minder ausgedehnte Abschnitte fehlen, und der restierende Teil des Gliedes 
entweder vollkommen — selbst bis auf die Narbenbildung — einem Amputationsstumpf gleicht 
oder, was nach meinen Erfahrungen an den unteren Extremitäten seltener als an den oberen 
der Fall ıst, noch mit kleinen zuweilen auch rudimentäre Nägel tragenden, warzenförmigen Er- 
habenheiten bedeckt ist. Ausserdem finden sich quasi als Vorstufen dieser sogenannten Spontan- 
amputationen mehr oder minder tiefe cirkuläre Einschnürungen mit oder ohne elephantiastische 
Verdickung des peripherwärts von der 
Schnürfurche gelegenen Körperteiles. End- 
lich kombinieren sich die angeborenen Ab- 
resp. Einschnürungen noch mit anderen con- 
genitalen Anomalien, Defekten einzelner 
Knochen, beispielsweise des Radius, und 
Klumpfussbildungen. 

Einige Beispiele meiner Beobach- 
tungen werden die verschiedenen Vorkomm- 
nisse am besten illustrieren. 

Fig. 1 zeigt das Verhalten eines 
fünf Monate alten weiblichen Kindes mit 
Abschnürungen im Bereiche aller vier Ex- 
tremitáten. Das 5 cm lange Rudiment des 
linken Oberschenkels zeigt auf der Höhe 
des Stumpfes eine knopfartige Hervorragung 
und rings um dieselbe eine Einziehung der 
Haut. Es ist, ebenso wie dies bei den beiden 
8 resp. 9 cm langen Rudimenten der Ober- 
arme der Fall ist, aktiv und passiv frei 
beweglich. Rechts fehlt der Oberschenkel 
vollkommen. Die Haut zieht hier ohne Narbe, nur mit leichter Depression in der Pfannen- 
gegend, über das Becken hinweg. 

Von fötalen Amputationen im Bereiche des Unterschenkels sind zwei Beispiele auf 
Tafel I, Fig. 1 und 2 im Röntgenbilde wiedergegeben. Es handelt sich um Föten aus der 
Sammlung der Berliner Universitäts-Frauenklinik. Der erste (Tafel I, Fig. 1) ist 35 cm lang und, 
wie wir auch aus dem Stande der Verknöcherung, namentlich des Beckens, schliessen können, 
sieben bis acht Monate alt. Der Knochenkern des Os ilium zeigt bereits deutlich die Form der 
Darmbeinschaufel. Vom dorsalen (hinteren) Rande geht ein dreieckiger kleiner dunkelkon- 
tourierter, nach dem Centrum spitz zulaufender Keil ab (nach Falk aus dem Processus candalis 
hervorgegangen). Von der Spitze dieses Keils zieht, besonders auf der linken Seite deutlich, eine 
Leiste zur Grenze zwischen mittlerem und hinterem Drittel des oberen Darmbeinrandes, welche 

1* 





Fig. 1. 
Fötale Amputationen an allen vier Extremitäten 
eines 5 Monate alten Mädchens. 


4 I. Die sogenannten fótalen Amputationen. 


die Pars sacralis des Darmbeins abgrenzt. Weiterhin findet sich ein långlicher Knochenkern 
mit einer medialen geraden und einer lateralen konvexen Fläche, der dem oberen Ast des 
Sitzbeins entspricht. Endlich besteht ein kleinerer ovaler Knochenkern in dem oberen Ast des 
Schambeins. Im Kreuzbein finden sich Knochenkerne in den Körpern und Bögen der vier 
ersten Wirbel, es fehlen noch diejenigen in den Massae laterales. Beide Oberschenkel sowie 
der linke Unterschenkel zeigen Verknöcherungen der Diaphysen, der 
linke Fuss den dem Calcaneuskörper entsprechenden Kern. Der rechte 
Unterschenkel weist eine ausgeprägte Defektbildung auf. Das konisch 
zulaufende Rudiment der Tibiadiaphyse hat eine Länge von 2,2 cm 
(im Gegensatz zu einer Länge der linken Tibia von 3,6 cm). Neben 
‘ihm liegt der etwa 2,3 mm lange Fibulastumpf. Die peripheren 
Teile fehlen vollkommen. Bei dem zweiten, nur 29 cm langen Fötus 
(Tafel I, Fig. 2) ist in dem rechtsseitigen Unterschenkelstumpf nur 
ein 1'/, cm langes, distal- 
wärts stark verschmälertes 
Stiick der Tibia erkenn- 
bar. Die linke Tibia ist 
3 cm lang. Von der linken 
Fibula fehlt jede Andeu- 
tung. Man konstatiert 
weiterhin einen totalen 
Defekt des rechten Radıus 
mit gleichzeitigem Fehlen 
des entsprechenden Dau- 
mens und seines Mittel- 
handknochens. Was hier 
den Stand der Ossifikation 
des Beckens anlangt, so 
sieht man einen grossen 
Knochenkern im Darm- 





Fig. 2. bein, weiterhin einen läng- 

Spontanamputationen lich ovalen Kern im linken 

an beiden Händen und ; oberen Sitzbeinast. Cranial- 
dem linken Fuss einer Fig. 3. 


wärts und nach rechts 
von demselben findet sich, 
schräg von links oben nach rechts unten verlaufend, der Knochenkern des rechten oberen Sitz- 
beinastes, welcher über die Mittellinie hinaus etwas nach links verschoben ist. In den oberen 
Schambeinästen finden sich noch keine Knochenkerne, desgleichen fehlen solche in der Massae 
laterales des Kreuzbeins. Verknöchert sind die Körper der drei ersten und die Bögen der 
beiden ersten Kreuzbeinwirbel. Es handelt sich demnach um einen Fötus, der, da die Ossi- 
fikation erst bis zum dritten Wirbel vorgeschritten ist, und der Knochenkern im Schambein 
fehlt, aus dem Ende des fünften Monats stammen wird. 

Eine Abschnürung im Bereiche des linken Fusses mit gleichzeitiger tiefer Schnür- 
furchenbildung in dem entsprechenden sehr verkürzten Unterschenkel und Spontanamputationen 
an beiden Händen zeigt eine 17 jährige, z. Z. in dem Samariterhaus zu Cracau bei Magdeburg 
untergebrachte Patientin Anna M., von der Fig. 2 und das auf Tafel I, Fig. 3 wiedergegebene 
Röntgenbild gefertigt sind. 

In der Familie der Kranken ist keine ähnliche Bildung zu verzeichnen. Die Eltern 
sowie sieben Geschwister sind normal. Die bei der Patientin bestehenden Anomalien wurden 
sofort nach der Geburt bemerkt. Verwachsungen zwischen den verstümmelten Fingern sollen 


17jährigen Patientin. Skizze des Röntgenbildes auf Tafel I, Fig. 3. 


I. Die sogenanuten fötalen Amputationen. 5 


im ersten Lebensjahre auf operativem Wege beseitigt worden sein. Das Mädchen, das Vor- 
zügliches in der Herstellung von Handarbeiten leistet, trägt linkerseits einen Schienenstiefel, mit 
dem es ohne die geringste Belästigung geht. 

Der linke Unterschenkel erweist sich gegenüber dem rechten um 14 cm verkürzt. Er 
endigt als ein zweifaustgrosser, runder, nach unten etwas spitz zulaufender Klumpen von 11 cm 
Länge, 9'/, cm grösster Breite, der durch eine tiefe, wie durch ein enges Gummiband hervor- 
gerufene, fast bis auf den Knochen gehende, auch auf dem Röntgenbilde deutliche Schnürfurche 
ringfórmig von dem übrigen Unterschenkel abgegrenzt is. Die Schnürfurche befindet sich 
171/, cm unterhalb des unteren Randes der Patella. Die den Klumpen überziehende Haut ist 
sehr dick, etwas Öödematös, an der Vorderseite mit Falten und Buchten versehen, an der Rück- 
seite glatt. Auffallend ist ein eigentümlicher Hautzipfel, der, im oberen Drittel der Vorder- 
seite mit 2 cm breiter Basis entspringend, sich, allmählich spitzer werdend, nach oben bis 
dicht über die Schnürfurche begiebt und dort mit einem 
rundlichen, erbsengrossen Ende angewachsen ist, so dass 
zwischen ihm und der von ihm überbrückten Haut ein 
freier, für einen dicken Bleistift bequem passierbarer Raum 
bleibt. Die Haut an der Unterseite des Klumpens hat 
durchaus den Charakter der Hackenhaut; sie ist dick und 
mehr weisslich, während die seitliche Haut, ziemlich scharf 
abgegrenzt, mehr rötlich ist und nach der Angabe der 
Patientin manchmal Taubheits- und Kältegefühl zeigt. 
Im übrigen ist die Sensibilität der Haut des Klumpens 
überall gleichmässig normal. Man fühlt in demselben 
deutlich Knochen. An dem von dem deformen Unter- 
schenkel in Seitenlage gefertigten Skiagramm (Tafel I, 
Fig. 3) und der nach diesem gefertigten Skizze Fig. 3 
erkennt man zunächst mit grosser Deutlichkeit die tiefe 
Schnürfurche der Haut im untersten Drittel sowie die 
vielfachen Faltungen in dem distalwärts gelagerten Klum- 
pen. An den beiden unten mit einander verwachsenen 
Knochen selbst findet sich keinerlei Rinnenbildung. 
Peripher von der Furche ist namentlich die Tibia nach — a 

i 3 i Abschnürungen un erwachsungen 
vorn konkav geschweift und wie durch eine von aussen an den linken Zehen eines 12 júhrigen 
einwirkende Kraft, die man in der oben erwähnten Haut- Knaben. 
falte an der Vorderfliche des Klumpens suchen könnte, 
nach vorn und oben gezogen. An die Unterfläche der Tibia schliesst sich ein nur als 
Calcaneusrest zu deutender Knochen mit annähernd rechteckigem Durchschnitt an, von oben 
nach unten ca. 5 cm, von vorn nach hinten 2 cm lang. 

An den Händen sind nur die kleinen Finger normal; die übrigen zeigen meist im 
Bereiche der zweiten Phalangen Spontanamputationen. Linkerseits sind die Weichteile beider 
ersten Glieder des Zeige- und Mittelfingers miteinander verwachsen, die Phalangen, auch nach 
Ausweis des Röntgenbildes, indess getrennt vorhanden. Am distalen Ende dieser beiden Glieder 
hängt der Rest der Finger als kleines nagelloses Klümpchen, in dem die Durchleuchtung 
keinerlei Knochenkerne erkennen lässt. 

Das soeben erwähnte gleichzeitige Vorkommen von Abschnürungen und Verwachsungen 
an den Fingern zeigt in analoger Weise an den Zehen des linken Fusses das in Fig. 4 wieder- 
gegebene Bild eines jetzt zwölfjährigen Patienten. Die Hände des überdies mit einer offenbar 
durch einen amniotischen Strang bewirkten Zweiteilung der Nase behafteten Knaben zeigen 
Spontanamputationen in der Höhe der ersten Interphalangealgelenke des linken Daumens, Ring- 
und kleinen Fingers, Einschnürungen in der Mitte der Endglieder des Zeige- und Mittelfingers. 





Fig. 4. 


6 I. Die sogenannten fötalen Amputationen. 


Rechterseits finden sich ähnliche Einkerbungen am ersten Ring- und zweiten Kleinfingergliede; 
von den durch Syndaktylie verbundenen Rudimenten der Zeige- und Mittelfinger grenzt sich 
ein weiterer Zeigefingerrest durch eine tiefe Furche dergestalt ab, dass nur noch eine häutige 
Verbindung bestehen bleibt. Auch im Bereiche der ersten Glieder des Mittel- und Ringfingers 
besteht eine Syndaktylie. S a 

Der rechte Fuss erweist sich als normal. Am linken besteht eine Spontanamputation 
am distalen Ende der ersten Phalanx der grossen Zehe sowie eine Verschmelzung der vorderen 
Enden der zweiten und dritten gleichfalls nagellosen Zehen. Das Röntgenbild (Tafel I, Fig. 5) 
zeigt in der grossen Zehe noch ein proximales Rudiment der Endphalanx, in der zweiten Zehe 
ein Fehlen der zweiten und dritten Phalanx, während an den übrigen Zehen die Knochen in 
normaler Weise vorhanden und ausgebildet sind. 

Fig. 5 und 6 zeigen endlich im 
ersten und achten Lebensjahre ein und die- 
selbe von mir wegen eines linksseitigen 
Klumpfusses im Jahre 1900 durch Tenotomie 
der Achillessehne und einen redressierenden 
Verband erfolgreich behandelte Patientin, 
die noch jetzt an der Grenze des mittleren 
und unteren linken Unterschenkeldrittels 
eine seit der Geburt vorhanden gewesene 
eirkuläre Schnürfurche erkennen lässt. Die 
Furche ist mit den Jahren flacher geworden. 
Auch hier sind die Knochen, wie das 
Röntgenbild (Tafel I, Fig. 4) erkennen lässt, 
von der Schnürfurche unbeeinflusst geblieben. 
Zur Zeit zeigen beide Beine gleiche Länge. 
Der geringere Umfang des linken Unter- 
schenkels erklärt sich zum Teil durch die 
bei allen geheilten Klumpfüssen wieder- 
kehrende Wadenformation, auf die wir bei 





Fig. 5. 





9 Monate altes Madchen 


wit. «biroller Gehna Fig. 6. der Besprechung des Klumpfusses noch 

furche an linken Unter- Die in Fig. 5 abge- zurückkommen. 

schenkel und linksseitigem bildete Patientin im In den hier zusammengestellten 
Klumpfuss, 8. Lebensjahre. Fällen, in denen wiederum wie bei den von 


mir beobachteten Kranken mit Spontan- 
amputationen im Bereiche der oberen Gliedmassen im Gegensatz zu den Kranken mit sonstigen 
Missbildungen Erblichkeitsverhältnisse keinerlei Rolle spielten, dürfte wohl zweifellos das 
átiologische Moment in äusseren mechanischen Einwirkungen zu suchen sein. Ich verweise 
in dieser Beziehung auf die von mir bei der Besprechung der angeborenen Verbildungen der 
oberen Extremitäten zusammengestellten Argumente für die Annahme der Entstehung der 
Ab- und Einschniirungen unter dem Einfluss amniotischer Störungen. Neuerdings ist es 
wiederum Jacob Wolff bei einem 6'/, monatlichen Fötus, der in toto mit Eihüllen und 
Placenta abging, gelungen, eine vollständige Erhaltung des abschnürenden Fadens nach- 
zuweisen. Dieser letztere, 10 cm lang, entsprang an der Ammiontasche zur rechten Seite der 
Nabelschnurinsertion und zog als starker, gedrehter Strang zur rechten Hand des Fötus. Hier 
hatte er die Endphalangen des Ring- und Mittelfingers, mit denen er fest verwachsen war, ab- 
geschniirt. An der linken Hand fand sich — höchst wahrscheinlich durch einen zweiten 
Faden bedingt — der gleichfalls aus der Lücke im Amnion neben der Nabelschnur entsprang, 
4 cm lang war und im unteren Drittel nach der Placenta zu ein Kölbchen trug (höchstwahr- 


I. Die sogenannten fótalen Amputationen. 7 


scheinlich eine abgeschnürte Phalanx) — eine Abtrennung von zwei Phalangen des kleinen 
Fingers, Syndaktylie des Ring- und Mittelfingers. 

Die in meinem letzterwåhnten eigenen Falle vorhanden gewesene Kombination einer 
Schnürfurche am Unterschenkel mit Klumpfussbildung auf derselben oder auch auf der ent- 
gegengesetzten Seite ist in einer kleinen Anzahl in der Litteratur verzeichneter Fälle gefunden 
worden. Stets war bei diesen indess der peripher von der Einschnürungsstelle gelegene 
Abschnitt der Extremität durch ödematöse resp. elephantiastische Zustände oder daneben noch 
durch Verstümmelungen an den Zehen in hohem Grade verunstaltet. So berichtet Koch 
über ein drei Monate altes Kind mit einer 2!/, cm oberhalb der rechten Ferse rings um 
den Unterschenkel gehenden Schnürfurche. Die dicht aneinanderliegenden Wände der- 
selben liessen sich durch Fingerdruck leicht von einander entfernen, so dass alsdann der 
Grund der Furche sichtbar wurde, auf welchem man unmittelbar unter der Sonde den 
nur von einem dünnen, gespannten, etwas glänzenden Hautlappen bedeckten Knochen 
fühlte. Die Tiefe der Furche bezw. die Höhe ihrer steilen Wände betrug ringsum an allen 
Stellen 7—8 mm. Der distal von Einschnürung gelegene Teil des Unterschenkels war 
enorm Ödematös geschwollen, ebenso der Fuss. Dieser letztere befand sich in hochgradiger 
Klumpfussstellung. Die Zehen waren verkümmert und erschienen als kleine, knopfförmige 
Anhänge. Der linke Fuss zeigte die Erscheinungen des gewöhnlichen hochgradigen Klump- 
fusses, ohne dass an der linken Extremität Zeichen amniotischer Ein- oder Abschnürungen vor- 
handen waren. An den Fingern fanden sich gleichfalls Verstüämmelungen. Bei einem von 
Marchand beschriebenen weiblichen Fötus von sieben bis acht Monaten fand sich in der Mitte 
des linken Unterschenkels eine tiefe cirkuläre Schnürfurche; der unterhalb derselben gelegene 
Teil war wieder ödematös geschwollen. Rechts bestand Pes varus. Ausserdem zeigten mehrere 
Finger Abschnürungen und Verwachsungen. In einem von Redard publizierten Falle kon- 
statierte man im unteren Drittel des Unterschenkels eine tiefe Schnürfurche und an dem ent- 
sprechenden Fuss eine leichte Valgusstellung. Das untere Drittel des Unterschenkels sowie 
der Fuss waren auch hier stark ödematös geschwollen. Die Zehen waren atrophisch und ohne 
scharfe Form, aber mit Nägeln versehen. Der rechte Fuss stand ebenfalls in leichter Valgus- 
stellung, war aber sonst normal. An den Fingern fanden sich mehrfach rudimentäre Bildungen, 
Abschnürungen und Syndaktylien. 

Dass in diesen Fällen auch die perverse Stellung des Fusses mit dem Zuge amniotischer 
Stränge in Verbindung zu bringen ist, gewinnt an Wahrscheinlichkeit nach einer von Jensen 
gegebenen Beschreibung eines weiblichen Fötus vom sechsten oder siebenten Monate mit links- 
seitigem Klumpfuss, bei dem die Varusstellung dadurch bedingt war, dass der Fuss durch ein 
vorn am Fussrücken inseriertes amniotisches Band in diese Stellung hineingezwängt war. 

Während der ein- und abschnürenden Wirkung der amniotischen Stränge gegenüber 
die Weichteile ohne weiteres nachgeben, scheinen die knöchernen Teile hier in höherem Grade 
widerstandsfähig zu sein. Wenigstens war ich weder bei der in Fig. 2 noch bei der in Fig. 4 
u. 5 abgebildeten Patientin imstande, an der Stelle der Schnürfurche auf dem Röntgenbilde eine 
auch nur angedeutete Einkerbung von Tibia und Fibula zu konstatieren. Dasselbe berichtet 
Reinbach von einem fünfjährigen Mädchen, welches neben allerhand unbedeutenden Miss- 
bildungen an Nase, Augenbrauen und Öberlippe sowie amniotischen Einschnürungen an den 
Fingern der rechten Hand und den Zehen des linken Fusses eine tiefe ringförmige Einschnürung 
des rechten Unterschenkels mit unförmiger elephantiastischer Verdickung des distal davon ge- 
legenen Teiles des Unterschenkels und Fusses mit zur Welt gebracht hatte. Auch hier zeigte 
sich auf dem Skiagramm keinerlei Wirkung der Schnürfurche auf die Knochen des Unter- 
schenkels. | 


8 II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt. 


1I. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 


A. Die angeborenen Defektbildungen am Oberschenkel (mit Einschluss der 
Coxa vara congenita). 


Angeborene Defektbildungen am Oberschenkel sind relativ seltene Anomalien. Ich 
selbst habe dieselben zweimal am Lebenden zu sehen und mittelst des Röntgenverfahrens zu 
studieren Gelegenheit gehabt. 

Meine erste Beobachtung betraf einen Knaben, den ich schon im Alter von vier 
Wochen und von neuem nach 2'/, Jahren zu untersuchen Gelegenheit hatte. Aus gesunder, 
von Missbildungen freier Familie stammend, in Steisslage unter Anwendung von Kunsthilfe 
geboren, zeigte er, als ich ihn zum ersten Male sah, eine Körperlänge von 53 cm und, ab- 
gesehen von den sogleich zu beschreibenden Störungen, eine gute und kräftige Entwickelung 
seines Körpers. Zunächst fand sich an dem rechten Kopfnicker eine fast den ganzen Muskel 
einnehmende, spindelförmige Anschwellung. Kopf, Rumpf 
und obere Gliedmassen waren wohlgebildet, das linke Bein 
dagegen sehr wesentlich gegenüber dem rechten verkürzt. 
An dieser Verkürzung partizipierte allein der Oberschenkel, 
während die Entfernung von der Kniegelenkspalte bis zum 
Malleolus externus beiderseits 11 cm, die Länge des Fusses 
7 cm betrug. An Stelle des linken Oberschenkels fand sich 
ein kurzes, sehr dickes, klumpiges Gebilde, in dem man 
deutlich Knochen durchfühlte und die sich stark verwölbende 
Muskulatur, an der Hinterseite die stark gespannten Beuge- 
sehnen, abtasten konnte. An dem Knochen liess sich 
aussen, etwa 5 cnı von der Kniegelenkspalte entfernt, ein 
vermutlich dem Trochanter entsprechender Endpunkt 
bestimmen. Im Kniegelenk waren Flexion und Extension, 
im Hüftgelenk Flexion und Adduktion in normaler Weise 
ausführbar, während die volle Streckung und Abduktion 
des leicht auswärts rotiert stehenden Oberschenkels auf 
Schwierigkeiten stiessen. Unterschenkel und Fuss zeigten 
im übrigen die normale Gestaltung. 

An dem s. Z. aufgenommenen Röntgenbilde Tafel II, 





Fig. 7. Fig. 1 endet der obere Teil des rechten Femur in der fir 
21/, Jahre alter Knabe mit einen Neugeborenen charakteristischen etwa der eines oberen 
angeborenem Defekt des oberen Humerusendes analogen Form. Ein Knochenkern für die 


Endes des rechten Oberschenkels. 


obere Epiphyse ist noch nicht vorhanden. Links läuft die 
ca. 4 cm lange Femurdiaphyse konisch zu, um am oberen Ende mit einer kleinen Anschwellung 
zu enden. Das proximale Femurende ist hier nach oben luxiert; denn es überragt, entgegen 
der Norm, die Gegend des Y-förmigen Knorpels um ca. 1'/, em. Die untere Epiphyse des 
Femur und die obere Tibiaepiphyse zeigen in normaler Weise ihre Ossifikationskerne Im 
Unterschenkel sind beide Knochen ausgebildet. 

Der Knabe hat sich während der bis zur zweiten Untersuchung verflossenen 2 Jahre 
vortrefflich entwickelt. Das s. Z. konstatierte Haematom des Kopfnickers hat sich, ohne Spuren 
zu hinterlassen, zurückgebildet. Beide Unterschenkel und Füsse haben die gleiche Zunahme 
erfahren, der Längenunterschied zwischen beiden Beinen ist indes, und zwar lediglich auf 
Kosten des linken Oberschenkels, wesentlich auffallender geworden. Steht der Knabe (Fig. 7) 
auf seinem rechten Bein, so reicht die Ferse des linken nur bis zur Grenze des oberen und 
mittleren rechten Unterschenkeldrittels. Die Beweglichkeit im Knie, an dem man übrigens, 


II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität, 9 


ebenso wie bei der ersten Untersuchung, eine Patella vermisst, ist normal. Der Unterschenkel 
steht meist flektiert und auswirtsrotiert. Die Einwärtsrotation, Extension und Abduktion sind 
sehr beschränkt, die Adduktion in normaler Weise möglich. 

Interessante Verhältnisse enthüllt uns das nunmehr angefertigte Röntgenbild (Tafel II, 
Fig. 2). Der rechte Oberschenkelknochen hat sich in normaler Weise entwickelt, eine Länge 
von 22 cm erreicht und die normale Gestalt angenommen. Der dem Caput femoris ent- 
sprechende Ossifikationskern steht unter dem Pfannendach dicht gegenüber dem Y-fórmigen 
Knorpel. Im Gegensatz dazu ist der linke Oberschenkelknochen nur 10,5 cm lang. Der Kern 
seiner unteren Epiphyse hat sich, ähnlich wie auf der normalen Seite, weiter bis zur nahen 
Anlagerung an die Diaphyse vergrössert. Eine obere Epiphyse fehlt vollkommen, das obere, 
gegen früher wesentlich breiter gewordene Stück der Diaphyse ist etwas nach innen abgebogen 
und wie bei einer angeborenen Hüftluxation an dem Darmbein entlang heraufgerückt, so dass 
nunmehr der Horizontalabstand 
seiner Spitze von dem Pfannen- 
knorpel reichlich 3 cm beträgt. 

In dem zweiten Falle 
handelte es sich um ein sieben- 
jähriges Mädchen, das ich in Ge- 
meinschaft mit Herrn Kollegen 
Feilchenfeld aus Charlotten- 
burg am 30. Januar 1900 der 
Berliner medizinischen Gesell- 
schaft demonstrieren konnte. Es 
ist das neunte Kind unter elf 
Geschwistern. Die Eltern sind 
nicht blutsverwandt; ihre zehn 
anderen Kinder waren normal 
entwickelt, vier von ihnen sind 
noch am Leben. Das in Rede 
stehende Kind hat mit 2?/, 
Jahren laufen gelernt. Zu dieser 





Zeit zeigte sich eine in ihrer Fig. 8. Fig. 9. 
Intensitát sehr wechselnde, durch Defekt der Kopfepiphyse des rechten Femur, kombiniert mit 
einen Herzfehler bedingte Blau- linksseitiger Coxa vara. (7 Jähriges Mädchen.) 


fárbung. Herr Kollege Feil- i 
chenfeld konnte betreffs des allgemeinen Gesundheitszustandes folgenden Befund erheben: 
Die Herzgrenzen sind um einen halben Finger breit nach links verbreitert, ein starkes 

systolisches Geräusch ist über dem ganzen Herzen zu hören, am stärksten links vom Brustbein 
über dem dritten Rippenknorpel. Das Geräusch ist auch auf dem Rücken sehr deutlich, am 
lautesten in der Mitte des linken Schulterblattes in der Höhe des vierten Brustwirbels. Der 
Puls ist an beiden Radialarterien absolut nicht zu fühlen, die Pulszahl, an der Carotis gezählt, 
ergiebt eine Frequenz von 104 in der Minute; man fühlt hier eine kleine, leicht unterdrück- 
bare Welle. Über der Herzbasis ist bei flach aufgelegter Hand ein leichtes Schwirren fest- 
zustellen. Die allgemeine Cyanose ist stark ausgesprochen, die Lippen sind gewulstet, dick, 
blaurot. Die Conjunctivae bulbi und palpebrarum sind stark injiziert, die Venen im Augen- 
hintergrunde stark erweitert; zahlreiche blaurote, oberflächliche Narben, von Kratzwunden her- 
rührend, zeugen von der schlechten Ernährung der Haut. Die Endphalangen der stark blau- 
gefärbten Finger sind kolbig aufgetrieben, die Nägel hart und verdickt. Die Temperatur 
beträgt, in der Achselhöhle gemessen, 35,8, im Rectum 37,6. Meist besteht mässige Dyspnoe. 
Die Intelligenz des Kindes entspricht ungefähr einem Alter von vier Jahren. 

Joachimsthal, Untere Extremitäten, 2 


10 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 


An den unteren Gliedmassen ergaben sich nach meinen Feststellungen folgende Ver- 
änderungen (s. Fig. 8 u. 9): 

Die rechte untere Extremität erwies sich gegenüber der linken als wesentlich ver- 
kürzt, und zwar, wie die genauere Messung ergab, lediglich auf Kosten des Oberschenkels, 
der von dem als Trochanter anzusprechenden Punkt bis zur Kniegelenkspalte um 4 cm kürzer 
erschien als links, während im Gegensatz dazu Unterschenkel und Fuss beiderseits nicht nur 
die gleiche Länge, sondern an entsprechenden Punkten auch den gleichen Umfang aufwiesen. 
Das rechte Bein befand sich bei gewöhnlicher Stellung in starker Auswärtsrotation. Die Ein- 
wärtsrotation gelang nur bei gleichzeitiger und zwar mit dieser Bewegung zunehmender 
Flexion, so dass, wenn die Grenze der Einwärtsrotation erreicht war, das Hüftgelenk in einem 
Winkel von etwa 45° gebeugt erschien. Das Kniegelenk war in normaler Weise zu flektieren; 
an der vollkommenen Streckung fehlte ein Winkel von etwa 15° Eine Patella war ich nicht 
im stande zu fühlen. Wenn das Kind stand und ging, so beugte es das linke Knie- und Hüft- 
gelenk in vermehrtem Masse und glich auf diese Weise die Differenz beider Beine so aus, 
dass sich das Becken auf beiden Seiten in annähernd gleicher Höhe befand, und auch eine 
statische Skoliose vermieden wurde. 

Der Trochanter überragte die Roser-Nélatonsche Linie um etwa 2 cm und zwar 
nicht nur auf der Seite der Verkürzung, sondern auch auf der entgegengesetzten Seite. Wenn 
man das Kind von hinten her betrachtete, so gewährte die starke Prominenz der Trochanteren- 
gegend mit der beträchtlichen Neigung des Beckens nach vorn und der Lordose der Lende 
durchaus den Eindruck, als ob wir es mit einer doppelseitigen Hüftverrenkung zu thun hätten. 

Die genaueren Verhältnisse des Skelets enthüllt das Röntgenbild (Tafel I, Fig. 6). 
Es zeigt zunächst an der rechten Seite die beträchtliche Verkürzung des Oberschenkels. Es 
zeigt ferner, dass der oberste Teil des Femur, der der Kopfepiphyse entspricht, vollkommen 
fehlt. Da der Oberschenkel durch den erwähnten Mangel keinen Halt an dem Becken findet, 
so ist er naturgemäss nach oben luxiert. 

Ein sehr merkwürdiges Verhalten zeigt im Gegensatz dazu die linke Seite. Hier 
sehen wir, dass sich der Kopf in der Pfanne befindet, dass sich dagegen der Schenkelhals- 
winkel von seiner normalen etwa 128° betragenden Grösse auf etwa 80° verkleinert hat. 

Endlich fand ich noch an dem Kadaver eines männlichen, 40 cm langen Neugeborenen 
(Tafel II, Fig. 3) der Sammlung der hiesigen Frauenklinik, dessen Durchleuchtung ich mit 
freundlicher Erlaubnis des Herrn Geh.-Rat Olshausen vorgenommen habe, neben vollständigem 
Mangel beider Arme, beider Wadenbeine, der fünften Zehen und ihrer Mittelfussknochen beider- 
seitige Oberschenkeldefekte. Rechts fehlte der Knochen in seiner ganzen Ausdehnung. An 
Stelle des. linken Femur fand sich ein annähernd horizontal stehendes, medialwärts konisch 
zulaufendes, ca. 5cm langes Rudiment, das offenbar der Femurdiaphyse entsprach. Vom Becken 
war nur das Os ilium und os ischii verknöchert. Beide Füsse befanden sich in starker 
Valgusstellung. 

Es kann an dieser Stelle nicht meine Aufgabe sein, des genaueren auf die bisherige 
Kasuistik der Oberschenkeldefekte einzugehen, zumal dieselbe in letzter Zeit von Adrian 
im Anschluss an zwei Beobachtungen der Strassburger chirurgischen Klinik zusammengestellt 
und eingehend erörtert worden ist. Da es sich nur in einem kleinen Bruchteil der von diesem 
Autor gesammelten 45 Fälle (einige weitere hat vor kurzem Klaussner‘) mitgeteilt) um ana- 
tomisch untersuchte Individuen handelt, und zur Entscheidung der Frage der Ausdehnung der 

1) Neuerdings sind weitere Beobachtungen von Reiner, Blencke (Zeitschr. f. orthopäd. Chir. 
Bd. IX, Heft 4) und auf dem 1. Congress der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie (1902) 
von Drehmann mitgeteilt worden. Reiner’s und Drehmann’s Befunde an Röntgenbildern zeigen, dass 
gelegentlich eine spätere Verknöcherung des oberen verkümmerten Femurendes zu stande kommt. Es 


handelt sich dann um eine hochgradige Coxa vara, in welche ausser dem Schenkelhals das obere Ober- 
schenkelende eingezogen ist, 


II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt. 11 


Hypoplasie bisher nur bei einem von Lotheisen in der Innsbrucker chirurgischen Klinik 
beobachteten Kinde das Röntgenverfahren herangezogen werden konnte, dürften die bisherigen 
Angaben über das Häufigkeitsverhältnis der totalen und partiellen Defekte wenig massgebend 
sein — mit Rücksicht darauf, dass eine blosse Palpation in dieser Hinsicht vor Irrtümern 
nicht schützt. Ich beschränke mich daher darauf, hier im Anschluss an meine eigenen Fälle 
einige besonders bemerkenswerte Punkte hervorzuheben. 

Es gehört sonst zu den grössten Seltenheiten, dass bei einem Defekt eines central ge- 
legenen Knochens die peripheren Teile der Extremität ganz normal gebildet sind. So pflegen 
beim Mangel des Radius der Daumen mit seinem Mittelhandknochen, beim Defekt der Tibia 
die grosse Zehe und das erste Metatarsale zu fehlen, während die Defektbildungen der Ulna 
und der Fibula sich in der Regel mit gleichzeitigem Mangel ulnar- resp. fibularwärts gelegener 
Teile von Hand und 
Fuss vergesellschaf- 
ten. Reine Defekte 
des Humerus bezw. 
einzelner Teile des- 
selben bei normalem 
Verhalten der distal 
gelegenen Extremi- 
tátenteile scheinen 
überhaupt nicht vor- 
zukommen. Dagegen 
ist in einem Drittel 
der bisher publizier- 
ten Fälle von Hypo- 
plasie des Ober- 
schenkels — wie bei 
unseren beiden Kran- 
ken — eine gute 
Ausbildung der distal 
gelegenen Teile des 
Gliedes konstatiert 
worden. In der Regel 
hatten beieinseitigem Fig. 10. 

Defekt Unterschenkel Doppelseitige angeborene Schenkelhalsverbiegung. (5 jähriges Mädchen.) 
und Fuss der ver- 

bildeten Seite eine gleiche Längenentwickelung wie diejenigen der gesunden Seite erfahren. 
Die beim Gehen störende Differenz wurde entweder wie bei dem an erster Stelle von mir 
besprochenen Knaben durch eine Korksohle ausgeglichen, oder die Kranken benutzten besondere, 
am Unterschenkel befestigte Stützapparate, die die Verkürzung ausglichen und in einem künst- 
lichen Fuss endigten. In einem von Grisson mitgeteilten Fall bediente sich der Patient an 
Stelle des ihm verordneten Apparates einer roh gezimmerten Krücke, an welcher in richtiger 
Höhe ein Trittbrett wie an einer Stelze befestigt war. Auf dieses setzte er beim Gehen den 
betreffenden Fuss auf und war so im stande, stundenweite Wege zurückzulegen. 

Einen ganz besonders interessanten Ausweg, um die Ungleichheiten beider Beine in 
gewissem Sinne auszugleichen, hat die Natur in unserem zweiten Falle gefunden. Während 
rechts der Oberschenkelknochen, dem der oberste der Kopfepiphyse entsprechende Teil fehlt, 
naturgemäss nach oben luxiert ist, da er durch den erwähnten Mangel keinen Halt an dem 
Becken findet, sehen wir, dass sich der Kopf linkerseits in der Pfanne befindet, dass sich da- 


gegen der Schenkelhalswinkel von seiner normalen, etwa 128° betragenden Grösse auf etwa 
D 





12 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 


80° verkleinert hat, wodurch naturgemäss die Länge auch dieses Oberschenkels wesentlich ver- 
mindert wird. 

Ich möchte als Analoga hierfür drei Beobachtungen heranziehen, die vor kurzem 
einerseits von Albert, andererseits von Alsberg publiziert worden sind. Es hatten sich 
an den am Präparat studierten Fällen von Albert zu einseitigen Hüftluxationen Schenkel- 
halsverbiegungen der anderen Seite gesellt; der von Alsberg klinisch beobachtete Fall bot 
dieselbe Kombination. Offenbar ist hier die Schenkelhalsverbiegung oder Coxa vara die Folge 
der stärkeren Beanspruchung der ursprünglich gesunden Seite gewesen. Dass es sich bei 
unserer Kranken um äbnliche Verhältnisse handelt, ist zweifellos. Die Entstehung der Defor- 
mität wurde bei derselben offenbar durch eine abnorme Knochenweichheit, die möglicherweise 
auf Rachitis zu beziehen ist, möglicherweise aber auch mit dem angeborenen Herzfehler in 
Verbindung steht, begünstigt. Da sich auf diesem Wege die Ungleichheiten beider Beine in 
gewissem Sinne ausglichen, so können wir hier der Schenkelhalsverbiegung eine gewissermassen 
funktionelle Bedeutung nicht absprechen. 

Andererseits ist auch die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass die links- 
seitige Coxa Vara ebenso wie der rechtsseitige Femurdefekt eine angeborene Anomalie darstellen. 
Durch die Arbeiten von Kredel, Kirmisson, Mouchet und Aubion kennen wir eine Coxa 
vara congenita. Ich selbst konnte im Jahre 1899 über das Vorkommen einer doppelseitigen 
angeborenen Schenkelhalsverbiegung im Sinne einer Verkleinerung beider Schenkelhälse bei 
einem fünfjährigen Mädchen berichten, dessen sechsjähriger Bruder wegen einer doppelseitigen 
angeborenen Hüftluxation dem Lorenzschen Repositionsverfahren unterzogen worden war. Das 
in Fig. 10 wiedergegebene von dieser Kranken gewonnene Skiagramm zeigt eine Verkleinerung 
des Schenkelhalswinkels rechts auf 70°, links auf 90°. Ein auf Tafel III, Fig. 1 reproduciertes 
mir von Herrn Kollegen Reiner in Wien freundlichst überlassenes Skiagramm zeigt eine Coxa 
vara congenita an einem in toto verkürzten und in seinen Dickendimensionen verjüngten Ober- 
schenkelknochen. Es stammt von einem acht Jahre alten Mädchen mit einer fast ausschliesslich 
auf den Oberschenkel entfallenden Verkürzung der rechten unteren Extremität von 12?*/, cm. 
Auf dem Röntgenbilde steht der Mittelpunkt des Femurkopfes rechts 25 mm unterhalb der 
Trochanterspitze, während er sich links 15 mm oberhalb derselben findet. Der Neigungs- 
winkel des Schenkelhalses beträgt kaum 100°, während er in der Norm einen Winkel von 
126—129° zeigt. 

Einige Male hatten — ebenso wie mir dies bei meinem ersten Falle möglich war — 
die Beobachter "Gelegenheit, die Patienten mit Oberschenkeldefekten in verschiedenem Lebens- 
alter zu untersuchen und die weitere Entwickelung des deformen Gliedes zu verfolgen. 

In dem Falle von Veiel war noch im 15. Lebensjahr keine Spur des Ober- 
schenkelknochens nachzuweisen. In diesem, wie in einem von Redard beobachteten ana- 
logen Falle handelt es sich offenbar um totale Defekte. Dagegen war bei dem von Grisson 
beschriebenen Kranken, nachdem im Alter von 2°/, Jahren kein Knochen palpabel gewesen 
war, bei einer erneuten Untersuchung nach 6/, Jahren festzustellen, dass ein „Trochanter“ 
gebildet, dass Hüft- und Kniegelenk getrennt vorhanden und frei beweglich waren. Weiterhin 
war eine Patella, die man gleichfalls früher vermisst hatte, aufzufinden. Wie Lange mt | 
teilt, konnte Lorenz zunächst bei einem zwei Jahre alten Mädchen den Trochanter major und 
die Condylen des rechten Oberschenkels deutlich fühlen; eine Diaphyse war durch ein kurzes, 
knöchernes Verbindungsstück nur gerade angedeutet. Ein Jahr später waren Trochanter major 
und Condylen durch ein etwa 9 cm langes Knochenstück verbunden. Ferner wurde eine 
kongenitale Luxation des Hüftgelenks konstatiert. Bei einem anderen Mädchen war bei der 
ersten Untersuchung im Alter von drei Jahren ein Diaphysenteil am rechten Oberschenkel 
‘überhaupt nicht zu fühlen. Der Trochanter ging unmittelbar in die Condylen über. Nach 
zwei Jahren hatte der Oberschenkelknochen eine Länge von 13 cm erlangt und erwies sich im 
Hüftgelenk nach hinten luxiert. 


II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 13 


Ebenso hatte sich bei einem von Weinrich im Alter von elf Monaten beschriebenen 
und später von Adrian im Alter von 6'/, Jahren von neuem untersuchten Knaben der defekte, 
nach oben luxierte Oberschenkel: von 10 auf 19!/, cm verlängert. 

Im Gegensatz zu den bisher auf rein klinischen Untersuchungen basierenden Fest- 
stellungen, wobei, wie dies die vorher gegebene Zusammenstellung wohl ohne weiteres zeigt, 
die Deutung der einzelnen Teile des defekten Knochens eine vielfach rein willkürliche war, 
bietet uns das Röntgenverfahren heutzutage die Möglichkeit, uns nicht nur in einem bestimmten 
Lebensalter ein klares Bild der vorliegenden Verbildung des Knochens zu schaffen, sondern 
durch erneute Aufnahmen die Weiterentwickelung 
des deformen Gliedes in exakter Weise zu verfolgen. 
Derartige Feststellungen bei partiellen Defekten der 
Knochen dürften auch für die Frage des Anteils der 
verschiedenen Wachstumszonen, beispielsweise am 
Oberschenkel des Anteils der oberen und der unteren 
Epiphysenzone, an den Wachstumsvorgiingen des 
normalen Knochens nicht ohne Wert sein. 


B. Die angeborenen Defektbildungen am 
Schienbein. 


Defektbildungen am Schienbein habe ich 
einmal am Lebenden, einmal am Präparat zu sehen 
Gelegenheit gehabt. Weiterhin verdanke ich noch 
der Liebenswürdigkeit der Herren Dr. Tschmarke 
in Magdeburg, Priv.-Doz. Dr. Borchardt und Dr. 
Helbing in Berlin vortreffliche Röntgenbilder von 
Kranken mit Tibiadefekten. 

Es handelt sich in dem von mir beobachteten 
im Jahre 1894 publicierten Falle um ein beim Ein- 
tritt in die Behandlung ein Jahr sieben Monate 
altes Mädchen, das zweite Kind gesunder Eltern. 
Von irgendwelchen in der Familie beobachteten 
Missbildungen war nichts zu ermitteln. Im übrigen 
durchaus wohlgebildet, zeigte die Kleine, ein kräftiges 
Kind mit stark entwickeltem Panniculus adiposus 
und frischer Gesichtsfarbe, von Geburt an eine sehr 
auffallende Anomalie der rechten unteren Extremität. 
Es hielt hier mit Vorliebe den Unterschenkel zum 





Fig. 11. 
Oberschenkel in starker Flexion und gleichzeitiger ———— Tibiadefekt. 
Addaktion derart, dass der in Klumpfussstellung (11/, jáhriges Mádchen.) 


befindliche Fuss zwischen beide Oberschenkel zu 

liegen kam (Fig. 11). Der Oberschenkel selbst erschien normal, nur ergab ein Vergleich mit 
der gesunden Seite, dass die Entfernung vom Trochanter zum Condylus externus um 1 cm 
verkürzt war. Die Condylen des Femur, zwischen denen die Patella nachweisbar war, traten, 
und zwar besonders der innere, sehr deutlich nach unten hervor, zumal sich, wie dies schon 
die Inspektion, noch sicherer aber die Palpation ergab, die untere Gelenkfläche des Femur frei 
und ohne Verbindung mit knöchernen Teilen erwies. An der äusseren und hinteren Seite des 
Condylus externus fiel ein Vorsprung auf, der bei Bewegungen des Unterschenkels in geringen 
Exkursionen seine Lage änderte und sich nach unten hin in den einzigen, den verkürzten und 
äusserst dünnen Unterschenkel bildenden Knochen fortsetzte, um in einer Prominenz zu enden, 
die nach ihrer Lage an der Aussenseite des Fusses nur der Malleolus externus sein konnte. 


14 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 


Oberhalb des Vorsprungs an der Aussenseite des Kniegelenks, der sich somit als das nach 
hinten und oben getretene Capitulum fibulae herausstellte, war die Haut in dem Umfange 
eines Markstückes narbig verändert und eingezogen. Auch bei genauester Untersuchung liess 
sich neben der Fibula, die sich um 2!/, cm gegenüber der linken verkürzt erwies, dieselbe 
dagegen an Dicke beträchtlich übertraf, kein anderer knöcherner Teil in den Weichteilen des 
Unterschenkels ausfindig machen. Die kleine Patientin vermochte den Unterschenkel zum 
Oberschenkel in mässiger Ausdehnung zu beugen. Ver- 
suchte man dagegen die Streckung, so kam man nicht 
über den rechten Winkel hinaus; dabei spannten sich die 
Flexoren des Unterschenkels stark unter der Haut an. 
Dagegen war die Beugung des Unterschenkels bis zur 
Berührung mit dem Oberschenkel möglich. Der Fuss 
stand in hochgradiger Equinovarusstellung, derart, dass die 
Planta pedis fast nach oben gerichtet erschien, und der 
Malleolus externus 
den Fuss nach unten 
überragte. 

An dem sonst 
normalen Fuss zeigte 
sith ein Defekt der 
grossenZehe und des 
dazugehörigen Meta- 
tarsalknochens. 

Das in der 
Sammlung der hie- 
sigen Universitäts- 
Frauenklinik befind- 
liche, mir von Herrn 
Geh.-Rat Olshausen 
in freundlicher Weise 
zur Verfügung ge- 
stellte Präparat von 
angeborenem Defekt 
der Tibia entstammt 
einem am dritten 
Tage nach der Ge- 
burt verstorbenen, 
von einer 14jährigen 





Fig. 12. Fig. 13. elon 
Rechtaseitiger Tibiadefekt. Baue eu Dae ea o Pane geborenen 
(4jähriger Knabe.) Knaben. Es besteht 


aus dem seiner Weich- 
teile entkleideten, nur noch durch Bänder zusammengehaltenen Ober- und Unterschenkel der 
rechten Seite, sowie aus dem noch vollkommen mit Haut bedeckten Fuss. An dem Femur ist 
die obere Epiphyse abgetrennt. 

Der Oberschenkelknochen zeigt normale Verhältnisse, sein Mittelstück ist etwas nach 
vorn gekrümmt, das distale Ende zeigt zwei in ihren unteren und vorderen Gegenden über- 
knorpelte Condylen. Hinten sind beide durch eine tiefe nicht überknorpelte Fossa poplitea 
getrennt. In der Fossa patellaris liegt eine noch mit einigen Bänderresten in Verbindung 
stehende, 1,4 cm breite und 1,7 cm lange Kniescheibe. An der Aussenseite des Condylus 
externus findet sich eine Gelenkfläche für den einzig vorhandenen, an dem Präparat leicht 


II. Die ‚angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 15 


flektierten Unterschenkelknochen, die Fibula. Diese Gelenkfläche hat von oben nach unten eine 
Ausdehnung von 1,6 cm, von vorn nach hinten ist sie 0,9 cm breit und reicht hier bis zur 
hinteren Grenze des Condylus externus, während sie von der unteren Umrandung desselben 
0,4 cm entfernt bleibt. 

Die Fibula lst 6,4 cm lang und zeigt einen geraden Verlauf. Ihr mittlerer Abschnitt 
ist sehr dünn, während die beiden Endteile anschwellen. Die Diaphyse bietet einen vorderen 
und hinteren scharfen Rand, durch den zwei seitliche Knochenflächen gebildet werden. Nach 
oben und unten zu rundet sich der Knochen ab. Die obere Gelenkfläche, von deren Umrandung 
zur entsprechenden Artikulationsfläche des 
Femur eine vollkommen geschlossene Ge- 
lenkkapsel sich erstreckt, zeigt eine schräg 
von oben aussen nach unten innen ab- 
fallende Gestalt. 

Der Fuss steht in höchstgradiger 
Varusstellung, so dass der Malleolus ex- 
ternus den tiefsten Punkt bildet, und die 
Planta direkt nach oben schaut. Auch 
die Ferse ist stark in die Höhe gezogen. 
Der Fuss besitzt fünf normale Zehen. 

Das mir von Herrn Dr. Tschmarke 
freundlichst zur Verfügung gestellte Skia- 
gramm (Tafel III, Fig. 2) stammt von 
einem vierjährigen in Fig. 12 abgebildeten 
Knaben. Derselbe ist im allgemeinen gut 
entwickelt und genährt. Der rechte Unter- 
schenkel ist dünner als der linke, etwa 
3cm kürzer, steht in rechtwinkliger Flexion 
und hochgradiger Adduktion zum Ober- 
schenkel. Die Fibula ragt mit ihrem 
oberen Ende als spitzer Knochen nach 
aussen und hinten vom Femurende vor; 
das letztere erweist sich als ziemlich spitz. 
Man fühlt am Unterschenkel nur einen 





Knochen, die Fibula, die eine S-förmige Fig. 14. 
Krümmung aufweist, und deren unteres Linksseitiger Tibiadefekt mit Polydaktylie. 
Ende als äusserer Knöchel ebenfalls spitz (6 Wochen alter Knabe.) 


und scharf die Haut anspannt und den in 
hochgradigster Varusstellung stehenden Fuss überragt. Die grosse Zehe und ihr Metatarsale 
fehlen; von den Fusswurzelknochen lassen sich nur zwei undeutlich unterscheiden. Die Beweg- 
lichkeit im Knie beschränkt sich auf ganz geringe Beugung und Streckung. Der Fuss ist 
gleichfalls fast unbeweglich. Die normal gebildeten vier vorhandenen Zehen sind gut beweglich. 
Die Patella fehlt. 

Das Röntgenbild (Tafel III, Fig. 2 und das danach gezeichnete Rekonstruktionsbild 
Fig. 13) bestätigt im wesentlichen den obigen Befund. Von der Tibia ist auch nicht die 
geringste Andeutung vorhanden; die Fibula erscheint verbogen und an den Enden verdickt. 
Der Oberschenkel endet scheinbar breit, die knorpelige Epiphyse, die nach der Palpation deutlich 
spitz endet, ist undeutlich. Von den Fusswurzelknochen sind nur zwei, ein langer und vor ihm 
ein runder zu sehen — offenbar der Calcaneus und Talus. 

Das auf Tafel II, Fig. 4 wiedergegebene Skiagramm eines rechtsseitigen Tibiadefekts 
stammt von einem 10 Monat alten Knaben aus der Berliner chirurgischen Universitäts-Klinik 


16 II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt. 


(Excellenz v. Bergmann). Die Fibula verläuft hier gerade. Die Verhältnisse sind im übrigen 
analog denjenigen in dem eben besprochenen Falle. 

Endlich zeigen Fig. 14 und Tafel II, Fig. 5 einen Fall von totalem Defekt der linken 
Tibia mit Polydaktylie (Dr. Helbing). Es entspricht bei dem 6 Wochen alten Knaben die 
5. Zehe, vom äusseren Fussrande gezählt, der grossen Zehe. Sie zeigt nämlich im Röntgen- 
bilde nur zwei Phalangen, während die übrigen Zehen drei Phalangen haben. Der grossen 
Zehe gliedern sich drei neue Zehen an, von denen die der grossen Zehe benachbarte zwei 
Phalangen, die beiden anderen dagegen nur eine gemeinsame Grundphalanx besitzen. Dem- 
entsprechend finden sich auch nur sieben Metatarsi. 


Die angeborenen Tibiadefekte gehören allerdings zu den seltenen Missbildungen, sind 
aber immerhin nicht so selten, als man dies bis vor kurzem in Deutschland angenommen hat. 
Ich habe im Jahre 1894 im Anschluss an meine eigenen Beobachtungen Gelegenheit genommen, 
die von Burckhardt im XXXI. Bande des Jahrbuchs für Kinderheilkunde gegebene Kasuistik 
(zehn Fälle totalen und sechs Fälle partiellen Fehlens des Schienbeins) mit Einschluss der aus- 
ländischen Litteratur auf 39 Fälle zu erhöhen, die an 31 Individuen konstatiert wurden. 
Weitere Fälle sind seitdem von Waitz, Kümmel, Klaussner, Rincheval (Bardenheuer), 
Tschmarke, Grosse und Helbing berichtet worden. Bei den 39 Individuen war die Affek- 
tion 28 mal einseitig, 11 mal doppelseitig vorhanden. 24 waren männlichen, neun weiblichen 
Geschlechts, bei 6 existierten in dieser Beziehung keine Angaben. 

Fünfmal handelte es sich um nicht ausgetragene Früchte, vierzehn Patienten standen 
zur Zeit des Eintritts in ärztliche Beobachtung im ersten, fünf im zweiten, einer im dritten, 
zwei im vierten, einer im fünften Lebensjahr, ein Patient ist zur Zeit der Untersuchung zehn, 
zwei zwölf, einer 13'/,, einer 15 Jahre alt; in vier Fällen endlich ist das Alter nicht vermerkt. 
Unter 22 Fällen einseitigen Tibiadefekts, in denen der Sitz der Anomalie bezeichnet ist, war 
19 mal die rechte und nur dreimal die linke Seite befallen. 

Das Bild des totalen wie partiellen Tibiadefekts ist, falls man von dem von Bauer 
beschriebenen Falle absieht, in dem gleichzeitig die Fibula vollkommen mangelt, ein so typisch 
sich gleichbleibendes, dass die von den einzelnen Autoren gegebenen Abbildungen in geradezu 
verblüffender Weise miteinander übereinstimmen. 

Der Oberschenkel erscheint in einer Anzahl von Fällen vollkommen normal. Häufig 
steht er etwas nach aussen rotiert. Meist ist derselbe in geringem Grade gegenüber der ge- 
sunden Seite verkürzt, nur bei Reverdin besteht eine Verlängerung und zwar um 3 cm 
auf der kranken Seite. Bei Burckhardts Patienten‘ bestehen Veränderungen am oberen Femur- 
ende wie am Becken. An Stelle eines Trochanters lässt sich hier eine kolbenförmige Knochen- 
kontour durchfühlen, die den Eindruck eines rundlich verdickten Endes des Femurschaftes 
macht; die Gelenkverbindung des Oberschenkelendes mit dem Becken ist direkt nach unten 
und aussen von der Spina anterior superior, die Pfannengegend als leere Grube deutlich zu 
fühlen. Die ganze Beckenseite ist dabei in der Entwickelung zurückgeblieben. 

Häufiger finden sich Veränderungen des unteren Femurendes vermerkt. Meist ist die 
Fossa condyloidea nur schwach ausgebildet (Dreibholz, Melde,) oder fehlt ganz (Erlich, 
Medini,) wobei die Condylen ein mehr plumpes Aussehen gewinnen, oder das untere Öber- 
schenkelende besitzt eine konische (Reverdin) oder knopfförmige (Burckhardt) Gestalt. Bei 
Hildemanns Patienten spaltet sich das Os femoris ungefähr in der Mitte des Oberschenkels 
in zwei seitliche Hälften, welche auseinanderweichen und auf diese Weise sich wie zwei Schenkel 
eines Dreiecks zu einander verhalten. Die Condylen sind also nicht wie in der Norm zusammen- 
gewachsen, sondern stehen in einer ziemlich beträchtlichen Entfernung von einander, und zwar 
der eine schräg nach unten und innen, der andere schräg nach unten und aussen. Zwischen 
beiden Condylen liegt, von der Haut und dem Unterhautzellgewebe bedeckt, ein sehr straffes 
Ligament, welches einen nach unten konkaven Bogen bildet. An der hinteren Seite des Con- 





II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 17 


dylus externus ist dann der einzige Unterschenkelknochen, die Fibula, eingelenkt. Erlich sah 
bei seiner Patientin mit doppelseitigem Mangel der Tibia an jedem Oberschenkel einen nach 
aus- und abwärts gerichteten, fast senkrecht gestellten Zapfen, an dem die Mm. gracilis, 
sartorius, semitendinosus und semimembranosus inserierten. Erlich nimmt an, dass diese 
Knochenzapfen auf den Oberschenkel verlagerte, d. h. heterotop entwickelte Tibiae darstellen. 
Bei Kümmels und Rinchevals Patienten war zwischen der Beugeseite des Ober- und Unter- 
schenkels eine Flughaut ausgespannt. 

Die Patella feblt bei neun Patienten zwólfmal. Ist sie bei totalem Tibiadefekt vor- 
handen, so zieht ihr Ligament, falls ein solches besteht, zur Fibula oder findet in der Knie- 
gelenkskapsel seine Insertionsstelle. Fehlt das Ligament, so rückt die Patella bei Kontraktionen 
des Quadriceps in die Höhe. 

Fast in allen Fällen bestehen Flexionskontrakturen im Kniegelenk. Für gewöhnlich 
ist eine Luxation der Fibula nach hinten eingetreten und zwar hier wieder meist gleichzeitig 
an die Aussenseite des Condylus externus, wo sich in einzelnen Fällen eine völlige Nearthrose 
ausgebildet hat. Die Verbindung der Fibula ist meist eine sehr lockere und gestattet seitliche 
wie Rotationsbewegungen, oder man vermag, wie bei Albert, den Wadenbeinkopf an der 
Aussenseite des Condylus externus wie eine Stange auf und ab zu bewegen. Fast stets fehlen 
die Ligamenta cruciata und die Semilunarknorpel. Alle Autoren ausser Billroth, der dies 
besonders hervorhebt, geben das Wadenbein zumal in seinem oberen und unteren Abschnitt 
als gegenüber der Norm verdickt, gleichzeitig aber verkürzt an. Mehrmals verlief die Fibula 
nicht gerade sondern konvex nach aussen mit einer Biegung nach hinten und innen; bei 
Schrakamp bestand eine durch eine intrauterine Fraktur bedingte Knickung der Fibula. 

Ist der Tibiadefekt kein totaler, so handelt es sich entweder, wie bei Thiele, um 
ein haselnussgrosses aus hyalinem Knorpel bestehendes Rudiment innerhalb der Kapsel, oder 
es zieht, wie bei Melde, von der Kniegelenkskapsel in der Gegend des Condylus internus zur 
oberen Fläche des Talus ein fibröser Strang, der besonders in seinem Beginn die pyramiden- 
fórmige Gestalt des oberen Endes einer Tibia zeigt und den sonst von der Tibia entspringenden 
Muskeln zur Ursprungsstelle dient. Ein anderes Mal ist der vorhandene Teil der Tibia grösser 
und schon bei der klinischen Untersuchung nachweisbar. Er repräsentiert dann das obere 
Tibiaende in Form einer Pyramide und artikuliert mit dem Femur in normaler Weise. Bei 
Craig, Albert, Rappold, Young und Helbing endet das vorhandene obere Schienbeindrittel 
scharf unter der Haut, welche an dieser Stelle eine warzenartige Erhebung, resp. narbenartige 
Einziehung zeigt. Erlich beschreibt einen sechsmonatlichen Fötus mit partiellem Tibiadefekt, 
bei dem der vorhandene obere Teil des Schienbeins eine Pyramide darstellt, deren Basis mit 
dem Femur artikuliert, deren Spitze distal frei auf der Oberfläche des Unterschenkels hervor- 
ragt. Die so an der Hautoberfläche zu Tage getretene Spitze ist mit einem langen membra- 
nösen Faden besetzt und ragt direkt nach vorn und aussen hervor, so dass es den Eindruck 
macht, als ob ein spitzes Frakturstück der Tibia durch die Haut vorgetrieben wäre. Nur 
einmal in der Beobachtung von Parona handelt es sich nicht um Fehlen des unteren 
Anteils des Schienbeins, sondern es besteht linkerseits ein Mangel des oberen Schienbein- 
drittels, während rechterseits die Tibia bis auf den unteren Anteil und einen Teil des mittleren 
Drittels fehlt. 

Die Fusshaltung ist stets die eines Varus und zwar meist beträchtlichen Grades. In 
einer Anzahl von Fällen ist die Zahl der Zehen eine normale. Meist fehlt die grosse Zehe, 
bei Bauer, Albert und Motta ist die Zahl der Zehen auf drei, bei Waitz und Rincheval 
auf zwei reduziert. Parker sah beiderseits sechs Zehen, von denen jedoch keine die Eigen- 
schaft der grossen Zehe besass, Melde beiderseits sieben Zehen, eine Anomalie, wie er glaubt, 
bedingt durch eine links vollständige, rechts weniger vollständige Dreiteilung des Hallux. Bei 
Paronas, Helbings, Medinis und Kümmels Patienten trugen die Füsse acht Zehen, und zwar 
sassen bei den beiden ersteren die überzähligen drei Zehen an dem inneren Fussrande. Endlich 

Joachimsthal, Untere Extremitäten. 3 


18 II. Die angeborenen Defekte der langen Råhrenknochen der unteren Extremitåt. 


sind in Dreibholz’ Beobachtung rechts sieben, links acht Zehen konstatiert; hier waren an 
dem einen Fuss neben einer mittleren Zehe die Halluces doppelt, an dem anderen sogar vier- 
fach angelegt. Gleichzeitige Verbildungen, meist Defektbildungen an den oberen Extremitäten, 
werden in einer Anzahl von Beobachtungen mitgeteilt, in anderen bestanden gleichzeitig 
Polydaktylie und Syndaktylie an den Händen der betreffenden Patienten sowie eine Anzahl 
anderweitiger Anomalien. 

Es ist endlich noch erwähnenswert, dass ähnliche narbige Veränderungen, wie sie die 
Haut unserer kleinen erstbesprochenen Patientin oberhalb des Fibulakopfes zeigt, auch in den 
Beschreibungen von Thiele, Motta, Busachi und Kümmel wiederkehren; bei Mottas 
Kranken fand sich eine ähnliche Veränderung der Haut auch in der Gegend des Malleolus 
externus. 

Ausser von Tschmarke und Helbing ist auch von Grosse bereits das Röntgen- 
verfahren zur Untersuchung ihrer Patienten mit Tibiadefekt herangezogen worden. 

In Bezug auf die Pathogenese und Ätiologie der in Rede stehenden Anomalie muss 
zunächst bemerkt werden, dass bei sämtlichen bisher vorliegenden Beobachtungen das Vor- 
kommen von Missbildungen bei den Eltern und Geschwistern in Abrede gestellt wird. Von 
einigen Autoren wird dem jugendlichen Alter der Eltern eine Bedeutung für die Entstehung 
der Anomalie zugeschrieben, wofür die Thatsache zu verwerten wäre, dass in unserer zweiten 
eigenen Beobachtung die Mutter des Trägers der Deformität erst das 14. Lebensjahr er- 
reicht hatte. 

Man kann wohl a priori behaupten, dass es nicht angebracht sein kann, in dem Defekt 
der Tibia einen primären Bildungsfehler sehen zu wollen. Es wäre sonst nicht begreiflich, 
wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Condylen des Femur und auch der Talus 
eine so normale Entwickelung hätten einschlagen können. Wie auch das Vorkommen fibröser 
Stränge von der Gestalt des Schienbeins an Stelle des fehlenden Knochens, der in der Beobach- 
tung von Dreibholz vollständig aus hyaliner Knorpelmasse besteht, es darthun, hat früher 
offenbar eine Tibia in der Anlage bestanden, und ist deren Schwund erst später, nachdem 
bereits das Knie- und Fussgelenk angelegt waren, zustande gekommen. Dass hierbei das 
Amnion in der Weise wirkte, dass es durch Raumbeengung der Weiterentwickelung der Tibia 
hinderlich wurde, wird wahrscheinlich aus dem Vorhandensein der oben erwähnten Narben, 
ferner aus der Beobachtung Erlichs, in der an der Spitze des vorhandenen Tibiarudiments 
ein langer, membranöser Faden hängt, wohl ein Überbleibsel der Verwachsung des Amnion 
mit der Tibia, endlich aus einem von Hildemann berichteten Falle, in dem einmal das untere 
Femurende gespalten ist; ausserdem verläuft hier um die linke Hand herum eine offenbar 
durch Einschnürung entstandene Furche, und fehlt am vierten Finger die dritte Phalanx. 

Ich kann es nach dem Gesagten nicht als richtig zugeben, wenn Burckhardt und 
mit ihm eine Reihe anderer Autoren eine Abhängigkeit der Defektbildungen der Tibia von 
den nach der Gegenbauerschen Archipterygialtheorie festgestellten Strahleneinheiten als er- 
wiesen erachten. Wie bekannt, betrachtet Gegenbauer als den Stamm des Archipterygiums 
der unteren Extremität die laterale Reihe ihrer Skelettteile, so dass derselbe durch den Femur- 
knochen, die Fibula, zwei Tarsalknochen und die fünfte Zehe zusammengesetzt wird. An diese 
einzelnen Glieder des Archipterygiums setzen sich die übrigen Skelettteile als Seitenzweige oder 
Strahlen an. Der erste Strahl beginnt mit der Tibia, in das Skelett der grossen Zehe aus- 
laufend; im Tarsus beginnend läuft der zweite, dritte und vierte Strahl in die betreffenden 
Zehen aus. Wenn Burckhardt u. A. annehmen, dass wir es bei den Fehlen des Schienbeins 
mit einer Defektbildung des ersten Nebenstrahles zu thun haben, so spricht dafür allerdings 
das in einer Reihe von Beobachtungen wiederkehrende Fehlen der grossen Zehe und des dazu 
gehörigen Metatarsalknochens als der Ausläufer des ersten Nebenstrahles. Abgesehen davon 
jedoch, dass dieses Verhältnis durchaus nicht konstant ist, sind sogar im Gegensatz dazu in 
einer Anzahl von Fällen, die ich oben zusammengestellt habe, Verdoppelungen gerade am 


II. Die angeborenen Defekte der langen Rührenknochen der unteren Extremität. 19 


Hallux beschrieben. Es besteht überdies, wie schon gesagt, an Stelle des fehlenden Unter- 
schenkelknochens meist ein diesen repräsentierender fibröser Strang, der in einer Beobachtung 
von Parona sogar, auf die wir bei den therapeutischen Massnahmen noch zu sprechen 
kommen, nach einem gelungenen operativen Eingriff, der das betreffende Kind in den Stand 
setzte, seine Beine selbständig zu benutzen, die Fähigkeit, noch nachträglich zu verknöchern, 
zeigte. Dass auch die Polydaktylie bei Tibiadefekten unter dem Einfluss des Amnion zustande 
gekommen sein kann, wird wahrscheinlich, wenn wir mit Marchand annehmen, dass ein zu 
enges Amnion die Extremitätenstummel zu der Zeit, wo die Zehen zur Ausbildung kommen, 
fest an den Körper gepresst und die einzelnen Anlagekeime auseinandergedrängt hat, so dass 
z. B. die ursprünglich einfache Anlage für die grosse Zeche durch den anhaltenden Druck in 
drei Teile getrennt wurde. 

In Bezug auf die Frage, was aus der Missbildung im weiteren Verlauf der Jahre 
wird, wenn sie einfach sich selbst überlassen bleibt, bieten uns diejenigen Fälle der Kasuistik, 
die in dem zweiten Dezennium des Lebens zur Beobachtung kanıen, Aufklärung. Am meisten 
Interesse beansprucht in dieser Hinsicht der von Burckhardt im Alter von 8 Wochen und 
12 Jahren abgebildete Fall. Das starke Zurückbleiben in der Entwickelung nicht nur des 
Unterschenkels, sondern auch des Oberschenkels und Fusses geht aus den Abbildungen ohne 
weiteres hervor. Ähnlich liegen auch die Verhältnisse bei Paulys Kranken, der zur Zeit 
der Beobachtung das 15. Lebensjahr erreicht hatte. Der Unterschenkel war hier auf der 
kranken Seite um 17 cm kürzer als auf der gesunden und hing in schlotternder Verbindung 
als störendes Anhängsel an dem Oberschenkel. 

In therapeutischer Hinsicht haben eine Reihe von Autoren, selbst wenn sie die Kranken 
in frühester Kindheit in Behandlung bekamen (in neuester Zeit auch Tschmarke) einzig und 
allein die Exartikulation resp. Amputation des Unterschenkels für zweckentsprechend gehalten 
und auch zur Ausführung gebracht. Albert war der erste, der zu einem mehr konservativen 
Verfahren griff, indem er bei einem neun Monate alten Kinde die Fibula in die Fossa inter- 
condyloidea des Femur implaniierte, nachdem er dieselbe vorher durch Resektion wund gemacht 
hatte. Die Vereinigung erfolgte knöchern in stumpfem Winkel. In ähnlicher Weise wie 
Albert verfuhren Motta, Busachi, Helferich und Parona. Eine knöcherne Vereinigung 
ist dabei nicht zustandegekommen. J. Wolff eröffnete in dem von mir geschilderten Falle 
das Kniegelenk, löste zunächst das Capitulum fibulae aus der Gelenkverbindung, die sich an 
der Stelle seines ungewöhnlichen Sitzes an der Aussenseite des Condylus externus femoris 
etabliert hatte, führte es in die Fossa intercondyloidesa und vernähte die Kapsel über dem- 
selben. Nach diesem Eingriff, bei dem absichtlich, um die vorhandene Verkürzung nicht noch 
zu vermehren, keine knöchernen Teile von den Gelenkenden entfernt wurden, war eine voll- 
kommene Streckung des Unterschenkels nicht möglich; dieselbe gelang jedoch nach der 
Heilung der Wunde durch Etappenverbände, so dass die Patientin, nachdem noch die Teno- 
tomie der Achillessehne und das Redressement des Klumpfusses vollführt war, mit einem por- 
tativen Gipsverbande, der später durch eine abnehmbare Hülse ersetzt wurde, und mit einem 
erhöhten Stiefel zum Ausgleich der bestehenden Verkürzung des Beines munter umherzulaufen 
imstande war. 

In dem von Grosse mitgeteilten Falle von Tibiadefekt bei einem fünfjährigen 
Mädchen befestigte v. Bramann die Fibula in der Fossa intercondyloidea, nicht aber wie 
Albert mit Silberdraht, sondern indem die Fibula nach Zuspitzung ihres oberen Endes in 
eine in der Fossa intercondyloidea geschaffene Höhle eingefügt wurde. Dabei wurde besonders 
darauf geachtet, dass die Epiphyse der Fibula nicht verloren ging, was leicht hätte geschehen 
können, da man zur Streckung des gebeugt fixierten Beines eine Kürzung der Fibula vor- 
nehmen musste. Von einer Tenotomie der Beuger wurde Abstand genommen, um sie in ihrer 
immerhin schon geschädigten Funktion nicht noch mehr zu beeinträchtigen. Der in Klump- 
fussstellung befindliche Fuss wurde manuell redressiert und in möglichst normaler Stellung 

8* 


20 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 


gegen die Fibula fixiert. Nachdem im Laufe von etwa vier bis sechs Wochen völlige Kon- 
solidation zwischen Femur und Fibula eingetreten war, erhielt das Kind einen Schienenhülsen- 
apparat, in dem es sich ganz selbständig fortbewegte. Das Beincheú hat sich seitdem gut 
entwickelt. Die ehemalige Verkürzung von 5®/, cm hat sich im Laufe von 2'/, Jahren um 
fast 2 cm vermindert. Die Fibula ist auch nach Ausweis des Röntgenbildes erheblich verdickt. 
Das Kind vermag ohne Schiene das Bein als Stütze zu gebrauchen und sich damit leicht 
hinkend fortzubewegen. 

Endlich sei noch erwähnt, dass Bardenheuer nach dem Bericht von Rincheval in 
seinem Falle von Tibiadefekt den Versuch unternommen hat, durch Spaltung des oberen 
Fibulaendes und durch Implantation des unteren verjüngten Femurendes zwischen die Spangen 
der Fibula ein funktionsfähiges Kniegelenk zu schaffen. In einer zweiten Sitzung sollte als- 
dann die Fussdeformität nach der gleichen Methode beseitigt werden. Bei der Operation 
wurde die atypisch verlaufende Arteria poplitea verletzt. Es trat eine Gangrän des Unter- 
schenkels bis zur Mitte auf. Das Verfahren ist, so viel mir bekannt, bisher nicht weiter ver- 
wandt worden. 


C. Die angeborenen Defektbildungen des Wadenbeins. 


Auch der angeborene Defekt der Fibula kommt ein- und doppelseitig vor und betrifft 
entweder den gesamten Knochen oder nur einzelne Abschnitte desselben. Unter 97 von 
Haudek im Jahre 1896 zusammengestellten Fällen (weitere Beobachtungen sind seitdem von 
Kirmisson, Cotton, Guéry, Hendrik, Jacobs, Frieben, Taylor, Tausch, Klaussner, 
Fröhlich u. A. publiziert worden) war der Defekt in 67 Fällen, also in 609%, ein totaler, und 
zwar 22 mal ein beiderseitiger. Der partielle Defekt betraf unter 28 Fällen, in denen sich dies- 
bezügliche Angaben fanden, neunmal den oberen, zweimal den mittleren, 17 mal den unteren 
Teil der Fibula. Unter fünf Fällen von Fibuladefekt aus meiner eigenen Beobachtung, von 
denen ich bei vier das Röntgenverfahren zur Anwendung bringen konnte, fand sich dreimal 
ein totaler Mangel des Wadenbeins, zweimal fehlte dessen oberes Drittel. 

Meist besteht eine bedeutende, im späteren Alter selbst 7 und 8 cm betragende Ver- 
kürzung des betreffenden Unterschenkels. Die Tibia verläuft in einer kleinen Anzahl von 
Fällen (in zwei meiner eigenen Beobachtungen) gerade, meist zeigt sie eine nach vorn innen 
oder vorn aussen konvexe Biegung oder Knickung, die, gewöhnlich an der Grenze des mittleren 
und unteren Drittels des Knochens gelegen, auf der Spitze der Konvexität eine narbenähnliche 
Hautveränderung besitzt. Gelegentlich findet sich an dieser Stelle eine Pseudarthrose im Be- 
reiche der Tibia. Der Fuss, an dem fast durchweg ein Defekt lateraler Zehen besteht (nur in 
einer Beobachtung von Kirmisson fand sich gleichzeitig Polydaktylie) befindet sich gewöhn- 
lich in Valgus- oder Equinovalgusstellung. Vielfach finden sich daneben anderweitige Ver- 
bildungen. 

Einige Beispiele mögen die verschiedenen Möglichkeiten erläutern. 

Das 9!/, jährige Mädchen, von dem Fig. 15 gewonnen ist, stammt aus einer von Miss- 
bildungen bisher vollkommen freien Familie. Der linke Fuss weist durchaus normale Verhält- 
nisse auf. Rechterseits fällt zunächst eine starke Verkürzung der unteren Extremität auf, 
für die die genauere Prüfung ergiebt, dass sie grösstenteils auf Rechnung des Unterschenkels 
zu setzen ist, teilweise aber auch daraus resultiert, dass die kleine Patientin nicht mit dem 
Fuss, sondern mit dem Malleolus internus den Boden berührt, dass dieser somit den am meisten 
distalwärts gelegenen Punkt der Extremität darstellt, wobei der Fuss in starker Valgus- 
stellung nach aussen umgelegt ist. Während die Entfernung von der Spina ossis ilei 
anterior superior zum Apex patellae nur eine Differenz von 2 cm gegenüber der kranken 
Seite aufweist, erweist sich die Tibia, von dem inneren Malleolus bis zur Kniegelenkspalte 
innen gemessen, um 5 cm verkürzt, und der Fuss links 17*/,, rechts 13*/, cm lang. Die 
Tibia selbst verläuft gerade und ist nur in der Gegend des Malleolus internus kolbig verdickt. 


II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 21 


Der Fuss steht ausser in extremster Valgus- noch in leichter Equinusstellung; die Ferse ist in 
die Höhe gezogen, die Achillessehne stark gespannt. Von den Fusswurzelknochen lässt sich 
auf Grund der klinischen Untersuchung nichts Bestimmtes aussagen; es fehlen ein Mittelfuss- 


knochen und eine Zehe, möglicherweise die zweite, da 
zwischen der ersten und zweiten vorhandenen Zehe ein 
abnorm grosser Zwischenraum sich befindet. Die dritte 
Zehe erweist sich als wesentlich kürzer als ihre Nachbar- 
zehen. Durch die Behandlung mit Etappenverbänden gelang 
es, den Fuss in die normale Stellung zu überführen, so dass 
die kleine Patientin in den Stand gesetzt wurde, mit Hilfe 
eines erhöhten Stiefels sich mit Leichtigkeit fortzubewegen. 

Das Röntgenbild eines analogen mir von Herrn Dr. 
Natvig-Christiania freundlichst überwiesenen Falles zeigt 
Taf. III, Fig. 3. Es ist von einem 14 Monate alten Mädchen 
aus gesunder Familie gewonnen, das an der lateralen Seite 
des Unterschenkels im unteren Drittel eine narbenartige Haut- 
einziehung erkennen liess. Die Fibula fehlt ganz. Der Fuss 
besitzt hier ausnahmsweise alle fünf Zehen und fünf Meta- 
tarsalia. 

Der acht Wochen alte Knabe, den Fig. 16 darstellt, 
ist das Kind blutsverwandter Eltern. (Der Vater sowie die 
erst 15 Jahre alte Mutter sind Kousin und Kousine.) An der 
den einzigen linken Unterschenkelknochen repräsentierenden 
Tibia findet sich an der Grenze des mittleren und unteren 
Drittels eine stark nach vorn: konvexe Abbiegung, darüber 
eine Einziehung der Haut. Der Fuss besitzt nur drei Zehen. 
Das Röntgenbild bestätigt zunächst die Annahme des voll- 
ständigen Fehlens der Fibula. In Seitenlage angefertigt, 
zeigt es die oben erwähnte Krümmung im unteren Teil des 
Schienbeins. 

Wesentlich schärfer ist die Abbiegung an der 
typischen Stelle des Unterschenkels an dem auf Tafel III, 
Fig. 4 wiedergegebenen Skiagramm, das ich Herrn Kollegen 
Jacobs in Trier verdanke. Es entstammt einem drei Monate 
alten Kinde. Das Bild zeigt gleichzeitig das Vorhandensein 
von nur drei Zehen und Mittelfussknochen. Einen Defekt 
des oberen Drittels der linken Fibula endlich zeigt das mir 
von Herrn Geheimrat J. Wolff freundlichst überlassene auf 
Tafel III, Fig. 5 wiedergegebene Skiagramm, von einem fünf- 
jährigen Knaben gewonnen. 

Indem ich, um Wiederholungen zu vermeiden, in 
Bezug auf die Pathogenese des Fibuladefektes auf das bei 
der Besprechung der Tibiadefekte Gesagte verweise, möchte 
ich an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass vielfach die 





Fig. 15. 
Rechtsseitiger Fibuladefekt 
(9'/, jähriges Mädchen). 





Fig. 16. 
Linksseitiger Fibuladefekt 
(8 Wochen alter Knabe). 


beim Fibuladefekt vorkommenden Verbiegungen resp. Pseudarthrosen der Tibia, wie dies 
beispielsweise Braun annahm, auf äussere den Uterus treffende Gewalten oder den Druck 
des Uterus selbst bezogen werden; mit grösserer Wahrscheinlichkeit wird ihre Entstehung 
wohl gleichfalls pathologischen mechanischen Einwirkungen des erkrankten Amnions, besonders 
amniotischen Verwachsungen und Störungen zugeschrieben. Dafür spricht vor allem die bei 


22 II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 


den Biegungen oder Knickungen der Tibia an der Konvexität des Knochens gelegene Haut- 
narbe oder Hauteinziehung. Hoffa hat ein derartig eingezogenes Hautstück exstirpiert und 
mikroskopisch untersucht. Es war ganz deutlich, dass die Veränderung durch einen von 
aussen herkommenden mechanischen Reiz, etwa durch den Zug eines amniotischen Stranges, 
entstanden war. 

Die Behandlung hat im wesentlichen in der Beseitigung der fehlerhaften Fussstellung 
durch Tenotomie der Achillessehne und redressierende Verbände, in der Bekämpfung der 
Winkelstellung der Tibia durch Osteotomie oder Osteoclase und in der Verordnung geeigneter 
Prothesen zu bestehen. Neuerdings haben Bardenheuer, nach ihm Nasse und Mikulicz 
mit gutem Resultat eine Malleolengabel dadurch künstlich hergestellt, dass sie die Tibia der 
Länge nach spalteten und den Talus zwischen die beiden Hälften der Tibia einpflanzten. 


D. Die sogenannten Phocomelen. 


Mit der Bezeichnung der Phocomelen belegte Geoffroy St. Hilaire eine Form 
der Missbildungen mit abortiven Gliedmassen (Monstres ectromeliens), bei der Hände oder 
Füsse scheinbar allein ausgebildet sind und sich 
unmittelbar an dem Rumpf inserieren. Der berühmte 
Teratolog entnahm die Bezeichnung von dem See- 
hund (Phoca), bei dem eine ähnliche Absonderlich- 
keit normal besonders ausgebildet erscheint, obwohl, 
wie auch Virchow neuerdings hervorhebt, dem 
erfahrenen Forscher die Ähnlichkeit mit der Eigen- 
tümlichkeit anderer Wassertiere (Fische, Cetaceen) 
und gewisser Landtiere, z. B. der Maulwürfe, nicht 
entging. In allen Fällen betrifft die Absonderlichkeit 
in erster Linie die Zwischensegmente der Extremitäten 
(Oberarm oder Oberschenkel, Vorderarm oder Unter- 
schenkel), welche kürzer und kürzer werden, gelegent- 
lich selbst in rudimentäre Zustände geraten, zuweilen 
zum Teil fehlen, so dass die End-Segmente (Hand 
und Fuss) sich immer mehr dem Rumpf nähern. 
Die End-Segmente, sagt Geoffroy St. Hilaire, 
seien häufig von gewöhnlicher Grösse, zuweilen 
sogar ganz normal. 

Der in diese Gruppe gehörige, auf Fig. 17 
abgebildete Patient meiner Beobachtung mit exquisiter 
„Robbenähnlichkeit*, z. Z. 66 Jahre alt, aus gesun- 
der Familie stammend, und an Kopf und Rumpf 
wohlgebildet, zeigt an den Extremitäten eine Reihe 
von Abnormitäten. An den oberen Gliedmassen er- 
weisen sich die Vorderarme als verhältnismässig zu 
kurz. Die Hände stehen in Radialabduktions-, so- 





Fig. 17. genannter Klumphandstellung und zeigen Defekte 
66 jähriger Patient der Daumen und der ersten Mittelhandknochen. Auf 
mit „Robbenähnlichkeit“. den Röntgenbildern erweisen sich beide Radii als 


besonders stark verkürzt. 
Die unteren Gliedmassen sind äusserst rudimentär entwickelt. Während der rechte 
Fuss sich ohne ein fühlbares Zwischenstück unmittelbar an den Rumpf anschliesst, befindet 
sich links zwischen dem Becken und dem hier in hochgradiger Varusstellung befindlichen Fuss 
ein etwa 20 cm langer Knochen, im unteren Teil nach vorn und aussen stark konvex gekrümmt. 


II. Die angeborenen Defekte der langen Röhrenknochen der unteren Extremität. 93 


In sitzender Position ruht der rechte Fuss der Unterlage mit der Planta auf, wåhrend links, 
infolge der starken Klumpfussstellung der åussere und dorsale Teil des Fusses den Boden 
berührt. In liegender Stellung schweben beide „Unterextremitäten“ frei in der Luft. 

In sitzender Position wurde das auf Tafel IV, Fig. 1 abgebildete Skiagramm her- 
gestellt. Dasselbe ergiebt links das Vorhandensein eines 21/,—3cm dicken Knochens, der 
centralwärts offenbar in der Weise des Femur sich mit dem Becken verbindet und, im unteren 
Drittel stark lateralwärts konvex, mit einer annähernd planen Gelenkfläche mit der Aussen- 
seite des Calcaneus in Verbindung tritt. Ein Talus fehlt. Naviculare, mit Cuneiforme I und I 
verwachsen, artikuliert an einer vorderen Gelenkfläche des Calcaneus neben den Cuneiforme. 
Das sonstige Fussskelett erscheint normal. Linkerseits scheint auch auf dem Röntgenbilde jede 
Verbindung des Fusses mit dem Becken zu fehlen. Das Fussskelett selbst zeigt die gewöhn- 
lichen Verhältnisse. 

Es erscheint interessant, den bei diesem Kranken erhobenen Befund mit dem von 
Grunmach an dem bekannten Bärenweib mit Hilfe der Röntgenstrahlen gemachten Fest- 
stellungen zu vergleichen. An den oberen Extremitäten fand Grunmach hier einen gut ent- 
wickelten Humerus, aber statt des Radius und der Ulna zwei kurze Rudimente (2—3 cm lang, 
breit und dick), ausserdem einen rudimentären Carpus, während die Metakarpal- und Phalangen- 
knochen vollzählig vorhanden waren, letztere jedoch einen etwas krallenartigen Eindruck 
machten. Dem Bau der oberen Extremitäten entsprach auch das Verhalten der unteren. 
Während hier wieder der Oberschenkel gut entwickelt schien, zeigten sich im Skiagramm die 
Unterschenkelknochen als Rudimente (4—5 cm lang, breit und dick). Daran schloss sich der 
rudimentäre Tarsus, während sich die Metatarsal- und Zehenknochen vollständig ausgebildet 
darboten. 

Für eine Erklärung derartiger Abnormitäten, die in den verschiedensten Formen vor- 
kommen, fehlt uns noch jeder Anhalt. 

Es liegt auf der Hand, sagt Virchow, dass solche Zustände als Theromorphien an- 
erkannt werden müssen. Er warnt aber vor der Versuchung, aus diesen thatsächlichen Ver- 
hältnissen genetische Schlüsse in Beziehung auf Descendenz zu ziehen. Freilich habe es an 
Schwärmern nicht gefehlt, welche jede Theromorphie auf Atavismus bezogen haben. Virchow 
vermag diesen Schluss nicht anzuerkennen, weil es sich nicht jedesmal um typische Verhält- 
nisse handelt, sondern zahlreiche Übergänge zwischen den Defektzuständen dieser Abteilung 
bestehen und zwar Übergänge, welche schliesslich Gesamtformen hervorbringen, für welche 
typische zoologische Vorbilder fehlen. Ja, es fehlt nach Virchow nicht an Beispielen, wo 
sich zwischen Generationen mit Defektbildungen auch solche mit Excessbildungen, z. B. mit 
sechs und mehreren Zehen einschieben. Virchow nimmt an, dass diese Monstrositäten nur 
die äusserste Ausbildung einer Störung darstellen, welche mit einer blossen Mangelhaftigkeit, 
einer Hypoplasie der Extremitäten beginnt und daher einen Zustand darstellt, der vielfach mit 
fötaler Rhachitis, späterhin auch mit dem Kretinismus in Zusammenhang gebracht wurde, neuer- 
dings aber allgemein als eigene Krankheitsform aufgefasst, meist mit dem von Kaufmann 
eingeführten Nanıen der Chondrodystrophia foetalis belegt wird und gleichfalls zu dem den 
Phocomelen eigentümlichen Missverhältnis zwischen einem langen Kopf und Rumpf: einerseits 
und abnorm kurzen Extremitäten andererseits führt. Wie ich selbst dies an einer im Jahre 
1898 der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins vorgeführten, an dieser letzteren Anomalie 
leidenden, jetzt 14jährigen Patientin und den von den einzelnen Teilen ihres Körpers gefertigten 
Skiagrammen demonstrieren konnte, besteht bei der Chondrodystrophie eine allgemeine Wachs- 
tumsstörung eigener Art, gekennzeichnet durch die Unfähigkeit des meist excessiv gesteigerten 
Epiphysenknorpels, in normaler Weise Knochen zu erzeugen. Sie ist sowohl von der eigentlichen 
Rhachitis als auch vom Kretinismus als auch endlich von den sogenannten Phocomelen schon 
mit Hilfe des Röntgenverfahrens leicht zu differenzieren. 


24 III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 


III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 


A. Mangel der Kniescheibe. 


Ausser denjenigen Beobachtungen, in denen der Mangel der Kniescheibe anderweitige 
Verbildungen der unteren Extremität, so Defekte des Femur, der Tibia, der Fibula, die angeborenen 
Kniegelenksluxationen (s. d.) begleitet, sind in neuerer Zeit eine Reihe von Fällen bekannt ge- 
worden, in denen nur der Mangel der Kniescheibe, meist beiderseitig, in der Regel bei mehreren 
Mitgliedern derselben Familie vor- 
lag, ohne dass hierdurch irgend- 
welche Störungen in der Funk- 
tion der betreffenden Kniegelenke 
bedingt wurden. So berichteten 
Wuth und Wolf neuerdings über 
zwei Familien, bei denen verschie- 
dene Mitglieder, ohne Kniescheibe 
geboren, vortrefflich funktionierende 
Kniegelenke zeigten. Man gewinnt 
daraus den Eindruck, dass die 
Patella ein ziemlich überflüssiges 
und für die normale Funktion der 
Quadricepssehne beim Menschen 
keinesfalls wichtiges Skelettstück 
ist. Auch besitzt bekanntlich das 
Känguruh, das sich ausschliesslich 
springend fortbewegt und dazu einer 
überaus schnellen und kräftigen 
Streckbewegung des Kniegelenks 
bedarf, keine Kniescheibe. _ 

Die auf Fig. 18 und auf 
Tafel IV, Fig. 2 wiedergegebenen 
Abbildungen sind mir von Herrn 
Kollegen Wuth in liebenswürdig- 
ster Weise zur Verfügung gestellt 
worden. Sie stammen von dem 
durch ihn eingehender besprochenen 
z. Z. 35 jährigen Patienten, der 
trotz seines Mangels die grössten 
Strapazen auszuhalten vermag. Er 
ist passionierter Reiter und Tourist; 

Fig. 18. namentlich bei Derbyreiten und 
Mangel beider Kniescheiben. (35 jähriger Mann.) Hochgebirgstouren hat er es zu 
nennenswerten Leistungen gebracht. 

Auffallend erscheint auf den ersten Blick die Konfiguration der Kniegelenksgegend. 
Sie ist vor allem vollständig abgeflacht, was besonders bei seitlicher Ansicht bemerkbar wird. 
Die normale Wölbung des Kniegelenks erscheint wie in einer senkrechten Ebene abgeschnitten. 
Sehr stark springt dagegen die Tuberositas tibiae vor; sie bildet den prominentesten Punkt 
der Kniebeuge überhaupt, so dass man bei flüchtiger Betrachtung sie für die Kniescheibe 
halten könnte. Die mächtige Quadricepssehne setzt an dieser abnorm starken Tuberositas 
tibiae an und zieht geradlinig zwischen den Femurcondylen nach oben. Ihre ausserordentlich 





III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 25 


kräftige Entwickelung ist an dem rechten Knie auf dem Bilde sichtbar, wo sie nach Art der 
Achillessehne strangartig vorspringt, während links und rechts neben ihr die Gelenkkapsel in 
tiefe Gruben eingesunken ist. Von einer Patella ist nichts zu bemerken, auch ist sie durch 
Abtasten nicht aufzufinden. Dabei ist die Lage der Quadricepssehne normal, und ihr Gleiten 
in der Fossa intercondyloidea bei den Bewegungen des Kniegelenks leicht zu fühlen. Die 
Femurcondylen sind ungewöhnlich stark entwickelt und springen wegen des Mangels der Knie- 
scheibe, namentlich bei rechtwinkeliger Beugestellung des Gelenkes, stark vor; besonders fällt 
der innere Epicondylus durch seine Grösse auf (s. auf der Fig. linkes Bein). 

Über das absolute Fehlen der Kniescheiben giebt das Röntgenbild Gewissheit. Es 
zeigt sich, dass in der That keine Spur der Patella vorhanden ist. Auf dem lateral 
bezw. sagittal und in leichter Beugestellung aufgenommenen Röntgenbilde (Tafel IV, Fig. 2) 
sieht man die sehr starke Ausbildung der trochanterartig vorspringenden Tuberositas tibiae; die 
schwach sichtbare Quadricepssehne zieht, straff gespannt, von hier aus nach oben und liegt 
deutlich in der Rinne zwischen den Femurcondylen. Von der Patella ist keine Spur zu sehen. 
Das Bild zeigt im übrigen neben dem lateralen Condylus femoris einen etwa bohnengrossen 
Schatten, der dem bei den meisten Tieren konstanten, beim Menschen in etwa °’/, aller Fälle 
vorkommenden Sesambein in der lateralen Ursprungssehne des M. gastrocnomius entspricht. 


B. Verdoppelung der Kniescheibe. 


Pfitzner beschreibt bei Nagern und Raubtieren das Vorkommen eines Sesamoids, das, 
sich aufwärts an die Patella anschliessend, bei guter Ausbildung dieselbe wiederholt, eine mit 
dem Apex aufwärts gerichtete Patella nachbildet. Es ist gut abgesetzt und lässt sich leicht 
von der Quadricepssehne abpräparieren. Bernays beschreibt dasselbe bei Mäusen, Ratten und 
Kaninchen. Pfitzner fand bei einer noch nicht ausgewachsenen Zibethkatze beiderseits eine 
aus zwei Stücken bestehende Patella. An der rechten präparierten Seite lag die untere Patella 
etwa an der normalen Stelle, die obere so hoch, dass sie höchstens bei äusserster Beugung auf 
die überknorpelte Fläche des Femur trat. Am Menschen fand Gruber bei einer 21 jährigen 
männlichen Leiche nach der Maceration beiderseits auf dem oberen lateralen Rande der Knie- 
scheibe, in einem Ausschnitt liegend, ein selbständiges Knochenstück, etwa 13 mm lang, 6,5 mm 
breit und ebenso dick. Nach der Beschreibung scheint es mit der Patella durch Koalescenz 
verbunden gewesen zu sein. Bernays fand an mehreren Leichen von Erwachsenen, oberhalb 
der verknöcherten Patella, eine kleine, selbständige, mehrschichtige Knorpellage, die nicht mit 
dem Knorpel der Patella zusammenhing. Endlich fand Tillmanns bei einem „gesunden normalen 
Kniegelenk eines Menschen aus den mittleren Lebensjahren“ in der Höhe der Kommunikations- 
öffnung der Bursa subcruralis auf der unteren Fläche der Quadricepssehne eine Knorpelpartie. 

Am Lebenden sind Doppelbildungen der Patella bisher nicht beschrieben 
worden. Der folgende Fall, den ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Kollegen Reinhold 
Natvig in Christiania verdanke, dürfte demnach ein ganz besonderes Interesse beanspruchen. 

Es handelt sich nach dem mir von Dr. Natvig übersandten Bericht um ein Bauern- 
mädchen von 33 Jahren, das angeblich im Alter von drei Jahren eine Rückenmarkskrankheit 
durchgemacht hat. Vor zehn Jahren stellten sich Schmerzen in beiden Knieen ein, die im 
letzten halben Jahre besonders zugenommen haben. Die Kranke geht mit in den Hüft- und 
Kniegelenken flektierten Unterextremitáten. Die Oberschenkel sind adduciert. Die Kontrak- 
turen sind spastischer Natur. Die Beine können in den Kniegelenken fast völlig gestreckt 
werden. Beide Patellae gewähren den Eindruck, als ob sie in die Länge gezogen seien. Im 
unteren Drittel fühlt man beiderseits eine quer verlaufende Furche, in die die Nagelspitze etwas 
eingesenkt werden kann. Die Palpation an der Stelle dieser Furche ist empfindlich. Äussere 
Verletzungen der Kniegelenke, Schlag, Stoss, Fall etc. waren nicht zu eruieren. 

Die auf Tafel IV, Fig. 5 und 6 abgebildeten Skiagramme (siehe in Fig. 19 die 
danach gefertigten Rekonstruktionsbilder) des rechten in gestreckter, des linken in stumpf- 


Joachimsthal, Untere Extremitäten. 4 


26 III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 


winkeliger Beugestellung befindlichen Kniegelenks, bei an der Aussenseite anliegenden Platten 
angeferligt, ergeben beiderseits eine Zweiteilung der Patella. Diese lHegt ausserdem ab- 
norm hoch und hat in charakteristischer Weise ihre Gestalt veråndert. 

Die Verhåltnisse werden verståndlicher, wenn wir zunåchst die Gestalt der normalen 
Patella und ihr Lageverhåltnis zum Femur kurz erårtern. 

Bekanntermassen bildet sich, wie dies schon H. v. Meyer hervorgehoben hat, 
durch die Reibung der Trochlea femoris gegen die Kniescheibe auf dieser ein der Trochlea- 
Rinne entsprechender senkrechter Wulst, welcher die Gelenkfläche in zwei nebeneinanderliegende 
Hälften teilt. Senkrecht dazu besteht ein querer Wulst. Diese beiden kreuzweise angeordneten 
Erhabenheiten bedingen somit die Form der Patellargelenkfläche, indem diese dadurch in vier 
Teile zerlegt wird, deren paarweise Gruppierung die Bezeichnungen als oberes, unteres, äusseres 
und inneres Doppelfeld rechtfertigen. Der unterhalb der überknorpelten Zone übrigbleibende, 


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Fig. 19. 


Angeborene Verdoppelung beider Kniescheiben bei einer 33 jährigen Patientin. 
(Rekonstruktionsbild zu Tafel IV, Fig. 5 u. 6.) 


etwa fingerbreite Teil der Hinterfläche der Kniescheibe bildet mit der Gelenkfläche etwa einen 
Winkel von 135° und trifft an dem Apex patellae unter mehr oder weniger spitzen Winkel 
mit der Vorderfläche zusammen. Diese Gliederung der Patella in eine obere überknorpelte 
Fläche und einen winkelförmig von dieser abgehenden nicht überknorpelten Teil ist, wie wir 
sehen werden, im wesentlichen der normal gelagerten menschlichen Kniescheibe eigen- 
tümlich. 

Bei gestrecktem Knie steht das untere Doppelfeld der Kniescheibe dem oberen Teil 
der Trochlea gegeniiber. Wird der Unterschenkel gebeugt, so gleitet dieses selbe Feld so lange 
auf dem oberen Teil der Trochlea hin, bis der oben beschriebene Querwulst die hóchste Stelle 
der Rollenkonvexitát erreicht hat. Nun findet gleichsam ein Umkippen der Patella statt, indem 
von nun ab das obere Doppelfeld der Kniescheibe mit dem unteren Teil der Trochlea zur 
Artikulation gelangt und mit zunehmender Beugung in derselben Weise wie zuerst, jedoch 
mit ausgewechselten Feldern, über die Rolle nach abwärts gleitet. 

Abgesehen von dem rein physiologischen Interesse, welches dieser komplizierte Apparat 


III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 27 


beansprucht, ist die genaue Kenntnis der normalen Lage der Gelenkflåche insofern bedeutungs- 
voll, als, wie schon in einer auf meine Anregung gefertigten Arbeit von Peltesohn hervor- 
gehoben wurde, mit abnormer Stellung der Patella die Form derselben gewissen Umgestaltungen 
unterliegt, auf die ich weiter unten zurückzukommen Gelegenheit haben werde. 

Um für die auf Tafel IV, Fig. 5 u. 6 sowie in Fig. 19 wiedergegebenen Skiagramme 
Vergleichsobjekte zu gewinnen, an denen die normalen Verhältnisse hervortreten, habe ich 
eine Anzahl von Bildern von dem Kniegelenke eines Erwachsenen in verschiedenen Phasen der 
Beugung hergestellt. Die photographische Platte sowie die Lichtquelle befanden sich dabei 
rein seitlich. 

Die Kniescheibe erscheint auf solchen Skiagrammen, gerade so wie auf einem durch 
die Mitte sagittal gelegten Schnitt, annähernd als ein ungleichseitiges Parallelogramm, dessen 
längere Seiten erstens von der dem Femur zugekehrten Artikulationsfläche (also die vier oben 
beschriebenen Doppelfelder zusammengerechnet), zweitens von der vorderen, unter der Haut 
liegenden Fläche gebildet werden, deren kürzere Seiten erstens der Ansatzstelle der Quadriceps- 
sehne und zweitens derjenigen Fläche entsprechen, die, vom unteren Rande der Doppelfelder 
beginnend, bis zum Apex patellae reicht. Diese Normalform vorausgesetzt, liegt bei gestrecktem 
Bein (Tafel IV, Fig. 2) die Patella mit der unteren Hälfte ihrer langen Artikulationsfläche 
dem höchsten Teil der Trachlea an, während die obere Hälfte bedeutend vom Femurknochen 
entfernt ist und sie also in keinem Punkte berührt. Diese Verhältnisse ändern sich bei Beugung 
bis 120° in der Weise, dass jetzt nur der mittelste Teil der Kniescheibengelenkfläche den 
Femurknochen berührt. Oberhalb und unterhalb davon sieht man allmählich breiter werdende 
Zonen auf dem Röntgenbilde Dieses Bild entspricht also dem von v. Meyer als Ausgangs- 
punkt genommenen mittleren Beugungsstadium, bei dem der Querwulst der Kniescheiben- 
artikulationsfläche ausschliesslich mit dem höchsten .Punkt der Rollenkonvexität in Kontakt 
steht. Verfolgen wir die Beugung bis zum rechten Winkel, so liegt jetzt die obere Hälfte 
der langen Kniescheibenartikulationsfläche einer weiter nach abwärts gelegenen Femurstelle an, 
welche ungefähr in der Verlängerung der Femurachse liegt. Bei maximaler Beugung endlich 
berühren sich nur noch der höchste Teil der Kniescheibe und die an die Fossa condyloidea 
grenzenden Teile des Feniur. Diese Bilder bestätigen also vollkommen die Befunde H. v. Meyers 
und orientieren uns ferner leicht tiber die jeweilige Stellung der Kniescheibe. 

Stellen wir sie in Vergleich mit den von der in Rede stehenden Kranken gefertigten 
Bildern, so fällt uns hier zunächst eine beträchtliche Längenausdehnung der in toto nach oben 
verschobenen Kniescheibe auf. An dem rechten Knie hat die Patella von der oberen, dem 
Femur zugewandten Partie bis zur unteren Spitze, die ihrerseits von dem als Tuberositas 
tibiae anzusprechenden Teil 5 cm entfernt bleibt, eine Länge von ca. 7 cm. Dabei ist in auf- 
fallender Weise ihre Gestalt so verändert, dass ihr Durchschnitt statt desjenigen eines Parallelo- 
gramms den eines annähernden Dreiecks angenommen hat, dessen eine dem Femur anliegende 
Seite im oberen Teil konkav geschweift ist, dessen zweite der Vorderfläche des Knies ent- 
sprechende Seite in dem oberen Teil eine leichte Konvexität aufweist, während die dritte, kurze 
Seite der Ansatzstelle der Quadricepssehne entspricht. Die Kniescheibe ist mit ihrem grösseren 
Anteil weit über das Bereich der Kondylen nach oben gerückt, ihre Spitze ist ca. 3 cm von 
der Gelenklinie entfernt. Ca. 2 cm nach oben von der Spitze zeigt sich eine anscheinend durch 
die ganze Dicke bis nahe zur hinteren Fläche hindurchgehende Trennungslinie, 
durch die demnach die Kniescheibe in ein unteres kleineres und ein grösseres 
oberes Segment zerfällt. 

Könnte die Betrachtung des Skiagramms des rechten Kniegelenkes allein so den Ein- 
druck erwecken, dass wir es hier mit den Folgen einer Patellarfraktur zu thun haben, so lässt 
die Betrachtung des Skiagramms des rechten Kniegelenks in dieser Beziehung jeden Zweifel 
schwinden und nur die Annahme einer angeborenen Zweiteilung zu. Findet sich doch hier 
genau an der gleichen Stelle eine fast die ganze Kontinuität des Knochens durch- 

4* 


98 III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 


setzende breite helle Zone. Nur in der Mitte scheint eine kleine Brücke zwischen beiden 
Teilen der Kniescheibe zu bestehen. Der Hochstand und die Gestalt der Patella sind die gleichen 
wie an der rechten Seite. Gemäss den im nächsten Abschnitt zu besprechenden Verhältnissen, 
auf die ich verweise, haben wir es hier offenbar mit den Folgen der in früher Kindheit 
erworbenen spastischen Erkrankung im Bereiche der Oberschenkelmuskulatur zu thun, mög- 
licherweise mit der angeborenen spastischen Gliederstarre selbst. 

Der Zufall fügte es, dass ich 
an dieser Stelle noch über ein neues 
Präparat von Spaltbildung der Patella 
zu berichten vermag. Dasselbe stammt 
aus der Sammlung des verstorbenen Ge- 
heimen Medizinalrats Prof. Dr. Du Bois 
Reymond und wurde mir in freund- 
lichster Weise von seinem Sohne, Herrn 
Privatdozenten Dr. Rene Du Bois 
Reymond, der durch die auf Tafel IV, 
Fig. 5 u. 6 abgebildeten Skiagramme 
auf die Seltenheit der Anomalie auf- 
merksam geworden war, überlassen. 
Wie dies auf Fig. 20 deutlich erkenn- 
bar ist, ist an beiden Kniescheiben 

Fig. 20. das laterale Viertel durch einen 

Spaltbildung an beiden Kniescheiben. senkrecht herablaufenden Spalt 

von den medialen drei Vierteln 

abgetrennt. Die Symmetrie der Bildung, namentlich aber die deutliche Verzahnung an den 
Spalträndern lässt auch hier nur die Annahme einer Bildungsstörung zu. 

Ich möchte an dieser Stelle nur noch auf die praktische Bedeutung der vorliegenden 
Befunde hinweisen. Die Durchleuchtung nur des einen Kniegelenks hätte möglieherweise zu 
der fälschlichen Annahme einer voraufgegangenen Patellarfraktur führen können. Erst der 
Vergleich mit der anderen Seite, an der in genau identischer Weise eine Zweiteilung bestand, 
konnte in Bezug auf den angeborenen Charakter der Verbildung jeden Zweifel aufheben. 





C. Der angeborene Hochstand der Kniescheibe. 


Der schon im vorigen Abschnitt erwähnte Hochstand der Kniescheibe ist, worauf bisher 
nur von Schulthess, mir selbst und in der obenerwähnten auf meine Anregung gefertigten 
Dissertation von Peltesohn hingewiesen wurde, ein, wie es scheint, ausschliesslich bei der 
angeborenen spastischen Gliederstarre zu beobachtendes Phänomen und demnach von hoher 
differentiell-diagnostischer Bedeutung. 

Man bezeichnet bekanntlich mit dem Namen der angeborenen spastischen Gliederstarre 
oder Little’schen Krankheit einen Symptomenkomplex, dessen Ursache wir in gewissen cere- 
bralen Veränderungen, teils kongenitalen Defekten, teils Verletzungen des Grosshirns suchen, 
wie letztere bei schweren oder lange sich hinziehenden Geburten eintreten können. Ausser 
Störungen des psychischen Verhaltens in den verschiedensten Abstufungen, Strabismus, gelegent- 
lich auftretenden Konvulsionen, findet sich als konstantestes Symptom eine spastische Erkrankung, 
namentlich im Bereiche der unteren Gliedmassen, die die Kinder oft vollständig unfähig zum 
Gehen macht. Durch Überwiegen der Adduktoren der Oberschenkel, der Knieflexoren und der 
Wadenmuskulatur bei diesen Spasmen entsteht eine charakteristische Stellung der Gliedmassen, 
wie sie das auf Fig. 21 wiedergegebene Bild einer fünfjährigen in meiner Poliklinik behandelten 
Patientin illustriert. Die Oberschenkel waren hier so intensiv aneinandergedrängt, dass ihre 
Abduktion selbst bei stärkster Gewaltanwendung nicht gelang. Die Kniee standen gebeugt, die 


III. Die angeborenen Anomalien der Kniescheibe. 29 


Fersen in die Höhe gezogen, so dass hier jede Art der Fortbewegung auf den Beinen, ja selbst 
das Sitzen zur Unmöglichkeit wurde Durch Tenotonmien an den Adduktoren der Oberschenkel, 
den Knieflexoren und den Achillessehnen, Gipsverbände in überkorrigierter Stellung und nach- 
folgende orthopädische Massnahmen ist es mir gelungen, die Kleine zur selbständigen Fort- 
bewegung zu befähigen. Patientin wurde von mir in diesem gebesserten Zustande am 
6. Februar 1901 der Berliner medizinischen Gesellschaft demonstriert. 

Was ich nun speziell an dieser Kranken zeigen möchte, das ist eine eigentümliche, 
bei Beteiligung des Kniegelenks stets wiederkehrende Stellungsveränderung der Kniescheibe, die 
besonders bei spitzwinkliger Beugung in die Augen fällt. Die Kuppe der Krümmung wird 
hier nicht, wie beim normalen Knie, vom Condylus internus und von der oberen Partie der 
Patella gebildet, sondern von der Patella allein und 
zwar von einem ihrer Mitte nahegelegenen Punkte. Das 
Knie bekommt dadurch ein eigentümliches, an das Knie 
von Tieren erinnerndes spitzes Aussehen. Die Distanz 
von dem untern Patellarende bis zur Tuberositas tibiae 
ist grösser geworden, und damit das Ligamentum 
patellae unzweifelhaft verlängert. Sehr deutlich lässt 
sich dieses von der Norm abweichende Verhalten an 
Röntgenbildern vor Augen führen. Unter gewöhnlichen 
Verhältnissen steht die Patella, wie man das an einem 
von dem Knie eines normalen siebenjährigen Mädchens 
gewonnenen Bilde sieht (Taf. V, Fig. 1), unterhalb einer 
in der Verlängerung der Femurachse gezogenen Linie. 
An dem von der Patientin mit Little’scher Krankheit 
gefertigten Skiagramm (Taf. V, Fig.2) ist sie beträcht- 
lich, und zwar um mindestens 1?/, cm, in die Höhe 
gerückt. 

Ein weiteres diese Verhältnisse vortrefflich 
wiedergebendes Bild (Taf. V, Fig. 3) stammt von einem 
an dem gleichen Übel leidenden elfjährigen Knaben, 
dessen Beobachtung ich Herrn Kollegen Reichardt in 
Magdeburg verdanke. An dem nach längerer Behand- 
lung in Streckstellung des Kniegelenkes gewonnenen 
Röntgogramm findet sich hier die Kniescheibe vollkommen 
im Bereich der Diaphyse des Femur, im Gegensatz zu 
dem normalen Verhalten bei einem Kinde gleichen 
Alters (Taf. 5, Fig. 4), bei dem etwa zwei Drittel des 
Knochens vor der unteren Epiphyse des Oberschenkels 
liegen. Ähnlich charakteristische Unterschiede finden 





sich an den in rechtwinkliger Stellung hergestellten — VR OR 
Bildern derselben Patienten (Taf. V, Fig. 5 u. 6). Wäh- SO er ae oe eae 

Š 7 e b d Š 5 jåhrigen Patientin mit angeborener ` 
rend die Kniescheibe sich normalerweise der gleich- spastischer Gliederstarre (Little'schen 
mässigen Rundung des Kniegelenkes anpasst, findet sich Krankheit). 


bei der angeborenen spastischen Gliederstarre eine 
starke, durch den oberen Teil der hinaufgerückten Patella entstehende Hervorragung. 

Wir finden auf den Róntgenbildern dieses elfjährigen Patienten dieselbe Formver- 
änderung der Patella bereits angedeutet, wie wir sie in ausgesprochener Weise bei der im 
vorigen Kapitel besprochenen Kranken kennen gelernt haben (Taf. IV, Fig. 5 und 6). Genau 
entsprechend dem Verhalten der Kniescheibe bei denjenigen Tieren, bei denen sie, wie ich 
zeigen konnte, normalerweise weit am Oberschenkel in die Höhe gerückt ist (Hund, Katze, 


30 IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses. 


Kaninchen, Meerschweinchen, Ratte ete.), lässt auch hier die Patella die Einteilung der hinteren 
Fläche in einen oberen, die Artikulation mit dem Femur besorgenden und einen unteren, unter 
stumpfen Winkel von diesem nach vorn ziehenden Teil vermissen. Ihre ganze hintere Fläche 
hat sich, der gleichmässigen Anlagerung an den Oberschenkelknochen entsprechend, 
in eine von oben nach unten concav geschweifte Fläche verwandelt. 

Fragen wir nach der Ursache des Hochstandes der Patella bei der Little'schen Krank- 
heit, so erweisen sich zwei Erklärungen als möglich. 

Entweder handelt es sich bei dieser Affektion um eine Anpassung der Streckmusku- 
latur an die durch die Spasmen eingeschränkte Beweglichkeit des Kniegelenkes. Wir wissen 
durch eine Reihe von Beobachtungen und Experimenten, wie sie Strasser, Roux, Marey 
und ich selbst angestellt haben, dass bei einer dauernden Einschränkung der Beweglichkeit 
eines Körperteiles eine Verkürzung des bewegenden Muskels und eine Verlängerung seiner 
Sehne eintritt. Am bekanntesten ist hier das Variieren der Länge des Wadenmuskels. Ver- 
kürzt man den Processus posterior calcanei und verringert damit seine Exkursion beim Über- 
gang aus der Beugung in die Streckung des Fusses, oder ist die Beweglichkeit des Fuss- 
gelenkes und damit der Ausschlag des Hackenfortsatzes dauernd eingeschränkt, wie 
beispielsweise selbst nach der bestgelungensten Behandlung des angeborenen Klumpfusses, so 
verkürzt sich der Bauch des Wadenmuskels bis auf die Länge des oberen Unterschenkeldrittels, 
und verlängert sich die Achillessehne entsprechend. 

So könnte man auch bei der Little’schen Krankheit, einer durch die Spasmen 
bewirkten Einschränkung der Beweglichkeit des Kniegelenkes zufolge, eine Verlängerung der 
Sehne des Quadriceps annehmen. Ein Hinaufrücken der Patella in der eben geschilderten 
Weise würde indes hierbei schon deshalb kaum zu erwarten sein, weil der Hauptanteil der 
Verlängerung auf den oberhalb der Patella gelegenen Teil der Sehne entfallen müsste. Auch 
ist hier, in Gegensatz zu den vorhin angedeuteten, zu funktionellen Umwandlungen im Bereiche 
der Muskulatur führenden Verhältnissen, die Einschränkung der Beweglichkeit keine dauernde, 
sondern nur eine intermittierende. Lassen die Spasmen nach, so gelingt zeitweise — nament- 
lich nach vorausgeschickter Verlängerung der Beugesehnen durch Tenotomien — die Bewegung 
des Gelenkes in: vnllem Umfange — und trotzdem bleibt, wie wir feststellen konnten, das 
Phänomen bestehen. 

Bei den Widersprüchen, die somit die Erklärung des Hochstandes der Patella auf dem 
eben angedeuteten Wege findet, bleibt nur eine andere Annahme übrig, nämlich die, dass bei 
der Little’schen Krankheit durch die dauernden Spasmen eine Dehnung und Ver- 
längerung der Patellarsehne durch Störung ihrer normalen Entwicklung und 
damit das charakteristische Verhalten der Kniescheibe zu stande kommt, das 
übrigens, so weit bisher bekannt, lediglich der Little’schen Krankheit eigentümlich, dagegen 
bei den verschiedensten im späteren Leben auftretenden spastischen Erkrankungen der unteren 
Gliedmassen zu fehlen scheint. 


IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses. 


Das Studium der überzähligen Bildungen im Bereiche des Fusses ist gleichfalls durch 
die Anwendung des Röntgenverfahrens sehr erleichtert worden. Wir haben es hier in der 
Regel mit Doppelbildungen im Bereiche der Zehen und der Metatarsalknochen zu thun. Der 
überzählige Teil sitzt, ähnlich wie an der Hand, mit Vorliebe am Rande des Fusses, an der 
tibialen oder fibularen Seite resp. an beiden gleichzeitig, so dass dann Anlagen zu je sieben 
Zehen entstehen. Daneben finden sich indes auch Doppelbildungen mittlerer Zehen. Ge- 
legentlich werden ganze Abschnitte des Fusses verdoppelt. Vielfach besteht für die über- 
zählige Zehe ein vollkommen ausgebildeter Metatarsalknochen, oder ein Mittelfussknochen teilt 


IV. Uberzåhlige Bildungen im Bereiche des Fusses. 31 


sich gabelförmig in zwei Ausläufer. Die beiden Zehen sitzen in anderen Fällen auf zwei 
getrennten Gelenkflächen des distalen Endes des Metatarsale. Schliesslich können auch die 
Doppelbildungen erst im Bereiche der Phalangen stattfinden. Für die Doppelbildungen der 
fünften Zehe hat Pfitzner den Nachweis erbracht, dass vielfach der tibiale Zwilling drei-, 
der fibulare zweigliedrig ist, dass die fibulare Zehe eine ihrer ganzen Form nach ausgesprochene 
fünfte Zehe ist, während die tibiale Zehe niemals eine fünfte repräsentieren kann, sondern 
eine typische vierte Zehe darstellt — ein Verhalten, das ich bei meinen Kranken vielfach 
bestätigt fand. | 

Aus der grossen Zahl meiner eigenen Beobachtungen überzähliger Zehen mögen einige 





Sane `v... "ae STE ` d 
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Mi. E Kretz dee 





Fig. 22b. 
Polydaktylie an beiden Füssen eines 36 jährigen Patienten. 
(Rekonstruktionsbild zu Tafel V, Fig. 9) 


hier besprochen werden. Meist bestand bei den betreffenden Patienten gleichzeitig Polydaktylie 
an den Händen. | 

Die auf Tafel V, Fig. 9 wiedergegebenen Skiagramme, nach denen die in Fig. 22 
abgebildeten Rekonstruktionsbilder gezeichnet sind, entstammen einem 36jährigen Patienten 
ohne Missbildungen in Ascendenz und Descendenz. Linkerseits (Fig. 22a) artikulieren die 
fünfte und sechste Zehe an dem distalen Ende des vierten Metatarsale. Rechterseits (Fig. 22b) 
besteht eine Gabelung in der Mitte dieses Knochens. Auch hier ist der tibiale Zwilling drei- 
gliedrig, der fibulare zweigliedrig. 

An dem auf Tafel V, Fig. 10 wiedergegebenen Skiagramm des rechten Fusses eines 
50jährigen Patienten findet sich ausnahmsweise eime dreigliedrige sechste Zehe. 

Tafel V, Fig. 7 zeigt das mir von Herrn Stabsarzt Dr. Niehues-Bonn freundlichst 
übersandte Skiagramm eines Neugeborenen. Der rechte Fuss besitzt hier sieben Zehen und 
Metatarsalia. Die beiden von dem übrigen Fuss durch eine Spalte abgetrennten überzähligen 
Zehen sind offenbar eine Grosszehe und eine doppelte zweite Zehe. Denn die am meisten 
medialwärts gelegene besitzt zwei, die folgende drei Phalangen. 


32 IV. Überzählige Bildungen im Bereiche des Fusses. 


Tafel V, Fig. 8 und die in Fig. 23 wiedergegebenen Rekonstruktionsbilder zeigen die 
Füsse eines 48jährigen Kranken. Ihm waren in frühester Jugend sechste Finger, die neben 
den kleinen ihren Platz hatten, entfernt worden. Diese letzteren lassen noch jetzt eine abnorme 
Breite ihrer Endglieder und der auf denselben sitzenden Nägel erkennen. An den Füssen fällt 
neben einer besonders markanten Verbreiterung der zweiten Grosszehenphalangen das Vor- 
handensein voll ausgebildeter sechster Zehen auf. Dieselben sind unter dem Stiefeldruck etwas 
abgeplattet und verschoben, wie wir es ja häufig auch an normalen Füssen zu sehen Gelegen- 
heit haben. Nach dem Röntgenbilde erweisen sich die Mittelfussknochen links gleichfalls um 
einen vermehrt. Metatarsale III und IV artıkulieren hier mit dem Cuneiforme III, Met. IV 
und V mit dem Cuboides. Rechterseits besteht ein Metatarsale V bipartitum. Die Trennung 





Fig. 23. Fig. 24. 
Anlagen zu je sieben Zehen an beiden Füssen eines 48 jährigen Doppelbildung an beiden 
Kranken. kleinen Fingern desselben 
(Rekonstruktionsbild zu Tafel V, Fig. 8. Kranken. 


des einheitlichen Knochens in zwei Gabeln geschieht etwa in der Mitte. Die fibulare Zehe ist 
wieder zwei-, die tibiale dreigliederig. 

An den Halluces bestehen, neben eigentümlichen, deutlich auf den Bildern hervor- 
tretenden Verschiebungen, Verdoppelungen der Endglieder, deren distale Abschnitte in je zwei 
Zinken auslaufen. Bemerkenswert ist daneben das Vorhandensein von drei Sesambeinen. [Die- 
selben sind auf den Rekonstruktionsbildern durchscheinend gezeichnet] Also auch hier 
schon, nicht erst an den Endgliedern, besteht eine Verdoppelung. 

Was die Hände des Kranken betrifft, so finden wir hier eine ähnliche Neigung zur 
Gabelung an den kleinen Fingern. Die Spaltung in zwei Teile (Fig. 24) beginnt schon an den 
distalen Abschnitten der zweiten Phalangen. Die ulnare Zinke ist namentlich linkerseits 
schmäler als der radiale Teil. An dieser Stelle schliessen sich an die beiden Ausläufer 
der Mittelglieder zwei getrennte Endphalangen, während rechterseits zunächst ein gemein- 
sames Basalstück folgt, und eine nochmalige Trennung erst in dem peripheren Teil der 
Schaufel eintritt. 

Berücksichtigt man, dass an den Händen des Kranken, wie oben erwähnt, in frühem 
Alter weitere überzählige Teile entfernt worden sind, so bestanden auch hier, wie jetzt noch 
an den Füssen, Anlagen zu je sieben Fingern. 

Von den zwölf Kindern des Patienten haben sieben die Polydaktylie an Händen 
und Füssen geerbt. Drei von ihnen, die noch am Leben sind, sind von mir untersucht 
worden. 


IV. Uberzåhlige Bildungen im Bereiche des Fusses. 33 


Fig. 25a und Taf. V, Fig. 8 veranschau- 
lichen die Fisse des jetzt 13jåhrigen Sohnes. Es 
bestehen beiderseits zunächst sechs ausgebildete 
Zehen. Die Gabelung des mit den beiden letzten 
Zehen artikulierenden Metatarsale V beginnt rechts 
erst am distalen Ende, links finden sich sechs aus- 
gebildete Mittelfussknochen. Daneben besteht ein 
weiterer nur mittelst des Röntgenverfahrens festzu- 
stellender überzähliger Knochen zwischen dem 1. und 
2. Metatarsale, von einem vorspringenden Teil des 
ersten Keilbeins ausgehend und mit dem ersten Mittel- 
fussknochen etwa in dessen Mitte in gelenkige Ver- 
bindung tretend — offenbar das Rudiment eines 
weiteren supernumerären Strahls. 

An beiden Händen sind in früher Kindheit 
überzählige Finger operativ entfernt worden. Man 
konstatiert zur Zeit noch an der linken Hand an dem 
ulnaren Rande des fünften Metatarsale nahe dessen 
Capitulum unter einer Narbe einen etwa 1 cm langen 
Knochenvorsprung. Derselbe erweist sich bei der 
Durchleuchtung als ein seitlicher Ast des Mittel- 
handknochens, der offenbar die Gelenkfläche für den 
überzähligen Finger getragen hat und nach der Ex- 
artikulation desselben mittelst des erhaltenen Epi- 
physenknorpels die Fähigkeit, sich nachträglich zu 
vergrössern, beibehalten hat. 

Bei der z. Z. zweijährigen Schwester, bei 
der ich selbst unmittelbar nach der Geburt ulnar- 
wärts prominierende Äste der fünften Metacarpalia 
nahe deren distalen Enden mitsamt den daran arti- 
kulierenden sechsten Fingern entfernt habe — zur 
Zeit sind nur noch kleine Narben beiderseits erkenn- 
bar — finden sich beiderseits wiederum sechs Zehen 
(s. Fig. 25b).  Linkerseits zeigen die vierte und 





Fig. 25c. 
Überzählige Zehen bei drei Geschwistern. 


fünfte Zehe Syndaktylie. Bei dem z. Z. jüngsten, jetzt sechs Wochen alten Kinde, habe ich vor 
kurzem wiederum überzählige kleine Finger entfernt und eine Verwachsung zwischen viertem und 


fünftem linken Finger getrennt. 
Die Füsse (s. Fig. 25c) zeigen 
sich vollkommen analog denen des 
Vaters gebildet. Die überzähligen 
kleinen Zehen, sowie die abnorm 
breiten Halluces mit einer An- 
deutung eines doppelten Nagels 
lassen mit Sicherheit die An- 
lagen zu sieben Zehen erkennen. 

Tafel VI, Fig. 2 und 
die schematischen Zeichnungen 
in Fig. 26 zeigen die Röntgen- 
aufnahmen der Füsse einer gleich- 








Fig. 26. 


zeitig mit einer Gaumenspalte Rekonstruktionsbild zu Tafel VI Fig. 2. 


Joachimsthal, Untere Extremitäten. 


5 


34 IV. Uberzåhlige Bildungen im Bereiche des Fusses. 


hehafteten ausgetragenen (mir von Herrn Dr. Mainzer iiberwiesenen) månnlichen Frucht. Man 
erkennt an denselben ohne weiteres das Vorhandensein von nach Årt der Greifzehen des Affen 
medialwärts angefügten grossen Zehen mit zwei Gliedern, während alleübrigen Zehen drei Glieder 





Fig. 27. 


Verdoppelung des Endgliedes der zweiten 
rechten Zehe bei einem 7 jährigen Mädchen. 


erkennen lassen. Erste und zweite vorhandene 
Zehen fügen sich dem Metatarsale primum an. 
Ist in diesem Falle nicht mit Sicherheit zu ent- 
scheiden, welcher der vier fibularwärts gelagerten 
Strahlen verdoppelt ist — höchstwahrscheinlich 
der zweite — so zeigt der auf Fig. 27 abgebildete 
rechte Fuss einer siebenjährigen Patientin meiner 
Beobachtung eine zweifellose Verdoppelung 
im Bereiche des zweiten Strahls. Auf dem 
abnorm breiten Endgliede der zweiten rechten 
Zehe sitzen zwei getrennte Nägel. Die Durch- 
leuchtung (Fig. 28) zeigt eine einfache Mittel- 
phalanx. Von den beiden in den Diaphysen 
getrennten Endphalangen erweist sich die fibulare 
wesentlich weiter in der Össifikation vorgeschritten, 
als die noch keinen Knochenschatten zeigende 
tibıale. 


In Bezug auf das Zustandekommen der Hyperdactylie stehen sich bekanntlich ver- 
schiedene Auffassungen gegenüber. Die Thatsache des gewöhnlichen Sitzes am Rande von 
Hand und Fuss haben von Darwin an einer Reihe von Autoren, in neuerer Zeit namentlich 
Bardeleben, dazu Veranlassung gegeben, die Anomalie im atavistischen Sinne als einen 
Rückschlag auf einen vielfingrigen Urahn aufzufassen, indem „verlorene“ radiale, resp. ulnare, 





Fig. 28. . 
Rekonstruktionsbild desSkiagramms 
des in Fig. 27 abgebildeten Fusses. 


tibiale, resp. fibulare Strahlen, welche man beim Menschen, 
vielen Säugetieren, Reptilien und Batrachiern in Gestalt 
längst bekannter, meist als Sesambeine aufgefasster Knochen 
finden wollte, in Form von supernumerären Teilen in die 
Erscheinung treten sollten. Gegenbaur, Tornier, Zander 
u. A. haben diese Auffassung der Hyperdactylie als einer 
theromorphen Varietät auf das Schärfste bekämpft; sie würde 
selbst im Falle einer Berechtigung nur die gewöhnlichen 
Fälle von Doppelbildung am Rande von Hand und Fuss 
erklären. Zwischen den normalen Fingern und Zehen auf- 
tretende überzählige Bildungen, wie sie das Röntgenverfahren 
mehr und mehr erkennen lässt — ich verweise auf die oben 
besprochenen eigenen Beobachtungen, sowie auf die in 
meiner Bearbeitung der angeborenen Verbildungen der oberen 
Extremitäten geschilderten Fälle — werden, nachdem 
Albrechts Versuch der Zurückführung derselben auf die 
Rochen, bei denen jeder Finger mit beinahe mathematischer 
Regelmässigkeit sich gegen den Flossenrand in zwei Finger 
spaltet, wohl von keiner Seite Anerkennung gefunden hat, 
allgemein zu den Missbildungen im eigentlichen Sinne 
des Wortes gezählt. 

Die Hyperdactylie als Missbildung kann auf zweierlei 
Art und Weise zu stande kommen, infolge einer dem Keim von 
Anfang an anhaftenden Eigentümlichkeit oder durch von aussen 


V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses. 35 


auf die Extremitåtenanlage wirkende Momente, von denen man namentlich amniotischen Falten 
oder Fåden, die sich den vorwachsenden Gliedmassen entgegenstellen, in dieselben eindriicken 
und einschneiden und Teile derselben mehr oder weniger abtrennen, fir die fragliche Verbildung 
verantwortlich gemacht hat. Amnionfalten, welche die Finger und Zehen, wåhrend ihrer Onto- 
genese fest einschliessen und dadurch am strahlenfórmigen Auseinanderwachsen hindern, sollten 
dabei gleichzeitig die die Hyperdactylie wie auch in mehreren der oben wiedergegebenen 
Beobachtungen gelegentlich begleitende Syndactylie erklåren. Der ersteren Auffassung der 
Verbildung als Resultat einer abnormen Keimanlage huldigen u. A. Ziegler, Pott, Falken- 
heim. Sie stützen ihre Anschauung gegenüber den Anhängern der mechanischen Theorie im 
wesentlichen auf die so häufige Symmetrie und Erblichkeit der fraglichen Anomalien. Diese 
beiden Argumente hat neuerdings besonders Zander zu entkräften sich bemüht. Er betont 
mit Gegenbaur die häufige — ja auch in mehreren der obigen Fälle konstatierte — Verschieden- 
heit beider Teile bei bilateral symmetrischer Polydactylie und verweist in der Erwägung, dass 
der Embryo sowohl wie das Amnion zunächst eine vollständig bilaterale Symmetrie zeigen, auf 
die Möglichkeit, dass gelegentlich Falten in dem Amnion genau symmetrisch auftreten und auf 
die gleichen Stellen der Gliedmassen einwirken können. Mit der häufigen Vererbung der Poly- 
dactylie findet sich Zander in der Weise ab, dass er die zum ersten Male in einer Familie 
auftretende Missbildung als eine im obigen Sinne erworbene auffasst, die als in einer frühen 
Entwickelungsperiode, zu einer Zeit, wo sich die einzelnen Organteile noch nicht differenziert 
haben, entstanden, sich dem betreffenden Individuum so fest aufgeprägt, dass sie auf die Nach- 
kommenschaft übertragen werden kann. Zander verfällt hierbei unbewusst selbst auf das 
dunkle Gebiet der Keimesvariation. Wenn man überdies die Schwierigkeiten in Betracht zieht, 
Fälle wie den auf Tafel V, Fig. 8 und in Fig. 23 abgebildeten von gleichzeitiger Doppelbildung 
an den tibialen und fibularen Rändern beider Füsse oder wie den auf Tafel V, Fig. 7 wieder- 
gegebenen von Wiederholung der ersten und zweiten Zehe am Innenrande eines sonst normalen 
Fusses, auf mechanische Weise entstanden zu deuten — in einem vor kurzen von Stopnitzki 
publizierten und von dem Autor auf amniotische Einwirkungen zurückgeführten Falle fanden 
sich an dem einen Fuss eines zwölfjährigen Mädchens nicht weniger als elf Zehen — wenn 
man weiterhin die häufige Kombination der Hyperdactylie mit Verbildungen innerer Organe 
in Betracht zieht, so kann man nicht umhin, über die mechanische Erklärung des Zustande- 
kommens der Hyperdactylie und Syndactylie, so sehr dieselbe auch unserm Kausalitätsbedürfnis 
entsprechen würde, vor der Hand noch ein non liquet auszusprechen. 


V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfasses. 
Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets®treten zunächst als Begleiterscheinungen 
der Defektbildungen der langen Röhrenknochen der unteren Extremität auf. So fehlen, wie wir 
sahen, in der Regel beim Tibadefekt die grosse Zehe mit ihrem Mittelfussknochen, beim Defekt 
der Fibula ein oder mehrere laterale Zehen mit entsprechenden Teilen des Metatarsus. Indem 
ich in Bezug auf die Einzelheiten auf die entsprechenden Kapitel verweise, möchte ich in diesem 
Abschnitt lediglich solche Fälle vereinen, in denen bei guter Ausbildung der proximalen Teile 
des Gliedes einzelne Strahlen im Bereiche des Fusses ausgefallen sind. Fehlen dabei mittlere 

Zehen ev. mit ihren Mittelfussknochen, so entsteht die als Spaltfuss bezeichnete Anomalie. 
Die ausgesprochene Neigung dieser Defektbildungen zur Vererbung zeigt zunächst eine 
Familie meiner Beobachtung, in der ich bei einem 47jährigen Kanzleibeamten (Fig. 29) und 
dessen beiden einzigen Kindern, einem 13 jährigen Mädchen (Fig. 30) und einem 10 jährigen 
Knaben (Fig. 31) beiderseits nur die kleine Zehe nachweisen konnte. An den Händen bestanden 
gleichfalls analoge Defektbildungen. Sọ waren beim Vater beiderseits nur das vierte und fünfte 
Metacarpale vorhanden. Rechts schloss sich an dieselben lediglich der fünfte Finger, linker- 
seits waren vierte und fünfte Finger ausgebildet, aber durch Syndactylie vereinigt. Bei beiden 

5* 


36 V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses. 


Kindern waren auf beiden Seiten nur die kleinen Finger zur Ausbildung gelangt. Im Bereiche 
der Mittelhand lagen bemerkenswerte Variationen vor. Während bei dem Knaben nur zwei 
Metacarpalia vorhanden waren, zeigte das Mädchen links wie rechts deren drei. Linkerseits 





Fig. 29. Fig. 30. 
Defektbildungen an beiden Händen und Füssen Defektbildungen an beiden Händen und Füssen 
eines 47 jährigen Patienten. der 13 jährigen Tochter. 


divergierten die beiden äusseren Metacarpalia in einem Winkel 
von etwa 45° und schlossen an ihren unteren Enden einen 
querliegenden Knochen zwischen sich, mit welchem sie somit 
ein vollkommen geschlossenes, fast gleichseitiges Drei- 
eck bildeten, dessen einander berührende Teile gelenkig mit 
einander verbunden waren. Der beide Mittelhandknochen 
verbindende Knochen trug weder den Charakter eines 
Metacarpale, noch den einer Phalanx; denn er besass 
an seinen beiden Enden — abweichend von den nor- 
malen Röhrenknochen der Hand — Epiphysenkerne. 
Im Gegensatz zu diesen Variationen im Bereiche der 
Handverbildungen zeigen sich die Defektbildungen an den Füssen 
der drei Kranken in durchaus gleicher Weise. Die Unter- 
schenkelknochen sind normal. Auch die Fersengegend zeigt 
ihre normale Gestaltung mit dem nach hinten vorspringenden 
Hackenfortsatz, an dem die Achillessehne in gewöhnlicher Weise 
inseriert. In der Malleolengabel artikuliert der Talus; an ihn 
schliesst sich distalwärts ein Rudiment des Naviculare. Die 
Sehne des Tibialis anticus springt als deutlicher zu diesem 
Knochen ziehender Strang hervor. Von dieser Partie an besteht 
der Fuss nur aus seinem äusseren dem fünften Mittelfussknochen 
Dela ch und der fünften Zehe entsprechenden Anteil, während an dem 
Hude E, eg Innenrande ein tiefer, halbmondförmiger Ausschnitt bemerkbar 
10 jährigen Sohnes. wird. Um die Unterstützungsfläche zu vermehren, haben sich 
bei allen drei Kranken, die übrigens andauernd und ohne 
Beschwerden zu gehen vermögen, die einzigen vorhandenen fünften Zehen vollkommen nach 
der medialen Seite umgelegt. 





Fig. 31. 


V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses. 87 


Über die Verhëltnisse des vorderen Fussskeletts orientieren uns die Skiagramme, die 
von den rechten Füssen gewonnen sind, und die entsprechenden Rekonstruktionszeichnungen. 
Beim Vater (Taf. VI, Fig. 5 und Textfigur 32) sind noch Naviculare, Cuboid und 





Fig. 39. Fig. 33. 
Rekonstruktionsbild zu Tafel VI, Fig. 5. Rekonstruktionsbild zu Tafel VI, Fig. 4. 


fünfter Strahl zu identifizieren. Bei letzterem sind wieder 
Mittel- und Endphalanx verschmolzen. Das Metatarsale V 
mit regelrechter Tuberositas schliesst möglicherweise in der 
tibialen Partie seiner Basis ein assimiliertes Rudiment des 
vierten Strahles ein. Am Naviculare liegt, anscheinend an- 
geschmolzen, ein Rest von Cuneiforme I. 

Bei der 13jährigen Tochter (Taf. VI, Fig. 4 u. 
Textfigur 33) liegen die Verhältnisse sonst wie beim Vater; 
der Rest vom Cuneiforme aber ist selbständiger und mit dem 
Metatarsale V ist anscheinend kein Rudiment vom Metatar- 
sale IV verschmolzen. Bei dem 10jährigen Sohn endlich 
(Tafel VI, Fig. 6 u. Textfigur 34) besteht im Naviculare eine 
kleine Ossifikation, vom Cuneiforme I fehlt jede Spur. 

Einen Defekt lediglich der Mittelphalanx der 
zweiten rechten Zehe zeigt das von einer 16 jährigen 
Patientin meiner Beobachtung stammende, auf Tafel VI, 
Fig. 3 wiedergegebene Skiagramm. Zwischen zweiter und 
dritter Zehe bestand Syndactylie. 

Für die Defektbildungen mittlerer Zehen ev. mit 
ihren Metatarsalknochen ist von Kümmel die der Spalthand 
analoge Bezeichnung des Spaltfusses eingeführt worden. Der Fig. 34. 

Fuss wird durch den bei einem solchen Defekt entstehenden  Rekonstruktionsbild zu Tafel VI, 
Spalt in zwei ungleichartige, meist gegen einander bewegliche, Fig. 6. 





38 V. Defektbildungen im Bereiche des Fussskelets mit Einschluss des Spaltfusses. 


häufig opponierbare Hälften geteilt. Dabei pflegen die zu jeder Hälfte gehörigen Glieder 
untereinander eine festere Zusammengehörigkeit zu zeigen und sind nicht selten durch Syn- 
dactylie verbunden. Häufig ist die Affektion beiderseits vorhanden. Vielfach finden sich 
daneben Spaltbildungen an den Händen. Nicht selten ist die Anomalie exquisit erblich. So 
konnte Mayer über eine Familie berichten, in der Spalthand und Spaltfuss durch vier 
Generationen zu verfolgen war. Vier aus drei verschiedenen Generationen stammende Fälle 
konnten inittelst des Röntgenverfahrens durchforscht werden. Von den seit dem ersten Auf- 
treten der Missbildung in der Familie geborenen 20 Mitgliedern zeigten 13 die in Rede 
stehende Anomalie. Dabei unterlag es keinem Zweifel, dass die Affektion durch die männ- 
lichen Vertreter weiter verbreitet wurde. Der erste Behaftete war zweimal verheiratet und 
hat mit der ersten Frau zwei. mit der zweiten vier Kinder erzeugt; aber alle zeigten die 
Missbildung. Aller- 
dings scheint die 
missbildende Kraft 
immer an Intensität 
abgenommen zu ha- 
ben. Während näm- 
lich der älteste Sohn 
an allen vier Extre- 
mitäten die Spaltbil- 
dung aufwies, war 
bei dem zweiten die 
linke Hand verschont 
geblieben; bei den 
übrigen vier Kindern 
waren nur die Füsse 
befallen. Ähnliche 
Abschwächungen in 
der Art der Miss- 
bildungen zeigten 
sich bei anderen 
Zweigen der Familie. 





Ein vortreff- 
Fig. 35. liches Beispiel eines 
Doppelseitiger Spaltfuss bei einem 23 jährigen Patienten. doppelseitigen 


Spaltfusses zeigt 
Fig. 35, nach einer Photographie eines 23jährigen Patienten, die ich Herrn Geheimrat Garre 
in Königsberg verdanke. Dem Kranken fehlte auch beiderseits der Mittelfinger und sein 
Metacarpale. Während scheinbar ein Defekt dreier mittlerer Zehen vorliegt, deutet die Ver- 
breiterung und Doppelbildung am Nagel der grossen Zehe auf eine Verschmelzung zweier 
medialwärts gelegener Zehen hin, und ebenso scheint auch eine Verschmelzung zweier Mittelfuss- 
knochen vorhanden zu sein. | 
Klaren Einblick in die vorliegenden Verhältnisse kann uns am Lebenden nur das 
Röntgenverfahren bieten, das ausser von Mayer in seinen Fällen auch von Roloff bei der 
Untersuchung eines an Spaltfuss leidenden achtjährigen Knaben und von Perthes bei zwei 
Knaben mit Defekten der mittleren Zehen bezw. Finger bereits herangezogen worden ist. 
Auch mir bot sich vor kurzem durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Benda 
Gelegenheit, Röntgenbilder eines Spaltfusses zu gewinnen (Taf. VI, Fig. 7 und 8). Es 
handelte sich um eine im Krankenhaus am Urban an Abdoninaltyphus verstorbene 20 jährige 
Patientin, die ausser multiplen Spontanamputationen im Bereiche der rechten Hand, einem 


VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremität. 39 


rechtsseitigen Klumpfuss, einer Hauttasche am Rücken, linker- 
seits einen Spaltfuss zeigt. Es waren scheinbar nur drei 
Zehen vorhanden, deren beide äussere durch Syndactylie ver- 
bunden waren. Zwischen der ersten Zehe und den beiden 
äusseren ging ein tiefer Spalt in den Mittelfuss hinein. Die 
Röntgenbilder (Taf. VI, Fig. 7 u. 8, Aufnahmen von unten 
und von der Seite) lassen hier das Vorhandensein aller fünf 
Mittelfussknochen in der Anlage erkennen. An die beiden 
ersten Metatarsalia, die in ıhren distalen Enden zu einem 
einheitlichen Knochen verschmolzen sind, schliesst sich eine 
einzige zweigliedrige Zehe. Die vierten und fünften Meta- 
tarsalia mit ihren Zehen (letztere zweigliedrig) sind vorhanden, 
während ein Rudiment des dritten Mittelfussknochens sich 
dem zweiten anlagert. Von den Tarsalknochen fehlt das 
dritte Keilbein. (Vergl. die Rekonstruktionszeichnung von 
Tafel VI, Fig. 7 auf Fig. 36.) 

So sehr auch das in dieser Beobachtung neben dem 
Spaltfuss konstatierte Vorkommen anderweitiger Verbildungen, 
deren Entstehung unter dem Einfluss amniotischer Einwir- 
kungen allgemein acceptiert ist, wie beispielsweise der Spon- 
tanamputationen, für die von Kümmel und Riedinger 
verfochtene Hypothese einer mechanischen Erklärung des 
Spaltfusses und der Spalthand spricht, so mahnt doch die 
enorme Vererblichkeit der Missbildung sowie die Symmetrie 





ihres Auftretens in dieser Beziehung zur Vorsicht. Kümmels Fig. 36. 

Eintreten fir den oben angedeuteten ausschliesslichen Ent-  Rekonstruktionsbild zu Tafel V i 
stehungsmodus erscheint um so wunderbarer, als sich in dem Fig. 7. 

von ihm mitgeteilten Falle die Verbildung gleichfalls durch — Linksseitiger Spaltfuss bei einer 
mehrere Generationen vererbt hat. 20 jährigen Patientin. 


VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremität. 


Die in diesem Abschnitt zunächst genauer zu besprechende z. Z. 15jährige Patientin 
leidet an einer angeborenen abnormen Grössenentwicklung der drei medialwärts liegenden Zehen 
des rechten Fusses und ihrer Metatarsalknochen mit gleichzeitiger, wenn auch geringerer 
Hypertrophie der Knochen des rechten Ober- und Unterschenkels. Sie ist wegen ihrer Ano- 
malie, die sofort nach der Geburt bemerkt wurde und im Laufe der späteren Jahre wesentlich 
auffallender geworden ist, bereits im Jahre 1895 von Herrn Dr. Adler der Berliner medicini- 
schen Gesellschaft demonstriert worden. 

Aus gesunder Familie stammend und sonst frei von Verbildungen, zeigt Patientin ein 
höchst auffallendes Missverhältnis in der Ausbildung ihrer beiden Unterextreimitäten, speciell 
beider Füsse. Der rechte Oberschenkel ist um 3, der rechte Unterschenkel um 1 cm länger 
als der linke (s. Fig. 37). 

Was speciell den rechten Fuss anlangt, so zeigt derselbe ein höchst frappierendes 
Verhalten. Während die Fusswurzel bereits eine leichte Vergrösserung der einzelnen medial- 
wärts liegenden Teile erkennen lässt, zeigen speciell die drei ersten Mittelfussknochen und die 
ihnen entsprechenden Zehen eine sehr erhebliche Hypertrophie. Im Gegensatz dazu sind die 
beiden letzten Metatarsalia und ihre. Zehen kleiner als auf der linken Seite. Einen sehr guten 
Überblick über die einschlägigen Verhältnisse gewährt uns das Röntgenbild (Taf. VII, Fig. 1 
und die entsprechende Rekonstruktionszeichnung Fig. 38), das gleichzeitig die Möglichkeit einer 


40 VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremitåt. 


ungefähren Messung bietet. Wie die beigefügte, auf Grund von Feststellungen am Röntgen- 
bilde hergestellte Tabelle erkennen lässt, zeigt beispielsweise der zweite Mittelfussknochen eine 
Zunahme von 4,0, der dritte eine solche von 3,4 cm gegenüber der linken Seite; die ersten 





| I II | HI | IV Vv 
' rechts links rechts links rechts links rechts links rechts links 
Metatars. 80 70 | 120 80 11,0 7,6 E 3 ÓN 

Diff. +10 + 4,0 — — 3 05 
Gph. 30 4,5 40 2,5 50 2,2 it Y. 15 AS 
Diff. ` 1,5 +15 + 2,8 — 0,9 0% 
Mph. N e $i 28 10 2,1 05 19 . 05 2,0 
Diff. == +12 11 — O a 
Eph. 35 2,0 | 15 0,9 is 69 | 03. 08 1.05. 04 
Diff. ES +0,6 CN 


Zehenglieder der beiden medialwårts liegenden Zehen sind rechts 1,5, dasjenige der Mittelzehe 
2,8 cm långer als links, wåhrend die einzelnen Glieder des vierten und finften Strahles selbst 
bis zu 1,5 cm kleiner auf der rechten als diejenigen auf der linken Seite erscheinen. Auf diese 
Weise ergiebt sich ein so beträchtlicher Längenunterschied beider Füsse, dass die Entfernung 
von der Ferse bis zur Spitze der zweiten Zehe 
einen Unterschied von 3 cm erkennen lässt (r. 30, 
l. 22 cm). Der rechte Fuss ist abgeflacht und 
steht in leichter Valgusstellung, wodurch an der 





Fig. 37. 
Partieller Riesenwuchs am rechten Fuss einer 15 jährigen Patientin. 


Innenseite eine starke Prominenz des Caput tali erzeugt wird. Ausser der Verlängerung und 
gleichzeitigen Verdickung der Knochen konstatiert man im Bereich des ossifizierten Fuss- 
abschnittes eine leicht elephantiastische Hyperplasie des Unterhautbindegewebes. Der Umfang 
an der Ansatzstelle der kleinen Zehe beträgt rechts 26, links 20 em. Die Gelenke sind durch- 
weg frei, die Beweglichkeit sämtlicher fünf Zehen, überhaupt die Beweglichkeit des Fusses 
ungestårt. Die Sensibilität zeigt keine Veränderungen. An den Nägeln bestehen Nagelbett- 
entziindungen, so dass ich zur Entfernung derselben gezwungen wurde. 

An den affizierten Metatarsalia konstatiert man auf dem Skiagramm im Bereiche der 
epiphysären Zone eine Verschwommenheit und Aufhellung des Knochengewebes. Während 
linkerseits die distalwärts gelagerten Epiphysen durch helle, den Wachstumsknorpeln ent- 


VI. Der partielle Riesenwuchs im Bereiche der unteren Extremitåt. 41 


sprechende Zonen von der Diaphyse abgesetzt sind, sind an der kranken Seite die Epiphysen- 
linien nicht mehr erkennbar. An dem vierten und finften Mittelfussknochen treten die- 
selben wieder ebenso deutlich wie linkerseits hervor. Die Phalangen zeigen beiderseits bereits 
eine Verschmelzung der Dia- und Epiphysen. Die Patella lässt beiderseits dieselbe Grösse und 
Gestaltung erkennen. An den beiden Beckenhälften konstatiert man auch am Röntgenbild 
keine Unterschiede. _ 

Der angeborene Riesenwuchs hat in der Neuzeit mehrfach Veranlassung zu Bearbei- 
tungen gegeben. P. Wagner konnte in einer 1887 
veröffentlichten Arbeit 46 Fälle zusammenstellen. 
Weitere Mitteilungen einschlägiger Beobachtungen 
verdanken wir u. A. Masmejean, Waitz, Machen- 
hauer, Hoberg, v. Torday, Galvani, Grünfeld 
und Köhler. Galvanis, Grünfelds und Köhlers 
Fälle betrafen in 
ähnlicher Weise 
wie der unsrige 
einzelne Metatar- 
salknochen und 
Zehen, während 
die andern an- 
nähernd normale 
Verhältnisse dar- 
boten. In Gal- 
vanis Fall han- 
delt es sich um 
ein elfmonatliches 
Kind, dessen linker 
Fuss schon seit 
der Geburt ein 
übernormales Vo- 
lumen besass. Die 
zweite Phalanx der 
grossen Zehe war 
fast verdoppelt 
und beinahe kug- 
lig. Nach und 
nach wurde von 
der  Deformitát 
auch noch die 
erste Phalanx be- 





fallen, die sich Fig. 37. 
gleichfalls ver. Partieller Riesenwuchs am rechten Fuss einer 15 jährigen Patientin. 
grösserte und ab- Rekonstruktionsbild zu Tafel VII, Fig. 1. 


rundete. Auch das 

Metatarsale hatte eine Volumenzunahme erfahren, später begann auch die zweite Phalanx der 
zweiten Zehe sich zu vergrössern. In Köhlers Falle handelte es sich um einen 18jährigen 
Mann, dessen zweite und dritte Zehe am rechten Fuss beträchtlich vergrössert waren. Gleich- 
zeitig fand sich an der Tibia desselben Fusses ein gestieltes Osteom. In dem Griúnfeld'schen 
Falle, der, ebenso wie der eben erwähnte, bereits mittelst des Röntgenverfahrens durchforscht 


worden ist, ergab sich ausser einem partiellen Riesenwuchs der rechten grossen Zehe und des 
Josohimsthal, Untere Extremitäten. 6 


42 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. 


entsprechenden Mittelfussknochens eine Hypertrophie nicht nur sämtlicher Knochen der linken 
unteren Extremität, sondern auch der ganzen linken Beckenhälfte. Die linke Kniescheibe zeigte 
an ihrem oberen äusseren Winkel einen unter der Haut stark prominierenden, wallnussgrossen, 
knöchernen Höcker. Von irgendwelchen auf dem Skiagramm erkennbaren Veränderungen in 
dem Aufbau der Knochen wird hier nichts berichtet. 

Ich möchte dem gegenüber auf die Thatsache hinweisen, dass in unserem Falle im 
Bereiche der Epiphysen der Mittelfussknochen ein eigentümlich verschwommenes Bild vor- 
liegt, sowie dass hier eine vorzeitige Verknöcherung der Epiphysenlinien ein- 
getreten ist, die die Lingenzunahme der affizierten Knochen z. Z. wohl als abgeschlossen 
annehmen lässt. Diese Feststellungen erscheinen namentlich mit Rücksicht auf die von Broca 
aufgestellte Hypothese interessant, welche als letzte Ursache der congenitalen Anomalie eine 
noch unbekannte Störung des epiphysären und periostealen Knochenwachstums annimmt. Unter 
dem Einfluss der verstärkten Ernährung der Teile soll auch die Massenzunahme in den übrigen 
Weichteilen zu stande kommen. 


VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. 


A. Beiträge zum Verhalten des Hüftgelenks bei der angeborenen Verrenkung. 


Die angeborene Luxation des Hüftgelenkes hat bereits in dem dritten Heft des Archivs 
und Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern durch 
Schede eine eingehende Bearbeitung gefunden. Ich beschränke mich daher, indem ich im 
übrigen auf dieses Werk verweise, darauf, an den Bildern einer Anzahl von anatomischen 
Präparaten diejenigen Veränderungen vor Augen zu führen, die bei der unbehändelt gebliebenen 
Luxation des Hüftgelenks im späteren Lebensalter sich auszubilden und die erheblichen durch 
diese Deformität bedingten Störungen zu stande zu bringen pflegen. Im Anschluss daran werde 
ich eine Anzahl von Patienten meiner Beobachtung, die ich zum Teil auf dem 30. Kongress 
der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie im Jahre 1901, zum Teil am 7. Mai 1902 der Ber- 
liner medizinischen Gesellschaft vorgeführt habe, besprechen. Ich habe bei ihnen vor längerer 
Zeit mit dauerndem Erfolg die unblutige Reposition des congenital verrenkten Kopfes. voll- 
führt und dann mit Hülfe von in regelmässigen Zwischenräumen vorgenommenen Durch- 
leuchtungen die Umwandlungen zu studieren versucht, die sich im Anschluss an diesen Eingriff 
an den einzelnen Teilen des Gelenks vollziehen. Aus dem Vergleich der Präparate und den 
Ergebnissen der Behandlung werden sich gewisse Grenzen für das in anatomischer Hinsicht 
bei dieser Anomalie überhaupt Erreichbare ergeben. 

Dem ersten Teil meiner Ausführungen dienen fünf Präparate angeborener Hüftluxationen, 
von denen zwei mir von Herrn Prof. v. Hansemann aus der Sammlung des hiesigen Kranken- 
hauses am Friedrichshain, ein weiteres Bänderpräparat aus der chirurgischen Klinik zu Rostock 
von Herrn Geh. Rat Prof. Garr& freundlichst überlassen wurden, während die beiden anderen 
Präparate meiner eigenen Sammlung entstammen. 

Es wird sich empfehlen, die Veränderungen an den einzelnen Teilen des Gelenks der 
Reihe nach einer gesonderten Besprechung zu unterziehen. : 

Das grösste Interesse nimmt zunächst die Pfanne für sich in Anspruch. Dieselbe ist 
an allen fünf Präparaten, von denen zwei doppelseitige Verrenkungen aufweisen, und zwar stets 
in deutlichster Weise, vorhanden. Sie ist kleiner und flacher als normal, dabei aber an ein- 
zelnen Präparaten so vertieft, dass ein stark abgeschliffener Kopf, wie es beispielsweise an dem 
einer rechtsseitigen angeborenen Luxation eines Erwachsenen entsprechenden Gelenk (Fig. 38) 
der Fall ist, namentlich in Abduktionslage, noch notdürftig in ihr Platz findet. Stets hat die 
Pfanne die ihr normale Gestalt einer Hohlkugel verloren und sich dabei in eine mehr plane 
Fläche von der Form eines gleichschenkligen Dreiecks verwandelt, deren obere und namentlich 


VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 43 


hintere Umrandungen wallartig vorspringen; dem Foramen obturatorium gegenüber besteht 
kein Grenzwall. Während in den meisten Beschreibungen die Pfanne bei Erwachsenen in der 
Regel als von der Grösse eines kaum die Fingerbeere fassenden Grübchens geschildert wird, 
zeigt dieselbe an meinen Präparaten 
überall Durchmesser von 3—4 cm und 
eine zum Teil recht ansehnliche, wenn 
auch natürlich mit der gesunden Seite 
nicht annähernd vergleichbare Tiefe (cf. 
Fig. 39). Im Pfannengrunde finden sich 
vielfache Protuberanzen, durchsetzt von 
einer grösseren Anzahl von Ernährungs- 
löchern. Das Becken erweist sich in der 
Pfannengegend überall als so verdickt, 
dass von einem Durchscheinen des gegen 
das Licht gehaltenen Knochens, wie auf 
der gesunden Seite, keine Rede sein kann. 

An dreien der vorliegenden Ob- 
jekte findet sich an der äusseren Darm- 
beinfläche, nach hinten und oben von 
dem hinteren oberen Pfannenrand, eine 
Vertiefung, die dem neuen Standort des 
Kopfes entspricht. Dass dieser sich bei Fig. 38. 
der angeborenen Luxation am Becken, Präparat einer rechtsseitigen angeborenen Hüftluxation. 
oder nach der Annahme von Trendelen- 
burg das Becken am Oberschenkel häufig in recht grossem Umfange bewegt, dafür liefert das 
von einer 47jährigen Kranken mit linksseitiger Verrenkung stammende Präparat (Fig. 40), 
einen vortrefflichen Beweis. Besitzt doch hier die am Darmbein ausgeschliffene Grube Dimen- 
sionen, die diejenigen des überaus atrophischen Caput femoris um reichlich das Dreifache über- 
treffen. An dem in Fig. 39 abgebil- 
deten Becken hat der rechtsseitig 
luxierte Oberschenkel offenbar einen 
festeren Halt gefunden; denn hier 
zeigt die oberhalb der Incisura ischia- 
dica major gebildete Grube eine enge 
Umgrenzung und an dem stark durch- 
scheinenden Knochen eine stärkere 
Aushöhlung als die urprüngliche 
Pfanne selbst. 

Wir finden weiterhin an 
sämtlichen Präparaten unterhalb der 
Spina anterior inferior ossis ilei, ent- 
sprechend der hier verlaufenden Ileop- 
soassehne, eine tiefe Rinne. Diese Fig. 39. 
schon von Dupuytren beschriebene Präparat einer rechtsseitigen angeborenen Hüftluxation. 
Gleitfurche erklärt sich mit Leichtig- ; 
keit aus der Thatsache, dass gerade an dieser Stelle der erwåhnte Muskel auf seinem Wege 
zum dislocierten Trochanter minor das Becken von unten her stiitzt. 

Von den weiteren, zum Teil sehr ausgesprochenen Verånderungen am Becken verweise 
ich auf die bei den einseitigen Luxationen die gesamte Beckenhälfte betreffende, zum Teil recht 


beträchtliche Atrophie, die steilere Richtung der Darmbeinschaufel, die Verkleinerung des 
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44 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 


Angulus ossis pubis mit der durch diese bedingten Eversion des Sitzbeinhåckers, Verånderungen, 
die naturgemäss auch auf die Gestaltung des Foramen obturatorium nicht ohne Einfluss bleiben 
und namentlich dessen untere Spitze stark nach aussen abweichen lassen mussten. Der horizontale 
Schambeinast verläuft auf der Seite der Verrenkung 
mehr in der Frontalebene und erscheint länger 
als an der gesunden Beckenhälfte. Die Symphyse 
weicht nach der normalen Seite ab. Die Pfanne 
liegt höher und etwas mehr an der Vorderseite 
(Fig. 41). 

Nach einem kurzen Hinweis auf die 
skoliotischen Veränderungen, die bei einseitigen 
Verrenkungen die an einzelnen Präparaten noch 
erhaltenen Lendenwirbel (s. Fig. 41) erkennen lassen 
(die Zuschrägung der keilförmig verbildeten Wirbel 
erfolgt nach der Seite des normalen Gelenks), 
wende ich mich nunmehr zur Betrachtung der 
für uns ungleich wichtigeren Verhältnisse des 
Oberschenkels, den wir in seinen einzelnen Teilen, 
dem Kopf, dem Hals und Schaft verfolgen müssen. 
Am Kopf wie am ganzen oberen Femurende kon- 





Fig. 40. statieren wir ausnahmslos eine beträchtliche Atro- 
Präparat einer linksseitigen angeborenen phie. An dem einen Präparat, einer doppelseitigen 
Hüftverrenkung. Luxation, scheint derselbe beiderseits ganz zu 


fehlen, wobei allerdings schwer zu entscheiden 

ist, wieviel hier späteren Abbröckelungen des ganz besonders morschen, brüchigen Knochens 
die Schuld beizumessen ist. Die Abplattung der mit dem Darmbein in Kontakt gewesenen 
inneren und hinteren Fläche des Kopfes tritt besonders an dem einen Oberschenkel (s. Fig. 38) 
bei der Betrachtung desselben von der Rückseite zu Tage. Die Ansatzstelle des Lig. teres 
erscheint dabei als spitz zulaufender, 
von dem übrigen Knochen sich abgren- 
zender Vorsprung. Der Winkel, den der 
Schenkelhals mit dem Schaft bildet, ist 
fast stets im Sinne einer Coxa vara, meist 
bis zum rechten Winkel, verkleinert; nur 
an dem Präparat der Rostocker chirur- 
gischen Klinik, auf das ich bei der 
Besprechung der Kapselverhältnisse zu- 
rückkonıme — einem 47 jährigen Patien- 
ten entstammend — zeigt derselbe auf 
beiden Seiten eher eine Vergrösserung. 
Hier ist auch die Länge des Schenkel- 
halses, im Gegensatz zu seiner Verkür- 
zung an allen übrigen Oberschenkeln der 
Präparat einer rechtsseitigen angeborenen Hüftverrenkung Serie, eine annåhernd normale. Endlich 
(vergl. auch Fig. 38). verweise ich noch auf einen, einem links- 

seitigen Hüftverrenkungspräparat ent- 

stammenden, in toto erhaltenen (in Fig. 42 abgebildeten) Oberschenkel, an welchem neben den 
besonders ausgeprägten Veränderungen am Kopf und Hals, die bei dem Vergleich mit der 
gesunden Seite deutlich in die Augen springen, die in letzter Zeit wieder von Schede besonders 
betonte Sagittalstellung des Collum femoris deutlich hervortritt. Bei der in Fig. 42 zur Auf- 





Fig. 41. 


VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 45 


nahme gewählten Frontalstellung beider Schenkelhålse musste der linke Oberschenkel eine Ein- 
wärtsrotation um ca. 30° vollführen. 

Es erübrigt noch mit einigen Worten auf die Verhältnisse der Weichteile einzugehen, 
zu deren Studium das oben erwähnte Präparat besonders geeignet erscheint, da an seiner rechten 
Seite die Kapsel noch in der grössten Ausdehnung erhalten ist. Sie bildet zunächst mit der 
Gegend der alten Pfanne eine Art von Tasche, die Lorenz treffend mit der Form der üblichen 
Wagentaschen verglichen hat, und dann eine kuppelförmige Umhüllung für den nach oben 
dislocierten Kopf, der entgegen der Norm schon durch die Kapsel hindurch seine Form 
erkennen lässt. Der nach oben lang ausgezogene Kapselschlauch besitzt in der Gegend des 
hinteren Pfannenrandes eine Art von Isthmus, durch den das Liga- 
mentum teres von dem normalen nach dem abnormen Standort des 
Kopfes zieht. Dass dieses häufig fehlende Band gelegentlich eine 
recht beträchtliche Ausdehnung erfahren kann, erkennt man übrigens 
auch an der linken Seite des Präparates, wo es auf das Drei- bis 
Vierfache der normalen Länge angewachsen ist ünd sich beträcht- 
lich verdickt hat. 

Ich wende mich nunmehr zur Besprechung der Behand- 
lungsresultate. 

Ohne an dieser Stelle des genaueren auf technische Dinge 
einzugehen, erwähne ich nur, dass ich in den zur Besprechung 
gewählten Fällen die unblutige Reposition annähernd nach den von 
Lorenz gegebenen Vorschriften vollführt habe. Als untere Alters- 
grenze für den Beginn der Behandlung galt im Allgemeinen das 
Ende des zweiten Lebensjahres, da es vor dieser Zeit kaum mög- 
lich ist, die Verbände sauber zu erhalten, als obere Grenze für 
einseitige Luxationen im allgemeinen das 9. bis 10., für doppel- 
seitige Verrenkungen das 6. bis 7. Lebensjahr. Eine einleitende 
Schraubenextension von 10—15 Minuten Dauer erwies sich nur bei 
Kindern über das fünfte Lebensjahr hinaus als notwendig. Bei — 
jüngeren Patienten wurde nach der Empfehlung von Kümmell Baids Oberschenkel 
sofort mit der Abduktion begonnen. Während das Becken von des in Fig. 40 abgebildeten 
einem Assistenten exakt fixiert wurde, wurde bei gleichzeitigem Präparates einer linksseitigen 
manuellen Druck auf den Trochanter die Abduktion des im Hüft- angeborenen Hüftverrenkung. 
und Kniegelenk rechtwinklig, oder je nach den Umständen auch 
mehr spitz- oder stumpfwinklig flektierten Beines so weit bewirkt, bis der Kopf unter stets deut- 
lichem Geräusch in die Pfanne einschnappte, was vielfach schon bei einem leichten Grad von 
Abduktion geschah, während andererseits der Oberschenkel häufig bis über die Frontalebene 
hinausgeführt werden musste, ehe die Reposition erfolgte. In extremster Abduktions- und recht- 
winkliger Flexionsstellung des Hüftgelenks, bei indifferenter Rotationsstellung des Beins, wurde 
dann ein Becken und Oberschenkel bis zum Kniegelenk umschliessender Verband angelegt, an 
dem nach den Empfehlungen von Wolff, Ducroquet u. A. oberhalb des Trochanters ein 
muldenförmiger Eindruck angebracht wurde, wodurch man am sichersten eine Reluxation ver- 
hindert. Ich fertige diesen Verband in Bauchlage auf einer von mir für diesen Zweck ange- 
gebenen Beckenstütze. Schon während der Anlegung der Gipsbinden, namentlich aber während 
des Erhärtens derselben, wird, während eine Hand unterhalb des Knies den Unterschenkel um- 
greift und das Bein in die Abduktionsstellung überführt, mit den hakenförmig zusammen- 
gelegten Fingern der andern Hand die erwähnte Impression oberhalb des Trochanters erzeugt. 
In diesem Verband wurden schon nach durchschnittlich zehn Tagen, nachdem die Ungleich- 
heiten in der Länge beider Beine durch eine entsprechende Korkunterlage unter dem Stiefel 
der reponierten Seite ausgeglichen waren, die ersten Gehversuche unternommen, die bald zu 





46 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. 


einer vollkommen sicheren eigenen Fortbewegung der Kinder führten. Der durch eine über- 
gelegte Wasserglasbinde widerstandsfähiger gemachte Verband blieb durchschnittlich drei Monate 
liegen. Nach dieser Zeit wurde er entfernt und auf jede weitere Fixation verzichtet; vielmehr 
wurde es den Kindern überlassen, durch eigene Bemühungen sich selbst wieder die normale Beweg- 
lichkeit der Hüfte zu schaffen. Das Bild, welches sich uns gewöhnlich nach Abnahme des Verbandes 
darbietet, ist eine fixierte Abduktionsstellung des kranken Hiiftgelenks. Flexion und Extension 
sind dabei in gewissen Grenzen frei. Schon in den ersten Tagen, während welcher Bettruhe 
verordnet wird, fordert man die Kinder auf, das kranke Bein möglichst in Parallelstellung mit 
dem anderen zu bringen, wobei meist eine starke Beckensenkung eintritt, die eine häufig die 
Eltern höchst beunruhigende Verlängerung des ursprünglich kürzeren Beines vortäuscht. Das 
Sitzen, bei dem der Längenunterschied beider Beine gleichfalls sehr deutlich in die Erscheinung 
tritt, ist schon nach wenigen Tagen zu gestatten. Durchschnittlich am zehnten Tage, nachdem 
uns inzwischen eine Röntgenaufnahme die Gewissheit gebracht hat, dass der Kopf sich im 
Pfannenniveau befindet, werden die ersten Gehversuche unternommen, und zwar zunächst mit 
halber Sohlenerhöhung, wie sie, während der Verband lag, benutzt wurde. 

Meist in sehr schnellem Tempo kann man diese Erhöhung vermindern und ist dann 
meist bald genötigt, an dem gesunden Beine eine Erhöhung von 2—3 cm anzubringen, um den 
jetzt bestehenden, durch die Beckensenkung auf der reponierten Seite bedingten Längenunter- 
schied auszugleichen. In diesem Stadium habe ich die mir von ausserhalb überwiesenen Kinder 
ruhig ohne Verband nach Hause entlassen und dann häufig nach Monaten, ohne dass irgend 
welche weitere Massregeln zur Anwendung kamen, die Freude gehabt, sie mit einem so voll- 
kommen normalen Gelenk wiederzusehen, dass die klinische Untersuchung kaum noch eine 
Andeutung des früheren Übels nachweisen konnte, und nur das Röntgenbild, wie wir sehen 
werden, noch anatomische Differenzen entdecken liess, die an die Veränderungen erinnern, wie 
wir sie in ausgesprochenster Weise vorhin an den Präparaten kennen gelernt haben. 

Bei doppelseitigen Luxationen habe ich. in meinen bisherigen Fällen zunächst die 
eine Seite reponiert, und nach sechs bis acht Monaten, nachdem inzwischen auf dieser Seite 
wieder die normale Beweglichkeit eingetreten war, in gleicher Weise die andere Seite behandelt. 

Die einschlägigen Verhältnisse werden am deutlichsten aus den Krankengeschichten 
einiger von mir nach diesen Grundsätzen behandelter Patienten hervorgehen. 

Bei der ersten, jetzt zehnjährigen Patientin, Clara R. aus Berlin, habe ich vor 
vier Jahren, am 8. Mai 1898, die Reposition einer linksseitigen angebornen Hüftluxation voll- 
zogen. Die Verkürzung betrug 4 cm, so dass Patientin stark hinkte und den Fussboden nur 
mit den Zehenspitzen beriihrte. Nach zehn Minuten langer Extension mit der Flügelschraube 
und nach zehn Minuten lang fortgesetzten Abduktionsmanövern erfolgte die Reposition unter 
sichtbarem und weithin hörbarem Einschnappen bei einem Flexions- und Abduktionswinkel 
von 90° Diese Stellung wurde im Gipsverbande fixiert. Ein an der Innenseite des Ober- 
schenkels, in der Gegend der Ansatzstelle der Adduktoren entstandenes, auf das grosse Labium 
übergreifendes Hämatom schwand nach wenigen Tagen, so dass Patientin, deren Behandlung 
ambulant durchgeführt wurde, nach zwölf Tagen die ersten Gehversuche mit einer Sohlen- 
erhöhung von 12 cm auf der linken Seite machen und sehr bald ohne jede Unterstützung sich 
auf der Strasse fortbewegen konnte. Am 6. August 1898 wurde dieser erste und einzige Verband 
entfernt und nach 14tágiger Ruhe wiederum mit Gehversuchen begonnen, die, um die Abduk- 
tionsstellung noch einigermassen aufrecht zu erhalten, zunächst noch mit einer Sohlenerhöhung 
von. 6 cm ausgeführt wurden. Schon nach vier Wochen ergab sich, nachdem die Erhöhung 
allmählich vermindert war, die Notwendigkeit, die gesunde Seite um 2 cm zu erhöhen. Nach 
einer Zeit von etwa sechs Monaten, während welcher jede Art von Behandlung unterblieb, die 
Patientin nur fleissig umherging, später in vorsichtiger Weise ein Dreirad benutzte, hat sich 
auch diese Differenz vollkommen ausgeglichen und eine tadellose Funktion des Hüftgelenks 
eingestellt. Das vor der Reposition in ausgesprochensten Masse vorhandene Trendelenburg ’'sche 


VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 47 


Symptom, das Fallen des Beckens nach der gesunden Seite beim Stehen auf dem luxierten Bein, 
ist geschwunden. Patientin, die ich am 7. Mai 1902 der Berliner medizinischen Gesellschaft 
vorgestellt habe, vermag vielmehr auch beim Erheben des rechten Beines das Becken in der 
Horizontalen zu halten. 

Von dieser Kranken habe ich nun in Zwischenräumen von vier bis fünf Monaten 
während der jetzt vier Jahre betragenden Beobachtungszeit Röntgenbilder herstellen lassen, die 
einen interessanten Einblick in die allmähliche Gestaltung der Gelenkskonstituentien gestatten. 
Während auf dem vor der Einrenkung gewonnenen Röntgenbilde, Tafel VII, Fig. 2a, eine 
Pfannenvertiefung und ein Pfannendach nur gerade angedeutet sind, der ganze, auf dem Bilde 
erkennbare Teil des Femur den Eindruck hochgradiger Atrophie gewährt, sehen wir an einem 
sieben Monate später und den weiteren, im Laufe der Jahre gewonnenen Bildern der Patientin 
die Pfanne allmählich durch Hineinbeziehen benachbarter Teile des Darmbeins sich vergrössern. 
Ein am äusseren Ende des Pfannendaches nach unten vorspringender Zapfen trägt wesentlich 
dazu bei, den sicheren Halt, den der Kopf nunmehr am Becken findet, zu verstärken. Wäh- 
rend das Caput femoris annähernd die Grösse desjenigen der anderen Seite erreicht hat, fällt 
uns an den in letzter Zeit sowohl in Einwärts- wie in Auswärtsstellung gewonnenen Bildern 
(Tafel VII, Fig. 2a zeigt eine Mittelstellung) nur noch eine gewisse Kürze des Schenkelhalses 
auf, deren Eindruck wohl zum Teil noch durch eine leichte Sagittalstellung vermehrt erscheint. 

Bei der zweiten, dem Chirurgenkongress 1901 vorgestellten Patientin (Gertrud H. aus 
Neudamm) ist die Einrenkung einer linksseitigen angeborenen Luxation im Alter von. sieben 
Jahren im Oktober 1899 von mir vollzogen worden. Die Reposition gelang nach 15 Minuten 
währender Schraubenextension und etwa zwei Minuten lang fortgesetzten Abduktionsbewegungen 
durch Hebelung über die unter den Trochanter geschobene Faust bei einem verhältnismässig 
geringen Abduktionswinkel. Die Patientin verliess 14 Tage später in ihrem Verbande Berlin, um 
erst drei Monate später zur Abnahme desselben zurückzukehren. Nachdem das nach seiner Ent- 
fernung gefertigte Skiagramm den Kopf als gegenüber dem Y-förmigen Knorpel stehend erwiesen 
hatte, wurde Patientin schon 14 Tage später auf dringenden Wunsch der Mutter mit den nötigen 
Weisungen ohne jeglichen Verband nach Hause entlassen. Sie hat die Sohlenerhöhung auf der 
kranken Seite bald mit einer solchen auf der gesunden vertauschen können und drei Monate nach 
der Entfernung des Gipsverbandes wieder regelmässig am Schulbesuch teilgenommen. Ich habe 
die in der ganzen Zeit vollkommen ohne ärztliche Aufsicht gebliebene Patientin erst ein Jahr 
später wiedergesehen und mich von einem Verhalten des Hüftgelenks überzeugen können, das 
die frühere Verbildung nicht mehr ahnen lässt. Die 4!/, cm betragende Verkürzung ist 
beseitigt, der stark hinkende Gang ist ein normaler geworden, das Trendelenburgsche Symptom 
ist geschwunden. Patientin, die früher überaus leicht ermüdete, vermag stundenlang ohne 
Beschwerden zu gehen, von einem Stuhle zu springen u. dgl. m. Das letzte Röntgenbild zeigt 
hier (Tafel VII, Fig. 3b) im Gegensatz zu der kaum angedeuteten Pfanne vor der Einrenkung 
(Tafel VII, Fig. 3a) eine tiefe, wenn auch mit der Pfanne der normalen Seite noch nicht ver- 
gleichbare Höhlung, in der der Kopf jedenfalls eine sichere Stütze findet. Der letztere hat 
annähernd die Grösse des rechtsseitigen Caput femoris. Auch hier ist man, wie bei der vorigen 
Patientin, erstaunt, im Gegensatz zu dem vortrefflichen funktionellen Verhalten des Hüft- 
gelenkes, auf dem Skiagramm noch einen recht kurzen Schenkelhals zu finden. Es war mir 
hier möglich, an stereoskopischen Aufnahmen, deren Herstellung ich Herrn Kollegen Cowl 
verdanke, den Nachweis zu erbringen, dass in der That eine Anteversionsstellung des Caput 
femoris vorlag, die auf dem Skiagramm den Schenkelhals noch verkürzter erscheinen lassen 
musste, als er es wirklich war. 

Eine dritte Patientin zeigt weiterhin ein nicht nur in funktioneller, sondern auch in 
anatomischer Hinsicht nahezu tadelloses Resultat. Bei der Patientin Marie N. aus Berlin habe 
ich im Oktober 1899 im Alter von drei Jahren ohne voraufgegangene Extension binnen weniger 
Minuten die Reposition einer linksseitigen Luxation (Tafel VIII, Fig. 1a) vollzogen und gleich- 


48 VIL Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 


falls nur einen einzigen Verband für drei Monate angelegt. Hier war, wie man dieses vielfach 
bei Kindern in den ersten Lebensjahren sieht, auch die Adduktion des Oberschenkels nach 
Abnahme des Verbandes nur auf kurze Zeit und in geringem Masse beschränkt, so dass die 
Ungleichheiten in der Länge beider Extremitäten sich sehr bald ausglichen. Jetzt (auch diese 
Patientin habe ich 1901 dem Chirurgenkongress und am 7. Mai 1902 der Berliner medizinischen 
Gesellschaft demonstriert) ergiebt nicht nur die klinische Untersuchung ein so vorzügliches 
Verhalten des früher luxiert gewesenen Gelenkes, dass ein Unterschied gegenüber der gesunden 
Seite nicht mehr festgestellt werden kann, namentlich eine nach jeder Richtung hin freie 
Beweglichkeit des an sich festen Gelenkes, sondern auch das Skiagramm beiderseits fast gleiche 
Verhältnisse (Tafel VII, Fig. 1b). Nur das Pfannendach zeigt wiederum am äusseren Rande 
kleine Vorsprünge und der Schenkelhals eine etwas geringere Länge; sonst lässt sich, nament- 
lich was die Grösse des Kopfes, seine Stellung zum Y-förmigen Knorpel, seine Entfernung von 
demselben etc. anlangt, einen Unterschied gegenüber der rechten Seite nicht entdecken. 

Wie schnell man übrigens im frühen Alter auf dem geschilderten Wege gelegentlich 
zum Ziele. gelangt, mag die zur Besprechung gewählte vierte Patientin, Margarete D., aus 
Berlin, vor Augen führen. Ich habe bei ihr am 10. August 1900 die Einrenkung einer links- 
seitigen Luxation (Taf. VII, Fig. 4a) im Alter von zwei Jahren vollzogen und die geschilderte 
Nachbehandlung zur Anwendung gebracht. Zur Zeit des Chirurgenkongresses 1901, sieben 
Monate nach der Reposition, vermochte sie in vortrefflicher Weise ihr Hüftgelenk zu gebrauchen. 
An dem damals aufgenommenen Röntgenbilde (Taf. VII, Fig. 4b) erkennt man, dass der Schenkel- 
kopf in genau dem der anderen Seite symmetrischer Weise dem Y-förmigen Knorpel gegenüber 
seinen Platz gefunden hat. 

. Tafel VOII, Fig. 3a u. 3b veranschaulichen das Verhalten einer Patientin im Alter von 
zwei und drei Jahren. Nach der Einrenkung der linksseitigen Luxation kam es bei der Abnahme 
des Verbandes zu einer Reluxation. Die erneute Reposition führte auch hier, wie ich der Ber- 
liner medizinischen Gesellschaft zeigen konnte, zu einem in jeder Hinsicht tadellosen Resultat. 

Fig. 44 zeigt an einer weiteren zur Zeit neun Jahre alten Patientin mit drei Jahre 
zuvor von mir reponierter rechtsseitiger Luxation im Gegensatz zu einer in Fig. 43 wieder- 
gegebenen gleichalterigen, unbehandelt gebliebenen Patientin die Fähigkeit der mit Erfolg 
behandelten Kranken, auf dem ehemals luxierten Beine stehend, das Becken, wie in der Norm, 
in der Horizontalen zu halten. (Trendelenburgs Symptom.) 

Zum Schluss möchte ich noch über eine Patientin (Hertha R. aus Cuxhaven) 
berichten, die wegen einer doppelseitigen Verrenkung (Taf. VII, Fig. 2a) in meiner Behand- 
lung gestanden hat. Ich habe bei der damals zweijährigen Kranken im März 1899 zunächst 
die Reposition der linken Seite, dann im Januar 1900 diejenige der rechten Seite in der 
gleichen Weise wie bei den beiden eben besprochenen Kindern vollzogen und beide Male 
je nur einen Verband drei Monate lang liegen lassen. Wenn irgend etwas die Zweifel 
an der Wirksamkeit des unblutigen Repositionsverfahrens zu heben vermag, so ist es das 
Verhalten eines Kindes mit doppelseitiger Luxation nach Einrenkung der einen Seite. Hier 
stellen sich nach Abnahme des Verbandes oft die erheblichsten Längenunterschiede heraus, 
die das Verhalten eines solchen Kindes zu einem höchst auffallenden gestalten. Auch bei 
dieser Kleinen betrug der Längenunterschied nach Abnahme des linksseitigen Verbandes 
5—6 cm. Nach Abnahme des Verbandes für die rechte Seite war diese wiederum zunächst 
um 2—83 cm verlängert, ein Unterschied, der sich wenige Monate später wieder vollkommen 
ausgeglichen hat. In dem klinischen Bilde dieser Patientin, die dem Chirurgenkongress 1901 
vorgeführt wurde, ist besonders bemerkenswert das vollkommene Schwinden der hochgradigen 
Lendenlordose. Die Patientin vermag beim Stehen sowohl auf dem linken wie auf dem rechten 
Bein das Becken in der Horizontalen zu halten. Aus den Röntgenbildern der Patientin vor 
der Behandlung (Taf. VII, Fig. 1a), nach Abnahme des Verbandes für die linke und desjenigen 
für die rechte Seite und weiterhin zwei Jahre nach Beginn der Behandlung (Taf. VII, Fig. 1b) 


VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 49 


lassen sich die verschiedenen Phasen auf das trefflichste studieren. Das Becken, zunåchst nach 
links, dann nach rechts gesenkt, steht jetzt beiderseits gleich hoch. Beide Schenkelköpfe 
befinden sich jetzt an normaler Stelle gegenüber dem Pfannenknorpel und haben unter einem 
gut ausgebildeten Pfannendach einen sicheren Halt gefunden. 

Im Anschluss an diese Fälle noch einige kurze Bemerkungen, die sich zunächst auf die 
nach der Reposition notwendige Fixationsperiode beziehen. 

Das soeben geschilderte Verfahren, bei dem nach der Reposition nur ein einziger 
Fixationsverband für verhältnismässig kurze Zeit zur Anwendung gelangte, ist nach dem von 
mir der Berliner medizinischen Gesellschaft 
gegebenen Bericht bis zum Mai 1902 bei 45 
Patienten mit angeborenen Hüftluxationen, 
deren Behandlung mindestens sechs Monate 
abgeschlossen war, darunter sieben doppel- 
seitigen, verwendet worden. Die fraglichen 
Patienten befanden sich im Alter von 1'/, 
bis zu 9 Jahren. Bei der jüngsten Kranken 
(Elisabeth F. aus Neudamm) war es mir 
bereits im Alter von sechs Monaten möglich 
gewesen, die Diagnose einer linksseitigen 
Hüftverrenkung zu stellen und durch ein 
Röntgenbild zu erhärten. Hier gelang es 
dann bis zum 15. Monat das Kind so an 
Reinlichkeit zu gewöhnen, dass die Ein- 
renkung vollführt, und der Verband während 
der drei Monate dauernden Fixationsperiode 
vor Durchnässung bewahrt werden konnte, 
was sonst in der Regel erst nach Ablauf 
des zweiten Lebensjahres möglich ist. Unter 
diesen 45 Fällen, bei denen im Anschluss 





> a d i Fig. 43. Fig. 44. 
an die Einrenkung niemals irgendwelche 9 jährige Patientin mit 9 jährige Patientin 
Unglücksfälle, Frakturen, Lähmungen u. rechtsseitiger Hüft- mit drei Jahre zuvor 
dgl. m. eintraten, auch Hernien niemals gelenksluxation erfolgreich reponierter 
beobachtet wurden, sind bei 35 unmittel- (Trendelenburgs rechtsseitiger Hüft- 
bar tadellose funktionelle Resultate erzielt Symptom). gelenksluxation. 


worden. Bei zehn Kindern kam es zu 
Reluxationen nach hinten. Finf von diesen Patienten konnten einer erneuten Reposition unter- 
zogen werden, die nunmehr dreimal eine dauernde blieb. 

In einer Anzahl von Fållen blieb der Kopf nicht im Pfannenniveau selbst, sondern 
fand etwas vor demselben seinen dauernden Standort. An mehreren dem Chirurgenkongress 
und der Berliner medizinischen Gesellschaft vorgestellten Kranken dieser Art u. A. an einem 
9 jährigen Knaben, der fünf Jahre zuvor wegen einer rechtsseitigen Luxation in meiner 
Behandlung gestanden hat, konnte ich gleichfalls vollkommen tadellose funktionelle Resultate, 
das Fehlen jeglichen Hinkens, die Abwesenheit des Trendelenburg’schen Symptoms vor 
Augen führen. 

Der geschilderte Verband blieb im Durchschnitt drei Monate liegen. Nur bei einer 
siebenjährigen Kranken (Margarete F. aus Berlin) entfernte ich nach der vor nunmehr 2!/, 
Jahren vollführten Einrenkung den etwas gelockerten Verband schon nach sieben Wochen, in 
der Absicht, denselben ev. zu erneuern. Der Versuch, zunächst auf eine neue Fixationsperiode 
zu verzichten, führte auch hier zu einem vortrefflichen funktionellen Resultat. 

Nach den in der Litteratur bisher vorliegenden Angaben wird es in der Regel für 


Joachimsthal, Untero Extremitäten. 7 


50 VIL Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 


nötig erachtet, die Zeit der Immobilisation nach der Einrenkung wesentlich länger auszudehnen, 
als dies bei meinen Fällen geschehen ist. Nur Wolff hat in seiner bereits erwähnten 
Publikation zunächst von einem siebenjährigen Knaben berichtet, bei dem schon drei Monate 
nach der Einrenkung einer linksseitigen Luxation die endgültige Abnahme des Verbandes 
erfolgte, und weiterhin einen besonders günstigen Fall mitgeteilt, bei dem die Fixationsperiode 
im ganzen nur 8'/, Wochen hindurch gedauert hat, und dennoch ein vorzügliches Resultat 
zu stande kam. Es handelte sich um eine Patientin, bei der im Alter von vier Jahren und 
elf Monaten eine rechtsseitige Luxation unblutig eingerenkt wurde. Elf Tage darauf wurde 
das Kind, mit rechtsseitiger Sohlenerhöhung ziemlich gut umhergehend, aus der Klinik ent- 
lassen. Unterhalb der rechten Spina anterior superior entstand ein Abscess, der es notwendig 
machte, den Verband zu entfernen. Es war in Aussicht genommen, denselben so bald als 
möglich zu erneuern. Da indes die Untersuchung der Hüftgegend stets wieder ergab, dass 
der Femurkopf nicht aus seiner guten Stellung herausgerutscht war, so wurde die Anlegung 
des neuen Verbandes immer wieder herausgeschoben, und zwar so lange, bis sich endlich er- 
gab, dass überhaupt kein solcher notwendig war. 

Im Gegensatz dazu finden wir sonst fast überall Vorschriften für eine wesentlich längere 
Fixationsperiode nach der Reposition, als dieselbe in den erwähnten Fällen für notwendig 
erachtet wurde. So pflegt Lorenz selbst die gewählte Primärstellung durch vier bis fünf 
Monate zu fixieren und beginnt erst dann mit der etappenweisen Stellungskorrektur mittelst 
weiterer Fixationsverbände. Im allgemeinen nimmt nach seinen Angaben die strenge Fixations- 
behandlung etwa die Dauer von neun Monaten in Anspruch, kann aber häufig schon während 
der letzten drei Monate durch Anwendung abnehmbarer Fixationshülsen eine Erleichterung 
erfahren. Dreesmann, Broca, Mouchet u. A. immobilisieren sechs Monate lang. Hagopoff 
in Konstantinopel, der den Eintritt einer wirklichen Reposition übrigens für ein nur ausnahms- 
weise eintretendes Ereignis erachtet, vielmehr glaubt, dass es meist nur gelingt, eine günstigere 
Einstellung des Kopfes im Pfannenniveau zu erlangen, will ein freies Umhergehen der Patienten 
nach der „Einrenkung“ erst sehr spät (bei Knaben nicht vor 2'/, Jahren) und auch dann nur 
mit der grössten Vorsicht, unter Benutzung eines besonderen Apparates, mit Verbot des Treppen- 
steigens, Springens u. dergl. m. gestatten. Die im Gegensatz zu diesen Angaben bei meinen 
Patienten erreichten Resultate dürften jedenfalls dafür beweisend sein, dass es vielfach bereits 
nach wesentlich kürzerer Zeit möglich ist, die Kranken sich selbst zu überlassen und damit 
naturgemäss die ganze Behandlung zu vereinfachen. 

Wenn wir endlich noch einen Vergleich der Skiagramme unserer Kranken mit den 
in ausgeprägtester Weise an den Präparaten vorliegenden Veränderungen vornehmen, so 
scheint, so weit Réntgenbilder in dieser Beziehung verwertbar sind, daraus hervorzugehen, dass 
die Pfanne sich unter der Einwirkung des reponierten Kopfes wesentlich zu vertiefen imstande 
ist, dass weiterhin der Kopf vielfach relativ bald annähernd normale Grösse und Gestalt wieder- 
erlangt, während der Hals seine Kürze und Anteversionsstellung amı längsten bewahrt. Ob es 
sich hier um Veränderungen handelt, die überhaupt einer vollkommenen Rückbildung fähig 
sind, muss erst die weitere Beobachtung der Patienten zeigen. 

Was die eben erwähnten Veränderungen an der Pfanne und am Kopf anlangt, so muss 
allerdings berücksichtigt werden, dass die Patienten in der Zeit zwischen den einzelnen Auf- 
nahmen älter geworden sind, und dass auch die Pfanne der gesunden Seite sich vertieft, das 
Caput femoris hier vergrössert hat. Immerhin sind aber die Unterschiede auf der kranken Seite 
so auffallende und so durchaus abweichende von den Bildern gleichaltriger, nicht behandelter 
Patienten, dass hier ein günstiger Einfluss der Behandlung auf die Entwicklung der Teile wohl 
keinem ernsten Zweifel mehr begegnen kann. 

Zum Schluss dieses Abschnittes möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf einen in 
letzter Zeit mehrfach von mir erhobenen Befund hinlenken, der in Bezug auf die Ätiologie der 
angeborenen Hüftluxation unser Interesse verdient. Bei einer vierjährigen Patientin (Maria D. 


VIL Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 51 


aus Mailand) mit rechtsseitiger typischer Luxation ergab das vor der Reposition gefertigte 
Röntgenbild (Tafel VIII, Fig. 4a) auf der linken der klinischen Untersuchung nach anscheinend 
vollkommen normalen Seite einen weiten Gelenkspalt zwischen Kopf und Pfanne, ein flaches 
Pfannendach, einen kurzen, antevertierten Schenkelhals, kurz, Veränderungen, wie wir sie nach 
geglückter Reposition einer Hüftgelenksluxation vielfach noch auf dem Skiagramm zu finden 
gewohnt sind, während rechterseits das typische Bild einer ausgesprochenen unbehandelten 
Luxation bestand. Die Verhältnisse sind auch auf dem sieben Monate nach der Reposition 
der rechten Seite gefertigten Bilde noch erkennbar (Taf. VIII, Fig. 4a). Aus solchen Befunden, 
wie sie in letzterer Zeit auch von Bade berichtet worden sind — Bade fand in 25°/, der 
Fälle einseitiger Luxationen im Hüftgelenk der gesunden Seite eine zu weite Pfanne und ein 
abgeflachtes, oberes Pfannendach — lässt sich wohl vermuten, dass am Hüftgelenk schon in 
frühester Zeit Veränderungen bestehen, wohl im wesentlichen Verbildungen der Gelenkkörper | 
und Erweiterungen der Kapsel, die prädisponierend für die Entstehung von Luxationen wirken 
und, wenn Gelegenheitsursachen und sekundäre veranlassende Momente hinzukommen, auf einer 
Seite zu einer Verrenkung führen, während eine solche auf der andern Seite ausbleibt. Es 
liegt die Vermutung nahe, dass bei solcher Anlage auch gelegentlich einmal noch in der ersten 
Zeit des extrauterinen Lebens eine Luxation zustande kommt. 

Erwähnung verdient bei der Beurteilung dieser Verhältnisse auch ein von Wolff im 
Jahre 1893 mitgeteilter Fall, in dem bei einer neunjährigen Patientin eine abnorme Weite der 
Kapsel und des Bandapparates der meisten Körpergelenke festgestellt werden konnte, in drei 
Gelenken, nämlich den beiden Hüftgelenken und dem linken Kniegelenk fixierte, in den beiden 
oberen Radiusgelenken bewegliche angeborene Luxationen bestanden, und im rechten Knie- 
gelenk eine willkürliche Verrenkung vorlag. Endlich dürfte an dieser Stelle noch auf eine 
von W. Friedländer aus meiner Anstalt publizierte Beobachtung zurückgegriffen werden. 
Bei einem zwölfjährigen Mädchen, das sieben Jahre zuvor von anderer Seite der blutigen 
Reposition einer doppelseitigen Hüftverrenkung mit Ausgang in Ankylose auf beiden Seiten 
unterzogen worden war, hatte sich hier eine habituelle Luxation beider Kniescheiben entwickelt. 
Da eine Fortbewegung nur in der Weise möglich war, dass die Patientin bei jedem Schritte 
ihre Kniegelenke überstreckte, erschien es mit Rücksicht auf die vorhanden gewesenen 
angeborenen Hüftverrenkungen am plausibelsten, auch für die Kniescheibe eine congenitale 
Disposition zur Entstehung der Luxation anzunehmen und den äusseren Anlass zum Zustande- 
kommen der habituellen Verrenkung in der durch die Hüftankylosen veränderten Muskelaktion 
zu suchen. Der Gedanke an solche hereditäre Disposition zur Entstehung von Luxationen, 
wie wir sie auch bei der oben erwähnten Kranken, von der die auf Tafel VIII, Fig. 4a u. 4b 
abgebildeten Skiagramme stammen, annehmen müssen, lag in Friedländers Fall um so näher, 
als ein älterer Bruder der Patientin, gleichfalls und zwar dieses Mal wegen einseitiger con- 
genitaler Hüftluxation mit Ausgang in Ankylose blutig operiert, genau wie die Schwester auf 
der affizierten Seite eine habituelle Verrenkung der Kniescheibe davon getragen hatte. 

Die beispielsweise auf dem auf Taf. VIII, Fig. 4a abgebildeten Röntgenbilde linker- 
seits hervortretenden abnormen Hüftgelenksverhältnisse scheinen im Laufe der Jahre sich 
von selbst zu normalen zu gestalten. Schon auf dem sieben Monate später gefertigten Bilde 
(Tafel VIII, Fig. 4a) liegen offenbar günstigere Bedingungen vor, indem der Kopf näher an 
das Pfannenniveau und mehr unter das Pfannendach getreten ist. Meine längste Beobach- 
tung eines analogen Falles betrifft einen jetzt neunjährigen Knaben, Arthur S., bei dem ich 
vor 5 Jahren mit dauernd gutem Erfolg die unblutige Reposition einer rechtsseitigen Hüft- 
luxation vollzogen habe. Während an dem vor der Einrenkung gefertigten Skiagramm rechts 
das typische Bild einer Luxatio iliaca vorlag, bestand links ein ähnliches Verhalten, wie wir 
es soeben besprochen haben, ein flaches Pfannendach, ein weiter Abstand des Kopfes, der mit 
seiner äusseren Hälfte die Gegend des Acetabulum nach aussen überragte. Hier bot sich mir 


wiederum Gelegenheit, im Laufe einer längeren Beobachtungszeit durch mehrfache Aufnahmen 
7* 


59 VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremitåt. 


die Gestaltung der Gelenkverhältnisse zu verfolgen. Rechterseits erinnert jetzt wiederum nur 
noch die Kürze des Schenkelhalses an die frühere Deformität, während linkerseits die Form der 
Pfanne, des Schenkelkopfes, sowie die Beziehungen der einzelnen Teile des Gelenkes zu ein- 
ander einen Unterschied von der Norm nicht mehr erkennen lassen. 

Zweifellos geht aus diesen wie analogen Beobachtungen hervor, dass für eine Anzahl 
von Fällen in der Ätiologie der angeborenen Luxation des Hüftgelenkes ausser primären Ver- 
bildungen der Gelenkkörper auch die schon von Sedillot und Stromeyer vertretene Anschauung 
einer „Atonie, Erschlaffung und Erweichung des ligamentösen Apparates“ eine Rolle spielt. 


B. Die angeborenen Luxationen im Kniegelenk. 


Im Gegensatz zu der angeborenen Luxation des Hüftgelenks, von der wir jetzt mit 
Lorenz annehmen, dass sie das häufigste aller congenitalen Gebrechen ist und mindestens 
viermal so oft als der angeborene Klumpfuss vorkommt, welch letzteren man in der Häufigkeits- 
skala der angeborenen Anomalien bisher immer obenan zu stellen gewohnt war, ist die congeni- 
tale Luxation im Kniegelenk als seltenes Vorkommnis zu betrachten. Muskat hat im Jahre 
1897 82 Fälle zusammengestellt. Von diesen betrafen 48 nur eine Seite, 31 waren beider- 
seitig. Bei drei Fällen fehlten die entsprechenden Angaben. Bei einigen Patienten bestanden 
zum Teil sehr schwere Komplikationen, Aneucephalie, Spina bifida, abnorme Weite aller Band- 
apparate, Kontrakturen in den verschiedensten Gelenken, Verrenkungen im Hüftgelenk, Klump- 
füsse und Klumphände, Defekte am Unterschenkel u. a. m. Am relativ häufigsten fanden sich 
Verrenkungen im Hüftgelenk und Klumpfüsse. Die meisten Kinder zeigten indes ausser der 
Affektion des Kniegelenks keine Abnormitát. Der Mangel der Kniescheibe, der siebenmal 
beschrieben ist, wurde nur einmal anatomisch nachgewiesen. 

Nur in einem kleinen Bruchteil der Fálle handelte es sich um echte Luxationen, bei 
denen der Kontakt der Gelenkflächen von Femur und Tibia thatsáchlich gelöst war; in den 
meisten anderen gewöhnlich als Luxatio genu congenita beschriebenen Beobachtungen lag ledig- 
lich ein am besten als Genu recurvatum congenitum bezeichneter Zustand von abnormer 
Überstreckung des Unterschenkels vor, ohne dass 
der Kontakt zwischen Tibia und Femur ganz auf- 
gehoben war. Nach den vorliegenden, durch 
Muskat, Knauer u. A. zusammengestellten 
Berichten fanden sich dabei die Diaphysen stets 
völlig normal und ohne Verbiegungen. Es war 
eine Verkürzung des Quadriceps vorhanden, welche 
zugleich mit den Mm. sartorius, semitendinosus, 
semimembranosus und biceps, die statt hinter den 
Condylen oft vor denselben verliefen und so als 
Überstrecker wirkten, eine Flexion verhinderten. 
Die Beugemuskulatur war häufig etwas gedehnt. 





Fig. 45. Die Gelenkkapsel verhielt sich in den einzelnen 
Genu recurvatum congenitum bei einem Fållen verschieden. Bald war die vordere Wand 
6 Wochen alten Mådchen. geschrumpft, die hintere gedehnt, bald war sie in 


allen Teilen geschrumpft beziehungsweise erweitert, 
Die Gelenkflächen des Femur zeigten vorn an Stelle der normalen Wölbung eine von unten 
hinten nach vorn oben aufsteigende plattgedrückte und gut ausgeschliffene Gelenkfacette, die 
nach unten hinten durch eine scharfe Kante abgesetzt war. Auf dieser Facette ruhten die meist 
wenig veränderten Condylen der Tibia. 
Meine eigenen beiden Fälle, bei deren einem ich die Durchleuchtung zur Anwendung 
bringen konnte, gehören in diese letztere Kategorie. 
Die erste Patientin, die ich im Jahre 1889 der Freien Vereinigung der Chirurgen 


VII. Die angeborenen Verrenkungen im Bereiche der unteren Extremität. 58 


Berlins als 1'/, Jahre altes Mädchen vorstellen durfte, war das Kind gesunder Eltern. Bei den 
Geschwistern wie überhaupt in der ganzen Familie des Kindes waren keine Missbildungen 
beobachtet. Die Geburt verlief in Schädellage ohne Kunsthilfe. Über die Mengenverhältnisse 
des Fruchtwassers wusste die Mutter keine Angaben zu machen; ein Trauma hat sie während 
der Gravidität nicht erlitten. Die Patientin war bereits im Alter von sechs Wochen von mir 
untersucht worden. Der Zustand, den damals das rechte Kniegelenk darbot, veranschaulicht 
die z. Z. aufgenommene Photographie (s. Fig. 45). Es war ein hochgradiges Genu recurvatum 
vorhanden. Ober- und Unterschenkel bildeten einen nach vorn offenen stumpfen Winkel von 
etwa 130°. Wenn man unter Druck auf das in der Kniekehle prominierende untere Ober- 
schenkelende eine möglichst forcierte Flexion versuchte, so gelangte man bis zu einem nach 
hinten offenen Winkel von ca. 160°; liess man mit dem Druck nach, so schnellte der Unter- 
schenkel sofort wieder in seine hyperextendierte Stellung zurück. Eine Patella wurde nicht 
gefühlt. An ihrer Stelle machte sich eine ziemlich tiefe dorsale Hautfurche bemerkbar. 

Die in Aussicht genommene orthopädische Behandlung des Falles wurde zunächst auf- 
geschoben. Dieser Aufschub hat zu der interessanten Beobachtung geführt, dass spontan eine 
nicht unwesentliche Besserung in dem Verhalten des Kniegelenks eingetreten ist. Im Alter 
von 1!/, Jahren — ich habe das Kind später nicht wiedergesehen — betrug der nach vorn 
offene Winkel nur noch etwa 150°, während man bei forcierter Beugung bis zu einem nach 
hinten offenen Winkel von 140° gelangte. Bei der Beugung trat übrigens eine schon bei 
hyperextendierter Stellung bemerkbare Genu valgum-Stellung deutlicher hervor. Die Patella 
erwies sich nicht als fehlend, sondern liess sich jetzt als kleines Körperchen nachweisen. 

Noch interessanter in Bezug auf die spontane Rückbildung der bestehenden 
Erscheinungen war mein zweiter Fall. 

Es handelte sich um ein zur Zeit der ersten Untersuchung zwei Monate altes Mädchen 
aus gesunder Familie, in Schädellage leicht geboren, das, anscheinend sonst vollkommen gesund, 
am rechten Kniegelenk das gleiche Verhalten wie die eben besprochene Patientin darbot. Der 
Unterschenkel stand hyperextendiert in einem nach vorn offenen Winkel von ca. 130°. Im 
Sinne der Beugung war die Bewegung des Unterschenkels unter leichtem Druck nur bis zur 
Gradstreckung des Beines möglich. Aus dieser Stellung federte dasselbe nach Aufheben des 
Druckes in die Hyperextension zurück. In der Kniekehle sah und fühlte man die hinteren 
Abschnitte der Condylen des Femur vorspringen. Die Gelenkfläche der Tibia stand nach vorn 
vor, ohne vollständig von dem Femurschaft abgeglitten zu sein. An der Vorderseite fühlte man 
die Patella. Wihrend die Haut an der Rückseite des Kniegelenkes straff gespannt war, erwies 
sie sich vorn als schlaff und in mehrere Querfalten gelegt, die auch auf dem s. Z. angefertigten 
Skiagramm sich deutlich markieren (s. Tafel VIII, Fig. 5). Trotz der Unmöglichkeit, die Kon- 
touren der noch knorpeligen Gelenkenden zu erkennen, ist doch aus der Stellung der diaphy- 
sären Teile von Femur einer-, Tibia und Fibula andererseits die Verschiebung des Gelenks im 
Sinne des Genu recurvatum deutlich zu beurteilen. 

Nachdem wegen der schwächlichen Konstitution der Patientin und mit Rücksicht auf 
die in meinem ersten Falle gemachten, auch von anderer Seite bestätigten Erfahrungen zunächst 
von einer Behandlung Abstand genommen war, habe ich die Patientin erst zwei Jahre später 
im Alter von 2?/, Jahren wiedergesehen und dabei die erstaunliche Thatsache feststellen können, 
dass das rechte Kniegelenk sich spontan zu einem vollkommen normalen umge- 
gestaltet hatte. Beugung und Streckung geschahen in normalen Grenzen. Eine Überstreckung 
war absolut unausführbar. Die Patella zeigte die normale Grösse und Lagerung. Dagegen 
liess sich nun mit Leichtigkeit eine Luxation im Hüftgelenk derselben Seite nach hinten 
und oben mit einer Verkürzung der Extremität um 1!/, cm auch durch das Röntgenbild fest- 
stellen. Die Einrenkung nach dem Lorenz’schen Verfahren gelang ohne Schwierigkeiten. 
Patientin ist zur Zeit vollkommen geheilt. 

Der letztbeschriebene Fall dürfte namentlich mit Rücksicht auf das im Alter von 


54 VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 


zwei Monaten gefertigte, die fehlerhafte Stellung des Kniegelenkes deutlich zeigende Röntgen- 
bild und die zwei Jahre später von mir konstatierte, spontan eingetretene vollkommene Heilung 
Interesse bieten und dazu auffordern, die vorgeschlagenen unblutigen und blutigen Massnahmen 
beim Genu recurvatum congenitum in den ersten Lebensjahren zu unterlassen. 


VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses mit besonderer Berücksichtigung 
des angeborenen Klumpfusses. 


Von den angeborenen Verlagerungen des Fusses soll namentlich die häufigste und 
wichtigste angeborene Fussverbildung, der Pes varus oder Klumpfuss, einer kurzen, dem Rahmen 
dieses Archivs und Atlas entsprechenden Erörterung unterzogen werden. 

Ohne hier des genaueren auf die vielumstrittene Frage der Ätiologie der Abnormität 
einzugehen, erwähne ich nur, dass der Klumpfuss, ein- oder doppelseitig auftretend, sich sowohl 
mit anderweitigen Stellungsanomalien des Fusses, namentlich einer Equinusstellung desselben, 
kombiniert, als auch, wie wir dies mehrfach in den früheren Abschnitten gesehen haben, ander- 
weitige Bildungsfehler des Körpers begleitet. Das gleichzeitige Vorkommen eines einseitigen 
Pes varus und eines anderseitigen Pes varus resp. Pes valgus in der Weise, dass beide Füsse 
ineinandergeschachtelt sind (Fig. 46 zeigt ein neun Tage 
altes Kind meiner Beobachtung mit linksseitigem Pes varus 
und rechtsseitigem Pes calcaneus; beide Füsse legen sich 
genau in der deformen Stellung aneinander), hat in Verbin- 
dung mit dem Nachweis von Druckstellen in der Haut, wie 
sie v. Volkmann 1863 beschrieb, den wesentlichsten Grund 
dazu gegeben, diese Deformitäten auf die Einwirkung in- 
trauterin wirkender mechanischer Kräfte zurückzuführen. 
An einem von mir beschriebenen Präparat einer 4!/, Monate 
alten Extrauteringravidität hatte der Fötus in der engen, 
stark gewulsteten Tube nicht nur eine Schnürfurche am 





Fig. 46. e ge? . ` 
Tage wien Kind anit links Kopf, einen rechtsseitigen Schiefhals, Zehen- und Finger- 
seitigem Pes varus und rechts- verschiebungen, sondern auch hochgradige beiderseitige 
seitigem Pes calcaneus. Klumpfüsse davongetragen. Von anderweitigen Anomalien 


fand ich neben Pes varus Zehen- und Fingerdefekte, Poly- 
und Syndaktylie, Tibia- und Radiusdefekte, angeborene Schnürfurchen, Wirbelspalten, Hasen- 
scharten, angeborene Luxationen in den Hüftgelenken u. a. m. Der in Fig. 47 u. 48 abgebildete 
6 jährige Patient meiner Beobachtung zeigt die Kombination eines beiderseitigen Klumpfusses 
mit beiderseitiger Hüftluxation. Gelegentlich spielen Erblichkeitsverhältnisse eine Rolle. 

Beim Klumpfuss ist der äussere Fussrand gesenkt, der innere gehoben, die Fussspitze 
nach innen gerichtet, der innere Knöchel verstrichen, der äussere stark prominiert. Der durch 
Einrollung des inneren Fussrandes entstehende Winkel zwischen Vorder- und Hinterfuss ist in 
leichten Graden ein stumpfer, in schwereren ein spitzer geworden. Je länger die Deformität 
besteht, und je ausgedehnter der Patient seinen Fuss zur Fortbewegung benutzt, desto mehr 
verbildet sich derselbe durch Anpassung der Form der einzelnen Knochen an die fehlerhafte 
Funktion. Schliesslich kommt es zu den bekannten hochgradigen Veränderungen, bei denen 
die Fussspitze bei nach vorn gerichteter Patella nicht wie in den ersten Lebensjahren nach 
innen, sondern direkt nach hinten schaut. Eine ausgeprägte Furchenbildung in der Fusssohle 
entsprechend einer Abknickung im Chopartschen Gelenk wird nach Adams als charakteristisch 
für den angeborenen Klumpfuss angesehen und fehlt bei den erworbenen Formen des Leidens. 

Die vielfach an anatomischen Objekten studierten Veränderungen der einzelnen Teile 
des Fussskeletts beim Klumpfuss sowie die veränderte innere Architektur lassen sich, wie dies 
bereits von Gocht und Wolff hervorgehoben worden ist, vortrefflich an Röntgenbildern vor 


VII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 55 


Augen führen. Tafel IX, Fig. 1 u. 2 zeigen Skiagramme von Klumpfusskranken im Alter von 
6 und 14 Jahren mit den charakteristischen Veränderungen im Bereiche des Tarsus und Meta- 
tarsus. Kirmisson konnte mittelst Durchleuchtung bei mehreren Mitgliedern einer Familie eine 
seltene Form des Pes varus feststellen, bei der sämtliche Fusswurzelknochen mit einander ver- 
schmolzen waren, und daneben knöcherne Ankylosen in den Articulationes metatarso-phalangeae 
bestanden, demnach, wie wir sehen werden, der seltene Fall vorlag, in dem heutzutage noch 
Knochenoperationen am Fussgelenk zur Beseitigung des Klumpfusses indicirt sind. 

Die Behandlung des Klumpfusses soll so frühzeitig als möglich, womöglich schon 
in den ersten Lebenstagen und -wochen begonnen werden. Eine Reihe von Autoren (Sayre u. a.) 
empfehlen hier zunächst häufig vorzunehmende redressierende Manipulationen. Das wirksamste 
Instrument ist dazu die menschliche Hand. Die Mutter oder Amme soll in einer ihr aufs 
genaueste vom Arzt vorgeschriebenen Weise in Zwischenräumen von 
einigen Stunden Tag und Nacht mit dem Fuss redressierende Mani- 
pulationen vornehmen. Unterstützt werde diese Massnahme durch 
Anlegen von weichen, die Zehen zur Beobachtung ihrer Färbung 
freilassende Flanellbinden oder Heftpflasterstreifen. Diese Behand- 
lung soll so lange fortgeführt werden, bis bei der Korrektion keine 
Verfärbung der Zehen mehr eintritt. Alsdann ist das beste Mittel 
ein Gipsverband, dessen Anlegung sich in gleicher Weise gestaltet, 
wie bei hochgradigen Klumpfüssen älterer Kinder und selbst Er- 
wachsener. 

Ich übe die Anlegung dieser Verbände nach vorausgeschickter 
Tenotomie schon in den ersten Lebenstagen. Um die Ausbildung 
der Technik der Klumpfussverbände hat sich in den letzten Jahr- 
zehnten namentlich Wolff unablässig bemüht. Ihm ist es zuerst 
gelungen, bei den schwersten Klumpfüssen Erwachsener ideale 
Heilungsresultate zu erzielen und so die früher vielfach geübten 
Klumpfussoperationen zu verdrängen. Er verwendete den sogenannten 
„Etappenverband“, mittelst dessen die einzelnen Teile des deformen 





Gliedes nach und nach und zwar in mehreren — jedesmal um nur 

wenige Tage auseinanderliegenden — Etappen in die den normalen 

möglichst genau entsprechenden statischen Beziehungen zu einander | 

und zu den übrigen — normal geformten — Gliedern des ganzen ige I 

Körpers gebracht werden. = I —— ind 

oppelseitigem Klump 

Der Plan des Etappenverbandes geht dahin, nicht etwa fuss und doppelseitiger 

durch das Redressement die fehlerhafte Knochenform abändern zu angeborener Hüftgelenks- 

wollen, sondern diese Abänderung durch die „Transformationskraft* . luxation. 


bewirken zu lassen, diejenige Kraft, welche nach dem „Gesetz der 

Transformation der Knochen“ die Knochenform unter allen Umständen der Knochenfunktion 
anpasst, und welche daher nach wiederhergestellten normalen statischen Beziehungen nichts 
anderes verrichten kann als die den normalen statischen Verhältnissen einzig und allein ent- 
sprechende normale Form wieder herzustellen. 

An Sehnendurchschneidungen ist in den meisten Fällen diejenige der Achillessehne 
selbst bei leichten Klumpfüssen kleiner Kinder unentbehrlich; die Sehnen der M. flexer digitor. 
commun. und des Tibialis posticus, sowie die Durchschneidung der Plantoraponeurose sind nur 
in älteren Fällen notwendig. 

Sehr vorteilhaft ist vor der Anlegung der Gipsverbände die von König angegebene 
manuelle Redression des Klumpfusses. In Narkose wird der auf einem Holztisch liegende 
Patient auf die Seite gedreht, und bei gut fixiertem Knie der Klumpfuss mit seiner am 
meisten konvexen Partie auf ein der Volkmannschen Schleifschiene ähnliches dreikantiges 


56 VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 


Stück Holz aufgestützt, der Operateur ergreift dann den Fuss in der Art, dass er mit der einen 
Hand den Vorderfuss, mit der andern das Fersenbein umfasst und seine Körperschwere gleich- 
mässig auf die beiden Hände einwirken lässt. Der Stützpunkt muss bei diesen Biegungs- 
versuchen je nach der Art des vorliegenden Klumpfusses verschoben werden. Es muss bei 
diesem Vorgehen krachen; es müssen Bänder einreissen, Knochen eingedrückt werden, wenn 
das Verfahren erfolgreich sein soll. Der Kranke wird nunmehr auf die Seite gelegt. Man 
erzwingt jetzt bei in Streckstellung fixiertem Knie, während man das Sprunggelenk in die 
eine, den hintern Teil des Fusses und den untern Abschnitt des Unterschenkels in die andre 
Hand nimmt, durch kräftiges Zurückbiegen des Fusses in die Dorsalflexion und Abduktion die 
weitere Korrektur der Verbildung. Zuweilen genügt eine Sitzung, um einen anscheinend ganz 
schweren Klumpfuss so zurechtzubiegen, dass er sich jetzt mit der grössten Leichtigkeit in 
äusserste Abduktionsstellung bringen lässt; öfters sind dazu zwei bis vier weitere Sitzungen 





Fig. 48. 
Der bereits in Fig. 47 abgebildete 6 jährige Patient mit doppelseitigem Klumpfuss und doppelseitiger 
angeborener Hüftgelenksluxation vor der Behandlung und nach Anlegung von Redressionsverbänden. 


erforderlich. Man kann diese Redressionen auch mit Hülfe besonderer Apparate, so mittelst 
des von Lorenz angegebenen Redresseur-Osteoklasten ausführen. Die Verbände, die nach 
Ausführung des Redressements angelegt werden, sollen dann nur diejenige korrigierte Stellung 
festhalten, die sich nunmehr ohne jede Gewalt lediglich durch Fingerdruck erreichen lässt. Bei 
solchem Vorgehen vermeidet man Decubitus, die Zehen behalten ihr normales Aussehen, die 
Schmerzen nach dem Erwachen aus der Narkose und Tags darauf sind geringfügig und 
schwinden nach wenigen Tagen ganz. Nach zwei bis drei Tagen kann man ev. das Redresse- 
ment steigern, entweder, wie ich dieses vorziehe, mittelst eines ganz neuen Verbandes oder 
mittelst des von Wolff empfohlenen Keilausschnittes aus der lateralen Seite desselben. 

Ist der Fuss so eventuell nach mehreren Sitzungen (binnen einer bis drei Wochen) 
in die richtigen statischen Beziehungen überführt, so wird dem Verbande durch Abschaben 
aller zu dicker Stellen eine zierliche Form gegeben. Eine übergelegte Wasserglasbinde sorgt 
für Dauerhaftigkeit. Hierauf wird ein gut passender Schnürstiefel angefertigt, in welchem der 


VIIT. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 57 


Patient — bereits in der zweiten bis vierten Woche nach Beginn der Behandlung — mit 
seinem normal gestellten Fuss schmerzlos und ohne irgendwelche Stütze auf der Strasse umher- 
geht. Fig. 48 zeigt den auch in Fig. 47 abgebildeten 6 jährigen Knaben vor der Behandlung 
und nach Anlegung von Redressionsverbänden. 

Die geschilderten Verbände bleiben bei älteren Individuen drei Monate, unter Umständen 
noch länger, liegen; bei kleinen Kindern empfiehlt es sich, dieselben nach sechs Wochen zu 
wechseln, da das Wachstum der Teile ein längeres Liegenlassen verbietet. Aufs genaueste ist 
darauf zu achten, dass kein Decubitus entsteht. Die am meisten in dieser Hinsicht gefährdeten 
Stellen an der Aussenseite des Fusses vor dem Malleolus externus, sowie an der Innenseite der 
grossen Zehe kann man ev. durch in den Verband eingeschnittene Fenster freilegen. 

Erweist sich nach der Abnahme der Verbände das Resultat als ein noch nicht voll- 
kommenes, so ist mit neuen Verbänden so lange fortzufahren, bis das gewünschte Ziel erreicht 
ist. So vermeidet man die sogenannten Klumpfussrecidive, die nichts anderes bedeuten, als ein 
Fortbestehen und infolgedessen eine wieder zunehmende Verschlimmerung der Deformität. 
Ein einmal vollkommen redressierter Klumpfuss bedarf dann auch keines weiteren Apparates, 
wie solche in zahlreichen Modifikationen von den verschiedensten Seiten empfohlen, aber meist 
vollkommen zwecklos und überflüssig sind. Zur Nachbehandlung empfiehlt sich entweder 
ein von Lauenstein vorgeschlagenes Verfahren, bei dem des Nachts die Fusssohle an einem 
in der Längsachse des Fusses stehenden Stab befestigt wird, dessen hinteres Ende sich auf das 
Lager der Kranken stützt, während das Bein durch die Wirkung der eigenen Schwere nach 
aussen rotiert wird. In ähnlicher Weise 
wirken von Heusner angegebene Spiral- 
schienen aus Stahldraht. Auf die beiden 
. Enden einer geraden Serpentinschiene 
werden die Schuhe des Kindes in aus- 
wärtsrotierter Stellung aufgenäht, oder 
die Schiene wird in entsprechende Öff- 
nungen des Absatzes eingeschoben. Beim 
Zubettgehen zieht man die Schuhe an, 
indem man die Schiene der Haltung der 
Füsse entsprechend umbiegt; nach dem 
Loslassen schnellt die Feder in ihre ur- 





sprüngliche Lage zurück und dreht die Fig. 49. 

Füsse nach auswärts, Die Patienten 1!/,jähriger Knabe mit rechtsseitigem Klumpfuss vor 
können sich dabei ziemlich frei im Bett und nach der Behandlung. Zwischen beiden Aufnahmen 
bewegen, da die Feder nach allen Rich- hogt ein Zeitraum von -£ Monsten; 


tungen nachgiebt, um aber schliesslich 

immer wieder in die Ausgangsstellung zurückzustreben. Zur Korrektion der Supinationsstellung 
biegt Heusner die beiden Enden der Feder stumpfwinklig empor, so dass die Beinöffnungen 
der Feder einander entgegengerichtet werden. 

Gelegentlich. kann man nach dem Vorgange von Bardenheuer und Lange durch 
operative Verkürzung der ungenügend gespannten Peronei das Dauerresultat sichern. Lange 
macht mit Recht darauf aufmerksam, dass diese Muskeln sich von selbst relativ schnell ver- 
kürzen, wenn, wie beim Klumpfuss des Erwachsenen, dem Redressement sich bedeutende 
Widerstände entgegengesetzt haben, und wenn dabei ausgedehnte Blutungen eingetreten 
sind. Hier ist meist nach der Verbandabnahme jede Nachbehandlung unnötig, da die Mus- 
kulatur an der Aussenseite des Fusses genügend gespannt ist. Anders beim kindlichen 
angeborenen Klumpfuss, bei dem das Redressement verhältnismässig leicht möglich, oft 
aber die Nachbehandlung gerade wegen der Verlängerung und ungenügenden Spannung der 


Peronei beschwerlich ist. 
Joachimsthal, Untere Extremitäten. 8 


58 VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 


Wie bereits erwähnt, gelingt es mit Hilfe der portativen Verbände, selbst hochgradige 
Klumpfüsse in verhältnissmässig kurzer Zeit zur Heilung zu bringen. Als Beispiel möge aus 
meiner Beobachtung nur das auf Fig. 49 abgebildete Kind dienen. Es gelang mir hier, wie 
in zahlreichen anderen Fällen, nach vorausgeschickter Tenotomie der Achillessehne, durch zwei 
Verbände bei einem 
1'/, jährigen Knaben 
im Verlaufe von vier 
Monaten das später an- 
dauernde Resultat zu 
erzielen, wie es Fig. 49 
wiedergiebt. 

Tafel VII, Fig. 
5a u.5b zeigen weiter- 
hin Skiagramme des 
von der lateralen Seite 
aufgenommenen hoch- 
gradigen Kumpfusses 
eines 8jährigen Knaben 
vor der Behandlung und 
fünf Monate nach Be- 
ginn derselben. An dem 
Fig. 50. ersten Bilde lässt kein 
einziger Fussknochen 
diejenige Gestalt er- 
kennen, die er unter 
normalen Verhältnissen 
besitzt. Im Gegensatz 
dazu zeigt das zweite 
Bild, dass Talus, Cal- 
caneus, Cuboideum, Na- 
viculare, die Cuneiformia 
und Metatarsalia ihre 
normalen oder fast nor- 
malen Konturen wieder- 
gewonnen haben. Nur 
die Hacke zeigt gewisse 
Abweichungen von der 
Norm, auf die ich noch 
weiter unten zurückzu- 
kommen Gelegenheit 


Unterschenkel und Füsse eines 22 jährigen vor 13 Jahren wegen EE ; 
rechtsseitigem Klumpfuss erfolgreich behandelten Patienten. Fig. 51 zeigt im Auch die 
Gegensatz zu Fig. 50 die Bewegungsbeschränkung im rechten Fussgelenk, schwersten Klumpfüsse 
die Kürze der Hacke sowie die typische „Klumpfusswade*. Erwachsener wider- 


stehen dem geschilder- 

ten Vorgehen nicht mehr, ein Umstand, der die Klumpfussoperationen mehr und mehr zurück- 
zudrängen vermocht hat. 

Zunächst im Jahre 1897 bei der Nachuntersuchung einer Reihe von Klumpfusskranken, 

die vor langen Jahren von J. Wolff mit portativen Etappenverbänden zur Heilung gebracht 

waren, späterhin auch an zahlreichen Kranken meiner eigenen Klientel, gelang es mir, eine 








Fig. 51. 


VIII. Die angeborenen Verlagerungen des Fusses etc. 59 


fast ausnahmslos auch nach der scheinbar vollkommensten Wiederherstellung zuriickbleibende 
Veränderung festzustellen, deren Deutung wesentlich durch Anwendung des Röntgenverfahrens 
erleichtert wird. Es ergab sich bei einem grossen Teil der Patienten trotz guter Form und 
Funktion des Fusses eine stets wiederkehrende, eigenartige Atrophie der Wade, durchaus 
verschieden von dem gewöhnlichen Verhalten derselben bei mangelhafter Funktion der unteren 
Extremitäten. Während nämlich bei einer gewöhnlichen Atrophie die Wade allmählich unter 
gleichmässigem Schwund des Muskels abnimmt, drängt sich bei den in Rede stehenden 
Patienten die Muskelmasse auf das oberste Drittel resp. Viertel des Unter- 
schenkels zusammen und bildet hier eine starke Vorwölbung, während der ganze 
untere Teil aus sehniger Substanz besteht und bei oberflächlicher Betrachtung 
den Eindruck einer extremen Atrophie des Muskels gewährt. 

Bei den von einem angeborenen Klumpfuss geheilten Kranken konkurrieren zwei Um- 
stände, um diese Verkürzung des Wadenmuskels herbeizuführen. Einmal resultiert stets, selbst 
nach der bestgelungensten Behandlung, eine Beweglich- 
keitsbeschränkung im Fussgelenk; weiterhin besteht, 
wie dies die Röntgenbilder aufs evidenteste zeigen 
(Tafel IX, Fig. 3 zeigt den mittelst des Röntgenver- 
fahrens aufgenommenen rechten Fuss eines 40 jährigen 
in der Kindheit erfolgreich wegen Klumpfuss behandelten 
Patienten), wohl als Teilerscheinung der den Klumpfuss 
ausmachenden Verbildung der Fussknochen, eine mehr 
oder minder ausgesprochene Kürze und Atrophie 
des hinteren Calcaneusfortsatzes, häufig ver- 
bunden mit einer plantarwärts gerichteten 
Abknickung desselben, wodurch eine Verminderung 
der Länge des Hebelarms für die Achillessehne und so 
eine weitere Einschränkung der Exkursion ihres Ansatz- 
punktes beim Übergang aus der Beugung des Fuss- 
gelenks in die Streckung gesetzt wird. 

Diese Verhältnisse werden ohne weiteres ver- 
ständlich bei der Betrachtung der Unterschenkel und 
Füsse eines 22jährigen, vor 13 Jahren wegen eines 
rechtsseitigen Klumpfusses mit redressierenden Ver- 
bänden behandelten Patienten, der, seinem Beruf nach 
Ingenieur, seit dieser Zeit zu jeglicher Leistung befähigt 
und sogar ein vortrefflicher Tänzer und Bergsteiger 





Fig. 52. 


Angeborener rechtsseitiger Plattfuss 
bei einem 14 Tage alten Mädchen. 


Bemerkenswert ist die Konvexität des 


geworden ist. Fig. 50 und 51 sind in der Weise her- inneren, die Konkavität des äusseren 
gestellt, dass je zwei das Extrem der Dorsal- und Fussrandes sowie die Verkürzung der 
Plantar-flexion zeigende Negative auf dassselbe Papier grossen Zehe. 


kopiert sind. Aus der Einschränkung der Fussgelenks- 
bewegung und der auch an den Röntgenbildern der Füsse des Patienten (Taf. IX, Fig. 4) 
erkennbaren Verkürzung der Hacke lässt sich die abnorme, den vorliegenden mechanischen 
Verhältnissen angepasste Form des Wadenmuskels mit derselben Sicherheit schon am Lebenden 
erklären, wie dies an der Leiche Wilhelm Roux und Riviére an dem Pronator quadratus 
bei Verminderung der Pro- und Supination im Ellbogengelenk gelungen ist. 

Diese meine Befunde an Klumpfusskranken sind in neuester Zeit von einer Reihe von 
Autoren, Vulpius, Hoffa u. A. an eigenen Patienten bestätigt worden. 


Von anderweitigen angeborenen Stellungsanomalien kommen nur der congenitale Pes 
valgus und calcaneus in Betracht. Beide sind häufig miteinander an demselben Fuss kom- 
8* 


60 IX. Die Sirenenbildungen. 


biniert. Beim angeborenen Plattfuss zeigt, wie dies der auf Fig. 52 abgebildete rechte Fuss 
einer 14 Tage alten Patientin meiner Beobachtung erkennen låsst, die Fusssohle wie der 
innere Fussrand eine ausgesprochene Konvexität. Der Rücken des Fusses ist konkav zusammen- 
gebogen. Der Fuss steht stark proniert, etwas abduziert und gewöhnlich höchstgradig dorsal- 
flektiert (Pes vulgo — calcaneus). Ätiologisch hat man dieselben Momente wie beim angeborenen 
Klumpfuss herangezogen. Bemerkenswert ist eine gelegentlich (wie in dem auf Fig. 52 ab- 
gebildeten Falle) beim angeborenen Plattfuss zu beobachtende abnorme Kürze der grossen 
Zehe und ihres Metatarsale. Dieselbe pflegt nach dem Redressement, das in analoger Weise 
wie beim Klumpfuss, nur in entgegengesetztem Sinne bewirkt und durch Gipsverbände fest- 
gehalten wird, zu schwinden, wie die gelegentlich beim Pes varus bestehende scheinbare Ver- 
längerung der grossen Zehe. 

Hall fand in einem Falle bei der Präparation eine knöcherne Verwachsung des Cal- 
caneus mit dem Os naviculare. Ähnliche am Skiagramm erhobene Befunde liegen zur Zeit 
nicht vor. 

Die anatomischen Veränderungen beim Pes calcaneus congenitus sind in letzter Zeit 
besonders eingehend von Messner studiert worden. Auf eine Behandlung kann meist ver- 
zichtet werden, da die Schwere des Vorderfusses in der Regel von selbst die Korrektur besorgt. 


IX. Die Sirenenbildung. 


Zum Schluss mag noch an zwei Skiagrammen, die von Föten der hiesigen Universitäts- 
frauenklinik gewonnen sind, die als Sirenenbildung bekannte Anomalie erläutert werden, bei der 
wir eine Verschmelzung und Verdrehung des Beckens und der unteren Extremitäten, vielfach 
auch eine Verkürzung der verwachsenen Gliedmassen finden. 

Der erste Fötus, 45 cm lang, zeigt ausser einer linksseitigen Totalskoliose im Bereiche 
der oberen Rumpfhälfte, keine Abnormitäten. Äussere Glenitalien sowie der Anus fehlten. 
Beide untere Gliedmassen sind mit einander in ganzer Ausdehnung verwachsen. Der auf diese 
Weise gebildete Körperteil ist auf der vorderen Fläche abgeplattet, auf der hinteren konvex 
gewölbt. Beide Füsse sind ausgebildet und mit je fünf Zehen ausgestattet, dagegen gleich- 
falls, und zwar an der Aussenseite und in der Gegend der Ferse, miteinander verschmolzen 
und so verdreht, dass die Plantarfläche nach vorn, die medialen Ränder nach aussen gerichtet 
sind. Die Verdrehung der miteinander verschmolzenen Gliedmassen findet auch darin ihren 
Ausdruck, dass der gemeinsame Unterschenkel bei der Beugung mit dem Oberschenkel nicht 
wie ın der Norm einen nach hinten, sondern einen nach vorn offenen Winkel bildet. 

Das Röntgenbild (Tafel IX, Fig. 5) enthüllt am Skelett die folgenden Verhältnisse: 

Es besteht ein sehr grosser Knochenkern in jeder Darmbeinschaufel, welcher eine 
Drehung medianwärts zeigt, wodurch der grosse obere konvexe Rand die vordere und zum Teil 
die untere Begrenzung mitbildet. Durch diese Drehung ist auch der Knochenkern des Sitz- 
beins stark medianwärts verschoben, so dass sich die Kerne beider Seiten mit ihren leicht kon- 
kaven Rändern fast berühren. Die Knochenkerne der Schambeinäste treffen mit ihren medialen 
Abschnitten zusammen. Sie sind in der Entwickelung weit vorgeschritten, stark caudalwärts 
verschoben, und liegen auf diese Weise fast in gleicher Höhe mit dem oberen Rande der 
Femurdiaphysen. Für die Massae laterales des Kreuzbeins sind bereits zwei Knochenkerne vor- 
handen. Das Os sacrum, in dessen oberen Wirbeln sich für Körper und Bögen Ossifikations-- 
punkte gebildet haben, ist durch die Drehung der Darmbeinschaufeln nach oben und scheinbar 
auch nach hinten verschoben. 

Beide Oberschenkeldiaphysen erweisen sich medialwärts stark geschweift, die unteren 
Epiphysen besitzen stecknadelkopfgrosse Knochenkerne. An den Unterschenkeln liegen die 
Fibulae an der medialen Seite, die Tibiae lateralwárts. Die Füsse zeigen auf beiden Seiten 
Verknócherungen im Calcaneus, Talus, den Mittelfussknochen und Phalangen. 


IX. Die Sirenenbildungen. 61 


Bei dem zweiten 50 gm langen Fåtus verschmålert sich der Rumpf nach unten zu in 
eine einzige, ohne Fuss endigende, nach vorn konkav gestaltete Extremitåt. Die Genitalien und 
eine Analöffnung werden auch hier vermisst. 

Das Skiagramm zeigt (Taf. IX, Fig. 6) zunächst an der oberen rechten Extremität 
einen totalen Defekt des Radius, des ersten Metacarpale und des Daumens. Der 7. Wirbel zeigt 
eine Halsrippe, der 20. Wirbel gleichfalls ein verknöchertes, rechts stärkeres Rippenrudiment. 
Während bis zum 22. Wirbel die Knochenkerne der Wirbelkörper und -bögen stark kontou- 
riert und isoliert zu erkennen sind, ist der Knochenkern des 28. Körpers schräg gestellt und 
scheinbar auf der rechten Seite an seiner cranialen Fläche mit der caudalen Fläche des 22. 
verwachsen. Weiterhin bestehen, und zwar in grösserer Ausdehnung, Verwachsungen zwischen 
24. und 25. Wirbel und zwischen den einzelnen folgenden Kreuzbeinwirbeln. 

Die Darmbeinschaufeln, welche eine Drehung caudalwärts zeigen, sind in der Mitte 
miteinander verwachsen. Auf dem Röntgenbilde hebt sich scharf von dem caudalen Teil des 
verwachsenen Darmbeines seine nach unten mit einem konkaven Bogen endigende Masse ab. 
Darunter findet sich ein runder, nicht sehr scharf kontourierter Knochenkern, offenbar der Ossi- 
fikationskern der vereinigten Sitzbeine. Die horizontalen Schambeinäste bilden, in der Mittel- 
linie gleichfalls verwachsen, um diesen Kern einen Halbkreis. 

An das in dieser Weise verbildete Becken schliesst sich nach unten eine einheitliche, 
7!/, cm lange Femurdiaphyse, proximalwärts schmal, nach unten sich um reichlich das Doppelte 
verbreiternd. Es folgt der durch Verschmelzung zweier getrennter Kerne entstandene untere 
Epiphysenkern. Der in dem distalen Teil des Stumpfes befindliche, der gemeinsamen Tibia- 
diaphyse entsprechende, konisch zulaufende Knochen ist nur 3 cm lang und endet mit schmaler, 
gerader Linie. | 


Ohne bei der Mannigfaltigkeit der bisher beobachteten Formen auf Einzelheiten des 
Skelettsystems der Sirenenbildungen einzugehen, erwähne ich nur, dass man auch für diese 
Verbildung die Enge des Amnion, vorziglich der Schwanzscheide desselben, verantwortlich 
gemacht hat. 

So hält es u. A. Gebhard für am wahrscheinlichsten, dass zunächst schon vor Auf- 
treten der Extremitätenanlagen infolge der Enge des Amnion ein frühzeitiger Verschluss der 
unteren Teile der Visceralplatten zustande kommt, und dass dann die schon in ihrer ersten 
Entwickelung zusammengepressten und verschmolzenen Keime der unteren Extremitäten hervor- 
sprossen. Es ist diese Annahme eines voraufgehenden Verschlusses der Visceralplatten deswegen 
wahrscheinlich, weil die Verwachsungen der beiden schon getrennt entwickelten Extremitäten 
durch das zwischen ihnen liegende Schwanzende des Amnion verhindert werden müsste, ebenso 
wie der Schultergürtel analog die Verschmelzung der oberen Extremitäten verhindert. Eben- 
falls auf die Kompression von seiten des Amnion dürften auch die Anomalien des Beckens 
zurückzuführen sein, namentlich die Verschiebung der einzelnen Teile nach der Mittellinie und 
ihre mehr oder minder ausgeprägte Verschmelzung. 

Infolge der frühzeitigen Verschmelzung ist auch die normaler Weise (s. Einleitung) 
beim Fötus eintretende Wachstumsdrehung ausgeblieben, und so sind regelmässig die zu einer 
einzigen Masse verschmolzenen unteren Extremitäten nicht an denjenigen Stellen, die bei einem 
normalen Menschen einander zugekehrt sind, verwachsen, sondern haben scheinbar eine Drehung 
von medianwärts nach vorn und lateralwärts vollführt, die distalwárts am deutlichsten hervortritt. 


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1895 No. 48 8. 477. 126. O. Vulpius: Über die Behandlung des Klumpfusses Erwachsener. Münch. 
med. Wochenschr. 1901. No. 1. 127. Alb. Hoffa: Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie 4. Aufl. 1902. 
128. Messner: Über Knochenveränderungen beim Pes calcaneus congenitus. Arch. f. klin. Chir. Bd. 42 
S. 518. 129. Carl Gebhard: Sirenenbildung. Inaug. Diss. Berlin 1887. 


Erklårung der Tafeln. 


Tafel I. 


Fig. 1. Amniotische Abschnürung im Bereiche des rechten Unterschenkels bei einem 7—8 
Monate alten Fötus. 

Fig. 2. Amniotische Abschnürungen im Bereiche des rechten Unterschenkels und Defekt des 
rechten Radius bei einem 5 Monate alten Fötus. 

Fig. 3. Amniotische Abschnürung im Bereiche des linken Fusses mit gleichzeitiger tiefer 
Schnürfurchenbildung an dem entsprechenden sehr verkürzten Unterschenkel bei einer 17 jährigen Patientin. 

Fig. 4. Circuläre Schnürfurche an der Grenze des mittleren und unteren linken Unterschenkel- 
drittels bei einer 8 jährigen mit einem Klumpfuss derselben Seite behaftet gewesenen Patientin. 

Fig. 5. Spontanamputationen im Bereiche der Zehen am linken Fuss eines 12 jährigen Patienten. 

Fig. 6. Defekt der Kopfepiphyse des rechten Femur, kombiniert mit linksseitiger Coxa vara 
(7 jähriges Mädchen). 


Tafel II. 


Fig. 1. Angeborener Defekt des oberen Endes des linken Oberschenkels bei einem 4 Wochen 
alten Knaben. 

Fig. 2. Skiagramm desselben Patienten im Alter von 2!/, Jahren. 

Fig. 3. Links partieller, rechts vollkommer Defekt des Oberschenkels, Defekt beider Waden- 
beine, vollständiger Mangel beider Arme an einem 40 cm langen männlichen Fötus,. 

Fig. 4. Rechtsseitiger Tibiadefekt bei einem 10 Monate alten Knaben. 

Fig. 5. Linksseitiger totaler Tibiadefekt mit Polydaktylie bei einem 6 Wochen alten Knaben. 


Tafel III. 


Fig. 1. Coxa vara congenita an einem in toto verkürzten und in seinen Dickendimensionen 
verjüngten rechten Oberschenkel eines 8 Jahre alten Mädchens. 

Fig. 2. Totaler rechtsseitiger Tibiadefekt bei einem 4 jährigen Knaben. 

Fig. 3. Totaler rechtsseitiger Fibuladefekt bei einem 14 Monate alten Mädchen. 

Fig. 4. Totaler rechtsseitiger Fibuladefekt mit starker Abknickung der Tibia bei einem 
3 Monate alten Kinde. 

Fig. 5. Defekt des oberen Drittels der rechten Fibula bei einem 5 jährigen Knaben. 


Tafel IV. 


Fig. 1. „Robbenähnlichkeit* bei einem 66 jährigen Patienten. 

Fig. 2. Mangel der Kniescheibe bei einem 35 jährigen Manne. 

Fig. 3. Normales Kniegelenk eines Erwachsenen (seitliche Aufnahme in Streckstellung). 
Fig. 4 u. 5. Angeborene Verdoppelung beider Kniescheiben bei einer 33 jährigen Patientin. 


Tafel V. 


Fig. 1. Spitzwinklig gebeugtes Kniegelenk eines normalen 2 jährigen Mädchens. 

Fig. 2. Spitzwinklig gebeugtes Kniegelenk eines 5 jährigen Mädchens mit angeborener spas- 
tischer Gliederstarre (Hochstand der Kniescheibe). 

Fig. 3, Kniegelenk eines 11jáhrigen Knaben mit angeborener spastischer Gliederstarre in ge- 
streckter Stellung (Hochstand und Formveränderung der Kniescheibe). 

Fig. 4. Kniegelenk eines normalen 11jährigen Knaben in Streckstellung. 

Fig. 5. Kniegelenk eines normalen 11jáhrigen Knaben in rechtwinkliger Beugestellung. 

Joschimsthal, Untere Extremitäten. 


66 


Erklårung der Tafeln. 


Fig. 6. Kniegelenk eines 11 jährigen Knaben mit angeborener spastischer Gliederstarre in recht. 


winkliger Stellung (Hochstand der Kniescheibe). 


Fig. 7. Fuss eines Neugeborenen mit sieben Zehen. | 
Fig. 8. Polydaktylie an beiden Füssen eines 13jährigen Knaben. Rechts teilt sich der 5. 


Mittelfussknochen am distalen Ende in zwei Teile, links bestehen 6 ausgebildete Metatarsalia. Daneben 
findet sich ein weiterer überzähliger Knochen zwischen Metatarsale I u. II. 


in der 6. 


Fig. 9. Polydaktylie an beiden Füssen eines 36 jährigen Patienten. 
Fig. 10. Rechter Fuss eines 50 jährigen Patienten mit Polydaktylie. Bildung von 3 Gliedern 


Zehe. 
Tafel VI. | 
Fig. 1. Polydaktylie an beiden Füssen eines 48jährigen Patienten. Anlagen zu je 7 Zehen. 
Fig. 2. Füsse eines Fötus mit Polydaktylie. 
Fig. 3. Defekt der Mittelphalanx der 2. rechten Zehe bei einer 16 jährigen Patientin. 
Fig. 4 Defektbildung am rechten Fuss einem 47 jährigen Patienten. 
Fig. 5. Defektbildung am rechten Fuss der 13 jährigen Tochter. 
Fig. 6. Defektbildung am rechten Fuss des 10 jährigen Sohnes. 
Fig. 7 u. 8. Linksseitiger Spaltfuss bei einer 20jährigen Patientin. Aufnahme von unten und 


von der Seite. 


Tafel VII. 


Fig. 1. Partieller Riesenwuchs am rechten Fuss eines 15 jährigen Mädchens. 

Fig. 2a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einem 6 jährigen Mädchen. 
Fig. 2b. Aufnahme derselben Patientin 3 Jahre nach der unblutigen Einrenkung. 
Fig. 3a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 7 jährigen Patientin, 
Fig. 3b. Aufnahme derselben Patientin 2 Jahre nach der unblutigen Einrenkung. 
Fig. 4a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 2 jährigen Patientin. 
Fig. 4b. Aufnahme derselben Patientin 7 Monate nach der unblutigen Einrenkung. 
Fig. 5a. Rechtsseitiger angeborener Klumpfuss bei einem 8 jährigen Knaben. 

Fig. 5b. Aufnahme desselben Fusses 3 Monate nach dem Redressenat. 


Tafel VIII. 


Fig. la. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 3 jährigen Patientin. 

Fig. 1b. Aufnahme derselben Patientin 2 Jahre nach der unblutigen Einrenkung. 

Fig. 2a. Doppelseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 2 jährigen Patientin. 

Fig. 2b. Aufnahme derselben Patientin 2 Jahre später, nach der unblutigen Einrenkung beider 


Hüftgelenke. 


Fig 3a. Linksseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 2 jährigen Patientin. 
Fig, 3b. Aufnahme derselben Patientin, ein Jahr später, nach gelungener Einrenkung. 
Fig. 4a. Rechtsseitige angeborene Hüftverrenkung bei einer 4 jährigen Patientin. An dem linken 


Hüftgelenk bestehen gleichfalls congenitale Veränderungen. 


Fig. 4b. Aufnahme derselben Patientin 7 Monate nach der unblutigen Einrenkung der rechten Seite. 
Fig. 5. Genu recurvatum congenitum bei einem 2 Monate alten Mädchen. 


Tafel IX. 


Fig. 1. Angeborener Klumpfuss bei einem 6jáhrigen Patienten. 
Fig. 2. Angeborener Klumpfuss bei einem 14 jährigen Patienten. 
Fig. 3. Redressierter Klumpfuss bei einem 40 jährigen Kranken. 
Fig. 4a. u. b. Beide Füsse eines 2 jährigen Patienten mit vor 13 Jahren redressiertem rechts- 


seitigem Klumpfuss. 


Fig. 5. Sirenenbildung. Sympus dipus. 
Fig. 6. Sirenenbildung. Sympus apus. 


Druck von Hesse & Becker in Leipzig. 


JvachitSthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten Tafel I 





Neue Photogr. Gesellsch. A-G. Berlin-Steglitz. Verlag von Lucas Gräfe & Sillem in Hamburg 


Joachimsthal. die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel D 





Neue Photogr, Gesellseh. A-G. Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Grafe & Sillem in Hamburg. 


Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel M 





\eue Photoger. Gesellsch. \-6.Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Gräfe & Sillem in Hamburg. 


wachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel IV 





\ene Photogr. Gesellsch. \-G. Berlin-Steglitz. Verlag von Lucas Gräfe & Sillem in Hamburg. 


Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel V 





Neue Photogr. Gesellseh, A-G. Berlin-Steglitz, Verlag von Lucas Gråfe & Sillem in Hamburg. 


Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitäten. Tafel VI 





Nene Photogr, Gesellseh, A-G. Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Gràfe & Sillem in Hamburg 


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Talel VII 





Neue Photogr. Gesellsch. A-G. Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Gràfe & Sillem in Hamburg, 


Joachimsthal, die angeborenen Verbildungen der unteren Extremitiiten. Tafel K 





Nene Photogr, Gesellseh, A-G. Berlin-Steglitz Verlag von Lucas Grafe & Sillem in Hamburg 











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