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FORTSCHRITTE DER
NEUROLOGIE
PSYCHIATRIE
UND IHRER GRENZGEBIETE
ÜBERSICHTEN UND FORSCHUNGSERGEBNISSE
UNTER MITARBEIT VON ZAHLREICHEN FACHGBLEHRTEN
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. A. BOSTROEM UND PROF. J. LANGE
V. JAHRGANG
GEORG THIEME/VERLAG/LEIPZIG
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Inhaltsverzeichnis
Birnbaum. Karl, Prof. Dr., Charakterologie . . . u
Braun. Ernst, Priv.-Doz. Dr., Manisch-depressives Irresein we.
Demme, Hans, Priv.-Doz. Dr., Meningitis.
Engel, Sam, Dr., Uber entzündliche und degenerative Erkrankungen des Seh-
nerven EE EE E E
Ewald, Gottfried, Prof. Dr., Schizophrenie a er eege ai 321,
Fleck, Ulrich, Prof. Dr., Erkrankungen der peripheren Nerven e: "8
Gamper, Eduard, Prof. Dr., Die intrakraniellen Neubildungen
Guttmann, Erich, Priv.-Doz. Dr., Nichtsystematische Schädigungen des Rücken-
marks, seiner Wurzeln und Hüllen
Hoffmann, Hermann F., Prof. Dr., Neurosen und psychopathische Persönlich-
keiten
Jahnel, Franz, Prof. Dr., Neuere Untersuchungen über die Pathologie und
Therapie der syphilogenen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmark
(Lues cerebrospinalis, Lues cerebri, Lues spinalis, Tabe) . .
Jahrreiss, Walther, Priv.-Doz. Dr., Die . und früh SC
Schwachsinnszustände . . .
Kant, Fritz, Priv.-Doz. Dr., Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus
und der gewerblichen Vergiftungen
Kornmüller, Alois E., Dr, Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde
Kronfeld, Arthur, Prof. Dr., Fortschritte der Psychotherapie
Lange, Max, Priv.-Doz. Dr., Orthopädie und Neurologie
Luxenburger, Hans, Priv. - Dos. Dr., Erblichkeit, Keimschädigung, Konsti-
tution 1931
Lazenburger, Hans, Priv. Dos. Dr., Angewandte Erblichkeitslehre, Bozialbio-
logie und Rasse 1931/33. e e o o o o
Meggendorfer, Friedrich, Prof. Dr., Forensische Psychiatrie DEE
Panse, Friedrich, Dr., Gewerbliche Vergiftungen . . í
Perwitzsehky, Reinhard, Prof. Dr., Grenzgebiete der Otologie und Neurologie
Schneider, Kurt, Prof. Dr., Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932
Sehottky, Johannes, Dr., Innere Krankheiten und Psychiatrie
Sehults, J. H., Prof. Dr., Zur Frage des Asthma bronchiale
Seelert, Hans, Prof. Dr., Symptomatische Psychosen . . »
Steiner, Gabriel, Prof. Dr., Multiple Sklerose
Stern. Erich, Prof. Dr., Allgemeine Psychologie
Stern, Felix, Prof. Dr., Begutachtung organischer N ervenkrankheiten
Thiele, Rudolf, Prof. Dr., Aphasie, Apraxie, Agnosie
Waehholder, Kurt, Prof. Dr., Die allgemeinen physiologischen Grundlagen der
Neurologie. IV. Teil: Allgemeine Physiologie des nenn 43,
Wath, Otto, Prof. Dr., Chemie der Pey chosen e
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Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931
von Hans Luxenburger in München.
Vorbemerkung: Der diesjährige Bericht unterscheidet sich von den vorher-
gehenden in einigen wesentlichen Punkten.
Einmal mußte ich, da die Entwicklung der Zeitechrift nach Raumersparnis
drängt, in noch höherem Maße als bisher auf Vollständigkeit verzichten. Es war
ganz unmöglich, auf dem mir für den diesjährigen Bericht zur Verfügung stehenden
Raum alles zu bringen, was auf unserem großen Gebiete der Erwähnung würdig
ist. Die notwendige Folge war, daß ich unter den in Frage kommenden Arbeiten
eine strengere Auswahl treffen mußte. Ich bemühte mich, in erster Linie diejenigen
Veröffentlichungen zu berücksichtigen, die an dem allgemeinen Fortschritt auf
unserem Gebiete den größten Anteil besitzen. Werden manche Arbeiten vermißt,
so läßt dieser Umstand keinen Rückschluß auf eine negative Kritik zu; sie schienen
mir nur weniger innerhalb der großen Entwicklungslinie zu liegen als andere.
Vor allem mußte ich das Kapitel XVI, die Grenzgebiete und Uberschneidungen
mit anderen medizinischen Disziplinen, vernachlässigen, um Raum für das engere
Fachgebiet zu gewinnen. Auch den Abschnitt über die Methodik der Forschung
mußte ich notgedrungen einschränken. Die übrigen Kapitel wurden, soweit sie über-
haupt beibehalten werden konnten, in möglichst gleichem Umfang beschnitten.
Grundsätzlich habe ich die ausländische Literatur diesmal weniger stark herangezogen
als bisher.
Um den unvermeidlichen Verzicht auf annähernde Vollständigkeit durch eine
etwas breitere Darstellung des Wesentlichsten einigermaßen ausgleichen zu können,
habe ich mich im Einvernehmen mit der Schriftleitung, die meinen Wünschen in groß-
zügiger Weise entgegenkam, entschlossen, die Abschnitte VII (Rasse), IX (Kriminal-
biologie) und XVII (Angewandte Erblichkeitslehre, insbesondere Eugenik) ganz
herauszunehmen und sie alle 2 Jahre in einem eigenen Bericht zu behandeln. Die
bisherige Bezifferung der Kapitel wird in Zukunft der besseren Vergleichbarkeit mit
den früheren Berichten wegen beibehalten werden. Die erste Darstellung der Sonder-
gebiete, die in Zukunft wegfallen, erfolgt unter dem Titel „Angewandte Erblichkeits-
lehre, Sozialbiologie und Rasse“ voraussichtlich im Jahrgang 1933 und wird die
Jahre 1931 und 1932 umfassen.
Ich hoffe, auf diese Weise die Forderung nach Raumersparnis mit den wissen-
schaftlichen Notwendigkeiten und den Bedürfnissen der Leser am besten in Einklang
bringen zu können.
I.
Die Untersuchungen von Brenk (l) und von Schwalber (5) über die
Bedeutung der Inzucht wurden, da sie eine spezialistische Ergänzung der Ar-
beit Dahlbergs darstellen, bereits im letzten Bericht besprochen. In einer
auch methodologisch interessanten Arbeit weist Curtius (2) darauf hin, daß
das einförmige Bild, welches die meisten in der Literatur mitgeteilten Stamm-
bäume bieten, auf unvollständige und einseitig orientierte Erhebung der Fa-
miliengeschichte zurückzuführen ist. Seiner Ansicht nach ist z. B. Polyphänie
weit häufiger, als man gemeinhin annimmt; ihre Erkennung wird mit in erster
Linie durch die unrichtige Art der Familienforschung unmöglich gemacht.
Rudimentärformen müssen der Beobachtung entgehen, wenn man nur nach dem
Neurologie V, 1 1
2 Hans Luxenburger
ausgebildeten Merkmal fahndet. Eine größere Intensivierung der Forschungs-
weise tut not. Besonders wertvoll ist folgendes rein quantitative Experiment
des Verf.: Er hat die Familien von 35 Hirnsklerotikern untersucht und zwar ein-
mal durch einfache, klinische Familienanamnese“ (Berücksichtigung der familien-
anamnestischen Daten in den Krankenblättern), dann durch „Stammbaum-
aufnahme“ (eingehende Exploration des Probanden über seine Familie) und
schließlich durch „Familienforschung“ (Eigen untersuchung der Familienmit-
glieder, Einholung von Krankengeschichten und anderen Akten, Arzt- und
Schulberichten). Es ergab sich, daß von insgesamt 515 ‚„neurologisch Auf-
fälligen“ nur 2,5% durch die „klinische Familienanamnese erfaßt werden
konnten, während die „Stammbaumaufnahme‘‘ weitere 14,5%, und die „Fa-
milienforschung gar noch 83% neue Fälle lieferte. Nun wird es ja wohl keinen
wissenschaftlich arbeitenden Erbforscher geben, der sich mit der „klinischen
Familienanamnese“ im Sinne von Curtius zufrieden gibt, und die alleinige
Befragung des Probanden verbietet sich in der Psychiatrie von selbst. Immerhin
ist es sehr dankenswert, daß Curtius für die neurologische Erbforschung einmal
klar und greifbar herausgestellt hat, daß auch die eingehende Befragung be-
sonnener Probanden nur ein sehr lückenhaftes Bild der Familie liefert. Auch
hier wird lediglich die in der Psychiatrie ja obligatorische intensive Familien-
forschung zum Ziele führen können. Lang (3) dehnte seine Untersuchungen
über den Geburtsmonat, die er 1929 an Kropfkranken vorgenommen hatte,
auf die psychisch Abnormen aus. Er fand an einem Gesamtmaterial von 17391
geistig Abnormen und 17379 geistig Gesunden, die er zu den Gesamtgeburten
in Bayern in Beziehung setzte, daß die Verteilung der geistig Abnormen ins-
gesamt nach Geburtsmonaten fast vollkommen parallel mit der Geburten-
kurve der entsprechenden Durchschnittsbevölkerung geht. Teilt man jedoch
nach Diagnosen auf, so machen sich bemerkenswerte Unterschiede geltend.
Besonders die Psychopathen weichen stark von der Gesamtbevölkerung ab.
Da diese besondere Verteilung auch ihre Geschwister betrifft, ist der Schluß
berechtigt, daß für diese Familien eine spezifische, periodenhaft auftretende
Brunstzeit angenommen werden muß. Sie würde etwa in den August fallen.
Eine spezifische, in bestimmten Schwangerschaftsmonaten mehr oder weniger
stark wirkende Noxe erscheint angesichts der gleichen Verhältnisse in den
Geschwisterschaften nicht als wahrscheinlich.
Ein besonderes Interesse darf seit kurzem wieder das Problem der Stel-
lung in der Geburtenreihe für sich in Anspruch nehmen. Die betreffenden
Untersuchungen stellen einen gut gangbaren Weg dar, eventuell in Verbindung
mit der Prüfung des Alters der Eltern zur Zeit der Zeugung, die Erblichkeit
einer angeborenen Anomalie von der exogenen intrauterinen Entstehung zu
trennen. Sind die Abnormen in den Geschwisterschaften auf die einzelnen
Geburtennummern ungleichmäßig verteilt, so ist Erblichkeit höchst unwahr-
scheinlich und das Fahnden nach intrauterinen Schädigungen berechtigt.
Häufen sich die Abnormen bei den ersten und letzten Geburtennummern, so wird
man vor allem an einen Einfluß des Alters der Eltern zu denken haben. Brug-
ger (80) und Schulz (88) gingen, worauf wir später zurückkommen werden,
diesem Problem in ihren Untersuchungen über Schwachsinn und Mongolismus
nach, Thurstone und Jenkins (6) haben ihm ein sehr lesenswertes Buch
gewidmet. Nach ihren Feststellungen scheint mit einer etwas größeren Anfällig-
— —
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 3
keit der Erstgeborenen gegen Schädlichkeiten im allgemeinen zu rechnen zu sein;
die 3. und 4. Kinder dürften die beste Prognose besitzen. Besonders häufig
werden bei den Erstgeborenen Tuberkulose, angeborene Pylorusstenose und
Kriminalität beobachtet. Bei den Erbkrankheiten täuschen die hier besonders
zahlreichen kleinen Geschwisterschaften ein stärkeres Befallensein der Erst-
geborenen vor; rechnet man dagegen statistisch korrekt, so ergibt sich, daß
nicht häufiger Erstgeborene erkranken, als nach der Wahrscheinlichkeit zu er-
warten ist. Mongolismus findet sich, wie auch andere Autoren (Orel, van der
Scheer, Schulz) feststellen konnten, hauptsächlich am Ende der Geschwister-
reihe. Der Intelligenzquotient wächst bis etwa zum 8. Kind. Was das Alter
der Eltern betrifft, so ist zu sagen, daß die Häufigkeit von Wochenbett -
störungen bei Müttern vom 36. Lj. ab zunimmt. Zweieiige Zwillingsgeburten
sind besonders häufig bis zum 40. Lj., später treten sie wieder zurück. Für ein-
eiige konnte eine Beziehung nicht gefunden werden. Totgeburten und früh ver-
storbene Säuglinge stammen mit Vorliebe von sehr jungen und sehr alten Müt-
tern. Die Häufigkeit des Mongolismus wächst mit dem Alter der Mutter ; daß auch
zum Alter des Vaters eine Beziehung besteht, liegt an der Alterskorrelation
zwischen den Eltern. Annähernd gleichaltrige Eltern besitzen im Durchschnitt
intelligentere Kinder als Eltern, bei denen ein großer Altersunterschied besteht.
Sonst konnte eine Beziehung zwischen Alter der Eltern und Intelligenz des Kindes
nicht festgestellt werden. Wenn die Verfasser die Tatsache, daß zwischen dem
Erkrankungsalter von Geschwistern an Schizophrenie eine Korrelation von
-+ 0,371 + 0,0896 besteht, dahin deuten, daß auch die Zeit des Ausbruchs
der Psychose durch erbliche Faktoren bestimmt wird, so setzen sie sich in Wider-
spruch mit den Ergebnissen der Zwillingsforschung, die gezeigt hat, daß auch
erbgleiche Zwillinge sehr häufig zu ganz verschiedenen Zeiten erkranken. Können
in dem Buche von Thurstone und Jenkins auch nur eine kleine Zahl der
angeschnittenen Fragen eine wirklich befriedigende Beantwortung finden, so
stellt doch die, meines Wissens erstmalige, umfassende und statistisch exakte
Bearbeitung des wichtigen Problems einen zweifellosen Fortschritt der mensch-
lichen Erbforschung dar.
Von grundsätzlicher Bedeutung für die menschliche Erblichkeitslehre sind
auch die Ausführungen des Zoologen und Genetikers Plate (4), dessen Schaffen
ja zum großen Teil darauf abgestimmt ist, der in einem modernen Sinne gefaßten
Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften in der Genetik
wieder die ihr gebührende Stellung zu verschaffen. Nach ihm sind viele Tatsachen
der Biologie nur vom Standpunkt des modernen Lamarckismus aus zu verstehen,
der die Möglichkeit des langsamen Erblichwerdens von Somationen im Laufe
vieler Generationen anerkennt. Er weist darauf hin, daß die Einheit des Indi-
viduums einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Keimzellen und Körperzellen
widerlegt und daher eine Einwirkung des peripheren Gens auf das zentrale
möglich erscheinen läßt. Manche Tatsachen der Biologie deuten direkt auf die
Möglichkeit einer richtig verstandenen Vererbung erworbener Eigenschaften hin;
Plate nennt die Koaptationen, die exzessiven aktiven Organe, die langsame
phyletische Rückbildung, die Lage der Sinnesorgane und der Reizwirkungen
gerade an den Körperregionen, die dem Reize besonders ausgesetzt sind, das
fast völlige Fehlen orthogenetischer Mutationen und die vielen Eigenschaften,
die in gleicher Ausbildung erblich und nicht erblich sein können. Die Lamarcki-
1*
4 Hans Luxenburger
stische Hypothese ist wegen ihres hohen Erklärungswertes solange berechtigt,
als sie nicht durch unangreifbare Experimente widerlegt ist. Es würde auch
meines Erachtens einen wirklichen Fortschritt bedeuten, wenn die Genetik sich
die experimentelle Prüfung jener Hypothese etwas mehr angelegen sein ließe,
als dies heute in zweifelloser Unterschätzung des Lamarckismus der Fall ist.
Daß damit nicht der Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften im
Sinne eines längst überholten primitiven Mechanolamarckismus, der Lehre von
der materiell-äußeren Bedingtheit der menschlichen Individualunterschiede, das
Wort geredet werden soll, möchte ich, um Mißdeutungen vorzubeugen, aus-
drücklich feststellen.
II.
Im letzten Bericht glaubten wir, der Hoffnung Ausdruck verleihen zu dürfen,
daß die unerfreuliche Kontroverse zwischen Bernstein und Weinberg über
die apriorische Methode einerseits, die Weinbergschen Korrekturmethoden
anderseits bald zu einer Verständigung zwischen den beiden um die Methodik
der menschlichen Erbforschung gleich hochverdienten Autoren führen würde,
und zwar zur Erkenntnis, daß man beide Berechnungsverfahren mit Gewinn
nebeneinander und zur gegenseitigen Kontrolle anwenden kann, da beide ganz
bestimmte spezifische Vorzüge und Nachteile besitzen. Leider hat das Jahr
1931 diese Hoffnung nicht erfüllt. Die allmähliche Annäherung, die damals
festzustellen war, hat keine Fortschritte gemacht, eher ist eine rückläufige
Tendenz zu bemerken. Dabei dreht sich der Streit, an dem sich mehr und mehr
auch die beiderseitigen Schüler und Anhänger beteiligen, jetzt in der Regel um
an sich wenig bedeutsame Einzelfragen und man tut den Autoren kaum Unrecht,
wenn man feststellt, daß die Polemik in das sehr wenig fruchtbare Stadium
des Aneinandervorbeiredens und grundsätzlichen Rechthabenwollens eingetreten
ist. Deshalb kann auf eine Besprechung der einzelnen Arbeiten (10) an dieser
Stelle verzichtet werden; wir führen lediglich eine Veröffentlichung von Wein-
berg an, da sie besonders geeignet ist, die völlig verfahrene Situation zu kenn-
zeichnen. Der erbbiologisch arbeitende Psychiater und Neurologe wird sich
nach wie vor auf den im letzten Bericht wiedergegebenen Standpunkt von Just
stellen und je nach der Art seines Materials mit der apriorischen Methode oder
der Geschwister- und Probandenmethode oder beiden zusammen arbeiten. Mit
einer erfreulich fruchtbaren Kritik griff Dahlberg (7) in die Debatte ein, indem
er eine Methode angab, die es erlauben soll, den Ausfall der Familien ohne Merk-
malsträger unter Umgehung des apriorischen Verfahrens und der Weinberg-
schen Methoden zu korrigieren. Das Verfahren (‚spätere Geschwistermethode“)
baut auf die Tatsache auf, daß, falls in einer Familie eine gewisse Wahrschein-
lichkeit für die Zeugung von Trägern eines erblichen Merkmals besteht, diese
Wahrscheinlichkeit nicht dadurch eine Änderung erfährt, daß ein Merkmals-
träger wirklich in dieser Geschwisterschaft gezeugt wird. Läßt man daher in
einem Material von Geschwisterschaften die vor dem ersten Merkmalsträger
gezeugten Personen und diesen Merkmalsträger selbst oder, wenn Stichproben-
auslese vorliegt, den Probanden und die ihm vorhergegangenen Geschwister fort
und zählt nur die später geborenen Personen, so muß die relative Häufigkeit
der Merkmalsträger unter diesen Spätlingen direkt die Wahrscheinlichkeit
angeben, die für die gesamte Geschwisterschaft gilt. Die Methode Dahlbergs
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 5
besitzt zweifellos ihre Vorzüge, doch kommt sie, da sie einen gewaltigen Raubbau
am Material treibt, nur für solche Untersuchungen in Frage, die über ein sehr
großes Material verfügen. Es können ja z. B. von einer siebenköpfigen Ge-
schwisterschaft, in welcher der Proband an 5. Stelle steht, nur 2 Personen in
die Untersuchung eingehen.
Methodologisch bedeutsam ist auch die Arbeit von Wibaut (70). Sie gibt
ein Verfahren an, die Variabilität von Zwillingen mit derjenigen einer Population
vergleiohen zu können. Die Methode arbeitet mit der originellen Fiktion eines
eineiigen Tausendlings, die Wibaut für notwendig hält, da man bei der Bestim-
mung der Variationsbreite eines Merkmals in einer Bevölkerung immer die
äußersten Varianten vergleicht, es aber einen seltenen Zufall bedeuten würde,
wenn diese äußersten Varianten in einem Zwillingspaare zusammentreffen.
Jene Fiktion erlaubt es — was bei Zwillingen nicht möglich ist — eine durch-
schnittliche Abweichung vom Mittelwert für den hypothetischen eineiigen
Tausendling zu errechnen, die mit der für die Population gültigen durchschnitt-
lichen Abweichung verglichen werden kann. Einzelheiten über diese Methode,
deren praktische Brauchbarkeit sich vor allem in der morphologischen Zwillings-
forschung noch erweisen muß, sind im Original nachzulesen. Sie ist einfacher,
als es den Anschein hat.
Erwähnt sei noch, daß die Arbeiten von Schulz (88) und Brugger (80)
wertvolle methodologische Hinweise für die Untersuchung der Stellung Abnormer
in der Geburtenreihe liefern. Pearson (8), der für die Sammlung von Material
bedauerlicherweise das gefährliche System der „Fieldworkers“ (Laienhilfen)
empfiehlt, setzt sich mit überzeugenden Worten für die Schaffung eines General-
registers aller geistig Auffälligen ein.
III.
Im Jahre 1930 konnte die Mutationsforsch ung einen bedeutsamen Fort-
schritt erzielen. Es gelang, wie seinerzeit berichtet, Agnes Bluhm, bei einem
hochstehenden Säugetier, der Maus, die Möglichkeit der Erbänderung durch
Alkohol sehr wahrscheinlich zu machen. Nun hatte Just bei Besprechung der
Ergebnisse Bluhms Bedenken geltend gemacht, die in der Hauptsache dahin
gingen, es sei der schlüssige Beweis dafür nicht erbracht, daß es sich bei den Schä-
digungen nicht vielleicht doch nur um Dauermodifikationen (Plasmaschädigung)
handle. Bluhm (11) suchte in einem 1931 erschienenen Aufsatz die Einwände
Justs zu entkräften und hielt die Ansicht aufrecht, daß ihr der Nachweis der
Erbechädigung wirklich mit absoluter Sicherheit geglückt sei. Sie kann aber
auch heute noch die Tatsache, daß die erhöhte Säuglingssterblichkeit, die bei den
Nachkommen der alkoholisierten Mäuse gefunden wurde, von Generation zu
Generation an Intensität abnimmt, nur mit Hilfe einer — allerdings sehr plau-
siblen — Arbeitshypothese erklären, die ein „Etwas“ in Rechnung setzt, das
geeignet ist, die Schädigung bei Paarungen der Alkoholserie unter sich zu kom-
pensieren. Solange aber in der Kette der Beweisführung noch eine Hypothese
enthalten ist, kann das Ergebnis nur einen, wenn auch sehr hohen, Wahrschein-
lichkeitswert besitzen. Die Schlüsse, die Bluhm aus ihren Untersuchungsergeb-
nissen für die menschliche Erbpathologie zieht, sind, auch wenn man den Sprung
vom Säugetier auf den Menschen unbedenklich wagt, daher sicherlich zu weit-
gehend.
6 Hans Luxenburger
Auch die von Timof6eff-Ressovsky (12a) zusammengefaßten Ergeb-
nisse der Strahlengenetik, die sich auf Experimente an Drosophila melanogaster
stützen, sind nur mit Vorsicht auf den Menschen anzuwenden. Zum mindesten
heute noch. Es konnte wohl die Erzeugung von Erbänderungen durch Röntgen-
strahlen zweifelsfrei nachgewiesen werden, doch sollte, bevor man mit absoluter
Sicherheit auf den Menschen schließt, zwischen die Taufliege und den Menschen
unbedingt noch das Säugetier zwischengeschaltet werden, nachdem Unter-
suchungen beim Menschen selbst erst in späteren Generationen möglich sein
werden. Immerhin sind wir berechtigt und verpflichtet, bei Bestrahlungen der
Keimdrüsen und des Beckens solange höchste Vorsicht und Zurückhaltung zu
verlangen, als der Beweis noch aussteht, daß für den Menschen solche Erbschädi-
gungen nicht in Frage kommen. Timof6eff-Ressovsky (12b) konnte durch
neuere Versuche das Problem weiter fördern, indem er nachwies, daß die Mu-
tationen bei Röntgenbestrahlung nur direkt während der Expositionsdauer aus-
gelöst werden, die Herabsetzung des Prozentsatzes der ausgelösten Letalfaktoren
bei der Bestrahlung der unreifen Geschlechtezellen nicht auf einem entsprechen-
den Unterschied in der Mutabilität der reifen und unreifen Spermien, sondern
vorwiegend auf hoher Sterblichkeit der unreifen Geschlechtszellen beruht, in
denen Letalfaktoren entstanden sind, und daß die Entstehung von Mutationen
nicht an ein bestimmtes Stadium der Chromosomenverteilung gebunden sein
kann.
Hinter den Untersuchungen von Bluhm und Timoféeff-Ressovsky
treten die Experimente, die Ueprus (13) an 14 ingezüchteten Kaninchen vor-
nahm, an Bedeutung zurück. Die Tiere wurden 100 Tage lang mit 20—40%
Alkohol behandelt; auf 1 kg Körpergewicht wurden pro dosi 10 com Alkohol
verabreicht. An den Nachkommen dieser vorbehandelten Tiere und einem
entsprechenden Vergleichsmaterial wurde hierauf die krampferzeugende Wir-
kung von Pikrotoxin und Monobromkampher studiert. Das Ergebnis ging
dahin, daß bei den Nachkommen der Kaninchen, die mit Alkohol behandelt
worden waren, leichter Krämpfe auftraten als bei den Nachkommen der nicht
alkoholisierten Tiere. Auch war die Reaktion bei ihnen wesentlich stärker und
ausgiebiger. Wenn Ueprus das Ergebnis seiner Versuche als einen Beweis
dafür ansieht, daß der Alkoholismus der Eltern als Faktor wirkt, der den Or-
ganismus der Nachkommen gegen allerhand krampfauslösende Einflüsse empfind-
licher gestaltet, so ist dagegen wohl nichts zu sagen. Daraus aber Schlüsse auf
die Ätiologie der genuinen Epilepsie beim Menschen zu ziehen, wie er es tut, ist
schon angesichts der ungeheuer hohen Alkoholdosen nicht gerechtfertigt.
IV.
In der Konstitutionsanatomie von Brandt (15) dürfen wir einen
bedeutsamen Fortschritt der Konstitutionsforschung erblicken. Und zwar
einen grundsätzlichen Fortschritt. Es wird in diesem Buche m. W. zum ersten-
mal der Versuch unternommen, einen Grundriß der vergleichenden Entwick-
lungsmechanik zu entwerfen, der geeignet ist, die biologische Grundlage für einen
Ausbau der menschlichen Durchschnittsanatomie im Sinne einer biologischen
Vertiefung und Verlebendigung darzustellen. Auf der Basis der Entwicklungs-
mechanik, welche durch die drei fundamentalen Gestaltungsphänomene des leben-
digen Geschehens (Formbildung, Wachstum, Differenzierung) charakterisiert
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 7
wird, läßt sich eine allgemeine und eine spezielle Konstitutionsanatomie des
Menschen aufbauen, eine Anatomie der Systeme, Apparate und Organe der bis-
herigen Systematik in typologischer Einstellung. Die Bedeutung des Buches
liegt einmal in der Problemstellung und Zielsetzung selbst, zum zweiten in der
sorgfältigen Darstellung des bisher vorliegenden literarischen und originalen
Materials und in seiner Einordnung in den großen Plan. Manches in der geistigen
Struktur der Arbeit mutet allzu konstruiert und geschraubt an, so z. B. das
„typologische Grundprinzip der vergleichenden Entwioklungsmechanik“, das
Brandt folgendermaßen definiert: „Die determinative Äquivalenz realisiert
identische Metamorphosestadien eines Typus“. Hier wird die Zeit zweifelsohne
noch klärend und mildernd wirken müssen. Der Gedanke einer vergleichenden
Entwicklungsmechanik ist besonders vom Standpunkt der Zwillingsforschung
aus gesehen außerordentlich fruchtbar. Haben wir doch in ihr die entwicklungs-
physiologische Richtung in der Erbforschung zu erblicken (v. Verschuer).
Pfaundlers (22) zusammenfassende Darstellung hebt die Allgegenwart von
Konstitutionsfragen bei jeder Erkrankung hervor. Er hält es für unbedingt
notwendig, alle Anomalien nach vorwiegend morphologischen und funktionellen
Gesichtspunkten zu gruppieren. Dabei faßt er bekanntlich den Begriff der Kon-
stitution sehr weit, da er daran festhält, daß gerade der ärztliche Gebrauch eine
streng phänotypische Fassung verlangt.
Kretschmers (18) ‚Körperbau und Charakter“ erschien in 9. und 10. Auf.
lage. Die neuesten Ergebnisse sind in ihr gebührend berücksichtigt und erfahren
eine kritische Darstellung. Man gewinnt durchaus den Eindruck, daß seine
Typologie in ihren Grundsätzen der fast überreichen Nachprüfung gut stand-
halten konnte. Dies gilt vor allem für die Konzeption des Pyknikers und seiner
Psychologie. Ungefähr gleichzeitig mit der Neuauflage kam eine Arbeit von
Petersen (21) heraus, deren Ergebnisse mit den Lehren Kretsohmers gut
übereinstimmen. Es konnte nachgewiesen werden, daB Mischpsychosen in der
Regel Legierungen des Körperbautypus entsprechen. Sowohl in der Familie
als auch in der präpsychotischen Persönlichkeit der Kranken wurden zyklothyme
und schizothyme Züge gefunden. Die Prognose einer Schizophrenie oder eines
manisch-depressiven Irreseins ist weitgehend abhängig vom Körperbau und der
Grundstruktur der psychischen Persönlichkeit. Hertz (17) untersuchte die
Kretschmerschen Typen auf pharmakodynamischem Wege, indem er an
Schizophrenen, Manisch-Depressiven und Psychopathen die Reaktionsweise des
vegetativen Systems der Typen auf Adrenalin, Atropin und Pilokarpin prüfte.
In bezug auf Schnelligkeit und Dauer der Wirkung zeigten sich fließende Über-
gänge vom Pykniker über den Muskulären zum Leptosomen. Letzterer reagierte
am stärksten. Das Resultat war im ganzen nicht eindeutig, da viele Ausnahmen
beobachtet wurden. Es handelte sich lediglich um statistische Häufigkeits-
beziehungen zwischen Reaktionsweise und Körperbautypus. Auf einer anderen
typologischen Grundlage bauen die Forschungen von Stefko und Kolod-
naja (29) auf. Es werden „vollwertige“ Typen — thorakaler, muskulärer und
asthenoider Typ — und „ minderwertige“ — hypoplastischer, infantiler und
asthenischer Typ — unterschieden. Die Untersuchung erstreckte sich auf
Gedächtnis, Aufmerksamkeit, intellektuelle und motorische Funktionen. Die
Thorakalen zeigten die höchste Harmonie und Gleichmäßigkeit, die Asthenoiden
die niedrigste. In der infantilen Gruppe sind fast alle Funktionen herabgesetzt;
8 Hans Luxenburger
die geringste Abweichung von der Norm weisen die Hypoplasten auf. Die Unter-
suchungen von Poppinga (24) bedeuten einen beachtenswerten Fortschritt in
den Auseinandersetzungen in Sachen der Eidetik und Typenlehre. Sie
zeigen mit aller Deutlichkeit, daß die Typisierungsmöglichkeit mittels der Form-
Farbteste ihre Grenzen hat. Die verschiedensten Typen — J,-Typus und
solche, die in allen Graden nach innen und außen integriert sind — besitzen eine
ähnliche Affinität zu Form und Farbe. Es ist nur eine Typenerfassung im groben
möglich, wenn nicht andere Tests ergänzend und differenzierend hinzutreten.
Es sei hier auf die Arbeit von Ritter, über die im vorigen Jahre berichtet wurde,
zurückverwiesen. Plattner (23) hat die Körperbauforschung um ein wert-
volles Verfahren bereichert. Er stellte in sehr sorgfältigen Untersuchungen
fest, daß dem Einfluß der Körpergröße auf die anthropometrischen Indizes
mehr Beachtung als bisher geschenkt werden muß. Indexwerte dürfen nicht
einfach miteinander verglichen werden, man hat vielmehr auch die absolute
Körpergröße der miteinander in Vergleich gesetzten Gruppen zu berücksich-
tigen und, wenn nötig, eine Korrektur der Indizes nach der Körperlänge durch-
zuführen.
Mestitz (19) gebührt das Verdienst, die gesamte Literatur über die Frage
der spezifischen Wirkung der Keimdrüseninkrete und des Antagonismus
zwischen der Wirkung des männlichen und weiblichen Sexualhormons kritisch
gesichtet und verarbeitet zu haben. Er findet, daß keine stichhaltigen Einwände
gegen die Lehre Halbans vom unspezifisch-protektiven Einfluß der Keimdrüsen
auf die Geschlechtscharaktere vorgebracht werden konnten. Man wird sich
daher auf den Standpunkt stellen müssen, daß man nicht berechtigt ist, eine
geschlechtsspezifische Wirkung der Keimdrüsenhormone anzunehmen. Rosen-
stern (25) weist in seiner Darstellung der körperlichen Entwicklung in der
Pubertät darauf hin, daß der Keimdrüsenfunktion eine dominierende Rolle
für Wachstum und Differenzierung in der Pubertät zukommt. Die Keim-
drüsen besitzen entscheidenden Einfluß auf die puberale Ausbildung der sekun-
dären Geschlechtsmerkmale und auf die biologischen Umstellungen im Bereiche
des Geschlechtsapparates. Voraussetzung für ihre Wirkung ist wahrscheinlich
eine vollwertige Schilddrüse und der funktionierende Hypophysenvorderlappen.
Auch die Untersuchungen von Berkow (14), die sich die anthropometrische
Differenzierung bestimmter weiblicher Unfruchtbarkeitstypen zum Ziel gesezt
haben, sind geeignet, ein wichtiges Problem der sexualkonstitutionellen For-
schung zu fördern. Er konnte 4 Typen herausarbeiten. Der erste zeigt durch-
schnittliche Proportionen, der zweite ist durch geringe Rumpfentwicklung bei
wohl ausgebildeten Extremitäten gekennzeichnet, der dritte durch kurze Glied-
maßen und kräftig entwickelten Rumpf, während der vierte Typ ein aus-
gesprochen fettleibiger ist (Gürtelcharakter). Wenn es auch nicht gelang, eine
spezifische Drüsendysfunktion für die einzelnen Gruppen nachzuweisen, vari-
ieren doch Menstruation, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Beckenbefunde und
physiologische Untersuchungsergebnisse innerhalb der Gruppen so viel weniger
als im ganzen, daß die Trennung der Typen biologisch gerechtfertigt erscheint.
Nach Braun (16) wird die Charakterentwicklung nicht so sehr durch
Erlebnisse und psychologische Vorgänge bestimmt als durch biologische und
konstitutionelle Faktoren. Er sieht den Kern des Problems der Nervosität in
der konstitutionellen Schwäche der vegetativen Funktionen und in den daraus
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 9
entstehenden Harmoniestörungen und Dysfunktionen. Aus den Untersuchungen
von Sägi (26) über Eidetik, Oligophrenie und Konstitution ist als
neu und wichtig hervorzuheben, daß sich ein eidetischer Zustand am häufigsten
bei vermutlich endogen Schwachsinnigen findet; die familiären Spasmophilen
seines Materials waren fast ausnahmslos Eidetiker. Vielleicht kann die Prüfung
auf eidetische Veranlagung mit dazu beitragen, die erblichen von den nicht erb-
lichen Fällen zu trennen. Für die psychiatrische Erblichkeitsforschung wäre
dadurch viel gewonnen. Bei den nach optischen Sinnesreizen eidetisch reagie-
renden Leichtoligophrenen waren neben ihrer Eidetik entweder erbkonstitutio-
nelle Irritabilität oder paratypisch erworbene zentrale Reizerscheinungen oder
beides zusammen nachweisbar. Außerdem wird noch darauf hingewiesen, daß
die Eidetiker in absoluter und relativer Mehrzahl sich unter den positiv und
negativ extremen Varianten finden, aber nicht extreme Varianten sind, weil sie
Eidetiker sind, sondern umgekehrt. Die Arbeit Ságis entstammt einer Sammlung
von Veröffentlichungen aus dem Institut von Szondi (30), der sich in den
letzten Jahren besonders um die Konstitutionsanalyse des Kindesalters ver-
dient gemacht hat und hier seine eigenen originellen Wege geht. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß seine Lehre vom biologischen Wert und den extremen
Varianten in der Konstitutionsforschung der Zukunft eine bedeutsame Rolle
spielen wird. Seine Gesamtanschauung über die biologische Stellung des
Schwachsinns, den er nicht nur als intellektuelle Schwäche, sondern als Ver-
kümmerung der Gesamtpersönlichkeit faßt, geht aus folgendem Satz hervor:
Die Biologie der Schwachsinnigen ist — genau so wie die Biologie der Genialen —
die Biologie der (positiven und negativen) Varianten.
Neureiter (20) hält die Scapula scaphoidea nicht für ein Degenerations-
zeichen. Dadurch daß der M. rhomboideus maior am kaudalen Ende des
Schulterblatts ansetzt, kommt ein funktionell besonders vorteilhafter Zustand,
nämlich eine größere Exkursionsbreite des Schultergelenks zustande. Es handelt
sich also eher um eine positive Variante. Dem Problem der erblichen Stellung
der Linkshändigkeit, das seit kurzem auch in der amerikanischen Literatur
sehr lebhaft diskutiert wird, geht Schott (27) an Hand der Literatur und eigener
Untersuchungen nach. Er weist der Vererbung eine bedeutende Rolle zu, doch
kann er sich noch nicht zur Annahme eines einheitlichen Vererbungstypus ent-
schließen. Das männliche Geschlecht scheint besonders häufig befallen zu sein.
Sitsen (28) macht darauf aufmerksam, daß die Gewichte, die wir von den
normalen Organen kennen, fast durchweg an Personen bestimmt wurden, die
an irgendeiner Krankheit starben. Er hat daher die Protokolle einer kriegs-
pathologischen Sammlung verarbeitet, um brauchbare Standardwerte zu er-
halten. Für das männliche Gehirn liegt das Gewicht zwischen 1200 g und 1550 g
mit einem Mittelwert von 1410 g. Als seltene extreme Werte wurden 1051 g
und 1701 g gefunden.
V.
Was die Blutgruppenforschung anlangt, so haben mehrere wichtige
Arbeiten schon im letzten Bericht ihre Besprechung gefunden, da sie sich sachlich
eng an eine Veröffentlichung von Bernstein anschlossen. Hierher gehören
noch die beiden Arbeiten Wellischs (38, 39), auf die hier nur kurz hingewiesen
werden kann. Wellisch kommt auf Grund eingehender mathematischer Berech-
10 Hans Luxenburger
nungen zu dem Schluß, daß die Allelentheorie völlig einwandfrei zu beweisen
ist. Seine fehlerrechnerischen Untersuchungen sprechen durchaus für die Richtig-
keit der Bernsteinschen Theorie. Auch die Zwillingsstudien von Schiff und
v. Verschuer (34) liefern eine Stütze für die Annahme eines Paares allelomorpher
Erbfaktoren. Darüber hinaus konnten sie u. a. feststellen, daß mit Umwelt-
einflüssen, welche die Veränderung einer Blutgruppe zur Folge haben können,
nicht zu rechnen ist. Klär (32) wie übrigens auch Somogyi und Angyal (35)
beobachteten bei ihren Untersuchungen über das Verhalten der Blutgruppen
bei Impfmalaria und Rekurrens keine Blutgruppenveränderungen. Praktisch
wichtig ist der Hinweis darauf, daß bei gleicher Blutgruppe von Malariaspender
und -empfänger die Inkubationszeit am kürzesten und bei ungleichen unverträg-
lichen länger als bei verträglichen war. Das Fieber war am niedrigsten bei un-
günstiger Konstellation. Hier befindet sie sich im Gegensatz zu Somogyi und
Angyal. Thomsen (37), der wie die oben genannten Autoren sich für die
Annahme von der Existenz einer allelomorphen Gengruppe ausspricht, weist
darauf hin, daß Furuhatas Hypothese, die mit drei absolut gekoppelten Gen-
paaren arbeitet, nichts wesentlich anderes ist als die Theorie Bernsteins. Auch
Stiegler (36) bekennt sich zur Allelenhypothese. Diese kann nach dem
heutigen Stande der Forschung, den gerade das Berichtsjahr ent-
scheidend mitbestimmt, wohl tatsächlich als gesichert gelten.
Hierin ist zweifellos ein bedeutender Fortschritt für die Konstitutionsforschung
zu erblicken. Die Arbeit von Meyer (33) ist deshalb bemerkenswert, weil sie
einen neuen Beitrag zur Topographie der Blutgruppen liefert. Für 378 Männer
der Anstalt Lüben (Niederschlesien) findet er folgende Verteilung: 0 39.3%,
A 39,9%, B 15,8%, AB 5,0%. Die schon erwähnten Untersuchungen von
Somogyi und Angyal stellten fest, daß die Verteilung unter Geisteskranken
mit derjenigen in der entsprechenden Gesamtbevölkerung übereinstimmt. Die
Schizophrenen nehmen dabei keine Ausnahmestellung ein. Zwischen psycho-
pathischer Belastung und Vererbung der Blutgruppen besteht kein Zusammen-
hang. Calisov und Pogibko (31) konnten keine hochgradige Korrelation
zwischen Konstitutionstypus und Blutgruppe finden.
VI.
Die Abhandlung von Jaensch (44) möchte ich vor allem deshalb erwähnen,
weil hier die Bedeutung der Ka pillar forsch ung für die Therapie in durchaus
kritischer Haltung erörtert wird. Als besonders gesichert erscheint Jaensch
u. a., daß aus der Häufung nicht ausgereifter Kapillarformen in Kropfgegenden
auf zerebral bedingte Störungen der innersekretorischen Drüsen geschlossen
werden kann. Die Darreichung von Jodlipoiden und Drüsenpräparaten ist in
solchen Fällen von Erfolg. Die Arbeit von Jamin (45) wurde bereits im letzten
Bericht genannt. Interessant ist die Feststellung von Stefko und Glago-
lewa (48), daß die Kapillarentwicklung bei Mongolen anders als bei europäischen
Rassen verläuft und zwar endet sie häufig in bedeutend früheren als den termi-
nalen Phasen. Auch bei den Mongolen entsprechen übrigens die Archistrukturen
und Hemmungen den Eigentümlichkeiten in der Struktur der Schilddrüse.
Was spezielle Problemstellungen anlangt, so fand Bock (40), daß bei
innersekretorischen Störungen atypische Kapillarbilder etwas häufiger und
Veränderungen etwas stärker sind als es der Norm entspricht. Pathologische
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 11
Kapillarbildung ist ganz allgemein ein Ausdruck einer Störung im vegetativen
Nervensystem. Daran liegt es auch wohl, daB im Falle der endokrinen Stö-
rungen eine Differenzierung nach einzelnen Drüsen nicht möglich ist. Auch
lassen sich bei Hypo- und Hyperfunktion z. B. der Schilddrüse keine wesentlichen
Unterschiede nachweisen. Höpfner (43) hält an seiner bekannten optimistischen
Auffassung fest. Die Beziehung des Kretinismus zu schwerer Archihemmung
ist nach ihm so gut wie absolut. Ähnlich scheinen ihm die Dinge bei gestörter
sprachlicher, intellektueller und motorischer Entwicklung zu liegen. Zentrogene
und hormonale Wirkungen nehmen auf Wachstumszentrum und Kapillarent-
wicklung Einfluß.
Dagegen kommt Gerendasi (42) zu sehr vorsichtigen Schlußfolgerungen.
Bei 72 Schwachsinnigen konnte er nur in 12 Fällen archikapilläre Bildungen
nachweisen, während Vollsinnige relativ häufig Archiformen zeigten. Kapillar-
hemmung oder ausgesprochene Archikapillaren sind nach ihm nicht beweisend
für Minderwertigkeit. Popek (46) möchte den schwersten Formen des neuro-
tischen Typus diagnostischen Wert zuerkennen. Hypoplastische und Meso-
formen sieht er überhaupt nicht als selbständige Typen an; nur die archaischen
und neurotischen sind neben den normalen als solche zu bezeichnen. Mit größter
Vorsicht und strengster Kritik geht Schnidtmann (47) bei seinen Unter-
suchungen zu Werke. Er findet bei Schwachsinnigen im allgemeinen Architypen
und Vasoneurose häufiger als es dem Durchschnitt entspricht; besonders gilt
dies für den myxödematösen und kretinistischen Schwachsinn. Intermediär-
formen faßt er nicht als abnorm auf. Er fixiert seinen Standpunkt dahin, daß
atypische Kapillarformen Teilerscheinung einer allgemeinen Minderwertigkeit
sind und nicht anders beurteilt werden dürfen als andere Degenerationszeichen.
Die Beschaffenheit der Haut spielt eine große Rolle und ist bei der Deutung
der Befunde stets zu berücksichtigen. Auf diese und andere Fehlerquellen hat
auch Gerendasi hingewiesen, der besonderes Augenmerk auf die Diät, vaso-
motorisch wirkende Medikamente, Beschäftigung und Nägelkauen gerichtet
wissen will. Fattovich (41) hält dafür, daß keine Beziehungen zwischen
Schwachsinn und Kapillarhemmungsformen bestehen. Auch bei Hirngrippe,
Asthenie, Epilepsie fand er keine charakteristischen Bilder. Nach ihm bestehen
lediglich bei gleichzeitigen auf innersekretorischen Störungen beruhenden kör-
perlichen Anomalien Veränderungen im perikapillären Gewebe und im sub-
kapillären Plexus. — Im ganzen kann man wohl feststellen, daß auch das Jahr
1931 auf dem sehr problematischen Gebiete der Kapillarmikroskopie noch keine
Klärung gebracht hat.
VIII.
Dagegen wurde die sehr wichtige Frage der Psychopathologie der Durch-
schnitts bevölkerung erheblich gefördert. In erster Linie ist hier die Arbeit
von Brugger (49) zu nennen. Während die amtlichen Gebrechlichenzählungen
in der Regel unvollständig sein müssen, da sie nur solche Abnormen erfassen,
die irgendeiner Form der Fürsorge unterstehen, die bisher psychiatrischerseits
vorgenommenen Untersuchungen einer Durchschnittsbe völkerung aber auf eine
dünne Stichprobenauslese aufbauen, die allerdings möglichst repräsentativ ge-
staltet wurde, unternahm Brugger den Versuch, in den 2 Amtsgerichtsbezirken
des thüringischen Landkreises Stadtroda eine annähernd lückenlose direkte
12 Hans Luxenburger
Zählung aller Auffälligen durchzuführen; sie verteilen sich auf eine Wohn-
bevölkerung von 37561 Köpfen. Die Untersuchung wurde an die Finanzamts-
zählung vom 10. 10. 1929 angeschlossen, welches Datum als Stichtag auch für
die psychiatrischen Erhebungen diente. Die Auffälligen wurden festgestellt
durch Meldungen der Anstalten und Versorgungsbehörden, der Ärzte, Geist-
lichen, Lehrer und Bürgermeister, durch Befragen der ältesten Dorfeinwohner,
durch zahlreiche Stichproben in gesunden Familien, durch verschiedene erb-
biologische Untersuchungen und durch Feststellung aller in den letzten Jahren
in den zuständigen Heilanstalten aufgenommenen Kreisangehörigen. Die
geistig Auffälligen wurden bis auf wenige Ausnahmen persönlich untersucht; es
handelt sich um 494 Personen. Aus dem reichen medizinisch-soziologischen
Ergebnis der Zählung seien hier die wichtigsten psychiatrischen Befunde hervor-
gehoben. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit an Schizophrenie betrug für die
erfaßte Bevölkerung 0,38%, für Manisch-depressives Irresein 0,11%, für Epi-
lepsie 0,08%, für Paralyse 0,05%. Außerdem fanden sich 0,04%, arteriosklero-
tische Psychosen, 0,02%, senile Demenzen, 0,11%, schwere Hysterien, 0,04%,
Fälle von ausgeprägtem Alkoholismus, 0,06%, anstaltsbedürftige Psychopathen
und 0,59% Schwachsinnige. Daß die Ziffern nicht unbedeutend hinter denen
der bisher erfaßten Durchschnittsbevölkerungen zurückblieben, liegt einmal an
dem andersartigen Altersaufbau der Bevölkerung, dann an regionären Verschieden-
heiten und schließlich nicht zuletzt daran, daß bei einer Zählung der Wohn-
bevölkerung infolge des vermehrten Wegzuges der Auffälligen und wegen der
besonders guten psychischen Beschaffenheit der zugewanderten Erwerbstätigen
die Häufigkeitswerte für psychiatrische Anomalien als Mindestziffern angesehen
werden müssen. Leider existiert für Thüringen noch keine auf dem Wege der
Stichprobenauslese aufgestellte Durchschnittsbevölkerung, so daß ein Vergleich
der Zählungsbefunde mit denen einer solchen Durchschnittsbevölkerung nicht
möglich ist. Es darf auch nicht vergessen werden, daß Brugger vielleicht doch
einige leichtere Fälle entgangen sind, da er die 37000 Personen natürlich nicht
alle selbst untersuchen konnte. Die Gebrechlichenzählung, die Brugger und
Lang augenblicklich in kleineren Bezirken Bayerns durchführen, wird diesen
Fehler vermeiden, da hier jeder Bewohner des Zählbezirks persönlich untersucht
und nach dem Untersuchungsergebnis rubriziert werden kann.
Eine neue Durchschnittsbevölkerung für München hat nach der Methode
der Stichprobenauslese Schulz (51) aufgestellt. Er ging dabei von 100 Pa-
tienten der inneren Abteilungen eines Krankenhauses aus und stellte die Häufig-
keit der Psychosen unter den Geschwistern und Eltern dieser Kranken fest.
Es ergab sich, daß auch für diese auf ganz anderem Wege erfaßte Population
fast genau die Häufigkeitsziffern der früheren Münchner Durchschnittsbevölke-
rungen (Familien von Paralytiker- und Arteriosklerotiker-Ehegatten) zu er-
rechnen waren. Der Standardwert jener Ziffern wächst also durch die neue
Arbeit von Schulz ganz bedeutend. Wichtig ist die Arbeit auch deswegen,
weil sie zeigt, daß auch der verhältnismäßig einfache Weg über die körperlich
kranken Insassen von Spitälern zu einer psychiatrisch repräsentativen Duroh-
schnittsbevölkerung führen kann, was ich seinerzeit, als ich die erste derartige
Belastungsstatistik aufstellte, glaubte bezweifeln zu müssen. Man wird nun daran
gehen können, in möglichst vielen Städten und Ländern solche Untersuchungen
der Familien von Krankenhauspatienten durchzuführen; vor allem wäre dies
= — —
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 13
für Jena wünschenswert, damit ein Material geschaffen wird, mit dem die Zäh-
lung Bruggers verglichen werden kann. Die Untersuchungen sind mit einem
Minimalaufwand von Zeit und Kosten durchzuführen.
Dahlberg und Stenberg (50) gehen ihren eigenen Weg, um zu einem
Urteil über die demographische Häufigkeit geistiger Erkrankungen zu gelangen.
Auf die Methode selbst gehe ich hier nicht ein, da sie mir keine Vorzüge vor dem
bei uns üblichen Verfahren zu besitzen scheint. Sie bedeutet m. E. keinen
Fortschritt. Wichtig ist dagegen die Feststellung, daß auch in Schweden die
Ziffern der amtlichen Statistik weit hinter denen solcher „freier“ Zählungen
zurückbleiben. Die offizielle Statistik verzeichnet für das Jahr 1928 nur rund
25000 Geisteskranke, während nach Dahlberg und Stenberg im gleichen Jahre
in Schweden 35000 bis 50000 Personen lebten, die geisteskrank waren oder
einmal eine Geisteskrankheit durchgemacht hatten. Es muß immer wieder
darauf hingewiesen werden, daß die amtlichen Statistiken ein un zuverlässiges,
weil zu günstiges Bild liefern.
X.
v. Verschuers (69) ausgezeichnetes Referat über die Ergebnisse der Zwil-
lingsforschung gibt eine nahezu lückenlose Übersicht über den Stand unseres
Wissens zu Beginn des Berichtsjahres. Besonderes Gewicht ist dabei auf die
Morphologie gelegt; die Aufschlüsse, welche uns die Zwillingsforschung über die
Variabilität der Körpermaße und Proportionen geliefert hat, werden in aller
Ausführlichkeit dargestellt. Daneben kommt aber auch die Pathologie und ins-
besondere die Psycho- und Neuropathologie zu ihrem Recht. Unter v. Ver-
schuers Leitung setzte Lassen (58) die Untersuchungen von Curtius über
Nachgeburtsbefunde bei Zwillingen fort. Es wird über 35 gleichgeschlechtliche
Paare berichtet. Bei allen 9 monochorischen Paaren stimmen Eihautbefund
und Ähnlichkeitsdiagnose überein, von den dichorischen Paaren können nur
5 als erbgleich bezeichnet werden. Monochorisch-erbgleiche und dichorisch-
erbgleiche Paare sind in gleicher Weise als echte eineiige Zwillinge anzusehen.
Wenn weitere Untersuchungen den Befund bestätigen sollten, daß rund 1⁄4 der
erbgleichen Paare 2 Chorien besitzen, so kommt dem Eihautbefund kaum mehr
eine Bedeutung für die Bestimmung der Eiigkeit zu. Insbesondere muß aber
noch die Frage geklärt werden, inwieweit man umgekehrt bei erbverschiedenen
Zwillingen Monochorie findet; hier ist das Material noch sehr dürftig. Ist dies
auch in einem erheblichen Prozentsatz der Fall, so kann die Eihautdiagnose
als praktisch abgetan angesehen werden. Auf jeden Fall haben die Unter-
suchungen von Curtius und Lassen gezeigt, daß heute schon die Ähnlichkeits-
diagnose der Eihautdiagnose an Zuverlässigkeit weit überlegen ist. Daß jene
aber nur nach den bewährten Kriterien und nicht etwa nach dem allgemeinen
Eindruck der körperlichen Ähnlichkeit gestellt werden darf, lehrt der von
Borchardt (52) mitgeteilte Fall, der zeigt, wie sehr die Ähnlichkeit erbgleicher
Zwillinge schon im jugendlichen Alter durch exogene Erkrankungen beein-
trächtigt werden kann. Eine oberflächliche Untersuchung würde bei dem
14 jähr. Zwillingspaar Borchardts leicht zur Diagnose der Zweieiigkeit führen.
Die methodologisch wichtige Arbeit von Wibaut (70) wurde bereits im Ab-
schnitt II erwähnt.
14 Hans Luxenburger
Unter den Veröffentlichungen, die sich mit zwillingepsychologischen
Problemen beschäftigen, steht an erster Stelle die umfangreiche Arbeit von
Lottig (62); sie greift auch auf das Gebiet der Morphologie und Physiologie
über. Sein Material umfaßt 10 eineiige und 10 zweieiige gleichgeschlechtliche
Zwillingspaare, vornehmlich weiblichen Geschlechts. Sie stehen im 2., 3. und
4. Lebensjahrzehnt. Die morphologischen Befunde bringen nichts Neues.
Kardiovaskuläre und sonstige vegetative Stigmata sind bei Eineiigen vor-
wiegend konkordant, bei Zweieiigen meist diskordant. Die größte Modifikations-
breite zeigen jene Stigmata, die schon in den Bereich der psychopathischen Re-
aktionen gehören, und zwar gilt dies besonders für Aufgeregtheit und Zuckungen
während der Untersuchung, Facies neuropathica, Enuresis, Nachtangst und
psychogenes Stottern. Was das Charakterologische anlangt, das uns hier in
erster Linie interessiert, so scheint der Stoff des Charakters in weitem Aus-
maße erblich bedingt zu sein. Seine Modifizierbarkeit ist, wenn man von gewissen
Einzelzügen, die in das Gebiet der Intelligenz übergreifen, absieht, sehr gering.
Stärker von Außeneinflüssen abhängig ist die Artung des Charakters, und
zwar gilt dies vor allem für die Interessen und Neigungen sowie für die quali-
tative und quantitative Gestaltung des Selbstgefühls. Sehr weitgehend modifi-
zierbar, also den vorbeugenden, erzieherischen und — bei Psychopathen —
heilenden Maßnahmen zugänglich ist das Charaktergefüge, das sich in der
Harmonie, Widerstandskraft, in der Energie und Entschlossenheit, in der
Frische und im Äußerungsvermögen manifestiert. Mit dem zwillingspsycho-
logischen Studium der Qualität von Ganzauffassungen und Kombinations-
auffassung beschäftigt sich die Arbeit von Köhn (56). Während bei den
Ganzauffassungen die Bedeutung der Umwelt relativ groß ist, tritt sie in bezug
auf die Kombinationsauffassung weit zurück. Löwenstein (60) konnte aus
seinen methodologisch höchst interessanten Versuchen noch keine endgültigen
Ergebnisse über die Bedeutung der Erblichkeit für die Kombinationsfähigkeit,
Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und praktische Intelligenz ableiten. Nichtsdesto-
weniger bedeutet die vorbildliche Exaktheit der Versuchsanordnung einen
wesentlichen Fortschritt. In der Untersuchung von Lassen (57) über die Ver-
erbung sozialer und sittlicher Charakteranlagen wurden Eineiige und Zweieiige
jugendlichen Alters darauf geprüft, wie ihr Verhalten sich selbst, der Familie, der
Schulgemeinschaft gegenüber sich gestaltete. Außerdem wurde die Behandlung
von Tieren, Pflanzen und unbelebten Dingen in die Untersuchung einbezogen
und die Stellung der Kinder zur Arbeit, zu religiösen, künstlerischen und intel-
lektuellen Werten studiert. Es zeigte sich, daß die Charakterzüge, durch welche
die Art dieser Stellungnahme bestimmt wird, im wesentlichen erblich bedingt
sind. Erwähnung verdient auch noch eine Arbeit von Newell (64), die sich
mit starken charakterologischen Diskordanzen der beiden überlebenden Partner
aus einer eineiigen Drillingsgeburt befaßt. Diese Diskordanzen betreffen Per-
sönlichkeitszüge wie Mangel an Selbstbewußtsein, Tendenz zur Eigenbrötelei,
Menschenscheu, Minderwertigkeits- und Eifersuchtsideen und ausgesprochene
mißtrauische Grundeinstellung. Sie werden darauf zurückgeführt, daß der
Partner, welcher diese Eigenschaften aufwies, in der frühen Kindheit eine Hirn-
erkrankung durchgemacht hatte, die zu einer Entwicklungshemmung im Ge-
biete der linken Rindenhemisphäre führte. Ob es sich dabei um Enzephalitis,
Polioenzephalitis oder um eine zerebrale Form der Poliomyelitis handelt, bleibt
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 15
offen. Der Fall ist sehr interessant als Pendant zu der Beobachtung von
Borchardt, von der wir oben sprachen. Es handelt sich hier ebenfalls um
l4jähr. Zwillinge.
Die Vererbung der Intelligenz behandeln die Zwillingsstudien von Frisch-
eisen-Köhler (54). Sie legen an einem großen Material von über 200 Zwil-
lingspaaren und 3 Drillingen überzeugend dar, daß nicht nur der quantitative
Grad der Intelligenz, sondern auch qualitative Besonderheiten, Teileigen-
schaften und Teilfunktionen eine erbliche Grundlage besitzen.
Kockel (55) findet bei seinen Untersuchungen über die Handschrift
einiger weniger Zwillinge so starke Diskordanzen bei Eineiigen, daß er zum
Schluß kommt, der Charakter sei nicht in erheblichem Maße erblich, wenn nicht
angenommen werden soll, daß die Handschrift in sehr viel weniger hohem Grade
vom Charakter bestimmt wird, als die Graphologie behauptet. Ich erwähne
die an sich recht belanglose Arbeit deshalb, um zu weiteren Handschriftenstudien
bei Zwillingen anzuregen. Wir werden später sehen, daß Rolle bei konstitutions-
analytischen Untersuchungen die Betrachtung der Handschrift mit Gewinn
heranziehen konnte.
Auf dem Gebiete der Zwillingspathologie, soweit sie uns angeht,
brachte das Berichtsjahr wenig Erwähnenswertes. Einen Gedanken, der zum
mindesten originell, m. E. aber von grundsätzlicher Bedeutung ist, äußert
Novak (65) in einer gynäkologischen Arbeit. Man beobachtet hie und da —
1 Fall wird mitgeteilt —, daß bei verschiedengeschlechtlichen Zwillingen der
männliche Teil kräftig, gesund und geschlechtlich voll leistungsfähig ist, während
der weibliche an Hypogenitalismus leidet und für das Fortpflanzungsgeschäft
nicht in Frage kommt. Die Tierpathologie kennt diese Fälle sehr genau. Sie
werden besonders bei Rindern beobachtet, der minderwertige weibliche Teil
führt hier den Namen Vacheboef oder Zwicke. Die Ursache vermutet man in
plazentaren Gefäßanastomosen, wie sie nicht zu selten bei tierischen zweieiigen
Zwillingen gefunden werden. Es wäre nun möglich, daß es auch beim Menschen
solche Zweieier mit Gefäßverbindungen zwischen beiden Plazentarkreisläufen
gibt. Soweit Novak. Da aber bei dichorischen Zwillingen sich bis jetzt noch nie
Gefäßanastomosen nachweisen ließen, sondern nur bei monochorischen, müßte
es sich um verschiedengeschlechtliche Zwillinge handeln, die ein einziges Chorion
besitzen. Solche Fälle sollten festgestellt und ihnen im weiteren Verlaufe des
Lebens nachgegangen werden. Die Sexualpathologie könnte aus dem Nachweis
eines menschlichen Vacheboeftyps erheblichen Gewinn ziehen.
Ein größeres, allem Anschein aber leider nicht serienmäßig erfaßtes psych-
iatrisches Zwillingsmaterial hat Legras (59) veröffentlicht. Es handelt sich
um 24 eineiige und 24 zweieiige Paare. Die Eiigkeitsbestimmung ist mit der
nötigen Sorgfalt durchgeführt. Alle 6 schizophrenen eineiigen Zwillinge haben
schizophrene Partner. Das kann durchaus Zufall sein. Außenfaktoren erkennt
Legras keinen Einfluß auf die Krankheit zu, die klinischen Unterformen scheinen
ihm eine gewisse genetische Selbständigkeit zu besitzen. Aus den beiden manisch-
depressiven eineiigen Paaren schließt er, daß Manifestationsschwankungen eine
geringe Rolle spielen; außerdem sieht er durch sie die Anschauung Langes als
bestätigt an, daß Manie und Melancholie genetisch nicht getrennt werden können.
In bezug auf Epilepsie sind 2 eineiige Paare konkordant, ein Paar ist diskordant.
Legras erkennt ihr daher eine größere Variationsbreite zu. Die Idiotie ist durch
16 Hans Luxenburger
3 eineiige Paare vertreten, die Hysterie und Psychopathie durch 2 bzw. 3 Fälle.
Sie zeigen alle konkordantes Verhalten. Ein debiles und zugleich infantiles
Paar beging Selbstmord, das eine hysterische Paar war „psychasthenisch“.
Außerdem verfügt er über ein eineiiges Paar, das in bezug auf multiple Sklerose
konkordant ist. Er weist darauf hin, daß dieser Fall gegen die Infektionstheorie
spricht. Zum mindesten müsse man aber eine sehr spezifische Disposition
zur multiplen Sklerose annehmen, ohne die eine etwaige Infektion nicht zur
Erkrankung führen könne. Die vier kriminellen eineiigen Paare seiner Sammlung,
von denen eines schon als Psychopathie auftrat, zeigen weitgehende Konkordanz.
Induktion hält er nicht für ausgeschlossen, da die Zwillinge zusammen auf-
wuchsen, doch möchte er die Erbanlage für die kriminelle Haltung als ausschlag-
gebend ansehen. Auffallend ist, daß alle zweieiigen Paare seines Materials dis-
kordant sind. Es handelt sich dabei um 9 Fälle von Schizophrenie, eine Degene-
rationspsychose, einen Fall von „kalter Melancholie“, eine Epilepsie, eine post-
enzephalitische Hemiathetose, eine postenzephalitische „Idiotie“, 2 Fälle von
Imbezillität, 2 von mongoloider Idiotie, einen Fall von Hysterie und 5 Fälle von
Kriminalität. Die zweieiigen Paare sind alle nur kursorisch behandelt. Der
Hauptwert der Arbeit ist darin zu erblicken, daß sie die Kasuistik der psych-
iatrisch- neurologischen und kriminellen eineiigen Zwillingspaare um eine große
Zahl gut beschriebener Fälle bereichert. Die Schlußfolgerungen müssen dagegen
mit großer Zurückhaltung aufgenommen werden. J. Jacobi (53) beschreibt ein
verschiedengeschlechtliches, also zweieiiges Paar mit außerordentlich weitgehen-
der Konkordanz in einer schizophrenen Psychose. Präpsychotische Persönlichkeit,
Beginn, Verlauf, Symptomenbild stimmen verblüffend überein. Würde es sich
um gleichgeschlechtliche Zwillinge handeln, so wäre man versucht, an der
Richtigkeit der Eiigkeitsdiagnose ernstlich zu zweifeln. Jacobi zieht aus dem
Fall eine Reihe von Schlüssen allgemeiner Art über die Bedeutung endogener
und exogener Faktoren für die Genese der Schizophrenie, denen man folgen
mag oder nicht. Beweisen kann ein solcher Einzelfall nichts. Man wird ihn als
das nehmen, was er ist, nämlich als das Beispiel einer sehr ähnlichen Geschwister-
psychose, wie wir solche ja aus der Familienforschung kennen. Das gleiche Alter
der Geschwister und die übereinstimmenden Lebensschicksale konnten in diesem
Falle anscheinend die durch das verschiedene Geschlecht bedingten Diskor-
danzen überkompensieren. Smiths (68) Zwillingskasuistik haben wir schon im
letzten Bericht erwähnt. Aus dem Material seiner oben besprochenen Arbeit
hat Lottig (63) zwei eineiige Paare herausgegriffen, um an ihnen die Frage der
psychopathischen Reaktionsbreite und insbesondere die Reichweite von
Anlage und Umwelt zu studieren. Wenn auch die psychopathischen Eigen-
schaften durchweg genotypisch unterbaut sind, so besitzen sie doch eine ver-
schiedene Modifikationsfähigkeit, die es der Psychotherapie erlaubt, mit Erfolg
einzusetzen. Allgemeingültige Schlüsse auf die Art der psychopathischen Sym-
ptome, die besonders modifizierbar, also in erster Linie ärztlich beeinflußbar sind,
können aus den zwei Fällen nicht gezogen werden. Es ist jedoch für die weitere
Entwicklung der Zwillingsforschung von Bedeutung, daß hier bereits eine der
praktisch wichtigsten Aufgaben der Zwillingspathologie durchklingt, von welcher
im nächstjährigen Bericht ausführlich zu sprechen sein wird. Olkon (66) teilt
ein l5jähr. eineiiges männliches Zwillingspaar mit, dessen Krankheit er unter
Heranziehung kapillarmikroskopischer Befunde als spasmophile Epilepsie
— — nn —
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 17
diagnostizierte und mit Erfolg einer antispasmodischen Therapie unterzog. Die
Schwachsinnsuntersuchungen von Looft (61) bestätigen im allgemeinen
die Befunde Smiths, über die im vergangenen Jahre hier berichtet wurde. Die
Feststellung jedoch, daß unter den Schwachsinnigen sich mehr Zwillinge finden
als in der Gesamtbevölkerung, ist besonders deshalb anzuzweifeln, weil aus der
Arbeit nicht hervorgeht, ob diese große methodische Vorsicht erfordernde Be-
rechnung richtig durchgeführt wurde. Orel (67) bereichert die Kasuistik der
mongoloiden Zwillinge um zwei wahrscheinlich eineiige diskordante Paare.
XI.
Das Studium des klinischen Bildes endogener Psychosen bei den ver-
schiedenen psycho- physischen Konstitutionstypen ist, wie bekannt, seit längerem
ein beliebtes Thema der Kretschmerschen Schule. Die große praktische und
erbtheoretische Bedeutung des Problems rechtfertigt die Erwähnung einer Arbeit
von Kisselew (72), obwohl ihre Schlußfolgerungen sicherlich zu weit gehen.
Kisselew hat 40 Schizophrene körperbaulich untersucht und die klinischen
Besonderheiten der einzelnen Typen herausgearbeitet. Er findet, daß bei den
Muskulären Bilder vorwiegen, die durch psychomotorische Erregung, optische
Halluzinationen, Bewußtseinsstörungen und leichte Auslösbarkeit des Krampf-
mechanismus gekennzeichnet sind. Bei den Leptosomen finden sich besonders
häufig torpide Hebephrenien, bei den Pyknikern periodische Verläufe, Stim-
mungsschwankungen, syntones Verhalten. Soweit durch die Untersuchungen —
wie etwa bei den Pyknikern — bereits Bekanntes eine Bestätigung findet, ist
gegen das Resultat nichts zu sagen. Sonst kann es sich jedoch nur um Zu-
ordnungen handeln, denen in Wirklichkeit höchstens gewisse statistische Häufig-
keitsbeziehungen zugrunde liegen. Das Material ist ja außerordentlich klein.
Daß, um ein Beispiel zu nennen, die Leptosomen auch nur in überdurchschnitt-
lichem Maße an „torpiden Hebephrenien“ erkranken, widerspricht doch wohl
aller klinischer Erfahrung. Gerade bei ihnen finden sich sehr häufig außerordent-
lich stürmische Verläufe. Und wenn Kisselew aus seinen Untersuchungen
den Schluß zieht, daß man berechtigt sei, von einer muskulären, asthenischen,
pyknischen, mittleren Schizophrenie zu sprechen, schießt er weit über das Ziel
hinaus, das dem klinisch-nosologischen Erkenntniswert solcher Untersuchungen
gesetzt werden darf. Derartige Vereinfachungen fördern die an und für sich in
einem gewissen Schematismus festgefahrene Klinik der Schizophrenie keines-
falls. Die nach Körperbautypen differenzierten Studien sollten sich auch weiter-
hin an vorwiegend praktischen Gesichtspunkten (Prognose, Aussichten für die
Therapie) orientieren.
Sehr interessant sind die Beziehungen, die Kisselew zwischen der Krampf-
bereitschaft gewisser Schizophrener und dem muskulären Körperbautypus
findet, angesichts der Feststellung Westphals (77) in seinem Übersichtereferat
über den Körperbau und Charakter der Epileptiker. Unter 1505 Fällen von
Epilepsie stehen die Muskulären mit 28,9%, gleichberechtigt neben den Dys-
plastischen (29,5%). Beide Typen zusammen machen 58,4%, aller Epileptiker
aus. Unter den Schizophrenen (5233 Fälle) überwiegen die Leptosomen mit
50,3%, unter 1361 Manisch-Depressiven die 64,6%, Pykniker. Der Annahme
einer für den epileptischen Charakter bezeichnenden explosiv-epileptoiden Cha-
raktergruppe gegenüber hält Westphal noch Vorsicht für geboten. Die Unter-
Neurologie V. 1 2
18 Hans Luxenburger
suchung von Lehner (73) betrifft ein relativ kleines Material (56 Fälle). Daran
liegt es vielleicht, daß die Verteilung der Körperbautypen bei ihm recht wenig
charakteristisch ist. Nur die Dysplastiker heben sich mit 37,6%, deutlich
heraus. Bedeutsam ist der Hinweis darauf, daß eine Klärung der Frage, welche
Körperbauform nun wirklich den Boden für die genuine Epilepsie darstellt,
vielleicht durch Einbeziehung der vielen leichten Fälle von Epilepsie beantwortet
werden kann, die nicht anstaltsbedürftig werden und daher nur selten in das
Material der Konstitutionsforscher eingehen. Den heutigen Stand der Forschung
über den epileptoiden Charakter hat Minkowska (74) in einem vorzüg-
lichen kritischen Referat dargestellt. Sie hält auf Grund ihrer neuesten Unter-
suchungen und der letzten Fremdpublikationen ihre in unserem Bericht über
1929 näher gekennzeichnete Ansicht von der polaren Struktur des epileptoiden
Charakters (proportion affectivo-accumulative) aufrecht. Auch Robin (76),
dessen Arbeit besonders deshalb erwähnenswert ist, weil sich an sie eine die
augenblickliche Einstellung der französischen Psychiatrie gut widerspiegelnde
Diskussion anschließt, kommt zum Schluß, daß man den epileptoiden Charakter
den übrigen Charaktertypen der Psychiatrie als gleichberechtigt an die Seite
zu stellen hat. Was seine Abgrenzung anlangt, so entfernt sie sich, worauf Min-
kowski sehr richtig in der Diskussion hinweist, nicht wesentlich von der Kon-
zeption Minkowskas; es liegt wohl an dem kindlichen Material Robins, daß
bei ihm die Syndrome der Erregbarkeit auf der einen, der Klebrigkeit und Hem-
mung auf der anderen Seite im Gesamtbild rein dynamisch abweichend bewertet
werden. Die Untersuchungen von Hoff und Stengel (71) beschäftigen sich mit
der Trennbarkeit der genuinen und symptomatischen Narkolepsie. In einer
Familie litt der Vater an Narkolepsie, der Sohn zeigte nach Enzephalitis nar-
koleptische Erscheinungen mit Tonusverlust, in einer anderen hatte der Vater,
bei dem affektiver Tonusverlust festgestellt werden konnte, einen narkoleptischen
Sohn mit affektivem Tonusverlust. Narkolepsie und Tonusverlust fand sich in einer
dritten bei Großvater und Enkel, während in einer vierten Familie 4 Schwestern
zur Zeit der Menses an abortiver Narkolepsie litten, von denen eine eine narkolep-
tische Tochter besaß. Auf Grund dieser Befunde halten die Autoren eine scharfe
Trennung von genuiner und symptomatischer Narkolepsie nicht für gerechtfertigt.
Auf dem Gebiete des zyklothymen Kreises setzte Paskind (75) seine
bemerkenswerten Familienuntersuchungen an nicht asylierten Manisch-Depres-
siven fort, von denen man sich grundsätzlich für die Erbforschung manches ver-
sprechen darf, da diese sich bisher fast ausschließlich mit den schweren, anstalts-
bedürftigen Formen beschäftigte. Er konnte an 485 Fällen eine positive Kor-
relation zwischen der familiären Belastung einerseits, dem Erkrankungsalter,
der Länge der Krankheitsperioden und der Intervalle anderseits feststellen.
Auch diese Untersuchung spricht wie seine frühere Arbeit dafür, daß die nicht
asylierten Fälle biologisch den asylierten gleich zu setzen sind. Bedauerlich
bleibt nur nach wie vor, daß Paskinds Methodik sich die Fortschritte der
modernen Erbforschung nicht zu eigen machen konnte, so daß seine Ergebnisse
trotz des großen Materials einer Nachprüfung bedürfen.
XII.
In unserem Bericht über 1929 haben wir die Schwierigkeiten hervorgehoben,
die sich der vielleicht möglichen erbpathologischen Klärung des Psycho-
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 19
pathieproblems entgegenstellen. Die Untersuchungen, auf die wir damals
hinwiesen, eind 1931 zum Abschluß gelangt. Und es zeigt sich tatsächlich,
daß unsere Bedenken gerechtfertigt waren. So hoch die umfangreiche, mit aus-
gedehnten kasuistischen Hinweisen belegte Arbeit von Berlit (78) als erster
groß angelegter Versuch einzuschätzen ist, dem Problem der erbbiologischen
Stellung der Psychopathie mit exakter Methodik nachzugehen, so kommt man
doch nicht um die Erkenntnis herum, daß es hier bei einem Versuch geblieben
ist, was nach Lage der Dinge ja von vornherein zu befürchten war. Solange die
Klinik dem Erbforscher keine Psychopathentypen präsentieren kann, die An-
spruch auf biologischen Wert erheben können und die gesamte Breite der
Psychopathie ausfüllen, solange wird jeder genealogischen Untersuchung der
Charakter eines Glücksspiels anhaften, in welchem sie Gewinn oder Nieten
ziehen kann. Man mag die Ausgangsfälle einteilen, wie man will — die Wahr-
scheinlichkeit, positive, charakteristische Ergebnisse zu erhalten, bleibt immer
niedrig, da sie ganz davon abhängt, ob man zufällig eine Einteilung getroffen
hat, die nicht nur klinisch, sondern auch biologisch gerechtfertigt ist. Dazu
kommt noch im Falle Berlit, daß nur asylierte Psychopathen als Ausgangsfälle
genommen werden konnten, die noch dazu während der Internierungszeit, also
zur Zeit der schwersten Anpassungsstörung, nicht vom Untersucher selbst be-
obachtet worden waren. Seine 225 Fälle teilt Berlit ein in Nervöse, Weiche,
Psychopathen mit endogenen Schwankungen, Hysteroide, Haltlose, Schwindler
und Lügner, Phantastische, Geltungsbedürftige, Erregbare, Epileptoide, ethisch
Defekte, Schizoide und sexuell Perverse. Es handelt sich also um eine Einteilung,
die teils vom Charakter, teils vom Temperament, teils vom Erfolg her getroffen
wurde. Die Anankasten wurden bewußt weggelassen, da sie bereite früher eine
Bearbeitung fanden (vgl. letzten Bericht Nr. 136). Aus äußeren Gründen blieben
auch die Süchtigen weg. Die Einteilung Berlits entspricht im wesentlichen
derjenigen der sächsischen Irrenanstalten, über deren biologischen Wert also der
Ausfall der Untersuchung ein gewisses Urteil erlaubt. Aus den Ergebnissen ist
hervorzuheben, daß Schizophrenie und besonders manisch-depressives Irresein
erheblich häufiger in den Familien der Psychopathen vorkommen als in der
Durchschnittebevölkerung, während die Epilepsieziffer nicht erhöht ist. Psycho-
pathen fanden sich unter den Geschwistern und Eltern etwa doppelt so häufig
als es dem Durchschnitt entspricht; das gleiche gilt für die Selbstmörder. Die
Tuberkulosesterblichkeit war nicht unbeträchtlich erhöht. Bei Aufteilung nach
klinischen Unterformen ergab sich, daß in der Verwandtschaft dieser Spezial-
gruppen durchaus nicht immer diejenigen Psychosearten und Psychopathie-
formen besonders häufig auftraten, die man nach Art der Ausgangsfälle zu finden
vermutet hatte. Die einzelnen Gruppen unterschieden sich nach Art der Be-
lastung kaum voneinander. Auch bei Zusammenfassung einzelner Unter-
gruppen zu klinisch sinnvollen „Obergruppen‘ — die uns nicht immer völlig ge-
glückt erscheint — ändert sich das Bild nur wenig. Im ganzen kann festgehalten
werden, daß in der Verwandtschaft der zu einer Gruppe zusammengefaßten
Nervösen, Weichen und Stimmungslabilen besonders häufig manisch-depressives
Irresein und Suizid gefunden wurde, während in den Familien der Schi-
zoiden Schizophrenie und schizoide Psychopathie überwogen. Die Haltlosen
waren deutlich wiederum durch Haltlose belastet. Es handelt sich aber um so
wenig starke Häufigkeitsbeziehungen, daß auch diese Gruppen keineswegs
28
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20 Hans Luxenburger
schon als biologische Einheiten angesehen werden dürfen. Immerhin eröffnet
sich hier ein Weg für weitere mehr intensiv gestaltete Forschungen in Familien
besonders ausgewählter, klinisch eindeutiger Ausgangsfälle. Es ist überhaupt
fraglich, ob sich das Problem der erblichen Stellung der Psychopathie allein
auf dem Wege massenstatistischer Untersuchungen wird lösen lassen; hier tritt
zweifellos auch die Kasuistik in ihr gutes Recht. Völlig verkehrt wäre es, aus
den wenig charakteristischen Ergebnissen der Arbeit von Berlit etwa auf eine all-
gemeine Anlage zur Psychopathie, d. h. zur psychopathischen Reaktion schließen
zu wollen und die einzelnen Typen als rein phänotypische Modifikationsprodukte
anzusehen. Vielmehr ist das wichtigste Resultat der Arbeit eben in dem Nach-
weis zu erblicken, daß die Einteilung der sächsischen Irrenstatistik keine biolo-
gische Berechtigung besitzt und für Erblichkeitsuntersuchungen nur bedingt
brauchbar ist, so groß ihr klinischer Wert auch sein mag.
Erheblich greifbarer ist das Ergebnis der in ähnlicher Weise aufgezogenen
und durchgeführten Untersuchungen von Kraulis (79) über die Vererbung der
hysterischen Reaktionsweise. Unter den Geschwistern asylierter Hyste-
riker finden sich etwa 6%, asylierungsbedürftige Hysterien, d. h. 45mal soviel
als in der Durchschnittsbevölkerung. Noch klarer werden die Verhältnisse,
wenn man die Ausgangsfälle in sozialabnorme und episodische Hysterien trennt.
Unter den Geschwistern der ersteren steigt dann die Quote auf rund 11% —
eine homologe Geschwisterbelastung, die derjenigen der Manisch-Depressiven
zum mindesten gleichkommt. Die Episodiker besitzen dagegen nur 4%, hyste-
rische Geschwister. Die weitaus meisten Fälle von erblicher degenerativer
Hysterie wird man also in der ersten Gruppe zu suchen haben. Die Kinder der
Hysterischen insgesamt zeigen zu 15%, wieder die hysterische Reaktionsweise.
Außerdem finden sich unter ihnen 28%, erregbare Psychopathen, so daß etwa
die Hälfte der Kinder aus psychopathischen Typen besteht. Die Ziffern für
Schizophrenie und manisch-depressives Irresein in den Familien der Hysteriker
entsprechen etwa denen der Durchschnittsbevölkerung, Epilepsie wurde von
Kraulis auffallend häufig gefunden. Die Annahme einer spezifischen Anlage
zur hysterischen Reaktionsbereitschaft erhält durch die Arbeit eine starke
Stütze. Sie manifestiert sich in der Regel bei haltlosen, geltungssüchtigen,
asthenischen Persönlichkeiten, wobei offen bleibt, inwieweit sie selbst diese
psychopathischen Züge mit prägt. Das Gesamtbild ist dann das der von Kraulis
sog. „sozialabnormen Hysterie“, die sich u. E. biologisch weitgehend mit der
degnerativen Hysterie im Sinne der Kretsohmerschen Schule deckt. Wir halten
den Terminus „sozialabnorme Hysterie“ für sehr wenig glücklich, da er leicht
zu einer Verwechslung mit der „Sozialhysterie‘‘ Kretschmers führen kann,
mit der die Kraulisschen Sozialabnormen gar nichts zu tun haben. Die Sozial-
hysterien sind „leichtere somatopsychische Minusvarianten der verschiedensten
Veranlagungen (Kretschmer) und eher mit den „Episodikern“ von Kraulis
zu vergleichen. (Siehe meinen Bericht im 1. Jahrgang dieser Zeitschrift.)
XIII.
In erster Linie müssen hier die Erblichkeitsuntersuchungen genannt werden,
die Pleger (86) an schwachsinnigen Kindern vorgenommen hat. Sie
stützen sich auf ein Material von 75 Probanden, von denen 65 keinen Verdacht
Erblichkeit, Keimsohädigung, Konstitution 1931 21
auf exogene Entstehung des Schwachsinns erweckten. Die Proportionsberech-
nungen in den Geschwisterschaften sind geeignet, die im letzten Bericht mit-
geteilten Ergebnisse der Familienforschungen Bruggers und Lokays zu be-
stätigen. Sie sprechen — allerdings nur vor dem Hintergrund dieser beiden
größeren Arbeiten — für rezessiven Erbgang in irgendeiner Form.
Über die Bedeutung der Untersuchungen, welche die Stellung der Ab-
normen in der Geburtenfolge betreffen, haben wir schon im Abschnitt I
gesprochen. Brugger (80) suchte auf diesem Wege in einer methodisch vor-
bildlichen Arbeit als erster die Frage mit aller Exaktheit zu beantworten, ob es
sich bei den auf Grund klinischer Befunde als endogen bezeichneten Schwach-
sinnigen in der überwiegenden Mehrzahl um rein erblich bedingte Fälle handelt.
Über diesen Punkt muß man sich unbedingt klar sein, wenn man die Ergebnisse
der Forschungen von Brugger, Lokay, Pleger u. a. erbbiologisch richtig
beurteilen und deuten will. Das Material umfaßt über 2000 Geburten,
unter denen sich 819 vermutlich endogen Schwachsinnige befinden. Die Unter-
suchung wurde nach der Methode von Weinberg durchgeführt, die eine Er.
weiterung erfuhr. Die Ergebnisse gingen dahin, daß die Verteilung der Schwach-
sinnigen auf die einzelnen Geburtennummern der Erwartung ziemlich gut ent-
spricht, die Schwachsinnigen in den Geschwisterschaften nicht öfter unmittelbar
aufeinander folgen, als nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit zu erwarten
ist und ein großer zeitlicher Abstand zwischen den Geburtsjahren zweier schwach-
sinniger Kinder nicht seltener, sondern eher etwas häufiger ist als zwischen den
Geburtsjahren von zwei normalen Kindern. Da man aus diesem Ergebnis
schließen darf, daß durch die Diagnose per exclusionem es tatsächlich gelingt,
die endogen Schwachsinnigen von den exogenen Fällen zu trennen, stellen sie
einen bedeutsamen Fortschritt für die psychiatrische Erbforschung dar. Auch
in dem Material von Turner und Penrose (90) finden wir die vermutlich
endogenen Fälle annähernd gleichmäßig auf die Geburtenfolge verteilt, während
schwere Idioten und geburtstraumatische Fälle öfters die ersten, mongoloide
Idioten in der Regel die letzten Geburtennummern betreffen.
Die Untersuchungen über die Stellung der Schwachsinnigen in der Geburten-
reihe machen es höchst unwahrscheinlich, daß das Zurückbleiben der Erb-
proportionen hinter der Erwartung bei einfacher Rezessivität, das in allen bis-
herigen Arbeiten zu beobachten ist, auf Unreinheit des Materials, d. h. auf erheb-
liche Durchsetzung der erblichen mit nichterblichen Fällen zurückgeführt
werden kann. Es liegt daher nahe, nach anderen Erklärungen zu suchen. So
könnte z. B. die Manifestationswahrscheinlichkeit des erblichen Schwach-
sinns soweit herabgesetzt sein, daß nur ein Teil der Genotypen sich im Phäno-
typus manifestiert oder der schwachsinnige Genotyp könnte als Subletal-
faktor wirken, so daß diese Genotypen früher absterben als ihre Geschwister
und zwar vor und nach der Geburt. Wir haben (85) zur Klärung dieses Problems
das dänische Zwillingsmaterial (Smith) nach der von uns ausgebauten zwillings-
statistischen Methode bearbeitet und konnten feststellen, daß die Manifestations-
wahrscheinlichkeit des erblichen Schwachsinns annähernd absolut und der
rezessive Erbgang höchstwahrscheinlich ist, die Zwillingseigenschaft nicht zum
Schwachsinn disponiert und die Anlage zum Schwachsinn weder einen prä-
natalen noch einen postnatalen Subletalfaktor darstellt, der eine vorzeitige Aus-
merze gerade der genotypisch Schwachsinnigen zur Folge haben könnte. Es
22 Hans Luxenburger
muß also eine andere Erklärung für das Zurückbleiben der Erbproportionen in
den Geschwisterschaften Schwachsinniger gefunden werden.
Sehr wahrscheinlich ist, daß hier die Theorie Rosanoffs (87) weiterführt.
Er vermutet, daß es Fälle von erblichem Schwachsinn gibt, bei denen die An-
lage zum Schwachsinn nicht nur in einem autosomalen Chromosom, sondern
auch im X-Chromosom gelegen ist, so daß der Erbgang sich auf eine Dimerie
mit zwei rezessiven Faktorenpaaren gründet, von denen eines geschlechtsgebunden
ist. Wir prüften in einer Arbeit, von der im nächsten Bericht die Rede sein
wird, diese Theorie an dem Schwachsinnigenmaterial verschiedener Autoren
nach und kamen zu einem durchaus positiven Ergebnis. Unabhängig von uns
und Rosanoff sprach sich übrigens auch Sjögren in einem ganz ähnlichen
Sinne aus.
Die in das Berichtsjahr fallende Arbeit von Sjögren (89) über die juve-
nile amaurotische Idiotie haben wir bereits im letzten Bericht besprochen.
Kufs (83) beschrieb einen Fall von spätester Form der amaurotischen Idiotie
mit Beginn im 42. und Tod im 59. Lebensjahr. Er spricht sich bei diesem
Falle für rezessiven Erbgang aus, während er seine früher geäußerte Ansicht,
daß es auch eine dominante Form gibt, auch weiterhin aufrecht hält. Diese domi-
nante Form ist gekennzeichnet durch Heterophänie und zwar kann der Phäno-
typus der amaurotischen Idiotie durch den der Retinitis pigmentosa ersetzt
werden, die ja dem dominanten Erbgang folgt. Zu dieser Spätform der amauro-
tischen Idiotie gehören auch andere degenerative Netzhauterkrankungen, 2. B.
die progressive familiäre Makuladegeneration. Ca vengt (81) teilte einen Fall
von infantiler Form mit, der 2 Brüder (Spanier) betrifft.
Eine genealogische Untersuchung größeren Stiles führte Schulz (88) in
den Familien mongoloider Idioten durch. Es ließ sich wiederum und diesmal
mit exaktester Methodik bestätigen, daß die Mongoloiden meist auf die letzten
Nummern der Geschwisterreihe fallen. Dieser Befund sowie die Tatsache, daß
das Durchschnittsalter der Mutter bei der Geburt der Mongoloiden erheblich
erhöht ist, spricht gegen die Annahme einfach erblicher Bedingtheit des Mongolis-
mus. Die Belastungsverhältnisse in den Familien weisen in die gleiche Richtung;
sie sind in bezug auf mongoloide Idiotie völlig negativ. Gewisse vor allem zur
Gruppe der medianen Kopfdefekte gehörige MiBbildungen, die man in Beziehung
zum Mongolismus gebracht hat, finden sich in gleicher Häufigkeit — und zwar
nicht häufiger als in der Durchschnittsbevölkerung — in der mütterlichen und
väterlichen Familie, so daß auch die Theorie von einer unmittelbaren Erblichkeit
über eine Uterusanomalie der Mutter wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Schulz möchte die Entstehung des Mongolismus entweder auf ein nicht erbliches
Leiden der Mutter zurückführen oder aber eine erbliche Anlage gelten lassen,
die unmittelbar zum Mongolismus führt, wenn sie bei der Mutter auf exogen
verursachte manifestationsfördernde Bedingungen trifft.
Koenen (82) bereichert die noch spärliche Kasuistik über die tuberöse
Sklerose um eine Familie, bei welcher das Leiden durch 3 Generationen in
direkter Erbfolge nachweisbar ist. Es handelt sich um 6 teils ausgebildete, teils
rudimentäre Fälle.
Als sehr zukunftsreich erscheinen uns die Forschungen von Lang (84), die
vielleicht berufen sind, das so schwierige Problem der Ätiologie des Kretinismus
einer Klärung näher zu bringen. Nachdem seine langjährigen und sorgfältigen
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 23
Untersuchungen in ihren Ergebnissen mit keiner der vielen Theorien (Erblich-
keit, Jodmangel, Infektion, Wasser, hydrotellurische Theorie usw.) in Einklang
zu bringen waren, erweiterte er die Radioaktitätshypothese Pfaundlers und
Répins, die in ihrer ursprünglichen Form ebenfalls nicht befriedigen kann,
dahin, daß nicht nur eine bestimmte Gesteinsart Kropf und Kretinismus zu
erzeugen vermag, sondern auch ein Gemenge von Gesteinen, und daß innerhalb
eines solchen Gemenges das Alter und ganz besonders der Aufschlußgrad des
Bodens eine entscheidende Rolle spielt. Dazu kommen noch Faktoren wie die
Länge des Transportweges, Eisdruck, Schnelligkeit des Transports, klimatische
Einwirkungen usw. Die unter dem Gesichtswinkel dieser Theorie vorgenommenen
geopbysikalischen Untersuchungen, die noch in vollem Gang sind, konnten
bereits bezeichnende Parallelismen zwischen Gesteins- und Bodenaufschluß
einerseits, Radioaktivität und Kropfbefallenheit anderseits aufdecken. Daß die
Forschungen noch mehr auf den Kretinismus selbst konzentriert werden müssen,
ist selbst verständlich.
XIV.
Über Kolles (93) vornehmlich klinisches Buch „Die primäre Ver-
rücktheit“ wird von anderer Seite ausführlich berichtet. Hier sei lediglich
darauf hingewiesen, daß auch die sorgfältig erhobenen und verarbeiteten genealo-
gischen Befunde geeignet sind, seine Anschauung zu stützen, daß die Paranoia
Kräpelins als Paraphrenie dem schizophrenen Formenkreise zugeordnet werden
muß. In einer weiteren Arbeit (94) weist er, sein Hauptwerk ergänzend, darauf
hin, daß die Querulanten von den Paraphrenen genealogisch scharf trennbar
sind, da sich ihre Familien im Gegensatz zu denen der Paraphrenen in bezug
auf Belastung mit endogenen Psychosen, insonderheit mit Schizophrenie, wie
die Durchschnittsbevölkerung verhalten. Bouman (91) ist der Anschauung,
daß ein Wahn nicht psychologisch erklärt werden kann, daß vielmehr eine eigene,
noch nicht näher faßbare Anlage zu Wahnbildungen vorhanden sein muß.
K olles (92) Arbeit, die sich mit der Beteiligung der manisch-depressiven Anlage
am Aufbau paraphrener und paranoischer Psychosen beschäftigt, wurde bereits
im letzten Bericht erwähnt. In erster Linie auf dem Paranoiamaterial baut auch
die Veröffentlichung über die Beziehungen zwischen Sexualität, seelischer und
körperlicher Anlage auf (95). Sie ist nicht zuletzt deshalb erwähnenswert, weil
sie mit Erfolg versucht, die Graphologie als Ergänzung klinisch-konstitutions-
pathologischer Untersuchungen heranzuziehen. Kolle kommt zum Schluß, daß
sie, wenn sie wissenschaftlich und kritisch angewandt und immer wieder durch
die klinisch-psychopathologische Analyse kontrolliert wird, sehr wohl geeignet
ist, die Dynamik psychophysischer Zusammenhänge in manche neue Beleuchtung
zu rücken. Vor allem wiesen die graphologischen Befunde auf tiefgreifende
Störungen in der Triebschicht hin. Kolle betrachtet auf Grund seiner Studien
die Sexualität als einen besonders feinen Indikator für die Vitalität ihres Trägers;
sie bewahrt den Konstitutionsforscher davor, sich des „bequemen Formelgerüsts
von Persönlichkeitstypen“ allzu unbedenklich zu bedienen. Überblicken wir die
Veröffentlichungen Kolles im Berichtsjahr, so dürfen wir feststellen, daß sie
nicht nur die Klinik und Psychopathologie der Paranoia, sondern auch unser
Wissen um ihre erbbiologische Stellung ganz erheblich gefördert haben. Von der
Arbeit Leonhards (96) kann man dies in bezug auf die Vererbung episodi-
scher Dämmerzustände (Kleist) leider nicht sagen. Sie bleibt reine Einzel-
24 Hans Luxenburger
kasuistik und ein Schluß, daß diese Zustände als besondere Krankheitsform
aufgefaßt werden können, läßt sich trotz des eindeutigen Familienbildes aus
diesem Einzelfalle nicht ziehen. Es wäre sehr wünschenswert, daß das gesamte,
sicherlich reiche Material an episodischen Dämmerzuständen, über welches die
Kleistsche Schule verfügt, einmal systematisch und auslesefrei mit modernen
erbstatistischen Methoden untersucht würde, damit diese klinisch ja in vielem
bestechende Konzeption endlich auch einen zuverlässigen erbpathologischen
Unterbau erhält.
XVI.
Von Arbeiten, die nicht das Gebiet der Psychiatrie und Neurologie betreffen,
muß, da sie von grundlegender Bedeutung für die Erbkonstitutionsforschung ist,
die Veröffentlichung von Waaler (97) erwähnt werden. Waaler hat das vom
norwegischen Krebskomitee gesammelte Material, im ganzen 6000 Familien
von Krebskranken, durchforscht und statistisch mit aller Exaktheit ausgewertet.
Die erbliche Disposition spielt in der Ätiologie des Krebses zwar keine ausschließ-
liche, aber doch eine bedeutsame Rolle. Es müssen zwei erbliche Anlagen ange-
nommen werden, die gegenseitig unabhängig und jede für sich zu Krebs führen
können. Sie scheinen dem rezessiven Erbgang zu folgen. Ihre Häufigkeit in
der Bevölkerung ist zu je 16% anzusetzen. Die eine Anlage wirkt ungefähr gleich
bei Männern und Frauen, die andere scheint ausschließlich für die größere Dis-
position der Frauen verantwortlich zu sein. Möglicherweise rufen die gleichen
Erbanlagen bei beiden Geschlechtern eine verschiedene Disposition hervor. Zu
dieser müssen auf jeden Fall äußere Einwirkungen hinzutreten. Die Bedeutung
dieser paratypischen Faktoren ist nicht bei allen Anlageträgern gleich groß;
bei dem einen Extrem ist die Penetranz der Anlage annähernd absolut, bei dem
anderen tritt Krebs nur auf Grund sehr massiver Schädigungen auf. Es scheinen
seltene Ausnahmefälle vorzuliegen, die auch ohne die Krebsanlage an Krebs
erkranken. Die Lokalisation des Krebses konnte Waaler als in hohem Maße
erbbedingt nachweisen.
XVIII.
Der Mangel an größeren systematischen Erblichkeitsuntersuchungen machte
sich im Berichtsjahre auf dem Gebiete der Neurologie ganz besonders geltend.
Man könnte die meisten Arbeiten mit Stillschweigen übergehen, wenn es nicht
gerade angesichts der Sterilität des Gebietes angezeigt wäre, wenigstens die als
Kasuistik bemerkenswerten Veröffentlichungen festzuhalten. So hat z. B.
Orel (105) eine Familie mit neurotischer progressiver Muskelatrophie (Typ
Charcot-Marie) mitgeteilt, in der die Krankheit bei 3 Geschwistern und einem
Neffen dieser Geschwister auftrat; die Eltern des Neffen waren gesund. Das
Leiden begann bei allen Personen im 3. bis 5. Lebensjahr. Die ältere Generation
war schwerer erkrankt bei langsamerer Progredienz. Der Endzustand zeigte
Klumpfuß und Krümmung der Finger beider Hände (2. bis 5. Finger). Die
Erkrankung des Neffen war leichter, es kam nur zu einer kaum merklichen
Beugung des 4. und 5. Fingers und zum Nachschleifen eines Fußes beim Gehen.
In der gleichen Arbeit beschrieb Orel 12 jähr. männliche eineiige Zwillinge mit
„Strabismus convergens alternans praecipue oculi dextri“. Die Zwillinge waren
durch Hypermetropie und Schielen familiär belastet. Es bestand bei ihnen
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 25
ähnlich starke Hypermetropie (bis + 5,75), der Schielwinkel betrug für die
Nähe 20°, für die Ferne 15°. Die Fundi waren normal und ähnlich konfiguriert.
Somogyi und Fénges (108) beschrieben 2 Brüder mit neurotischer Muskel-
atrophie und Eunuchoidismus. Über eine neuropathische Familie mit hetero-
phänen Anomalien berichtete Kienböck (101). Ein 34jähr. Mann mit gutartiger
Akromegalie und verdickter Hypophyse hatte ein 3 Monate altes Kind, bei dem
sich multiple symmetrische kongenitale arthrodesmo-myogene Kontrakturen
fanden. Es liegt nahe, zu vermuten, daß die Hypophyse das Bindeglied darstellt.
Der Fall von Barraque6r (99) betrifft eine Familie mit spastisch-ataktischer
Paraplegie. Betroffen waren 2 Schwestern sowie die Mutter und 1 Bruder der-
selben. Die Schwestern, die näher beschrieben sind, waren konkordant in bezug
auf Schwindel, spastisch-ataktischen Gang, Reflexsteigerung, Babinski, Rom-
berg, Dysarthrie, Dysphagie, Abduzenslähmung und Harnverhaltung, dis-
kordant in bezug auf epileptische Anfälle und Anisokorie. Der Verfasser steht
auf dem Standpunkt, daß sich das Leiden gegen zerebellare Heredoataxie,
Friedreichsche Tabes, multiple Sklerose und familiäre spastische Paraplegie
gut abgrenzen läßt. Von letzterer beschrieben Babonneix, Mathieu und
Miget (98) einen Fall, der wahrscheinlich 6 Geschwister betraf. 4 sind klein
gestorben, so daß die Krankheit sich nicht mit Sicherheit feststellen ließ. Auch
die beiden zur Beobachtung gekommenen Geschwister erkrankten in frühester
Kindheit. Sonst waren keine Fälle in der Verwandtschaft ausfindig zu machen (?).
Die Kasuistik der familiären amyotrophischen Lateralsklerose wurde durch
Munch-Petersen (104) um 2 Familien vermehrt, in denen einmal 2, das andere
Mal 3 Schwestern erkrankt waren. Der Fall von erblicher Optikusatrophie
(Lebersche Krankheit), den Kuhn (102) mitteilt, hatte einen älteren Bruder,
der im gleichen Alter erkrankt war. Außerdem litten 2 Brüder der Mutter an der
Krankheit. Stählin (109) ist der Ansicht, daß es außer der Leberschen Krank-
heit noch zwei weitere Formen von erblicher Sehnervenatrophie gibt, nämlich
eine hereditär-familiäre Form im Kindesalter und eine rezessiv gehende kongeni-
tale Form. Das Besondere seines Falles von Reoklinghausenscher Krankheit
sieht Lucke (103) in dem Umstand, daß sich in der Familie kein weiterer Fall
von Recklinghausen nachweisen ließ, während gewisse bei dem Probanden
vorhandene angeborene Anomalien (Fehlen der Kniescheibe, Radius- und
Ulnaluxation, mangelhaft ausgebildeter Daumennagel) auch in der Familie vor-
kamen. Außerdem bestand eine Neigung zu Magenkrebs und zu psychischen
Störungen.
Den Bericht möchte ich mit 3 Arbeiten von größerer Bedeutung schließen.
Rosenthal (107) beschrieb 4 Familien mit Arthritismus. Es wurden zahlreiche
Fälle von Migräne gefunden, von gehäuften Schlaganfällen, Hypertension,
Rheumatismus und Neuralgien. Besonders traten dabei die „Erkältungskrank-
heiten“ hervor. Bei 5 Kranken aus 3 Familien bestand rezidivierende Fazialis-
lähmung, Lingua plicata und teilweise angioneurotisches Ödem oder andersartige
Gesichteschwellung. Als Erklärung für die Trias Fazialislähmung angioneu-
rotisches Odem + Lingua plicata nimmt Rosenthal eine erhöhte Vulnerabilität
der Gewebe des Gesichteschädels auf Grund kongenitaler Entwicklungsanomalien
an. Über das eineiige Zwillingspaar von Legras, das konkordant an multipler
Sklerose erkrankt war, haben wir in Kapitel X berichtet. Der Fall ist bemerkens-
wert vor dem Hintergrund der Familienforschungen von Prussak (106). Sie
26 Hans Luxenburger
betreffen 4 Familien. In der ersten waren 4 Brüder, in der zweiten 3 Schwestern,
in der dritten und vierten je 2 Brüder von einer organischen Erkrankung befallen,
die sich am ungezwungensten als multiple Sklerose auffassen läßt. In 2 Familien
bestand Blutsverwandtschaft der Eltern, in einer waren die Großeltern bluts-
verwandt. Diese Befunde sprechen doch recht sehr für die Annahme einer
spezifischen Disposition zur multiplen Sklerose, mag man nun die Infektions-
theorie anerkennen oder nicht. Grünthal (100) studierte die Erblichkeit der
Pickschen Atrophie an einer großen Familie, die er durch 6 Generationen ver-
folgen konnte. In 4 aufeinanderfolgenden Generationen fanden sich — einmal
bei Geschwistern — Geisteskranke mit sehr ähnlichen Krankheitsbildern.
2 Schwestern und 1 Sohn der einen Schwester sind mit Sicherheit als Picksche
Krankheit zu diagnostizieren. Bemerkenswert ist noch das gehäufte Vorkommen
von angeborenem Schwachsinn in 2 Geschwisterschaften zusammen mit einem
Psychopathentyp von eigentümlicher Prägung. Diese Fälle dürfen mit Vorsicht
als Äquivalente der Krankheit gedeutet werden.
Einen wirklichen Fortschritt für die Forschung bedeuten, wie man sieht,
eigentlich nur die Arbeiten von Rosenthal, Prussak und Grünthal. Letz-
terer hat sich (vgl. auch unseren Bericht über 1930) ein nicht geringes Verdienst
um die allmähliche Klärung der erbbiologischen Stellung der Pickschen Atrophie
erworben. Seine Mahnung, nach abortiven Formen in den Familien zu fahnden,
wenn man zu einer richtigen Auffassung des Erbgangs gelangen will, verdient
besonders angesichts der zu Beginn des Berichts erwähnten Feststellungen von
Curtius ernste Beachtung. Rosenthals Kasuistik ist hoffentlich ein Auftakt
zu weiteren systematischen Untersuchungen.
Man könnte die hier angeführten Arbeiten um eine Reihe weiterer ver-
mehren, ohne daß sich das Gesamtbild der neurologischen Erbforschung im
Jahre 1931 günstiger gestalten würde. Es ist erstaunlich und bedauerlich, daß
gerade die Neurologie mit ihren bei Beachtung der Äquivalente und Rudimentär-
formen so leicht faßbaren Erscheinungen auf unserem Gebiete kaum fortechreiten
will, während die Psychiatrie Jahr für Jahr unermüdlich mit ihrer ungleioh
spröderen Materie ringt und daher am allgemeinen Fortschritt der erbpatho-
logischen Forschung beim Menschen heute einen sehr beachtlichen Anteil nehmen
darf. Ob das lediglich auf das Fehlen eines Zentralinstituts, das sich die Organi-
sation der Materialsammlung und die Ausarbeitung einer einheitlichen Methodik
besonders angelegen sein läßt, zurückgeführt werden darf, wage ich nicht zu
entscheiden. Wünschenswert wäre aber die Schaffung eines solchen neurologisch-
erbbiologischen Instituts auf jeden Fall.
Literatur.
I. Zusammenfassende Darstellungen. Allgemeines.
1. Brenk, H.: Über den Grad der Inzucht in einem innerschweizerischen Ge-
birgsdorf. Arch. Klaus-Stiftg Vererbungsforschg usw. 6, 1 (1931). — 2. Curtius, Fr.:
Familienanamnese und Familienforschung. Münchn. med. Wschr. 1981, S. 582. —
3. Lang, Th.: Zur Frage: Geisteskrankheit und Geburtsmonat. Arch. Rassenbiol.
25, 42 (1931). — 4. Plate, L.: Warum muß der Vererbungsforscher an der An-
nahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften festhalten ? Z. indukt. Abstam-
mungslehre 58, 266 (1931). — 5. Schwalber, L.: Untersuchungen über Herkunft
der Vorfahren und Häufigkeit von Verwandtenehen in den Familien von Allgäuer
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 27
Kretinen. Z. Neur. 182, 227 (1931). — 6. Thurstone, L. L., and R. L. Jenkins:
Order of birth, parent-age and intelligence. Univ. of Chicago press 1931. — Außer-
dem: 80, 88, 90.
II. Methodik.
7. Dahlberg. G.: Eine neue Methode zur familienstatistischen Analyse bei
der Vererbungsforschung. Hereditas (Lund) 14, 73 (1930). — 8. Pearson, K.: On
the inheritance of mental disease. Ann. of Eug. 4, 362 (1931). — 9. Weinberg, W.:
Die Prüfung der Geschwistermethode durch Justs Experiment und dessen grund-
legender Fehler. Arch. Rassenbiol. 25, 295 (1931). — 10. Mehrere Aufsätze in Z.
indukt. Abstammungslehre; Z. Konstit.lehre; Arch. Rassenbiol.; Arch. soz. Hyg. —
Außerdem: 2, 23, 60, 70, 80, 88.
III. Keimsohädigung.
11. Bluhm, A.: Darf die Erblichkeit der Alkoholschäden als bewiesen gelten ?
Z. Sex. wiss. 18, 145 (1931). — 12a. Timof6eff-Ressovsky, N. W.: Die bisherigen
Ergebnisse der Strahlengenetik. Erg. med. Strahlenforschg 5 (1931). — 12b. Der-
selbe: Einige Versuche an Drosophila melanogaster über die Art der Wirkung der
Röntgenstrahlen auf den Mutationsprozeß. W. Roux’ Arch. Entw. mechanik d.
Organismen 124, 654 (1931). — 13. Ueprus, V.: Elternalkoholismus und Epilepsie
bei der Nachkommenschaft. Fol. neuropath. eston. 11, 108 (1931).
IV. Konstitution.
14. Berkow, 8. G.: Body types in women of infertile constitution. Arch.intern.
Med. 48, 234 (1931). — 15. Brandt, W.: Grundzüge einer Konstitutionsanatomie.
Berlin 1931. — 16. Braun, E.: Zur Frage der nervösen Konstitution. Nervenarzt 4,
406 (1931). — 17. Hertz, Th.: Pharmakodynamische Untersuchungen an Kon-
stitutionstypen. Z. Neur. 184, 605 (1931). — 18. Kretschmer, E.: Körperbau und
Charakter. Berlin 1931. — 19. Mestitz, W.: Zur Frage der Beziehungen zwischen
Keimdrüsen und Geschlechtsmerkmalen. Arch. Gynäk. 145, 662 (1931). — 20. Neu-
reiter, F.: Ist die Scapula scaphoidea ein Degenerationszeichen ? Wien. klin.
Wschr. 1981, S. 187. — 21. Petersen, S.: Sur les types de Kretschmer. Les
psychoses mixtes et les caractères prépsychotiques. Encéphale 26, Suppl. 6, 121
(1931). — 22. Pfaundler, M.: Konstitution und Konstitutionsanomalien. In Hdb.
d. Kinderheilk. (Pfaundler-Schlossmann) 4. Aufl. Bd. 1. — 23. Plattner, W.: Über
d. Abhängigkeit der relativen Körpermaße von der Körpergröße. Z. Neur. 182,
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bei Erwachsenen und ihre Beziehung zur strukt ychologischen Typenlehre.
2. Psychol. 121, 137 ( 1931). — 25. RBosenstern, J.: r die körperliche Entwick-
lung in der Pubertät. Erg. inn. Med. 41. Berlin 1931. — 26. Sägi, F.: Eidetik, Oligo-
phrenie u. Konstitution. Verh. Ges. Heilpädag. T. 2, 230 (1831). — 27. Schott,A.:
Linkshändigkeit und Erblichkeit. Z. Neur. 185, 305 (1931). — 28. Sitsen, A. E.:
Zur Kenntnis des Normalen. Z. Konst.lehre 16, 308 (1931). — 29. Stefko, W. H.,
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Dobák, Mäday): Konstitutionsanalytische Beiträge zur Psychiatrie des Kindes-
alters. Verh. Ges. Heilpädag. 1931. — Außerdem: 72, 73, 77, 94.
V. Blutgruppen.
31. Calisov, M., und N. Pogibko: Blutgruppen und Konstitution. Bjul.
Komiss. vivcan. Krovjan Ugrup 5, 176 (1931). — 32. Klär, Ch.: Untersuchung über
das Verhalten der Blutgruppen bei Impfmalaria und Rekurrens bei Paralyse. Er-
langen, Diss. 1931. — 33. Meyer, F.: Die Beziehungen zwischen Blutgruppe, Pig-
ment, Kopfform und Körpergröße bei 378 Männern der Provinzialheilanstalt Lüben.
Z. Rassenphysiol. 8, 98 (1931). — 34. Schiff, F., und O. v. Verschuer: Serolo-
gische Untersuchungen an Zwillingen. Klin. Wschr. 10, 723 (1931). — 35. Somo-
gyi, I., und. L. v. Angyal: Untersuchungen über Blutgruppenzugehörigkeit bei
Geisteskranken. Arch. f. Psychiatr. 95, 290 (1931). — 86. Stigler, R.: Die Blut-
gruppe als Erb- und Konstitutionsmerkmal und ihre Bedeutung in der Sexual- und
28 Hans Luxenburger
Rassenphysiologie. Z. Sex. wiss. 16, 541 (1931). — 37. Thomsen, O.: Neuere Er-
gebnisse der Erblichkeitsforschung hinsichtlich der menschlichen Blutgruppen.
Z. Rassenphysiol. 4, 119 (1931). — 38. Wellisch, S.: Über die Genauigkeit der Kin-
der verteilung bei Ehen mit bekannter Aufspaltung. Z. Rassenphysiol. 4, 32 (1931). —
39. Derselbe: Die Massenerscheinung der Blutgruppen. Z. Rassenphysiol. 4, 27
(1931). — Außerdem: 43 bis 47 des letzten Berichte.
VI. Kapillarmikroskopie.
40. Bock, K. A.: Über die Bedeutung atypischer Kapillarbilder bei inner-
sekretorischen Störungen. Klin. Wschr. 1982, 102. — 41. Fattovich, G.: Osser-
vazioni capillaroscopichi nei ragazzi anormali peichici. Rass. Studi. psychiatr. 20, 242
(1931); R. — 42. Gerendasi, G.: Zur Kritik der kapillarmikroskopischen Unter-
suchungsmethodik. Arch. f. Psychiatr. 98, 591 (1931). — 43. Hoepfner, Th.: Ar-
beiten zum Kropfproblem II/III. Begriffsbestimmung und Bedeutung der Kapillar-
hemmung. Berlin 1931. — 44. Jaensch, W.: Kapillaren und Konstitution. Verh.
Ges. Heilpädag. 2, 289 (1931). — 45. Jamin, F.: Nagelfalzkapillaren und konstitu-
tionelle Eigenart. Z. Neur. 181, 114 (1931). — 46. Popek, K.: Kapillarmikroskopie
bei Schwachsinnigen. Rev. neur. 28, 49 (1981). — 47. Sohnidtmann, M.: Nagel-
falzkapillaren und Schwachsinn. Arch f. Psychiatr. 94, 470 (1931). — 48. Stefko,
W. H., und M. Glagolewa: Die rassenkonstitutionellen Beobachtungen an den
Hauptkapillaren. Die Nagelfalzkapillaren und die Schilddrüse der Mongolen. Z.
Konstit.lehre 16, 291 (1931). — Außerdem: 66.
VIII. Erbprognose und Durchschnittsbevölkerung.
49. Brugger, K.: Versuch einer Geisteskrankenzählung in Thüringen. Z. Neur.
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suchung über die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung an verschiedenen Psychosen
und über die demographische Häufigkeit von Geisteskrankheiten. Z. Neur. 188,
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Z. Neur. 186, 386 (1931).
X. Zwillingspathologie.
62. Borchardt, L.: Intestinaler Infantilismus und Basedowsche Krankheit
als Ursache wesentlicher Verschiedenheiten bei eineiigen Zwillingen. Z. Konstit.lehre
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Köhler, I.: Untersuchungen an Schulzeugnissen von Zwillingen. Verh. phys. Anthrop.
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gerichtl. Med. 18, 375 (1931). R. — 56. Köhn, W.: Vorfrüchte aus einer psycholo-
gischen Reihenuntersuchung an Zwillingen, Geschwistern und nicht verwandten
Schulkindern. Arch. Rassenbiol. 25, 62 (1931). — 57. Lassen, M. Th.: Zur Frage
der Vererbung „sozialer und sittlicher Charakteranlagen“. Arch. Rassenbiol. 26,
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diagnose. II. Mitt. Arch. Gynäkol. 147, 48 (1931). — 59. Legras, A. M.: Psychose
en Criminaliteit bij Tweelingen. Utrecht 1931. — 60. Löwenstein, O.: Psychische
Anlage und Umwelt. Verh. Ges. Heilpädag. 2, 349 (1931). — 61. Looft, C.: L’6vo-
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62. Lottig, H.: Hamburger Zwillingsstudien. Anthropologische und Charakterolo-
gische Untersuchungen an ein- und zweieiigen Zwillingen. Leipzig 1931. — 63. Der-
selbe: Zwillingsstudien zur Frage der psychopathischen Reaktionsbreite. Dtech.
Z. Nervenheilk. 117, 278 (1931). — 64. Newell, H. W.: Differences in personalities
in the surviving pair of identical triplets. Amer. J. Orthopsychiatry 1, 61 (1930). —
65. Novak, J.: Beitrag zur Zwillingspathologie. Zbl. Gynäkol.1981, 8.69. — 66.01-
kon: Epilepsy of the angiospastio variety in monozygotic twins. Arch. Neur. 26,
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psychiatr. (Kopenhagen) 6, 79 (1931). — 69. v. Verschuer, O.: Ergebnisse der
Zwillingsforschung. Verh. Ges. phys. Anthrop. 6. — 70. Wibaut, F.: Eine Methode,
Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931 29
um die Variabilität von Zwillingen mit derjenigen einer Population vergleichen zu
können, unter besonderer Berücksichtigung der Erblichkeitsverhältnisse der Horn-
hautbrechung. Genetica (s Gravenhage) 12, 261 (1930). — Außerdem: 6, 84, 86,
87, 106.
XI. Schizophrenie, Manisch-depressives Irresein, Epilepsie.
71. Hoff, H., und E. Stengel: Über familiäre Narkolepsie. Klin. Wschr.
1981, 8. 1300. — 72. Kisselew, M. W.: Der Körperbau und die besonderen Arten
des schizophrenen Verlaufs. Z. Neur. 182, 18 (1931). — 73. Lehner, A.: Die Kon-
stitution der genuinen Epileptiker. Erlangen, Diss. 1931. — 74. Minkowska: La
constitution 6pileptoide et ses rapports avec la pathogénie de l’epilepsie essentielle.
Ann. Médico-psycholog. 1981, I, S. 291. — 75. Paskind, H. A.: Manic-depressive
is. The relation of hereditary factors to the clinical course. Arch. of Neur.
25. 145 (1931). — 76. Robin, M. G.: La constitution 6pileptoide. Ann. med.-psychol.
1981, I, 8. 180. — 77. Westphal, K.: Körperbau und Charakter der Epileptiker.
Nervenarzt 4, 96 (1931). — Außerdem: 13, 63, 66, 92.
XII. Psychopathie, Hysterie, Neurosen.
78. Berlit, B.: Erblichkeitsuntersuchungen bei Psychopathen. Z. Neur. 184,
382 (1931). — 79. Kraulis, W.: Zur Vererbung der hysterischen Reaktionsweise.
Z. Neur. 186, 174 (1981). — Außerdem: 59, 62, 63.
XIII. Schwachsinnsformen.
80. Brugger, K.: Die Stellung der Schwachsinnigen in der Geburtenreihen-
folge. Z. Neur. 185, 536 (1931). — 81. Cavengt, Zwei Fälle familiärer amaurotischer
Idiotie. Pediatr. españ. 20, 33 (1931), R. — 82. Koenen, J.: Eine familiäre, here-
ditäre Form von tuberöser Sklerose. Nederl. Tijdschr. Geneesk. 1981, 8. 731. —
83. Kufs, H.: Über einen Fall von spätester Form der amaurotischen Idiotie mit
dem Beginn im 42. und Tod im 59. Lebensjahre in klinischer, histologischer und
vererbungspathologischer Beziehung. Z. Neur. 187, 432 (1931). — 84. Lang, Th.:
Beitrag zur Bodentheorie des endemischen Kropfes, Kretinismus und Schwachsinns.
Z. Neur. 185, 515 (1931). — 85. Luxenburger, H.: Zur Frage der Manifestations-
wehrscheinlichkeit des erblichen Schwachsinns und der Letalfaktoren. Z. Neur.
185, 767 (1931). — 86. Pleger, W.: Erblichkeitsuntersuchungen an schwachsinnigen
Kindern. Z. Neur. 185, 226 (1931). — 87. Rosanoff, A. J.: Bes linked inheritance
in mental deficiency. Amer. J. Psychiatry 11, 289 (1931). — 88. Schulz, B.: Zur
Genealogie des Mongolismus. Z. Neur. 184, 268 (1931). — 89. Sjögren, T.: Die
juvenile amaurotische Idiotie. Hereditas (Lund) 14, 197 (1931). — 90. Turner,
F. D., und L. S. Penrose: An Investigation into the position in family of mental
defectives. J. ment. Sci. 77, 512 (1931). — Außerdem: 6, 26, 46, 47, 61, 66, 67.
XIV. Andere Krankheiten und Anomalien.
91. Bouman, L.: Paranoia. Psychiatr. Bl. (holl.) 85, 295 (1931). — 92. Kolle,
K.: Die Beteiligung der manisch- melancholischen Anlage am Aufbau paraphrener
und paranoischer Psychosen. Z. Neur. 181, 171 (1931). — 93. Derselbe: Die
primäre Verrücktheit. Leipzig 1931. — 94. Derselbe: Über Querulanten. Berlin
1931. — 95. Derselbe: Die Beziehungen zwischen Sexualität, seelischer und körper-
licher Anlage. Allg. Z. Psychiatr. 96, 27 (1931). — 96. Leonhard, K.: Episodische
zustande (Kleist) mit gleichartiger Vererbung. Mschr. Psychiatr. 81,
226 (1932).
XVI. Verschiedenes.
97. Waaler, G. H. M.: Uber die Erblichkeit des Krebses, beurteilt nach dem
vom norwegischen Krebekomitee gesammelten Material. Oslo 1981.
XVIII. Neurologie.
98. Babonneix, L., Mathieu und Miget: Paraplégie spasmodique familile.
Bull. Soc. Pédiatr. Paris 29, 278 (1931), R. — 99. Barra quèr, Ferre L.: Familiale
spastisch-ataktische Paraplegie. Ann. Hosp. Crux y Pablo Barcelona 5, 29 (1931),
30 Hans Luxenburger, Erblichkeit, Keimschädigung, Konstitution 1931
R. — 100. Grünthal, E.: Klinisch-genealogischer Nachweis von Erblichkeit bei
Pickscher Krankheit. Z. Neur. 186, 464 (1931). — 101. Kienböck, R.: Über eine
neuropathische Familie mit heteromorphen Anomalien. Med. Klinik 1981, S. 1522. —
102. Kuhn, H. S.: Hereditary optic atrophy (Lebers disease). Arch. of Ophthalm. 5.
408 (1931), R. — 103. Lucke, H.: Vererbung ausgedehnter angeborener Anomalien
bei einem Fall von Recklinghausenscher Krankheit mit ausgesprochener familiärer
Neigung zu psychischen Störungen und Magenkarzinomen. Klin. Wschr. 1981, II,
S. 2312. — 104. Munch-Petersen, C. J.: Die familiäre amyotrophische Lateral-
sklerose. Act. psychiatr. (Kopenhagen) 6, 55 (1931), R. — 106. Orel, H.: Kleine
Beiträge zur Vererbungswissenschaft. VIII. Mitteilung. Z. Konstit.lehre 15, 748
(1931). — 106. Prussak, L.: Zur Frage des familiären Vorkommens der multiplen
Sklerose. Z. Neur. 187, 415 (1931). — 107. Rosenthal, K.: Klinisch-erbbiologischer
Beitrag zur Konstitutionspathologie.. Gemeinsames Auftreten von (rezidivierender
familiärer) Fazialislähmung, angioneurotischem Gesichtsödem und Lingua plicata
in Arthritismus-Familien. Z. Neur. 181, 475 (1931). — 108. Somogyi, I., und
I. Fönges: Zwei familiär auftretende mit Eunuchoidismus kombinierte Fälle von
neuraler Muskelatrophie Charcot-Marie. Z. Neur. 187, 397 (1931). — 109. Stählin,
S.: Gibt es eine erbliche Sehnervenatrophie außer der Leberschen Atrophie? Arch.
Augenheilk. 104, 222 (1931). — Außerdem: 2, 59.
Zur Frage des Asthma bronchiale
von J. H. Schultz in Berlin
Die in unseren allgemeinen Ausführungen über die „Organneurosen“ als
wesentlich genannte erbliche Eignung ist beim Asthma bronchiale in großen,
die ganze Provinz Ostpreußen umfassenden Studien von Klewitz (,, Das Bron-
chialasthma“, Steinkopf 1928) dahin näher umschrieben, daß unter 423 selbst
beobachteten Asthmatikern bei 129 Asthmaerkrankungen in der Blutsverwandt-
schaft nachgewiesen waren, so daß in 35% eine spezifische Heredität besteht.
Kämmerer (Ergebn. d. Inn. Med. 32) kam bei ähnlichen Forschungen zu 36, 2%,
so daß bei einem Drittel der Fälle mit diesem Faktor gerechnet werden darf.
Daneben stellte Klewitz in seinem Material noch eine Heredität von 17,7%
bezüglich einer „Neigung zu Erkrankungen der Atmungsorgane“ fest. „Nerven-
leiden“ einschließlich Migräne fanden sich ebenfalls in 17,7 %, doch dürfte diese
Prozentzahl bei den großen Schwierigkeiten der Erfassung durch den Internisten
als sehr niedrig anzusehen sein. Beziehungen zu einem bestimmten Formen-
kreise psychischer Anomalie, wie sie von Schultz-Reichmann zu manisch-
depressiven, von Kretschmer, Kirschbaum u. a. zu schizophrenen Erkran-
kungen angedeutet wurden, treten in der Statistik von Klewitz nicht heraus.
Für den Neurologen und Psychiater ist es wichtig, zu wissen, daß, wenn
auch sehr selten, im Status des reinen Bronchialasthmas der Exitus eintreten
kann. Klewitz berichtet zwei solche Fälle, darunter einen mit Autopsie, bei der
sich als wesentlicher Befund eine Wandverdickung der Bronchien ergab. „Der
Tod erfolgt im Asthmaanfall durch Erstickung.“ H. Pollnow, H. Petow
und E. Wittkower teilten 1929 (Z. klin. Med. 110, 710) eine besonders inter-
essante Beobachtung mit.
„Anamnese: Oft Bronchitis, Nesselfieber. Chronisches Ekzem. Durchfälle.
Seit 12 Jahren Anfälle, aus Pavor nocturnus entwickelt.
Status: Emphysem. Bronchitis. Neuro- und psychopathische Konstitution.
Insuffizienzgefühle. Depression. Sexualkonflikte.
Somatotherapie: —.
Psychotherapie: Psychoanalyse. Hypnose.
Erfolg: 6 Wochen anfallsfrei. Dann:
Rezidiv: Unerklärliche, unbeeinflußbare Verschlimmerung. Status asthma-
ticus — Exitus.
Nach beobachtung: —.“
Hier ist bei einem autoritativ internistisch kontrollierten Falle nach hypno-
analytischer Therapie eine durch 6 Wochen anhaltende Symptomfreiheit erzielt,
die dann in eine „unerklärliche, unbeeinflußbare‘ tödlich endende Verschlimme-
32 J. H. Schultz
rung übergeht. 24 Autopsiebefunde sind in der Monographie von Grimm (,, Das
Asthma‘, Jena 1925) niedergelegt. Es zeigen sich Epithelveränderungen bis zur
Metaplasie, Stauungshyperämien, Rundzellen- und eosinophile Infiltrate, A- und
Hypertrophien der Muskulatur, alles oft herdförmig angeordnet. Oft ist das
rechte Herz hypertrophisch und nicht selten zeigen sich atheromatöse Verände-
rungen der Arteria pulmonalis, ferner emphysematische Zeichen.
Die spezielle somatische Behandlung wird stets dem Internisten
überlassen bleiben ; es können daher Hinweise nach dieser Richtung, insbesondere
über die Desensibilisierung, aus der neueren Literatur hier übergangen werden.
Den Nervenarzt werden vor allen Dingen Mitteilungen über zweckmäßige
Kupierungsmittel und über ungefährliche Dauerverordnungen inter-
essieren. Zu nennen ist der Hinweis von Irrgang (Ars. Medici 1932, Nr. 43) auf
das Rezept von Lichtwitz und Glaser: Adalini 0,25, Papaverini mur. 0,04,
Diuretini 0,5 (Fol. digital. litr. 0,05 bis 0,1), 3mal tgl. 1 Pulver.
Ferner die mehrfachen Anregungen, das bei öfterem Gebrauche nicht un-
gefährliche Adrenalin (Asthmolysin! Todesfälle! Süchtigkeit!) zu ersetzen.
So meint Tiefensee (Klin. Wschr. 1982, 8. 956):
„Adrenalin und die adrenalinverwandten Körper Ephedrin (Ephetonin und
Racem- Ephedrin) und Sympatol sind neben Atropin die wichtigsten Arzneimittel
in der symptomatischen Therapie des Asthma bronchiale. Die Vorzüge von Ephedrin
und Sympatol gegenüber Adrenalin liegen in der länger dauernden Wirksamkeit
auch bei peroraler Darreichung und in der geringeren Toxizität. Nach Ephedrin und
Ephetonin treten fast regelmäßig Nebenerscheinungen und zuweilen auch Dauer-
schädigungen auf, die zur Vorsicht mit der chronischen Anwendung dieser Mittel bei
Kranken mit Herzinsuffizienz mahnen. Nach Sympatol sind Nebenerscheinungen
bisher nicht beobachtet worden. Die perorale Darreichung des Sympatol steht in
ihrer Wirksamkeit gegenüber Ephedrin und Ephetonin zurück, wenn Sympatol erst
im Beginn der asthmatischen Beschwerden gegeben wird. Bei parenteraler Anwen-
dung ist Sympatol dem Ephedrin gleichwertig. Die intravenöse Injektion von Sympe-
tol ist derjenigen von Adrenalin vorzuziehen.‘
Dozent Hajós (Ther. d. Gegenw. 1980, Nr. 1) empfiehlt aus der Klinik von
Koränyis in Übereinstimmung mit anderen Autoren Purinkörper, auch zur Anfalls-
kupierung:
„In den schwierigsten, sonst refraktären Fällen, wirkt Diuretin per os, nament-
lich aber venös (10 cm? einer 10%igen Lösung, eventuell mehrere Tage hinterein-
ander) oft glänzend. Dasselbe gilt für das Theophyllin, das aber venös beim Asthma-
tiker manchmal unerwünschte Nebenwirkungen zeigt (Blässe, Schweißausbruch,
Tachykardie, Kopfschmerz usw. durch Sekunden bis Minuten). Man kann sie
verringern, wenn man Euphyllin in vier- bis fünffacher Menge einer 10 igen Zucker-
lösung verwendet oder 0,24 g Euphyllin auf 10 cm? Aqua dest. mit Zusatz von Kalzium
oder Jod-Kalzium. Viel seltener sind die Nebenwirkungen bei rektaler oder muskulärer
Applikation. Prophylaktisch, z. B. nachmittags oder abends, gegen nächtliche An-
fälle gegeben, bewährt sich am besten folgende Kombination (als Asthmatrop nur
mit Atropin, als Asthmamid nur mit Amidopyrin bei Dr. Wander, Chem. Fabrik,
Budapest, fertig erhältlich): Rp. Theophyllini, Amidopyrini àà 2.0, Luminali, Pape-
verini hydrochlor. aa 0.3, Extr. belladonnae 0.1. Div. in dos. aequ. Nr. X. S. 2 bis
3 Pulver täglich.‘
Analog ist die Kombination des Taumasthman durch v. Langsdorff (Med.
Klin. 1980, Nr. 40); er fügte zu dem jodhaltigen Taumagen Theophyllin, Koffein,
Dimethylaminodimethylphenylpyrazolon, Ephedrin, Agaricin und Extr. belladonnae
und hatte mit den so kombinierten Tabletten gute Kupierungserfolge.
Säuerungskupierungen durch Einatmung von 5—8% igen Kohlensäureluft-
gemischen empfiehlt Tiefensee (Klin. Wschr. 1980, Nr. 36) aus der Königsberger
Klinik, ebenso Versuche mit saurer Diät. Als säuerndes Salz wurde das Silikalzium
Zur Frage des Asthma bronchiale 33
(R. Reiß)in Mengen von 3—4mal tägl. 2 Teelöffel beigegeben und ein Kostschema
folgender Art eingehalten:
„Diät
Zu den Mahlzeiten um 7%, 9% und 18 Uhr erhielten die Kranken Semmeln
mit salzioser Butter oder Schweineschmalz, Eier, Quark, Käse und als Getränk
Kaffee, Bier oder saure Milch. Als Schema für das Mittagessen kann folgender
Wochenspeisezettel dienen:
Sonntag: Brühsuppe mit Reis, Rinderschmorbraten mit Schweineklößen,
Zitronenspeise, Reis. Montag: Legierte Suppe, Schweinefleisch mit Erbsenpüree,
Preißelbeeren. Dienstag: Nudelbrühsuppe, Bratzander, Rosenkohl, Preißelbeer-
gelee. Mittwoch: Linsen mit Specksauce, Lungenhaschée, Zitronenreis. Donnerstag:
Buttergrießsuppe, Bratklops mit Nudeln, Preißelbeerensemmelspeise. Freitag:
Preißelbeerensuppe, Beefsteak mit Rosenkohl und Makkaroni, Bier. Sonnabend:
Erbsensuppe, falscher Hasenbraten, verhüllte Semmel, Schokoladenspeise.“
Ausgangspunkt für diese Verordnungen war die Feststellung einer alkalotischen
Stoffwechselrichtung beim Asthma bronchiale, besonders stark zur Zeit der Anfälle.
Julesz (Wien. klin. Wschr. 1982, Nr. 9) empfahl gleichfalls säuernde Diät. Priv. -
Doz. Holz-Zürich sah Gutes von der mehr örtlich wirksamen Säureinhalation
(v. Kapff), über die noch so sehr geteilte Meinungen herrschen, besonders als
antibronchitische Therapie.
Schwer zu beurteilen, das hebt auch Klewitz hervor, der an „eine Art unspe-
zifische Desensibilisierung‘‘ denkt, ist die Röntgenbestrahlung bei Asthma bronchiale,
mag es sich um Felderbestrahlung der Lunge, um Vierfelderkopfbestrahlung (Pod -
kaminsky) oder Milzbestrahlung handeln. Hier handelt es sich zweifellos um diffe-
rente Eingriffe ohne ausreichende wissenschaftliche Basis. Dagegen kann mit Ein-
reibungen, wie etwa der von Voornveld (Schweiz. med. Wschr. 1981, Nr. 22) emp-
fohlenen, wohl nie geschadet werden:
Olei therebinth. pur. 80 g
Mixt. oleoso-balsam. 20 e
Jothion 1. 2, 3, 4 od. 5 g
Spirit. vini gall. ad 200 g
Vorher schütteln und erwärmen.
Der Zusatz von Jothion ist sehr zweckmäßig; namentlich wenn der Auswurf sehr fest
sitzt, ist die Jodwirkung erwünscht.
die Versuche mit Cholininjektionen, die von verschiedenen Seiten mit-
geteilt wurden, bleibt ein sicheres Urteil noch abzuwarten, ebenso über den Vor-
schlag von Slauck (Med. Welt 1982, S. 521), Leberhormone (2,0 Campolon), und
den von Ziegler (Med. Welt 1982, S. 125) sulfosaures Goldsalz (,, Asthmakos“) zu
geben.
Ablehnend wird sich der Nervenarzt i. A. gegenüber chirurgischen Versuchen
bei Asthma bronchiale verhalten, deren Aussichten auch von kompetenter chirurgi-
scher Seite (Brüning, Hermannsdorfer) ebenso gering, wie ihre Gefahren be-
drohlich bewertet werden.
Mildere physikalische Prozeduren (Diathermie, Quarzlampe, Höhensonne)
dagegen können den alten Lichtbädererfahrungen Strümpells entsprechend als ge-
fahrlose und oft dienliche Hilfsmittel herangezogen werden. Besonders die Kom-
bination von Ostermann (Disthermie und Quarzlichterythem) wurde neuerdings
wieder durch Wellisch empfohlen.
Die Anregung von Recht (Med. Klin. 1927, Nr. 50), Epithelkörperchenhormone
zu verwenden, scheint weiter keine Beachtung gefunden zu haben. Recht gab
Paraglandol - Roche oder Parathormon -Collip. Trat nach 4— 5 Injektionen kein
Erfolg ein, so wurde abgebrochen.
Ungenügend beachtet scheint mir in der Asthmatherapie die Verwendung von
spezifischen Autovakzinen aus dem Sputum; diese unschädliche Unterstützung der
Therapie möchte ich in jedem Falle empfehlen, besonders wenn deutliche chronische
Bronchitis besteht.
Neurologie v, 1 3
34 J. H. Schultz
Aus neuerer Zeit sind Empfehlungen nach dieser Richtung besonders von Wald -
bott-Detroit (Klin. Wschr. 1980, S. 220), der eine Sonderform rezidikurrend infek -
tiöser Bronchitis annimmt, und Weinmann (Wien. klin. Wschr. 1982, Nr. 16) er-
folgt. Weinmann benutzt allerdings fertiges Mischvakzin, so daß seine Therapie
noch näher an der unspezifischen Desensibilisierung steht, als die Autovakzination.
Wie kompliziert das Gebiet der „chronischen Bronchitis‘ liegt, zeigt sehr schön
das folgende, nur diese Erkrankungen im Kindesalter betreffende Schema von Burg-
hard - Düsseldorf (Med. Welt 1982, S. 883).
N Thorax- ©
ne lymph —— allergisch (Asthma)
| Brunckitktasıen Missbildung der Lunge
ne Hilus Katarrh A ee
(selten) kleinere sen ft. A hesiel
Kiima Wener der br 5
o lafekt /
Kan -
„chronische Bronchitis
(klinisches Bild)
Die ätiologischen Zusammenhänge beim Asthma bronchiale sind in den
letzten Jahren überaus eingehend studiert. So teilte z. B. Herms einen Fall von Roh-
baumwollasthma (Klin. Wschr. 1982, S. 777) mit; demgegenüber resumiert Otfried
Müller (Dtsch. med. Wschr. 1929, S. 781) dahin, daß es sich beim Asthma um eine
meist in der Erbanlage schon irgendwie vorgebildete reizbare Schleimhautschwäche,
oft der vasomotorischen Insuffizienz nahestehend, handle, die durch vielfache Reize,
psychischer, physikalischer (Klima, Barometer usw.) und chemischer Art zur eigent-
lich pathologischen Reaktion provoziert wird.
Neuere systematische Röntgenuntersuchungen, so von Zdansky an
70 Fällen (Klin. Wschr. 1982, S. 956) ergeben den autoptischen Befunden (s. o.)
entsprechende Bilder und in 50 % der Fälle Lungentuberkulose von nicht selte
ungünstigem Verlaufe. |
Zunehmend wird in der Literatur der psychische Faktor gewürdigt.
Das betrifft in neuerer Zeit mehr und mehr nicht lediglich die psychothera -
peutischen Spezialbearbeiter; Kämmerer (s. o.), Petow und seine Mitarbeiter,
Hansen (Nervenarzt 1930, S. 513) u.a. sind hier als Internisten zu nennen. Bei
Klewitz wird der psychische Faktor wohl prinzipiell anerkannt, aber relativ
gering gewertet, was bei dem Charakter seiner Studien als klinischer Massen-
forschung nicht wundernehmen kann, müssen doch unter diesen Umständen
die feineren psychologischen Differenzen und Zusammenhänge notwendigerweise
der Beobachtung entgehen (423 Fälle!). Im Anschluß an einen Vortrag über
allergische Krankheiten von E. Fraenkel und E. Levy in der Berliner Medi-
zinischen Gesellschaft (28. 11. 28) vertrat dagegen kein Geringerer als His die
Ansicht, daß „psychogenes Asthma zweifellos vorkomme“. Interessante Mit-
teilungen über den Verlauf des Asthmas bei Kindern machte Färber (Deutsche
med. Wschr. 1930, S. 334).
Das Asthma kann sich bei Kindern als Asthmahusten, asthmatische Bron-
chitis oder als Asthmaanfall zeigen. Der Asthmahusten ist ein grober, lauter,
Zur Frage des Asthma bronchiale 35
bellender Husten, der monatelang bestehen kann, bei dem die Hustenmittel
versagen und bei dem ein krankhafter Befund an Lunge und Bronchien fehlt.
Diese asthınatischen Zustände können bereits in den ersten Lebensjahren be-
stehen. Eine Abtrennung der asthmatischen Zustände im Säuglingsalter vom
Asthma der älteren Kinder und Erwachsenen erscheint nicht gerechtfertigt.
Nachuntersuchungen und katamnestische Erhebungen ergaben in vielen Fällen
ein Rückgreifen der Erkrankung bis ins Säuglingsalter. Dem ersten Anfall geht
häufig ein Vorstadium voraus, in dem grippale Infekte, Masern und der Keuch-
husten eine besondere Rolle spielen. Das Kinderasthma entscheidet oft das
spätere Schicksal; wir unterscheiden zwei Gruppen von Kinderasthma. Die erste
Gruppe verliert ihr Leiden spätestens in der Pubertät. Die asthmatische Reaktion
setzt hier meist im 4.— 6. Lebensjahr ein und erlischt zwischen dem 8. bis
16. Lebensjahr. Die Anfälle sind meist asthmatische Bronchitiden, seltener kombi-
niert mit Asthmaanfällen, die nur in der schlechten Jahreszeit auftreten, oft auf
Infekte des Nasen-Rachenraums. Beginn und Ende des asthmatischen Zustandes
fällt hier mit dem Einsetzen bzw. mit dem Erlöschen der Anfälligkeit des Kindes
zusammen. Bei der zweiten Gruppe bleiben die Anfälle auch in späteren Lebens-
jahren bestehen. Die Anfälle sind schwer und treten als Folge freudiger oder
trauriger Erregungen auf, wenn durch Infekte eine oft geringfügige und sehr
lange dauernde Veränderung in den Atmungsorganen ausgelöst wurde. Die
geringste seelische Erregung genügt dann zur Auslösung des schweren Anfalles.
Dabei tritt der peychische Einfluß bei der Anfallentstehung erst im späteren
Leben auf. Alle psychisch-depressiv wirkenden Maßnahmen (Fernhalten von der
Schule, vom Beruf u. a.) begünstigen anscheinend die Entwicklung dieser Form
des Asthma.
Kämmerer erklärt in einer neueren Arbeit (Fortschr. Ther. 1929. H. 9)
die Bedeutung der Suggestibilität für dominierend bei den Anfällen, so daß
Psychotherapie weitesten Sinnes das ärztliche Handeln bestimmen müsse; Moos
(Münch. med. Wschr. 1928, Nr. 43) meint, „die Hauptrolle spielt die Psyche“,
wie er früher (1923) schon Beobachtungen über „kausale Psychotherapie bei
Asthma bronchiale“ veröffentlichte. Hier, wie in der Arbeit von Haber -Koblenz
über allergische Behandlung und Psychotherapie bei Asthma bronchiale (12 Fälle)
(Ther. d. Gegenw. 70. Nr. 437 [1929]) grenzt die Einwertung des psychischen
Faktors schon an Einseitigkeit.
Demgegenüber hat Petow aus der Klinik von His in den letzten Jahren
mit seinen Mitarbeitern eine Reihe von Studien über Asthma veröffentlicht,
bei denen in vorbildlicher Weise eine ganz universelle Betrachtungsweise kon-
ditionaler Art durchgeführt ist. Wir verweisen besonders auf die mit Pollnow
und Wittkower verfaßte Arbeit über Psychotherapie des Asthma bronchiale
(Z. klin. Med. 110, 701 [1929]) und die neuesten mit Wittkower über Psycho-
genese des Asthma bronchiale (ebenda 119, 293 [1932]. Die erste Arbeit
enthält 45 bis dahin vorliegende Beobachtungen verschiedener Autoren, wo
bei einem Drittel unter scharfer Kritik Positives durch Psychotherapie erreicht
wurde. In der neueren Arbeit stellen Petow und Wittkower vier präzise
1. Läßt sich unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Allergieforschung
überhaupt und in welchem Ausmaße die Auffassung einer Psychogenese des
Asthmas aufrechterhalten ?
3*
86 J. H. Schultz
2. Bestehen zwischen den für die Asthmagenese bedeutsamen psychischen
und allergischen Faktoren irgendwelche erfaßbaren Beziehungen und Zusammen-
hänge ?
3. Welche Schlüsse lassen sich aus den therapeutischen Ergebnissen ziehen!
4. Welche theoretische Vorstellung kann man sich von der Pathogenese des
Asthmas machen ?
Sie konzedieren für bestimmte Fälle eine rein allergische Genese, können
aber auf Grund eigener Testprüfungen (Coca) an 300 Kranken (Klin. Wschr.
1930, S. 1712) nur bei einem Teile der Fälle spezifische Reaktionen auslösen.
Zwischen diesen und dem Asthma besteht aber, wie sie in Übereinstimmung mit
Mohr, Hansen u. a. betonen, kein zwingender Zusammenhang. Auch mir sind
Kranke bekannt, die seit vielen Jahren völlig asthmafrei sind, ihre Empfindlich-
keit z. B. gegen Katzenhaare, noch ebenso stark auf Haut und Konjunktiva zeigen,
wie in der Zeit asthmatischer Erkrankung. Petow und Wittkower heben
noch eine Reihe anderer Momente hervor: Zeit- und Signalfixierungen, situative
und emotive Auslösungen z. B., die sich ohne Berücksichtigung des psychischen
Faktors (bei gleichen „allergischen“ Bedingungen!) nicht erklären lassen. An
10 von 32 eigenen Fällen und Beobachtungen anderer Autoren werden verschie-
dene psychische Mechanismen aufgezeigt; affektive Erregungen aktueller Art —
obwohl die Autoren eine rein affektdynamische Asthmaentstehung ablehnen! —;
besonders Schreck und „extrapsychische“ Atemhemmung kommen in Frage, z. B.
durch Gravidität (Moos), schnelles Fortrennen vor einem Hunde (Brügel-
mann). Hierher wären auch die komplizierten Beziehungen zwischen Asthma
und Sexualerregung zu einem Teil zu rechnen. Ferner „psychische Ansteckung“
wie in einem besonders drastischen Falle von J. H. Schultz; hier werden meine
Ausführungen zitiert: „Auch bei diesen Alltagsbeobachtungen werden ja durch
das Beispiel und die mit einem Erleben verbundenen Gemütsbewegungen Körper-
mechanismen in Bewegung gesetzt, die normalerweise außerwillentlich sind, und
es erscheint theoretisch nicht ausgeschlossen, daß bei einem impressionablen
und ausdrucksmäßig begabten, besonders kindlichen oder jugendlichen Menschen
der entsetzliche, an einem anderen Menschen beobachtete Zustand, namentlich
wenn er mit so alarmierenden Geräuschen und Expressivbewegungen verbunden
ist, wie der asthmatische Anfall, ein entsprechendes Selbsterleben auslöst.‘
Oft dient das Asthma finalen Aufgaben, der Beherrschung der Umwelt, Ver-
meidung von lästigem Sexualverkehr u. dgl.; in anderen Fällen, wie ich solche
in der letzten Auflage meiner „Seelischen Krankenbehandlung“ (Jena 1930, IV)
mitteilte, wird das Asthma von Angehörigen durch „Fürsorge“ und andere
Verunsicherungen in Gang gehalten, damit von seiten des Patienten bestimmte,
etwa sexuelle, Anforderungen unterbleiben: ‚So konnte ich z. B. ein Ehepaar C.
beobachten, das eine verwöhnte und temperamentvolle Frau mit einem wenig
lebensfähigen, trockenen und triebschwachen Mann vereinigte. Die Ehefrau
erkrankte im Verlaufe der Ehe immer stärker an Asthma und überhob damit den
insuffizienten Gatten aller lästigen Pflichten. Mehrfach gelang es, die Kranke
völlig symptomfrei zu machen. Der Ehemann verstand es aber bald, durch
die merkwürdigsten Scheingründe und Kautzereien ihr die Überzeugung beizu-
bringen, die Heilung könne ja nicht von Bestand sein, es seien ja die meisten
solcher Fälle unheilbar, wie sie namentlich von einer Reihe ihrer Angehörigen
wisse, außerdem erkläre sich die augenblickliche Gesundheit sicher nur durch
Zur Frege des Asthma bronchiale 37
die Wetterlage und die zur Zeit gerade besonders glücklichen Lebensbedingungen,
kurz und gut, er wußte ihr so eindringlich, auch durch dauerndes besorgtes Fragen
und Warnen zum Bewußtsein zu bringen, sie sei eine schwerkranke, unheilbare
Frau, daß nach einiger Zeit die asthmatischen Symptome in voller Blüte wieder-
erstanden. Auch in einem solchen Falle ist zu berücksichtigen, daß der Kon-
versionsausgleich innerer Spannungen für die Kranken einen Ersatzwert im Sinne
innerer Entlastung hat. Man kann diesen komplizierten Zusammenhang so aus-
drücken, wie es in der Psychoanalyse häufig geschah: Es seien die Symptome
eine „Ersatzbefriedigung“, wenn man sich dessen bewußt bleibt, daß dies
eine stark abkürzende und vereinfachende Ausdrucksweise ist. Die Gesamterfas-
sung solcher Zustände ist immer nur im Rahmen der ganzen Persönlichkeit und
des ganzen Schicksals möglich.“
Hinsichtlich der Beziehungen allergischer und psychischer Konditionierung
vertreten Petow und Wittkower ähnlich Hansens Theorie der psychisch-
allergischen, die Reizschwelle agonistisch oder antagonistisch verschiebenden
Beziehung eine ausgesprochen konditionale Auffassung. Experimentell stellten
sie fest:
sl, Eine nachweisbare Kutanallergie läßt sich suggestiv nicht erzeugen.
Einer für diese Zwecke besonders geeigneten Patientin wurde in Hypnose
suggeriert, daß Rosengeruch ihr besonders schädlich sei. Es gelang leicht, den
bedingten Reflex herzustellen, so daß auch im Wachzustand der geringste Rosen-
geruch, ja, schon die Annahme, daß eine Rose in der Nähe sei, genügte, um An-
fälle hervorzurufen (vgl. das bekannte Beispiel der Papierrose). Eine nach mehr-
wöchigem Training vorgenommene Kutanprüfung mit Rosenextrakt fiel ne-
gativ aus.
2. Eine nachweisbare Kutanallergie läßt sich suggestiv nicht beseitigen.
In Analogie zu den bekannten Untersuchungen über suggestive Entstehung
von Hautblasen, Blutungen und Nekrosen wurde versucht, suggestiv das Auf-
treten der Hautquaddel nach intradermaler Allergeninjektion zu verhindern.
Bei zwei hierzu geeigneten Patienten war eine Änderung der Lokalreaktion nicht
zu bemerken!).
3. Bei unverändert bestehender Kutanallergie läßt sich die asthmaerzeugende
Wirkung des Allergens suggestiv unterbinden.
Eine gegen Tabak überempfindliche Zigarrenhändlerin (Fall9) bekam
regelmäßig nach Kontakt mit Tabak Asthmaanfälle. Diese Anfälle traten auch
auf, wenn der Patientin der Kontakt mit dem Allergen nicht bekannt war (z. B.
subkutane Injektion von Tabakextrakt). Hautreaktion auf Tabak stark positiv.
Durch hypnotischen Befehl ließ sich das Auftreten von Anfällen nach Kontakt
mit dem Allergen verhindern.
Nach psychischer Behandlung verlor die Patientin auf lange Zeit ihre Asthma-
anfälle. Sie konnte Tabakgeruch ausgesetzt sein, ohne Anfälle zu bekommen.
Die stark positive Hautreaktion auf Tabak bestand unverändert.“
Ähnliche Beobachtungen werden von anderen Autoren mitgeteilt.
1) Diehl und Heinichen (Münch. med. Wschr. 1981, Nr. 24) ist es neuerdings
gelungen, die Größe der allergischen Kutanreaktion suggestiv zu beeinflussen. Gegen
diese Versuche ist eingewandt worden, daß die suggestive Beeinflußbarkeit der aller-
gischen Hautveränderungen kein Beweis für eine spezifische Beeinflußbarkeit der
spezifischen Allergie darstelle (Heyer).
38 J. H. Schultz
So meinen sie zusammenfassend:
„Erfolg und Ergebnis der Therapie sagen über Art der Entstehung nichts
aus. Sichere Fälle von allergischem Asthma — Pferdeasthma, Mehlasthma,
Ursolasthma — werden, wie die oben angeführten Beispiele zeigen, durch die
Psychotherapie günstig beeinflußt. Suggestive Momente der Somatotherapie
wirken auf neurotische Mechanismen ein. Die Frage, ob Somato- oder Psycho-
therapie kausaler angreift, ist kaum zu beantworten. Nicht zu leugnen ist,
daß die Psychotherapie bei zahlreichen Asthmafällen erfolgreich ist. Unser Mit-
arbeiter Pollnow hat festgestellt, daß von 45 ausführlich in der psychothera-
peutischen Literatur mitgeteilten Fällen 15 langanhaltend erfolgreich behandelt
wurden. Diesen Fällen können wir 6 Fälle eigener Beobachtung anfügen. Der
Versuch, die Ergebnisse der Somatotherapie denen der Psychotherapie abwägend
gegenüberzustellen, erscheint unmöglich oder zum mindesten verfrüht, da Tausen-
den körperlich behandelten Asthmafällen eine geringe Zahl peychotherapeutisch
behandelter gegenübersteht. In noch viel höherem Maße als in der Somatotherapie
ist in der Psychotherapie der Erfolg der Behandlung von der Art des Falles, von
der angewandten Behandlungsmethode und den Fähigkeiten des Arztes abhängig.
In ihrer Wirkung ist die Psychotherapie teils persönlichkeitsangreifend auf
Behandlung der Neurose, teils sedativ-vegetativ auf Beruhigung des erregten
vegetativen Nervensystems gerichtet.
Versuchen wir auf Grund unserer Untersuchungen uns eine Vorstellung über
die Pathogenese des Asthmas zu bilden, so kommen wir zu folgenden Ergeb-
nissen:
1. Eine allergische Genese des Asthmas ohne neurotische Komponente ist
für viele Asthmafälle sicher gültig (Beispiel der von Frugoni nachgewiesenen
Asthmaepidemie mit bekanntem Erreger).
2. Eine allein psychische Bedingtheit ohne somatische Bereitschaft ist an
sich möglich, in einzelnen Fällen sogar wahrscheinlich, aber unbewiesen.
3. Die überwiegende Mehrzahl der Asthmafälle ist zwiefach determiniert,
sei es, daB bei vorhandener allergischer Disposition psychische Faktoren die
latente Krankheitsbereitschaft mobilisieren und apparent machen; sei es, daß
allergisch entstandenes Asthma durch sekundäre Psychifizierung in einen neu-
rotischen Überbau eingefügt wird.“
Kompliziertere Beobachtungen aus neuester Zeit finden sich vielfach mehr
nebenbei in der psychotherapeutischen Literatur. Eingehender hat Pollak
in Stekels „Psychoanalyt. Praxis“ (1, 197 [1932]) einen Fall mitgeteilt:
„Die Parapathie stellt einen Halbfrieden dar zwischen den Forderungen
des Trieb- und des Ideal-Ich. Das Real-Ich sträubt sich gegen die Beseitigung
der Parapathie, weil es die Wiederbelebung der alten Konflikte befürchtet. Auch
das Ideal-Ich sträubt sich gegen die Abschaffung der Krankheit, weil es mit den
unbändigen Trieben nicht fertig werden könnte. Es gibt eine Form des Wider-
standes, die darin besteht, daB der Kranke eine rasche Scheingenesung herbei-
führt, um sich vor weiterem Vordringen in das Bereich seines unbewußten Trieb-
lebens zu schützen (Flucht in die „Gesundheit“). Im geschilderten Falle konnte
erst durch Zufall die tiefere Triebdeterminante festgestellt und beseitigt werden.
24jähriger Mann, seit 10 Jahren Asthmaanfälle. Infantile Komponente; Bindung
an die Mutter, bis zur Identifizierung mit ihr ; homosexuelle Strebungen ; Onanie-
konflikt; allerhand sekundärer Krankheitsgewinn. Die Asthmaanfälle verschwin-
Zur Frage des Asthma bronchiale 39
den in der Analyse bald. Daneben bleiben aber unerklärliche Angstgefühle be-
stehen, besonders eine eigenartige Phobie vor goldenen Halsketten usw., wenn
sie Pat. am Halse von Frauen sieht. Solche Halsketten trugen Mutter und
Schwester. Die Aufklärung des inzestuösen Konfliktes nutzt nichts. Erst ein
kriminelles Ereignis bringt die Lösung: Eine Frau wird von ihrem Liebhaber
erdrosselt und in einen Koffer gepreßt. In Zusammenhang mit dieser Mordtat,
die die Zeitungen in sensationeller Aufmachung bringen, träumt Pat. von einer
Frau, die am Halse eine Goldkette trägt. Die Assoziationen und die intuitive
Deutung ergeben, daß Pat. den kriminellen Impuls hat, die Frau mit der Hals-
kette zu erdrosseln, um sie sich auf diese Weise gefügig zu machen. Er gesteht
auch seine nekrophilen Phantasien ein. Zusammenhang mit dem Asthma:
Schuldgefühle und Rückbeziehung der kriminellen Impulse auf die eigene
Person. Somit war der Fall und sein Asthma gelöst. Die aktive Analyse nach
Stekel brachte einen guten Erfolg.“
Meine letzte zusammenfassende Darstellung über das „Asthma als psycho-
therapeutisches Problem“ (Zbl. f. Inn. Med. 1929, S. 344) gibt 14 Fälle mit 2. T.
jahrelanger Nachkontrolle und einer allgemeinen Stellungnahme, die der von
Petow und Wittkower entspricht.
Der psychotherapeutische Weg beim Asthma bronchiale darf
m. E. nur beschritten werden, wenn klinisch -somatisch diagnostisch wie thera-
peutisch alles geschehen oder mindestens ein Dauerzustand mit gewissen (be-
gründeten!) Verordnungen geschaffen ist. Als Ausnahme darf nur eine psychische
Kupierung gelten, besonders durch Hypnose, wenn der Kranke in schwer asthma-
tischem Zustande in die Behandlung eintritt. Hier wäre aber die Psychotherapie
symptomatisch, wenn auch ungefährlicher, als alle Methoden chemischer Kupie-
rung. Zeit mit psychischen Versuchen bei schweren Fällen zu verlieren, ohne
daß internistisch hierzu mit Grund geraten wird, ist schon der etwaigen Lebens-
gefahr wegen unstatthaft! Im allgemeinen gilt als Voraussetzung kritischer
Psychotherapie, daß der Zustand des Kranken Mitarbeit erlaubt. Es muß
daher im Anfang energisch kupiert werden; besonders, wenn nicht abgebraucht,
bewährt sich das Chloral:
Rp. Chloralhydrat 4,0
Syr. Rub. Jd.
Aqua dest. aa 30,0
Ds. Die Hälfte zu nehmen.
Oft ist anfangs ohne Asthmolysin oder analoges nicht auszukommen. Hat man
so eine Beruhigungsbasis geschaffen, so ist erster und wichtigster Punkt gründ-
liche sachliche Belehrung und Aufklärung über den funktionellen
Charakter des Leidens (‚schlechte Gewohnheit“). Die so geschaffene Ruhig-
stellung ist sogleich suggestiv zu unterbauen, bei schwer durch das Leiden Des-
equilibrierten oder Unselbständigen durch Hypnose, bei anderen durch autogenes
Training oder etwa hypnotische Übungsbehandlung, wie sie Laudenheimer
(Ther. d. Gegenw. 1926, S. 339) in einer schönen Arbeit empfahl. Er behandelt
das Bronchialasthma — Unterschiede zwischen echtem und funktionellem Bron-
chialasthma werden mit Absicht nicht gemacht — mit einer von ihm ausge-
arbeiteten psychogymnastischen Methode unter Benutzung der Hypnose. In
dieser führt er einen allgemeinen Hypotonus der Körpermuskulatur herbei und
40 J. H. Schultz
suggeriert dann eine Verlangsamung der Atmung. Von 20 Fällen konnte Lauden-
heimer 5 über 2 Jahre anfallfrei, noch mehrere gebessert nachbeobachten.
Beim autogenen Training, dessen Monographie eben erschien (Leipzig,
Georg Thieme 1932) liegt die Tendenz der schrittweisen, systematischen, konzentra-
tiven Selbstentspannung dem Kernsymptom des Asthmas als Krampferkrankung
spezifisch entgegen. Zur speziellen Technik sei bemerkt, daß schon die Trainierung
durch Ruhigstellung, Muskelentspannung (Atemmuskulatur!) und entspannende
Gefäßumstellung, die gewissermaßen „ableitend“ wirkt, einen therapeutischen
Faktor bedeutet. Im speziellen stellen wir den Asthmatiker darauf ein, den
gesamten Nasenrachenraum bis zum Kehlkopf mit einem Kühleerlebnis unter-
empfindlich zu machen und eine entsprechende Schleimhautabschwellung zu
begünstigen; Luftröhre, Bronchien und Lungenraum werden dagegen intensiv
wärmend durchströmt. Gelingt es bei Asthmatikern, die internistisch von erfah-
renen Spezialisten behandelt und kontrolliert sind und die nötigen Hinweise
auf Atemtechnik verwertet haben, diese innere Einstellung konsequent und nach-
haltig zu erarbeiten, so ergeben sich oft sehr schöne Erfolge. Parästhesien in
den Respirationsorganen, denen wir ja häufig im Beginn asthmatischer
Attacken begegnen, schwinden unter Kühleanästhesie häufig prompt und dauernd.
So berichtet ein 33jähriger Universitätslehrer nach 1⁄4 Jahr Üben: „Es gelang mir
zu meiner Überraschung schon in der 2.Woche eine leichte, vom Arzt als sympathi-
kotonisch bezeichnete Störung zu beseitigen. Ich hatte seit vielen Jahren morgens
beim Erwachen meistens ein sehr unangenehmes Kitzeln im Halse, das sich oft zu
Husten und Brechreiz steigerte und gewöhnlich mehrere Minuten dauerte. Auf
entsprechende Konzentration „Hals ist kühl, Hals ist ruhig“ hörte das unange-
nehme Gefühl momentan auf und ist auch bisher nicht mehr zurückgekehrt,
bzw. es kann beim leisesten Anflug sofort behoben werden.“
10. 50jährige früher berufstätige Arztgattin. Sämtliche Kinderkrankheiten,
Neigung zu Katarrhen. Mütterlicherseits bis zu den Großeltern Asthma. Erster
Anfall mit 14 Jahren im Anschluß an starke seelische Erregung verbunden mit
Angstgefühlen, dann zunächst keine echten Anfälle, aber geringe Kurzatmigkeit
nach Anstrengung. 24jährig Lungenentzündung. Vom 29. Jahre ab Asthma-
anfälle, die sich immer mehr häuften. Zunächst Kupierung mit Morphium.
Intoxikation, Klimakur und Entwöhnung mit Erholung. Etwa 1 Jahr Ruhe,
dann wieder Anfälle. Kupierung mit Adrenalin und Hypophysin. 39jährig
Grippe mit Lungenentzündung, mehrere Kuren, Ponndorf-Impfung, ohne
Besserung. 4ljährig Ehe. Völlig entlastende Lebensverhältnisse. Vielfachste
Klima-, Injektions- usw. Behandlungen. Zunehmende Verschlechterung. Atem-
not vielfach so stark, daß Gehen beinahe unmöglich. 48jährig glatt laufendes
Training. In vier Stägig getrennten Sitzungen. Konsequentes Weiterüben,
nach 2 Monaten vollkommen frei von jeder Atemnot für 2 Jahre. Treppen-
steigen, Tanzen, Hausarbeit ohne Beschwerden. Dann infektiöse Gastritis,
Darmgeschwür, 21 Pfund Gewichtsverlust, leichter Rückfall, erneutes intensives
Training, weitere 21, Jahre völlig gesund und leistungsfähig.
11. 35jährige Büroangestellte. Seit 18. Lebensjahr Heufieber mit asthma-
tischen Beschwerden. Seit 4 Jahren gehäufte schwere asthmatische Anfälle,
zeitweise starker Morphiumgebrauch, universale Therapie an den verschiedensten
Kliniken und Krankenhäusern. Ausgleich verschiedenster Überempfindlichkeiten,
erfolglose Versuche mit Diätbehandlung, Hydrotherapie usw. 28jährig trainiert.
Zur Frage des Asthma bronchiale 41
Glatter Verlauf, gute Darstellung der typischen Haltung. Unterstützung durch
analytische Konfliktberatung. 5 Jahre völlig asthmafrei. Voll berufsfähig.
12. 60jährige Professorentochter mit schwerem Asthma seit der Pubertät;
universelle Therapie an führenden Universitätskliniken, trotzdem Weiterbestehen
des oft wochenlang völlig lebenzerstörenden Leidens, bis Frühjahr 1926. Syste-
matische typische Trainierung. Bericht jetzt mit 66 Jahren: „Anfälle von Asthma
habe ich in der Zeit nicht mehr gehabt. Die früher oft eintretende Schlaflosig-
keit ist behoben, die Qualität des Schlafes sehr verbessert. Allgemeine Wider-
standsfähigkeit der Nerven sehr gestärkt, keine schlaflosen Nächte vor Reisen,
kein Reisefieber, größerer Gleichmut gegen äußere und innere Störungen. Im
2. und 3. Trainingsjahr schwere infektiöse Bronchitis, zeitweise an der Grenze
von Bronchopneumonie. Nur noch gelegentlich gewisse leichte Spannungs-
gefühle in den Atmungsorganen bei besonders schweren körperlichen oder seeli-
schen Belastungen.“
Sicher ist es kein Zufall, daß es sich bei diesen besonders eindrucksvollen
Fällen um berufstätige Frauen, also um Menschen handelt, die durch jahrelange
Selbsterziehung soviel Disziplin erwarben, daß sie zu einer wirklich konsequenten
und ausdauernden Übungsarbeit fähig waren. Gerade die Abstellung der fal-
schen asthmatischen Haltungen und Reaktionen erfordert ein sehr konsequentes
und genaues Übungsarbeiten, wenn ein wirklich durchschlagender Erfolg erzielt
werden soll. Das hierzu notwendige Gemisch von Disziplin, Energie und Ge-
duld wird sich aber gerade bei intelligenten arbeitenden Frauen besonders häufig
finden. Auch der Gesichtspunkt, daß weibliche Menschen in der ertragenden
passiven Energie dem männlichen Geschlechte meist überlegen sind, darf gerade
bei der Bekämpfung des Asthmas mit unserer Methode nicht übersehen werden.
Unter den 28 genau verfolgten Fällen befinden sich 11 männliche und 17 weib-
liche Patienten; völlige Symptomfreiheit über mindestens 4 Jahre erreichten
4 Männer und 7 Frauen, wesentliche Besserung, d. h. nur von ganz seltenen, bei
überstarken psychischen Erregungen auftretenden Anfällen unterbrochene,
sonst völlige Lebens- und Leistungsfähigkeit nach früherer jahrelanger schwerer
Krankheit 5 Frauen und 2 Männer; bei dem Rest der Fälle wurden zwar zeit-
weise Besserungen angegeben, die sich aber bei dem bekannten launenhaften
Verlaufe des Leidens nicht verwerten ließen, nur 3 Frauen und 1 Mann zeigten
überhaupt keinerlei Reaktion.
Die Annäherung der Atemkurve im autogenen Training an die gelöste Nacht-
schlafatmung, insbesondere die Erleichterung fließender Ausatmung wirken
unterstützend. Jede Anstrengung ist bei labilen Kranken schädlich, weshalb
Atemübungen bei Laien so oft Nachteil bringen; dagegen wird dem patho-
logischen Lufthungergefühl nach der Exspiration durch die Formel:
Ein! ... Aus! ... Pause!
entgegengearbeitet. l
Auf die oft entscheidende Bedeutung von guten, vorsichtigen Atemübungen
(Hofbauer!) sei besonders verwiesen. Insbesondere das Vorwölben des Bauches
bei der Inspiration und die dadurch gesetzte Zwerchfellsenkung ist sehr wichtig,
neigt doch der lufthungerig gequälte Asthmatiker besonders dazu, bei der Inspira-
tion den Bauch pressend einzuziehen und so die Atemexkursion einzuengen.
Parallel mit diesen Maßnahmen ist zunächst ein Bild des Lebensschick-
sals der Kranken sowohl nach Entwicklung als aktuellen Lage zu erarbeiten;
42 J. H. Schultz, Zur Frage des Asthma bronchiale
oft sind grobe aktuelle Angstquellen der banalen Formen unverkennbar („Asthma
als Angstneurose“). Nicht selten allerdings bleibt die erweiterte klinische
„Psychoanamnese“ negativ. Bei diesen Fällen liegt die Gefahr besonders nahe,
in fruchtloser Suche nach fragwürdigen körperlichen Auslösungen die spezifische
analytische Erschließung zu verpassen. Sie sollte in keinem bei dem bisherigen
Schema psychotherapeutischen Vorgehens refraktären Falle versäumt werden,
allermindestens in Form einer einmonatlich täglich einstündigen analytischen
Diagnostik. Spontanzeichnungen nach C. G. Jung, Assoziations- und Ror-
schachversuche, kathartisch-analytische Hypnosen ..., kurz jedes Instrument
des psychotherapeutischen Arsenals sind an solche Fälle heranzubringen, auch
— bei genügender Erfahrung und Ausbildung des Arztes! — intuitive „An-
schiebungen“ im Sinne von Stekel. Es werden dann gar manche Fälle, die
sonst im Nursomatischen fruchtlos versanden, den psychischen Faktor erkennen
und günstigen Falles anfassen lassen. |
Die allgemeinen physiologischen Grundlagen der Neurologie.
IV. Teil.
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems
(Fortsetzung)
von Kurt Wachholder in Breslau.
II. Die Unterschiede zwischen der Tätigkeitsform des zentralen und der
des peripheren Nervensystems.
Im letzten Abschnitte dieser Betrachtungsreihe wurde damit begonnen,
die Art und Weise der Tätigkeit des zentralen Nervensystems mit derjenigen
des peripheren zu vergleichen. Es ergaben sich da eine Reihe von Unterschieden,
von welchen dann die folgenden schon genauer erörtert wurden: 1. Unterschiede
in der Größe des Stoffwechsels; 2. in der Ermüdbarkeit, 3. im zeitlichen Ab-
laufe des Erregungsvorganges, 4. in der Richtung der Erregungsleitung, 5. in
der Umgestaltung der Erregungen und 6. im funktionellen Zusammenhange
der einzelnen Teile, sich ausdrückend in der Irradiation und Integration der
einzelnen Erregungen. Setzen wir die Liste dieser Unterschiede fort, so wäre
als nächster zu konstatieren eine
7. auffällige Schwankung der Erregbarkeit und Leistungs-
fähigkeit des ZNS (Summationen, Bahnungen, Hemmungen)
im Verhältnis zu der fast absoluten Konstanz derselben, wie sie für den peri-
pheren motorischen Nerven unter normalen Verhältnissen charakteristisch ist.
Jedem, der sich mit irgendwelchen zentralnervösen Reaktionen beschäftigt,
fällt alsbald auf, daß diese — auch unter sonst normalen Verhältnissen — sich
ganz verschieden verhalten; einmal sind sie leicht auslösbar, ein andermal schwer
oder sogar zeitweise überhaupt nicht, einmal fallen sie stark aus, ein andermal
schwach. Der diagnostizierende Neurologe muß dieser typischen Eigenschaft
zentralnervöser Reaktionen auf Schritt und Tritt Rechnung tragen, vor allem
aber bei der Prüfung der Auslösbarkeit von Reflexen. So leicht die bloße Kon-
statierung dieser Eigentümlichkeit ist, so schwer ist deren restlose Deutung;
denn je mehr man sich in sie vertieft, desto mehr muß man erkennen, daß es
sich hier nicht um ein einheitliches Phänomen handelt, sondern um mehrere,
wenn auch offenbar verwandte und manchmal schwer gegeneinander abgrenz-
bare Vorgänge.
Zwar kann man immer wieder feststellen, daß die Schwankung der Erreg-
barkeit bzw. Leistungsfähigkeit sich offenbar mit dem gleichzeitigen Vorhanden-
sein oder Vorangehen einer anderen zentralnervösen Erregung in Verbindung
bringen läßt, daß die fraglichen Schwankungen sich demnach möglicherweise
alle einheitlich auf Interferenzen von Erregungen bzw. von Erregungswirkungen
44 Kurt Wachholder
zurückführen lassen. Insoweit scheint das Phänomen allerdings schon ein-
heitlich zu sein und darum ist es auch unter diesem Gesichtspunkte im fol-
genden einheitlich in einem einzigen Abschnitte behandelt. Anders wird es
dagegen, wenn man dem Wesen dieser Interferenzen näher auf den Grund geht;
denn da hat sich ergeben, daß sie augenscheinlich auf mehrere grundverschiedene
Arten zustande kommen können. Dies gilt nun sowohl für die Steigerungen,
die sog. Summations- bzw. Bahnungserscheinungen, als auch für die Herab-
setzungen, die Hemmungserscheinungen.
Es ist verführerisch, bei der folgenden eingehenden Besprechung von den
bei der ursächlichen Analyse bis jetzt festgestellten verschiedenen Arten von
solchen Interferenzen auszugehen. Dieser Weg soll aber nicht beschritten werden
wegen der Gefahr, zu weit ins Theoretische abzuirren. Statt dessen soll ein
Einteilungsprinzip benutzt werden, welches vielleicht nicht so tiefgründig ist,
dafür aber den Vorzug der praktischen Anschaulichkeit und Brauchbarkeit
besitzt, nämlich die Einteilung nach dem Ausgangspunkte und den Wegen,
welche die einzelnen zur Interferenz kommenden Erregungen nehmen. In
dieser Hinsicht sind nun zu unterscheiden: 1. Erregbarkeits- bzw. Leistungs-
schwankungen durch Interferenzen sich wiederholender gleichartiger Erregungen,
also von Erregungen, welche von demselben Punkte ausgehen, auf derselben
Bahn hintereinander ablaufen, und 2. Schwankungen durch Interferenzen
verschiedenartiger, von verschiedenen Bahnen aus zusammentreffender Er-
regungen. Die hervorgehobene praktische Brauchbarkeit einer solchen Ein-
teilung liegt nun darin, daß die praktisch neurologisch unterschiedenen Arten
von Reflexen, zumal Hautreflexe einerseits und Muskel- (Sehnen-) Reflexe an-
dererseits, sich dann auch in diesem Punkte genau so scharf voneinander ab-
heben, wie dies in den vorangegangenen Abschnitten für verschiedene andere
Fähigkeiten aufgezeigt wurde.
a) Interferenzwirkungen durch Wiederholung gleichartiger
Erregungen.
Es ist schon eine etwa 60 Jahre alte und seitdem in zahlreichen Unter-
suchungen an Tieren und Menschen wiederholte Beobachtung, daß es zu einer
starken Steigerung der Wirkung zu kommen pflegt, wenn dem ZNS mehrmals
kurz hintereinander dieselbe schwache sensible Erregung zufließt, z. B. durch
wiederholte schwache Berührung oder auch elektrische Reizung einer und der-
selben Hautstelle.
Für diese Erscheinung hat sich bekanntlich die Bezeichnung Summation
eingebürgert. Diese Summation zeigt sich nun in zwei verschiedenen Formen;
einmal als Summation einzeln unwirksamer Reize (beim ZNS würde man besser
Erregungen sagen, s. u.) zu einer deutlich wahrnehmbaren Wirkung (die „addition
latente“ [Richet] der Franzosen) und zweitens als Summation einzelner unter-
maximaler Reize (Erregungen) zu einer stärkeren bzw. maximalen Wirkung.
Dies ist aber nur ein äußerlicher Unterschied, da beide Male ein und dasselbe
Geschehen ursächlich zugrunde liegt. Nach Untersuchungen von Sherrington
und seinen Schülern (siehe Denny Brown) handelt es sich auch im zweiten
Falle um eine addition latente in denjenigen Neuronen des betreffenden Zen-
trums, welche eine so hohe Reizschwelle haben, daß sie auf den für die anderen
Neurone schon überschwelligen Einzelreiz noch nicht ansprechen.
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 45
Summationserscheinungen sind mit ganz wenigen Ausnahmen überall im
ZNS anzutreffen. Nach P. Hoffmann geht die Fähigkeit zur Summation
lediglich dem einfachsten aller Reflexbögen, demjenigen der Eigenreflexe, ab
(s. auch Sternberg, S. 79ff.). Neuerdings ist dasselbe allerdings noch für den
Zungen-Kieferreflex (Cardot und Laugier) und für den Fingergrundgelenk-
reflex (Mayer) gefunden worden. Die Muskeleigenreflexe (Sehnenreflexe) bilden
aber immer noch die weitaus wichtigste Ausnahme. Wie in den vorangegangenen
Abschnitten geschildert, werden bei dieser Art von Reflexen noch mehrere
andere sonst für zentralnervöse Reaktionen typische Eigenschaften vermißt.
Alles dies läßt sich am einfachsten durch die Annahme erklären, daß in dem
Bogen der Eigenreflexe eine Schaltstation fehlt, der wir die verschiedenen
typischen zentralnervösen Eigenschaften, darunter auch die Fähigkeit zur Sum-
mation, zuschreiben müssen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls muß man
wohl aus dem Fehlen von Summationserscheinungen bei einer Art von Reflexen
schließen, daß dem letzten motorischen Neuron (oder, um nichts zu präjudizieren,
der allen zentralnervösen Reaktionen gemeinsamen letzten Strecke) die Fähig-
keit zur Summation abgeht, oder daß jedenfalls normalerweise die Summation
sich vor demselben abspielt.
Wenn dem gegenüber, wie gesagt, bei allen anderen dem ZNS zufließenden
Erregungen Summationserscheinungen zu beobachten sind, vor allem aber in
ganz auffälligem Maße bei allen Reaktionen auf Hautreizungen, so läßt sich
letzteres nicht etwa lediglich darauf zurückführen, daß hier die Summation
schon in den peripheren Sinnesorganen stattfindet. Sie läßt sich nämlich genau
so gut bei direkter Reizung der sensiblen Hautnerven beobachten. Es soll
natürlich nicht bestritten werden, daß in manchen Fällen, z. B. bei Juckreizen,
eine lokale Reizsummation in der Haut zu der Summation der durch das ZNS
fortgeleiteten Erregungen hinzukommen mag. Das Wesentlichste ist aber sicher
die Summation im eigentlichen zentralen Nervensystem, was Lapicque noch
direkt durch den Befund bewies, daß die Summationsfähigkeit nur durch eine
lokale Temperaturänderung des Rückenmarks beeinflußt wird, nicht hingegen
durch eine solche der Peripherie.
Nebenbei sei erwähnt, daß man ebenso wie bei der künstlichen Reizung
eines jeden Gewebes (Steinach), so auch bei der direkten elektrischen Nerven-
oder Gehirnreizung mit einer Summation der Reizwirkungen an der unmittelbar
betroffenen Stelle rechnen muß (K. Lucas), aber diese Art von Summation
kann hier vernachlässigt werden, da sie von einer ganz anderen, viel geringeren
Größenordnung ist als die hier behandelte Summation der sich fortpflanzenden
Welche außerordentlich große Rolle die Erregungssummation in der Funktion
des ZNS spielt, ergibt sich daraus, daß dieses — ausgenommen nur die Muskel-
eigenreflexe und den Zungen-Kieferreflex — normalerweise auf Einzelerregungen
überhaupt nicht mit einer Entladung reagiert, sondern immer nur auf eine
tetanische Folge von sensiblen Erregungen. Dies bedeutet aber eine vollkommene
Anpassung an die normalen Bedürfnisse; denn wie die in den letzten Jahren
von Adrian und seinen Schülern durchgeführten Registrierungen der Aktions-
ströme einzelner sensibler Nervenfasern ergeben haben, läuft bei allen dem ZNS
normalerweise zufließenden sensiblen Erregungen, welcher Art sie auch sein
mögen, über das einzelne Element stets eine länger dauernde Serie von schnell
46 Kurt Wachholder
aufeinander folgenden Einzelimpulsen ab. Die Frequenz derselben scheint selbst
bei den schwächsten sensiblen Erregungen nie unter 5—10 pro Sekunde zu sinken
und bei allen einigermaßen starken Erregungen ein Mehrfaches hiervon zu be-
tragen. Die Elemente des ZNS werden demnach normalerweise stets durch eine
tetanische Impulsfolge in Erregung versetzt. Die einzige bekannte Ausnahme
hiervon bilden nun eben die Muskeleigenreflexe (Sehnenreflexe), bei welchen
z. B. bei der üblichen klinischen Auslösung derselben dem ZNS nur ein Einzel-
impuls zufließt. Das Fehlen der Summation gerade bei diesen und ihr Vorhanden-
sein bei allen anderen Reflexen ist also als Anpassungserscheinung an die Art
des normalen sensiblen Erregungsstroms durchaus verständlich. Dieser Unter-
schied ist aber, wie E. Th. Brücke ausgeführt hat, auch teleologisch verständlich.
Man kann die Bedeutung der Tatsache, daß das ZNS auf Hautreize erst durch
Summation reagiert, darin erblicken, daß so der Organismus nicht der Spielball
jedes einzelnen flüchtigen zufälligen Außenreizes wird. „Nur in jenen Fällen,
in denen es auf eine besonders rasche Reaktion des Muskels ankommt, wie z. B.
bei den Sehnenreflexen (Schutz vor Überdehnung des Muskels usw.) oder beim
Zungen-Kieferreflex (Schutz der Zunge vor einem Bisse) löst schon eine einzelne
Erregungswelle den Reflex aus.“
Im einzelnen hängt das Zustandekommen einer Reflexwirkung durch
Summation ab einerseits von dem Zustande des ZNS — ermüdet oder nicht
usw. — und dann von der Stärke der Reize, von deren Frequenz und deren
Zahl. Hierüber gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, von denen die-
jenigen von L. und M. Lapicque sowie von Mangold, Matthaei genannt
seien (Lit. bei Brücke). Bemerkenswert ist, daß die beim Tier gefundenen
Gesetzmäßigkeiten nach Riddoch, sowie Marinescu, Radovici und Ras-
canu auch für den Menschen gelten. Diese Autoren untersuchten bei Patienten
mit totaler oder fast totaler Querläsion des Rückenmarks die Summation beim
Beugereflex auf Reizungen der Fußsohle.
Besonderes Interesse beansprucht die Frage nach der geringsten Reiz-
frequenz, bei welcher eben noch eine Summation nachweisbar ist, bzw. die
Frage nach der Dauer der die Summation verursachenden Zustandsänderung
im ZNS. Hier wurde schon von Stirling für den Beugereflex ein Wert von
etwas über 1 Sek. gefunden und später von Sherrington ein ebensolcher für
den Kratzreflex des Hundes. Für die gekreuzten Streckreflexe, bei welchen
nach ihrem allmählich einsetzenden, stufenweise sich verstärkenden Ablaufe
(Rekrutierung von Liddell und Sherrington) Summationen eine ausgie-
bigere Rolle zu spielen scheinen als beim Beugereflex (Eccles und Granit),
scheint die äußerste Summationszeit leider noch nicht genau bestimmt worden
zu sein. Falls sich auch bei dieser Art von Reflexen nur eine solche von der
Größenordnung von 1—2 Sek. finden würde, dann läge hier ein durchgreifender
quantitativer Unterschied zwischen der Summationsfähigkeit des Rücken-
marks und derjenigen der höheren Teile des ZNS vor, welcher nicht geringer
wäre als der Unterschied zwischen der Summationsfähigkeit des peripheren
Nerven und derjenigen des Rückenmarks. Vernachlässigt man diese Lücke
und hält sich an unser derzeitiges Wissen, so besteht jedenfalls ein derartiger
Unterschied; denn für alle bisher daraufhin untersuchten höheren Teile des
ZNS (Mittelhirn, Capsula interna, Großhirnrinde des Affen) sind von Graham
Brown Summationszeiten von sicher über 15 Sek. gefunden worden, ja für
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 47
die motorische Zone der Großhirnrinde sogar eine solche von 43 Sek., und dies
alles unter den hierfür ungünstigen Bedingungen tiefer Narkose.
Diese Feststellungen sind deswegen so beachtenswert, weil sie uns zeigen,
daß wir bei der so üblichen Übertragung unserer aus dem Studium der Reflex-
funktionen des Rückenmarks gewonnenen Kenntnisse auf unsere Vorstellungen
von der Funktionsweise der höchsten Teile des ZNS doch vorsichtig sein müssen.
Gewiß haben wir allen Grund zu der Annahme, daß die letzteren qualitativ
keine anderen funktionellen Fähigkeiten besitzen als das Rückenmark, aber
nach dem Obigen müssen wir doch mit der Möglichkeit von quantitativen Unter-
schieden eines ganz ungeahnten Ausmaßes rechnen. Dies ist deswegen be-
merkenswert, weil von manchen Seiten (z. B. Ebbecke) Eigentümlichkeiten
höherer geistiger Funktionen in Verbindung gebracht worden sind mit Sum-
mationen, Bahnungen und Hemmungen von Erregungen des ZNS von einem
zeitlichen Ausmaße, wie wir es vom Rückenmarke her nicht kennen. Wie dem
auch sein mag, jedenfalls dürfen nach Obigem die bekannten kurzen Ablaufs-
zeiten von Rückenmarksreaktionen gegen solche Erklärungsversuche nicht ins
Feld geführt werden.
Bei der Auffälligkeit zentralnervöser Summationen und bei der offenbaren
großen Bedeutung dieser Erscheinungen für die Erkenntnis der Funktionsweise
des ZNS ist es kein Wunder, daß der Mechanismus der Summation den Gegen-
stand sehr zahlreicher experimenteller und theoretischer Untersuchungen ge-
bildet hat. Bei allen diesen Erklärungsversuchen dreht es sich um die folgende
Alternative: Entweder wird die Summation auf eine der Erregung eine Zeitlang
nachfolgende Erregbarkeitesteigerung zurückgeführt oder auf das zeitweise
Bestehenbleiben eines Erregungsrückstandes, auf welchen sich die nachfolgende
Erregung addieren kann.
Die erstere Auffassung wurde im wesentlichen von K. Lucas (und früher
auch von Adrian) vertreten. Sie stützt sich darauf, daß im Nerven und auch
in anderen erregbaren Gebilden nach Ablauf der einer jeden Erregung folgenden
Periode der Un- und Untererregbarkeit (des absoluten bzw. relativen Refraktär-
stadiums) unter gewissen Umständen ein Stadium gesteigerter Erregbarkeit,
die sog. supernormale Phase nachzuweisen ist. Ausgehend von Versuchen an
geschädigten (streckenweise narkotisierten oder auch an stark ermüdeten)
Nervmuskelpräparaten glaubt Lucas, daß die einzelne Erregung hier, und in
ähnlicher Art auch an Blockstellen im ZNS eine Abschwächung (ein Dekrement)
erleidet und erlischt. Folgt aber eine zweite Erregung nach, und zwar im Sta-
dium der supernormalen Phase, welches die erste Erregung hinterlassen hat,
so kann sie ein Stück weiterdringen, ehe sie erlischt usw., bis es schließlich einer
der nachfolgenden Erregungen gelingt, das ZNS ganz zu durchdringen.
Gegen diesen Erklärungsversuch läßt sich mancherlei einwenden: Erstens,
daß die supernormale Phase im Nerven überhaupt nur unter nicht ganz nor-
malen Bedingungen zu beobachten ist, nämlich nur bei saurer Reaktion der
Umgebung (Adrian). Dem kann allerdings wieder entgegengehalten werden,
daß sie bei einem nervösen Zentrum, und zwar dem Schluckzentrum, auch
unter anscheinend ganz normalen Bedingungen nachweisbar war und dabei
sogar in der recht erheblichen Länge von 2—24 Sek. (Isayama, Reisch).
Zweitens hat man eingewandt, daß auf diese Weise manche kompliziertere
Erscheinungen nicht oder nur schwer erklärbar sind (Matthaei). Der schwer-
48 Kurt Wachholder
wiegendste Einwand ist aber der dritte, von Bremer erhobene, daß beim peri-
pheren Nerv-Muskelpräparat, von welchem Lucas seine Anschauung her-
genommen hat, das Optimum der Summation gar nicht dann vorhanden ist,
wenn der zweite Reiz in einem solchen Abstande folgt, daß er in die supernormale
Phase des ersten fällt, sondern dann, wenn er sich noch in der relativen Re-
fraktärperiode des ersten befindet. So ist es verständlich, daß die Lucas-
sche Theorie jetzt kaum noch Anhänger besitzt, während die andere Theorie,
daß die Summation auf dem zeitweiligen Bestehenbleiben eines irgendwie gear-
teten Erregungsrückstandes beruht — die an und für sich älter ist (F. W. Fröh-
lich, Verworn) —, jetzt von sehr vielen Seiten vertreten wird (Ebbecke,
Matthaei, Sherrington, Lapicque, Bremer, Forbes, Davis und
Lambert u. a.). Man kommt auf dieser Grundlage sogar zu einer recht gut
mit den experimentellen Beobachtungen übereinstimmenden mathematischen
Behandlung der ganzen Erscheinung (Lapicque, Bremer).
Über die Art des Rückstandes sind verschiedene Ansichten ausgesprochen
worden. Sherrington dachte zunächst an die Bildung von chemischen Reiz-
stoffen (in Analogie zum sog. Herzvagusstoff von O. Loewi), deren Konzen-
tration von der Frequenz der Erregungen abhänge. Er hat aber diese Auf-
fassung neuerdings selbst fallen lassen, da er einige gemeinsam mit Eccles
gemachte Beobachtungen hiermit nicht vereinigen kann. Statt dessen denkt
er jetzt an einen physikalisch-chemischen Prozeß, nämlich an eine partielle
Depolarisation der elektrisch polarisierten Membran, von welcher nach unserer
derzeitigen Vorstellung jedes erregbare Gebilde umgeben ist.
Diese letztere Auffassung hat nun durch die neuesten Untersuchungen der
am ZNS zu beobachtenden elektrischen Erscheinungen eine sehr gewichtige
Stütze erhalten. Eine solche fragliche Depolarisation kommt nämlich auf die
Existenz eines elektrischen Potentialgefälles heraus und müßte sich als solches
durch die Ableitbarkeit relativ langsam ablaufender Stromschw ver-
raten. Derartige langsame Stromschwankungen sind aber nun, wie schon in
Bd. 4, H. 3 (1932) geschildert, tatsächlich in neuester Zeit von Berger am
menschlichen Gehirn und von Adrian und Mitarbeitern am ZNS verschiedener
Tiere neben den bekannten schnellen und frequenten Aktionsstromschwankungen
aufgefunden worden. (Dabei wäre nachzutragen, daß Berger inzwischen seine
Befunde mit einem einwandfrei registrierenden Oszillographen voll bestätigen
konnte, so daß der seinerzeit diesbezüglich gemachte kritische Vorbehalt hin-
fällig geworden ist.)
Mit Hilfe eines technischen Kunstgriffes sind übrigens schon vor den ge-
nannten Befunden am ZNS solche „Depolarisationswellen“ von Verzär am
peripheren Nerven nachgewiesen und auch schon auf eine lange Nachwirkung
des schnellen phasischen Aktionsstromvorganges bezogen worden. Dabei machte
dieser noch die im vorliegenden Zusammenhange wichtige Feststellung, daß die
Abnahme der Polarisation ‚sich bei tetanischer Reizung summiert und einen
lange dauernden Rückstand der Erregung gibt“. Gegen die Zurückführung
der Summationserscheinungen auf das Bestehenbleiben eines länger dauernden
Erregungsrückstandes konnte vor noch gar nicht langer Zeit Brücke bei einer
zusammenfassenden Darstellung dieses Gebietes den Einwand machen, daß
bisher noch niemand an einfachen nervösen Erregungswellen, z. B. im peri-
Pheren Nerven einen „Rückstand“ beobachtet habe, zu dem sich eine weitere
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 49
Erregungswelle addieren könnte. Dieser Einwand ist durch die eben erwähnten
Untersuchungen von Verzär für das periphere und von Berger, sowie Adrian
für das zentrale Nervensystem voll entkräftet worden, so daß man diese Theorie
der Summation als z. Z. recht gut gestützt ansehen muß.
Dabei kann zur weiteren Stützung dieser Vorstellung schließlich noch die
folgende Beziehung herangezogen werden. Wenn solche langdauernden Er-
regungszustände im ZNS existieren, so sollte man erwarten, daß sie unter geeig-
neten Umständen, nämlich bei entsprechend hoher Erregbarkeit desselben, sich
auch in wahrnehmbaren längerdauernden motorischen Entladungen äußerten.
Bekanntlich sind ja aber auch solche Nachentladungen auf einen einzelnen bzw.
kurzdauernden Reiz in der Tat eine für sehr viele zentralnervöse Reaktionen
typische Erscheinung und aus vielen Einzeluntersuchungen, vor allem wieder
von Sherrington und seinen Schülern, ergibt sich, daß bei allen denjenigen
zentralnervösen Reaktionen, bei welchen die Summation eine besondere Rolle
spielt, auch die Erregungsnachentladungen besonders ausgeprägt sind.
Übrigens sind auch beim normalen Menschen solche Erregungsnachent-
ladungen nichts Unbekanntes. Wenigstens sind nach Matthaei die bei allen
Menschen zu beobachtenden unwillkürlichen Nachkontraktionen bzw. Nach-
bewegungen nach kürzeren heftigen Willkürkontraktionen, die in der neuro-
logischen Literatur unter dem Namen Kohnstammsches Phänomen bekannt
sind, als solche Erregungsnachentladungen aufzufassen.
Zu den sehr häufig zu beobachtenden Eigentümlichkeiten zentralnervöser
Reaktionen gehört nun auch das Gegenstück zur eben besprochenen Sum-
mation, also die Erscheinung, daß bei kurz hintereinander wiederholtem Er-
regungsablauf die Entladung des ZNS sich nicht verstärkt, sondern im Gegenteil
abschwächt. Auch hier besteht wieder dieselbe Alternative, welche wir vorhin
bei der Besprechung des Mechanismus der Summation erörtert haben. Wie
weit beruht die Abschwächung der zentralnervösen Reaktion auf einer
Veränderung der Erregbarkeit und wie weit auf der Veränderung eines Zu-
standes, von dem die Stärke der Erregungsentladung abhängt }
Prüft man die einzelnen zentralnervösen Reaktionen auf diese Alternative
hin, so ergibt sich folgendes Bild. Bei einigen, und zwar vor allem bei den Haut-
reflexen (z. B. Kratzreflexen) sieht man bei mehrmaliger nicht zu seltener Wieder-
holung ihrer Auslösung eine Abschwächung bis zum völligen Ausbleiben einer
jeden sichtbaren Reaktion. Man pflegt dann von einer raschen Ermüdung
dieser Reaktionen zu reden (vgl. Abschnitt 2 dieses Kapitels). Den Einzelheiten
des Verhaltens nach ist kaum zu zweifeln, daß eine solche „Ermüdung“ sicher
zum größten Teile auf einem zeitweiligen Sinken der Erregbarkeit beruht, welches
sich bei zu schneller Wiederholung bis zur zeitweiligen völligen Unerregbarkeit
steigert. Anscheinend spielt hier aber noch ein zweiter Faktor hinein, welcher
bei den Muskeleigenreflexen (Selınenreflexen) besonders rein und klar hervor-
tritt. Die Muskeleigenreflexe bleiben, wie im 2. Abschnitte auch schon aus-
führlich erörtert, bei noch so frequenter und langdauernder Erregung immer
noch auslösbar, weshalb sie von P. Hoffmann als praktisch unermüdbar be-
zeichnet werden. Diese Bezeichnung dürften sie auch zu Recht verdienen,
obgleich auch bei ihnen Wirkungen von Erregungsinterferenzen festzustellen
sind, die rein äußerlich einer Ermüdungserscheinung sehr ähnlich sehen. Sie
Neurologie v, 1 4
50 Kurt Wachholder
fallen nämlich um so kleiner aus, je frequenter man sie auslöst (Strughold),
und dies noch bei Abständen von mehreren Sekunden. Da aber nach unserem
Wissen bei einem solchen zeitlichen Abstande die der Erregung folgende Phase
verminderter Erregbarkeit, das Refraktärstadium schon längst vorüber ist, so
kann diese Leistungsverminderung nicht hierauf bezogen werden, und insofern
ist es durchaus berechtigt, sie von der eben genannten auf dem Refraktärstadium
beruhenden „Ermüdung“ zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Summation
sind demnach hier bei der Abschwächung beide Möglichkeiten der obigen Alter-
native verwirklicht, allerdings bei den einzelnen Arten von zentralnervösen
Reaktionen in ganz verschiedenem Maße.
Wie haben wir uns nun das Zustandekommen dieser zweiten Art vorüber-
gehender Reaktionsabschwächung nach einer zentralnervösen Entladung genauer
vorzustellen? Was zunächst die Bezeichnung anbetrifft, so pflegt man einen
solchen Zustand vorübergehender verminderter Leistungsfähigkeit entweder als
Ermüdung oder unter gewissen anderen Umständen als Hemmung zu bezeichnen.
Bei der Wahl einer dieser beiden Bezeichnungen sollte man, streng genommen,
so vorgehen, daß man von Ermüdung immer nur dann redet, wenn der Zustand
vorübergehender Leistungsverminderung die Folge einer vorangegangenen Ar-
beitsleistung bildet. In diesem Falle hieße das, wenn sie die Folge einer zentral-
nervösen Entladung ist. Dies trifft ja auch für den ersten auf dem Refraktär-
stadium beruhenden, soeben als Ermüdung bezeichneten Fall der Reaktions-
abschwächung vollkommen zu. Bei der Benennung als Hemmung sollte man
hingegen fordern, daß die Leistungsverminderung von einer vorangehenden
Entladung unabhängig ist, das heißt, daß sie auch in Neuronen nachweisbar ist,
welche sich auf die erste Erregung hin nicht entladen haben, sondern nur unter-
schwellig erregt wurden. Eben dies konnten nun Eccles und Sherrington
beim Beugereflex zeigen, bei welchem ebenfalls das fragliche Stadium vermin-
derter Leistungsfähigkeit, allerdings nicht von derselben Länge wie bei den
Muskeleigenreflexen, aber immer noch von einer Dauer bis zu ?/ Sek., vorhanden
ist. Außerdem fanden sie hier noch andere für die zentralnervösen Hemmungen
typische Kennzeichen, so daß ihre Auffassung, daß diese zweite Art von zentral-
nervöser Reaktionsabschwächung durch die Ausbildung eines besonderen Hem-
mungszustandes zustande komme, wohl begründet erscheint. Möglicherweise
spielt hier noch das hinein, was man bei den Sinnesorganen Reizgewöhnung
(Adaptation) nennt. Man denke daran, daß ein längerwährender oder oft wieder-
holter Druck auf eine Hautstelle, z. B. von den Kleidern, bald gar nicht mehr
gefühlt wird. Der Wirkung nach handelt ee sich um das Gleiche oder zumindest
um nahe Verwandtes, und auch das Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Er-
müdung,:nämlich Zustandekommen auch bei unterschwelliger Erregung, ist
dasselbe. Da aber über den ursächlichen Mechanismus der Reizgewöhnung noch
nichts Genaueres bekannt ist, sei nach der Erwähnung des möglichen Hinein-
spielens dieser Erscheinung nicht näher darauf eingegangen, um das ohnehin noch
sehr trübe Bild, das wir von den zentralen Hemmungen besitzen, nicht noch
mehr zu verdunkeln.
Diesen fraglichen Hemmungszustand stellen die Autoren nun dem oben
erwähnten Erregungszustande gegenüber, auf dessen Ausbildung nach ihrer
Auffassung die Summation zurückzuführen ist. Auch ihre spezielle Vorstellung
von der Natur dieses Hemmungszustandes steht ganz in Analogie zu der Vor-
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 51
stellung von der Natur des Erregungszustandes. Wie oben erörtert, führen sie
den letzteren auf eine physikalisch-chemische Zustandsänderung, und zwar auf
eine Depolarisation der Zellengrenzschichten, zurück. Dementsprechend legen
sie dem Hemmungszustande die entgegengesetzte Veränderung, also eine Ver-
stärkung der Membranpolarisation zugrunde. Die Grundauffassung, daß sich
an jede zentralnervöse Erregung eine zeitweilige zentrale Leistungsverminderung
anschließt, die auf einer zentralen Hemmung beruht, ist natürlich von dieser
ganz speziellen Vorstellung der letzteren völlig unabhängig.
Die funktionelle Bedeutung dieser an einen Rückenmarksreflex sich an-
schließenden Leistungsverminderung bzw. Hemmung wird am besten erst im
Anschluß an den nächsten Abschnitt erörtert; denn bei den dort besprochenen
Interferenzen der Reflexe mit anderen Erregungen, zumal mit der unwillkür-
lichen, wirkt sie sich erst richtig aus.
Hingegen sei an dieser Stelle noch besonders auf ähnliche (identische ?),
in den Großhirnhemisphären sich abspielende Erscheinungen hingewiesen, auf
die Pawlow seine Theorie des Schlafes aufgebaut hat. Pawlow beobachtete,
daß eine häufige Wiederholung eines und desselben bedingten (d. h. im indi-
viduellen Leben erworbenen) Reflexes ohne ein Dazwischentreten anderer Reize
bzw. Reflexe unweigerlich zu einem zeitweiligen Erlöschen dieses Reflexes führt.
Dazu kommt es auch, wenn der diesen bedingten Reflex auslösende Reiz sehr
stark ist, z. B. aus einem äußerst kräftigen elektrischen Hautreize besteht. Er
konnte analog dem oben Angedeuteten nachweisen, daß dieses Erlöschen nicht
auf einer Ermüdung, sondern auf einer Hemmung beruht. Diese, wie er sie
nennt, innere Hemmung bleibt aber nicht lokalisiert, sondern breitet sich all-
mählich aus. Sie ergreift nicht nur alle anderen bedingten Reflexe, sondern
auch die unbedingten (angeborenen); d. h. sie ergreift nach und nach nicht nur
das ganze Großhirn, sondern darüber hinaus noch weitere Teile des ZNS. Nun
beobachtete Pawlow weiter, daß seine Versuchstiere unter diesen Bedingungen
regelmäßig schläfrig wurden, ja in tiefen Schlaf fielen. Er kommt daraufhin zu
dem Schlusse (und wird darin noch durch eine Reihe von Einzelbeobachtungen
bestärkt), daß ,der Schlaf und die innere Hemmung ihrem Wesen nach ein und
derselbe Prozeß seien“ (s. auch S. 60).
So interessant und bedeutungsvoll die Feststellungen und Deduktionen
von Pawlow zweifellos sind, so kann nach neueren anderseitigen Untersuchungen,
insbesondere denen von Hess, doch kaum ein Zweifel sein, daß man allein von
ihrem Boden aus nicht zu einer erschöpfenden Vorstellung vom Wesen des
Schlafes gelangt. Dasselbe dürfte in erhöhtem Maße von der menschlichen
Hypnose gelten, die Pawlow ganz in den gleichen Vorstellungskreis einbeziehen
möchte.
Schließlich ist, wenn auch nicht regelmäßig, so doch durchaus nicht selten,
noch eine dritte Folge häufiger Wiederholung derselben zentral-
nervösen Reizung bzw. Erregung zu beobachten. Diese besteht darin,
daß nicht nur die ursprüngliche Reaktion immer schwächer wird (, ermüdet“),
sondern daß es nach einigen Wiederholungen sogar zur entgegengesetzten Reaktion
kommt. So ist von Fröhlich, Graham Brown, Verworn, Beritoff u. a.
beim Tier und von Böhme beim Menschen bei mehrfacher Wiederholung des-
selben ursprünglich einen Beugereflex auslösenden sensiblen Reizes plötzlich
das Auftreten von Streckreflexen beobachtet worden und umgekehrt. Das heißt,
4*
52 Kurt Wachholder, Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems
es tritt unter gewissen Umständen, wie „Ermüdung“ durch wiederholte Aus-
lösung, aber auch bei Blutverlusten und im Schock (Verzär) eine Reflex-
umkehr bzw. Reflexumschaltung ein (siehe aber die andersartige Auf-
fassung von Beritoff). Es kommt zu dem, was der Neurologe einen para-
doxen Reflex nennt. Übrigens ist diese Umkehr nicht nur bei Reflexen zu
finden, sondern nach Sherrington und Graham Brown auch bei wieder-
holter Reizung eines Punktes der motorischen Zone der Großhirnrinde. Nach
der näheren Analyse durch Verzär beruht das Phänomen auf entgegengesetzten
Erregbarkeitsschwankungen offenbar miteinander gekoppelter Beuger- und
Streckerzentren, und der Autor konnte diese und noch andere typische zentral-
nervöse Erscheinungen an einem entsprechenden hydraulischen Modelle der
Zentrentätigkeit nachahmen.
(Fortsetzung folgt.)
Die allgemeinen physiologischen Grundlagen der Neurologie.
IV. Teil.
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems
(Schluß)
von Kurt Wachholder in Breslau.
II. Die Unterschiede zwischen der Tätigkeitstorm des zentralen und der
des peripheren Nervensystems.
b) Interferenzwirkungen durch das Zusammentreffen
versohiedenartiger nervöser Erregungen.
Ganz die gleichen Steigerungen, Abschwächungen und Schaltungen, wie
sie soeben beschrieben wurden, zeigen sich auch als Folge des Zusammenwirkens
verschiedenartiger Erregungen, etwa einer reflektorischen und einer willkür-
lichen Erregung oder verschiedener reflektorischer Erregungen usw. Ja, das
Ausmaß der unter diesen Umständen zu findenden Schwankungen ist sogar nooh
ein ganz erheblich größeres als dasjenige der Schwankungen infolge der Inter-
ferenzwirkungen einer und derselben sich wiederholenden Erregung.
Zudem kommt hiermit etwas ganz Neues hinzu; denn Interferenzwirkungen
durch Wiederholung einer und derselben Erregung gibt ee auch im peripheren
somatischen Nervensystem, wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaße als
im ZNS. Interferenzen verschiedenartiger Erregungen bzw. in verschiedenen
Bahnen ablaufender Erregungen sind aber im somatischen Nervensystem aus-
schließlich dem zentralen Teile desselben vorbehalten.
Wie im 6. Abschnitte ausgeführt wurde, ist die Ausbreitung der einzelnen
Erregungen im ZNS zwar keine ubiquitäre, wie neuerdings von einigen Autoren
angenommen wird, aber doch eine derart weitgehende, daß es viel schwerer ist,
zwei verschiedene Erregungen ausfindig zu machen, die sich nicht gegenseitig
beeinflussen, als solche, bei denen dies, sei es im verstärkenden oder im ab-
schwächenden Sinne, der Fall ist. Infolgedessen ist es ganz unmöglich, hier
auch nur die wichtigsten der bekannten Beeinflussungen alle besprechen zu
wollen. Es kann sich vielmehr nur um den Versuch handeln, die Haupttypen
von Interferenzmöglichkeiten, mit denen man praktisch rechnen muß, heraus-
zuschälen und in ihrem Mechanismus verständlich zu machen.
Der einfachste Fall, der sich an den im vorigen Abschnitte besprochenen
der Interferenz durch Wiederholung derselben sensiblen Erregung unmittelbar
anschließt, ist offenbar der des Zusammenwirkens ganz gleichartiger,
nur von verschiedenen, aber funktionell gleichen Sinnespunkten bzw. sen-
eiblen Nervenfasern ausgehender Erregungen. Ein gutes Beispiel hierfür
sind die Erregungen benachbarter Hautstellen, von denen jede zu dem gleichen
Kratzreflex oder auch Beugereflex u. dgl. führt. Sherrington, der die hier
vorliegenden Verhältnisse genauer durchuntersucht hat, nennt solche Erregungen
alliierte Erregungen bzw. solche Reflexe alliierte Reflexe.
Neurologie v, 2 5
54 Kurt Wachholder
Die hauptsächlichste Folge dieser Art des Zusammenwirkens ist eine außer-
ordentliche Verstärkung der Reaktion, also eine ausgiebige Summation. Bei
gleichzeitiger Reizung zweier Hautstellen ist die wechselseitige Förderung der
Erregungen (Sherrington nennt sie Induktion) um so größer, je näher die
gereizten Punkte benachbart sind. Für die direkte Reizung sensibler Nerven
gilt das Entsprechende. Ungleich wirkungsvoller ist aber die Verstärkung, wenn
die benachbarten Hautstellen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gereizt
werden. So kann praktisch die Anwendung von Strichreizen eine gute Methode
abgeben, um schlecht auslösbare Hautreflexe doch noch zu erhalten (Sher-
rington).
Alles dies gilt, wie gesagt, für den Fall, daß die Erregungen von verschie-
denen, funktionell ganz gleichen Sinnesorganen, z. B. des Berührungssinnes,
ausgehen. Wie weit dieses auch für verschiedenartige, dieselbe Hautstelle tref-
fende Reize, z. B. taktile und chemische, möglich ist, ist beim Menschen oder
bei den höheren Wirbeltieren noch nicht genauer untersucht. Lediglich einige
Erfahrungen an Fischen (Herrick) oder gar Aktinien (Nagel) zeigen, daß diese
Möglichkeit prinzipiell gegeben zu sein scheint. Hingegen ist von Sherrington
sicher nachgewiesen worden, daß die fragliche Allianz auch zwischen einem
von einem sensiblen Hautnerven und einem von einem sensiblen Muskelnerven
ausgelösten Beugereflex besteht. Letzteres ist nicht unwichtig; denn so erklären
sich manche langdauernden Krampferscheinungen auf einen ganz kurzen Außen-
reiz hin. Die durch den ursprünglichen Hautreflex hervorgerufenen Muskel-
anspannungen liefern ihrerseits sensible Erregungen, die bei genügender Erreg-
barkeit des ZNS, wie z. B. im Zustande der Tetanusvergiftung, zu erneuten
motorischen Entladungen führen. So erhält sich der Krampf durch eigene
periphere Wiederreizung eine Zeitlang selbst und erlischt erst, wenn durch
Ermüdung die zentralnervöse Erregbarkeit auf die Norm und darunter gesunken
ist. In beschränktem Maße dürfte dieser Mechanismus aber auch normalerweise
zur Unterstützung, Fortdauer und Wiederholung der Hautreflexe eine Rolle
spielen (v. Weizsäcker). |
Den wichtigsten Fall einer solchen Allianz der Haut- und Muskelsinnes-
erregung stellt zweifellos die auch klinisch-neurologisch eine Rolle spielende sog.
Stützreaktion dar (s. S. 74). Man bezeichnet damit eine Versteifung der Ex-
tremitäten in Streckstellung von einer derartigen Stärke, daß das Körper-
gewicht von ihnen getragen werden kann. Die Reaktion wird ausgelöst durch
einen dem Aufsetzen des Fußes auf den Boden entsprechenden Druck auf die
Unterseite der Zehen und die Fußsohle und wird unterstützt durch den damit
zugleich einsetzenden dehnenden Zug an einer Reihe von Muskeln. Nach Denny
Brown gibt es dann eine wechselseitige Verstärkung dieser beiden Erregungen
von einem derartigen Ausmaße, daß z. B. ein einzeln unwirksamer Druck auf
die Sohle bzw. Zug am Muskel zusammen eine solche Erregung auslösen, daß es
im Musc. soleus zu einer Spannungsentwicklung von 1300 g kommt.
Außerdem weist Sherrington noch nachdrücklich darauf hin, daß, soweit
durch die Hautreize auch noch bewußte Empfindungen ausgelöst werden, hier
genau die gleichen Allianzerscheinungen zu beobachten sind, wie sie eben von
den Hautreflexen beschrieben wurden. Auch hier gibt die gleichzeitige Be-
rührung mehrerer benachbarter Hautstellen eine wesentlich geringere Ver-
stärkung der Empfindung als die nacheinander erfolgende strichweise Berührung,
Jn — We
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 55
wie sie etwa ein Insekt verursacht. Von der zugleich eintretenden Umgestaltung
des Charakters der Empfindung von einer Berührungsempfindung zu einer
Juckempfindung u. dgl. sei hier ganz abgesehen. Von derselben Stelle her-
stammende Empfindungen verschiedener Qualität verstärken sich nur in manchen
Fällen, z. B. Geschmacksempfindungen und Berührungsempfindungen auf der
Zunge. In anderen Fällen tun sie dies hingegen keinesfalls, sondern löschen
sich vielmehr gegenseitig aus, wie z. B. Schmerzempfindungen und Berührungs-
empfindungen auf der Haut.
Schließlich ließen sich auch bei direkter Reizung der motorischen Zone der
Großhirnrinde ganz die gleichen Allianzerscheinungen feststellen. Graham
Brown fand, daß mehrmalige Reizung eines Punktes derselben nicht nur bei
diesem selbst zu einer Summation führt (s. S. 46), sondern auch bei den be-
nachbarten die gleiche Reaktion gebenden Punkten.
Im übrigen kommt die von O. Foerster gegebene Erklärung für das für
striäre Erkrankungen so typische Symptom des verspäteten und dann noch
zögernden und schwächlichen Einsetzens der Willkürinneryationen auf das
gleiche Prinzip der wechselseitigen Summation alliierter Erregungen hinaus.
Nach O. Foerster läuft nämlich der normale Willkürimpuls gleichzeitig auf
mehreren Parallelbahnen ab (Pyramidenbahn, Striatumbahn, Brücke-Klein-
hirnbahn), und zur rechtzeitigen und normal starken Innervation der Muskeln
ist das Zusammenwirken aller Parallelerregungen erforderlich.
Diese Art der wechselseitigen Verstärkung scheint also ganz allgemein
überall da im ZNS eine erhebliche Rolle zu spielen, wo eine Reaktion auf zahl-
reichen, parallel zueinander geschalteten Einzelbahnen abläuft. Das ist aber,
soweit wir wissen, stets der Fall; und ganz in Ubereinstimmung damit gibt es
nicht nur eine Allianz erregender Wirkungen, sondern genau ebenso auch eine
Allianz, d. h. gegenseitige Verstärkung bzw. Summation hemmender Wir-
kungen. Wenn ein Hautreiz an den Zehen die Beuger des gekreuzten Beines
hemmt, so wird diese Hemmung verstärkt, wenn die Haut am Fußrücken noch
dazu gereizt wird (Sherrington).
Eine ganze Reihe von Arbeiten von Sherrington und dessen Schülern
(Cooper, Denny Brown, Eccles u. a.) sind der Analyse des Mechanismus
dieser Allianzerscheinungen gewidmet. Sie haben, sich gegenseitig ergänzend
und stützend, zu folgender Grundanschauung der Sherringtonschen Schule
geführt.
Jede zentralnervöse Erregung ist aufzufassen als ein additives Zusammen-
wirken einer Anzahl motorischer Einheiten, wobei unter motorischer Einheit
eine Vorderhornzelle, die zugehörige Nervenfaser und das Bündel Muskelfasern,
welches diese Nervenfaser aktiviert, verstanden wird. Bei jedem Reflexe (und
Entsprechendes ist auch für die anderen Arten zentralnervöser Erregung anzu-
nehmen) wird immer nur ein Teil der motorischen Einheiten eines jeden Muskels
in Tätigkeit versetzt, und zwar von jedem Sinnesorgane bzw. sensiblen Nerven
aus ein ganz bestimmter, aber in seiner Größe schwankender Teil. Der Umfang
dieses Wirkungsfeldes hängt von der Stärke der sensiblen Erregung und von
der Höhe der Erregbarkeit des ZNS ab, ist also funktionell und nicht anatomisch
begrenzt. Bei starken Erregungen und hoher Erregbarkeit (Strychnin) ist das
Feld groß, bei schwacher Erregung und niedriger Erregbarkeit (Schock, Narkose)
ist es klein. Immer aber besteht das zentrale Wirkungsfeld eines sensiblen
5*
56 Kurt Wachholder
Nerven aus 2 Teilen, nämlich 1. einem Kern (Fokus), in welchem seine Erregung
genügend stark ist, um die motorischen Einheiten allein in Tätigkeit zu ver-
estzen, und 2. aus einem Saum (fringe), in welchem die Erregung für sich allein
unterschwellig ist und erst durch Summation überschwellig gemacht werden
muß. Diese Summation kann durch eine Wiederholung derselben Erregung
zustande kommen, aber, da die verschiedenen Wirkungsfelder sich teilweise
überdecken, auch durch Erregung von einem anderen sensiblen Nerven aus.
Bei schwachen Erregungen, bei welchen die Kerne klein und die Säume groß
sind, so daß nur die letzteren sich überdecken, ist die Summationsmöglichkeit
besonders groß (ebenso auch im Schock und in der Narkose). Bei starken Er-
regungen, bei denen die Säume nur schmal sind und sich auch die überschwelligen
Kerne überlagern, ist die Verstärkung viel geringer. Hier ist die Gesamtreaktion
kleiner als die Summe der beiden Einzelreaktionen (Verdeckung).
Das heißt, die Summation verschiedener alliierter Erregungen wird auf
ganz den gleichen Mechanismus zurückgeführt wie die Summation bei Wieder-
holung einer Einzelerregung. Für letztere wird aber, wie S. 48 f. näher aus-
geführt, die Existenz eines längerdauernden, langsam abklingenden Erregungs-
zustandes verantwortlich gemacht, auf welchen sich dann die nachfolgende
Erregung addiert. Einer der Hauptgründe für die Richtigkeit dieser Auffassung
wurde darin erblickt, daß auch eine sicher unterschwellig gebliebene Erregung
zur Summation beitragen kann, während sich die als Alternative in Frage kom-
mende Erregbarkeitssteigerung bzw. supernormale Phase immer nur nach einer
überschwelligen, zur Entladung führenden Erregung zeigen könnte. Wie oben
am Beispiele der Stützreaktion ausgeführt, ist aber bei dem Zusammenwirken
alliierter Erregungen ebenfalls festzustellen, daß auch eine unterschwellige
Erregung von einem sensiblen Nerven aus mit einer ebenfalls unterschwelligen
Erregung von einem anderen Nerven aus sich zu einer weit überschwelligen
Wirkung summieren kann. Auch diese Art der Summation ist also in der Tat
durch eine Erregbarkeitssteigerung infolge supernormaler Phase nicht zu er-
klären, sondern nur als Addition unterschwellig gebliebener Erregungszustände.
Ganz das gleiche Erklärungsprinzip möchte nun Sherrington auch auf
alle die vielen anderen Verstärkungserscheinungen, die man meist nicht mehr
als Summationen, sondern als Bah nungen zu bezeichnen pflegt, angewendet
haben. Eine exakte Abgrenzung der Summationen und Bahnungen voneinander
ist sicher sehr schwierig, und so sieht man die Benennung im einzelnen Falle bei
den verschiedenen Autoren stark schwanken. Immerhin dürfte der Ausdruck
Bahnung in allen denjenigen Fällen allgemein gebräuchlich sein, in denen die
aufeinander wirkenden Erregungen ganz verschiedenen Teilen des ZNS ent-
stammen. So bezeichnet man als Bahnungen vor allem diejenigen Fälle, in welchen
man für sich allein unterschwellige oder nur schwache spinale Reaktionen unter
dem Einflusse von Erregungen, welche von höheren Zentren, dem Großhirn,
Kleinhirn, Labyrinth, ausgehen, überschwellig bzw. maximal werden sieht.
Von den zahlreichen Erscheinungen dieser Art seien nur einige wenige
erwähnt, darunter zunächst die für das ganze Gebiet maßgebend gewordene
Beobachtung von Exner. Dieser sah, daß eine für sich unterschwellige Pfoten-
reizung, wenn man sie kurze Zeit nach einer Großhirnrindenreizung wiederholte,
eine Beugebewegung auslöste, bzw., wie er sich ausdrückte, eine Zeitlang durch
diese gebahnt war.
— a e
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 67
Diese Bahnung zeigt sich umgekehrt darin, daß bei dem Fortfall der vom
Gehirn dem Rückenmark zufließenden Erregungen (auch bei deren völlig reiz-
loser, schockloser vorübergehender Ausschaltung durch Abkühlung der Ver-
bindung, Trendelenburg) der Beugereflex viel schlechter oder sogar zeitweise
überhaupt nicht mehr auslösbar wird. Da dies nicht nur für die Hautreflexe,
sondern auch für alle anderen Arten von Reflexen gilt, insbesondere für die
Sehnen- bzw. Muskeleigenreflexe, so kommt es dann zu dem dem Kliniker unter
dem Namen der sog. schlaffen Lähmung bekannten Zustande (Näheres u. a. bei
Foerster).
Praktisch wichtig ist die Bahnung der Sehnenreflexe bzw. Muskeleigen-
reflexe durch eine willkürliche Erregung. Die ganzen neurologischen Kunstgriffe
zur besseren Auslösung des Patellar- bzw. Achillessehnenreflexes beruhen hierauf
(Sternberg, P. Hoffmann). Dabei braucht die willkürliche Erregung nicht
direkt auf eine Anspannung des betreffenden Muskels, dessen Eigenreflexe man
prüfen will, gerichtet zu sein. Im Gegenteil, eine erhebliche willkürliche An-
spannung verdeckt eher seine reflektorische Zuckung, so daß diese scheinbar
gehemmt sein kann (P. Hoffmann). Viel wirksamer ist eine intensive An-
spannung anderer Muskeln, etwa der Armmuskeln (Jendrassikscher Hand-
griff), wobei dann das motorische Zentrum des zu prüfenden Beinmuskels durch
Erregungsirradiation eine für die Bahnung eben ausreichende Erregung mit-
bekommt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhange die interessante Fest-
stellung von Lewandowski und Neuhof, daß man bei Patienten mit totaler
Querschnittsläsion des Rückenmarkes durch eine längere intensive Faradisation
eines Beines bzw. durch die dabei dem Rückenmark zufließenden sensiblen Er-
regungen die von oben fehlende Bahnung so ersetzen kann, daß die vorher nicht
erhaltbaren Sehnenreflexe eine Zeitlang wieder auslösbar werden. Die Autoren
konnten zeigen, daß dies keine rein periphere Wirkung ist, sondern auf einer
zentralen Bahnung beruht.
Die Bahnung der Muskelreflexe durch Willkürinnervation ist nun aber nicht
nur für den untersuchenden Neurologen bedeutungsvoll, sondern sie spielt auch
im gewöhnlichen Leben eine praktisch wichtige Rolle. Wenn wir die Stellung
eines unserer Glieder beibehalten und gegen das plötzliche Auftreten etwaiger
störender Außenkräfte sichern wollen, so pflegen wir die das betreffende Gelenk
umgebenden Muskeln willkürlich mehr oder minder krampfhaft anzuspannen
(Versteifungsinnervation von Wachholder und Altenburger). Dadurch
wird nicht nur erreicht, daß die störenden Kräfte auf den größeren Widerstand
der kontrahierenden Muskeln treffen, sondern vor allem auch, daß gleich von
vornherein die Muskeldehnungsreflexe so stark gebahnt sind, daß sie schon bei
den geringsten passiven Bewegungen im Gelenk kompensierend eingreifen. Diese
reflektorische Kompensation der Außenkräfte hat dabei noch den Vorteil, daß
sie keine starre, sondern eine gleitende, sich der Stärke der Außenkräfte an-
passende ist.
Ganz ebenso wie der bahnende Einfluß der willkürlichen Erregungen auf
die Muskeleigenreflexe ist auch derjenige der Kleinhirnerregungen auf dieselben
anzusehen (Hansen und Rech), und schließlich auch derjenige der vom La-
byrinth ausgehenden Erregungen (Flick und Hansen). Was die letzteren
betrifft, so können sie in außerordentlichem Umfange nicht nur die einfachen
sog. Sehnenreflexe bahnen, sondern überhaupt alle Muskeldehnungsreaktionen
58 Kurt Wachholder
usw., kurzum alle diejenigen Reaktionen, welche für die Aufrechterhaltung des
Körpers gegen die Schwerkraft so bedeutungsvoll sind (Denny Brown). Darüber
hinaus bahnen sie unter gewissen Umständen alle Arten von spinalen Reaktionen,
so auch die phasischen Extremitätenreflexe, welche im Dienste der Fortbewegung
stehen. Walshe hat diese Art der Bahnung praktisch benutzt, um besonders
günstige Umstände für die Auslösbarkeit des Babinskischen Phänomens zu
schaffen. Er fand, daß dieses durch Kopfwenden nach der anderen Seite stark
gebahnt wird.
Gerade hier beim Labyrinth zeigt sich aber nun, daß, wenn wir bisher nur
vom bahnenden Einflusse höherer Zentren auf spinale Reaktionen redeten, wir
nur eine Seite eines Wechselspieles berücksichtigt haben. Ebenso wichtig ist
auch das Rückspiel, also die Bahnung der von den höheren Zentren kommenden
Erregungen durch rein spinale Reaktionen. Je nach den Umständen (bzw. je
nach dem Blickpunkte) steht bald die eine, bald die andere Richtung dieser
wechselseitigen Bahnung im Vordergrunde. Hierfür sind, wie gesagt, die durch
die schönen systematischen Untersuchungen von Magnus, de Kleijn u. a.
bekannt gewordenen sog. Labyrinthreflexe auf Extremitäten, Rumpf, Kopf
und Augen ein gutes Beispiel. Diese Reaktionen sind ganz besonders ausgeprägt
im Zustande der sog. Enthirnungsstarre, weil sie hier durch die diesem Zu-
stande zu grunde liegenden dauernden spinalen Reaktionen aufs höchste gebahnt
sind. Andererseits aber sind hier die fortwährend sich erneuernden Dehnungs-
reaktionen der Extremitätenmuskeln ihrerseits schon durch von höheren Zentren
kommende Dauererregungen und darunter auch durch Labyrintherregungen
aufs höchste gebahnt. Bei manchen der Enthirnungsstarre ähnlichen Zuständen
aus der menschlichen Pathologie verhält es sich ähnlich (Magnus, Simons).
Nur dürfte hier, was das Labyrinth anbetrifft, die erstere Richtung der Bahnung
mehr im Vordergrunde stehen.
Nebenbei gesagt, wird ein Vergleich der beim Menschen zu findenden Stö-
rungen mit der Enthirnungsstarre der Tiere nicht dadurch unmöglich gemacht,
daß bei der letzteren die Streckerstarre im Vordergrunde steht, beim Menschen
aber eine Rigidität der Beuger. Erstens sind (s. auch 8. 74 f.) an der Enthirnungs-
starre ebensogut auch die Beuger beteiligt (Wachholder), in späteren Stadien
sogar überwiegend (Pollock und Davis). Zweitens aber hängt es bei der
menschlichen Hemiplegie nach Russel Brain stark von der Körperstellung,
ob aufrecht oder nicht (und damit auch von Labyrintherregungen) ab, ob mehr
eine Beuger- oder eine Streckerstarre eintritt. Beim Vorlehnen des Körpers
in die Vierfüßlerstellung geht auch beim Menschen die Starre in die letztere
Form über. Interessant ist weiter die von Simons gemachte Beobachtung,
daß bei Hemiplegikern eine intensive Willkürinnervation der gesunden Seite
auf der gelähmten zu einer derartigen Bahnung führt, daß hier auf Kopfbewe-
gungen lebhafte Labyrinthreaktionen auftreten. Beim normalen erwachsenen
Menschen lassen sich, einerlei, ob ohne oder mit Bahnung, durch Willkür-
innervation nur ganz minimale Labyrinthreaktionen auf die Extremitäten-
muskeln nachweisen (Klestadt und Wachholder, Kleinknecht und
Ballin).
Ob die eben besprochene Rückbahnung vom Rückenmark her auch beim
Kleinhirn besteht, ist unbekannt. Wohl aber ist eine erhebliche Zunahme der
Erregbarkeit der Großhirnrinde nach Kleinhirnreizung festgestellt (Rizzolo).
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 69
Was schließlich die Großhirnrinde betrifft, so war schon Exner bekannt,
daß nicht nur deren Reizung einen spinalen Reflex bahnen kann, sondern auch
umgekehrt. Genauer ist dieses Wechselspiel neuerdings von Keller untersucht
worden. Dieser fand, daß der Erfolg der Hirnrindenreizung ganz wesentlich
vom Spannungszustande des untersuchten Muskels abhängt. Bei völlig ent-
spanntem Muskel dringt die zentrale Erregung überhaupt nicht bis zum Muskel
durch, und es tun dies um so mehr Erregungen pro Sekunde, je mehr der Muskel
angespannt bzw. kontrahiert ist. Nach allem, was wir wissen, scheint dies nicht
nur für die künstlich durch Rindenreizung ausgelöste Erregung zu gelten, sondern
auch für die natürliche willkürliche Erregung. Wenigstens lassen sich eine
Reihe von Beobachtungen über Erregungsschaltung in einzelne Agonisten je
nach der Ausgangsgliedstellung in diesem Sinne deuten (Halten eines schwachen
Gewichtes mit gebeugtem Ellbogengelenk bei pronierter Hand allein durch
Innervation des Brachialis, bei supinierter Hand allein durch den Bizeps,
Beevor, Wachholder).
Eine weitere hierhergehörige Gruppe von Bahnungen ist diejenige sub-
kortikaler Automatismen durch den Willkürimpuls. Daß es etwas Derartiges
gibt, wird einmal nahegelegt durch die bekannte Znahme der Intensität von
Zwangsbewegungen bei willkürlicher Erregung, und ferner durch die Erscheinung
des sog. Intentionstremors. Einen exakteren Hinweis geben von Wachholder
und Haas angestellte Beobachtungen über die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung
einzelner Muskeln am organischen und nichtorganischen Tremor. Dabei zeigte
sich nämlich, daß der Bizeps, entsprechend dem eben über die normale Haltungs-
innervation Ausgeführten, auch an den pathologischen Tremorstößen gänzlich
unbeteiligt bleibt, wenn man ihn dadurch zur völligen willkürlichen Erschlaffung
bringt, daß man den zitternden Unterarm gut unterstützt und dabei die Hand
ganz pronieren läßt. Sowie nun die Hand willkürlich supiniert wird, der Muskel
also, wenn auch nur schwach, willkürlich innerviert wird, sieht man, wie ihm
sofort auch wieder die Tremorerregungen zufließen. Bei Verstärkung der will-
kürlichen Innervation durch freies Halten des Armes unter zunehmender Be-
lastung, verstärken sich auch die dem Muskel zufließenden Tremorerregungen
immer mehr. Übrigens ist Bremer für den subkortikalen (bulbären) Mecha-
nismus des Kauens zu der ganz entsprechenden Auffassung gekommen, daß
dieser von den Rindenimpulsen auf dem Wege einer auslösenden Bahnung
beeinflußt werde, und zwar nur auf diesem Wege. Nach Obigem scheint mir die
Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen zu sein, daß ganz allgemein die
vielen für unser tägliches Leben so bedeutungsvollen subkortikalen automa-
tischen Mechanismen, darunter nicht zuletzt derjenige der Fortbewegung, kor-
tikal nur in diesem Sinne durch Bahnung in Gang gesetzt werden.
Als letzte Gruppe von hierhergehörigen Erscheinungen wären schließlich
noch diejenigen anzuführen, in denen eine zentralnervöse Reaktion von einer
anderen zentralen Erregung aus gebahnt wird, welche für sich allein diese Reaktion
nicht hervorruft, sondern eine ganz andere, unter Umständen vollkommen
fremde Reaktion (Bahnung durch eine nicht alliierte Erregung). Hier-
her gehört streng genommen die oben schon erwähnte Bahnung der Muskel-
eigenreflexe durch eine willkürliche Innervation, wenn diese, wie das praktisch
meistens der Fall ist, nicht auf dieselben Muskeln zielt. Es ist wohl jedem Prak-
tiker geläufig, daß gerade diese Reflexe nicht nur durch eine willkürliche Muskel-
60 Kurt Wachholder
innervation, sondern auch noch durch alle möglichen anderen Erregungen gebahnt
werden können. Von solchen an und für sich fremden Erregungen wären ins-
besondere die mit der Atmung zusammenhängenden zu nennen. Läßt doch der
eine Neurologe bei der Prüfung des Patellarreflexes zu dessen besserer Auslösbar-
keit den Patienten husten, der andere tief einatmen usw. (vgl. dazu Strughold,
King, Blair und Garrey). Eine solche Bahnbarkeit durch ganz fremde Erre-
gungen ist, soweit ich sehe, nur noch beim Zungen-Kieferreflex festgestellt
(Cardot, Cherbuliez und Laugier sowie Laugier und Lubinska), niemals
dagegen etwa bei einem Hautreflex.
Dieser Umstand gibt zu denken; denn wie in den vorangehenden Abschnitten
erörtert wurde, hat gerade jener Reflex viele Eigenschaften mit den Muskeleigen-
reflexen gemein und unterscheidet sich mit diesen in mehrfacher Beziehung scharf
von den anderen Reflexen. Wenn somit eine solche Bahnung durch nicht alliierte
Erregungen nur einer bestimmten Art von Reflexen zuzukommen scheint, so
tauchen damit doch Bedenken auf, ob die S. 55 f. wiedergegebene Sherrington-
sche Erklärung der Bahnungs- bzw. Summationserscheinungen auch für diese
Gruppe gültig ist. Diese Bedenken verdichten sich nicht nur, wenn man die
über die Bahnung der Muskel- bzw. Sehnenreflexe bekannten Tatsachen näher
ins Auge faßt. Ja danach kann wohl kaum noch ein Zweifel bestehen, daß nicht
nur die Bahnung dieser Reflexe durch fremde Erregungen, sondern deren Bahn-
barkeit überhaupt auf einem anderen Mechanismus beruhen muß.
Wenn die von Sherrington gegebene Erklärung auch hier zuträfe, dann
sollte man erwarten, daß jede zur Entladung der Vorderhornzellen führende
Erregung die Muskelreflexe bahnte. Dem widersprechen aber die neurologischen
Erfahrungen; denn nach O. Foerster sowie Thomas gibt es Rigor- bzw.
Spastizitätezustände ohne jede Steigerung der Sehnenreflexe ja sogar mit an-
scheinendem Fehlen derselben. Genauer untersucht ist dieser Unterschied bei
pharmakologischen Krampfzuständen. Hier beeinflußt z.B. bei der Strychnin-
vergiftung die aufs höchste gesteigerte Erregungsentladung nicht die Auslösbar-
keit dieser Reflexe (Hoffmann).
Vor allem aber kann die so ausgezeichnete Bahnbarkeit der Muskel- bzw.
Sehnenreflexe schon darum nicht auf den Summationsmechanismus, wie immer
er auch sein möge, zurückgeführt werden, weil diesen Reflexen, wie im Ab-
schnitt 7a ausgeführt, die Fähigkeit zur Summation einzeln unwirksamer Reize
vollkommen abgeht (Sternberg, Hoffmann).
Der Bahnungsmechanismus muß also hier ein ganz andersartiger sein,
und die folgenden Beobachtungen von P. Hoffmann geben auch schon einen
eindringlichen Hinweis darauf, von welcher Art wir ihn uns zu denken haben.
Dieser stellte nämlich fest, daß die Bahnung sich nicht allein in einer Verstärkung
des einzelnen Reflexes äußert bzw. in einer Verringerung der Reizschwelle, sondern
vor allem auch darin, daß die Zahl der pro Sek. auslösbaren Reflexe ganz gewaltig
zunimmt. Bei normalen Menschen lassen sich bei erschlafftem Muskel durch
Schlag auf die Sehne höchstens 3—4 Reflexe pro Sek. auslösen und durch elek-
trische Nervenreizung, wenn überhaupt, dann nur wenig mehr. Demgegenüber
gelingt es während der Bahnung durch eine Willkürinnervation sowohl elektrisch
als auch mechanisch mit Leichtigkeit ganze Reihen von 50, 75 und noch mehr
Reflexen pro Sek. zu erzielen. Auch die Steigerung der Eigenreflexe beim Spa-
stiker beruht nach Hansen und Hoffmann im wesentlichen auf einer solohen
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 61
Steigerung der Frequenz der auslösbaren Reflexe, hier nur schon ohne das Hinzu-
treten einer weiteren willkürlichen Bahnung. Es liegt nahe, die von P. Hoff-
mann entdeckte und später mehrfach bestätigte Hemmung, welche sich an
jeden Muskeleigen- bzw. Sehnenreflex anschließt, mit diesen Unterschieden in
Verbindung zu bringen und sich vorzustellen, daß die Bahnung dieser Reflexe
auf einer Abnahme dieser Hemmung (Enthemmung) beruht. Das wäre natürlich
ein ganz anderer Mechanismus als eine Summation von Erregungen und Erre-
gungsrückständen, so daB die merkwürdige Kombination des Vorhandenseins
von Bahnungs- und Fehlens von Summationsvermögen nicht verwunderlich
wäre. Außerdem ließe sich so verstehen, daß nicht jede Erregung zugleich auch
diese enthemmende Wirkung entfaltet; sind doch auch sonst die verschiedenen
zentralen Erregungen nicht immer mit gleichen Aufhebungs- bzw. Hemmungs-
wirkungen gepaart. Jedenfalls wird eine solche Vorstellung vom Wesen der
Bahnung der Muskel- bzw. Sehnenreflexe den hierbei zu beobachtenden Eigen-
tümlichkeiten unvergleichlich besser gerecht als die Übertragung der Vorstellung
Sherringtons vom Wesen des Summationsmechanismus. Es lassen sich auch
einige experimentelle Stützen für die Richtigkeit der fraglichen Vorstellung
vorbringen. Einmal kann man, wenn man in regelmäßigen Abständen einen
solchen Reflex auslöst und dabei die betr. Muskelgruppe immer stärker willkürlich
innerviert, direkt feststellen, daß die bei schwacher Innervation so gut wie
vollkommene Hemmung mit zunehmender Innervationsstärke immer schwächer
und schließlich gar nicht mehr nachweisbar wird (eigene unveröffentlichte
Beobachtungen mit H. Altenburger). Ferner fanden Fulton, Liddell und
Rioch, daß der Patellarreflex nach Durchschneidung des Dorsalmarkes sehr
viel leichter hemmbar ist als nach der Dezerebrierung. Dieser Unterschied wird
von den Autoren ganz im Sinne der hier diskutierten Auffassung so erklärt,
daß dem Lendenmark von höheren Zentren dauernd Einflüsse zuströmen, welche
den Patellarreflex vor hemmenden Einflüssen schützen und daß diese „Hemmung
der Hemmung“ bei Durchschneidung des Rückenmarkes fortfällt.
Einerlei aber, ob die eben diskutierte Vorstellung oder eine andere sich
auf die Dauer bewähren mag, jedenfalls dürften die obigen Ausführungen dazu
angetan sein, vor einer voreiligen vereinheitlichenden Schematisierung der
sentralnervösen Summations- und Bahnungsvorgänge zu warnen.
In diesem Zusammenhange muß noch einmal kurz zurückgegriffen werden
auf die S. 5l erörterten Beobachtungen von Pawlow über die Entwicklung
einer Schläfrigkeit bzw. eines Schlafzustandes im Gefolge einer mehrfachen
monotonen Wiederholung eines und desselben Reizes. Dieser kann, wie man das
ja auch sonst im gewöhnlichen Leben beobachtet, durch die Einschaltung eines
anderen ungewohnten Reizes wirksam entgegengearbeitet werden. Nach der
Analyse von Pawlow beruht dies darauf, daß die seiner Meinung nach zum
Schlaf führende innere Hemmung durch den Fremdreiz rückgängig gemacht
wird. Die Vernichtung der Schläfrigkeit (bzw. des Schlafes selbst) durch einen
Weckreiz wäre demnach als eine Enthemmung anzusehen.
Die vorhin bei dem Versuch einer Erklärung der Bahnungen ausgesprochene
Warnung ist zweifellos noch viel mehr angebracht bei der Untersuchung des
Wesens und des Mechanismus der Hemmungserscheinungen, welche man
bei dem Zusammenwirken der verschiedenen zentralnervösen Reaktionen so
62 Kurt Wachholder
häufig und auffällig hervortreten sieht. Das Vorausschicken einer solchen War-
nung ist gerade hier angebracht; denn immer wieder sieht man in der Literatur
den Versuch auftauchen, alle zentralnervösen Hemmungen über einen Kamm zu
scheren. Dabei wird vielfach die Möglichkeit gar nicht mehr in Erwägung gezogen,
daß es verschiedene Arten der Herabsetzung, der Hemmung der nervösen en
keit geben könne.
Sucht man in die Fülle der hierhergehörigen Beobachtungen eine Gliederung
hineinzubringen, so wären als erste Gruppe diejenigen Fälle abzusondern, in denen
sich eine Hemmung bei dem Zusammentreffen alliierter, einzeln
dieselbe Reaktion gebender Erregungen einstellt. Einen solchen Fall
fand Vészi bei Reizung verschiedener hinterer Wurzeln des Froschrücken-
markes. Einzeln gereizt erhält man immer eine Kontraktion des Gastroknemius;
reizt man aber während der durch Reizung der einen Wurzel hervorgerufenen
Kontraktion des Muskels noch eine andere Wurzel, so kommt es (wenigstens
unter gewissen Umständen) nicht zu einer Verstärkung der Kontraktion, sondern
zu einer Erschlaffung des Muskels.
Dieser später mit einigen Modifikationen vielfach wiederholte und immer
wieder bestätigte Versuch wird im Anschlusse an ein von Wedensky entdecktes
und von F. B. Hofmann erklärtes Phänomen bei sehr frequenter Nerv-Muskel-
reizung folgendermaßen gedeutet. Es wird angenommen, daß bei der Reizung
der beiden Wurzeln die Erregungen das ZNS nicht streng gleichzeitig erreichen,
so daß dieses praktisch Erregungswellen von einer doppelt so hohen Frequenz
zugeleitet bekommt als bei Reizung nur einer Wurzel. Dann interferieren aber
„die frequenten Reize so miteinander, daß jeder folgende Reiz immer in das
Refraktärstadium des vorhergehenden fällt. Infolgedessen findet er eine stark
herabgesetzte Erregbarkeit vor und die Reaktion bleibt aus, d. h. das Zentrum
ist während der Dauer der frequenten Reizung gehemmt“. (Verworn, s. S. 194.)
Die von Vészi beobachteten Hemmungserscheinungen werden also auf die
Wirkung eines Refraktärstadiums zurückgeführt. Durch dieses sollen die Er-
regungen eine derartige Abschwächung erfahren, daß ihr Durchdringen ver-
hindert wird. Diese Erklärung ist dann auf alle zentralen Hemmungen über-
tragen worden und hat zur Aufstellung der sog. Interferenztheorie der zentralen
Hemmungen geführt (Verworn, F. W. Fröhlich, Lucas, Adrian). Über
den Mechanismus der fraglichen Abschwächung bestehen einige Meinungs-
verschiedenheiten zwischen den einzelnen Vertretern dieser Theorie (Lit. bei
Brücke). Alle sind sie sich aber in der strikten Ablehnung spezifischer Hem-
mungsprozesse einig. Die der Vészischen Beobachtung gegebene Deutung
ist durch ein elegantes von Brücke angestelltes experimentum crucis mit schwe-
bender Reizung als zweifellos richtig erwiesen worden. Für diese Gruppe von
Interferenzerscheinungen ist die Annahme besonderer spezifischer Hemmungs-
vorgänge unnötig, und in diesem Sinne ist es sicher richtig, hier von „scheinbaren
Hemmungen“ zu reden. Sind aber damit alle zentralen Hemmungen solche
scheinbaren ?
Gilt die obige Erklärung z. B. auch für die jetzt zu besprechende zweite
Gruppe zentraler Hemmungserscheinungen, die sich bei dem Zu-
sammentreffen zu entgegengesetzten Reaktionen führender Er-
regungen zeigen ? Die erstbesprochene Gruppe stellt wohl mehr einen Spezialfall
dar, aber zu dieser zweiten Gruppe dürften nicht nur die meisten, sondern auch
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 63
die bedeutungsvollsten der zentralen Hemmungen gehören. Dazu dürften in
erster Linie folgende für die zentralnervösen Reaktionen eigentümliche Erschei-
nungen zu rechnen sein.
Das gegenseitige Sichablösen zentraler Reaktionen geschieht, nach allem
was wir wissen, niemals so, daß mit dem Auftauchen einer neuen Erregung die
alte allmählich abklingend verschwindet und beide etwa noch eine Zeitlang
nebeneinander bestehen. Die alte Reaktion wird vielmehr spätestens gleich-
zeitig mit dem Beginne der neuen völlig ausgelöscht, gehemmt, meist sogar
noch einen Augenblick früher. Dies kann man nicht nur feststellen, wenn eine
motorische Reaktion eine andere, z. B. eine Beugung eine Streckung ablöst,
sondern ebenso auch bei den höchsten geistigen Regungen. Bei den Bewußtseins-
vorgängen spielt diese Hemmung sogar eine fundamentale Rolle, da sie die
Grundlage der sog. Enge des Bewußtseins bildet.
Diese Art der Hemmung zeigt sich aber nicht nur, wenn eine Reaktion zu
Ende geht und von einer anderen abgelöst wird, sondern in vielen Fällen besteht
sie auch schon während der ganzen Dauer einer Reaktion. Besonders gilt dies
für die sog. reziproke Hemmung bzw. reziproke Innervation der antagonistischen
Muskeln eines Gelenkes (Hering und Sherrington), die bei der willkürlichen
Bewegung unserer Glieder eine überaus bedeutungsvolle Rolle spielt (Wach-
holder), aber auch bei vielen anderen normalen und pathologischen Inner-
vationen. Was die letzteren anbetrifft, so sei erwähnt, daß nach O. Foerster
bei manchen Starrezustäinden (Pyramidenbahnspasmus, Pallidumstarre) die
willkürliche Bewegung der Patienten nicht nur rein mechanisch durch die Starre
behindert oder unmöglich gemacht wird, sondern auch innervatorisch durch
eine dauernde reziproke Hemmung. Schaltet man die Kontraktur der Strecker
durch passive Bewegungen aus, so wird damit auch die reziproke Hemmung der
Beuger aufgehoben und deren vorher unmögliche willkürliche Innervation
gelingt sofort erstaunlich gut. Foerster empfiehlt ein solches Vorgehen sehr
für die Übungstherapie z. B. der Pallidumstarre.
Brücke hat nun sein eben schon erwähntes experimentum crucis auch
auf solche antagonistische Hemmungen einander entgegengesetzter Erregungen
ausgedehnt. Er hat schwebend, d. h. wegen eines geringen Frequenzunterschiedes
der beiden Reizungen abwechselnd zusammenfallend und dann wieder inter-
ferierend, einen reflektorisch die Streckung und einen die Beugung einer Extremi-
tät auslösenden sensiblen Nerven gereizt. Das Ergebnis war, daß auch hier bei
Einhaltung gewisser Bedingungen, nämlich bei geringer Stärke der hemmenden
Reize periodische Abschwächungen der Muskeltätigkeit auftraten, welche mit
den Perioden, in denen die Reizserien interferierten, zusammenfielen. Demnach
dürfte das Prinzip der „scheinbaren Hemmung durch Erregungsinterferenz
auch bei solchen antagonistischen Hemmungen eine Rolle spielen. Im einzelnen
stellt man sich den Vorgang hierbei etwa folgendermaßen vor. Die Erregungen,
welche die eine Reaktion hervorrufen und zugleich die antagonistische Reaktion
hemmen, können nur irgendwie abgeschwächt zu dem antagonistischen Zentrum
gelangen (also z. B. die eine Beugung auslösenden Erregungen zum Strecker-
zentrum), so daß sie selbst zu schwach sind, um dieses zur Entladung zu bringen.
Sie erzeugen aber dort ein Refraktärstadium und in dieses fallen dann die
diese Reaktion, wenn für sich allein wirkend, gut auslösenden anderen Erre-
gungen. Hierdurch werden die letzteren unwirksam gemacht und infolgedessen
64 Kurt Wachholder
hört die Entladung plötzlich auf. Das antagonistische Zentrum erscheint ge-
hemmt.
Nun hat aber schon Brücke gleich darauf hingewiesen, daß er einige Be-
obachtungen machen mußte, welche durch diesen Mechanismus nicht oder nur
schwer erklärt werden können. Insbesondere gilt dies für die Feststellung, daß
bei größerer Stärke der hemmenden Reize die Erschlaffung des Muskels eine
dauernde wird und nicht mehr eine periodische, den Interferenzschwebungen der
Reizungen folgende ist. Er diskutiert deshalb schon die Frage, ob bei diesen
antagonistischen Hemmungen nicht noch ein zweiter spezifischer Hemmungs-
mechanismus mit im Spiele sei. Dies dürfte durch die folgenden neueren Be-
obachtungen wohl zur kaum mehr zu bezweifelnden Gewißheit geworden sein.
Schon Forbes hatte festgestellt, daß ebenso wie die Erregung so auch die
Hemmung die Reizung überdauern kann. Von mehreren Seiten (Sherrington;
Fulton und Liddell; Balliff, Fulton und Liddell; Samojloff und Kis-
seleff; Eccles und Sherrington; Bremer) sind nun die genaueren zeitlichen
Verhältnisse einer solchen Hemmungsnachdauer festgelegt worden. Dabei
zeigte sich übereinstimmend, daB ein einzelner hemmender Reiz noch nach
0,2—0,3 Sek., ja manchmal noch wesentlich länger seine hemmende Wirkung
entfalten kann. Nach mehrfacher Reizung beobachteten Denny Brown und
Liddell sogar eine bis zu 60 Sek. dauernde Hemmung. Dies ist aber mit der
Zurückführung der Hemmung auf ein Refraktärstadium, wie es die Interferenz-
theorie möchte, unvereinbar; denn das zentrale Refraktärstadium hat in den in
Frage kommenden Fällen eine wesentliche kürzere Dauer. Ferner ist von Eocles
und Sherrington ein Maximum der Hemmung bei einem zeitlichen Abstande
zwischen hemmendem und erregendem Reize beobachtet worden, der schon
außerhalb des Refraktärstadiums liegt. Von den weiteren Beobachtungen,
welche Sherrington und seine Schüler noch gegen die Interferenztheorie
vorgebracht haben, sei einmal noch diejenige erwähnt, daß ebenso wie die er-
regenden so auch die hemmenden Wirkungen sich summieren können (s. S. 55f.)
und dies gilt auch für einzeln unterschwellige Wirkungen, sowie ferner auch
noch die Beobachtung, daß bei gleichzeitigem Vorhandensein erregender und
hemmender Wirkungen die resultierende Reaktion eine algebraische Summation
der beiden entgegengesetzten Wirkungen darstellen kann (For bes, Da vis und
Lambert). Schließlich sei auch noch der merkwürdigen vorübergehenden
Verstärkung einer Erregung gedacht, die eintritt, wenn die Hemmung dieser
Reaktion aufhört. Dieser durch die Interferenztheorie kaum zu erklärende sog.
Erregungsrückschlag wird uns später noch näher beschäftigen.
Als eine wesentliche Stütze der Interferenztheorie werden einige Beobach-
tungen betrachtet, aus denen sich anscheinend ergibt, daß unter Umständen
ein Umschlag von einer Hemmungs- in eine Erregungswirkung eintritt. Etwas
Derartiges muß es nach der Interferenztheorie geben; denn wie aus den obigen
Ausführungen hervorgeht, hängt es nach dieser Theorie nur von kleinen Unter-
schieden der zeitlichen Abstände der Einzelerregungen ab, ob eine Summation
oder eine Hemmung eintritt und lediglich ein kleiner Wechsel der zeitlichen
Verhältnisse kann schon einen Umschlag herbeiführen. Mit der Annahme spezi-
fischer Hemmungsvorgänge ist aber ein solcher Umschlag unvereinbar. So ist es
denn verständlich, daß die Sherringtonsche Schule, auf dem Boden einer
solchen Annahme stehend, sich von jeher um den Beweis bemüht hat, daß es
— Aë
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 65
eine echte Umkehr von Hemmung in Erregung nicht gibt (Sherrington und
Sowton, vgl. auch Fulton l. e S. 462). Für die zu beobachtenden Wirkungs-
umkehrungen geben sie vielmehr die folgende Erklärung. Es gibt sensible Nerven-
fasern, welche immer nur eine reflektorische Erregung, und solche, welche immer
nur eine Hemmung auslösen. Bei der üblichen Reflexauslösung werden stets
beide Arten von Nervenfasern gereizt und je nach den Umständen (nach der
Reizschwelle der Fasern und der Stärke der Reize, sowie nach dem Erregungs-
zustande des ZNS) überwiegt die eine oder die andere Wirkung. Eine große Reihe
von Untersuchungen bringt Stützen für diese Anschauung bei, aber die für die
gesonderte Existenz dieser beiden Arten von Nervenfasern gewonnenen Belege
sind zwar schwerwiegende, doch indirekte. Es sei im einzelnen nicht näher
darauf eingegangen, weil ganz neuerdings direktere Beweise vorgebracht worden
sind. Einmal haben Brücke, Hou und Krannich (dort auch die ältere Litera-
tur) gezeigt, daß bei Reizung eines sensiblen Nerven die Chronaxie der Hemmungs-
wirkung eine andere ist als die Chronaxie des Erregungsrückschlages, was wohl
kaum anders erklärt werden kann als mit der Existenz besonderer Hemmungs-
und Erregungsfasern, welche eine verschiedene Chronaxie besitzen. Ferner ist
es nach Kato, Ho, Nakamura und Tada möglich, durch geeignet tiefe
Narkotisierung des Nerv. Peroneus des Frosches oder auch der hinteren Wurzeln
nur die hemmenden Fasern auszuschalten. Ganz neuerdings gibt Kato (Intern.
Kongreß f. Physiol., Rom 1932) weiter noch an, daß es ihm und seinen
Mitarbeitern gelungen sei, einzelne funktionsfähige sensible Nervenfasern zu
isolieren und daß sie, wenn dies eine 9—10 u dicke Faser gewesen sei, bei allen
Reizintensitäten und -frequenzen nur reflexhemmende Wirkungen erhalten
hätten, dagegen bei einer Faserdicke von 6—7 y nur reflexerregende Wirkungen.
Die erstgenannten sensiblen Fasern stammten von den Muskeln her, die anderen
von der Haut und von den Gelenken. Sollten sich diese bisher nur in vorläufigen
unkontrollierbaren Mitteilungen nach Europa gelangten Angaben der japanischen
Forscher bestätigen (sie liegen übrigens vollkommen in der Linie früherer, nur
am ganzen sensiblen Muskelnerven gemachter Feststellungen von Liddell und
Sherrington), so wäre damit wohl ein kaum mehr anzufechtender Schluß-
beweis geliefert, daß wir beim Zustandekommen der zentralnervösen Reaktionen
in der Tat nicht nur mit der Interferenz von spezifisch gleichartigen, nur er-
regenden, sondern auch mit einer Interferenz von spezifisch verschiedenen
teils nur erregenden und teils nur hemmenden Vorgängen rechnen müssen.
Keinesfalls darf man aber nun etwa der Auffassung sich hingeben, daß durch
den Nachweis des letzteren Mechanismus die Inanspruchnahme des ersteren
völlig überflüssig gemacht worden wäre. Ja selbst wenn man nur die gerade hier
zur Diskussion stehende Spezialgruppe der antagonistischen Hemmungen nimmt,
so bestehen auch da noch Schwierigkeiten, wenn man diese rein auf eine Wirkung
der von Kato und Mitarbeitern prätendierten Hemmungsfasern zurückführen
will. Da nämlich diese Fasern nur von den Muskeln herkommen sollen, so können
die durch ihre Tätigkeit ausgelösten Wirkungen nur solche Hemmungen betreffen,
welche sich an eine Muskeltätigkeit anschließen, d. h. solche welche erst frühestens
um die Reflexzeit nach dem Beginne einer aktiven (oder auch passiven) Muskel-
veränderung einsetzen. Nun pflegt aber bei den infolge einer willkürlichen Inner-
vation oder auch einer Hautreizung sich einstellenden antagonistischen Hemmun-
gen die Hemmung der einen Muskeln spätestens gleichzeitig mit der Erregung
66 Kurt Wachholder
der anderen Muskeln einzusetzen. Meist läßt sie sich sogar schon einwandfrei vor
dieser nachweisen und immer vor dem Beginne der zustande kommenden Bewegung
(Wachholder). D.h. soweit die bei der willkürlichen Innervation und bei den
Hautreflexen sich abspielenden antagonistischen Hemmungen in Frage kommen
(und das ist sicher der Hauptteil derselben), können diese gar nicht durch die
Tätigkeit der Katoschen Hemmungsfasern ausgelöst sein. Deren Funktion
kann nur bei solchen antagonistischen Hemmungen eine Rolle spielen, welche
sich an Muskeltätigkeiten bzw. an die dadurch ausgelösten Eigenreflexe an-
schließen. Nach den Untersuchungen von Wachholder und Altenburger,
Liddell und Sherrington, sowie Wachholder kommen solche allerdings
auch hier vor; doch scheint dies nicht allgemein anerkannt zu sein.
Wie dem auch sein mag, jedenfalls ist die Hauptbedeutung dieser, wie
gesagt, nicht nur nach Kato sondern auch schon nach englischen Forschern
(Liddell und Sherrington, Denny Brown) in den sensiblen Muskelnerven
anzunehmenden Hemmungsfasern nicht in der Hemmung antagonistischer
Muskeln bzw. Reaktionen zu suchen, sondern in der Hemmung des Muskels
selbst, von dem sie herkommen und durch dessen Tätigkeit sie erregt worden
sind. Dies ergibt sich auch aus den Folgen, die ein Fortfall der afferenten Erre-
gungen, sei es bei Durchschneidung der hinteren Wurzeln, sei es bei auf dasselbe
hinauskommenden krankhaften Prozessen, zeitigt. Dann kommt es nämlich
auf den gleichen Reiz hin zu einer viel rapideren und stärkeren Spannungs-
entwicklung der die Bewegung durchführenden Muskeln, der sog. Agonisten,
als vor der Desensibilisierung. Dies konnten Fulton und Liddell bei reflek-
torischer Reizung direkt registrieren. Diese bei der Tätigkeit der Muskeln selbst
entstehende Hemmung, durch welche eine gefahrdrohende, zu abrupte Span-
nungsentwicklung derselben abgebremst wird, nennen die Autoren „autogene
Hemmung“.
Später ist dann von Denny Brown die ursprünglich von P. Hoffmann
entdeckte Beobachtung, daß nach einem Muskeleigenreflex die willkürliche oder
auch reflektorische Innervation des betr. Muskels für eine kurze Zeit unterbrochen
wird (s. S. 60), mit dieser autogenen Hemmung in Verbindung gebracht und als
deren krassester Ausdruck angesehen worden. Diese letztere Folgerung begegnet
allerdings gewissen Schwierigkeiten (Perez-Cirera). Diese berühren aber
nicht das Prinzip der autogenen Hemmung, sondern deuten nur darauf hin,
daß an der fraglichen vollkommenen Erregungsunterbrechung nach einem
Eigenreflexe außer ihr noch ein anderer Faktor beteiligt zu sein scheint.
Eine zu rapide und zu starke Spannungsentwicklung in den Agonisten muß
zu ataktisch ausfahrenden Bewegungsinkoordinationen Veranlassung geben.
Eine solche überschüssige Agonisteninnervation hat nun vor vielen Jahren schon
O. Foerster neben anderem für die Ataxie der Tabiker mitverantwortlich
gemacht. Diese Auffassung endgültig zu beweisen, ist neuerdings H. Alten-
burger gelungen, dadurch daß er bei ataktischen Tabikern und bei Patienten mit
Hinterwurzeldurchschneidung in den Agonisten sehr viel heftigere Aktionsströme
nachweisen konnte, als sie normale Menschen bei Durchführung der gleichen
Bewegungsaufgabe zeigen. Ja man kann wohl sagen, daß der Fortfall der nor-
malen autogenen Hemmung der Agonistentätigkeit nicht nur einen von vielen
Gründen für das Auftreten einer Ataxie nach Desensibilisierung eines Gliedes
darstellt, sondern sogar den Hauptgrund. Zu dem anderen hierfür meist ver-
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 67
antwortlich gemachten Faktor, dem Fortfall der bremsenden Antagonistentätig-
keit, kommt es nämlich gar nicht (H. Altenburger) und kann es auch gar nicht
kommen, da die Tätigkeit der Antagonisten im Rahmen der Ausführung will-
kürlicher Bewegungen nach den Untersuchungen von Wachholder gar nicht
reflektorisch ausgelöst wird.
Nebenbei gesagt, führt die bloße Ausschaltung der reflexerregenden sensiblen
Endigungen in den Muskeln durch Novokaininjektion nicht zum Auftreten von
Ataxie (Walshe beim Menschen, Magnus und Liljestrand, Bremer beim
Tier).
Wenn durch einen äußeren Reiz eine lokale Reaktion hervorgerufen wird,
so bleibt es, besonders bei einem ganzen, intakten Organismus, häufig nicht
bei der eben besprochenen lokalen antagonistischen Hemmung, d. h. bei der
Hemmung aller derjenigen Reaktionen, welche der neu ausgelösten störend
entgegenwirken würden, sondern es kommt zu einer mehr oder minder allge-
meinen Abschwächung oder Aufhebung aller Bewegungsreaktionen
(Beritoff). Dies tritt besonders leicht und auffällig ein, wenn ein neuer unge-
wohnter Reiz das Auge, Ohr oder Geruchsorgan trifft, also auf einen Fern-
reiz hin. Es kommt dann zu einer Orientierungsbewegung auf diesen Reiz hin
und zugleich sind alle anderen Reaktionen gehemmt. Am intensivsten sind dies
die bedingten Reflexe, evtl. sogar mit einer Nachwirkung bis zu mehreren Tagen
(Pawlow). Diese Orientierungsreaktion ist sicher ein Reflex, und die große
Bedeutung dieses, wie Pawlow meint, in der Physiologie und Neurologie ganz
vernachlässigten Reflexes für die Sicherung des Lebens ist offenbar.
Wir sind damit bei einer neuen Gruppe von Hemmungen angelangt, die
aber auch in diesen Abschnitt hineingehört, weil sie offenbar ebenfalls auf dem
integrierenden Prinzip des ZNS beruht. Zudem bestehen, wie eben schon ange-
deutet, möglicherweise fließende Übergänge zur vorigen Gruppe der rein anta-
gonistischen Hemmungen; doch ist diese anscheinend von Beritoff vertretene
Ansicht erst noch zu beweisen.
Mir scheinen viel innigere Beziehungen zu einer anderen Erscheinung zu
bestehen, nämlich zu der von Setschenow entdeckten und dessen Namen
tragenden Hemmung. Dieser fand, daß nach intensiver Belichtung (Blendung)
des Auges eines Frosches die Rückenmarksreflexe dieses Tieres stark gehemmt
sind. Dieselbe Hemmung konnte er auch durch direkte Reizung der Lobi optici
erzielen. Nebenbei gesagt, haben diese Versuche von Setschenow mit die
Veranlassung gegeben zu der vielumstrittenen Behauptung von der Existenz
besonderer „tonischer Hemmungszentren“, auf die weiter unten noch zurück-
zukommen sein wird.
Nach neueren Untersuchungen von Tonkich (siehe auch in derselben
Richtung liegende Chronaxieuntersuchungen von Achelis, sowie Brücke)
nimmt diese Setschenowsche Hemmung ihren Weg über den Sympathikus.
Werden die Rami communicantes durchschnitten, so bleibt sie aus. Gerade diese
Mitbeteiligung vegetativer Erregungen scheint mir nun darauf hinzudeuten,
daß die zur Diskussion stehende Gruppe von Hemmungen mit dieser Setsche-
nowschen wesensverwandt ist und nicht mit der vorher besprochenen der rein
antagonistischen Hemmungen. Bei den letztgenannten eine solche vegetative
Mitbeteiligung anzunehinen, besteht nicht die mindeste Veranlassung. Es
gibt keinen einzigen positiven Befund, der dies rechtfertigen würde. Hingegen
68 Kurt Wachholder
sind vegetative Beeinflussungen stets nachweisbar, wenn eine lokale Reaktion
(ob ein Orientierungsreflex oder ein anderer) mit einer generalisierten Hemmung
verbunden ist. Zumindest verraten sich diese dann in der immer vorhandenen
vorübergehenden Veränderung der Atmung, und, wenn man diese kontrolliert,
auch in einer solchen des Kreislaufes.
Hier würden sich dann noch diejenigen generellen Hemmungen an-
schließen, bei welchen das vegetative Geschehen ganz im Vordergrunde steht,
die Auslösung nicht mehr der Begleitung durch eine lokale motorische Reaktion
bedarf. Das sind die bekannten Hemmungen auf stark schmerzhafte äußere
Reize, wie sie 2. B. in krasser Form den Knockout der Boxer verursachen.
Schließlich wäre noch zweier im Tierreich weit verbreiteter Erscheinungen
zu gedenken, die wenigstens äußerlich mit den eben besprochenen ganz identisch
zu sein scheinen. Dies sind die Totstellreaktionen der Tiere und die sog. tierische
Hypnose. Beide kommen auf einen starken (ungewöhnlichen) äußeren Reiz
zustande, und beide bieten ganz das Bild einer generellen Hemmung. Ja sie
bieten nicht nur dieses Bild, sondern wenigstens bei der tierischen Hypnose
hat auch die genauere Einzelanalyse das Gehemmtsein von Reflexen ergeben
(Mangold, Beritoff). Es gibt auch einige Untersuchungen, welche darauf
hindeuten, daß hier ebenfalls ein vegetativ-hormonaler Mechanismus im Spiele
ist (Hoagland, Crozier und Frederighi). Die Zugehörigkeit der Totstell-
reaktionen und der tierischen Hypnose zu der soeben diskutierten Gruppe von
Hemmungserscheinungen ist aber noch keineswegs als geklärt anzusehen,
Sicher zurückgeführt in Zusammenhänge, welche sich nur im somatischen
ZNS abspielen, werden wir wieder bei einer letzten, ebenfalls zu den antagonisti-
schen Hemmungen gewisse Beziehungen aufweisenden Gruppe hierhergehöriger
Erscheinungen, die man vielleicht am besten als korrelative Änderungen des
Aktivitätszustandes der einzelnen Teile des ZNS bezeichnet. Man
kann die Beziehungen zwischen den eben besprochenen antagonistischen Hem-
mungen und diesen Erscheinungen dahin formulieren, daß alles das, was bei den
ersteren als akute Veränderungen in Erscheinung tritt, bei den letzteren sich
in der Form chronischer Zustandsbeeinflussungen zeigt. Handelt es sich dort
um die Verknüpfung einer akuten Erregung mit einer akuten antagonistischen
Hemmung, so hier um die Verbindung des bloßen Vorhandenseins funktions-
fähiger zentraler Elemente mit der dauernden Dämpfung des Aktivitätezustandes
anderer Elemente. Gemeint sind dem Neurologen so wohlbekannte Erschei-
nungen wie z. B. die dauernde Dämpfung des Tätigkeitszustandes des Rücken-
marks usw. von seiten der Großhirnrinde, die sich erst bei deren Ausfall durch
lebhafteste Funktionssteigerung verrät. Überall da, wo der Neurologe oder der
Physiologe bei einem Patienten bzw. nach einem Eingriffe in den Bestand des
ZNS ein langdauerndes Mehr an motorischen Äußerungen findet, bleibt ihm die
Wahl zwischen zwei Erklärungsmöglichkeiten, nämlich entweder einen dauernden
Reizzustand oder den Ausfall von dauernd vorhanden gewesenen Dämpfungen
(tonischen Hemmungen) verantwortlich zu machen (z. B. Head). Der Beweis,
daß wirklich das letztere vorliegt, ist selten direkt zu führen, meist nur indirekt
durch möglichsten Ausschluß des ersteren. Infolgedessen ist es nicht verwunder-
lich, daß über die Deutung mancher derartiger Erscheinungen heftigste Diskus-
sionen geführt worden sind und noch weiter geführt werden. Immer wieder
wird ja die Literatur überschwemmt mit Kontroversen darüber, was von den
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 69
Folgen der Ausschaltung irgendeines Teiles des ZNS, z. B. des Kleinhirns oder
des roten Kerns, und was von den Folgen der Erkrankung irgendeiner Gegend
desZNS, darunter ganz besonders des Corpus striatum, auf eine Reizung bzw.
auf einen Ausfall der Funktion der betroffenen Stelle zurückzuführen ist und was
auf eine Enthemmung anderer Teile. Soweit es sich um das Gehirn und speziell
um das Corpus striatum handelt, ist die eindeutige Analyse natürlich noch durch
eine Reihe von anderen Momenten erschwert. Aber selbst in dem relativ einfachen
und, wie man meinen sollte, dazu noch wohlbekannten Falle des isolierten Rücken-
marks sind die Verhältnisse noch überaus kompliziert und im einzelnen durchaus
noch nicht eindeutig geklärt. Die Veränderungen, welche die Reflexe an den
hinteren Extremitäten nach Durchschneidung der Zerebrospinalachse erleiden,
haben sich als viel verwickelter herausgestellt, als man gemeinhin gedacht hat.
Nimmt man z. B. die Muskeleigenreflexe, so zeigen diese, auch nach völliger
Überwindung des Schocks, gleichzeitig Veränderungen im Sinne der Reaktions-
abschwächung und solche im Sinne einer Verstärkung (Forbes, Cobb und
Cattell; Fulton). Die letzteren Veränderungen sind wohl ziemlich einwandfrei
als Enthemmungserscheinungen aufzufassen. Daß daneben auch Abschwächungen
vorkommen, ist bei dem Vorhandensein von kortikalen Impulsen, welche diese
Reflexe stark bahnen, nicht weiter verwunderlich. Erstaunlich ist höchstens,
daß die starke Abschwächung durch den Fortfall dieser Bahnungen das Vor-
handensein von Enthemmungen überhaupt noch erkennen läßt.
Auf andere Enthemmungserscheinungen nach Fortfall der Großhirn- bzw.
Kleinhirnfunktionen ist weiter unten im Zusammenhange mit der Frage der
Reaktionswandlungen noch näher eingegangen.
Einen ganz einwandfreien Nachweis einer Enthemmung — und damit zugleich
auch des korrelativen Zusammenhanges der Aktivität verschiedener Teile des
ZNS — dürften neueste Untersuchungen von Dusser de Barenne und Mar-
shall gebracht haben. Diese blockierten einen Punkt der motorischen Zone
der Großhirnrinde von Katzen, Hunden und Affen gegenüber seiner Umgebung
durch einen Wall von Novokain mit dem Erfolge, daß viele Minuten lang (an-
scheinend bis zum Wiederverschwinden der Novokainwirkung) die Erregbarkeit
dieses Punktes eine gewaltige Steigerung erfuhr. Es trat nicht nur eine Herab-
setzung der Reizschwelle und eine Verstärkung der ausgelösten Reaktion ein,
sondern auch eine weite Ausbreitung derselben. So gab z. B. bei einem Affen
ein gleich starker Reiz vor der Blockade nur eine leichte Beugung der Finger
der gekreuzten Hand, während der Blockade hingegen nicht nur eine weit stärkere
Beugung derselben, sondern auch eine solche des Handgelenks und oft noch eine
ebensolche des Ellbogengelenks und selbst noch eine Zurückziehung der Schulter.
Bei der Katze und beim Hund wurde oft ein Übergreifen auf andere Extremitäten
beobachtet. Sehr oft kam es zu klonischen, teilweise zu epileptiformen Nachent-
ladungen. Gerade das Letzte dürfte den Neurologen besonders interessieren;
muß man doch danach beim Vorhandensein epileptischer Krämpfe künftig nicht
nur mit Reizerscheinungen als Ursache rechnen, sondern auch mit Folgen einer
bloßen Enthemmung (s. auch Agadjanian).
Diese Beobachtungen dürften geeignet sein, die letzten Zweifel E
Forscher zu zerstreuen, welche bisher die Existenz dauernder gegenseitiger
Dämpfungen (tonischer Hemmungen) im ZNS für nicht bewiesen hielten. Damit
dürfte auch die alte, früher viel umstrittene und eine Zeitlang im negativen Sinne
Neurologie V, 2 6
70 Kurt Wachholder
als erledigt angesehene Frage nach der Existenz besonderer tonisch fungierender
Hemmungszentren bzw. intrazentraler reiner Hemmungsbahnen wieder aufs
neue aufgerollt sein. Der obige Nachweis des Vorhandenseins solcher Bahnen in
der Peripherie legt deren zentrale Existenz sehr nahe. Bewiesen sind sie aber
noch keineswegs, auch nicht durch die eben besprochenen gegenseitigen Dämp-
fungen.
Was diese letzteren anbetrifft, so sei ganz kurz noch auf folgendes hin-
gewiesen. Es dürfte wohl kaum ein Zufall sein, das der exakte Nachweis der-
selben zuerst an der Großhirnrinde geglückt ist; denn nach den Untersuchungen
von Pawlow und seinen Schülern spielt bei den an die Funktion der Großhirn-
rinde gebundenen bedingten Reflexen eine solche „gegenseitige Induktion‘ eine
erhebliche Rolle. Sie wird von Pawlow als die Grundlage der sog. Kontrast-
erscheinungen angesehen und dürfte damit im Dienste der im Großhirn be-
sonders entwickelten Funktion der differenzierenden Analyse der Umwelts-
erscheinungen stehen.
Neben den eben besprochenen Summationen und Bahnungen einerseits
und den Hemmungen andererseits gibt es nun noch eine dritte Gruppe von
Folgeerscheinungen des Zusammentreffens verschiedenartiger nervöser Er-
regungen, nämlich noch auffallende Wandlungen der resultierenden
Reaktionen, in der Form von Schaltungen oder auch Umkehrungen
derselben. Dies macht sich sowohl bei der direkten künstlichen Reizung einzelner
Punkte des ZNS, besonders aber des Großhirns, bemerkbar, als auch bei allen
möglichen natürlichen Erregungen irgendwelcher Teile des ZNS, also bei den
verschiedensten reflektorischen, willkürlichen oder auch automatischen Re-
aktionen.
Mit solohen Schaltungen und Umkehrungen müssen der diagnostizierende
Praktiker und der analysierende Theoretiker ständig rechnen, wenn sie sich von
dem Wert und Wesen einer zentralnervösen Reaktion ein richtiges Bild machen
wollen (vgl. u. a. v. Weizsäcker, Ranson). Die Nichtberücksichtigung der-
selben hat schon oft zu verhängnisvollen Fehlschlüssen geführt. Zumal bei
einem ganzen Organismus mit intaktem unverstümmeltem Nervensystem kann
man den Umfang und die Vielfältigkeit der sich vollziehenden Reaktionswand-
lungen nicht hoch genug einschätzen. Biologisch verleihen sie allein dem Organis-
mus die Fähigkeit, sich der wechselnden Umwelt prompt und sicher anzupassen.
Schon die Entfernung allein des Großhirns bedingt eine gewaltige Einschränkung
der Variabilität der Reaktionen. Dann vermindert wieder der Fortfall des
Mittelhirns die Variabilität ganz erheblich; aber selbst bei einem Tier, welches
lediglich das Lendenmark besitzt, besteht durchaus noch keine starre schaltungs-
und umkehrungslose Konstanz der Reaktionen.
Im einzelnen können nur ein paar charakteristische Beispiele hervorgehoben
werden, welche die zugrunde liegenden Mechanismen besonders gut erkennen
lassen.
Beginnen wir mit der direkten Reizung der Großhirnrinde, so ist hier ver-
schiedentlich beobachtet worden, daß man bei noch so punktförmiger Reizung
einer und derselben Stelle nicht immer die gleiche Reaktion erhält. Dafür kann
eine noch unvollkommene Differenzierung nicht verantwortlich gemacht werden;
denn die Beobachtungen sind an Affen angestellt worden (Graham Brown
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 71
und Sherrington, Lashley). Man erhält zwar von einem bestimmten Punkte
aus „gewöhnlich“ eine bestimmte Reaktion, z. B. die Beugung eines Gliedes,
unter Umständen aber auch eine andere und dann meistens die entgegengesetzte,
also eine Streckung desselben Gliedes, seltener auch eine Bewegung in einem
ganz anderen Gelenke. Was heißt aber hier „gewöhnlich“, bzw. welches sind hier
die verändernden Umstände? In dieser Beziehung hat die genauere Analyse
gezeigt, daß die „gewöhnliche“ Reaktion immer dann eintritt, wenn das Groß-
hirn eine Zeitlang vor der fraglichen Reizung und auch während derselben sonst
möglichst in Ruhe gelassen wird. Ist aber kurze Zeit vorher eine andere wirksame
Reizung vorausgegangen oder besteht eine solche noch, dann stellen sich die
Veränderungen der Wirkung ein. Diese liegen dann typischerweise immer in
der Richtung der Wirkung der vorangegangenen oder noch bestehenden Erregung
bis zur eventuellen völligen Umkehr in dieselbe. Auch bei den an die Funktion
der Großhirnrinde gebundenen bedingten Reflexen kann man ganz Entsprechen-
des beobachten. Kurz nach oder auch während eines stark positiven bedingten
Reflexes erhält man diesen auch durch sonst eine ganz andere Reaktion gebende
Reize. Ebenso zeigen auch die unbedingten (angeborenen) Extremitätenreflexe,
wenn man sie bei einem intakten Tiere auslöst, ein völlig analoges Verhalten
(Graham Brown). Befindet sich ein Glied im Zustande eirier aktiven Beugung,
so gibt ein Hautreiz reflektorisch immer nur eine Verstärkung dieser Beugung;
befindet es sich im Zustande der aktiven Streckung, so gibt derselbe Reiz immer
nur eine Verstärkung der Streckung.
In allen diesen Fällen handelt es sich offenbar um dasselbe Prinzip, daß
eine schon bestehende Erregung (evtl. nur noch als unterschwellige Nacherregung
bestehend) neu auftretende Erregungen gewissermaßen in ihre Bahn hinein
drainiert (McDougall). Man hat auch von einer Erregungsdominanz (Uch-
tomsky) gesprochen, oder auch von einem Erregungsgleichgewicht (neural
balance Graham Brown) und von Störungen desselben, wobei dann die eben
behandelte Dominanz eine besondere Art der Störung desselben darstellen
würde. Derauf wird weiter unten nach Besprechung anderer Typen der Reaktions-
wandlung noch genauer zurückzukommen sein.
Was die eben besprochene Art der Reflexumkehr usw. anbetrifft, so wird
diese ganz sicher begünstigt durch die besondere Ausprägung gewisser funktio-
neller Eigenschaften in der Großhirnrinde, zumal dadurch, daß dort, wie schon
mehrfach betont, Dauererregungen und deren Folgen offenbar eine ungleich
größere Rolle spielen als sonstwo im ZNS. Graham Brown konnte sie aber
auch am dezerebrierten Tiere beobachten.
Bei Tieren ohne Großhirn oder auch bei Tieren und Menschen mit isoliertem
Rückenmark macht sich aber viel stärker eine andere Art der Reaktionsumkehr
bemerkbar, welche dem äußeren Effekte nach der eben besprochenen gerade
entgegengesetzt gerichtet ist. Es handelt sich um eine Reflexumkehr in Abhängig-
keit von der Lage (Stellung) des Gliedes (v. Uexküll bei Wirbellosen, Gergens,
Sherrington, Magnus bei Wirbeltieren, Boehme beim Menschen). Ein und
derselbe Reiz löst, wenn die Extremität vorher passiv in eine Streckstellung
gebracht worden war, einen Beugereflex aus, hingegen wenn sie passiv in eine
Beugestellung gebracht worden war, einen Streckreflex. Graham Brown meint,
daß es sich hier wahrscheinlich um eine ganz andere Art der Umkehr handele
als bei der eben geschilderten, von ihm entdeckten. Dort wird die jeweilige
Oé
12 Kurt Wachholder
Gliedstellung noch weiter verstärkt, hier kommt es stets zur Überführung in
die entgegengesetzte Stellung. Dieser Gegensatz des Effektes ist natürlich
unbestreitbar, aber damit ist noch nicht gesagt, daß es sich hier um zwei ver-
schiedene Kategorien, d. h. dem Wesen des zugrunde liegenden Mechanismus
nach verschiedene Arten von Reflexumkehr handelt. Daran ändert auch nichts
der weitere Unterschied, daß die Ausgangsstellung dort eine aktiv eingehaltene
ist und hier eine passiv erteilte; denn auch im letzteren Falle sind für die Reflex-
schaltung aktive, dem ZNS zufließende Erregungen maßgebend. Dies hat
Magnus dadurch bewiesen, daß er die sensiblen Rückenmarkswurzeln der betr.
Extremität durchschnitt und dann keine Schaltung mehr auftreten sah. Er
konnte auch noch direkt die von den Muskeln, Sehnen und Faszien ausgehenden
sensiblen Erregungen für die Schaltung verantwortlich machen. Damit ent-
hüllt sich der tiefere Sinn der v. Uexküllschen Regel für die Richtung dieser
Schaltung, die darin gipfelt, daß die Erregung immer den gedehnten Muskeln
zufließe. Der Mechanismus dieser Schaltung ist nach allem offenbar der, daß
z. B. bei der passiven Beugung des Gliedes die Strecker gedehnt werden, hier-
durch eine dauernde Serie von Dehnungsreizen dem Streckerzentrum zufließt,
daß diese zwar zu schwach sind, um für sich allein eine reflektorische Entladung
desselben zu bewirken, aber das Zentrum in einen Zustand unterschwelliger
Dauererregung versetzen, so daß es gegenüber beliebigen anderen Erregungen
gebahnt ist. Da es nach Liddell und Sherrington auch propriozeptive Muskel-
nerven gibt, welche die zu den antagonistischen Muskeln fließenden Erregungen
hemmen, so spielt auch dies möglicherweise mit. Auf diesen Mechanismus der
Bahnung lassen sich alle Schaltungen zurückführen, welche sich in Abhängigkeit
von der passiven Gliedstellung vollziehen, oder welche, was auf dasselbe heraus-
kommt, der genannten v. Uexküllschen Regel folgen, ganz einerlei woher die
geschaltete Erregung stammt, ob von der Haut einer Extremität, ob von der
Haut des Rumpfes (Magnus), ob von den Labyrinthen usw. Sieht man aber
nun die erstgenannten Reaktionswandlungen (Schaltungen bei direkter Hirn-
rindenreizung, Dominanzerscheinungen bei den bedingten Reflexen, Reflex-
umkehrungen in Abhängigkeit von der aktiven Haltung der Glieder) näher
daraufhin an, so findet man, daß auch sie sich restlos als derartige Bahnungs-
erscheinungen auffassen lassen. Die geschilderte entgegengesetzte Richtung des
Auswirkens der Reflexschaltung je nach der aktiven oder passiven Innehaltung
der Gliedstellung ist dann ganz einfach lediglich als eine Folge der verschiedenen
Richtung der bahnenden Erregungen zu verstehen. Das Prinzip ist überall das-
selbe, nämlich Schaffung von Bahnungen durch unter- oder auch überschwellige
Dauererregungen und, da wir ja im ZNS immer auch mit wechselseitigen Induk-
tionen rechnen müssen, möglicherweise noch unterstützende Mitwirkung durch
antagonistische Hemmingen.
Daß die obige Ablehnung des Richtungsunterschiedes der Schaltungen als
eines Kriteriums ihrer Einteilung berechtigt ist, wird noch durch folgende, auch
praktisch-neurologisch sehr wichtige Hinweise von O. Foerster unterstrichen.
Dieser macht darauf aufmerksam, daß beim normalen und zumal beim neuro-
logisch kranken Menschen Dehnung einer Muskelgruppe deren Erregbarkeit
immer nur für kurze Zeit erhöht. Verallgemeinernd kann man wohl sagen, daß
die obengenannte Regel v. Uexkülls (die Erregung fließe den gedehnten Muskeln
zu) beim Menschen und bei den höheren Wirbeltieren nur für beschränkte Zeit
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 73
nach der Dehnung gültig ist. Die Verhältnisse schlagen nämlich ins Gegenteil
um, wenn die Dehnung durch entsprechende Lagerung längere Zeit beibehalten
wird. Wird beim normalen Menschen oder Tier eine Extremität aus irgend-
einem Grunde längere Zeit eingegipst, so kann man immer feststellen, daß der
Dehnungsreflex derjenigen Muskeln, deren Insertionspunkte während der Ruhig-
stellung des Gliedes einander angenähert waren, eine deutliche Steigerung zeigt
(sog. Annäherungskontraktur), in der Gruppe der gedehnten Muskeln hingegen
eine deutliche Abschwächung. Nach Foerster wird nun nicht nur der Dehnungs-
reflex der erstgenannten Muskelgruppe erhöht, sondern „überhaupt die gesamte
reflektorische Erregbarkeit und ebenso auch die willkürliche Erregbarkeit der-
selben gesteigert, wohingegen die der antagonistischen Muskelgruppe, welche sich
im Zustande der dauernden Dehnung befindet, vermindert wird. Die andauernde
Annäherung der Insertionspunkte eines Muskels erniedrigt die Reizschwelle der
zugehörigen eigenen motorischen Vorderhornganglienzellen, erhöht aber die der
antagonistischen Muskelgruppe; langanhaltende Dehnung eines Muskels erhöht
die Reizschwelle der eigenen motorischen Vorderhornzellen, erniedrigt aber die
der Antagonisten, und diese Beeinflussung der Reizschwelle bezieht sich sowohl
auf afferente Reize wie auf corticale Impulse. Bei den pathologischen Erregbar-
keitssteigerungen spielt dieses alles nach O. Foerster eine sehr bedeutungsvolle
Rolle, die so weit geht, daß bei vielen spastischen Zuständen die Form der Kon-
traktur, ob Beuger- oder Streckerkontraktur, entscheidend hierdurch beeinflußt
wird. Besteht neben der spastischen Kontraktur noch ein Rest von willkürlicher
Inner vationsfähigkeit, so wechselt auch diese zusammen mit der Richtung der
Kontraktur zwischen Streck- und Beugefähigkeit. Foerster hat über Fälle
berichtet, welche im Liegen eine Streckkontraktur der Beine aufweisen und die
Beine nicht zu beugen, wohl aber kräftig zu strecken imstande sind, welche aber
im Sitzen nach kurzer Zeit eine Beugekontraktur bekommen, und nun außer-
stande sind, die Beine zu strecken, sie hingegen kräftig zu beugen vermögen.
Die Erklärung für diese typische Schaltung der willkürlichen Innervationsfähig-
keit ist nach Foerster, daß die Vorderhornzellen der jeweilig in Kontraktur
befindlichen Muskeln durch die hiermit verbundenen reflektorischen Erregungen
so gebahnt sind, daß die schwachen ihnen noch zufließenden kortikalen Impulse
ausreichen, um sie zur Entladung zu bringen. Bei solchen Fällen beseitigt eine
Durchschneidung der hinteren Rückenmarkswurzeln zwar die spastischen Er-
scheinungen, damit aber auch die Bahnung und infolgedessen den letzten Rest
noch vorhanden gewesener willkürlicher Beweglichkeit.
Auf dasselbe Grundprinzip der Bahnung kann man schließlich auch noch
diejenigen dauernden Reflexwandiungen bzw. -schaltungen zurückführen, welche
man nach dem Ausfalle eines Teiles des ZNS, insbesondere des Großhirns oder
des Kleinhirns eintreten sieht. Den besten Einblick in die in dieser Beziehung
vorhandenen Verhältnisse dürften die folgenden einfachen und exakten Versuche
von Graham Brown an Meerschweinchen gewähren. In Fortsetzung seiner
eben besprochenen Untersuchung über Reflexumkehr in Abhängigkeit von der
aktiven Haltung der Glieder studierte dieser auch die Änderungen derselben
nach Entfernung einer und beider Großhirnhälften. Waren bei intakten Tieren,
unter Berücksichtigung der richtigen Ausgangsstellung, Beuge- und Streck-
reflexe gleich gut zu erhalten, so nach Entfernung einer Großhirnhälfte von
derselben Hautstelle aus, und dies jetzt ganz unabhängig von der Gliedstellung,
74 Kurt Wachholder
auf der operierten Seite nur noch Beugereflexe, auf der gekreuzten Seite hingegen
nur noch Streckreflexe. Dieses Verhalten blieb dauernd bestehen (Beobachtung
bis zu 3 Jahren nach der Operation). Wurde dann noch die zweite Großhirnhälfte
entfernt, so traten auf beiden Seiten nur noch Streckreaktionen ein. Auch ein
Reiz, der vorher beim intakten Tiere ein Kratzen auslöste, also eine Reaktion,
die mit einer Beugebewegung beginnt, gab jetzt eine Streckreaktion.
Diese Beobachtungen lassen sich mit Graham Brown nur so deuten, daß
vom Großhirn aus ein dauernder Einfluß zugunsten der Beugereaktionen aus-
geübt wird, durch den erst das normale Erregungsgleichgewicht (neural balance
von Graham Brown, die normale Tonusverteilung in der klinischen Ausdrucks-
weise) zwischen Beugern und Streckern gewahrt wird. Dieser Einfluß wird,
wie die Folge der einseitigen Großhirnexstirpation zeigt, auf die gekreuzte Seite
ausgeübt. Wie dieselbe Operation zeigt, muß aber zugleich auch noch ein dauern-
der die gleichseitige Streckung begünstigender Einfluß vorhanden sein. Dieser
muß aber eine wesentlich geringere Stärke haben ; denn sonst könnte nach doppel-
seitiger Großhirnentfernung das Erregungsgleichgewicht nicht so stark gestört,
nach der Seite der Streckung verschoben sein.
Nach Goldstein lassen eine ganze Reihe der nach einseitigem bzw. doppel-
seitigem Ausfall des Kleinhirns auftretenden Erscheinungen das Überwiegen
primitiver Streckungs- und Abduktionstendenzen erkennen. Er erblickt darum
die Hauptfunktion des Kleinhirns darin, das Großhirn in der Herstellung des
Erregungsgleichgewichtes durch Unterstützung der Beugungen und Adduktionen
zu unterstützen. Beim genaueren Studium des großen Materials, welches Gold-
stein zur Stützung dieser These beigebracht hat, wird niemand verkennen
können, daß hier zumindest ein äußerst interessanter Gesichtspunkt aufgezeigt
worden ist, von dem aus gesehen die bekanntlich so überaus zahlreichen sich
scheinbar widersprechenden Einzelbeobachtungen zur Physiologie und Pathologie
des Kleinhirns dies gar nicht mehr tun, sondern sich durchaus verständlich und
miteinander vereinbar zeigen. Diese Ansicht widerspricht freilich vollkommen
der alten Lucianischen Lehre von der Asthenie und Atonie nach Kleinhirn-
exstirpation, aber diese Lehre hat sich auch durch die neueren experimentellen
Untersuchungen von Rademaker als vollkommen unrichtig erwiesen. Klein-
hirnlose Tiere, vorausgesetzt, daß sie sich von den schwächenden Folgen der
Operation gut erholt haben, knicken vielmehr, beim Stehen und Laufen, wenn
belastet, viel weniger leicht ein als normale Tiere. Auch ist die sog. Stütz-
reaktion, d. h. die aktive Versteifung in Streckstellung bei dem Versuche, eine
Extremität durch Druck auf die Unterfläche der Zehen bzw. auf die Fußsohle
zum Einknicken zu bringen, bei dezerebrierten bzw. kleinhirnlosen Tieren wesent-
lich verstärkt. Läßt sich die Stützreaktion beim Menschen nachweisen, so ist
dies nach O. Sohwab ein typisches Zeichen für eine Schädigung der Stirnhirn-
(bzw. Schläfenhirn-) Brücke-Kleinhirnbahn. So ließe sich noch manches andere
zugunsten der obigen Ansicht anführen, darunter nicht zuletzt das Auftreten
der sog. Enthirnungsstarre, wenn die höheren Hirnteile durch einen Schnitt
etwa in der Gegend der vorderen Vierhügel abgetrennt werden (Sherrington).
Diese Starre kann man wohl am besten als ein übertriebenes Stehen mit steifen,
gestreckten Gliedern charakterisieren. Sie wird durch vorherige oder nachträg-
liche Exstirpation des Kleinhirns sicher nicht abgeschwächt, nach der Ansicht
mancher Autoren (z. B. Bremer, Lit. bei Spatz) sogar wesentlich verstärkt,
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 75
Reizung der vorderen Kleinhirnschenkel hemmt die Starre (Cobb, Bailey und
Holtz, sowie Miller und Banting).
Man hat viel darüber diskutiert, ob und wie weit diese Enthirnungsstarre
zu den menschlichen Spastizitätezuständen, Kontrakturen usw. in Beziehung
gesetzt werden darf (s. auch 8. 58). Bei diesen Diskussionen spielt die normale
bzw. abnorme Tonusverteilung, d. h. Spannungs- also Erregungsverteilung
zwischen Beugern und Streckern eine bedeutungsvolle Rolle. In dieser Beziehung
gilt die Enthirnungsstarre als ein typisches Beispiel einer abnormen, einseitigen
Erregungs- bzw. Spannungsverteilung nur auf die Strecker. Ein großer Teil der
Untersuchungen von Magnus und zumal von dessen Schüler Rademaker gilt
dem Bemühen, das „Zentrum der normalen Tonusverteilung“ ausfindig zu
machen, dessen Fortfall die einseitige Verteilung zugunsten der Strecker und
demgemäß eine Streckerstarre zur Folge habe. Nach Rademaker ist beim
Kaninchen und bei der Katze das Zentrum, welches die normale Tonusverteilung
beherrscht, in dem großzelligen Anteile des Nucleus ruber zu suchen. Dieses
soll nach der Ansicht von Rademaker auch voll und ganz für den Menschen
gelten, und er führt als Beleg dafür einige durch Geschwülste hervorgerufene
Fälle von „Enthirnungsstarre beim Menschen“ an, in welchen seiner Theorie
gemäß der kaudale Rand des Tumors ungefähr in dem Niveau des Sherrington-
schen Enthirnungsschnittes lag. Gegen diese Ubertragung auf den Menschen
haben aber Jakob, Spatz und andere Neurologen energisch Stellung genommen,
und zwar gegen beides, sowohl gegen die Gleichsetzung von tierischer Enthir-
nungsstarre und menschlichen Spastizitäts- und Rigiditätszuständen im allge-
meinen als auch im besonderen gegen die Inanspruchnahme des roten Kernes
als alleinigen Zentrums der normalen Tonusverteilung. Die Verfolgung der
ersteren Frage würde uns hier zu weit abführen. Es sei nur kurz auf die ausführ-
liche Begründung der Ablehnung dieser Gleichsetzung durch Spatz hingewiesen.
Was die zweite, hier akute Frage anbetrifft, so dürfte Spatz wohl die allgemeine
Zustimmung der Kliniker und auch diejenige der meisten Physiologen besitzen,
wenn er auf Grund des im ZNS so stark hervortretenden Prinzips der phylogene-
tischen und ontogenetischen Wanderung der Funktionen zum Kopfende hin,
die Übertragung der Rademakerschen Anschauung von der Bedeutung des
roten Kernes auf den Menschen glatt ablehnt. „Je tieferstehend eine Tierart
ist, ein desto geringerer Rest des extrapyramidalen Systems (im weiteren Sinne)
genügt, um die Aufrechterhaltung der normalen Tonusverteilung, die normale
Körperhaltung und die Fortbewegungsart noch zu ermöglichen.“ (Spatz, I. o.
S. 416.) Beim Menschen sind hierzu nicht nur die kaudalsten Abschnitte des
extrapyramidalen Systems, der Nucleus ruber, erforderlich, sondern das ganze
System einschließlich seines vordersten Abschnittes, des Striatums, ja darüber
hinaus auch noch das Kleinhirn und gewisse Abschnitte des Großhirns, wie
zumal das Stirnhirn (s. oben Schwab).
Wie man sieht, dreht sich die Diskussion nur um gewisse lokalisatorische
Streitfragen, während der Grundgedanke von Magnus von dem Auftreten einer
Störung der normalen Spannungs- bzw. Erregungsverteilung zwischen Beugern
und Streckern beim Fortfall bestimmter höherer Teile des ZNS gar nicht in die
Diskussion einbezogen, sondern allgemein stillschweigend als richtig anerkannt
wird. Und doch beruht gerade dieser Grundgedanke auf einer irrigen Auslegung
der Erscheinung der Enthirnungsstarre. Man hat, wie Wachholder kürzlioh
76 | Kurt Wachholder
zeigte, ohne durch experimentelle Unterlagen dazu berechtigt zu sein, einfach
den Schluß gezogen, aktive Streckstellung der Extremitäten, folglich einseitige
oder zumindest ganz überwiegende Erregung nur der Strecker. Dieser. Schluß
ist aber ein Trugschluß; denn wie die genaue Analyse mit Hilfe der Aktionsströme
ergab, sind in der Enthirnungsstarre nicht nur die Strecker, sondern auch die
Beuger dauernd erregt und in beiden Muskelgruppen nimmt die Stärke der
Erregung mit der Stärke der Starre zu und ab. Diesen Befund mußte Rade-
maker voll bestätigen, doch ist er merkwürdigerweise auf die von Wachholder
gezogene unabwendbare Konsequenz, daß die Magnus-Rademakersche Auf-
fassung von der Enthirnungsstarre als einer einseitigen Tonusverteilung dann
revisionsbedürftig sei, nicht eingegangen. Die naheliegende Frage, warum es
denn, wenn auch die Beuger stark erregt werden, zu einer Streckstellung der
Glieder komme, ließ sich experimentell durch Reizung des ganzen Nervenplexus
eines Gliedes einfach dahin beantworten, daß bei den Extremitäten der Katze
das periphere Drehmoment der Streckmuskeln dasjenige der Beugemuskeln bei
weitem übertrifft. Die Enthirnungsstarre ist also eine übertrieben starke all-
gemeine Versteifung der Extremitäten, und darin entspricht sie ganz der oben
mehrfach erwähnten Stützreaktion, mit der sie sich auch bei der näheren Analyse
in bezug auf die Einzelheiten des nervösen Mechanismus als nahe verwandt
erwiesen hat (Wachholder). Damit kommt man aber ganz auf die biologische
Auffassung von Sherrington zurück. Diese läßt sich kurz dahin zusammen-
fassen, daß ebenso wie das übertrieben leichte und übertrieben starke Auftreten
von Stützreaktionen nach der Dezerebrierung, so auch das unter denselben
Umständen zu findende Zustandekommen der Starre als eine abnorme Steigerung
(Enthemmung oder Reizsymptom ?) der biologischen Haltungs- bzw. Verstei-
fungsreaktion gegen die Schwere zu betrachten sei.
Man muß hieraus wohl die Konsequenz ziehen, daß die Hypothese von der
Existenz eines besonderen Zentrums für die normale Tonusverteilung bzw. die-
jenige einer Störung dieser Verteilung beim Fortfall der höchsten Hirnteile ab-
zulehnen ist, weil in der Hauptsache auf einer irrigen Voraussetzung beruhend.
Man kann nur das als eine experimentell gesicherte Tatsache ansehen, daß beim
Fortfall bestimmter höherer Hirnteile gewisse Reaktionen im allgemeinen leichter
auslösbar sind als andere, so beim Fortfall nur des Großhirns bzw. Kleinhirns
im allgemeinen Streckreaktionen, bei funktioneller Isolierung des Rückenmarks
hingegen im allgemeinen Beugereaktionen (z. B. Babinskis Phänomen). Aber
auch das gilt nur im allgemeinen. Keineswegs kommt es dann zu einer strengen,
durchwegs bestehenden Einseitigkeit der Reaktion. Dies zeigen einmal die oben
zitierten Ausführungen von O. Foerster über die Umwandelbarkeit von Streck-
kontrakturen in Beugekontrakturen in Abhängigkeit von der passiv erteilten
Gliedstellung. Weiter sprechen im selben Sinne noch Beobachtungen von Simons
über deren Abhängigkeit von der Kopfstellung, sowie Beobachtungen von Katzen-
stein über Dorsalflexion der Großzehe (Babinski) oder Plantarflexion derselben
in Abhängigkeit von der Rücken- oder Bauchlage des Patienten u. a.
Aus alledem muß man wohl folgern, daß, wenn es infolge des Ausfalles der
Funktion irgendwelcher Hirnteile zu Reaktionswandlungen nach einer bestimmten
Richtung hin kommt, die hierdurch bedingte Einseitigkeit doch niemals eine
derart ausgesprochen starre ist, daß Erregungsschaltungen peripherer Genese
hiergegen nicht aufkommen können. Die letzteren scheinen vielmehr immer die
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 17
Oberhand zu behalten. D. h. man kann praktisch neurologisch einen schweren
Fehler begehen, wenn man bei irgendwelcher Einseitigkeit der nervösen Reak-
tionen die peripheren Bedingungen ihrer Entstehung außer acht läßt.
Anhangsweise sei noch kurz über neueste Beobachtungen von Hinsey,
Ranson und Zeiß berichtet, welche vielleicht eine gewisse praktische Bedeutung
gewinnen können. Bei mehr oder minder vollständiger funktioneller Isolierung
des Rückenmarks erweisen sich bekanntlich die das Stehen garantierenden Funk-
tionen ganz besonders schwer geschädigt. Beziehungsweise sie sind überhaupt
nicht mehr nachweisbar, so daß sie nach einer weitverbreiteten Ansicht für un-
bedingt an die Funktion von Hirnteilen gebunden gehalten werden. Die genannten
Forscher fanden aber nun, daß dekapitierte Hunde nach intravenöser Injektion
von Ephedrin für viele Stunden ausgezeichnete Stützreaktionen bekommen, so
daß sie dann stehen können ohne einzuknicken.
8. Tendenz zur Bildung gröberer Erregungsrhythmen (Tätigkeits-
perioden). Rhythmisch alternierende Tätigkeiten (sog. reziproke
Innervation).
Eine rhythmische Ablaufsform finden wir zwar bei allen möglichen Lebens-
erscheinungen (Fr. W. Fröhlich) und so nicht zuletzt auch als ein Charakteri-
stikum der Tätigkeit der peripheren Nerven. Aber bei allen Erregungsabläufen,
solange sie sich noch im Bereiche des peripheren Nervensystems abspielen (etwa
bei den sensiblen Erregungen), sind niemals gewisse gröbere Rhythmen von einer
Dauer von kürzestens !/,, Sek. bis zu einer solchen von mehreren, ja vielen Sekun-
den zu finden, welche man alsbald in außerordentlicher Häufigkeit auftreten
sieht, sowie die Erregung auch das zentrale Nervensystem durchlaufen hat. In
der ausgesprochenen Tendenz zur Bildung solcher gröberer Rhythmen, oder
vielleicht besser gesagt Perioden oder Phasen der Erregung bzw. Tätigkeit haben
wir demnach einen weiteren charakteristischen Unterschied zwischen der Tätig-
keitsform des zentralen und der des peripheren Nervensystems zu erblicken.
Dies gilt um so mehr, als diese Tendenz sich ganz unabhängig davon zeigt, ob
die zentralnervöse Erregung automatischer oder sensibler bzw. sensorischer oder
willkürlicher Art ist und auch davon, ob sie als physiologisch oder als pathologisch
zu betrachten ist.
Um nur einige Beispiele zu bringen, seien von normalen automatischen Er-
regungen die rhythmischen Entladungen des Atemzentrums und diejenigen des
zentralen Mechanismus der Fortbewegung genannt. Winterstein hat für die
ersteren und Graham Brown und an diesen sich anschließend Wachholder
für die letzteren den Beweis geliefert, daß der Rhythmus hier in der Tat ein
autochthon zentralvervöser und kein durch periphere reflektorische Wieder-
reizung aufgezwungener ist. Weiter sei an die in den sog. Traube-Hering-
schen Blutdruckwellen sich kundgebenden automatischen Schwankungen des
„Tonus“ des Vasomotorenzentrums erinnert, die sich nach neueren Untersuchun-
gen von Gollwitzer-Meier auch auf das Venensystem erstrecken. Überdies
gibt es nicht selten rhythmische Schwankungen des „Tonus“ des Vaguszentrums,
die sich in rhythmischen Änderungen der Herzfrequenz äußern (Fred érioq) usw.
Den vasomotorischen Schwankungen gehen nach Berger Aufmerksamkeits-
schwankungen parallel, oder allgemeiner gesagt spontane rhythmische Schwan-
78 Kurt Wachholder
kungen in der Stärke der Tätigkeit der höchsten Teile des ZNS. Auf deren
Existenz weisen auch neuere Untersuchungen von Allen hin.
Die vielen pathologischen Rhythmenbildungen (klonische Zuckungen, Tre-
morerscheinungen, periodisch sich wiederholende Innervationen bzw. Bewegungen
usw.), die anerkanntermaßen rein zentralen Ursprunges sind, brauchen wohl nicht
einzeln angeführt zu werden. Deren Zahl ist eher noch größer als man gemeinhin
annimmt; denn sie ist höchst wahrscheinlich noch zu vermehren durch einzelne
derjenigen rhythmischen Erscheinungen, welche man als Folgen peripherer
reflektorischer Wiederreizung anzusehen gewohnt ist. Dies gilt vor allem vom
Fußklonus, der nach den zeitlichen Messungen von Wachholder und Alten-
burger keine Kette von Sehnenreflexen sein kann, sondern als Äußerung einer
zentralen Rhythmenbildung aufgefaßt werden muß, die durch periphere Reize
nur ausgelöst, unterstützt und evtl. modifiziert wird.
Unter den zahlreichen rhythmischen Erscheinungen, die sich nach sensibler
Reizung nicht rhythmischer Natur zeigen, sind in erster Linie die ausgesprochen
„phasischen Reflexe“, wie Sherrington sie nennt, zu erwähnen, also die rhyth-
mischen Kratz- oder Wischreflexe und die rhythmischen Reflexe vom Typus
der Fortbewegung (rhythmische Beinanziehbewegungen mit und ohne gekreuzte
Streckbewegungen, Strampelbewegungen auf einen konstanten Hautreiz hin).
Eine ausgezeichnete Bearbeitung dieses Gebietes mit umfangreichen Literatur-
angaben findet man bei Graham Brown. Hier sind vornehmlich die einschlä-
gigen Tierversuche behandelt, während über rhythmische Reflexe beim Menschen
vor allem Böhme berichtet. Was die einfachen, rein einphasigen Beuge- oder
Streckreflexe anbetrifft, so kann man sagen, daß sie nicht als die durchschnittliche
Regelerscheinung anzusehen sind, als die man sie gewöhnlich hinstellt. Sie sind
viel eher als relativ selten verwirklichte Grenzfälle zu betrachten. Dies beruht
auf der schon im vorigen Abschnitte erwähnten charakteristischen Erscheinung
des Erregungsrückschlages, die darin besteht, daß jede einigermaßen kräftige
Beuger- oder Streckererregung ihr Ende nicht einfach mit dem direkten Übergang
in den Ruhezustand zu finden pflegt, sondern auf dem Umwege über einen kurzen
(meist schwachen, manchmal aber auch kräftigen) Umschlag in die entgegen-
gesetzte Erregung. Ganz unverkennbar wird die hierin sich aussprechende
rhythmische Tendenz in denjenigen Fällen, in denen die Ruhe erst über einen
nochmaligen Rückschlag in die Ausgangserregung erreicht wird. Nimmt man
dazu noch die von Graham Brown gemachte Beobachtung, daß die nach Aus-
schaltung der Reflexe vom Rückenmark ausgesandten automatischen Erregungen
stets die Form rhythmisch alternierender Beuge- und Streckreaktionen besitzen,
so versteht man, daß dieser Forscher zu der folgenden Auffassung vom Wesen
der Reflexe kommen mußte: Die fundamentale Einheit der Tätigkeit des ZNS
ist nicht der einzelne Reflex, sondern die rhythmische Tätigkeit, die sich „in solchen
phasischen Tätigkeiten, wie jene der Atmung und der Fortbewegung äußert.
Rhythmische Fortbewegung wird daher nicht als ein Komplex angesehen, welcher
erst spät im Verlaufe der organischen Entwicklung erscheint und durch das
Zusammenwirken der primitiveren Reflexeinheiten aufgebaut wird. Der Reflex
wird eher als die neuere Erscheinung, als durch das Spiel eines später entwickelten
afferenten (sensorischen) Mechanismus auf das Zentrum bedingt betrachtet,
dessen fundamentale rhythmische Tätigkeit infolge hiervon entstellt ist. Es
wird, mit anderen Worten, angenommen, daß der ‚Reflex‘ . . . nichts mehr
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 79
oder weniger ist als der entstellte ‚Schlag‘ der fundamental rhythmischen
Tätigkeit.“
Ergänzend sei betont, daß nicht nur die Hautreflexe die Tendenz zur rhyth-
misch alternierenden Tätigkeitsform erkennen lassen, sondern in nicht geringerem
Maße auch die Muskeleigenreflexe (Sehnenreflexe). Beim normalen Menschen
löst eine heftige passive Bewegung eines Gliedes, etwa durch einen kurzen starken
Schlag auf dasselbe, außer bei völlig erschlafften Muskeln (völlig lockerem Gelenke)
stets eine mehrfach alternierende Innervation der Beuger und Strecker des
betroffenen Gelenkes aus (Wachholder und Altenburger). Bei pathologisch
gesteigerten Reflexen z. B. in der Enthirnungsstarre der Katze (Wachholder)
ist dies besonders ausgeprägt. Beim Menschen redet Heymanowitsch von
einer ampholateralen Pendelmodifikation des Kniereflexes. Bei spastischer Para-
plegie sah er es zu alternierenden Beugungen und Streckungen in beiden Beinen
kommen. Im übrigen werden auch von Reflexen, welche nicht die Innervation
der Extremitäten betreffen, oszillatorische Erscheinungen berichtet, so z. B. vom
Pupillenreflex auf Lichteinfall (Behr, v. Studnitz).
Noch wesentlich stärker als bei den Reflexen prägt sich die rhythmische
Tendenz der Tätigkeit des ZNS bei der willkürlichen Haltung und Bewegung des
Menschen aus (Wachholder). Dies geht hier so weit, daß eine völlig ruhige,
oszillationsfreie Haltung und Bewegung auch bei ganz normaler Innervation
(geschweige denn bei pathologischer Tremorneigung) so gut wie unmöglich ist.
Dabei spielt sowohl bei der Haltung als auch bei der langsamen willkürlichen
Bewegung der Glieder eine Oszillationsfrequenz von etwa 10 rhythmischen
Stößen pro Sekunde eine besondere Rolle. Nur von einer gewissen mittleren
Geschwindigkeit an ist uns eine glatte, zügige Ausführung einer einzelnen Beugung
oder Streckung möglich. Aber dann zeigt sich die rhythmische Tendenz am
Schlusse der Bewegung darin, daß das Glied nicht glatt wieder zur Ruhe kommt,
sondern erst nach einem Bewegungsrückschlag (Rieger, Isserlin) und bei wirk-
lich schnellen Bewegungen gar erst nach mehreren immer kleiner werdenden
pendelförmigen Hin- und Rückbewegungen. Wie die genauere Analyse mit Hilfe
der Aktionsströme ergab, beruhen diese rhythmischen Tendenzen, welche die
glatte Ausführung von willkürlichen Einzelbewegungen stören, darauf, daß die
Erregung stoßweise zwischen den antagonistischen Muskeln hin und her pendelt.
In besonders auffälligem Maße trifft dies für die schnellen Bewegungen zu. Es
scheint so, daß wir gar nicht imstande sind, die für die Ausführung einer solchen
Bewegung erforderliche plötzliche heftige Innervation aufzubringen, ohne daß
es zu einem derartigen Hin- und Herpendeln der Erregung kommt. In anderen
Fällen zumal bei der aktiven Haltung, aber auch beim langsamen Sinkenlassen
eines Gliedes, beruhen die Oszillationen darauf, daß die Innervation des einen, näm-
lich des als Agonist gebrauehten Muskels, eine rhythmisch stoßweise ist, während
die antagonistischen Muskeln völlig erschlafft bleiben. Diese aktive rhythmische
Tendenz wird passiv noch dadurch unterstützt, daß alle schnellen Bewegungen
der Glieder, einerlei wie sie zustande gekommen sind, ob reflektorisch, willkürlich
oder auch rein passiv, zu elastischen Schwingungen derselben Veranlassung geben,
worauf besonders Pfahl aufmerksam gemacht hat.
Alle diese aktiven und passiven rhythmischen Tendenzen, die sich bei der
Ausführung von Einzelbewegungen dauernd in leichten und manchmal auch in
gröberen Koordinationsstörungen bemerkbar machen, begünstigen auf der anderen
80 Kurt Wachholder
Seite in außerordentlichem Maße die vollkommen koordinierte Ausführung
rhythmisch fließender Hin- und Herbewegungen. Aus alledem hat Wachholder
(I. o. S. 698) gefolgert, „daß nicht die isolierte Einzelbewegung als die unserem
Bewegungsmechanismus entsprechende Elementarform der willkürlichen Be-
wegung betracht werden muß und die Hin- und Herbewegung als eine Summe
von solchen elementaren Einzelbewegungen, sondern daß umgekehrt die Hin-
und Herbewegung die Elementarform sein muß und die Einzelbewegung eine
kompliziertere sekundäre Modifikation derselben“.
Aber nicht nur auf motorischem sondern auch auf sensorischem Gebiete
macht sich diese rhythmische Tendenz bemerkbar. Hierfür liefern, worauf schon
Sherrington aufmerksam gemacht hat und worauf später besonders Fröhlich
und Ebbecke aufs eindringlichste hingewiesen haben, das beste Beispiel die
sog. Sukzessivkontraste im Gebiete des Licht- und Farbensinnes, ferner eben-
dort die periodischen Nachbilder mit ihren alternierenden antagonistischen
Farbeneindrücken und schließlich noch die rhythmischen Erscheinungen beim
sog. Wettstreit der Sehfelder. Bis in kleine Einzelheiten hinein lassen sich hier
Analogien zu entsprechenden Erscheinungen bei den Extremitätenreflexen ziehen.
Ferner sei nur kurz auf die in der Psychologie wohlbekannte große Neigung aller
Personen zu rhythmischer bzw. taktmäßiger Gliederung der Bewußtseinsinhalte
hingewiesen. Fr. W. Fröhlich kommt zu dem Schlusse, „daß dieser durch die
Organisation unseres Nervensystems gegebene Rhythmus die Form ist, in welcher
alle Empfindungen erscheinen“. Speziell auch die Anschauung der Zeit sei
durch den Rhythmus unserer Bewußtseinsvorgänge bedingt. Schließlich gehören
hierher wohl auch noch die oben schon erwähnten rhythmischen Aufmerksam-
keitsschwankungen.
Über die tieferen Ursachen dieser überall, wo es sich um zentralnervöse
Reaktionen handelt, durchbrechenden rhythmischen Tendenz läßt sich z. Z. noch
nicht viel Positives sagen. Als sicher kann man mit Brücke wohl die eine nega-
tive Feststellung betrachten, daß das Refraktärstadium nicht als Ursache verant-
wortlich gemacht werden kann. In früheren Abschnitten dieser Ausführungen
wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß wir vom Refraktärstadium streng
unterscheiden müssen ein Stadium zeitweiliger Leistungsherabsetzung bzw.
-unfähigkeit nach jeder Erregungsentladung, und daß dieses Stadium bei vielen
zentralnervösen Entladungen besonders ausgeprägt ist. Nach den zeitlichen Ver-
hältnissen zu urteilen, ist die periodische Tätigkeitsform des ZNS nur mit diesem
Stadium in Verbindung zu bringen und nicht mit dem Refraktärstadium. Wir
wissen ferner noch, daß in sehr vielen Fällen (ob in allen ?) diese zeitweise Lei-
stungsunfähigkeit auf einer der Erregungsentladung folgenden kurzen Hemmungs-
periode beruht. Man erinnere sich der im vorangehenden Abschnitte näher
besprochenen Hemmung nach einem Muskeleigenreflexe (P. Hoffmann). Daß
die rhythmische Form des Kratzens auf einer periodischen Hemmung beruht,
hat Graham Brown gezeigt. Bei der eben schon geschilderten reziproken
Innervation unserer Muskeln, die ja die Grundlage aller unserer Bewegungsinner-
vationen darstellt, ist es ebenso. Nur ist dann mit der periodischen Hemmung
des Agonisten noch die periodische Erregung des Antagonisten gekoppelt.
Über den Mechanismus, auf welchem die reziproke Innervation beruht, ist
viel diskutiert und spekuliert worden. Weitaus am besten begründet dürfte die
Theorie von Graham Brown sein, welche zwei miteinander gekoppelte antago-
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 81
nistische Halbzentren annimmt, zwischen denen Erregung und Hemmung hin-
und herpendelt. Die meisten der Autoren, welche sich in den letzten Jahren mit
den Fragen der Bewegungsinnervation beschäftigten (z. B. Verzär, Wach-
holder, Forbes, Ranson u. a.), lehnen sich in ihren Vorstellungen an dieses
von Graham Brown gegebene Grundschema an (s. auch S. 78). Eine gewisse
entwicklungsgeschichtliche Stützung hat dieses Schema durch Untersuchungen
von Coghill erfahren. Dieser fand bei Amblyostoma (Axolotl), daß das ur-
sprünglich einheitliche Lokomotionszentrum sich zur Zeit des Bewegungsbe-
ginnes längsteilt und daß mit dem Rhythmischwerden der Bewegungen Ver-
bindungsfasern zwischen den beiden Teilen (Halbzentren) auftreten. Die Grund-
vorstellung der Existenz gekoppelter Halbzentren ist zweifellos nicht schlecht
gestützt, aber alle Einzelvorstellungen über die funktionelle Art dieser Koppelung
sind doch noch völlig hypothetisch. Es sei darum nicht näher darauf eingegangen.
Ebensowenig soll über die Versuche näher berichtet werden, auch die rhythmische
Natur der Atmungsinnervation in dieses Vorstellungsschema hineinzupressen.
Im einzelnen ist gerade hier noch vieles dunkel.
Man muß sich z. Z. schon mit der Feststellung begnügen, daß man in der
rhythmischen Tätigkeitstendenz eine augenscheinlich fundamentale Eigentüm-
lichkeit des ZNS zu erblicken hat, und muß deren befriedigende Erklärung der
zukünftigen Forschung überlassen.
9. Entstehung automatischer Erregungen auf Stoffwechsel-(Blut-)
reize hin.
Schließlich ist noch ein wesentlicher funktioneller Unterschied zwischen
zentralem und peripherem Nervensystem darin zu erblicken, daß im ZNS Stoff-
wechselreize (Blutreize) zu automatischen Erregungen Veranlassung geben,
während im peripheren NS nichts Derartiges stattfindet.
Man muß in der Formulierung dieses Unterschiedes vorsichtig sein; denn
es ist keinesfalls so, daß Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung
seiner Umgebung das periphere NS überhaupt nicht direkt beeinflussen. Dieses
reagiert vielmehr auf Schwankungen des Gehaltes an Salzen, Inkreten usw.,
insbesondere aber des Gehaltes an Wasserstoffionen, d.h. auf Schwankungen
des Säuregehaltes ebenso mit charakteristischen Änderungen seiner Erregbarkeit
wie das ZNS und auch anscheinend stets mit ganz gleichartigen. Man kann auch
nicht behaupten, daß wenigstens insofern ein prinzipieller Unterschied bestehe,
als derartige Schwankungen im ZNS außerdem noch frische Erregungen aus-
lösten, im peripheren NS hingegen niemals; denn unter pathologischen Verhält-
nissen scheint letzteres sehr wohl der Fall zu sein. Es dürfte kaum einem Zweifel
unterliegen, daß bei den verschiedensten Neuralgien die schmerzhaften Erregungen
durch direkte chemische Einwirkungen auf die peripheren Nervenstämme zustande
kommen. Experimentell hat Grützner an freigelegten Hautnerven durch rein
chemische Reize Schmerzen bzw. schmerzhafte Erregungen erzeugen können.
Auf motorischem Gebiete ist etwas Darartiges allerdings weit weniger sicher
anzunehmen. Immerhin liegt in manchen Fällen, z. B. bei der Tetanie, durchaus
die Möglichkeit vor, daß hier solche peripher entstandenen Erregungen mit hinein-
spielen. Ja nicht einmal für die normalen Verhältnisse ist das Zustandekommen
peripherer Erregungen auf Grund direkter chemischer Reizung strikte abzu-
lehnen. Zwar sind die meisten dies behauptenden Angaben bisher immer noch
82 Kurt Wachholder
widerlegt worden. Dies gilt zumal für die von Heymans, Bouckaert und
Dautrebande in den letzten Jahren verschiedentlich verfochtene Behauptung,
daß der an der Teilungsstelle der Carotis externa und interna gelegene sog.
Karotissinus ein Rezeptionsorgan für die verschiedensten chemischen Reize dar-
stelle, daß die Atmung auch von hier aus und nicht nur vom Atemzentrum selbst
aus durch die Blutreize reguliert werde. Golwitzer-Meier konnte nämlich
Fehler in den dieser Angabe zugrunde liegenden Versuchen aufdecken und an-
scheinend sicher nachweisen, daß Blutreize nur am Atemzentrum selbst wirksam
sind.
Es gibt aber noch eine Art von Erregungen, bei der die Behauptung, daß sie
durch direkte Einwirkung chemischer Reize auf die peripheren Nervenfasern
entstehen, zwar bestritten aber keineswegs widerlegt ist. Das sind die zur Schmerz-
empfindung führenden Erregungen. Sicher können bei rein chemischer Reizung
der normalen Haut schmerzhafte Erregungen entstehen, aber es ist durchaus
nicht allgemein anerkannt, daß dies dann auf der direkten Reizung der in den
oberflächlichen Schichten der Haut zu findenden freien Nervenendigungen
beruhe, welche nach v. Frey als die Endigungen der Schmerznerven zu be-
trachten sind. Nach den ausgedehnten neurochirurgischen Erfahrungen von
O. Foerster muß zwar der Zweifel Goldscheiders an der von v. Frey behaup-
teten Existenz besonderer schmerzperzipierender und -leitender Organe als nicht
berechtigt abgelehnt werden. Nach besonderen histologischen Untersuchungen,
welche Foerster gemeinsam mit Boeke durchgeführt hat, muß aber auch die
Behauptung v. Freys, daß die intraepithelialen freien Nervenendigungen als die
spezifischen Rezeptoren des Schmerzgefühls zu gelten hätten, abgelehnt werden.
Diese Autoren entnahmen bei Patienten mit Nervendurchtrennungen, bei denen
in entsprechenden Gegenden der Haut dissoziierte Empfindungsstörungen vor-
handen waren, Hautstücke, in welchen nur das Schmerzgefühl erhalten war, und
untersuchten sie histologisch. Sie fanden dort in keinem Falle die v. Freyschen
freien Nervenendigungen, sondern bald diese bald jene Endkörperchen. Auf
Grund dieser Befunde und noch anderer Überlegungen spricht Foerster die
Vermutung aus, ob nicht die in allen möglichen Endapparaten der Haut und auch
der tieferen Organe vorhandenen sympathischen Endigungen als die Schmerz-
rezeptoren anzusehen seien. Wie dem auch sein mag, jedenfalls kommt es nach
diesen histologischen Untersuchungen, wenn überhaupt, dann keinesfalls aus-
schließlich infolge direkter Reizung freier Nervenendigungen zu schmerzhaften
Erregungen, sondern ebenso wie bei der Auslösung aller anderen Empfindungen
auch hier mindestens zum Teil auf dem Wege über besondere Endapparate.
Daraus ergibt sich aber für die Beantwortung der uns hier interessierenden Frage,
daß die Tatsache der rein chemischen Auslösbarkeit von Schmerzen nicht als
Beweis dafür angesehen werden darf, daß es schon normalerweise Erregungen
gibt, welche einer direkten chemischen Einwirkung auf die peripheren Nerven-
fasern ihre Entstehung verdanken. |
Wenn auch somit z. Z. kein einziger positiver Beweis für die Existenz von
etwas Derartigem vorzubringen ist, so darf man doch andererseits nicht übersehen,
daß eine solche Möglichkeit aus folgendem allgemeinem Grunde als prinzipiell
gegeben anzusehen ist. Zweifellos besteht doch die Möglichkeit einer direkten
Reizbarkeit der peripheren Nerven im intakten Organismus. Nach unseren der-
zeitigen Vorstellungen ist aber eine solche Reizung, einerlei ob der Reiz ursprüng-
Allgemeine Physiologie des Zentralnervensystems 83
lich ein elektrischer, mechanischer oder thermischer ist, letzten Endes doch
immer die Folge einer chemischen Veränderung, nämlich einer Ionenverschie-
bung. Die Frage, ob schon im normalen Organismus durch chemische Verände-
rungen in der umgebenden Gewebsflüssigkeit bzw. im Blute auch im peripheren
NS Erregungen entstehen können, ist also prinzipiell zu bejahen. Die andere
Frage aber, ob sie dort normalerweise auch ebenso wie im ZNS wirklich entstehen,
ist jedoch als eine durchaus offene zu bezeichnen. Einwandfreie Befunde, daß
dem so ist, bestehen jedenfalls nicht. Immerhin muß man sich, ehe nicht der
Mechanismus der Schmerzentstehung restlos aufgeklärt ist, davor hüten, dies
vollkommen zu leugnen und in einer solchen Form etwa einen prinzipiellen Unter-
schied zwischen zentralem und peripherem NS konstruieren zu wollen.
Ganz unabhängig aber von der Klärung der Frage der Schmerzentstehung
kann man die Behauptung, daß hier ein wichtiger Unterschied zwischen zentralem
und peripherem NS vorliegt, vollkommen aufrechterhalten, wenn man sich an
die im Beginne dieses Abschnittes gewählte Form hält, also die Entstehung der
sog. automatischen Reaktionen als Kriterium heranzieht.
Es war schon im vorigen Abschnitte davon die Rede, daß wichtigste moto-
rische Automatismen, nämlich die Atmung und die rhythmische Fortbewegung,
nach den Untersuchungen von Winterstein bzw. Graham Brown u. a. sicher
rein zentraler Genese sind, daß periphere Reizungen bzw. Erregungen hier nur
eine sekundäre, eine modifizierende Bedeutung besitzen. Die zitierten Autoren
haben auch eingehende Beiträge dazu geliefert, daß es Stoffwechsel-(Blut-)reize
sind, die diese Automatismen in Gang halten, sowie auch dazu, welcher Art diese
Stoffwechselreize sind. Die anderen (durchschnittlich alle überaus lebenswichti-
gen) zentralnervösen Mechanismen, wie z. B. die automatische Tätigkeit des Vaso-
motorenzentrums, sind in bezug auf diese Frage sehr viel weniger gründlich
durchuntersucht. Es ließe sich aber mancherlei dafür vorbringen, daß hier ganz
analoge Verhältnisse vorliegen. So hat z. B. Smirnow experimentelle Stützen
beigebracht, daß der Tonus des Vaguszentrums auf Stoffwechselreizen beruht.
Im übrigen werden auch die automatische Darm- und vor allem Herztätigkeit
auf ganz die gleiche Art aufrechterhalten.
Hiermit dürften die wesentlichsten funktionellen Unterschiede zwischen
zentralem und peripherem NS erschöpft sein. Überblickt man sie, so muß
man zwar für eine Reihe von ihnen zugeben, daß sie nur solche quantitativer
Art sind. Bei einigen handelt es sich hingegen um Unterschiede durchaus
qualitativen Charakters, wie z. B. bei der Irreziprozität der Erregungsleitung,
bei der Umgestaltung von Erregungen und bei der Erscheinung der Hemmung,
die alle drei nur im zentralen NS vorkommen. Nach alledem, was wir über diese
Unterschiede kennengelernt haben, kann wohl kein Zweifel sein, daß es unmöglich
ist, die Funktionsweise des ZNS lediglich aus dem vom peripheren NS her Be-
kannten voll verstehen zu wollen, wie dies vor einem guten Jahrzehnt noch
Lucas, Adrian und Forbes versucht haben. Ja selbst die rein quantitativen
Unterschiede sind z. T. derart erheblich, daß dadurch ganz neue, vom anderen
Objekt her kaum verständliche Folgeerscheinungen auftreten.
Letzteres gilt aber, wie wir mehrfach sahen, auch für einen Vergleich der
Funktionsweise der einzelnen Teile des ZNS. Hier sind z. B. zwischen Rücken-
mark und Hirnrinde mehrere quantitative funktionelle Unterschiede von einem
84 Kurt Wachbolder
nicht minder erheblichen Ausmaße als zwischen peripherem Nerv und Rücken
mark festzustellen. Qualitative Funktionsunterschiede innerhalb des ZNS sind
freilich bisher nicht bekannt geworden. Aber auch wenn es bei dem Fehlen von
solchen bleiben sollte, so muß man doch schon allein auf Grund der nachgewiesenen
großen quantitativen Unterschiede vor zweierlei warnen: einerseits davor, die
bei der Erforschung des Rückenmarks (insbesondere des isolierten) festgestellten
funktionellen Tatsachen ohne weiteres unbedenklich auch auf das Gehirn zu
übertragen; andererseits, da die bekannten quantitativen Unterschiede unüber-
sehbare Folgen haben können, aber auch davor, die Leistungen der höheren
Hirnteile voreilig als nicht durch die auch schon dem Rückenmark zukommenden
funktionellen Grundeigenschaften erklärlich hinzustellen. In beiden Hinsichten
ist eine erhebliche Reserve am Platze, die sowohl von Physiologen als auch von
Neurologen leider vielfach nicht genügend geübt wird.
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Allgemeine Psychologie
von Erich Stern in Mainz.
Die Berichte über den letzten internationalen Psychologenkongreß, der im
August 1932 in Kopenhagen stattfand, betonten fast alle übereinstimmend, daß
der Ertrag des Kongresses außerordentlich gering gewesen sei. Eine sehr große
Zahl von Vorträgen und Referaten wurde gehalten, aber irgendwelche wesent-
lichen Dinge seien nicht zur Sprache gekommen. Diese Tatsache war es auch,
die eine Berichterstattung über die Fortschritte der allgemeinen Psychologie
während der vergangenenen Jahre überflüssig erscheinen ließ, sie ist es, die den
Referenten auch heute vor besondere Schwierigkeiten stellt, zumal über wesent-
liche Gebiete der Psychologie — Experimentalpsychologie, Psychoanalyse, Ange-
wandte Psychologie usw. — bereits von anderer Seite berichtet worden ist. Wir
werden uns daher auch im folgenden auf eine Besprechung einiger weniger
Arbeiten und Probleme beschränken können.
I.
Es schien eine Zeit hindurch, als ob die Psychologie, die sich im 19. Jahr-
hundert langsam und mühevoll von der Philosophie losgelöst und an den Natur-
wissenschaften orientiert hatte, diesen Boden wieder verlassen wollte. Nicht etwa,
daß wir eine philosophische Besinnung auf die Grundlagen, von denen die Psycho-
logie auszugehen hat, ablehnen, so halten wir es doch für geboten, sich an die Er-
fahrung zu halten. Man darf nicht übersehen, daß alles Leben — und damit
auch das psychische Leben — an den Körper geknüpft ist, daß es einen Teil
dessen bildet, was die Naturwissenschaft zu erforschen unternimmt. Die
geisteswissenschaftliche Psychologie glaubt diese naturhaften Grundlagen ver-
nachlässigen und sich auf das Studium einer ganz bestimmten Reihe seelischer
Vorgänge, unabhängig von ihrem Zusammenhang mit dem organischen Geschehen
beschränken zu dürfen. Eine derartige Betrachtung ist naturgemäß möglich und
hat ihre Berechtigung, sofern man sich ihrer Begrenztheit bewußt ist. Ihr gegen-
über erscheint es geboten, die Psychologie auch vom biologischen Standpunkt
aus zu betrachten und von hier aus eine philosophische Erörterung zu versuchen.
Das ist auch dann möglich, wenn man sich darüber klar ist, daß auch hier außer-
ordentlich große Schwierigkeiten liegen. Die Biologie sucht das Lebensgeschehen
zu erforschen. Leben ist aber immer an die Materie gebunden, und so war von
hier aus gesehen die alte Forderung verständlich, daß die Psychologie ihre Auf-
gabe erst dann ganz erreicht habe, wenn es ihr gelungen sei, die psychischen Pro-
zesse auf physisches Geschehen zurückzuführen. Damit taucht wiederum die
alte Frage nach den Beziehungen zwischen physischem und psychischem
Geschehen von neuem auf.
In einem recht instruktiven Aufsatz ‚Die Welt des Organischen“ (erschienen
in dem Sammelband „Das Weltbild der Naturwissenschaften“ [ Stuttgart,
90 Erich Stern
Ferdinand Enke, 1931]) führt Max Hartmann aus, daß sich zur Lösung dieser
Frage heute kein auch nur einigermaßen Erfolg versprechender Ansatz finde,
und er erklärt dies damit, „daß die Frage überhaupt nicht gelöst werden kann,
daß das Verhältnis ein völlig alogisches ist, das logisch-rational, also mit
den Mitteln der Wissenschaft in keiner Weise erfaßt werden kann“; hier liege,
so meint Hartmann, die größte Problematik, die das Leben überhaupt bietet;
jeder Versuch, das Seelische aus den Prinzipien des physischen Lebens erklären
zu wollen, sei verfehlt. Ebenso verfehlt sei auch jeder Versuch, von dem Psy-
chischen her unbekannte physische Vorgänge des Lebens erklären zu wollen.
Unmittelbar ist jedem von uns immer nur das eigene Psychische gegeben.
Nur durch einen Analogieschluß können wir die hier gemachten Erfahrungen auf
andere Menschen — und auch auf Tiere — übertragen, aber aus der Gleich-
artigkeit äußerer Manifestationen unserer Bewußtseinsvorgänge mit denen unserer
Mitmenschen dürften wir nie auf das Vorhandensein gleichartiger Bewußtseins-
vorgänge schließen. Natürlich wissen wir, daß irgendein Zusammenhang zwischen
körperlichem und seelischem Geschehen besteht, daß der Mensch ein einheitliches
Wesen ist, in dem die beiden getrennten Welten in dauerndem Konnex stehen.
Aber es ist nicht verständlich, wie ein Prozeß als Körpervorgang beginnen und als
seelischer Vorgang enden kann und umgekehrt. Einer kritischen Würdigung
halte die Annahme einer Wechselwirkung nicht stand. Physisches und Psychisches
sind wie zwei parallele Linien, die sich entsprechen, sich aber nicht schneiden.
So bleibt die Grenze zwischen psychologischer und physiologischer Forschung
trotz der innigen Beziehung, die durch die Einheit des psychophysischen Wesens
der Organismen gegeben sind, nicht eine relative, sondern eine absolute, un-
übersteigliche. „Die vergleichende Sinnesphysiologie und Tierpsychologie,
die experimentelle Psychophysik der menschlichen Psychologie, sie treiben alle
keine echte Psychologie, sondern nur Physiologie, die infolge der komplexen
ungeklärten Kausalzusammenhänge mit psychologischen Begriffen beschwert ist,
die aber bei weiterem Fortschreiten der Erkenntnis eliminiert werden müßten.
Es ist wie ein Reden in zweierlei Sprachen, das aber doch nur dem Begreifen eines
einzigen Sachverhaltes dient. Und dieser begreifbare Sachverhalt ist immer nur
der physische.“
Hartmann betont weiter, daß durch diese Feststellung die durchgehende
und übergreifende Problembeziehung der beiden Problemgebiete natürlich nicht
aufgehoben wird. „Die psychophysische Einheit des Menschen ist als Phänomen
des Seins schlechthin gegeben.“ Die Natur der bestehenden Zusammenhänge
bleibe aber unverständlich. Die Theorie des psychophysischen Parallelismus
bleibe unbefriedigend. Das sucht auch Bergson in seinen Ausführungen in dem
Buche „Die seelische Energie (Jena 1928) nachzuweisen. Diese Theorie komme
in drei Spielarten vor: „die Seele drückt die Zustände des Leibes aus, oder der
Leib drückt die Seele aus, oder Leib und Seele sind zwei Übersetzungen in zwei
verschiedene Sprachen, von einem Urtext, der weder das eine noch das andere ist.
In allen drei Fällen wäre das Hirnliche das genaue Äquivalent des Geistigen.“
Diese Auffassung ist, wie Bergson ausdrücklich betont, nicht irgendwie auf dem
Wege über die Erfahrung gewonnen, sondern sie ist abgeleitet aus „den all-
gemeinen Prinzipien einer Metaphysik, die man, wenigstens zum großen Teil
erdacht hatte, um den Hoffnungen der modernen Physik Gestalt zu geben.
Diese Theorie würde“ auf die Behauptung hinauslaufen, wir könnten, sobald wir
— — — . „ Hp
Allgemeine Psyohologie CH
einmal im Besitz des Hirnzustandes sind, alle wahrgenommenen Objekte durch
Berühren mit einem Zauberstaub zum Verschwinden bringen, ohne daß sich an
dem, was im Bewußtsein vorgeht, das Geringste ändern würde: „Für ihn kann
man, solange man sich auf den Boden der Erfahrung stellt, nur sagen, daß zwischen
Physischem und Psychischem eine Beziehung besteht, aber wie diese zu denken ist,
bleibt ungewiß.“ Er selbst wählt ein Bild: wenn man einen Mantel an einen Nagel
hängt, so besteht zwischen Mantel und Nagel auch eine Beziehung; reißt man den
Nagel aus, so fällt der Mantel zu Boden, bewegt man ihn, so schwankt er hin und
her, ist der Nagel zu spitz, so bekommt er Löcher. Aber es folgt daraus nicht, daß
„daß jedes einzelne Teilchen des Nagels einem einzelnen Teilchen des Mantels
entspricht, und daß der Nagel das Äquivalent des Mantels wäre — und noch viel
weniger, daß Mantel und Nagel dasselbe wären. Ebenso ist das Bewußtsein zwei-
fellos an ein Hirn angehängt — aber daraus folgt noch lange nicht, daß das Hirn
jede Einzelheit des Bewußtseins nachzeichne, noch auch, daß das Bewußtsein
eine Funktion dee Gehirns wäre. Alles, was die Beobachtung, die Erfahrung
und daher auch die Wissenschaft uns zu behaupten gestatten, ist die Existenz
einer gewissen Beziehung zwischen Gehirn und Bewußtsein.“ Bergson meint
weiter, daß das Gehirn nur die Aufgabe habe, einen kleinen Teil von dem, was im
Bewußtsein vorgehe, in Bewegung umzusetzen, und daß das „Seelenleben über
das Leben des Gehirns hinausgeht“, d. h. weiter reicht.
Von ganz anderer Seite her kommend, sucht G. Wolff in seinem großen
Aufsatz „Leben und Seele“ (in dem Sammelwerk „Das Lebensproblem im Lichte
moderner Forschung“; Leipzig, Quelle & Meyer, 1931) das psychische Problem
einer Klärung entgegenzuführen. Wolff sucht zunächst den Begriff des Lebens,
der Entwicklung faßbar zu machen, um dann die Frage nach dem Wesen und nach
der Bedeutung des Psychischen innerhalb der Lebenserscheinungen zu klären.
Leben bedeutet, allgemein gesprochen, Anpassungsfähigkeit, und das Psychische
erleichtert diese Anpassungsfähigkeit in einem ungeheuren Ausmaß. Wir über-
gehen die höchst beachtenswerten Ausführungen, die Wolff über die Verhaltens-
lehre und über die Frage, wo das Psychische in der Lebewelt beginnt, über die
Probleme des Instinkts macht, und beschränken uns auch hier auf eine Erörterung
des Leib-Seeleproblems.
Gewisse Bewegungskombinationen unserer Mitmenschen suchen wir kausal
verständlich zu machen, indem wir sie als Handlung auffassen, das bedeutet aber,
daß wir psychische Glieder kausal beteiligt sein lassen, und zwar nach Analogie
der erlebten kausalen Mitwirkung psychischer Vorgänge an gewissen Körper-
bewegungen. Wird der psychische Faktor als kausaler in die Betrachtung ge-
wisser organischer Vorgänge eingeführt, so ist die Möglichkeit einer Einwirkung
der Psyche auf den Körper vorausgesetzt. Für den Menschen besteht die Welt
zunächst nur aus Empfindungen, sie ist ihm zunächst also rein peychisch gegeben.
Besagt dies nun, daß ihr nichts Außerpsychisches entspricht ? Eine derartige
Auffassung würde zum Solipeismus führen. Wenn es andere Bewußtseine gibt,
so stehen diese doch auch außerhalb meines Psychischen. Daß sie alle die Welt
wahrnehmen, beruht entweder auf einer prästabilierten Harmonie, oder es existiert
eine Außenwelt, die alle Bewußtseine in der gleiohen Weise affiziert. Diese
letztere Annahme ist die wahrscheinlichere.
Der peychophysische Parallelismus leugnet nun das Vorhandensein einer
kausalen Beziehung zwischen Psychischem und Physischem, also etwa auch der
92 Erich Stern
Schnittwunde und des Schmerzes; er sagt, daß in kausaler Beziehung zur Schnitt-
wunde nur eine Kette von Bewegungen stünde, die vom Schmerz begleitet werde.
Wolff führt weiter aus, daß sowohl die Lehre von der Wechselwirkung wie die
parallelistische These dualistisch seien. Er bemerkt weiter, daß die biologische
Forschung bisher das Psychische hingenommen und der Psychologie überlassen
habe; die Psychologie ihrerseits habe nur Beobachtungen gesammelt, sich aber
nicht um das Physische gekümmert.
Die Physiologie des Nervensystems hat die Vorgänge im Nervensystem und
die durch diese ausgelösten Bewegungen zu beschreiben. Sie stößt dabei zuerst
auf die Reflexe (Sehnenreflexe, Hautreflexe, Pupillenreflex usw.); bei ihnen spielen
psychische Vorgänge keine Rolle; das gilt auch dann, wenn der Reiz empfunden
wird. Dabei ist zu beachten, daß die Reflexe nicht übbar sind. Hingegen kann
man da, wo es sich um durch das Gefühl vermittelte seelische Reaktionen handelt,
das Psychische nicht ausschalten (Erröten, Erblassen, Zittern, Lähmung der
Sphinkteren usw.). Hier scheint das Gefühl die Rolle eines kausalen Faktors zu
spielen. Bei den Instinkten ist die Ausschaltung von Wahrnehmung und Gefühl
als kausale Faktoren schwierig, noch schwieriger bei der intelligenten Handlung.
Die Handlung kann nicht restlos auf Bewegungen zurückgeführt werden. Das tut
aber der Parallelismus, für den letzlich das Psychische nur eine Scheinexistenz
hat. Die parallelistische Theorie eliminiert die Seele dadurch, daß sie sie nur
nebenher laufen läßt, ohne ihr eine Einwirkung auf das Körpergeschehen zuzu-
gestehen. Er will die höchsten psychischen Leistungen mechanisch erklären,
er setzt eine lückenlose Reihe körperlicher Vorgänge voraus, die in einer kausal
geschlossenen Kette vom Reiz zur Handlung führen. Dieser Reihe parallel läuft
die Reihe der psychischen Vorgänge, die der ersten Reihe zwar vollständig ent-
spricht, die aber für den Ablauf der mechanischen Vorgänge nicht die geringste
Bedeutung hat, also ignoriert werden kann. Mit einer solchen Auffassung aber
kann sich die Biologie nicht zufrieden geben.
Betrachtet man das Sehen, so vollzieht sich alles physiologisch bis zu einer
bestimmten Stelle: der, wo das „Sehen“ einsetzt. Weshalb tritt das Psychische
nur hier und nicht schon eher hervor 1 An das Sehen schließt sich eine Reihe von
Gefühlen an, die wieder in sich geschlossen ist. Sollen nun die beiden Reihen,
die physische und die psychische. einander parallel laufen, ohne eine eigentliche
Beziehung zueinander ? Wie aber kann es verstanden werden, daß beide Reihen
einander entsprechen ohne eine Kausalbeziehung ? Es gibt sonst nirgendwo in
der Welt zwei derartig parallele Vorgänge. Sie sind nach der Auffassung von
Wolff einfach denkunmöglich. Auch der Schatten ist kausal von seinem Gegen-
stand bedingt.
Viele Vorgänge (so etwa die Herztätigkeit) sind rein kausal zu verstehen.
Das Sehen müssen wir zuvor erlebt haben. Diese Kette ist uns rein mechanisch
oder rein physiologisch nicht verständlich. Sie wird verständlich erst, wenn ein
nicht-physiologisches Glied in die Kette eingefügt wird. Nur die physiologischen
Glieder machen die psychologischen und umgekehrt verständlich. Beide Reihen
stehen in engstem Zusammenhang miteinander. Die psychische Reihe stellt sich
da ein, wo die körperliche Reihe eine Lücke zu haben scheint, nie aber da, wo
die körperliche Reihe den Vorgang biologisch erschöpft.
Wolff schließt seine beachtenswerten Ausführungen mit den Sätzen: ‚Der
Parallelismus soll gegenüber der Lehre von der Wechselwirkung den Vorzug
Allgemeine Psychologie 93
haben, daß er die Lückenlosigkeit in der kausalen Kette bewirkt. In Wirklichkeit
verringert er die kausale Verständlichkeit. Die psychischen Zwischenglieder der
Wechselwirkungslehre dienen ja gerade der kausalen Erklärung: wird ihre Wir-
kung ausgeschaltet, so wird das kausale Verständnis verringert. Die Wechsel-
wirkungslehre ist also die einzige, welche biologisch möglich ist. Zwar ist zuzu-
geben, daß wir nicht verstehen, wie Körperliches und Seelisches aufeinander ein-
wirken können. Aber verstehen wir denn, wie Körperliches auf Körperliches
einwirken kann!“
Mit den letzten Sätzen ist in der Tat die ganze Problematik der hier behan-
delten Fragen aufgezeigt. Gewiß scheint uns eine Kausalität zwischen der körper-
lichen und der seelischen Reihe zu bestehen, die Erfahrung weist uns zu deutlich
darauf hin, aber wie aus Körperlichem Seelisches und wie aus Seelischem Körper-
liches „hervorgeht“, darüber vermögen wir uns nicht einmal eine Vorstellung zu
bilden. Ob die Forschung jemals dahin kommen wird, erscheint fraglich. Heute
jedenfalls sind wir über die Einsichten Dubois-Reymonds, der in den hier
erörterten Fragen eines der „Welträtsel“ sah, nicht wesentlich hinausgekommen.
Vielleicht ist es wirklich so, wie Simmel es einmal ausdrückt, daß der Mensch
das Wesen sei, das die Probleme wohl zu sehen, sie aber nicht zu lösen imstande ist.
II
Hinsichtlich der theoretischen Fundierung der einzelnen psychologischen
Richtungen scheint ein wesentlicher Fortschritt in den letzten zwei oder drei
Jahren nicht zu verzeichnen. Es mag hier dem letzten Bericht nur einiges noch
nachgetragen werden.
Zunächst die Gestalt psychologie. Sie knüpft an die Untersuchungen von
Ehrenfels an, der bereits die beiden wesentlichsten Kriterien für die „Gestalt“
herausgestellt hatte. „Gestalt“ besagt nichts anderes, als daß ein Zusammenhang
mehr ist als das Zusammenhängende. Ein aus zwei Linien gebildeter Winkel ist
durchaus verschieden von „zwei Linien“, ein Dreieck nicht die Summe von drei
Linien. Wenn man eine Melodie nimmt, so ist sie mehr als die Summe der ein-
zelnen Töne. Zum anderen aber ist die Melodie „transponierbar“, d. h. sie kann
in eine andere Tonleiter übergeführt werden, die, Gestalt“ bleibt doch die gleiche,
die Tonfolge kann als Melodie wieder erkannt werden. Genau so kann man eine
Gestalt auf optischem Gebiet — eine Figur (Dreieck, Viereck usw.) oder einen
Körper — verändern, ohne daß sie ihren „Charakter“ ändert (Ahnlichkeitsgesetze).
Das Ganze, und nicht die einzelnen Teile, die in dem Ganzen miteinander ver-
bunden sind, bedeutet das Primäre. Daß von dieser Auffassung her die ent-
wicklungspsychologischen Probleme, die Probleme der pädagogischen Psycho-
logie usw. eine ganz andere Darstellung finden müssen, ist durchaus klar. Wert-
heimer, der wohl als der Führer der modernen gestaltpsychologischen Richtung
zu bezeichnen ist, Köhler, der durch seine glänzend durchgeführten Versuche
am Menschenaffen gezeigt hat, wie sich das Gestaltprinzip auch in der Tierpsycho-
logie bewährt, Koffka und Lewin, die von hier ausgehend Probleme der Kinder-
psychologie erörtert haben, Otto Lipmann, der das Gestaltprinzip in den
Intelligenzforschungen als Fundament zugrundelegen will (vgl. besonders seine
kleine Schrift: Über Begriff und Formen der Intelligenz, Leipzig 1924), können
heute wohl als die Hauptvertreter der Gestaltpsychologie angesehen werden.
Insbesondere Köhler hat in seinem Buche „Die physischen Gestalten in Ruhe
94 Erich Stern
und im stationären Zustande‘ (Braunschweig 1920) schon frühzeitig darauf hin-
gewiesen, daß das Gestaltprinzip keineswegs nur auf das psychische Geschehen
beschränkt sei, sondern daß die Naturwissenschaften schon lange, wenn auch
unausgesprochen, mit ihm arbeiten.
Die Gestaltpsychologie, die in zahlreichen Einzelarbeiten, die besonders in
der Zeitschrift „Psychologische Forschung“ erschienen sind, ihre Grundanschau-
ungen durchzuführen und zu erhärten versucht hat, ist nicht unwidersprochen
geblieben. Ich weise hier nur auf die Arbeiten von Müller, von Karl Bühler
hin, In der letzten Zeit hat sie eine eingehendere Kritik durch Jaensch und
Grünhut (vgl. deren Schrift „Über Gestaltpsychologie und Gestalttheorie“,
Langensalza 1929) erfahren. Es mag übrigens bemerkt sein, daß von philo-
sophischer Seite auch Max Scheler eine deutliche Hinwendung zu den Prinzipien
der .Gestaltpsychologie zeigt.
Nicht berücksichtigt in dem letzten Bericht wurde die Psyohologie, wie
sie William Stern vertritt, die personalistische Psychologie. William Sterns
psychologische Anschauungen sind, streng genommen, nur vom Boden seiner
philosophisch-weltanschaulichen Stellungnahme aus zu verstehen. Auf diese —
sie ist in seinem dreibändigen Hauptwerk „Person und Sache“ niedergelegt —
hier näher einzugehen, ist unmöglich. Neuerdings hat er in dem ersten Bande
seiner „Studien zur Personwissenschaft‘‘ (Erster Teil: Personalistik als Wissen-
schaft, Leipzig 1930) das Fundament seiner Anschauungen wesentlich zu erweitern
unternommen. Der Personbegriff ist für William Stern keineswegs auf den
Menschen beschränkt. Person ist für ihn — vgl. auch seine kleine Schrift „Die
Psychologie und der Personalismus“ (Leipzig 1917) — ein solches Existierendes,
das trotz der Vielheit der Teile eine reale eigenartige und eigenwertige Einheit
bildet und trotz der Vielheit der Teilfunktionen eine einheitliche zielstrebige
Selbsttätigkeit vollbringt. Er führt eine Reihe neuer Begriffe in die Wissenschaft
ein. Neben der besonderen Fassung des Personbegriffs, wie wir sie soeben kennen-
gelernt haben, erfährt der Begriff der Disposition bei ihm eine neue Prägung.
Disposition ist keine Neuauflage des Vermögensbegriffs der alten Psychologie,
sondern Disposition bezeichnet bei ihm etwas Potentielles, das zielstrebig gerichtet
ist (Disposition zu etwas). Wichtig ist besonders der Begriff der psychophysischen
Neutralität, durch den er den Gegensatz zwischen Parallelismus und Wechsel-
wirkungslehre zu überbrücken sucht. Die Beziehungen zwischen Psyche und
Außenwelt erfahren durch seine Konvergenzlehre eine Neugestaltung. Gerade
diese hat übrigens in dem neuen Buche eine wesentliche Vertiefung erfahren.
Der Mensch ist „unitas multiplex“, Einheit in der Vielheit. Das Problem,
wie sich die Mannigfaltigkeit der Merkmale zur Einheit verhält, läßt drei Deu-
tungsmöglichkeiten zu: 1. Der Nachdruck liegt auf der Einheitlichkeit, die zur
Einheit vergröbert wird. Das Ich wird ein selbständig existierendes Etwas, dem
die Fülle der Merkmale als äußerliches Beiwerk gegenübersteht (naiver Personalis-
mus). 2. Die Fülle der Merkmale wird betont, das Individuum ist lediglich ein
Aggregat, eine Summe, keine Person (Impersonalismus). 3. Es wird die Vielheit
und die Einheit anerkannt, die Einheit in der Vielheit (kritischer Personalismus).
Die Merkmale des Individuums gliedern sich in physische und psychische. Die
Erkenntnis der physischen Elemente kann durch ein anderes Individuum herbei-
geführt werden (Extrospektion), psychische Tatbestände hingegen sind nur dem
Individuum selbst zugänglich (Introspektion). Bisher ging die Psychologie von
Allgemeine Psychologie 95
der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen aus und suchte alle Einheitsbildungen
sekundär zu erklären. Die Einheit wurde rein aggregativ gedeutet, sie bestand
aus Elementen, war nichts Übergeordnetes. Andere Forscher führten den Begriff
des Aktes ein (z. B. Stumpf), andere den Begriff der schöpferischen Synthese
(Wundt), aber nirgends wurde das Mannigfaltige als solches durch die Einheit
in seiner Bedeutung aufgehoben. Stern fordert, daß die Psychologie als Viel-
einheitslehre gefaßt werde. Das Einheitsprinzip ist für ihn nicht nur als gedank-
liche Zusammenfassung, sondern als realer Wirkungsfaktor über dem Mannig-
faltigen zu verstehen. Das Verhältnis von Vielheit und Einheit vollzieht sich nicht
nur einmalig im Individuum, sondern in mehrfach gestaffelter Über- und Unter-
ordnung, wodurch sich die Vieleinheit des Individuums als Schichtensystem dar-
stellt. Stern unterscheidet vier Schichten der Persönlichkeit: die Phänomene,
die Akte, die Dispositionen, das Subjekt. Akte und Dispositionen sind etwas
primär Meta-psychophysisches und nur sekundär von der Alternative „psychisch“
oder „physisch“ betroffen, ja zuweilen sind sie dieser Alternative überhaupt nicht
mehr zu unterwerfen. Stern spricht hier von psychophysischer Neutralität.
„Nicht daß es Physisches und Psychisches gibt, sondern daß es reale Personen
gibt, ist die Grundtatsache der Welt. Daß diese Personen sich und anderen er-
scheinen können und hierdurch die Phänomene des Psychischen und des Phy-
sischen erzeugen können, ist erst eine Welttatsache zweiten Rangrs.“ In seinen
zahlreichen Büchern über die Intelligenz und die Entwicklung des kindlichen
Seelenlebens hat Stern die hier nur ganz kurz angedeuteten Grundanschauungen
durchzuführen und ihre Fruchtbarkeit zu erweisen unternommen. Was wir hier
sehen, ist also, von ganz anderer Seite her kommend und von ganz anderen philo-
sophischen Voraussetzungen ausgehend, das Bemühen, die Ganzheit des psy-
chischen Geschehens, ja darüber hinaus der Lebensphänomene, zu wahren,
Einige interessante Bemerkungen zu den Grundfragen der Konstitutions-
psychologie wie sie von Kretschmer begründet wurde, macht Theodor Ziehen
(vgl. sein Buch „Die Grundlagen der Charakterologie“; Langensalza 1930). Auch
er muß zugeben, daß sich zum mindesten zwischen pyknischer Körperkonstitution
und zyklothymen Temperament eine Verbindung findet, wenn auch sehr ausge-
prägte Ausnahmen vorkommen. Ziehen weist darauf hin, daß nach den Anschau-
ungen von Kretschmer seelische Erscheinungen als koordiniert mit den Erschei-
nungen des Körperbaus anzusehen sind. Der Blutchemismus wird als die gemein-
same Ursache der beiden Reihen betrachtet. Ziehen weist demgegenüber darauf
hin, daß der Blutchemismus doch nur dadurch im Seelenleben wirksam werden
kann, daß er eine Funktionsänderung der Hirnelemente herbeiführt. Ziehen
bezeichnet es als abwegig, wenn Kretschmer erklärt, daßan Stelle des einseitigen
Parallelismus Gehirn-Seele der andere Soına-Seele gesetzt werden müsse. Dann
aber unterschätze Kretschmer die vermittelnde Tätigkeit des Herz- und Gefäß-
nervensystems, sowohl des zerebralen wie des sympathischen, obwohl zugegeben
werden muß, daß diese Tätigkeit wieder zu einem erheblichen Teil von den Drüsen
abhängig ist; zum anderen Teil aber beruht sie sicher auf ererbter Anlage. Des
weiteren nehme Kretschmer auf den endogenen erblichen Faktor, wie er im
Nervensystem, auch unabhängig von der Drüsensekretion idiotypisch vorliegt,
zu wenig Rücksicht. Und endlich meint Ziehen, daß manche Körperbauerschei-
nungen doch auch eine Folge des Temperamentes sein können, so etwa, wenn die
Zyklothymen keiner starken Körperbewegung zuneigen. Ziehen hebt weiter
96 Erich Stern, Allgemeine Psychologie
hervor, daß die schizothyme Konstitutionsgruppe sehr viel weniger fest begründet
sei, was übrigens auch schon von anderer Seite behauptet worden ist.
Nachdem Kretschmer früher schon die Bedeutung seiner psychologischen
Anschauungen für das Eheproblem aufgezeigt hatte (vgl. seinen Beitrag zu dem
vom Grafen Keyserling herausgegebenen „Ehebuch“), hat er in einem neueren
Buch das Genieproblem untersucht (vgl. sein Buch „Geniale Menschen“, Berlin
1930). Auch bei diesen Untersuchungen spielen die Erörterungen über die von
ihm aufgestellten Typen eine nicht unwesentliche Rolle. Vor allem aber mag
darauf hingewiesen werden, daß die pathologischen Züge in der Struktur des
Seelenlebens genialer Menschen eine sehr große Bedeutung haben, daß sich mit
ihnen aber zugleich ein gewisses Spießertum verbindet. Des ferneren sei bemerkt,
daß nach Kretschmers Auffassung nicht die Reinrassigkeit eine Grundvoraus-
setzung genialen Schaffens ist, sondern gerade die Rassenmischung, wie dies
übrigens auch Springer in seinem Buche „Die Blutmischung als Grundgesetz
des Lebens“ (Berlin, Verlag der neuen Generation) an einem großen Material
nachzuweisen versucht hat. Zum Genieproblem möchte ich dann aber des weiteren
auf das umfassende Werk von Lange-Eichbaum, Genie-Irrsinn und Ruhm
(München 1928) hinweisen. Lange-Eichbaum glaubt ein „Gesetz vom Knoten-
punkt der Vererbung‘ genialer Veranlagung aufgefunden zu haben: ähnliche
Talente treten in dem weiten Netz der Generationen nur an bestimmten Knoten-
punkten auf: bei Eltern und Kindern, oder bei Geschwistern; auch eine etwas
entferntere Verwandtschaft kommt gelegentlich vor: Großvater mütterlicherseits
und Enkel. Es muß übrigens betont werden, daß bei vielen hervorragenden Per-
sönlichkeiten sich eine Vererbung nicht nachweisen läßt.
Mit den hier gegebenen Referaten mag der diesmalige Bericht geschlossen
sein. Auf die große Reihe einzelwissenschaftlich-peychologischer Untersuchungen
über irgendwelche Teilprobleme der Psychologie mag an dieser Stelle nicht näher
eingegangen werden, zumal ein Teil der Arbeiten bereits in anderen Berichten
(z. B. Experimentelle Psychologie) referiert worden ist. Es mag dem nächsten
Bericht vorbehalten bleiben, über weitere Problemgebiete der allgemeinen
Psychologie zu referieren.
D ` emm
Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks,
seiner Wurzeln und Hüllen
von Erich Guttmann in Breslau.
I.
Im Hinblick auf die Fülle von Veröffentlichungen sollen im folgenden aus
der Literatur über den Rückenmarkstumor nicht alle kasuistischen Mitteilungen
aufgeführt werden. Auch muß ich es mir versagen, auf eine Reihe von zum Teil
ausgezeichneten Gesamtdarstellungen näher einzugehen, die keine neuen Er-
gebnisse bringen. Im Literaturverzeichnis werden die einschlägigen Arbeiten,
soweit sie mir zugänglich sind, aufgeführt. Hier sollen nur einige seltenere Be-
funde angeführt werden.
Über die Entfernung von bemerkenswert großen Geschwülsten berichten
Babitzki und Lehmann. Ersterer operierte eine Geschwulst, die sich über
10 Wirbel erstreckte. Es gelang ihm aber infolge einer sekundären Infektion
nicht, den Kranken zu retten. Lehmann entfernte in einem Fall die Bögen
von D3 bis D 12, ohne die untere Grenze eines Hämangioms zu erreichen. Die
Geschwulst war nicht exstirpierbar. Nayrac und Duthoit berichten über
ein Meningiom, das klinisch ein nicht ganz komplettes Querschnittssyndrom
hervorrief. Auch der Liquor ergab ein typisches Kompressionssyndrom, da-
gegen ließ sich mit Hilfe des deszendierenden Lipiodols nur ein Stop einzelner
Öltropfen nachweisen. Wichtig sind zwei Fälle von Nonne, bei denen heftige
Schmerzen im Vordergrund des klinischen Bildes standen, obwohl die Operation
Geschwülste aufdeckte, die an der Vorderseite des Marks saßen. Bei negativem
bioptischem Befund an der Rückseite ist es deshalb in allen Fällen notwendig,
die Vorderseite des Marks zu revidieren. Sondieren genügt nicht; Nonne
erwähnt drei Fälle, bei denen Geschwülste vorhanden waren, ohne daß sie der
Sonde Widerstand geleistet hätten. Bei der einen Beobachtung handelt es sich
um ein kleines Enchondrom der Intervertebralscheibe, in den beiden anderen
Fällen um Geschwülste, die nach Eindellung des Rückenmarks so tief in der
Höhlung saßen, daß sie über die Oberfläche kaum hinausragten. Bemerkens-
wert ist Stengels Fall von Rückenmarkskompression durch ein Aorten-
aneurysma, der auf antiluetische Behandlung sich wesentlich besserte. Wichtig
ist eine Beobachtung von F. Kaufmann, der das Symptomenbild einer akut
einsetzenden Querschnittsmyelitis bei einem Tumor sah. Die genaue Durch-
forschung der Vorgeschichte lehrte allerdings, daß schon einige Monate vor der
plötzlich einsetzenden Lähmung unbestimmte Bauchschmerzen vorhanden waren,
die als Halbgürtelschmerzen aufgefaßt werden konnten. Eine Operation der
durch Myelographie sicher gestellten Neubildung förderte ein stark durch-
blutetes Angiofibrom der Arachnoidea zutage. Es ist wahrscheinlich, daß der
akute Beginn durch eine Blutung in die Geschwulst hervorgerufen wurde. Auf
die von Kaufmann zusammengestellte Kasuistik der Geschwülste, die eine
akute Leitungsunterbrechung hervorriefen, kann hier verwiesen werden. Ein
Neurologie V, 8 8
98 Erich Guttmann
Fall von Cholesteatom des Rückenmarks, den I. Michelsen veröffentlicht,
sei nicht so sehr wegen der Seltenheit derartiger Geschwülste erwähnt, sondern
vor allem deswegen, weil er die Frage nach der ursächlichen Bedeutung der
Lumbalanästhesie zur Diskussion stellt. Die Kranke hatte sofort nach dem
Eingriff schwere motorische und sensible Ausfallserscheinungen bekommen, die
sich aber zurückgebildet hatten. Etwa 31, Jahre später erkrankte sie erneut
mit der gleichen Symptomatologie. Es wurde eine chronische Meningitis serosa
spinalis angenommen, operiert und das Cholesteatom gefunden. Brütt berichtet
über einen erfolgreich operierten Fall von Rückenmarksechinokokkus. Runte,
der den Fall seiner Doktordissertation zugrunde legt, führt aus der Literatur
zwei Fälle an, in denen wie im vorliegenden die Kompression der Kauda durch
intradurale Blasen zustande kam. Für die Prognostik der intramedullären
Geschwülste ist eine Zusammenstellung von Eiselsberg wichtig. Er fand
unter 75 tatsächlichen, durch Operation oder Obduktion erwiesenen Rücken-
marksgeschwülsten und unter 14 unter der Annahme Tumor ausgeführten
Laminektomien 14 intramedulläre Geschwülste. Er gibt die Krankengeschichten
der Fälle kurz wieder. Das Schicksal der Kranken gestaltete sich folgender-
maßen: ein Patient mit Neurofibrom blieb 8 Jahre geheilt. Nach Tod aus
anderer Ursache zeigte die Obduktion ein kleines, wahrscheinlich nicht echtes
Rezidiv. Ein Patient mit Tuberkel starb 2 Monate später an einer Phthise.
Von drei Patientinnen mit Zysten blieb eine durch 18 Jahre geheilt, bei einer
zweiten trat nach 3 Jahren wieder Verschlechterung ein, die dritte verließ
geheilt das Sanatorium (spätere Nachricht fehlt). Von drei Patienten mit
Gliomen starb einer unmittelbar im Anschluß an die Operation, ein zweiter nach
2% Jahren an seinem Grundleiden, ein dritter ist nach 9 Jahren noch ge-
bessert. Von fünf Patienten mit Sarkomen starben drei innerhalb der ersten
2 Monate, einer nach 4 Jahren an unbekannter Ursache, ein fünfter ist nach
6 Jahren gebessert. Ein Patient mit Fibroepitheliom der Dura starb nach
3 Monaten an den Folgen einer Infektion. Die Ergebnisse sind nicht so schlecht,
wenn man erwägt, daß es sich bei den intramedullären Geschwülsten eben häufig
um maligne Neubildungen handelt.
Die spinalen Erscheinungen bei der Hodgkinschen Krankheit haben
eine ganze Reihe von Arbeiten veranlaßt. Weil stellt 43 Fälle aus der Literatur
zusammen, bei denen die spinale Erkrankung klinisch beobachtet und durch
Operation oder Sektion gesichert wurde. Er selbst verfügt über drei histo-
logisch untersuchte Fälle. Sämtliche Autoren stimmen darin überein, daß in
der Mehrzahl der Fälle die spinalen Erscheinungen Ausdruck einer Rücken-
markskompression sind; diese wird durch Lymphogranulomgewebe hervor-
gerufen, das in den Epiduralraum einwuchert. Dabei kann die primäre Ansied-
lung in den Wirbeln oder außerhalb der Wirbelsäule, z. B. im Mediastinalraum,
gelegen sein. In letzterem Fall wuchert das neugebildete Gewebe durch die
Zwischenwirbellöcher in den Spinalkanal hinein. In jenen Fällen, in denen makro-
skopisch kein granulomatöses Gewebe gefunden wurde, insbesondere bei solchen,
die vorher therapeutisch bestrahlt worden waren, ließen sich doch histologisch
an der Außenfläche der Dura pathologische Gewebsbestandteile nachweisen.
Die Alteration des Marks kann durch direkte mechanische Einwirkung zustande
kommen oder aber durch Zirkulationsstörungen, ähnlich etwa wie sie andere
epidurale Prozesse hervorrufen. Embolien scheinen keine Rolle zu spielen.
Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 99
Strittig ist, ob das Lymphogranulom eine funikuläre Strangerkrankung hervor-
rufen kann. Shapiro hat die Frage bejaht. Weils Arbeit ist der Widerlegung
dieser Annahme gewidmet. Er fand an seinem großen Material nicht einen ein-
zigen Fall mit dem histopathologischen Syndrom der kombinierten Strang-
erkrankung. Lediglich in zwei Fällen sah er eine uncharakteristische Enzephalo-
myelitis, in zwei anderen eine Syringomyelie. Dagegen erwähnt Goormaghtigh
in einer tabellarischen Zusammenstellung die Schädigung des Rückenmarks bei
viszeraler Lymphogranulomatose und bezieht diese auf eine funikuläre Spinal-
erkrankung, hervorgerufen durch die Anämie der Hodgkinschen Krankheit.
Interessant ist eine Beobachtung von St. Környey. Bei einer 48jährigen Frau
mit Lymphogranulomatose entwickelte sich ein Korssakowsches Zustands-
bild, d. h. ein amnestischer Symptomenkomplex mit einer schlaffen Lähmung
der Unter- und Parese der Oberextremitäten, ferner Sensibilitätsstörungen, die
von proximal nach distal zunehmen. Vor dem Auftreten der neurologischen
Komplikationen bestand schon wochenlang eine Azetonurie und leichte Albu-
minurie, in der ersten Zeit der Lähmung Hämatoporphyrinurie. Die Obduktion
ergab rein degenerative Veränderungen an sämtlichen peripheren Nerven, sowie
Veränderungen im Corpus mamillare, während Rückenmarkswurzeln und
Spinalganglien keine Veränderungen zeigten. Das Bindeglied, die pathogene-
tische Brücke zwischen Lymphogranulomatose und Polyneuritis, dürften wohl
die Stoffwechselstörungen bilden, die sich an der Azetonurie kenntlich machen,
Der Fall sei deshalb hier angeführt, weil er mindestens theoretisch für die Mög-
lichkeit toxisch degenerativer Spinalerkrankungen zu verwerten ist. Daß die
Landrysche Paralyse Ausdruck einer Polyneuritis sein kann, ist ja bekannt.
II.
Die Kenntnis des Epiduralabszesses, die Wichtigkeit seiner Früh-
diagnose und die Möglichkeit seiner erfolgreichen operativen Behandlung werden
immer bekannter. Diese Kenntnis findet in der Literatur ihren Niederschlag
in der Zunahme der kasuistischen Mitteilungen. Besonders bemerkenswert
ist der operierte und geheilte Fall von Craig und Doyle. In der Arbeit sind
14 einschlägige Fälle aus der Literatur zusammengestellt. Eine andere Mitteilung
verdanken wir Barker, in dessen Fall kein eigentlicher Abszeß, sondern epi-
durales Granulationsgewebe, also eine chronische Entzündung, die Rücken-
markskompression hervorgerufen hatte. Harvier veröffentlicht zwei Fälle von
Epiduralabszeß, bei denen es sich aber um Eiterungen im Gefolge von Spon-
dylitiden handelte. Kment und Salus berichten über drei Fälle von Pachy-
meningitis hypertrophica, einem Zustand, der bekanntlich das Endstadium
epiduraler Eiterungen darstellen kann. Der eine von ihren Fällen entwickelte
sich in der Spätfolge einer epidemischen Meningitis, bei dem zweiten fand sich
eine Lues in der Vorgeschichte, ohne daß die Duraschwarte noch charakteristische
spezifische Entzündungserscheinungen geboten hätte. Im dritten Fall ließen
sich keine greifbaren Ursachen eruieren. Gerade in diesem könnte man an
die Möglichkeit eines narbig ausgeheilten, metastatischen Entzündungsprozesses
denken, zumal die Erscheinungen zunächst sehr stürmisch waren, sich dann
allmählich zurückbildeten und in diesem Grade stabil blieben.
Von den eigentlichen Myelitiden sei zunächst wieder der Neuromyelitis
optica bzw. Encephalomyelitis acuta gedacht. Schaeffer, Salvati, sowie
(CA
100 Erich Guttmann
Milian und Mitarbeiter bringen kasuistische Mitteilungen, z. T. mit anatomi-
schem Befund. Von Bogaert behandelt zusammenfassend die ätiologischen
Probleme der akuten disseminierten Myelitis. Wesentlich Neues bietet sich für
den Leser nicht, wofern er sich der in den früheren Referaten begründeten Ab-
trennung des Leidens von der multiplen Sklerose und der epidemischen Enze-
phalitis anschließt. Illing sah bei einem unzweifelhaften Fall von Encephalitis
epidemica nach einer 7jährigen Latenzzeit spinal-atrophische Erscheinungen
auftreten. Der Fall zählt also zu den wenigen in der deutschen Literatur ver-
öffentlichten, bei denen man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen kann,
daß das enzephalitische Virus das Rückenmark angreift. Er unterscheidet
sich klinisch auch etwas von den Wimmerschen Fällen, bei denen sich als enze-
phalitische Spätfolge das Bild einer amyotrophischen Lateralsklerose entwickelte.
Als weitere entzündliche Rückenmarkserkrankung grenzt sich immer mehr
die schon früher beschriebene nekrotisierende Myelitis (Foix-Alajou-
anine) ab. Marinesco und Draganesco mit ihren Mitarbeitern liefern neue
kasuistische Beiträge. In dem anatomischen Befund des Lhermitteschen
Falles stehen die Gefäßveränderungen im Vordergrund. Es finden sich aus-
gesprochene Verdickungen der Wand mit fibrohyaliner Umwandlung; haupt-
sächlich ist die Media betroffen und zwar bei Venen und Arterien, während die
Adventitia im wesentlichen verschont ist. Die elastischen Fasern schwinden.
Die Kapillaren sind an Zahl stark vermehrt, außerdem besteht ein ausgesproche-
ner Markscheidenausfall mit diffuser, faseriger Gliawucherung. Die Achsen-
zylinder sind erhalten. Eigentliche entzündliche Infiltrate fehlen sowohl in
der nervösen Substanz wie in den Meningen. Lhermitte hebt die Beziehungen
dieses Krankheitsprozesses zur Syringomyelie hervor. Er nimmt an, daß der
Ausgang bei längerer Lebensdauer des Patienten eine Höhlenbildung gewesen
wäre. Rein morphologisch hat ein Fall von M. B. Schmidt eine gewisse Ähn-
lichkeit mit dem beschriebenen; bei diesem fand sich makroskopisch ein syringo-
myelieähnliches Bild. Die mikroskopische Untersuchung zeigte aber eine stift-
förmige, tuberkulöse Entzündung um den Zentralkanal herum. Auch hier war
die Gefäßerkrankung sehr ausgesprochen. Es handelt sich um eine echte tuber-
kulöse granulierende Entzündung, die z. T. zu Gefäßverschluß und damit zu
Erweichungen führte.
Im Verlauf von Serumbehandlung auftretende Myelitiden beschreiben
Baudouin und Hervy, eine rezidivierende Myelitis nach Tollwutschutzimpfung
Paulian. Spezifische Radikulitiden werden beschrieben von Alajouanine
(im Anschluß an ein ungeklärtes, akutes Meningealsyndrom), von Draganesco
(nach perianalem Abszeß) und von Monier-Vinard (nach einer akuten retro-
pharyngealen Adenopathie). In allen diesen Fällen waren ausgeprägte Liquor-
veränderungen vorhanden.
III.
Auf dem internationalen Neurologenkongreß berichtete Lhermitte zu-
sammenhängend über den Symptomenkomplex der Rückenmarkserschütte-
rung, wobei er diesen Begriff offenbar recht weit faßt. Na ville besprach unter
den neurologischen Syndromen nach industriellen elektrischen Unfällen auch
myelitische Symptomenkomplexe. Er kennt etwa 10 Fälle. Es handelt sich
um solche Kranke, die schwere Verbrennungen erlitten haben, und so nimmt der
Autor an, daß die Myelitis bei ihnen eine toxische sei. In anderen Fällen ist
Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 101
man aber gezwungen anzunehmen, daß der elektrische Strom das Rückenmark
direkt schädigt, und zwar bei solchen, wie sie früher hier referiert worden sind,
bei denen klinisch Herderscheinungen vorlagen, die der Durchgangsstelle des
Stroms entsprechen. Pathologisch-anatomische Befunde solcher Fälle existieren
nicht. Die Schädigungen pflegen im allgemeinen recht schwer zu sein, in einigen
Beobachtungen bildeten sich die Symptome aber in einigen Monaten oder
Jahren zurück.
Im Tierexperiment untersuchte Lindblom die Wirkung verschiedener
Jodöle auf die Meningen. Er fand, daß die verschiedenen Öle eine verschieden
starke meningeale Reaktion hervorriefen. Besonders schädlich ist das Vor-
handensein freier Fettsäuren. L. Davis und seine Mitarbeiter studierten die
Wirkung von Anästheticis auf das Rückenmark und seine Hüllen. Sie fanden
regelmäßig eine entzündliche Reaktion der weichen Häute. Wiederholt sahen sie
Veränderungen an Ganglienzellen, Achsenzylindern und Markscheiden. Aller-
dings scheint es so, als ob die letztgenannten Veränderungen sämtlich reversibel
wären. Dagegen sind die konstanten meningealen Reaktionen sicher nicht außer
acht zu lassen. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Veröffentlichung
von J. Michelsen über Spätschädigungen des Rückenmarks nach Lumbal-
anästhesie. Wir haben schon oben einen der Fälle der Autoren erwähnt, bei
dem mehrere Jahre nach einer Lumbalanästhesie ein Cholesteatom des Rücken-
marks gefunden wurde. In der vorliegenden Mitteilung werden fünf andere Fälle
von Spätschädigungen veröffentlicht, die zweimal sofort nach der Operation
auftraten und dann erst nach einer Latenzzeit wiederkehrten, während bei
drei Kranken primär ein freies Intervall von mehreren Wochen bis zu 2 Jahren
bestand. Prophylaktisch fordert der Autor eine genaue neurologische Unter-
suchung vor der Lumbalanästhesie, um vor allem schon vorhandene krankhafte
Prozesse im Bereich des Rückenmarks auszuschließen. Nach seiner Erfahrung
sind Kranke, die vor kurzer Zeit eine Grippe, Typhus, Ruhr, Furunkulose
durchgemacht haben oder an Rheumatismus, Tuberkulose und Lues leiden, an
Erkrankungen also, die selbst eine spinale Meningitis hervorrufen können,
durch den auf die Meningen ausgeübten Reiz des Anästhetikums am meisten
gefährdet. Notwendig ist die Untersuchung des Liquors, speziell also des
Druckes, der Zellzahl und der Globulinreaktion unmittelbar vor dem Eingriff.
Else Cohn veröffentlicht die Krankengeschichte eines Falles von post-
traumatischer Hämatomyelie, bei dem die Symptome erst 8 Tage nach dem
eigentlichen Unfall sich entwickelten. Sie stellt aus der Literatur 17 andere
Fälle zusammen, bei denen sich ebenfalls die Blutung erst nach einem Intervall
von 2 Stunden bis zu 1 Jahr bemerkbar machte.
IV
Auf dem Gebiet der Wirbelkrankheiten sind im Berichtsjahr. neben
zahlreichen Einzelarbeiten mehrere große monographische Darstellungen
erschienen, die auch das Interesse der Neurologen verdienen. Bei Durchsicht
des Schrifttums kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Röntgen-
kunde der Wirbelsäule bisher nicht das gleiche Interesse gewidmet wurde,
wie jener des Schädels, eine Vernachlässigung, für die sicher kein Grund vor-
handen ist. Unstreitig ist es das Verdienst von Schmorl, die pathologische
Anatomie der Wirbelsäule einem systematischen Studium zugänglich gemacht
102 Erich Guttmann
zu haben. Erst auf diese Weise wird auch unsere Kenntnis von der Röntgen-
anatomie der Wirbelsäule und die Lehre von ihren Funktionsstörungen auf solide
Basis gestellt. Schmorl hat als erster darauf hingewiesen, daß im Gegensatz
zu allen anderen Organen eine systematische pathologische Anatomie der
Wirbelsäule deswegen nicht existieren kann, weil dieses Organ bei den üblichen
Sektionen überhaupt nicht herausgenommen wird. Er hat mit diesem Ge-
brauch gebrochen und über 10000 Wirbelsäulen untersucht. Zahlreiche Arbeiten
aus seinem Institut sind in den vorangehenden Berichten erwähnt worden. Im
vergangenen Jahr ist nun von Schmorl und Junghanns eine zusammenfassende
Darstellung, „Die gesunde und kranke Wirbelsäule im Röntgenbild“, erschienen.
Ein einziger Mangel des Werkes, der von den Autoren selbst hervorgehoben
wird, sei vorweggenommen. Die zum Vergleich mit den pat hologisch-ana-
tomischen Präparaten herangezogenen Röntgenbilder sind nicht am Lebenden
oder an der ganzen Leiche hergestellt, sondern es handelt sich um Aufnahmen
der herausgenommenen Wirbelsäule. Auf diesen treten die Verhältnisse zwar
viel eindrucksvoller hervor, sie ermöglichen aber nicht den direkten Vergleich
mit klinisch gewonnenen Aufnahmen. Im übrigen zeichnet sich das Werk vor
allem durch eine Fülle instruktiver, technisch ausgezeichneter Abbildungen aus,
die regelmäßig das Lichtbild der Wirbelsäule der entsprechenden Röntgen-
aufnahme gegenüberstellen. Da auch die Entwicklungsgeschichte und die Ver-
hältnisse an der normalen Wirbelsäule berücksichtigt sind, stellt die Mono-
graphie ein bisher einzig dastehendes Lehrbuch des Gebietes dar, das gleich-
zeitig als Atlas dienen kann. Der Inhalt eines solchen Werkes entzieht sich
selbstverständlich hier der referierenden Wiedergabe. Über einige, erst im
Berichtsjahr erschienene Einzelarbeiten, die in der Monographie verwertet
worden sind, wird weiter unten gesprochen. Erwähnt sei aus dem Inhalt, als
für den gutachtlich tätigen Neurologen besonders wichtig, das Kapitel von der
Kümmelschen Krankheit, von der die Verfasser unter anderem eine typische
Abbildung geben, einen Brustwirbelkörper, an dessen Stelle sich bröckliches Ge-
webe mit spärlichen Resten nekrotischer Knochenbälkchen befindet; die beiden
benachbarten Bandscheiben, besonders die obere, wölben sich etwas in den
zusammengedrückten Wirbel vor (S. 58). Auch die Frakturen nach leichtem
Trauma verdienen das Interesse des Neurologen, da sie häufig zu Fehldiagnosen
von Neuralgien oder Myalgien führen. Interessant ist der Hinweis auf die
Wirbelbrüche bei Tetanus, die beweisen, daß lediglich Zusammenziehungen von
Muskeln völlig gesunde Wirbelkörper zum Zusammenbrechen bringen Können.
Die Verfasser verfügen über mehrere pathologisch-anatomisch sichergestellte
Fälle. Die Lehre von den Schmorlschen Knorpelknötchen ist in den früheren
Berichten ausführlich dargestellt worden. Eine besondere Bedeutung gewinnen
diese Knötchen, wenn sie sich in den Wirbelkanal vorwölben. Es wird dabei
nicht allein eine geringe Vorbucklung des Dorsalteils des faserigen Zwischen-
wirbelringes in den Kanal beobachtet, sondern gar nicht selten auch Einpressun-
gen von Gallertkerngewebe. Dieses kann sich zwischen das hintere Längsband
und die Oberfläche des Wirbelkörpers schieben, kann knorplige Umwandlungen
und sogar Verknöcherungen zeigen. In solchen Fällen sind die Knötchen im
Röntgenbild darstellbar. Den bereits vorhandenen Arbeiten über klinische
Symptome solcher Gebilde reihen sich aus der Berichtszeit Mitteilungen von
Reid, Ch. Elsberg, Steiner an. Walter Müller konnte im Röntgenbild
Nichteystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 103
ungewöhnlich große Knorpelknötchen darstellen, die den Wirbelkörper in
seinem ganzen Querdurchmesser einnahmen. In einem Falle von Wirbel-
fraktur konnte er durch Serienaufnahmen die Größenzunahme eines Knorpel -
knötchens kontrollieren. Die Stellung von Schmorl und Junghanns in der
Frage der Beziehungen solcher Knötchen zu Traumen ist sehr vorsichtig. Auf
Grund ihres großen Materials wissen die Autoren, wie häufig die Knötchen ohne
ein nachweisbares Trauma vorkommen. Zur Bildung von röntgenologisch sicht-
baren Knochenschalen sind sicher mehrere Wochen oder Monate nötig. Wenn
also in einem sofort nach einem Unfall aufgenommenen Röntgenbild Knorpel-
knötchen zu sehen sind, dann kann mit Sicherheit gesagt werden, daß diese
bereits vorher bestanden haben müssen. Nur wenn bei fortlaufenden Röntgen-
untersuchungen die Bildung einer Knochenschale beobachtet werden kann,
wird man den Zusammenhang als nachgewiesen annehmen dürfen. Auf den
weiteren Inhalt des Werkes, das wohl vollkommen unseren jetzigen Wissens-
stand darlegt, kann nicht eingegangen werden; dies ist um so weniger nötig, als
es sich doch als unentbehrlicher Atlas bei allen jenen Neurologen einführen wird,
die für diese Dinge Interesse haben. Eine begrüßenswerte Ergänzung zu dem
Werk von Schmorl und Junghanns bildet die Monographie von W. Müller,
in der in weitausholender Weise die pathologische Physiologie der Wirbelsäule
an klinischem Material behandelt wird. Besonders schätzenswert sind hier
die zahlreichen, zum großen Teil am Lebenden aufgenommenen Röntgen-
bilder; an diesen werden, immer im Zusammenhang mit der klinischen Beobach-
tung, nicht nur die Variationen und Mißbildungen der Wirbelsäule, sondern vor
allem auch die Befunde an den Bandscheiben, die krankhaften Veränderungen
der Spondylosis deformans und die Spondylarthritis ankylopoetica erörtert.
Interessant ist Müllers Darstellung vom Wirbelgleiten und den Wirbelsäulen-
verbiegungen, weil er hier systematisch pathologisch-physiologische Gesichts-
punkte zur Geltung bringt. Die Verbiegungen sind für ihn ein dynamisches
Problem, dessen Erörterung von dem Begriff der Haltung und der Haltungs-
anomalien aus in Angriff zu nehmen versucht wird.
Junghanns, der in dem eben referierten Werk für den röntgenologischen
Teil zeichnet, hat in gesonderter Arbeit die Altersveränderungen der mensch-
lichen Wirbelsäule, die Umbildungen und krankhaften Veränderungen der
Zwischenwirbelscheiben dargestellt. Aus der erstgenannten Arbeit ist neuro-
logisch besonders wichtig das Kapitel über die Häufigkeit und das anatomische
Bild der Spondylosis deformans. Junghanns bestätigt den überwiegenden
Anteil der Männer an dem Krankheitsbild. Die Häufigkeitskurven weisen manche
Unterschiede gegenüber den bisher bekannten Befunden auf. Im 50. Lebensjahr
haben bereits knapp 80% der Männer und reichlich 60%, der Frauen Rand-
wulstbildungen, und nach dem 70. Lebensjahr sind mehr als 90% aller Menschen
mit einer Spondylosis deformans behaftet. Die Zahlen sind größer als die
klinisch-röntgenologisch angegebenen. Hervorhebenswert ist, daß sich patho-
logisch-anatomisch niemals knöcherne Veränderungen (Randzacken) fanden,
die Druckerscheinungen auf das Rückenmark gemacht hätten.
Eine röntgenologische Studie über die Bewegungen der Wirbelsäule ver-
danken wir S. N. Bakke. Der Autor weist durch systematische Aufnahmen
und Messungen nach, daß die Biegsamkeit der Wirbelsäule in ihrer ganzen
Länge gleichmäßig ab- und zunimmt. Nirgends finden sich, wie früher behauptet
104 Erich Guttmann
wurde, inflexible Partien zwischen den flexiblen. Das gilt sowohl von Vorwärts-
und Rückwärtsbewegungen als von Lateralflexionen. Die Zahlen für die totale
Beweglichkeit der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte seien wenigstens kurz
wiedergegeben.
Halswirbelsäule dorsal 64, 28 ventral 16,3°
Brustwirbelsäule „ 22,00 „ 45, 90
Lendenwirbelsäule „„ 54,20 „, 16,40
Gesamtwirbelsäule „ 140,00 „ — 78, 60
Halswirbelsäule lateral etwa 230
Brustwirbelsäule z „ 30, 60
Lendenwirbelsäule „ „ 24,30
Gesamt wirbelsäule „ zwischen 75° bis 80 0.
Von monographischen Darstellungen müssen ferner die Untersuchungen
über das Wirbelgleiten von Meyer-Burgdorff erwähnt werden. Auch die
Arbeiten dieses Autors sind bereits früher von uns referiert worden. Unter
183 Beobachtungen fand er 26mal ein ausgesprochenes Gleiten und 14 mal
eine Spondylosis im Bogenanteil des 4. und 5. Lendenwirbels, ferner 63 mal
Vorstadien (Beginn des Ab- und Umbaues an den Bogenpartien und Quergelenk-
spitzen). Der Bogenspalt ist eine Voraussetzung für das Wirbelgleiten. Dieses
stellt keine angeborene Anomalie dar, sondern ist eine erworbene Umwandlung.
Seine Entstehung durch lokale Gewalteinwirkung ist ungemein selten. Wichtig
ist aber das Zusammentreffen des Bogenspaltes mit Frakturen höhergelegener
Wirbel, die eine statische Umformung der Wirbelsäule zur Folge haben. Der
Autor veröffentlicht hier, wenigstens im Auszug, das Material, auf das sich
seine Anschauungen stützen.
Eine subtile Studie über die Wirbelveränderungen bei Akromegalie stammt
von Erdheim. Er konnte bei einer langdauernden Akromegalie an der
Wirbelsäule eine hochgradige Veränderung nachweisen, welche mit Randexo-
stosen einherging und dadurch den Eindruck einer gewöhnlichen Spondylitis
deformans machte. In Wirklichkeit stellte sie jedoch eine spezifisch akromegale
Wucherung dar, an der sich Knorpel und Knochen beteiligen. Rein durch den
innersekretorischen Reiz, ohne eine mechanische Störung, kommt es vom
Periost aus zu einer Vergrößerung der Wirbelkörper und vom Perichondrium
her zu einer Größenzunahme der Bandscheiben. Der Bau der alten Band-
scheiben, die degenerativen Knorpelveränderungen und die spezifisch akro-
megalen Vorgänge werden eingehend histologisch analysiert.
Die Literatur über die Mißbildungen an der Wirbelsäule schwillt immer
mehr an. Infolgedessen haben wir uns schon in vergangenen Jahren auf die
neurologisch bedeutsamen Arbeiten beschränken müssen. Auch im Berichtsjahr
sind eine Fülle von röntgenologisch-anatomischen Arbeiten über die Spina
bifida, über Sakralisation und Lumbalisation usw. erschienen. Über die prin-
zipiellen Beziehungen der Fehlbildungen im Hinblick auf das Nervensystem ist
in diesen Arbeiten wenig oder nichts Neues gesagt. Kurz erwähnt als Raritäten
seien wenigstens die Arbeit von Janker ‚über persistierende Apophysen der
Querfortsätze der Wirbelsäule, des Beckenkammes und des Trochanter minor“,
weil derartige Befunde zu Fehldiagnosen Anlaß geben können, „die verschie-
denen Assimilationsformen des 5. Lendenwirbels im Röntgenbild und die
Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 105
pathogenetische Bedeutung der einseitig-gelenkigen Sakralisation“, von Meyer-
Borstel, von Walter Müller „die angeborene Gibbusbildung mit Wirbel-
körperspaltung an der unteren Brustwirbelsäule“, „über vollkommene Spalt-
bildung am 5. Lendenwirbelkörper‘, A.Reisner, „über den getrennten Wirbel-
bogen“ von Th. A. Willis, „über Mißbildungen der Halswirbelsäule“ von
H. U. Kallius, und schließlich eine umfangreiche rein anatomisch orientierte
Studie über die Grenzen zwischen Schädel und Wirbelsäule beim Menschen von
Heidsieck. Bemerkenswert ist ein Überblick über die neurologischen Sym-
ptome bei derartigen Mißbildungen von W. Feuereisen. Er diskutiert insbe-
sondere die Bedeutung der Sakralisation und Lumbalisation. Er unterscheidet
bei den Spaltbildungen ihre Bedeutung als Zeichen einer konstitutionellen
Minderwertigkeit des Organsystems und die direkten neurologischen Sym-
ptome. Auch die Frage der Enuresis und des Klumpfußes im Zusammenhang
mit der Spina bifida wird wieder aufgerollt und schließlich das interessante
Kienböcksche Syndrom der Trophopathia pedis myelodysplastica erörtert.
Im Prinzip von wesentlich größerer Bedeutung auch für den Neurologen
sind die Studien über die Vererbung der Variationen der mensch-
lichen Wirbelsäule, wie sie, auf Anregung von Eugen Fischer, K. Kühne
ausgeführt hat. Ausgehend von gelegentlich gefundenen Kranken mit Spaltbil-
dungen, Halsrippen und anderen Varitäten untersuchte K. die ganzen Familien,
soweit er ihrer habhaft werden konnte. Er ist so in der Lage, ein Material von
23 Familien mit 121 Individuen zu veröffentlichen. Er analysiert die Befunde in
systematischer Weise und kommt zu dem Schluß, daß zwar nicht die einzelnen
Variationen, aber der Variationstypus vererbbar ist. Er unterscheidet nämlich,
wie hier im einzelnen nicht begründet werden kann, einen kranialwärts von
einem kaudalwärts variierenden Typus. Sämtliche Variationen konnten durch die
Annahme nur eines Allelenpaares restlos erklärt werden, wobei der Annahme
der Dominanz für den kranialwärts variierenden Typ und der Rezessivität für
den kaudalwärts variierenden keine einzige Tatsache entgegensteht. Die
Intensität der Variabilität der Wirbelsäule ist bei den Homozygoten stärker als
bei den Heterozygoten. Die Arbeit kann als methodisches Lehrbeispiel für
derartige Untersuchungen gelten. Vom Standpunkt des Neurologen aus ist es
bedauerlich, daß das kostbare Material nicht auch im Hinblick auf die mit den
Anomalien der Hüllen des Zentralorgans doch so häufig verknüpften Abartig-
keiten des Nervensystems ausgewertet worden ist.
Die exogenen Erkrankungen der Wirbelsäule, sowohl die eigentlichen Kno-
chen- wie die Gelenkaffektionen, sind ausführlich berücksichtigt in dem ein-
schlägigen Band der Deutschen Orthopädie (A. Blenke und B. Blenke:
Die neuropathischen Knochen- und Gelenkaffektionen).
Bei der Bechterewschen Krankheit spielen bekanntlich die neurologische
Symptomatologie, die radikulären Schmerzen und Sensibilitätsstörungen eine
große Rolle. Nach der herrschenden Lehrmeinung werden diese Erscheinungen
auf mechanische Alterationen der Wurzelnerven in den Zwischenwirbellöchern
bezogen. E. Thoma hat nun im Schmorlschen Institut an einem großen
Material röntgenologisch und pathologisch-anatomisch die einschlägigen Verhält-
nisse studiert. Für die röntgenologische Betrachtung der Zwischenwirbellöcher
kommt am Brust- und Lendenteil nur eine seitliche Aufnahme in Frage; für
den Halsteil dagegen ist die Strahlenrichtung von vorn seitlich im schrägen
106 Erich Guttmann
Durchmesser zu wählen. Das Ergebnis der ausgedehnten Untersuchungen ist
überraschend. Abgesehen von schweren Destruktionen der Wirbelsäule durch
Traumen oder Tumoren und andere eingreifende Prozesse wurde nie eine
Veränderung der Zwischenwirbellöcher beobachtet, die zu Störungen der durch-
tretenden Nerven und Gefäße hätte führen können. Die Möglichkeit einer
solchen Schädigung nimmt Thoma überhaupt nur für das 24. Zwischenwirbel-
loch wegen dessen eigenartiger Bauart an. Um die Entstehung der radikulären
Symptome zu deuten greift Thoma deshalb auf die von Ehrlich und Braun
geschaffene Theorie zurück. Diese Autoren nehmen vasomotorische Störungen
als Ursache für die Schmerzen an, Veränderungen der Gefäßfüllungen in den
reichlichen Netzen arterieller und venöser Art, die den Nerven bei seinem Durch-
tritt begleiten. Als mitwirksam kommen noch entzündliche Veränderungen
an den Nervenscheiden oder an den Ausläufern der Rückenmarkshäute in Be-
tracht.
Von neurologischer Bedeutung ist eine Arbeit über Versteifung der Wirbel-
säule durch Fibrose der Zwischenwirbelscheiben von E. Güntz. Sind mehrere
Zwischenwirbelscheiben nebeneinander bindegewebig umgewandelt, so kommt
es — der Vorgang spielt sich meist in der Brustwirbelsäule ab — zu einer Ver-
steifung. Die klinische Diagnose wird dadurch erschwert, daß im Röntgenbild
wesentliche Veränderungen nicht vorhanden sind. Höchstens kann man eine
Erniedrigung der Zwischenwirbelräume beobachten. Kennt man dieses Bild
nicht, so kann man leicht irrtümlicherweise zur Diagnose der Simulation oder
psychogener Störung kommen. Wichtig ist deshalb auch ein von A. W. Fischer
klinisch genau untersuchter Fall, ein 34jähriger Mann, bei dem z. B. mittels
Narkose eine schwere Versteifung der Wirbelsäule festgestellt wurde, wobei
der Röntgenbefund vollkommen negativ war.
Die Zysten in den Zwischenwirbelscheiben, die Rathke, und die Pseudo-
zysten in den Wirbeln, die Hammerbeok beschreiben, haben mehr röntgeno-
logisches Interesse. Von klinisch-neurologischer Bedeutung ist dagegen eine
Veränderung der Ligamenta flava, die zu spinalen Symptomen führen kann.
Schmorl hat schon früher darauf hingewiesen, daß im Gefolge von Verände-
rungen der Bandscheiben die Längsbänder alteriert, in den Wirbelkanal vorge-
buckelt werden und so zu Einengungen des Lumens führen können. Verkalken
die Bänder, so können sie unter Umständen im Röntgenbild sichtbar werden.
Fälle von klinischer Bedeutung dieses Bildes kennt Schmorl allerdings nicht.
Towne und Reichert berichten über zwei Fälle, die klinisch unter dem Bild
der Kaudakompression verliefen und bei denen die Operation lediglich eine Ver-
dickung der Ligamenta flava aufwies. Die Ursache der Veränderung blieb un-
bekannt. Auch die histologische Untersuchung des entfernten Materials ergab
lediglich eine Vermehrung des elastischen Bindegewebes, aus dem die Bänder
aufgebaut sind.
Von Wirbelsäulengeschwülsten, die klinisch als Rückenmarkstumoren
imponieren können, hat Junghanns die gutartigen Tumoren einer statistischen
Untersuchung am pathologisch-anatomischen Material unterzogen. Die Lipome
der Wirbelsäule haben weder neurologische noch klinische Bedeutung, die
Wirbelosteome sind nur röntgenologisch bedeutsam. Wirbelangiome fanden
sich auffällig häufig, anatomisch in über 10% der untersuchten Fälle, bei Frauen
häufiger als bei Männern. In einem Drittel der Fälle waren sie multipel. Mehr-
Nichtsystematische Schädigungen des Rückenmarks, seiner Wurzeln u. Hüllen 107
fach dehnten sie sich vom Wirbelkörper in den Wirbelbogen aus. Größere
Geschwülste dieser Art zeigen bei der röntgenologischen Untersuchung der an
der Leiche entnommenen Wirbelsäule eine charakteristische wabige Struktur.
Am Lebenden ist dieser Nachweis nicht ohne weiteres zu führen. Junghanns
selbst beobachtete einen Fall, bei dem röntgenologisch nur die Vermutungs-
diagnose Angiom gestellt werden konnte. Bei der Operation des Kranken, der
an einer allmählich zunehmenden Querschnittslähmung litt, fand sich ein knopf-
förmiger aus dem 3. Brustwirbelkörper nach hinten hervorragender Gewebs-
pfropf, der den Duralsack etwas nach der Seite gedrängt hatte. Das Gewebe
wurde entfernt und erwies sich mikroskopisch als angiomatös. Die Operation
führte zur Heilung. Außer diesem Fall konnte Junghanns aus der klinischen
Literatur nur fünf und außerdem sechs erst bei der Sektion gefundene Wirbel-
angiome zusammenstellen. Etwa gleichzeitig beschrieben Nattrass und Ra-
mage einen erfolgreich operierten ähnlichen Fall.
A. Jores berichtet über zwei Fälle von generalisiertem Myelom, bei dem
er den Kalkstoffwechsel untersuchte. Er fand Störungen, wie sie bisher nur
bei der Ostitis fibrosa beobachtet worden sind, vor allem eine Hyperkalzämie.
Dadurch büßt dieses Symptom an differentialdiagnostischem Wert ein.
Die Kasuistik der akuten Wirbelentzündung haben Blook, Carson
und Sehrt bereichert. Delagénière berichtet über einen Fall von typhöser
Spondylitis, der durch Entfernung von Knochensequestern geheilt wurde. Wichtig
ist eine Beobachtung von Grün über Arachnoiditis adhaesiva circumscripta
bei spätrachitischer Deformierung der Wirbelsäule. Der Mechanismus der
Entstehung des Krankheitsbildes bleibt allerdings unklar.
Von den Arbeiten über die traumatischen Veränderungen der
Wirbelsäule kann nur das wesentlichste erwähnt werden. Reisner gibt an
Hand des großen Materials von Schmieden und Holfelder eine zusammen-
fassende Darstellung der Unterscheidungsmerkmale normaler, entzündlicher
und posttraumatischer Zustände an der Wirbelsäule. Herzog beschreibt ein
eigentümliches Syndrom nach Traumen der Wirbelsäule. Von drei Kranken,
die verschiedene Verletzungen an der Wirbelsäule erlitten hatten, bekam er
die Angabe, daß ihre Schmerzen nur beim Liegen auftreten und beim Stehen
und Gehen sofort schwinden. Er bezieht diese Beschwerden auf die beim
Liegen eintretende Entlastung und Verlängerung der Wirbelsäule, die so an
den langen Bändern zerrt. Eiseleberg und Gold beschreiben das typische
Röntgenbild des intramediastinalen Hämatoms als Begleiterscheinung schwerer
Wirbelsäulenbrüche. Die Kenntnis dieses Bildes ist wichtig wegen seiner Ab-
grenzung von kalten Abszessen bzw. der Unterscheidung von Karies und
Fraktur. Kleinhans analysiert die röntgenologische Fehldiagnose einer Luxa-
tionsfraktur des 2. Halswirbels, die infolge einer Aufnahme in falscher Hal-
tung des Kopfes zustande gekommen war. Brack beschreibt ein pathologisch-
anatomisches Material von einigen interessanten Fällen. Besonders wichtig
sind einige Beobachtungen von schweren Halswirbeltraumen, die noch ein
längeres Fortbestehen des Lebens zuließen. Naujoks berichtet über zwei
Fälle, bei denen trotz schweren Wirbelsäulentraumas (Fraktur) eine Schwanger-
schaft bestehen blieb. In einem dritten Fall hatte die Gravidität ebenfalls
einem schweren Wirbelsäulentrauma standgehalten. Sie wurde aber dann
unterbrochen, um eine wirksame Therapie des lebensbedrohlichen Zustandes
108 Erich Guttmann
zu ermöglichen. Dabei wurde in Rechnung gestellt, daB die Schwangerschaft
erfahrungsgemäß die Heilung von Knochenbrüchen ungünstig beeinflußt.
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Erkrankungen der peripheren Nerven
von Ulrich Fleck in Göttingen.
In einer kurzen Arbeit gibt Fürnrohr einen nachträglichen Bericht über
83 Nervenoperationen, die in den Jahren 1914—1917 unter seiner neuro-
logischen Kontrolle ausgeführt wurden. Leider kann er über die Erfolge der
Operationen genauere Angaben nicht machen, da die Operierten seinem Ge-
sichtekreis entschwanden. — Von Interesse ist ein Fall von Kausalgie nach Schuß-
verletzung des linken Oberschenkels, die sich unter Vakzineurinbehandlung gut
besserte. Hier führten Reize an den Händen zu Schmerzen im linken (kausal-
gischen) Fuß. War der rechte Fuß naß, so waren die Schmerzen im linken Fuß nur
gering; sie waren jedoch wesentlich stärker, wenn der rechte Fuß trocken war.
Von Kausalgien wird später noch zu sprechen sein.
Puusepp berichtet über ein großes Material von 4600 Fällen trauma-
tischer Nervenschädigung. Nur in 1600 Fällen konnte er sich zu opera-
tiven Eingriffen entschließen. Während er früher die Frühnaht verfocht, greift
er jetzt erst nach einem Intervall von 3—4 Monaten nach der Verletzung ein.
Daß Druck an bestimmten Stellen der Hände zu Atrophien der Thenar-
und Hypothenarmuskeln führen kann, erwähnt Hunt. Dabei wird nur der
motorische Ast der entsprechenden Nerven geschädigt, vor allem der kleine
Ast des Ulnaris. Man muß sich, wie mich selbst kürzlich ein Fall lehrte, vor Ver-
wechslung mit progressiver Muskelatrophie hüten.
Nicht scharf gefaßt ist die Überschrift eines Aufsatzes von Voss über die
Narkoselähmungen. Besser wäre als Titel der weitere Begriff der „post-
operativen Lähmungen“ gewesen. Denn Voss berichtet von der Bevor-
zugung des Plexus brachialis durch Narkoselähmungen, spricht dann von den
bekannten Entbindungslähmungen (Verletzungen der Hüftnerven im Verlaufe
der Geburt). — In einem seiner Fälle trat nach Leistenbruchoperation eine
motorische und sensible Lähmung der Zweige des Nervus femoralis auf, die unter-
halb des Leistenbandes abgehen. Voss denkt am ehesten an eine Schädigung
dieser Nerven durch das Band selbst. — Zu Narkoselähmungen disponiert gewiß
ein geringes Hautfettpolster, wie auch bei latenter Neuritis und Polyneuritis
schon geringere mechanische Einwirkungen zu manifesten Schäden führen
können. Die Schlaflähmung des Radialis, von der Voss meint, daß sie fast nur
bei Schnapstrinkern beobachtet werden könne, sah ich im Felde auch bei Nicht-
alkoholikern nach ungeeignetem Lager im Schützengraben auftreten. Neue Ge-
sichtspunkte werden im übrigen nicht angegeben.
Daß bei einem Fall von doppelseitiger Peroneuslähmung post par-
tum gewiß das räumliche Mißverhältnis zwischen kindlichem Schädel und mütter-
lichem Becken eine Rolle spielt, betont Zimmer mit Recht.
Ulrich Fleck, Erkrankungen der peripheren Nerven 111
Mit Fragen der kindlichen Entbindungslähmung der oberen Extremi-
täten beschäftigt sich Rendu. Häufiger ist die obere oder Duchenne-Erbsche
Form, als die untere Déjérine-Klumpkesche, wie andere atypische, vor
allem auch totale Plexuslähmungen. Schlechte Röntgenbilder können in solchen
Fällen zur Annahme einer primären Epiphysenlähmung führen. Anatomische
Befunde zeigen blutige Imbibition des Plexus und der umgebenden Gewebe,
ältere Fälle strangulierende intra- und extraneurale Narben. Bei besonders
schweren Entbindungslähmungen finden sich Zerreißungen im extrarachidealen
Abschnitt der Wurzeln oberhalb des Plexus. Seltener sind intrarachideale Wurzel-
zerreigungen mit Beteiligung des Marks. Die alte Duchennesche Theorie von
der direkten Druckschädigung des Plexus ist wohl irrig. Mehr Wahrscheinlichkeit
hat die Dehnungstheorie für sich, die übermäßigem Zug in den Armen und
Schultern des Kindes nach unten die Schuld gibt. Häufig verstärken sekundär
einsetzende Narbenstrangulationen die Wirkung der primären Überdehnung.
Laviano beobachtete Entbindungslähmungen der Kinder meist bei
Asphyktischen, schuldigt dafür die Empfindlichkeit der Nerven für Sauerstoff-
mangel an.
Trombetta (zit. nach Lauweers) hat übrigens Versuche angestellt, nach
denen die verschiedenen Zervikalwurzeln auf verschieden starke Belastung mit
Zerrungserscheinungen reagieren. Am empfindlichsten ist die 5. Zervikalwurzel.
Beim Neugeborenen genügt schon wesentlich geringerer Zug (22—24 : 6—16 kg.)
Man muß praktisch die Zerrung von subneurilemmatischer Zerreißung und
totalem Abriß unterscheiden.
Ein Teil der Fälle heilt spontan aus. Als Behandlung der Wahl haben heute
die konservativen Methoden zu gelten. Nur im Notfall kann man Tenotomien
empfehlen.
Über die chirurgische, aber vorzugsweise konservative Behandlung dieser
Geburtslähmungen berichtet Lauwers; vor allem bei der partiellen unteren
Geburtslähmung, bei der die Verletzungsstelle fast immer vor der Wurzelver-
schmelzung liegt, finden sich Schädigungen der Sympathikusfasern (unter Um-
ständen Hornerscher Symptomenkomplex). Eine Geburtslähmung kommt auf
2000 Geburten.
Bei einer Diskussion über Verletzungen des Plexus brachialis beim
Erwachsenen mit Harris, Bankart, Cohen und Brain hob Jefferson
hervor, daß ein traumatisch bedingter Riß der Brachialiswurzeln nicht etwa in
allen Wurzeln an annähernd gleicher Stelle liegt. C, reißt besonders leicht, da
die Wurzel besonders kurz ist. Der Sitz des Risses dieser Wurzeln sitzt vorzugs-
weise intravertebral infolge seiner fast horizontalen Richtung. Am seltensten
reißt wegen großer Wurzellänge D, ab. — Frühzeitiges und starkes Auftreten
spontaner Schmerzen bei Plexusschädigung spricht für eine Läsion der Plexus-
wurzeln, ist also prognostisch als ungünstig zu bewerten. Je mehr Wurzeln
übrigens geschädigt sind, desto näher am Rückenmark liegen die Verletzungen.
Sitz der Schädigung in den Plexussträngen führt oft zu einer Dissoziation der
motorischen und sensiblen Störungen im Gebiet der vom Medianus versorgten
Handteile, ermöglicht so die richtige Lokalisation.
Über seltene doppelseitige motorische Schädigungen der un-
teren Wurzeln des Plexus brachialis, verursacht durch Halsrippen,
berichtet Morges. Die deutlichen vaskulären Störungen seines Falles verwendet
112 Ulrich Fleck
er diagnostisch gegen das Vorliegen einer Muskelatrophie. — Eine Neuritis des
Plexus cervicalis und brachialis kann auch einmal als Komplikation des künst-
lichen Pneumothorax auftreten. Schmid führt sie auf allgemeine tuberkulo-
toxische und lokale, durch den Plexusreiz reflektorisch unterhaltene Reiz-
zustände zurück.
Lähmungen peripherer Nerven bei 2 Männern, die eine Kohlenoxyd-
vergiftung erlitten, beschreiben Guillain, Thurel und Desoille. Im zweiten
Fall, der im Gegensatz zum ersten (Plexus cervicalis) motorische und sensible
Lähmungen im rechten Oberschenkel aufwies, machen die Autoren Druck der
Umgebung, Blutungen in die Nerven verantwortlich.
Über zwei ähnliche Fälle berichtet Krause, der darauf hinweist, daß die
Pathogenese der Polyneuritis durch Kohlenoxydvergiftung noch nicht
hinreichend geklärt sei (toxische Neuritis, mechanische Momente, Verhinderung
der Sauerstoffversorgung der nervösen Substanz durch CO). Versuche ergaben,
daß Bindungen zwischen CO und nervöser Substanz nicht statthaben, daß sich
das Gas jedoch in der Muskelsubstanz chemisch fest bindet.
Biancalani beschreibt ausführlich 2 Fälle mit Hautveränderungen (diffuses
Erythem, Blasen und Verschorfung) bei Neuritiden nach akuter Leuchtgas-
vergiftung.
Bei einem Schuhmacher führte schon das Im-Mund-Halten von bleihaltigen
Nägeln während der Arbeit zu einer typischen Bleivergiftung (Sorrentino).
Melander stellte fest, daß nur bei 0,9%, von Diabetikern der Patellar-
sehnenreflex, bei 4,2%, der Achillessehnenreflex fehlte. Bei Zurechnen von
zweifelhaften Resultaten erhöhte sich die Zahl auf 1,7 bzw. auf 9,5% . Das
Fehlen des Patellarsehnenreflexes bei Diabetikern ist also geradezu etwas
seltenes.
Bei (familiärer) Porphyrinurie sahen Michelli und Dominici polyneuri-
tische Symptome. Unter Umständen können, wenn ein farbloses Porphyrin
ausgeschieden wird, die neurologischen Symptome die einzigen manifesten sein.
Labbé, Boulin, Azerat und Soulié berichten von einer Radialislähmung
nach Einspritzung von Antigonokokkenserum.
Nach Injektionen, einmal von Somnifen, dann von Solarson stellte Uhlen-
bruch typische Radialisparesen fest, die beide stationär bleiben. Der Autor
schätzt die Zahl solcher Lähmungen in bezug auf die ungeheure Zahl der täglich
auf dem Wege von Injektion applizierten Heilmittel als relativ sehr seltene Er-
scheinungen ein, während er ganz richtig meint, daß ihre absolute Zahl vielleicht
größer sei, als man nach den vereinzelten Angaben der Literatur glauben sollte.
Seinen Angaben nach finden sich tatsächlich nur 2 Fälle von Arsenschädigung
nach Einspritzung von E. Straus und Sittig. Angaben über Nervenlähmungen
nach Injektion eines Schlafmittels fand Ublenbruch in der Literatur nicht.
Mir scheinen solche Schäden nicht so ganz selten zu sein, wenn sie sich auch in
der Literatur nicht finden. Ich beobachtete selbst vor 7 Jahren eine Radialis-
lähmung im rechten Vorderarm nach Somnifeninjektion bei einem Morphinisten,
die sich wieder völlig zurückbildete. Diese Erfahrung hat mich davor gewarnt,
differente Mittel in die Armmuskulatur zu injizieren. Hier muß die Glutäal-
muskulatur der Ort der Wahl sein.
Über Polyneuritiden nach Anwendung des Abtreibungsmittels „Apiol“
berichten Stanojević und Vujić, sowie ter Braak. Während die ersten
Erkrankungen der peripheren Nerven 113
Autoren Parästhesien und epikritische wie protopathische Sensibilitätestörungen
fanden, fand ter Braak keine Störungen der Empfindlichkeit. Die Reflexe
waren zum Teil susgefallen. Die Erscheinungen traten vor allem in den distalen
Muskelgruppen auf.
Hier anzufügen sind die Berichte von Vonderahe, Hume über Poly-
neuritiden nach Genuß von Jamaika-Ingwer. Watkins hat bei jungen
Hühnern durch Verfüttern von Jamaika-Ingwer Polyneuritiden erzielt. Smith,
Elvoveund Frazier wiesen experimentell nach, daß für die Polyneuritiden Trior-
thokresylphosphat verantwortlich zu machen sei, das in Ingwerschnapsproben
in Mengen von 2% zu finden war. Jagdhold nimmt in einer kürzlich erschienenen
Veröffentlichung an, daß die klinisch übereinstimmenden Beobachtungen der
älteren Phosphorkreoeot- und der neueren Ingwerschnaps- und Apiollähmungen
wohl auf die gleiche Ursache (eine im einzelnen noch zu klärende Verbindung
einer Kresol- und Phosphorsäurekomponente) zurückzuführen seien.
In einer ausführlichen Arbeit (55 Fälle, davon drei anatomisch untersucht)
gibt Margulis einen Überblick über die Klinik der akuten primären infek-
tiösen Polyneuritiden. Liquorveränderungen waren in 44,2%, der Fälle
nachzuweisen; in sieben der Fälle war der Eiweißgehalt sehr vermehrt. In 26%,
zeigten sich leichte Temperaturerhöhungen. — Bei stürmischer Entwicklung der
Krankheitserscheinungen kann es schon in 2—4 Monaten zu mehr oder minder
vollständiger Genesung kommen. Zur Behandlung empfiehlt Margulis bei pri-
märer zentraler Lokalisation der Polyneuritis endolumbale Einführung von
5,0 com einer 40% igen Urotropinlösung, wie er dann auch später noch intravenöse
Verabfolgung von 40%,igem Urotropin mit Kollargollösung oder Elektrargollösung
anwendet. Empfohlen wird vor allem die nicht spezifische Vakzinotherapie,
z. B. mit Vakzineurin.
Weiterhin berichtet Margulis über syphilitische Polyneuritis, deren
Zusammenhang mit Quecksilberschädigungen er bestreitet. Man kann hier extra-
durale Polyradikulitiden von vaskulären Polyneuromyositiden unterscheiden,
wie sie nach Margulis bei hämatogener Infektion entstehen können. Die
Prognose solcher Fälle wird bei genügender spezifischer Behandlung als günstig
bezeichnet.
Kunos geht in einer Arbeit über zweigonorrhoische Polyneuritiden von
den drei Formen aus, wie sie Eulenburg unterschied: 1. neuralgische, 2. Fälle
mit Muskelatrophien, Dystrophien, atrophischen Lähmungen, 3. die im engeren
Sinne gonorrhoischen Mono- und Polyneuritiden und gonorrhoischen Myelitiden.
Bei einem der Kranken entwickelte sich eine Neuralgie (besser wohl Neuritis)
des Plexus brachialis gleichzeitig mit einer Gelenkerkrankung, die jedoch nicht die
unmittelbare Ursache der Neuralgie gewesen sein soll. Die 2. Patientin zeigte
4 Monate nach einer zweifellos gonorrhoischen Gelenksentzündung eine Interkostal-
neuralgie. Solche Neuritiden können einmal Folge direkter Gonokokkenmetastasen
oder einer Toxinwirkung sein. Oder es kann auch der entzündliche Prozeß am Ort
der lokalen Erkrankung oder von den Gelenken unmittelbar auf die peripheren
Nerven übergehen. Vor allem der verhältnismäßig rasche Erfolg von Arthigon
läßt Kunos in seinen Fällen an toxische Folgezustände der Gonokokken
denken.
Bei einem Fall von rezidivierender Polyneuritis unbekannter Ätiologie
kam es (nach Bingel) rezidivierend zu Alopezie. Die Sektion (Tod durch Atem-
Neurologie V, 3 9
114 Ulrich Fleck
lähmung) zeigte leichte Hirnschwellung, wie Degeneration der Gollschen Stränge,
keine Veränderungen an den peripheren Nerven. Bingel nimmt — und nicht
nur für seinen Fall — an, daß Polyneuritis und Alopezie unabhängig voneinander
auftretende Symptome seien.
Alajouanine und Delay berichten über ein Mädchen von 32 Monaten,
das sich im Alter von 20 Monaten nach einer fieberhaften Erkrankung und unter
Schmerzen in Kreuz und Beinen zu gehen weigerte. Der Gang war wackelnd,
es bestand eine Lordose, die noch zunahm, die Sehnenreflexe waren normal, aber
schwer auslösbar. Die Krankheit lief günstig aus. Die Autoren sprechen von einer
infektiösen diffusen Neuritis mit pseudomyopathischen Sym-
ptomen.
Die Beziehungen zwischen Tuberkulose und Polyneuritis erörtern
Lemierre, Boltaskiund Justin-Besan gon. Polyneuritiden rein tuberkulösen
Ursprungs beobachteten diese Autoren nicht. Dagegen fanden sie Polyneuritiden
bei Kranken, die einerseits Alkoholisten, andererseits offenkundig tuberkulös
waren. Nach ihrer Ansicht spielt für die Auslösung einer Alkoholneuritis die
Tuberkulose eine wichtige Rolle, wie andererseits verschiedene toxische Stoffe
bei Tuberkulösen leicht Neuritiden auslösen.
Russell und Garland beschreiben 7 Fälle mit progressiver hyper-
trophischer Polyneuritis. Dabei zeigten die Patienten noch Nystagmus; die
Patellarsehnenreflexe fehlten. Wenn die Autoren deshalb einen Zusammenhang
zwischen der hypertrophischen Polyneuritis und der familiären Ataxie annehmen,
so ergeben sich aus dem allerdings kurzen Referat zwingende Gründe für die
Annahme eines solchen Zusammenhanges nicht.
Über ein gehäuftes Auftreten von Radikulitiden der hinteren Wurzeln
berichtet Hirschfeld. Der Verdacht einer infektiösen Noxe liegt nahe. Inwie-
weit die Krankheitserscheinungen als Teilerscheinung der Grippe aufzufassen
oder auf einen synchron mit der Grippe auftretenden Infektionserreger zu be-
ziehen sind, läßt sich vorläufig nicht entscheiden. Die Prognose der Fälle ist
günstig. Liquoruntersuchung in einem Fall ergab ein normales Resultat. — Stief-
ler und Troyer konnten die Beobachtung von Hirschfeld bestätigen. Nur
waren in ihren Fällen vordere und hintere Wurzeln ergriffen. Während Hirsch-
feld bei seinen Patienten Herpes zoster nicht beobachtete, zeigte sich bei den
Fällen von Stiefler und Troyer Herpes zoster in den schmerzenden Segmenten.
Auch bei ihren Kranken wurden krankhafte Befunde im Liquor nicht erhoben.
Esser schildert einen Fall, bei dem es infolge Sportverletzung nach totalem
Abriß des rechten Plexus brachialis und Infektion der Wunde durch
hämolytische Staphylokokken zu einer schweren eitrigen Meningitis kam. Die
Nervenstümpfe waren in die Eiterung eingebettet, so daß sie sich entlang den
Nervenscheiden in die Meningen fortpflanzen konnte.
Zur Frage der Neuritis ascendens nimmt Sicard an, daß eine solche
Neuritis als ein Reizzustand des sympathischen Systems aufzufassen sei. Pieri
hat deshalb in einem solchen Fall die periarterielle Sympathektomie (Leériche),
später die Resektion der dem betr. Plexus entsprechenden Rami communicantes
ausgeführt. Über den Erfolg dieser Behandlung findet sich im Bericht nichte
angegeben.
Von einem großen Material von Landryscher Paralyse (3eigene, 41 Fälle
der engl. Literatur) geht Goldby aus. Man kann da wohl eine poliomyelitische
Erkrankungen der peripheren Nerven 115
von einer mehr polyneuritischen Gruppe unterscheiden. Aber es kommen Fälle
vor, die wenige oder keine postmortalen Veränderungen aufweisen. Gerade dieletzte
Gruppe stimmt mit der klassischen Form der Landryschen akut aufsteigenden
Lähmung überein. Neben einer besonderen Prädisposition muß man weiterhin
toxische oder infektiöse Momente annehmen, die aber für die verschiedenen
Formen verschiedene sein können. Die Entstehung der verschiedenen Formen
der Landryschen Paralyse ist also noch völlig ungeklärt. — Durchaus im selben
Sinne spricht eine Arbeit von Lichtenstein, der über zwei Fälle von Polyneu-
ritis unbekannter Genese unter dem Bild der Landryschen Paralyse be-
richtet. In klinischer und anatomischer Hinsicht berichtet Gärtner über
Landryschen Symptomenkomplex bei einer Polyneuroradiculitis ascendens.
Vom Zentralnervensystem war nur das Lendenmark ganz frei. In allen Körper-
organen fand sich eine Erweiterung der Blutgefäße und Blutstauung, weiter eine
Pankreasnekrose, sowie eine akute Entzündung des mittleren und unteren Dünn-
darmes. Gärtner nimmt besondere topographische und in pathogenetischer
Hinsicht bedeutungsvolle Beziehungen (Lymphbahnen) zwischen den erkrankten
Teilen des Nervensystems und dem Verdauungstraktus an (Rückenmark - Dünn-
darm, Vagus-Magen, Trigeminus und Fazialis-Mund und Parotis).
Es ist bekannt, daß im Verlauf der Periarteriitis nodosa Polyneuri-
tiden vorkommen können. Baló meint, daß, da die Lokalisation der spezifischen
Gefäßveränderungen in den peripheren Nerven für sich allein noch keine Nerven-
erkrankung hervorruft, an eine toxische Wirkung zu denken sei. Da aber diese
toxische Wirkung sich weder in den akuten noch in den chronischen Fällen regel-
mäßig äußert, ist seiner Ansicht nach wahrscheinlich, daß sie nicht vom Erreger
der Periarteriitis nodosa herrührt. Nach seinen Erfahrungen sind Pankreas-
infarkte hierfür von Bedeutung, die durch Lokalisation der Gefäßknoten in der
Bauchspeicheldrüse entstehen. Diese Erklärung der Polyneuritiden bei Periarte-
riitis nodosa scheint mir recht gezwungen.
Über morphologische Probleme, vor allem des Gesichtszoster, äußert sich
Ingvar. Hier finden sich entzündliche Veränderungen der Oberflächenschichten,
des Ganglion Gasseri, wie der Trigeminuswurzel. Der Ansicht des Autors nach er-
reicht der KrankheitsprozeB das Ganglion über die Zerebrospinalflüssigkeit,
was er übrigens auch für die Spinalganglien annimmt. Der Zoster ist nur ein
Symptomenkomplex, der durch verschiedene Prozesse hervorgerufen werden
kann, die sich im zentralen Nervensystem mittels des Liquors fortpflanzen.
Netter weist auf frühere Befunde von Zusammenhang von Zoster und
epidemischer Enzephalitis hin. Die Zwischenräume zwischen Enzephalitis
und Zoster betrugen in den einzelnen Fällen 1 Woche bis zu 5 Jahren. Es erscheint
mir gezwungen, für alle diese Fälle engere Beziehungen zwischen den beiden
Krankheiten anzunehmen. Bei dreien der Fälle gab der Zoster anscheinend Anlaß
zum Ausbruch von Varizellen bei anderen Patienten.
Daß Herpes zoster gemeinsam mit Varizellen auftreten kann, berichtet
Cumings. Es ist hier vielleicht eine Beobachtung von van Schoonhoven und
van Beurden anzuschließen.
Hier trat 6 Tage nach Ausbruch eines Herpes zoster bei einem 25 jährigen Mann
ein Ausschlag vom Typus der Varizellen auf. 12 Tage später erkrankte die Braut
des Patienten ebenfalls an Varizellen. Überimpfen des Inhaltes eines Bläschens
auf die Hornhaut eines Kaninchens ließ keine intranukleären „Zosterkörperchen“
9*
116 | Ulrich Fleck
finden. Das Serum des Patienten ergab (als Antigen wurden Krusten eines 14 Tage
alten Varizellenfalles verwandt) stark positiven Ausfall der Komplementbindungs-
reaktion. Die gleiche Probe fiel mit dem Serum dreier zosterkranker Patienten
negativ aus. Demnach handelt es sich bei Herpers zoster und Varizellen um von-
einander verschiedene Erkrankungen.
Ein ausgeheilter Syphilitiker erkrankte, wie Leonhard berichtet, im An-
schluß an eine Abkühlung des Kopfes mit den Zeichen einer akuten Infektion an
typischem Herpes der rechten Kopf-, Hals- und Schulterseite. Nach einigen
Tagen schlossen sich ohne besonderes Intervall vor allem Gehör- und Vesti-
bularisstörungen, sowie gleichseitige Fazialislähmung an. Im Liquor fanden sich
leicht entzündliche Veränderungen. Die Erscheinungen seitens der Hirnnerven
verschwanden im Laufe von 4 Monaten. Nur litten 2 Brüder des Patienten
ebenfalls früher an peripherer Fazialislähmung, so daß der Verf. annimmt, daß
in der Familie eine gewisse Disposition des Nervensystems für akute Infektionen
bestehe. Eine syphilitische Entstehung war auszuschließen.
Camauer und Sacon sprechen von Formes frustes des Herpes zoster.
Bei einem 48jährigen Mann mit Dysphagia dolorosa, Trockenheitegefühl im
Rachen, neuralgieformen Schmerzen, Kieferdrüsenschwellungen zeigte sich
1½ Monate nach Beginn der Erscheinungen ein Herpesbläschenausschlag beider-
seits am Gaumenbogen. Fälle mit analogen Symptomen, in welchen die Bläschen-
eruption ausbleibt, müßten an Formes frustes von Herpes zoster denken lassen.
Ich muß allerdings gestehen, daß der angeführte Fall wegen der großen zeitlichen
Differenz zwischen erstem Auftreten der krankhaften Erscheinungen und Zoster-
bläschen diese Gedanken nicht gerade lebendig macht.
Daß die Schmerzen bei Herpes zoster denen bei „neurogener Angina
pectoris“ ähnlich sein können, meinen Parsonnet und Hyman. In ihren
3 Fällen schritten die degenerativen Veränderungen an den Kranzadern, die
nach der Herpes zoster-Erkrankung einsetzten, rasch fort und führten innerhalb
von 5 Jahren zum Tod. Da der Herpes zoster in der Gegend der 4. und 5. Rippe
in gleicher Ausdehnung wie die Schmerzanfälle der Angina pectoris auftrat,
schließen die Verf. auf innere Zusammenhänge zwischen den beiden Krankheits-
zuständen und heben die Tatsache eines Herpes zoster in der Herzgegend als
prognostisch wichtig hervor.
Über Beziehungen von Herpes zoster zum Magen berichten Hess und
Faltitschek. Sie fanden bei Herpes zoster im Bereich von D,—D,, Super-
azidität des Magensaftes und beschleunigte Entleerung des Magens. Nach Ab-
klingen des Herpes traten beide Erscheinungen wieder zurück. Die Verf. sehen
hierin einen segmentären, viszeralen Begleiteffekt der „Dermatose“, der in ge-
wisser Hinsicht, allerdings umgekehrt, der Hyperalgesie der Haut bei Erkran-
kungen innerer Organe entspricht. Der Ausdruck „ Dermatose scheint mir aber
nicht ganz am Platz, da pathogenetisch bei Zoster wohl am ehesten eine entzünd-
liche Erkrankung im Gebiet des primären sensiblen Neurons (Spinalganglion) des
entsprechenden Hautteils anzunehmen ist, aus der heraus sich Beziehungen
zwischen Magenfunktion und Herpes zoster unschwer erklären lassen könnten.
Freude setzt sich für die Behandlung nicht nur des frischen Her pes zoster
sondern auch der Nachschmerzen mit para vertebralen Injektionen (3 ccm
einer 20% igen Novokainlösung) ein. Unter Umständen kann schon eine Injektion
die Nachschmerzen zum Verschwinden bringen.
Erkrankungen der peripheren Nerven 117
Dagegen empfiehlt Sidlick gegen Schmerzen bei Herpes zoster die
Injektion von 0,1—1 com Hypophysenextrakt. Die einzige Gegenindikation
bildet Schwangerschaft.
Behr nimmt frühere Gedanken auf, nach denen es zu einer isolierten
Sehnervenentzündung nur dann kommen kann, wenn ein Nebenhöhlenprozeß
auf den knöchernen Kanal übergreift und hier per continuitatem zunächst eine
Meningitis (Perineuritis) und im Anschluß daran eine Neuritis interstitialis peri-
pherica auslöst. Nur in ganz schweren Fällen bildet sich eine Querschnittsneuritis
aus. Mit orbitalen Komplikationen verbundene Sehnervenentzündungen sind
sehr selten.
Gegen die radikale Ansicht, daß bei retrobulbärer Neuritis auch un-
klarer Ätiologie die Nebenhöhlen zu eröffnen seien, spricht sich Santori auf
Grund eigener Erfahrungen in 108 Fällen aus. Bei etwa 39%, der Kranken
zeigte sich eine multiple Sklerose, bei 23%, muß die Ätiologie unklar bleiben und
nur bei 4,6%, wurde eine Nebenhöhlenaffektion nachgewiesen. Der Rest ver-
teilte sich auf verschiedene andere Krankheiten. Fast alle Fälle wurden konser-
vativ behandelt. Dabei waren die Resultate gewiß nicht schlechter als bei ope-
rativem Vorgehen. Es tritt häufig genug auch noch in der 2. und 3. Woche der
Erkrankung eine Besserung ein. Eingreifen soll man nur bei Fällen, in denen
eine Nebenhöhlenaffektion nachzuweisen ist, sowie bei denjenigen wenigen un-
klaren Fällen, in denen trotz konservativer Behandlung keine Besserung des
Sehvermögens eintritt.
Eine eigentümliche, wohl auf einer Neuritis beruhende Erkrankung der
motorischen Trigeminusnerven, die zu einer Monoplegia masticatoria
führte, beschreibt Münzer.
Der Patient litt zunächst an einem Wurzelspitzengranulom. Einige Tage später
erkrankte er mit hohem Fieber, leichten meningealen Erscheinungen. Dann konnte
er auf der linken Seite nicht mehr beißen. Einige Tage später trat eine lakunäre
Angina auf. Es bildete sich eine Funktionsunfähigkeit des Musculus masseter und tem-
poralis aus. Der linke Masseter, später auch der Temporalis zeigten deutliche Ent-
ion. Es bestand weiterhin eine leichte Ischialgie und eine Druckempfind-
lichkeit des Plexus brachialis. Bei dem Kranken handelt es sich wohl um eine akute
infektiös-toxische Polyneuritis, bei der vorzugsweise der linke motorische Trigeminus
betroffen war. 7 Monate nach Eintritt der Erkrankung konnte der Kranke wieder
auf beiden Seiten kauen.
Über eine rezidivierende und alternierende Lähmung des 3. und
6. Hirnnerven, die seit 11 Jahren anfallsweise auftritt, berichten Garcin,
Raymond und Dollfus. Sie erklären sie mit periodisch auftretenden vasku-
lären Prozessen.
Den bisher bekannten 28 Fällen von Okulomotoriuslähmungen mit
zyklischem Wechsel von Krampf- und Erschlaffungszuständen fügt
Selinger einen neuen an. Der Patient, ein 16jähriger Knabe, litt an einer kon-
genitalen Lues mit einer angeborenen inneren und äußeren Okulomotorius-
lähmung. Nach antisyphilitischer Behandlung traten im 14. und 15. Lebensjahr
die zyklischen Erscheinungen in charakteristischer Weise auf. Autopsien solcher
Fälle liegen nach Selinger bisher noch nicht vor.
Für rezidivierende Okulomotoriusparesen glauben Curtius und
de Decker eine familiäre erbliche Disposition insofern gefunden zu haben, als
sich unter 43 Familienmitgliedern einer 48jährigen Patientin mit periodisch auf-
118 Ulrich Fleck
tretender Okulomotoriusparese unbekannter Ätiologie 20 Individuen mit irgend-
einer Affektion des zentralen Nervensystems fanden. Hieraus ziehen sie den
Schluß auf eine gemeinsame erbliche Minderwertigkeit des zentralen Nerven-
systems.
Für Erkrankungen des Nervus nasalis nimmt Luque als charakteristische
Symptome dauernde, mehr oder minder heftig einsetzende Kopfschmerzen, be-
sonders nachte aufflackernd, an. Weiterhin zeigen sich Schwellungen und starke
Rötung des vorderen Drittels der unteren Muschel. In jedem seiner 3 Fälle lagen
auch anatomische Veränderungen im Auge (hochgradige Iritis, epitheliale Kera-
titis mit starker Reaktion der Iris, typisches Hornhautgeschwür) vor. Pinselungen
der vorderen Nasenpartien mit Kokain-Suprarenin können die Schmerzen
kupieren. — Ähnliches berichten Grolman, Bambach und Charlin.
Die Diagnose „rheumatische Fazialislähmung“ will Mosso nur mit
größter Zurückhaltung gestellt wissen. Der Fazialis ist in seinem anatomischen
Verlauf in besonderem Maße vor Erkältungen geschützt. Man muß dabei seiner
Ansicht nach immer an einen versteckten oder verkannten Herpes zoster denken.
Otoskopische Untersuchung könne zuweilen wohl Herpes zoster des Ohres fest-
stellen. Er erinnert dabei an die Feststellung des Herpes oticus durch Koerner,
die schon in das Jahr 1904 fällt.
Ähnliche Gedanken äußert auch Fioretti.
Rosenthal fand in 3 Familien gehäuft Fälle von peripheren Fazialis-
lähmungen. Damit gingen angioneurotische Ödeme im Gesicht, Kopfschmerzen
von zum großen Teil migränoidem Charakter einher. Auffallend war dabei das
Auftreten der sog. Lingua plicata. Mehrere der Patienten dieser Familien hatten
periphere Fazialislähmungen häufiger durchgemacht. Rosenthal erachtet einen
ursächlichen Zusammenhang der bei den Patienten beobachteten angioneuro-
tischen Gesichtsödeme mit der Fazialislähmung für durchaus unwahrscheinlich.
Für die Fazialislähmung dieser Patienten nimmt er eine erhöhte Vulnerabilität
der Gewebe des Gesichteschädels auf Grund kongenitaler Entwicklungsano-
malien an.
Auf recht eigentümliche vorübergehende Fazialislähmungen bei in
Lokalanästhesie ausgeführten Mastoidoperationen weist Duerto hin.
Solche Lähmungen können manchmal beim ersten Meißelschlag einsetzen, ehe
man in die Gefahrzone des Fazialis kommt. Duerto glaubt, mehrere Faktoren für
ihr Zustandekommen verantwortlich machen zu können: 1. eine anatomische Dispo-
sition in der Wand des Canalis Fallopii, die darin besteht, daß infolge einer Ostitis
der Wand Kanäle entstanden, welche den Kanalinhalt mit den oberflächlichen
Knochenteilen verbinden, 2. Eintreiben des Anästhetikums in das Innere des Kanales,
3. kann das Anästhetikum in den Nerven eindringen und so seine Lähmung be-
dingen.
Amaducci konnte bei der Behandlung von Epileptikern durch Einspritzung
von Luminalnatrium in die Cysterna magna mittels Subokzipitalstich Fazialis-
lähmungen feststellen. Die Behandlungsergebnisse erlauben, wie hier angefügt
werden soll, ein abschließendes und endgültiges Urteil noch nicht. Man fragt sich
überhaupt nach dem Sinn dieser Behandlungsmethode.
Röntgenbestrahlungen mit Jodiontophorese ergaben nach Champeil gute
Erfolge in 15 Fällen von Fazialislähmungen. Allerdings war dazu eine eigene
Apparatur notwendig.
Erkrankungen der peripheren Nerven 119
Gesse und Bogomolov entfernen bei chirurgischer Behandlung eines
Lagophthalmus paralyticus das obere Ganglion sympathicum. Die Besse-
rungen werden durch den nach der Sympathektomie auftretenden Enophthalmus
und die Ptosis erklärt. Für die Wiederherstellung der aktiven Beweglichkeit
ziehen sie die Hypothese Bourguignons heran, nach der der Fazialis die Mus-
culi quadrat. lab. sup. und orbicularis oculi beider Seiten innerviert. Indiziert ist
die Ramikotomie von C—C; bei Erhaltung des Grenzstranges und der Ganglien
in den Fällen, in denen die Lähmung des Oberlides das Hauptsymptom der
Fazialislähmung darstellt, vor allem aber dann, wenn plastische Operationen
an Muskeln und Nerven resultatlos blieben.
In ähnlicher Weise besserte Della Torre eine postoperative Fazialis-
lähmung durch die Lérichesche Operation, bei der das Ganglion cervicale
angegangen wurde.
Barré und Guillaume berichten von Störungen des 5. bis 8. Hirn-
nerven, die nach lokalisierter Abkühlung der gleichseitigen Gesichtshälfte auf-
traten. Sie bildeten sich in 2 Monaten zurück.
Während im allgemeinen die Prognose vollständiger Rekurrensläh-
mungen ungünstig ist, berichtet Fraser über 3 günstig beeinflußte Fälle von voll-
ständiger Stimmbandlähmung. In den ersten beiden Fällen handelte es sich um
Lähmungen syphilitischen Ursprungs, im 3. Fall um eine „rheumatische“ Stimm-
bandlähmung. — Auf dasSemon-Rosenbachsche Gesetz, nach dem bei organi-
schen progressiven Erkrankungen des Rekurrens zunächst der Postikus gelähmt
wird, erst später die übrigen Kehlkopfmuskeln befallen werden, geht Leiri ein.
Dabei geht er von einer patho-physiologischen Analyse der tabischen Postikusläh-
mung aus, für die er als anatomisches Substrat eine Schädigung der Vaguswurzel
durch luisches Granulationsgewebe annimmt. Wie bei den spinalen Wurzelnerven
sind auch beim Vagus die sensiblen Fasern vulnerabler als die motorischen. Die
tabische Postikuslähmung ist nicht etwa eine durch Schädigung efferenter Fasern
hervorgerufene Lähmung, sondern sie ist auf den Ausfall sensibler, zentripetaler
Impulse zurückzuführen. Der Musculus posticus kontrahiert sich normalerweise
nur reflektorisch, nicht aber willkürlich. Er ist im Falle einer Lähmung durch den
Wegfall der propriozeptiven (afferenten) Erregungen außer Kurs gesetzt, durch
Nachlassen seines Tonus und Überwiegen seiner Antagonisten kann die Glottis
nur ungenügend erweitert werden. Bei der Tabes ist deshalb die Funktion der
Glottisverengerer nicht so geschädigt, weil diese Muskeln weniger durch reflek-
torische als durch willkürliche Impulse (Stimme!) innerviert werden. Die Stimm-
gabe ist beim Tabiker ja nicht aufgehoben. In ähnlicher Weise erklärt der Verf.
übrigens auch vorübergehende Ptosis und Abduzensschwäche der Tabiker. Bei
massiven Schädigungen des Rekurrens durch Aortenaneurysmen und Mediastinal-
tumoren sind nicht nur die sensiblen, sondern auch die widerstandsfähigen
motorischen Bahnen unterbrochen.
Das Syndrom des Foramen jugulare behandeln Del Sel und Bergara.
Die in solchen Fällen zu beobachtenden Störungen des 9., 10. und 11. Hirn-
nerven setzen Schädigungen an der Stelle voraus, an der alle drei eng zusammen-
liegen. Die Ätiologie solcher Störungen ist sehr verschieden.
Über die Schmerzen bei der Ischias äußert Hoche die durchaus ein-
leuchtende, ja wahrscheinliche Ansicht, daß nicht eine Veränderung der sensiblen
120 | Ulrich Fleck
Bahnen im Inneren des Nerven der Ischias zugrundeliege, vielmehr ein Reizzu-
stand in den Nervenfasern der bindegewebigen Hülle der Nerven.
Über Ischias unterrichtet ein Buch von Chavany, über das mir leider
nur das. Referat zur Verfügung stand. Chavany betont jedenfalls, daß die
Ischias kein einheitliches Krankheitsbild sei. So spricht er im Abschnitt „Pseudo-
ischias‘‘ von der myalgischen Form. Bei manchen Fällen kann man durch eine
Laminektomie eine Entlastung der entzündlichen Wurzeln erreichen. — In einer
weiteren Arbeit geht Chavany auf die Pseudoischias ein. Dabei unterscheidet
der Verf.: 1. die Zellulitis, bei der das Unterhautgewebe, und zwar an allen mög-
lichen Stellen im Bereich des Ischiadikus, schmerzhaft ist und Knoten fühlen
läßt, 2. die Myalgie mit pseudo-ischiadischer Topographie, 3. die chronische
Hüftgelenksentzündung, 4. die vaskulären Erkrankungen, für die Diathermie
sowie Röntgenbestrahlung der Nebennierengegend empfohlen wird. Es kommt
auch die Phlegmasia alba dolens in Betracht.
Daß bei manchen Fällen von Ischias (allerdings wohl besser Pseudoischias
zu nennen) und Meralgia paraesthetica sich Veränderungen im Sinne einer
Arthritis deformans der Wirbelsäule finden, hebt Fürnrohr hervor. Weiterhin
kann es durch Veränderungen der Zwischenwirbelräume, durch knöcherne Neu-
bildung, vor allem in späteren Stadien zu Schädigungen, Kompressionen, Zer-
rungen u. dgl. der einzelnen Nervenfasern kommen. In 3. Linie kommen unter
Umständen statische Veränderungen in Betracht, die eine Rolle bei der Entstehung
von Ischiasformen spielen können. Auch bei der Meralgia paraesthetica können
Deformierungen in den Hüftknochen, an den Pfannenrändern, sowie Verände-
rungen der Knochenstruktur an den Beckenknochen eine Rolle spielen.
In Ausführungen über die Vielfältigkeit der Ischias und ihrer Behand-
lung geben Schmidt und Weiß an, daß in immerhin 5—10% der Fälle Doppel-
seitigkeit der Ischiassymptome festzustellen sei. In 5% findet sich eine Betei-
ligung des Nervus cruralis. Atrophien finden sich in 18%, der Fälle.
Vranešić macht darauf aufmerksam, daß chronische, namentlich ent-
zündliche Prozesse des Beckeninneren für Ischiassymptome verantwortlich
zu machen seien. Für „genuine“ Fälle von Ischias ist der kausale Zusammen-
hang nicht zu durchblicken. Jedenfalls gehört die gynäkologische Untersuchung
zu den unerläßlichen Maßnahmen jeder schweren hartnäckigen Ischias (übrigens
eine schon recht alte Lehre, Ref.). Das pathologische Substrat einer großen Zahl
der Ischiasfälle sind auf die sakrolumbalen Neuronenbündel direkt wirkende und
irritierende Prozesse. Wie schon Corning angibt, ist die Verschiebbarkeit der
die Hülle des Beckenbindegewebes durchziehenden großen Nervenstämme eine
geringere als die der Gefäße. So kommen schleichende, zur Abgrenzung neigende,
indurierende, langsam und subjektiv gewöhnlich symptomlos verlaufende Ent-
zündungen, Infiltrationen und Schwellungen mit Ödembildung für die Aus-
lösung der Ischiasbeschwerden in Betracht. Auch das außerordentlich reiche
Lymphgefäßsystem des kleinen Beckens spielt eine Rolle. Die Tatsache, daß
die Lymphbahnen der peripheren Nerven in offener Verbindung mit den Sub-
dural- und Subarachnoidealräumen der Zentralorgane stehen, darf in diesem
Zusammenhang nicht unbeachtet bleiben. Lymphstauung kann sich mit gleich-
zeitig bestehender venöser Stase kombinieren und auch der Fokalinfektion weist
Verf. eine große praktische Bedeutung zu. Gewiß können auch manche Fälle von
Lumbago bzw. eine Anzahl krankhafter Zustände im Gebiet der dorsalen Wurzel-
Erkrankungen der peripheren Nerven 121
abzweigungen mit Prozessen des Beckeninneren in ursächlichem Zusammenhang
stehen. Als therapeutisch wichtig empfiehlt er die innere Beckenmassage. Örtlich
applizierte Therapie gibt häufig rasche Erfolge, die allen übrigen, vorher versuch-
ten Behandlungsmethoden überlegen sind.
Daß Ischiassymptome auch einmal nach indirekter Fraktur des Quer-
fortsatzes des 5. Lendenwirbels auftreten können, gibt Mennini an.
Eine eigene Behandlungsmethode der Ischias empfiehlt Plate. Sie ist
in der Arbeit selbst nachzulesen. Er geht dabei so vor, wie man es sonst bei
„Muskelrheumatismus‘‘ tut.
Aus einem sehr großen Material von 480 Fällen von Ischias und 127 Fällen
symptomatischer Ischias entnimmt Fritz die Ansicht, daß die Zahl der
echten Ischiasfälle seit 1923 erheblich zurückgehe, während die symptomatische
und Pseudoischias häufiger geworden sei. Das führt er darauf zurück, daß besser
diagnostiziert wird. Die überlegene Behandlungsmethode der chronischen Ischias
ist seiner Ansicht nach die physikalische. Die perineurale Injektion wirkt oft
schlagartig, gelegentlich auch die epidurale Injektion.
Die epidurale Injektion findet auch in Evans einen warmen Vertreter.
In 40 Fällen von idiopathischer Ischias erreichte er in 61% Dauerheilung,
in 14% Besserung. Die Menge der einzuspritzenden Flüssigkeiten (1—2 ige
Novokainlösung oder auch physiologische Kochsalzlösung) schwankt zwischen
20—140 com. Leichenversuche zeigten, daß durch die Epiduralinjektionen der
Kaudasack komprimiert, etwas nach vorn und auch nach oben an die Hinter-
wand der Wirbelkörper angepreßt wird. Dabei kommt es zu einer Streckung
der austretenden Wurzeln. Bei 50 ccm Injektionsflüssigkeit gelangt dieselbe
bis in die Höhe des 1. Lendenwirbels, bei 100 ccm bis in die obere Zervikalregion.
Bereits 10 ccm führten zum Austritt der Injektionsflüssigkeit aus den Foramina
vertebralia. Die Minimalmenge beträgt 30 ccm, während es zwecklos ist, mehr
als 80 com einzuspritzen.
Demgegenüber empfiehlt Albanese epidurale Lipojodoleinspritzungen.
Andererseits empfiehlt Axen, die epidurale Injektion zur Behandlung der
Ischias mit Eukain und Antipyrin durchzuführen. Die Injektionsflüssigkeit
muß hypertonisch sein; sie bringt die Plexuswurzeln zum Schrumpfen. Diese
Wasserentziehung wirkt auf die Nerven als Reiz und vermindert ihre Erregbar-
keit. Die spezifisch „antirheumatische“ Wirkung des Antipyrins kann sich nur
am Ort der Erkrankung selbst entfalten. Doch ist meines Erachtens daraus, daß
verschiedene Verfasser verschiedene Zusätze zu der Injektionsflüssigkeit bei epi-
duraler Injektion vorschlagen, wohl nur der eine Schluß erlaubt, daß diesen Zu-
sätzen eine irgendwie ausschlaggebende Bedeutung kaum zukommt. Intensive
örtliche ultraviolette Bestrahlung bis zur Ausbildung begrenzter Erythemfelder
empfiehlt Lepsky für die Behandlung der Lumbago und primären Neural-
gien und Neuritiden des Nervus ischiadicus.
Auf die Schwierigkeiten der Annahme einer traumatischen Ischias
weist Zollinger hin. Für eine solche Diagnose muß die Schädigung unzweifel-
haft im Verlauf der Nervenbahnen eingewirkt haben, bald nach dem Unfall
eingetreten sein; andere Ursachen müssen auszuschließen sein. Gegen eine
traumatische Entstehung spricht auch, wenn die Erkrankung nicht nach wenigen
Tagen schmerzlos ist und ausheilt. Dem letzteren Grund kann ich mich nicht
völlig anschließen. Weshalb sollte denn gerade eine traumatische „Pseudoischias“
122 Ulrich Fleck
so schnell ausheilen ? Gewiß ist aber zuzugeben, daß man mit der Annahme einer
traumatischen Ischias recht vorsichtig sein muß. Bei solchen Patienten findet
man bei geschicktem Fragen nach der Vorgeschichte doch häufig Ischiassym-
ptome schon für die Zeit vor dem Unfall.
Der Ansicht von Harris, daß Trigeminus- und Glossopharyngeusneur-
algien chronische septische Neuritiden der beiden Gehirnnerven seien, die die
Mundhöhle versorgen, bedingt durch häufige septische Entzündungen der Nerven-
endigungen inZahnfleisch, Zähnen und Mandeln, wird man nicht beitreten können.
Überraschend ist auch, daß er über 35 Fälle von multipler Sklerose berichtet,
die unter dem Bild einer Trigeminusneuralgie begannen. Dabei sprachen diese
Fälle von multipler Sklerose auf die Alkoholinjektion genau so an, wie einfache
Trigeminusneuralgien.
Als charakteristisches Zeichen für eine Neuralgie des Laryngeus supe-
rior gibt Bailey eine druckempfindliche Stelle in der Gegend der Plika des
Laryngeus superior im Sinus piriformis und eine empfindliche Stelle an der
Außenseite des Halses an, wo der Nerv durch die Membrana hyothyreoidea
hindurchgeht. Übrigens hat Bailey bei postherpetischen Neuralgien, sowohl des
Trigeminus wie der spinalen Nerven von chirurgischen Eingriffen keinen Erfolg
gesehen. Er empfiehlt die Röntgenbestrahlung als wesentlich wirksamer.
Wenn Marcus im Anschluß an eine Phrenikusneuralgie davon spricht,
daß neuritische Vorgänge durch Trauma usw. im Phrenikus Neuralgien ver-
ursachen können, so zeigt das bloß, wie wenig klar wir mit diesen Begriffen bis-
her denken.
Härtel gibt einen zusammenfassenden Bericht über die Erfolge der Alkohol-
behandlung der Trigeminusneuralgien. Der Alkohol darf nicht eingespritzt,
sondern nur eingeträufelt werden. Die oft gerügten Nebenwirkungen der Ganglion-
injektionen seien darauf zurückzuführen, daß sie zu oft von Ungeübten vor-
genommen werden. Die Rolle des Sympathikus bei der Trigeminusneuralgie hält
er für noch durchaus umstritten. Alle Eingriffe am Sympathikus sind unsicher.
Es soll nicht mehr heißen: erst Injektion, dann Operation, vielmehr entweder
Injektion oder Operation. Als Indikation zur Operation sind die schweren Fälle
anzusehen. Schwierig sind die Abgrenzungen von idiopathischen Fällen. Schließ-
lich kann auch die einfache Novokaininjektion in das Ganglion gute Erfolge haben.
Härtel berichtet weiterhin über seine Resultate in 171 Fällen von Ganglion-
injektionen. Nur Fälle mit totaler Daueranästhesie gewähren Dauerheilung.
Die beobachtete Heilungsdauer betrug in 4 Fällen 10—17 Jahre, in 7 Fällen über
8 Jahre. Von den Daueranästhetischen rezidivierten 13%, von den Partial-
anästhetischen 65%. Mehr als 4 Injektionen soll man nie zur Erzielung der
Schmerzfreiheit machen, vielfach genügt eine einzige zur Dauerheilung. Die Kera-
titis läßt sich durch geeignete Prophylaxe fast sicher verhüten. Narbenbildung
um das Ganglion, die die spätere Operation erschweren soll, läßt sich durch Ver-
wendung kleinerer Alkoholdosen vermeiden. — Anatomische Untersuchungen
hinsichtlich der Härtelschen Technik ergaben Morri, der bei Leichen Farbstoffe
in das Ganglion zu spritzen versuchte, daß weniger das Gangliongewebe selbst
als vielmehr die sensiblen Wurzeln bei der Härtelschen Technik mit Alkohol
durchtränkt werden.
Nach W. Alexander gibt es eine nicht ganz kleine Zahl von Fällen, in
denen die Ganglieninjektionen mit den operativen Methoden nicht nur kon-
Erkrankungen der peripheren Nerven 123
kurrieren können, sondern als ultimum refugium anzusprechen seien, wo eben
eine Operation nicht anwendbar sei. Zunächst einmal sind das Fälle, bei denen
die Kranken eine Operation verweigern. Auch die soziale Indikation spricht
insofern mit herein, als bei den heutigen Erwerbsverhältnissen die meisten Pa-
tienten nicht viele Wochen arbeitsunfähig sein können, wie es nach intrakranieller
Operation der Fall sei. Zu hohes Alter spricht ebenfalls gegen die Anwendung
der Operation, wie auch komplizierende Erkrankungen, wie hoher Blutdruck,
Vitium cordis, Tabes, Lues cerebri, Meningitis, Sclerosis multiplex und Diabetes.
Wichtig ist, daß Alexander auch auf inoperable Hirnfälle hinweist, die eben
mit Trigeminuserscheinungen einhergehen. Bei einseitiger Blindheit sei es
doch so, daß man die Methode wählen müsse, bei der die Wahrscheinlichkeit
der Keratits die geringere sei, und das sei die Injektion. Doppelseitige Fälle
erlaubten ebenfalls einen operativen Eingriff nicht, weil die doppelseitige Kau-
muskellähmung eine schwere Verstümmelung darstelle.
Olivecrona fand unter 60 radikaloperierten Trigeminusneuralgien
nur zwei doppelseitige. Dabei wurde die zweite Seite meist erst nach Jahren be-
fallen. Bei der Operation muß eine doppelseitige Kaumuskellähmung vermieden
werden, ebenso eine doppelseitige Anästhesie der Kornea. Am zweckmäßigsten
scheint ihm die von Dandy angegebene Durchtrennung der sensiblen Trige-
minuswurzel von der hinteren Schädelgrube aus zu sein.
Frazier konnte übrigens nach einer neuen Veröffentlichung die Mortalität
seiner (retroganglionären) Operationsmethode auf 0, 26% reduzieren. Die Mor-
talitätsziffer auf 0 zu senken, hält er deshalb für unmöglich, weil viele der Pa-
tienten zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr stehen. Die Resultate der Eingriffe
sind immer, wie er meint, 100%ig. — Anatomische Untersuchungen von van Nou-
huys zeigten aber, daß die anatomische Anordnung der sensiblen Wurzeln des
Trigeminus stark wechselt. Daraus ergibt sich für van Nouhuys, daß die Fra-
ziersche Methode der subtotalen Resektion der sensiblen Wurzel nicht als zuver-
lässige Radikaloperation angesehen werden kann, da man, falls man ein Drittel
der Wurzel schont, niemals die vollkommene Sicherheit haben kann, daß sich in
diesem Teile keine zum Maxillaris- und zum Mandibularisaste gehörenden Faser-
bündel befinden. Man muß so mit der Möglichkeit eines Rezidivs rechnen.
Von verblüffenden Erfolgen mit Diathermie bei Trigeminusneuralgie
berichtet Lux.
Ausführlich nimmt Braeucker Stellung zu der Frage: Was lehren die Er-
fahrungen der letzten Jahrzehnte über die Trigeminusneuralgie? Hier ist
wieder die echte Trigeminusneuralgie von der sphenomaxillären abzutrennen.
Braeucker unterscheidet weiterhin die Post-Zoster-Neuralgien, die durch die
Beteiligung des Ganglion geniculi oder des Fazialis entstehenden Formen sowie
die durch Übergreifen intrakranieller Tumoren entstehenden Neuralgien. In
ätiologischer Hinsicht trennt man zweckmäßig die symptomatischen von den
genuinen Neuralgien. Bei den symptomatischen Neuralgien findet sich irgendwo
im peripheren Ausbreitungsgebiet des Trigeminus ein krankhafter Prozeß. Solche
symptomatischen Neuralgien entstehen häufig nach traumatischen Affektionen
der Trigeminuswurzeln. Auch die verschiedensten Erkrankungen innerer Organe
können zu symptomatischen Gesichtsschmerzen führen. Hier spielen toxische
Schädlichkeiten (Alkohol, Blei usw.), Stoffwechselstörungen (Diabetes, Gicht),
wahrscheinlich auch die Arteriosklerose, sowie mit Anämie oder Kachexie einher-
124 Ulrich Fleck
gehende Allgemeinerkrankungen eine Rolle. Chronische Noxen (Tuberkulose,
Alkohol, Diabetes) schaffen eine gewisse Bereitschaft zu neuralgischen Erkran-
kungen. Eine hinzukommende akute Infektion, eine Erkältung oder ein Trauma
bringen die Schmerzen zur Auslösung. Ursächliche Momente sind bei der
echten Trigeminusneuralgie nicht nachzuweisen. Es handelt sich bei ihr nach
Braeucker um ein rein funktionelles Leiden mit Störungen der sensiblen Er-
regbarkeit. In der Praxis trennt man sehr zweckmäßig die kleine Trigeminus-
neuralgie von der großen ab. Eine große Trigeminusneuralgie ist sehr oft gleich-
zeitig eine genuine und eine kleine gleichzeitig eine symptomatische. Aber dieses
Zusammentreffen ist durchaus nicht gesetzmäßig. Neuritis und Neuralgie sind
zwei ganz selbständige Krankheitsbilder. Mit einer konstitutionell bedingten
abnormen sensiblen Erregbarkeit kommt man nicht aus. Der Versuch einer
Atropinbehandlung ist angezeigt. Verschicken in ein wärmeres Klima ist meist
zwecklos. Führen konservative Methoden nicht zum Ziel, so empfiehlt Braeucker
immerhin auch die alte Methode der Nervenextraktion nach Thiersch zu ver-
suchen. Man darf von einer Nervenextraktion aber nur dort eine Heilung er-
warten, wo ein pathologischer Prozeß auf die Endigungen der periphersten Ab-
schnitte des Trigeminuszweiges übergegriffen hat. Sitzt die Noxe im Ganglion,
so müssen alle bei der genuinen Neuralgie auftretenden Symptome in dieser
Lokalisation vereinbar sein. Einen Teil dieser Symptome kann man durch einen
Übergang der Reize im Trigeminusgebiet auf bulbäre Zentren der entsprechenden
Funktionen erklären. Auch andere Begleitsymptome, wie zuweilen auftretende
Schwerhörigkeit, Lichtscheu, Chemosis conjunctivae, Geschmacksparästhesien,
Blutaustritte in der Mundmukosa, Eruption von Herpesbläschen, Veränderungen
an den Haaren und trophische Störungen in der Haut können durch vasomo-
torische Störungen erklärt werden, deren Erregung ursprünglich im Ganglion
Gasseri beginnt, von wo aus sie auf den verschiedensten Bahnen distalwärts
zieht. Die Ansichten über die Härtelsche Injektionsbehandlung sind nicht
einheitlich. Rezidive nach Alkoholinjektionen können bis nach 9 Jahren auf-
treten. Die retroganglionäre Durchschneidung des Trigeminusastes hat bei
der genuinen Neuralgie stets einen schlagenden Erfolg. Vielleicht gelingt es
tatsächlich durch die von Frazier in neuester Zeit angegebene subtotale Durch-
trennung der sensiblen Portio die oberen und medialen Nervenbündel, die dem
I. Trigeminusast und speziell den Fasern der Kornea und Konjunktiva entsprechen,
zu schonen und damit die Gefahr der Keratitis neuroparalytica zu bannen. Wenn
allerdings Braeucker angibt, daß in 95%, der Fälle der I. Ast von der Neuralgie
verschont sei, so kann ich dem nicht ganz zustimmen.
Löwenstein ist übrigens der Ansicht, daß die peripheren Neurexairesen
gegenüber den peripheren Alkoholinjektionen keinen Vorteil böten.
Eine gute Zusammenfassung der Behandlung der Neuralgien gemeinhin
gibt List. |
Undankbar ist vor allem die Behandlung der atypischen Gesichtaneuralgie
(Sluder-Neuralgie des Ganglion sphenopalatinum). Hier nützt in leichteren Fällen
Kokainisierung der Nase, in schwereren Fällen Alkoholinjektion ins Ganglion spheno-
palatinum. Ob es überhaupt idiopathische Brachialneuralgien gibt, ist L. zweifelhaft.
Hier kommen unter Umständen myalgische und arthritische Prozesse, Bursitis der
Nachbarschaft oder Erkrankungen der Wirbelsäule, Halsrippen, Affektionen des
Herzens, der Aorta, der Pleura, des Rückenmarks und seiner Häute in Betracht.
Ähnliches gilt für die Interkostalneuralgie, bei der sich als palliative Methoden manch-
Erkrankungen der peripheren Nerven 125
mal paravertebrale Novokaininjektionen (10 ccm), evtl. sogar solche mit Alkohol
(3—5 cem) bewährten. Für Schmerzzustände nach Herpes zoster empfiehlt List
Diathermie, Röntgentiefbestrahlung, wiederholte Lumbalpunktionen. Unter Um-
ständen kann man bei Kranken mit symptomatischer Ischias (maligne Tumoren der
Beckenorgane, Tumormetastasen der Wirbelsäule) dazu gezwungen sein, eine Vorder-
seitenstrangdurchschneidung im Brustmark auszuführen.
Auch Laborderie empfiehlt bei Wurzelschmerzen die Röntgen-
behandlung. Aufgabe der Röntgenstrahlen sei es, die hyperplastischen Ele-
mente zu zerstören, die die Nerven komprimieren und zerstören.
Über die Kausalgien hat Blanchet eine Monographie verfaßt, in der er
70 Fälle der Literatur zusammenfaßt. Er definiert als Kausalgie die Schmerzen,
die, meist im Bereich einzelner Hautnerven auftretend, von vasomotorisch-
trophischen Störungen charakteristischer Natur begleitet sind, eine eigentümliche
Beeinflussung durch psychische Momente zeigen. Feuchte Kälte wirkt auffallend
günstig ein. Der Psychotherapie kann dafür eine wesentliche Bedeutung nicht zu-
gewiesen werden. Die vegetative Stigmatisierung der Kranken ist nicht bewiesen.
Die weiße Rasse wie das jugendliche Alter seien stärker disponiert. Maßgebend
ist eine Läsion der peripheren Nerven. Je reicher die Nerven an marklosen Fasern
sind, je mehr die Läsionen in den Wurzeln oder im Gelenk sitzen, desto schwerer
ist die Kausalgie. Am meisten ist Blanchet von der Léricheschen Operation
eingenommen, Durchschneidung der hinteren Wurzeln und der Rami communi-
cantes in genügender Ausdehnung. Solche Operationen müssen wegen der Tendenz
zur Verbreitung der Kausalgiebezirke frühzeitig ausgeführt werden. Gerichtlich-
medizinisch ist das Fehlen von Suizidfällen bei Kausalgien beachtenswert. Im
Spital und Krankenhaus sind solche Patienten zu isolieren.
Über Kausalgie im Gesicht, die sich im Anschluß an eine Grippe ausbil-
dete, berichtet Halphen. Es fand sich kein objektiver Befund. Kälte in jeder
Form half sofort. Therapeutische Versuche, wie Alkoholinjektionen, Rotlicht,
Röntgenstrahlen, Diathermie und alle Medikamente blieben erfolglos.
Über Geschwülste im Bereich derperipheren Nerven sind relativ wenig
Veröffentlichungen erschienen. Mac Auley meint, daß, wenn Kinder an einer
langsam wachsenden Geschwulst nahe dem Kieferwinkel erkranken, besonders
dann, wenn die Geschwulst an der linken Halsseite sitzt, und wenn unter der
Haut die bewegliche, pulsierende Karotis fühlbar ist, starker Verdacht auf ein
vom oberen Halsganglion ausgehendes Neurom des Halssympathikus bestehe.
Er beschreibt einen solchen Fall, bei dem es möglich war, die Geschwulst gut
sichtbar zu machen, wenn dem Patienten aufgetragen wurde, einen Ballon auf-
zublasen.
Für die Diagnose eines Tumors oder einer Entzündung des Ganglion
Gasseri legt Stammers Wert auf eine kennzeichnende Folge von Symptomen.
Zunächst treten Schmerzen auf, die meist mehr als einen Ast des Trigeminus
betreffen. Der Schmerz nimmt an Heftigkeit und Dauer zu. Gleichzeitig treten
Parästhesien und objektiv nachweisbare sensible Störungen auf. Dann zeigt
sich eine u. U. auch gleichzeitig bemerkbare Schwäche im motorischen Trigeminus-
anteil. Es schließen sich weiterhin Schädigungen in den Augenmuskeln, im Fa-
zialis, Akustikus oder selbst dem 9., 10., 11. oder 12. Hirnnerven an. Besonderer
Wert ist auf den sorgfältigen Nachweis der Aufeinanderfolge der Störungen zu
legen. Eine klinische Unterscheidung von Tumor oder Entzündung des Ganglion
Gasseri ist zur Zeit nicht möglich.
126 Ulrich Fleck
Für peripher bedingte ein- bzw. doppelseitige Ophthalmoplegien
kommen nach Herzau vor allem Tumoren der Keilbeingegend in Betracht.
Die Schädigung der Augenmuskelnerven ist bald auf Druckwirkung, bald auf
Einwucherung von Geschwulstzellen in den Nervenstamm zurückzuführen. Eine
Radikaloperation des Tumors ist für gewöhnlich nicht mehr möglich, wenn es zu
Augenmuskelnervenlähmungen gekommen ist.
Von einem malign degenerierten „Schwannom“, das im Nervus radialis
auftrat, berichten Bertrand und Bernard.
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Neurolotle V, 3 10
Symptomatische Psychosen
von Hans Seelert in Berlin-Buch.
Wie in der gesamten klinischen Medizin wird auch bei den symptomatischen
Psychosen, diesem kleinen Teil der Psychiatrie, mit Vertiefung und Erweiterung
unserer Kenntnisse das Ineinandergreifen der biologischen Vorgänge immer
deutlicher. Kurt Schneider hat in seiner Schrift über die Probleme der kli-
nischen Psychiatrie eine Übersicht gegeben über die Bemühungen zur Lösung
von Verwicklungen aus der Verbindung von Symptomen und Symptomen-
komplexen, die wir als endogene und exogene unterscheiden. Auch bei den sym-
ptomatischen Psychosen machen wir, wie Schneider es ausdrückt, die Er-
fahrung, daß man bei der heutigen Psychiatrie von einer Gruppe kaum mehr
reden kann, ohne die andere zu berühren, und daß man von jeder Gruppe aus
die ganze Psychiatrie aufrollen kann. Daß es so ist, liegt an der Schwierigkeit
und unzulänglichen Sicherheit, auf die wir immer wieder stoßen, wenn wir
darauf angewiesen sind, aus psychischen Krankheitserscheinungen und ihrem
Verlauf eine nosologische Differentialdiagnose zu stellen, es liegt vor allem, wie
ich schon in dem Bericht des vergangenen Jahres erwähnte, an dem Fehlen
einer somatischen Grundlage für die Diagnose der Schizophrenie und wie ich
hinzufügen muß, auch der Zyklothymie. Niemals darf das bei der Beschäftigung
mit den symptomatischen Psychosen und im einzelnen Falle bei der Diagnose
einer symptomatischen Psychose außer acht gelassen werden. Das muß auch
gesagt werden gegenüber dem Versuch von Herz, die Begleitpsychosen körper-
licher Erkrankungen nach 4 Gruppen zu unterscheiden: einfache symptoma-
tische Psychosen, symptomatische Psychosen mit nur geringer auslösender
körperlicher Grundkrankheit, langdauernde heilbare symptomatische Psychosen,
symptomatische Schizophrenien, die in einen eigentümlichen Defekt ausgehen.
Die Bedeutung allgemeiner Erschöpfung für die Entwickelung psycho-
tischer Zustände glaubt Popow an 3 Kranken zeigen zu können. Bei den
Kranken kam es nach tagelanger Entbehrung von Schlaf und nach seelischer
Erregung zu einem deliranten halluzinatorischen Zustande, der nach wenigen
Tagen vorüber war und nicht wieder auftrat. Popow nimmt an, daß der
psychotische Zustand seiner Kranken bei vorhandener Prädisposition unter der
Wirkung von Ermüdung eingetreten ist.
Immer deutlicher werden aus klinischen Erfahrungen und Ergebnissen
anatomischer Untersuchung enge Beziehungen symptomatischer Psychosen zu
Psychosen auf der Grundlage gröberer morphologischer Veränderungen. Eine
Trennung der Begleitpsychosen der Infektionskrankheiten von Psychosen bei
enzephalitischen Prozessen ist, wie die Erfahrungen zeigen, nicht durch-
zuführen; hier verwischen sich die Grenzen. Auch nicht im einzelnen Falle
ist zu sagen, ob und wie weit bei einer Infektionskrankheit mit akutem psycho-
tischen Zustandsbild enzephalitische Vorgänge mitwirken oder fehlen. Lange
Hans Seelert, Symptomatische Psychosen 131
Dauer der Psychose über die körperlichen Erscheinungen der Infektionskrank-
heit hinaus, wie in dem von Urechia mitgeteilten Falle, oder Entwicklung
von peychischen Defektsymptomen läßt an enzephalitischen Prozeß denken.
Erwähnt sei die Ansicht von Meerloo, der veranlaßt durch die klinischen
Beobachtungen bei jedem Krankheitefall von Grippe eine toxische Grippe-
enzephalopathie vermutet, eine Intoxikation der zentralen vegetativen Kerne.
Toulouse, Marchand und Courtois wollen die akut einsetzenden, schweren
deliranten Psychosen, die bei akuten Infektionskrankheiten auftreten
und in 1—2 Wochen zum Tode zu führen pflegen, als sekundäre Enzephalitiden
mit Psychose zusammenfassen. Bei anatomischer Untersuchung 8 solcher
Krankheitsfälle nach Grippe, Grippepneumonie, Typhus, Erysipel
und puer peralen Erkrankungen fanden sie ausgedehnte krankhafte Ver-
änderungen der Nervenzellen und beträchtliche perivaskuläre Infiltrationen an
kleinen Gefäßen und Kapillaren in den beiden untersten Rindenschichten, der
weißen Substanz und im Hirnstamm. Ein Kranker von Janota, der einen
schweren Typhus mit delirantem Zustande durchgemacht hatte, ähnelte mit
seinen noch nach 2 Jahren erkennbaren psychischen Defektsymptomen einer
unvollkommen remittierten Paralyse, für die der Liquorbefund keinen Anhalts-
punkt gab. |
Einige Arbeiten aus letzter Zeit berichten über Beobachtungen, die zu er-
wähnen sind bei der Frage, wie weit das Symptomenbild der Psychosen im Ver-
lauf von Infektionskrankheiten durch die verschiedenen pathogenetischen
Faktoren beeinflußt und bestimmt wird. Unter 4 Krankheitsfällen von tuber-
kulöser Basilarmenigitis hatten Taussig und Ha3kovec einen Kranken,
der chronischer Trinker war. Die deliranten Phasen seiner Psychose hatten
große Ähnlichkeit mit einem Delirium tremens. Eine andere Kranke, die seit
ihrer Jugend an epileptischen Anfällen litt, bekam außer einem Delir schwere
Erregungszustände. Oseretzky hat über seine Selbstbeobachtungen bei einem
schweren und lange dauernden Paratyphus B mit delirantem Zustands-
bilde berichtet und diese Beobachtungen mit seinen persönlichen psycho-
pathologischen Erlebnissen bei Flecktyphus und Rekurrens, die gleichfalls
zu Delirien geführt hatten, verglichen. Daß die von Oseretzky angegebenen
Unterschiede in der Art der Halluzinationen, der Stimmung, Affekte und auch
der Motorik bei seinen 3 Infektionskrankheiten eine allgemeinere Bedeutung
haben, ist nach unseren Gesamterfahrungen bei den symptomatischen Psychosen
nicht wahrscheinlich ; aber doch verdienen Erfahrungen wie die hier mitgeteilten
Beachtung. Die 3 Rekurrensanfälle verliefen mit genau den gleichen deliranten
Zuständen paranoischer Färbung, unterschieden sich jedoch in den psychischen
Symptomen von den Delirien bei Flecktyphus und Paratyphus B. Ob und wie
weit wir aus solchen Erfahrungen auf verschiedene Wirkung oder auf verschiedene
Angriffsstellen der schädigenden Noxe schließen können, ist nicht zu übersehen.
Die Beobachtungen von Skliar und Rjabova bei einer größeren Zahl von
Malariakranken bestätigen, daß die psychischen Krankheitsbilder bei Malaria
nicht anders sind als bei anderen Infektionskrankheiten. Bei einigen Kranken
entwickelten sich die Psychosen in der fieberfreien Zeit. Der Gedanke von
Skliar und Rjabova, diese in der fieberfreien Zeit auftretenden, kurz dauern-
den Psychosen als Äquivalente der Malaria (im Sinne eines Ersatzes des Fiebers
durch eine Psychose) zu bezeichnen, ist nicht glücklich.
10*
132 Hans Seelert
Seelert fand in 3 Fällen von Pellagra mit Krämpfen, die bei schizo-
phrenen Kranken zur Entwicklung kam, eine auffallende Übereinstimmung
in der Lokalisation und im Ablauf der Krampferscheinungen. Die Krämpfe
begannen mit Zuckungen der Gesichtsmuskeln und betrafen im Gesicht auch
im weiteren Krankheitsverlauf ganz vorwiegend die unteren Gesichtsmuskeln,
während der Orbicularis oculi und der Stirnmuskel fast ganz frei blieben. Die
Krampfbewegungen der Gesichtsmuskeln glichen anfangs grimassierenden Ge-
sichtsbewegungen alter Schizophrenien. An den Extremitäten und am Rumpf
kam es zu einer Unruhe, die als ein Gemisch von Chorea, Myoklonus und kloni-
schen Krämpfen bezeichnet werden kann. Bei zwei von den Kranken stellten
sich die Krämpfe ein, bevor aus anderen Krankheitssymptomen die Diagnose
Pellagra gestellt werden konnte. Die beiden Krankheitsfälle erfordern deshalb
Beachtung im Hinblick auf die Schwierigkeit der Diagnose der Pellagra bei
Fehlen der bekannten Haut veränderungen. In einem Falle führte allein die
Übereinstimmung der Muskelkrämpfe mit den Krämpfen der beiden anderen
Pellagrakranken zur richtigen Krankheitediagnose. Mit oder bald nach Beginn
der Krampferscheinungen war bei einer Kranken eine Änderung des psychischen
Zustandes von schizophrenem Typ in einen Benommenheitszustand mit
Desorientierung nachzuweisen. Das Ergebnis der mikroskopischen Gehirnunter-
suchung stand nicht nur bei der Kranken, die charakteristische Hautverände-
rungen hatte, sondern auch bei den beiden anderen mit der klinischen Diagnose
der Pellagra in voller Übereinstimmung.
Über die Beziehungen psychischer Krankheitserscheinungen zu Herzleiden
sind mehrere Arbeiten erschienen. Eine Studie von Braun über Herz und
Angst behandelt das Problem der Angst bei Herzleiden unter psychologischen
Gesichtspunkten. Einen Gewinn für die Klinik bringt sie nicht. Ein aus Er-
fahrungen ärztlicher Praxis entstandenes Buch von Fahrenkamp zeigt recht
anschaulich den Anteil des Psychischen an der Gestaltung des Krankheits-
bildes bei Herzkranken. Gibson ermittelte, daß von 153 Krankheitsfällen,
bei denen durch Autopsie Herzkrankheit festgestellt wurde, 15 peychische
Störungen, hauptsächlich von exogenem Reaktionstyp hatten. Kranke mit
Mitralstenose neigen nach Gibson bevorzugt zu peychischen Störungen. Wenn
auch hier die Stütze auf den Obduktionsbefund eine exakte Grundlage für diese
Feststellungen zu sein scheint, so ist doch bei der Auswertung solcher Fest-
stellungen für die Frage des Zusammenhanges von Herzleiden und Psychosen
kritische Zurückhaltung geboten, weil nur bei ganz vollständiger klinischer
und anatomischer Untersuchung gleichzeitige andere pathologische Verände-
rungen, die als Grundlage für die psychischen Symptome in Frage kommen,
auszuschließen sind. Als psychische Erscheinungen im Zusammenhang mit
paroxysmaler Tachykardie erwähnt Moersch Ohnmachten, Bewußtlosig-
keit und delirante Zustände. Er weist darauf hin, daß in solchen Krankheits-
fällen bei Überwiegen der psychischen Erscheinungen die Differentialdiagnose
sehr schwierig sein kann, besonders bei Bewußtseinsstörungen und Anfällen
gegenüber Epilepsie.
Riebeling erwähnt bei Schilderung symptomatischer Psychosen bei
Niereninsuffizienz, daß hier Kankheitsfälle zu finden sind, die durch ihre
Ähnlichkeit mit den psychischen Veränderungen der Epileptiker auffallen. Neben
den Symptomen und Zuständen von akutem Gepräge waren bei diesen Kranken
Symptomatische Psychosen 133
Umständlichkeit im Denken, affektive Überempfindlichkeit, pathologisches An-
lehnungsbedürfnis und hesitierende Sprache zu beobachten. Ergebnisse von
Funktionsprüfungen der Nieren, von Untersuchungen des Blutserums und des
Liquors führten Riebeling zu der Ansicht, daß die Entwicklung der psychischen
Krankheitserscheinungen weniger auf Retention mineralischer oder organischer
Stoffe im Gehirn zu beziehen ist als auf „das gestörte Gleichgewicht des Stoff-
wechsels‘‘. Psychische Störungen traten bei allen Formen der Niereninsuffizienz
auf, sowohl dann, wenn Retention von Stickstoffendprodukten oder von Koch-
salz oder von Wasser im Vordergrunde stand, als auch dann, wenn nur eine
ganz geringfügige Störung dieser Art zu finden war. Riebeling meint, daß
gröbere organische Defekte wie Merkschwäche, Aufmerksamkeitsstörung, Schlaf-
sucht und Koma sich ‚vielleicht grob mechanisch durch N-Retention allein er-
klären!“ Esteves Balado glaubt gefunden zu haben, daß es bei Nierenkranken
eine besondere Form der Verwirrtheit gibt, die allein durch N-Retention ver-
ursacht wird. Er ist der Ansicht, daß bei einigen seiner Kranken N-Retention
ohne jede Nierenschädigung bestand. Die Richtigkeit seiner Ansicht ist nicht
bewiesen, da Sektionsbefunde nicht angegeben sind. Thiers bezieht die psychi-
schen Krankheitssymptome auf Chlorretention, die in der Gehirnrinde, in anderen
Geweben und im Blut zustande kommt. Die Gestaltung der peychischen Sym-
ptomenbilder hält er für abhängig von dem ererbten oder erworbenen Zustande
des Gehirns. Die erwähnten Arbeiten zeigen von neuem, daß wir hier die vor-
kommenden pathologischen Verhältnisse nicht mit genügender Sicherheit über-
sehen können; deshalb sollte weniger erklärt und gedeutet und mehr unter-
sucht werden. Es ergibt sich hier ein Arbeitsgebiet für enges Zusammenarbeiten
der Psychiatrie mit der inneren Medizin. Roggenbau behandelte eine Kranke
mit urämischer Psychose erfolgreich mit Diathermie der Nieren. Schon bei
der ersten Behandlung, die täglich mit einer Dauer von 2 Stunden wiederholt
wurde, zeigte sich eine Besserung des psychischen Zustandes. Nach Behandlung
von 7 Wochen waren auch die bei der Urämie aufgetretenen neurologischen
Symptome geschwunden, eine hochgradige Merkstörung bis auf leichte Merk-
schwäche zurückgegangen. Auf geringe Kochsalzzufuhr setzte sofort eine Ver-
schlechterung des Allgemeinbefindens ein, das sich nach Absetzen der Koch-
salzzufuhr rasch wieder besserte. Die Untersuchung ergab ein fast völliges Un-
vermögen der Kochsalzausscheidung und eine erhebliche Störung der Wasser-
ausscheidung.
Hechst untersuchte die Gehirne von Kranken, die an Urämie gestorben
waren. Er fand, daß das Auftreten urämischer (eklamptischer) Erscheinungen
nicht an das Vorhandensein von Hirnödem, wie es von Volhard und anderen
behauptet worden ist, und auch nicht an Hirnschwellung gebunden ist. Die
Anschauung von Monakows, daß die urämischen Erscheinungen in Zusammen-
hang stehen mit Veränderungen der Plexus chorioidei, konnte er auf Grund der
morphologischen Befunde nicht bestätigen. Affiziert erwiesen sich die ektoder-
malen und mesodermalen Elemente im Gehirn. Blutungen, perivaskuläres
Ödem, Kapillarverletzungen, Vermehrung des subendothelialen Bindegewebes,
Nekrose der Media wurden gefunden, jedoch keine entzündlich-infiltrativen
Erscheinungen. Die ektodermalen Elemente zeigten über einen großen Teil
des Gehirns ausgebreitete diffuse Veränderungen (Nerven- und Gliazellver-
fettung, ischämische und sklerotische Zellveränderungen), daneben herdförmige
134 Hans Seelert
und pseudolaminäre Ausfälle von wahrscheinlich vaskulärer Genese. Am
schwersten und häufigsten waren neben der Großhirnrinde Striatum und Pons
betroffen. Auch ein Krankheitsfall von chronischer Nephritis ohne urämische
Erscheinungen ergab dieselben anatomischen Bilder wie die Krankheitsfälle
mit Urämie. Also stehen wir hier noch vor der Unmöglichkeit, feste Beziehungen
zwischen psychischem Krankheitsbild und morphologischen Gehirnverände-
rungen zu finden.
Wie schwer es sein kann, die ätiologischen Verhältnisse bei Psychosen im
Verlauf von extrazerebralen Krankheiten zu übersehen, zeigen Krankheitsfälle,
die Illing mitgeteilt hat. Von 5 Kranken mit perniziöser Anämie hatten
3 einen Depressionszustand und außerdem Merkschwäche und leichte Ermüd-
barkeit. Es wurde angenommen, daß eine endogene Depression im Verlauf der
Anämie aufgetreten war, daß diese neben der Anämie und unabhängig von der
Anämie bestand, daß endogene Depressionen und leichte Symptome exogener
Hirnschädigung nebeneinander nach eigenen Gesetzen verliefen. 4 Kranke
hatten gleichzeitig eine kombinierte Strangerkrankung des Rückenmarks. Bei
einer Kranken wurde eine im Verlauf der Anämie aufgetretene Myokardembolie
diagnostiziert. Da 4 Tage nach der Embolie ein deliranter Zustand einsetzte,
wurde mit Wahrscheinlichkeit angenommen, daß die Psychose nicht ohne
ursächlichen Zusammenhang mit dem Herzleiden entstanden war.
Vieten sah 2 Kranke mit depressiv-paranoider Psychose im Verlauf von
perniziöser Anämie, bei denen ein Zusammenhang von Schwankungen des Blut-
bildes mit Besserungen und Verschlechterungen des psychischen Zustandes
zu bestehen schien. In einer Arbeit von Graf mit Schilderung einer Psychose,
die als symptomatische Psychose bei anämischer funikulärer Spinalerkrankung
angesehen wurde, wird auf die Häufigkeit von Parästhesien bei anämischen
Krankheiten und auf ihre wahnhafte Deutung durch die Kranken hingewiesen.
Läufer fand in einem Krankheitsfall eine Bestätigung der Erfahrung, daß bei
Beginn der Leberbehandlung nicht nur eine Verschlechterung der Anämie,
sondern auch der symptomatischen Psychose eintreten kann. Seine Kranke
mit delirantem Zustandsbild wurde auf Einleitung der 83 somno-
lent. Dann trat Heilung der Psychose ein.
Levin sah bei Polyzythämie nach einem Krankheitesverlauf von 2 Jahren
eine schwere Depression auftreten. Daß die Depression einen pathogenetischen
Zusammenhang mit der Blutkrankheit hatte, erscheint nicht erwiesen, auch
dann nicht, wenn man berücksichtigt, daß Levin aus der Literatur 9 Fälle
zusammenstellen konnte, bei denen sich im Verlauf der Polyzythämie eine
Psychose entwickelte.
Mit den Psychosen bei Basedow und ihrer Behandlung befassen sich
die Arbeiten von Feldmann, Martynow und Krammer. Feldmann ist
der Ansicht, daß die Häufigkeit der Psychosen bei Basedow überschätzt wird,
weil im Schrifttum vielfach schon die leichten peychischen Veränderungen, die
der Basedowschen Krankheit eigentümlich sind, mit den Psychosen durchein-
ander geworfen werden. Er berichtet über einige operative Behandlungserfolge
bei Psychosen im Verlauf von Basedowscher Krankheit. Eine schwere Depression,
die schon mehrmals Anstaltsbehandlung erforderlich gemacht hatte, besserte
sich nach der Operation einer diffusen Basedowstruma in wenigen Tagen und
heilte dann vollständig. Bei einer anderen Kranken, die neben den allgemeinen
Symptomatische Psychosen 135
Basedowsymptomen Wutzustände und danach einen schweren depressiven Stupor
bekommen hatte, wurde ein Schilddrüsenlappen reseziert und eine hyper-
trophische Thymusdrüse entfernt. Nach der Operation trat sofort Besserung
und dann Heilung ein. Auch in einem dritten Fall mit motorischer Unruhe und
Desorientierung wurde durch Operation ein voller Behandlungserfolg erzielt.
Ebenso berichtet Martynow über Heilung oder Besserung der nervösen und
psychischen Symptome bei Basedowkranken nach Operation, während Kram-
mer bei 2 Basedowkranken nach Behandlung mit Antithyreodin (Möbius)
Erfolge sah. Aussetzen des Mittels führte zu Neuauftreten der psychischen
Krankheitserscheinungen, Fortsetzung der Behandlung bei einer Kranken zu
voller Heilung, bei der anderen zunächst zu bedeutender Besserung. Feldmann
hält das Wagnis der Operation bei erregten Basedowkranken für groß. Er
empfiehlt Vorbehandlung mit Jod.
Schierl beobachtete bei einer Kranken mit Bradykardie, niedrigem Blut-
druck, vollständiger Anurie und einem Reststickstoffwert von 200 mg% einen
komatösen Zustand. Bei Behandlung mit Glandulae thyreoideae Merck wurde das
Sensorium der Kranken frei ; unter Anstieg des Blutdruckes trat reichliche Diurese
ein, der Reststickstoffwert sank auf 80 mg . Schierl nahm an, daß es sich bei
der Kranken um ein larviertes Myxödem mit Nephropathie gehandelt hat.
Sehr wertvoll für die klinische Psychiatrie sind die in den letzten 2 Jahren
erschienenen Arbeiten über den hypoglykämischen Symptomenkomplex. Ein-
drucksvoll zeigt sich hier, wie eng die Beziehungen der Psychiatrie zur inneren
Medizin sind. Die Arbeiten gehen aus von Erfahrungen, die bei der Insulin-
behandlung des Diabetes gewonnen wurden. Bei der heute weit verbreiteten
Insulintherapie ist genauere Kenntnis der hypoglykämischen Zustände für
jeden Arzt wichtig. Eine eingehende Schilderung dieser Zustände mit ihren
mannigfachen psychischen und neurologischen Symptomen geben die Arbeiten
von Josef Wilder und von Wiechmann, die auf Grund eigener Beobach-
tungen und mit Verwertung der Literatur die Kenntnisse von den hypoglykä-
mischen Zuständen kritisch zusammengestellt haben. Wir können bei den
hypoglykämischen Zuständen die peychiatrisch-neurologischen Symptome nicht
gesondert betrachten, weil sie aufs engste mit anderen Symptomen nicht nur
zeitlich verknüpft sind, sondern weil auch vielfach ihre Entwicklung an Sym-
ptome, die außerhalb des Nervensystems stehen, gebunden ist, und weil hier
richtige diagnostische Bewertung der psychiatrisch-neurologischen Symptome
nur unter Ausnutzung anderer Erscheinungen möglich ist.
Wiechmann gibt an, daß der hypoglykämische Symptomenkomplex beim
Menschen außerordentliche Variationen zeigt; auch bei demselben Kranken kann
die Hypoglykämie unter verschiedenen Erscheinungsformen auftreten. Es hat
nicht jeder Mensch seine eigene hypoglykämische Reaktion. Aus der Fülle der
Symptome lassen sich jedoch einige herausfinden, die zwar nicht regelmäßig,
aber in der Mehrzahl der Fälle auftreten.
Die ersten Erscheinungen der Hypoglykämie sind nach Wiechmann
Angstgefühl, Hunger, Schweiß. Hunger und Schweiß können sehr stark sein.
Daneben treten Müdigkeit, Schläfrigkeit, Gähnen, Schwindelgefühl, Herz-
klopfen und Zittern auf. Es kann zum Kollaps und zum Koma kommen. Prak-
tisch wichtig ist es, daß die schweren Erscheinungen der Hypoglykämie ohne
Vorboten auftreten können. Aus einer Zusammenstellung der im hypoglykämi-
136 Hans Seelert
schen Zustande auftretenden Änderungen der Kreislauffunktionen, die wir bei
Wiechmann finden, ist zu erkennen, eine wie große Bedeutung diese Ände-
rungen namentlich für ein nicht gesundes Herz haben. Ich schließe aus den an-
geführten Untersuchungsergebnissen, daß die psychischen Erscheinungen im
hypoglykämischen Zustand (Angst, Müdigkeit, Schlafneigung, Koma, auch
motorische Unruhe) eine Auswirkung veränderter Kreislauffunktion sein können,
nicht allgemein als direkte Wirkung des Blutzuckermangels auf Gehirnfunk-
tionen angesehen werden müssen. Von den Kreislaufsymptomen sei hier erwähnt,
daß der Puls beschleunigt, nicht selten unregelmäßig ist. Nach Wilder kommt
auch Pulsverlangsamung vor. Der Blutdruck sinkt, die Körperwärme ist ver-
mindert. Wieehmann beobachtete in einem Falle eine Temperatur von 32°.
Wilder, der die hypoglykämischen Zustände mehr unter psychiatrisch-
neurologischen Gesichtspunkten schildert — während bei Wiechmann das
Intern-Medizinische im Vordergrund steht —, unterscheidet vegetativ-nervöse,
„Zentral-nervöse“ (neurologische) und psychische Symptomenkomplexe bei der
Hypoglykämie. Bei den leichteren hypoglykämischen Zuständen treten vor-
wiegend vegetative Symptome auf, während die schweren Zustände von den
psychischen Symptomen beherrscht werden. Leichtere ‚„zentral-nervöse‘‘ und
psychische Symptome treten oft zu den vegetativen hinzu. Ob die vegetativen
Symptome nur bei vegetativ Stigmatisierten vorkommen, bedarf nach Wilder
noch der Aufklärung. Die vegetativen und neurologischen Symptome können,
brauchen aber nicht zusammen mit den peychischen auftreten. Reinwein
betont die Erfahrung, daß psychische Veränderungen die einzigen Zeichen der
drohenden oder ausgeprägten Hypoglykämie sein können.
Eingeleitet werden die hypoglykämischen Zustände, auch die schweren,
oft durch Kopfschmerzen im Hinterkopf oder in Form von Hemikranie, auch
Doppelbilder kommen dabei vor. Als eins der ersten Zeichen erwähnt Wilder
nach eigenen Erfahrungen Änderung des Sprechens, das langsam, zögernd,
verwaschen wird. Neben dieser Dysarthrie bezeichnet er als auffallend einen
Wechsel der Stimme, die bald laut (,, Megaphonie“) bald leise wird. Wilder
vermutet, daß es sich dabei um ein striäres Symptom handelt; denn es tritt oft
zusammen mit anderen Veränderungen der Motorik auf, die als striäre angesehen
werden können (starrer Gesichtsausdruck, Verminderung der mimischen und
Blickbewegungen, oder lebhaftes Grimassieren und übertriebene Gestikulation).
Bei einem der von Wilder beobachteten Kranken kam der organische Charakter
dieser Erscheinungen unter anderem darin zum Ausdruck, daß sie meist
auf eine Körperseite beschränkt blieben. Seltener ist Zwangslachen und Zwangs-
weinen. Als charakteristisch für den Beginn der Hypoglykämie bezeichnet
Wilder ein „Herumtrödeln“ der Kranken. „Die Kranken machen immer
etwas, legen Gegenstände von einem Platz auf den anderen, jetzt müssen sie sich
die Haare bürsten, alles wegräumen usw. — Sie werden nie fertig. Sie kommen
dabei auch, obwohl sie wissen, daß der Anfall beginnt und sie sofort Zucker
nehmen müssen, nicht dazu, den schweren hypoglykämischen Zustand durch
Aufnahme von Zucker abzuwenden.
Im schwereren hypoglykämischen Zustand ist das Bewußtsein verändert.
Es kann zu leichter und schwerer Bewußtseinsminderung mit Behinderung der
Denkfunktionen kommen. Wilder berichtet aus eigener Erfahrung bei seinen
Patienten über Haften an einzelnen Gedanken und über ablehnendes, negati-
Symptomatische Psychosen 137
vistisches Verhalten. Die Patienten widersprechen in allem, wehren sich gegen
alles, auch gegen das, was ihnen sonst nicht unangenehm war, und machen allerlei
Einwände dagegen. Besonders auffallend kann dieser Negativismus nach
Wilder bei der spontanen Hypoglykämie sein, weil er sich da ganz unerwartet
einstellen und mit dem Verhalten des Patienten außerhalb des hypoglykämischen
Zustandes in grobem Gegensatz stehen kann. Wilder konnte in einem solchen
Falle beobachten, wie sich das morose, anspruchsvolle, abweisende, unhöfliche
Verhalten einer Kranken nach ein paar Schluck Zuckerwasser änderte, wie die
Patientin freundlich, mit allem einverstanden wurde und den Arzt lobte. Es
war, wie Wilder sagt, wie nach einer Morphiuminjektion bei einem Morphi-
nisten, nur mit dem Unterschied, daß der Morphinist nach der Spritze verlangt,
während dieser Kranken der Zucker oft aufgedrängt werden mußte.
Aus dem bisher Angeführten ist zu entnehmen, daß stärkere Ausprägung der
psychischen Symptome bei der Hypoglykämie zu Dämmerzuständen führt.
Es werden auch hypoglykämische Zustände beobachtet, in denen sich mit der
Minderung des Bewußtseins Verwirrtheit verbindet, die Kranken sich nicht
situationsgemäß benehmen, nicht nach Hause finden, manchmal Ratlosigkeit
zeigen. Dabei steht die Intensität des Pathologischen zwischen leichter Des-
orientierung und völligem Verlust der psychischen Beziehungen zur Umgebung.
Da gleichzeitig Taumeln und Dysarthrie auftreten können, kommt es vor, daß
der Kranke für betrunken gehalten wird. In manchen Fällen kommt es zu
illusionären Umdeutungen der Sinneswahrnehmungen. Auch schwere motorische
Erregungen treten in der Hypoglykämie auf, ferner manieartige Zustände mit
Singen, Springen, Lachen, lautem Reden.
Nach Hirsch- Kauffmann sind die psychischen Störungen des hypo-
glykä mischen Zustandes sehr ausgeprägt bei Kindern, aber oft bei Kindern sehr
schwer als hypoglykämischer Insult zu erkennen. Es hat mitunter den Anschein,
als ob die kleinen Patienten bockig wären. Sie tun das Gegenteil von dem, das
von ihnen verlangt wird. Daneben kommen hochgradige Erregungszustände vor.
Ohne Vorboten setzt der hypoglykämische Zustand beim Kinde ein mit Auf-
schreien, Schweißausbruch, Zuckungen im Gesicht, woran sich peychische
Veränderungen anschließen. Bei nicht rechtzeitigem ärztlichen Eingreifen können
tonisch-klonische Krämpfe folgen.
In schweren Fällen von Hypoglykämie kommt es zu Somnolenz und, wie
schon erwähnt, zum Koma. Somnolenz und Koma können anderen psychischen
Zuständen folgen. Fast immer besteht nach dem hypoglykämischen Zustande
mehr oder weniger vollständige Amnesie für die Erlebnisse während dieses Zu-
standes. Nach Wilders Erfahrungen sind hier mancherlei Variationen in der
Entwicklung und Rückbildung der Amnesie zu finden.
Als neurologische Symptome des hypoglykämischen Zustandes werden von
Wilder und Wiechmann außer den schon angegebenen erwähnt Augenmuskel-
lähmungen, Blicklähmungen, Sehstörungen, Schwinden der Reflexe, Babinski-
sches Phänomen, Mono- und Hemiplegie. Die erwähnte motorische Unruhe
kann choreatischen Charakter haben, zu Jaktationen und Rollbewegungen des
Körpers führen. In einigen Fällen traten Muskelkrämpfe von kortikalem Typ
auf. Reinwein beobachtete einen Krampfanfall mit tonischen, dann klonischen
Zuckungen, Pupillenstarre und beiderseits angedeutetem Babinskischem Phä-
nomen. Sofort nach Traubenzuckerinjektion reagierten die Pupillen wieder,
138 Hans Seelert
erwachte der Patient aus der Bewußlosigkeit. Auch die anderen neurologischen
Symptome sind vorübergehend. Sie schwinden, wie Wilder angibt, nach
ein paar Schluck Zuckerwasser. Da die individuelle Empfindlichkeit gegen
Insulin beim Menschen große Unterschiede und Schwankungen zeigt, läßt sich
nach Wilder und Wiechmann bezüglich der Insulindosis und auch der Blut-
zuckerhöhe, die zu hypoglykämischen Erscheinungen führt, keine feste Grenze
angeben. Wiechmann erwähnt, daß es Patienten gibt, die schon bei einem
Blutzuckergehalt von 80—90 mg% subjektive Erscheinungen bemerken,
während andere bei einem Blutzuckerspiegel von 50 mg % keine Symptome
wahrnehmen, daß im allgemeinen bei einem Blutzuckergehalt von über 80 mg %
hypoglykämische Erscheinungen eine Ausnahme, bei weniger als 70 mg %
häufig sind. Nicht die absolute Blutzuckerhöhe, sondern der schnelle Sturz
einer Hyperglykämie wird hier für entscheidend gehalten.
Von großer Bedeutung ist es, daß leichte Zustände von Hypoglykämie
auch bei Gesunden ohne Insulinbehandlung in der hypoglykämischen Phase
vorkommen, die, wie länger bekannt ist, einer Belastung mit Zucker folgt.
Es ist ferner bekannt geworden, daß die Insulinempfindlichkeit zeitweise
erhöht, also die Insulintoleranz vermindert sein kann. Nach Reinwein bringt
bei einem mit Insulin behandelten Diabetiker jede Umänderung der Tages-
einteilung, auch Änderung in der Zeit der Nahrungsaufnahme, körperliche An-
strengung und vor allem eine interkurrente Krankheit (Durchfall, Erbrechen)
die Gefahr des hypoglykämischen Zustandes mit sich, weil unter solchen Um-
ständen eine Änderung in der Verwertung der genommenen Nahrung eintritt.
Reinwein hat mehrere Krankheitsfälle mitgeteilt, an denen er diese Erfahrung
überzeugend aufzeigt. Daß sich bei Diabetikern, die schon tagelang die gleiche
Insulindosis bekommen haben, ein schwerer. hypoglykämischer Zustand ein-
stellt, kann nach Reinwein in einer inzwischen eingetretenen Erholung des
Inselsystems seinen Grund haben. Hirsch-Kauff mann gibt an, daß psychische
Momente auslösend auf das Einsetzen der hypoglykämischen Reaktion wirken
können. Auch individuelle Disposition scheint ihm für plötzliche Schwankung
des Blutzuckerspiegels ausschlaggebend zu sein.
Als eine der wichtigsten Feststellungen zur Kenntnis der Hypoglykämie
müssen wir das seit einigen Jahren entdeckte und wie es scheint jetzt gut be-
gründete Krankheitsbild der hypophysären Spontanhypoglykämie be-
zeichnen. In einer ausführlichen Arbeit hat Josef Wilder bei 2 Frauen,
die nicht zuckerkrank waren und nicht mit Insulin behandelt wurden, Zustände
geschildert, die dem hypoglykämischen Zustande der mit Insulin behandelten
Zuckerkranken glichen. Die Abhängigkeit dieser Zustände von niedrigen Blut-
zuckerwerten, und von der Nahrungsaufnahme, sowie ganz besonders ihr Schwin-
den bei Zuckerzufuhr wird durch Wilders Angaben wahrscheinlich gemacht.
Wilder gibt von der spontanen Hypoglykämie folgende Schilderung: „ Die spon-
tane Hypoglykämie ist in ihrem Verlauf ein ziemlich wohl umschriebenes und
bei entsprechender Anamnese ein nicht schwer zu diagnostizierendes Krank-
heitsbild. Zuerst in Abständen von Monaten, dann von Wochen, schließlich
sogar evtl. mehrmals täglich treten anfallsweise Zustände auf unter einem der
oben erwähnten Bilder, Zustände, welche Stunden, ja auch Tage anhalten können
und, falls sie verkannt werden, schließlich zum Exitus im hypoglykämischen
Koma — meist erst nach ein paar Jahren — führen. Diese Anfälle verraten
Symptomatische Psychosen 139
bei genauerer Beobachtung, ja meist schon bei genauerer Anamnese, einen deut-
lichen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, und zwar so, daß sie sich
etwa 3—6 Stunden nach der letzten Mahlzeit unweigerlich einzustellen pflegen,
d. h. wenn die Krankheit bereits voll entwickelt ist. Sie sind demnach am
häufigsten des Morgens aus dem Schlaf heraus, evtl. auch täglich, und äußern
sich bei den leichteren Formen darin, daß die Kranken kaum zu erwecken sind,
hingegen sehr bald munter werden, wenn man sie zum Frühstück zwingt. Eine
andere Vorzugszeit für die Anfälle ist die Zeit knapp vor den gewohnten Mahl-
zeiten. Es sind sogar von Harris u. a. ganz leichte Grade von Hypoglykämie
unter dem Bilde der Neurasthenie beschrieben worden, die sich in gesteigerter
Nervosität um die Mittagszeit äußern und durch Regelung der Mahlzeiten
beseitigt werden.“ Bei Wilders beiden Fällen von Spontanhypoglykämie ent-
wickelte sich im weiteren Verlauf eine leichte Störung der Merkfähigkeit. Wilder
führt die Hypoglykämie dieser beiden Kranken auf Grund der Röntgenbefunde
und unter Verwertung der Literatur auf Funktionsausfälle des Hypophysen-
vorderlappens zurück. Eine Kranke hatte leichte akromegale Symptome. Er
kam so zur Aufstellung des Krankheitsbildes der hypophysären Spontan-
hypoglykämie. Erwähnt sei, daß in anderen Fällen Spontanhypoglykämie
auf Adenom der Langerhansschen Inseln, auf schwere Leberaffektionen und
auf Morbus Addison zurückgeführt worden ist.
Hinsichtlich der Differentialdiagnose der Hypoglykämie gibt
Wiechmann an, daß die Unterscheidung zwischen der als Insulinwirkung
aufgetretenen hypoglykämischen Bewußtlosigkeit und diabetischem Koma nicht
immer leicht ist. Aus der Urinuntersuchung ist diese Unterscheidung nicht
immer möglich: denn bei einem hypoglykämischen Koma kann Ketonurie ge-
funden werden, andererseits ein diabetisches Koma ohne Azetonkörper im Urin
vorkommen, Eine andere Schwierigkeit ergibt sich nach Wiechmann dadurch,
daß ein Diabetiker aus dem diabetischen Koma in hypoglykämisches Koma
hinübergleiten kann. Starke Glykosurie und starke Eisenchloridreaktion spricht
für diabetisches Koma, Fehlen beider für hypoglykämisches. Es ist aber nach
Wiechmann zu beachten, daß der Blutzucker noch wenige Stunden vor einer
tiefen Hypoglykämie hoch sein kann, und daß zu dieser Zeit ausgeschiedener
Zucker in der Blase. bleiben kann, so daß der während der Hypoglykämie mit
dem Katheter entnommene Urin dann eine positive Zuckerprobe geben kann.
Wenn nicht durch eine sofort vorgenommene Blutzuckerbestimmung Klarheit
geschaffen werden kann, empfiehlt Wiechmann, aus Verhalten und Zustand
von Haut, Atmung, Puls, Temperatur, Augendruck und Urin die Diagnose
zu erschließen. Er gibt folgende Kennzeichen an: Die Haut ist imdiabetischen
Koma trocken, im hypoglykämischen feucht. Die Atmung im diabetischen
Koma ist groß, im hypoglykämischen normal. Der Puls ist im diabetischen
Koma frequent, klein, aber regelmäßig. Bei schwerer Hypoglykämie ist Puls-
irregularität sehr häufig. Der Augendruck ist im diabetischen Koma meist
stark vermindert, im hypoglykämischen leicht herabgesetzt. Dabei ist zu be-
achten, daß Hypotonie der Bulbi auch bei anderem Koma vorkommen kann.
Die Hypotonie der Bulbi bei diabetischem und hypoglykämischem Koma hält
Krause für ein bedeutungsvolles Unterscheidungsmerkmal gegenüber der
Bewußtlosigkeit nach apoplektischem Insult. Ein wichtiges differentialdiagnosti-
sches Zeichen ist nach Wiechmann die Temperatur; während im diabetischen
140 Hans Seelert
Koma die Körperwärme selten unter 36,1° sinkt, ist im hypoglykämischen
Koma eine Temperatur unter 36° zu finden. Wilder warnt davor, die Differen-
tialdiagnose gegenüber epileptischen Zuständen allein auf Sinken des Blut-
zuckers im Anfall zu begründen, da diese oft auch bei epileptischen Anfällen
zu bestehen scheint.
Wenn die diagnostischen Zweifel nicht zu überwinden sind und schnelles
therapeutisches Handeln geboten ist, empfiehlt Wiechmann, dem Kran-
ken versuchsweise Traubenzucker zuzuführen. Beim diabetischen Koma kann
dadurch ein Schaden nicht entstehen, dagegen bei der Hypoglykämie in kurzer
Zeit eine Besserung erreicht werden. Meist genügen hier schon kleine Zucker-
mengen, mitunter ist es aber auch notwendig, größere und große Mengen Trauben-
zucker zu geben, bis eine Besserung des hypoglykämischen Zustandes eintritt.
Reinwein machte die Erfahrung, daß ein Zuckerkranker erst nach der 6. intra-
venösen Einspritzung von Traubenzucker (im ganzen 50 g Traubenzucker) aus
der hypoglykämischen Bewußtlosigkeit herauskam. Bei der 5. Injektion hatte
dieser Kranke mit dem Zucker auch 1 mg Adrenalin erhalten. Bei einem anderen
Kranken Reinweins schwand die Hypoglykämie auf Traubenzuckerinjektion,
trat aber nach 14, Std., ohne daß wieder Insulin gegeben war, von neuem auf.
Wie verwickelt und schwer zu übersehen die pathologischen Verhältnisse
bei Diabetes und Hypoglykämie sein können, zeigt ein Fall von Scherer. Die
schwere Psychose der Kranken mit Verwirrtheit, Bewußtseinstrübung und Ge-
sichtshalluzination konnte weder auf Hypoglykämie noch auf Azidose zurück-
geführt werden. Scherer nahm an, daß vielleicht gleichzeitige kardiale Stö-
rungen (Hypotonie, Leberstauung, Extrasystolie) Anteil an der Entwicklung
der Psychose gehabt haben.
Daß psychische Störungen bei Hypoglykämie auch forensische Bedeu-
tung bekommen können, zeigt eine Mitteilung von Fog und Schmidt. Ein
Chauffeur, der an Zuckerkrankheit litt und sich selbst Insulin einspritzte, fuhr
auf einen auf der Straße haltenden Wagen auf. Die gleich danach vorgenommene
ärztliche Untersuchung ergab einen Verwirrtheitszustand mit schweren aphasi-
schen Symptomen. Der Zustand besserte sich in den folgenden Stunden. Es
ergibt sich hier die Frage, ob zuckerkranke Autofahrer, die mit Insulin behandelt
werden, ihren Führerschein behalten dürfen. Laubenthal und Marx kamen
bei der Begutachtung eines Kriegsbeschädigten, der wegen Brandstiftung ver-
urteilt war, zu der Annahme, daß die Brandstiftung im Dämmerzustande be-
gangen war, dem Spontanhypoglykämie zugrunde lag. Der Patient hatte Zu-
stande von Bewußtseinstrübungen, die mit starkem Hungergefühl und Schweiß-
ausbruch einsetzten und durch körperliche Anstrengungen provoziert wurden.
Das Röntgenbild zeigte in der Gegend der Keilbeinhöhle einen Metallsplitter.
Dieser Befund führte Laubenthal und Marx zu der Annahme, daß die hypo-
glykämischen Dämmerzustände in ursächlichem Zusammenhang mit einer
Schädigung der Hypophysengegend und der Gegend des 3. Ventrikels standen.
Die Erforschung der Hypoglykämie hat für Psychiatrie und Neurologie
mancherlei neues Tatsachenmaterial gebracht. Die Hypoglykämie beansprucht
die Aufmerksamkeit des Nervenarztes, weil sie zu diagnostizierbaren, der Be-
handlung leicht zugänglichen Krankheitezuständen mit vorwiegend psychischen
und neurologischen Symptomen führt. Ein Verkennen dieser Zustände bringt
schweren Schaden für den Kranken. Dazu kommt, daß die Kenntnis der Hypo-
Symptomatische Psychosen 141
glykämie anregend wirkt auf die Erforschung der pathologischen Grundlage
von psychischen Krankheitszuständen, deren Entwicklungsbedingungen uns
bis jetzt unbekannt sind. Es ergeben sich hier feste Fragestellungen, deren
Erörterung nicht hierher gehört; es ergeben sich aus der Kenntnis der Hypo-
glykämie Fragen, deren Lösung nur aus enger Zusammenarbeit der Psychiatrie
mit der inneren Medizin kommen kann, einer Zusammenarbeit, wie sie nur an
wenigen Stellen besteht oder geschaffen werden kann.
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193—207 (1930). [Tschechisch u. franz. Zusammenfassung.) Ref. Zbl. Neur. 58, 714.
— Thiers, Sur les causes du polymorphisme clinique de l’ur&mie nerveuse. Bull.
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psychol. 89, I, 149—154 (1931). Ref. Zbl. Neur. 60, 345. — Toulouse, Marchand
et Courtois, Les encöphalites psychosiques secondaires. Presse méd. 1931, I, 465 —
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Neurologie und Psychiatrie. Zbl. Neur. 56, 1—34 (1930). — Wilder, Josef, Zur
Neurologie und Psychiatrie der hypoglykämischen Zustände. Med. Klin. 1930,
S. 616—621. — Wilder, Josef, Ein neues hypophysäres Krankheitsbild. Dtsch. Z.
Nervenheilk, 112, 219—250 (1930).
Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932
von Kurt Schneider in München.
Aus dem Jahre 1932 ist auffallend wenig zu berichten, was in das Gebiet
der allgemeinen Psychopathologie gehört, obschon wir den Gesichtspunkt der
Berichterstattung in keiner Weise geändert haben. Wie immer bringt natürlich
auch eine Reihe von im ganzen klinisch angelegten Arbeiten manches, was für
die allgemeine Psychopathologie von Wichtigkeit ist. Wir erwähnen hier ins-
besondere den Schizophrenieband aus Bumkes Handbuch der Geisteskrank-
heiten (Verlag J. Springer, Berlin), in dem vor allem die Beiträge von Gruhle
für unser Gebiet von Bedeutung sind. Ferner seien erwähnt die Arbeiten von
von Baeyer: Über konformen Wahn (Z. Neur. 140), von Betzendahl: Über
Persönlichkeitsentwicklung und Wahnbildung (Verlag S. Karger, Berlin), Be-
ringer, von Baeyer, Marx: Zur Klinik des Haschischrausches (Nervenarzt 5),
Neustadt: Über Drangzustände bei Schwachsinnigen (Arch. f. Psychiatr. 97),
Störring, G. E.: Ein Beitrag zum Problem der Zwangspsychopathie (Z. Neur.
139). |
Vorfragen.
Margulies veröffentlichte eine methodologische Arbeit. Er möchte die
einfühlende Erfassung nicht nur einzelnen hervortretenden Phänomenen, son-
dern der Totalität der tatsächlich vorhandenen psychischen Abläufe zuwenden
und sich dabei von der unmittelbaren Ausdruck- und Aussagemöglichkeit des
Untersuchten freimachen. Das methodische Werkzeug heißt er „systematische
Erlebenspseychologie“. Er benutzt dazu die Aufgabenpeychologie, da er an-
nimmt, daß mit jeder Einzelaufgabe ein Rahmen geschaffen werde, innerhalb
dessen sich eine abgegrenzte, der Solbstbeobachtung leichter zugängliche Reihe
von Vorgängen abspiele. Er nimmt an, daß das ganze freie Erleben unter der
Herrschaft immanenter Aufgaben stehe. Er setzt sich mit zahlreichen anderen
psychologischen Methoden auseinander und versucht zuletzt an einem epilep-
tischen Dämmerzustand die Innenvorgänge aus der genau fixierten Ausdrucks-
tätigkeit zu erschließen und ihren Zusammenhang zu verstehen. Es ist uns nicht
ganz klar geworden, auf was er methodisch eigentlich hinaus will.
Eliasberg versucht drei Grundtypen psychopathologischer Theo-
rienbildung aufzustellen und zwar die naturwissenschaftlich-biologische Theo-
rie, die Theorie der Motivzusammenhänge in bezug auf bestimmte dauernde
Situationsanforderungen und die phänomenologische Theorie, als deren besondere
Form auch die existenzialanalytische aufgefaßt wird. Der Aufsatz, der ziemlich
wahllos zu einzelnen neueren Arbeiten Stellung nimmt, läßt eine gewisse Klar-
heit vermissen. Es ist auch nicht einzusehen, wie man von einer phänomeno-
logischen „Theorie“ reden kann, da ja doch gerade die phänomenologische Rich
tung in der Psychopathologie eine grundsätzlich theoriefeindliche ist. Auch für
Neurologie v, 4 11
144 Kurt Schneider
jenen zweiten Typus der „Theorien“ scheint uns diese Bezeichnung nicht zuzu-
treffen. So lange man noch rein in den unmittelbar verstehbaren Motivzusammen-
hängen bleibt, treibt man jedenfalls noch keine Theorie. Aber gerade diesen
zweiten Typus hat der Verfasser sehr unscharf umrissen.
Während in den letzten Berichten häufig von Arbeiten die Rede war, welche
M. Heideggers Daseinsanalyse in irgendeiner Form für die Psychopathologie
auszuwerten suchen, ist diesmal über nichts Derartiges zu berichten. Die 1931
begonnene, 1932 weiter fortgesetzte, in diesen Zusammenhang gehörende große
Arbeit Binswangers über Ideenflucht erreicht erst im ersten Bande des
Jahres 1933 des Schweizer Archivs für Neurologie ihren Abschluß. Dagegen hat
Scheid einen Aufsatz über existenziale Analytik und Psychopathologie
veröffentlicht, der in einleuchtender Weise zeigt, daß alle jene meist auch hier
referierten Arbeiten Heidegger mißverstehen und keine Daseinsanalyse in seinem
Sinne treiben. Der grundsätzliche Unterschied zwischen seiner Existenzphilo-
sophie und den psychopathologischen Versuchen scheinbar verwandter Art wird
aufgezeigt und die Reinheit empirisch-psychologischer Forschung von philo-
sophischer Fragestellung und Auslegung gefordert, wie dies auch in unseren Be-
richten mehrfach geschah. Daß die psychopathologischen Erscheinungen auch
philosophisch betrachtet werden können (wie schlechthin allesinder Welt), wird
damit natürlich nicht bestritten.
Eine Arbeit von Dubitscher über den Rorschachschen Versuch
als diagnostisches Hilfsmittel ist sowohl auf den Intelligenzfaktor wie
auf den Konstitutionstyp wie auf die Stimmungslage und auf den „Erlebnistyp“ im
Sinne Rorschachs gerichtet und soll daher hier erwähnt werden. Sie ist ohne
genaue Kenntnis der Rorschachschen Versuchsanordnungen und Errechnungs-
methoden nicht zu verstehen und aus den gleichen Gründen auch nicht in Kürze
zu referieren.
I. Arten des Erlebens.
Empfinden und Wahrnehmen.
Hier soll zuerst eine ungewöhnlich bedeutsame Arbeit von Foerster und
Loewi über die Beziehung von Vorstellung und Wahrnehmung bei
Schädigung afferenter Leitungsbahnen erwähnt werden, die Physiologie,
Neurologie und Psychologie gleichermaßen interessiert. Die Verf. stellten fest,
daB bei Schädigung afferenter Leitungsbahnen (und zwar sowohl bei peripherem,
radikulärem, medullärem wie zerebralem Sitz) die einer bestimmten Reizart
zugeordnete Empfindung (Schmerzempfindung, Temperaturempfindung, Druck-
empfindung usw.), die sonst ausfiel, unter Umständen dann zustande kam, wenn
der Versuchsperson vorher genannt wurde, was für Reize sie zu erwarten hatte,
also wenn die Versuchsperson durch eine Vorstellung der Reizart auf diese ein-
gestellt war. DaB es sich nicht etwa um ‚„Suggestionsprodukte‘“ handelte, konnte
einleuchtend ausgeschlossen werden. So war z. B. bei einer Versuchsperson
das Verhalten bei Reizung der Haut und bei der des Tiefengewebes auch dann
verschieden, wenn beide Male vorher gesagt wurde, daß jetzt Schmerzreize
kämen. Die Arbeit ist auch nach der theoretischen Seite physiologisch und
psychologisch ins Einzelne ausgebaut, was uns aber hier nicht beschäftigen kann.
Nyirö unterscheidet endogene und exogene Halluzinationen und
zwar trifft seine Unterscheidung die bekannte Tatsache, daß als Grenzformen
—— ꝙ— ß T
E
Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 145
z. B. die schizophrenen Halluzinationen etwas anderes sind als die toxischen.
Bei seinen Begriffsbestimmungen geht Psychopathologisches und Klinisches
durcheinander. Er sagt zwar, daß endogene Halluzinationen immer sekundär
seien und mit anderen psychopathologischen Erscheinungen in kausaler Beziehung
stünden, zieht aber gleichzeitig ihr Vorkommen im Rahmen endogener Geistes-
krankheiten zur Begriffsbestimmung heran. Bei den exogenen Halluzinationen
wird mit Recht der größere Abstand gegenüber dem übrigen Erleben der Kranken,
das Uberraschende betont.
Zsak6 und Fürstner veröffentlichten (klinisch und peychopathologisch
unzureichend) einen Fall mit mikropsischen Halluzinationen. Sie geben
dazu auch die spärlich vorhandene Literatur an, jedoch bedauerlicherweise nur
die Titel, nicht die Erscheinungsstellen der Arbeiten, so daß man nicht viel damit
anfangen kann. Ganter veröffentlichte kurz einen Fall von mikroptischen
Halluzinationen im epileptischen Verwirrtheitszustand.
Gurewitsch beschreibt als interparietales Syndrom, als Syndrom des
unteren Scheitellappens, Störungen des Körperschemas und Metamor-
phopsie, d.h. Störungen und Entstellungen der Wahrnehmungen. Die Kranken
sehen verzerrt, mehrfach, vergrößert, verkleinert, in unrichtigen Entfernungen.
Es wurden 6 Fälle mitgeteilt, ein Fall von Lues cerebri, einer von „maniakalisch-
depressivem Irresein mit hysterischen Begleiterscheinungen“ und je zwei Fälle
von Schizophrenie und Epilepsie. In allen Fällen fand sich eine Kombination
von Alteration des Körperschemas mit Metamorphopsie, und zwar bezeichnet
der Verfasser eben diese Kombination als interparietales Syndrom. Die Arbeit
wirkt nicht überzeugend.
Die Monographie von Mourgue: Neurobiologie de l’halluzination,
die tausend Literaturangaben über dieses Gebiet aufweisen soll, ist uns bisher
nicht zugänglich gewesen.
Vorstellen und Denken.
Zur Psychologie des Wahns hat sich W. Störring geäußert, doch sind
seine Gedankengänge, die sich an die Psychologie von G. Störring anlehnen,
nicht in Kürze wiederzugeben. Wir glauben nicht, daß aus solchen uns heute
nichts mehr gebenden, erlebnisfernen Konstruktionen noch etwas für das Pro-
blem zu gewinnen ist.
Fühlen und Werten.
Enke untersuchte Pykniker, Leptosome und Athletiker im Hinblick auf ihr
Verhalten gegenüber dem psychogalvanischen Reflexphänomen, also
im Hinblick auf den Ausdruck ihrer Affektivität. Der Grad der affektiven An-
sprechbarkeit war bei den Leptosomen doppelt so stark wie bei den Pyknikern;
auch was ihre Dauer anlangt, hatten die Leptosomen erheblich höhere Werte.
Die Athletiker wurden zwar ebenfalls stärker erregt als die Pykniker, beruhigten
sich aber sehr viel schneller als die Leptosomen. Diese Verhältnisse ergaben sich
bei verschiedenen Versuchsanordnungen. Leptosome und Athletiker zeigten ferner
eine Neigung zur Perseveration des Affektes. Es wurde auch mit Sinnesreizen
experimentiert, wobei sich ergab, daß die Pykniker den Vitalgefühlen gegenüber
größere Empfindlichkeit zeigten: sie reagierten unverhältnismäßig stark auf
11*
146 Kurt Schneider
leichte Schmerzreize, während den dem schizothymen Formenkreis zugehörigen
Körperbaugruppen trotz oder gerade wegen ihrer affektiv gespannten Gesamt-
haltung ein Stich oft gar nicht als Schmerzreiz ins Bewußtsein trat. Unerwarteten
Gehörs- und Schreckreizungen gegenüber waren sie dagegen besonders sensibel.
Die Athletiker hatten die größte Reaktionszeit, entsprechend ihrer langsamen
affektiven Ansprechbarkeit im täglichen Leben. Das Geschlecht hatte keinen
grundsätzlichen Einfluß. Es werden innige Beziehungen zwischen konstitutio-
neller Affektivitätsform und vegetativem Nervensystem gefolgert; dieses hat
wieder nahe Beziehungen zum endokrinen System.
Streben und Wollen.
Wir selbst versuchten eine systematische Ordnung der Trieb- und Willens-
pathologie. Unter teilweiser Anlehnung an Scheler und Klages wird im Willen
ein rein formaler Faktor gesehen, der, ohne eigene Kraft, sich lediglich zwischen
zwei oder mehr Strebungen entscheiden kann. Neben der allgemeinen Trieb-
haftigkeit des Erlebens und den vitalen Trieben werden ursprüngliche seelische
Triebe anerkannt. Meist handelt es sich um ein bloßes Kräftespiel der verschie-
denen Strebungen und Strebungsarten und nur selten tritt Wille, dessen Wesen
Wahl und Entscheidung ist, in Erscheinung. Nach diesem psychologischen Modell
wird dann die Psychopathologie abgehandelt und zwar handelt es sich um die
Triebpeychopathologie im engeren Sinne, nicht um das sekundär Triebhafte als
Folge von Gefühlszuständen. Es wird kurz behandelt die allgemein gesteigerte
und herabgesetzte Triebhaftigkeit, sodann die Pathopsychologie der vitalen und
seelischen Triebe. Ein Abschnitt über die „Triebmenschen“, über Wanderer,
periodische Trinker, Brandstifter, Verschwender und Stehlsüchtige schließt sich
an. Es wird insbesondere gefragt, ob und wieweit diese Erscheinungen als etwas
primär Triebhaftes vorkommen. Endlich wird die Triebhandlung von der Zwangs-
handlung abgegrenzt. Zwangshandlung ist immer eine Handlung der Abwehr
und Folge von angstvollem Zwangserleben, also stets eine sekundäre seelische
Triebhandlung. Die Psychopathologie des Willens ist nur eine formale; alles
Materiale kommt vom Trieb. Eine Abnormität des Willens ist die mangelnde
Möglichkeit, Triebhandlungen zu bremsen. Stets ist in solchen Fällen zu fragen,
ob es an der übersteigerten Triebhaftigkeit oder an der mangelnden willens-
mäßigen Bremsung liegt.
Gegen Gruhles Kritik seiner Lehre von der primären Insuffizienz der peych-
ischen Aktivität als Grundstörung der Prozeßschizophrenie hat sich Berze
in einer schwer zu lesenden und nicht in Kürze wiederzugebenden Arbeit über
Störungen der psychischen Aktivität gewandt. Die gegenseitigen MiB-
verständnisse scheinen uns schon deshalb unvermeidlich zu sein, weil Gruhle
phänomenologisch, Berze theoretisch-konstruktiv denkt.
II. Grundeigenschalten des Erlebens.
Ichbewußtsein.
Die berühmten Schilderungen von Fällen alternierenden Bewußtseins
von Prince sind jetzt auch in deutscher Übersetzung zugänglich.
Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 147
Zeitbewußtsein.
Über das Zeitproblem machte Schilder einige Bemerkungen, die sich
insbesondere gegen die stark formale Behandlung der Zeitstörungen in der deut-
schen Psychiatrie und gegen ihre Herausnahme aus den biologischen und aus
den individuellen Sinnzusammenhängen wenden. (Sinnhafte Zusammenhänge
sind zugleich naturhafte.) Die Bemerkungen enthalten in der dem Verfasser
eigenen hingeworfenen Weise manches Interessante auch für den, der z. B. die
Deutung der endogenen Depression nach Art einer sadistisch-masochistischen
Neurose belächelt.
Gedächtnis.
Van der Horst gab eine neue Psychologie des Korsakoff-Syndroms,
leider ohne ausführlichere eigene Kasuistik zu bringen. Die Arbeit gehört ihrem
Ergebnis nach eigentlich zu den Störungen des Zeitbewußtseins, doch stellen wir
sie aus traditionellen Gründen zu denen des Gedächtnisses. Van der Horst
fand, daß nicht so sehr der Inhalt des Erlebten vergessen wird, sondern der
Zeitpunkt, in dem das Erlebte stattfand. Da man ganz allgemein Dinge, die man
zeitlich nicht lokalisieren kann, schlecht reproduziert, ist es nicht verwunderlich,
daß auch die Inhalte selbst öfters weniger gut wiedergegeben werden. Die An-
nahme, daß beim Korsakoff-Syndrom das Zeitmoment des Erlebens verloren-
gegangen ist, wird auch dadurch gestützt, daß Daten, bei denen die Temporali-
sation keine Rolle spielt, ohne Schwierigkeit eingeprägt werden können. So gehen
Laboratoriumsversuche, die, als für das Ich sinnlose, gar nicht in die Kontinuität
des Lebens eingeordnet werden, noch ganz gut, handelt es sich aber um Aufträge,
die wie gewöhnliche alltägliche Erlebnisse gewissermaßen vom Ich geordnet und
daher mit temporalen Zeichen versehen werden, versagen die Kranken. Die
Grundstörung des Korsakoff-Syndroms ist also die, daß die Erfahrungen ihr tem-
porales Zeichen verlieren, daß der Zeitsinn gelitten hat. Diese Störung wurde
durchweg gefunden. Aus dieser Grundstörung wurde dann weiter die retroaktive
Amnesie abgeleitet und zwar auf Grund jener Annahme, daß zur deutlichen Er-
innerung temporale Zeichen nötig sind. Die reduplizierende Paramnesie wird
gleichfalls daraus verstanden: wo keine zeitliche Ordnung vorhanden ist, ist ein
Erfahrungsgegenstand auch nicht einmalig. Auch die Desorientierung kommt
daher, daß die Bewußteeinsinhalte keine temporalen Zeichen haben: das Erinnerte
hat nicht den Charakter des , früher“, das Gegenwärtige nicht den des „jetzt“.
Konfabulationen, die Bruchstücke früherer Erlebnisse zu enthalten pflegen, sind
als Phantasie zu verstehen, die sich entfaltet, wenn die Erfahrungen von ihrer
temporalen Einordnung frei geworden sind. Auch die Urteilsstörungen, die Wider-
sprüche, hängen mit der ungenügenden chronologischen Ordnung zusammen.
Das Urteil ist dann gut, wenn es nichts mit Dingen zu tun hat, die von der Zeit-
ordnung abhängen. — Wie wir oben schon sagten, ist es schade, daß keine aus-
führlichen eigenen Protokolle vorgelegt werden, die diese Auffassungen bestätigen,
soweit das experimentell möglich ist. So leuchtet die Hypothese nicht ganz ein,
insbesondere nicht die Ableitung der verschiedenen Erscheinungen von der an-
genommenen Grundstörung.
Zum Kapitel der Reaktionsfähigkeit, das wir als viertes zu diesem Ab-
schnitt rechnen, fand sich nichts allgemein-psychopathologisch Wichtiges.
148 Kurt Schneider
III. Hintergrund des Erlebens.
Aufmerksamkeit.
Alexander sah bei einer Psychose nach Starkstromschädigung des Gehirns
eine eigentümliche Störung der Aufmerksamkeit, die sich fast nur auf das
akustische Gebiet beschränkte. Die Zuwendung des Kranken zu akustischen
Reizen war schwer erweckbar und neigte dazu, schnell wieder abzusinken.
Bewußtsein.
Grotjahn gab nach einer Übersicht über die Literatur tagebuchartige Selbst-
schilderungen von Zuständen des Erwachens. Er trennt dabei Erwachen
auf Grund äußerer Situation vom Erwachen auf Grund innerer Situation. Beim
ersteren unterscheidet er das tägliche Erwachen zur selben Zeit, am gewohnten
Ort und durch denselben Reiz vom Erwachen am ungewohnten Ort oder zur
ungewohnten Zeit oder durch ungewohnten Reiz. Beim letzteren unterscheidet
er durch die Traumsituation bedingtes Erwachen, zu einer bestimmten Zeit
geplantes Erwachen, allmähliches Erwachen (Ausschlafen), Erwachen auf Grund
körperlicher Situation, geträumtes Erwachen, woran sich noch dem Erwachen
ähnliche Erlebnisse anschließen. Es werden Parallelen zum schlafhaften und
schizophrenen Erleben gezogen : an Stelle des bewußten, apperzeptiven, allgemein-
gültigen Denkens tritt das assoziative, komplexgebundene, subjektive Denken, das
auf Wunscherfüllung gerichtet ist. Im Aufwachen vollzieht sich ein Übergang
von Bedeutungsbewußtsein für die geträumten Symbole und Bilder über einen
Zustand der Ratlosigkeit zur Fähigkeit, die reale festgelegte Bedeutung der
Außenwelt zu erfassen. Der Schizophrene findet, physisch wach geworden, diesen
Weg nicht: er sucht weiter nach der hinter den realen Dingen für ihn liegenden
Bedeutung. Dies wird näher ausgeführt, wobei auch psychoanalytische Gedanken-
gänge anklingen.
Intelligenz.
Unter dem Namen einer suboorticalen Demenz beschrieb von Stockert
einen postenzephalitischen Zustand, der dem Korsakoffschen Syndrom nahe
steht. Als grundlegend für den ganzen Zustand, als sein Achsensyndrom, wird
das Klebenbleiben der Aufmerksamkeit an irgendeinem Punkt, die Unfähigkeit,
sich auf Neues einzustellen, gesehen. Aus dieser Grundstörung glaubt der Verfasser
auch die Merkschwäche und Desorientiertheit herleiten zu können, was etwas
an die alte Erklärung des amnestischen Syndroms durch die „Aufmerksamkeits-
störung‘ erinnert. Die Starre aller psychischen Abläufe, diese Störung der psych-
ischen Aktivität, macht sich auch bei der wahrnehmungsmäßigen Auffassung
und zwar auf allen Sinnesgebieten geltend. Aus einem dargebotenen Reizkomplex
werden immer nur einzelne Glieder aufgefaßt und zwar ganz oberflächliche
Eigenschaften. So ist Lesen nicht mehr Erfassen eines Inhaltes, sondern ein
bloßes Benennen von Zeichen. Ihr Symbolwert wird nicht mehr erfaßt, wie auch
die Bedeutung von Ausdrucksbewegungen anderer Menschen nicht mehr ver-
standen wird, obschon sie mechanisch nachgeahmt werden können. Immer
klebt der Kranke an der unmittelbar gegebenen sinnlichen Fassade. Auch im
Willensleben zeigt sich die Unfähigkeit, den Zielpunkt zu wechseln, wodurch das
Die allgemeine Psychopathologie im Jahre 1932 149
Tun etwas Unabänderliches, Dranghaftes bekommt. Der Fall, der auch manche
Parallelen zu den Störungen Hirnverletzter aufweist (wodurch uns die Bezeich-
nung „subkortikal“ doch recht zweifelhaft wird), ist gut untersucht und klar
geschildert. Die Zurückführung aller Fehlleistungen auf den erwähnten General-
nenner überzeugt allerdings nicht ganz.
Zur Frage der Persönlichkeit, die wir als viertes Kapitel in diesem Ab-
schnitt zu behandeln pflegen, fand sich nichts von allgemein-peychopathologischer
Bedeutung.
Literatur.
(Bei Zeitschriftenarbeiten entscheidet über die Aufnahme die Jahreszahl des Bandes.
Referate über Vorträge sind nur hier, nicht aber im Text erwähnt.)
Alexander, L.: Über eine chronische paranoisch-halluzinatorische Psychose mit
itisähnlichen neurologischen Erscheinungen, hervorgerufen durch Stark-
stromsohädigung des Gehirns. Mschr. f. Psychiatr. 88, 144 (1932). — Ber ze, J.:
Störungen des psychischen Antriebs. Z. Neur. 142, 720 (1932). — Bürger-Prinz, H.:
Zur Klinik der Verstimmungen. Ref. Zbl. Neur. 64, 251 (1932). — Dubitscher, F.:
Der Rorschachsche Formendeuteversuch als diagnostisches Hilfsmittel. Z. Neur.
188, 515 (1932). — Eliasberg, W.: Drei Grundtypen psychopathologischer Theorien-
bildung. Z. Psychol. 126, 38 (1932). — Enke, W.: Die Affektivität der Konstitutions-
typen im vanischen Versuch. Z. Neur. 188, 211 (1932). — Foerster, O.,
und M. Loewi: die Beziehung von Vorstellung und Wahrnehmung bei Schädi-
gung afferenter Leitungsbahnen. Z. Neur. 189, 658 (1932). — Ganter, R.: Mikr-
optische Halluzinationen in einem Falle von Epilepsie. Allg. Z. Psychiatr. 98, 413
(1932). — Grotjahn, M.: Über Selbstbeobachtungen beim Erwachen. Z. Neur. 189,
75 (1932). — Gurewitsch, M.: Über das inter parietale Syndrom bei Geisteskrank-
heiten. Z. Neur. 140, 593 (1932). — Horst, van der L.: Über die Psychologie des
Korsakowsyndroms. Mschr. f. Psychiatr. 88, 65 (1932). — Margulies, M.: Grundzüge
einer systematischen Darstellung des normalen und des krankhaften Erlebens. Arch.
f. Psychiatr. 96, 545 (1932). — Mourgue, R.: Neurobiologie de l’halluzination.
Bruxelles 1932. — Nyirö, J.: Endogene und exogene Halluzinationen. Peychiatr.-
neur. Wschr. 84, 337, 339 (1932). — Prince, M. u. W. F.: Die Spaltung der Persön-
lichkeit. Deutsche Ausgabe von W. Herms. Stuttgart 1932. — Scheid, F. K.:
Existenziale Analytik und Psychopathologie. Nervenarzt 5, 617 (1932). — Schilder,
P.: Einige Bemerkungen über Zeitprobleme. Nervenarzt 5, 360 (1932). — Schnei-
der, K.: Zur Psychologie und Psychopathologie der Trieb- und Willenserlebnisse.
Z. Neur. 141, 351 (1932). — Skalweit: Praktisch-diagnostische Verwertung des
Rorschachschen Formdeutversuchs. Ref. Allg. Z. Psychiatr. 96, 472 (1932). —
Stockert, von F. G.: Suboorticale Demenz. Arch. f. Psychiatr. 97, 77 (1932). —
Störring, W.: Beitrag zur Paranoiafrage. Arch. f. Psychiatr. 97, 270 (1932). —
Zsak6, St., und Gregor Fürstner: Mikropeische Halluzinationen. Psychiatr.-
neur. Wschr. 84, 289 (1932).
Meningitis
von Hans Demme in Hamburg-Eppendorf.
Allgemeines.
Da die Meningitis in dieser Zeitschrift bisher noch nicht zusammenfassend
behandelt worden ist, soll vorliegendes Referat die Fortschritte auf dem Gebiet
der Meningitisforschung in den letzten 4—5 Jahren umfassen. Wir lassen dabei
zunächst jene Formen der Meningitis, die lediglich eine Begleiterscheinung ent-
zündlicher Prozesse des Zentralnervensystems (Enzephalitis, Poliomyelitis usw.)
darstellen, außerhalb des Rahmens unserer Besprechung. Ferner finden auch
die nicht entzündlichen Erkrankungen der Meningen keine Berücksichtigung, die
in der Klinik noch vielfach unter dem Namen „Meningitis gehen, wie z. B.
die „Meningitis“ tumorosa, die Pachymeningitis haemorrhagica, die Meningeal-
blutungen usw. Auf die syphilitischen Lepto- und Pachymeningitiden brauchen
wir nicht einzugehen, da die Lues der Meningen schon in den Referaten über die
Syphilis des Nervensystems behandelt wird (Jahnel).
Von größeren Handbuchabschnitten der letzten Jahre sei zunächst auf
das Kapitel „Meningitis“ von Le Blanc in der „Neuen Deutschen Klinik“
verwiesen. Insbesondere die Klinik der Meningitis erfährt hier eine überaus
klare und vollständige Darstellung. Die Erkrankungen der Hirn- und Rücken-
markshäute im Kindesalter hat Eckstein im Handbuch der Kinderheilkunde
(Pfaundler und Schloßmann) behandelt.
Die von Eckstein besonders betonte Altersdisposition des Kindesalters
erfährt eine anatomische Stütze in den Untersuchungen von Robles, der den
Bau der Kapillaren bei Kindern und Erwachsenen verglichen hat. Die Kapil-
laren der Hirnrinde und der Meningen zeigen bei Kindern ein deutlich engeres
Volumen. So kommt es nach Robles im Kindesalter bei einer hämatogenen
Aussaat von Keimen besonders leicht zu einer Ansiedlung derselben in den
Meningen. Begünstigt wird die Ansiedlung von Keimen noch durch die sehr
formveränderlichen Paraendothelzellen (Pförtnerzellen nach Tannenberg), die
durch Spornbildung die Kapillaren leicht verschließen können.
Stone verfolgte bei einer Reihe von Meningitisgehirnen die Entstehung
der Makrophagen. Die Beteiligung des Gehirns bei meningitischen Prozessen
unterzog Wertham einer näheren Betrachtung. Bei Meningitiden fanden sich
durchweg ausgedehnte Veränderungen der Hirnsubstanz: hauptsächlich war
die Rinde beteiligt, oft fanden sich auch Veränderungen im subkortikalen Mark-
lager. Insbesondere bei Kindern reichten die Veränderungen bis in die Basal-
ganglien. Schon in der Rinde, besonders aber in den tieferen Schichten, handelt
es sich meist nicht um enzephalitische Prozesse, d. h. um eine direkte Einwirkung
des Krankheitserregers, sondern um Zirkulationsstörungen (eine Enzephalitis
kann hinzutreten). Bodechtel und Gagel untersuchten die Veränderungen des
Zwischenhirns bei tuberkulöser Meningitis (und bei Polioenzephalitis haemorrhag.
Meningitis 151
sup.). Sie fanden Erbleichungsherde und Erweichungen sowie Zellveränderungen
der Ganglienzellen in den Kerngebieten des Zwischenhirns, daneben kleine um-
schriebene Gliaherde und frische Blutungen.
Sysak weist, gestützt auf die Arbeiten von Westenhöffer, Gohn und
Gruber, auf die Veränderungen an den inneren Organen bei Menin-
gitis hin. Er fand Querstreifung und entzündliche Infiltrate im Herzmuskel,
Verfettungen und Nekrosen in der Milz, Eisenspeicherung und Verfettungen
in der Leber, parenchymatöse Degenerationen in den Nieren.
Jung und Silberberg verfolgten, aufbauend auf den Untersuchungen
von Streit, im Tierexperiment (Kaninchen) die Histogenese von Staphylo-
und Streptokokkenmeningitiden. Sie kommen zu dem Schluß, daß sich auf
Grund eingehender Kenntnis der Histogenese ziemlich bestimmte Angaben über
das Alter des meningitischen Prozesses machen lassen.
Der Verlauf der nach Seruminjektionen in den Liquorraum auftretenden
aseptischen Meningitis wurde von Goldman näher studiert. Er fand bei starker
Zellvermehrung im Liquor eine auffallend geringe anatomisch nachweisbare
Reaktion der Meningen.
Lindblom untersuchte den Einfluß verschiedener Öle auf die Meningen
im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit zur Myelographie; er kommt zu dem Schluß,
daß die Stärke der meningealen Reaktion sowohl von der individuellen Empfind-
lichkeit des Tieres, als auch von der Art des Öles abhängig ist. Bei jodierten
pflanzlichen Ölen kann bei Vorhandensein freier Fettsäuren Jodwasserstoff
entstehen. Tierische Öle sind für die intralumbale Anwendung wegen der ent-
stehenden Spaltprodukte völlig ungeeignet. Odin und Runström glauben
durch Verwendung chemisch reinsten Jodöls die meningitischen Erscheinungen
auf ein Minimum beschränken zu können. Davis, Haven und Stone fanden
bei Tieren nach der Injektion von Jodöl in den Arachnoidalraum neben lepto-
meningitischen Symptomen auch degenerative Veränderungen in der grauen
Substanz.
Fälle von Meningitis im Gefolge einer Lumbalanästhesie hat kürzlich Adant
beschrieben. Hammer beobachtete eine eitrige Meningitis nach Lumbal-
punktion und will auf Grund dieser Erfahrung die Indikation zur Lumbal-
punktion nach Möglichkeit eingeschränkt wissen. Schoenemann weist auf
die Möglichkeit einer Infektion der Meningen durch Hautstückchen hin, die
bei der Lumbalpunktion von der Nadel in die Tiefe vorgestoßen wurden. Drüner
empfiehlt, um dieses zu vermeiden, einen kleinen Hautschnitt vor der Punktion.
Die traumatische Entstehung der Meningitis ist von Strauß im Hand-
buch der ärztlichen Begutachtung behandelt worden. Eine umfassende Dar-
stellung hat Guleke in der ‚Neuen deutschen Chirurgie“ gegeben. Duvienne
und Szumlansky weisen darauf hin, daß eitrige Meningitiden bei Schädel-
basisfrakturen meist durch Infektion von den hinteren Nasenräumen aus ent-
stehen. Diese seien daher bei Schädelverletzungen immer sorgfältig zu des-
infizieren. Einen eigenartigen Fall von eitriger Meningitis als Folge eines totalen
Abrisses des Plexus brachialis mit folgender eitriger Neuritis beschreibt Essen.
Auf die Darstellung der Pathogenese oto- und rhinogener Meningitiden
mußte in diesem Bericht verzichtet werden. Speziell die Frage nach den Über-
leitungswegen vom Ohr zu den Meningen ist ein so kompliziertes und dabei
152 Hans Demme
praktisch so außerordentlich wichtiges Problem, daß die Darstellung dieses Ge-
bietes einem besonderen Referat vorbehalten bleiben muß. Es sei daher hier
nur kurz auf den Bericht von Zange auf dem Deutschen Chirurgenkongreß 1928
verwiesen.
Über die Arbeiten betreffend den Liquor bei Meningitis hat Walter in
seinem Referat in dieser Zeitschrift bereits wiederholt berichtet.
Kafka unterzieht das Liquorbild bei der akuten Meningitis einer funktionell-
genetischen Betrachtung und kommt zu dem Schluß, daß der Stoffaustausch
zwischen Blut und Liquor bei der Meningitis ein sehr kompliziertes biologisches
Phänomen ist, das durch rein physikalisch-chemische Gesetze nicht zu erklären
sei; jedenfalls handelt es sich keineswegs um ein reines Permeabilitätsproblem.
Zur Prüfung der Permeabilität der Blutliquorschranke bei der Meningitis wird
besonders die Uraninmethode empfohlen (Samson u. a.).
Nachdem Kafka, Zange u. a. über den Übertritt von Wassermannreaginen
aus dem Blut in den Liquor bei akuter Meningitis berichtet hatten (vor Ein-
treten der Meningitis WaR. im Blut positiv, im Liquor negativ), fanden Gold-
berger und Beyer und Schaffle und Riesenberg eine positive WaR. im
Liquor von Meningitiskranken, ohne daß irgendein Luesverdacht vorlag. Schaffle
und Riesenberg führen das Auftreten von Wassermannreaginen auf die Wir-
kung der Mikroorganismen im Liquor zurück. Wir möchten uns Kafka an-
schließen, der in seinem Referat dieser Arbeit ausführt, daß sich bei einwand-
freier Technik wohl negative Resultate hätten erzielen lassen. Insbesondere
wollen wir darauf hinweisen, wie wichtig es in solchen Fällen ist, andere Modi-
fikationen der WaR. heranzuziehen.
Bezüglich der Therapie sollen hier zunächst nur Arbeiten von allgemeiner
Bedeutung besprochen werden. Guleke hat auf der 52. Tagung der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie ein zusammenfassendes Referat über die chirurgische
Behandlung der Meningitis im Gefolge von Traumen und Infektionen erstattet,
Der Hauptgrundsatz der chirurgischen Behandlung der Meningitis bleibt die
Beseitigung der Quelle der Eiterung. Daß dieses nur in relativ wenigen Fällen
möglich ist, liegt auf der Hand. Besonders eingehend wird die Drainagebehand-
lung besprochen.
Breite Trepanation eignet sich zur Drainage im allgemeinen nicht, sie hat
nur die Bedeutung einer druckentlastenden Operation. Eher kommt eine Drainage
der Zysternen oder eine Lumbaldrainage in Frage; Drainage der Ventrikel
sieht Guleke als Verzweiflungsakt an. Auch bezüglich der Durchspülung der
Liquorräume äußert sich Guleke sehr skeptisch, da bei einer Meningitis meist
so ausgedehnte Verklebungen bestehen, daß von der Spülflüssigkeit nur kleine
Teile der Meningen erfaßt werden. Dasselbe gilt für die Durchspülung mit
antiseptischen Mitteln; außerdem können die meisten Antiseptika zu einer
Schädigung des Meningealgewebes führen. Die Serotherapie ist intravenös wir-
kungslos, intralumbal scheint sie nur bei der Meningokokkenmeningitis günstige
Wirkungen zu haben.
Popper und Palcs6 versuchen auf Grund von intraspinalen Injektions-
versuchen mit Farbstoffen Richtlinien für die intralumbale Serumtherapie auf-
zustellen. So vertritt Popper auf Grund seiner tierexperimentellen Studien
die Ansicht, daß von einer subduralen Injektion ein therapeutischer Erfolg
Meningitis 153
bei der Meningitis nicht zu erwarten sei, da die Bakterien sehr rasch von der
Oberfläche des Gehirns entlang den Septen in die Tiefe wandern und durch
die perivaskulären Lymphspalten in die Gehirnsubstanz gelangen. Er empfiehlt
daher dringend neben der subduralen Seruminjektion intravenöse Verabreichung
von Serum. Palcs6 weist auf Grund von Versuchen an Tieren und an mensch-
lichen Leichen insbesondere auf die Bedeutung der Verabreichung größerer
Serummengen hin, damit alle Teile des Subarachnoidalraumes erfaßt werden.
Diese Versuche, die unter normalen Bedingungen ausgeführt sind, lassen sich
u. E. aber keineswegs auf die Verhältnisse bei einer Meningitis übertragen.
Es finden bei der Meningitis schon frühzeitig so ausgedehnte Verklebungen
in den Liquorräumen statt, daß nicht damit gerechnet werden darf, daß eine
intralumbal oder intrazysternal injizierte Flüssigkeit alle Teile des Arachnoidal-
raumes durchdringt. Ambrus hat versucht, durch Versuche über Quellung
von Hirnsubstanz in Salzlösungen Grundlagen für eine Entwässerungstherapie
bei basalen und meningitischen Prozessen zu schaffen.
Die Wirkung verschiedener Antiseptika auf das normale Meningealgewebe
wurde von Schmutter experimentell untersucht. Die schwersten anatomischen
Veränderungen bis zu nekrotischen Prozessen wurden durch Quecksilberver-
bindungen (Sublimat) und Akridinfarbstoffe (Rivanol, Trypafla vin) hervor-
gerufen, bei Chininderivaten (Optochin, Vuzin, Eukupin) und Jodpräparaten
(Septojod) waren die histologischen Veränderungen geringer. Silberpräparate
(Dispargen, Argochrom, Elektrargol, Protargol) riefen eine mehr oder weniger
starke Rundzelleninfiltration an den Leptomeningen hervor. Ringerlösung und
physiologische Kochsalzlösung bewirken nur geringe Rundzelleninfiltrationen.
Auf Grund von Tierversuchen empfiehlt Starlinger bei eitriger Meningitis
Druckentlastung und Spülung, auch intralumbale Injektion von Urotropin,
5 oom einer 40% igen Lösung 2—3mal täglich (1), daneben hohe Mengen Uro-
tropin intravenös. (Zur Vermeidung von Blasenschädigungen sollen durch
Dauerkatheter stündliche Blasenspülungen mit Natriumkarbonatlösung ge-
macht werden.)
Kolmer hat im Tierversuch mit kombinierter zysternaler und lumbaler
Spülung gute Erfolge gehabt. Diese Therapie kombiniert er mit Verabreichung
von antiseptischen Mitteln in die Karotis. Kolmer selbst äußert eine gewisse
Skepsis, ob sich diese bei Hunden mit Erfolg angewandte, reichlich heroische
Therapie auf den Menschen wird übertragen lassen.
Auf sehr eingehende Tierversuche stützt sich Jung, der Urotropin, Tryps-
flavin und Rivanol intravenös injizierte. Urotropin wirkt im Tierexperiment
günstig auf Staphylokokkenmeningitiden, wenn es prophylaktisch in hohen
Dosen gegeben wird. Gibt man es erst nach Ausbruch der Meningitis, so ist es
wirkungslos. (Cushing gibt bekanntlich prophylaktisch vor Hirnoperationen
Urotropin, um eine Meningitis zu verhüten.) Da nach Trendelenburg u. a.
Urotropin im Liquor nur in so geringen Mengen Formaldehyd abspaltet, daß
es als Antiseptikum nicht in Frage kommt, nimmt Jung an, daß vielleicht das
Formaldehyd in statu nascendi eine stärkere bakterizide Wirkung hat, vielleicht
wirkt auch das Urotropin selbst im Liquor antiseptisch. Intravenös verabreichtes
Trypaflavin ist nach Jung auf eine eitrige Meningitis ohne jeden Einfluß, da-
gegen sah er nach Rivanolinjektionen eine günstigere Wirkung.
154 Hans Demme
Spezielle Formen der Meningitis.
Aseptische Meningitiden.
Wohl auf wenigen Gebieten der Medizin herrscht eine solche Unsicherheit
der Nomenklatur wie bei der Benennung der verschiedenen Formen der „asep-
tischen Meningitis“. Insbesondere die Bezeichnung „Meningitis serosa‘ ist zu
einem richtigen Sammeltopf der verschiedensten, oft klinisch unklaren zere-
bralen und auch spinalen Krankheitsbilder geworden. Wie Le Blanc in der
„Neuen Deutschen Klinik“ hervorhebt, ist schon bei Quincke, der die Be-
zeichnung „Meningitis serosa“ in die Klinik einführte, die Umgrenzung dieses
Krankheitsbildes keineswegs klar und eindeutig. Während einerseits isolierte
Druckerhöhung des Liquor als charakteristisch angesehen wird, werden auf
der anderen Seite Liquorveränderungen mit Eiweiß- und Zellvermehrung be-
schrieben. Auch Eckstein spricht sich dahin aus, daß „nur wenige Krank-
heitsbilder, die unter einer Bezeichnung zusammengefaßt werden, so viele Ver-
schiedenheiten in ihrer Entstehung aufweisen dürften wie die Meningitis serosa‘“.
Trotzdem hält Eckstein es für zweckmäßig, diese Bezeichnung beizubehalten,
„solange man sich darüber klar ist, daß man eine rein symptomatische Bezeich-
nung gewählt hat“. U. E. stellt der Begriff „Meningitis serosa‘‘ aber auch nicht
einmal eine brauchbare symptomatische Bezeichnung dar, da sie in der
Literatur für Krankheitsbilder mit den heterogensten Symptomen gebraucht
wird. Oft findet man in Arbeiten die Diagnose „Meningitis serosa ohne nähere
Bezeichnung, so daß der Leser sich gar keine Vorstellung davon machen kann,
welches Krankheitsbild im vorliegenden Falle gemeint ist. Zudem halten wir
auch die Bezeichnung „Meningitis serosa“ an sich für wenig glücklich, da weder
die Meningen sich mit den serösen Häuten — Pleura, Peritoneum, Perikard —
noch der Liquor (abgesehen vom Sperrliquor) mit serösen Flüssigkeiten — Blut-
serum, Gewebeflüssigkeit, Transsudate — vergleichen läßt. Im folgenden werden
wir bestrebt sein, den Sammelbegriff „Meningitis serosa“ in verschiedene, für
den Einzelfall u. E. mehr besagende Krankheitsbezeichnungen aufzulösen.
Traumatische Meningopathien.
Nach Schädel- und Schädelbasisbrüchen kann es durch Einschleppung von
Keimen in den Arachnoidalraum zu echten Meningitiden kommen. Daneben
sind Fälle beschrieben (Capecchi, Law, Hanke, Bandouin und Lere-
boullet), bei denen einige Tage bis Wochen nach dem Unfall meningitische
Erscheinungen auftraten; im Liquor, der sich unter erhöhtem Druck entleerte,
fand sich eine starke Pleozytose und Eiweißvermehrung, jedoch keine Keime.
Viel häufiger als diese, als akute entzündliche Meningitis imponierenden
Zustände nach Traumen sind jene traumatischen Schädigungen der Meningen,
bei denen es zu adhäsiven und zystischen Prozessen kommt. Eine ungewöhn-
lich große meningeale Zyste nach Trauma hat Meumann beschrieben.
F. H. Lewy fand bei allen Fällen von Adhäsionskopfschmerzen als Folge
von entzündlichen Erkrankungen der Ohren und der Nasennebenhöhlen oder
als Folge von Allgemeininfektionen (Typhus, Grippe) vor allem charakteristische
Veränderungen im Enzephalogramm (umschriebene Luftansammlungen an der
Hirnoberfläche, teilweise auch Hydrocephalus internus und Defekte in der
Ventrikelfüllung). Daneben fand sich meist eine Eiweißverminderung im
— —
— — -
Meningitis 155
Liquor sowie Störungen der Vestibularisfunktion; dabei keine Hirndruck-
erscheinungen, jedoch gelegentlich leichte Herdsymptome. Die Lufteinblasung
hatte oft auch therapeutisch einen guten Erfolg.
Es bleiben aber immer nur relativ wenige Fälle, bei denen Lokalsymptome
mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Adhäsionen der Meningen hinweisen. Bei
weitem die Mehrzahl der Kopftraumatiker, die in glaubwürdiger Weise über
Kopfschmerzen und Schwindel klagen, lassen bei der klinischen Untersuchung
keinen krankhaften Befund erkennen. Bei einem Teil dieser Kranken findet
sich im Gegensatz zu den Befunden von Lewy eine Eiweißvermehrung,
insbesondere eine Albuminvermehrung im Liquor (Demme) und eine Er-
höhung des Liquordruckes. Eeg-Olofsson hat einen Fall beschrieben, bei dem
es zu einer so starken Drucksteigerung gekommen war, daß 24, Monate nach dem
Unfall im Röntgenbild eine Entkalkung und Schwund des hinteren Sellateils
festgestellt werden konnte; außerdem bestand Stauungspapille. Nach 6 Monaten
ging der Fall ohne besondere Therapie in Heilung aus. Von einem Hydrocephalus
ex vacuo, bedingt durch Schrumpfungsprozesse an den Meningen oder am Ge-
hirn wird man wohl nur in Fällen sprechen können, in denen asymmetrische
Veränderungen im Enzephalogramm sicher nachweisbar sind (Guttmann,
Hauptmann, Foerster, Penfield). Bei einem Hydrocephalus occlusus ist
an adhäsive Prozesse an den Liquorabflußwegen zu denken. Ob eine Meningo-
pathia oder Encephalopathia traumatica vorliegt, wird klinisch meist kaum
zu entscheiden sein, es ist daher wohl am zweckmäßigsten, von traumatischen
Meningoenzephalopathien zu sprechen, zumal Veränderungen an den Meningen
meist von gewissen Veränderungen in der Gehirnsubstanz begleitet sein werden.
Jedenfalls sollte der gerade in Gutachten noch vielfach gebrauchte sehr miß-
verständliche Ausdruck „Meningitis serosa traumatica‘‘ aus den oben dar-
gelegten Gründen verschwinden.
Adhäsivprozesse der Meningen im Bereich des Rückenmarks führen i in der
Regel zu viel schärfer umschriebenen Krankheitsbildern. Brouwer erwähnt
einen Fall von Pachymeningitis und Arachnoiditis adhaesiva spinalis circum-
scripta, der erst 18 Jahre nach einer Wirbelfraktur stärkere Symptome im Sinne
einer Querschnittsläsion verursachte (Schmerzen hatten sich schon 9 Jahre
nach dem Unfall eingestellt). Durch Operation wurde eine erhebliche Besserung
erzielt. Brouwer schließt sich Stookey darin an, daß durch arachnoideale
Adhäsionen das Rückenmark bei seinen normalen Bewegungen behindert wird,
wodurch es dauernd leichten Traumen ausgesetzt ist.
Adhäsive und zystische meningeale Prozesse nichttraumatischen
Ursprungs.
Bei jenen Fällen, die in der Literatur als Meningitis bzw. Arachnoiditis
adhaesiva oder cystica beschrieben sind, handelt es sich keineswegs um ätio-
logisch einheitliche Krankheitsbilder. In vielen Fällen werden die Adhäsionen
und Zysten Narben echter entzündlicher Prozesse an den Meningen darstellen.
Unter diesen hat neben der Lues die Meningokokkenmeningitis die größte Be-
deutung. Es ist lange bekannt, daß gerade die Meningokokkenmeningitis nicht
selten mit schwersten Resterscheinungen „ausheilt“. Durch Verschluß der
Liquorabflußwege kann es zu einem Hydrocephalus ocolusus kommen, Ver-
wachsungen in der hinteren Schädelgrube können zu zerebellaren Symptomen,
156 Hans Demme
Verwachsungen im Spinalkanal zu den verschiedensten spinalen Erscheinungen
führen. Hohlbaum und Brouwer erwähnen je einen solchen Fall, bei dem
sich im Anschluß an eine Meningitis epidemica das Bild einer Querschnitts-
lähmung entwickelte.
Nach Ausscheidung der traumatisch und der akut entzündlich bedingten
Narbenprozesse (einschließlich der Lues und Tuberkulose) bleibt aber noch
eine Anzahl von Fällen, deren Ätiologie noch in völliges Dunkel gehüllt ist.
Lehoczky beschreibt einen eigentümlichen Fall von zirkumskripter zystischer
Meningitis, der klinisch durch multiple Hirnnervenstörungen, zeitweise reflek-
torische Pupillenstarre, Kleinhirnsymptome, Pyramidenzeichen und insbesondere
durch anfallsweise auftretende komatöse Zustände charakterisiert war. Anato-
misch fand sich eine Anhäufung kleiner Bläschen am oberen Teil des Zwischen-
hirns, die bis in den 4. Ventrikel hineinreichten. Das periodische Auftreten
von reflektorischer Pupillenstarre und komatösen Zuständen sprach nach
Lehoczky schon klinisch für einen zystischen Prozeß.
Eine Häufung eigenartiger, anscheinend entzündlicher Erkrankungen der
hinteren Schädelgrube mit einseitiger multipler Hirnnervenlähmung wurde im
Winter 1926/27 in Göttingen beobachtet (Günther). Die meisten Fälle gingen
in Heilung aus, nur einer, der mit doppelseitiger Hirnnervenlähmung verlief,
kam ad exitum und wurde von F. Stern anatomisch untersucht. Es fand sich
eine ausgesprochene Iymphozytäre Meningitis, vorwiegend an der Basis, z. T.
schon mit starker Wucherung der Bindegewebszellen, so daß schon von einer
Art Granulationsgewebe gesprochen werden kann.
Brouwer bringt neben 3 Fällen von Arachnoiditis adhaesiva circumscripta
mit bekannter Ätiologie (Meningokokkenmeningitis, Trauma, Lues?) 4 Fälle,
bei denen eine sichere Ursache nicht nachweisbar war. Allerdings konnte nur
bei einem dieser 4 Fälle überhaupt keine Ursache auch nur vermutungsweise
angegeben werden. In je einem Fall war eine Amöbendysenterie und eine Grippe
vorausgegangen, so daß möglicherweise diese Erkrankungen ursächlich für die
Entstehung der Arachnoiditis in Frage kommen. Im 4. Fall hatte sich das
Bild einer Querschnittemyelitis einige Monate nach einem Nackenfurunkel (mit
toxisch-septischem Bild) entwickelt. Brouwer weist insbesondere auf die
Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen derartigen adhäsiven zirkum-
skripten meningealen Prozessen und komprimierenden Rückenmarkstumoren
hin. Die Myelographie gibt oft gewisse Aufschlüsse. Der Liquor kann bei
chronischen meningealen Adhäsivprozessen normal sein. Von besonderer prak-
tischer Bedeutung ist die Tatsache, daß Rückenmarkstumoren häufig von
arachnoidalen Prozessen begleitet sind. Bei einer Laminektomie dürfte man sich
nicht mit dem Befund solcher arachnoidaler Prozesse zufrieden geben, zumal
wenn nach Lösung der Verwachsungen die Liquorpassage nicht vollkommen
frei wird und das Rückenmark nicht pulsiert. Wir müssen diese Forderung
aus eigener Erfahrung entschieden unterstützen (Nonne). Neue Gesichtspunkte
über die Ursache dieses ätiologisch wohl auch nicht einheitlichen Krankheits-
bildes haben die letzten Jahre nicht gebracht.
Eine besondere Stellung nimmt noch immer die Pachymeningitis cervicalis
hypertrophica ein.
Dzykowsky beschreibt einen Fall von Pachymeningitis lumbosacralis,
der unter dem Bilde eines Kaudatumors verlief. Schädigung des Konus und
—— . — — — — — an
— — — — — —
Meningitis 157
der Cauda equina durch meningeale und Rückenmarksschädigung haben nach
Lumbalanästhesie u. a. Nonne, Demme und Michelsen beobachtet, auch
Hohlbaum berichtet über 2 Fälle von Obliteration des Duralsackes nach
Lumbalanästhesie. Durch operative Lösung ließ sich in diesen Fällen kein
Erfolg erzielen, da die verbackenen Meningen sich kaum vom Rückenmark
lösen ließen.
Akute meningeale Reizzustände (Meningismus)
a) bei Intoxikationen.
Als Meningismus (Dupré) bezeichnet man meningitische Symptomen-
komplexe meist leichterer Art bei Allgemeinschädigungen dee Organismus
(Intoxikationen, Infektionen). Andere ziehen es vor, von „meningealen Reiz-
zuständen‘‘ und „ meningealen Reaktionen“ zu sprechen, doch dürften diese
Bezeichnungen weiter gefaßt sein. Die von Schottmüller gewählte Bezeich-
nung „Meningitis sympathica“ wollen wir uns für ein weiter unten zu besprechen-
des Krankheitsbild vorbehalten.
Daß bei verschiedenen Vergiftungen (Alkohol, Blei usw.) meningitische
Symptome auftreten können, ist lange bekannt. Nach Iizuka wurden in Japan
gehäuft Fälle von Meningismus infolge Bleivergiftung auch bei Kindern beob-
achtet. Wie Hirai feststellen konnte, mußten diese Erkrankungen auf die Ver-
wendung eines bleihaltigen Puders zurückgeführt werden.
Auch der nicht ganz selten beobachtete Meningismus bei Wurmkrankheiten
sowie die oft schweren meningitischen Zustandsbilder bei internen Erkran-
kungen (Urämie, Stoffwechselstörungen usw.) gehören in das Kapitel der
toxisch bedingten meningealen Reaktionen.
Anhangsweise seien hier noch die menigitischen Zustandsbilder als Folge
übermäßiger Hitzeeinwirkung erwähnt. Mit der Pathogenese des Hitz-
schlages, insbesondere der tetanoiden Anfälle der Heizer setzte sich Cazamian
auseinander. Durch starke Muskelarbeit und die durch sie verursachte Polypnoe
und starke Schweißabsonderung kommt es zu einer Verarmung des Organismus
an Wasser und Kalziumionen, daneben zu einer Vermehrung von Harnstoff
und anderen Abbauprodukten im Blut. Die Polypnoe wirkt im Sinne der Hyper-
ventilation. Pereyra beschreibt einen Fall mit hohem Fieber und Kopfschmerzen
nach Hitzeeinwirkung; nach der Entfieberung trat am 5. Tage völlige Erblindung
ein (Papillenkongestion ?), die jedoch bald in Heilung ausging. Sellei sah
Alopezie nach meningealer Reizung infolge Sonnenbestrahlung.
b) bei Infektionskrankheiten.
Die Erscheinung des Meningismus bei den verschiedensten Infektions-
krankheiten ist seit langem bekannt. Der Liquor kann dabei normal sein, kann
aber auch unter erhöhtem Druck stehen und einen erhöhten Zell- und Eiweiß-
gehalt aufweisen. Besonders scheint das Kindesalter zu derartigen meningealen
Reaktionen zu neigen. (Zusammenfassung bei Eckstein und Le Blanc.)
Meningitische Erscheinungen bei Grippe sind in den letzten Jahren von Tapo-
leweky und Burckhardts und Kollarits beschrieben. Catterucia sah
eine aseptische Meningitis im Besserungsstadium einer Grippe bei einem Säugling.
158 Hans Demme
Eine genaue Beschreibung dreier Fälle von „Meningitis serosa“ bei Masern
verdanken wir Reiche. In einem dieser Fälle fanden wiederholte genaue Liquor-
untersuchungen statt. Besonders oharakteristisch war die stets gefundene Ver-
mehrung des Liquorzuckers (über 0,82%). Auch die Chloride und der Rest-N
waren vermehrt. Ein Fall, der mit schweren Krämpfen einherging, endete
tödlich. Das Gehirn zeigte außer einer starken Durchfeuchtung des Gewebes
(Ödem) keinen krankhaften Befund, an den hyperämischen Meningen fanden
sich leichte subarachnoidale Zellinfiltrationen. Auch Schiedt berichtet über
einen tödlich verlaufenen Fall von Masernmeningitis (die Bezeichnung „Menin-
gismus“ trifft für diese schweren Fälle wohl nicht mehr zu).
Über einen tödlichen Fall von aseptischer Meningitis nach Varizellen (18 jähr.
Patient) berichten Laignel-Lavastine und Mitarbeiter; klinisch traten neben
meningitischen Symptomen epileptiforme Anfälle auf, im Liquor bestand eine
Pleozytose. Die Obduktion ergab eine diffuse Leptomeningitis, die die Autoren
auf eine direkte Wirkung des Varizellenvirus zurückführen.
Auffallend selten sind meningitische Symptome beim Kopferysipel. Arono-
vitsch, der systematisch den Liquor bei Kopfrose untersuchte, fand nur in
wenigen Fällen Liquorveränderungen, am häufigsten noch eine leichte Pleozytose.
Im Hinblick auf die zeitweilig gehäuft aufgetretenen Fälle von postvak-
zinaler Enzephalitis beanspruchen auch die meningealen Reaktionen nach
Kuhpockenimpfung besonderes Interesse. Willis berichtet über einen Fall
(11jähr. Knabe), bei dem sich 14 Tage nach der Impfung meningitische Symptome
einstellten (Druck erhöht, 50 Zellen in 1 cmm, Eiweiß 0,03%). Auch Morquio,
ferner Minet und Dupire sahen bei je einem Fall, der anfangs als Meningitis
tuberculosa angesehen wurde, eine Lymphozytose im Liquor, desgleichen Ca mus
bei einem Kranken, der eine Woche vor der Vakzination einer Typhusschutz-
impfung unterzogen worden war. Auch Schiodt erwähnt einen einschlägigen Fall.
Auch bei Amöbenerkrankungen des Darms treten meningeale Reak-
tionen auf. Die intrakranielle Drucksteigerung kann so stark sein, daß klinisch
das Bild des Pseudotumor cerebri hervorgerufen wird (Castex und Camann).
Entzündliche Elemente fand Trabaud im Liquor nicht. Therapeutisch werden
Emetin und Yatren empfohlen.
Am häufigsten von allen akuten Infektionskrankheiten scheint die Parotitis
epidemica zu meningealen Komplikationen zu neigen. Besonders in Frank-
reich ist dieses Krankheitsbild sehr wohl bekannt, so daß die Franzosen direkt
von einer „Möningite ourlienne“ sprechen. Aber auch aus fast allen anderen
europäischen Ländern liegen entsprechende kasuistische Mitteilungen vor. Es
würde viel zu weit führen, sie hier einzeln aufzuzählen. Meist treten die menin-
gitischen Symptome während der akuten Parotitis auf, zuweilen scheinen sie
ihr sogar vorauszugehen (Joltrain und Mitarbeiter). Dopter (zit. nach Mani-
catide) hat unter 1705 Mumpsfällen 158 mal meningitische Erscheinungen be-
obachtet. Massary (Aussprache zu Joltrain) fand bei systematischen Liquor-
untersuchungen in 23%, der Fälle unabhängig von der Schwere der Erkrankung
Liquorveränderungen (meist vom 3.—4. Tage an bis zur Dauer von 60 Tagen).
Nach Ask-Upmark treten im Liquor zunächst Lymphozyten, erst später
Leukozyten auf. Ask-Upmark hat auch Mäuse mit filtriertem Speichel von
Mumpskranken mit Erfolg geimpft und konnte dann angeblich auch im Liquor
der Mäuse das Parotitisvirus nachweisen. Penson spricht von einem doppelten
Meningitis 159
Tropismus des Parotitisvirus. Nach Weißenbach können neben meningitischen
auch enzephalitische Erscheinungen (Aphasie, Hemiparesen) auftreten. Der
Verlauf der Mumpemeningitis ist meist gutartig, doch sind nach Ask-Upmark
8 Todesfälle bekannt. Therapeutisch empfiehlt Schoenthal frühzeitige Lumbal-
punktionen (insbesondere zur Vermeidung von Taubheit), Metzulescu Rekon-
valeszentenserum intramuskulär.
Zusammenfassend spricht sich Schiodt bezüglich aller Formen der Menin-
gitis und Enzephalitis bei oder nach Infektionskrankheiten dahin aus, daß es
sich bei allen diesen Krankheitebildern um eine nosologische Einheit handelt.
Sie seien hervorgerufen durch dasselbe filtrierbare Virus, das durch die akuten
Infektionskrankheiten aktiviert werde. Wenn diese Hypothese, die in den
letzten Jahren besonders in bezug auf die postvakzinale Enzephalitis viel venti-
liert worden ist, auch für gewisse Krankheitsformen zutreffen mag, so geht es
u. E. doch viel zu weit, sie auf alle genannten Krankheitsbilder anzuwenden.
Idiopathische aseptische Meningitis,
1906 hat Vidal ein Krankheitsbild beschrieben, dem sich in den letzten
Jahren wieder vermehrtes Interesse, besonders von seiten der Pädiater, zuge-
wandt hat. Es handelt sich um eine nichtbakterielle Form der akuten Menin-
gitis, die in der Literatur mit den Adjectiva serosa, idiopathica, aseptica, epi-
demica, lymphocytaria, purulenta benigna u. a. m. in den verschiedensten
Kombinationen charakterisiert wird. Daß gerade die letzten Jahre besonders
reich an Publikationen über dieses Krankheitebild sind, ist u. E. nicht nur darauf
zurückzuführen, daß die Arbeit von Wallgren (1925) es wieder in den Mittel-
punkt des Interesses rückte, und daß es daher häufiger diagnostiziert wurde.
Es hat offenbar tatsächlich eine Häufung der Fälle stattgefunden. Insbesondere
wird aus den nordischen Ländern über eine auffällige Zunahme der Erkran-
kungen berichtet (Wallgren, Gunther, Krabbe, Lichtenstein, Andresen
und Wulff). Aber auch in anderen Ländern wurden kleine Epidemien beob-
achtet. In Deutschland sah Haessler 1928 in Leipzig in 3 Monaten 12 Fälle,
Eckstein in Düsseldorf in 6 Monaten 13 Fälle, Herz konnte in Hamburg eine
Reihe von Fällen beobachten. In epidemiologischer Beziehung sind besonders
wertvoll die Fälle, die Schneider kürzlich in einer Monographie zusammen-
stellte. Schneider hatte im Krankenhaus der Stadt Neunkirchen (Nieder-
österreich) Gelegenheit, im Laufe von 4 Jahren 66 Fälle von akuter epidemischer
„Meningitis serosa zu sehen. Besonders auffallend war es, daß mehrfach an
einem oder an wenigen aufeinanderfolgenden Tagen mehrere Kranke aus dem-
selben Ort eingeliefert wurden, nicht selten Familienangehörige, Hausgenossen
oder Personen, die sonst miteinander in Berührung kamen.
Das Krankheitebild ist charakterisiert durch akuten Beginn mit menin-
gitischen Symptomen (Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Fieber usw.). Der
Liquor zeigt ein ausgesprochenes meningitisches Bild: meist erhöhter Druck,
Eiweißvermehrung, entsprechende Ausfälle in den Kolloidkurven und als wich-
tigstes Zeichen eine Pleozytose, die Werte von mehreren 1000/3 erreichen kann.
Die Kultur ist stets steril. Das Blutbild zeigt in der Regel eine mäßige Leuko-
zytose, Eosinophile fehlen meist völlig (Schneider), Hirndruckerscheinungen
sind nicht selten (Viets, Lamache, Gandolfi u. a.). Weit häufiger als Stau-
ungspapille sind Augenmuskelstörungen (Eckstein und Gunther). Cara-
Neurologie V, 4 12
160 Hans Demme
mazza, der die Augensymptome bei diesen Fällen in einer besonderen Mit-
teilung zusammengestellt hat, beschreibt neben Stauungspapille auch Gesichte-
feldstörungen. Michail spricht sogar von einer besonderen „forme oculaire
de meningites séreuses basilaires ci Hee", Neben Augenstörungen sind
auch sonstige zerebrale Erscheinungen verschiedenster Art (Konvulsionen,
Lähmungen), sowie zerebellare und bulbäre Symptome beschrieben worden.
Exantheme und gelegentlich auftretenden Ikterus erwähnt Schneider.
Meist klingen jedoch die akuten meningitischen Erscheinungen in kurzer
Zeit ab und es tritt völlige Heilung ein. Von Wallgren, Gibben u. a. wird der
kurze benigne Verlauf als besonders charakteristisch für diese Meningitisform
angegeben ; es werden jedoch auch Fälle mit protrahiertem Verlauf über mehrere
Wochen beobachtet, insbesondere scheint eine gewisse Neigung zu Rezidiven
zu bestehen. Todesfälle gehören zu den Seltenheiten, Eckstein verlor zwei
seiner Patienten. Die anatomische Untersuchung eines dieser Fälle ergab neben
Blutaustritten in die Meningen im Rückenmark und Hirnstamm Neuronophagien
und Gliawucherungen, auch perivaskuläre Infiltrate (dieser Befund muß u. E.
aber wohl im Sinne einer disseminierten Enzephalomyelitis gedeutet werden).
Es fragt sich, ob solche Fälle noch der „akuten aseptischen Meningitis“
zugerechnet werden dürfen. Damit eng verknüpft ist die Frage nach der Ätiologie
dieser meist gutartig verlaufenden Meningitis. Eine Reihe von Autoren sieht
in ihr eine Krankheit sui generis (Wallgren, Flatau, Viets und Watts,
Gibbens u. a.). Wallgren und Gibbens führen insbesondere aus, daß es
sich um ein wohlumschriebenes Krankheitsbild handelt, das in keinerlei epi-
demiologischen Beziehungen zu anderen Krankheiten steht. Letzteres wird ins-
besondere gegenüber den Autoren geltend gemacht, die in der Meningitis aseptica
infeotiosa abortive meningitische Formen der Poliomyelitis und der Enzephalitis
sehen. Eine Poliomyelitis kann durchaus, ohne daß Paresen auftreten, unter
dem Bilde einer akuten aseptischen Meningitis verlaufen. Auch der Liquor-
befund solcher abortiver Poliomyelitisfälle entspricht ganz dem Liquorbefund
der akuten aseptischen Meningitis. Die Angabe von Roßrucker, daß der Aus-
fall der Kolloidzacke differentialdiagnostische Schlüsse zwischen beiden Krank-
heitsbildern gestatte, können wir auf Grund unserer Beobachtungen nicht be-
stätigen, denn wir sahen sowohl bei der Poliomyelitis nach rechts verschobene
Zacken in der Kolloidkurve wie auch Ausfälle im Anfangsteil der Kurve bei
akuter aseptischer Meningitis. U. E. haben wir z. Z. kein Mittel, klinisch Fälle
von akuter aseptischer Meningitis vom präparalytischen Stadium der Polio-
myelitis mit Sicherheit abzugrenzen. Auch die Impfung von Affen mit Liquor
solcher Kranken bringt keine weiteren Aufschlüsse. Während einer Poliomyelitis-
epidemie wird daher bei Fällen, die unter dem Bilde einer akuten aseptischen
Meningitis verlaufen, sehr zu erwägen sein, ob es sich nicht um abortive Polio-
myelitisfälle handelt. In diesem Sinne sind wohl die Fälle von De Simone,
auch die von Lichtenstein zu deuten. Haeßler spricht von der Möglichkeit,
daß es sich bei seinen in Leipzig 1 Jahr nach der großen Poliomyelitisepidemie
beobachteten Fällen um eine abgeschwächte Poliomyelitisepidemie gehandelt
haben könnte. Es erscheint uns aber nicht berechtigt, bei Fällen, die ganz
außerhalb einer Poliomyelitisepidemie auftreten, von abortiven Poliomyelitis-
formen zu sprechen, wenn eine solche Deutung auch immer in Erwägung gezogen
werden muß (Netter, Andresen und Wulff, Dubberstein, Gunther u. a.).
3
Meningitis 161
Ähnlich steht es mit den Beziehungen zur Enzephalitis. Wenn viele Autoren,
die diese Frage aufwerfen, auch nur von „Enzephalitis“ schlechthin sprechen,
ohne zu sagen, ob sie die Encephalitis epidemica oder eine andere Enzephalitis
(z. B. disseminata) meinen, so steht dabei doch die Encephalitis epidemica an
erster Stelle (Gorter, Roch, Andresen und Wulff, Schneider u. a.).
Schneider betont die in manchen Fällen beobachtete Ähnlichkeit des klinischen
Bildes mit der Encephalitis epidemica (Schläfrigkeit, Augenstörungen, Speichel-
fluß), Andresen und Wulff sahen bei 2 Fällen später ein Bild, das an die
chronischen Formen der Encephalitis epidemica erinnerte; auch Schneider
beobachtete einen solchen Fall. Eckstein sah gleichzeitig mit dem gehäuften
Auftreten von akuter aseptischer Meningitis in Düsseldorf und Umgegend auch
mehrfach Fälle von Enzephalitis (offenbar parainfektiöse Enzephalitiden).
Von den im Verlaufe von akuten Infektionskrankheiten auftretenden
meningitischen Reizerscheinungen, so auch von der Mumpsmeningitis, unter-
scheidet sich die „akute aseptische Meningitis“ durch das Fehlen der primären
Infektionskrankheit. Allerdings erwähnt u. a. Schneider, daß seinen Fällen
nicht selten akute Infekte (Anginen, Enteritiden usw.) vorausgingen. Daß
jede bakterielle Meningitis in abortiver Form unter dem Bilde einer „akuten
aseptischen Meningitis“ verlaufen kann, d. h. daß sich Bakterien im Liquor
nur nicht nachweisen lassen, liegt auf der Hand. Insbesondere im ersten Beginn
wird die Differentialdiagnose zwischen „aseptischer und bakterieller Menin-
gitis nicht möglich sein. Auch daß es sich ausnahmsweise mal um eine gutartig
verlaufende tuberkulöse Meningitis handeln kann, muß jedenfalls theoretisch
zugegeben werden, doch ist es nicht angängig, die „aseptische“ Meningitis generell
als gutartige Form der Meningitis tuberculosa anzusehen.
Johansen sah eine lymphozytäre Angina sekundär, nachdem bereits
meningitische Symptome festgestellt waren, auftreten und wirft die Frage auf,
ob mit Angina einhergehende Fälle von „seröser Meningitis“ zu dem Krank-
heitsbild der sekundären Mononukleosen gehören. Gautier und Peyrot be-
obachteten eine gutartige Ilymphozytäre Meningitis im Anschluß an die Bestrah-
lung einer tuberkulösen Drüse und erwähnen die Möglichkeit, daß die Meningitis
auf die Wirkung eines tuberkulösen Ultravirus zurückgeführt werden könnte.
Marinesco, Sager und Grigoresco versuchen disponierende Faktoren
(vegetative, endokrine) von determinierenden (Toxine, Infektionen) zu trennen.
Auf die besondere Disposition des Kindesalters zu meningealen Reaktionen
haben Sievers u. a. hingewiesen.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß eine einheitliche Ätiologie der akuten
aseptischen Meningitis z. Z. nicht bekannt ist. Zum Teil handelt es sich nur um
ein bei verschiedenen Krankheiten auftretendes klinisches Syndrom. Für einen
großen Teil der Fälle ist eine Einordnung in andere Krankheitsbilder nicht mög-
lich, jedenfalls ist eine solche Einordnung bei dem heutigen Stande unseres
Wissens noch durchaus hypothetisch. Das gilt besonders für jene gutartigen,
in kleinen Epidemien auftretenden, klinisch ziemlich gleichartig verlaufenden
Fälle. Diese und mit ihnen auch ein Teil der sporadisch auftretenden müssen
u. E. vorläufig als ein Krankheitsbild sui generis angesehen werden. Dabei
braucht man die Möglichkeit enger biologischer Beziehungen zur Poliomyelitis
und zu gewissen Enzephalitisformen keineswegs außer acht zu lassen.
12*
162 Hans Demme
Bei der über die Ätiologie der Krankheit herrschenden Unklarheit wird
auch die Therapie vorläufig nur eine symptomatische sein können. Fast in
allen Arbeiten wird die gute Wirkung der Lumbalpunktion hervorgehoben.
Flatau empfiehlt daneben intravenöse Injektion hypertonischer Lösungen und
Röntgenbestrahlung; diese kommt aber wohl nur bei mehr chronischen Fällen
in Frage.
„Meningitis herpetica“.
Da mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die oben beschriebenen
Formen der „akuten aseptischen Meningitis‘ durch ein filtrierbares Ultravirus
bedingt sein könnten, ist auch das Herpesvirus als ursächlicher Faktor in Er-
wägung gezogen worden (Paraschiv u. a.). Da der Herpes labialis aber eine
häufige Begleiterscheinung jeder Meningitis ist, können aus dem gelegentlichen
Auftreten von Herpesbläschen keine Schlüsse auf die Ätiologie der meningitischen
Erscheinungen gezogen werden. Es gibt aber zweifellos Fälle von gutartiger
aseptischer Meningitis, bei denen ein hochgradiger Herpes so im Vordergrunde
steht, daß auf Grund der klinischen Erscheinungen ein ursächlicher Zusammen-
hang nicht von der Hand zu weisen ist. Pette und Gracoski beschreiben
Fälle, bei denen mehrfache Rezidive schwerer, aber gutartig verlaufener menin-
gitischer Zustände mit hochgradigem Herpes buccalis auftraten. Pette hält
es für sehr wohl möglich, daß das Herpesvirus selbst die meningitischen Sym-
ptome hervorrief.
Anhangsweise sei hier noch das Vorkommen meningitischer Symptome
beim Zoster erwähnt (Videla und Perocini). Da es sich beim Zoster offenbar
um eine entzündliche Erkrankung der Spinalganglien und der hinteren Wurzeln
handelt (meist mit einer Pleozytose im Liquor), ist es leicht begreiflich, daß
gelegentlich auch meningitische Symptome auftreten.
Meningitische Reaktion auf entzündliche Prozesse in der Nachbar.
schaft der Meningen.
Zu den nicht bakteriellen Meningitiden gehören noch die meningitischen
Reaktionen auf entzündliche Prozesse in der Nachbarschaft der Meningen.
Es handelt sich dabei erstens um meningitische Prozesse, welche die spezifischen
Entzündungen des Zentralnervensystems fast regelmäßig begleiten — die Polio-
myelitis, die epidemische Enzephalitis, die Lyssa, die disseminierten Enzephalo-
myelitiden, die multiple Sklerose, gewisse Formen der Polyneuritis usw. Da
es sich hierbei lediglich um eine Begleiterscheinung der eigentlichen Erkrankung
des Zentralnervensystems handelt, halten wir die Bezeichnung ‚begleitende
Meningitis“ (Meningitis concomitans) für die zweckmäßigste. Diese menin-
gealen Reaktionen, die keine selbständige Bedeutung haben, sollen hier nicht
weiter besprochen werden, da sie in der Regel in den Abschnitten über die ent-
sprechenden Krankheiten mit berücksichtigt werden. Es soll nur erwähnt
werden, daß manche Entzündungen des Zentralnervensystems — wir denken
dabei in erster Linie an die Poliomyelitis, klinisch nicht ganz selten nur in
Form dieser begleitenden Meningitis in Erscheinung treten.
Als „selbständiges Krankheitsbild haben jene Formen der aseptischen
Meningitis eine viel größere Bedeutung, die als Reaktion der Meningen auf einen
in ihrer Nähe sich abspielenden eitrigen Prozeß auftreten, d. h. begleitende
Meningitis 163
meningitische Erscheinungen einerseits bei Erkrankungen des Ohres und der
Nasennebenhöhlen, bei Osteomyelitis des Schädels, bei Wirbelosteomyelitis,
Sinusthrombophlebitis usw., andererseits bei Hirnabszessen und eitrigen, d. h.
bakteriellen Enzephalitiden bzw. Myelitiden. Auf akute eitrige Prozesse in
ihrer Nachbarschaft reagieren die Meningen meist schon frühzeitig mit ent-
sprechenden Liquorveränderungen. Eckstein nennt diese Formen der menin-
gealen Reaktion „Meningitis concomitans“. Wir haben es vorgezogen, für sie
den auch sonst in der Literatur (Le Blanc) hierfür eingebürgerten Ausdruck
„Meningitis sympathica‘ anzuwenden. Allerdings hat Schottmüller diesen
Ausdruck ursprünglich für die meningealen Reaktionen bei akuten Infektions-
krankheiten gebraucht, für die jetzt der Ausdruck „B Meningismus“ wohl der
gebräuchlichste ist.
Der Liquor zeigt in diesen Fällen neben einer Druckerhöhung meist eine
starke Pleozytose (bis zu mehreren 1000 in 1 cmm; teils Leuko-, teils Lympho-
zyten), das Eiweiß ist vermehrt. Wir fanden im Gegensatz zu den eitrigen
Meningitiden mit positivem Bakterienbefund stets einen hohen Eiweißquotienten
(über 1,0). Wurde aus der sympathischen Meningitis durch Bakterieneinbruch
in die Liquorräume eine echte eitrige Meningitis, so schnellten die Albuminwerte
hinauf, wodurch der Eiweißquotient absank. Diese von uns (Demme) zunächst
an oto- und rhinogenen Meningitiden gemachte Beobachtung wurde von
Samson bei einem Fall von Wirbelosteomyelitis und von Kafka bei einer
durch ein Hirntuberkel bedingten sympathischen Meningitis bestätigt.
Bakterielle Meningitiden.
Meningitis tuberculosa.
Wir wissen jetzt, daß die tuberkulöse Meningitis niemals eine primäre
Erkrankung ist, sondern stets sekundär durch Verschleppung von Keimen,
meist auf dem Blutwege, entsteht. Auch wenn sie keine Teilerscheinung einer
allgemeinen Miliartuberkulose darstellt, ist immer ein Primäraffekt in einem
anderen Organ nachweisbar, der klinisch allerdings nicht in Erscheinung zu
treten braucht. Nach Le Blanc läßt sich bei der Sektion immer ein primärer
Herd nachweisen. Engel betont, daß es sich dabei meist um einen frischen
Primärkomplex handelt; nach Langer spielt die ungeheilte verkäste Bronchial-
drüsentuberkulose die Hauptrolle.
Aus Frankreich liegt jetzt eine Reihe von Berichten über Fälle von Menin-
gitis tbe. bei BCG.-geimpften Kindern vor. Aus den meist kurzen kasuistischen
Mitteilungen ist nioht recht zu ersehen, ob die Impfung für die Meningitis ver-
antwortlich gemacht werden muß oder ob sie nur keinen genügenden Schutz
vor dem Ausbruch der Meningitis verliehen hat. Bei den Fällen, bei welchen
zwischen Impfung und Ausbruch der Meningitis ein Intervall von mehreren
Monaten liegt (Brand und Tixier, Blechmann und Lévy), wird eher an
eine mangelnde Schutzwirkung durch die Impfung zu denken sein. Bei dem Fall
von Tailleur traten die ersten Symptome jedoch schon 6 Tage nach der BCG.-
Fütterung auf, so daß hier sehr wohl ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
der Meningitis tbc. und der Impfung angenommen werden kann.
Zahlreiche Untersuchungen über die Bedeutung disponierender Faktoren
haben zu keinem neuen Ergebnis geführt. Die jahreszeitliche Häufung von
164 Hans Demme
Meningitis tbo. im Frühjahr bleibt vorläufig eine empirisch festgelegte Tatsache.
Langer bringt die Disposition des frühen Kindesalters zur Meningitis tbo. in
Zusammenhang mit der Disposition zur käsigen Bronchialdrüsentuberkulose.
Eine familiäre Disposition besteht nicht, besondere konstitutionelle disponierende
Faktoren haben sich nicht nachweisen lassen (Orosz). Die bisherige Anschauung,
daß der Ausbruch einer Meningitis tbc. besonders durch Masern und Keuch-
husten begünstigt würde, haben Noeggerath und Eckstein, Beisken,
Goebel und Herbst nicht bestätigen können. Langer wiederum betont auf
Grund internationaler Statistiken den Einfluß der Masern auf die Häufigkeit
der Meningitis tbo. Er stützt sich dabei auch auf Antikörperreaktionen (Par-
allelismus zwischen Masern und Tuberkuloseanergie). 2 Fälle von Meningitis tbc.
nach Mumps beschreibt Morquio. Seifarth sah 2 Fälle von Meningitis tbc.
kombiniert mit Nebenhöhlenentzündungen und weist auf die differentialdiagno-
stischen Schwierigkeiten gegenüber den rhinogenen meningitischen Prozessen
hin. Meningitis tbe. nach Vakzination erwähnt Currado. Ottow diskutiert
einen Fall, bei dem 2 Wochen nach einem Kopftrauma eine Vakzination vor-
genommen wurde; 21 Tage später traten im Anschluß an eine Angina die ersten
Symptome einer Meningitis tbo. auf. Die Verf. neigt zu der Ansicht, daß hier
das Trauma bei dem Kind, das noch im Stadium eines aktiven Primärkomplexes
war, eine lokale Resistenzverminderung der Meningen bewirkt hat, der Vak-
zination komme höchstens eine unterstützende Wirkung zu (positiver Vakzine-
nachweis im Blut und Liquor). Auf die Bedeutung des Traumas in der Anamnese
weisen Le Blanc, Ochsenius und Zollinger hin, dagegen warnt Eckstein
vor einer Überwertung solcher Angaben.
Tierversuche haben unsere Kenntnis der Pathogenese der Meningitis tbo.
bisher nicht wesentlich fördern können. Die Schwierigkeit, durch intra-
venöse Injektion von Keimen eine Meningitis tbo. zu erzeugen, betonen erneut
Simpson und Gloyne. Sie nehmen eine bakterizide Wirkung des Liquors an.
Voraussetzung für das Zustandekommen einer Meningitis sei die Infektion der
Plexus. Zu demselben Schluß kam Hübschmann auf Grund histologischer
Befunde an menschlichem Material. Stets fanden sich an den Plexus Verände-
rungen, die älter waren als die Veränderungen an den Meningen der Basis.
Hübsch mann schließt daraus, daß die Tuberkelbazillen über die Plexus in
den Liquor gelangen und dann erst die basale Meningitis hervorrufen.
Nathan untersuchte die Gefäßprozesse an menschlichem Material. Er
fand neben den bekannten entzündlichen Veränderungen an den Venen regel-
mäßig auch entzündliche Erkrankung der Arterien (Thrombarterütis und Pan-
arterütis). Der Verschluß der Arterien (Thrombenbildung, Intimaproliferation)
führte zu blanden Erweichungsherden im Gehirn, die klinisch allerdings meist
keine Erscheinungen gemacht hatten. Bodechtel und Opalski fanden bei
tuberkulöser Meningitis Erbleichungsherde, weiße und rote Erweichungen, im
Kleinhirn Gliastrauchwerk und Läppchenatrophie. Diese Veränderungen werden
auf Zirkulationsstörungen zurückgeführt und nicht als primär-toxisch aufgefaßt.
Trotz ihrer Vielgestaltigkeit, besonders im Beginn der Krankheit, ist die
tuberkulöse Meningitis ein so wohl umschriebenes Krankheitsbild, daß die letzten
Jahre klinisch-symptomatologisch nicht viel Neues bringen konnten. Engel
bringt im „Handbuch der Kindertuberkulose“ auf Grund statistischer Zusammen-
stellung der einzelnen Symptome eine Typeneinteilung nach den Hauptsym-
Meningitis 165
ptomen: 1. Schlafsuchttypus, 2. abdomineller Typus, 3. eklamptischer Typus,
4. „Lehrbuchtypus“ (meist bei älteren Kindern) und 5. „Bewußtseinstypus‘“
(bei dem das Bewußtsein bis zum Tode kaum gestört ist).
Von klinischem Interesse ist die (an sich nicht neue) Mitteilung von Giugni,
daß eine Meningitis tuberculosa auch von den spinalen Meningen ausgehen kann.
In solchen Fällen können Ischialgien dem meningitischen Krankheitsbild monate-
lang vorausgehen. Um einen ähnlichen Fall handelt es sich bei der von Riquier
beschriebenen tuberkulösen Meningoradikulitis der Cauda equina. Szasz sah
in 43 Fällen von Meningitis tuberculosa fast stets eine Hypotonie der Extremi-
täten, nur in 2 Fällen Hypertonie.
Während Tansig und Haskoveo die Seltenheit psychischer Störungen
bei basaler Meningitis tbc. betonen, weist Siebert darauf hin, daß besonders
in höherem Alter die Meningealtuberkulose unter vorwiegend psychischen
Symptomen verlaufen kann; auch Wichert erwähnt 4 Fälle, die lediglich mit
psychischen Störungen einhergingen.
In der Literatur der letzten Jahre finden sich wiederholt Berichte über
geheilte Fälle von Meningitis tbc. Beweisend sind natürlich nur Fälle mit posi-
tivem Bazillenbefund im Liquor (Boruso, Tamarin u. a.). Le Blanc, Eck-
stein, Prochazka glauben, daß es sich dabei meist um zirkumskripte menin-
gitische Veränderungen bei Solitärtuberkeln handelt. Vargas nimmt eine leichte
serofibrinöse Form der Meningitis tbc. an. F. H. Lewy vertritt im Gegensatz
zu den Autoren, die zur Sicherstellung der Diagnose positiven Bazillenbefund
im Liquor verlangen, den Standpunkt, daß die Diagnose oft auch ohne Bazillen-
nachweis auf Grund des klinischen und Liquorbefundes hinreichend gesichert
werden kann (Eiweißvermehrung, „typische“ Goldsolzacke, Absinken der
Zucker- und Cl-Werte, Zellvermehrung und Fibringerinnsel, später Xantho-
chromie). Die Meningitis tbc. sei öfter heilbar als allgemein angenommen.
Landouzy und Gougerot haben als „Bacillosis meningea ohne Tuberkel“
eine spezielle Form der Meningitis beschrieben, bei der man nur eine seröse
Exsudation der Meningen findet. Es ist theoretisch zuzugeben, daß es benigne
Formen der Meningitis tbc., bei denen es gar nicht zu einer Bazillenaussaat in
den Liquor kommt, gibt, nur haben wir z. Z. noch keine Möglichkeit, solche
Krankheitsbilder als Meningitis tbo. diagnostisch sicherzustellen. Es muß
differentialdiagnostisch auch an die „sympathische Meningitis“ bei Tuberkeln
des Zentralnervensystems und bei tuberkulöser Wirbelkaries gedacht werden.
Der Liquorbefund ist in solchen Fällen von dem Befund bei der echten Menin-
gitis tbo. nicht immer mit Sicherheit abzugrenzen. Dagegen findet sich bei
Meningismus als blander Begleiterscheinung einer Miliartuberkulose (Hoff-
mann) oder einer Chorioiditis tuberculosa (Gilbert) normaler Liquor.
Therapeutisch empfiehlt Selter intralumbale Tuberkulinbehandlung.
Von 8 Fällen wurde einer (positiver Bazillenbefund im Liquor!) geheilt. Die
Meningen reagieren auf die Injektion sehr stark, während die Lungenherde
keine Reaktion zeigen. Hochwald und Saxl wandten diese Therapie bei
8 Kranken ohne Erfolg an. Zwei starben innerhalb 24 Stunden (hyperergetische
Reaktion 1). 2 Fälle zeigten längere Remissionen. Soper und Dworski sahen,
daß Tiere, die mit lebenden und abgetöteten humanen Bazillen geimpft waren,
eine intrameningeale Bovinusinfektion überstanden (Kontrolltiere starben). Für
prophylaktische Maßnahmen sind die Feststellungen von Eliasberg, Klein-
166 Hans Demme
schmidt, Wangenheim bedeutsam, daß die überwiegende Mehrzahl der
tuberkulösen Meningitiden auf extrafamiliäre Infektionen zurückzuführen ist
(Frantz hingegen fand unter 43 Fällen 27 häusliche Infektionen). Friedländer
empfiehlt Meningitis tbo.-Kranken gegenüber dieselben Vorsichtemaßnahmen
anzuwenden wie bei Lungentuberkulose.
Die vielfach gemachten Angaben, daß die Tuberkulinreaktion der Haut
bei Meningitis tbo. sehr oft negativ sei, haben sich nicht bestätigen lassen. Gelmi
berichtet über 78,2%, positive Resultate, Iwaskiewiez über 80%. Engel und
Eckstein betonen, daß sie fast immer eine positive Reaktion gefunden hätten.
Lukäcz beobachtete, daß eine vorher stark positive Kutanreaktion für 12 bis
36 Stunden verschwindet, wenn plötzlich Symptome einer Meningitis auftreten,
danach flammt sie wieder auf (Gefäßreaktion auf Toxinüberschwemmung f).
Die Annahme, daß die Entstehung der Meningitis tbo. generell mit dem Auf-
treten allergischer Zustände des Organismus im Zusammenhang steht, ist jeden-
falls nicht begründet.
Meningokokkenmeningitis.
Größere Epidemien von Meningokokkenerkrankungen sind in Deutschland
in den letzten 25 Jahren nicht mehr aufgetreten. Wo gehäufte Fälle beobachtet
wurden, handelt es sich um die bekannten jahreszeitlichen Schwankungen der
Erkrankungsziffer. Dagegen sind in England wiederholt kleinere und größere
Epidemien beobachtet worden, so insbesondere in Glasgow 1929, wo von 134 Er-
krankten 112 starben (Peters und Gunn). Eine starke Zunahme der Menin-
gitisfälle wird aus Nordamerika berichtet; in den USA. waren 1925 1850 Fälle
gemeldet, 1929 9600. Größere Epidemien traten in Indianopolis und Milwaukee,
such in Detroit auf; aus Chicago berichten Pope und White über eine ständige
Zunahme der Erkrankungen seit 1927. Jede Epidemie trägt ihren besonderen
Charakter. So wurden in Milwaukee außer Kindern besonders Erwachsene im
Alter von 41—50 Jahren befallen (French). Smithburn und Mitarbeiter
berichten über besonders viel positive Blutkulturen bei der Epidemie in In-
dianopolis.
Die Bedeutung nichtkranker Meningokokkenträger für die Ausbreitung der
Meningitis epidemica wird von fast allen Autoren hervorgehoben. Norton und
Baisley konnten in Detroit unter 6316 Personen aus der Umgebung von Menin-
gitiskranken 685 Bazillenträger feststellen. Nach Hedrich erkrankt nur 1%
der Infizierten. Hrlov konnte die alleinige Bedeutung von Bazillenträgern für
die Ausbreitung der Meningitis epidemica in Grönland nachweisen; nach Lay-
burn verdienen insbesondere auch die chronischen Bazillenträger Beachtung.
Daß auch Bazillenträger der Gefahr der Erkrankung ausgesetzt sind, zeigen
3 Fälle von Kapp: 3 Soldaten, die sich ihre Infektion wohl nur bei einer
kleinen Epidemie beim Militär zugezogen haben können, bekamen ihre Menin-
gitis erst Wochen bis Monate nach ihrer Entlassung im Anschluß an eine an
sich harmlose interkurrente Krankheit. Anderson fordert Isolierung von
Meningitiskranken für mindestens 2 Wochen; alle Personen, die mit den Kranken
in Berührung gekommen sind, sollten für 10 Tage isoliert werden. Praktisch
wird sich diese Forderung wohl kaum durchführen lassen. Hussameddin
empfiehlt zur Behandlung von Keimträgern Nasenspülungen mit Trypaflavin
1: 250.
Meningitis 167
Der Meningokokkus hat eine monographische Darstellung durch Joetten
(Handbuch der pathogenen Mikroorganismen) und durch Murray erfahren.
Die von Gordon und Murray durchgeführte Einteilung in 4 Typen auf Grund
des abweichenden serologischen Verhaltens (Agglutination, Absorption) reicht
nach Joetten u. a. lange nicht aus, um alle Meningokokkenarten zu klassi-
fizieren. Praktische Bedeutung hat die Differenzierung der Meningokokkentypen
für die Serumtherapie, da sich die einzelnen Stämme auch dem Immunserum
gegenüber recht verschieden verhalten. Weil ein dem entsprechenden Stamm
gegenüber wirksames monovalentes Serum therapeutisch bessere Resultate ver-
sprechen soll als die polyvalenten Seren, schlägt Pontano, um mehrtägige
Zeitverluste durch die Typenbestimmung zu verhindern, ein Agglutinations-
verfahren in statu nascendi vor, wobei schon in der ersten flüssigen Kultur die
Kokken nach 13—18 Stunden durch entsprechendes Serum agglutiniert werden.
Daß der Infektionsweg für die Meningen die Blutbahn ist, darf heute wohl
als gesichert gelten. Fälle von Meningokokkenseptikämien sind in der Literatur
der letzten Jahre sehr zahlreich beschrieben; die Infektion des Blutes erfolgt
meist von den Tonsillen aus. Le Blanc sieht in der Meningokokkenmeningitis
stete nur die sekundäre, oft die einzige Metastase einer kurz oder lang dauernden
Meningokokkensepsis. Daß Kopftraumen bei Bazillenträgern eine Meningitis
auslösen können, ist nach den Untersuchungen von Gutzeit und Stern, Lode
und Schmuttermayer, Terbrüggen u.a. als sicher anzunehmen. Nach Zuc-
cola erfolgt die primäre Ansiedlung der Meningokokken nicht in den Meningen,
sondern in den Ventrikeln, wo das Ependym eine „starke Barriere“ gegen die
Antikörper des Blutes bildet; erst sekundär erfolgt die Einwanderung der Kokken
in die Plexus und die Meningen. Die Pathogenese des für die Meningitis epidemica
so besonders charakteristischen Herpesausschlages ist noch nicht endgültig ge-
klärt. Plaut fand im Schnittpräparat in einem Herpesbläschen bei Meningitis
epidemica ein Meningokokkenpaar, doch bietet wohl das Bläschen nur besonders
günstige Ansiedlungsbedingungen für im Blut kreisende Meningokokken. Nach
Monier-Vinard und Mitarbeitern ist der Inhalt von Herpesbläschen im prä-
meningitischen Stadium für Kaninchen apathogen, während er später die typische
Herpesreaktion hervorruft.
Mit der zunehmenden Zahl der Mitteilungen über Meningokokkensepsis
mehren sich auch Publikationen über Exantheme bei Meningitis epidemica.
Die prognostische Bedeutung, die von den einzelnen Autoren den Exanthemen
zugeschrieben wird, ist sehr verschieden.
Für die Liquordiagnostik der Meningitis epid. gibt es, abgesehen vom
Meningokokkennachweis, keine auch nur annähernd spezifische Reaktion.
Auch prognostische Schlüsse lassen sich allein aus den Veränderungen im Liquor
im Verlaufe einer Meningitis epid. kaum ziehen. Bei der besonderen Neigung
der Meningitis epid. zur Bildung von Verklebungen im Arachnoidalraum ge-
stattet der lumbal oder zysternal entnommene Liquor keine allgemeinen Rück-
schlüsse.
Die Mehrzahl der Publikationen über die Therapie der Meningitis epidemioa
bezieht sich auf die Serumtherapie. Fast durchweg wird über günstige Resultate
berichtet. Nur Buchanan und Cumming fanden die Serumbehandlung fast
wirkungslos und warnen vor einer zu günstigen Beurteilung der Resultate. All-
gemein wird gefordert, daß das Serum möglichst spezifisch für die betreffende
168 Hans Demme
Meningokokkenart sein soll (Vasile, Wadsworth, Banks u. a.). Nur wenn
man kein spezifisches Serum zur Hand hat oder wenn der Meningokokkentypus
sich nicht oder nicht rasch genug bestimmen läßt, soll polyvalentes Serum an-
gewendet werden (Pontano u. a.). Sachs bevorzugt die Methode der Kom-
plementbindung zur Wertbestimmung von Meningokokkenserum. Shwatz-
mann hat eine tierexperimentelle Methode ausgearbeitet, die eine genaue Titer-
bestimmung zur Standardisierung gestattet. Übereinstimmung herrscht darüber,
daß das Serum so früh wie möglich intralumbal gegeben werden soll. Wenn
es erst später gegeben wird, setzt es die Letalität kaum herab (McKhann).
Daneben wird von einigen Autoren intravenöse und intramuskuläre Anwendung
empfohlen. Wegen der häufig beobachteten Blockade des Spinalkanals durch
meningitische Verklebungen empfiehlt sich neben der lumbalen auch die zyster-
nale Injektion. Die Seruminjektion in die Ventrikel dürfte besonderen Fällen
vorbehalten bleiben. Luftinjektion in den Lumbalkanal zur Lösung von Ver-
klebungen vor der Seruminjektion empfehlen u. a. Holtz, Orzechowsky,
Siegl und Sollgruber. Sehr wechselnd sind die Angaben über die Menge
des jeweils zu injizierenden Serums, die Häufigkeit und Zahl der Injektionen
und die Dauer, wie lange die Injektionen fortgesetzt werden sollen. Da sichere
Richtlinien fehlen, wird das Ausmaß der Therapie u. E. stets von Fall zu Fall
zu entscheiden sein. Über die Vakzinetherapie fehlen noch genauere Angaben,
nach Jampolsky kommt sie nur bei verschleppten Fällen in Frage.
Weniger günstige Erfolge als die Serumtherapie haben chemotherapeutische
Maßnahmen. Sie werden daher nur in Kombination mit Seruminjektionen an-
zuwenden sein (Teissier und Chavany) oder dann, wenn die Serumtherapie
versagt oder wenn Anaphylaxiegefahr besteht. Neben Urotropin werden be-
sonders Trypaflavin (Chavany, Raillet und Mitarbeiter), Gonakrin (Péhu
und Lambert, Chavany), Dispargen (Moldenhardt), Optochin (Rubel)
empfohlen. Eine besondere bakterizide Wirkung auf Meningokokken soll nach
Dujarric de la Rivière und Roux bestrahltes Methylenblau haben. Für die
Spülbehandlung (s. allgem. Teil) setzt sich neuerdings wieder Holtz ein. Or-
linski sah in seroresistenten Fällen noch Erfolge nach Röntgenbestrahlung und
Injektion hypertonischer Lösungen. Dall" Acqua konnte durch Röntgen-
bestrahlung noch einen Fall von Rückenmarkskompression nach Meningitis
epidemica bessern.
Eitrige Meningitis.
Pneumokokkenmeningitis. Stewart hat eingehende Tierversuche
zur Frage der Pathogenese und Therapie der Pneumokokkenmeningitis angestellt.
Kaninchen waren ungeeignet, da sie nach intrazysternaler Injektion einer Pneumo-
kokkenkultur sehr rasch an einer Pneumokokkenseptikämie zugrunde gingen,
oft noch bevor es zu einer stärkeren Reaktion der Meningen gekommen war.
Auch in der menschlichen Pathologie sind Fälle von terminaler Pneumokokken-
septikämie bekannt, die mit nur geringen meningealen Symptomen einhergehen,
bei denen sich aber im blutigeitrigen Liquor massenhaft Pneumokokken finden.
Anatomisch konnten Faure-Beaulieu und Desbouquois in einem solchen
Falle an den Meningen keinen krankhaften Befund erheben. Bei Hunden konnte
Stewart dagegen durch zysternale Pneumokokkeninjektion eine Meningitis
erzeugen, die anatomisch mit der menschlichen Pneumokokkenmeningitis weit-
— —— ͤ —́—ũ6 —— S
Meningitis 169
gehend übereinstimmt. Daneben fand sich oft eine schwere destruierende Myelitis,
die ihren Ausgang offenbar vom erweiterten Zentralkanal nimmt. Die Myelitis
kann bis zur Abezeßbildung gehen. Intrazerebrale Abszesse können durch Fort-
leitung der Meningealeiterung längs den Gefäß- und Lymphscheiden sowie durch
(metastatische 7) Sekundärinfektion einer Purpura haemorrhagica oerebri ent-
stehen. Die besten therapeutischen Resultate erzielte Stewart durch Optochin-
Serumgemische. Er empfiehlt, reichlich und möglichst lange (bis der Liquor
wiederholt steril geblieben ist) zu injizieren, um alle Teile des Liquorraumes zu
erfassen und Rezidive von latenten Herden aus zu verhüten. Meningitiden, die
durch Pneumokokken vom Typus II hervorgerufen werden, zeichnen sich durch
eine stärkere Phagozytose und Neigung zur Thrombosierung von Gefäßen aus
als beim Typus I. Kolmer, Rule und Madden erzielten im Tierversuch den
besten therapeutischen Effekt durch eine Injektion von Antikörpern (Serum)
und Desinfizientien (Optochin, Äthylhydrokuprein) in die Karotis bei gleich-
zeitiger Spülung des Meningealraumes von der Zysterne aus. Für die Chemo-
therapie der Pneumokokkenmeningitis tritt H. G. Goldstein in einem größeren
Übersichtereferat ein.
Über die Strepto- und Staphylokokkenmeningitiden enthält die
Literatur der letzten Jahre nichts von Bedeutung.
Influenzameningitis. Jenks und Radbill konnten keine Häufung
der Fälle von Influenzameningitis während der Grippeepidemien feststellen.
Eine gewisse jahreszeitliche Häufung finde im Frühjahr und Herbst statt. Als
Diagnostikum für die Influenzameningitis empfiehlt Greenthal die Nitrit-
reaktion, da der Influenzabazillus Nitrate in Nitrite reduziert. Nedelmann
fand bei einer Anzahl von Fällen die Erreger außer im Liquor auch im Blut
und glaubte damit zeigen zu können, daß auch die Influenzameningitis hämatogen
entsteht. Wand und Wright konnten bei Influenzameningitis im Liquor kein
Komplement nachweisen; Serum allein sei daher therapeutisch wirkungslos,
es müsse zusammen mit Normalserum als Komplementträger gegeben werden.
Ein früh behandelter Fall konnte so geheilt werden.
Cohen fand bei einigen septikämischen Meningitisformen ein hämoglobino-
philes Stäbchen, das dem Pfeifferschen Influenzabazillus morphologisch und
biologisch nahesteht, sich von ihm aber agglutinatorisch und durch seine Patho-
genität für Kaninchen und Meerschweinchen unterscheidet. Bei Kindern führt
dieser Keim neben der Meningitis leicht zu eitrigen Prozessen in den serösen
Häuten. Kapsenberg konnte die Befunde von Cohen an 14 Fällen bestätigen.
Auch der von Martins gezüchtete „Coccobacillus meningitidis“ steht dem In-
fluenzabakterium sehr nahe.
Einen Fall von Meningitis typhosa mit massenhaft Typhusbakterien
im Liquor und einem Agglutinationstiter des Liquor 1: 700 beschreibt Dwo-
recki. Kolimeningitiden entstehen am häufigsten bei Neugeborenen durch
Infektion intra partum (Muroma, Braid u. a.). Je einen Fall von Meningitis
durch Bacterium enteritidis Gärtner beschreiben Tesch, Lynch und Shelburne.
Eine primäre Milzbrandmeningitis sah Aguian. Hanse beschreibt einen
Fall von Milzbrandseptikämie, in deren Verlauf es zu schweren meningitischen
Erscheinungen kam. Der Liquor war bei mehreren Punktionen stark getrübt.
Milzbrandbazillen waren im Liquor aber nicht nachweisbar. Es handelte sich
170 Hans Demme
also nicht um eine echte Milzbrandmeningitis. Der Pat. behielt Symptome, die
sehr an die Symptome einer multiplen Sklerose erinnern und die von Hanse
als Ausdruck einer Milzbrandenzephalomyelitis gedeutet werden.
Fast jeder pathogene Keim kann, wenn er in die Liquorräume gelangt, eine
Meningitis hervorrufen. Die Literatur der letzten Jahre ist reich an kasuistischen
Mitteilungen über die verschiedensten Keime als gelegentliche Erreger einer
Meningitis. So fanden sich u. a. im Liquor: Diphtheriebakterien (Pockels)
und andere diphtheroide Korynebakterien (Kessel und Romanoff), Pyozya-
neus (Vanghan u. a.), Pneumoniebazillus-Friedländer (Malis und Pap-
andrea) und ein ihm nahestehender Keim, den Brain und Valentine „ Bacillus
mucosus capsulatus nennen, Bacterium haemophilum mucosum (Barwich),
Proteus (Kortenhaus, Herzig). Bacterium acidi lactici (Pasachoff), Bac-
terium mucosum mutabile (Kliewe), Bacterium melitense (Sanfilippo),
Enterokokken (Jacobi und Meynthaler), Diploooocus flavus, Diplocoocus
crassus, Pseudomeningoooocus Jaeger, Micrococcus tetragenus (Bonanno-
Greckowitz), Micrococcus ostarrhalis (Hall é), Bacillus Koch-Weeks (Meyer
und Mitarbeiter), Bacterium tularense (Haizlep), Pasteurella (Grech owitzy).
Vincent beschreibt einen Fall von Meningitis durch einen Keim aus der Pasteur-
ellagruppe, bei dem die Infektion durch ein Stück Kaninchenmuskel erfolgt war,
das bei einer Hirnoperation zur Blutstillung benutzt wurde.
Zum Schluß soll noch über einige seltene Formen der Meningitis berichtet
werden, welche durch Mikroorganismen hervorgerufen werden, die nicht zu den
Bakterien gehören.
1931 wurde in Paris bei Erdarbeitern ein eigenartiges meningitisches Krank-
heitsbild beobachtet. Nähere Nachforschungen ergaben, daß die Kranken bei
der Arbeit ihre Hände viel im Wasser gehabt hatten und daß in diesem Wasser
sehr viele Ratten vorkommen. Der Liquor war sehr zellreich (anfangs Leuko-,
später Lymphozyten) und agglutinierte die Spirochaeta icterogenes (Laignel-
Lavastine und Bourguin). Ikterisch waren die Kranken nicht. Über vereinzelte
Fälle von Meningitis durch Spirochaeta icterogenes berichten auch Troisier
und Bouquin und Harvier und Wilm. Garnier, Nicaud und Maisler
konnten in einem Fall von rezidivierender Meningitis, dessen Liquor Spirochäten
agglutinierte, durch Tierversuch im Liquor und Urin ikterogene Spirochäten
nachweisen. Sicco und Mitarbeiter fanden während der Rekurrenstherapie
bei Paralytikern Trepanemen im Liquor.
Malariaplasmodien hat Ayala während einer Malariakur im Liquor nach-
gewiesen. In den genannten Fällen bestanden aber keine meningitischen Er-
scheinungen. Bei einem Fall von Meningitis, dessen Ätiologie nicht ganz geklärt
werden konnte, konnte Clearkin in Blut und Liquor Tertianaplasmodien
finden. Bei der Obduktion fanden sich Verwachsungen der Dura mit dem Schädel
und mit der Leptomeninx; Pia und Arachnoidea waren ödematös und blutig
infiltriert. Ohne endgültig Stellung zu nehmen, diskutiert der Verf. die Mög-
lichkeit, daß es sich um eine Malariameningitis handeln könne. Galindo be-
schreibt einen ähnlichen Fall mit eitrigem Liquor, bei dem auf Chininbehandlung
eine schlagartige Besserung eintrat.
Die Hefepilzerkrankungen der Meningen haben durch Freeman eine ein-
gehende zusammenfassende Darstellung erfahren. Freeman hat alle in der Lite-
ratur bekannten Fälle zusammengestellt. Meist handelte es sich um hämatogene
Meningitis 171
Aussaaten, die in der Mehrzahl der Fälle von einem primären Lungenherd ihren
Ausgang nahmen. Einen Fall von Torulasepsis mit Meningitis haben Hall,
Hirsch und Mock beschrieben. Demme und Mumme sowie Heinrichs
konnten in ihrem Fall einen direkten Einbruch von der Pleurahöhle in die Liquor-
räume durch Usurierung der Wirbelsäule nachweisen. Die Meningen reagieren
auf die eingedrungenen Hefezellen durch lymphozytäre Infiltration und starke
Makrophagenbildung, während das Hirnparenchym meist garkeine Reaktion
zeigt.
Während die in Europa recht seltenen Hefepilzerkrankungen in Amerika
anscheinend häufiger beobachtet werden, gehören Schimmelpilzerkran-
kungen der Meningen zu den extremen Seltenheiten. Eine vom Auge ausgehende
Aspergillose der Meningen und des Gehirns beschreiben Moniz und Lauff.
Von den Trichomyzeteninfektionen des Zentralnervensystems ist die häufigste
die Aktinomykose (Ledeboer, Cann und Hollis). Makenzie sah einige
Fälle von Leptothrixerkrankungen der Meningen und des Gehirns.
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Chemie der Psychosen
Die Bedeutung der Störungen des Säurebasengleichgewichts für die Klinik,
insbesondere für neurologisch-psychiatrische Probleme
von Otto Wuth in Bellevue-Kreuzlingen.
Drei Faktoren kennzeichnen das physikalisch-chemische Milieu des Körpers:
L die Isotonie der Gewebe und Säfte, d. h. die Erhaltung der gleichen Menge
an Mineralstoffen, 2. die Isoionie oder das Ionengleichgewicht, d. h. die Er-
haltung des Mischungsverhältnisses der einzelnen Salze und 3. die Isohydrie,
d. h. die Erhaltung des Gleichgewichts der H- und OH-Ionen oder des Säure-
basengleichgewichts. Heute möchte ich nicht die physikalisch-chemischen
Faktoren in ihrer Gesamtheit, sondern lediglich den Säurebasenhaushalt, also
den letzten obiger Faktoren, in seinen Beziehungen zur Klinik, insbesondere
zu peychiatrischen Problemen behandeln. Dabei möchte ich zunächst zwei Vor-
bemerkungen machen. Einmal betone ich, daß es sich hier nicht um ein völlig
aufgeklärtes Gebiet handelt, sondern vieles noch Neuland darstellt, viele Fragen
noch der Klärung bedürfen. Sodann behandle ich hier ein, namentlich der
klinischen Psychiatrie etwas fernliegendes Feld, bin also zum allgemeinen Ver-
ständnis gezwungen, einige Vorbemerkungen zu machen, die manchen längst
bekannt sein werden.
Die aktuelle Azidität oder Alkalität einer Lösung hängt von der Konzen-
tration an H- bzw. OH-Ionen ab, d. h. also von elektrisch positiv bzw. negativ
geladenen kleinsten Teilchen dieser Moleküle. Da die Bestimmung der H-Ionen
leichter ist als die der OH-Ionen, bestimmt man in der Praxis die H-Ionen-
konzentration, um die Azidität einer Lösung festzustellen. Eine Flüssigkeit
reagiert neutral nicht dann, wenn sie gar keine Wasserstoff- oder Hydroxylionen
enthält, denn eine solche Lösung existiert gar nicht, sondern wenn sie diese
Ionen im gleichen Verhältnis enthält wie destilliertes Wasser.
Die Azidität wird ausgedrückt durch die Wasserstoffionenkonzentration [Cut]
oder [H+] oder H/] oder die Wasserstoffzahl h (nach Michaelis). Zur Vereinfachung
der Nomenklatur hat Sörensen den Wasserstoffionenexponenten pn eingeführt.
Der pu- Wert ist der Logarithmus des reziproken Wertes der H-Ionenkonzentration,
also pn = Log · F (Ableitung: z. B. ist die H-Ionenkonzentration einer n/10 HCI
= 9,1 x 10-23 Sörensen nimmt als Basis stets 10 und bringt die Unterschiede
nur im Exponenten zum Ausdruck. Bei der n / 10 HCl ist also zu der Zahl des Ex-
ponenten — 2 der Logarithmus von 9,1 = 0,96 hinzuzuzählen, woraus sich — 1,04
ergibt. Das negative Vorzeichen wird weggelassen und so ist also [H -:] = 9,1 x 10-*®
gleichbedeutend mit pn = 1,04).
Der Neutralpunkt liegt bei Pa 7,0. Werte über 7,0 zeigen Alkalität,
Werte unter 7,0 Azidität an. Je höher die Konzentration an Wasserstoffionen,
desto niedriger die Py-Zahl und umgekehrt.
Soviel über die Nomenklatur, nun einige physiologische Bemerkungen.
Neurologie v, 4 13
176 Otto Wuth
Der Pn des Blutes beträgt etwa 7,28 bis 7,40; das Blut reagiert also leicht
alkalisch. Im Herbst werden nach Straub stärker basische, im Frühjahr stärker
saure Werte gefunden, bei welchem Umstand ich nur nebenbei an jahreszeitliche
Häufigkeitsschwankungen gewisser Erkrankungen und Vorgänge (Ekzeme,
Tetanie, Psychosen, Suizide usw.) erinnern möchte. Diese Reaktionsbreite des
Blutes wird mit äußerster Zähigkeit festgehalten und zwar dienen diesem Zweck
regulatorische Vorgänge. Diese sind nötig, da ja im Organismus fortwährend
saure und alkalische Stoffwechselprodukte gebildet werden: aus dem Schwefel
des Eiweißes entsteht Schwefelsäure, der Phosphor des Eiweißes wird zu Phos-
phorsäure oxydiert, die Phosphorsäure der Nukleinsäuren wird frei, Amino-
säuren, Harnsäure, Salzsäure, Kohlensäure werden gebildet; andererseits er-
zeugen Pankreas, Speicheldrüsen und Darmschleimhaut alkalische Säfte. Die
Regulation erfolgt einmal durch die Eiweißkörper (Aminosäuren = COOH—NH,),
die sog. Pufferwirkung oder Tamponwirkung (Bayliss) derselben, sodann aber
hauptsächlich durch Ausscheidungsluft, Harn, Blutalkalien und Magensaft
(Darmphosphate). Uberschüssige Säure ist im Blut im wesentlichen als Kar-
bonat gebunden, im Urin als Karbonat und Phosphat, erscheint im Magen als
Salzsäure, in der Atmungsluft als Kohlensäure. Unter Pufferung versteht man
die Eigenschaft, Veränderungen der H-Ionenkonzentration einen Widerstand ent-
gegenzusetzen.
Die Kohlensäure kreist im Blut als freie CO, und als chemisch gebundene,
aber in dissoziabler Form und zwar letztere in einer solchen Konzentration,
daß alle Karbonate, die nicht durch andere Säuren gebunden sind, in Bikarbonate
verwandelt sind; und so bilden diese Bikarbonate die sog. Alkalireserve. Das
H-Ionenkonzentration des Blutes richtet sich nach diesem Verhältnis. Nach
| — H. — CO.
der Formel von Henderson ist H =K BHC O, worin B Basen bedeutet
und K Konstante. Wird mehr CO, produziert, verändert sich also das Ver-
hältnis zugunsten der CO,, so steigt die H-Ionenkonzentration. Nun aber wird
das Atemzentrum durch H-Ionen gereizt, es erfolgt vertiefte Atmung, Kohlen-
säure wird durch die Lungen abgeblasen und eliminiert, H, —00, sinkt, das
normale Verhältnis und damit auch die normale H-Ionenkonzentration wird
wieder hergestellt. Zur Illustration der Feinheit dieses Mechanismus sei bemerkt,
daß eine Vermehrung der Kohlensäurespannung um einen Millimeter Druck
die Atmungs- und Herzleistung um 60%, beschleunigt. Diese Regulation ver-
sagt nur, wenn einerseits die Störung zu stark wird oder andererseits der Ab-
wehrmechanismus gestört ist, z. B. wenn das Atemzentrum durch Gifte ge-
schädigt ist.
Der Regulationsmechanismus durch den Harn dokumentiert sich außer
in dem verschiedenen Salzgehalt in den Schwankungen der Azidität desselben.
So ist der Harn z. B. nach Mahlzeiten alkalischer, da der Organismus Säure in
Form von Magensalzsäure ausgeschieden hat, welche an die Nahrung gebunden
worden ist. Während der Nachtruhe wird der Harn saurer. Man kann gewisser-
maßen eine normale Tageskurve der Harnazidität geben: etwa um 3 Uhr morgens
zeigt der Urin seine größte Azidität, ist morgens noch sauer, der Säuregehalt
Chemie der Psychosen 177
nimmt nach den Mahlzeiten ab, um jeweils wieder anzusteigen und im Laufe der
Nacht seine höchsten Werte zu erreichen.
Im folgenden seien nunmehr die Störungen des Säurebasengleichgewichts
nach der Darstellung von van Slyke besprochen, wobei zu bemerken ist, daß
es sich bei Azidose und Alkalose nur um relativ geringe Abweichungen handelt,
da große Abweichungen mit dem Leben nicht vereinbar sind. Eine starke Azidität
kann sich nicht entwickeln, weil vorher alle Kohlensäure aus dem Blut entwichen
sein müßte, eine starke Alkalität nicht, weil dafür durch Bikarbonatanhäufung
eine solche Steigerung des osmotischen Drucks nötig wäre, wie ihn die Nieren
nicht zulassen. |
Azidose, von Naunyn als Bezeichnung für die Säureüberladung des Or-
ganismus mit Oxybuttersäure und Azetessigsäure beim Diabetes eingeführt,
ist insofern kein ganz glückliches Wort, als es nicht etwa besagen will, daß die
Blutreaktion sauer wird. Azidosis bedeutet vielmehr eine Senkung der Alkali-
reserve, weil Alkali durch andere Säuren beschlagnahmt ist. Da aber bei einem
kompensierten Kohlensäureüberschuß die Alkalireserve gestiegen ist, kann aus
der Alkalireserve allein auf das Bestehen einer Azidose oder Alkalose nicht ge-
schlossen werden. Hierzu ist dann noch die Bestimmung der Wasserstoffionen-
konzentration, sowie der aktuellen Harnreaktion oder der Kohlensäurealvolar-
spannung erforderlich. Dies geht aus den folgenden Ausführungen hervor.
Sohema:
I. Unkompensierter Alkaliüberschuß.
Blut: BHCO, vermehrt; Pn erhöht.
Ursache: Überdosierung mit Natriumbikarbonat; Verlust von Magen-
salzeäure.
Klinische Erscheinungen: Tetanie.
II. Unkompensiertes CO, Defizit.
Blut: H,CO, vermindert, folglich, da unkompensiert, BHCO, zu
hoch; Py erhöht.
Ursache: Uberventilation, Höhenklima (niederer Sauerstoffgehalt
der Luft).
Klinische Erscheinungen: Tetanie.
Alkaliüberschuß.
CO,-Überschuß.
Blut: BHCO, hoch, aber ausbalanciert; Pu normal.
Alkaliüberschuß: Mäßige Zufuhr von Natriumbikarbonat.
Ursache: 4 S
CO,-Überschuß: Emphysem.
IV. Normales Säurebasengleichgewicht.
Alkalidefizit.
CO,-Defizit.
Blut: BHCO, niedrig, aber ausbalanciert; P normal.
Alkalidefizit: vermehrte Produktion von Säuren (Diabetes)
Ursache: oder verzögerte Ausscheidung von Säuren (Nephritis).
CO,-Defizit: Sauerstoffmangel, Höhenklima.
III. Kompensierter 4
V. Kompensiertes <
13*
178 Otto Wuth
VI. Unkompensierter CO,-Überschuß.
Blut: H,CO, vermehrt; folglich, da unkompensiert, BHCO, zu niedrig;
Dn herabgesetzt.
Ursache: Einatmen von Luft mit 3 bis 5%, CO,; Morphiumnarkose.
VII. Unkompensiertes Alkalidefizit.
Blut: BHCO, herabgesetzt; Pu vermindert.
Ursache: Prämortal bei Nephritis, Diabetes; tiefe Äthernarkose.
Zu dem Schema ist folgendes zu bemerken:
1. Unkompensierter Alkaliüberschuß. Dieser kann hervorgerufen werden
durch Überdosierung des Körpers mit Natriumbikarbonat oder durch andauern-
den Verlust von Magensalzsäure. Die Bikarbonate des Blutes (Alkalireserve)
sind vermehrt, Du zeigt eine Erhöhung, was bedeutet, daß die Reaktion des
Blutes alkalischer ist. Die klinischen Erscheinungen dieses Zustandes können
in gesteigerter neuromuskulärer Erregbarkeit bestehen, welche sich als Tetanie
oder Krämpfe demonstrieren kann.
II. Unkompensiertes CO,-Defizit. Dieser Zustand zeigt ebenfalls eine
alkalischere Reaktion des Blutes mit einer Erhöhung von Py, d. h. eine Abnahme
der H-Ionenkonzentration, weil die Säure H,CO, vermindert ist und folglich
ein Überschuß von BHCO,, den Basen, besteht. Bei diesem Zustand ist die
Alkalose nicht durch eine primäre Vermehrung der Basen hervorgerufen, sondern
durch eine Verminderung der Säure. Die Ursache kann in Hyperventilation
oder Höhenklima bestehen. Da das Resultat dasselbe ist wie I., nämlich eine
unkompensierte Alkalose, so werden die klinischen Erscheinungen auch dieselben
sein, nämlich Tetanie und mitunter Krampfanfälle.
Alkaliüberschuß. ,
"CO,-Überschuß. Bei diesen Zuständen haben wir
es mit einer milderen Form der Zustände, wie sie in I. und VI. beschrieben sind,
zu tun. Da der Zustand ein kompensierter ist, ist Pf normal. Daß die Blut-
basen bei einem Alkaliüberschuß hoch sind, versteht sich von selbst. Daß die
Basen auch bei einem CO, Uberschuß hoch sind, stellt eine sekundäre Reaktion
dar: Um den Säureüberschuß auszubalancieren und zu kompensieren, tritt die
Vermehrung des Alkalis ein, welches eben den Mechanismus der Kompensation
darstellt und wodurch Dr normal bleibt. Im Falle eines kompensierten Alkali-
überschusses kann zuerst ein unkompensierter solcher Zustand bestanden haben,
wie er in I. beschrieben ist, im Falle eines kompensierten CO,-Überschusses
ein unkompensierter solcher Zustand, wie er in VI. beschrieben ist.
IV. Normales Säurebasengleichgewicht. Dieser Zustand bedarf keines
Kommentars.
III. Kompensierter
v. k Alkalidefizit.
. Kompensiertes CO, Defizit.
mit milderen Formen der Zustände, die in VII. und II. beschrieben sind, zu tun.
Die Zustände sind kompensierte Zustände. Naturgemäß erniedrigt ein Alkali-
defizit die Basen des Blutes. Geht CO, verloren, so werden sekundär die Basen
erniedrigt, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, infolgedessen ist Py normal.
Die Ursachen des Alkalidefizits können durch eine Beschlagnahme des Alkalis
durch vermehrte Säure zustandekommen; die vermehrte Säure kann ihre Ur-
sache in vermehrter Säurebildung (Diabetes) oder in verzögerter Säureausschei-
Bei dieser Gruppe haben wir es sozusagen
Chemie der Psychosen 179
dung (Nephritis) haben. Die Ursachen des CO,-Defizits können Sauerstoffmangel,
Höhenklima, Hyperventilation sein.
VI. Unkompensierter CO,-Überschuß. Da Kohlensäure sich anhäuft und
keine Kompensation stattfindet, ist Do erniedrigt, was eine Azidose anzeigt.
Die Ursache kann bestehen in Einatmung von Luft mit 3 bis 5%, CO, oder in
einer Herabsetzung der Erregbarkeit des Atemzentrums, z. B. in Morphium-
narkose.
VII. Unkompensiertes Alkalidefizit. Bei diesem Zustand ist das Blutalkali
herabgesetzt; da keine Kompensation besteht, zeigt Pf eine Herabsetzung.
Es resultiert ebenfalls ein Zustand von unkompensierter Azidose, den wir prä-
mortal bei Nephritis und Diabetes oder bei tiefer Äthernarkose finden.
Von Wichtigkeit für uns ist es nunmehr, die mit einer Azidose oder Alkalose
vergesellschafteten Abweichungen der Körperflüssigkeiten und des Geschehens
im Organismus zu betrachten. Auf die Stellung dieser Abweichungen, d. h.
ob sie Folgezustände oder ob sie koordinierte Zustände sind, sei nicht ein-
gegangen; ich möchte überhaupt bemerken, daß es sich hier um Korrelationen
handelt, die noch nicht alle als absolut gesichert angesehen werden können.
Ich habe die Befunde der Autoren, die ich mit obigem Vorbehalt wiedergebe,
in folgender Tabelle zusammengestellt.
Azidose Alkalose
Stoffwechselverlangsamung (Hassel- Stoffwechselbeschleunigung (Vollmer)
balch) Hypoglykämie
Hyperglykämie (Tatum, Langfeldt, Hohe Alkalireserve
Vollmer) Hohe Du
Niedere Alkalireserve | Leukozytose
Niedere Pn Lymphopenie
Leukopenie (Hawkins) Verminderte Harnmenge
Harnflut (Vollmer) Hohe Harn-Py
Niedere Harn-Pn Verringerte Harnphosphate
Harnphosphate vermehrt Niedere NH, -Werte im Harn
Hohe NH, -Werte im Harn Harn-N vermehrt
Harn-N vermindert (Hasselbalch)
Ferner sind diese Störungen des Säurebasengleichgewichts von großem
Einfluß auf den Mineralstoffwechsel, so z. B. auf die Verteilung der Kalium-
und Kalziumionen und damit auch auf den Tonus des vegetativen Nerven-
systems, in dem z. B. die Azidose einer Vagotonie entsprechen soll, ferner auf
die Kolloidstabilität, d. h. auf das Verhältnis Albumin zu Globulin, sowie auf
die Bindung des Sauerstoffs an das Hämoglobin. j
Wir erkennen unter diesen Störungen schon eine Reihe solcher, die uns
in der Klinik nicht selten begegnen und werden nunmehr ihre Bedeutung für
einige klinische, insbesondere psychiatrische Fragestellungen zu betrachten haben.
Von vorwiegend chirurgischem Interesse sind die Feststellungen hinsichtlich
der Azidität der Gewebe. Diese kann man in vivo mittels der Schadeschen
Nadel feststellen. Man hat nämlich gefunden, daß die Gewebeazidität ziemlich
genau der Blutazidität entspricht, daß aber entzündete Gewebspartien saurer
sind als normale. Ferner hat Sauerbruch festgestellt, daß bei im Rahmen
der physiologischen Verträglichkeit angesäuerten Tieren künstlich gesetzte
180 Otto Wuth
Wunden glatt verheilten, während bei alkalisch ernährten die Heilung nicht
nur verzögert war, sondern die Wunden schmierig wurden und spontanes Wachs-
tum von Mikroorganismen aller Art (Staphylo- und Streptokokken, Proteus,
Prodigiosus, Diphtheriebazillen) zeigten. In einem Gespräch mit Sauerbruch
erinnerte mich dieser daran, daß Empirie diese Tateachen vielleicht längst geahnt
habe, indem die alten Wundärzte, insbesondere Kriegsärzte, ihren Patienten
eine säuernde Kost, nämlich reichlich Wein und Fleisch, empfohlen hätten.
Nebenbei sei bemerkt, daß diese Seite der Ernährungsfrage in letzter Zeit auch
für die Therapie Beachtung gefunden hat und Erfolge gezeitigt hat. Ich er-
innere hierbei an die Erfolge, die von Sauerbruch und Clairmont bei Tuber-
kulose mit der Gersonschen Mineralogentherapie erreicht wurden, die im wesent-
lichen auf einer Chlorentziehung, Entwässerung und Säuerung des Organismus
beruht. Ferner sei erwähnt die Gasbehandlung des Karzinoms nach Fisoher-
Wasels in Frankfurt durch stundenlange Einatmung von Sauerstoff-Kohlen-
säuregemischen, die wohl ebenfalls, außer anderen Einwirkungen, eine Säuerung
des Organismus herbeiführt.
Von Interesse dürften ferner die Untersuchungsergebnisse von Sharlitt
und von Sch ad e sein, aus denen hervorgeht, daß die Oberhaut eine vom Schweiß
unabhängige saure Reaktion (pu 3,0—5,0) zeigt und diese Eigenschaft, der
„Säuremantel‘‘, wie ihn Schade nennt, als Abwehrschutz gegen Mikroorga-
nismen angesehen werden kann, zumal Noguchi gezeigt hat, daß pathogene
Mikroorganismen auf der Haut häufig zu Saprophyten werden. Geringeren
Säuregrad weisen stark schwitzende Körperstellen auf, wo außerdem der schwach
saure Schweiß sich nicht durch Verdunstung konzentrieren und so saurer werden
kann, sondern alkalisch sich zersetzt; schwächer sauer sind auch alle Risse und
Erosionen der Haut. Und diese stellen auch die bevorzugten Partien für In-
fektionen dar. Schade hebt die Merkwürdigkeit der Erscheinung hervor, daß
der Körper an drei so verschiedenen Eingangspforten für Erreger, wie dem
Magen, der Vagina, der Haut sich des gleichen Mittels zur Bakterienabwehr
bediene, nämlich der Säure (Magen pu 1,7—2,5; Vagina 4,0—4,7 ; Haut 3,0—5,0).
Haupteächlich für die innere Medizin von Wichtigkeit, in peychiatrischer
Hinsicht dagegen von geringer Wertigkeit, sind die mit einer schweren Azidose
verbundenen Zustände des Koma bei Diabetes und Urämie, da die schwere
Desorganisation außer der Bewußtseinstrübung, Delirien und mitunter auch
prämortalen Krämpfen kompliziertere peychische Zustandsbilder nicht auf-
kommen läßt. Es genüge daher, diesen Zustand erwähnt zu haben. Die Frage
der Nierenfunktionsprüfung durch Prüfung des Alkaliausscheidungsvermögens
ist noch im Flusse.
Nicht so allgemein bekannt dürfte die Tatsache sein, daß Blutdruck und
Säurebasengleichgewicht in gewisser Abhängigkeit stehen. So zeigte Cannon,
daß eine primäre Herabsetzung eine Azidose, eine Steigerung derselben eine
Alkalose zur Folge hat. Dies interessiert uns hauptsächlich im Hinblick auf die
Blutdruckschwankungen vor epileptischen Anfällen.
Ferner zeigte Eppinger, daß bei Kreislaufkranken sich eine Überladung
des Organismus mit sauren Stoffwechselprodukten findet, eine Azidose, die nicht
auf CO, Retention zurückzuführen ist. Später wurde (von Schürmeyer und
Schwarz) gezeigt, daß diese Azidose sich auch im Liquor nachweisen läßt. Die
Autoren fanden bei ihren Fällen eine Erhöhung des Liquordrucks und ungemein
Chemie der Psyohosen 181
günstige Effekte der Lumbalpunktion bei solchen Kranken. Diese Tatsachen
wieder führen zu früheren Beobachtungen von Dixon. Dieser zeigte nämlich,
daß der Liquordruck nicht so sehr vom Blutdruck als vielmehr vom Kohlen-
säuregehalt des Blutes abhängig ist. Bei Kohlensäurevergiftung fand er ein
rapides Ansteigen des Drucks. Dasselbe Ansteigen des Drucks fand er übrigens
auch bei der Hypoglykämie nach Überdosierung mit Insulin. Dieser Zustand
geht, wie ja auch die Kohlensäurevergiftung, häufig mit Krämpfen einher. Wir
wissen ferner, daß durch Hyperventilation eine Alkalose erzeugt wird, die mit
schweren Kreislaufstörungen, Blutdruckstürzen und sehr häufig mit Krampf-
anfällen einhergeht. Alle diese Tatsachen deuten darauf hin, daß zwischen
Säurebasengleichgewicht, Blutdruck und Liquordruck enge Beziehungen be-
stehen, die bei verschiedenen Erkrankungen, insbesondere bei Krampfleiden,
eine große Rolle zu spielen scheinen. Um die enge Korrelation dieser Störungen
mit wieder anderen vor Augen zu führen, sei daran erinnert, daß nach Meyer
eine Blutdrucksteigerung wiederum den Vagustonus erhöht.
Was die peychiatrisch-neurologischen Probleme anlangt, so haben wir es
zunächst ganz im allgemeinen bei allen Unterernährungszuständen, sowie bei
allen starken motorischen Erregungen, also hauptsächlich bei abstinierenden
erregten Kranken, mit Zuständen einer mehr oder weniger starken Azidose zu
tun, de bei diesen Krankheitszuständen eine Überproduktion saurer Stoff-
wechselprodukte besteht. Wir finden häufig eine Herabsetzung der Alkali-
reserve im Blute und überhaupt die mit der Azidose gekuppelten, bereits be-
sprochenen Erscheinungen. Es ist einigermaßen wichtig, diese Folgeerscheinung
von Unterernährung und Erregung zu kennen und zwar eben als Folgeerschei-
nung. Einmal in therapeutischer Hinsicht, weil Alkaligaben oft von Nutzen
sind (künstl. Ernährung), sodann aber und hauptsächlich wegen der von manchen
Autoren fälschlicherweise gezogenen Schlußfolgerungen. Einige Autoren näm-
lich, die bei ihren Kranken ebenfalls solche Befunde einer Azidosis und ihrer
Begleiterscheinungen erhoben, betrachten sie als den Ausdruck einer primären,
für die Psychose ursächlichen Intoxikation mit Stoffwechselgiften; eine Nach-
prüfung der betreffenden Protokolle zeigte mir aber, daß es sich bei all diesen
Fällen um schwer erregte, meist abstinierende Kranke handelte, und da wir bei
solchen das Symptom der Azidose als Folgeerscheinung des Zustands kennen,
müssen wir ihm eine ursächliche Bedeutung für die Entstehung dieser Symptome,
geschweige denn für die sie hervorrufende Psychose absprechen.
In diesen eben erwähnten Fällen der Unterernährung und Erregung ent-
steht die Azidose durch Mehrproduktion saurer Stoffwechselprodukte. In wieder
anderen Fällen, hauptsächlich Stuporzuständen des manisch-depressiven Irre-
seins, namentlich aber der Schizophrenie, entsteht sie durch eine höchst wahr-
scheinlich psychische Störung der Atemtätigkeit. Die Atmung bei solchen
häufig zusammengekauert dasitzenden Kranken ist oft oberflächlich, die Venti-
lation ungenügend, es kommt zu einer Anhäufung von Kohlensäure; es entsteht
also eine Azidose mit den ihr vergesellschafteten Störungen des vegetativen
Nervensystems und des Stoffwechsels. Ich erinnere nur an die Untertempe-
raturen, Pulsverlangsamung, Zyanose, Pseudoödeme, Magendarmstörungen,
sowie an die Herabsetzung des Gasstoffwechsels bei solchen Kranken, alles
Störungen, die vielfach als endokrin-vegetativ bedingt betrachtet wurden und
als Anhaltspunkte für die Theorie der endokrinen Genese der Hauptpsychosen
182 Otto Wuth
gewertet wurden. Namentlich der Herabsetzung des Energiestoffwechsels ist
zuviel Gewicht infolge falscher Deutung der Tatsachen zugemessen worden.
Diese Alterationen der Atmung, die dann ihren Ausdruck auch in den be-
schriebenen Anderungen des Säurebasenhaushalts finden, scheinen bei Psychosen
und Neurosen überhaupt eine noch wenig beachtete Rolle zu spielen. So haben
Untersuchungen über die H-Ionenkonzentration des Speichels (Zahnkaries)
ergeben, daß im allgemeinen bei Psychosen und zwar namentlich bei den affek-
tiven, weniger bei den schizophrenen, ferner bei Neurosen und bei gewissen
Formen des Stotterns eine höhere Alkaleszenz des Speichels besteht. Auch im
Urin zeigt sich häufig eine solche. Diese erhöhte Alkaleszenz beruht offenbar
auf einer spontanen, unbewußten dauernden oder auf gewisse Zeiten beschränkten
Überventilation mit CO, Verlust, die letzten Endes auf die gesteigerte psycho-
motorische Erregbarkeit und vertiefte und beschleunigte Atmung zurückzuführen
ist, wie wir sie ja insbesondere bei den hysterischen Anfällen in deutlichster
Weise zu beobachten gewohnt sind. Von manchen Seiten ist überhaupt ver-
sucht worden, nervöse Übererregtheit und alkalotische Umstimmung in
Zusammenhang zu bringen, eine Verallgemeinerung, die vielleicht zu weit
geht.
Eine Steigerung dieser Überventilation leitet uns über zu dem Krankheits-
bild der neurotischen Atmungstetanie, den postenzephalitischen Atmungs-
tetanieanfällen und schließlich zum Tetanieproblem selbst.
Howland, Marriott und McCann zeigten, daß bei der Tetanie eine
Alkalose des Blutes besteht. Denselben Autoren gelang es auch, durch künst-
lich herbeigeführten CO, Verlust mittels Überventilation oder durch Natrium-
bikarbonatzufuhr, also durch eine künstliche Alkalose, Tetanie auszulösen, mit-
unter sogar mit epileptiformen Krämpfen. Und es gelang ihnen ferner durch
säuernde Kost, entweder Fleisch-Fettkost oder durch Zufuhr saurer Phosphate,
Salzsäure, Kalziumchlorid oder Ammoniumchlorid, also kurz durch Herbei-
führung einer Azidose die Tetanie zum Verschwinden zu bringen. Diese durch
eine Alkalose hervorgebrachte Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit er-
klärte man einmal durch den Einfluß, den das Säurebasengleichgewicht auf die
Kalziumionisation hat. Die Ionisation des Kalziums ist nämlich direkt von der
H-Ionenkonzentration abhängig. Dies bringt die Formel von Rona und Taka-
K.H
hashi zum Ausdruck, in der K eine Konstante bedeutet: Ca = =. Nun
H—CO,
hat Loeb gezeigt, daß Zellpermeabilität und Zellerregbarkeit auf dem Ver-
hältnis der Natrium- und Kaliumionen zu den Kalzium- und Magnesiumionen
beruhen DTE.
Ca + Mg |
regbarkeit herab. Von dieser Tatsache wird ja auch in therapeutischer Hinsicht
Gebrauch gemacht; ich erinnere nur an die vielfachen Indikationen der Kalzium-
medikation z. B. bei Zuständen nervöser Übererregbarkeit, bei vegetativen Neu-
rosen, sowie ferner an die Magnesiumsulfattherapie bei Tetanus. Eine Herab-
setzung der Menge der Kalziumionen, sei es durch Kalziummangel überhaupt,
sei es wie in unserem Falle durch Zurückdrängung der Ionisation durch die
Alkalose solle die Steigerung der neuromuskulären Erregbarkeit und damit die
tetanischen Erscheinungen zur Folge haben.
und zwar setzen Kalzium- und Magnesiumionen die Er-
Chemie der Psychosen 183
Ausgehend von den soeben besprochenen Forschungsergebnissen hinsicht-
lich der Beziehungen zwischen Säurebasengleichgewicht und Tetanie wurde nun
das Epilepsieproblem in derselben Richtung in Angriff genommen. Bigwood
sowie Vollmer kamen auf Grund ihrer Beobachtungen zu dem Schluß, daß
auch bei Epilepsie eine Alkalose die Ursache der Krämpfe darstelle: Bigwood
versuchte sogar eine klinische Aufteilung der Epilepsie vorzunehmen, je nach-
dem eine Alkalose vorhanden sei oder nicht. Ferner gelang es Förster in An-
lehnung an die Howlandschen Versuche bei Tetanie durch Erzeugung einer
Alkalosis mittels Überventilation bei Epileptikern Anfälle auszulösen. Auch
bei der Epilepsie machte man die Zurückdrängung der Kalziumionisation mit
ihrer erregbarkeitssteigernden Wirkung verantwortlich, ferner aber auch die von
Haldane und Henderson beschriebene paradoxe Anoxämie, die durch eine
Alkalose hervorgerufen werden kann. Diese Erscheinung besteht darin, daß,
obwohl genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, der Sauerstoff so fest an das
Hämoglobin gebunden ist, daß er nicht an die Zelle abgegeben werden kann,
diese also gewissermaßen erstickt, wobei es natürlich erscheint, daß die Gehirn-
zellen als die empfindlichsten zuerst betroffen werden, ein Umstand, der sich
ja z. B. auch durch das Auftreten von Ohnmachten und Krampfanfällen bei
Herzblock, also bei Aussetzen der Blutversorgung des Gehirns, dokumentiert.
Mit diesen Befunden und den darauf gestützten Theorien glaubte man einen
entscheidenden Schritt zur Aufklärung des Epilepsieproblems gemacht zu haben.
Wie verhält es sich nun damit? Zunächst ist zu sagen, daß eine präparoxys-
male Alkalose keineswegs bei allen Fällen von Epilepsie festgestellt werden konnte.
Auch durch die Erzeugung einer Alkalose mittels Hyperventilation konnten
keineswegs regelmäßig, sondern nur etwa in 40%, der Fälle Krampfanfälle aus-
gelöst werden. Die Kalziumzahlen Bigwoods, aus denen eine Zurückdrängung
der Kalziumionisation hervorgeht, sind nicht durch Untersuchungen gewonnen,
sondern vielmehr auf Grund der Wasserstoffionenkonzentration von ihm be-
rechnet worden. Und schließlich ist meinen Untersuchungen nach der Blut-
gehalt an freiem und ionisiertem Kalzium normal. Während also bei der
Tetanie die Alkalose, insbesondere aber die damit verbundene Störung des
Kalziumhaushalts eine essentielle Rolle zu spielen scheint, ist dies offenbar bei
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Epilepsie nicht der Fall. Die
nahen Beziehungen, in die man Tetanie und genuine Epilepsie bringen wollte,
wovor aber schon von Husler und anderen Pädiatern auf Grund von klini-
schen Erfahrungen gewarnt worden war, scheinen also auch vom stoff-
wechsel-chemischen Standpunkt aus nicht in dem früher angenommenen Maße
zu bestehen. Es scheint sich so zu verhalten, daß bei der Epilepsie die Alkalose
einen der zahlreichen Wege darstellt, auf welchem Krämpfe zustande kommen
können und zwar im Sinne einer unspezifischen Steigerung der neuromuskulären
Erregbarkeit, die sich nicht nur bei der Epilepsie, sondern auch bei anderen
organischen Nervenleiden dokumentieren kann.
Die Tatsache, daß überhaupt Störungen des Säurebasengleichgewichts
häufig mit Anfällen einhergehen, wird durch obige Feststellung nicht berührt.
Von solchen Zuständen alkalotischer Art mit Krämpfen erinnere ich außer an
die erwähnten Anfälle bei Hyperventilation noch z. B. an den Pylorospasmus,
wo die Alkalose durch den dauernden Verlust der Magensalzsäure zustande
kommt; von den Zuständen azidotischer Art mit Krämpfen an die Krampf-
184 Otto Wuth
anfälle bei Herzleiden, Pneumonie, Erstickung, Fieber, Koma diabeticum und
uraemicum und bei gewissen Vergiftungen.
Was die Folgeerscheinungen des epileptischen Anfalls betrifft, so sind diese
in eindeutiger Weise durch die gesteigerte Motorik und eine ausgesprochene
Azidose bedingt. Diese Azidose kommt zustande einmal durch die Behinderung
der Atmung, durch die Krämpfe der Atemmuskulatur, also durch Kohlensäure-
anhäufung und sodann durch die vermehrte Bildung saurer Stoffwechselprodukte
durch die Muskelarbeit, deren Verbrennung wiederum durch die CO,-Azidose
und deren Ausscheidung offenbar durch Nierengefäßkrämpfe gehindert ist.
Ihren Ausdruck findet diese Azidose in Veränderungen des Blutbildes — hierbei
spielt jedoch auch die Motorik eine wichtige Rolle —, der Ionenverteilung, der
Kolloidstabilität, d. h. Verschiebungen im Albumin-Globulinverhältnis, in der
Ausscheidung eines sauren Harns mit viel Phosphaten und Ammoniak, der
Ausscheidung von Azeton, Milchsäure und der vermehrten Ausscheidung von
Magensalzsäure, die wohl kompensatorisch aufzufassen ist. Das ganze post-
paroxysmale Krankheitsbild ist gewissermaßen von der Azidose beherrscht.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nochmals betonen, mit wie vielen Ande-
rungen des Stoffwechsels, der Blut- und Harnzusammensetzung, sowie Ande-
rungen im Tonus des vegetativen Nervensystems eine Azidose oder eine Alkalose
vergesellschaftet sein können. Es ist von Wichtigkeit, dies im Auge zu behalten,
denn es muß als durchaus möglich bezeichnet werden, daß wir, wenn wir von
Azidose oder Alkalose sprechen, eben nur ein Symptom einer sehr komplexen
Störung betrachten. Aufgabe der Zukunft wird es sein, die hier bestehenden
Korrelationen zwischen den einzelnen Störungen festzustellen. Bei unseren
Fragestellungen interessieren uns vorzugsweise die mit den Schwankungen des
Säurebasengleichgewichts Hand in Hand gehenden Alterationen des Tonus des
vegetativen Nervensystems. So sei daran erinnert, daß viele Autoren im Schlaf
einen Zustand der Azidose, verbunden mit einem solchen der Vagotonie, er-
blicken, wobei unentschieden ist, ob einer dieser beiden Zustände primär ist
oder ob die beiden Zustände koordiniert und von anderen gemeinsamen Ursachen
abhängig sind. Nach Straub können viele Erscheinungen des Schlafes vielleicht
als sekundäre Auswirkungen der Azidose erklärt werden. Diese Verhältnisse
sind noch keineswegs völlig geklärt; zweifelsohne spielen sie bei vielen Neurosen
eine Rolle und werden vielleicht auch einmal wichtige therapeutische Bedeutung
gewinnen. Ich denke hier z. B. an die Magen- und Darmneurosen der Vagotonie
mit Hyperazidität und Spasmen, bei welchen sowohl die Spasmen als auch die
Hyperazidität entweder durch Umstimmung des vegetativen Tonus durch
Atropin oder Eiweißkörperreiztherapie oder auch durch die Bekämpfung der
Hyperazidität durch Alkalien allein schon beseitigt werden können.
Eine Frage, die ebenfalls noch weiterer Bearbeitung bedarf, ist die Wirkung
unserer gebräuchlichen Arzneimittel auf das Säurebasengleichgewicht. Dabei
liegen uns bei unseren Problemen besonders die Schlafmittel nahe; ich habe der-
artige Untersuchungen begonnen und nach den bisherigen Ergebnissen scheinen
die Schlafmittel verschiedener chemischer Gruppen sich in ihrer Wirkung auf
das Säurebasengleichgewicht verschieden zu verhalten. Manche verursachen
eine Alkalosis (Urethan), andere, wie z. B. Paraldehyd, eine Azidosis. Es ist
bemerkenswert, daß diese Gegensätzlichkeit mit der von Pick festgestellten
Verschiedenheit der Angriffspunkte dieser Schlafmittel im Gehirn übereinstimmt.
Chemie der Psychosen 185
Alkohol macht bei Einzelgaben eine noch stärkere Azidosis als Paraldehyd; viel-
leicht wirkt er stärker auf das Atemzentrum. Wie die Verhältnisse bei chroni-
schem Alkoholismus liegen, bedarf noch der Aufklärung. Auch die Folgen
akuter Alkoholvergiftung, wie überhaupt sogen. Katerzustände, z. B. der
Röntgenkater, scheinen mit Schwankungen im Säurebasengleichgewicht, mit
Tonusänderungen des vegetativen Nervensystems und Schwankungen des Ionen-
gleichgewichts einherzugehen; dies ist teils durch Untersuchungen belegt, teils
wird es durch die Erfolge der Therapie bestätigt, nämlich durch die gute Wir-
kung von Mitteln, die auf das vegetative Nervensystem dämpfend wirken, sowie
durch intravenöse oder perorale Einverleibung von Säuren oder Kochsalz.
Verwandt mit diesen Störungen sind wahrscheinlich die Krankheitserschei-
nungen der Morphiumabstinenz, die nunmehr als letzte der Störungen besprochen
seien. Bei dem chronischen Morphinismus scheint den bisherigen Ergebnissen
nach das Säurebasengleichgewicht starke Abweichungen von der Norm aufzu-
weisen, die sich bei einmaliger Zufuhr anders verhalten als bei der Gewöhnung;
meinen Erfahrungen nach scheint häufig in der akuten Abstinenz sich eine
Azidose zu entwickeln mit den sie begleitenden anderen Störungen, die vielleicht
auch die Ursache für die bei schweren Abstinenzsymptomen sich manchmal ent-
wickelnden Delirien und Kollaps- oder Komazustände darstellt. Wiederum
sei betont, daß wir auch hier vielleicht heute noch eine komplexe Störung nach
einem Einzelsymptom benennen. Denn zweifelsohne liegen beim Morphinismus
schwere Störungen des vegetativ-endokrinen Systems vor, ja fast alle Störungen
lassen sich auf diese beiden Systeme, soweit das bei der Korrelation der Organ-
systeme überhaupt möglich ist, zurückführen. Ohne in den alten Fehler der
Annahme einer strikten Gegensätzlichkeit von Vagotonie und Sympathikotonie
zu verfallen, kann man doch sagen, daß das Morphium im wesentlichen den
Sympathikus und die ihm korrelierten, fördernden, akzelerierenden, Drüsen
(Schilddrüse, Nebenniere) abdämpft, und daß diese Abdämpfung in der Ab-
stinenz in den gegenteiligen Zustand der Übererregbarkeit umschlägt. Daher
können auch die Abstinenzsymptome experimentell-therapeutisch durch sym-
pathikusdämpfende Mittel wie die der Antipyringruppe oder durch vagus-
reizende Mittel wie Cholin oder schließlich durch Umstimmung des vegetativen
Tonus durch Proteinkörpertherapie gemildert werden. Ich habe seinerzeit zuerst
auf die Gegensätzlichkeit der vegetativ-endokrinen Symptome zwischen Ge-
wöhnungs- und Abstinenzperiode hingewiesen. Bei der ersteren trockene, welke
Haut, trophische Störungen an Haaren, Zähnen, Nägeln, enge Pupillen, Herab-
setzung der Drüsensekretion, der Magensaftsekretion und der Urinmenge, Im-
potenz, Aufhören der Menstruation, peychomotorische Ruhe; bei der Abstinenz
dagegen warme feuchte Haut, weite Pupillen, gesteigerte Drüsensekretion,
Durchfälle, Speichelfluß, gesteigerte Libido, Atembeschwerden, psychomotorische
Unruhe mit Angst und, was besonders betont sei, Hyperazidität des Magen-
saftes. Hand in Hand mit diesen Störungen gehen gegensätzliche Abänderungen
des Stoffwechsels und der Blutzusammensetzung. Stellen wir diese Symptome
einander gegenüber, so erinnern sie in erstaunlicher Weise an die Gegensätzlich-
keit der Symptome bei hypo- und bei hyperthyreotischen Zuständen. Und
zwar entsprechen viele Symptome der Gewöhnung den hypothyreotischen Zu-
ständen, viele Symptome der Abstinenz solchen bei Thyreotoxikosen. Weitere
Stützen für die Annahme liefert uns die experimentelle Pharmakologie, die z. B.
186 Otto Wuth, Chemie der Psychosen
zeigte, daß weiße Mäuse durch Schilddrüsenzufuhr empfindlicher gegen Mor-
phium werden, schwere Krankheitserscheinungen zeigen und rascher zugrunde
gehen, daß der Stoffwechsel von morphiumgewöhnten Hunden gleich dem
schilddrüsenloser Hunde sich verhält, daß bei beiden Arten von Hunden der
Stoffwechsel durch Thyreoidin gesteigert wird, und daß beide Arten gegen
Sauerstoffmangel unempfindlich sind. Letzteres ist wohl im wesentlichen durch
die Wirkung des Morphiums auf das Atemzentrum bedingt; da dadurch die
Kohlensäureausscheidung gestört wird, kommt es auch zu Störungen des Säure-
basengleichgewichts. Und zweifelsohne sind einzelne Symptome der Gewöh-
nungs- und Abstinenzperiode des Morphinismus nicht nur auf die direkte, den
Tonus des gesamten vegetativen Systems, insbesondere des Sympathikus und
der diesem korrelierten akzelerierenden Drüsen wie Schilddrüse und Nebenniere,
abdämpfende Wirkung des Morphiums zurückzuführen, sondern auf die Um-
wälzung des Säurebasengleichgewichts. Ich denke da nicht so sehr an die elek-
tiven Wirkungen der Säurebasengleichgewichtsstörung auf das vegetative
Nervensystem und auf das Blutbild, sondern vielmehr an die Blutdruckschwan-
kungen, den Lufthunger, die Durchfälle und die wohl kompensatorisch aufzu-
fassende Vermehrung der Magensalzsäureausscheidung, die auf das Bestehen
einer Azidose schließen lassen. In der Tat habe ich nicht selten eine Besserung
dieser Symptome durch reichliche Alkalidarreichung erzielt.
Das Bestreben vorliegender Ausführungen war, nicht etwa ein Ubersichts-
referat zu geben, sondern vielmehr die Grundlagen dieses Arbeitsgebietes den-
jenigen zu entwickeln, die vorwiegend praktisch-klinisch eingestellt sind, und
sodann überhaupt die Aufmerksamkeit auf dieses aussichtsreiche Teilgebiet
medizinischer Forschung zu lenken, das auch für die Psychiatrie noch manche
Aufschlüsse verheißt.
Die intrakraniellen Neubildungen
(Diagnostische Hilfsmethoden)
von Eduard Gamper in Prag.
Die Sicherheit der auf die klinische Symptomatologie aufbauenden Dia-
gnostik hat zwei Grenzen: die eine liegt in der diagnostischen Tragfähigkeit des
jeweils vorhandenen Symptomenbestandes, die andere in der persönlichen Glei-
chung des Untersuchers. Auch den erfahrensten und scharfsinnigsten Neurologen
stellen die intrakraniellen Neubildungen immer wieder vor Schwierigkeiten, die
ihn in die quälende Unsicherheit bloßer Vermutungen drängen oder in der Orte-
bestimmung irreführen. Heymann hat einmal mit R. Cassirer errechnet,
daß sie in 10—12% ihrer Beobachtungen entweder eine Fehldiagnose stellten
oder zu keiner Ortsdiagnose kamen. Burns nimmt auf Grund einer Umfrage
unter Mitgliedern der Americ. Neurol. Assoc. an, daß etwa 82%, der intrakraniellen
Tumoren durch bloße klinische Untersuchungen erkannt und richtig lokalisiert
werden können. Es hat also auch der erfahrene Kliniker damit zu rechnen, daß
er etwa in 20% der Fälle in seinen diagnostischen Bemühungen irgendwo stecken
bleibt, sei es, daß er über den Verdacht auf das Vorliegen eines Tumors überhaupt
nicht hinauskommt oder über den Sitz der Geschwulst aus den vorliegenden
Symptomen keinen eindeutigen Aufschluß gewinnt.
Diese der Forderung nach möglichst frühem therapeutischen Eingreifen so
häufig entgegenstehenden diagnostischen Schwierigkeiten waren der Ausgangs-
punkt für den Ausbau von physikalischen und chirurgischen Hilfsmethoden, die
geeignet erschienen, das, was sich der klinischen Beobachtung entzieht, faßbar
zu machen und diagnostisch auszuwerten.
Bevor wir auf diese Methoden und ihre Leistungsfähigkeit im einzelnen ein-
gehen, muß zunächst ganz allgemein gesagt werden, daß es sich eben nur um
Hilfsmethoden handelt. Die Gefahr einer Überschätzung solcher Behelfe besteht
in der Neurologie ebenso wie in anderen medizinischen Disziplinen und es ist
keineswegs überflüssig zu bemerken, daß die Aufschlüsse, die wir auf diesen
Umwegen erhalten, nur im steten Vergleich mit dem jeweiligen klinischen Bilde
brauchbar werden. Es darf nicht sein, daß unter dem Vertrauen auf solche Bei-
hilfen die Exaktheit der klinischen Untersuchung leidet, daß sich der Neurologe
etwa vom Röntgenologen führen läßt. Daran ändert auch die Tatsache nichts,
daß ein physikalischer Befund von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Zu
den Hilfsmethoden ist im allgemeinen erst zu greifen, wenn der Kranke klinisch
erschöpfend untersucht ist und die Analyse des neurologischen Befundes Fragen
offen läßt, deren Beantwortung von anderer Seite erhofft werden darf. Es ist
klar, daß der gewandte und erfahrene Untersucher oft genug an der Hand der
klinischen Symptomatologie zur sicheren Diagnose findet, wo der weniger Er-
fahrene in Zweifeln stecken bleibt und seine Rettung von Hilfsmethoden erhofft.
„Ich habe das Glück gehabt“, erklärt Fedor Krause, „mit führenden Neurologen
Neurologie v, 5 14
188 Eduard Gamper
zu arbeiten. Erb, Jolly, Ludwig Bruns, Oppenheim, Cassirer und manche
andere sind dahingegangen. Sie alle haben von den heutigen mechanischen
Methoden der Diagnose nur die Ansaugung von Hirnzylindern gekannt und ganz
ausnahmsweise in Anwendung gebracht. Trotzdem will ee mir scheinen, als ob
die Zahl der nichtlokalisierbaren Hirntumoren in der Hand jener freilich durch
reife Erfahrung und ungewöhnliche Schärfe der diagnostischen Deduktion aus-
gezeichneten Persönlichkeiten kaum größer gewesen ist als heutzutage. Sicher
kann der erfahrene Diagnostiker der Hirnpunktion, sowie der übrigen mecha-
nischen Methoden häufiger entraten als der Ungeübte. Obenan steht immer und
überall die klinische Diagnostik. Eine schwierige neurologische Diagnose aus
weisem Munde ist mir stets als ein Kunstwerk erschienen.“
Der Ehrgeiz des Klinikers muß im Interesse des Kranken darauf gerichtet
sein, möglichst ohne Unterstützung durch Hilfsmethoden die Diagnose in allen
für die Therapie in Frage kommenden Punkten zu sichern. Diese Zurückhaltung
vor mechanisch-physikalischen Klärungsversuchen ist nicht nur geboten, um die
klinische Beobachtung zu schärfen und klinisch diagnostische Spitzenleistungen
zu erzielen, und nicht nur deshalb, weil die Auskünfte, die die Hilfsmethoden
bringen, ohne sorgfältige Berücksichtigung des klinischen Bildes irreführen
können, sondern auch darum, weil eine Reihe der dabei notwendigen Eingriffe
durchaus nicht harmlos ist. Jede diagnostische Maßnahme, die mit Gefahren
für den Kranken belastet ist, ist aber nur dann berechtigt, wenn sie der einzige
Ausweg bleibt, um den Patienten vor noch größeren Gefahren zu bewahren, bzw.
die Möglichkeit in sich birgt, die notwendigen Richtlinien für das therapeutische
Vorgehen zu finden. Unter diesen kritischen Einschränkungen wird der gewissen-
hafte Neurologe jede Methode, die ihm zur Behebung klinisch nicht zu bewäl-
tigender diagnostischer Schwierigkeiten geboten wird, stets dankbar aufnehmen
und niemand wird die Fortschritte missen wollen, die aus dem Ausbau der physi-
kalischen und chirurgischen Untersuchungsmethoden im letzten Jahrzehnt für
die Diagnostik und damit für die Therapie der intrakraniellen Neubildungen
erwachsen sind.
Wenden wir uns nun nach diesen allgemeinen Erwägungen den Methoden
im einzelnen zu:
I. Kraniographie.
Die Röntgenographie des Schädels nimmt eine Vorzugsstellung insofern ein,
als sie für den Kranken völlig ungefährlich ist und ihre Durchführung in jedem
Falle, in welchem Verdacht auf eine intrakranielle Neubildung besteht, unbedingt
zu fordern ist. Über die Technik der Schädelaufnahme zu sprechen, ist hier nicht
der Platz, es genügt zu sagen, daß die besten Aufnahmen gerade gut genug sind
und die Deutung der Bilder eine reiche Erfahrung fordert. Voraussetzung für
eine sichere und erschöpfende Auswertung der Skiagramme ist die stete Zu-
sammenarbeit von Neurologen und Röntgenologen. Der Röntgenologe darf nicht
zum Automaten herabgedrückt werden, er soll und muß wissen, in welche Rich-
tung der klinische Befund weist, und andererseits muß vom Neurologen verlangt
werden, daß er sich selbst die Mühe nimmt, die Bilder gemeinsam mit dem Rönt-
genfachmann zu betrachten. Nur bei einer solchen Fühlungnahme beider steht das
Röntgenbild unter der Kritik, die notwendig ist, um Verwertbares herauszulesen
und folgenschwere Irrtümer zu vermeiden. Béclère verlangt geradezu die Aus-
Die intrakraniellen Neubildungen 189
bildung eigener Neuro-Röntgenologen, ein Wunsch, der sich allerdings nur an
Zentren mit hinreichend großem Material praktisch verwirklichen läßt bzw.
bereits erfüllt ist.
Die Leistungsfähigkeit der Kraniographie für die Diagnose der intrakraniellen
Neubildungen stand in den letzten Jahren an drei Stellen in ausführlicher Dis-
kussion: auf der Tagung der neurologischen Gesellschaft von Philadelphia (27.1.
1928), auf der IX. Réunion neurologique internationale annuelle in Paris (3.—4. 7.
1928) und am Internationalen Neurologenkongreß in Bern (31.8. bis 4. 9. 1931).
In Philadelphia stellte Burns auf Grund einer 100 Fälle umfassenden
Enquête fest, daß das Röntgenbild nur dreimal diagnostisch ausschlaggebend war,
in 36 Fällen erbrachte es eine Bestätigung der klinischen Diagnose, 47 mal waren
die Befunde nicht verwertbar, 7mal ergaben sich normale Bilder, in 7 Fällen
wurde die Kraniographie überhaupt nicht durchgeführt. Burns findet die Zahl
der Versager (61%) viel zu groß und sieht darin den Ausdruck einer mangelhaften
Fühlungnahme zwischen Neurologen und Röntgenologen. Er teilte gleichzeitig
die Meinung einer Reihe bekannter Autoren über den Wert des Schädelskia-
gramms für die Tumordiagnose mit. Im wesentlichen kam es dabei auf die Fest-
stellungen hinaus, die Heuer und Dandy bereite im Jahre 1916 gemacht haben
(Bull. Hopkins Hosp. 26, 311 [1916]).
Auf der Pariser Tagung gab Béclère einen recht guten Überblick über die
einfache Kraniographie, in Bern erstattete Schüller ein umfassendes Referat.
Im nachfolgenden sollen die Berichte beider Autoren unter Einfügung von Einzel-
heiten, die aus anderen Mitteilungen stammen, miteinander verschmolzen werden.
Die Aufschlüsse, die die Radiographie ohne Zuhilfenahme von Kontrast-
mitteln in Fällen von intrakraniellen Neubildungen zu bringen vermag, betreffen
einerseits die Schädelveränderungen, die durch die allgemeine Druckerhöhung
zustandekommen, andererseits die lokalisierten Veränderungen, die dem Sitz
eines Tumors entsprechen.
A. Unter der ersten Gruppe, den durch die Hypertension bedingten Ano-
malien sind anzuführen:
1. Usuren der Tabula interna, die generalisiert flächenhaft oder umschrieben
in Form vertiefter Impressiones digitatae auftreten können.
2. Lockerung und Klaffen der Nähte.
3. multiple, rundliche, scharfrandige Lücken, über der Schädelbasis ver-
streut, die kleinen Hirnhernien entsprechen.
4. Veränderungen bestimmter Art in der Sella turcica.
5. Eindrücke der Pacchionischen Granulationen und Sinus.
6. Erweiterungen der Venenkanäle in der Diploe und der Emissarien.
7. Erweiterung der normalen Öffnungen an der Schädelbasis.
B. Die zweite Gruppe umfaßt die radiographischen Lokalzeichen eines
Tumors:
1. Umschriebene Usuren und Verdickung des Schädels. Hier sind vor allem
die Untersuchungen von Sosman und Putnam zu erwähnen, die die lokalen
Veränderungen des Schädels bei Meningiomen an 105 Fällen der Cushing-Klinik
studierten. Sie fanden in ungefähr der Hälfte der Fälle Veränderungen in den
über der Geschwulst liegenden Knochen und zwar Erosionen des Knochens mit
erhöhtem Gefäßreichtum, osteomartige Umwandlungen, stalaktitartige Bil-
14*
190 Eduard Gamper
dungen, diffuse Verdickungen des Knochens und Erweiterungen der Kanäle für
die Meningealgefäße. Bisweilen ließen sich auch Kalkablagerungen in der Ge-
schwulst selbst nachweisen. Bei subkortikal vordringenden Meningiomen, wie
sie z. B. von der Falx oerebri ausgehen, werden radiologisch nachweisbare
Knochenveränderungen meist vermißt.
Vincent gab auf der Pariser Tagung eine eingehende Darstellung der
radiographischen Veränderungen bei Meningiomen der Frontalregion (der Kon-
vexität, der Riechgrube, des Keilbeinflügels und der Fossa Sylvii). Einfache
Usuren ohne Ansätze zu Knochenneubildung wurden von Cairns bei ver-
schiedenartigen Tumoren (Meningiom, Cholesteatom, Gliom) gelegentlich beob-
achtet.
2. Umschriebene Erweiterungen der Pacchionischen Gruben und der
Venenkanäle. Dieser zuerst von Schüller erwähnte Befund fand eine bemerkens-
werte Ergänzung durch die Feststellung von Ch. Elsberg und Ch. Schwarz,
daß bei Gliomen oder metastatischen Tumoren nie eine auf die Tumorseite be-
schränkte Erweiterung der Diploevenen zu finden sei. Der Nachweis lokal um-
schriebener Erweiterungen der Venenkanäle bei bestehenden Tumorsymptomen
zeigt nach diesen Autoren mit großer Wahrscheinlichkeit ein „Endotheliom“ an.
3. „Pneumatokele“, d. i. umschriebene Ausweitungen der pneumatischen
Räume in der Nachbarschaft von Tumoren (Schüller).
4. Veränderungen am Felsenbein. Für die radiographische Darstellung
des Felsenbeins wurde von Sten vers, von Mayer und Lysholm eine eigene
Technik angegeben. Eine zusammenfassende Darstellung der bei Kleinhirn-
brückenwinkeltumoren anzutreffenden radiologischen Befunde brachten Guil-
lain, Alajouanine und Girot und weiterhin Schüller.
5. Erweiterung des Foramen opticum. Über dieses bei Gliomen des
N. opticus und des Chiasmas anzutreffende Lokalzeichen bringen die Unter-
suchungen von Goalwin Aufschluß.
6. Veränderungen an der Sella turcica. Bei der Beurteilung der eine
gute Technik voraussetzenden Skiagramme muß neben dem Alter und der Statur
des Kranken vor allem der großen Spielweite individueller Varianten Rechnung
getragen werden. Béclère unterscheidet 3 Haupttypen: die in 60% anzutreffende
ovale Sellaform, die runde und die abgeplattete Form. Der antero-posteriore
Durchmesser variiert von 7—14 mm, die Tiefe zwischen 5—11 mm. In mehr
als 5% der Fälle erscheint die Sella infolge der Verkalkung der die vorderen und
hinteren Apophysen verbindenden Bänder überbrückt, ohne daß dieser Erschei-
nung eine medizinische Bedeutung zukäme.
Die pathologischen Veränderungen an der Sella sind diagnostisch von
größtem Werte, ihre Deutung jedoch schwierig. Die Erfahrungen haben gelehrt,
daß Destruktionen an der Sella keineswegs immer Erkrankungen der Hypophyse
anzeigen, sondern auch durch andere Ursachen zustandekommen können. Mit
dieser Tatsache beschäftigen sich eine Reihe von Mitteilungen, unter welchen
Béclère besonders die Arbeiten von John Camp aus der Mayo-Klinik her-
vorhebt.
Für intrasellare Tumoren ist am Beginne ihrer Entwicklung charakteristisch
die gleichmäßig kreisrunde Erweiterung, die Verschmälerung des Dorsum sellae,
das abgestumpfte Aussehen der Proc. clinoid., die Verschmälerung und Dehnung
des Sellabodens. Die Verknüpfung dieser Zeichen mit den Symptomen einer
Die intrakraniellen Neubildungen 191
Chiasmakompression ohne Anzeichen eines erhöhten intrakraniellen Druckes ist
pathognomisch für einen in der Sella inkarzerierten Tumor. Findet man im Rönt-
genbild überdies noch akromegale Veränderungen des Schädels, so ist die Dia-
gnose eines eosinophilen Adenoms sicher.
Die Veränderungen der Sella bei extrasellären Tumoren sind im allgemeinen
recht verschieden. Sie gehen parallel der Erhöhung des intrakraniellen Druckes
und bestehen im wesentlichen in einer Verbreiterung und Abplattung der Sella,
verbunden mit einer Atrophie des Dorsum und der Proc. clinoid. bis zum völligen
Verschwinden. Die Unterscheidung zwischen intra- und extrasellarem Tumor
ist auf Grund des Röntgenbildes keineswegs immer möglich, da es zwischen den
beiden extremen Formen Übergänge gibt und beim Vordringen eines intrasellaren
Tumors gegen das Cavum cranii sich das anfänglich charakteristische Skiagramm
ändert und dem des extrasellaren Tumors nähert.
Über den Sitz einer extrasellaren Geschwulst, die mit Veränderungen an der
Sella einhergeht, gibt das Röntgenbild im allgemeinen keinen Aufschluß. Eine
Ausnahme bilden hier die Tumoren der Rathkeschen Tasche (Hypophysen-
gangtumoren), die sich durch eigenartige Verkalkungsflecke und -schatten ober-
halb der Sella verraten. Die Erwähnung dieses Befundes führt uns bereite zur
Erörterung des Lokalzeichens der
7. Kalkeinlagerungen. Bei den Tumoren der Rathkeschen Tasche
bringt der charakteristische Röntgenbefund die Entscheidung über Sitz und Art
des Tumors. McKenzie und Sosmann fanden bei 35 Tumoren dieser Art die
pathognomen Kalkherde in 25 Fällen. Eine vorzügliche Schilderung dieser Ge-
schwülste gab neuerdings McLean aus der Försterschen Klinik.
Gelegentlich kommt es aber auch in anderen Hirngeschwülsten zu Kalk-
einlagerungen, die eine sichere Ortsdiagnose im Röntgenbild ermöglichen.
Van Dessel fand am Gliommaterial der Cushing-Klinik in 10%, der Fälle Kalk-
einlagerungen, wobei vornehmlich die zystischen Gliome die Neigung zu Wand-
verkalkungen zeigen. Besonders schön darzustellen sind die Einlagerungen in
den sogenannten, nunmehr den Meningiomen zugerechneten Psammomen (Sou-
ques) und bisweilen verrät sich ein Angioma racemosum, ein Tumor des Plexus
chorioid., ein Teratom, ein Parasit durch einen oder mehrere Kalkherde im
Röntgenbild.
Endlich vermag das einfache Röntgenbild Kalkablagerungen aufzuzeigen,
die — an sich bedeutungslos — wertvolle Anhaltspunkte für die Feststellung
pathologischer Verschiebungen im Schädelraum durch Tumordruck zu geben
vermögen. Eine die jüngere Literatur und eigene Beobachtungen zusammen-
fassende Darstellung der hierhergehörenden Befunde gibt Löw-Beer in seiner
Arbeit „Intrakranielle Verkalkungen im Röntgenbilde“. In Betracht kommen
dabei
a) die konkrementartigen Abscheidungen in der Glandula pinealis.
Schüller, der als erster auf die diagnostisch-therapeutische Bedeutung einer
Verschiebung der Gl. pinealis aufmerksam machte, gibt an, daß dieses Gebilde
normalerweise 4%, cm dorsal von der deutschen Horizontalen und 1 em hinter
der Frontalebene durch den äußeren Gehörgang in der Mittellinie des Schädels
liegt.
Eine zweite Methode der Ortsbestimmung stammt von H. Bronner: Man
zieht vom Orbitaldach zum Okziput eine dem Planum sphenoidale parallele
192 Eduard Gamper
Linie, auf der am hinteren Rand des Warzenfortsatzes die Senkrechte errichtet
wird: der Schnittpunkt entspricht der Lage der Gl. pinealis.
Eine eingehende Studie über die Verwertbarkeit des Pinealschattens in der
Tumordiagnostik verdanken wir Vastine und Kinney. Sie stellten an rund
600 Schädelskiagrammen fest, daß die Gl. pinealis zwischen dem 18. und 20. Jahr
in 80% Kalkeinlagerungen aufweist, ohne wesentlichen Unterschied zwischen den
beiden Geschlechtern. Die Autoren arbeiteten ferner eine feine Megmethode zur
Bestimmung der vertikalen und antero-posterioren Verlagerung der Gl. pinealis
aus und studierten in Zusammenarbeit mit Sosmann die Verschiebungen der
Zirbeldrüse bei Hirntumoren der Cushing-Klinik. Unter 268 Fällen war das Ge-
bilde in 60% durch Kalkeinlagerungen sichtbar, eine Verlagerung bestand in
67% der Meningiome, in 51%, der Gliome, bei 22%, der Tumoren des N. acustic.,
in 10% der Hypophysenadenome.
b) Plexus chorioideus. Die Kalkablagerungen im Glomus chorioid., am
Übergang zum Unterhorn, präsentiert sich im Röntgenbild als maulbeerartiger
oder traubiger Schatten. Sie stehen an Häufigkeit den Konkrementen in der
Gl. pinealis weit nach, sind meist symmetrisch, doppelseitig, können aber auch
einseitig vorkommen. Topographisch liegen die Schatten in ungefähr der gleichen
Höhe wie die Zirbeldrüse, doch einige Millimeter dorsalwärts. Auf der antero-
posterioren Aufnahme liegen sie paramedian, gleichweit vom Schatten der
Zirbeldrüse entfernt.
o) Falx oerebri. Die Verkalkungen der Falx machen sich als spindel- oder
strichförmige Schatten auf dem Röntgenbild bemerkbar und haben, wie Schüller
betont, keine pathologische Bedeutung. Wohl aber läßt sich an ihnen eine Ver-
drängung der Falx aus der Mittellinie ablesen. Beachtenswert ist ein Hinweis
von Löw-Beer, der in drei Fällen eine Abplattung bzw. Eindellung einer Falx-
verkalkung auf der Tumorseite sah, so daß ein halbspindelförmiger Schatten
zustande kam.
Der kurze Überblick lehrt, daß die für den Kranken völlig harmlose Röntgen-
aufnahme des Schädels in der Diagnostik der intrakraniellen Tumoren Aus-
gezeichnetes zu leisten vermag und in bestimmten Fällen nicht nur das Vorhanden-
sein eines Tumors anzeigt, sondern auch über den Sitz und über die Natur des
Tumors Aufschluß bringt. Cairns errechnet, daß die einfache Radiographie an der
Klinik Cushing im Jahre 1926/27 in 35%, der verifizierten Tumoren das Vorhanden-
sein eines Tumors bzw. seinen Sitz und seine Natur sicherstellte und er bringt
belehrende Beispiele für die Bedeutung, die der einfache Röntgenbefund für das
therapeutische Handeln gewinnen kann.
Die besonders für den Anfänger nicht leichte Deutung der Skiagramme wird
wesentlich erleichtert durch den Vergleich mit guten Bildern der normalen
Schädelformen. Diesen Behelf bieten in vorzüglicher Form das „Lehrbuch der
Röntgendiagnostik von Schinz, Bänsch und Friedl, der „Atlas de radio-
graphie du système osseux normal‘ von Haret, Dariaux und Jean Qu6nu,
die „Anatomie radiographique du squelette normal“ von Belot und Lepen-
netier, wie insbesondere das prächtige Photogrammwerk von Goldhammer
„Normale Anatomie des Kopfes im Röntgenbild“.
(Fortsetzung folgt.)
Die intrakraniellen Neubildungen 193
Literatur.
Béclère, Le radiodiagnostio et la radiothérapie des tumeurs de l'encéphale.
Revue neur. 1928, Nr. 6. — Belot-Lepennetier, Anatomie radiographique du
squelette normal. Paris 1929. — Bronner, Die Verkalkung des Corpus pineale im
Röntgenbild. Fortschr. Röntgenstr. 85, 272. — Burns, Relative value of diagnostio
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Cairns, A study of intracranial surgery. London 1929. — Camp, J., The normal
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Amer. J. Roentgenol. 1924. S. 143. — van Dessel, L'incidenoe et le prooessus de
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b) The clinical value of optio canal roentgenogramms. Arch. of Ophthalm. 55, 1 (1926).
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Leipzig 1930. — Guillain-Alajouanine-Girot, Contribution à l’ötude des sym-
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McKenzie and Sosman, The roentgenological diagnosis of craniopharyngeal
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(1928). — Mayer, Zur Röntgenuntersuchung der Schädelbasis bei basalen Tumoren.
Fortschr. Röntgenstr. 1926, S. 187. — Schinz-Baensch-Friedl, Lehrbuch der
Röntgendiagnostik. Leipzig 1928. — Schüller, a) in Schittenhelm, Lehrbuch
der Röntgendiagnostik, 1924; b) Röntgendiagnostik der Erkrankungen des Gehör-
organs. Handbuch d. Neurol. des Ohres von Alexander -Marburg 1/2; o) Über
eine eigenartige Anomalie (., Pneumocele“) des Sphenoids bei Tumoren der Hirn-
basis. Mschr. Ohrenheilk. 64, 924 (1930); d) Kurze Darstellung der Röntgendiagnostik
kraniozerebraler Affektionen. Röntgenprax. 2, 265 (1930); e) Referat am internat.
Neurologenkongreß, Bern 1931. — Souques, Diagnostic du siège et de la nature
d'une variété de tumeurs cérébrales (psammomes ou saroomes angiolithiques) par la
radiographie. Rev. neur. 1921, S. 984. — Sten vers, a) Roentgenography of the os
pet rosum. Acta oto-laryng. (Stockh.) 8 (1922); b) Vortrag am internat. Neurologen-
kongreß, Bern 1931. — Sosman and Putnam, Roentgenological aspects of brain
tumors-meningiomes. Amer. J. Roentgenol. 18 (1925). — Vastine and Kinney,
The pineal shadow as a aid in the localisation of brain tumors. Amer. J. Roentgenol.
17, 320. — Vincent, Diagnostic des tumeurs oomprimant le lobe frontal. Rev. neur.
1928, S. 801.
Fortschritte der Psychotherapie
von Arthur Kronfeld in Berlin.
Das Jahr 1932 brachte eine Anzahl von psychotherapeutischen Veröffent-
lichungen hervor, die als Lehrwerke einen gewissen systematischen und ver-
fahrensmäßigen Abschluß derjenigen Richtung bedeuten, der sie entstammen.
In ihnen spiegelt sich der gegenwärtige Stand und Gehalt — nicht nur ihrer
speziellen Schule, sondern der Psychotherapie überhaupt. Natürlich ist aber
dieser Spiegel immer ein solcher von bestimmter Brennweite, nämlich der-
jenigen des jeweils leitenden besonderen Gesichtspunktes. Noch weniger als
sonst in der Medizin ist ja gerade auf psychotherapeutischem Gebiete eine
Gleichförmigkeit der übergreifenden Arbeitsmaximen erreicht; und es muß
immer erneut betont werden, daß daraus kein Einwand gegen den wissen-
schaftlichen Charakter der Psychotherapie herzuleiten ist, sondern im Gegen-
teil die Feststellung einer geistigen Bewegtheit, die gerade diesem Gebiete eine
gewisse Zukunftsbedeutung für ärztliches Forschen und Handeln überhaupt gibt.
J. H. Schultz hat seine seit 1909 unternommenen bekannten Einzel-
forschungen über das von ihm aufgebaute und ausgestaltete „autogene Trai-
ning“ nunmehr in einem großen, systematisch gegliederten Lehrbuch zusam-
mengestellt: „Das autogene Training (konzentrative Selbstentspannung).
Versuch einer kritisch- praktischen Darstellung“ (Georg Thieme, Leipzig 1932).
Dies Buch bringt eine Fülle von wertvollen und eigenständigen Gedanken, For-
schungsergebnissen, klinisch- praktischen Erfahrungen und verfahrensmäßigen
Anleitungen; und so ist es kaum möglich, seinen Inhaltsreichtum auch nur
anzudeuten. Was in grundsätzlicher Hinsicht bemerkenswert erscheint, ist
der Umstand, daß das Buch ein Anzeichen bildet für den gegenwärtigen Wandel
weitgreifender psychotherapeutischer Einstellungen: Aus dem bloßen Beharren
in einer nichts-als- analytischen Haltung drängt vieles zu einer Aktivität zurück;
aber nicht zu der früheren und durch die Analyse überwundenen, sondern zu
einer solchen, die durch die analytischen Erkenntnisse geläutert worden ist.
Diese Situation gelangt in dem Werke von Schultz zu besonders eindring-
licher Gestaltung. Die Errungenschaften der hypnotischen Ära werden wieder
aufgenommen — nun aber nicht mehr als imperatorischer Gestus der Fremd-
hypnose und ihrer „Magie“, die allzu oft nicht wußte, was sie psychologisch
tat —, sondern unter Wahrung der persönlichen Autonomie des Behandelten,
durch bestimmte Ubungen (,, physiologisch-rationale Ubungen“, Schultz),
in denen eine „Umschaltung“ der Vp. durch diese selbst herbeigeführt
wird. Das Gelingen dieser Umschaltung ermöglicht alle Leistungen psychischer
und psychophysischer Art, die den echten suggestiven Zuständen eigentümlich
sind. Die Umschaltung selber beruht auf dem nur scheinbaren Paradox einer
„selbsttätigen Passivierung“ — nämlich darauf, daß die Vp. es übt und lernt,
Arthur Kronfeld, Fortschritte der Psychotherapie 195
der Eigenneigung zur Passivität nachzugeben, in das Abgleiten einzuwilligen.
Diese konzentrative Selbstentepannung läßt der Vp. im Grunde noch hin-
längliche Selbstverfügung. In geeigneter Körperhaltung, unter Ausschaltung
von Außenreizen, kann sie zu Bewußtseinseinengungen hinführen, in denen
„reflektorische Uberwältigungen“, Automatismen und Umstellungen des Innen-
lebens auftreten, die therapeutisch fruchtbar sind. Es handelt sich aber nicht
um einen an Neurosen gebundenen Vorgang, sondern um ein normales Phä-
nomen, das der gesunden Einschlaf- Umschaltung nahesteht und daher bei jedem
Gesunden erzielbar ist.
Der Gang des Übungsverfahrens ist etwa folgender: Geeignete ruhige Um-
gebung und Haltung — Augenschluß — innere Vergegenwärtigung völliger
Ruhe — innere Vergegenwärtigung von „Schwere“ in einem Arm — „Abstellen“.
Dies wird dreimal täglich ganz kurzdauernd geübt. Innerhalb von 8-10 Tagen
tritt zunehmende ‚Generalisierung‘‘ ein: Das Schwereerlebnis breitet sich auch
auf den anderen Arm, auf alle Glieder, auf den gesamten Muskelapparat aus.
Erst dann wird hinzugenommen das Wärmeerlebnis in dem „schweren“ Arm.
Nach weiteren 2 Ubungswochen ist dasselbe ebenfalls ausgebreitet und „gene-
ralisiert“. Dann wird das Erlebnis des „ganz ruhigen“ Herzens eingeübt.
Nach weiteren 8 Übungstagen wird die Atemruhe hinzugenommen. Dann folgt
eine einwöchige Einübung der Wärmekonzentration im Abdomen. Ist auch
dieser Schritt gelungen, so folgt abschließend die Übung: „Die Stirn ist kühl.“
In jedem einzelnen Übungsvorgang ist der gesamte Aufbau genau darzustellen
und am Schluß durch energische aktive Armbewegungen, Tiefatmung und
Augenöffnen wieder rückgängig zu machen. Von der 4.—6. Woche störungs-
freien Übungsverlaufes an können die einzelnen Übungen zeitlich etwas aus-
gedehnt werden, auf 5 Minuten bis ½ Stunde. Erst nach mehr als dreimonat-
lichem ununterbrochenem Üben sind langdauernde Versenkungen zulässig.
Schultz, in dessen Buch die eingehendere Darstellung des Verfahrens
nachgelesen werden muß, gibt an Protokollen eine Beschreibung der auf diesem
Wege erreichbaren Leistungen. Er unterscheidet hierbei eine flachere „Unter-
stufe“ normaler Vp. und eine tiefergehende „Oberstufe“. In der ersteren gelingt
die affektive Selbstruhigstellung, Hypalgesierung und vor allem „formelhafte
Vorsatzbildung‘‘ im Sinne der Autosuggestion. Auch findet sich bereits eine
versinnlichte Schau, eine Selbstschau irrational-bildhafter Art. Dies alles
ist naturgemäß therapeutisch gut auswertbar, insbesondere bei sog. Organ-
neurosen und nervös-vegetativen Dysfunktionszuständen aller Art sowie bei
sonstigen monosymptomatischen funktionellen Alterationen. — In der „Ober-
stufe“ wird, von Farbenerlebnissen innerer Art ausgehend, die symbolisch-
bildliche Erlebensweise abstrakter Gedanken und eigener Gefühlszustände
erreicht. Die unbewußte Produktivität wird enthemmt; und sie vermag thera-
peutisch zu „Klärungserlebnissen“ und zu Selbstlösung aus inneren Konflikten
zu dienen, vor allem bei den Psychoneurosen im engeren Sinne.
Am instruktivsten an den Einzeluntersuchungen von Schultz sind die
experimentell-physiologischen Kontrollen, die er gemeinsam mit H. Bins-
wanger unternommen hat. Sie scheinen mir in der Tat hinreichend zu be-
weisen, daß es die Vp. zunehmend in die Hand bekommt, sonst autonome
Organfunktionen nunmehr selbsttätig und übungsmäßig umzuregulieren. Um
einige Beispiele zu geben: Bei „Umschaltung“ auf das Wärmeerlebnis nahm
196 Arthur Kronfeld
regelmäßig die objektive physikalische Wärmestrahlung in dem „gemeinten“
Körpergliede zu; bei derjenigen auf das Kühleerlebnis der Stirn nahm sie ab —
in einem Falle sogar um 2° binnen 10 Minuten. Die Messungen der motorischen
Chronaxie ergeben mit zunehmender Entspannung eine Verkürzung der Reizzeit,
die Schultz als erhöhte Bereitschaft zur Katalepsie deutet. Es wäre zu
wünschen, daß Schultz seinen Verdiensten um die Entwicklung dieser peycho-
therapeutischen Methode, deren Beziehungen zur Suggestion, zur Yogapraxis,
zur Psychoanalyse, zur Entspannungsgymnastik er treffend darstellt, das
weitere Verdienst hinzufügte, diese experimentellen Kontrollen in größerem
Rahmen auszubauen. Nicht die Psychotherapie allein, sondern die gesamte
Lehre von den psychophysischen Funktionszusammenhängen — besonders im
Gebiete der muskulären und vegetativ-autonomen Vorgänge — die „Myopsyche“
Storchs und die Tiefenperson Kraus’ erscheinen hier in neuer Beleuchtung.
Auch die psychoanalytische Schule legt zwei große Lehrwerke vor, die ihre
Auffassungen im Neurosengebiete umfassend und systematisch darstellen.
Es sind dies Nunberg: „Allgemeine Neurosenlehre“ — und Otto Fenichel:
„Psychoanalytische spezielle Neurosenlehre‘ (Band 1: Hysterien und Zwangs-
neurosen, Bd. 2: Perversionen, Psychosen, Charakterstörungen) — beide im
Internat. psychoanalyt. Verlag, Wien. Zum ersten Male wird in diesen beiden
Werken die psychoanalytische Neurosenlehre, das Kerngebiet und wissenschaft-
liche Herzstück aller Psychoanalyse, nicht durch Freud selber zusammen-
gefaßt, sondern wie ein in fester Tradition verankertes und überlieferbares
wissenschaftliches Gut „objektiv“ mitgeteilt und gelehrt. Waren Freuds
eigene Publikationen, auch wo sie didaktisch gemeint waren, doch immer mit
dem Reiz seines Erfindergeistes und seiner persönlichen Blickweise behaftet,
mit den Stigmen des Frischen und noch keineswegs Fraglosen, so liegen die
Dinge bei den Büchern von Nunberg und Fenichel anders. Sie muten an
wie Lehrbücher eines alteingewurzelten Fachgebiets — und das ist ihre Absicht.
Sie bringen die erste Gewähr dafür, daß sich die Freudsche Lehre auch ohne
Freud denken läßt, ohne zu entarten. Besonders das Werk Nunbergs scheint
in dieser Hinsicht bis zur Endgültigkeit gelungen. Was er — mit Behutsam-
keit und Selbstzucht, andererseits mit ruhiger Geradheit — inhaltlich bringt,
geht zwar eigentlich nirgends über das Grundsätzliche und heute allgemein
in der Neurosenforschung Anerkannte hinaus; aber es bringt eben diese all-
gemeinen Gesichtspunkte mit einer bisher noch nicht, auch von Freud selber
nicht erreichten abgeschlossenen systematischen Ordnung und Genauigkeit.
So spiegelt es den festen Bestand dessen wieder, was die Neurosenlehre und die
Psychotherapie an führenden und fundierenden Gedanken der psychoanaly-
tischen Forschungsarbeit entnommen hat und wohl immerdar entnehmen wird,
selbst wenn die Formen und Formeln sich ändern. Dadurch ist Nunbergs
Buch, gerade weil es frei ist von den persönlichkeitsbedingten Eigenarten des
Freudschen Denkstils, in seiner nüchternen genauen Systematik und Be-
gründung das berufene Elementarbuch, mit dem sich die Psychotherapeuten
aller Richtungen verständigen müssen — Elementarbuch auch da, wo diese
Verständigung zur Auseinandersetzung wird und zur Überwindung werden
sollte. Es verhält sich gleichsam wie ein auf Newtonschem Boden stehendes
Lehrbuch der Physik zu den forschenden Physikern, die über die Grundlagen
desselben nach verschiedenen Richtungen hinauszielen.
Fortschritte der Psychotherapie 197
Nicht ganz die gleiche Endgültigkeit erreicht das Werk Fenichels, das
die mit Spannung erwartete systematische Darstellung der speziellen Neurosen-
lehre der Psychoanalyse gibt. Daß diese Darstellung nicht in gleichem Maße
wie diejenige Nunbergs fraglos hingenommen werden kann, liegt wohl in
erster Linie an der außerordentlichen Schwierigkeit, die das spezielle Thema
des Buches in sich trägt. So sehen die einzelnen klinischen Spielformen hin-
sichtlich ihrer Zusammengehörigkeit und Abgrenzung völlig anders aus, wenn
sie unter peychoanalytischen Gesichtspunkten geordnet werden, und wenn
sie unter den üblichen klinischen Gesichtspunkten der Symptomenbilder,
psychophysischen Struktur und Verlaufseigenart abgegrenzt werden. Wenn
man selbst ohne jeglichen Vorbehalt dem Gedanken zustimmt, daß die psycho-
analytische Betrachtung eine übergreifend-pathogenetische sei und daher als
Einteilungsgesichtspunkt vorzugswürdig, so muten doch die auf ihr basierenden
Abgrenzungen nicht selten in deskriptiver Hinsicht künstlich, klinisch wenig
brauchbar und konstruiert an — z. B. die Sonderstellung der „Angsthysterie“.
Dazu kommt die unter allen klinischen Gesichtspunkten —, wenngleich vielleicht
nicht unter pathopsychologischen — fast sinnwidrige Einbeziehung der Schizo-
phrenie und der psychopathischen bzw. antisozialen Konstitutionen in die
„speziellen Neurosen“. Und weiterhin die völlig andere deskriptive Bedeutung,
welche etwa den Perversionen für manifest- perverse Zustandsbilder des sexuellen
Erlebens und Verhaltens zukommt, und welche ihnen konstruktiv als dyna-
mischen Fundierungen etwa schizophrener oder psychopathischer Züge zu-
kommt. Diese Bedeutungsverschiedenheit wird bei Fenichel wie bei Freud
selber bewußt verwischt — nicht zum Vorteil der klinischen Eindeutigkeit.
In allen diesen Schwierigkeiten, die zu einer Auseinandersetzung zwischen
deskriptiv-klinischer und psychoanalytischer Betrachtung, und zu einer Zu-
sammenordnung beider, dem eigentlichen Aufgabenkreise zukünftiger Neurosen-
forschung, hätten auffordern müssen, behilft sich Fenichel recht einfach,
nämlich mit dem Freudschen Schema. Er diskutiert überhaupt nicht;
er würdigt nicht einmal die außerhalb des Freud-Kreises vorhandene For-
schung eines Blickes. Er hat seinen Standpunkt: Für ihn existiert nur
Freud. So wird seine große Arbeit zu einer alexandrinischen, dürren Wieder-
holung von Lehren, die als jeder Diskussion entzogen überliefert werden, ohne
es doch zu sein; keine Frage wird gelöst oder auch nur gefördert, es seien denn
Quisquilien innerhalb der psychoanalytischen Auffassungen selber. Und es
ist kein Wunder, daß der unvoreingenommene Leser den geistigen Hochmut,
der in dieser Haltung liegt, als außerhalb eines Einklangs mit den Ergebnissen
der Leistung empfindet. Andererseits ist gerade durch diese selbstgewählte
Beschränktheit der forschenden Haltung das Werk ein besonders getreuer
Spiegel seiner Schule. Es ist ein vorzügliches Repertorium dessen, was in der
speziellen Neurosenlehre überhaupt je und irgendwo von psychoanalytischer
Seite gesagt worden ist. Es ersetzt sozusagen einen psychoanalytischen Zettel-
kasten.
Im Gegensatz zu den eng gebundenen, von Schultradition geformten Lehr-
werken der Psychoanalyse stehen einige andere Lehrbücher, die zwar von den
grundlegenden Einsichten der Freudschen Lehre befruchtet worden sind,
aber ihren Ursprung in freier ärztlicher Forschung und Erfahrung haben. Ein
ärztlich besonders brauchbares Werk dieser Art lieferte Curt Boenheim:
198 Arthur Kronfeld
„Kinderpeychotherapie in der Praxis“ (Verlag Springer, Berlin). Hier finden
sich nicht sowohl allgemeine Theorien und Konstruktionen, als vielmehr reichste
klinisch-diagnostische Schilderung und spezielle verfahrensmäßige Hinweise,
die aus der eigenen therapeutischen Erfahrung stammen. Die psychothera-
peutische Situation gegenüber einem nervösen oder schwererziehbaren Kinde
ist ja eine andere als gegenüber einem neurotischen Erwachsenen, insofern, als
die therapeutischen Gesichtspunkte der Milieugestaltung, Erziehung bzw.
Heilerziehung und Gewöhnung von völlig anderem Gewicht sind. Was Boen-
heim über die kindliche Appetitlosigkeit, den Pavor, die Enuresis, den Tio
und noch viele andere klinische Themen sagt, ist für den Allgemeinpraktiker
und Kinderarzt unmittelbar von Nutzen und stärkt unser ärztliches Hand-
werkszeug. Darüber hinaus tut dieses Buch wieder einmal die enge Verbindung
dar, in welcher die Psychotherapie mit der Gesamtmedizin steht und stehen
soll — unbeschadet ihres besonderen gedanklichen Eigenguts.
In G. R. Heyers neuem Werke: „Der Organismus der Seele“ (J. F. Leh-
mann’s Verlag, München) vollzieht der Autor forschend eine solche Verbindung
zwischen der Klinik der Neurosen und ihrer psychophysischen Substruktion
einerseits und jenem gedanklichen Gute der Psychotherapie, das über die
übliche klinische Blickweise hinaus in ein Reich eigener Setzungen und Ahnungen
führt, welche die Struktur der geistig-seelischen Person und deren Grundlagen
betreffen. Es ist eine Art von spekulativer Philosophie des romantischen Irra-
tionalismus, die sich hier kundgibt, eine fundamentale Ontologie oder mensch-
liche Lebenslehre, aufs stärkste beeinflußt von den gleichlaufenden Bestre-
bungen C. G. Jungs, aber doch eigenständig. „Person“, individuelles Be-
wußtsein, ist, wie bei Jung, nur eine aus innerer Lebensgeschichte und Dynamik
gewobene Maske; erst dahinter beginnt der „eigentliche“ seelenhafte Mensch
mit seinem irrational-schöpferischen Eigenleben. Man zerstöre die Bewußt-
seinshemmung, jene denkerisch und willentlich zweckgerichtete Ratio der
„Person“, jenes Mittel der Auseinandersetzung mit der Welt und ihrem Treiben:
Dann taucht in der Versenkung jenes Eigentliche hervor und spricht seine
eigene Sprache. So weit geht Heyer mit dem „Königsweg“ der Psychoanalyse
mit. Aber eben die Sprache, die das Unbewußte spricht, ist ihm nicht bloß eine
Sexualsprache, ein Wirbel individueller Triebe verschiedener Libidostufen.
Sie ruht tief im Fundament des Gattungshaften oder des menschlichen Seins
schlechthin; ihre Äußerungsweise ist diejenige des Symbols, und ihre sprach-
lichen Kategorien sind diejenigen des Seins-als-Mensch überhaupt: die Ur-
bilder. Hatte Jung diese Urbilder noch ausschließlich an den inneren Ana-
logien jeglicher ethnopsychischer Symbolik erfassen zu können vermeint, so
tut Heyer forschend einen weiteren Schritt: Er läßt, wie schon Paneth, seine
Analysanden malen und zeichnen. Da entwickelt sich aus dem zeichenräum-
lichen Oben und Unten, Rechts und Links nun in der Tat eine tiefsinnige, in
ihrer Typik und Deutbarkeit, ja in ihrer Bedeutungsfülle und -schwere zunächst
fast bezwingende, wie eine innere Gesetzmäßigkeit empfundene Symbolik — und
sie scheint tatsächlich einen neuen Zugang zum „F Organismus der Seele“ zu
eröffnen. Erst allmählich, bei kritischer Besinnung, wird man inne, wie sehr
doch all diese Kunst des Verstehens und Deutens an die besondere Feinfühlig-
keit und Erlebensform der Persönlichkeit Heyers selber gebunden ist. Und
man wird schwankend, ob man diese Dinge nicht lediglich mit Heyers Augen
Fortschritte der Psychotherapie 199
zu sehen lernt oder ob er einem wirklich die eigenen Augen für vorher ver-
borgene Tatbestände geöffnet hat. Hierin soll kein Zweifel an dem Werte
seiner Blickweise liegen; vielmehr soll gerade deshalb die Auseinandersetzung
mit diesem hervorragenden Werke jedem psychotherapeutisch Interessierten
empfohlen sein. Es darf auch nicht wundernehmen, daß der Weg ins Irrationale,
den Heyer geht, allmählich und unmerklich von den gewohnten Wegmarken
der Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit fortführt zu direktem Erleben und
Nacherleben des nur symbolisch Formulierbaren; das liegt im Wesen des irra-
tionalen Forschungsgegenstandes. Heyer selbst wird es verstehen, wenn gerade
den Wissenschaftler und Rationalisten auf diesem Wege bisweilen ein leises
Gefühl der Bodenlosigkeit anwandelt, wie Faust im Reiche der Mütter. Sein
Buch ist ein bewußtes Wagnis. Als solches überwindet es nicht nur den Sexua-
lismus und Positivismus der Psychoanalyse im konstatierenden Teile der
Forschung; es überwindet ihn auch — und darin liegt ein weiterer Vorzug —
in der Eigenart der therapeutischen Haltung. Sie ist bei Heyer im Gegen-
satz zu dem relativistischen sozialen Quietismus der Psychoanalyse — eine
ausgesprochen ethisch- religiöse. Der Therapeut erweckt wieder, wenn auch
nicht aktiv, sondern deutend, das Verantwortungserleben seines Kranken vor
unausrottbar herrschenden normativen inneren Instanzen alles Menschseins.
Darin sehe ich Heyers größtes Verdienst, daß er in seinem Werke sich dieser
Instanzen ständig bewußt ist — trotz aller Analytik. Auf diese Weise geht
der Sinn für Werte, für menschliches Niveau und menschliche Ziele inneren
Lebens nicht unter in einem Brei sozialer Unauffälligkeit oder relativer Trieb-
befriedigungen.
In vollem Gegensatz zu diesen — in einem edlen und heute schon verlore-
nen Sinne individualistischen — Forschungen steht ein extrem rationalistisches,
eigenartiges kleines Werk, in dem sich gewissermaßen die radikale Linke
der Psychotherapie dokumentiert. Es stammt aus dem Kreise der Adlerschen
Individualpsychologie, und zwar aus einem Kreise, der ihr eben in diesem
Werke abtrünnig wird. Es heißt: „Krise der Psychologie — Psychologie der
Krise‘ (Selbstverlag der Fachgruppe für dialektisch-materialische Psychologie,
Berlin). Die Verfasser bilden ein Kollektiv — und zwar ein Kollektiv derer,
welche die Lehre Alfred Adlers gemäß dem marxistischen Theorem umbilden
wollen. Die zunehmende forschende Sterilität des um Adler gescharten Kreises,
die ewige schematische Wiederholung einiger weniger Schlagworte bei allen
möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, Sonderfällen und Spielformen
charakterologischer, neurotischer, sozialer Entäußerung, heftige und gehaltleere
Polemiken Adlers gegen jede sonstige Forschung und Lehre, papistische Un-
fehlbarkeitsansprüche ohne vertiefende Leistungen verrieten schon in den letzten
Jahren, daß im Lager der Individualpsychologen etwas nicht mehr stimmte.
Die Psychologie der Person in ihrer Eigenständigkeit wurde durch einige wenige
Abstraktionen entpersönlicht und entindividualisiert ; die Therapie am Korrektiv
des Gemeinschaftsgefühls setzte die außerpersönlichen, sozialen Prinzipien
vor alle die persönlichen und individuellen Möglichkeiten der Selbstgestaltung
und Selbstverwirklichung — kurz: Name und Anspruch der Individualpsycho-
logie gerieten in einen zunehmenden Gegensatz zu ihrer tatsächlichen und prak-
tischen Haltung. Hieraus hat das Kollektiv die Konsequenzen gezogen, im
offenen Gegensatz zu Alfred Adler. Und es ist tatsächlich von radikaler
200 Arthur Kronfeld
Konsequenz: Nunmehr wird jeglicher Anspruch der Individualität an eigene
und eigenständige, wesensbestimmende Fundamente in sich selber restlos preis-
gegeben; der Einzelne ist nichts als ein Schnittpunkt sozialer Beziehungen,
eine „bürgerliche“ Fiktion; der Neurotiker ist ein unnützer Mensch — im Sinne
der sozialen Kooperation; aber daran ist ausschließlich das Milieu und die
herrschende Gesellschaftsordnung schuld. Individuelle Psychotherapie ist die
Vorbereitung zur Herbeiführung einer wahren, echten, neuen Gesellschafts-
ordnung, die Einreihung in den Klassenkampf. So grotesk diese Verleugnung
alles dessen klingt, was Psychotherapie eigentlich sein soll — ist sie, nach Mei-
nung des Kollektivs, doch auch nur „bürgerliche“ Wissenschaft, Ideologie der
herrschenden Klasse wie der Psychologie überhaupt —, so ist neben dem leiden-
schaftlichen Fanatismus dennoch viel Geist und mancherlei praktische Er-
fahrung in dem Büchlein enthalten. Es ist eine bemerkenswerte Ad-absurdum-
Führung der Individualpsychologie durch den dialektischen Umschlag in
ihr Gegenteil. Mit Wissenschaft und Persönlichkeiteforschung hat aber diese
Entwicklungslinie ebensowenig mehr zu schaffen wie mit echter Soziologie.
Dabei ist es eine immer dringendere Aufgabe der letzten Jahre gewesen,
endlich einmal eine wirklich wissenschaftliche und kritische soziologische
Betrachtung der Neurosen zu vollziehen. Eine solche liegt nunmehr auch ab-
geschlossen und als systematischer Leitfaden vor uns und wir halten sie für
die wichtigste Errungenschaft, die der Psychotherapie im letzten Jahre zu teil
wurde. Karl Birnbaum hat unter dem Titel „Soziologie der Neurosen“ im
Arch. f. Psychiatr., 99 „die nervösen Störungen in ihren Beziehungen zum
Gemeinschafts- und Kulturleben“ dargestellt (die Darstellung erscheint dieser
Tage auch als selbständiges Buch bei Springer, Berlin).
Aus dem umfassenden Werke seien wenigstens einige allgemeine und lei-
tende Gedanken hier zitiert:
Die Betrachtung der neurotischen Störungen in ihren sozialen Bezügen
bedeutet durchaus nicht — was sich vielleicht noch gegenüber einer Soziologie
der Krankheiten im allgemeinen oder speziell einer solchen der organischen
Nervenkrankheiten sagen ließe — eine nur beiläufige, periphere medizinische
bzw. medizinisch-neurologische Angelegenheit, die das eigentliche Medizin-
gebiet schon verläßt und sich in wesensfremde Bereiche verliert. Sie gehört
vielmehr grundsätzlich und als wesentlicher Bestandteil in eine Neurosenlehre
hinein. Die Soziologie der Neurose weist auf grundlegende Anteile an Aufbau
und Struktur der Neurosen hin, legt charakteristische Seiten ihrer Dynamik
in Entstehung, Bild, Gestaltung und Verlaufsformung neurotischer Störungen
dar und rückt so wesentliche Zusammenhänge, wie die zwischen Neurose und
Umwelt einerseits, zwischen Neurose und persönlicher Eigenart andererseits
in besondere Beleuchtung. Während sonst bei Krankheiten die reinen Natur-
formen vorherrschen, die besonderen Sozialformen (und in Zusammenhang
damit die Kulturformen) die Ausnahme sind, sind umgekehrt bei den Neurosen
die Sozial- und Kulturformen fast die Regel, während die reinen Naturformen
mehr zurücktreten.
Natürlich bleibt sich bei alledem eine Soziologie der Neurosen des eigent-
lichen Wesens der Neurose wohl bewußt: Auch für die soziologische Neurosen-
betrachtung ist und bleibt die Neurose zunächst einmal ein biologisches
Phänomen. Es geht die Neurosensoziologie an sich nicht näher an, wie diese
Fortschritte der Psychotherapie 201
Störung biologisch bzw. biopathologisch formuliert und von anderen Störungen
abgegrenzt wird, und wie man sie in Pathogenese und Struktur aus bestimmten
Funktionsabirrungen (im Sinne der Erregung, der Hemmung, der Dissoziation
u. dgl.) ableitet. Am ehesten ließen sich noch soziologische Zusammenhänge
in gewisse energetische Auffassungen einfügen und mit ihnen in Einklang
bringen, nach denen die Neurose — mit einer zum Teil freilich mehr bildlichen
als wissenschaftlich gesicherten Formulierung — sich als eine Betriebsstörung
im Nervensystem darstellt; eine nervöse Betriebsstörung, die teils als Auswirkung
zielgestörter neurophysischer Tendenzen, teils als Folge unentladener affektiver
Energie, teils als Niederschlag eines durch psychische Einflüsse gestörten Zusammen-
spiels synergetischer und antagonistischer Nervendynamismen, teils als Ausdruck
mangelhaften Ausgleichs und ausgebliebener Vereinheitlichung verschieden ge-
richteter neuropsychischer Bewegungen und ähnliches mehr anzusehen wäre.
Dabei ließen sich zur weiteren Aufklärung speziell noch gewisse Tatsachen
der biologischen Sphäre heranziehen, die insbesondere auch sozialbiolo-
gisch bedeutsam sind: so vor allem das bezeichnende Phänomen der Beein-
trächtigung der natürlichen vitalen Verrichtungen und Betätigungen, wenn
kontrastierende Regungen, Instinkte und Triebe zusammenstoßen. Aus solchem
Zusammentreffen in Ziel und Richtung auseinandergehender Impulse, aus dem
Hineinspielen andersgerichteter Tendenzen in bestimmte Funktionsabläufe, aus
der Hemmung, Verdrängung und Abirrung bestimmter triebhafter Strebungen
infolge des Dazwischendrängens anderer, aus dem ganzen disharmonischen
Auseinanderlaufen gegensätzlicher Tendenzen überhaupt: kurz und gut aus
allen solchen Störungen im Zusammenspiel vitaler physiologischer Funktionen
innerhalb der normalen Breite der Lebensbetätigung fallen bezeichnende Schlag-
lichter gerade auch auf die soziologisch bedingten neuropsychischen Störungs-
phänomene. Hier weisen insbesondere die schönen experimentalbiologischen
Beobachtungen von Brun über die Vorgänge bei der Kollision inkompa-
tibler Triebe bei Tieren (Ameisen usw.) die Richtung, die beiläufig zugleich
bezeichnende Parallelen speziell zur psychoanalytischen Auffassung der Neurosen-
dynamik bringen.
Zunächst kann alles, was an sozialen Bezügen für die Neurose — oder im
Hinblick auf ihren konkreten Träger, besser gesagt: für den Neurotiker — in
Betracht kommt, am besten an der Persönlichkeit im allgemeinen aufgewiesen
und daher auch von ihr am leichtesten abgeleitet werden. Sodann und vor
allem aber stellt der Neurotiker an sich nach Anlage, Reaktions- und Entwick-
lungsweise in gewissem Sinne die pathologische Parellelerscheinung zur Per-
sönlichkeit schlechthin dar. Es können daher für ihn — wenn auch nur cum
grano salis und mit entsprechenden Modifikationen — die gleichen soziolo-
gischen Grundvoraussetzungen, Zusammenhänge, Auswirkungen usw. gelten,
die für die menschliche Persönlichkeit überhaupt bedeutsam sind.
Die menschliche Persönlichkeit ist grundsätzlich in einen Lebensraum
hineingestellt, der neben naturhaften Bestandteilen (klimatische, landschaft-
liche usw.) vor allem auch personale (die menschliche Umgebung) enthält und
der von diesem menschlichen Zusammensein her sowohl rein soziologische Bil-
dungen wie Ehe, Familie usw. sowie auch soziologische Niederschläge geistig-
kultureller Art: so in Gestalt von Sitte, Tradition, Konvention, Recht usw. auf-
genommen hat. Diese den Menschen von Kindheit an umgebenden und be-
202 Arthur Kronfeld
gleitenden, ständig mehr oder weniger unmerklich auf ihn einwirkenden per-
sonalen und geistigen Umweltseinflüsse führen von sich aus zur gleichsinnigen
Ausgestaltung, Erweiterung und Verfeinerung jener urtümlichen sozialen
Regungen und bauen die ursprüngliche Persönlichkeit durch Herausbildung von
höheren sozialpsychischen Regulier- und Steuerungskräften, von altruistischen
und sozial-ethischen Gefühlseinstellungen und Gesinnungen usw. aus. So
erweist sich die menschliche Persönlichkeit als ein lebendiges System mit sozu-
sagen sozialpsychischer Orientierung, an dessen Wirkungsweise die ver-
schiedensten Schichten dieses Funktionssystems weitgehenden Anteil haben:
nicht nur der elementare Untergrund der sozial gerichteten vitalen Tendenzen,
sondern auch der Überbau der höheren sozialgemäßen emotionellen und ratio-
nalen Triebkräfte.
Die Triebkräfte, die solche besondere soziologische Gestaltung der
psychischen Tendenzen, Einstellungen, Grundhaltungen, Gesinnungen usw. (und
damit zugleich auch der entsprechenden äußeren Verhaltens- und Betätigungs-
weisen) herbeiführen, entstammen zum guten Teil, wie schon angedeutet, den
Gegebenheiten der umgebenden Gemeinschaft wie überhaupt der ganzen sozialen
Atmosphäre. Sie werden besonders, wofür speziell Freud wie Adler eindrucks-
volle Hinweise gegeben haben, in jener Lebensepoche ausschlaggebend wirksam,
in denen der Persönlichkeitsstruktur, weil noch unfertig, eine besondere Be-
stimmbarkeit und Plastizität zukommt: in der Frühkindheit, der Kindheit
überhaupt bis zum Abschluß der Pubertäts- und Entwicklungsjahre. Damit
haben als besondere Formenkräfte für den Ausbau der Persönlichkeit und
speziell für ihre Sozialgestaltung zunächst und vor allem jene wenigen und
einfachen soziologischen Einflußmomente zu gelten, die in jedem Menschenleben
mit annähernd gleicher Typik wiederkehren: nämlich jene, die von selbst schon
mit dem Hineingeborenwerden des Menschen in die natürliche Lebensgemein-
schaft der Familie gegeben sind.
Dieses Hineingestelltsein der Persönlichkeit in einen sozialen Lebensraum
als Mitglied einer Gemeinschaft gewinnt noch in anderer Hinsicht soziologische
Bedeutung. Damit treten sich im Verlauf des ganzen Lebens ständig gegenüber:
auf der einen Seite eben diese Persönlichkeit mit ihren Bedürfnissen, ihren
Trieben, ihren Ansprüchen, ihren Strebungen, ihren Zielsetzungen usw., und
auf der anderen die soziale Umwelt mit ihren Aufgaben, ihren Forderungen,
ihren Widerständen und Hemmnissen, Bedrohungen und Versagungen. Sie
bedingen ein Spannungsverhältnis, das zur Lösung in irgendeiner Form drängt.
Dieses erfolgt im Rahmen einer Auseinandersetzung, die entweder — bei
Übergewicht der Persönlichkeit — zur Umänderung der Umweltefaktoren im
Sinne der persönlichen Tendenzen führt, oder aber — bei Übergewicht der
Umwelteinflüsse — zu episodischen oder dauerhaften Umstellungen der Per-
sönlichkeit im Sinne dieser Umweltsfaktoren. Die Form, in denen die reaktive
Stellungnahme und Umstellung der Persönlichkeit gegenüber jenen Umwelts-
einflüssen vor sich geht: im Sinne des Ankämpfens und Überwindens, des Sich-
unterwerfens und Unterliegens, des Sichsicherns und Ausweichens, des Sich-
abfindens und Verzichtleistens usw. gehören mit zu den wesentlichsten und
charakteristischsten Erscheinungen, in denen das Verhältnis der Persönlichkeit
zur Gemeinschaft und den an sie gebundenen soziologischen Einzelbildungen
zum Ausdruck kommt.
Fortschritte der Psychotherapie 203
Nicht zum wenigsten vermittels dieser (reaktiven) Auseinandersetzungen
mit der sozialen Umwelt, aber auch sonst infolge ihrer natürlichen (spontanen)
Betätigungs- und Äußerungstendenzen innerhalb des sozialen Lebensraumes
beeinflußt und bestimmt die Persönlichkeit nun umgekehrt von sich aus die
soziologischen Erscheinungen und Vorgänge, die von ihr ausgehen oder mit
denen sie in Berührung kommt, und sie gibt so nicht nur den verschiedenen ihr
zugehörigen Gemeinschafteformen (der Ehe-, Familien-, Berufs-, Wirtschafts-
gemeinschaft usw.) ihr persönliches Gepräge, sondern beeindruckt darüber
hinaus evtl. auch die diese Bildungen tragenden und bestimmenden geistigen
Gebilde der Sozietät: Sitte, Tradition, Konvention, sozial-ethische, ästhetische
Normen usw. Damit stellen und bieten die sozialen Gebilde und insbeson-
dere auch die Wertgebilde des geistigen und kulturellen Lebens sich
innerhalb der sozialen Sphäre als Objektivationen, als soziologisch ge-
formte Niederschläge und Widerspiegelungen der Persönlichkeit
und insbesondere sozialpsychologischen Eigenheiten dar.
Dieser ganze Komplex von Erscheinungen, Kräften und Dynamismen, von
Wirkungen und Rückwirkungen, die sich um die sozialen Bezüge der Persön-
lichkeit bewegen, geht nun beim Neurotiker natürlich nicht einfach verloren.
Er kehrt vielmehr im Rahmen der Neurose und zum guten Teil sogar in engem
Zusammenhang mit ihr, teils ins Pathologische abgewandelt, teils in patho-
logischer Bedeutsamkeit sich Geltung schaffend, wieder, und er zeigt sich, wie
am Aufbau und den Manifestationen der Persönlichkeit, so auch an denen
der Neurose und des Neurotikers weitgehend und vielseitig beteiligt. Gewisse,
meist biologisch unterlegte psychische Anlagebesonderheiten der Persönlich-
keit, die für die Beziehung zur Mitwelt, zur Gemeinschaft bedeutsam werden,
fallen in Form bestimmter (zum Teil abartiger) primärer Wesenszüge: Sensi-
tivität, Selbstunsicherheit, mangelhaftes Lebensgefühl usw. unmittelbar als
neurotische Dispositionen, als persönliche neurotische Bereitschaften ins
Gewicht. Bestimmte, teils soziologisch herbeigeführte, teils besonders an den
sozialpsychischen Seiten der Persönlichkeit vor sich gehende charakterliche Ge-
staltungen: Festlegung der Triebe und sonstigen seelischen Tendenzen auf be-
stimmte gemeinschaftsbezogene Inhalte und Ziele (so etwa die auf diesem Wege
entstandenen soziologisch bedeutsamen Sexualperversionen) gehen in neuro-
tische Entwicklungsstörungen ein. Die unvermeidlichen Auseinander-
setzungen mit der sozialen Umwelt und die durch sie bedingten äußeren und
inneren Konflikte treten als neurotisierende Faktoren an die Wurzel neuro-
tischer Reaktionen. Die dem Neurotiker eigenen sozialpsychischen Tendenzen:
Anlehnungsbedürfnis, Sicherungsstreben, Bindungsunfähigkeit und ähnliches
schlagen sich in charakteristischen Gestaltungen sozialpsychischer Beziehungen
und sozialpsychischer Gebilde: in bezeichnenden neurotischen Lebens-
for men und Lebensstilen von Ehe, Beruf, Geselligkeit usw. nieder. Es lassen
sich grundsätzlich die Auswirkungen soziologischer Faktoren im
Neurotischen auf der einen Seite, die Auswirkungen des Neurotischen
im sozialen Bereich auf der anderen auseinander halten. Tatsächlich stehen
sie freilich vielfach in nicht leicht auflösbarer enger Wechselbeziehung und viel-
fältiger Verflechtung, und zwar nicht nur beim Einzelindividuum, sondern auch
innerhalb des Kollektiv-Psychischen, soweit das Neurotische in seinem Umkreis
überhaupt besondere Geltung hat. Immerhin bleibt ihre möglichst reinliche
Neurologie V, 6 15
204 Arthur Kronfeld, Fortschritte der Psychotherapie
Scheidung doch angebracht, zumal sie sich im wesentlichen in verschieden-
artigen Gebieten: das eine Mal im Klinisch-Neurologischen, das andere Mal im
Sozialen abspielen.
Das hier skizzierte Programm wird nun von Birnbaum mit gewohnter
sachlicher Genauigkeit in allem Einzelnen durchgeführt; und naturgemäß
entzieht sich solche Einzelarbeit dem auch nur andeutenden Bericht; sie muß
— und wird hoffentlich — im Original von jedem Psychotherapeuten gewürdigt
werden. Birnbaum sieht in der klinischen Neurasthenie etwas anderes als in
den sonstigen (psychogenen) Neurosensyndromen: nämlich einen exogenen
Reaktionstypus des Zentralnervensystems auf verschiedenartige und - wertige
Überlastungen, etwas den organischen Störungen Näheres. Aber indem er ihre
soziologischen Bezüge untersucht, wird die Neurasthenie für ihn eine spezifische
Erkrankung der Zivilisation. Was Birnbaum ferner zur Unfallneurose aus-
führt, ergänzt glücklich die diesbezüglichen Lehren Weizsäckers. Einen
besonders instruktiven Abschnitt widmet er der Sozialstatistik und Sozial-
therapie der Neurosen, wobei er den Berliner Erfahrungen und Ergebnissen der
Zusammenarbeit von Psychotherapie und Sozialfürsorge Rechnung trägt,
welche die Ortsgruppe der Allg. ärztl. Ges. für Psychotherapie gemeinsam mit
dem Archiv f. Wohlfahrtspflege gewonnen hat. Birnbaum akzeptiert den dort
gewonnenen Begriff der Notneurosen als Sonderformen der Sozialneurosen
überhaupt.
Es sei am Schluß noch darauf hingewiesen, daß das methodische Vorgehen
dieser Arbeitsgemeinschaft ebenfalls einen ersten lehrmäßigen Niederschlag in
der Literatur gefunden hat: Wronsky und Kronfeld haben ihn, speziell für
den Gesichtskreis der in der gesamten Fürsorge tätigen Persönlichkeiten, in
dem Büchlein bearbeitet: „Sozialtherapie und Psychotherapie“ (Verlag C. Hey-
mann, Berlin). Dort ist auch der Begriff der Notneurosen skizzenhaft um-
schrieben worden.
— — — —— —
Forensische Psychiatrie
Neuere ausländische Strafgesetze und die Probleme der Zurechnungs-
fähigkeit und verminderten Zurechnungsfähigket `
von Friedrich Meggendorfer in Hamburg.
Unsere Strafrechtsreform, die schon nahe vor dem Abschluß zu stehen
schien, ist wieder in unabsehbare Ferne gerückt. Nach der ganzen Entwicklung
der Dinge müssen wir bezweifeln, ob die Reform überhaupt noch in der durch
die Entwürfe gezeichneten Richtung möglich sein wird. Bei dieser Sachlage
und dem Interesse, das Neurologen und Psychiater an dem neuen Strafgesetze,
besonders an manchen Teilen desselben, haben, erscheint es angebracht, auf
die neuen Strafgesetze, die sich zahlreiche fremde Staaten in den letzten Jahren
gegeben haben oder zu geben beabsichtigen, einzugehen, hier vor allem hin-
sichtlich der Probleme der Unzurechnungsfähigkeit und der verminderten Zu-
rechnungsfähigkeit und der damit zusammenhängenden Fragen. Die folgende
Besprechung kann indessen unmöglich alle neuen fremden Strafgesetze und
Entwürfe berücksichtigen. Abgesehen davon, daß manche nur schwer zu-
gänglich sind, stimmen manche von ihnen in den für uns erheblichen Punkten
überein und bieten keine Besonderheiten.
Zunächst ist es erforderlich, kurz auf die Strafrechtstheorien, die mit
dem Thema unserer Betrachtung in erster Linie zusammenhängen, einzugehen.
Es kann sich hier nur um eine Darlegung der Grundzüge handeln. Die klas-
sischen Strafrechtstheorien suchen das Strafrecht auf dem Prinzip der Ver-
geltung aufzubauen. Sie gehen aus von der moralischen Schuld des Übeltäters
und suchen diese Schuld durch Sühne auszugleichen. Dieses Prinzip entspricht
dem Rechtsgefühl; es entspricht dem Bedürfnis des Beleidigten, des Gekränkten,
Verletzten, Geschädigten nach Rache, einem Bedürfnis, das ihm der Staat
abnimmt und ihm so beweist, daß er nicht schutzlos ist. Diese Strafrechts-
theorie ist die des Alten Testaments, des Ius talionis: „Aug um Aug, Zahn
um Zahn.“ Für den Täter selbst ist die Strafe, sofern er ein Schuldbewußtsein
hat, eine Wohltat, er empfindet sie als „Läuterungsstrafe‘“. Die Vergeltungs-
strafe wirkt auch gleichzeitig abschreckend. Wird die Abschreckung (General-
prävention) betont, so wird der Zweckbegriff in die Vergeltungstheorie ein-
geführt. Im Laufe der neueren Entwicklung traten immer mehr Zweckgedanken
als Grundlagen des Strafrechts hervor: Besserung des Täters, Erziehung, Schutz
der Gesellschaft. Schließlich ordnen sich alle diese Zweckgedanken dem einen
Zweck unter: Schutz der Gesellschaft. So kann man von diesem Gesichtspunkte
aus im wesentlichen zwei Strafrechtsgruppen unterscheiden: Das Vergeltungs-
strafrecht und das Sicherungsstrafrecht.
Das Vergeltungsstrafrecht geht aus von der moralischen Verantwort-
lichkeit; es setzt einen freien Willen voraus. Es will eine gerechte Sühne für
das begangene Unrecht herbeiführen. Da es bei dieser Sühne auf die Größe
LS
206 Friedrich Meggendorfer
der Verfehlung ankommt, spielt hier das Vergehen, das Verbrechen, die ‚Tat‘
eine wesentliche Rolle. Das Sicherungsstrafrecht dagegen geht von dem
Schutz der Gesellschaft aus. Es läßt dahingestellt, ob es einen freien Willen
gibt; es erklärt, es komme ihm nicht darauf an, ob das Verbrechen eine Sühne
erfährt oder nicht, wenn nur die Gesellschaft gesichert wird. Man müsse ver-
suchen, den Verbrecher zu erziehen, ihn zu bessern, so daß er keine Verbrechen
mehr begeht, und wenn dies nicht möglich ist, müsse man ihn unschädlich
machen, besonders dadurch, daß man ihn möglichst lange interniert. Die nach
diesen Gesichtspunkten zu treffenden Maßnahmen machen es nötig, daß nicht
mehr wie bei der Vergeltung das Hauptaugenmerk auf die Schwere der Tat,
sondern vielmehr auf die Persönlichkeit des Täters, den „Täter“ gerichtet wird.
Man kann nun zwischen diesen zwei Strafrechtsgrundgedanken auch noch
vermitteln; sie schließen sich ja auch nicht gegenseitig aus. Man kann neben
der moralischen Verantwortlichkeit auch den Schutz der Gesellschaft als Grund-
lage des Strafrechts erklären; eine Richtung, die hier als die „dualistische“
bezeichnet sei.
Unser jetziges deutsches Strafgesetzbuch ist im wesentlichen auf dem
Vergeltungsgedanken aufgebaut. Von neueren Strafrechten können dem
reinen Vergeltungsstrafrecht nur einige auf religiöser Grundlage aufgebaute
Strafrechte zugezählt werden. Hierher gehört in erster Linie das Strafgesetz-
buch des katholischen Codex iuris canonici vom Jahre 1917. Es ist ein
rein kirchliches Gesetz, aber wissenschaftlich wegen der scharfen Begriffs-
fassung von Bedeutung. Immerhin kennt auch dieses Strafrecht manche Zweck-
bestimmungen, so z. B. die Bestimmung, daß die Jugendlichen womöglich nicht
bestraft, sondern mit Erziehungsmaßnahmen behandelt werden sollen. Ein
ausgesprochenes Vergeltungsstrafrecht ist auch das afghanische Straf-
gesetzbuch vom Jahre 1924. In der Einführung ist ausdrücklich hervor-
gehoben, das Gesetz betreffe u. a. die strafbaren Handlungen, die der Ver-
geltung mit Gleichem unterworfen sind. Das Gesetz mutet uns sehr altertümlich
an, und doch war König Amanullah in der Reform schon viel zu weit gegangen;
er wurde 1925 durch eine Versammlung von Volksvertretern und Schrift-
gelehrten gezwungen, gerade die moderneren Teile des Strafgesetzbuches durch
traditionsgemäße zu ersetzen.
Der Grundgedanke, neben die Strafe im herkömmlichen Sinne sog. sichernde
Maßnahmen zu stellen, wurde zuerst im Vorentwurf zu einem schweize-
rischen Strafgesetzbuch 1893 von Carl Stoos zur Diskussion gestellt.
Auch die Entwürfe zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch von 1908 und
1918 sind auf der gleichen Grundlage aufgebaut. Ebenso sind die letzten Ent-
würfe zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch ‚dualistisch‘ orientiert:
neben Vergeltung Schutz der Gesellschaft. Sie sehen deshalb Erziehungs-
maßnahmen, besonders bei Jugendlichen, Gewährung mildernder Umstände
bei jeder Straftat, bedingte Strafaussetzung, Heilmaßnahmen bei Alkoholismus
und Rauschgiftsucht usw. vor, andererseits Erhöhung der Strafe, Sicherheits-
verwahrung usw. bei Rückfälligen, Unzurechnungsfähigen, vermindert Zurech-
nungsfähigen, Prostituierten, Vagabunden usw. Das erste Strafgesetzbuch, das
diese Ideen verwirklichte, war das am 1. 1. 1929 durch Notverordnung der
spanischen Diktatur in Kraft gesetzte Strafgesetzbuch, das inzwischen
durch die Revolution wieder beseitigt wurde. Genau ein Jahr darauf erschien
Forensische Psychiatrie 207
das jugoslavische Strafgesetzbuch. Auch das neue italienische Straf-
gesetzbuch von 1930 gehört hierher, wenn es auch verschiedene noch zu be-
sprechende Besonderheiten aufweist. Auf ähnlicher Grundlage beruhen das
ausgezeichnete, in durchaus modernem Geiste gehaltene neue Strafgesetz-
buch von China von 1928, das „Bürgerliche Strafgesetzbuch“ von
Dänemark von 1930, weiterhin der rumänische Entwurf von 1921, der
polnische von 1928, der tschechoslowakische von 1930.
Die neuen Strafgesetzbücher, die sich ausschließlich auf dem Sicherungs-
gedanken aufbauen, gehen in erster Linie auf Ferri zurück. Ferri, der
Begründer und hauptsächliche Vertreter der italienischen positiven Schule,
stellte der moralischen die juristische Verantwortlichkeit gegenüber. Die mora-
lische Verantwortung gehöre, lehrt Ferri, in das Gebiet der Moralphilosophie
und der Religion, aber nicht in das des Rechts. Aufgabe des Strafrechts sei
nur die Sicherung der Gesellschaft. Das zentrale Problem ist nach Ferri das
Maß der Gefährlichkeit, mit der der Täter die Rechtsordnung der Gesellschaft
bedroht. Ferri fordert deshalb nicht Strafe nach Maßgabe der moralischen
Schuld, sondern sichernde Maßnahmen nach Maßgabe der sozialen Gefährlich-
keit. Diese Grundgedanken fanden ihren Niederschlag in dem Vorentwurf
zu einem italienischen Strafgesetzbuch vom Jahre 1921, der im
wesentlichen auf Ferri selbst zurückgeht. Die Begründung sagt, kein mensch-
licher Richter könne die sittliche Schuld richtig erfassen; außerdem sei es un-
möglich, die absolute Proportion zwischen Schuld und Sühne zu ermessen.
Wohl aber könne sich der Staat gegen die Übertretung seiner Rechtsordnung
wehren. Besserung und Unschädlichmachung (Spezialprävention) ist deshalb
das Leitmotiv des italienischen Vorentwurfs. Aus diesem Entwurf zu einem
Strafgesetzbuch ist das Wort „Strafe“ vollkommen ausgemerzt und durch
„Sanktion“ ersetzt. Die gegen den Verbrecher anzuordnenden Sanktionen
können solche der Wiedergutmachung, der Repression und der Ausmerzung sein.
Dieser Entwurf, der selbst nie Gesetz geworden ist, diente als Vorbild für die
Strafgesetze einer Reihe lateinamerikanischer Staaten. Das Strafgesetz
von Peru von 1924 kannte an sich zwar Strafen und Maßnahmen der Siche-
rung, aber seiner ganzen Ideologie nach gehörte es der positiven Schule an.
Inzwischen wurden zwei neue Entwürfe vorbereitet von 1927 und 1928, und
zwar ging der erstere noch über den von Ferri hinaus und enthielt sogar noch
einen Abschnitt ‚präventive Maßnahmen“ bezüglich der nichtverbreche-
rischen Gemeingefährlichen, eine Vorsorge, die offenbar gar nichts mit einem
Strafgesetz zu tun hat. Auch die Entwürfe zu argentinischen Strafgesetzen
von 1926 und 1928 stellen Vorbereitungen zu Gesetzen ausgesprochen defen-
siver Tendenz dar. Der kubanische Entwurf eines Strafgesetzbuches von
1926 ist ebenfalls im Sinne der positiven Strafrechtsschule gehalten. Das Straf-
gesetz der Philippinen von 1927, das sich Ferris Entwurf anzugleichen
sucht, tut dies allerdings mehr äußerlich, mehr seiner Nomenklatur als seinem
inneren Wesen nach. Dagegen waren das Strafgesetzbuch und die Straf-
prozeß ordnung von Mexiko von 1929, die allerdings nur bis 1931 in Wirk-
samkeit waren, Gesetze rein positivistischer Prägung: Die moralische Schuld-
auffassung war hier durch die soziale Verantwortung und soziale Verteidigung
ersetzt; die Delikte galten als Symptome der Gefährlichkeit, des „estado peli-
groso des Täters, dessen Persönlichkeit besonders hervorgehoben wurde. Zu
208 Friedrich Meggendorfer
den Strafgesetzen positivistischer Richtung gehört ohne Zweifel auch der
sowjetrussische Kodex von 1926. Freilich unterscheidet er sich in
mancher Hinsicht auch wieder weitgehend und grundsätzlich vom Entwurfe
Ferris; vor allem ist hier der Verbrechensbegriff ein ganz anderer: „Verbrechen“
sind nach $ 1 „gemeingefährliche Handlungen“, und $ 6 erklärt diese genauer:
„Jede Handlung oder Unterlassung, die sich gegen das Sowjetsystem richtet
oder die Rechtsordnung verletzt, die im Regime der Arbeiter und Bauern für
die Zeit des Übergangs zur kommunistischen Gesellschaftsordnung errichtet
ist.“ Auch sonst sind grundsätzliche Unterschiede zu verzeichnen. Im beson-
deren Teil gibt der Kodex gewissermaßen nur Beispiele, während die vorkom-
menden Fälle nach Analogie dazu zu behandeln sind; der Kodex verläßt damit
den alten Rechtsgrundsatz „nullum crimen sine lege“. Weiterhin wird ganz
bewußt vom Grundsatz „Gleiches Recht für alle“ abgegangen; das sowjet-
russische Strafrecht ist ein „unbemänteltes Klassenrecht“. Die Strafzumessung
hängt weitgehend von der Persönlichkeit des Angeklagten ab; diese wird so-
wohl ihrer sozialen wie politischen Qualifizierung nach beurteilt. Aber auch
in diesem Strafrecht ist Strafbarkeitemerkmal nicht mehr Schuld, sondern
Gefährlichkeit. Auch kennt es in seiner Konsequenz den Begriff „Strafe“
nicht mehr, sondern nur noch „Maßnahmen des sozialen Schutzes‘, und
zwar solche gerichtlich - bessernder, medizinischer und medizinisch-pädagogi-
scher Art.
Auch in dem italienischen „Codice penale“ Roccos von 1930 kommt
vor allem die Macht des Staates, und zwar des faschistischen, zum Ausdruck.
Das Gesetz ist, wie bereits erwähnt, ‚„dualistisch‘‘ orientiert; es bejaht, wie
Rocco einleitend ausführt, ausdrücklich das Prinzip der Zurechenbarkeit auf
der Basis der Handlungsfreiheit und behält deshalb die Strafe als juristische
Sanktion bei. Die Tat als solche erfährt gegenüber dem Ferrischen Entwurfe
wieder eine größere Berücksichtigung; bei der Strafzumessung werden die
Schwere der Tat, la gravità del reato, und ihr Erfolg besonders beachtet. Die
Abschreckung spielt wieder eine größere Rolle. Daneben aber soll freilich
auch der Täter, die Biologie des Verbrechers, offenbar in Anlehnung an Lom-
broso, eingehend berücksichtigt werden. Das Gesetz stellt in dieser Hinsicht
die größten Anforderungen an den Richter und an den Sachverständigen. Be-
merkenswert ist weiterhin, daß das Gesetz die Rasse, die Familie und die Re-
ligion durch besondere Maßnahmen zu schützen sucht.
Die Frage der Zurechnungsfähigkeit ist von Bedeutung vor allem im
Vergeltungsstrafrecht. Wenn angenommen wird, daß das Verbrechen nur
aus einer moralischen Schuld heraus geschieht, dann kann bei Vorhandensein
einer Schuld infolge von Geisteskrankheit des Täters auch ein Verbrechen
nicht vorhanden sein. Deshalb heißt es in unserem jetzigen, auf dem Vergeltungs-
prinzip fundierten Strafgesetzbuch: „Eine strafbare Handlung ist nicht vor-
handen, wenn der Täter zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem
Zustande von Bewußtlosigkeit usw. befand“, und im französischen Code pénal
vom Jahre 1810: „Il n'y a ni crime ni délit, lorsque le prévenu était en état
de démence en temps de l’action.“ In ähnlicher Weise sagte auch das bisherige
spanische Strafgesetzbuch in Artikel 8, Nr. 1: „Es begehen kein Verbrechen
und sind deshalb frei von strafrechtlicher Zurechnungsfähigkeit: 1. der Blöd-
sinnige, 2. der Geisteskranke, wenn die Tat nicht in einem lichten Augenblick
Forensische Psychiatrie 209
geschehen ist. Der neue Codex iuris canonici bestimmt in C 2201 $ 1: „Delicti
sunt incapaces qui actu carent usu rationis. Mit der Feststellung, daß eine
strafbare Handlung nicht vorhanden ist, ist die Aufgabe des Strafgesetzes, das
auf dem Vergeltungsgedanken aufgebaut ist, erfüllt. Was dann mit dem Täter
geschieht, ist nicht mehr Sache des Strafgesetzes: Mag er wieder Delikte begehen ;
sie sind für das Gesetz keine solchen, mag, wenn er es zu toll treibt, die All-
gemeinheit, die Verwaltung, die Polizei sich seiner annehmen und ihn als Geistes-
kranken entsprechend unterbringen; das ist aber nicht Sache des Gerichts.
Mancherlei Rücksichten, z. Z. namentlich die Kostenfrage, mögen die genannten
Behörden bestimmen, von einer Einweisung in eine Anstalt, in eine Trinker-
heilstätte und von anderen an sich geeigneten Maßnahmen abzusehen. Wird,
wie dies nach dem jetzt gültigen deutschen Gesetz möglich ist, das Verfahren
wegen Geisteskrankheit des Angeschuldigten eingestellt, ehe durch das Gericht
festgestellt worden ist, daß er die Tat tatsächlich begangen hat, so hat die
Polizei vielfach auch keine Handhabe, gegen ihn vorzugehen. Ohne Zweifel
entspringt aus dieser Uneinheitlichkeit der Behandlung der Rechtsbrecher ein
erheblicher Mangel an öffentlicher Sicherheit, ein Mangel an Schutz der Ge-
sellschaft.
Deshalb erklären die „dualistisch“ orientierten, also sowohl auf dem
Vergeltungs- als auch auf dem Sicherungsgedanken aufgebauten Strafgesetze
nicht, daß eine strafbare Handlung nicht vorhanden ist, sondern sie bestimmen
nur, daß der Geisteskranke straffrei sei. So heißt es im Entwurf zu einem
deutschen Strafgesetzbuch von 1927, $ 12: „Wer zur Zeit der Tat nicht zu-
rechnungefähig ist, ist nicht strafbar.“ Auch der Entwurf zu einem schwei-
zerischen Strafgesetzbuch sagt in $ 10, wer die dort angeführten Bedingungen
der Unzurechnungsfähigkeit erfülle, „ist nicht strafbar“. Das chinesische
Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 sagt in $ 31: „Die von einem Geisteskranken
begangene Straftat ist nicht strafbar“. Auch das neue dänische Bürgerliche
Strafgesetzbuch vom 15. 4. 1930 erklärt solche strafbare Handlungen für straf-
frei, die von Personen begangen werden, welche wegen Geisteskrankheit oder
Zuständen, die denselben an die Seite zu stellen sind, oder eines höheren Grades
von Geistesschwäche nicht zurechnungsfähig sind. Das italienische Straf-
gesetzbuch von 1930 bestimmt in Art. 85: „Niemand kann für eine vom Gesetz
als Reat vorgesehene Handlung bestraft werden, wenn er zur Zeit der Tat nicht
zurechnungsfähig war.“ In ähnlicher Weise sind die entsprechenden Bestim-
mungen in den dualistisch orientierten Entwürfen gefaßt. Der griechische Ent-
wurf von 1924 sagt in Art. 81: „Die Handlung wird demjenigen, der sie be-
gangen hat, nicht zugerechnet und er bleibt straflos, wenn er .. . usw.“ Der
Vorentwurf zu einem tschechoslowakischen Strafgesetzbuch von 1926 sagt in
5 21: „Strafbar ist nicht, wer. Eine Ausnahme hiervon macht der pol-
nische Strafgesetzentwurf von 1928. Obwohl der Entwurf seiner ganzen Anlage
nach „ dualistisch“ ist, sagt er in Art. 10 $1: „Es begeht keine Straftat, wer
zur Zeit der Tat wegen psychischer Krankheit usw.“ — Da die dualistischen
Strafgesetze aber auch einen unmittelbaren Schutz der Allgemeinheit erstreben,
enthalten sie besondere Bestimmungen über Sicherungsmaßnahmen. Sie wollen
diese Maßnahmen nicht der Verwaltung überlassen, sondern wollen dem Richter
diesen Einfluß sichern, um die Bekämpfung des Verbrechens besser zu gewähr-
leisten.
210 Friedrich Meggendorfer
Für Gesetze, die ausschließlich den Schutz der Gesellschaft beab-
sichtigen, spielt die Zurechnungsfähigkeit im Sinne der traditionellen Straf-
rechtslehre keine Rolle mehr. Nach dieser Rechtsauffassung ist jeder, der
die Gesetze übertritt, ein Verbrecher, sei er nun geistig gesund oder krank.
In jedem Falle hat der Staat durch das Strafgesetz Maßnahmen zum
Schutze der Gesellschaft zu treffen. Die Feststellung der Geisteskrankheit
bedeutet hier nicht, daß dem Täter die Handlung nicht zugerechnet werden soll,
sondern nur, daß das Gesetz andere Maßnahmen bei ihm vorsieht. So sagt
Art. 32 des italienischen Vorentwurfs an Stelle der bisherigen Bestimmungen
über die Unzurechnungsfähigkeit: „Der Geisteskranke, der ein Verbrechen
begangen hat, wird in einer für kriminelle Geisteskranke bestimmten Anstalt
untergebracht und dort behandelt, wenn die für das begangene Verbrechen
bestimmte Sanktion die verschärfte Absonderung ist, oder wenn die Erkrankung
derart ist, daß sie den Verbrecher sehr gefährlich macht; er wird in einer Über-
wachungsanstalt untergebracht und dort behandelt, wenn für das Delikt eine
andere Sanktion vorgesehen ist und die geistige Erkrankung ihn weniger ge-
fährlich macht. Der sowjetrussische Strafkodex bestimmt in $ 11: „Maß-
nahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder Art können nicht an-
gewandt werden auf Personen, die ein Verbrechen im Zustande chronischer
Geisteskrankheit oder zeitweiliger Geistesstörung oder in einem anderen krank-
haften Zustande begangen haben und demzufolge sich von ihren Handlungen
nicht haben Rechenschaft geben können, oder nicht imstande waren, ihre
Handlungen zu dirigieren, sowie auf solche Personen, die zwar im Zustande
geistigen Gleichgewichts gehandelt haben, jedoch im Augenblick der Urteils-
fällung an dieser Geisteskrankheit leiden. Auf diese Personen können lediglich
Maßnahmen des sozialen Schutzes medizinischer Art angewandt werden.“ Der
Schluß des vorletzten Satzes zeigt deutlich, daß es sich nicht so sehr um eine
Berücksichtigung des geistigen Zustandes zur Zeit der Tat als vielmehr vor
allem um eine Anweisung für die zweckmäßige Behandlung des geisteskranken
Rechtsbrechers handelt.
Abgesehen von der rechtlichen Bedeutung und Auswirkung der Unzu-
rechnungsfähigkeit in den verschiedenen Gesetzen ist auch die Umschreibung
des Begriffs der Unzurechnungsfähigkeit von Bedeutung. Im Vor-
entwurf zum schweizerischen Strafgesetzbuch lautete Art. 11: „Wer zur Zeit
der Tat geisteskrank oder blödsinnig oder bewußtlos war, ist nicht strafbar.“
Diese Fassung, die auf einen Vorschlag der schweizerischen Psychiater zurück-
ging, wurde von juristischer Seite abgeändert in Art. 16: „Wer zur Zeit der
Tat außerstande war, vernunftgemäß zu handeln, wer insbesondere zur Zeit
der Tat in seiner geistigen Gesundheit oder in seinem Bewußtsein in hohem
Grade gestört war, ist nicht strafbar.“ Gegen diese zweite Fassung wandte sich
Bleuler in bemerkenswerten Ausführungen. Niemand könnte von einem
Täter sagen, ob er wirklich außerstande wäre, in einer bestimmten Weise zu
handeln. Subjektiv hätte jeder die Meinung, so oder auch anders handeln zu
können. Weiterhin wäre der Ausdruck „vernunftgemäß“ vielseitig; eine und
dieselbe Handlung könnte dem einen vernünftig, dem anderen unvernünftig
erscheinen, z. B. vom egoistisch-utilitarischen Standpunkt aus könnte ein
Diebstahl „vernünftig“ und „klug“, das Nichtausnützen einer Gelegenheit aber
als „dumm“ erscheinen. Mancher Geisteskranke wäre zwar nicht imstande,
Forensische Psychiatrie 211
vernunftgemäß zu handeln, mancher andere könnte aber sogar scharf über:
legen. Dadurch, daß er vernunftgemäß äße, sich ankleidete, in seinem Hand-
werk arbeitete, oder gar eine größere Rechnung löste, eine Eingabe an die
Aufsichtsbehörde fehlerlos und geschickt abfaßte, bewiese er doch unwider-
leglich, daß er nicht „außerstande‘“ wäre, vernunftgemäß zu handeln. Diese
psychologische Fassung wäre daher als Kriterium der Unzurechnungsfähigkeit
nicht zu verwenden. Viel besser wäre die klinische oder biologische Fassung
nach dem Vorschlag der Schweizer Psychiater. Durch die Krankheit entstünde
ein Novum im Sein des Menschen. Jedem Psychiater wäre der Begriff , Geistes-
krankheit“ geläufig. Die einzige Schwierigkeit wäre die, daß es Übergänge
gäbe; aber diese Schwierigkeit fiele weg, wenn das Gesetz die Grenzfälle
kännte und sie berücksichtigte. Die wirkliche Schwierigkeit läge darin, daß
sich der Richter selbst ein Urteil bilden wollte. Nun wüßte er, daß er in
Psychiatrischen Dingen ein Laie wäre; er glaubte aber, die psychologischen
Fassungen zu verstehen. Das wäre aber eine Täuschung; denn in Wirk-
lichkeit böten die psychologischen Kriterien größere Schwierigkeiten als
die klinischen. Es wäre deshalb viel richtiger, wenn der Richter einen
Fachpsychiater nach seiner Meinung fragen würde, wie er sich ja auch
bei der Beurteilung des Giftgehaltes von Mageninhalt, bei der Unterschei-
dung von Menschen- und Kaninchenhaaren, bei der Beurteilung der
Festigkeit von Baumaterial usw. nicht selbst eine Meinung bilden könne,
sondern auf die Aussagen des Chemikers, des Gerichtsarztes, des Bausach-
verständigen usw. angewiesen sei. Für die psychologische Fassung dagegen
trat Gretener, vor allem aber traten auch neuerdings dafür wieder Juristen,
wie Mezger u. a. ein.
Unter den neueren Strafgesetzen haben mehrere eine psychologische
Fassung der Bestimmung über die Zurechnungsfähigkeit bzw. Unzurechnungs-
fähigkeit. So bestimmt der Codex iuris canonici in C 2201, $ 1: „Delicti sunt
incapaces qui actu carent usu rationis.“ Diese Bestimmung des kanonischen
Rechts erinnert an die Bestimmung des geltenden österreichischen Strafgesetz-
buches, das in $ 2a sagt, die Handlung oder Unterlassung werde nicht als Ver-
brechen zugerechnet, „wenn der Täter des Gebrauchs der Vernunft ganz beraubt
ist.“ Wahrscheinlich wird man in der Praxis des kanonischen Rechts ebenso
wie in der des österreichischen Strafgesetzes annehmen, daß eine Unfähigkeit,
die Vernunft zu gebrauchen, nicht nur bei schwereren Störungen der Verstandes-
tätigkeit vorhanden ist, sondern auch dann, wenn es sich ursprünglich und
hauptsächlich um Gemüts- und Willensstörungen handelt. So kann die Be-
stimmung auf alle ausgesprochenen Fälle von Geisteskrankheit angewendet
werden. Daß diese Annahme nach dem kanonischen Recht zutrifft, kann man
auch daraus schließen, daß das Gesetz in $ 2 fortfährt: ‚Haben solche Geistes-
kranke lichte Augenblicke, oder machen sie bei einzelnen Schlußfolgerungen oder
Handlungen den Eindruck gesunder Menschen, so werden sie gleichwohl als
deliktsunfähig angesehen.“
Umgekehrt haben eine Reihe alter und auch neuerer Strafgesctze eine
rein klinische oder biologische Fassung des Begriffes der Unzurech-
nungsfähigkeit. So heißt es im französischen und im gleichlautenden belgischen
Gesetz: „Ein Verbrechen oder ein Vergehen ist nicht vorhanden, wenn sich
der Täter zur Zeit der Begehung der strafbaren Handlung in einem Zustande
212 Friedrich Meggendorfer
von Geisteskrankheit (démence) befand. Das niederländische Gesetz sagt:
„Nicht strafbar ist derjenige, der eine Handlung begeht, die ihm wegen mangel-
hafter Entwicklung oder krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit nicht
zugerechnet werden kann. Das bisherige spanische Strafgesetzbuch be-
stimmte: „Es begehen kein Verbrechen und sind deshalb frei von strafrecht-
licher Zurechnungsfähigkeit: 1. der Blödsinnige, 2. der Geisteskranke, wenn
die Tat nicht in einem lichten Augenblick geschehen ist. Das japanische Straf-
gesetzbuch vom 23. 4. 1907 bestimmt in $ 39: „Handlungen Bewußtloser sind
nicht strafbar. Das chinesische Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 sagt in Art. 31:
„Die von einem Geisteskranken begangene Straftat ist nicht strafbar. Das
bürgerliche Strafgesetzbuch Dänemarks vom 15. 4. 1930 erklärt solche Hand-
lungen für straflos, die von Personen begangen wurden, welche wegen Geistes-
krankheit oder Zuständen, die derselben an die Seite zu stellen sind, oder eines
höheren Grades von Geistesschwäche nicht zurechnungsfähig sind. Der spa-
nische Vorentwurf zur Reform des Strafgesetzbuches von 1931 sagt nach dem
Vorschlag eines Psychiaters, Prof. Sanchis Banus: „Strafrechtlich von Zu-
rechnung sind frei der Geisteskranke und wer sich in einem Zustande vorüber-
gehender Geistesstörung befindet, soweit er ihn nicht vorsätzlich herbeigeführt
hat.“ Die meisten dieser Fassungen haben im Gegensatz zu den psychologischen
Umschreibungen den Nachteil, daß sie zu weit sind. Es entspricht eben nicht
dem allgemeinen Rechtsempfinden, daß jede Geisteskrankheit und jede Störung
der Geistestätigkeit von Strafe befreien soll. Wagner von Jauregg führte
dazu aus, man könne zwar aus dem Geiste der verschiedenen Gesetze unschwer
erkennen, daß der Gesetzgeber unter Geisteskrankheit nicht auch die leich-
testen Störungen verstehe, sondern nur solche, die einen erheblichen Grad
erreicht haben. Aber es sei immer mißlich, wenn ein Gesetz nicht so laute, wie
es verstanden werden müsse, und wenn man sich, um es richtig zu verstehen,
erst den Geist des Gesetzes vergegenwärtigen müsse.
Verschiedene Strafgesetze versuchen deshalb den Unzurechnungsfähigkeit
bewirkenden Grad der Geisteskrankheit näher zu umschreiben und kommen
damit zu einer gemischt biologisch-psychologischen Fassung. 80
sagt das schottische Gesetz und ähnlich das englische: „Geisteskrankheit, inso-
fern sie den Täter verhindert, die Natur der Tat oder ihre Unsittlichkeit oder
Rechtswidrigkeit zu erkennen, bewirkt Straffreiheit. Das neue italienische
Strafgesetzbuch besagt in $ 88: „Unzurechnungsfähig ist, wer sich zur Zeit der
Straftat in einem derart krankhaften Geisteszustande befand, daß die Fähigkeit
zu verstehen und zu wollen aufgehoben war.“ Die Diskussion dieser Fassung
zeigt bereits, daß sie nicht ganz eindeutig ist. Man kann, wie Grispigni aus-
führte, diese Fassung so auslegen, daß für die Zurechnungsfähigkeit die Nor-
malität der Geistes- und Willenskraft genügt, so daß also die Anomalien des
Affekts ohne Belang wären. In der Tat heißt es auch in der offiziellen mini-
steriellen Erklärung: Der Begriff der Zurechnungsfähigkeit umfaßt die Fähig-
keiten zu wollen, zu unterscheiden, Motive gewissenhaft auseinanderzuhalten
und Hemmungsmechanismen einzuschalten. Es wird hier auch auf den im $ 102
festgelegten Begriff des Gewohnheitsverbrechers verwiesen, der, obwohl bei
ihm Gefühlsanomalien vorhanden sind, doch die Fähigkeiten zu verstehen und
zu wollen besitzt und mithin zurechnungsfähig ist. Diese Unsicherheit ist viel-
leicht in der Fassung der letzten Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch
Forensische Psychiatrie 213
vermieden, so im Reichstagsentwurf von 1927 5 13, 1: „Nicht zurechnungsfähig
ist, wer zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung
der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unrecht-
mäßige der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Ganz ähnlich
sagt auch der griechische Entwurf von 1924, Art. 81: „Die Handlung wird
demjenigen, der sie begangen hat, nicht zugerechnet und er bleibt straflos, wenn
er zur Zeit ihrer Begehung wegen krankhafter Störung der geistigen Tätigkeiten
oder Bewußtseinsstörung nicht die Fähigkeit besaß, die Strafbarkeit seiner
Handlung einzusehen oder einen seiner Einsicht gemäßen Entschluß zu fassen ;“
und fast wörtlich ebenso lautet der oben zitierte $ 21 des Vorentwurfs zu einem
tschechoslowakischen Strafgesetzbuch. Der polnische Entwurf von 1928 sagt:
„Es begeht keine Straftat, wer zur Zeit der Tat wegen psychischer Krankheit
oder Störung psychischer Funktionen sich in einem Zustande befindet, der
ihm nicht erlaubt, die Bedeutung der Tat einzusehen, oder dieser Einsicht gemäß
zu handeln.“ Der norwegische Entwurf sagt: „Eine strafbare Handlung ist
nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Begehung auf Grund zurück-
gebliebener Entwicklung oder Schwächung oder krankhafter Störung der
Geisteskräfte das Wesen der Handlung und ihre rechtswidrige Beschaffenheit
nicht verstehen konnte, oder wenn er aus einem der genannten Gründe oder
wegen Zwangs oder dringender Gefahr oder eines besonderen seelischen Zu-
standes seiner selbet nicht mächtig war.“ Alle diese Zusätze enthalten wieder
eine psychologische Umschreibung eines Tatbestandes, die zwar den Eindruck
einer großen Genauigkeit der Gradbestimmung macht, mit der aber der Sach-
verständige und auch der Richter nicht viel anfangen kann. Auch für sie gelten
die oben angeführten Einwände Bleulers. Man kann aus ihnen im wesent-
lichen nur entnehmen, daß es sich um schwerere Störungen der Geistestätigkeit
handeln muß. Wenn auch zuzugeben ist, daß sie gegenüber den rein psycho-
logischen Fassungen und gegenüber der ohne Einschränkung gebrauchten Be-
zeichnung „ Geisteskrankheit“, „Geistesschwäche“ den Vorzug haben, scheint
es doch, daß sie im Grunde nicht genauer sind als die von Aschaffenburg
vorgeschlagene Fassung ‚ausgesprochene Geistesstörung, erhebliche Bewußt-
seinstrübung, hochgradige Geistesschwäche““.
Den weniger erheblichen Störungen der Geistestätigkeit, den Übergängen
zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit kann man weder durch Errichtung
einer künstlichen Scheidewand zwischen den Zurechnungsfähigkeit und Unzu-
rechnungsfähigkeit bewirkenden Zuständen noch durch Ignorierung gerecht
werden, sondern, wie Bleuler ausführt, nur dadurch, daß sie im Gesetz selbst
Berücksichtigung finden. Eine solche Berücksichtigung der Übergangszustände
sehen bekanntlich die letzten Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch
durch Einführung des Begriffes der verminderten Zurechnungsfähig-
keit vor. Dieser Begriff wurde in den letzten Jahrzehnten lebhaft diskutiert;
er erfuhr in peychiatrischen Kreisen überwiegend Zustimmung, vereinzelt aber
auch eine entschiedene Ablehnung. An sich ist nun dieser Begriff keineswegs
eine Neuerung im Strafrecht; selbst verschiedene deutsche Gesetzgebungen
kannten früher die verminderte Zurechnungsfähigkeit. Nach Kahl findet
sich die verminderte Zurechnungsfähigkeit bereits in deutschen Gesetzen 1507
und 1532 und seither in zahlreichen gründlich vorbereiteten Landesgesetzen.
In einer Reihe von ausländischen Strafgesetzgebungen besteht sie schon seit
214 Friedrich Meggendorfer
langem. So bestimmt das noch geltende Strafgesetzbuch Griechenlands von
1833, daß die Strafe zu mildern sei, „wenn aus allen Umständen klar und un-
zweifelhaft hervorgeht, daß die Vernunftstätigkeit zwar nicht ganz ausge-
schlossen, jedoch in so hohem Grade wesentlich gestört und gemindert ist,
daß aus diesem Grunde die Bedingungen zur Anwendung der vollen gesetz-
lichen Strafe hinwegfallen“. Auch das schwedische Strafgesetzbuch von 1864
schreibt mildere Strafe bei Mangel des vollständigen Vernunftgebrauchs, der
nicht straflos macht, vor. Das belgische Strafgesetzbuch von 1867 kennt die
verminderte Zurechnungsfähigkeit, die dem Richter die Möglichkeit gibt,
ganz allgemein mildernde Umstände anzunehmen. Die Strafgesetzbücher der
schweizerischen Kantone Appenzell, Bern, St. Gallen, Glarus, Graubünden,
Luzern, Neuenburg, Obwalden, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Tessin,
Thurgau, Wallis und Zug kennen den Begriff der verminderten Zurechnungs-
fähigkeit. Das norwegische Strafgesetz von 1902 stellt die Annahme der
verminderten Zurechnungsfähigkeit dem richterlichen Ermessen anheim.
Einige Staaten, z. B. England, haben zwar keine ausdrücklichen gesetzlichen
Bestimmungen in dieser Hinsicht; in praxi aber ist eine Berücksichtigung der
verminderten Zurechnungsfähigkeit möglich durch die große Freiheit des
richterlichen Ermessens.
Auch zahlreiche neuere Strafgesetze enthalten Bestimmungen über die
verminderte Zurechnungsfähigkeit. Das japanische Strafgesetz von 1907 sagt
in 5 39, Abs. 2: „Handlungen Geistesschwacher sind milder zu beurteilen.“
Der neue Codex iuris canonici von 1917 kennt die verminderte Zurechnungs -
fähigkeit wegen „debilitas mentis“. Der Codex bestimmt (C 2201, 5 4), daß
durch sie die Zurechnungsfähigkeit zwar nicht vollkommen ausgeschlossen, aber
doch vermindert wird; nur bei einigen nach kirchlicher Ansicht besonders
schweren Delikten läßt das Gesetz die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht
gelten. In die Strafgesetzgebung der Niederlande wurde der Begriff der ver-
minderten Zurechnungsfähigkeit durch das „Gesetz der kriminellen Psycho-
pathen‘ vom 28. 5. 1925, das am 21. 11. 1928 in Kraft trat, eingeführt. Die
neuen Strafgesetze von China, Dänemark, Jugoslavien und Italien kennen
die verminderte Zurechnungsfähigkeit; sie ist in den Entwürfen der Schweiz
und von Österreich vorgesehen. Der tschechoslowakische Entwurf von 1926
und der polnische Entwurf von 1928 enthalten den Begriff unter den Momenten,
die eine Herabsetzung des Strafmaßes erlauben. Dagegen kennen die Ent-
würfe und Gesetze der positiven Schule die verminderte Zurechnungsfähigkeit
nicht, wie sie ja überhaupt die Zurechnungsfähigkeit im herkömmlichen Sinne
nicht kennen. Ferri machte sich über die Bestimmungen des früheren italie-
nischen Strafgesetzbuches lustig, das die verschiedenen Grade der Zurech-
nungsfähigkeit mit einer ganzen Skala von Strafsätzen bedachte. Die quanti-
tative Bestimmung der Zurechnungsfähigkeit, meinte er, sei arithmetisch zwar
sehr bequem, aber peychologisch höchst absurd und sozial gefährlich. So kennt
auch der sowjetrussische Kodex den Begriff der verminderten Zurechnungs-
fähigkeit nicht, da die „Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder
Art“ an sich schon sehr variabel sind, also nach dem Ermessen des Gerichts
unter Umständen mit großer Milde festgesetzt werden können, und da außer-
dem 53 7 bestimmt, daß auch bei Personen, bei denen $ 11 nicht in Betracht
kommt, neben den Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich - bessernder
Forensische Psychiatrie 215
Art solche medizinischer und medizinisch-pädagogischer Art angewandt werden
können.
Die deutschen Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch schwankten bekanntlich
zwischen einer obligatorischen und einer fakultativen Strafmilderung bei
verminderter Zurechnungsfähigkeit. Von den Gesetzen, die bisher schon den
Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit kannten, sagt das schwedische
Gesetz, daß die Strafe für vermindert zurechnungsfähige Verbrecher „unter
Umständen“ unter das Maß, das sonst für die Straftat gilt, herabgesetzt werden
soll. Dagegen hatte das frühere dänische Strafgesetz obligatorische Straf-
milderung. Torp berichtete dazu: „Bei uns, wo man obligatorische Straf-
milderung immer gehabt hat, ist man darüber sehr unzufrieden und verlangt
alle Welt ihre Abschaffung.“ Von den neueren Strafgesetzen kennen das japa-
nische Strafgesetzbuch von 1907, das chinesische Strafgesetzbuch von 1928
und das italienische Strafgesetzbuch von 1930 (Art. 89) die obligatorische
Strafreduktion bei verminderter Zurechnungsfähigkeit; auch der polnische
Entwurf bestimmt, daß bei verminderter Zurechnungsfähigkeit dieser Umstand
als Milderungsgrund berücksichtigt werde. Der schweizerische Entwurf sagt,
bei Minderung der Zurechnungsfähigkeit ‚‚mildert der Richter die Strafe nach
freiem Ermessen. Der griechische Entwurf von 1924 bestimmt, daß bei ver-
minderter Zurechnungsfähigkeit die Strafe nach den Vorschriften über den
Versuch zu mäßigen sei. Dagegen ist im holländischen Psychopathengesetz
vom 28. 5. 1925 die fakultative Berücksichtigung der verminderten Zurech-
nungsfähigkeit vorgesehen. Der tschechoslowakische Vorentwurf von 1924 sagt,
daß bei verminderter Zurechnungsfähigkeit die Strafe gemildert werden „kann“.
Besondere Schwierigkeiten bereitet die Frage, wer als vermindert
zurechnungsfähig anzusehen sei. Man könnte hier wieder wie bei der
Zurechnungs- und Unzurechnungsfähigkeit eine biologische, eine psycholo-
gische und eine gemischte Umschreibung unterscheiden. Manche Strafgesetz-
bücher, so das italienische Strafgesetzbuch von 1930, der schweizerische Entwurf
von 1918, die letzten Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, der grie-
chische Entwurf von 1924 und der tschechoslowakische Vorentwurf von 1926
betonen nach der Umschreibung der Unzurechnungsfähigkeit, daß bei wesent-
licher Verminderung der Fähigkeiten der Zurechnungsfähigkeit der Täter als
vermindert zurechnungsfähig anzusehen sei. Einige Gesetze, die als Merkmal
der Unzurechnungsfähigkeit Geisteskrankheit angeben, geben als Merkmal
der verminderten Zurechnungsfähigkeit Geistesschwäche an; so führt der Codex
iuris canonici „debilitis mentis“ als Merkmal der verminderten Zurechnungs-
fähigkeit an. Auch das japanische und das chinesische Strafgesetzbuch sprechen
im gleichen Sinne von „Geistesschwäche“. Überhaupt fordern die meisten
neueren Strafgesetze, daß es sich bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit
um einen dauernden krankhaften Zustand handelt. Auch Kahl vertrat den
Standpunkt, daß der als vermindert zurechnungsfähig anzusehende Täter
sich bei der Begehung der Straftat in einem nicht bloß vorübergehenden krank-
haften Zustand befunden haben müsse. Nicht eingegangen ist auf diesen
Gesichtspunkt im holländischen Psychopathengesetz von 1925, das in $ 37a
die vermindert Zurechnungsfähigen umschreibt als „Personen, bei denen z. Z.
der Tat mangelhafte Entwicklung oder krankhafte Störung der Geistesfähigkeit
bestand“. Hierzu hatte Dr. van Bondwyk-Bastiaanse vorgeschlagen, es
216 Friedrich Meggendorfer
sollte eine Ergänzung vorgenommen werden, daß eine klare Beziehung zwischen
der krankhaften Störung und der strafbaren Handlung bestehen soll. Aber
dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Später gab Dr. van Bondwyk-Bastiaanse
einen Überblick über die psychischen Abweichungen, die hier in Betracht kommen,
wobei er ausdrücklich nannte: „Die Blödsinnigkeit mit ihren geistigen und
moralischen Defekten und ihrer Gemütslabilität, die metenzephalitischen Zu-
stände mit ihren moralischen Charakterabweichungen, Grenzzustände und die
leichten Formen der Psychosen.“ Das neue dänische Strafgesetzbuch hebt aus-
drücklich hervor, daß die Bestimmungen über die verminderte Zurechnungs-
fähigkeit auch auf geschlechtlich abnorme Personen Anwendung finden sollen.
Weiter sollen die Bestimmungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit
nach dem dänischen Strafgesetzbuch aber auch angewandt werden, wenn eine
strafbare Handlung unter Einfluß eines vorübergehenden Mangels an seelischem
Gleichgewicht begangen wurde. Der tschechoslowakische Vorentwurf von 1926
sieht als Voraussetzung einer Herabsetzung des Strafmaßes außer den die
Zurechnungsfähigkeit nur vermindernden Momenten auch vor: „Wenn der
Schuldige die strafbare Handlung begangen hat, indem er einer außergewöhn-
lichen Versuchung oder einem außergewöhnlichen Druck unterlag, oder in
einem vorübergehenden entschuldbaren außergewöhnlichen Geisteszustand“
sich befand.
Bemerkenswert sind die Maßnahmen, die mit Einführung des Be-
griffes der verminderten Zurechnungsfähigkeit nötig werden.
Sehr dringend äußerte sich die Notwendigkeit solcher Maßnahmen in Schweden,
das ja schon seit 1864 die verminderte Zurechnungsfähigkeit kannte. Wie
Petrén berichtete, verlangten die schwedischen Psychiater seit über 30 Jahren
ein neues Gesetz in der Erkenntnis, daß es nicht zweckmäßig sei, psychisch
abnorme Verbrecher mit Strafen gewöhnlicher Art, wenn auch mit Straf-
milderung, zu behandeln. Einerseits eigne sich der gewöhnliche Strafvollzug
nicht für sie, und andererseits gestatte auch der Schutz der Gesellschaft nicht
eine Verkürzung der Strafzeit. Deshalb forderten die schwedischen Psychiater,
daß die peychisch abnormen Verbrecher ihre Strafe in einer zwischen Kranken-
haus und Gefängnis stehenden Anstalt verbüßen könnten, und daß die Zeit
des Anstaltsaufenthaltes unbestimmter wäre, so daß die Dauer weniger von der
Art des Deliktes als von dem geistigen Zustande und dem Benehmen im Straf-
vollzuge abhinge. Ein solches Gesetz wurde in Schweden angenommen und ist
seit Anfang 1928 rechtskräftig; es heißt: „Gesetz betreffend Verwahrung ver-
mindert zurechnungsfähiger Verbrecher‘. Nach diesem Gesetz kann ein als
vermindert zurechnungsfähig erkannter Verbrecher an Stelle der Verbüßung der
ihm zugeteilten Strafe in eine Spezialanstalt zur Verwahrung aufgenommen
werden. Die Aufnahme kann insbesondere dann erfolgen, wenn man annehmen
muß, daß der Verbrecher voraussichtlich für die Strafe nur wenig zugänglich
wäre, daß er außerdem als gemeingefährlich zu betrachten ist, und schließlich,
wenn er eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat. Den
Beschluß zur Einweisung in die Verwahrungsanstalt kann das Gericht nur in
Verbindung mit einem Ausschuß von fünf Mitgliedern, von denen eines der
Vorsitzende des Gefängnisvorstandes, eines ein Arzt und eines ein Richter sein
soll, fassen. Die Dauer der Verwahrung ist mindestens zwei Jahre, u. U. aber
lebenslänglich. Über die Entlassung hat der erwähnte Ausschuß zu beschließen.
Forensische Psychiatrie 217
Der Entlassene soll unter Aufsicht gestellt werden; er kann jederzeit wieder
in die Anstalt aufgenommen werden. Zur Verwahrung der vermindert zu-
rechnungefähigen Verbrecher wurde eine eigene Anstalt in der Nähe der Stadt
Norrköping eingerichtet. Übrigens wurde neben diesem Gesetz gleichzeitig
auch ein Gesetz zur Verwahrung von zurechnungsfähigen Rückfallverbrechern
geschaffen. Auch in Dänemark, das schon im alten Strafgesetzbuch die ver-
minderte Zurechnungsfähigkeit kannte, wurden im neuen Strafgesetzbuch
Sicherungsmaßnahmen vorgesehen. Bei verminderter Zurechnungsfähigkeit
wird den Gerichtehöfen die Wahl gelassen, auf Strafe oder auf Sicherungs-
maßnahmen zu erkennen. Einen bemerkenswerten Gesichtspunkt bietet das
neue Strafgesetzbuch Dänemarks insofern, als es als entscheidendes Moment
für die Bestrafung der vermindert Zurechnungsfähigen die Wahrscheinlichkeit
hervorhebt, ob sie geeignet sind, durch die Strafe beeinflußt zu werden. Wenn
ein vermindert Zurechnungsfähiger außer einem Verbrechen, dessen Bestrafung
nutzlos wäre, ein anderes Verbrechen begangen hat, für das er voraussichtlich
mit Erfolg bestraft wird, so kann er sowohl Sicherungsmaßnahmen unter-
worfen als auch bestraft werden. Jedoch ist bestimmt, daß, wenn das Ver-
brechen, wegen dessen die Bestrafung in Frage kommt, im Verhältnis zu dem,
wegen dessen Sicherungsmaßnahmen getroffen werden, weniger erheblich ist,
das Gericht die Strafe erlassen kann. Diese Bestimmung zielt insbesondere auf
geschlechtlich abnorme, aber im übrigen normale Personen ab, die außer dem
Sittlichkeitsverbrechen eine andere nicht geschlechtlich bedingte Gesetzes-
übertretung begangen haben. Wenn die Verurteilung eines Angeschuldigten
zur Unterbringung in einem Hospital oder in einer Anstalt in Frage steht, kann
ihm ein „Aufsichtsvormund“ bestellt werden zum Beistand während der Straf-
verfolgung, und zwar neben dem Verteidiger, und für später, während des
Anstaltsaufenthaltes.
Während das dänische Gesetz, wie bereits berichtet, bei vermindert Zu-
rechnungsfähigen entweder Strafe oder Sicherungsmaßnahmen vorsieht,
sieht das norwegische Strafgesetzbuch, ähnlich wie die deutschen Entwürfe,
Strafe und Anstaltsverwahrung vor. Es wird jedoch berichtet, das Rechts-
bewußtsein des Volkes werde durch die doppelte Freiheitsentziehung stark
verletzt. |
Nach dem sog. Psychopathengesetz Hollands vom 28. 5. 1925 kann der
Richter bei vermindert Zurechnungsfähigen entweder die Bestimmungen des
Strafgesetzes wie für normale Kriminelle zur Anwendung bringen oder eine
spezielle Gefängnisstrafe oder auch eine Geldstrafe bis 6000 Gulden. Außerdem
kann der Richter, falls die öffentliche Ordnung es erfordert, den psychopa-
thischen Verbrecher „zur Verfügung der Regierung stellen“, d. h. seine Einweisung
in eine Anstalt zunächst auf höchstens zwei Jahre veranlassen. Der Vorschlag
von Dr. van Bondwyk-Bastiaanse, die Zwangspflege der kriminellen
Psychopathen in die Irrenanstalten zu verlegen, wurde nicht angenommen,
sondern es ist die Zwangspflege krimineller Psychopathen einem zu diesem
Zwecke gegründeten, unter ärztlicher Leitung stehenden „Reichsasyl“ oder
Privatasylen anvertraut. Es wurde ein „Algemeene Raad voor Psychopathen-
zorg eingesetzt zur Herbeiführung von Untersuchung und Begutachtung, zum
Beistand und zur Aufsicht der unter das Psychopathengesetz fallenden Per-
sonen. In ähnlicher Weise wie in Holland und in Schweden wurde auch in
218 Friedrich Meggendorfer
Belgien ein Gesetz, das die Unterbringung der vermindert zurechnungsfähigen
Verbrecher regelt, erlassen: „Loi de défense sociale à l’6gard des anormaux et
des deliquents d'habitude“ vom 9. 4. 1930.
Nach dem neuen Strafgesetzbuch von China von 1928 können die ver-
mindert Zurechnungsfähigen, deren Strafe herabgsetzt werden soll, nach dem
Strafvollzug Sicherungsmaßnahmen unterworfen werden. Auch der grie-
chische Entwurf von 1924 sieht vor, daß bei den zu Freiheitsstrafen verurteilten
vermindert Zurechnungsfähigen die Verwahrung in einer öffentlichen Heil-
und Pflegeanstalt nach Verbüßung der Strafe erfolgen soll, falls die öffentliche
Sicherheit es erfordert. Im Gegensatz dazu bestimmt das neue italienische
Strafgesetzbuch Rocco, daß die gemindert Zurechnungsfähigen, die bestraft
und in eine Heil- und Sicherungsanstelt eingewiesen werden, nach der Ver-
wahrung die Strafe abbüßen können. Auch die Entwürfe zu anderen ,duali-
stischen‘‘ Strafgesetzen, wie des polnischen, des jugoslavischen usw., sehen vor,
daß nach der Entlassung des zunächst in einer Heilanstalt verwahrten
Täters vom Gericht zu prüfen sei, ob eine Freiheitsstrafe an ihm noch zu voll-
ziehen sei.
Während verschiedene deutsche Autoren sich entschieden gegen die Ein-
führung des Begriffes der verminderten Zurechnungsfähigkeit in das deutsche
Strafgesetz aussprachen (Wilmanns, Luxenburger u. a.), sind in der aus-
ländischen Literatur, besonders der Staaten, deren Gesetze bereits diesen Begriff
seit längerer Zeit kennen, nur wenig Hinweise über schlechte Erfahrungen
damit zu finden. Uber die Forderung der schwedischen Psychiater nach einem
andersartigen Strafvollzug und einer ausreichenden Sicherung für die krimi-
nellen Psychopathen wurde bereits berichtet. Bemerkenswert ist eine kürzlich
erschienene Studie von I. B. Manser über die Frage der verminderten Zu-
rechnungsfähigkeit auf Grund von 251 auf verminderte Zurechnungsfähigkeit
lautenden Gutachten der psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich. Manser
kommt zu dem Ergebnis, daß die Möglichkeit der Annahme einer verminderten
Zurechnungsfähigkeit sowohl für die Begutachtung als auch für die Behandlung
gewisser Arten von Rechtebrechern ansehnliche Vorteile bringe. Verminderte
Zurechnungsfähigkeit wurde während des letzten Vierteljahrhunderts mit er-
staunlicher Konstanz bei 20 % aller Begutachteten der Züricher Universitäts-
klinik angenommen. Die besonders von Wilmanns durch Einführung der
verminderten Zurechnungsfähigkeit befürchteten Folgen haben sich nach den
Untersuchungen Mansers im allgemeinen als nicht ganz berechtigt erwiesen.
Übrigens erscheint es Manser vom psychiatrischen Standpunkt aus verfehlt,
obligatorische Strafmilderung für alle Fälle von verminderter Zurechnungs-
fähigkeit im Gesetze festzulegen. Die Belastung und die unheimliche Ver-
quickung mit Alkoholismus jeder Form, die häufige Schwererziehbarkeit von
Jugend auf und die vielen Vorstrafen verdüsterten bei einer großen Reihe der
zu Begutachtenden die soziale Prognose doch wesentlich.
Bemerkenswert ist, daß eine Reihe neuerer Gesetze die psychiatrische
Untersuchung der Angeklagten, wenigstens bei schwereren Delikten, vor-
schreiben. In dem neuen schwedischen Irrengesetz, das Anfang 1931 in
Kraft getreten ist, wird die obligatorische Untersuchung des Geisteszustandes
des Angeklagten vorgeschrieben, bevor das Gericht die Internierung eines rück-
fälligen Verbrechers verfügt oder jemand zu einjähriger oder noch längerer
Forensische Psychiatrie 219
Strafarbeit wegen Mordes, Mordbrands oder anderer Brandstiftung, die nicht
in betrügerischer Absicht vorgenommen wurde, oder wegen des Versuchs zur
Ausführung eines dieser Verbrechen verurteilt. Die Untersuchung ist auch
vorgeschrieben bei Angeklagten, die früher geisteskrank waren, sicher eine sehr
zweckmäßige Maßnahme, vor allem im öffentlichen Interesse, da sich erfahrungs-
gemäß eine einmal erfolgte Exkulpierung nur zu leicht von Verfahren zu Ver-
fahren forterbt, und da die Rechtsbrecher selbst auf ihre Unzurechnungsfähig-
keit pochen.
Wie bereite erwähnt, kennt, wie überhaupt die positive Schule, das rus-
sische Strafgesetzbuch die verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht. Sicherung
ist hier alles; alles ist, wenigstens der Theorie nach, darauf zugeschnitten. Der
„Strafvollzug“ ist eine Maßnahme des sozialen Schutzes. Deshalb hat, wie
Kamenetzki berichtet, der Gefängnispsychiater Einfluß auf eine Änderung
des Strafvollzuges, d. h. sein Urteil entscheidet über eine eventuelle Abkürzung
des Gefängnisaufenthaltes. Der Psychiater hat auch in der Kommission, die
über den Urlaub von Gefangenen entscheidet, beratende Stimme. Er hat sogar
ein Vorschlagsrecht für eine vorzeitige Entlassung eines Gefangenen oder für
eine Änderung des Strafvollzuges.
Weiterhin ist zu besprechen, ob und wie weit die neueren Strafgesetze die
Annahme einer Ausschließung und einer Verminderung der Zu-
rechnungsfähigkeit durch Alkohol und durch andere Rauschgifte
zulassen, Der Entwurf zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch von 1918
sieht bezüglich der Berauschung mit Alkohol und anderen Rauschgiften keine
besonderen, von den sonstigen über Zurechnungsfähigkeit und verminderte Zu-
rechnungsfähigkeit abweichenden Bestimmungen vor. Auch im tschecho-
slovakischen Vorentwurf ist die Betrunkenheit nicht besonders behandelt;
allerdings wird in der Begründung ausgeführt, daß bei einem Täter, der sich
in der Absicht, eine Straftat zu begehen, betrunken habe, nicht von Unzurech-
nungsfähigkeit gesprochen werden könne. Die meisten neueren Strafgesetze
dagegen bestimmen ausdrücklich, daß die Trunkenheit nur unter besonderen
Umständen ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließendes oder verminderte
Zurechnungsfähigkeit bewirkendes Moment sei. So sagt das neue chinesische
Strafgesetzbuch von 1928, Art. 32: „Die strafrechtliche Verantwortlichkeit
kann durch Trunkenheit nicht ausgeschlossen werden; wenn jedoch diese nicht
aus dem eigenen Willen des Täters erfolgte, wird die Strafe herabgesetzt.“
Der polnische Entwurf sieht in Art. 10, $ 2 vor: „Obige Vorschrift (betr. Un-
zurechnungsfähigkeit) hat keine Anwendung in dem Falle, wenn der Täter
vorsätzlich diesen Zustand herbeigeführt hat, um die Straftat zu begehen.“
Der Vorentwurf zur Reform eines spanischen Strafgesetzbuches von 1931 sagt:
„Damit die Trunkenheit von Zurechnung befreit, muß sie absolut und zufällig
sein.“ Bezüglich der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit durch Ange-
trunkenheit bestimmt das neue dänische bürgerliche Strafgesetzbuch von 1930:
„Der Mangel an seelischem Gleichgewicht, der von selbstverschuldeter Be-
rauschung herrührt, kann bezüglich der verminderten Zurechnungsfähigkeit
nur Anwendung finden, wenn der Angeschuldigte nicht früher einer ähnlichen
strafbaren Handlung oder der Übertretung der Sonderbestimmung, wodurch
gefährdende Berauschung mit Strafe belegt wird, schuldig befunden ist.“ Und
der Vorentwurf zu einem tschechoslowakischen Strafgesetzbuch fügt an die
Neurologie V,5 16
220 Friedrich Meggendorfer
Bestimmungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit an: „Diese Be-
stimmung findet keine Anwendung, wenn dieser außergewöhnliche Geisteszustand
durch selbstverschuldete Trunkenheit verursacht wurde.“
Während nach der gegenwärtigen Praxis in Deutschland sinnlose Trun-
kenheit meist als Bewußtlosigkeit im Sinne des $ 51 StGB. angesehen wird,
leichtere Grade von Trunkenheit aber meist als mildernde Umstände
gewertet werden, soll nach dem letzten Entwurf zu einem deutschen Straf-
gesetzbuch zwar auch die „Volltrunkenheit“ exkulpieren, dafür aber soll
nach $ 367 des Entwurfs von 1927 derjenige, der sich vorsätzlich oder fahrlässig
durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel
in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, mit Ge-
fängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, wenn er in
diesem Zustande eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht. Außerdem nimmt
der Entwurf von 1925 die durch selbstverschuldete Trunkenheit bewirkte ver-
minderte Zurechnungsfähigkeit ausdrücklich von einer Milderung der Strafe aus.
Der Codex iuris canonici unterscheidet die unfreiwillige und die freiwillige
Trunkenheit. Ist bei der unfreiwilligen, d. h. unverschuldeten Trunkenheit der
Gebrauch der Vernunft vollständig aufgehoben, so ist auch die Zurechenbarkeit
und damit die Strafbarkeit der begangenen Tat beseitigt, andernfalls nur ver-
mindert. Bei der freiwilligen, also verschuldeten Trunkenheit, unterscheidet der
Codex wieder, ob sich der Täter absichtlich in den Zustand der Trunkenheit
versetzte, um in ihm ein Verbrechen zu begehen oder um sich einen Entschul-
digungegrund zu verschaffen, oder ob er sich nicht zu diesem Zwecke, nur sonst
freiwillig, in einen Rauschzustand versetzte. Im ersteren Falle bleibt er für
seine Tat voll verantwortlich (actio libera in causa), im letzteren ist er zwar
nicht von der Verantwortung frei, auch wenn er sinnlos betrunken war, aber
seine Verantwortlichkeit ist geringer als bei demjenigen, der seiner Sinne mächtig
ist. Der Codex kennt also im Gegensatz zu dem deutschen Entwurf von 1925
eine verminderte Zurechnungsfähigkeit bei Betrunkenheit, aber er ist andererseits
auch wieder strenger; denn er bedroht auch den Volltrunkenen mit Strafe für
das von ihm begangene Delikt. Übrigens sieht der kanonische Codex, ähnlich
wie der deutsche Entwurf, für die übrigen Rauschgifte die gleiche Regelung wie
bezüglich des Alkohols vor, denn er bestimmt, daß für „andere ähnliche Geistes-
störungen‘ das Gleiche zu gelten habe wie für die Trunkenheit. Eine ähnliche
differenzierte Regelung wie das kirchliche Gesetz, aber in anderer Form, sieht
der Entwurf des griechischen Strafgesetzbuches von 1924 vor. Art. 82 sagt:
„Die Zurechnung einer Handlung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Täter sie
in einem normalen Seelenzustande beschlossen, sich aber, um sie auszuführen,
in den Zustand der Bewußtseinstrübung versetzt hatte. Wenn die in einem
solchen Zustande verübte Handlung eine andere ist als die beschlossene, so
wird der Täter nach den Vorschriften des Artikels 83 (verminderte Zurechnungs-
fähigkeit) bestraft. Die begangene Handlung wird dem Täter als Fahrlässigkeit
zugerechnet, wenn dieser vorausgesehen hatte oder voraussehen konnte, daß
er, wenn er sich in einen Zustand der Bewußtseinsstörung versetzte, sie be-
gehen könne.“ Das neue italienische Strafgesetzbuch Rocco von 1930 bestimmt
bezüglich der Trunksuchtsdelikte, daß die Strafe erhöht wird, wenn eine straf-
bare Handlung von einem Gewohnheitstrinker in vergiftetem Zustande be-
gangen wird ; und das Gleiche soll für alle chronischen Genußgiftsüchtigen gelten.
Forensische Psychistrie 221
Die meisten neueren „dualistischen‘ Strafgesetze sehen bei chronischen
Alkohol- und Rauschgiftkranken Heilmaßnahmen vor. Der schweizerische
Entwurf von 1918, Art. 42, Abs. 1 sagt: „Ist jemand, der wegen eines Ver-
gehens zu Gefängnis verurteilt wird, ein Gewohnheitstrinker, und steht sein
Vergehen damit in Zusammenhang, so kann der Richter anordnen, daß der
Verurteilte nach Vollzug der Strafe in eine Trinkerheilanstalt aufgenommen
werde. Ebenso kann der Richter einen Gewohnheitstrinker, den er wegen
Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen hat oder gegen den aus diesem Grunde
das Verfahren eingestellt worden ist, in eine Trinkerheilanstalt einweisen.“
Der Entwurf sieht dabei vor, daß der Richter bei seinen Anordnungen Ärzte
als Sachverständige zuzuziehen hat, daß die Verwahrung höchstens zwei Jahre
dauern soll, und daß nach der Entlassung Stellung unter Schutzaufsicht erfolgt.
Auch die letzten deutschen Entwürfe sehen bekanntlich ähnliche Maßnahmen
vor; $ 57 des Entwurfes von 1927 lautet in der Fassung, wie er vom Reichstags-
ausschuß für Strafrechtsreform angenommen wurde: „Wird jemand, der ge-
wohnheitsmäßig im Übermaß geistige Getränke oder andere berauschende
Mittel zu sich nimmt, wegen einer Tat, die er im Rausch begangen hat, oder
die mit einer solchen Gewöhnung in ursächlichem Zusammenhang steht, oder
wegen Volltrunkenheit zu einer Strafe verurteilt, und ist seine Unterbringung
in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt erforderlich, um
ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, so ordnet das
Gericht zugleich die Unterbringung an.“ Der tschechoslowakische Vorentwurf
von 1926 sieht nach $54,2 vor: „Spricht das Gericht den Beschuldigten wegen
Unzurechnungsfähigkeit von der Anklage eines Verbrechens oder eines Ver-
gehens frei, so verweist es ihn in eine Anstalt für kranke Gefangene, wenn die
Ursache seiner Tat ungezügelter Hang zu alkoholischen Getränken (Trunk-
sucht) oder zu anderen berauschenden Mitteln oder Giften war;“ aber auch
ein Verurteilter soll nach $ 55, 4 in eine solche Anstalt eingewiesen werden,
„wenn die Ursache seiner Tat ungezügelter Hang zu alkoholischen Getränken
(Trunksucht) oder zu anderen berauschenden Mitteln oder Giften war“.
Eine sehr klare und entschiedene Stellung zum Alkohol und den anderen
Rauschgiften nehmen die auf dem Sicherungsgedanken aufgebauten Straf-
gesetze ein. Der italienische Vorentwurf von 1921 berücksichtigte nur eine
nicht voraussehbare Trunkenheit zugunsten des Verbrechers, und auch diese
nach Art. 22, Abs. 4 nur als einen Umstand, der eine geringere Gefährlichkeit
beim Verbrecher anzeigt. Bei voraussehbarer, selbst sinnloser Betrunkenheit
soll die für das Verbrechen bestimmte Sanktion stets ungemildert zur Anwendung
kommen, und zwar auch dann, wenn die Verbrechensbegehung nicht voraus-
gesehen wurde und vielleicht gar nicht vorausgesehen werden konnte. Weiter-
hin bestimmte der italienische Vorentwurf von 1921 in Art. 33, Ab. 1: „Der
nicht geisteskranke Verbrecher, der sich im Zustande ständiger Vergiftung
durch Alkohol oder einen anderen Giftstoff oder auch im Zustande schwerer
psychischer Gestörtheit befindet, wird in besonderen Arbeitskolonien abge-
sondert. Der sowjetrussische Strafkodex bestimmt, wie bereits erwähnt, in
$ 11, daß Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-bessernder Art nicht
angewandt werden können auf Personen, die ein Verbrechen im Zustande der
Geisteskrankheit oder in einem anderen krankhaften Zustande usw. begangen
haben. Auf diese Personen können lediglich Maßnahmen des sozialen Schutzes
16*
222 Friedrich Meggendorfer
medizinischer Art angewandt werden. Auf diese Bestimmung folgt die wichtige
„Anmerkung“: „Die Geltung dieses Paragraphen erstreckt sich nicht auf Per-
sonen, die ein Verbrechen im Zustande der Trunkenheit begangen haben.“
Es macht nach dem Kommentar von Hernett und Trainis auch keinen
Unterschied, ob der Täter sich im Zeitpunkt der Tat zufällig in diesem Zustande
befunden hat, oder ob er sich absichtlich in diesen Zustand versetzt hat, um
das Verbrechen zu begehen. Der alkoholischen Trunkenheit ist gleichzusetzen
der Mißbrauch von anderen narkotischen Mitteln. Wie weiterhin Kirow, der
Leiter der kriminal-psychopathologischen Abteilung des allukrainischen Institute
für Psychiatrie, betonte, muß auch der pathologische Rausch in den Begriff
„Rauschzustand“ der Anmerkung zum 51 l einbezogen werden. Geschähe dies nicht,
so widerspräche es dem Prinzip der sowjetischen Kriminalpolitik: Anwendung
der zweckmäßigsten Maßnahmen des sozialen Schutzes oder der Erziehung
der sozial-gefährdeten Elemente. In allen Fällen der Betrunkenheit, in denen
der Alkoholgenuß nicht zu einer psychischen Degradation geführt hat und nicht
nur ein Symptom einer anderen Geistesstörung ist, müßten allgemeine ge-
richtlich-korrigierende Maßnahmen Platz greifen. Übrigens wäre auch die
Internierung solcher Täter, die ein Verbrechen in einem pathologischen Rausch-
zustande begangen haben, in einer Heilanstalt zwecklos, da der Verurteilte als
an sich geistig gesund doch bald daraus entlassen würde.
Alle neueren Strafgesetze, welcher Richtung sie auch angehören, nehmen
weitgehend Rücksicht auf die Jugendlichen. Die reinen Vergeltungsstraf-
gesetze früherer Zeiten waren bezüglich der Jugendlichen von einer uns heute
kaum mehr verständlichen Schärfe. Es ist noch nicht so lange her, daß selbst
an Kindern die Todesstrafe vollzogen wurde. Wenn wir beispielsweise von dem
Richter Julian W. Mack hören, daß in England noch im 19. Jahrhundert Kinder
von 9 Jahren gehängt wurden, so werden wir von Entsetzen erfüllt. Zwar berück-
sichtigten auch schon ältere Strafgesetze das Kindesalter, aber für das Jugend-
alter im weiteren Sinne hatte man lange kein genügendes Verständnis. Erst
um die Jahrhundertwende setzte die Jugendgerichtsbewegung ein. Sie ging
von den britischen Dominions aus. Schon im Jahre 1890 sah die staatliche
Gesetzgebung Südaustraliens ein besonderes Verfahren gegen Jugendliche vor;
andere britische Dominions folgten mit ähnlichen Einrichtungen. Die eigent-
liche epochemachende Entwicklung aber vollzog sich in den Vereinigten Staaten
von Amerika, wo 1899 das erste Jugendgericht in Chicago eröffnet wurde.
Rasch wurden dann die übrigen Staaten der Union in die Bewegung hinein-
gezogen. Die Jugendgerichtsgesetze sind in den verschiedenen Staaten der
Union verschieden. Sie beziehen sich auf Kinder und Jugendliche vom Säuglings-
alter bis zum 16. oder 18. Lebensjahre. Nach den meisten Jugendgerichtegesetzen
sind die Jugendgerichte nicht nur für straffällige Kinder zuständig, sondern
auch für solche, die ohne einen Rechtsbruch begangen zu haben, in schlechter
Gesellschaft verwahrlost, übel beleumundet sind, unzüchtige Redensarten
führen, sich ohne Aufsicht herumtreiben, die Schule versäumen usw. In ein-
zelnen Gesetzen ist direkt zum Ausdruck gebracht, daß bei der Behandlung
der Kinder vor dem Jugendgericht das pädagogische Moment an Stelle des
strafrechtlichen treten soll. Die Jugendgerichtssache ist von der der Erwach-
senen völlig getrennt, auch räumlich ` das Verfahren bewegt sich nicht innerhalb
der sonst für den Strafprozeß vorgeschriebenen Grenzen; die äußere Auf-
Forensische Psychiatrie 223
machung der Verhandlung wird dem kindlichen Denken und Empfinden an-
gepaßt; die Eltern werden zur Unterstützung des Gerichts in weitem Maße
herangezogen, können freilich auch bei Vernachlässigung der Erziehungspflichten
eine empfindliche Lehre bekommen. Gefängnisstrafen gegen Jugendliche
werden möglichst vermieden; sie sind in manchen Staaten, z. B. in Illinois,
bei Jugendlichen unter 14 Jahren überhaupt nicht anwendbar; dafür werden
die Kinder in Jugendheimen mit Unterrichtsmöglichkeiten, in Psychopathen-
heimen und in Landkolonien untergebracht. Das Schwergewicht der Ein-
richtung aber liegt in dem sog. Probationssystem. Dieses setzt sich zusammen
aus der Urteils- oder Strafaussetzung, der Gewährung einer Bewährungsfrist
und der Stellung unter die Fürsorge eines „probation-officers‘‘ für diese Zeit.
„Das Bewährungssystem“, heißt es in einem amerikanischen Bericht über die
Jugendgerichte, „ist vielleicht die praktischste Bewegung einer Strafrechts-
reform, da es die Quelle verstopft, aus der das Verbrechen quillt.“ Auch zahl-
reiche andere Staaten erhielten in der Folge neben den bestehenden Straf-
gesetzen besondere Jugendgerichtsgesetze. Hier sind besonders zu nennen
das schwedische Jugendgerichtsgesetz von 1905, das große Gesetz für Kinder-
schutz und Kinderfürsorge Großbritanniens und Irlands, der „Children Act“
vom 21. 12. 1908, das französische Jugendgerichtsgesetz vom 22. 7. 1912, das
im belgischen Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 enthaltene Jugendgerichts-
gesetz, das ungarische Jugendgerichtsgesetz vom 12. 4. 1914, das deutsche
Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 1923, das österreichische „Bundesgesetz vom
18. 7. 1928 über die Behandlung junger Rechtsverbrecher“, sowie schließlich
das niederländische Gesetz vom 25. 6. 1929 betr. die Behandlung Jugendlicher.
Weiterhin wurden in die neueren Strafgesetze und Entwürfe besondere Be-
stimmungen hinsichtlich der Behandlung der jugendlichen Rechtsbrecher
hineingearbeitet.
Die Jugendgerichtsgesetze, die Strafgesetze und Entwürfe berücksichtigen
das Jugendalter hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit teils in-
sofern, als sie schon dem Jugendalter an sich eine Aufhebung oder eine Ver-
minderung der Zurechnungsfähigkeit zuerkennen, teils weiterhin insofern, als
sie Unzurechnungsfähigkeit unter besonderen, dem Jugendalter angepaßten
Bedingungen anzunehmen geneigt sind. Der erstere Gesichtspunkt wirkt sich
aus in den Bestimmungen über die relative und absolute Strafmündigkeit, der
letztere in den Bestimmungen über die Einsicht in die Strafbarkeit der Handlung.
Bezüglich der Strafmündigkeit unterscheiden einige der neuen Straf-
gesetze nur zwei Altersstufen, die strafunmündigen Kinder und die strafmün-
digen Erwachsenen. So sind nach dem japanischen Strafgesetzbuch vom
23. 4. 1907 die Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahre strafunmündig, die
Jugendlichen vom 15. Lebensjahre an wie die Erwachsenen voll strafmündig.
Auch nach dem afghanischen Strafgesetzbuch von 1924 werden Personen, die
zur Zeit der Straftat das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, als nicht
verantwortlich angesehen. Nach dem russischen Kriminalkodex ist die Grenze
zwischen Kindern und Jugendlichen einerseits und Erwachsenen andererseits
das 16. Lebensjahr. Nach dem mexikanischen Jugendgerichtsgesetz vom
20. 3. 1928 ist die Grenze zwischen Strafunmündigkeit und Strafmündigkeit
das 15. Lebensjahr. Die meisten neueren Strafgesetze dagegen kennen zwischen
Strafunmündigkeit und Strafmündigkeit ein Zwischenstadium, ein Stadium der
224 Friedrich Meggendorfer
„problematischen Reife“, so das deutsche Jugendgerichtegesetz vom
16. 2. 1923, das dänische bürgerliche Strafgesetzbuch von 1930 und das italie-
nische Strafgesetzbuch von 1930, die als Zeit der relativen Strafmündigkeit die
Zeit vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre bestimmen.
Die Strafgesetzentwürfe der Schweiz und Deutschlands sehen die gleichen
Altersgrenzen vor. Nach dem schwedischen Gesetz von 1905 besteht relative
Strafmündigkeit für jugendliche Verbrecher vom 15. bis zum 18. Lebensjahre.
Nach dem griechischen Entwurf von 1924 gilt die Zeit vom vollendeten 12. bis
zum vollendeten 16. Lebensjahre, nach dem polnischen Entwurf von 1924 die
Zeit nach Zurücklegung des 13. bis zur Vollendung des 17. Lebensjahres als
Stadium der problematischen Reife. Mehrere neuere Strafgesetze differenzieren
noch weiter. Nach dem Codex iuris canonici sind die ‚„infantes‘‘ bis zum voll-
endeten 7. Lebensjahre zurechnungs- und deliktsunfähig; die „,impuberes“
männlichen Geschlechts bis zum vollendeten 14., die weiblichen Geschlechts bis
zum 12. Lebensjahr sind, da sie den Gebrauch der Vernunft besitzen, delikte-
fähig, ebenso natürlich die „ puberes“ von da bis zum vollendeten 21. Lebens-
jahre. Das belgische Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 kennt eine untere
Grenze der relativen Strafmündigkeit nicht; dagegen wird bezüglich der anzuord-
nenden Maßnahmen zwischen den Jugendlichen unter 16 und den Jugend-
lichen zwischen 16 und 18 Jahren unterschieden. Das französische Jugend-
gerichtsgesetz vom 22. 7. 1912 nimmt eine relative Strafmündigkeit Jugend-
licher zwischen 13 und 18 Jahren an; es unterscheidet aber bezüglich der Be-
handlung zwischen Jugendlichen von 13 bis 16 und solchen zwischen 16 und
18 Jahren.
Es erhebt sich nun weiter die Frage, was mit den strafunmündigen
Kindern, die strafbare Handlungen begehen, zu geschehen hat.
Nur die konsequent auf dem Vergeltungsgedanken aufgebauten Strafgesetze
lassen Angaben darüber vermissen. Die Strafgesetze dagegen, die den Schutz
der Gesellschaft bezwecken, seien sie nun reine Sicherungsgesetze, seien sie
dualistisch orientiert, sehen auch für diese Fälle Sicherungsmaßnahmen vor.
Diese Maßnahmen bestehen in Erziehung der Jugendlichen und Sicherungs-
maßnahmen im engeren Sinne. Selbst in Ländern, die noch auf dem Vergel-
tungsgedanken basierte Strafgesetze haben, so etwa in England, Frankreich,
Belgien, Deutschland, Österreich, hat sich das Bedürfnis nach einer derartigen
Behandlung der nichtstrafmündigen Kinder geltend gemacht. Die entspre-
chenden Bestimmungen sind entweder in den Jugendgerichtsgesetzen oder in
eigenen Gesetzen niedergelegt. Zu den ersteren gehört das französische Jugend-
gerichtsgesetz von 1912, das bestimmt, daß gegen Minderjährige unter 13 Jahren
nur Erziehungs- und Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden können. Zu den
letzteren gehört das deutsche Reichsjugendwohlfahrtsgesetz, das jetzt in der
Fassung vom 12. 2. 1924 rechtskräftig ist. Es umfaßt die Bestimmungen über
die Einrichtung der öffentlichen Jugendfürsorge sowie insbesondere auch die
Bestimmungen über die Schutzaufsicht und die Fürsorgeerziehung. Nach $ 66,
Abs. 4 dieses Gesetzes kann im Fürsorgeerziehungsverfahren das Vormund-
schaftsgericht die ärztliche Untersuchung des Minderjährigen anordnen und ihn
auf die Dauer von höchstens 6 Wochen in einer zur Aufnahme von jugend-
lichen Psychopathen geeigneten Anstalt oder in einer öffentlichen Heil- und
Pflegeanstalt unterbringen lassen. Mexiko erhielt am 20.3. 1928 ein zunächst aller-
Forensische Psychiatrie 225
dings nur für den mexikanischen Bundesdistrikt geltendes besonders bemerkens-
wertes Jugendgerichtsgesetz. Das Gesetz, das ebenfalls kein Strafgesetz ist, bezieht
sich nur auf Jugendliche bis zum 15. Lebensjahre. Nach diesem Gesetz unter-
liegen die Jugendlichen unter 15 Jahren keiner strafrechtlichen Verfolgung, doch
kann der Staat die zweckmäßigsten Maßnahmen treffen, um ihre Erziehung
zu regeln und sie von strafbaren Handlungen abzuhalten: Verweis, Beauf-
sichtigung der Erziehung im Elternhaus, bei einer vertrauenswürdigen Person,
in einer Anstalt, Ordnungsstrafe gegen die Eltern, wenn sie ihre Erziehungs-
pflicht vernachlässigen, Internierung des Jugendlichen in einem Sanatorium
oder einem Asyl, andere Maßnahmen ärztlichen Charakters, Anwendung von
Zuchtmitteln. Diese Maßnahmen beschließt ein besonderes „Jugendgericht“,
das aus einem Lehrer der Normalschule, einem Arzt und einem Fachpsychologen,
aber keinem Juristen zusammengesetzt ist. Zwei von den drei Mitgliedern
müssen männlichen, eines weiblichen Geschlechte sein. Es ist auch eine Beobach-
tung des Jugendlichen vorgesehen, die in einer „Beobachtungsanstalt‘‘, aber
auch im Elternhaus geschehen kann und 14 Tage nicht überschreiten soll. —
Der tschechoslowakische Regierungsentwurf über die Jugendstrafgerichtsbarkeit
von 1930 setzt die Strafmündigkeit auf das vollendete 14. Lebensjahr fest. Für
die Kinder bis zu diesem Zeitpunkte soll bei Strafhandlungen das Pflegschafte-
gericht, also nicht ein Strafgericht, entscheiden, ob es die Kinder selbst be-
strafen will, oder ob es die Bestrafung der Schule oder der Familie überlassen
oder auch Schutzaufsicht oder anstaltemäßige Fürsorgeerziehung anordnen
will. Dieses alles kann übrigens auch aus anderen Gründen und Anlässen ge-
schehen, hat also keinen eigentlichen Strafcharakter. Nur wenn ein Kind eine
sonst mit Todes- oder lebenslänglicher Kerkerstrafe bedrohte Handlung begeht,
muß Anstaltserziehung angeordnet werden. — Was die Behandlung der nicht
strafmündigen Jugendlichen in den dualistisch orientierten Gesetzen anlangt,
so bestimmt das chinesische Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 im $ 30: „Die
von einer unter 13 Jahre alten Person begangene Straftat ist nicht strafbar.
Es kann aber diese Person je nach den Umständen in einer Erziehungsanstalt
untergebracht oder gegen eine entsprechende Bürgschaft dem Vormund oder
dem Erziehungsberechtigten zur Überwachung ihrer Führung auf die Dauer
von einem bis zu drei Jahren übergeben werden.“ Das jugoslavische Straf-
gesetzbuch vom 31. 12. 1929 besagt, daß die Kinder bis zum vollendeten 14. Le-
bensjahre, die strafrechtlich nicht verantwortlich sind, den Eltern zur wirkungs-
volleren Erziehung oder den Schulbehörden zur besseren Aufsicht übergeben
werden sollen. Das neue italienische Strafgesetzbuch Rocco von 1930 bestimmt
in Art. 224: „Falls die von einem Minderjährigen unter 14 Jahren begangene
Handlung vom Gesetz als Delikt vorgesehen ist, und wenn der Jugendliche
gefährlich ist, ordnet der Richter unter Berücksichtigung der Schwere der Tat
und der moralischen Bedingungen der Familie, in der der Jugendliche bisher
gelebt hat, an, daß dieser in einer Gerichtserziehungsanstalt untergebracht oder
der Aufsicht unterstellt werde.“ Wenn das Gesetz für das Delikt aber Todes-
strafe oder Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter 3 Jahren vorsieht, und wenn
es sich um ein schuldhaftes Delikt handelt, wird immer die Unterbringung des
Jugendlichen in einer Erziehungsanstalt auf die Dauer von mindestens 3 Jahren
angeordnet. Auch die Entwürfe zu neueren Strafgesetzbüchern enthalten
ähnliche Bestimmungen. So bestimmt der Entwurf zu einem schweizerischen
226 Friedrich Meggendorfer
Strafgesetzbuch von 1918 in Art. 80—86: „Begeht ein Kind unter 14 Jahren
eine als Vergehen oder als Übertretung bedrohte Tat, so wird es nicht straf-
rechtlich verfolgt. Hat das Kind das 6. Lebensjahr zurückgelegt, so stellt die
zuständige Behörde den Sachverhalt fest und zieht über den körperlichen und
geistigen Zustand des Kindes und über seine Erziehung genaue Berichte, in
allen zweifelhaften Fällen auch einen ärztlichen Bericht ein. Ist das Kind
sittlich verwahrlost, sittlich verdorben oder gefährdet, so ordnet die zuständige
Behörde seine Versorgung an. Die Versorgung kann erfolgen durch Überweisung
des Kindes an eine Erziehungsanstalt oder durch Übergabe an eine vertrauens-
würdige Familie zur Erziehung unter Aufsicht der zuständigen Behörde. Das
Kind kann auch der eigenen Familie zur Erziehung unter Aufsicht der zustän-
digen Behörde überlassen werden. Erfordert der Zustand des Kindes eine
besondere Behandlung, ist das Kind insbesondere geisteskrank, schwachsinnig,
blind, taubstumm oder epileptisch, so ordnet die zuständige Behörde die Be-
handlung an, die der Zustand des Kindes erfordert. Ist das Kind weder sittlich
verwahrlost noch sittlich verdorben oder gefährdet, und bedarf es keiner be-
sonderen Behandlung, so erteilt die zuständige Behörde, falls sie das Kind fehlbar
findet, einen Verweis oder bestraft es mit Schularrest. Haben die Eltern ihre
Pflichten gegen das Kind vernachlässigt, so erteilt diesen die zuständige Be-
hörde eine Ermahnung oder eine Verwarnung.“ Der griechische Entwurf von
1924 sieht in Art. 85 vor: „Die von einem Kinde, das sein 12. Lebensjahr nicht
vollendet hat, begangene Handlung wird ihm nicht zugerechnet, und es bleibt
straflos. Wenn aber die Staatsanwaltschaft es für nötig erachtet, kann sie
seine Unterbringung in eine besondere staatlich beaufsichtigte Erziehungs-
anstalt anordnen.“ Der polnische Entwurf von 1924 sagt in Art. 68, $ 1: „Es
wird nicht strafrechtlich verfolgt: a) ‚ein Unmündiger, der vor Zurücklegung
des 12. Lebensjahres eine mit Strafe angedrohte Tat begangen hat. 5 2:
„Bei diesen Unmündigen werden vom Gericht Erziehungsmaßnahmen an-
geordnet.“ Die Kriminalgesetze positivistischer Richtung sehen bezüglich
der Jugendlichen durchweg lediglich Erziehungsmaßnahmen vor. Allerdings
sagt der Vorentwurf zu einem italienischen Strafgesetzbuch Ferris von 1921,
daß die für die erste Altersperiode bis zu 12 Jahren in Aussicht genommenen
Erziehungsmaßnahmen nicht ausschließlich von der geistigen Eigenart des
Täters, sondern zum Teil auch von der objektiven Schwere der Tat abhängig
gemacht werden sollen. Der sowjetrussische Kriminalkodex bestimmt in seiner
Fassung vom 30. 10. 1929 in $ 12: „Maßnahmen des sozialen Schutzes gerichtlich-
bessernder Art finden auf Minderjährige im Alter bis zu 16 Jahren keine An-
wendung; auf diese können lediglich Maßnahmen des sozialen Schutzes medi-
zinisch-pädagogischer Art — und zwar von besonderen Ausschüssen für die
Angelegenheiten Minderjähriger — angewandt werden.“ Die hier vorgesehenen
Maßnahmen des sozialen Schutzes medizinisch-pädagogischer Art sind nach
§ 25: „a) Überweisung von Minderjährigen unter die Obhut der Eltern, Adoptiv-
eltern, Vormünder, Pfleger oder Verwandten, sofern diese in der Lage sind,
sie zu unterhalten, oder unter die Obhut anderer Personen oder Behörden,
b) Unterbringung in einer besonderen heilpädagogischen Anstalt.“
Was nun weiter die im Stadium der „problematischen Reife“,
der relativen Strafmündigkeit befindlichen Jugendlichen anlangt,
so werden sie von manchen Strafgesetzen ohne weiteres, lediglich wegen ihres
Forensische Psychiatrie 227
jugendlichen Alters als vermindert zurechnungsfähig angesehen. So bezeichnet
der Codex iuris canonici die ganze , minor aetas zwischen 7 und 21 Jahren
als einen Grund verminderter Zurechnungsfähigkeit des Delikts, und zwar um
so mehr, je näher der Jugendliche der ‚„infantia‘ steht. Nach dem schwedischen
Jugendgerichtsgesetz von 1905 kann dem jugendlichen Verbrecher zwischen
dem 15. und 18. Lebensjahre die Strafe zur Hälfte erlassen werden; außer-
dem kann statt des Strafvollzugs der Jugendliche in einer allgemeinen Er-
ziehungsanstalt untergebracht werden. Das belgische Jugendgerichtsgesetz,
das in dem Kinderschutzgesetz vom 15. 5. 1912 enthalten ist, setzte die obere
Grenze der relativen Strafmündigkeit auf 16 Jahre für Übertretungen und
auf 18 Jahre für Landstreicherei und Betteln fest. Nach dem neuen chine-
sischen Strafgesetzbuch vom 10. 3. 1928 reicht die bedingte Strafmündigkeit
vom 13. bis zum vollendeten 16. Lebensjahre. Die Strafe kann bei Jugend-
lichen auf die Hälfte herabgesetzt werden. Die jugendlichen Delinquenten
können einer Besserungsschule überwiesen werden oder ihren Erziehungs-
berechtigten kann gegen Leistung einer angemessenen Bürgschaft die Beauf-
sichtigung während der nächsten drei Jahre zur Pflicht gemacht werden. Nach
dem dänischen bürgerlichen Strafgesetz vom 15. 4. 1930 ist die Strafmündigkeit
vom 14. auf das 15. Lebensjahr erhöht. Bei Gesetzüberschreitungen, die von
Personen zwischen 15 und 18 Jahren begangen sind, kann die Anklagebehörde
bestimmen, daß die Strafe fortfällt unter der Bedingung, daß der Betreffende
der Erziehungsfürsorge unterstellt oder ausnahmsweise für einen näher be-
zeichneten Zeitraum, der sich bis zum vollendeten 21. Lebensjahre erstrecken
kann, anderer zweckmäßiger Fürsorge unterstellt werde. Personen im Alter
von 15—18 Jahren verbüßen die Gefängnisstrafen im Jugendgefängnis; für
Jugendgefängnis ist die unbestimmte Verurteilung eingeführt. Das neue ita-
lienische Strafgesetzbuch Rocco von 1930 kennt ein Stadium der problema-
tischen Reife vom 14. bis 18. Lebensjahr. Art. 98 sagt: „Zurechnungsfähig
ist, wer zur Zeit der Tat das 14., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte,
wenn er die Fähigkeit zu verstehen und zu wollen hatte; doch wird die Strafe
herabgesetzt. Nach Verbüßung der Strafe kann der Jugendliche auf richter-
liche Anordnung in einer Erziehungsanstalt untergebracht oder unter Schutz-
aufsicht gestellt werden; die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt muß
erfolgen, wenn der Jugendliche ein Gewohnheits-, Berufs- oder Neigungs-
verbrecher ist, und kann dann nicht weniger als drei Jahre dauern.
Was schließlich die Berücksichtigung der Einsicht in die Straf-
barkeit der Handlung bei Jugendlichen betrifft, so ist hier eine gewisse
Entwicklung zu verfolgen. Nach dem französischen Code pénal, Art. 66/67,
sollte einen Jugendlichen, der ein Vergehen oder ein Verbrechen begangen hat,
mildere Strafe treffen, vorausgesetzt, daß er die für die Erkenntnis der Straf-
barkeit erforderliche Einsicht besaß; besaß er diese nicht, so war er freizu-
sprechen. Auch das französische Jugendgerichtsgesetz behielt diese Bestimmung
bei; es setzte nur die untere Grenze der Strafmündigkeit auf 13 Jahre fest.
Eine ähnliche Bestimmung kannte das deutsche Strafgesetzbuch von 1871 im
$ 56, wonach ein jugendlicher Rechtsbrecher freizusprechen war, wenn er bei
Begehung der Straftat die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche
Einsicht nicht besaß. Dagegen ließ das belgische Kinderschutzgesetz vom
15. 5. 1912 die Frage nach der Einsicht fallen, und zwar, wie I. Maus, der da-
228 Friedrich Meggendorfer
malige Generaldirektor für Strafgesetzgebung und Kinderschutz im belgischen
Justizministerium, ausführte, aus folgenden Gründen: Die Frage nach der
Einsicht beträfe nur die intellektuelle Seite der Persönlichkeit des Kindes und
nicht die moralische Seite, Willen, Gefühl, Moral, Erziehung, was doch am
wichtigsten wäre. Weiterhin wäre die Frage nach der Einsicht dazu angetan,
die Aufmerksamkeit des Richters von den Umständen der Tat und von den
für das Kind geeigneten Maßnahmen abzulenken. In der Praxis beantworteten
die Richter die Frage der Einsicht a posteriori; sie erklärten sie für vorhanden,
wenn sie glaubten, ein Kind zu einer Strafe verurteilen zu müssen; sie ent-
schieden, daß sie gefehlt habe, wenn sie glaubten, es sei vorzuziehen, das Kind
in einer Fürsorgeerziehungsanstalt unterbringen zu lassen. Im Bewußtsein,
eine kühne Tat vollbracht zu haben, erklärte I. Maus, die Beseitigung der
Frage nach der Einsicht bräche kurzerhand mit dem alten Gesichtspunkte
einer abstrakten Rechtspflege und gäbe dem Handeln des Richters die Richt-
schnur der konkreten Wirklichkeit. Im Gegensatz dazu behielt aber das deutsche
Jugendgerichtsgesetz vom 16. 2. 1923 die Frage nach der Einsicht bei; doch
erweiterte es sie, indem es den erwähnten 5 56 durch den $ 3 des JGG. ersetzte:
„Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ist nicht
strafbar, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner geistigen oder sittlichen Ent-
wicklung unfähig war, das Ungesetzliche der Tat einzusehen oder seinen Willen
dieser Einsicht gemäß zu bestimmen.“ Noch weiter geht das überhaupt recht
bemerkenswerte österreichische Jugendgerichtsgesetz, indem es sagt: , Jugend-
liche, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, sind nicht strafbar, wenn
sie aus besonderen Gründen noch nicht reif genug sind, das Unerlaubte
ihrer Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.“ Im übrigen
erklärt das österreichische Gesetz als Strafzweck die Erziehung. Wenn es auch
Strafen vorsieht, so sucht es doch durch bedingte Verurteilung und unbe-
stimmte Verurteilung alle Maßnahmen der Erziehung unterzuordnen. Auch
das neue jugoslawische Strafgesetzbuch von 1929 hat bezüglich der Jugend-
lichen die Tendenz, womöglich nicht zu bestrafen, sondern in erster Linie zu
erziehen und zu bessern. Es teilt das Stadium der problematischen Reife in zwei
Phasen ein. Zur ersten Phase gehören die Minderjährigen vom 14. bis zum
vollendeten 17. Lebensjahre. Sie sind dann nicht zurechnungsfähig, wenn sie
nicht imstande sind, das Wesen und die Bedeutung ihrer Handlung zu erfassen
und nach dieser Einsicht zu handeln. Sie werden in diesem Falle wie die Kinder
unter 14 Jahren behandelt, d. h. sie werden den Eltern oder den Schulbehörden
zur besseren Erziehung und Aufsicht übergeben. Sind sie aber zurechnungs-
fähig, so erhalten sie, wenn sie das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
einen Verweis oder werden ohne Strafe auf Probe entlassen oder einer Erziehungs-
oder Besserungsanstalt übergeben. Die Zurechnungsfähigen, die das 15. Le-
bensjahr vollendet haben, werden in gemilderter Form bestraft. Für die über
17 Jahre alten Minderjährigen gelten bezüglich der Zurechnungsfähigkeit die
gleichen Anforderungen wie für die Erwachsenen; gegen sie können auch alle
Strafen mit Ausnahme der Todesstrafe verhängt werden. Der polnische Ent-
wurf zu einem Strafgesetzbuch von 1928 kennt ein Stadium der problema-
tischen Reife vom vollendeten 13. bis zum vollendeten 17. Lebensjahre. In
dieser Zeit sollen nach Art. 68 Erziehungsmaßnahmen zur Anwendung ge-
langen, wenn der Jugendliche ohne Unterscheidungsvermögen die Tat begangen
Forensische Psychiatrie 229
hat. Ist der Unmündige dieses Alters mit solchem Unvermögen nicht behaftet,
so tritt nach Art. 69 Verurteilung zur Einlieferung in eine Besserungsanstalt
ein, doch kann nach Art. 70 auch in diesem Falle der Richter von der Ein-
lieferung in die Besserungsanstalt absehen und an ihrer Statt Erziehungs-
maßnahmen anordnen. Nach dem tschechoslowakischen Regierungsentwurf
über die Jugendstrafgerichtsbarkeit von 1930 wird in der Zeit der problema-
tischen Reife vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre die Zu-
rechnungsfähigkeit als Regel angenommen; doch wird der Jugendliche dieses
Alters dann als unzurechnungsfähig angesehen, wenn er wegen Geisteskrankheit,
Schwachsinn, bedeutendem Zurückgebliebensein, Bewußtseinstrübung oder aus
anderen besonderen Gründen z. Zt. der Tat deren Rechtewidrigkeit nicht
erkennen oder seine Handlungsweise nicht nach der richtigen Erkenntnis ein-
richten konnte. Die „anderen besonderen Gründe“ sollen nicht so sehr patho-
psychologischer Natur sein, sondern vielmehr normalpsychologischer Art, so
zum Beispiel mangelhafte Erziehung, plötzlicher Milieuwechsel, Rechtsirrtum
usw. Die im Falle der Zurechnungsfähigkeit zu treffenden Maßnahmen sollen
in erster Linie Besserungsmaßnahmen sein. Der Entwurf will seine Tendenz
schon dadurch kennzeichnen, daß er nicht von „Vergehen“ und „Verbrechen“
der Jugendlichen, sondern nur von „Verfehlungen“ spricht; er kennt auch
bezüglich der Strafen Absehen von Strafe, bedingte und unbedingte Verur-
teilung und weitgehende Milderung der Strafe.
In einigen neueren Strafgesetzen, so im afghanischen und im chinesischen,
findet nicht nur das jugendliche, sondern auch das Greisenalter bezüglich
der Zurechnungsfähigkeit eine besondere Berücksichtigung. So bestimmt das
chinesische Strafgesetzbuch von 1928 in Art. 30, Abs. 3: „Wenn der Täter
das 80. Lebensjahr vollendet hat, kann die festgesetzte Strafe auf die Hälfte
herabgesetzt werden.“ Auch nach dem tschechoslowakischen Vorentwurf 5 77
kann die Strafe gemildert werden, „wenn zur Zeit der Tat .... infolge vor-
gerückten Alters die Fähigkeit des Schuldigen, das Unrecht seiner Tat ein-
zusehen oder sein Handeln der richtigen Einsicht gemäß zu bestimmen, wesent-
lich herabgesetzt war“.
Überblicken wir die neueren Strafgesetze und Strafgesetz -
entwürfe, so dürfen wir vielleicht eine Entwicklung in einer bestimmten
Richtung erkennen: Nachdem die Kulturvölker die folgerichtige Durchführung
der Vergeltung vielfach als unmenschlich empfunden hatten, haben sie immer
mehr Lockerungen zugelassen, Lockerungen, die aber ihrerseits die Sicherheit
der Gesellschaft gefährdeten und deshalb wieder Maßnahmen der Sicherung
nötig machten. Die Entwicklung scheint nun weiter in der Richtung auf ein
reines Sicherungsstrafgesetz zu gehen. Hand in Hand damit aber geht eine
Auflösung der strafrechtlichen Begriffe der Zurechnungsfähig-
keit und Unzurechnungsfähigkeit einher.
Es kann kaum zweifelhaft sein, daß ein Strafgesetz auf der Grundlage
lediglich des Sicherungsgedankens gegenüber dem weitmaschigen Vergeltungs-
und auch gegenüber dem zwar engmaschigen, aber auch umständlicheren
„dualistischen Strafrecht“ manche Vorteile bietet. Es ist einfach, folge-
richtig; vor allem sind alle Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität
einheitlich. Es kann beispielsweise in einem Lande mit Sicherungsstrafrecht
nicht vorkommen, daß ein Verbrecher wegen Unzurechnungsfähigkeit frei-
230 Friedrich Meggendorfer
gesprochen und freigelassen oder wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit
milder bestraft und in den Stand gesetzt wird, alsbald wieder neue Straftaten
zu begehen. Es kann auch nicht vorkommen, daß eine nichtgerichtliche Instanz,
etwa die Verwaltung, sich aus Gründen der Kosten weigert, einen nicht zurech-
nungsfähigen Verbrecher oder einen Trinker, der immer wieder Straftaten
begeht, in die zweckmäßige Heilanstalt einzuweisen. Die zu ergreifenden Maß-
nahmen ordnet hier das Gericht selbst an, alles bleibt in einer Hand.
Auch sonst hätte ein Sicherungsstrafgesetz noch mancherlei Vorteile. Manche
Maßnahmen, z. B. solche eugenischer Art, lassen sich nicht auf der Grund-
lage des Vergeltungsgedankens, wohl aber in weitschauendem Hinblick auf die
Sicherung der Gesellschaft dem Strafrecht eingliedern.
Geht die Entwicklung tatsächlich dahin — und auch manche sachver-
ständige Vertreter des Nationalsozialismus wie übrigens auch des Kommunismus
setzten sich hierfür ein —, dann wird künftig die in vielen Fällen kaum zu beant-
wortende Frage nach der Zurechnungsfähigkeit und die noch verzwicktere
Frage nach der verminderten Zurechnungsfähigkeit keine Rolle mehr spielen.
Geistige Gesundheit und Krankheit werden nicht mehr als Indiz
für Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit, für Schuld
und Nichtschuld, sondern nur mehr als Indizfür die Behandlung des
Verbrechers in Betracht kommen. Die Tätigkeit des psychiatrischen Sach-
verständigen wird dadurch keineswegs überflüssig; sie wird im Gegenteil er-
weitert und vertieft; sie wird sich nicht mehr in der Stellung einer Diagnose und
in dem Hineinpressen der ärztlichen Diagnose in ein metaphysisches, kon-
struiertes Schema erschöpfen, sondern sie wird, was viel mehr wert und für den
Arzt befriedigender ist, auch die Therapie, den Rat einer Anstalts- oder
Krankenhausunterbringung, die Aufstellung eines Heilplans, die heilpädago-
gische Behandlung von Jugendlichen, die möglichst zweckmäßige Entziehung
und Entwöhnung von Trinkern und Süchtigen, die hormonale, psychotherapeu-
tische oder operative Behandlung von Sexualverbrechern, die Einleitung und
Durchführung eugenischer Maßnahmen usw. umfassen.
Freilich stehen einem Strafrecht nur defensiven Charakters gewichtige
Bedenken gegenüber. Mögen auch zahlreiche Philosophen und Naturwissen-
schaftler theoretisch Deterministen sein, Tatsache ist und bleibt jedenfalls, daß
weitaus die Mehrzahl der Menschen das Gefühl und die Überzeugung der Frei-
heit ihres Handelns hat und dementsprechend auch andere für ihr Handeln
verantwortlich macht. Hoche hat erst kürzlich in bemerkenswerten Dar-
legungen auf die hohe Bedeutung des Rechtsgefühls hingewiesen. Und schließlich
darf neben einem weitreichenden Schutz der Gesellschaft der Schutz der per-
sönlichen Freiheit des Einzelnen nicht vernachlässigt werden. So erscheint es
doch auch wieder recht zweifelhaft, ob sich auf die Dauer ein Strafgesetz auf
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Aphasie, Apraxie, Agnosie
von Rudolf Thiele in Berlin.
Seit dem Erscheinen des letzten Ergebnisberichtes (1931) ist auf dem hier
zu betrachtenden Gebiete eine so reiche Arbeit geleistet worden, daß auf knappem
Raume nur eine sehr unvollkommene Wiedergabe möglich ist. Der referierenden
Darstellung sind insbesondere auch dadurch enge Grenzen gesteckt, daß sie
es in beträchtlichem Umfange nicht mit einfach formulierbaren Tatsachen zu
tun hat, sondern mit langen und schwierigen theoretischen Entwicklungen, die
überhaupt nur durch schrittweise Vergegenwärtigung zum Verständnis gebracht
werden können. Das gilt vielfach schon von der Mitteilung eines einzelnen
Falles, die dadurch über den Rahmen gewöhnlicher Kasuistik weit hinauswächst.
Überall macht sich das Bestreben nach intensiver psychologischer Vertiefung
bemerkbar, sowohl in der Problemstellung wie in der Ausgestaltung der Unter-
suchungsmethoden und schließlich in der Diskussion der Resultate.
An erster Stelle ist zu nennen eine nachgelassene, für das Handbuch der
normalen und pathologischen Physiologie bestimmte (und dort nach längerer
Verzögerung auch erschienene) Arbeit von A. Pick, die es sich zur Aufgabe
macht, durch eindringende Beschreibung der Erscheinungsformen aphasischer
Störung zu einem Verständnis der pathologischen Vorgänge und ihrer Zusammen-
hänge zu gelangen. Die bekannte Meisterschaft P.s in der Beherrschung des
klinischen Tatsachenmaterials, in der Zergliederung der Phänomene wie im syn-
thetischen Aufbau — auch dem Best unterrichteten werden hier immer wieder
neue Einzelheiten begegnen und überraschende theoretische Perspektiven sich
eröffnen — erscheint hier noch einmal im vollen Lichte. P.s wissenschaftliche
Position in der Aphasielehre ist zu bekannt, als daß hier noch eine nähere Charak-
teristik notwendig erschiene.
Isserlin hat die Artikelserie: Die pathologische Physiologie der Sprache,
über deren allgemeine Tendenzen bereite das letztemal berichtet worden ist,
in zwei weiteren Beiträgen fortgesetzt. Von dem reichen Inhalt, auf den im ein-
zelnen einzugehen hier natürlich ganz unmöglich ist, mögen die Kapitelüber-
schriften eine ungefähre Vorstellung geben. Folgende Gegenstände werden
behandelt: Grundsätzliches über Sprechen und Denken; die Problematik der
transkortikalen Aphasien; amnestische Aphasie, Grundfunktion, allgemeine
peychische Aktivität; Aphasie und Symbolbewußtsein; die Wahrnehmungswelt
der Aphasischen, Aphasie und Begriffsbildung; die sprachlichen Einheitsbildun-
gen, und zwar: individuelle und interindividuelle Bildungen (in einem Vortrage:
„Uber Sprache und Sprechen“ in mancher Hinsicht noch genauer ausgeführt),
die Idee der „reinen Grammatik“ und das Wesen der Sprache, Sprache als
System und als Struktur, konstruktive Leistungen und Fehlleistungen, die
agrammatischen Sprachstörungen. Was Philosophie und Psychologie der Sprache,
Neurologie v, 6 17
234 Rudolf Thiele
Linguistik, Phonologie usw. für den pathologischen Aspekt der Sprache an Auf-
schlüssen zu liefern vermögen, wird hier nicht etwa nur zusammengetragen, son-
dern in höchst kritischer und selbständiger Weise zu einem umfassenden Gesamt-
bilde verarbeitet, das als Hintergrund überall eine einheitliche Grundauffassung
von den Wesensgesetzen sprachlichen Lebens erkennen läßt. Die Fachgenossen
werden es als besonders dankenswert empfinden, daß auch schwerer zugäng-
liche, in ihrer Bedeutung für die Sprachpathologie daher noch nicht voll ge-
würdigte Gedankenentwicklungen ihnen hier in eindringlicher Weise nahegebracht
werden; ein Hinweis auf E. Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“
oder etwa auf gewisse das Verhältnis von Sprechen und Denken betreffende
Reflexionen Hoenigswalds möge das illustrieren. An der Existenz klinischer
Komplexe, wie sie unter der Rubrik des „Transkortikalen‘‘ beschrieben sind,
hält I. — wie wir glauben, mit vollem Recht — grundsätzlich fest. Die Agramma-
tismusfrage, die durch ihn bereits vor Jahren eine so ungemein fördernde Be-
arbeitung erfahren hat, wird hier erneut nach ihrem gegenwärtigen Stande
dargelegt und unter dem Gesichtspunkt der konstruktiven Leistung weiter
durchgedacht.
In der „Neuen Deutschen Klinik“ hat E. Forster die aphasischen Störungen
vom Standpunkt des Klinikers aus dargestellt. Es ist gewiß kein Zufall, daß
gerade an dieser Stelle, wo im Jahre 1906 der berühmte Aphasieartikel von
Wernicke erschien — das Sammelwerk ist eine Neuauflage der „Deutschen
Klinik am Eingange des 20. Jahrhunderts“ —, der überzeugte und konsequente
Wernicke- Schüler zu Worte kommt. Was eine im wesentlichen an der „klassi-
schen“ Lehrmeinung orientierte Betrachtungsweise für die klinische Diagnostik
und Hirnpathologie zu leisten vermag, läßt diese Darstellung in besonders ein-
drucksvoller Weise hervortreten. Zahlreiche eigene und fremde Erfahrungen
sind hier verarbeitet und mit dem Blick für das klinisch Wesentliche in den
Zusammenhang eingestellt worden. Als besonders interessant für den Kliniker
sei z. B. hervorgehoben der Hinweis auf motorisch aphasische Störungen, wie
sie im Verlaufe striärer Erkrankungen auftreten und auf die, trotz Pierre Marie,
vielfach noch zu wenig geachtet wird, ferner die Bearbeitung, die die agramma-
tischen Sprachstörungen erfahren. Überall wird, unter kritischer Verwertung der
einschlägigen Tatsachen, dem lokalisatorischen Gesichtspunkt gebührend Rech-
nung getragen (die Überzeugung F.s, daß der Agrammatismus immer auf frontale
Herde zu beziehen sei, wird übrigens, wie bekannt, nicht von allen Autoren
geteilt), Daß F. den Lehren Heads, der ja die Bedeutung Wernickes für die
Aphasieforschung in so erstaunlicher Weise verkannt hat, im wesentlichen ab-
lehnend gegenübersteht, wird niemanden verwundern.
Auf der 56. Wanderversammlung südwestdeutscher Neurologen und Psych-
iater hat Embden in seinem Hauptreferat einen Überblick über die neuere
Entwicklung der Lehre von dem aphasischen Symptomenkomplex gegeben!).
Pötzl hat den gegenwärtigen Stand der Aphasielehre zum Gegenstand einer
kritischen Untersuchung gemacht, wobei er vielfach auch auf eigene Erfahrungen
(Störungen des Zeichnens bei sensorischer Aphasie, aphasische Störungen der
Polyglotten usw.) eingeht. Goldstein hat, in Verfolgung früher dargelegter
Gedankengänge, zwei Formen der Störungsmöglichkeit der Sprache heraus-
1) Ein Abdruck des Vortrages ist mir leider nicht zugänglich geworden.
Aphasie, Apraxie, Agnosie 235
gehoben und unter umfassenden biologischen Gesichtspunkten betrachtet. Er
unterscheidet einen Formenkreis, der die Beeinträchtigung der sog. Sprach-
mittel, und einen zweiten, der die Beeinträchtigung der Benutzung dieser Sprach-
mittel zur Entäußerung seelischen Geschehens enthält. Er sieht den Vorteil
seiner Betrachtungsweise vor allem darin, daß sie die genaue Charakterisierung
der „Situation“ als notwendig zur Beschreibung der Tatsachen hinzugehörig
ansehen läßt. Die früher, unter anderen methodischen Voraussetzungen erhobenen
Tatsachen erweisen sich, unter diesem Aspekt betrachtet, nur als Untersuchungs-
ergebnisse in ganz bestimmten Situationen, die erst bei genauerer Analyse der
betreffenden Situation verwendbar werden. Außer an vielen anderen Beispielen
aus dem Aphasiegebiet, wird auch an der Sprache eines Seelenblinden (des
bekannten Falles Schn.) demonstriert, wie nach dieser Auffassung aphasische
Symptome beschrieben, analysiert und für die Theoriebildung verwertet werden
können. In seinem Referat auf dem Hamburger Psychologenkongreß im Früh-
jahr 1931, wo als Hauptthema die Psychologie der Sprache zur Erörterung
stand, hat Goldstein die pathologischen Tatbestände in ihrer Bedeutung für
das Problem der Sprache von seinem Standpunkt aus dargestellt. Von Arbeiten
allgemeineren Inhalte aus der Aphasieliteratur ist hier noch ein Vortrag von Last
über die klinische Bedeutung der Headschen Aphasielehre zu nennen, worin vor
allem die von Head ausgearbeitete Untersuchungsmethodik als ein großer Ge-
winn für die Klinik hervorgehoben wird.
In einem aufschlußreichen Beitrag zur Kenntnis des motorischen Verhaltens
Aphasischer hat sich Quadfasel an Hand klinischer Untersuchungen mit dem
bekannten Hand-Auge-Ohrtest Heads beschäftigt und dabei die verschiedenen
Lösungswege, Einstellungen und Fehlermöglichkeiten bei Gesunden und Aphasi-
schen genauer dargestellt. Die Auffassung Heads, nach der (in der Situation
des Gegenübersitzens von Untersucher und Untersuchtem) die Übersetzung in
irgendeine Wortformel vor der Ausführung der Bewegung erfolgt, eine innere
Verbalisation der Aufgabe, wird abgelehnt. Nur ein kleiner Teil der normalen
Versuchspersonen löst die Aufgabe tatsächlich auf dem Wege sprachlicher Ver-
gegenwärtigung. Die Reaktion mit dem gegenüberliegenden Arm (in der vis-à-vis-
Situation) wird als „ motorische Einstellung“ gekennzeichnet, ihrem phäno-
menalen Bestande nach analysiert und in ihrer allgemeinen Verbreitung be-
schrieben. Die Reaktion mit der gleichen Extremität auf der gleichen Körper-
seite wird zu Verhaltensweisen von Tieren und zu der Abwehrreaktion des Kratzens
in Beziehung gesetzt. Beide Reaktionsweisen werden als die für diesen Test
charakteristischen angesehen, die bei Störung der komplizierteren motorischen
Leistung auftreten. Es handle sich also bei den durch den Test nachgewiesenen
Störungen nicht um solche rein sprachlicher Leistungen, sondern um Störungen
der Motorik des erwachsenen Menschen. Auch Fox kommt bei der Unter-
suchung der psychologischen Grundlagen des Hand-Auge-Ohrtestes zu dem Er-
gebnis, daß die Lösung über die Sprache den seltensten Weg darstelle; er hält.
den Test in der Hauptsache für eine Prüfung auf die Raumvorstellung.
Mittels einer von dem Psychologen Ach angegebenen Methode (deren
Beschreibung hier zu weit führen würde) hat Klein experimentelle Untersuchun-
gen über die Wortgestalt und ihren Bedeutungsinhalt bei Aphasischen angestellt.
Von den allgemeinen Ergebnissen, zu denen Verf. gelangt — die spezielleren lassen
sich in Kürze nicht wiedergeben, da dazu ein genaues Eingehen auf die kompli-
17°
236 Rudolf Thiele
zierten Untersuchungsbedingungen (es wurde mit sinnlosem Wortmaterial ge-
arbeitet) notwendig wäre — sei nur erwähnt, daß er bei seinen Patienten eine
Herabminderung der abstraktiven und generalisierenden Fähigkeiten feststellen
konnte und daß er eine „Einheit von Wortgestalt und ihrem Bedeutungsinhalt‘“
annehmen zu können glaubt, „auf die sich die Einheit der aphasischen Störungen
aufbauen läßt‘. Über Ordnungs- und Zuordnungsversuche im Sinne Gelb- Gold-
steins bei Gesunden und Taubstummen sowie bei Aphasischen berichtet Gräfin
v. Kuenburg. Sie gelangt zu dem Ergebnis, daß Minder- und Fehlleistungen bei
diesen Versuchen nicht ausschließlich den Aphasischen eigentümlich sind; eine
Zuordnung der Gegenstände nach einem Zielgedanken führe bei allen Aphasischen
zu einem Ordnungsprinzip. Für die Ausdeutung der Versuche mit solchen
Kranken sei es wichtig, die subjektive Denkform der betreffenden Persönlichkeit
zu bestimmen und überhaupt die prämorbide Persönlichkeit in Betracht zu ziehen.
Verf. folgert aus ihren Resultaten, daß die amnestische Aphasie nicht auf eine
„kategoriale Störung“ (im Sinne von Gelb und Goldstein) zurückgeführt werden
könne.
Einen höchst interessanten Einblick in die mannigfachen Störungen auch
nicht-sprachlicher Natur, in den „Geisteszustand“ Aphasischer und Stirnhirn-
geschädigter, vermittelt die Arbeit des verstorbenen van Woerkom, die sich
auf drei mit ingeniös gehandhabter Methodik untersuchte Fälle stützt. v. W.,
der, wie schon in früheren Publikationen, sich zu einer gestalt- und ganzheits-
psychologischen Betrachtungsweise bekennt, findet bei seinen Patienten eine all-
gemeine Grundstörung, die er als ‚Störung des Aufgabebewußtseins“ charak-
terisiert, als die Unmöglichkeit, sich ein „tragfähiges Aufgabeschema“ für die
Auffassung wie für die Handlung zu bilden. Der normale Mensch strebe stets
danach, durch an die Wirklichkeit herangetragene Fragen, durch ein ‚‚kate-
goriales Verhalten dem ihm Dargebotenen einen Sinn zu geben und seinen Hand-
lungen eine Sinneinheit zugrunde zu legen, wodurch allein er zu einem geordneten
Begriffssystem gelangt; eine Schädigung dieser Grundfunktion müsse tief an
der Wurzel der Begriffsbildung angreifen. Auch der von ihm beschriebene Fall
von Leitungsaphasie — so rubriziert, weil von den Störungen der sprachlichen
Funktionen die des Nachsprechens im Vordergrunde stand — lasse jenen „all-
gemeinen psychischen Hintergrund“ deutlich erkennen. Die Autopsie ergab in
dem zuletzt erwähnten Falle in der Hauptsache zwei Herde: einen im linken
Claustrum und einen zweiten, größeren, im Marklager des linken unteren Scheitel-
läppchens, der sich bis zur 1. Schläfenwindung erstreckt, die Heschlschen Win-
dungen aber verschont.
Interessante Beiträge zur Kenntnis des Restitutionsverlaufes bei motorischer
Aphasie bringt Morselli. Nach 6monatiger völliger Stummheit konnte sein
Patient durch energischen Sprachunterricht in 2 Jahren so weit gefördert werden,
daß er sich in der italienischen Sprache mündlich und schriftlich wieder voll-
kommen ausdrücken konnte, während er die früher mehr oder minder beherrschten
fremden Sprachen, aber auch seinen lombardischen Mutterdialekt (!), nicht wieder
erlernte. Der eingehend mitgeteilte anatomische Befund steht mit der An-
nahme Mingazzinis in Widerspruch, da hier gerade die nach diesem für die
Restitution der Sprechfähigkeit als intakt vorauszusetzenden Verbindungszüge
vom rechten zum linken Broca zerstört waren. Fabritius beschreibt einen
Fall mit Störungen der Expressivsprache (vor allem literal-paraphasischer Art)
Aphasie, Apraxie, Agnosie 237
und Störungen der Zungen-Lippensensibilität; er betrachtet die aus den Sprech-
werkzeugen stammenden Eindrücke (neben den akustischen Empfindungen) als
notwendig für die Kontrolle der Sprechbewegungen. Sickmann bringt eine
eingehende Analyse eines Stirnhirnverletzten, der, neben mancherlei anderen
Störungen auf psychischem Gebiet, auch solche der Expressivsprache darbietet.
Verf. entwickelt die Ansicht, daß bei dem Patienten eine einheitliche „Grund-
störung“ vorliege, die darin bestehe, daß er von einer konkreten Vorlage nicht
absehen, sich nicht imaginär auf etwas beziehen könne.
Klein teilt einen Fall von sensorischer Aphasie mit schwerer Sprachtaub-
heit und Paraphasien mit, bei dem das Lautlesen, allerdings ohne Sinnverständ-
nis, isoliert erhalten war. Verf. unterscheidet ‚produktive‘ und „reproduktive“
sprachliche Leistungen. Das verständnislose Lesen als reproduktive Leistung
sei in seinem Falle erhalten geblieben, während die produktiven Sprachleistungen
schwer beeinträchtigt waren.
Zur Frage der Leitungsaphasie hat Klein auf Grund der Untersuchungs-
ergebnisse bei einem Falle Stellung genommen, der allerdings, wie gesagt werden
darf, die Charaktere der von den Klassikern so bezeichneten Aphasieform nur in
sehr unvollkommener Ausprägung darbietet. Verf. kommt zu dem Schluß, „daß,
vom innersprachlichen Defekt aus betrachtet, kein zwingender Grund vorliegt,
die Leitungsaphasie von anderen Erscheinungsformen aphasischer Störungen
abzutrennen“. Für das Verständnis der klinischen Zusammenhänge hält er es
für wesentlich, „die psychologische Einheit der Wortgestalt und des zugeord-
neten Bedeutungsinhaltes als einander fundierende Faktoren zu behandeln
(vgl.8.236). Hilpert hat seine Auffassung vom symptomatologischen Zusammen-
hang und der Lokalisation der Leitungsaphasie, die er bereits früher (vgl. d. Z. 3,
364) an Hand eines Falles dargelegt hat, in einem Vortrag über aphasische Stö-
rungen bei Prozessen im Bereich des linken Gyrus supramarginalis noch einmal
erläutert und durch eine weitere Beobachtung bei einem durch die Operation
bestätigten Tumor in diesem Gebiete gestützt.
Die Frage nach dem Wesen der amnestischen Aphasie hat Hauptmann
einer kritischen Revision unterzogen, wobei er zu Ergebnissen gelangt, die den
bekannten Anschauungen von Gelb und Goldstein in den wesentlichen Positionen
widersprechen. In Ubereinstimmung mit Erfahrungen der Gräfin Kuenburg
(vgl. S. 236) kommt H. zu der Überzeugung, daß die Feststellung der Zugehörig-
keit eines Patienten zu dem anschaulichen Denktypus noch kein Herabgesunken-
sein gegenüber dem begrifflichen Typus bedeute, sofern nicht mindestens be-
wiesen sei, daß der Patient vor Auftreten des Krankheitszustandes dem letzteren
Typus angehört habe. Besondere Vorsicht sei geboten bei Verwertung der
rgebnisse mit farbigen Wollproben, weil sich gezeigt habe, daß intellek-
tuell hochstehende Normale „ kategorial“ gerade so „minderwertige“ Resultate
liefern können wie Sprachgestörte. H. führt Erfahrungen an, die für die Auf -
fassung sprechen, daß eine Beeinträchtigung des kategorialen Verhaltens nicht
die Ursache, sondern die Folge der amnestischen Aphasie sei. Das leuchte inso-
fern ohne weiteres ein, als beim Fehlen bzw. bei Schwererweckbarkeit der Symbol -
vorstellungen das Denken sich an die betreffenden anschaulichen Substrate halten
und damit primitiver werden müsse. Gerade die intellektuell am wenigsten
Beeinträchtigten könnten sich am besten durch Verwendung anschaulicher Be-
zeichnungen aus ihrer sprachlichen Verlegenheit helfen. In allen Fällen, wo er
238 Rudolf Thiele
neben amnestischer Aphasie einen Tiefstand des kategorialen Verhaltens fest-
stellen konnte, seien klinische Symptome vorhanden gewesen, die auf einen
Prozeß, der die Rinde in größerer Ausdehnung in Mitleidenschaft zog, schließen
ließen. Das gelte insbesondere von den Farbennamenstörungen. Solche Fälle
seien natürlich für die Entscheidung der Frage nach dem Wesen der amnestischen
Aphasie ungeeignet.
Dahmann beschreibt einen Fall, bei dem klinisch eine erschwerte Wort-
findung für optisch wahrgenommene Gegenstände im Vordergrunde stand.
Er deutet den Befund durch Annahme einer Leitungsstörung zwischen den intak-
ten optischen Remanenzen und den intaktenWortklangremanenzen und schlägt da-
für, da er — mit Recht — den alten Begriff der „optischen Aphasie“ für unglück-
lich hält, die Bezeichnung ,amnestische Aphasie vom Typ der optisch-akustischen
Leitungsstörung‘‘ vor — womit er sich allerdings, wie uns scheint, von der Be-
trachtungsweise, die jenem veralteten Begriff zugrunde liegt, nicht eben wesent-
lich entfernt.
Über einen Fall von Agrammatismus in der englischen Sprache, der, z. Zt.
der Untersuchung, nur beim lauten Lesen in Erscheinung trat und möglicher-
weise als Resteymptom einer in Rückbildung begriffenen motorischen Aphasie
zu deuten war, berichtet Low. Das seltenere Vorkommen von Agrammatismus
in der englischen Sprache gegenüber der deutschen ist L. geneigt, auf die ein-
fachere Grammatik des Englischen zurückzuführen. Er betrachtet den Agram-
matismus als Ausdruck einer ‚intellektuellen‘ Störung. Sein Patient zeigte auch
quantitative Veränderungen der Apperzeption, eine Beeinträchtigung der Fähig-
keit, die Aufmerksamkeit zu verschieben.
Eine eingehende Darstellung unseres gegenwärtigen Wissens von der Klinik
und Anatomie der Alexie unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung
der Alexiefrage gibt de Massary. Ranschburg und Schill bringen eine sehr
eingehende psychologische Analyse eines Falles von Alexie unter besonderer
Hervorhebung der Beziehungen zur optischen Agnosie. Den Zusamm
zwischen Spiegelschrift, Linkshändigkeit und Alexie (kongenitaler Leseschwäche)
ist Hanse genauer nachgegangen. Er findet den wesentlichen Grund der Spiegel-
schrifttendenz in dem mangelhaften optischen Buchstabenerinnerungsvermögen
bei den mit kongenitaler Leseschwäche Behafteten. Über Alexie und Paragraphie
während eines deliranten Zustandes, die nicht auf die allgemeine Verwirrtheit,
sondern auf einen embolischen Herd im linken Gyrus angularis zurückzuführen
seien, berichten Kyriaco und Pouffary.
An Hand eines Falles nimmt Morselli zur Frage der „reinen“ Agraphie
Stellung. Er ordnet den von ihm erhobenen Befund der „chirokinästhetischen“
Agraphie im Sinne v. Monakows ein. Da indessen bei seinem Patienten neben
den Formveränderungen der Buchstaben auch paragraphische Fehlleistungen
vorkamen, wird man Bedenken tragen, den Fall als einen Beleg für das Vorkommen
einer „reinen“ (isolierten) Agraphie, das bekanntlich bestritten wird, zu verwerten.
Eine höchst wertvolle Erweiterung haben unsere Kenntnisse von der Agraphie
durch die Untersuchungen von Bouman und Grünbaum über die motorische
Seite dieser Störung erfahren. Die Autoren unterziehen die schreibmotorische
Leistung einer eindringenden Analyse, die sie drei miteinander in einem Impuls
eng verbundene Momente: die Entwicklung der Buchstabenformen, den variablen
Schreibdruck und die Weiterführung der Hand in Richtung der Schreiblinie unter-
Aphasie, Apraxie, Agnosie 239
scheiden läßt, und betrachten unter dem gewonnenen Gesichtspunkte zwei ge-
nauer mitgeteilte Fälle. Es ließen sich Phänomene feststellen, die als ‚Derivate
und Abschwächungen der undifferenzierten Gebundenheit der Handmotorik
an optische und taktile Reize oder als zwangsmäßige Hinwendung der Motorik
zu diesen Reizen‘ aufzufassen sind. Damit wird die zunächst als stark agraphisch
(in dem gewöhnlichen Sinne) sich präsentierende Schreibstörung bei den Pa-
tienten auf motorische Störungen zurückgeführt, die in ihrer stärksten Ausprägung
als das bekannte Zwangs- und Nachgreifen auftreten. Es wird dem Gedanken
Ausdruck gegeben, daß bei den sog. echten Agraphien die motorischen Zwangs-
phänomene überhaupt eine große Rolle spielen und daß diese auch außerhalb der
eigentlichen Schreibstörung nachweisbar sein werden.
J. Lange veröffentlicht einen besonders eingehend untersuchten Fall von
„Lautagraphie“ im Sinne v. Monakows und nimmt Gelegenheit zu grundsätz-
lichen theoretischen Erörterungen über Wesen und Verhältnis von „Werkzeug-
störung und „ Ganzheitstörung“, worüber er sich bereits an anderer Stelle (vgl.
d. Z. 3, 368 [1931]) geäußert hat. Es handelt sich um einen Stirnhirnverletzten,
der neben allgemeinen Hirnschädigungserscheinungen und den gewöhnlichen
Stirnhirnsymptomen eine Lautagraphie als grobes Herdsymptom darbietet.
Die möglichst zahlreiche Leistungsgebiete erfassende Analyse des Falles deckt
eine zentrale einheitliche Störung auf, die sich im ganzen Seelenleben des Kran-
ken, in seinen affektiven, mnestischen, intellektuellen und sprachlichen Funk-
tionen auswirkt und um so deutlicher in Erscheinung tritt, je schwieriger die
an ihn gestellten Anforderungen sind. Diese Allgemeinstörung wird dahin charak-
terisiert, daß dem Patienten ‚das Ganze oder aber zahlreiche Einzelheiten ge-
geben sind, daß sie sich aber im geeigneten Augenblick nicht gehörig gliedern
oder aber zusammenschließen“. Das dargebotene Gesamtbild zeigt auch Be-
ziehungen zum amnestischen Symptomenkomplex, es läßt sich als „stark ver-
dünnter amnestischer Symptomenkomplex‘‘ auffassen. Es wird die Frage auf-
geworfen, ob die Lautagraphie nicht vielleicht nur den deutlichsten Ausdruck
der aufgewiesenen zentralen Störung darstelle. Diese Auffassung wird indessen
als unbefriedigend gegenüber einer anderen möglichen hingestellt, die in der
Lautagraphie eine „Werkzeugstörung“ (den besonders deutlichen Rest einer
weitgehend restituierten motorischen bzw. verbalen Aphasie) erblickt, die
unabhängig von dem zentralen, als „Ganzheitstörung‘ sich auswirkenden
Schaden ist.
Dem interessanten Problem, wie weit Sprachstörungen bei Schizophrenen
etwa nach Art zerebraler Herdsymptome zu betrachten seien, ist Fleischhacker
nachgegangen. Bisher hat man diese Frage, ausgehend von der Tatsache, daß
die sprachlichen Produkte solcher Kranken nicht selten als paraphasisch und para-
grammatisch imponieren, nur von der expressiven Seite her in Angriff genommen.
F. hat nun auch bei einer Reihe von Fällen das Sprachverständnis systematisch
untersucht. Er findet Störungen des Namenverständnisses, des Wortklangver-
ständnisses und, im Zusammenhang damit, des Nachsprechens, ferner ausge-
sprochene Wortfindungsstörungen. Natürlich soll mit dieser Betonung des
„sensorisch-aphasischen‘‘ Charakters der bezeichneten Fehlleistungen nicht be-
stritten werden, daß schizophrene Sprachstörungen zum überwiegenden Teil
aus Denkstörungen herzuleiten sind. — Man sollte in der Tat diese nicht nur
theoretisch mögliche, sondern auch durch manche Erfahrungen nahegelegte Be-
240 Rudolf Thiele
trachtungsweise über den rein psychologischen Deutungsversuchen nicht aus
dem Auge verlieren.
Unsere Kenntnis von den Ausnahmen von der sog. Ribotschen Regel bei
der Rückbildung aphasischer Störungen bei Polyglotten ist durch einen von
Hegler mitgeteilten Fall bereichert worden. Ein Franzose, der in der letzten Zeit
recht gut Deutsch sprechen gelernt hatte, wurde infolge einer Hirnembolie mo-
torisch aphasisch. Während der Genesung lernte er zuerst die deutsche Sprache
wieder gebrauchen. Zur Erklärung dieses der bekannten Regel widersprechenden
Restitutionsverlaufes zieht Verf. — entsprechend einer Annahme Minkowakis
in einem ähnlich gelagerten Falle — den Umstand in Betracht, daß der Patient
zur Zeit des Schlaganfalles und während der Genesung sich in einem deutsch-
sprechenden Milieu befand. Hoff und Pötzl berichten über die Aphasie eines
zweisprachigen Linkshänders, wobei sie Gelegenheit nehmen, ihre Anschauungen
über das Verhalten Polyglotter bei zu aphasischen Störungen führenden Läsionen
genauer darzulegen. Sie unterscheiden einmal Fälle, in denen die jeweilige Bi-
tuation immer eine und dieselbe Sprache aus der Zahl der verfügbaren Sprachen
einschaltet — zu ihnen gehört der mitgeteilte Fall—, und sodann solche, in denen
eine starre Einstellung auf eine Haupteprache in jeder wirksamen Situation be-
steht. Dem ersten Typus scheinen die temporalen, dem zweiten die parietalen
Aphasien zu folgen.
Unter der Bezeichnung „aparetisch-aphasisches Syndrom“ beschreibt de
Sanctis einen klinischen Komplex, wie er bei diffusen doppelseitigen Rinden-
prozessen des Entwicklungs- und des Rückbildungsalters (Alzheimersche, Picksche
Krankheit) nicht selten angetroffen wird.
Zur Frage der „gekreuzten Aphasie“ nimmt de Lisi auf Grund einer kriti-
schen Durchmusterung der Literatur und unter Heranziehung eines eigenen
Falles Stellung. Als beweisend will er nur solche Fälle anerkennen, die auch
histologisch untersucht worden sind. Marinesco, Grigoresco und Axente
beschreiben einen Fall von Wernickescher Aphasie mit linksseitiger Hemiplegie
und Hemianopsie bei einem Rechtshänder. Mangels eines Sektionsbefundes ist
auch hier nicht zu entscheiden, ob es sich wirklich um eine gekreuzte Aphasie
handelt. Eine Patientin Kuttners erlitt einen Schlaganfall mit rechtsseitiger
Lähmung und im wesentlichen motorischer Aphasie, die sich rasch zurück-
bildete, und 1 Jahr später einen neuen Schlaganfall mit linksseitiger Lähmung
und schweren Störungen der Expressivsprache und des Sprachverständnisses.
Die Sektion ergab einen alten Herd in der linken und einen frischen in der rechten
Hemisphäre. Verf. ist der Ansicht, daß die Beteiligung der rechten Hirnhälfte
an den Sprachfunktionen starke individuelle Verschiedenheiten zeige und daß
daher die rechte Hirnhälfte nach Ausfall des linken Sprachfeldes zur Übernahme
der Funktion in verschiedenem Grade befähigt sein müsse.
Über zwei Fälle von Insel-Linsenkernaphasie, die er klinisch dem Bilde der
„zentralen‘‘ Aphasie einordnet und auf eine Störung in der Assoziationsleitung zu-
rückführt, berichtet Schaffer. Niessl v. Mayendorf bespricht die klinische Sym-
ptomatologie und den anatomischen Befund von vier Aphasiefällen, von denen drei
der sensorischen, einer der motorischen Form angehören. In allen Fällen fanden
sich umfangreiche Erweichungsherde in der linken Hemisphäre, die den Parietal-
lappen in größerer Ausdehnung beteiligten. Die anatomische Untersuchung
der in Serienschnitte zerlegten Gehirne ergab in den Fällen von sensorischer
Aphasie, Apraxie, Agnosie 241
Aphasie gleichzeitig eine Schädigung der linken temporalen Querwindung, in
dem Falle von motorischer Aphasie ein Übergreifen der Erweichung auf das
untere Drittel der hinteren Zentralwindung. Der parietale Anteil des Herdes
wird als belanglos für die Sprachstörungen betrachtet. Derselbe Autor berichtet
über einen Fall von subkortikaler sensorischer Aphasie mit genauest erhobenem
anatomischen Befund, der als eine Bestätigung der Wernickeschen Auffassung
vom Wesen dieser Krankheiteform zu betrachten ist.
Kurz hingewiesen sei an dieser Stelle auf die peychologisch-phonetischen
Untersuchungen zum Aphasieproblem von Ketterer und Zwirner. Die bisher
erschienene Mitteilung soll vor allem die Methodik zeigen, mit welcher die Spon-
tansprache paraphasierender Patienten objektiv erfaßt werden kann. Den
weiteren Publikationen, die eine Aussicht auf einen wesentlich neuen Zugang zum
Aphasiegebiet eröffnen, wird man mit großem Interesse entgegensehen.
Auf dem Gebiete der Apraxieforschung begegnen wir vor allem einer be-
deutenden Leistung von O. Sittig. Anknüpfend überall an grundlegende Ge-
dankengänge von Hughlings Jackson — nächst Head und Pick ist S. an der För-
derung der Jackson-Renaissance, die wir in den letzten Jahren erlebt haben, in
erster Linie beteiligt — und in Fortführung bereits früher bekanntgegebener
Forschungsergebnisse hat S. seine klinischen Erfahrungen und theoretischen
Einsichten hier in monographischer Form zur Darstellung gebracht, dabei das
gesamte Schrifttum über diesen Gegenstand in eingehender Weise berücksich-
tigend. In klinischer Hinsicht steht die Frage nach der Verteilung der Apraxie
auf die verschiedenen Körperteile im Vordergrunde, wobei der Rumpfapraxie
besondere Beachtung zuteil wird. Die Erfahrung lehrt, daß Apraxie der oberen
Extremitäten und des Gesichtes häufig, der unteren Extremitäten und des
Rumpfes sehr viel seltener ist (allerdings doch entschieden häufiger, als die oft
nicht ausreichend auf diese Körperteile gerichtete Untersuchung bisher vermuten
ließ). Zur Erklärung dieses wichtigen klinischen Tatbestandes zieht S. die be-
kannte, von Jackson aufgedeckte und an anderen hirnpathologischen Erfah-
rungen (rindenepileptischen Anfällen, zerebralen Lähmungen, Phantomgliedern)
erhärtete Gesetzmäßigkeit heran, wonach diejenigen Teile des Körpers, die den
kompliziertesten Verrichtungen dienen, am ausgiebigsten im Gehirn repräsen-
tiert sind und in diesen ihren zerebralen Repräsentationen durch schädigende
Einflüsse auch am ehesten bzw. stärksten betroffen werden müssen. In der
Richtung der theoretischen Überzeugung des Autors, die alle psychologischen
Elemente aus der physiologischen Betrachtung eines Erscheinungszusammenhan-
ges, so auch der Handlung, eliminiert wissen will (, physiologica physiologice!‘'),
liegt seine Ablehnung der ‚„Bewegungsvorstellungen‘, deren „Verlust“ oder „Ab-
sperrung in der Erklärung der apraktischen Phänomene bisher eine so wichtige
Rolle gespielt hat. So sehr wir auch S. darin beistimmen, daß eine kritiklose Ver-
mischung psychologischer und physiologischer Gesichtspunkte in der Analyse
biologischer Tatbestände, jene oft geübte uerdßadıs eds du yévoçş, dem Ver-
ständnis der Zusammenhänge niemals zuträglich sein kann, und auch in seinen
Einwänden gegen die reichlich primitive Lehre von den „Bewegungsvorstel-
lungen“ im ganzen mit ihm konform gehen, so müssen wir es doch aussprechen,
daß uns seine Betrachtungsweise der psychologischen Seite der pathologischen
Willenshandlung nicht gerecht zu werden scheint. Wir vermögen daher S. auch
nicht ganz zu folgen, wenn er die Apraxie als eine „Störung der Automatismen“
242 Rudolf Thiele
betrachtet und einen „fließenden Übergang“ zwischen zentraler Lähmung und
Apraxie annimmt, wenn wir auch nicht verkennen, daß eine derartige Auf-
fassung — der übrigens schon Liepmann bezüglich der gliedkinetischen Apraxie
nahegekommen ist — den klinischen Bedürfnissen in mancher Weise entgegen-
kommt. Unberührt von solchen Stellungnahmen bleiben die wertvollen klinischen
Feststellungen Ba
An dieser Stelle sei gleich auf eine Arbeit eingegangen, die gerade den peycho-
logischen Aspekt der gestörten Willenshandlung zu seinem Recht kommen läßt:
die Studie Zutts über Rechts-Linksstörung, konstruktive Apraxie und Agraphie.
Anlaß zu diesen Untersuchungen, die an früher entwickelte Gedankengänge des
Verf. (vgl. seine Arbeiten über die ‚innere Haltung“) anknüpfen, bietet ein Fall
mit ungewöhnlichen Störungen der Orientierung und der Handlung, die auf das
genaueste analysiert werden. Als die Wurzel des ganzen Erscheinungskomplexes
wird die Rechts-Linksstörung herausgehoben; durch sie sei für den Patienten
die linke Raumhälfte in ihrer unmittelbaren Gegebenheitsweise verändert, sie
habe „gewissermaßen den Linkscharakter verloren“. Mit dieser Störung stehe
die konstruktive Apraxie, die Unfähigkeit des Patienten, „abstrakt-räumliche
Beziehungen im Außenraum zu stiften“, in einem wesensmäßigen Zusammenhang.
Auch die Agraphie, die hier nicht durch lautsprachliche Störungen zu erklären
war, wird darauf zurückgeführt; zu dieser Annahme nötigt insbesondere die
gleichzeitig bestehende schwere Zeichenstörung, die als eine direkte Folge der
Störung der konstruktiven Leistung aufzufassen ist. Im Mittelpunkt der ganzen
Betrachtungen steht die Analyse eben der „konstruktiven Leistung“, wobei
sich Z. mit den Anschauungen von Strauss, Schlesinger u.a. kritisch auseinander-
setzt. Wesentlich für diese Analyse aber ist die Unterscheidung zwischen „auto-
matisierten“, „physiognomisch sinneinheitlichen“ Handlungen, wie sie aus der
jeweiligen „inneren Haltung‘ hervorgehen und nicht-automatisierten Bewegungs-
abläufen konstruktiver Art. Das Schreiben ist in diesem Sinne (bei erreichter
Fertigkeit) als automatisierte, das Zeichnen als nicht-automatisierte, konstruk-
tive Leistung aufzufassen. Im besonderen ergeben sich bei der Untersuchung
der zeichnerischen Leistung, die in diesem Zusammenhange noch recht wenig
Berücksichtigung gefunden hat, viele neue und wertvolle Gesichtepunkte.
Riese teilt einen Fall von Apraxie der Lidöffnung mit, die er mit der von
Lewandowsky zuerst beschriebenen Apraxie des Lidschlusses in Parallele setzt.
Er zeigt, daß auch normalerweise die isolierte Lidinnervation nur eine schein-
bare ist bzw. nur auf Umwegen zustande kommt, und hebt die Bedeutung der
Ausgangssituation für die motorische Leistung hervor. In lokalisatorischer Hin-
sicht betont er, daß als Grundlage der Apraxie von stets gleichartig und synchron
arbeitenden Muskeln doppelseitige Hirnschädigungen anzunehmen seien. Unter
der Bezeichnung „paroxystische Apraxie“ beschreibt Victoria einen Fall,
bei dem apraktische Störungen anfallsweise, nur etwa einen Tag anhaltend, auf-
traten. Bei dem Patienten war einige Jahre vorher eine Arachnoidealzyste im
mittleren Drittel der linken hinteren Zentralwindung in nächster Nachbarschaft
des Gyrus supramarginalis entfernt worden. Auf Grund der Analyse eines
Falles von linksseitiger „äideokinetischer“ Apraxie zeigt Günther, daß die mit
der Apraxie verbundenen Störungen (Aufhebung des Lokalisationsvermögens,
der Stereognose, der Raumorientierung, der Somatotopognosie usw. mittels der
linken Hand) strukturell nicht einfach als Nachbarschaftesymptome aufzufassen
Aphasie, Apraxie, Agnosie 243
sind, daß es sich vielmehr um eine einheitliche Störung handelt, eine Störung
der Fähigkeit, hochstrukturierte darstellende Akte mittels der sensomotorischen
Apparate zu vollbringen.
Eine Reihe von Publikationen beschäftigt sich mit dem in seiner Bedeutung
für die Hirnpathologie immer genauer erkannten und höher bewerteten ‚‚Gerst-
mannschen Syndrom“ (Fingeragnosie, Rechts-Linksstörung, Agraphie, Akalkulie).
Gerstmann selbst gibt eine Übersicht über die bisher gesammelten Erfahrungen
und zeigt aufs neue die lokaldiagnostische Verwertbarkeit des Syndroms auf.
Wie bekannt, liegen dem klinischen Erscheinungskomplex Herde im unteren
Scheitellappen und seinem Übergang zum Okzipitalhirn zugrunde. Schilder
bemüht sich um die scharfe begriffliche Abgrenzung von Fingeragnosie, Finger-
apraxie, Fingeraphasie und betont, daß eine genaue Lokalisation der Störungen
auf diesem Gebiete durchaus möglich sei. Einen weiteren Beitrag zur Frage der
Fingeragnosie liefert Marburg. Er beschreibt einen Fall von linksseitiger Scheitel-
lappenerweichung, die unter dem Bilde eines Pseudotumor cerebri verlief. Be-
merkenswert ist, daß trotz der Fingeragnosie keine Agraphie bestand. M. glaubt,
das Ausbleiben der Agraphie auf das Freibleiben der 2. Okzipitalwindung zurück-
führen zu dürfen; die isolierte Läsion der Rinde des Gyrus angularis habe nicht
genügt, um Alexie und Agraphie hervorzubringen, dazu sei unbedingt eine Unter-
brechung der tiefen im Okzipital- und Parietallappen verlaufenden Markfaser-
systeme erforderlich. Fingeragnosie könne wahrscheinlich zustandekommen
einmal durch Läsion des Gyrus supramarginalis, wo sie nicht mit Agraphie ver-
bunden ist, das anderemal durch Läsion des Gyrus angularis mit dem Anfangs-
stück der 2. Okzipitalwindung, wo sie mit Agraphie einhergeht. Ferner hat
Herta Seidemann einen interessanten hierher gehörigen Fall mitgeteilt. Es
handelt sich um eine nach Pneumothoraxfüllung aufgetretene zerebrale Luft-
embolie, deren Symptome u. a. in Rechts-Linksstörung, Fingeragnosie und
Rechenstörung bestanden. |
Einen bemerkenswerten Beitrag zur Kenntnis der Symptomatologie parieto-
okzipitaler Herdläsionen liefert auch ein Fall von Ehrenwald, der Störungen
der Zeitauffassung, der räumlichen Orientierung, des Zeichnens und des Rech-
nens bot. Verf. führt die Symptome auf eine Grundstörung zurück, die er als
„ordinative Störung“ bezeichnet. Interessant ist die Unterscheidung eines primi-
tiven Zeiteinnes von der gnostischen Zeitauffassung.
Kurz hingewiesen sei auf den gedankenreichen Vortrag Grünbaums über
Wahrnehmung und Motorik bei der Agnosie. G. hält dafür, daß den mit Ver-
änderungen im Körperschema zusammenhängenden Störungen der Motorik der
funktionelle Primat im Komplex der Störungen zukomme, die auf optisch-kogni-
tivem Gebiet sich als agnostische Erscheinungen darstellen.
Die Frage der optisch-räumlichen Agnosie und zugleich die Dyslexiefrage
hat durch Scheller und Seidemann eine besondere Förderung erfahren.
Der Fall, der die in der Hauptsache auf Störungen der „optischen Aufmerk-
samkeit! zurückzuführende Symptomatologie in besonders reiner Ausprägung
darbot, ist in eingehendster Weise und unter Anwendung feinerer experimenteller
Methoden, wie sie vor allem Poppelreuter ausgearbeitet hat, analysiert worden.
Das Bild wird beherrscht von Minder- und Fehlleistungen, die das Erkennen
und die Wiedergabe optisch gegebener räumlicher Beziehungen betreffen. Der
Überblick über die Lagebeziehungen der einzelnen Teile zueinander ist beein-
244 Rudolf Thiele
trächtigt. Zuwendung zu einer Einzelheit fesselt die Aufmerksamkeit und engt
sie ein, so daß der Kranke beim Betrachten von Bildern nicht imstande ist, diese
gleichsam in einem Akte des Überschauens erschöpfend zu erfassen, sondern an
Einzelheiten haften bleibt. Objektagnostische Störungen bestanden übrigens
nicht. Auch die vorhandenen Störungen des Zeichnens und des Nachbildens
geometrischer Figuren (mit Streichhölzern u. dgl.) waren auf die optische Auf-
merksamkeitsstörung und nicht etwa, wie überzeugend dargelegt wird, auf eine
konstruktive Apraxie im Sinne von Kleist und Strauss zu beziehen; diese An-
nahme wird schon durch die Tatsache nahegelegt, daß das freie Zeichnen ent-
schieden besser gelang als das Zeichnen nach Vorlage. Ebenso konnte die Auf-
merksamkeitsstörung als die Ursache der eigenartigen dyslektischen Störung und
der Störung des optischen Abzählens festgestellt werden. Es zeigte sich, daß
es dem Kranken nicht möglich war, eine Reihe kontinuierlich mit dem Blick zu
verfolgen, seine Aufmerksamkeit gleichmäßig wandern zu lassen. Die (von Joss-
mann festgestellte) Störung im Ablauf der Blickbewegungen bei der Dyslexie
wird nicht als deren Ursache, sondern als die Folge einer Beeinträchtigung der
Aufmerksamkeitsverteilung auf optischem Gebiet erkannt, womit uns ein sehr
wesentlicher Punkt des ganzen Dyslexieproblems zutreffend bezeichnet zu sein
scheint. So stellt sich also die Dyslexie als eine besondere Erscheinungsform
einer allgemeineren Orientierungsstörung an bestimmt gearteten optischen Ge-
gebenheiten dar.
Einen durch Funktionsstörungen in der optisch-räumlichen Sphäre ausge-
zeichneten Fall — er zeigte im wesentlichen, neben dem Gerstmannschen Syn-
drom, verbale Alexie, eigenartige dyspraktische Störungen, Nichtbeachtung
der linken Körperseite beim Vorzeigen bzw. Nichtverwertung im Handeln —
beschreibt auch Pinéas. Unter den dyspraktischen Störungen fällt ein bisher
noch nicht beschriebenes, vom Verf. als „Penelope-(Kata-) Praxie“ bezeichnetes
Phänomen auf, das darin besteht, daß die Patientin auf Aufforderungen wie:
Schuhe ausziehen, Fenster öffnen u. dgl. derart reagiert, daß sie zunächst die
Aufgabe richtig löst, dann aber die an sich abgeschlossene Handlung spontan
fortsetzt, indem sie das vorher Getane wieder rückgängig macht, also z. B. den
ausgezogenen Schuh wieder anzieht.
Last beschreibt einen Fall von Störung der optischen Formauffassung bei
tachistoskopischer Darbietung, die sich durch Verlängerung der Expositionszeit
kompensieren ließ (was an sich ja wohl ganz gewöhnlich ist). Die Analyse des
Falles erscheint nicht vollständig durchgeführt.
Jossmann ist der Frage: Scheinbewegungen und Agnosie in inhaltsreichen,
gestalttheoretisch orientierten Überlegungen nachgegangen. Er führt die bei
optisch Agnostischen in dieser Hinsicht zu konstatierenden Besonderheiten in
der Hauptsache auf die Verschiebungen im Verhältnis von Reizgebundenheit
und Einstellungsfreiheit zurück. Mit dem Verlust der Freiheit des Einstellungs-
wechsels erlangen Einzelheiten des ‚„Empfindungsmaterials“‘ eine Dominanz
zuungunsten der Gestaltbildung (was an dem Beispiel der Unfähigkeit optisch
Agnostischer zum Invertieren besonders deutlich wird).
Von großem Interesse für die Kenntnis und theoretische Auffassung optisch-
agnostischer Störungen sind die Untersuchungen von Stein und Bürger-Prinz
über Funktionswandel im Bereich des optischen Systems. Die Autoren fanden
bei einem Patienten, der allgemein das Bild eines „diffusen organischen Abbaues
Aphasie, Apraxie, Agnosie 245
mit typischen Zügen des amnestischen Symptomenkomplexes bot, Störungen
des optischen Erkennens im Sinne einer schlechten Überschaubarkeit, eines
mangelhaften Zusammenordnens von Teilen usw. Sie zeigen, daß schon die
Prüfung der einfachsten Sinnesfunktionen Veränderungen aufweisen ließ, insofern
als bei Fortdauer des Reizes die Leistung sich sehr bald veränderte, wobei sich
eine gesetzmäßige Beziehung zum Zeitfaktor ergab. Sie untersuchten besonders
die sog. , Schrumpfung des Gesichtsfeldes“, sie stellten fest, daß bei fortgesetzter
Reizeinwirkung nicht nur die gereizte Stelle, sondern auch das übrige Gesichts-
feld in seiner Funktion herabgesetzt wird. Von den Farben leiden zuerst Rot
und Grün, bis es schließlich zu einer völligen Monochromasie kommt. Die so
in Erscheinung tretende „Ermüdung“ ist nicht als Ausdruck einer allgemeinen
Ermüdung aufzufassen, sondern als Funktionsbeeinträchtigung eines bestimmten
Gebietes und abhängig vom Zeitmoment der Erregung. Auf die bemerkenswerten
allgemeinen Perspektiven, die sich hinsichtlich der Frage des Funktionsabbaues
ergeben, kann hier nicht näher eingegangen werden.
Nur kurz hingewiesen werden kann an dieser Stelle auf die Analyse eines
„Seelenblinden‘‘ „von der Sprache aus“ von Hochheimer, die das sprach-
liche Verhalten des bekannten Patienten von Gelb und Goldstein zum Gegen-
stand hat. Ein genaueres Eingehen wäre ohne Vergegenwürtigung der mannig-
fachen Besonderheiten dieses Falles nicht möglich.
Niessl v. Mayendorf faßt die sog. Seelenblindheit als optische, Paragnosie“
auf und berichtet über den Befund von fünf an lückenlosen Serienschnitten
untersuchten Fällen. Er ist der Ansicht, daß das anatomische Substrat
der Seelenblindheit in einem als die zentrale Fortsetzung des makulären
Bündels des Sehnerven anzusprechenden Anteil der linken Sehstrahlung zu
suchen sei.
Hall und Hall beschreiben kurz drei Fälle von auditiver Agnosie (mit
Melodietaubheit) bei Kindern.
Einen Beitrag zur Kenntnis der „Anosognosie (Babinski), der Störung der
Selbstwahrnehmung des Defektes bei linksseitig Hemiplegischen, liefert Brouwer.
Bei seinem Patienten bestanden neben der linksseitigen Halbseitenlähmung
linksseitige Hemianopsie und schwere Sensibilitätestörungen; er war sich seiner
Störung nicht nur nicht bewußt, sondern behauptete sogar mit Bestimmtheit,
nicht gelähmt zu sein. Bei der Erklärung dieses Phänomens neigt Verf. der
Auffassung Wallenbergs zu, wonach durch den Untergang kortikofugaler Bahnen
und die Schädigung einer Reihe von kortikopetalen Systemen dem Bewußtsein
die Möglichkeit genommen werde, Kenntnis von der Funktionsstörung zu erlangen.
Hoff und Pötzl gelang es, durch Vereisung von Schädeldefekten im Bereiche
des Sensomotoriums bzw. des Scheitellappens in Verbindung mit einer Herab-
stimmung der Thalamusfunktion durch Atophanylinjektion Anosognosie experi-
mentell nachzubilden: sie erzielten-eine Ausschaltung einzelner Extremitäten
vom Körperbild, verbunden mit Einstellungen und Reaktionen, wie sie bei
Kranken mit Nichtwahrnehmung einer Hemiplegie beobachtet werden. Die
Wirkungen konnten sowohl von der rechten wie von der linken Hirnhemisphäre
aus erzielt werden. Über interessante Beobachtungen über Anosognosie und De-
personalisationsphänomene berichtet Ehrenwald. Auf die eindringenden patho-
psychologischen Analysen, die u. a. auch manche Einblicke in den Mechanismus
der hypochondrischen Wahnbildung eröffnen, sei besonders hingewiesen.
246 Rudolf Thiele
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heute herrschenden Aphasietheorien. Diss., Basel 1932. — Zutt, J.: Rechts-
Linksstörung, konstruktive Apraxie und reine Agraphie. Darstellung eines Falles.
Ein Beitrag zur Pathologie der Handlung. Mschr. Psychiatr. 82, 253 (1932).
Über entzündliche und degenerative Erkrankungen
des Sehnerven
von Sam Engel in München.
Die Erörterungen über die Genese der retrobulbären Neuritis sind seit
dem letzten Bericht über dieses Thema (1929) ziemlich lebhaft fortgeführt
worden; nach allem kann man sagen, daß die ursächliche Bedeutung der mul-
tiplen Sklerose für die Neuritis retrobulbaris auf Grund von Untersuchungen,
die zum Teil an einer großen Zahl von Patienten durchgeführt wurden, immer
mehr an Geltung gewonnen hat. Der an dieser Stelle geäußerte Standpunkt:
„Im allgemeinen wird man akut einsetzende Sehstörungen mit zentralem Skotom
bei jugendlichen Individuen als Symptom einer multiplen Sklerose betrachten
können“ ist nach wie vor zu vertreten. In der Literatur werden weitere Bei-
spiele rhinogen bedingter Sehnervenerkrankungen, deren Vorkommen
nicht in Abrede gestellt wurde, mitgeteilt; diese haben aber kaum mehr als
kasuistisches Interesse. Gewiß, wenn die rhinologische Untersuchung Eiter
im Nasengang oder eine deutliche Verschattung der Nebenhöhlen — in deren
Beurteilung verschiedene Beobachter des gleichen Falles übrigens oft auseinander-
gehen — zeigt, ohne daß die interne und neurologische Untersuchung irgend-
einen ätiologisch verwertbaren Befund aufdeckt, wird man meist in der deın
Sehnervenstamm benachbarten Eiterung die Ursache der Erkrankung erblicken
dürfen. Immerhin gibt folgendes zu denken: Unter 8 Fällen von Bachstelz
mit positivem Nasenbefund, die auf operativen Eingriff einen günstigen Verlauf
zeigten, waren 2 multiple Sklerosen!). Auch von Grosz kann sich dem Zweifel
an einem Zusammenhang zwischen Nebenhöhlenerkrankung und Optikus-
affektion, die sich nach Eröffnung der Nebenhöhlen zurückbildet, nicht ver-
schließen, wenn späterhin Symptome im Sinn einer multiplen Sklerose auf-
treten. Schließlich schützt eine Nebenhöhlenerkrankung nicht vor multipler
Sklerose. |
Neben zahlreichen Fällen von retrobulbärer Neuritis bei multipler Sklerose
sah ich in den letzten 4 Jahren nur 2 Fälle rhinogener Erkrankung, deren
Verlauf den Zusammenhang mit der Nebenhöhleneiterung allerdings fast einem
Experimente ähnlich aufzeigte. Bei dem einen Kranken besserte sich nach
1) Gifford berichtet über zwei Kranke, „die besonders gut zeigen, wie leicht
diese Fälle irrtümlich als durch Sinuisitis bedingt angesehen werden mögen“. Eine
retrobulbäre Neuritis besserte sich nach Eröffnung der Nebenhöhlen, die röntgeno-
logisch vielleicht eine Verschattung zeigten. 11 Monate später Sehverschlechterung
auf dem anderen Auge; Nasenuntersuchung jetzt negativ, aber im Liquor fand
sich Erhöhung der Zellzahl (15 in 1 cmm) und Globulinvermehrung. Bei der anderen
Kranken hob sich nach Eröffnung der Siebbeinzellen der Visus; 5 Jahre später
wurde sie von einem Neurologen wegen ausgesprochener Symptome von multipler
Sklerose behandelt.
Sam Engel, Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 249
jeder Spülung der mit Eiter angefüllten Siebbeinzellen die Sehschärfe, während
der Visus bei längerem Abwarten stationär blieb, ja sich einmal sogar ver-
schlechterte; bei dem anderen Patienten hob sich nach Eröffnung der Stirn-
höhle und der Siebbeinzellen das Sehvermögen anfänglich, dann kam es aber
wieder zu Eiterretention und erst nach einem zweiten Eingriff, der dem Eiter
Abfluß schaffte, stieg der Visus weiterhin bis zur vollen Sehschärfe. Sehen wir
von einer abnormen Anlage der Nebenhöhlen ab, so ist ein Übergreifen einer
Nebenhöhleneiterung nur im Bereich des knöchernen Optikuskanales möglich,
dessen mediale Wand an den hintersten Abschnitt der Siebbeinzellen, dessen
untere Wand an die Keilbeinhöhle grenzt. Nach Behr muß es hierbei zunächst
zu einer Perineuritis retrobulbaris kommen, die zu einer temporal oder oben
gelegenen sektorenförmigen oder zu einer konzentrischen Gesichtsfeldeinengung
führt, bevor das axial gelegene, allerdings besonders empfindliche papillo-
makuläre Bündel ergriffen wird, und ein zentrales Skotom auftritt. In der
Abheilungsperiode kann zwar die Erholung der peripheren Faserbündel bereits
erfolgt sein, während in dem axialen Bündel noch eine Funktionsstörung in
Form eines zentral gelegenen Skotoms nachweisbar ist. Andere Autoren wollen
in einer Vergrößerung des blinden Flecks (van der Hoevesches Zeichen)
oder in inselförmigen Skotomen eine Beteiligung des Optikus an dem entzünd-
lichen Prozeß sehen, die in 70% festzustellen seien; Behr, der in 13 Jahren eine
große Zahl von Kranken mit manifesten Nebenhöhlenaffektionen daraufhin
untersuchte, fand kein einziges Mal derartige Gesichtsfeldstörungen; er kann
in diesem Sinne auch Untersuchungen von Elschnig und Best anführen.
Wenn die Vertreter der „rhinogenen“ retrobulbären Neuritis Besserungen
nach Operationen oder Adrenalinbehandlung als Beweis für ihre Auffassung
anführen, so muß dem immer wieder entgegengehalten werden, daß diese
durchaus zum natürlichen Ablauf der Krankheit gehören. Die plötzlich auf-
tretende Sehstörung bei multipler Sklerose erreicht in kurzer Zeit, die
meist zwischen einigen Stunden bis zu 2 Tagen liegt, ihren Höhepunkt und
beginnt nach 1—2 Wochen sich langsam wieder zurückzubilden. Die große
Mehrzahl der Kranken wird zum erstenmal von der Sehstörung im 2. und
3. Lebensjahrzehnt betroffen. Gleichzeitiges Auftreten auf beiden Augen
wird selten beobachtet, die Erkrankung bleibt entweder einseitig oder die
Sehstörung am 2. Auge folgt in einigen Tagen oder Wochen. Der kürzeste von
Adie beobachtete Zwischenraum betrug 24 Stunden, nie sah er gleichzeitiges
Einsetzen der Erkrankung beider Augen!). Von Hippel hat weitere 36 Fälle
gesammelt; von diesen waren 15 sichere multiple Sklerosen; 30mal wurde
eine rhinologische Untersuchung veranlagt, kein einziges Mal ein Befund an
den Nebenhöhlen oder eine röntgenologische Verschattung festgestellt. Bei
nur 2 von insgesamt 102 Kranken ließ von Hippel eine Nasenoperation vor-
nehmen; in Heilung gingen 70 Fälle aus, die bei einem operativen Aktivismus
als 70 % Operationserfolge oder bei Daueranämisierung nach Herzog als durch
diese bedingt gebucht worden wären. Santori hat gleichfalls fast alle seine
108 Fälle konservativ behandelt; die Ergebnisse waren durchaus befriedigend,
sicher nicht schlechter, als wenn operiert worden wäre. Auch die Dringlichkeit
1) Bei der neurologischen Untersuchung wird von Gifford die Lumbalpunktion
gefordert, die nach Stewart in 70%, eine oharakteristische kolloidale Goldkurve
und in 40% Erhöhung der Zellzahl zeige.
Neurologie v. 6 18
250 Sam Engel
eines solchen Eingriffes werde übertrieben, da er oft in der 2. und 3. Woche
der Erkrankung spontane Besserung sah. Und Sarbo schreibt: „Die Er-
krankung des retrobulbären Teils ist auch nach meiner Erfahrung in der Mehr-
zahl der Fälle die Folge von multipler Sklerose.“ „Spontane Besserung
ist die Regel. Nie sah ich eine endgültige und vollständige Erblindung infolge
von multipler Sklerose. Diesen meinen Erfahrungen liegen weit über 600 Fälle
zugrunde. Gegen eine Ausräumung der Nebenhöhlen scheint mir aber um so
größeres Bedenken zu bestehen, als jeder operative Eingriff bei einem Sklerotiker
auf seinen Zustand verschlechternd wirken kann. Ja, man könnte sich denken,
daß Fälle, die operiert wurden und ungünstig ausgingen, soweit sie sich später
als multiple Sklerosen herausstellten, ohne Eingriff einen besseren Verlauf ge-
nommen hätten.
Die Zahlen über die Häufigkeit der multiplen Sklerose in der Ätiologie
der retrobulbären Neuritis schwanken naturgemäß nach der Zusammensetzung
der Klientele und nach der Länge der Zeit, in der die einzelnen Kranken weiter
verfolgt wurden. Denn die Sehnervenerkrankung ist ja häufig nicht nur ein
Frühsymptom, sondern das 1. Symptom, und es kann lange Zeit bis zum Auf-
treten anderer Erscheinungen am Nervensystem vergehen; das längste Intervall,
das Adie beobachtete, betrug 24 Jahre. (Andererseits tritt die retrobulbäre
Neuritis relativ selten zum ersten Mal auf, wenn die Krankheit bereits weiter
fortgeschritten ist.) Nach den Angaben der verschiedenen Untersucher bildet
die multiple Sklerose etwa in 30—70%, die Ursache der retrobulbären Neuritis.
Bachstelz sah unter 58 Kranken 27,5%, Sklerosen, die sich nachträglich aus
der Zahl der unklaren Fälle erhöhen dürften. Das Krankenmaterial der Tü-
binger Klinik aus dem Jahre 1921—1928 zeigt bei 203 Fällen 66%, sichere
multiple Sklerosen, bei weiteren 5%, bestand der Verdacht auf Sklerose (Irene
Maier). Als Mittel wird man etwa 50%, annehmen können. Walker betont,
daß in Amerika die Diagnose auf multiple Sklerose zu selten gestellt wird; der
Prozentsatz der Sklerose in der Ätiologie der Neuritis retrobulbaris ist daher
nur halb so groß wie in Europa. Das mag daran liegen, daß in Amerika wie
überhaupt so auch hier die Bedeutung der lokalen Infektion für die Krankheits-
genese überschätzt wird. So hält White, der anfänglich den Erkrankungen
der Nasennebenhöhlen eine große ursächliche Bedeutung zugemessen hat, heute
eine Erkrankung der Tonsillen und Zähne in der überwiegenden Zahl der Fälle
für das ätiologische Moment. Nach Walker ist die Perimetrie für die Prognose-
stellung entscheidend. Je langsamer die Erholung der Sehfunktion, um so größer
ist die Gefahr, daß ein Ausfall um den blinden Fleck, gelegentlich auch zentral
zurückbleibt. Bisweilen scheine die Peripherie des Gesichtsfeldes mit gewöhn-
lichen Marken normal, bei Anwendung von 1/2000 oder 2/2000 finde sich jedoch
eine Einschränkung der Peripherie, besonders temporal. Wichtiger für die
Beurteilung scheint mir die Bestimmung der zentralen Sehschärfe, die besser
und für Patient und Arzt eindrucksvoller die Erholung anzeigt; feinste peri-
makuläre Störungen werden oft beim Lesen kleinster Schrift besonders gut
beobachtet, sie können sich durch Verschwimmen oder Ausfall einzelner
Buchstaben bemerkbar machen und werden oft vom Kranken spontan an-
gegeben. u
. Im Grunde dreht sich der Streit der Meinungen über die Ätiologie der
retrobulbären Neuritis weniger um diagnostische, als um therapeutische Über-
Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 251
legungen. Während die Vertreter der rhinogenen Neuritis retrobulbaris in
jedem Falle, in dem sich keine andere Ursache nachweisen läßt, eine Eröffnung
der Nebenhöhlen fordern, sei es gleich bei Beginn der Erkrankung, sei es, wie
z. B. Bachstelz, wenn nach Adrenalinbehandlung keine Besserung eintritt,
wird auf der anderen Seite nur dem Rhinologen auf Grund seines Befundes
das Recht, die Indikation zu einem Eingriff zu stellen, zugestanden. Die großen
Bedenken, die gegen einen nicht notwendigen Eingriff an sich, und in Fällen,
die großenteils auf multiple Sklerose verdächtig sind, im besonderen bestehen,
wurden oben dargelegt. Eher könnte man sich zu der harmloseren Adrenalin-
streifenbehandlung verstehen, vor allem mit Rücksicht auf den Patienten, der
naturgemäß das Bedürfnis nach einer Behandlung empfindet. Ist aber eine
Eiterung der Nebenhöhlen vorhanden, so ist bei der Schwere der Sehnerven-
erkrankung die sofortige Operation angezeigt. Wenn man in der Wirkung
der Kokain-Adrenalintamponade wie Behr nur einen „lokalen Aderlaß“ sieht,
so ist deren Anwendung allerdings bei jeder Ätiologie gerechtfertigt. Durch
die initiale Anämisierung sinkt nach Behr der Gewebsdruck, der parenchyma-
töse Saftstrom wird erleichtert, und es kommt zu einer besseren Ernährung
der Nervenfasern und zu einem schnelleren Abtransport von Stoffwechsel-
produkten und Toxinen.
In neuerer Zeit wird über gehäuftes Auftreten von Neuritis optica bzw.
Neuritis retrobulbaris berichtet, so z. B. von Kyrieleis (Würzburg) über eine
Epidemie im Herbst 1930, von Klar (Kattowitz) im Sommer 1931. Anscheinend
ist hierbei auch eine örtliche Begrenzung zu erkennen, da gleichzeitig außer
aus Würzburg aus Erlangen, Prag und Basel gleichlautende Berichte vorlagen,
während z. B. in München keine Häufung gegen sonst beobachtet wurde. Ky-
rieleis nimmt an, daß seine Fälle Abortivformen einer Encephalomyelitis
disseminata sind, die ebenso wie die multiple Sklerose mit Optikuserschei-
nungen beginnt. Möglicherweise handle es sich aber bei beiden Erkrankungen
nur um zwei verschiedene Verlaufsformen der gleichen Krankheit oder zum
mindesten um durch gruppenverwandte Erreger bedingte Krankheiten. Die
ohne oder mit nur geringen sichtbaren Entzündungserscheinungen am Augen-
hintergrund einhergehenden Fälle sind ‚entweder der Ausdruck einer milden
Infektion bei abwehrkräftigen Individuen .. . oder bei weniger reaktionsfähigen
Kranken die erste Manifestation eines Leidens, für das — infolge Insuffizienz
der Abwehrkräfte — ein chronisch-schubweiser Verlauf zu erwarten ist, mit
anderen Worten einer ‚multiplen Sklerose“. Die unter starken sichtbaren
neuritischen Erscheinungen an der Papille verlaufenden Erkrankungen gelten
als Ausdruck einer guten Reaktionsfähigkeit auf eine virulentere Infektion;
hierbei ist jedoch Ausgang in einen späteren chronisch-schubweisen Verlauf
möglich. Die Bedeutung des konstitutionellen (, endogenen“) Moments, d. h.
der ‚individuellen Reaktionsfähigkeit und Reaktionsart“, wird besonders
betont. Kyrieleis stellt zunächst fest, daß sich bei seinen Fällen verhältnis-
mäßig häufig „ophthalmoskopisch ein mehr oder weniger ausgeprägter neuriti-
tischer Befund (Verschleierung der Papillengrenzen, Hyperämie, Venenstauung,
Ödem bis zu stauungspapillenähnlichem Befund mit meßbarer Prominenz,
Blutungen usw.)“ fand, legt aber an späterer Stelle der Zunahme der Fälle mit
Optikusbefund gegenüber denen ohne Papillenveränderung weniger Bedeutung
bei, da „bei der kleinen absoluten Zahl der Beobachtungen schon ein oder zwei
18*
252 Sam Engel
Patienten mit negativem ophthalmoskopischem Befund das Bild grundsätzlich
ändern würden“. Demgegenüber sieht Klar darin, daß seine 4 Fälle ausge-
sprochene Veränderungen am Optikus zeigten, ein differentialdiagnostisches
Moment, das für Encephalomyelitis disseminata und gegen multiple Sklerose
spricht. Diese diagnostische Wertung möchte ich deswegen ablehnen, weil das
Vorhandensein oder Fehlen eines Papillenbefundes ja nur der Ausdruck einer
mehr oder weniger distalen Lokalisation des Krankheitsherdes im Sehnerven
ist, aber nichts prinzipiell Verschiedenes bedeutet, weil bei anfangs normalem
Spiegelbefund erst nachträglich ein Papillenödem auftreten kann, und weil
schließlich häufig genug auch bei der multiplen Sklerose eine „manifeste
Neuritis beobachtet wird. Vor allem aber scheint es mir wichtig, daß der
Verlauf der Sehnervenerkrankung in Klars Fällen mit dem übereinstimmt,
was wir bei der Sklerose zu sehen gewohnt sind: Plötzliches Einsetzen der
hochgradigen Sehstörung, zentrales Skotom, verhältnismäßig schnelle Bes-
serung der Sehschärfe, Rückbildung des Papillenbefundes zu besonders tem-
poral ausgesprochener Abblassung bei scharfer Begrenzung des Sehnerven-
kopfes, keine Einscheidung der Gefäße. Es fanden sich in Klars Fällen leichte
Temperatursteigerungen (bis 37,7), im Liquor positive Globulinreaktion und
leichte Pleozytose; diesen Befund für eine Encephalomyelitis disseminata
zu werten, geht wohl nicht an, da wir im akuten Anfall von multipler Sklerose
den gleichen Befund erheben können. Auch betont Klar, daß die Abgrenzung
seiner Fälle von der multiplen Sklerose, „mit der sie die größte Ähnlichkeit
haben“, erhebliche Schwierigkeiten bereitet, und daß man Autoren, wie Pette,
die beide Krankheiten für identisch halten, wenig entgegnen kann, so lange
wir noch nichts über den Erreger beider Krankheiten wissen. Der Beginn
der Erkrankung mit leichter Temperatursteigerung, nach Durchnässung usw.
scheint um so weniger Grund zur Abgrenzung gegen die multiple Sklerose zu
geben, als Sarbo unter 350 Fällen viele Sklerotiker sah, deren Krankheit
mit einer „Erkältung“ begann; jede Infektion wirkt aktivierend auf die Ent-
stehung bzw. verschlechternd auf den Verlauf der multiplen Sklerose. Unter
diesem Gesichtspunkt ist — scheint mir — auch die Grippe als Ursache der
Neuritis optica in den Fällen Jägers abzulehnen. Warum sehen wir so selten
bei den großen und zahlreichen Grippeepidemien Sehnervenerkrankungen ?
Die von Jäger beobachteten Neuritiden besserten sich alle zur normalen Seh-
schärfe; der Verfasser nimmt selbst an, daß die Ausheilung auch ohne die
angewandte Urotropinbehandlung eingetreten wäre; ein Fall zeigte später
temporale Abblassung.
Es steht mir nicht zu, zu den Auseinandersetzungen in der neurologischen
Literatur, die die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Encephalo-
myelitis disseminata und multipler Sklerose aufwerfen, Stellung zu nehmen.
Ich darf nur darauf hinweisen, daß die Krankheitsbilder oft so große Ähn-
lichkeit miteinander haben, daß die Differentialdiagnose dem Nervenarzt un-
möglich ist, und daß auch pathologisch-anatomisch wesensverwandte Krank-
heitsprozesse zugrunde liegen. Für den Augenarzt ist in seinem Beobachtungs-
bereich jedenfalls die große Ähnlichkeit der Sehnervenprozesse sehr eindringlich ;
der häufige Beginn mit Veränderungen an den Augen, vornehmlich am Optikus,
dem erst später andere neurologische Symptome folgen, der Verlauf bzw. die
Rückbildung der Sehstörung, das Zurückgehen der entzündlichen Erschei-
Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 253
nungen zur Norm, gegebenenfalls zu temporaler Abblassung, so gut wie nie
Ausgang in sekundäre (neuritische) Atrophie.
In der diagnostischen Erfassung machen die Fälle von Leberscher Seh-
nervenerkrankung auf hereditärer Grundlage dann besondere Schwierig-
keiten, wenn das Leiden in der ersten Generation und zunächst nur bei einem
Familienmitglied beobachtet wird. Die Krankheit vererbt sich rezessiv ge-
schlechtsgebunden, über die weiblichen selbst nicht erkrankenden Familien-
mitglieder auf die Söhne. So kommt es, daß unter den unklaren Fällen retro-
bulbärer Neuritis vorwiegend Männer sind; auch von Hippels Fall „Freise“
wurde zunächst als ätiologisch unklar geführt, bis die Erkrankung des zweiten
Bruders bekannt wurde. Meist während der Pubertät, bisweilen auch noch
im 3. Lebensjahrzehnt, tritt eine beiderseitige Sehstörung mit zentralem Skotom
auf, die, langsam zunehmend, in einigen Monaten ihren Höhepunkt erreicht;
es besteht fast immer hochgradige Herabsetzung der Sehschärfe, doch kommt
es selten zu völliger Erblindung. Der Papillenbefund entspricht dem der retro-
bulbären Neuritis bei multipler Sklerose, anfangs ist die Papille normal, oder
es besteht leichte Verschleierung, nach einiger Zeit findet sich totale oder tem-
porale Abblassung der Papille. Nach allem handelt es sich um eine degenerative
Erkrankung, die innerhalb der gleichen Familie eine auffallende Übereinstimmung
im Verlaufe zeigt. So berichten Favory und Pétrignani über 3 Brüder,
die alle im 11. Lebensjahr erkrankten, deren Sehstörung innerhalb von 2 Mo-
naten so zunahm, daß sie die Schule verlassen mußten, und die schließlich den
gleichen Endbefund zeigten (Visus 1/50, großes zentrales Skotom, Papillen
blaß, besonders temporal). Die Eltern sind Vetter und Base, doch wird sonst
bei der Leberschen Krankheit über Blutsverwandtschaft nicht berichtet.
Thies stellt die Frage eines Zusammenhangs des Sehnervenleidens mit endo-
krinen Störungen zur Diskussion; sein Patient zeigte Hochwuchs und sexuelle
Unterentwicklung, die Sehschärfe besserte sich auf Darreichung von Hypo-
physen- und Keimdrüsenpräparaten.
Eine Tuberkulose des Sehnerven entwickelt sich meist im Gefolge
einer tuberkulösen Meningitis durch Übergreifen der Erkrankung auf die Seh-
nervenscheiden. Das gleichzeitige Auftreten größerer Tuberkel führt zu einer
Verbindung der Entzündung mit Stauungserscheinungen an der Papille. Ferner
kann es im Anschluß an eine tuberkulöse Chorioretinitis zu einer aufsteigenden
Erkrankung der Papille und des Sehnerven kommen, sei es, daß ein Herd am
Papillenrand in den Zwischenscheidenraum durchbricht, sei es, daß sich die
Krankheit entlang den Lymphscheiden der Netzhautvenen ausbreitet. Uns
interessiert hier vornehmlich die Frage, inwieweit eine tuberkulöse retrobulbäre
Neuritis, die nicht aus der Nachbarschaft fortgeleitet ist, beobachtet worden ist.
Schieck schreibt in seiner ausgezeichneten Monographie „ Tuberkulöse In-
fektion und Augenleiden“: „Der bündige Beweis, daß sich eine retrobulbäre
Neuritis auf Basis einer Tuberkulose des Sehnerven entwickelt hat, wird sich
freilich nur in den seltensten Fällen erbringen lassen.“ Er referiert nochmals
ausführlich über drei von Igersheimer veröffentlichte Fälle tuberkulöser
Neuritis retrobulbaris, ,die dadurch interessieren, daß sich im unmittelbaren
Anschluß an diagnostische und therapeutische Tuberkulininjektionen merk-
würdige Anderungen im Gesichtsfeld einstellten“. Es muß auf gewisse Zweifel
gegen diese Deutung der Fälle hingewiesen werden, die von Hippel schon
254 Sam Engel
früher (Graefe-Saemisch, Handbuch der Augenheilkunde) ausgesprochen
hat; alle 3 Patienten (27, 32 und 34 Jahre alt) standen in einem Alter, das die
multiple Sklerose bevorzugt. Der Verlauf der Erkrankung entspricht dem bei
multipler Sklerose; einer der Kranken zeigte nach Heilung ‚leichte Abblassung
der temporalen Papillenhälften“. Und schließlich gibt gerade die schnelle
Besserung auf Tuberkulinbehandlung Anlaß zu Bedenken.
Wie früher Cushing und Walker, berichten neuerdings Paterson und
Meighan über Tumoren der Hypophysengegend, bei denen eine Op-
tikusatrophie zu unnützer Nasenbehandlung bzw. -operation Veranlassung
gegeben hatte. Untersuchung des Gesichtsfeldes und Röntgenaufnahme des
Schädels hätte hier Klarheit gebracht. Nach Meighan ist auf die Ausbreitung
der bitemporalen Skotome (Differentialdiagnose gegen eine im Chiasma loka-
lisierte multiple Sklerose!) zu achten, die gleich der des Gesichtsfelddefektes
verläuft; die Skotome beginnen meist im oberen temporalen Quadranten,
greifen dann nach temporal unten und nasal unten über; zuletzt betrifft die
Störung den nasalen oberen Quadranten. Weill und Nordmann sahen in
3 Fällen von Tumoren der Hirnbasis „Neuritis retrobulbaris“; Bachstelz
weist auf 13 von Lillie veröffentlichte, an der Basis gelegene Stirnhirntumoren
mit zentralem Skotom hin.
Bei den Sehnervenerkrankungen des höheren Alters wird der Athero-
sklerose zu wenig Beachtung geschenkt und zu häufig eine multiple Sklerose
diagnostiziert. Unter den 58 Fällen von Bachstelz befanden sich 5 retro-
bulbäre Neuritiden auf Grund von Gefäßsklerose; das Alter der Patienten lag
zwischen 58 und 75 Jahren. Sehen wir von einer Schädigung des Sehnerven
durch ein Aneurysma ab, so kann die Atherosklerose den Sehnerven auf zweierlei
Weise in Mitleidenschaft ziehen: Entweder kommt es infolge Erkrankung der
feinsten Gefäße des Optikus — durch spastische Kontraktion oder durch Gefäß-
wandschädigung — zu lokaler Ernährungsstörung, die zu einer „symptoma-
tischen‘ Entzündung im Sinne Spielmeyers führt, oder der Druck der ver-
kalkten Arteria carotis interna bzw. des Circulus arteriosus Willisii bedingt
eine Atrophie der Nervenfasern; der Druck ist um so wirksamer, da der Optikus
in seinem intrakraniellen Teil keine Möglichkeit auszuweichen hat. Die Verän-
derungen im Optikus entsprechen nicht immer der Schwere der Gefäßerkrankung
an der Basis und umgekehrt. Auch Alpers und Wolmann glauben, daß
atherosklerotische Erkrankungen des Optikus nicht oft genug erkannt werden.
Sie berichten über eine 44jährige Frau mit erhöhtem Blutdruck, Verbreiterung
des Herzens und leichter Aorteninsuffizienz; der rechte Optikus zeigte leichte
neuritische Veränderungen, sternförmig angeordnete Degenerationsherde fanden
sich in der Macula; bei einer Nachuntersuchung 3 Jahre später waren Optikus
und Fovea normal. Die Untersuchung des linken Fundus ergab, abgesehen
von ziemlich engen Arterien, nichts Besonderes. Bei der Sektion wurde eine
starke Atherosklerose des Circulus arteriosus Willisii nachgewiesen; die Seh-
nerven waren komprimiert, besonders hatte die linke Arteria carotis interna den
Nerv in einer Partie „zu einem Band abgeflacht“. Die beginnende Neuritis
optica des rechten Auges mag durch die plötzliche Kompression bedingt ge-
wesen sein, und in der späteren Rückbildung der entzündlichen Erscheinung
kann eine Angleichung an den erhöhten Druck gesehen werden. Es traten zwar
subjektive Sehstörungen auf, aber es kam nicht zu einer Degeneration der Myelin-
Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 255
scheiden oder der Achsenzylinder; lediglich zeigten sich hyalinisierte Gefäße
im Optikus und in den Optikusscheiden Herde, die aus kleinen Rundzellen und
größeren ovalen Zellen zusammengesetzt waren. Kompression des Optikus
und Erkrankung seiner kleinsten Gefäße wirken, wie in diesem Falle, bisweilen
zusammen. Auch zwei der Fälle Thiels von „Glaukom ohne Hochdruck“
interessieren hier. Es handelt sich bei ihnen um eine Sehnervenatrophie, die
mit einem Zurücksinken der Lamina cribrosa und einer hierdurch bedingten
Abknickung der Zentralgefäße am Papillenrand (, randständige Exkavation“)
einhergeht, einem Befunde, den wir ophthalmoskopisch beim Glaukom zu
sehen gewohnt sind; die Bezeichnung „Glaukom ohne Hochdruck“ an sich
ist widerspruchsvoll und irreführend, da ja diese Fälle nicht mit einer Stei-
gerung des intraokularen Drucks einhergehen. Die klinische Diagnose erfordert
unbedingt eine Röntgenaufnahme des Schädels. Bei der dorso-anterioren Auf-
nahme liegt der Kalkschatten der Arteria carotis interna in der Fissura orbitalis
superior; die bitemporale Aufnahme, die nach Thiel wesentlich deutlichere
Bilder gibt, projiziert das extrasellar gelegene Gefäßrohr auf das Gebiet der
Sella turcica; eine stereoskopische Aufnahme ist nötig, um Verwechslungen
mit intrasellarer Kalkablagerung zu vermeiden. Handelt es sich nicht um
eine hochgradige oder gar vollständige Aufhebung des Sehvermögens, so zeigt
das Gesichtsfeld ein zentrales Skotom oder vom blinden Fleck ausgehende
flügelförmige Skotome; auch binasale Quadrantenausfälle werden beobachtet!).
Die pseudoglaukomatöse Exkavation kann durch Vertiefung einer besonders
ausgeprägten physiologischen Exkavation oder durch eine sehr distale Lage
der Erweichungsherde im Optikus bedingt sein.
Aus Holland, Jugoslawien und Deutschland werden in neuerer Zeit Ver-
giftungen mit Apiol mitgeteilt. Apiol ist ein ätherisches Öl, das aus der Peter-
silie gewonnen wird und in Kapseln zu 0,1 und 0,3 innerlich als Abortivum,
als das es durchaus nicht zuverlässig ist, genommen wird. Im Anschluß daran
wurden nach einer Latenzzeit von einigen Tagen bis 2½ Wochen poly-
neuritische Lähmungserscheinungen beobachtet, die symmetrisch vor allem
die Oberschenkelmuskulatur und die kleinen Handmuskeln befallen und denen
mehrtägige gastrointestinale Störungen vorausgingen. Juhasz-Schäfer sah
eine Kranke, die bei der ersten Applikation eine den Arzneiexanthemen ähnliche
Dermatitis zeigte, bei der zweiten Anwendung (6 Monate später) von einer
retrobulbären Neuritis mit parazentralen Gesichtsfeldausfällen betroffen wurde.
Verfasser verlangt, daß die Kauffreiheit des Apiols aufgehoben wird.
Die Behandlung der tabischen Optikusatrophie stellt den Nerven-
und Augenarzt weiterhin vor ein schwieriges Problem. Besteht auf der einen
Seite begreiflicherweise der Wunsch, das Fortschreiten der Erkrankung auf-
zuhalten und den Kranken vor der Erblindung zu bewahren, so sind anderer-
seits Fälle, in denen während der Therapie eine Verschlechterung oder gar ein
schneller Verfall des Visus beobachtet wurde, nur zu eindrucksvoll. Für den
Kranken ist das post hoc ergo propter hoc meist gegeben; den Arzt wird immer
wieder die Frage belasten, ob er durch sein Eingreifen das Fortschreiten
1) Die Gesichtsfelder können mit den Befunden, die wir beim chronischen
Glaukom zu sehen gewohnt sind, übereinstimmen, worauf früher schon Salzer und
Horniker hingewiesen haben. Auch in dem ausgezeichneten Röntgenatlas von
Thiel findet man entsprechende Gesichtsfelder.
256 Sam Engel
beschleunigt hat. Während die Warnungen vor einer Salvarsankur häufiger
wurden, setzte man seine Hoffnung auf die Malariatherapie, von der man
ähnlich günstige Ergebnisse wie bei der Paralyse erwartete; es wurde eine mög-
lichst frühzeitige Impfung gefordert. Aber die Tabes und Paralyse stellen
anatomisch zwei völlig verschiedene Prozesse dar, und auch Wagner-Jauregg
sprach sich in der Diskussion zu seinem Münchner Vortrag (1930) skeptisch
bezüglich der Malariabehandlung der Tabes aus. Gasteiger berichtet, daß bei
10 Fällen von tabischer Optikusatrophie, die in den letzten 3 Jahren mit Malaria
geimpft wurden, 5mal eine ausgesprochene Verschlechterung eintrat, einmal
sank der Visus von voller Sehschärfe auf Wahrnehmung von Handbewegungen.
Der zeitliche Zusammenhang zwischen Kur und Verschlechterung mache den
ungünstigen Einfluß der Behandlung „in hohem Grade wahrscheinlich“. Stöwer
(Diskussionsbemerkung zu Hessberg) sah bei juveniler Tabes fast völlige
Erblindung nach der ersten Malaris-Fieberzacke. Aus 2 Fällen Grages (4 und 5)
ist nicht zu ersehen, ob die Malariakur oder die Nachbehandlung mit Neosalvarsan
bzw. Wismut die Verschlechterung herbeigeführt hat. Bei der ersten Kranken
war zunächst , das Fortschreiten des Sehverlustes ein sehr langsames“, „während
es wenige Wochen nach Abschluß der klinischen Behandlung zu einem rapiden
Verfall des Sehvermögens bis zu praktischer Erblindung gekommen ist“. Bei
dem zweiten Kranken war die Prognose vor der Malaria-Wismutkur gewiß
nicht günstig zu stellen; jedenfalls aber wurde kein Stillstand durch die Impfung
erreicht; die Nachuntersuchung nach einem Jahr ergab beiderseitige Amaurose,
während zuvor auf jedem Auge ½ꝭ, der Norm gesehen wurde. Nach allem
scheint es besonders wichtig, vor Beginn der Therapie ein Urteil über die Pro-
gnose zu haben. Behr trennt die Fälle, bei denen sich zunächst allein die Weiß-
grenzen verengern, so daß schließlich Weiß- und Farbengrenzen nahaneinander-
rücken oder zusammenfallen, von denen, die mit einer Einengung der Farb-
grenzen beginnen, an die sich erst später die der Weißgrenzen anschließt. Bei
der ersteren Form hält sich die zentrale Sehschärfe verhältnismäßig lange,
während bei der zweiten Gruppe frühzeitig eine Abnahme des Visus zu ver-
zeichnen ist. Die starke Einschränkung der Farbgrenzen bei diesen Fällen
und eine starke Herabsetzung der Dunkeladaptation spreche für einen diffusen
progredienten Prozeß und verlange eine weitgehende Zurückhaltung in der
Therapie. Betrachten wir die Erfolge, die als Stillstand des Optikusprozesses
auf der anderen Seite gebucht werden, so sind in der Tabelle II Hessbergs
von 8 Fällen 3 während der Dauer von % Jahren stationär geblieben. Dem
stehen gegenüber: zwei Fälle, die erblindet sind, bei denen zwar vor der Kur
die Sehschärfe schon hochgradig herabgesetzt war, bei einem dritten sank der
Visus von ½ auf Lichtscheinwahrnehmung. Die Kranken wurden mit Salvarsan
nachbehandelt; Hessberg scheint aber in Zukunft davon absehen zu wollen,
da der Körper nach der Malariakur besonders empfindlich gegen Medikamente
sei, der Sehnerv also auch auf Salvarsan stärker reagiere. Daß es auch nicht
immer gelingt, trotz ständiger Chiningaben (nachWagner-Jauregg)dieMalaria-
kur abzuschwächen, wie es bei der Optikusatrophie wünschenswert erscheint, zeigt
ein Fall Grages, der einen (dritten) Temperaturanstieg bis über 40° hatte. So kann
ich mich heute nicht mehr entschließen, eine tabische Optikusatrophie mit Salvar-
san oder mit Malaria zu behandeln, und ich möchte Grage beipflichten, wenn er
schreibt: „Man setzt für einen in seltenen Fällen zu erzielenden ErfolgdierapideVer-
Über entzündliche und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 257
nichtung eines noch brauchbaren Sehvermögens aufs Spiel.“ Anders natürlich, wenn
gleichzeitig paralytische Symptome vorhanden sind, die eine Behandlung fordern;
hier muß man gegebenenfalls eine Verschlechterung des Sehens in Kauf nehmen.
Diese Erfahrungen haben dazu geführt, nach einer milderen Behandlungs-
methode Umschau zu halten, ganz abgesehen davon, daß ein schlechter All-
gemeinzustand bisweilen die Malariakur verbietet. So wendet auch Hessberg
bei fortgeschritteneren Fällen von tabischer Optikusatrophie die Fieberbe-
handlung mit Pyrifer an, bei der es besser möglich ist, Zahl und Höhe der Tem-
peraturanstiege zu dosieren. Zwei der Fälle (Tabelle 3) lagen so ungünstig, daß
sie in der Beurteilung ausscheiden müssen, zwei andere erlauben wegen der
Kürze der Beobachtungszeit noch kein Urteil. Auch Pick und Kutzinski
wenden neuerdings Pyriferbehandlung an, über die sie aber noch nichts Ab-
schließendes sagen können; Kuren mit Neosaprovitan haben sie jetzt wieder
aufgegeben, da in der Literatur über Schädigungen, vor allem über Gelenk-
erkrankungen berichtet wurde. Auch Weinberg bevorzugt, allerdings neben
Salvarsan- und Bismogenolbehandlung die „kleine Fieberkur“, die er ent-
weder mit etwa 10 Pyriferanfällen oder mit 10 Einspritzungen eines Schwefelpräpa-
rats (Sulfosin, Anästhesulf usw.) durchführt (Temperaturanstiege bis 38,5°). Die
Schwefelbehandlung scheint uns vor allem als milde Behandlungsmethode
der Nachprüfung wert. Die anatomischen Untersuchungen der tabischen Op-
tikusatrophie von Igersheimer und Behr müssen die Grundlage für unsere
therapeutischen Überlegungen bilden; histologisch hat sich keine Überein-
stimmung von entzündlichen Piaveränderungen und Degeneration der Nerven-
fasern gezeigt, niemals wurden Spirochäten im Nervengewebe selbst gefunden;
die Erkrankung muß also als eine toxische aufgefaßt werden. Die Schädigung
beginnt nach Behr an den Septen und Gliafasern, es kommt einmal zu einer
Ernährungsstörung; zum andern entbehrt das Nervengewebe eines Schutzes
gegen Einwirkung von Giften. Daher beobachten wir oft einen ungünstigen
Einfluß des Salvarsans und der Malariabehandlung, die zu einem schnellen
Zerfall von Spirochäten führen können; daher muß es auch unser Bestreben
Bein, nur eine geringe und dosierbare Herdreaktion hervorzurufen. Diese zeigt
sich beim Schwefel zuweilen in einer leichten Papillenhyperämie; es kommt zu
einer erhöhten Lymphzirkulation und vermehrten Anschwellung des Glia-
fasersystems, die zunächst auf den Visus nachteilig wirkt, dann aber eine Bes-
serung der Ernährung und Zunahme der Sehschärfe bedingt. Um besonders
bei fortgeschrittenen Fällen durch die Anfangsreaktion keinen dauernden
Schaden zu bewirken, sollen die ersten 3 Injektionen keine Allgemeinreaktion
auslösen. Daß dauernde Kontrolle von Visus und Gesichtsfeld nötig ist, braucht
kaum erwähnt zu werden. Die Kur, die Winkler mit Wismut kombiniert,
dauert etwa 10 Wochen und soll frühestens nach Ablauf eines Jahres wiederholt
werden. Über die nach seiner Methode behandelten Fälle berichtet Fried;
Erfahrungen liegen über 12 Patienten aus den letzten 4 Jahren vor; von diesen
zeigten 6 wesentliche Besserung — darunter zwei von 20/120 auf 20/24! — 4 ge-
ringe Besserung, ein Fall blieb unbeeinflußt, einmal trat Verschlechterung ein!).
1) Auch Tirelli rät zur Schwefeltherapie, die im allgemeinen gut vertragen
werde und keine besonderen Gefahren für den Kranken mit sich bringe; er sah
bei 5 Behandelten dreimal bedeutende Besserung des Visus und Erweiterung des
Gesichtefeldes.
258 Sam Engel
Abadie ist der Ansicht, daß die Optikusatrophie durch Kontraktion der
Arteria centralis retinae bedingt ist, die ihrerseits, wie die oft vorhandene Miosis,
ihre Ursache in syphilitischen Veränderungen des Centrum ciliospinale hat.
Daher versucht er durch gleichzeitige Einspritzung von Atropin (0,002 subkutan)
und Quecksilber (intravenös) das Fortschreiten der Atrophie aufzuhalten.
Besserung sah Springovitz mit Atropinbehandlung in 3 Fällen, und zwar
von Lichtempfindung auf 0,2, von 1/400 auf 0,2 und von 3/200 auf 1,0; das
Gesichtsfeld erweiterte sich und der teilweise vorher erloschene Farbensinn
kehrte wieder. Die Beobachtungszeit von einem bis zu 16 Monaten ist aber
wohl zu kurz, um Schlüsse zu erlauben, denn, wie Gapeef feststellt, halten
sich die zum Teil günstigen Resultate meist nicht länger als ein Jahr, die Seh-
schärfe sinkt dann unter die Anfangsgröße und der Krankheitsprozeß schreitet
weiter fort. In der Atropinbehandlung, die er mit Aminglaukosan kombiniert
hat, kann er keine Lösung dieser Frage sehen. Durch „Steigerung der Zell-
oxydation“ versucht Hamburg toxische Optikusprozesse zu beeinflussen;
täglich oder jeden zweiten Tag wird 1 ccm einer 1%igen Kaliumhypermangan-
lösung intramuskulär eingespritzt oder 1—2 intravenöse Injektionen von 1 mg
Tyroxin gemacht. Die Methode steht noch im Versuchsstadium.
Nach den heute vorliegenden Erfahrungen würde ich zur Behandlung der
tabischen Optikusatrophie eine vorsichtige Schwefeltherapie vorschlagen.
Das früheste bisher veröffentlichte Auftreten von einfacher Optikus-
atrophie, 6 Monate nach einer luetischen Infektion, beobachtete Landegger.
Bald nach der Ansteckung wurde eine Solganalkur eingeleitet, anschließend
traten Hirndrucksymptome auf, Ptosis rechts, Sehverschlechterung rechte; die
Behandlung wurde dann mit Quecksilber, Salvarsan und Wismut fortgeführt.
Es zeigte sich beiderseits einfache Optikusatrophie, rechtsseitig Amaurose,
links Herabsetzung des Visus auf 6/18, Einengung des Gesichtsfeldes auf 5—10°.
Ein schädlicher Einfluß des Solganals wird abgelehnt.
Über Sehstörung nach Blutverlust mit Ausgang in Atrophie berichtet
Franklen-Evans, in einem Fall nach Blutung aus einem Ulcus ventriculi,
das andere Mal nach profuser Darmblutung. Auch bei den beiden Kranken von
Milew und Pierach handelte es sich um Magen-Darmblutungen, während es
nach traumatischen Hämorrhagien sehr selten zu Sehstörungen kommt. Die
Papillen waren zunächst blaß und leicht verwaschen, später trat einfache Atrophie
auf. Französische Autoren nehmen eine Schädigung der entgiftenden Funktion
der Leber an, die auch die Verfasser in einem Falle, vielleicht infolge Novasurol-
schädigung der Leber, für möglich halten. Bei dem anderen Kranken war die
Sehnervenschädigung wohl durch eine seit langem bestehende hämorrhagische
Disthese bedingt, zu der ein durch eine Bluttransfusion ausgelöster anaphylak-
tischer Schock hinzutrat. Pathologisch-anatomisch findet man in diesen Fällen
eine fettige Degeneration der Retinaganglienzellen und eine Atrophie der Op-
tikusfasern.
Pathogenetisch interessant ist eine von Rollet beschriebene Optikus-
atrophie infolge Kompression des Thorax. Ein 22jähriger Maurer
wurde von dem Gegengewicht eines Aufzugs gegen die Mauer gepreßt. Er war
eine Viertelstunde bewußtlos; als er zu sich kam, waren die Augen „wie gebläht‘“.
Der anfangs bestehende Exophthalmus war nach 3 Tagen verschwunden.
Ekchymosen fanden sich am Hals, an den Lidern und in der Bindehaut; am
Über entzündliohe und degenerative Erkrankungen des Sehnerven 259
Thorax zeigte sich eine 4—5 cm breite bandförmige Zone mit Hautschürfungen
und Ekchymosen. Auf dem linken Auge war die Lichtwahrnehmung erloschen,
nach 14 Tagen trat Abblassung der Papille auf. Auf dem rechten Auge hob
sich der Visus von anfänglich "a nach 8 Wochen wieder auf ½¼, es bestand
relatives zentrales Farbenskotom und ein absolutes parazentrales Skotom in
Verbindung mit dem blinden Fleck; die Papille war leicht abgeblaßt.
Zum Zustandekommen von Augenerscheinungen bei Thoraxkompression
bedarf es nach Rollet einer festen Zusammenpressung ohne stärkere Gewalt-
einwirkung, damit das Blut aus dem Brustkorb herausgepreßt wird, es aber
andererseits nicht zu einer Zerreißung der inneren Organe kommt. Es tritt
eine Stauung, Rückfluß und Drucksteigerung in der Vena jugularis externa, die
ungenügende Klappen hat, ein, das Gesicht wird ödematös und zyanotisch.
Durch die weiten Anastomosen mit den orbito-palpebralen Venen wird ein Lid-
und Bindehautödem mit Ekchymosen und Exophthalmus bedingt. Viel weniger
häufig wird das Blut in das Auge selbst zurückgetrieben, einmal, weil hier viel
weniger vaskuläre Verbindungen bestehen, wahrscheinlich auch, weil der intra-
okulare Druck dem schädlichen Einfluß entgegenwirkt. Neben der Optikus-
atrophie oder auch für sich allein können Hämorrhagien oder Exsudationen
der Retina oder Papillenödem bestehen. Die Erklärung für die Blutungen und
die Ausschwitzungen ist gegeben; für die Atrophie gibt es zwei Hypothesen:
Es treten Blutungen in den Nerv oder in die Optikusscheiden auf oder es kommt
durch die wenn auch kurz dauernde Ernährungsstörung (Stauung eines mit
Kohlensäure überladenen Blutes) zur Schädigung der sehr empfindlichen Gang-
lienzellen der Retina; die Atrophie des Optikus wäre dann eine aufsteigende.
Relativ selten wurde bisher Optikusatrophie bei Pagetscher Krankheit
mitgeteilt, wie sie im Krankheitsbericht von Aebli durch die knöcherne Ver-
engerung der Foramina optica bedingt ist; im Röntgenbild waren diese dreieckig
verkleinert. Es bestand rechts Optikusatrophie, Verengerung der Arterien und
Erweiterung der Venen, die Sehschärfe war auf Wahrnehmung von Hand-
bewegungen in der oberen Zone des Gesichtsfeldes herabgesetzt; links betrug
das Sehvermögen Tu bei konzentrischer Gesichtsfeldeinengung, es fand sich
partielle Optikusatrophie.
Kommt es bei einem Tumor zu Metastasenbildung in die Meningen,
so kann durch Einwuchern der Tumorzellen in die Optikusscheiden der Optikus
geschädigt werden. In der jüngsten Zeit sah ich eine Kranke mit Lungen-
karzinom!), das neben Metastasen in der Hirnsubstanz zu einer Karzinose der
Meningen geführt hatte. 14 Tage vor dem Exitus bestand links Amaurose,
entsprechend Aufhebung der direkten Lichtreaktion bei guter konsensueller
Reaktion der Pupillen vom anderen Auge aus; auf dem rechten Auge zeigte
sich zunächst nur leichte Herabsetzung des Sehvermögens mit Einengung
des Gesichtsfeldes, doch verfiel das Sehvermögen auch hier schnell. Rechts
war der ophthalmoskopische Befund normal, links fanden sich nur radiäre
Hämorrhagien in der Nähe des Papillenrandes. Klinische Diagnose: retroorbitale
Metastasen. Die Sektion zeigte, daß die Krebszellen in die Foramina optica,
vor allem links, hineingewuchert waren und den Sehnerv komprimiert hatten;
histologisch war der Sehnerv sichelförmig von schleimigen Krebszellen um-
1) Der Fall wird demnächst gemeinsam mit Scheid veröffentlicht.
260 Sam Engel
geben; einzelne Nester waren in das Nervengewebe eingedrungen. Die erst kurz
bestehenden Veränderungen hatten infolge Druckwirkung eine Leitungsstörung
bewirkt, es war aber noch nicht zu einer Atrophie gekommen. Bei Goldstein
und Wexler waren Metastasen eines Adenokarzinoms des Magens in die Optikus-
scheiden gewuchert, hatten aber weder zu BCEE noch zu ophthalmo-
akopischen Veränderungen geführt.
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Grenzgebiete der Otologie und Neurologie
Die sog. Mönidresche Krankheit (Angiopathia labyrinthica)
von Reinhard Perwitzschky in München.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts berichtete ein französischer Arzt
P. Ménièòre über 11 Fälle von Gehörstörungen mit zerebralen Erscheinungen“.
Bei einem dieser Fälle, der zur Obduktion kam, fand er „blutige Exsudation“
in den Bogengängen, im übrigen war der Hirn- und Rückenmarkbefund ein nor-
maler. Ménière schloß hieraus, daß es sich nicht um eine Hirnerkrankung,
die man nach den klinischen Symptomen wohl hätte annehmen können, sondern
um eine solche des Labyrinthes handeln müsse. Im Vordergrund der Erkrankung
standen apoplektiform auftretende Hörstörungen, die sich bis zur Ertaubung
steigern konnten, Ohrensausen und Gleichgewichtsstörungen. Daneben kam in
diesem oder jenem Fall im Beginn der Erkrankung Bewußteeinstrübung, Schweiß-
ausbrüche und Blässe der Haut vor.
Weitere Beobachtungen dieser Erkrankung wurden vorläufig nicht gemacht.
Erst nach den großen Entdeckungen über die Labyrinthfunktion und durch den
Ausbau der Prüfungsmethoden wurde erneut das Interesse an dieser Krankheit
wachgerufen. Man fand in weitaus den meisten Fällen bei Labyrintherkrankungen
die klassische Trias „Hörstörung, Schwindel und Ohrensausen“ und bezeichnete
diese Erscheinungen in Anlehnung an die Ménièresche Publikation als „Mé-
nieresche Symptome“. Diese Bezeichnung konnte das ursprünglich von
Ménière beschriebene Krankheitsbild leicht verwischen und die später auf-
tretenden Begriffe „Ménièrescher Symptomkomplex“ und „Pseudomeönitre“
brachten nur noch größere Verwirrung in die Nomenklatur. Studiert man heute.
die diesbezügliche Literatur, so findet man letzten Endes alles, was mit Schwindel-
anfällen, Hörstörungen usw. zu tun hat, unter einer dieser Bezeichnungen.
Nicht ganz mit Unrecht bringt deshalb ein medizinisches Kompendium die Be-
merkung: „Die Bezeichnung Ménièresche Krankheit ist als ein nichtssagender
Ausdruck zu verwerfen“ (zit. nach Kobrak). Kobrak verdanken wir, daß in
jüngster Zeit die Symptome der Ménièreschen Krankheit scharf umrissen und
das Krankheitsbild als solches wieder energisch abgegrenzt wurde. „Nichtssagend
ist der Ausdruck erst dadurch geworden, daß Vieles mit dem ursprünglich von
Ménière aufgestellten Krankheitsbild der apoplektiformen Labyrintherkrankung
zusammengeworfen wurde, was auch nicht im Entferntesten mit einem apoplekti-
formen Beginn zu tun hat.“
Der Begriff: „Ménièresche Symptome“, ‚„M&ni&rescher Symptomkomplex“
und „Pseudoménière“, sollte ein für allemal verschwinden und für alle unter die
verschiedenen Begriffe fallenden Erscheinungen der Sammelname „Labyrinth-
erkrankungssymptome“ gebraucht werden. (Barany geht sogar noch weiter
und will den Eigennamen Ménière ausgemerzt wissen, um endlich die an diesen
Namen geknüpften Mißverständnisse zu beseitigen.) Ganz abgesehen davon, daß
Reinhard Perwitzschky, Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 263
hierdurch wieder Klarheit in ein Wirrwarr von Ausdrücken hineingebracht wird,
lenkt die Bezeichnung „Labyrintherkrankungssymptom“ den Nichtotologen
darauf hin, daß es sich hier nur und ausschließlich um Symptome einer Laby-
rinthstörung handelt, deren Ursache häufig in einer Ohrerkrankung zu suchen ist.
Ein derartiger Kranker gehört deshalb auch sofort in die Hand des Otologen und
darf nicht erst längere Zeit als Ménièrekranker behandelt werden, während bei
der „echten“ Meniereerkrankung der Neurologe oder Internist am Platze sein
dürfte.
Zur Orientierung über die eigentliche Bedeutung der verschiedenen oben-
erwähnten Ausdrücke sei folgendes kurz gesagt: Politzer, Moll, Smith,
Knapp u. a. wollen die Bezeichnung Ménièresche Symptome angewandt
wissen, wenn im Gefolge oder im Verlauf von Ohrerkrankungen Labyrintherschei-
nungen auftreten, während Frankl-Hoch warth alle Labyrinthsymptome, gleich
ob Ohrerkrankungen vorliegen oder nicht, als „Ménièreschen Symptomen-
komplex‘ bezeichnet. Unter „ Pseudoménière“ versteht Frankl-Hochwarth
alle Schwindelanfälle infolge von agioneurotischen, hysterischen oder sonstigen
funktionellen Einflüssen.
Ménière fand, wie oben gesagt, bei der Sektion seines einen Falles blutiges
Exsudat in den Bogengängen. Steinbrügge konnte an einem weiteren Fall
den gleichen Befund erheben. Auch Alexander, Manasse, Alt und Pineles,
Schabach u. a. nehmen als Ursache für die Mönidresche Krankheit eine
Labyrinthblutung an.
Diese Annahme würde das mitunter recht verschiedene klinische Krankheits-
bild jedoch nur zu einem Teil erklären. Man kann sich ohne weiteres vorstellen,
daß durch eine plötzliche Blutung in das Labyrinth das ganze Organ schlagartig
ausgeschaltet werden kann. Wir beobachten nun aber, und Launois und Cha-
vanne haben zuerst darauf aufmerksam gemacht, zwei verschiedene Verlaufs-
formen von Ménièreschen Anfällen:
1. Die apoplektiform auftretenden Anfälle mit schwersten z. T. irreparablen
Schädigungen des Labyrinthes und
2. die paroxysmale Form, bei der zwischen isolierten Anfällen vollständige
Remissionen beobachtet werden.
Diese zweite Form kann durch eine Labyrinthblutung nicht erklärt werden.
Größere pathologisch- anatomische Untersuchungen liegen über diese Fälle nicht
vor. Befunde werden wahrscheinlich auch selten zu erwarten sein.
Wittmaak nahm früher für die Entstehung der einzelnen Anfälle den Laby-
rinthhydrops an. Er hat diese Annahme jedoch aus verschiedenen Gründen wieder
fallen gelassen und glaubt jetzt, daß eine Verlegung im Flüssigkeitsstrom vom
Perilymphraum zum Liquor cerebrospinalis eine plötzlich einsetzende Druckwirkung
auf den Endolymphraum und somit den „Anfall“ auslöst. Diese Annahme konnte
er histologisch bestätigen in einem Falle, wo eine Verlegung des Aquaeductus coch-
leae durch Konkrementbildung nachzuweisen war.
Trotzdem aber müssen wir wohl diese paroxysmal auftretenden Anfälle als
zu der Ménièreschen Krankheit zugehörig mitrechnen, obgleich ein anatomisch-
pathologischer Befund fehlt. |
Es hat sich eingebürgert und erscheint in gewisser Weise gerechtfertigt, aus
dem Begriff des Ménièreschen Symptomenkomplexes fortzulassen alle die
ätiologischen Momente, welche in ihrer Wirkung nicht auf einer Gefäßerkrankuug
im wahrsten Sinne (Labyrinthangiopathien, Kobrak) beruhen. Es würden dies
264 Reinhard Perwitzschky
in der Hauptsache sein: Erstens die Labyrinthsymptome im Verlauf entzündlicher
Ohrerkrankungen (Labyrinthitis acuta und chronica), zweitens Verletzungen und
Erschütterungen des Labyrinthes (Commotio labyrinthi), drittens toxische
Labyrintherkrankungen (Metall- und Fleischvergiftung, septische Toxikosen).
Schließlich könnte man hinzurechnen die tertiär luetischen Erkrankungen mit
Ausnahme der gefäßsyphilitischen.
Scheidet man, wie gesagt, diese, in ihrer Symptomatik den Ménièreschen
ähnlichen, Erkrankungen aus, so bleibt für den „echten Ménisre“ nur eine Gefäß-
pathologie als Grundlage übrig, welche Kobrak in folgender Weise einteilt.
Rein organische Formen:
1. Angiopathia labyrinthica stenosans (arteriosclerotica, syphilitica).
2. Angiopathia 1. obliterans
&) thrombotica
b) embolica.
Vorwiegend organische Formen:
3. A. 1. haemorrhagica (also die ursprüngliche Ménièr esche Krankheit).
Vorwiegend funktionelle Formen:
4. A. 1. vasomotorica
&) hypotonica
b) hypertonica.
Rein funktionelle Formen:
5. A. 1. neurotica
a) dysplethica (anaemica, hyperämica)
b) transsudativa
o) haemorrhagica.
Die vorstehende reichlich komplizierte Kobraksche Einteilung läßt m. E.
zunächst einmal vermissen eine Betonung der sehr verschiedenen Häufigkeit
und klinischen Dignität der aufgeführten Formen. So dürften z. B. transsudative
und hämorrhagische Formen in Wirklichkeit gegenüber der ganz dominieren-
den, funktionellen angiospastischen Form eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
Weiterhin erscheint es mir kaum notwendig, zwischen den zuerst genannten
rein organischen Gefäßerkrankungen und den rein funktionellen Angioneurosen
komplizierte „halborganische“ Zwischenglieder anzunehmen. Wir würden also
zu einem in dieser Art vereinfachten Schema kommen:
1. Angiopathia labyrinthica haemorrhagica,
2. 5 3 stenosans
3. ge ge obliterans
4. i en neurotica.
Ich betone nochmals, daß in diesem vereinfachten Schema der Begriff des
Ménièreschen Symptomenkomplexes auf die ursprünglich von Ménière bereite
angenommene Gefäßätiologie beschränkt ist, daß also die anderweitigen, zu einem
klinisch sehr ähnlichem Symptomenkomplex führenden, Erkrankungen aus-
geschieden sind.
Ich muß darauf hinweisen, daß eine Differentialdiagnose zwischen dem im
vorstehenden Sinne eingeschränkten „echten Ménière“ und den gesamten ander-
weitigen Erkrankungen nur von dem fachmännisch ausgebildeten Ohrenarzt ge-
stellt werden kann, denn in Wirklichkeit handelt es sich ja bei allen den, durch den
Mönièreschen Symptomenkomplex sich äußernden Erkrankungen um „Laby-
Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 265
rinthopathien“, bei denen es dem Ohrenarzt wenig zweckmäßig erscheint, eine ein-
zelne, ätiologische Gruppe, nämlich die Angiopathien, unter der Bezeichnung
Ménièresche Erkrankung besonders herauszugreifen.
Da nun alle diese Störungen im Labyrinth primär auf solchen der Gefäße
beruhen, ist es verständlich, daß je nach der Lokalisation derselben die Symptome
einmal verschiedene, zum anderen aber auch verschieden starke sein können.
Zum Verständnis des folgenden ist es notwendig kurz auf die Anatomie der
Gefäßversorgung des Labyrinthes einzugehen. Besonders gute anatomische Dar-
stellungen finden sich bei Siebenmann.
Die Arteria auditiva interna teilt sich in die 3 Äste A. vestibularis, A. cochle-
aris und A. vestibulo-cochlearis.
Die A. vestibularis versorgt die vordere obere Hälfte des Vorhofes, die Am-
pullen, hintere Hälfte des Utriculus mit Macula und den hinteren Umgang der
Sacculus.
Die A. cochlearis versorgt die Schnecke; sie teilt sich in 3 Äste, von denen der
1. und 2. Ast zur Basalwindung ziehen, der 3. Ast sich in der Mittel- und Spitzen-
windung ausbreitet.
Die A. vestibulo-cochlearis teilt sich in die beiden Aste Ramus cochlearis
und R. vestibularis. Während der erste zur Basalwindung der Schnecke läuft,
zieht der R. vestibularis entgegengesetzt zum Vorhof.
Die klinische Diagnose einer typischen Labyrinthangiopathie macht kaum
Schwierigkeiten. Die meisten Anfälle ereignen sich nachts oder in den frühen
Morgenstunden. Aus vollster Gesundheit heraus stürzen die Kranken plötzlich
zusammen. Nur in ganz wenigen Fällen — meist bei der paroxysmalen Form —
stellt sich vorher eine Aura ein. Im Beginn des Anfalles ist die Gesichtsfarbe
blaß, vereinzelt werden Schweißausbrüche beobachtet. Übelkeit tritt ein und
kann in stundenlanges Erbrechen übergehen. Im Vordergrund des Ganzen steht
aber der Schwindel und ein unerträgliches Ohrensausen. Die meist noch vor-
handene Schwerhörigkeit oder Ertaubung wird, da die Krankheit ja nur das eine
Organ befällt, erst nach Abklingen der ersten akuten Erscheinungen bemerkt.
Von den selteneren Symptomen werden erwähnt, Kopfschmerz (Jackson,
Lucae, Schwabach), Fazialisparesen (Charcot, Frankl-Hochwarth,
Oppenheim), Durchfälle und Netzhautblutungen (Kobrak). Natürlich kann
auch das eine oder andere von den klassischen Symptomen fehlen. So beobachtete
Traut mann in seinen beiden Fällen von Vestibularschlag keinerlei Hörstörungen
(dgl. Heer mann, Frankl-Hochwarth) und Ohrgeräusche. In dem einen
meiner beiden Fälle (s. u.) waren keine Schwindelanfälle vorhanden. Objektiv
läßt sich als Zeichen des Labyrinthschwindels ein deutlicher Spontannystagmus
nachweisen, welcher je nachdem, ob er auf Ausfall oder Reiz des Bogengangs-
apparates beruht, von dem gesunden Ohr fort oder zu demselben hin schlägt.
Dieser Nystagmus ist nur selten rein horizontal ; meist ist er mit der rotatorischen
Komponente gemischt. Die Hörstörung läßt sich in grober Weise objektiv durch
die Prüfung der Flüster- und Umgangssprache feststellen. Genaue Werte über
die Schädigung des Gehörorganes erhält man natürlich erst durch exakte Prüfung
des gesamten Tonbereiches.
Alle die akuten Erscheinungen können flüchtig sein, so daß der hinzugezogene
Arzt keinerlei Funktionsstörungen mehr wahrnehmen kann (meist bei den par-
oxysmalen Fällen) oder aber auch längere Zeit vorhalten. Es ist hierbei neben der
Neurologie V, 6 19
266 Reinhard Perwitzschky
Frage, ob der Cochlear- oder Vestibularapparat primär getroffen ist, die Ursache
der Störung von ausschlaggebender Bedeutung. Es erscheint völlig klar, daß
bei einer Labyrinthangiopathia embolica, thrombotica oder haemorrhagica die
langdauernde Unterbrechung des Blutstromes zu irreparablen Veränderungen der
Sinneszellen führen muß. Aber auch bei kurz dauernden Ernährungsstörungen ist
die Empfindlichkeit des Cochlear- und Vestibularapparates eine sehr verschiedene,
worauf ich später noch zurückkommen werde.
Aus der Literatur möchte ich einige typische Fälle bringen und dabei zwei
erst kürzlich von mir beobachtete Erkrankungen anfügen.
L Fall (Kobrak). 26jähriger Eisenbahnarbeiter stürzte plötzlich, nachdem
er 3 Monate vorher ein Gesichtserysipel durchgemacht hatte, mit Erbrechen, Schwin-
del, Taubheit auf dem linken Ohr zusammen. Die erste Untersuchung ergibt eine
Taubheit auf dem linken Ohr mit sicherer Erregbarkeit des Vestibularapparates.
Nach 3 Wochen ist der Vestibularapparat auch unerregbar.
2. Fall (Trautmann). 37jähriger Arbeiter bekommt in voller Gesundheit.
auf der Straße plötzlich Drehschwindel mit Erbrechen und stürzt bewußtlos nieder.
Befund: Spontaner starker horizontaler Nystagmus nach links, dagegen normales
Hörvermögen! — In derselben Veröffentlichung teilt T. einen zweiten ähnlichen
Fall mit.
3. Fall (Perwitzschky). Eine 24jährige Laborantin, bisher nie ernstlich
krank gewesen, unternimmt am 27. II. 1932 eine Skitour im bayrischen Vorgebirge.
Anschließend einige Skiübungen, ohne jedoch irgendwelche nennenswerte Stürze.
Am nächsten Morgen früh gegen 5 Uhr wacht sie plötzlich mit starkem Schwindel,
Übelkeit und Ohrensausen auf. Kurze Zeit darauf merkt sie schon, daß sie auf dem
rechten Ohr fast gar nichts mehr hören kann. Der Schwindel läßt allmählich nach,
so daß sie allein die Abfahrt zum Bahnhof machen kann. Am 29. II. 1932 kommt
sie in meine Behandlung. Der Befund ergibt eine komplette Taubheit des rechten
Ohres. Kein Spontannystagmus, normale Reaktion des Vestibularapparates.
4. Fall (Perwitzschky). 40 Jahre alte Erzieherin erwacht am 24. IX. 1932
in den frühen Morgenstunden mit starken Ohrgeräuschen und taubem Gefühl im
linken Ohr. Keinerlei Schwindel! Spontan gibt sie an, daß die sonst sehr regel-
mäßigen Menses vor 14 Tagen ohne Grund ausgeblieben und nun am Tage des Anfalls
sehr stark aufgetreten sind. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem verspäteten
Eintreten der Menses und dem Anfall ist immerhin möglich (vgl. einen Fall von
Jakobson, bei dem allerdings die Taubheit sich im Zeitraum von 8—14 Tagen
entwickelte). Befund: Komplette Taubheit des linken Ohres. Spontannystagmus
nach links (keinerlei Schwindelerscheinungen).
Diese eben erwähnten Fälle zeigen die Vielgestaltigkeit des Krankheitsbildes,
wobei also in dem ersten Fall ein kompletter Labyrinthschlag (Ausschaltung des
Vestibular- und Kochlearapparates), im zweiten ein Vestibularschlag und im
dritten und vierten Fall ein Kochlearschlag isoliert eingetreten war.
Die Eigenart der Gefäßversorgung des Labyrinthes bringt es nun mit sich,
daß man bei der letzteren Form noch eine weitere allerdings sehr seltene Variante
gefunden hat. Tonndorf berichtet über folgenden Fall:
Ein 19jähriges Mädchen bekommt plötzlich abends nach einem Theaterbesuch
starken Schwindel und peinigendes Ohrensausen auf dem linken Ohr. Seitdem
hochgradige Schwerhörigkeit links. Befund: Völliger Ausfall der tiefen Töne,
während die hohen absolut norml waren. Vestibularapparat normal.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Art der Gefäßversorgung des
Labyrinthes, so wird uns der Sitz der Störung sofort klar, da nur die Arteria
cochleae propria die Spitzenwindung der Schnecke versorgt. (Ähnliche Fälle
berichteten Manasse und Alexander.)
Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 267
Habe ich hier gewissermaßen „klassische Fälle“ der Krankheit zusammen-
gestellt, so bedarf es wohl kaum der Erwähnung, daß es fließende Übergänge der
einzelnen Formen aller möglichen Art geben kann. Wir müssen nur berücksich-
tigen, daß beim Verschluß der Art. cochlearis com. — um ein Beispiel zu
nennen — gleichzeitig eine Funktionsstörung des Vestibularapparates einzutreten
pflegt, nicht im Sinne eines Ausfalles, sondern eines Reizes. Das scharfe Aus-
einanderhalten von Ausfalls- und Reizerscheinungen ist deshalb für die Bestim-
mung der Lokalisation der Störung von großer Wichtigkeit. Auch reagieren
Vestibular- und Kochlearapparat auf gleich starke Schädigung — beispielsweise
kurzdauernde Störung in der Labyrintharterie, verschieden stark, wobei es nach
den Arbeiten von Wittmaak als typisch anzusprechen ist, daß der phylogenetisch
ältere Gleichgewichtsapparat viel weniger empfindlich ist als das Gehörorgan.
In fast allen, in der Literatur niedergelegten Fällen von vollkommenem Labyrinth-
schlag erholt sich das Gleichgewichtsorgan im Laufe der Zeit, während die Hör-
störungen irreparabel bleiben.
Nun gibt es, wie bei allen Erkrankungen, auch in diesem Gebiet Grenzfälle,
über deren Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gruppe man verschiedener Ansicht
sein kann. Ich will nur einen Fall aus der Literatur herausgreifen: Voß beschreibt
eine Ménièresche „Erscheinung“, die bei einem Hornisten beim Blasen des
Signalhornes aufgetreten war, und vermutet als Ursache die Zerreißung eines
Gefäßes im Innenohr, durch die starke Drucksteigerung beim Blasakt. Kobrak
schreibt hierzu: „Obwohl hier ein Trauma vorausgegangen ist, wäre es doch nicht
angängig, diesen Fall als einfache traumatische Labyrinthblutung aufzufassen.
Der berufliche, meist reaktionslos verlaufende Blaseakt hat hier offenbar nur
unterstützend gewirkt und wäre wohl nicht von so schweren Symptomen gefolgt
gewesen, wenn nicht eine erhebliche Disposition der Labyrinthgefäße vorgelegen
hätte. Die berufliche Tätigkeit werden wir daher nur dort in den Vordergrund
der ursächlichen Faktoren als „Trauma“ stellen können, wo die Stärke des be-
ruflich notwendigen Aktes die alltägliche durchschnittliche Intensität beruflicher
Noxen erheblich übertrifft und dann in dieser außergewöhnlichen Intensität auch
mindestens von einer Mehrzahl der einem solchen Trauma ausgesetzten Individuen
mit schwerer akuter Schädigung beantwortet wird.“ Derartige Grenzfälle ließen
sich noch viele anführen. Ich verzichte jedoch darauf, da mir der kurze Hinweis
zu genügen scheint.
Was nun die Prognose anbetrifft, so kann dieselbe im allgemeinen quoad
vitam als günstig hingestellt werden. Quoad sanationem muß man einen Unter-
schied machen, ob und welche von den Störungen als Ausfalls- oder Reizerschei-
nungen anzusprechen sind. Die Reizerscheinungen werden wohl immer nach
mehr oder weniger kurzer Zeit zurückgehen, während solche des Ausfalls weit-
gehend abhängig sind von der Art und Dauer der gesetzten Schädigung.
Außerordentlich schwer zu beantworten ist die Frage nach der Wiederkehr
der einzelnen Anfälle. Bei der embolischen oder thrombotischen Form ist ein
zweiter Anfall nicht beobachtet worden. Bei den anderen Formen, vornehmlich
den funktionellen, kehren die Anfälle immer wieder, dabei können die Intervalle
die Zeit von Tagen aber auch von Jahren einnehmen (Oppenheim). Ja, es
kann soweit gehen, daß sich ein „ Status Ménière“ herausbildet, bei welchem die
Patienten durch den dauernden Schwindel kaum in der Lage sind, das Bett zu
verlassen.
19*
268 Reinhard Perwitzschky
Differentialdiagnostisch kämen gegenüber all denjenigen Labyrinthangio-
pathien zunächst einmal die Labyrinthgefäßsymptome mit chronischem Verlauf
in Frage. Als deren Hauptvertreter sind zu nennen: die Arteriosolerosis oerebri
(Stein) und die Lues oerebri. Letztere wird nach den Untersuchungen
von Voß, Knick, Beyer und Güttich auf luetische Meningitis zurück-
Bei dem neurasthenischen und hysterischen Typus der Neurose kommen
Schwindelerscheinungen und Hörstörungen nicht allzu selten vor. Hierüber sind
wir durch die Arbeiten von Mauthner, vornehmlich aber Passow, Güttich
und Zange unterrichtet, die ihre Untersuchungen an einer großen Zahl von
Kriegsneurotikern anstellten. Es ist charakteristisch für die hysterische Taub-
heit, daß sie immer im Anschluß an ein Erlebnis auftritt, stete beide Ohren befällt
und meist auch spontan, ohne unser Zutun, wieder zurückgeht. Nicht selten ist
die Taubheit mit einer Stummheit vergesellschaftet.
Passow geht soweit, zu behaupten, daß „plötzlich entstandene Taubheit
(bds.) ohne direkte Verletzung des Gehörorgans immer auf Hysterie beruht“.
Von Margulies und Mygind sind Labyrinthattacken gelegentlich bei
schweren Migräneanfällen beobachtet worden.
Schließlich kämen dann differentialdiagnostisch noch folgende Erkrankungen
in Frage: die Neuritis toxica (septische Prozesse, Arznei- und Fleischvergiftungen)
und alle diejenigen Labyrinthsymptome, welche ihre Ursache in Ohrerkrankungen
oder einer Fraktur durch das Labyrinth haben. Genaue Anamnese und ohren-
fachärztliche Untersuchung werden hier Klarheit schaffen.
Die Therapie der Labyrinthangiopathie wird von vornherein nur dann
erfolgversprechend sein, wenn es gelingt, die Ursache der Störung zu klären.
Halten wir uns an die oben gebrachte Einteilung der Angiopathien von Kobrak,
so ist es verständlich, daß die Formen der Haemorrhagica embolica und throm-
botica keinerlei medikamentöser Therapie zugänglich sein werden. Wir be-
schränken uns in solchen Fällen deshalb auch neben allgemeiner körperlicher
Ruhe lediglich auf eine symptomatische Behandlung, welche in der Hauptsache
darin bestehen dürfte, die Schwindelerscheinungen und das lästige Ohrensausen
durch Sedativa zu bekämpfen (Brom, Luminal, Phanodorm). In letzter Zeit
ist Gutes berichtet worden über Vasano und Nautisan. Um Lähmung des Brech-
zentrums herbeizuführen, wird bei starker Übelkeit Chloralhydrat empfohlen.
Pappenheim sah sich bei einer Patientin mit schweren Erscheinungen ge-
zwungen, die Lumbalpunktion durchzuführen, welche in diesem Falle eine erheb-
liche Erleichterung gebracht haben soll.
Bei den paroxysmalen Fällen sind die therapeutischen Vorschläge an Zahl
ungeheuerlich groß, so daß ich mich darauf beschränken muß, einige wenige,
über deren Erfolge Bestätigungen vorliegen, anzuführen. Schon die große Zahl
der therapeutischen Vorschläge weist darauf hin, daß die Erfolge der einzelnen
Medikamente durchaus nicht gleichmäßig zu bewerten sind. Es muß deshalb
von vornherein betont werden, daß wir in weitaus den meisten Fällen immer noch
viele Versager aufzuweisen haben. Vielleicht wird das Monotrean (s. w. u.) in
der Lage sein, bei diesen mißlichen, bisher unbeeinflußbaren Fällen, Wandel zu
schaffen. Bei Vagotonikern empfiehlt Kobrak Kalzium (Sympathikusreiz-
mittel), bei Sympatonikern Kalium oder Natrium. Johow gibt das Kalzium
intravenös (Calcium Sandoz). Durch Epiglandolinjektionen (gefäßerweiternd)
Grenzgebiete der Otologie und Neurologie 269
will Kobrak bei vasokonstriktorischen Erscheinungen, bei vasodilatatorischen
durch Hypophysinextrakte (gefäßverengernd) Erfolg gehabt haben.
Ein altes und bewährtes Mittel bei der Behandlung der Labyrinthangiopathie
ist das Chinin, welches nach Cursch mann in sehr großen Dosen verabfolgt wird.
Leidler und Stransky empfehlen Vakzineurinkuren. Stein hält im An-
schluß daran eine Strychninbehandlung oder Wodaksche Natrium-arsenicosum-
kur für vorteilhaft. Auch Traubenzuckerlösungen nach der von Steyska ein-
geführten Osmotherapie zur Erzielung stärkerer Resorption sollen günstig wirken.
Nadoleozny empfiehlt Migränin.
Bei klimakterischen Beschwerden wird man Erfolge von Organpräparaten sehen.
Von weiteren Medikamenten hat in jüngster Zeit das von La mpô ein-
geführte Monotrean (Luitpold-Werk, München) von sich reden gemacht. Wir
selbst haben in einigen bisher unbeeinflußten Fällen gute Wirkung gesehen.
Werden die Erfolge der einzelnen Medikamente vielfach bestritten, so herrscht
über den Wert von gewissen Diät- und hydrotherapeutischen Kuren volle Über-
einstimmung. Allgemein wird von einer fleischarmen Ernährung (Muck spricht
sich für völlig fleischlose Kost aus) Günstiges berichtet. Auf der letzten Tagung
der Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen-, Ohrenärzte traten Mygind und Deder-
ding erneut für salzarme Trockendiät ein, auf Grund von Untersuchungen über
die Wasserretention bei Morbus Mönitre. Von den hydrotherapeutischen Maß-
nahmen seien erwähnt: Wechselbäder, Fußbäder, kalte Kopfkompressen usw.
Erst wenn alle diese therapeutischen Maßnahmen keinerlei Erfolg auf-
weisen und die Anfälle unerträglich werden, wird man sich vielleicht zu einer
Labyrinthoperation, wie sie speziellvon Hautant, Durand und Auby empfohlen
wird, entschließen können. Größere Erfahrungen hierüber besitzen wir nicht.
Literatur.
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Multiple Sklerose
Ätiologie, Pathogenese und Histopathologie
von Gabriel Steiner in Heidelberg.
Die im März 1930 veröffentlichten englischen Angaben (Purves-Stewart,
Kathleen Chevassut) über einen der Gruppe der filtrierbaren Erreger
angehörigen Krankheitskeim bei multipler Sklerose (Spherula insularis)
haben sich in zahlreichen Nachuntersuchungen nicht bestätigt. Vielmehr konnten
genau dieselben Gebilde auch in Kontrollflüssigkeiten nachgewiesen werden
(Lépine und Mollaret, Artur Weil, Carmichael, Georgi u. a.). P. Guiraud
hat 1931 andersartige parasitäre intrazelluläre Einschlüsse bei einem Fall
von multipler Sklerose beschrieben. Meine eigenen Forschungen, die Spiro-
chätenätiologie der multiplen Sklerose zu sichern, haben in der letzten Zeit
Fortschritte gemacht. So konnten in einem im akuten Schub gestorbenen
Fall zahlreiche sichere Spirochäten im Gehirn nachgewiesen werden. Das Vor-
liegen der Silberzellen in allen elf untersuchten Fällen und positive Spirochäten-
befunde im Gehirn eines Falles von multipler Sklerose hat aus dem Marburg-
schen Institut Helen Rogers berichtet. Die Löwensteinsche Annahme, daß
Tuberkelbazillen bei multipler Sklerose, wie übrigens auch bei Schizophrenie,
im Blut häufig vorkommen, haben eine Bestätigung durch andere bisher nicht
gefunden (Rabinowitsch, Katz und Friedemann). Auch die theoretischen
Überlegungen von Ahringsmann, daß die multiple Sklerose die bisher nicht
gefundene Metatuberkulose sei, blieben ohne Anklang. Über die Frage des Zu-
sammenhangs zwischen Syphilis und multipler Sklerose haben sich in letzter
Zeit Redlich, Pappenheim und Pollak, Paulian und Stender geäußert.
Während Redlich einen gewissen wenn auch indirekten Zusammenhang nicht
ablehnt, steht die Mehrzahl der Forscher auf dem Standpunkt, daß die Syphilis
keine Rolle bei den Entstehungsbedingungen der multiplen Sklerose spiele.
Dasselbe gilt auch für die in letzter Zeit wieder von Päßler in Anspruch genom-
menen chronischen Infektionsherde der Mundhöhle.
Unter der Führung von Brickner ist seit 1930 die Bedeutung eines gift-
artigen Stoffes für die Entstehung der multiplen Sklerose in den Vordergrund
gerückt worden. Es soll sich hierbei um eine Lipase des Blutes handeln. Jedoch
ist diese Lipase auch bei anderen Krankheiten gefunden worden (Crandall
und Cherry, Weil und Cleveland). Die Versuche, mit bekannten Giften bei
Tieren künstliche Entmarkungsherde zu erzeugen, die denen der multiplen Skle-
rose ähnlich sehen (Putnam, Claude) haben für die Aufklärung der Ätiologie
der multiplen Sklerose keinerlei Bedeutung. Dasselbe gilt auch für die von
Hilpert beschriebene Beobachtung einer Kohlenoxydvergiftung, bei der sich
autoptisch neben der Pallidumnekrose eine typische multiple Sklerose mit ver-
schiedenaltrigen Herden fand.
Gabriel Steiner, Multiple Sklerose 271
In der vergleichenden Pathologie ist auf Übergangsfälle zwischen diffuser
und multipler Sklerose hinzuweisen, die in neuerer Zeit beschrieben worden
sind (Kufs, Bielschowsky und Maas, Benoit, Gozzano und Vizioli).
Auch beim Krankheitsbild der Leukoencephalitis concentrica (konzentrische
Sklerose) sind neben den konzentrischen Herden isolierte Herde vom Typus
derjenigen der multiplen Sklerose gefunden worden (Hallervorden und Spatz).
Wieweit die Neuromyelitis optica als selbständiges Krankheitsbild aufzufassen
ist, bedarf noch weiterer Klärung. 1930 hat Leon Michaux die gesamte Literatur
zusammengefaßt und ist lebhaft für die nosologische Einheitlichkeit der Er-
krankung eingetreten. Im selben Jahre hat Marinesco einen einschlägigen Fall
veröffentlicht, in dem eine eigenartige Mischung von Schilderscher Krankheit
mit Neuromyelitis optica vorlag. Ob der 1. Fall der Arbeit von Sträußler
und Gerstmann hierher zu rechnen ist, erscheint nicht sicher. Der von Klaus
Merkel beschriebene Fall wird von ihm als herdförmige optikospinale Erweichung
und nicht als Neuromyelitis optica bezeichnet. — Der Zusammenhang zwischen
der akuten multiplen Sklerose und der Encephalitis disseminata ist immer noch
unklar, obwohl auch in neuerer Zeit sehr viel darüber geschrieben worden ist.
1930 hat Cournand die Frage der akuten multiplen Sklerose monographisch
bearbeitet. Vor kurzem haben Reutter und Gaupp jr. einen Fall von akuter
multipler Sklerose beschrieben, bei dem aber die anatomische Untersuchung auch
ältere Herde ergab. Der von Ley und van Bogaert veröffentlichte Fall von
akuter multipler Sklerose gehört weder klinisch noch anatomisch zur akuten
diffusen Enzephalomyelitis, sondern zur Polysklerose.
Bestrebungen, im Tierversuch die multiple Sklerose oder eine ihr sehr
ähnliche Erkrankung zu erzeugen, haben bisher zu keinem Erfolg geführt (Kauff-
mann, Cournand, Hicks, Hocking und Purves-Stewart). Spontan-
erkrankungen bei Affen, wie sie in letzter Zeit von Schob und besonders von
Gärtner beschrieben worden sind, dem dann auch die experimentelle Erzeugung
der Krankheit beim Affen gelang, stellen eine eigentümliche Infektionskrankheit
des Zentralnervensystems dar und haben mit der menschlichen multiplen Sklerose
nichts zu tun.
Über die Häufigkeit der multiplen Sklerose und die örtlichen und be-
ruflichen Bevorzugungen sind in der Berichtsperiode nur wenig Arbeiten
gemacht worden. So hat Armin Ackermann 1931 die Gesamtzahl der in
der Schweiz in den 5 Jahren von 1918—22 gesammelten Fälle von sicherer mul-
tipler Sklerose statistisch bearbeitet. Eine auf anderen Grundlagen nämlich
derjenigen der Todesfallstatistik beruhende Zählung stammt aus England von
I. G.H. Wilson. 1932 hat Marburg unter den organischen Nervenkrankheiten
seiner Klientel nicht ganz 10%, Polysklerotiker gefunden. Allison hat über die
Häufigkeit und Verteilung der multiplen Sklerose in Nord-Wales berichtet,
Paul Moos in einem kleinen Bezirk von Schwaben. Über das familiäre Vor-
kommen der multiplen Sklerose liegen eine Reihe von Arbeiten vor (Ferguson
und Critschley, Krukowski, Marburg, Robinson, Leri, A. Thomas
u. v. a.). Dabei ist aber darauf hinzuweisen, daß eine Reihe dieser Fälle sicher
einem heredofamiliären Krankheitsbild, das nur klinisch der multiplen Sklerose
ähnlich ist, angehört. Bisher ist nur ein konjugaler Fall bei nicht bluts verwandten
Ehegatten beschrieben, und zwar aus der Embdenschen Klinik von Gir on és.
Über Infektionsquellen und Infektionspforten ist nichts bekannt.
272 Gabriel Steiner
I. G. H. Wilson vermutet die Ratte als Überträger der multiplen Sklerose,
Allison das Wasser als mögliche Infektionsquelle. Histopathologische
Arbeiten liegen ziemlich viele vor. Über die grob-anatomische Verteilung der
Entmarkungsherde ist in der Monographie von Steiner und in der neuesten
Arbeit von Hallervorden und Spatz berichtet worden. Die Beteiligung ein-
zelner Regionen des Zentralnervensystems am herdförmigen Entmarkungsprozeß
(Hirnrinde, basale Ganglien, äußerer Kniehöcker, Kleinhirn, Rückenmark,
Conus terminalis und Wurzelgebiete) hat eine Bearbeitung in Untersuchungen
von Brzezicki, Grigoresco, G. Herrmann, Lüthy, Eisuke Ishikawa,
Hassin gefunden. Über die feinere Histologie der multiplen Sklerose hat vor
allem die Marburgsche Schule in einer Reihe von Arbeiten Mitteilungen gemacht
(Mäder, Toyama). Aus dem Spielmeyerschen Forschungsinstitut hat Han-
delsman über die histopathologischen Befunde der Polysklerose berichtet.
Hervorhebenswert ist besonders die Arbeit von Jaburek aus dem Mar-
burgschen Institut, der die Achsenzylinderveränderungen und die Re-
generationsvorgänge an Nervenfasern in den Bereich seiner Untersuchungen
gezogen hat. Er ist der Ansicht, daß die Quellung sowohl der Markscheide wie
der Achsenzylinder der primäre histopathogenetische Vorgang sei. Über Plaques
fibromyeliniques bei multipler Sklerose ist in der Lüthyschen Arbeit eine Angabe
zu finden. Die Ganglienzellen hat Grete Zellmann bei multipler Sklerose für
sich untersucht. Über das Vorkommen zystöser Hohlräume im Sinne der Borst-
schen Herde hat Murata 1931 berichtet. Kombinationen der multiplen Sklerose
mit Drusenbildungen hat Lüthy in einem Fall nachgewiesen, Ken Taga 1929
einen Fall seniler multipler Sklerose veröffentlicht. Kombinationen der multiplen
Sklerose mit Syringomyelie liegen in dem Fall von E. Stengel vor. In dem
von G. Herrmann veröffentlichten Fall hat es sich um ein spinal aufsteigendes
Krankheitsbild gehandelt. Wohlwill berichtet über einen Fall von Kombina-
tion der multiplen Sklerose mit wahrscheinlich Heine-Medinscher Krankheit.
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(1930). |
Charakterologie
von Karl Birnbaum in Berlin.
Ewald nimmt in einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über biolo-
gische und „reine“ Psychologie und Persönlichkeitsauf bau seine
früher dargestellten Grundanschauungen über Temperament und Charakter noch
einmal auf und setzt sich bei dieser Gelegenheit zugleich mit anders gerichteten
Ansehauungen (Freud, Adler, Spranger) sowie mit den kritischen Stellung-
nahmen zu seiner Auffassung — besonders ausführlich speziell auch mit Birn-
baums „Problemen des biopsychischen Persönlichkeitsaufbaus‘‘ -— auseinander.
Der hier zur Verfügung stehende Raum gestattet selbstverständlich nicht, die
zahlreichen Einzelheiten herauszuholen und gesondert zu würdigen. Der Bericht
muß sich darauf beschränken einige besonders geprägte Formulierungen zu-
sammenzustellen.
Der Biotonus ist für Ewald eine biologische Tatsache. Es erscheint
empirisch begründet, diese Lebensspannung zur quantitativen Seite des
seelischen Lebens in ein Zuordnungsverhältnis zu bringen. Vom Biotonus ist
offenbar auch ein Stimmungsfaktor abhängig, die Vitalgefühle, und so
erscheint es berechtigt, diesem quantitativen Faktor des Seelenlebens, der das
Wesen des Temperaments bedingt, auch noch die jeweilige Tönung der Vital-
gefühle hinzuzufügen. Auch der Dauerzustand der Erregung wie das
psychische Tempo sind vom Biotonus, vom Temperament, abhängig. Da-
gegen ist die Erregbarkeit, die Reagibilität als besondere Qualität des
Reagierens nicht Sache des Temperaments, sondern des Charakters. Ewald
erkennt daher nur den Sanguiniker und Melancholiker als Temperamentsspiel-
arten an, der Choleriker und Phlegmatiker sind für ihn Charakterspielformen.
Das Maß des Lebenstriebes oder Lebensdranges an sich gehört zum
Temperamentsbegriff. Die Triebrichtungen dagegen sind dem Charakter-
begriff zuzuzählen: „Daß und wieviel Trieb (oder besser „Drang“) ist, ist Sache
des Temperamentes; in welcher Richtung der Trieb geht, ist Sache des Charakters.“
Der Wille schließlich, der ja für die Persönlichkeitsstruktur auch wesentlich
ins Gewicht fällt, ist ein Funktionskonglomerat aus dranghaften und trieb-
haften Funktionstendenzen und intellektuellen Steuerungseinflüssen.
Im übrigen bemerkt Ewald selbst zu seiner grundsätzlichen Trennung von
quantitativ-biotonisch-Temperamenthaftem und qualitativ-konstruktiv-Charak-
terhaftem : In jeder, aber auch in jeder seelischen Funktion steckt etwas Quanti-
tatives und Qualitatives, etwas Dranghaftes und etwas Reaktives, etwas Tempe-
ramentsmäßiges und Charaktermäßiges darin. Und er gesteht damit selbst
zugleich die Problematik ein, die seiner qualitativ-quantitativen Differenzierung
der Persönlichkeitsbestandteile zugrunde liegt.
Gegenüber den von Birnbaum aufgestellten primären, nicht weiter
psychologisch reduzierbaren Grundelementen der Persönlichkeit: Lebens-
Neurologie v, 7 20
276 Karl Birnbaum
gefühl, formal festgelegte Psychomodalität, triebmäßig festgelegte
Richtungstendenzen und intellektuelle Begabungen hebt Ewald hervor:
Seine Auffassung unterscheide sich von jener im wesentlichen nur durch das eine,
daß sie durch diese vier Grundeigenschaften noch einen Querschnitt lege und sie
sämtlich betrachte nach der Scite der quantitativen biologischen Unterlegung —
für die er einen besonderen zentralnervösen Regulationsmechanismus in den
Regulationszentren des Biotonus annimmt — und nach der qualitativen kon-
struktiven Seite hin, die für ihn überwiegend die Birnbaumschen Radikale
der geistigen Fähigkeiten, der Triebrichtungen und der Psychomodalität betrifft.
Die Psychomodalität selbst löst er schließlich noch weiter auf in die Intensität
der Eindrucksfähigkeit, in die Extensität der Retentionsfähigkeit, in die Steue-
rungs- und Hemmungsmechanismen und in die Sthenie und Asthenie.
Besonders diskussionsbedürftig — aber hier nicht weiter verfolgbar — er-
scheint uns auch jetzt noch Ewalds empirische Erfassung der Charaktere auf
Grund somatisch unterlegter Radikale. Insbesondere scheinen uns hier
noch zum Teil nicht einheitlich zusammengeordnete charakterologische Gruppen
zu bestehen, insofern primär gegebene elementare und sekundäre abgeleitete
Einzelzüge gelegentlich nebeneinander stehen. (Feigheit neben hysterischer
Verdrängung und Zwangserscheinungen usw.)
Im übrigen fällt auf, daß Ewald bei den Triebbetonungen eigentlich nur
an egoistisch zentrierte Triebe denkt und daher von ihrem Einschlag haupt-
sächlich unsoziale Charakterzüge ableitet, während doch bestehende Triebhaftig-
keit sich auch in sozialem Sinne charakterologisch auswirken kann. (Impulsives
Mitgefühl.)
Zu den Adlerschen Prinzipien findet Ewald insofern einen Ausgleich
mit seinen Grundanschauungen, als er in dessen Machtstreben die Wider-
spiegelung des expansiv gerichteten biotonischen Dranges und in dessen Minder-
wertigkeitsgefühl die Widerspiegelung der konstruktiv bedingten Reagibi-
lität sieht.
Die Art der Angleichung an die Sprangerschen Lebensformen ist aus
der nachfolgenden Tabelle erkennbar.
Den besten Überblick über Ewalds wie auch sonstige gegenwärtige
charakterologische Anschauungen gewinnt man aus der von ihm dargebotenen
Gegenüberstellung eigner und fremder Aufstellungen, die vor allem die ver-
schiedenen dynamischen und lokalisatorischen Auffassungen beleuchten und
dabei in mancher Hinsicht beachtliche Übereinstimmungen bei aller Verschieden-
heit der Grundeinstellungen erkennen lassen.
Insbesondere die dreifache Gliederung, das „dreifache Stockwerk“ findet
sich fast durchgängig auch bei den anders gerichteten Autoren wieder.
Der Charakteraufbau nach Ewald):
I. Anatomische Einteilung (Kleist):
1. Autopsychischer Mensch (Pallidostriatum und Thalamus)®).
2. Thymopsychischer Mensch (Pallidostriatum und Thalamus).
3. Somatopsychischer Mensch (vegetatives Ich) (Höhlengrau des
III. Ventrikels).
1) Gelegentlich in Nebensächlichkeiten vom Ref. etwas abgeändert.
2) Nach Ewald: (vorwiegend Hirnrinde).
Charakterologie 277
. Physiologisch-dynamische Einteilung (Ewald):
1. Überwiegend gesteuerter Verst andes mensch (Hirnrindenführung). Ab-
straktes Erfassen aller Zusammenhänge.
2. Überwiegend gefühlsmäßiger, intuitiv erlebender und handelnder
Mensch (Basalganglienführung). Sinnlich(-optisches) Erleben überwiegt.
3. Überwiegend egoistisch-trieb bestimmt denkender und handelnder Mensch
(Medullarführung, auch III. Ventrikel).
. Geisteswissenschaftlich-psychologische Einteilung (Spranger):
1. Gesteuerter Verstandesmensch. Hirnrindenführung — theoretisch -
abstrakter Typ (charakterologisches Leitprinzip: Wahrheit).
2. Gefühlsmensch. Basalganglienführung — ästhetischer Typ (charakte-
rologisches Leitprinzip: Schönheit).
3. Triebbestimmter Mensch. Medullarführung — ökonomisch-egoisti-
scher Typ (charakterologisches Leitprinzip: Materielle Werte und
animalischer Genuß).
. Entwioklungsgeschichtlich-psychologische Aufstellung:
1. Zu abstraktem logischem Denken befähigter erwachsener Mensch
(höchstes Stadium).
2. Kindliches optisch-eidetisches Wesen (sensorisch gefühlsmäßige
Lebenseinstellung).
3. Medullär-reflektorisches Wesen (Säuglings- und Vorsäuglings-
stadium).
. Physiologischer Persönlichkeitsabbau (Bewußtseinsschichtung).
1. Wachbewußtsein (Hirnrindenfunktion). Abstraktes logisches Denken
möglich.
2. Traumerleben, gefühls- und affektgetragen, vorwiegend optisches Er-
leben (halb delir-, halb schizophrenie-ähnlich, Hirnrinde funktional weit-
gehend ausgeschaltet).
3. Traumloser Schlaf (lediglich reflektorisch-vegetatives Sein).
. Krankhafter Persönlichkeitsabbau (,, Regression“):
1. Klar bewußtes (neopsychisches) Denken.
2. „Archaisches“ (, paläo psychisches“) Denken, gefühls- und affekt-
getragenes Unheimlichkeitserleben, ungesteuerte Gefühls- und Affekt -
reaktionen und Einstellungen (hypnoische und hypobulische Mechanis-
men (Kretschmer).
3. Freiwerden primitiver Triebmechanismen (Freud), primitivster
motorischer Mechanismen, Freiwerden alter Reflexmechanismen, Schau-
keln, Iterieren, bis zu Freß- und Saugreflexen. Primitivste Triebhand-
lungen.
Im Begriffe der vitalen Person sucht Braun den elementaren, der Grenz-
schicht zwischen Körperlichem und Seelischem zugehörigen Untergrund der
Persönlichkeit in seiner biologischen wie psychologischen Eigenart zu erfassen.
Die in der vitalen Person zusammengefaßten körpernahen Funktionen der
tiefsten psychischen Schicht sind eng an biologische Abläufe gekoppelt und
stehen in unmittelbaren — passiven und aktiven — dynamischen Beziehungen
zum Körperlichen wie zum Psychischen. Sie beeinflussen und bedingen einander,
sind wechselseitig eng bezogen und bilden ein gegenüber dem Körper einerseits,
20*
278 Karl Birnbaum
der Psyche andrerseits relativ abgeschlossenes und nach ständigem Gleich-
gewicht strebendes Ganze.
Die Funktionen, die ihr zugehören, sind vor allem: Antrieb, Stimmung,
Reizempfänglichkeit und Schlaf- und Wachfunktionen. Es gibt keine psychische
Funktion, die nicht von diesen psychischen Grundfunktionen getragen oder
begleitet würde, wobei der Akzent bald nach der Seite des Aktiven: Antrieb,
Wachsein, bald nach der des Passiven: Stimmung, Reizempfänglichkeit, Schlaf
verschoben ist. Ihre innige Verflochtenheit macht ihre Auseinanderhaltung im
Einzelfall schwierig und selbst unmöglich, da Wachsein beispielsweise zugleich
Antrieb, Stimmung und Reizempfänglichkeit bedeutet oder Stimmung in vielen
Fällen zugleich Antrieb ist. Grade an diesen halb körperhaften Grundlagen der
Seele tritt die Ganzheit und Unteilbarkeit des seelischen Geschehens besonders
klar zutage.
Ihrem Wesen nach stellen diese vitalen Grundkräfte die urtümlichen
primitiven Grundfunktionen dar, die das tierisch-menschliche Leben recht
eigentlich repräsentieren, und von deren Dynamik alle ursprüngliche Kraft und
Funktionssicherheit des Organismus abhängt. Auch im differenziertesten Men-
schen sind sie erhalten geblieben, und sie bestimmen so vom Untergrunde der
Vitalität aus die Gestaltung der Persönlichkeit auch in ihren höheren seelischen
Zügen. Selbst für das Genie und die macht- und kraftvollen Persönlichkeiten
scheint eine besondere „vitale Begabung“ die unerläßliche Grundlage zu sein.
Diese vitalen Qualitäten — Braun zieht als ihnen zugehörig übrigens auch
noch den Lebensrhythmus, vielleicht auch den primitiven Zeitsinn von Ehren-
wald in Betracht — bilden mit Instinkten und Trieben einen relativ selbstän-
digen und abgeschlossenen Kern der Persönlichkeit, von dem aus dynamische
Impulse in höhere seelische Schichten hineinfließen, der aber auch imstande ist,
Reiz- und Zustandsänderungen, die von außen oder von der Psyche her kommen,
zu registrieren und mit eignen Funktionsveränderungen zu quittieren und so
seinerseits sowohl in die somatischen wie auch in die psychischen Funktionen
einzugreifen. |
Damit ist zugleich auch die Bedeutung der vitalen Person im Rahmen des
Gesamtaufbaus der biophysischen Persönlichkeit festgelegt. Nach dem Körper-
lichen hin bildet sie ein biologisches Regulationssystem höchster
Ordnung, das in den komplizierten mehrfach gestaffelten und sich selbst im
Funktionsgleichgewicht haltenden Regulationsmechanismus des Organismus
eingebaut und an ihm aktiv und passiv beteiligt ist. Führen etwa körperliche
Funktionsstörungen — soweit sie nicht schon von unteren Regulationsinstanzen
abgefangen werden — zu Mißstimmung und Antriebsschwäche, so wird durch
diese vermittels der vitalen Korrelation Tätigkeitsruhe oder Schlaf herbei-
geführt, und so kommt es wieder zum Ausgleich der körperlichen Funktions-
störung und zur Gleichgewichtswiederherstellung. Dabei ist vor allem der un-
mittelbare Anschluß der „vitalen Funktionen“ an das vegetative System, die
Abhängigkeit ihrer Funktionsspannung von der Funktion des vegetativen
Systems ausschlaggebend im Spiel, indem die vitale Person den endogenen
und exogenen Schwankungen jener vegetativen Funktionen unterliegt und
zugleich ihrerseits gewisse regulierende Rückwirkungen auf sie ausübt.
Nach der Seite der Psyche hin liegt die Bedeutung der vitalen Funktionen
darin, daß sie den animalen psychischen und psychomotorischen Funktionen die
Charakterologie 279
Lebenskraft zur Verfügung halten, die zu ihrem Ablauf von nöten ist. Dabei
dient der Antrieb vornehmlich den aktiven Funktionen der Persönlichkeit, also
der geistigen und psychomotorischen Tätigkeit jeder Art. Reizempfänglichkeit
und Stimmung sind dagegen unmittelbar den passiven Funktionen zugeordnet,
als welche Braun die Aufnahme und Verarbeitung körperlicher psychischer
Reize ansieht. Die Schlaf-Wachfunktion endlich regelt den periodischen Phasen-
wechsel, die Ausgabe und den Ersatz der vitalen Kräfte. Die funktionelle Ein-
schaltung der vitalen Person in die peychische Persönlichkeit ist dabei derart,
daß zwischen den einzelnen Eigenschaften der vitalen Person und denen der
Psyche Funktionskreise bestehen: Die Qualitäten hoher und höchster see-
lischer Schichten werden einerseits von vitalen Qualitäten getragen und mit
Betriebskraft versehen und können zum anderen, rückläufig regulierend, die
vitalen Funktionen für ihre Zwecke verstärken oder dämpfen. So ist die Funk-
tionskraft der höchsten seelischen Schichten nicht nur von ihrer eignen angebo-
renen oder erworbenen Beschaffenheit, sondern auch von der vitalen Person
abhängig.
Beschaffenheit und Potenz der vitalen Person sind konstitutionell ver-
schieden, also angeboren und ererbt. Sie können aber durch Lebenseinflüsse
(Erlebnis, Gewöhnung, Training, Erschöpfung, Krankheiten usw.) in gewissem
Grade modifiziert werden. Verschiedenheit ihrer Einzelqualitäten im normalen
und pathologischen Bereich ergeben charakteristische vitale Typen, an denen
besonders Spielformen des Antriebs: Antriebeschwache und starke, Antriebs-
labile und -stabile, Antriebslahme und flinke, Antriebsermüdbare usw. maß-
gebenden Anteil haben: ein Zusammenhang, der beiläufig nicht überraschen
kann, da der Antrieb für Braun im Grunde die Lebenskraft ist und wir von der
Freudschen Libidolehre her zur Genüge den typenbildenden Wert ihrer Spiel-
arten kennengelernt haben.
Im übrigen weist Braun mit Recht auf die Bedeutung dieser Persönlich-
keitsforschung von unten her hin und auch wir selbst meinen, daß die Erfassung
von Persönlichkeitsspielarten speziell von der vitalen und animalischen Seite
her (Triebmenschen, Genußmenschen, Faulenzer usw. ) noch lange nicht genügend
durchgeführt ist.
Zur Krausschen Tiefenperson stellt Braun seine vitale Person in weit-
gehende Übereinstimmung: Bei beiden handelt es sich um relativ selbständige
Funktionskomplexe, die in der Tiefe des körperlichen bzw. psychischen Ge-
schehens ihren vielfach durchflochtenen Abläufen obliegen und die breite mannig-
fach gestaltete Grundlage bilden, aus der körperliche und psychische Funktionen
höherer Ordnung erwachsen.
Hinsichtlich der lokalisatorischen Beziehungen der vitalen Person
kommt Braun auf Grund phylogenetischer, physiologischer und anatomischer
Erwägungen zu der Ansicht, daß die Gesamtheit aller Körperfunktionen
in ihrer harmonischen Zusammenarbeit ihre körperliche Grundlage bildet.
Dagegen ist eine besonders lokalisierte Regulationsinstanz für deren Tätigkeit
in dem seinerseits wieder gestaffelten vegetativen System von der Organ-
nervenfaser und der innersekretorischen Drüse bis zum zusammenfassenden
Zwischenhirnregulator zu sehen. Als höchste Instanzen dieses Systems kom-
men weiter die SS Ganglien des Hirnstamms und endlich die Hirnrinde in
Frage.
280 Karl Birnbaum
Eine besonders wichtige Rolle in diesem System schreibt Braun speziell dem
Zwischenmittelhirn zu, das als phylogenetisch ältester, mit dem vegetativen
System so eng verbundener Hirnteil eine wichtige Vermittlerrolle zwischen
psychischen und körperlichen Funktionen spielt. Einen Hinweis darauf gibt
speziell das Stertzsche Zwischenhirnsyndrom, das in besonders aus-
geprägter Weise in grob organischen Fällen hervortritt, aber auch in mehr or-
ganisch-funktionellen Grenzzuständen nachweisbar ist. Bezeichnend für dieses
Syndrom ist, daß es neben vegetativen Funktionsstörungen vor allem eine all-
gemeine Senkung des seelischen Energieniveaus darbietet, die sich im
einzelnen in einer Art Intelligenzschwäche, in unmotivierter flacher Euphorie
und in spontanem und reaktivem apathischen Verhalten, kurz und gut: in einer
charakteristischen Schädigung der psychischen Persönlichkeit aus-
wirkt.
Dieses bezeichnende vitale Syndrom der Persönlichkeitssphäre kann nach
Stertz nun auch — und damit greift es direkt in die Persönlichkeitslehre ein —
unabhängig von groben Schädigungseinflüssen im Sinne der Krankheit auf-
treten, so etwa als vorwiegend endogenes Produkt im Sinne einer Art partiellen
Alterns und vorzeitigen Verbrauchs, so als Umweltsprodukt bei übermäßiger
erholungs- und abwechslungsarmer Arbeit oder auch als Folge von Schicksals-
schlägen im Sinne des Verlustes der seelischen Schwungkraft. Auch Varianten
psychopathischer Typen bringt Stertz mit den peychophysischen Regu-
lationsmechanismen des Zwischenhirns in Verbindung, insofern deren spezifische
Aufgabe, die Anpassung der psychischen Persönlichkeit an die jeweilige Umwelts-
situation und -ansprüche herbeizuführen, durch eine konstitutionelle Schwäche
dieser Funktionsmechanismen beeinflußt wird. —
Eine besonders einfache und demgemäß problemlose Auffassung von der
Persönlichkeit entwickelt Watson entsprechend den Anschauungen eines
extremen Behaviourismus, der jede Bewußtseinspsychologie als veraltet
und als Ausfluß sublimer religiöser Philosophie betrachtet.
Hauptinhalt aller menschlichen Psychologie werden vielmehr die Verhal-
tensweisen der Aktivitäten des menschlichen Wesens. Daher tritt für
Watson an die Stelle des Bewußtseinsstromes von James der Aktivitätsstrom
und ähnlich wird das gesamte Leben erfaßt von einem endlosen Strom der
Aktivität, der mit der Befruchtung des Eies beginnt und mit zunehmendem Alter
immer komplexer wird. Er setzt sich aus den verschiedenen Aktivitäten zu-
sammen, zu denen nach Watson der Babinskische Reflex ebenso wie Blut-
kreislauf und Atmung, die „Fütterungsaktion“ und Abwehrreaktion ebenso
wie Liebes-, Furcht- und Wutverhalten u. v. a. mehr rechnet: „Handlungs-
systeme“, die mit einem „unerlernten‘ Anfang einsetzen, durch Gewöhnung
erweitert und vervollständigt werden und schließlich zu „umstandsbedingten“
Aktivitäten (umstandsbedingtem Lächeln, Sexualreaktionen usw.) führen. Die
Persönlichkeit ist nun in diesem Sinne nichts anderes als das vollständige
System dieser Aktivitäten.
Dieser ungewöhnlich einfachen charakterologischen Grundauffassung ent-
spricht nun der von Watson besonders herausgehobene psychodiagnostische
und charaktero-diagnostische Hinweis: Würde der Behaviourist einen Quer-
schnitt durch die Aktivität ziehen, so könnte er jedes einzelne Ding, das die
Versuchsperson je getan hat, genau katalogisieren. Er würde finden, daß viele
Charakterologie 281
dieser einzelnen Aktivitäten verwandt sind, in Beziehung zueinander stehen, d. h.
um ein und dasselbe Objekt (z. B. Familie, Kirche, Tennissport, Schuhe machen
usw.) gebildet sind. Er kommt so für eine bestimmte Person zu einer Organi-
sation von bestimmten Gewohnheitssystemen, die unter anderem das
Ernährungsgewohnheitssystem, das Furchtgewohnheitssystem, das Allgemein-
wissen-Gewohnheitssystem, das religiöse Gewohnheitssystem und schließlich
such das „8 Schuhherstellungs-Gewohnheitssystem“ umfassen.
Für den Behaviouristen ist also die Persönlichkeit die Summe der Aktivi-
täten, die durch ständige Beobachtung des Verhaltens während einer hinreichend
langen Zeit entdeckt werden. Die behaviouristische Methode des Studiums der
Persönlichkeit besteht dann darin, eine Querschnittsdarstellung des Akti-
vitätsstroms zu geben, aus dem sich die einzelnen dominierenden Systeme:
etwa die beruflichen, die laryngealen (große Redner, stille Denker hängen mit
letzterem zusammen!) usw, herausheben. Daß bei solcher Auffassung dann
auch Tabellen, Tests u. &. bewußtseinsfreie Materialien ihre besondere Bedeutung
für das Studium der Persönlichkeit gewinnen, versteht sich von selbst.
Die grundsätzliche Stellungnahme zu dieser behaviouristischen Auffassung
der Persönlichkeit kann keine andere sein als zu allen anderen „objektiven“
Psychologien (der Bechterewschen Reflexologie u. ä.): daß sie dem spezifischen
Charakter alles seelischen Lebens keinerlei Rechnung tragen und die höchste
seelische Differenziertheit der Persönlichkeit mit ein paar elementaren biologischen
bzw. neuro-biologischen Formeln u.dgl. einzufangen glauben. Daß das Wesen von
Kants Denkleistung damit so wenig erschöpft wie getroffen ist, daß man es mit
Watson als laryngeales innerliches Gewohnheitssystem kennzeichnet, dürfte
wohl auch außerhalb des Kreises philosophisch eingestellter Psychologen manchem
denkbar erscheinen. —
Freuds neue Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse widmen der
Zerlegung der psychischen Persönlichkeit ein selbständiges Kapitel, das in den
Hauptpunkten allerdings die bisherigen psychoanalytischen Grundanschauungen
wiedergibt.
Im einzelnen betont Freud: Dem Über-Ich, dessen Aufstellung wirklich
ein Strukturverhältnis beschreibt, und das nicht einfach eine Abstraktion wie
das Gewissen personifiziert, sind im einzelnen die Selbstbeobachtung, das Ge-
wissen und die Idealfunktion zugeteilt. (Über)-Ich und bewußt einerseite, Ver-
drängtes und Unbewußtes andrerseits fallen keineswegs zusammen, große Anteile
des Ichs und Über-Ichs können unbewußt bleiben, sind normalerweise unbewußt.
Das Es erfüllt sich von den Trieben her mit Energie, hat aber keine Organi-
sation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen
unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu verschaffen.
Das Ich schließlich ist nur ein Stück vom Es, ein durch die Nähe der gefahr-
drohenden Außenwelt zweckmäßig verändertes Stück. Im ganzen muß das Ich
die Absichten des Es ausführen; es erfüllt seine Aufgabe, wenn es die Umstände
ausfindig macht, unter denen diese Absichten am besten erreicht werden können.
Bildlich gesprochen : die Energie stammt vom Es, die Zielbestimmung und Leitung
der Energiebestimmung dagegen vom Ich.
Von einem Teil des Es hat sich das Ich durch Verdrängungswiderstände ge-
schieden. Aber die Verdrängung setzt sich nicht in das Es fort. Das Verdrängte
fließt mit dem übrigen Es zusammen.
282 Karl Birnbaum
Die schwierige Aufgabe des Ich ist es, die immer auseinandergehenden, an-
scheinend oft unvereinbaren Ansprüche und Forderungen der drei gestrengen
Herren: Außenwelt, Über-Ich und Es in Einklang miteinander zu bringen.
Schließlich bringt Freud noch die Strukturverhältnisse der seeli-
schen Persönlichkeit in eine einfache bildliche Darstellung. Aus dieser ergibt
sich vor allem:
Das Über-Ich taucht in das Es ein, mit dem es als Erbe des Ödipuskomplexes
ja intime Zusammenhänge hat; es liegt weiter ab vom Wahrnehmungssystem
als das Ich. Das Es verkehrt — soweit sich heute sagen läßt — mit der Außen-
welt nur über das Ich. Der Raum, den das unbewußte Es einnimmt, ist unver-
gleichlich größer als der des Ich oder des Vorbewußten.
Rückblickend betont dann Freud noch, daß diese Sonderungen der Per-
sönlichkeit in Ich, Über-Ich und Es keine scharfen Grenzen haben, daß wahr-
scheinlich die Ausbildung dieser Sonderungen bei verschiedenen Personen großen
Variationen unterliegt, und daß sie möglicherweise bei der Funktion selbst ver-
ändert und zeitweilig zurückgebildet werden. Besonders für die phylogenetisch
letzte und heikelste Differenzierung, die von Ich und Über-Ich scheint dergleichen
zuzutreffen. Unzweifelhaft wird das gleiche durch psychische Erkrankungen
hervorgerufen.
Anders gerichtete Forschungsbestrebungen von Freud gehen auf die Auf-
stellung von psychologischen Typen aus. Gemäß seinen Grundanschau-
ungen haben für ihn die Verhältnisse der Libido den ersten Anspruch, der Ein-
teilung als Grundlage zu dienen. Er gibt dabei zu, daß die von ihr abzuleitenden
libidinösen Typen auch auf psychischem Gebiete nicht die einzig möglichen
zu sein brauchen, und daß man vielleicht von anderen Eigenschaften ausgehend
eine ganze Reihe andrer psychologischer Typen aufstellen kann. Im übrigen
dürfen solche Typen nicht mit Krankheitsbildern zusammenfallen, können sich
aber in ihren extremsten Ausbildungen den Krankheitsbildern nähern.
Je nach der vorwiegenden „Unterbringung der Libido in den Provinzen
des seelischen Apparats unterscheidet Freud drei libidinöse Haupttypen: er
bezeichnet sie in Anlehnung an die Tiefenpeychologie als den erotischen, den
narzißtischen und den Zwangstypus.
Beim Erotiker ist das Hauptinteresse — der relativ größte Betrag seiner
Libido — dem Liebesleben zugewendet. Lieben, besonders aber geliebt werden,
ist ihm das Wichtigste, die Angst vor dem Liebesverlust, die Abhängigkeit von
den anderen, die die Liebe versagen können, ist bei ihm vorherrschend. Der
Typus ist auch in seiner Reinform recht deutlich, Variationen ergeben sich je
nach der Vermengung mit einem anderen Typus und dem gleichzeitigen Aus-
maße von Aggression. Sozial wie kulturell vertritt dieser Typus die elementaren
Triebansprüche des Es, denen die anderen psychischen Instanzen gefügig gewor-
den sind.
Der Zwangstypus zeichnet sich durch die Vorherrschaft des Über-Ichs aus,
das sich unter hoher Spannung vom Ich absondert. Er wird von der Gewissens-
angst beherrscht an Stelle der Angst vor dem Liebesverlust, zeigt eine sozusagen
innere Abhängigkeit statt der äußeren, entfaltet ein hohes Maß von Selbst-
ständigkeit und wird sozial zum eigentlichen vorwiegend konservativen Träger
der Kultur.
Charakterologie 283
Der narzißtische Typ ist wesentlich negativ charakterisiert: Keine Span-
nung zwischen Ich und Über-Ich, keine Übermacht der erotischen Bedürfnisse,
das Hauptinteresse auf die Selbsterhaltung gerichtet, unabhängig und wenig
eingeschüchtert. Dem Ich ist ein großes Maß von Aggression verfügbar, das
sich auch in Bereitschaft zur Aktivität kundgibt. Kulturell kommt ihm eine
besondere Eignung zur Führerrolle zu.
Viel häufiger als diese reinen Typen sind die gemischten: der erotisch-
zwanghafte, der erotisch-narzißtische und der narzißtische Zwangs-
typus, die eine gute Unterbringung der individuellen psychischen Strukturen
im Sinne der Psychoanalyse gestatten. Beim erotischen Zwangstypus
scheint die Übermacht des Trieblebens durch den Einfluß des Über-Ichs ein-
geschränkt; die Abhängigkeit gleichzeitig von rezenten menschlichen Objekten
und von den Relikten der Eltern, Erzieher und Vorbilder erreicht hier den
höchsten Grad. Der erotisch-narzißtische, der häufigste Mischtyp, ver-
einigt Gegensätze, die sich in ihm gegenseitig ermäßigen können. So kann
Aggression und Aktivität bei ihm mit der Vorherrschaft des Narzißmus zusammen
gehen. Der narzißtische Zwangstyp endlich ergibt die kulturell wertvollste
Variation, indem er zur äußeren Unabhängigkeit und Beachtung der Gewissens-
forderung die Fähigkeit zur kraftvollen Betätigung hinzufügt und das Ich gegen
das Über-Ich verstärkt.
Den letzten möglichen Mischtyp, den erotisch- zwanghaft-narziß-
tischen endlich gibt es nach Freud deshalb nicht, weil ein solcher Typus kein
Typus mehr wäre, sondern die absolute Norm, die ideale Harmonie bedeuten
würde. Das Phänomen des Typus entsteht eben dadurch, daß von den drei
Hauptverwendungen der Libido im seelischen Haushalt eine oder zwei auf Kosten
der anderen begünstigt worden sind.
Was schließlich die — für die psychoanalytische Betrachtung besonders
naheliegenden — Beziehungen dieser Typen zur Neurose angeht, so sind sie
alle ohne Neurose lebensfähig, nur scheinen die gemischten günstigere Bedingungen
für neurotische Störungen zu bieten. Dabei ergeben die erotischen Typen im
Falle der Erkrankung Hysterie, die Zwangstypen Zwangsneurose, die narziB-
tischen Typen, die bei ihrer sonstigen Unabhängigkeit der Versagung von Seiten
der Außenwelt ausgesetzt sind, enthalten eine besondere Disposition zur Psychose
wie zum Verbrechertum. —
Der geistige Zusammenhang mit Freudschen Anschauungen ist — un-
beschadet gewisser Sonderzüge — nicht zu verkennen in dem von O. Kant ent-
wickelten Charakteraufbau. Er ist ihm beiläufig nicht Selbstzweck, sondern
dient ihm dazu, speziell das Schuldgefühl von einer bestimmten biologischen
und insbesondere auch charakterologisch- biologischen Grundlage abzuleiten.
Den biologischen Unterbau jeder Persönlichkeit bildet die Schicht der
animalischen Triebe, die, der Körperlichkeit noch eng verhaftet, sich in
eine Vielheit von verschiedenen, die Erfüllung allgemeinster Lebens bedürfnisse
fordernden Regungen sondern. Diese mehr auf das Allgemeine als auf das
Individuelle gerichteten Triebe werden geleitet von Instinkten, deren Wirken
von allgemein biologischen Regulationsprinzipien und nicht von der individuellen
Persönlichkeiteartung abhängig ist. An und für sich ragen sie auch noch nicht
in die individuelle Persönlichkeitsstruktur hinein, doch strömen ihre Energien
in die höheren Schichten mit ein, und zwar zum Teil durch die Koppelung mit
284 Karl Birnbaum
Tendenzen höherer Schichten, die den gleichen Instinkten dienen, zum Teil auch
— zumal bei Beschränkung der eigenen Realisierung — durch Verschiebung
der vitalen Energien in andere Schichten (Sublimierungsvorgang).
Die nächst höhere Triebschicht wird durch die persönlich- seelischen
Tendenzen gebildet. (Liebes-, Hingabetrieb, Machttrieb, Eifersucht u. a.) Im
Gegensatz zu den animalischen Trieben kommen bei den Regungen dieser
Triebschicht seelische Bedürfnisse oder Tendenzen zum Ausdruck, die indi-
viduell bedingt und demgemäß auf persönlich ausgewählte, individuell ver-
schiedene Ziele gerichtet sind. Zu ihrer Realisierung ist auch ihre Koppelung
mit animalischen Trieben notwendig, und diese Koppelung mit vitaler Energie
stellt umgekehrt zugleich auch diese seelischen Triebfedern in den Dienst der
biologischen Regulationsprinzipien, also der Ich- und Arterhaltung. Diese seeli-
schen Triebfedern sind — auch das ist wesentlich — auf reale Objekte gerichtet
und demgemäß inhaltlich durchaus konkreter Natur; sie können rein gefühls-
mäßig erlebt und realisiert werden ohne bewußte Reflexion, ohne jeden Anteil
der geistigen Persönlichkeit und — wenigstens ursprünglich — unabhängig von
jener persönlichen Instanz, die sich in bewußter Spaltung den Bedürfnissen des
eignen Ichs gegenüber stellt. Ist diese letztere beteiligt, so spielt vielmehr schon
eine Besonderheit aus einer anderen Schicht herein, die dem Charakter der seeli-
schen Tendenzen an sich fremd ist.
Die weitere, auf den bisherigen beiden Triebschichten sich aufbauende
höhere Schicht ist die der geistig-abstrakten Wertgefühle, die für den
Menschen allein charakteristisch und für sein Erleben besonders bedeutungsvoll
ist. Die durch sie gegebenen Tendenzen erhalten erst durch die Reflexion ihre
Eigenart und durch die Bewußtheit ihren Sinn. Als Pflichtbedürfnis, Leistungs-
trieb, Selbstbeherrschung usw. bilden sie nicht mehr die Schicht des bewußt-
seinsunabhängigen Gefühls, sondern des bewußten Wollens, das auf geistige
Werte des eigenen Ichs gerichtet ist.
Die Beziehungen dieser verschiedenen Schichten zum Ideal-Ich sind
nach der Kantschen Darstellung nicht ganz einfach und einheitlich. In der indi-
viduellen Persönlichkeitsartung überwiegt die persönlich-seelische Gefühls-
schicht oder die Willens- oder Sollschicht. Menschen, in denen diese dritte be-
sonders ausgebildet ist, haben daher von vornherein auch eine größere Beziehung
zum Ideal-Ich, wobei aber nicht zu vergessen ist, daß im Einzelfall die verschie-
densten Schichtmischungen vorkommen. Doch ist die Vorherrschaft auch der
dritten Schicht nicht mit der ausgeprägten Bildung des Ideal-Ichs zu identi-
fizieren. Für die Ausbildung des Ideals unerläßlich ist vielmehr jene geistige
Spaltung, welche die Bewußtheit voraussetzt. Für das Verhältnis der seelischen
Gefühlsschicht zur Idealbildung ist noch zu beachten: Wenn die persönlich-
seelischen Gefühle den Inhalt des Ideal-Ichs bilden, so muß eine ausgesprochene
Schichtverschiebung stattgefunden haben, derart, daß die Tendenzen, die
primär der seelischen Gefühlsschicht angehören, in der ihnen primär fremden
Schicht der geistig-abstrakten Tendenzen, der Wertgefühle realisiert werden.
Voraussetzung dafür ist ein Mangel — ein ausgesprochener Realisierungs-
mangel — in dieser persönlich-seelischen Schicht.
Schließlich sind es nach Kant nicht zum wenigsten die gestörten disharmo-
nischen Strukturverhältnisse innerhalb der einzelnen Schichten bzw. zwischen
den einzelnen Schichten, das disharmonische Maßverhältnis zwischen den ein-
Charakterologie 285
zelnen Trieben oder zwischen den Trieben im engeren Sinne und den Triebfedern
und Tendenzen, welche den neurotischen Charakter und das Wesen des
Neurotikers fundieren. Gebrochenheit des triebhaften Untergrundes, Auflösung
bestimmter vitaler Triebganzheiten in bestimmte Partialtriebe, spannungsvolle
Gegensätze konträrer Triebfedern, Kontrastepannungen der gleichen Schicht
zugehöriger geistig-seelischer Tendenzen, ausbleibende oder fehlgehende Koppe-
lung der einzelnen Triebfedergruppen mit den verwandten animalischen Trieben,
mangelhaftes Verwachsensein der Triebe in der Gesamtstruktur: dies und ähn-
liches kennzeichnen die bezeichnende disharmonische Charakterstruktur und
entwicklung des Neurotikers.
Speziell die Beziehungen zwischen pathologischen Symptomen und
Charakter beleuchtet eine klinisch- psychiatrische Arbeit von Jahrreiß, die
sich mit dem hypochondrischen Denken beschäftigt. Indem sie sich um
die oharakterologischen Voraussetzungen für die hypochondrische Ideenbildung
bemüht, muß sie zugleich dem biopsychologischen Aufbau jenes besonderen
charakterologischen Typus nachgehen, den man populär-psychologisch als
Hypochonder bezeichnet, und der unter den genannten libidinösen Spielarten
von Freud wohl dem narzißtischen zuzurechnen ist. —
Jahrreiß, der als Urtriebe den Sicherungs- und Selbsterhaltungstrieb auf
der einen Seite, den Sexual- und Arterhaltungstrieb auf der anderen auseinander-
hält, sieht beim Hypochonder zunächst einen besonderen Triebanteil von seiten
des grundwirkenden Sicherungstriebes vertreten. Dabei soll die Stärke des
Sexualtriebs den Maßstab für die Triebstärke jenes Selbsterhaltungstriebes
abgeben. Diese quantitative Korrelation findet man beiläufig übrigens auch
in anderen charakterologischen Anschauungen, z. B. denen von Kahn vertreten.
Sie scheint mir aber durchaus nicht erwiesen und es ist meines Erachtens a priori
auch nicht einzusehen, warum nicht die verschiedenen Grundtriebe bei einem
bestimmten Menschen so gut wie seine sonstigen Wesenseigenheiten in verschie-
dener Ausprägung konstitutionell gebildet sein können. Jedenfalls stellt Jahr-
reiß für eine große Anzahl der hypochondrischen Fälle Angaben in der Richtung
der sexuellen Triebschwäche fest, was für eine schwächliche Prägung des Selbst-
erhaltungstriebes spricht.
Bezüglich der zugrundeliegenden Gefühle ließen sich überraschender Weise
Affekte von spezifischer Färbung als Zeugungskräfte für die hypochondrischen
Ideen nicht sicher stellen. Immerhin muß Jahrrei ß ein Persönlichkeitegefüge
von depressiver Schattierung anerkennen. Neben dieser gemütlichen „Ver-
schattung‘‘ allgemeiner Art fand er in dem Material noch häufig eine Reihe von
seelischen Einzelzügen, die insgesamt auf Besonderheiten des Temperaments
hinweisen und zwar auf das Maß der Eindrucksfähigkeit, die Beweglichkeit der
Erlebnisverarbeitung und die Art seiner schließlichen Bewältigung. Die Angaben
bezogen sich im wesentlichen auf Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit, Weichmütig-
keit, Empfindlichkeit, zweiflerische und grüblerische Schwerbeweglichkeit sowie
anankastische Züge.
Bezüglich der seelischen Triebkräfte weist Jahrreiß beim Hypochonder
auf die besondere Prägung ich-gerichteter Tendenzen von asthenisch-sichern-
der Natur (ängstliche Sorge ums Dasein) hin, sowie auf die besondere damit ver-
bundene introspektiv-egoistische Einstellung, die, von der Umwelt ab-
gezogen, dauernd hinter den eigenen Körpergefühlen her sei. Insbesondere sind
286 Karl Birnbaum
es spezifische Teilegoismen, die in der hypochondrischen Reaktion ihre
Auferstehung feiern.
Erbbiologisch sieht Jahrreiß in der hypochondrischen Bereitschaft eine
aus verschiedenen Erbanlagen erwirkte besondere Temperaments-, Cha-
rakter- und Persönlichkeitsschichtung, deren körperliche Voraus-
setzungen durch eine Beeinträchtigung der kortikofugalen und striopallidären
Schmerzhemmungsbahnen gegeben seien. —
Kant macht den Versuch, die Kretschmerschen Konstitutionstypen
bestimmter für eine Typologie der psychischen Persönlichkeit zu gewinnen,
indem er für die einzelnen Gruppen bestimmte spezifische habituelle persön-
liche Reaktionsarten auf Außenweltserlebnisreize, spezifische „seelische
Grundhaltungen“ festzulegen sucht.
Als den einen Grenzfall, der im zykloiden Typus verwirklicht ist, sieht er
das harmonische Aufgehen in dem Erlebnis, das reibungslose Mitschwingen mit
der Wirklichkeitswelt an. Dabei reagiert der Zykloide als geschlossene Einheit
und kann in seiner extravertierten Einstellung nur innerhalb der zwei Grenzpole:
Hemmung und Enthemmung beeinflußt werden.
Ihm steht als der zweite entgegengesetzte Grenxfall der Schizoide gegen-
über: Infolge seines antinomischen Aufbaus introvertiert eingestellt und statt
harmonischen Mitschwingens mit der Außenwelt sich gegen sie autistisch ab-
sperrend. Er ist in seiner Reaktionsart nicht einheitlich, kann zwar im Sinne einer
Grundstimmungs- und psychischen Tempoänderung die Erlebnisse beantworten,
doch tritt an Stelle von Hemmung und Enthemmung die psychische Spaltung
in den Vordergrund.
Auf das Verhältnis von Temperament und Charakter oder anders aus-
gedrückt von Stimmungsfunktion einerseits, dynamischem Trieb- und Strebungs-
aufbau andrerseits hin angesehen ist der Zykloide durch die Temperaments-,
die Stimmungsreaktion, der Schizoide durch die Charakterreaktion,
die Verschiebung der dynamischen Spannungsverhältnisse gekennzeichnet.
Zwischen den beiden Konstrastpaaren des Zykloid und Schizoid mit ihrem
Gegensatz von Stimmungsschwankungs- und Persönlichkeitespeltungsreaktion
stellt nun Kant einen weiteren Reaktionstyp, den er als beiden partiell verwandt
anspricht, und den er — nicht klinisch gemeint — als Epileptoiden bezeichnet:
Einerseits noch gebunden an die Außenwelt, aber doch nicht mehr fähig frei
mitzuschwingen, andrerseits schon zu Spaltung und Umbau tendierend, die sich
aber nicht in besonnener autistischer Abkehr von der Außenwelt, sondern nur
in der explosiven Umdämmerung zeitweise realisieren lassen.
Im übrigen glaubt Kant auf der Linie zwischen den zykloiden und schizoiden
Grenztypen außer den epileptoiden noch andere Übergangs- oder Zwischen-
typen aufstellen zu können. So nennt er zwischen dem Zykloiden und Epileptoiden
gelegen noch gewisse asthenische Typen von konstitutionell depressiver Färbung,
bei denen noch die affektive Reaktion — speziell nach der Unlustseite hin — im
Vordergrunde steht, bei denen die innere Reibung mehr durch Triebhemmung
als durch Triebkontraste unterhalten wird, und deren Triebkraft noch nicht zu
explosiver Lösung ausreicht.
Diese Nebeneinanderstellung der drei seelischen Grundhaltungen zeigt nach
Kant, daß der Weg von der „Ja- oder Nein-Reaktion‘ über die explosive
Spannung zu Absperrung und Umbau, bzw. vom Mitschwingen über die Ge-
Charakterologie 287
bundenheit zur Hinausdrängung der Wirklichkeitswelt führt. Dabei bestehe ein
inniges Strukturverbältnis zwischen Temperament und Charakter: Vorwiegen
der Temperamentsreaktion gehe einher mit harmonischer Bündelung des Trieb-
aufbaus, während mit wachsender disharmonischer Kontrastiertheit die Charakter-
reaktion in den Vordergrund trete.
Schließlich sucht dann Kant auch noch von den gekennzeichneten Persön-
lichkeitsreaktionen aus die Verbindung mit der psychiatrischen Nosologie
herzustellen. Zunächst einmal erwachse aus der Verfolgung des
von der Temperament- zur Charakterreaktion durch das Bindeglied des Epileptoids
hindurch eine Möglichkeit des Verständnisses dafür, daß man Krankheiten des
Temperaments wie schizophrener Spaltung, obwohl sie sich auf zwei verschiedenen
Ebenen vollziehen, doch miteinander in Beziehung setzt und theoretisch in
fließenden Übergang bringt — und zwar dies ganz unbeschadet der Theorie der
Krankheitenoxe. —
Der Bericht über die Arbeiten der Ausdruckskunde bleibt der nächsten
Zusammenstellung vorbehalten.
Literatur.
Braun, Die vitale Person. Sammlung psychiatr. und psychol. Einzeldarstel-
lungen. Bd. II. Leipzig, Georg Thieme, 1933. — Ewald, Biologische und „reine“
Psychologie im Persönlichkeitsaufbau. Prinzipielles und Paralleles. (Temperament
und Charakter. 2. Teil.) Zugleich ein Beitrag zur somatologischen Unterlegung der
Indi vidualpsychologie. Berlin, S. Karger, 1932. — Freud, Neue Vorlesungen zur
Einführung in die Psychoanalyse. Wien, Internat. psychoanalyt. Verlag, 1933;
Über libidinöse Typen. Psychoanalytischer Almanach. Wien, Internat. psycho-
analyt. Verlag, 1933. — Jahrreiß, Das hypochondrische Denken. Arch. f. Psychiatr.
92. — Kant, Über Zykloid, Epileptoid und Schizoid als seelische Grundhaltungen.
Z. Neur. 129; Zur Biologie der Ethik. Psychopathologische Untersuchungen über
Schuldgefühl und moralische Idealbildung. Zugleich ein Beitrag zum Wesen des
neurotischen Menschen. Schriften z. wissenschaftl. Weltanschauung. Bd. 7. Wien,
Springer, 1932. — Stertz, Probleme des Zwischenhirns. Zbl. Neur. 65; Über den
Anteil des Zwischenhirns an der Symptomgesteltung organischer Erkrankungen des
Zentralnervensystems: ein diagnostisch brauchbares Zwischenhirnsyndrom. Dtsch.
Z. Nervenheilk. 117 (1931). — Watson, Der Behaviourismus. Stuttgart. Deutsche
Verlagsanstalt, 1931.
Innere Krankheiten und Psychiatrie
von Johannes Schottky in München.
Einleitung. Allgemeines.
Die Beziehungen zwischen innerer Medizin und Psychiatrie sind vielge-
staltig und verschlungen. Die eine wird ohne die andere kaum zu einem frucht-
baren Arbeiten gelangen können. Georg Klemperer bezeichnet das Wort
des Internisten Frerichs, das dieser anläßlich der Eröffnung des ersten Kon-
gresses für innere Medizin im Jahre 1882 sprach, auch heute noch als zeitgemäß:
„Die innere Heilkunde ist und bleibt der segenspendende Strom, von welchem
die Spezialfächer wie Bäche sich abzweigen und gespeist werden, die aber im
Sande verrinnen und versiegen werden, wenn sie sich abtrennen.“ Bei der
Fülle der lebendigen und wechselseitigen sowohl praktischen wie theoretischen
Verbindungen beider Gebiete muß im vorliegenden Referate notwendigerweise
eine Begrenzung vorgenommen werden. Durch den Titel innere Krankheiten,
nicht innere Medizin, soll gesagt sein, daß im folgenden im allgemeinen die-
jenigen Arbeiten nicht betrachtet werden sollen, die sich mit den Grenzfragen der
Endokrinologie, der Humoralpathologie oder der Konstitution, bzw. der gemein-
samen Anlage zu inneren Krankheiten und zu bestimmter seelischer Eigenart
befassen. Weiter ist nicht beabsichtigt, auf die Grundfragen des Leib-Seele-
problems, mit den Fragen der Konstitution, des Endokriniums usw. ja eng
verbunden und voller Beziehungen zu unserem Thema, einzugehen; es soll dies
jedenfalls nur in dem engen Umfange geschehen, in dem solche Arbeiten zu
unserer Fragestellung besonderen Bezug haben. Auch die in der letzten Zeit
freilich zurückgetretenen vornehmlich der Wundtschen Schule entstammenden
experimentellen Untersuchungen über leib-seelische Zusammenhänge sollen im
wesentlichen außer Betracht bleiben. Die Neurosen, bzw. die sog. Organneurosen,
referierend zu behandeln, ebenso wie letzten Endes die Überschneidung mit
neurologischen Fragestellungen bei inneren Krankheiten und die Erörterung
seelischer Veränderungen bei Nervenkrankheiten liegen gleichfalls außerhalb
des gestellten Themas. Die symptomatischen Psychosen, gegen die hin freilich
fließende Übergänge bestehen, werden bekanntlich von anderer Seite abge-
handelt.
Im vorliegenden Referate sollen vielmehr Arbeiten betrachtet werden, die
sich mit den Fragen leichterer seelischer Veränderungen bei körperlichem Krank-
sein befassen, sowohl mit dem Erlebnis des Krankseins überhaupt, wie mit see-
lischen Einflüssen auf Entstehung und Verlauf körperlicher Krankheiten; weiter
ist die Frage zu behandeln, ob einzelne innere Krankheiten in spezifischer Weise,
spezifisch für die Art der Krankheit, oder auch für bestimmte Typen, erlebt
werden, sowie ob bestimmte innere Krankheiten in einer vielleicht spezifischen
Weise die körperlichen Grundlagen des Erlebens ändern. Den beiden grund-
Johannes Schottky, Innere Krankheiten und Psychiatrie 289
sätzlich zu scheidenden, praktisch oft schwer zu trennenden Reihen, den ver-
ständlichen Zusammenhängen bei inneren Krankheiten wie auch den kausalen
Beziehungen soll also im Vorliegenden besondere Aufmerksamkeit geschenkt
werden. Die Schwierigkeiten solcher Untersuchungen liegen auf der Hand.
Dem Internisten, der wenig geschult ist im Beobachten und besonders im Be-
nennen psychischer Symptome, entgehen oft feinere seelische Veränderungen.
Der Psychiater sieht innerlich Kranke verhältnismäßig wenig, kann sie zumindest
gewöhnlich nicht lang genug beobachten. Die persönliche Eigenart der Kranken
vor der Krankheit ist meist nicht genügend bekannt usw. In jedem Falle kommt
es auf eine Vielzahl von Faktoren an. „Die Form der aus dem Seelischen teils
erzeugten, teils beeinflußten körperlichen Zeichen ist nicht nur für das Ver-
ständnis ihrer Entstehung höchst verwickelt (und sehr interessant!), sondern
auch in ihrer Erscheinungsweise nicht auslernbar vielseitig und — vieldeutig“
(Krehl). Wir wissen beispielsweise nicht einmal, welche feineren seelischen
Veränderungen einer bestimmten Ernährung, welche einem leichteren Fieber
zuzuschreiben sind. Ein Internist berichtete mir, daß die Anamnese nach Ab-
fieberung sich auffallend von der im Fieber gegebenen unterscheide. Sieht man
dabei von allen anderen Faktoren, die hier interferieren könnten, ab, so ist
schließlich noch zu beachten, daß nach neuerer Anschauung das Fieber selbst
nicht einmal etwas Einheitliches darstellt (s. bes. Georg Klemperer).
Wir teilen unser Gebiet im folgenden nach Organen, bzw. nach
Organsystemen ein und behandeln hier zunächst die Lungentuberkulose und
die Herzleiden. Dabei kommt es nicht sowohl darauf an, ob in irgend einem
Falle einmal eine Abweichung beobachtet worden ist, sondern ob Gesetzmäßig-
keiten und Regeln vorliegen. Hinweisend soll in diesem Rahmen auch, soweit
nötig, auf neuere, noch wenig bekannte Ergebnisse bzw. Zusammenfassungen
einzelner Fächer der inneren Medizin eingegangen werden. Der heutige Stand
des Fachwissens der inneren Medizin findet sich niedergelegt im Handbuch von
Mohr-Staehlin sowie in der Neuen Deutschen Klinik. Wollte man freilich den
großen Zug der Entwicklung der inneren Medizin in den letzten Jahren und
Jahrzehnten auf eine kurze Formel bringen, so könnte man sagen, daß die Be-
griffe der Konstitution, der Disposition, der Korrelation und der Funktion hier
immer stärker an Geltung gewonnen haben, gegenüber einer mehr lokalisa-
torisch-physiologisch und anatomisch denkenden Betrachtungsweise. Die zu-
sammenfassende Bearbeitung der 50 Kongresse für innere Medizin, die Georg
Klemperer geliefert hat, orientiert, nach Krankheitsgebieten geordnet, über
die Entwicklung seit 1882. Als zwei weitere programmatische Vertreter der
eben erwähnten, immer stärker anschwellenden Richtung seien noch v. Berg-
mann genannt und Ludolf Krehl, der in seinem Vortrag über Krankheitsform
und Persönlichkeit u. a. ausführte, die Weiterbildung liege in dem Eintritt der
Persönlichkeit als Forschungs- und Wertungsobjekt in die Medizin. Das bedeute
aber die Aufnahme des Irrationalen, weil Leben und Persönlichkeit letzten Endes
für uns irrational seien; die Forschung decke mehr und mehr den Zusammen-
hang der Teile auf, und in Wahrheit komme es (beim krankhaften Geschehen)
an auf ein höchst verwickeltes Zusammenwirken der aller verschiedensten Vor-
gänge; Körperliches und Seelisches gingen ganz ineinander.
Diese Zusammenhänge zwischen inneren Krankheiten und seelischer Eigen-
art, bzw. seelischen Veränderungen, haben immer wieder die Ärzte, besonders
290 Johannes Schottky
auch die der Romantik, beschäftigt. Ihre Hinweise sind freilich heute oft nur
schwer verwertbar. Im Rahmen einer Darstellung der symptomatischen Psycho-
sen hat Bonhoeffer in Aschaffenburgs Handbuch im Jahre 1912 auch kurz
über die hier in Frage stehenden Probleme berichtet, später (1928) hat Ewald
in Bumkes Handbuch das Thema behandelt. Doch liegt auch bei ihm begreif-
licherweise das Schwergewicht auf den symptomatischen Psychosen. Es sollen
daher im folgenden neben den seit Ewalds Bearbeitung erschienenen Arbeiten
auch solche berücksichtigt werden, die vorher erschienen, aber dort keine ent-
sprechende Würdigung finden konnten.
Mit einer immer mehr an Geltung gewinnenden personalen Betrachtungs-
weise hängt ee zusammen, daß man versucht, die Rolle einer inneren Krankheit
nicht nur für die Gesamtheit der augenblicklichen körperlichen und seelischen
Verfassung, sondern auch in ihrer Bedeutung für die Lebensgeschichte des Pa-
tienten zu begreifen. Wesentlich für den Kranken ist ja auch nie der objektive
Befund oder das rationale Wissen um diesen, sondern das „ autoplastische Krank-
heitsbild“ (Goldscheider), das sich der Kranke von seinem Leiden macht und
das von den verschiedensten Faktoren abhängig und beeinflußbar ist. Freilich
‚steht die Bearbeitung dieser Themen noch ganz am Anfang. Dem lebensge-
schichtlichen Moment ein Augenmerk zuzuwenden, ist dem Internisten bisher
weniger geläufig gewesen als dem Psychiater. Selbetverständlich bestehen beim
Erlebnis insbesondere einer chronischen Krankheit auch enge Beziehungen zum
Krüppeltum, dessen seelische Bedeutung bekanntlich von individualpsycho-
logischer Seite besonders gewürdigt worden ist. Auf die hier vorliegenden äußeren
Zusammenhänge kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
In dem Buch von v. Web über psychosomatische Zusammenhänge, zumal
über die körperlichen Ausdruckserscheinungen der Gefühle und die vom Gesamt-
zustand des Organismus beeinflußten Stimmungen, ist auch vom Erlebnis des
Krankseins die Rede. Der Verfasser, ausgehend von Forschungen über das vege-
tative System, beherrscht zugleich die Namengebung einer neueren philosophisch
orientierten Psychologie (Scheler).
Die Wirkung der akuten Krankheiten ist nach ihm beim Erlebnis des Krank-
seins von der der chronischen Krankheiten zu unterscheiden. Bei den akuten
Krankheiten wird das Erlebnis und die durch die Krankheit bedingte seelische
Umstellung nach wiedererlangter Gesundheit oft vergessen, bei erneutem Krank-
werden kann sie mit verstärkter Wucht wieder auftauchen. (Ob hier nicht be-
reits über die Erlebnisfaktoren hinaus kausale Zusammenhänge im engeren Sinne
anzunehmen sind ?) Die Situation des Kranken ist von der des Gesunden grund-
legend verschieden. Die viel stärkere Abhängigkeit von der Umwelt erinnert
an die Abhängigkeit des Kindes; infantile Züge treten bei den Kranken hervor.
Beim Kinde wird durch längere Krankheit künstlich ein Infantilismus erhalten.
Die Rekonvaleszenz bietet häufig Gelegenheit zu einer bis dahin nie dagewesenen
Besinnung. (Wie es scheint, mag auch dabei der körperliche Zustand eine be-
sondere Rolle spielen. Wir erinnern hier auch an Langes Mitteilung einer Per-
sönlichkeitsumwandlung nach schwerer Poliomyelitis mit anschließendem
Krüppeltum.) Weiter geht v. Wyß der Bedeutung des Lebensalters und der
Lebensstellung nach. Ein Mensch, der mit 20 Jahren aus der gewohnten Um-
gebung herausgerissen wird, wie etwa die Mehrzahl der Tuberkulösen, wird grund-
legend anders reagieren als der 10—20 Jahre ältere Mann. Auch soziale Unter-
Innere Krankheiten und Psychiatrie 291
schiede sind beim Erlebnis des Krankseins wesentlich. Weiter untersucht der
Verfasser die im Krankenhaus auftretenden Erlebnismöglichkeiten und Stel-
lungnahmen. Die Kranken verlangen nicht nur nach Heilung, sondern zugleich
nach Erhöhung ihres Daseins wie jeder gesunde Mensch. Letzten Endes gibt der
Charakter dem Krankheitserlebnis seinen Stempel. Bei vielen ist nicht die Krank-
heit, sondern die Überwindung des Leidens der Inhalt. (Aber nicht stets, es
kommt eben zuweilen nicht nur zu einer Enthüllung des Charakters, sondern zu
tiefgreifender Persönlichkeitsumwandlung auch bei dem gleichen Leiden, z. B.
der Lungentuberkulose; Gesetzmäßigkeiten darüber kennen wir noch nicht.) Zu
besonderer Stellungnahme kommt es bei den unheilbar Kranken. Die Frage
der Krankheitseinsicht, insbesondere bei ihnen, ist nicht nur eine Sache der
Urteilsfähigkeit, sondern zugleich eine Angelegenheit der Verdrängung. Gold-
stein sage, „der Organismus vermeidet Situationen, in welchen der Defekt
wirksam oder bewußt wird und setzt ihrem Eintreten einen heftigen Widerstand
entgegen. Der Kranke fühle nach Scheler im Krankheitsgefühl zugleich auch
Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen, Verzweiflung. Seelische Konflikte er-
langen bei körperlich nicht Gesunden eine besondere Bedeutung. Der Krank-
heitsprozeß selbst kann so mannigfaltigst beeinflußt werden. Über den Einfluß
des Schmerzes führt er Head an, daß der Kranke dadurch bald depressiv, bald
mißtrauisch oder bösartig gereizt wird. (Auch hier fehlen übrigens anscheinend
noch alle weiteren Untersuchungen über die Erlebnisbedeutung und evtl. die
physiologischen Wirkungen des Schmerzes auf das psychische Geschehen, über
den Einfluß eines einmaligen, den von wiederkehrenden und den von chronischen
Schmerzen.)
Der Frage, ob und wieweit seelische Einflüsse körperliche Krankheiten her-
vorbringen oder beeinflussen können, wurde verschiedentlich Beachtung ge-
schenkt. Der Internist Strümpell meinte einmal, nicht der kranke Magen
erzeuge die Hypochondrie, sondern die Hypochondrie mache den Magen krank.
Daß v. Wyß, ebenso Krehl, eine Möglichkeit derartiger Einwirkung annehmen,
wurde erwähnt. v. Web spricht auch davon, man dürfe vermuten, daß in dem
intentionalen Fühlen der Krankheitsgefühlszustände tatsächlich ein Moment
liegen möge, welches die organischen Symptome beeinflusse und ihnen eine Ge-
staltung zu Ausdruckssymptomen seelischer Erlebnisse zu geben vermöge. Doch
seien wir zurzeit nicht imstande, die Bedeutung derartiger Faktoren in der Ge-
nese und Entwicklung der organischen Symptome bei körperlichen Krankheiten
nachzuweisen. Die Anschauungen über eine biologische Schichtenfolge der Person
haben für diese Dinge manches Verständnis gebracht. Wir meinen hier insbe-
sondere die z. B. von J. H. Schultz wiederholt ausgesprochene Ansicht, die
auch Küppers sowie Heyer in ähnlicher Weise vertreten: nämlich die von
der Welt der Ionen und kolloidalen Reaktionsvorgänge über den endokrinen
Apparat und das vegetative System zum Zentralnervensystem aufsteigende
Schichtenfolge. Daß Einflüsse von der Psyche her bis zu den Ionenverhältnissen
möglich sind, beweisen nicht nur das suggestiv veränderliche psychogalvanische
Phänomen, sondern auch die von Heyer angestellten bekannten hypnotischen
Versuche. Cohn hat in einer älteren Studie über Gemütserregungen und körper-
liche Krankheiten manche Beobachtung auch älterer Autoren mitgeteilt. Der vor
wenigen Jahren von O. Schwarz herausgegebene Sammelband über Psycho-
genese und Psychotherapie körperlicher Symptome entspricht in ganz anderem
Neurologie V,7 21
292 Johannes Schottky
Maße einem neuzeitlichen Stand der Forschung und hält sowohl nach der medi-
zinischen wie nach der geisteswissenschaftlichen Seite hin lebendige Verbindung.
Die einschlägige Literatur über die psychische Beeinflussung von Organfunk-
tionen haben jüngst auch Heilig und Hoff zusammengestellt, in ihren theore-
tischen Vorstellungen auf der Lehre von den Pawlowschen bedingten Reflexen
fußend. Alkan vertritt in einem Buch über anatomische Organkrankheiten auf
seelischer Ursache die Meinung, jede körperliche Krankheit werde letztlich durch
Seelisches modifiziert, selbst der Heilungsverlauf einer Wunde werde durch die
Affektlage des Kranken und die dadurch bedingten Säureschwankungen beein-
flußt. Beiläufig sei erwähnt, daß v. WyB über für bestimmte Leiden charak-
teristische Veränderungen des mimischen Ausdrucks, insbesondere der Gesichts-
mimik und der Körperhaltung, zu berichten weiß. Nach Krehl ist dem erfah-
renen Arzt schon allein daraus oft die Stellung einer Diagnose möglich, doch liegt
nach v. Web hier ein noch völlig unerforschtes Gebiet vor.
Es handelt sich jedoch nicht nur allgemein darum, ob Unterschiede zwischen
akuten und chronischen, leichten und schweren, heilbaren und unheilbaren
Krankheiten bestehen, sondern zugleich darum, ob Zusammenhänge zwischen
der Eigenart einzelner innerer Krankheiten und einem besonderen psychischen
Verhalten vorhanden sind. Eine solche Fragestellung kann mit der nach der
Spezifität bestimmter symptomatischer Psychosen nicht recht verglichen werden;
handelt es sich doch hier nicht um bestimmte vorgebildete Reaktionstypen des
Gehirns, sondern um von der Gesamtfunktion des Organismus abhängige Vor-
gänge, die viel feiner sind als diejenigen, die einen Reaktionstyp auszulösen ver-
mögen. Wir erinnern an Kretschmers Anschauung, daß letztlich jedes Gewebe
und Organ im Körperhaushalt seinen endokrinen Einfluß geltend mache. Von
manchen Autoren wird geradezu davon gesprochen, daß durch derartige Stö-
rungen bedingte seelische Veränderungen beim Anschwellen der Noxe ver-
schwinden, bis dann bei massiver Vergiftung der Reaktionstyp der symptoma-
tischen Psychose hervortritt.
Lungentuberkulose.
Die Frage nach seelischen Veränderungen ist besonders gern in bezug auf
die Lungentuberkulose aufgeworfen worden, sowohl von Internisten wie Psych-
iatern, leider in vielen Fällen mit begrifflich oder stofflich unzureichendem Mate-
rial. Der Stoff verlangt eben gleichzeitig eine genaue internistische Verfolgung des
körperlichen Befundes, wie auch Erfahrung im Beobachten und Benennen see-
lischer Abweichungen. Schon im Altertum wurde zwar von Schwindsucht ge-
sprochen, jedoch ist dieses klinische Bild erst im vorigen Jahrhundert durch
pathologisch-anatomische Untersuchungen fester umgrenzt worden, bis schließ-
lich 1881 Koch den Tuberkelbazillus entdeckte und damit die einzig sichere Basis
für alle weiteren Anschauungen schuf. Das muß bedacht werden, wenn man die
ältere Literatur, die z. B. Buri in einer 5 Jahre nach der Kochschen Ent-
deckung erschienenen Dissertation über das Verhältnis der Tuberkulose zu den
Geisteskrankheiten umfangreich mitgeteilt hat, kritisch verwerten will.
Bereits im Jahre 1830 wollte Jacobi gewisse Züge seiner Siegburger An-
staltsinsassen auf die Tuberkulose zurückgeführt wissen.
„Das Charakteristische besteht eben in jenen Äußerungen von regellosen
Gemütsbewegungen, von Grillenhaftigkeit, jenem Hin- und Herschweben in
Innere Krankheiten und Psychiatrie 293
launenhafte Extreme ohne Veranlassungen, das alle Urteile, Gefühlsäuße-
rungen, Handlungen solcher Kranker so eigentümlich bezeichnet, daß es mir
schon seit geraumer Zeit als Hilfsmittel zur Diagnose dient, sowie dies auch
von anderen Ärzten, denen ich meine Kranken zeigte, anerkannt wurde.“
Bei diesen immer wieder vermuteten Beziehungen wird aber auch in der
neueren Literatur die Vielzahl der Faktoren nur selten soweit gesichtet, daß
Schlüsse daraus zu ziehen wären. Die Unterscheidung zwischen verständlichen
Zusammenhängen und nur kausalen (organischen) Beziehungen wird oft nicht
nur vernachlässigt, sondern nicht einmal gesehen.
Jessen unterschied freilich schon 1902 psychogen entstandene Schädi-
gungen neben groben organischen Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute,
ferner durch die Gifte des Bazillus und anderer Mikroorganismen, sowie durch
den Gewebszerfall hervorgerufene, ja sekundär auf dem Umwege über die Schä-
digung anderer Organe bewirkte Veränderungen und letztlich solche, die durch
Störung des Kreislaufes, der Gefäße, der Blutverteilung, des Herzmuskels oder
der Bildung der roten Blutkörperchen bedingt werden. Bereits Jessen, nicht
erst v. Muralt, spricht von einem tuberkulösen Charakter, in Anlehnung wohl
an Buris phthisischen Charakter, weiter davon, daß manchmal die nervösen Er-
scheinungen der manifesten Körperkrankheit vorausgehen, so daß man ge-
wissermaßen von einem „Übergang aus der Neurose zur Tuberkulose“ sprechen
kann, schließlich von unterscheidbaren seelischen Veränderungen zu Beginn, bei
Exazerbation und gegen Ende des Leidens. Charakteristisch scheint Jessen
die Ungleichheit der Gemütsstimmung, sowie vor allem eine niedrige Reizschwelle
gegenüber Eindrücken der Umwelt, eine gradweis verschiedene Urteilsschwäche
und gesteigertes Mißtrauen, rasches Erlahmen der Arbeitskraft und Wechsel in
den gesteckten Zielen. Die Stärke dieser „reizbaren Schwäche“ ist abhängig von
der Anlage. Jessen findet bemerkenswerte Unterschiede gegenüber anderen
körperlichen Leiden, vor allem darin, daß die Veränderungen schon zu einer Zeit
auftreten, wo noch keine deutliche Schwäche da ist. Daß überhaupt bei der
Mehrzahl der tuberkulös Erkrankten seelische Veränderungen in der angedeuteten
Richtung bestehen, wird immer wieder in irgend einer Form von den Autoren
betont, wenn auch von manchen, z.B. Hanse, Ewald, auch Meerson der Aus-
druck „tuberkulöser Charakter“ im strengeren Sinne abgelehnt wird. Unter den
zahlreichen lehrbuch- und handbuchmäßigen Hinweisen erwähnen wir nur
Staehelins Bemerkungen im Handbuch von Mohr-Staehelin.
Die peychogenen Veränderungen, die zunächst betrachtet werden sollen,
können mannigfachster Art und in vielem sicher unspezifisch sein: Neben das Er-
lebnis des Krankwerdens und Krankseins schlechthin kann das Wissen um be-
vorstehendes chronisches Siechtum, können weiter die seelischen Wirkungen
solchen Siechtums, wiederum mannigfach verschiedenartig bedingt, treten, ferner
das Wissen, eine ansteckende Krankheit zu haben, die Notwendigkeit, der Fa-
milie und dem Beruf lange Zeit, oft unbestimmte Zeit fernbleiben zu müssen usw.
Diesen Erlebniszusammenhängen ist Erich Stern in mehreren Veröffent-
lichungen, zuletzt in einer Monographie, nachgegangen, in der vielfach auch
Probleme des Krankheitserlebnisses überhaupt, des Verhältnisses von Arzt und
Patient usw. behandelt werden.
Stern untersucht den Einfluß bestimmter äußerer Faktoren wie des Er-
lebnisses der Lungentuberkulose, der Behandlung, des Sanatoriumsaufenthalts
21“
294 Johannes Schottky
auf die Psyche des Lungenkranken. Toxische Einflüsse werden nach seiner
Meinung heute stark überschätzt. Ihm sind die Erlebniszusammenhänge wichtig.
Er unterscheidet typisch und individuell eigentümliche Faktoren und rechnet
zu den ersteren Lebensalter, Geschlecht und Nationalität. Wichtig sind die Er-
fahrungen, die der Kranke bereits machen konnte, sein Wissensbesitz, sein
Temperament, seine Einstellung zur Welt und zum Leben schlechthin, seine
Einstellung zur Krankheit und, besonders im Anfang, zu den einzelnen Sympto-
men; wichtig ist, obdie Krankheit akut oder schleichend einsetzt, ferner die voraus-
sichtliche Dauer der Krankheit, die wirtschaftliche Lage und die Art der Be-
handlung. Erst nach der Mitteilung der Diagnose erlebt der Kranke nicht mehr
Symptome, sondern jetzt „die Krankheit“. Stern unterscheidet verschiedene
Stellungnahmen: Schock, oder Befriedigung darüber, daß Müdigkeit, Schmerzen
usw. doch nicht Einbildung gewesen seien, oder den Versuch, Vorteile aus der
Erkrankung zu ziehen, das Streben, sich gegen die Krankheit aufzulehnen, die
Resignation, die die Krankheit als Schicksal erleben läßt, die Stellung derjenigen,
die sich des Leidens schämen, und die objektive Stellungsnahme. Beim chronisch
Lungenkranken kommt es zu einem Wegfall der normalen Ziele und Antriebe, zu
einer durch die Kur bedingten Hinwendung auf sich selbst. Die Krankheit wird
zu einer überwertigen Idee, der Gedankenkreis ist eingeengt, altruistische Re-
gungen verschwinden. Der Kranke denkt mehr über sich und seine Zukunft nach,
er hat stärker das Bedürfnis zu sprechen, aber auch Mißtrauen und Gereiztheit
wachsen. Auch ökonomische Fragen sind von Wichtigkeit: wer für ihn zahle,
welcher Verdienst ihm entgehe usw. Die Faktoren Furcht und Hoffen haben für
den chronisch Lungenkranken ganz besondere Bedeutung. Das Verhalten der
Umgebung ist wichtig. Oft ändert sich bei chronisch Kranken die Einstellung
zu anderen Menschen. Bisweilen wächst eine allgemein pessimistische Stim-
mung; eine nicht unbeträchtliche Zahl der Kranken gelangt zu religiöser Ein-
kehr. Wo Krankheit als Schicksal aufgefaßt wird, ist der Wille gelähmt. Oft ver-
sagt der Kranke, wenn er gründlich Kur machen soll, insbesondere bei gering-
fügigen Beschwerden. Manchmal entwickelt sich, um noch möglichst viel zu
genießen, ein ausgesprochener Leichtsinn, andere aber triumphieren mit ihrem
Willen über die Krankheit. Durch langjährige Gewöhnung an die Krankheit
wird der Weg ins Leben oft geradezu verbaut. Manche schaffen sich neue Berufe
oder flüchten in die Phantasie. Das Erlebnis des Alterns wird durch die kranke
Umgebung und durch die eigene Krankheit oft in einem noch ziemlich jungen
Lebensalter vorweggenommen. Weiter wird auf die Einflüsse der naturellen !)
und kulturellen Umwelt eingegangen, in die der Kranke kommt (am Beispiel der
Krankenstadt Davos). Die Bedeutung der Tieflandsehnsucht, der Sehnsucht
nach dem Frühling im Flachland wird gewürdigt.
Zum Einfluß des Sanatoriumlebens rechnet Stern die Wirkung der völlig
neuen Umgebung nach Aufgabe des heimatlichen Lebens- und Wirkungskreises
auf lange, oft unbekannte Sicht, ferner die zwischen Arzt und Patient spielenden
Beziehungen, besonders in ihrer Wirkung auf Wohlbefinden und Zuversicht der
Kranken, auf ihre Behandlung und Heilung, schließlich das Kurmachen selbst
in seinen besonderen Bedingungen.
1) Weitere Literatur über dieses wichtige Grenzgebiet siehe bei Blum (bes.
auch Hell pach, de Rudder).
Innere Krankheiten und Psychiatrie 295
Hinsichtlich des Sexuallebens der Sanatoriumspatienten (daß es gesteigert
sei, werde kaum bestritten werden können) nimmt Stern an, daß auch hier,
ohne die Möglichkeit organischer Beziehungen in Abrede stellen zu wollen, die
veränderten Lebensbedingungen eine entscheidende Rolle spielen, abgesehen
natürlich von der Bedeutung der ursprünglichen Triebstärke (Mangel an Be-
wegung, reichliche Ernährung, Ruhigstellen des Geistes, dauerndes, durch nichts
beeinträchtigtes Zusammensein mit dem anderen Geschlecht, Gefühl der Verein-
samung, mangelndes Heim, Mitleid, bei Frauen das Wissen um die Notwendig-
keit einer Schwangerschaftsunterbrechung). Das sexuelle Interesse tritt vikariie-
rend für die normale Lebensbetätigung ein. Allgemeine Krisen haben nicht
selten sexuelle Krisen im Gefolge. Sexuelle Erlebnisse wirken noch stärker als
alle anderen auf die Erkrankung selbst wiederum ein.
Im Gegensatz zu Stern vertreten andere Autoren die Ansicht, daß die
Steigerung der Sexualität Tuberkulöser vorwiegend organisch bedingt, zum
mindesten aber, daß die Libido auf diesem Wege gesteigert sei. Staehelin, auch
Ewald, glauben, daß toxische Einflüsse zumindest stark mitwirken. Schlapper
schreibt, daß die Potenz noch zu einem Zeitpunkt erhalten sei, wo man es nach
dem allgemeinen Zustande kaum mehr für möglich halten sollte; Ganter nimmt
eine erregende Wirkung auf die sexuellen Zentren an. Eversbusch dagegen ist
mit Stern der Meinung, die gesteigerte Erotik habe in äußeren Dingen ihren
Grund, und auch Bochalli möchte allgemein den Erlebnisfaktoren eine größere
Rolle zuweisen.
Stern behandelt weiter typisierend die verschiedenen Verhaltensweisen bei
der Heimkehr aus dem Sanatorium. (Hier, wie auch an anderen Stellen zeigt
sich übrigens die Vergleichbarkeit der äußeren Lage der Lungenkranken mit der
vieler Geisteskranken.) Die Tuberkulose ist nach Stern in ihrem Verlaufe in
weitem Ausmaße von psychischen Faktoren abhängig. Jeder organisch Kranke
bedarf peyohischer Beeinflussung, insbesondere aber der Tuberkulöse. Dabei
begreift Stern in die Psychotherapie auch Faktoren wie die soziale Wiederein-
gliederung mit ein. Erwähnenswert ist seine Schätzung des Wertes systematisch
sinnvoller Beschäftigung, insbesondere für die leichter Kranken, ein Thema, zu
dem sich auch Kollarits mit Vorschlägen geäußert hat. In der Heilstätte Agra
bei Lugano ist unter Alexander seit Jahren die Arbeitstherapie, zumal für Aka-
demiker, eingeführt, ähnlich von Voûte in Montana, von Rollier in Leysin, hier
für „chirurgisch‘‘ Tuberkulöse. In Davos kommen Tuberkulöse auch anderer
Kurorte zu Hochschulkursen zusammen. Sterns Vorschlag, Gruppen zu bilden
und in ihnen ein gemeinsames, oberhalb des gewöhnlichen liegendes Niveau
herzustellen, kann mit der bekannten, das soziale Moment berücksichtigenden
Neurotikerbehandlung v. Weizsäckers verglichen werden. Immer wieder wird
von Stern übereinstimmend mit fast allen Autoren betont, wie es gerade bei
der Behandlung der Lungentuberkulösen besonders auf die Persönlichkeit des
Arztes ankomme, der zugleich Nähe gewinnen und Distanz halten und insbeson-
dere auf die Lebensgeschichte des Patienten eingehen müsse. Wie beim Neuro-
tiker treten auch beim Lungenkranken gewisse Infantilismen wieder hervor
(Jessen u. a.) oder bleiben erhalten (nach v. WyB hat überhaupt der chronisch
Kranke gewisse Züge mit dem Kinde gemein), so daß die besondere Bedeutung
des Problems Arzt — Patient für die Tuberkulösen schon daraus erhellt (Jessen,
Amrein, Stern, Pollak, Kollaritsu.a.). Auf das Allgemeine dieser, von der
296 Johannes Schottky
peychoanalytischen Seite bekanntlich besonders beleuchteten Frage kann hier
nicht näher eingegangen werden (vgl. auch Klare, H. Hoffmann).
Während Stern seine Erfahrungen an Sanatoriumspatienten sammelte, hat
sich Herich mit der Psyche der Heilstättenkranken befaßt und auf die Unter-
schiede je nach sozialer Lage hingewiesen (ähnlich auch Bochalli). Ent-
sprechend seinem Material verspricht sich Herich von der elementaren Psycho-
therapie Erfolge. Besondere Beachtung und individuelle Behandlung verlangten
Rentner und Kriegsbeschädigte. Beachtlich scheint seine Beobachtung, daß die
Kranken polnischer Abstammung (aus dem Ruhr-Kohlenbezirk) im Gegensatz
zu dem Verhalten andersstämmiger Patienten aus gleichen Kreisen sich seelisch
besonders labil und empfindlich zeigten. Beobachtungen aus Polen selbst be-
stätigen dies. Auch Amrein erwähnt, daß die Einstellung zur Krankheit und
das Verhalten während der Krankheit je nach Rasse wesentlich verschieden seien,
einerseits bei Griechen, Arabern und Spaniern, anderseits bei Deutschen und
Skandinaviern. Untersuchungen darüber, ob hier der Lungenkrankheit oder dem
Kranksein überhaupt die Hauptursache zuzuschreiben sei, liegen unseres
Wissens nicht vor.
Der Internist F. Klemperer berichtet über beachtenswerte Suggestiv-
versuche von Albert Mathieu an Tuberkulösen und meint, die seelische Be-
einflussung müsse einen integrierenden Bestandteil der allgemeinen Behandlung
bilden. Auf dem Wege über das autonome Nervensystem und die endokrinen
Drüsen wirkt nach Klemperer der seelische Einfluß funktionssteigernd, zell-
aktivierend, resistenzvermehrend. Appetit und Schlaf werden maßgebend be-
einflußt; auch die Immunisierungsvorgänge werden gefördert. Doch beschränkt
sich dieser Einfluß auf die beginnenden und leichteren sowie die schwankenden
chronischen Fälle. Mathieu sage, die Tuberkulösen lebten auf, sobald man sich
mit ihnen beschäftige. Dettweiler hat übrigens bereite auf dem 6. Kongreß
für innere Medizin im Jahre 1887 die psychischen Einflüsse gewürdigt. Von
ihm stammt der drastische Ausspruch: Der Tuberkulöse sterbe nicht an seiner
Krankheit, sondern an seinem Charakter.
In einer Reihe von Veröffentlichungen, die langjähriger Erfahrung und
Beobachtung entstammen, hat sich Kollarits mit dem Problem der seelischen
Veränderung Tuberkulöser befaßt und ist darüber hinaus auch auf die Fragen
des chronisch Krankseins überhaupt, der seelischen Führung chronisch Kranker
usw. eingegangen. (K. ist selbst seit vielen Jahren lungenkrank und lebt in
einem Schweizer Kurort.) Eine seiner Arbeiten beschäftigt sich in Anlehnung
an eine Veröffentlichung von A. L. V. Fischer (, Zur Psychologie der Kriegs-
gefangenen“) mit den „Stacheldrahterscheinungen‘‘ bei langdauernden Sana-
toriumspatienten (Beraubung der Freiheit auf unbekannte Dauer in Gemein-
Schalt), An anderer Stelle teilt er auch mit, daß sich dauernd subfebrile, selbst
junge Patienten Zahlen und Namen auffallend schlecht merken könnten. Er
hat weiter über eine bestimmte Art der Lesestörung (dysjunktive Legasthenie)
berichtet und weist auf Luniewski hin, der eine Herabsetzung der Leistung
bei fortlaufendem Addieren fand, Dinge, die freilich eine mehrfache Erklärung
(Einstellstörung) zulassen.
In einer letzten Arbeit (Wie leitet der Charakter den Kampf gegen die
Tuberkulose ?) berührt Kollarits gleich Stern das Thema der Beeinflussung
der Körperkrankheit durch Seelisches. Von Schlapper wird über Sistieren einer
Innere Krankheiten und Psychiatrie 297
Blutung bei Erscheinen des Arztes berichtet, über plötzliche Fieberfreiheit bei
erwünschtem Besuch, umgekehrt über Einsetzen des Fiebers 3 Tage vor der
geplanten Entlassung. Auch Stern führt mehrere Beispiele von Kranken an,
die in entsprechender Situation Blutung, Pleuraerguß oder hohes Fieber bekamen.
Weiter hat Turban drei einschlägige Fälle beschrieben, die stationär geworden
waren und durch Gemütsbewegungen ganz plötzlich eine bedeutende Ver-
änderung des Zustandes zeigten, in einem Fall eindeutig bis auf das Blutbild
übergreifend. Auch Strandgaard hat über psychische Einwirkungen berichtet,
wie übrigens schon Jessen, ebenso Römisch vor ihm. Hellpach erwähnt in
solchem Zusammenhange, daß bei Kindern die besten Heilungsergebnisse durch
einen Wechsel zwischen Einschulung und Liegekur erzielt wurden. Ein Einfluß
der seelischen Haltung und der Stellungnahme zur Krankheit auf die Heilung
wird überhaupt von vielen Autoren angenommen (u. a. Peterson, Köhler).
Wer eine gewisse Zeit in einem Sanatorium aufmerksam das Schicksal langjähriger
Patienten verfolgen konnte, wird beobachtet haben, daß psychisch bedingte
Temperatursteigerungen und Blutungen fast zu dem selbstverständlichen Wissen
älterer Sanatoriumsinsassen gehören. Doch ist wohl noch nie versucht worden,
hier systematisch und kritisch die Beobachtungen zu sichten.
In einer kurzen aber wesentlichen Studie berichtet Duken über die Schäden
eines langen Krankenhausaufenthaltes bei Kindern und seine Versuche zur Ab-
hilfe. Er ging aus von der Schwierigkeit, die Kinder nach längerem Aussetzen
wieder einzuschulen, nicht wegen ihrer mangelnden Kenntnisse, sondern wegen
ihres veränderten Charakters. Als Bestes hat sich ihm zur Führung der Kinder
im Krankenhause die Angleichung an das System des Familienleiters in Land-
erziehungsheimen bewährt. Wie man Kinder durch die Mutter zu heilen pflege,
so müsse auch die Jugendleiterin ganz aufgehen im Dienst, es komme auf rest-
loses Zusammenleben mit den Kindern an. Amrein bespricht die besondere
Wirkung und die näheren Bedingungen des langen Krankenhaus- und Sana-
toriumsaufenthaltes auf Kinder und Heranwachsende, zumal während der Puber-
tät. Zwei Arbeiten von Simson über psychische Veränderungen bei tuberku-
lösen Kindern erwähnen „Neurotisation“ und „Schizoidisation“ des Charakters.
In einer neueren Veröffentlichung hat Köhler, ähnlich wie Duken in bezug auf
die Kinder, für die Erwachsenen die Frage aufgeworfen, was zu tun sei, wenn
der Kranke körperlich gesunde, aber geistig verfalle, und besonderen Wert auf
Schicksal und Lebensstimmung Tuberkulöser gelegt. Er zieht Vergleiche mit
anderen chronisch Kranken, ja mit allgemeiner körperlicher Fehlerhaftigkeit,
und will dadurch eine Steigerung der geistigen Leistung und Vertiefung der
Lebensstimmung hervorgerufen wissen. Er anerkennt gleich Stern die be-
sondere Bedeutung der Erlebnisfaktoren und macht Vorschläge zur Überwindung
des Tuberkuloseschicksals. Gedankengänge über die psychische Beeinflussung
bei Lungentuberkulösen, wie sie Köhler, Stern, Duken äußerten, sind
u. a. auch von Margarete Levy ausgesprochen worden. Mit Köhler scheint
auch ihr die rechte Auswahl der Patienten für das Lungensanatorium besonders
wichtig. Die von Stern verlangte Anstellung besonderer Psychotherapeuten
wird von ihr wie von den meisten Autoren abgelehnt. E. R. Jaensch stellte
mit seinen Methoden fest, daß der bei Tuberkulösen zu 75% gefundene S-Typ
(Synästhetiker) durchweg der lytischen Form dieses Typs angehörte (Tendenz
zur Erweichung und Auflösung aller Strukturen).
298 Johannes Schotty
Der Anteil, der den nur kausalen Faktoren bei der Ausgestaltung des peychi-
schen Bildes der Tuberkulösen gegeben wird, ist verschieden groß und wird
vielfach von den Autoren überhaupt nicht klar herausgearbeitet. Die große
Schwierigkeit einer solchen Sonderung ist nicht zu verkennen. Mußte schon
bei der Erlebnis wirkung, neben dem Anteil des Krankseins überhaupt, nach dem
der Spezifität des befallenen Organs oder der wirkenden Noxe gefragt werden,
so erheben sich dazu bei den kausalen Bedingungen Fragen derart, wieweit all-
gemein nur Fieber oder Gewebseinschmelzung oder Funktionsbehinderung bzw.
wieweit eine spezifische Wirkung der Erreger anzunehmen sei, weiter, ob diese
Wirkung unmittelbar (humoral) auf das Zentralnervensystem oder mittelbar
auf dem Umwege über die Schädigung anderer Organe, etwa innerer Drüsen oder
des Herzens ausgeübt wird. Eine derartige sekundäre Schädigung, etwa eine
Herzaffektion, könnte weiter ihrerseits wieder erlebnismäßig sich auswirken
usw. Zunächst müßte stärker zwischen dem Initialstadium, dem Stadium der
langjährig chronisch Kranken und dem Zustande der schweren, unheilbaren
und letalen Fälle unterschieden werden. Weiter müßte in späteren Untersuchungen
besonders auf das Verhalten Kranker innerhalb der Familie oder in dem ge-
wohnten Rahmen einfacher Krankenhäuser geachtet werden, um so die bereite
erwähnten Sanatoriumseinflüsse auszuschalten. Offenbar bestehen auch Unter-
schiede erlebnismäßiger Art, je nachdem der schwer Kranke in einem Saale
mit Leidensgenossen oder allein liegt. In letzterem Falle tritt nämlich die
Euphorie erheblich deutlicher in Erscheinung. (Zur Beurteilung älterer Arbeiten
sei erwähnt, daß im Jahre 1859 Görbersdorf als erstes Lungensanatorium von
Brehmer gegründet worden ist.) Auf die Zusammenhänge mit Ausbreitung und
Art der tuberkulösen Erkrankung (exsudative, proliferative, zirrhotische Form,
einlappig, einseitig, doppelseitig, rasch fortschreitend oder lange stillstehend)
ist gleichfalls bisher nur wenig Gewicht gelegt worden. Es dürften sich hier viel-
leicht ebenso wesentliche Unterschiede ergeben, wie die ab und zu erwähnten
Einflüsse der Temperatursteigerung, des Hustenreizes und der Schmerzen, zumal
ja auch Unterschiede bei verschiedener Lokalisation des gleichen Infektes be-
schrieben worden sind. (Nächst der Lungentuberkulose soll die Peritonealtuber-
kulose am ehesten psychische Veränderungen setzen, kaum dagegen nach An-
sicht vieler Autoren die Knochen- und Gelenktuberkulose.) Auch auf die noch
zur Verfügung stehende Größe der Atmungsfläche wird nur vereinzelt hinge-
wiesen. Bedenkt man die große biologische Bedeutung des Atmens, weiter die
enge physiologische Verflechtung mit der Tätigkeit des Herzens, sowie den
Ausdruckscharakter und die psychische Bedeutung, die beiden zukommen
(v. Wyss, Heyer), so erscheint die Notwendigkeit genauerer Feststellung
des jeweiligen Lungenzustandes eigentlich durchaus notwendig.
Bonhoeffer glaubt nur von der Euphorie und dem Optimismus in den
Endstadien, daß sie einigermaßen durch das Grundleiden bedingt seien, er führt
dagegen oft genannte Eigenschaften wie Reizbarkeit, Überempfindlichkeit,
emotionelle Schwäche, Egoismus usw. auf den Einfluß der chronisch konsumie-
renden Krankheit überhaupt zuück. Auch v. Wyss sieht typische Veränderungen
erst in vorgeschrittenen Stadien als sicher an. Außerdem ist nach ihm auch
das Lebensalter bzw. das Erkrankungsalter von Wichtigkeit. „ Bei Patienten vor-
gerückten Alters kennen wir einen eigentlichen tuberkulösen Charakter nicht.“
(Dabei erörtert er nicht, ob jüngere Patienten leichter psychisch beeinflußbar
Innere Krankheiten und Psychiatrie 299
oder leichter toxisch zu schädigen sind.) Bei Anerkennung der Erlebnisfaktoren
und Milieufaktoren für die frühen und mittleren Stadien scheint ihm die in den
Endstadien immer wieder beobachtete heitere, manchmal fast begeisterte Selbst-
täuschung vorwiegend organisch bedingt zu sein. Ganter nennt sie besonders
charakteristisch. Bochalli umgrenzt sie als vollkommenen Gegensatz zwischen
seelischer Hoffnungsfreudigkeit und körperlichem Verfall. Manchmal über-
wiegt freilich auch Verzweiflung und Todesangst (v. Wy B). Staehelin sah
neben oft unerklärlicher Verkennung des Zustandes auch Fälle, die klar die ganze
Hoffnungslosigkeit einsahen. v. WyB zieht Vergleiche mit der Sepsis (desgl.
Hoffstädt, Schlapperu. v. a.) und Urämie, hat dagegen bei Karzinomkranken
nie derartiges beobachtet. Ob bei der Euphorie spezifische Faktoren allein maß-
gebend sind, ist ihm noch nicht entschieden.
Diese Euphorie, nicht nur dem Internisten, sondern auch dem Psychiater
wohlbekannt, beschreibt Kraepelin als unbegreifliche Zuversicht und Unter-
nehmungslust. Bochalli äußert sich ähnlich. Hellpach nimmt vergleichend
noch Basedowfälle, rückgreifend auf die Monographie von Möbius, und gich-
tisch Kranke hinzu. Charakteristisch scheint ihm bei dieser „eigentümlich sub-
jektiven Vitalität‘‘ die Unbedenklichkeit, mit der das Leben aufs Spiel gesetzt
wird, und der stürmische Drang, es auszuschöpfen. Er erwägt, ob die Sucht, sich
grell zu kleiden, bei vielen nach Wirbelkaries Ausgeheilten und Verkrüppelten
eine leise Spielart dieser Euphorie sei. (Zum mindesten müßte hier auch an
eine Überkompensation des Defektes gedacht werden.) Hellpach weist auch auf
die Tatsache hin, daß viele andere Krankheiten, Arthritis deformans, Grippe,
Magen-Darmerkrankungen, Pankreas- und Stoffwechselleiden zu einer seelischen
Herabstimmung führen. Amrein bedachte den Einfluß der Unterernährung,
der Stoffwechselstörung, der Einschränkung der Muskelarbeit, wie denn z. B.
auch Kraepelin neben der Wirkung des Erregers diejenige der Mischinfektion,
der Entkräftung und der langsamen dauernden Fieberbewegungen erwog. Es
handelt sich bei diesen Bedenken wesentlich um die schon von Hagen aufgewor-
fene Frage, ob der Erkrankung der Lunge oder der Tuberkulose selbst die Haupt-
ursache zuzuschreiben sei. Genaue Vergleiche mit den an Bronchiektasien Leiden-
den könnten beim Gleichsein aller übrigen Faktoren die Frage vielleicht einer
Klärung nähern. Soweit der Begriff der Euphorie überhaupt etwas strenger ge-
faßt wird und nicht bloß Stimmungsschwankungen während des Verlaufes der
Erkrankung darunter verstanden werden, ist man sich über die ganz vorwiegend
organische Ursache wohl einig. Selbst Stern meint, daß hier organische Faktoren
im Spiele seien, desgleichen Meerson.
Creischer, der die Euphorie für vorübergehend hält und von einer erzwun-
genen euphorischen Haltung spricht, hat wohl mehr jene allgemeinen Verände-
rungen langjähriger Kranker überhaupt im Auge. Liebermeisters Annahme,
der tuberkulöse Charakter sei nur eine milde Form des manisch-depressiven Irre-
seins, kann nicht bejaht werden. Turban u. a. bringen die Euphorie vor dem
Ende mit einer Kohlensäureintoxikation in Verbindung, Santos Rubiano
nennt daneben den Sauerstoffmangel.
Kollarits hat in seiner Arbeit über die Euphorie diesen Begriff sehr ein-
geengt. Er will ihn mit Recht nicht kritiklos auf jede Art von vielleicht vorüber-
gehender lustiger Stimmung angewendet wissen, ebensowenig auf eine subletale
Desorientierung über die eigene Lage. Bei vielen Fällen mit sog. Euphorie sieht
300 Johannes Schottky
er im Zustandsbild zugleich das Unruhige, Hastige, Schwankende, eher Unlust-
betonte, Erregte. Angaben über die Wirkung vorübergehender oder langdauernder
subfebriler Temperaturen sowie kleiner Tuberkulindosen auf das seelische Ver-
halten sind ebenso bemerkenswert wie der Vergleich mit der Ruhe und dem
Optimismus vieler langjährig kranker Luiker, z. B. Tabiker. Dieses dem Gesunden
kaum begreifliche Verhalten hängt nach Kollarits vom Charakter ab. Im übrigen
anerkennt auch er Toxinwirkungen neben der Kohlensäurewirkung in fortge-
schritteneren Stadien.
Hoffstaedt geht in seiner Arbeit über die Euphorie von den neueren
Anschauungen über psychophysische Wechselwirkungen aus (Veränderung des
Serumkalziumspiegels, Verdauungsleukozytose in der Hypnose usw.). Er ver-
gleicht die Wirkung verschiedener Gifte mit den vegetativen Störungen beim
Phthisiker (Schweiße, Herzklopfen, Glanzauge, Dyspepsien, Frösteln, Störungen
der Menstruation usw.). Bei fast allen tuberkulös Kranken findet er eine vege-
tative Übererregbarkeit (Jaenschs B-Typ). Wenn auch heute die Begriffe
Vagotonie und Sympathikotonie nicht aufrecht zu erhalten sind, so läßt sich
doch sagen, daß es sich um exquisit vegetativ Stigmatisierte handelt. Er nimmt
eine besondere Affinität der Toxine zum vegetativen System an. Bei der Euphorie
wird dann in den schwereren Graden der Erkrankung diejenige Giftkonzentration
erreicht, bei der der narkotische Effekt die anfänglichen Unlustempfindungen
aufhebt. ,
Die erwähnten vegetativen Veränderungen sind im einzelnen schon länger
bekannt und beschrieben und werden auch von neueren Autoren, zumal im Hin-
blick auf die Zusammenhänge des vegetativen Systems mit dem endokrinen
Apparat, betont. So erwägt Brandenberg, wie weit nicht eine Schädigung der
Psyche auf dem Umweg über das Inkretorium möglich sei. Roepke, auch
Creischer, meinen gleichfalls, die nervösen Schädigungen befielen vorwiegend
das vegetative System. Sie können das Bild so beherrschen, daß das organische
Grundleiden nicht erkannt wird. Übrigens will Roepke für die späteren Stadien
auch einen Einfluß der gegebenen Narkotika anerkennen. Noch stärker schätzt
Bernstein die Wirkung der narkotischen Mittel ein. Volochov hält die
Schwankungen des vegetativen Tonus für überaus bezeichnend. Auch in einer
Arbeit von Ssucharewa über die Psychopathologie der Tuberkulose bei Kin-
dern werden die vegetativen Störungen besonders gewürdigt. Den Zusammen-
hängen zwischen Tuberkulose und vegetativem System sind neben Käding
weiter Michijew und Pawljutschenko nachgegangen. Die Autoren, vor-
wiegend organisch eingestellt, bringen z. B. die gesteigerte Sexualität mit der
Nukleinsäure in Verbindung, die sowohl einen Teil des tuberkulösen Toxins wie
auch des Spermas bilde. Weiter erwähnen sie einschlägige Stoffwechselunter-
suchungen. Pathologisch-anatomisch wollen sie Zelldestruktionen der Kerne,
Gliose und Gefäßveränderungen in den vegetativen Zentren gefunden haben,
insbesondere im dorsalen Vaguskern, sowie im Nucleus paraventricularis und
Nucleus supraopticus, so daß also nicht nur eine periphere, sondern gleichzeitig
eine zentral vegetative Wirkung vorliegen würde, die übrigens auch Ewald
annimmt (Hirnstamm). Die Untersuchungen sind noch nicht nachgeprüft worden.
Den organischen Zusammenhängen ging auch Toulouse nach, ebenso Calle-
wart. d |
Besondere Zusammenhänge bestehen nach der Ansicht mancher Autoren
Innere Krankheiten und Psychiatrie 301
zwischen der Basedowschen Erkrankung und der Tuberkulose (F. v. Müller).
Nicht nur daß beide oft vergesellschaftet sind, sondern die Tuberkulose führt
auch, wahrscheinlich auf dem Umweg über die Thyreoidea, zu körperlichen
Erscheinungen, die den beim Basedow beobachteten weitgehend ähneln, wenn
nicht sogar in vielem mit ihnen identisch sind. Entsprechend zeigen auch die
psychischen Symptome manches Übereinstimmende (Lit. bei Hanse).
Handelte es sich bei den körperlichen Erscheinungen vorgeschrittenerer
Stadien um greifbare Dinge und standen die Autoren dabei, trotz des Fehlens
bzw. der Unzulänglichkeit mancher klinischer exakterer Untersuchungen noch
auf leidlich festem Boden, so wird dagegen das Fundament viel unsicherer, sobald
die Veränderungen in den Anfangsstadien zur Beurteilung stehen. Meist erheben
sich hier die Mitteilungen nicht über das Allgemeinste hinaus. Hier gerade sind
aber auch die Schwierigkeiten besonders grog. Zunächst ist der Beginn der
Erkrankung häufig kaum sicher festzustellen, es interferieren viel stärker als in
den Endstadien die Charakteranlage und die Stellungnahme zur Krankheit,
weiter sind auch Milieufaktoren gerade in jenen Stadien von besonderem Ein-
fluß; alle diese bereits oben besprochenen Faktoren müßten eigentlich von Fall
zu Fall exakt abgewogen werden. Einflüsse beruflicher Schwierigkeiten, häus-
liche Konflikte verdienen Berücksichtigung. Gerade hier läßt sich natürlich mit
dem Errechnen von Prozentzahlen und durch angefüllte Fragebogen höchstens
das Gröbste ermitteln. Vermutete Unterschiede zwischen Heilstätten- und
Sanatoriumskranken, die teilweise auch mit der Herkunft und dem Bil-
dungsgange der Patienten zusammenhängen sollen, wurden erwähnt (Turban,
Bochalli).
Einteilungen wie etwa die in Extroversion und Introversion, wobei die An-
fangsstadien vorwiegend introvertiert sein sollen, mit dem Fortschreiten aber
eine Extroversion eintrete (Neymann), oder die Einteilung in asthenische und
erethische Reaktionen (Eichenwald) führen ebensowenig weiter, wie wenn von
einer Schizoidisation des Charakters gesprochen wird (Bruchansky). Schon
Buri, nach ihm andere, auch Schlapper, reden von initialer Depression. Wenn
auch Köhler wohl recht hat, daß die Phänomenologie des Gebietes im ganzen
erschöpft sei, wie wir sie Jessen, Weygandt, von Muralt, Stern u. a. ver-
danken, so sind doch andererseits genauere Einzelanalysen sehr selten. Hanse
hat das z. B. in einer größeren Arbeit versucht. Er meint, daß für das Auftreten
peychopathischer Erscheinungen Anlage und Reaktion entscheidend seien,
auch die Euphorie sei hauptsächlich durch entsprechende Veranlagung
Auf dem Standpunkt, daß es sich (etwa analog den Vorgängen bei manchen Pay.
chosen) beim chronischen Kranksein, insbesondere bei der Lungentuberkulose,
um eine Enthüllung des Charakters handle, stehen sehr viele Autoren (Jessen,
Kollarits, Stern, Eversbusch, Ganter, Amrein, Schnieder, Bru-
chansky, Damaye), wobei jedoch wiederum die Frage offen bleiben muß, wie-
weit Erlebniseinflüsse, wieweit toxische Wirkungen diese Steigerung einer
primären Anlage bewirken. Die von den Autoren gebrauchte Nomenklatur ist
gerade auch in bezug auf die Anfangsstadien recht wenig zureichend, häufig wird
einfach von neurasthenischen und ähnlichen Symptomen gesprochen, die oft im
Beginn den Lungenprozeß sogar überdecken können (Jessen, Janowski,
Felsenreich u. a.), vor allem auch bei Kindern (Ssucharewa), so daß genaueste
Lungenuntersuchung nötig sei. Argentina sieht in der Reinfektion, die als
302 Johannes Schottky
„Katalysator wirke, die Hauptursache für die „ nervösen“ Erscheinungen im
Ein Beweis für die organische Natur auch der leichteren und im Beginn auf-
tretenden Veränderungen wird vielfach in der ähnlichen Wirkung von Tuberkulin-
dosen gesehen, die insbesondere in der Ära der vielfachen und stärkeren An-
wendung des Mittels zur Beobachtung gelangten (s. Magenau). Liebermeisters
Beobachtungen über die Wirkung von Tuberkulin sind uneinheitlich. Jessen
berichtet von therapeutischer Anwendung bei Psychosen. Es soll nach ihm die
jeweilige Anlage stärker in Erscheinung treten lassen.
Ssucharewa geht soweit, eine Beeinflussung des Körpertypus bei Intoxi-
kation höheren Grades anzunehmen. Durch die Krankheit würden die Misch-
formen und die ausgeprägten Formen zu Asthenikern, die Astheniker träten
stärker hervor.
Auf das Alternieren von seelischen Störungen und Lungensymptomen, das
bei älteren Autoren eine erhebliche Rolle spielte und schon von Hippokrates be-
schrieben worden sein soll (s. Buri, Jessen), in letzter Zeit aber bei den Autoren
fast ganz zurücktrat, soll nicht weiter eingegangen werden. Die früheren Be-
obachtungen, zumeist an Geisteskranken gewonnen, sind für uns kaum ver-
wertbar. Nach Jessen ist solches Alternieren auch zwischen rheumatischen
Gelenkaffektionen und Geisteskrankheit beschrieben worden.
Über die Träume von Lungenkranken berichtete Hoke. Die Mitteilung von
Selbstschilderungen verdanken wir Muenzer (Reaktion auf Mitteilung der
Diagnose) und Engelhardt (Sanatoriumspatient). Während Melzer die Psyche
der Tuberkulösen in individual-peychologischer Analyse darstellte und auch auf
die Kompensation bei einer Reihe von Geistesgrößen hinwies, hat Bledsoe in
Anlehnung an die Freudsche Lehre über den Furchtkomplex geschrieben.
Einige Autoren wie Jessen, später Amrein, Morselli, Fischberg treten
unter bestimmten Umständen für verminderte Zurechnungsfähigkeit der Tuber-
kulösen ein. Der von Autoren wie Craene, Vervaeck, behauptete Zusammen-
hang zwischen tuberkulöser Erkrankung und Verbrechen wird von Bochalli
abgelehnt. Lazzeroni möchte anarchistische Bestrebungen mit tuberkulöser
Erkrankung in Zusammenhang bringen. Unter dem Titel „Tuberkulose als
Schicksal“ hat Epstein eine „Sammlung pathographischer Skizzen von
Calvin bis Klabund“ veröffentlicht. Auf Klabunds dichterische Selbst-
schilderung der Krankheit sei verwiesen. Von literarischen Produkten sei er-
wähnt, daß Hamsun (Das letzte Kapitel) und Thomas Mann (Der Zauber-
berg) in Romanform das Sanatoriumsmilieu geschildert haben. „Der Zauber-
berg“, in einem Lungensanatorium spielend, hat in Fachzeitschriften vielfaches
Echo gefunden.
Bis in die letzte Zeit hinein werden immer EE besonders von ausländi-
schen Autoren, engere kausale Beziehungen zwischen der Tuberkulose und der
Dementia praecox vermutet (Wolfer, H. Hoffmann, Claude und Bar uk,
Vallejo Nagera u. a.). Bei beiden Erkrankungen zur Beobachtung gelangende
vegetative und neurologische Symptome bilden die haupteächlichste Stütze dafür.
Luxenburger hat durch seine bekannten Untersuchungen hier klärend ge-
wirkt. Auf seine Anschauungen über die gemeinsame Anlage zu schizophrenen
und tuberkulösen Erkrankungen kann nur verwiesen werden. Westphal und
Welti nehmen gleichfalls nur eine körperbauliche Korelation an.
Innere Krankheiten und Psychiatrie 303
Die von älteren Autoren (s. bei Buri, Jessen) über die Häufigkeit der Tuber-
kulose bzw. der Schwindsucht in den Anstalten für Geisteskranke an-
gegebenen Zahlen schwanken ganz erheblich. Die daran geknüpften Spekulationen
und Vermutungen über wechselseitige Zusammenhänge von Tuberkulose und
Geisteskrankheit bei der durchaus abweichenden psychiatrischen Nomenklatur
können heute kaum noch interessieren. Außerdem konnte begreiflicherweise in
der Zeit vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus von einer exakten bakterio-
logischen Diagnose nicht die Rede sein. Von einem gewissen Wert können über-
haupt nur solche Zahlen der älteren Autoren sein, die wenigstens durch die
Sektion bestätigt wurden. Mit einer gewissen Kritik ist erstmalig um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts Hagen vorgegangen.
Hagen hat in seinen späteren Veröffentlichungen (1867) die Anschauung
vertreten, daß die Phthise bei Irren fünfmal so häufig wie bei Geistesgesunden die
Todesursache sei. Er hat nicht näher im einzelnen nach Diagnosen differenziert.
Er glaubt nicht, daß das Anstaltsleben schuld an der Häufigkeit der Phthise bei
Geisteskranken sei. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl geht nach ihm
die Psychose der Phthise voran.
Geist berechnete seine Zahlen aus den Todesfällen, aus den Aufnahmen und
aus dem Durchschnittsbestand der Verpflegten und stellte Vergleiche mit Zahlen
aus einem Zuchthaus sowie aus sämtlichen sächsischen Gefängnissen an. Die
Zahlen aus der Irrenanstalt sind dabei die höchsten (Material von 10 Jahren).
Als Ursache dafür nimmt er tiefgreifende Störungen des Gesamtorganismus bei
den zur Verblödung führenden Psychosen an. Damit war immerhin bereits der
Schritt zur Differenzierung nach der Art der geistigen Erkrankung getan.
Ganter fand ein starkes Überwiegen der Frauen bei der Tuberkulosesterb-
lichkeit in den Anstalten (ebenso Löw, Ostmann), ferner ein schubweises
Auftreten. Die Hälfte der Fälle etwa habe die Tuberkulose in die Anstalt mit-
gebracht. Besonders groß sei die Sterblichkeit der Fälle von Dementia praecox
an Tuberkulose (45% ). Spätere, sämtliche preußischen Anstalten umfassende
Untersuchungen führten zu ähnlichen Ergebnissen. Löw bemerkt, daß Über-
füllung oder mangelhafte Einrichtung der Anstalten nicht die alleinige Ursache
sein könnten, da z. B. in der mustergültig eingerichteten Anstalt Bedburg-Hau
etwa die gleiche Häufigkeit von an Tuberkulose gestorbenen Dementia praecox-
Kranken beobachtet wurde. Auch er fand noch ungeklärte Jahresschwankungen
der Tuberkulosesterblichkeit der Irren. Das Verhalten der Kranken allein kann
auch nicht schuld an den so differenten Prozentzahlen sein, wie der Vergleich
mit Epileptikern und Paralytikern lehrt. Ja, rein zahlenmäßig fand sich sogar
bei den Tuberkulosefreien in stärkerem Maße als bei den Tuberkulösen ein
durchaus unhygienisches Verhalten. Löw erwähnt mit vielen anderen Autoren,
daß an Tuberkulose erkrankte Geisteskranke so wenig husten. Auch Ganter
fand unter den besten hygienischen Verhältnissen in einer ganz modernen Ab-
teilung etwa gleiche Zahlen. Die Tuberkulosesterblichkeit der Paralytiker fand
Löw überraschenderweise nur 6,9% hoch. Jessen berichtete ähnlich. Ganters
Zahlen darüber beliefen sich, verschieden nach den einzelnen Anstalten, für
Paralyse auf 6,3—18,3%,. Doch sind diese Zahlen zu einer Zeit gewonnen, als
von einer wirksamen Behandlung der Paralyse noch keine Rede sein konnte, so
daß erst neuere Untersuchungen an defektgeheilten Paralytikern angestellt
werden müßten. Die noch ganz unter dem Einflusse der ungünstigen Kriegs-
304 | Johannes Schottky
wirkung stehende Arbeit von Barth enthielt bereits Vorschläge zur Verhütung
und möglichst frühen Erkennung des Leidens. Die bereite von Ganter und
Löw beobachteten Schwankungen fand auch Ostmann in seinen Unter-
suchungen, die sich über 50 Jahre an der Heilanstalt Schleswig erstreckten. Er
macht weiter, genau wie Löw, darauf aufmerksam, daß unter den Schizophrenen
die an Katatonie und Hebephrenie Erkrankten ganz überwiegend mehr Todes-
fälle an Tuberkulose zu verzeichnen haben. Auffallend hoch (gleich hinter den
Schizophrenen kommend) wurde von verschiedenen Autoren (so Ganter,
Ostmann) die Tuberkulosesterblichkeit bei den Schwachsinnigen gefunden.
Um zu etwas klareren Vergleichsziffern hinsichtlich der Todesfälle an Tuber-
kulose zu kommen, schlug Werner vor, die Todesfälle in der Anstalt in Vergleich
zu einer gewissen Anzahl draußen lebender und zwar gleichalteriger Kranker zu
setzen. Er fand dabei in Sachsen Verhältnisse von 3,1 (bis 9,5): 1 zuungunsten
der Geisteskranken. In den sächsischen Anstalten betrug bei Außerachtlassung
der im paralytischen Anfall, im Status epilepticus usw. Gestorbenen die Sterb-
lichkeit an Tuberkulose 25%. Der Verfasser bekennt sich zu Luxenburgers
Anschauung, erwägt im einzelnen die Faktoren der Disposition und Exposition
und erwähnt die interessante Beobachtung von Feldweg und Neuner, welche
fanden, daß bei gleichlanger Beobachtungsdauer von den tuberkulösen Sthenikern
4%, von den Asthenikern und Dysplastikern dagegen 50%, zu Tode kamen.
Schon von den älteren Autoren wurde wiederholt geäußert, zur Infektions-
verhütung die Lungenkranken mehrerer Anstalten in besondere Abteilungen zu-
sammenzulegen und besonders die Frühdiagnose auszubauen, um rechtzeitig
eine Isolierung durchführen zu können (Osswald, Mercklin, Geist, Jessen,
Barth). Bereits Löw hatte Richtlinien zur Bekämpfung gegeben, neuerdings
hat Fuchs die neuesten Ergebnisse über Entstehung, Ausbreitung und Be-
kämpfung der Tuberkulose zusammengefaßt, sich insbesondere auf die grund-
legenden Veröffentlichungen von v. Rom berg stützend. Besonders auch die
immer starker anerkannte Bedeutung des sog. Frühinfiltrats, das oft nur röntgeno-
logisch erkannt werden kann, wird hier gewürdigt. Auch Evers busch schrieb
über die Frühdiagnose. Therapeutisch wird besonders die Bedeutung des Pneumo-
thorax hervorgehoben. Eine große Rolle spielt bei den neueren Anschauungen
über die Entwicklung der Tuberkulose auch die Reinfektion, weshalb jeder als
Herd dienende Kranke rechtzeitig isoliert werden sollte. Gerade auch Alters-
tuberkulosen mit nicht allzu stürmischen Erscheinungen sind hier zu beachten.
Auf das kurze Lehrbuch von Alexander und Baer sei verwiesen.
Schon seit langem wird immer wieder von den Autoren betont, daß gerade
geisteskranke Tuberkulöse auffallend wenig oder gar nicht klagen, so daß, was
schon Hagen z. B. auffiel, bei der Sektion manchmal ganz unerwartet stärkste
tuberkulöse Veränderungen angetroffen werden. Es kommt deshalb sehr auf
systematisch vorgenommene Untersuchungen an, worauf auch Ciarla hinge-
wiesen hat. Auch Ilberg betont neben der Ansteckungsgefahr die Schwierigkeit
der Diagnose und die Notwendigkeit, daß geschulte Spezialisten in der Anstalt
mit tätig seien.
Er tritt für Zentralisierung der tuberkulösen Geisteskranken ein. Über
eine derartige Heilstätte der Anstalt Zwiefalten hatte übrigens bereits im Jahre
1912 Krimmel berichtet. In Sachsen ist man unseres Wissens bereits dazu
übergegangen, für die in einer besonderen Abteilung zusammengelegten Tuber-
Innere Krankheiten und Psychiatrie 305
kulösen einen geschulten Internisten zu beschäftigen. Jüngst hat sich nochmals
Dost über Behandlung, Heilung und Prophylaxe der Tuberkulose in den Heil-
anstalten, über die Wege der Reinfektion usw. geäußert und insbesondere auf
die Wichtigkeit röntgenologischer Untersuchung für die Frühdiagnose hinge-
wiesen, eine Forderung, die unbedingt zeitgemäß ist. Wir erinnern dabei an
die Erfolge der von Kattentidt emgeführten Pflichtdurchleuchtung der Münch-
ner Studenten. Der auch schon von Geist und Ilberg aufgeworfenen Frage,
wie die Erkrankung des Personals verhütet werden könne, ist Schmitt ausführ-
lich nachgegangen.
Herzleiden.
Während wir bei den Lungenleiden nur die an Häufigkeit und Wichtigkeit
ganz im Vordergrunde stehende Lungentuberkulose besprachen, dagegen jene
noch keineswegs näher erforschten Gesichtspunkte außer acht ließen, daß jedem
Organ eine jeweils verschiedene Ausdrucksbedeutung zukomme, bzw. umgekehrt
eine jeweils verschiedene Beeinflussung der Stimmung vom Organ oder Organ-
system her anzunehmen sei (s. Heyer, v. WyB), werden bei den jetzt zu be-
handelnden Zusammenhängen zwischen Herz und Psyche gerade diese Dinge
besonders beachtet werden müssen.
Das Herz nimmt durch mannigfache und besonders enge Beziehungen zu
den Affekten und Stimmungen eine vor anderen Organen und Organsystemen be-
vorzugte Stellung ein. Braun sagt, wohl jedes Organ habe sozusagen seine psy-
chische Signatur, aber die Seele des Herzkranken bilde ein ganz eigenartiges,
scharf umrissenes Gebiet, und er untersucht, ob zwischen Herz und Psyche Be-
ziehungen anzunehmen seien, die über jene Grenzen hinausreichen, mit welchen
die anderen Organe unseres Körpers mit den Bewußtseinsvorgängen zusammen-
hingen, ob dem Herzen (z. B. gegenüber den Verdauungsorganen) eine Sonder-
stellung etwa in bezug auf den Einfluß auf die Psyche zukomme, und v. We
meint, da das Herz, wie allgemein die Organe des Blutkreislaufes, an allem Ge-
schehen im Organismus teilnehme, und da Herz und Gefäße, insbesondere bei
den Emotionen, auch für das erlebende Subjekt in eindrucksvoller Weise in Mit-
leidenschaft gezogen würden, sei es zum Ausdrucksorgan für alle Leiden und
Freuden des Menschen bestimmt. Es sei jedoch nicht nur ein Organ des Lebens
und der Leidenschaft, sondern auch des Todes (vgl. später Braun). Heyer
meint, daß Herz und Kreislauf gleichsam die Gefühle der Sicherheit, der Festig-
keit, der Stete und der gleichgewichtigen Stärke seien, deren Ausfall unbestimmte
Todesangst, Grauen, einfach objektlose Angst bewirke. Innerhalb dieser Tiefen-
schichten sind ihm Seelisches und Körperliches noch untrennbar verwoben. Die
engen Beziehungen zwischen Herzgefäßsystem und Affekten bzw. ihre Ausdrucks-
erscheinungen an den genannten Organen sind bekanntlich von Wundt und
seinen Schülern besonders eingehend studiert worden (Weber, Lehmann,
Weinberg u. a.; weiter führende Literatur bei Heyer und v. WyB).
Diese Dinge sollen hier, dem Thema entsprechend, ebensowenig näher unter-
sucht werden, wie die früher oft behaupteten Zusammenhänge zwischen Herz
und Psychose, über die eingehend Bonhoeffer und später in Bumkes Hand-
buch Ewald zusammenfassend berichtet haben. An rein internistischer Literatur
sei auf die Zusammenfassung von Külbs im Mohr-Staehelin und Gg. Klem-
perers Übersicht der letzten 50 Kongresse für Innere Medizin verwiesen.
306 Johannes Schottky
Das Gebiet der Herz- und Gefäßleiden war das erste, in dem sich eine ener-
getische und funktionelle Betrachtungsweise entwickelt hat, wie es bereits auf
dem Kongreß für Innere Medizin i. J. 1888 zum Ausdruck kam, und seit dem
1890 gehaltenen Vortrag von Ernst Romberg über Gefäßinnervation und Ent-
wicklungsgeschichte des Herz-Nervensystems ist dann bis heute eine Unzahl von
Arbeiten anatomischer, entwicklungsgeschichtlicher, physiologischer Art erschie-
nen, so daß wir gerade auf diesem Gebiete über wertvolle Einblicke in die tieferen
Zusammenhänge verfügen. So stehen denn auch die hier zu referierenden Arbeiten
und Monographien (insbesondere der Autoren Heyer, Braun, v. Web, Fah-
renkamp) mannigfach miteinander in Beziehung, ergänzen sich vielfach, halten
gute Verbindung mit dem Stande der experimentellen Forschung und der klini-
schen Erfahrung und bringen, jeweils von etwas verschiedenen Gesichtspunkten
aus, alle nötige Literatur. Erwähnt sei noch, daß besonders auch Krehl wieder-
holt das funktionelle Moment im Kreislauf und die Verflechtung seines Geschehens
mit seelischen Vorgängen seit vielen Jahren betont hat.
Eine hypnotische Beeinflussung der Herztätigkeit hat neben Löwy u. a.
besonders Astruck versucht. Dieser fand, daß in tiefem hypnotischen Schlafe
sowohl Beschleunigung wie Verlangsamung der Herztätigkeit auf Verbalsug-
gestionen hin zu erreichen ist. Auch ließ sich auf diese Weise eine Änderung
des Elektrokardiogrammes erreichen. Sowohl bei Beschleunigung wie bei Ver-
langsamung des Pulses wurde dieser klein und weich, manchmal fast verschwin-
dend. Auch bei Beeinflussung der Atmung trat dieser Effekt ein. Außerdem
veränderte sich in tiefer Hypnose der Atemtyp (Vorwiegen der Zwerchfellatmung).
Die Versuche sind noch nicht bestätigt. Lauber und Pannhorst fanden eine
Änderung des Minutenvolumens bei hypnotischen Suggestionen.
Während die Wundtsche Richtung bekanntlich die Wirkung von Elementar-
gefühlen untersuchen wollte, hat sich das Schwergewicht inzwischen nach einer
anderen Richtung hin verschoben. Braun meint, es gehe nicht mehr an, sich
auf die elementaren Beziehungen zu beschränken, man müsse in psychologischen
Ganzheiten denken. Nach v. WyB konnten die experimentellen Untersuchungen
über die Wirkung der Elementargefühle auf Puls, Atmung usw. deshalb nicht
richtig sein, weil sie sich an abstrakte Begriffe hielten und Puls und Atmung
herausgelöst aus dem Gesamtverhalten der Person betrachteten. Gefühle und
Affekte gehen aber mit Bewegungsantrieben oder hemmenden Antrieben einher.
Wie nun bei Bewegung oder Leistungssteigerung von Herztätigkeit und Atmung
sind auch entsprechend die Gefühle und Gemütsbewegungen, welche zum Han-
deln antreiben, von Pulsbeschleunigung, Verstärkung der Herztätigkeit und
Atmung begleitet, während alle Gefühle und Affekte, welche zu einer Abwendung
der Gesamtperson von der Umwelt führen, Verlangsamung und Abschwächung
der genannten Funktionen zeigen. Nicht elementare Gefühle kommen zum
Ausdruck, sondern allein die Erregung, welche durch das Antriebserlebnis des
betreffenden Gefühles bestimmt wird, und weiter: wie wir mit unseren Mit-
menschen sprechen, so führen wir auch eine Sprache mit uns selbst. Das Innen-
leben hat gleichfalls sein Ausdrucksfeld, es strahlt aus auf die Organfunktionen,
in welchen die Stimmungen verankert sind. Das stürmische Herzklopfen, die
keuchende Atmung bei der Furcht sind eine derartige Sprache des Individuums
zu sich selbst, das sein Leben bedroht sieht, und wie v. W y B in der Verschieden-
heit der physiologischen Funktionsziele des ergotropen Sympathikus und des
Innere Krankheiten und Psychiatrie 307
histotropen Parasympathikus einen weiteren Gesichtspunkt sieht, die vegetativen
Funktionen als Ausdrucksmittel zu differenzieren, so sind ihm Atmung und
Blutkreislauf, als vom Sympathikus innerviert, besonders dann in Tätigkeit,
wenn vom Organismus hohe körperliche Leistung verlangt wird, z. B. bei Wut,
Angriffelust, Fluchtbestreben, bei denen auch eine erhöhte Adrenalinausschüttung
ins Blut eine Rolle spielt.
Auch im Angstaffekt des Herzneurotikers äußert sich nach v. WyBß der
Wille zum Leben, der Kampf gegen die Unterdrückung der eigentlichen Lebens-
ziele. Auch die zeitlich enge Bindung der Lebenserhaltung an die genannten
Funktionen könnte dabei eine Rolle spielen. So baut v. Web nach einer Dar-
stellung der Physiologie des Herz-Gefäßsystems und seiner Regulationen hormo-
naler und nervöser Art diese gleichsam ein in das gesamte vegetative System
und wendet darauf die schon erwähnte, von Heß stammende Betrachtungs-
weise des Zielgegensatzes des Vagus und Sympathikus an.
v. Wyß führt weiter aus, daß bei manchen Menschen eine Überempfind-
lichkeit in bezug auf das Herz besteht, so daß alle möglichen emotionellen Ein-
flüsse (etwa der Herztod eines Verwandten) zu verstärkter Aufmerksamkeit auf
das Herz und zu entsprechenden Sensationen führen. Eine andere Form der
Überempfindlichkeit ist die Neigung zu Gefäßkontraktionen, besonders bei
Frauen. Die Bedeutung liegt hier nicht in der Störung selbst, sondern darin,
wie der Befallene sich dazu stellt. Auch Störungen der Innervation und der
chemischen Regulationen nimmt er an (Extrasystolie, paroxysmale Tachykardie).
Hier bildet sich gern dadurch ein Circulus vitiosus, daß die durch die emotionelle
Erregbarkeit hervorgerufenen Herzstörungen zu Empfindungen Anlaß geben,
die wiederum die Affektbereitschaft steigern. Da ein fließender Übergang zwischen
Extrasystolie, paroxysmaler Tachykardie, Vorhofflattern und Vorhofflimmern
besteht, kann es nicht erstaunlich sein, daß auch die letzteren gelegentlich durch
psychische Erregung ausgelöst werden. Für die Annahme einer Dauerschädigung
der Herzfunktion durch nervöse Einflüsse ist wohl zuerst Krehl eingetreten.
Die Möglichkeit einer Abnahme der Herzkraft durch nervöse Einflüsse ist zumin-
dest für die Based owsche Krankheit anzunehmen, die ihrerseits durch Schreck
ausbrechen kann. Da eine Steigerung des Stoffwechsels durch suggerierte Affekte
nachgewiesen ist, ist möglicherweise bei unter Affektdruck stehenden Individuen
auf dem Umwege über Stoffwechselstörungen auch eine Schädigung der Erfolgs-
organe anzunehmen. Der Zustand des Herzkranken ist weitgehend von psychi-
schen Einflüssen abhängig (Minderung der Beschwerden durch Zuspruch usf.,
schwere Zufälle durch Aufregungen). Wenckebach hat nach v. Wyß festge-
stellt, daß in ihrer Ernährung geschädigte Herzen für eine Reflexeinwirkung
(Vagusreiz) überempfindlich sind. Auch die emotionelle Blutdrucksteigerung
kann bei geschädigter Herzfunktion dem Herzen eine nicht mehr zu bewältigende
Aufgabe stellen. Von einer direkten Beeinflussung bereits bestehender organischer
Erkrankungen des Kreislaufsystems durch psychisch bedingte Funktionsstörun-
gen spricht übrigens auch Alkan, und auch Georg Klemperer nimmt einen
direkten Zusammenhang zwischen Gemütsbewegungen und organischen Herz-
krankheiten an.
Für die bekannte gesteigerte emotionelle Erregbarkeit, Unruhe und Angst-
lichkeit der Patienten mit Herzklappenfehlern (auch Bonhoeffer und Kraepe -
lin sprechen davon) möchte v. W y 8 möglicherweise vom erkrankten Organ aus-
Neurologie V,7 22
308 Johannes Schottky
gehende afferente Impulse als Ursache annehmen. Je schwerer das Leiden, desto
mehr trägt eine solche Überempfindlichkeit den Charakter der Reizbarkeit, der
ängstlichen Unruhe, der depressiven Hemmung. Bei herzkranken Kindern fällt
ihm das stille, ernste Wesen auf, sowie ihr Infantilismus. Mimischer Ausdruck
und Art des Verhaltens gleichen sich auffallend.
Bei dem vom Herzen ausgehenden Gefühle der Angst handelt es sich nach
v. Web nicht um eine Empfindung (wie Braun will, s. später), sondern um eine
Stimmung. Besonders tritt die Angst bei akuten Herzkatastrophen hervor,
bei Angina pectoris, bei kardialem Asthma. Die Angst vor der Wiederholung
des Anfalles kann Ursache eines neuen Anfalles werden. Die Angst von Melancho-
likern und Angstneurotikern wird in gewisse Beziehung zum Herzen selbst gesetzt.
Selbst im Traume zeigt sich vielfach die Neigung zu angstvollem Verhalten, be-
sonders bei verminderter Wasserausscheidung. Sowie die Wasserausscheidung in
Gang kommt, verschwinden die Angstträume. Träume von Wasser, Kälte oder
Schnee werden mit Organempfindungen der hydropischen Gliedmaßen in Ver-
bindung gebracht. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist der seelische Zustand
ganz besonders durch lebensgeschichtliche Momente beeinflußt.
Auch Ewald führt als leichteren Grad der Psychose, ihren Vorboten gleich-
sam, neben Launenhaftigkeit, Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit das Beherrscht-
werden von angstvoller Unruhe an, ferner ängstliche Träume und schlechten
Schlaf, wie auch der Affekt in der Psychose der Herzkranken in der überwiegen-
den Mehrzahl angstvoll sein soll. Heyer schreibt, daß nicht nur die Angst die
Herzstillstandschwelle erniedrigt (von wo aus sich u. E. ein näheres Verständnis
für den wiederholt beschriebenen plötzlichen Herztod durch Schreck anbahnen
kann [Berichte von Cohn, Braun, Klemperer, Heyer]), sondern drohender
Herzstillstand ergibt auch Angst. Auch bei Herzmuskelentartung, insbesondere
bei jeder Verschlechterung, können Anfälle von Angst vor etwas Unbestimmtem
auftreten. Klappenfehler sollen selten diese Angst hervorrufen. Diese sowie die
Insuffizienzen haben (wohl durch Leberstauung, Intoxikation) nach Heyer
ihr eigenes Bild. Der Zusammenhang zwischen kardialen Ödemen und psychischen
Veränderungen ist meines Wissens in letzter Zeit nicht näher untersucht worden.
Bonhoeffer, Kraepelin, Ewald erwähnen solche bei Ausdehnung bzw. Auf-
saugung der Ödeme.
Es sei hier kurz auf eine bemerkenswerte vor 30 Jahren erschienene Arbeit
von Stransky zurückgegriffen. Er betont, in Übereinstimmung mit vielen ande-
ren Autoren, daß die Bilder bei Herzkrankheiten meistens depressiv oder ängst-
lich gefärbt sind. Während nun die Mehrzahl der Autoren Störungen des Blut-
kreislaufes, der Ernährung und des Gasaustausches dafür verantwortlich macht,
möchte er mit Ziehen den abnormen Organempfindungen eine Rolle einräumen
(Bonhoeffer ist später unter Betonung der autotoxischen Komponente gegen
eine Überwertung dieses Gedankens gewesen mit der Begründung, wenn es so
sei, müßten viel mehr Psychopathen ängstliche und depressive Bilder bieten).
Immerhin ist der Zusammenhang zwischen der Angst, die vornehmlich in die
Präkordialgegend lokalisiert wird, und dem Herzen bereits damals richtig
gesehen.
Stransky unterscheidet weiter zwischen der elementaren Angstempfin-
dung und dem Angstaffekt. Der charakteristische Auslösungsort für die Emp-
findung ist neben der Präkordial- auch die Peritonealgegend, der Ausbreitungs-
Innere Krankheiten und Psychiatrie 309
bezirk des mittleren Keimblattes. Er möchte bestimmte Beziehungen zu spe-
zifischen anderen Empfindungsqualitäten herstellen und zieht keine scharfe
Grenze gegenüber den Gemeingefühlen. Er erwähnt den Einfluß eines abnorm
langdauernden und intensiven Reizzustandes der zentripetalwärts leitenden Ner-
ven der Herzgegend bei den Herzkranken und sieht darin einen determinierenden
Faktor für die Auslösung der Angst. Wichtig ist ihm weiter die erhöhte Erreg-
barkeit des Herzens sowie ein prädisponiertes Gehirn. Diese seine Anschauungen
werden im allgemeinen auch heute noch als gültig angenommen.
Unter besonders eingehender Würdigung auch des Sprachgebrauches (Angst
— Angira — eng) und der in der nichtmedizinischen Literatur seit der Antike
niedergelegten Betrachtungen hat Braun in mehreren Veröffentlichungen die
Zusammenhänge zwischen Herz und Psyche darzustellen versucht. Er konnte,
wie er schreibt, in einer kritischen Phase seines Lebens das unwillkürliche „Ur-
phänomen“ der Angst an seinem eigenen Herzen kennenlernen und hat unter dem
andauernden Eindruck dieses Erlebnisses die verschiedenen Erscheinungsformen
der Angst an kranken Menschen studiert. Dieses sein Erlebnis dürfte den Schlüssel
dafür bieten, daß Braun zu der Anschauung gelangt ist, die reine Angstempfin-
dung sei eine spezifische Empfindung des Herzens überhaupt, und alle Äußerungs-
formen der Angst hätten einmal von dieser elementaren Empfindung her ihren
Ausgang genommen. Die Angst ist nach Braun eine Urempfindung wie der
Hunger. Sie ist uns, wie alle Inhalte unseres Lebens, physiologisch auf dem
Hintergrund eines Organs, des Herzens, verständlich. Der Körper ist eben
in allen Teilen zugleich Reizfeld, Ausdrucksfeld und Reaktionsfeld. Die Angst
kommt aus der Gefährdung des Herzens und der Gesamtperson. Das Herz ist
nach Braun anscheinend das einzige Organ, das sich sozusagen primär mit
Angstzuständen verbindet. Unleugbar sind es gewisse Erkrankungsformen des
Herzens allein, welche in dem Betroffenen das Gefühl auslösen, sein Leben sei
gefährdet und der Sitz seines Lebens bedroht.
Der von Breuer geäußerten Anschauung, die Präkordialangst scheine eine
spezifische, durch die sensiblen Apparate des Herzens vermittelte Empfindung
zu sein, schließt sich Braun an.
Die Angst wird eben nicht nur in die Herzgegend lokalisiert, sie stammt aus
dem Herzen. Angstempfindung und Schmerzempfindung sind dabei nicht anein-
ander gebunden, es gibt sogar höhere Grade von Angst ohne Schmerz. Die Angst
kann zwar auch von der Hirnrinde her (vorstellungsmäßig) zustandekommen,
jedoch leitet dann das Organ des Bewußtseins die betreffende Empfindung auf
ihren Ursprungsort zurück. Beim Herzkranken wirken trotz der innigen Ver-
flechtung sämtlicher Organe insbesondere durch das vegative System dennoch
Krankheitsvorgänge nur insoweit sich als spezifische Angstempfindung aus, als
sie das Herz in ihren Bereich gezogen haben.
Braun unterscheidet dabei ähnlich wie Stransky als wesentlich die Angst-
empfindung, die etwas Beklemmendes, Beengendes, Unheimliches, ein Gefühl
des Gelähmtseins und der Wehrlosigkeit in sich habe, vom Angstaffekt, bei
dem zwangsläufig, enteprechend der Vorgeschichte des Individuums und seiner
Eigenart, gewisse Vorstellungsinhalte hinzukommen. Der Angstaffekt sei ein
erweiterter und beeinflußter Angstkomplex, der seinerseits wieder auf körper-
liche Symptome wirken kann, z. B. zum Vorherrschen der gesamten glatten Mus-
kulatur führt (Gänsehaut, Zittern, Herzklopfen usw.). Je stärker die ursprüng-
22°
310 Johannes Schottky
liche Empfindung der Angst ist, desto vielgestaltiger und mannigfaltiger kann
auch der Komplex von Vorstellungen sein, der sich damit verbindet.
Die Extrasystolie ist rein peripheren Ursprungs. Schon der Grad ihrer
Auslösbarkeit, ihre Reizschwelle, ist höchst wahrscheinlich von der Ansprech-
fähigkeit der peripheren Reizstätte abhängig und bei den einzelnen verschieden,
noch vielmehr aber die peychische Reaktion auf die dadurch bedingten zirkula-
torischen Störungen (rasch vorübergehende Hirnanämie, insbesondere auch
kurzdauernde Anämisierung der Herzwand).
Der psychische Einfluß einer Extrasystolie ist schon beim ersten Male nach
Braun überaus gewaltig. Es kommt dem Patienten der Gedanke, das Herz
könne einmal ganz stille stehen. Braun geht weiter auf die Bedeutung des
Rhythmus ein, der allem Lebenden seit jeher angehört. Eine Änderung des
Herzrhythmus, der ein unbewußter Vorgang ist, macht sich unliebsam bemerkbar
und wird deutlich bewußt. Bei der Extrasystolie erzwingt sich eine bisher un-
bewußte Tätigkeit gleichsam den Eintritt ins Bewußtsein. Der Rhythmus des
Herzens und des Vasomotorismus ist ein Teil des vegetativen Systems und mit
dem affektiven Teile der Persönlichkeit aufs engste verbunden. Vielleicht be-
steht zwischen dem Gesamtempfinden des Individuums und den Rhythmen des
Kreislaufes eine stille aber feste Harmonie.
Bei der Angina pectoris ist nach Braun furchtbarer als der Schmerz die
unmittelbar aus dem Herzen kommende Empfindung, die den ganzen Menschen
im Augenblicke ihres Erscheinens beherrscht: die Todesangst. Diese Angst bei
Angina pectoris ist den höchsten Graden von Angst überhaupt gleichzusetzen.
Der Anfall hat mit dem physiologischen Akt des Sterbens vieles gemeinsam.
Der Stenokardiker erlebt gewissermaßen seinen Tod. „Nicht ich bin in Angst,
sondern der physiologische Vorgang der Angst, die von meinem Herzen aus-
geht, ist in mir und über mir, ist ein Element meines Lebens. Dieses Ereignis
der unmittelbaren Todesnähe und der höchsten Angstempfindung hebt in seiner
mächtigsten Form, dem Vorgang des Sterbens, notwendigerweise alle Funktionen
des Lebens, die vegetativen und die psychischen Phänomene des Willens, auf.
Die ursprünglich übermächtige Empfindung strahlt in alle vegetativen Bahnen
ein. Bis zu diesem kritischen Punkt aber ist die Empfindung der Angst ein Kor-
relat zum Lebenstriebe. Höchste Angst und Sterben sind identisch, und das
Problem der Angst ist das Problem des Todes. Fast immer bleibt nach dem
Anfalle eine gewaltige peychische Veränderung bemerkbar: Nicht Furcht vor
der Wiederkehr des Anfalles, sondern ein ganz unbestimmtes Gefühl der Unsicher-
heit und Hilflosigkeit, eine ratlose Schwäche, ein depressiver, weinerlicher, ver-
ängstigter Mensch. Zuweilen entwickelt sich auch bei Koronarsklerotikern ganz
allmählich ohne Anfall eine sentimentale Stimmung und Verstimmung. Daß
diese auch bei vielen zerebral Erkrankten auftritt, sucht Braun so zu erklären,
daß die zerebrale Ratlosigkeit auf dem Umwege über das Herz einen ängstlichen
Farbton erhalten kann (Zusammenhang zwischen Hirnstamm und Herztätig-
keit). (Wir erinnern hier an die Angst nicht nur Manisch-Depressiver, sondern
insbesondere mancher Schizophrenen! Freilich sind die höchstwahrscheinlich
gleichfalls im Hirnstamm toxisch geschädigten Tuberkulösen nur in den An-
fangsstadien zuweilen ängstlich depressiv, dann aber euphorisch.)
Wir finden bei Braun neben vielen sehr richtig gesehenen Zusammenhängen
doch letzten Endes eine fraglos auf sein eigenes Erleben zurückzuführende Über-
Innere Krankheiten und Psychiatrie 311
wertung der Angst beim Herzkranken, die sich schließlich bis zu dem Satze stei-
gert: man könne an sein Herz nicht einmal denken, ohne im Herzen etwas zu
empfinden, das sich als Angst bezeichnen lasse.
Diese Einseitigkeit hat auch Hoche in einer Besprechung hervorgehoben
und betont, daß die Urform der Angst doch wohl die Erstickungsangst sei und
nicht die vom Herzen ausgehende Angst. Christoffel würdigte die Bedeutung
der Angst beim Herzkranken vom psychoanalytischen Standpunkt aus.
Das Buch von Fahrenkamp trägt den bezeichnenden Titel „Der Herz-
kranke“ und stellt damit die Person in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auf
insgesamt 1270 Beobachtungen fußend, geht Fahrenkamp an Hand von
152 Beispielen auf eine Fülle von Fragen ein, die alle unmittelbar aus der Praxis
heraus erwachsen sind. Er würdigt grundsätzlich das subjektive Erleben des
Kranken ebensosehr wie den objektiven Befund. Weiter ist ihm nicht nur die
körperlich-seelische Verfassung des Kranken, sondern auch sein Verhalten zur
Umwelt wichtig, zu den ihn umgebenden Menschen, zu seinen Lebenszielen,
seine Einstellung zur Krankheit und zum Arzt, die jeweils die besondere
Färbung seiner einmaligen Persönlichkeit tragen, die Einflüsse früherer ärzt-
licher Untersuchungen und Diagnosen usf. Diagnostik und Therapie werden
hinreichend gewürdigt und stehen auf der Höhe des Zeitwissens. Das Buch ist
als Ergänzung zu den einschlägigen Lehrbüchern gedacht. Wir können aus
der Fülle der Tateachen und Gedanken nur einiges grundsätzlich Wichtige hier
Schon in einer früheren Studie über Herzklopfen konnte Fahrenkamp
zeigen, wie selten die Angaben über subjektive Empfindungen der gestörten
Schlagfolge mit dem tatsächlichen Erregungsablauf übereinstimmen.
Während die große Gruppe der organisch Herzkranken mit Rhythmus-
störungen überhaupt keine genauen Angaben über subjektive unangenehme
Wirkungen des völlig unregelmäßigen Herzschlages machen kann, gibt es bei
den Herznervösen eine Gruppe mit Angaben über Herzklopfen, die sich mit den
objektiven Vorgängen des Erregungsablaufes decken. Gemeinsam ist allen diesen
Kranken eine vasomotorische Übererregbarkeit. Im Gegensatz zu den organisch
Kranken ist bei den sogenannten Herzneurotikern das subjektive Krankheite-
erlebnis besonders stark und entsprechend auch die „subjektive Arbeitsfähig-
keit“, stärker als dem objektiven Befund entsprechen würde, vermindert. Eine ein-
seitige Behandlung von der seelischen Seite her scheitert in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle einfach an der Tatsache, daß der Kranke seine auf das Herz
bezogenen Empfindungen als Organstörungen erlebt und nicht die Möglichkeit
hat, zu erkennen, daß zwischen seinen Herzempfindungen und seinen seelischen
Störungen ein direkter Zusam menhang besteht. Rationales Wissen um die
Zusammenhänge hilft dem Kranken hier nicht weiter, wo es sich um die Wir-
kung von Affekten handelt. Der Begriff der Herzneurose sollte nach Fahren-
kamp wesentlich eingeschränkt, ja überhaupt aufgegeben werden. Die Auf-
lösung dieses Begriffes in seine Bestandteile würde manchen Arzt in seiner Hal-
tung dem Kranken gegenüber fördern. Der Begriff der Neurose mit Herzbe-
schwerden hat einen klaren Sinn und gibt diagnostische und therapeutische
Fingerzeige. Von dem Umfange der Beschwerden und dem Einbruche des Sicher-
heitsgefühles bei diesen Kranken hat auch der Arzt meist keine genügende Vor-
stellung. Psychotherapeutisch können wir ja nur seelische Leiden angehen, und
312 Johannes Schottky
der Kranke mit Herzneurose leidet meist doppelt. Er ist einmal von der Neurose
her schwer betroffen und büßt zugleich durch die Projektion auf das Organ sein
Sicherheitegefühl um dieses lebenswichtige Organ ein. Er leidet gleichzeitig
körperlich Schmerzen und seelisch Todesangst. Die reinen Bilder der Neurose
mit Herzbeschwerden sind selten. Bei genügend sorgfältiger Untersuchung kann
meist von der körperlichen Seite her ein Befund erhoben werden, der uns auch
somatisch und nicht nur seelisch einen Teil der Beschwerden erklärt. Wir sehen
aus körperlichen Ursachen eine bis dahin latente symptomatische Bereitschaft
durchbrechen. Statt die seelischen Momente an die Spitze zu stellen, werden sie
besser den körperlichen koordiniert. In vielen Fällen handelt es sich um ein
Mißverhältnis zwischen Kreislaufsystem und Körperbau mit dem Streben nach
Überkompensation und dadurch bedingtem Versagen. Bemerkenswert scheint
der Fall eines ängstlichen Herzneurotikers, der dennoch von dem Ernst eines
gleichzeitig vorhandenen Mammakarzinoms nicht zu überzeugen war. Die be-
sondere Schwierigkeit für die Diagnosenstellung liegt für den Arzt immer wieder
darin, auf der einen Seite die subjektiven Klagen des Kranken als Arzt voll-
ständig zu verarbeiten, auf der anderen Seite trotzdem unvoreingenommen den
objektiv zu erhebenden Untersuchungsbefund klarzulegen. (Veiel behandelte
in einem Übersichtereferat die differentialdiagnostischen Methoden bei Herz-
neurose.) Im Gegensatz zum neurotischen Kranken sehen wir beim Kranken,
der sich als nervös bezeichnet, die Hoffnung, eine Bestätigung seiner Selbst-
diagnose durch den Arzt zu finden, in der Erwartung nämlich, daß nichts Orga-
nisches vorliege. Kranke mit Mitralstenose klagen überaus charakteristisch fast
stets über starkes Herzklopfen und verminderte Leistungsfähigkeit, verhalten
sich also zunächst wie organisch Gesunde mit nervöser Herzstörung. Daneben
haben sie Angst. Weiter dissimulieren sie oft, verschweigen etwa ihre Beschwer-
den, um nicht für „hysterisch“ gehalten zu werden.
Bei auf Angina pectoris verdächtigen Klagen soll man grundsätzlich den
neurotischen Uberbau gering veranschlagen. Der Angstdurchbruch — von der
langsam sich steigernden Unsicherheit bis zur Todesangst und zum schwersten
Vernichtungsgefühl — hat mit neurotischer Angst nichts zu tun. Der an Angina
pectoris Leidende bildet unter den organisch Herzkranken eine Ausnahme, indem
er einen das Leben von seiten des Herzens bedrohenden Zustand auch wirklich
mit Todesahnungen erlebt. Fahrenkamp würdigt die Bedeutung schwerster
seelischer Erschütterungen für den Anfall, sowie den seelischen auf das Körper-
liche übergreifenden Wert der Entfernung aus dem gewohnten Milieu und die
dadurch gebotene Gelegenheit, innere Schwierigkeiten zu überwinden. Der nicht
neurotisch Kranke kann durch den ersten Anfall solche Grade von Todesangst
erleben, daß er aus einer heimlichen Angst nicht mehr herauskommt. Freilich
verlieren nach dem Anfalle viele Kranke auffallend rasch Krankheitseinsicht und
Krankheitsbewußtsein.
Eine psychotherapeutische Behandlung im engeren Sinne hält Fahrenka mp
bei diesen Kranken für sehr bedenklich. J. H. Schultz rät dagegen bei kompli-
zierteren Fällen zu Psychoanalyse; er stellt allgemein die Umbildung der Ge-
samtpersönlichkeit als therapeutisches Ziel hin. Ähnlich äußerte sich Roberts,
auch Ingvar. Werden bei Herzkranken Operationen nötig, so ist die seelische
Vorbereitung besonders wichtig. Am besten wird abgewartet, bis der Ent-
schluß zur Operation im Kranken reif geworden ist.
Innere Krankheiten und Psychiatrie 313
Von den Rhythmusstörungen behandelt Fahrenkamp zunächst die Extra-
systolie. Manche Kranke wissen überhaupt nichte von dieser ihrer Störung.
Von allen Kranken mit neurotischen Zügen werden sie stark überwertet. Welche
Momente die starke oder fehlende Resonanz in der Persönlichkeit des Betreffen-
den bewirken, wissen wir nicht. Sehr häufig sind bei der Auslösung seelische Mo-
mente mit im Spiele. Kranke, die von einer plötzlich einsetzenden Tachyaarrhyth-
mie befallen werden, sind psychisch viel weniger alteriert als Kranke mit Extra-
systolen, ja, manche werden von ihrer Störung überhaupt nicht berührt.
Auffallend ist die Beobachtung von vier ausführlich mitgeteilten Fällen mit
Adams-Stokes-Symptom, bei denen der Einfluß des Psychischen ganz auffallend
groß war. Seelische Erregungen brachten diese peychisch besonders empfindlichen
Kranken in unmittelbare Lebensgefahr, wie denn auch bei allen der Tod im Anfall
eintrat.
Während man bei dem schwer organisch Herzkranken eigentlich annehmen
sollte, daß ein Kranker mit schweren und schwersten Veränderungen des Kreis-
laufes ein einigermaßen parallel gehendes Krankheitebewußtsein hätte, wird
ein solches Abhängigkeiteverhältnis zwischen der organischen Erkrankung und
dem subjektiven Krankheitebewußtsein vermißt. Trotz häufig hochgradiger
Unregelmäßigkeit des Herzschlages sehen wir derartige Kranke in ihrem seelischen
Gleichgewicht und allgemeinen Sicherheitsgefühl durch die Arrhythmie kaum
gestört. Diese fehlende Krankheitseinsicht bei schwer organisch Herzkranken,
selbst bei den gröbsten Formen, ist überaus charakteristisch. Beschwerden werden
nur so nebenbei vorgebracht, und dann gewöhnlich nicht auf das Herz bezogen
(Husten, Schmerzen im rechten Oberbauch u. a.). Es ist einfach nicht verständ-
lich, warum ein derartiger Kranker die drohende Lebensgefahr, in der er sich
in Wirklichkeit ständig befindet, nicht irgendwie nennenswert erleben kann.
Derartige Kranke kommen immer wieder schwer dekompensiert in die Klinik
und gehen oft vorzeitig wieder hinaus, sie behaupten, selbst bei schwersten orga-
nischen Veränderungen, es ginge ihnen gut. Derartige Grade von Dissimulation
sind ein merkwürdiges Problem, das mit der seelischen Einwirkung schwerer
körperlicher Leiden auf die Gesamtpersönlichkeit und umgekehrt eng ver-
knüpft sein muß. Merkwürdig ist auch die mangelhafte Übertragung schwer orga-
nisch Herzkranker auf ihren Arzt. Diese Kranken haben anscheinend selber zu
ihren organischen Leiden von der seelischen Seite her keinen Zugang. Auch das
psychische Trauma spielt bei ihnen keine Rolle. Die Psychotherapie besteht bei
ihnen in der Einleitung und dem Erfolge der körperlichen Behandlung. Nur
dadurch wächst, soweit überhaupt möglich, zwischen ihnen und dem Arzt ein
Vertrauensverhältnis. Psychotherapie im engeren Sinne kommt überhaupt ganz
allgemein bei Herzkranken nur wenig in Frage, eigentlich nur bei Neurotikern
mit Herzbeschwerden ohne jeden körperlichen Befund unterhalb der 40. Dennoch
ist der Zustand des seelischen Gefüges für Lebensglück und subjektive Arbeit
wichtiger als der oft schwer zerstörte Kreislaufapparat. Heute können noch
nicht rein von der seelischen Seite aus die Entstehungsbedingungen der orga-
nischen Krankheiten analysiert werden, dagegen kann unter Zuhilfenahme
psychodiagnostischer Kenntnisse die enge Verflechtung von Körper und Seele
in bezug auf Diagnostik, Therapie und ärztliche Haltung erkannt werden. Dabei
kommt es nach Fahrenkamp insbesondere auf eine gute Übertragung an. Die
den Ärzten nötigen peychotherapeutischen und psychopathologischen Kennt-
314 Johannes Schottky
nisse sollten nach Fahrenkamp in vorsichtiger Dosierung in Haltung und
Handlungen des Arztes einströmen. Methodische Psychotherapie ist beim Herz-
kranken ebenso wichtig wie das Medikament. Eine derartige Haltung des Arztes
könnte vielleicht den „Hausarzt“ in zeitgemäßer Form wiedererstehen lassen.
Auf die Bedeutung des Anlagefaktors wiesen Gibson, Gonzalo hin. Foster
meint, es komme zu einem „Manifestwerden' des Charakters, nicht zu einer Ver-
änderung durch das Herzleiden.
Die eben für die Herzkrankheiten erörterten engen Zusammenhänge sind
insbesondere auch für die arterielle Hypertonie von verschiedener Seite anerkannt
worden. Fahrenkamp hat ihnen ein besonderes Buch gewidmet, das insbesondere
eine planmäßige Anwendung der Blutdruckkurve enthält (an über 800 Kranken),
um zu untersuchen, in welchem Umfange an Hand von klinischen Beobachtungen
seelische Momente nicht nur die einzelnen Blutdruckwerte, sondern darüber
hinaus das Gesamtbefinden des Hypertonikers in günstigem oder ungünstigem
Sinne beeinflussen können. Wenn auch oft bei dieser keineswegs seltenen, dabei
wichtigen und noch wenig geklärten Krankheit wohl eine Änderung des seelischen
Geschehens das Primäre ist, so ist doch auch die Annahme berechtigt, daß die
Veränderung des kardiovaakulären Apparates in seiner Gesamtheit im Sinne der
Tendenz zur Blutdruckerhöhung häufig von der körperlichen Seite aus eine
Änderung des psychischen Verhaltens der Persönlichkeit im Gefolge hat. Wir
wissen über diese Zusammenhänge sehr wenig. Man muß auch den Gedanken
erwägen, daß seelisch besonders geartete Menschen sich besonders leicht körper-
lich im Sinne der Hypertoniekranken ändern und später an irgendeiner Form
von Hypertonie erkranken. Die Hypertonie wird heute von den meisten Autoren,
u. a. auch von v. Romberg, als eine von der Arteriosklerose zu scheidende Er-
krankung aufgefaßt. Fahrenkamp erörtert neben der essentiellen und jugend-
lichen Hypertonie besonders auch die Beziehungen zur benignen und malignen
Nephrosklerose und stellt seine eigenen Erfahrungen in engen Zusammenhang
mit den Anschauungen namhafter Kliniker von heute, wie v. Romberg, v.Berg-
mann, Goldscheider u. a. Besondere Beachtung wird dem konstitutionellen
und dem funktionalen Faktor gewidmet. Insbesondere v. Bergmann, der die
Hypertension als selbständige Krankheit auffaßt, legt den größten Wert auf
die pethologische Funktion. Fahrenkamp betont den geringen Wert einer
einmaligen Blutdruckmessung. Will man den Blutdruck prognostisch ver-
werten, so muß er immer hoch sein und wachsen, indes von psychischen Faktoren
unabhängig bleiben. Daß selbst scheinbar schwere Fälle von der psychischen
Seite her ganz auffallend angehbar sind, weist er überzeugend nach. Auch
Goldscheider und viele andere sehen die Psychotherapie als einzig wirksam
an. Wir müssen uns nach Fahrenkamp den Einfluß des Psychischen etwa so
vorstellen, daß der Gesamtgefäßapparat auf dem Umwege über das Bewußt-
sein durch traurige oder freudige Erregung in seinem funktionellen Zustand
derart verändert werden kann, daß auch der Blutdruck sich ändert. Weiter
dürfen wir annehmen, daß für eine große Gruppe von Hypertoniekranken weit
mehr als beim Gesunden seelische Einflüsse diese Beziehung zum Kreislauf
gewonnen haben. Da in vielen Fällen das Gefäßsystem in gewissen Organbe-
zirken bereits pathologisch-anatomisch verändert sein dürfte, so ist es nicht
erstaunlich, daß ein durch seelische Erregung ausgelöster Blutdruckanstieg in
dem bereits geschädigten Gefäßgebiete zu schwerer organischer Störung führen
Innere Krankheiten und Psychiatrie 315
kann. Dabei sind bei diesen Kranken schubweise (etwa auch durch Traum be-
dingte) oder dauernde affektiv betonte Inhalte ihres Unbewußten den Blut-
druck beeinflussend am Werke, insbesondere auch Angstvorstellungen, die gar
nicht selten durch den Arzt, einen Zeitungsartikel oder unvernünftige Ange-
hörige ausgelöst werden. Die von mancher Seite hervorgehobenen Stoffwechsel-
änderungen sind gleichfalls möglicherweise durch Affekte hervorgerufen, wobei
schwer zu entscheiden ist, was primär von der Angst, was sekundär vom Körper
erzeugt wird. Bemerkenswert sind bei vielen Kranken Tagesschwankungen.
Ob und warum Hochdruckkranke psychisch labiler sind als andere Kranke, läßt
sich nicht eindeutig feststellen. Möglicherweise büßen diese Kranken immer
mehr von ihrem Sicherheitsgefühle mit fortschreitender Erkrankung ein (s. o.
Heyers Auffassung über die psychische Bedeutung des Kreislaufsystems).
Ohne pathologisch-anatomisches Substrat, das ja im Beginn sehr geringfügig
sein kann, kann man sich eigentlich eine derartig eklatante Wirkung seelischer
Faktoren auf Organfunktionen nicht vorstellen. Das sind Veränderungen, die
sowohl den zentralen Apparat wie die Endorgane (etwa Niere) besonders treffen
können. Pathologisch-anatomische Veränderungen nimmt Fahrenkamp des-
halb auch an, weil alle diese Kranken ja Zeit ihres Lebens Hypertoniker bleiben
und schließlich an ihrem Gefäßapparat zugrunde gehen. Dagegen gibt es auch
eine rein funktionelle seelisch hervorzurufende Hypertonie. Ob der Tonus dann
allmählich fixiert wird, hängt wohl in gleicher Weise von einsetzenden anatomi-
schen Veränderungen wie vom Zuströmen der Noxen ab (innere Sekretion, Toxine
u. ä.). Eine tiefergehende psychische Behandlung im Sinne der Analyse wird in
jedem Falle von Fahrenkamp als schädlich abgelehnt, während andererseits
eine eingehende Beschäftigung mit der Persönlichkeit des Kranken unerläßlich
ist. Natürlich kann auch eine körperliche Verschlechterung sekundär eine seelische
Verschlimmerung auslösen, die die Kranken erregbarer und reizbarer macht und
ihrerseits wieder auf die körperliche Seite einwirken kann. Ein solcher Circulus
vitiosus ist noch am ehesten von der seelischen Seite her zu durchbrechen.
Ursache und Wirkung sind hier reversibel. Der wichtigste Faktor ist wohl
in jedem Falle eine ausgiebige körperliche und auch peychische Ruhebehand-
Auch nach Braun geht andauernd erhöhter Blutdruck fast ausnahmslos
mit seelischen Veränderungen einher, in deren Mittelpunkt eine ängstliche Ver-
stimmung steht. Es handelt sich nach ihm um ein immer wiederkehrendes charak-
teristisches Zustandsbild vor allem jähzorniger, überempfindlicher, schwerneh-
mender unausgeglichener Menschen. Dabei hat Braun, der sich auf Wencke-
bach stützt, insbesondere Männer um die 50er Jahre herum im Auge.
Krapf hat betont, daß sich die Hypertonie im Gehirn ganz anders auswirke
als die Arteriosklerose. Es handle sich auch im Strombahngebiet des Gehirns
um eine charakteristische Übererregbarkeit der Gefäße, während aklerotische
Gefäße untererregbar seien. Bei Hypertonie seien Spasmen häufig, der Sklerose
seien sie fremd. Dieser noch weiter ausgeführte pathophysiologische Kontrast
muß sich nach Krapf auch im psychischen Bilde auswirken, weniger im Quer-
schnitt als durch eine bemerkenswerte Art des Ablaufes. Neben symptomatischen
Störungen und Anfällen weist er auch auf nicht seltene dauernde Wesensverände-
rungen hin. Die Schwierigkeit einer Trennung der ursprünglichen Anlage von
‚erworbenen Veränderungen hält er für noch nicht überwunden, vielleicht ist
316 Johannes Schottky
das aufbrausende und jähzornige Wesen dieser Kranken nur Ausdruck ihrer
prämorbiden Persönlichkeit.
Weiss hat für den komplexen Vorgang der Blutdrucksteigerung eine Klassi-
fikation mitgeteilt, die besonders die funktionelle Seite berücksichtigt. Singer
hat über Einflüsse der Witterung auf die Todeszeit der Hypertoniker berichtet.
Durig hat sehr ausführlich und gründlich die physikalischen, chemischen und
pharmakologischen Grundlagen und Veränderungen des Blutdruckes, auch die
Wirkung von Hormonen besprochen. Auch Fahrenkamp berichtet übrigens
über das erst vor kurzem entdeckte Kreislaufhormon. Auch nach Durig besteht
die beste Behandlung und Vorbeugung des essentiellen Hochdruckes in den
verschiedenen Formen der seelischen Beruhigung.
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Schizophrenie
von Gottfried Ewald in Erlangen.
Mit dem im Berichtsjahr erschienenen Band über Schizophrenie aus der
seit Jahren am intensivsten auf diesem Gebiete tätigen Heidelberger Klinik
hat das große Bumkesche Handbuch der Geisteskrankheiten seinen Abschluß
gefunden. Es war ein glücklicher Gedanke, gerade der Heidelberger Klinik
dieses schwierige und umfassende Gebiet anzuvertrauen; die enge Zusammenarbeit
der beteiligten Forscher versprach eine großzügige, einheitliche Darstellung
und hat dieses Versprechen auch gehalten. Wenn man vielleicht zugeben muß,
daß die Darstellung trotz allen Bemühens um eine möglichst vollkommene Er-
fassung der gesamten wissenschaftlichen Einstellungen dabei einen lokalspezi-
fischen Anstrich behalten hat, so scheint mir dieses bei der unerhörten Breite
des Gebietes mehr als ein Vorteil, es ist eine Darstellung der Schizophrenie
geworden, die man gern liest — ich möchte geradezu sagen, daß ich das Buch
mit Begeisterung studiert habe — und die nicht mehr verwirrt, als lehrt.
Die Einleitung bildet ein weit ausholender, trefflicher geschichtlicher Über-
blick aus der Feder Gruhles; nur eine Darstellung der Entwicklung der Psych-
iatrie überhaupt schien die organische Herausentwicklung des Schizophrenie-
problems und die noch heute in ihm wirkende, zwiespältige Forschungseinstel-
Jung — hie Psychiker, hie Somatiker — zu ermöglichen. Es erscheint wesentlich
zu bemerken, daß auch die Heidelberger Schule trotz der bei ihr vorherrschenden
psychologischen Grundeinstellung an der Anschauung festhält, daß die Schizo-
phrenie eine destruktive, organische Krankheit ist, eine Krankheit, deren genaue
Umgrenzung heute freilich noch nicht gegeben werden kann, die aber doch einen
einheitlichen Kern besitzen dürfte. Bei dieser Sachlage kann es nicht wunder-
nehmen, daß die statistischen Untersuchungen über Häufigkeit, Geschlecht,
Rasse, Klima, Jahreszeit, über die Mayer-Groß berichtet, nicht allzu gut über-
einstimmen; doch hebt sich einiges Bemerkenswerte heraus, so die Abhängig-
keit gewisser Erscheinungsformen (stuporös, bland, erregt) von der Bevölke-
rungsartung und die Unabhängigkeit der Erkrankung selbst von Rasse und
Klima. Auch auf die Erforschung des Erbganges mußte die Unsicherheit unserer
Diagnostik abfärben; die gewaltige Arbeit, die hier von Rüdin, Luxenburger,
Hoffmann, Kahn u. a. geleistet wurde, ist in großzügiger, auf minutiöse Klein-
arbeit bewußt verzichtender Weise von Beringer zusammengestellt. Wir
wissen heute nur, daß die Schizophrenie sich nicht dominant forterbt, der
spezielle Erbgang liegt noch im Dunkeln. Es traten deshalb mehr praktische
Gesichtspunkte in den Vordergrund, die Krankheitsgefährdung der schizophren
Verwandten unterschiedlichen Grades wurde untersucht im Verhältnis zu den
Krankheitsaussichten innerhalb der Durchschnittsbevölkerung. Wir geben
einige Hauptpunkte wieder: Bei schizophrener Erkrankung beider Eltern er-
Neurologie V, 8 23
322 Gottfried Ewald
krankten ungefähr 50% der Kinder, bei nur einem kranken Elter dagegen
weniger als 10% (8,7% Wahrscheinlichkeit). Die Geschwister Schizophrener
scheinen noch erheblich gefährdet, etwa 5% (Basler Klinik 10%; jedoch soll
hier auch die „Standardzahl‘ der Durchschnittsbevölkerung von 0,8%, Wahr-
scheinlichkeit höher liegen), auch Enkel, Neffen und Nichten sind noch ge-
fährdet, während bei den Großneffen und Großnichten die Standardziffer der
Normalen wieder erreicht wird. Das Vorhandensein von anderen Psychosen in
der Verwandtschaft — also eine Art unspezifischer Belastung — ist nicht be-
deutungslos. Auch die Zwillingsforschung wird erörtert. Mit kritischer Reserve
steht Beringer den Ergebnissen der Erbforschung auf dem dehnbaren Gebiete
des Schizoids gegenüber. Das harte und ernste Ringen um einen klaren Erbgang
des Schizoids, der Schizophrenie, des Faktors Prozeßpsychose, um Klärung von
Genotypischem von Phänotypischem, unterbaut von mehr oder weniger spekula-
tiven Erbtheorien und Kombinationsmöglichkeiten, wird anschaulich geschildert.
Die Hoffnungslosigkeit, hier klare Linien zu finden, führte manche Autoren zu
der Annahme eines stärkeren Hereinspielens exogener Faktoren, was Beringer
im wesentlichen ablehnt (Bumkes exogene Bedingtheit der schizophrenen
Äußerungsform, Kahns schizoforme Reaktionen, Kleist-Herz’s symptoma-
tische Schizophrenien). Eine Keimschädigung durch Alkohol, Lues, andere
Gifte, durch Tuberkulose usw. ist nicht nachgewiesen; auch Luxenburgers
Theorie von der Anlagekoppelung mit Tuberkulosebereitschaft über eine Schwäche
des mesodermalen Stützgewebes bleibt Hypothese. Die endotoxische Genese
läßt sich nicht stützen. Je mehr man dann in das Gebiet der Degenerations- und
Mischpsychosen hineinkommt, desto schwieriger werden die Verhältnisse. Am
bemerkenswertesten erscheinen hier noch die Mauzschen Untersuchungen über
die besonderen Verläufe bei bestimmtem Körperbau.
Das führt schon über die reine Erbfrage hinaus zur Körperkonstitution, über
die Bürger-Prinz berichtet. Auf breiter Grundlage wird zunächst die Frage
Körperkonstitution und Rasse behandelt und als noch nicht spruchreif bezeichnet,
ferner werden die paratypischen Faktoren (Alter, Ernährung, Beruf usw.) und
das Geschlecht besprochen. Bürger-Prinz verhält sich gegenüber Kretschmer
etwas reichlich negativ-kritisch. Doch stellt auch er fest, daß die Beziehung von
pyknisch zur zyklischen Psychose unbestritten bleibe, freilich noch nicht die
Beziehung zum zyklothymen Temperament. Die gewaltigen Schwierigkeiten,
die sich im Rahmen der Schizophrenie- und Schizoidlehre ergeben, werden dann
mit Recht aufgerollt; hier liegen die Dinge sicher viel komplizierter, als sie ur-
sprünglich gedacht waren. Selbst darüber, ob die Beziehung Körperbau und
Charakter oder Körperbau und Psychose mehr gesichert sei, besteht keine Einig-
keit. Die experimental-psychologischen Untersuchungen der Kretschmerschen
Schule und Krohs reichen nach Bürgers Meinung nicht zu, ferner wird das
Problem kompliziert durch die Jaenschsche Herausstellung des B- und T-Typs,
der sich nur schwer mit Kretschmers Auffassung zu guter Deckung bringen
lasse. Eines der schwierigsten Probleme bleibt das heiß umstrittene „Schizoid“,
dem sich nun Bürger-Prinz wieder zuwendet. Er gibt eine klare und über-
sichtliche Darstellung über die Entwicklung, die dieser Begriff genommen hat,
von Kraepelin u. a. ausgehend, die schon die „Verschrobenen und Eigen-
brötler mit besonderer Konstanz unter der Verwandtschaft von Schizophrenen
und unter den präpsychotischen Persönlichkeiten fanden, bis zu Kretschmer,
Schizophrenie 323
der mit Bleuler dazu neigt, in diesen Psychopathen nur verdünnte Formen der
echten Schizophrenie zu sehen, was der Bezeichnung „schizoid“ erst die volle
Berechtigung verleihen würde. Aber gerade gegen diese nur quantitativen Unter-
schiede wendet sich ein großer Teil der Kritiker; das Für und Wider einer Ent-
scheidung entgegenzuführen, ist bisher noch nicht gelungen. Auch die immer
erneuten Versuche, den gar zu zerflossenen Begriff des Schizoids — ich habe ihn
früher einmal „Ziehharmonikabegriff genannt — in festere Form zu gießen,
wird zur Darstellung gebracht, ferner die Schwierigkeiten der Überschichtung
von Zykloidem und Schizoidem, noch mehr von Zyklothymem und Schizo-
thymem, die sich anlagemäßig in jeder Person finden, endlich die Heraus-
arbeitung des echten, nicht weiter ableitbaren, angeborenen Autismus als wesent-
lichster Bestandteil des Schizoids (Binder) und die Aufspaltung der psych-
ästhetischen Proportion durch Berze, schließlich das schwer zu kontrollierende
Hereinspielen von Erlebnisfaktoren. Unbeschadet der vollen Anerkennung der
ungemein befruchtenden Konzeptionen Kretschmers kann von einer einheit-
lichen Beurteilung noch nicht entfernt gesprochen werden.
Daß das letzte der einleitenden Kapitel von Mayer-Groß bereits über-
schrieben ist „Auslösung durch seelische und körperliche Schädigungen“,
zeigt, daß er sich, worin ihm die deutsche Psychiatrie überwiegend beipflichten
wird, auf den Standpunkt der prinzipiell „endogenen“ Ätiologie stellt. Im An-
schluß an Wilmanns erörtert er die Fragestellungen, die bei einem zeitlich mit
einem besonderen Erlebnis verknüpften Auftreten eines schizophrenen Schubes
zu beachten sind. Bei Ausschaltung der Fälle, bei denen das Erlebnis schon Aus-
druck der Schizophrenie ist, bei vernünftiger Bewertung der angeblichen Erleb-
nisse, bei Berücksichtigung des großen Kriegsexperimentes, das nicht zur Ver-
mehrung der Schizophrenie führte, bleiben nur wenig Fälle, in denen eine psych-
ische Auslösung der Erkrankung wahrscheinlich ist. Die Haftpsychosen werden
besprochen, auffallenderweise wird dem Liebeserlebnis (auch dem religiösen Er-
lebnis) keine besondere Beachtung geschenkt, obwohl uns gerade dieses biologisch
oft so tiefgreifende und erschütternde Erleben wesentlicher deucht, als andere
mehr an der Peripherie bleibende und mehr momentan und vorübergehend
wirkende Geschehnisse. Bei der Frage der körperlichen Auslösung wird die
zweifelhafte Auslösbarkeit durch Generations- und Gestationsvorgänge betont,
die Möglichkeit des Auftretens einer schizophrenen Färbung unter dem Einfluß
der entsprechenden präpsychotischen Persönlichkeitsartung natürlich zugegeben.
Die schizophrene Reaktionsform im Sinne Bumkes mit den exogenen Prädilek-
tionstypen Bonhoeffers in Parallele zu setzen, lehnt Mayer-Groß ab. Auch
der Beweis eines Zusammenhangs zwischen Hirntrauma und Schizophrenie ist
im allgemeinen nicht zu erbringen. In den gelegentlichen, schizophrenieähnlichen
Bildern nach Enzephalitis oder malariabehandelter Paralyse meint Mayer-
Groß mit Recht keine echten schizophrenen Erkrankungen sehen zu dürfen;
sie können ätiologisch nichts besagen, eine „symptomatische Schizophrenie“ ist
hierdurch nicht erwiesen.
Den ersten Hauptabschnitt, die Symptomatologie, eröffnet Gruhle mit
einer Darstellung der Psychopathologie. Er läßt bei Besprechung der Sinnes-
täuschungen es sich besonders angelegen sein, die krankhafte Funktion beim
Halluzinieren, im Gegensatz zu dem Inhalt, der ursächlich nicht in Betracht
kommt, herauszuarbeiten. Die Ichstörung mit ihrer Entfremdung der Außen-
KL
324 Gottfried Ewald
welt, was wohl der Aktstörung im Sinne von Berze und Kronfeld gleichkommt,
ist das Wesentliche. Die schizophrenen Halluzinationen, überwiegend akustischer
Art, sind nach Gruhle meist „echte“ Sinnestäuschungen, sind „leibhaftig“
(im Gegensatz zu Carl Schneider), nicht Pseudohalluzinationen, nicht nur Ge-
danken, auch wenn sie oft den Leibhaftigkeitsgrad der Wahrnehmung nicht be-
sitzen (sog. Gedankenlautwerden); sie tragen den Charakter des Überwältigt-
werdens, des Vergewaltigtseins, des „Automatismus“ an sich (doch wird der
letztere Ausdruck der Franzosen als nicht hinreichend vom Normalen absetzbar
abgelehnt). In der häufigen inhaltlichen Fremdheit der Stimmen gegenüber
der eigenen Gedankenwelt wird eine Stütze dafür gesehen, daß die Schizophrenie
eine organische Erkrankung sei. Bei den Mißempfindungen ist sehr oft nicht zu
unterscheiden, inwieweit periphere organische Sensationen, wie weit Halluzina-
tionen oder Illusionen der Körperempfindungssphäre vorliegen. Lokalisatorische
Gedankengänge werden abgelehnt. Nebenher laufen durch die Erkrankung nicht
veränderte Wahrnehmungs- und Vorstellungsvorgänge, wie beim Geistesgesunden.
Eine Störung der Intelligenz im engeren Sinne liegt bei der Schizophrenie nicht
vor; man sollte daher auch nicht von „Demenz sprechen. Als wesentliches
Merkmal der Denkstörung erscheint „die Schwäche des intentionalen Bogens“
(Beringer). Das Vorliegen einer assoziativen Lockerung (Bleuler) wird als schiefer
Ausdruck bezeichnet, Traum und Einschlaferleben (C. Schneider) geben mehr
äußerliche Ähnlichkeiten wieder ; auch die Verwirrtheit bietet nur „Ähnlichkeiten“.
Analysen unter Zugrundelegen der Husserlschen Phänomenologie (Frostig,
von Domarus) haben nicht weiter geführt. Gruhle meint schließlich sogar, das
formale Denken an sich sei intakt, es sei erst im „höheren“ Sinne gestört. Gemeint
ist damit, daß es an der Denkinitiati ve fehle. Damit kommt er unseres Erach-
tens durchaus auf Berze, Kronfeld und C. Schneider zurück. Leider ist nicht
näher herausgearbeitet, warum C. Schneider abgelehnt wird; dieser habe den
„Generalnenner“ für die von ihm dargestellten formalen Änderungen des Denkver-
laufes nicht gefunden, während er doch unseres Erachtens gerade alle Störungen
auf den Generalnenner der „Änderungen der Vollzugsweise‘‘ abgestellt hat, ähn-
lich wie Berze und Kronfeld es hinsichtlich der Aktstörung tun. Gruhle legt
großen Wert darauf, daß man die Produkte der Schizophrenen nicht immer nur
unter dem Gesichtswinkel des „Minus“ sehen solle, sondern auch unter dem Ge-
sichtswinkel des „Anders“. Bei der Sprache unterscheidet er gewollte und unge-
wollte Sprachbesonderheiten. Zu den ersteren rechnet er die Wortneubildungen
und Verschmelzungen aus Sprachnot, das Dazwischenfahren halluzinatorischer
Elemente, und die Angewöhnung einer Geheimsprache aus Wahngründen. Die
ungewollten Formen sind Folge der schizophrenen Denkstörung oder werden
durch das Einbrechen eines Affektes in das Denken hervorgerufen (etwa wie der
Normale in der Erregung verwirrt sprechen kann). Besonders wesentlich er-
scheint ihm die „Glossolalie“, eine Sprachverwirrtheit infolge eines Impulsüber-
schusses, der auf Expression drängt; ohne begleitenden Affekt wird die Glossolalie
zur Verbigeration. Die Verschrobenheit ist mehr eine Willensstörung. Schließ-
lich wird des „schizophrenen Stils“ bei älteren Kranken als einer Art „Ringens
um eine neue Basis seelischer Existenz“ gedacht. Die Beziehungen, die Kleist
zur Aphasielehre sucht, lehnt Gruhle ab unter Hinweis auf das „Anderskönnen“
der Kranken, er stellt sich selbst als „Voluntarist“, Kleist als „Rationalist“
gegenüber, läßt aber schließlich doch die Kleistschen Bestrebungen als grund-
Schizophrenie 325
sätzlich andere Betrachtungsweise gelten. Die Begriffe „Paralogie‘ und „Vor-
beireden‘‘ werden von ihm als zu verschwommen angelehnt. Im überwiegenden
Maße ist die schizophrene Sprache für ihn ein Sekundärsymptom. Es folgt der
Wahn: Wahn hat mit „Intelligenz“ nichts zu tun; er entsteht auch nicht durch
unscharfe Wahrnehmung, eher wird die Wahrnehmung durch das Wahnerleben
alteriert. Noch weniger entspringt er einer „krankhaften Vorstellung‘, da eine
Vorstellung an sich niemals krankhaft sein kann. Schwerer wiegt die Anschauung,
daß der Wahn einem krankhaften Gefühlszustand (Mischgefühl Spechts) ent-
springe; aber Gruhle meint, daß sich solche krankhaften Gefühle nicht aufzeigen
lassen. Ich persönlich kann mich noch nicht überzeugen, daß die Widerlegung
der Spechtschen Auffassung für den schizophrenen Wahn voll gelungen ist.
Wenn man sich auch an dem Begriffe der „Mischgefühle“ stoßen mag, das Ge-
fühl einer Ichbedrohung oder Icherhöhung, eine „Triebstörung‘‘, wenn man so
sagen will, die ein Insuffizienz- oder Erhöhungsgefühl setzt, liegt wohl in jedem
Falle — wenn auch oft nur entfernt, ‚in statu nascendi“ und nicht direkt aus-
gesprochen — dem Eintreten der krankhaften Eigenbeziehung, der wahnhaften
„Auffälligkeit“ der Außenwelt, dem Gefühl der „Veränderung der eigenen Per-
sönlichkeit“, der Symbolisierungstendenz für an sich ichferne Vorgänge (eine
Nebensächlichkeit „bedeutet“ etwas) zugrunde (,, Weltuntergangs- bzw. Wahn-
stimmung“ (Jas pers), , Vereinsamung“ (Schulte, Kahn) in allen Graden und
Schattierungen). Gruhle sagt selbst „das Erlebnis (im Unterbewußtsein) der
vitalen Gefährdung ist eine notwendige kausale Konstituente der Wahnformel‘;
könnte nicht dieses Erlebnis der vitalen Gefährdung durch die Krankheit bio-
logisch gesetzt werden, sich aus ihm die Wahnstimmung entwickeln und dann
weiter verständlich (sekundär) die Wahneinstellung und der Wahn (ähnlich Kant)!
Ich weiß nicht, ob Gruhle mit Recht bezweifelt, daß dieses Stimmungsmoment
vorgeschaltet sei, der Wahn also seine Wurzel in ihm nicht habe. Mir scheint,
daß hier die ‚„Tiefenpsychologie‘‘ oder die „dynamische“ oder „ biologische“ Psy-
chologie die mehr statische phänomenologische, von Gruhle vertretene Psy-
chologie ergänzen könnte und sollte. Eine Beziehung des schizophrenen Wahns zu
der früheren Persönlichkeitsartung (unsicher, mißtrauisch, vorsichtig usw.) lehnt
Gruhle ab; es ist für ihn der echte" Wahn ein unableitbares organisches Primär-
symptom, durch das Bedeutungserlebnis gesetzt. Sekundärer Wahn kommt freilich
auch nach Gruhle vor, so z.B. der Erklärungswahn, auch ein sekundärer Wahn
aus Stimmungen, aus schizophren aufgezwungenen Gefühlen; wenn nun Gruhle
bei Besprechungen des Überwiegens der Unlustbetonung der Wahnideen meint,
daß nicht die Wahnideen Unlust erwecken, sondern daß die „Wahnstimmung“
„von vornherein‘ unlustbetont sei, so möchte man fast meinen, man sei auf
einer Linie; es wäre dann also doch die Stimmung primär gesetzt, nicht aber die
Wahnidee; allein Gruhle wird hier wohl entgegnen, daß das Bedeutungserlebnis
an sich daraus immer noch nicht ableitbar sei. Aber könnte hier nicht die Denk-
oder Ichstörung ‚‚bedeutung-verschiebend‘“‘ hereinwirken ? Er weist besonders auf
die seltenen, aber doch vorkommenden gefühlsfreien Wahnideen hin, wobei der
Beweis der Gefühlsfreiheit (bzw. der mangelnden Triebstörung) jedoch schwer zu
erbringen sein dürfte. Gruhle bespricht schließlich noch das déjà vu-Erlebnis in
seinem Verhältnis zur Wahnidee, versucht ferner eine Abgrenzung gegenüber den
bei Paralyse und manisch-depressivem Irresein vorkommenden Wahnideen ; gegen-
über gelegentlichen Wahnideen bei Epilepsie gelingt auch ihm eine Abgrenzung
326 Gottfried Ewald
nicht. — Die Aufmerksamkeit ist nach Gruhles Meinung beim Schizophrenen
nicht gestört. Diese Fassung scheint mir nicht ganz glücklich ; denn daß die „Inten-
tion“ und damit die Aufmerksamkeit für gewöhnlich eine Schwächung erfährt
(‚Schwächung des intentionalen Bogens“) kann doch nicht gut bestritten werden,
auch wenn bei Gelegenheit eine volle Intention gelingt; es mag die „Aufmerk-
samkeit primär nicht gestört sein, aber doch nur insofern als sie eben eine
„sekundäre Erscheinung“ ist.
Bei Besprechung des Bewußtseins tritt Gruhle zunächst einer zu weiten
Fassung dieses Begriffes entgegen und scheidet die „echten“ Bewußtseinstrü-
bungen, wie man sie z. B. im Delir und im Dämmerzustand findet, aus, bezweifelt
ihr Vorkommen auch bei den schweren akuten Zuständen. Dann bespricht er
die Amnesien, die es ebenfalls in der Schizophrenie nicht gibt, auch das alter.
nierende Bewußtsein“ kommt nicht vor. Verändert ist dagegen der „Ichgehalt“
der Bewußtseinslage, daher dann das Fremdheitsgefühl, die „gemachten‘‘ Ge-
danken und Handlungen. Man wird ihm zustimmen, wenn ihm die Bezeichnung
einer „Willensstörung‘‘ für diese Formen wenig entspricht. Vielleicht geht aus
der Ichstörung sekundär die „schizophrene Grundstimmung als eine Art Reak-
tion hervor, vielleicht ist die Grundstimmung aber auch ein Primärsymptom, es
ist eine „Vereinsamung“, die man nicht mit Verstumpfung gleichsetzen darf. Eine
Störung der Gefühle in dem Sinne der Lockerung ihrer Verbundenheit mit den
Inhalten trifft zu; auch wenn es nicht gleich zu einem Chaos zu kommen braucht,
so findet sich doch oft eine merkwürdige Umwertung in der Gefühlsbesetzung.
Vielleicht liegt hier der Nachdruck etwas zu reichlich auf dem „Anders“ und nicht
ganz hinreichend auf dem „Minus“, das doch sicher, mindestens oft, überwiegend
vorhanden ist. Unter Willen versteht Gruhle dreierlei, den Impuls, die Ablaufs-
kurve und die Bestimmbarkeit durch Grundsätze. Die Impulse können im Sinne
des Plus oder Minus (Erregung und Stupor) verändert sein, sehr häufig ein pri-
märes, unableitbares Symptom. Es folgen Gedanken über Sperrung und Hem-
mung und Katalepsie. Ambivalenz und Manieren erscheinen als primär bedingte,
vielleicht rein somatisch begründete Störungen der Impulsdurchführung. Die
Stereotypien werden besprochen, soweit ihnen ein psychologischer Sinn unterlegt
werden kann. Bei Besprechung der Gesamtpersönlichkeit wird etwas ausführ-
licher der Stellung eines anderen Autors gedacht, zu Berzes Theorie von der
schizophrenen Hypotonie des Bewußtseins mit der Grundstörung der Insuffi-
zienz der psychischen Aktivität wird Stellung genommen. Gruhle betont ihm
gegenüber, daß er zu viel das „Minus“ beachtet und nicht hinreichend das „An-
ders“. Ihm ist das „Anders“ das wesentliche, die innere Umgruppierung der
Persönlichkeit in ihrem Wertsystem, die uneinfühlbar gewordenen Motivzu-
sammenhänge. Der äußere Ausdruck des Persönlichkeitszerfalls ist die Ver-
schrobenheit, deren Kreis von Gruhle schließlich so weit gezogen wird, daB er
sich versucht sieht, die Gedankengänge mancher wissenschaftlicher Forscher und
die Artung gewisser Künstler als schizophren zu analysieren. — Es ist eine anregend
und feinsinnig geschriebene Abhandlung, die Gruhle hier vorlegt, auch wenn sie
vielfach zur Kritik herausfordert. Ich kann mich aber doch der Bemerkung nicht
enthalten, daß es bedauerlich ist, wie wenig man über die Anschauungen anderer
Autoren unterrichtet wird. Es ist Gruhles Psychologie der Schizophrenie, die
hier ihren Niederschlag gefunden hat, es ist weniger ein Handbuchartikel, in dem
man sich über die Stellung der verschiedenen Autoren (Bleuler, Berze,
Schizophrenie 327
C. Schneider, Kronfeld, Minkowski, Storch, Freud oder Schilder,
um nur einige der wichtigsten zu nennen) erschöpfend orientieren kann. Mit
einigen kurzen ablehnenden Bewertungen oder bibliographischen Angaben scheint
mir dieser Forderung für ein Handbuch doch nicht ganz Genüge getan. Mayer-
Groß holt in dieser Beziehung im klinischen Abschnitt gewiß einiges nach; aber
in dem psychologischen Teil hätte man doch eine systematische Darstellung der
Meinung auch anderer Autoren und Richtungen erhoffen dürfen.
Die Motorik der Schizophrenie hat eine ausgezeichnete Darstellung gefunden
durch Homburger. Unter Zugrundelegung eines physiologisch-biologischen Be-
wegungsaufbaues (Ausdrucksbewegung, Haltung, Ortsbewegung, Arbeitsbewe-
gung, Geschicklichkeitsbewegung und ihrer chronogenen Entwicklung) be-
schreibt er in sehr gewandter Weise die starre und schlaffe Akinese, Negativismus
und Gegenhalten, Katalepsie und Echosymptome, impulsive Akte und Stereo-
typien, die „Verarmung der Bewegungsregister‘‘, Verlust der Grazie, Manieriert-
heit und Bizarrerie, Geziertheit, Verschrobenheit, Verzücktheit, endlich die
hyperkinetischen Symptome, alles mit dem Hintergrund einer extrapyramidal-
motorischen, somatisch-funktionalen Störung, über deren Hereinspielen die Auto-
ren fast einig sind. Die motorischen Gesamtbilder der akuten Phasen und der
Endzustände sind vortrefflich gezeichnet, und mit ausführlichen Krankenschilde-
rungen gründlich belegt. Zum Schluß wird auf die Theorien der mehr neuro-
logisch orientierten Forscher, besonders auf Kleists Gedankengänge, kurz ein-
gegangen.
Eine gewisse Ergänzung dieser letzten, etwas spärlich wiedergegebenen Auf-
fassungen, „Theorien“, wie die stark theorienfeindliche Heidelberger Schule gern
mit leicht abfälliger Betonung sagt, bringt das nächste Kapitel über die „körper-
lichen Erscheinungen“ von Steiner und Strauß. Die interessantesten Ab-
schnitte betreffen die Ausführungen über Anfälle; man wird den Verfassern zu-
stimmen, daß echte epileptische Anfälle bei der Schizophrenie im allgemeinen
nicht vorkommen, es sei denn, es handele sich um ein zufälliges Zusammen-
treffen beider Krankheiten, wobei ich jedoch die Provokation des einen Leidens
durch das andere nicht mit solcher Bestimmtheit ablehnen würde, wie die Ver-
fasser es tun. Ferner interessiert natürlich der Abschnitt über ‚sonstige körper-
liche Veränderungen‘, der die Endokrinologie ein wenig kurz abmacht, der
Reiterschen (warum nicht auch der Buscainoschen ?) Überlegungen gedenkt,
die Frage der Tuberkulogenese streift, die Hirnschwellung und Liquorschranke
bespricht. Leider findet sich über die von Monakowsche These von der Be-
deutung der Piexus chorioidei keine Notiz. Es werden schließlich noch die Ar-
beiten über experimentelle Katatonie, besonders die Bulbokapninversuche, ge-
würdigt; dabei wird mit Recht darauf hingewiesen, daß sie — ungeachtet ihrer
lokalisatorischen und funktionalen Bedeutung — zur Annahme einer toxischen
Genese der Schizophrenie durchaus nicht berechtigen. Endlich wird des Vor-
kommens von Heredodegenerationen verschiedener Art gemeinsam mit schizo-
phrener Erkrankung gedacht, worin aber noch kein zureichender Beweisgrund
für die heredodegenerative Natur der Schizophrenie gesehen werden kann.
Nach diesen vorbereitenden Abschnitten folgt die Klinik, dargestellt von
Mayer-Groß. Er geht auf die meisten aktuellen Fragestellungen unter Her-
anziehung der wichtigsten Autoren ein. Zwar bleibt auch seine Darstellung
gerichtet von der Heidelberger psychologischen Einstellung, doch sucht er
328 Gottfried Ewald
anderen Meinungen gerecht zu werden oder gibt sie doch in ihren Haupt-
zügen wieder. Er beginnt mit der Besprechung der allgemeinen und Prodro-
malsymptome zunächst bei schleichendem Beginn, mit der initialen Denk-
störung infolge leichter Schwächung des „intentionalen Bogens“, der Akti-
vitätsstörung, der Störung der „ Sympathiegefühle“ (die von der Aktivitäte-
störung nicht immer leicht zu trennen sein dürften) und des initialen Be-
ziehungswahns, der bei verschiedenster Charakterartung auftreten kann und
daher schwerlich nur aus der Charakterstruktur herzuleiten ist; er spricht
von den Gefühlsstörungen, die sich nicht im Mattsein erschöpfen, sondern eben
oft „anders“ sind, schließlich von der Schwierigkeit der Abgrenzung gegenüber
psychasthenischen, hysterischen und Zwangszuständen. Beim akuten Beginn
geht er besonders auf die Sinnestäuschungen ein, und läßt sich den Nachweis des
Hereinspielens einer Abwandlung des durch die Sinnesorgane vermittelten Wahr-
nehmungsmaterials angelegen sein. Die psychomotorischen Störungen, auch
neurologisch angehbar (Kleist), werden auf ihre psychologische Durchdring-
barkeit untersucht; es reicht die Aktstörung zur Erklärung nicht aus, es gibt
Stupor und Bewegungsüberschuß ohne gesetzmäßige Beziehung zu Aktschwäche
und Aktivitätsesteigerung. Als „Urphänomene“ werden Iteration und Hyper-
metamorphose angesprochen, aus deren Verbindung mit anderen seelischen Stö-
rungen (Denkstörung, Aktstörung, Störung der Sympathiegefühle usw.) sich
andere Hyperkinesen erklären lassen. Bei den primären Wahnerlebnissen setzt er
sich in Anlehnung an Gruhle besonders für die primäre Natur des Bedeutungs-
bewußtseins ein, bespricht auch hier die enge Verschlingung mit anderen Stö-
rungen, besonders mit Akt- und Gefühlsstörung und der Wahnstimmung (Jas-
pers), welch letztere nicht nur Begleitphänomene sind, sondern als primäre Ab-
wandlungen neben das Bedeutungsbewußtsein treten können. Schließlich werden
exogener und psychogener Beginn (Haftpsychose) abgehandelt.
Nun folgt die Darstellung der typischen Syndrome bei ausgebildeter Er-
krankung. Mayer-Groß legt die ursprüngliche Kraepelinsche Einteilung in
hebephrene, katatone und paranoide Formen zugrunde. Die hebephrenen For-
men (ausgezeichnet durch Aktivitätsstörung und Gefühlsverödung) verlaufen
relativ oft mild und können auf jeder Stufe stehen bleiben, reichen infolgedessen
in Form der abgesunkenen Existenzen und Hypochonder besonders weit in das
Alltagsleben hinein und haben die größte praktische Bedeutung. Sie werden
unter Beiziehung reichlicher und vorzüglicher Krankenberichte (die Kranken-
berichte sind im ganzen Band durchwegs vorzüglich) in allen Stadien geschildert
und analysiert. Auch bei den Katatonikern fehlt es nicht an „stehengebliebenen“
mit eingeschliffenen, automatischen, schließlich sinndurchdrungenen Einzelzügen.
Aber auch die schweren und schwersten Bilder werden anschaulich geschildert;
Kleist und Kläsi kommen dabei zu ihrem Recht. Bei den paranoiden Formen
wird die Unmöglichkeit einer Abtrennung von Paraphrenien nachgewiesen. Es
interessiert ferner besonders neben den allgemeineren Wahnfragen (nach primären
Wahnerlebnissen, Hereinspielen der Affektivität, nach Wahngenese, Wahnform
und Wahninhalt, ihre Verstehbarkeit und Ableitbarkeit) die klinische Frage
nach Abgrenzung gegenüber dem psychopathischen Paranoid und der Paranoia.
Auffallend bleibt das späte Einsetzen aller paranoiden Schizophrenien und ihre
Beziehungen zur Temperamenteunterlegung. Die Möglichkeit, daß der Paranoia
eine durch einen latenten schizophrenen Prozeß gesetzte hypoparanoide Charak-
Schizophrenie 329
terhaltung zugrunde liegen könnte, wird offen gelassen. Unter den atypischen
Gestaltungen begegnet man zunächst den pathoplastisch verschleierten Bildern,
den Pseudoneurosen, unter denen die Zwangszustände eine besondere Stelle ein-
nehmen; Freuds Anschauungen werden gestreift und mit berechtigten Ein-
wänden abgelehnt. Mit kritischer Zurückhaltung wird die Frage der Dementia
praecocissima und die Beurteilung der Pubertätspsychose besprochen, die man
keinesfalls immer gleich mit einer Hebephrenie gleichsetzen darf. Die Pfropf-
schizophrenie ist anzuerkennen, vor einer Überdehnung aber zu warnen. Prä-
seniler Beeinträchtigungswahn, Involutionsparanois und -paraphrenie, sowie Spät-
katatonie sind nicht prinzipiell von den Schizophrenien abtrennbar, es sind schizo-
phrene Späterkrankungen;; doch wird der Besonderheit des Aufbaues Rechnung
getragen. Auch die akute und chronische Alkoholhalluzinose ist von der Schizo-
phrenie aufgesogen worden. Ausführlich wird die Frage der Mischpsychosen
behandelt, Mischung mit manisch-depressiven und epileptischen Zügen; die Mög-
lichkeit von Legierungen wird zugegeben, doch wird vor einer kritiklosen Aus-
deutung einer gemischten Symptomatik und der hereditären Konstellation ge-
warnt. Die Aufstellung des Begriffes der Degenerationspsychosen führt nach
Ansicht Mayer-Groß’ nicht weiter. Bewußtseinstrübungen spielen in der Klinik
der Schizophrenie eine untergeordnete Rolle, wenn sie auch in akuten Zuständen
nicht immer mit Sicherheit auszuschließen sind. Der Begriff der episodischen
Dämmerzustände wird abgelehnt. Ausführlicher wird der oneiroiden Erlebens-
form gedacht. Interessant ist endlich der Abschnitt über Verlauf und Ausgang.
Berücksichtigt man Persönlichkeitsartung und Alter, so läßt sich schon manche
Einsicht gewinnen; hier scheinen besonders die Arbeiten von Mauz von Be-
deutung, auch eigene Arbeiten des Verfassers und die Arbeiten C. Schneiders.
Die Stellungnahme des Schizophrenen zu seiner Krankheit und deren Überwin-
dung führt hinüber zur Frage der Resteymptome und zur Bedeutung äußerer
Einwirkungen auf den Verlauf (Max Müller), schließlich zur Besprechung der
Endzustände, wo insbesondere die Begriffe der „Demenz“ und der „ Verblödung“
auf ihren wahren Gehalt geprüft und reduziert werden; es wird als Abschluß der
sogenannte „zweite Knick“ (Rückwendung zum Besseren) und die Spaltung im
Längsschnitt (Max Müller), endlich die Isolierung der Wahnwelt als Anpas-
sungserscheinung der Endzustände behandelt.
Die Besprechung der Diagnostik führt zunächst zu einer kurzen Würdigung
der Verdienste Carl Schneiders. Im übrigen wird unter Zurückstellung des
Verlaufsgesichtspunktes dem psychopathologischen Querschnittsbild die Auf-
merksamkeit zugewandt. An erster Stelle bleibt das Kriterium der Denkstörung,
es folgt die Minderung des Aktivitätebewußtseins, das primär wahnhafte Be-
deutungsbewußtsein und die Verödung der Sympathiegefühle; die katatonischen
Erscheinungen und selbst die Halluzinationen sind nicht allzu hoch zu bewerten.
Für den Gesamtzustand wesentlich ist das Fehlen einer Bewußtseinstrübung und
die Neigung zu autistischem Verhalten; besonders im postprozessualen Zustand
(Berze) ist die doppelte Orientierung, die Spaltung im Längsschnitt von Be-
deutung. Inhaltlich ist die häufige Beschäftigung mit den letzten Dingen und die
ungehemmte Beschäftigung mit dem Geschlechtlichen nicht zu verkennen. Es
folgt eine Besprechung der Differentialdiagnose gegenüber anderen Erkrankungen,
den exogenen Erkrankungen einschließlich symptomatischen, wo besonders ge-
wisse enzephalitische Psychosen und amentielle Störungen Schwierigkeiten be-
330 Gottfried Ewald
reiten können. Auch die Unterscheidung von verworrenen Manischen (sie bleiben
natürlicher) von manchen Mischzuständen (die Anamnese weist bei manisch-
depressiver Natur des Mischzustandes meist auf reine Phasen zurück), von den
Depressionen des höheren Lebensalters kann Mühe machen (der Inhalt kann auch
bei Melancholien oft sehr absurd sein, aber die Affektivität bleibt modulations-
fähiger). Die Abtrennung psychopathischer Reaktionen, besonders in der Puber-
tät, kann sehr kompliziert sein; meist wird nach Ansicht des Verfassers zu selten
an Schizophrenie gedacht. Gegenüber den paranoiden Reaktionspsychosen muß
das primäre Bedeutungserleben gegenüber der Einfühlbarkeit des Psychopathen
ausschlaggebend bleiben. Der alkoholische Eifersuchtswahn kann nahezu unüber-
windbare Schwierigkeiten bereiten. — Bezüglich der körperlichen Behandlung
(spezifische und unspezifische Mittel) drückt sich Mayer-Groß etwas reichlich
reserviert aus: Es kann zusammenfassend gesagt werden, daß die Anwendung
der üblichen Beruhigungsmittel bei geeigneter Sorgfalt nicht schadet. Natürlich
will er damit nicht sagen, daß man bei schweren Erregungen mit Narkotizis
symptomatisch nicht eingreifen solle; nur eine kausale Behandlung stellt dies
nicht dar. Bei der psychischen Behandlung wird in erster Linie die Beschäf-
tigungstherapie angeführt, auch die Relativität der Anstaltsnotwendigkeit wird
besprochen. Die unverkennbaren Grenzen psychoanalytischer Behandlung
werden aufgezeigt. Die , psychogene“ Komponente des Uberbaues ermöglicht
wohl oft die Gewinnung eines Kontakts, aber der Prozeß selbst geht seinen
Schicksalsweg. Im Sinne Klaesis wird zu den peychischen Behandlungsmetho-
den auch die Dauerschlafbehandlung gerechnet. Zum Schluß werden noch
eugenische Fragen (Sterilisation) gestreift.
In einem unter Hinweis auf den bereits vorliegenden Josephischen Beitrag
rein (negativ) kritisch gehaltenen anatomischen Abriß weist Steiner darauf hin,
daß von Seite eines extrazerebralen Organs kein Aufschluß über die Pathogenese
der Schizophrenie zu erhoffen ist. Zerebrale gewebsspezifische (histotypische)
Veränderungen, etwa im Sinne von Buscainos Schollen oder von Monakows
Plexusveränderungen gibt es nicht. Selbst die Alzheimerschen Zellausfälle
lassen sich von normalen Gehirnen kaum unterscheiden. Die Fünfgeldschen
Erkrankungstypen der Ganglienzellen erscheinen Steiner als zu unspezifisch.
Ebenso liegt es hinsichtlich Verfettung und Abbau, und schließlich auch bei der
Glia. Auch regionale, laminäre oder areale (topotypische) Veränderungen werden
von Steiner, sogar bezüglich der III. Hirnrindenschicht, bestritten. Aus der
allen Psychosen eigentümlichen Abnahme der Prozeßerscheinungen vom Stirnpol
zum Hinterhauptspol (Marburg, Jakob) kann man nichts Spezifisches heraus-
lesen.
Den Abschnitt über die soziale Bedeutung der Schizophrenie behandelt
Wetzel in erschöpfender Weise. Nach einer Statistik über die Belastung der
sozialen Gemeinschaft mit Fürsorgekosten für schizophrene Kranke geht er
befürwortend auf die Frühentlassung geeigneter Schizophrener ein; doch wird
auch auf die eugenischen Gefahren (trotz der erwünschten vorherigen Sterilisa-
tion) hingewiesen. Offene Fürsorge und soziale Bedeutung der Arbeitstherapie
finden hier Anschluß. Es folgt die Erörterung der zuweilen schwierig liegenden
Verhältnisse gegenüber Krankenversicherung und Arbeitsfähigkeit, auch auf
Besonderheiten im Invalidisierungsverfahren wird aufmerksam gemacht. Es
kommen Fürsorgefragen, forensische und kriminalpsychologische Fragen zur
Schizophrenie 331
Erörterung; manche Schizophrene werden Landstreicher oder Prostituierte,
andere treibt der Prozeß religiösen Gemeinschaften in die Arme. Die Bedeutung
der rechtzeitigen Erkennung schleichender Schizophrenieentwicklung für das
Eingreifen fürsorgerischer Maßnahmen, um Verwahrlosung und andere Schäden
hintanzuhalten, wird gewürdigt, ferner die Bedeutung des Interniertgewesenseins
für den entlassenen Kranken und die Gemeinschaft. Hier liegen wesentliche Auf-
gaben für die Außenfürsorge.
In die lesenswerte Darstellung der künstlerischen Arbeiten Schizophrener
von Bürger-Prinz ist eine ausführliche Darstellung von Langbehns Rem-
brandtdeutschen eingeflochten. Im übrigen bemüht sich der Verfasser, nach-
zuweisen, daß es nicht damit getan ist, alles von vornherein in eine archaische
Tiefe zu versenken. Wenn triebhaft Bedingtes sich inhaltlich in der schizo-
phrenen Kunst ungehemmter auswirkt, so braucht dieses nicht ein Merkmal des
spezifisch Schizophrenen zu sein, sondern erst in der Form, in der es schließlich
in der Gesamtheit in Erscheinung tritt, dürfte das Wesentliche liegen. Schizo-
phrene Kunst ist nicht Kunst der Primitiven, auch nicht Kunst der Kinder,
trotz mancher Ähnlichkeiten, ist auch nicht nur der Ausdruck eines Minus, son-
dern ist der spezifisch gestaltete Ausdruck einer neuen, „anderen“ Erlebens-
weise.
Den Abschluß des Buches bringt ein Kapitel über „Theorie der Schizo-
phrenie“ von Gruhle. Es ist im wesentlichen negativ kritisch eingestellt. Ich
kann mich damit nicht ganz einverstanden erklären. Wohl wird jeder gern zu-
geben, daß ein endgültiges Ergebnis noch nicht erzielt ist, es geht aber doch
nicht an, daß man die viele nachdenkliche Arbeit, die hier geleistet wurde, und
die uns sicher heute auch näher an die Pathophysiologie und an die Stätten des
schizophrenen Geschehens herangeführt hat — nicht zum wenigsten durch
die Erfahrungen der epidemischen Enzephalitis, und auch durch eine stärkere
Berücksichtigung der funktionalen pathophysiologischen Zusammenhänge und
der biologischen Regressionserscheinungen —, einfach damit abtut, daß sich die
Kontroversen von 1800—1850 fast unverändert 1900—1930 wiederholen würden,
und daß „die Argumente, mit denen sich die wissenschaftlichen Gegner be-
kämpfen, nicht besser, diese selbst nicht klüger geworden seien‘. Das scheint
mir dem Aufwand an mühevoller Beobachtung und ehrlichen Bestrebungen, zu
klareren Vorstellungen über das körperliche Geschehen bei der Schizophrenie zu
kommen, wenig zu entsprechen, ganz abgesehen davon, daß die Gedankengänge
„der Autoren“ eine Darstellung nicht oder nur ganz andeutungsweise finden.
Ich kann aber die Besprechung des Werkes nicht schließen, ohne noch einmal
zum Ausdruck zu bringen, daß uns die Wilmannssche Klinik ein Werk von ganz
besonderer Qualität geschenkt hat. Insbesondere möchte ich darauf hinweisen,
daß ich trotz der Kritik, die ich an einzelnen Abschnitten als Handbuchartikel
für nötig hielt, nicht dahin mißverstanden werden möchte, daß der sachliche
Gehalt nicht etwa ganz vorzüglich sei. Gerade bezüglich der Gruhleschen
Psychologie, mag man sich zu ihr stellen, wie man will, möchte ich sagen, daß
sie es ist, die als inneres Band das ganze Werk zusammenhält und die ihm den
geschlossenen und einheitlichen Charakter gibt. Es ist eine Darstellung der
Schizophrenie, wie sie kaum ein anderer Kreis hätte vollbringen können, und
die auf lange Zeit hinaus ein Standardwerk bleiben wird.
In ganz anderer Richtung gehen die theoretischen Erwägungen, die durch
332 Gottfried Ewald
von Monakow und Mourgue über das Wesen der Schizophrenie geäußert
werden. Dieselben liegen in Richtung des Abbaues der Persönlichkeit. Die Au-
toren bringen im ersten Teil ihres Buches über „biologische Einführung in das
Studium der Neurologie und Psychopathologie den Aufbau der Persönlichkeit
in geistreicher Weise zur Darstellung ; sie unterscheiden dabei prinzipiell zwischen
zwei verschiedenen Nervensystemen, von denen das eine, exterozeptive, der
„Sphäre der Orientierung und Kausalität“ zugeordnet ist (was in den bis-
herigen Sprachgebrauch übersetzt, sich im wesentlichen, wenn auch nicht
ganz, mit den neenzephalen Leistungen deckt), das andere, interozeptive, der
Instinktwelt dient (Hirnstamm unter dem Einfluß des gesamten endokrin-vege-
tativen Humoralsystems). Im biologischen Entwicklungsgang baut sich die
Instinktwelt, vom primitiven Trieb (Hormeterien) ausgehend unter enger Ver-
schweißung mit der Sphäre der Orientierung und Kausalität, Bild und Strebungs-
ziel der realen Welt unter Ausbildung von Noohormetrieen (höhere Werte)
immanent zielstrebig auf. In der Erkrankung, besonders in der Schizophrenie,
tritt nun ein Abbau der Persönlichkeit und ihrer Strebungen nach dem „Gesetz
des bruchstückweisen Abbaues auf genetisch frühere Stufen ein, unter fort-
gesetzter kompensatorischer, Reparationstendenzen enthaltender Tätigkeit eines
zweckhaften „biologischen Gewissens“, der „ö Syneidesis“, und regulatorischer
Tätigkeit der Instinktwelt. Die Autoren versuchen, eine „Biologie der Verfol-
gungsideen“ zu geben, die ein wesentlicher Bestandteil aller schizophrenen
Psychosen und der Neurosen sind. Freilich sehr weit scheint uns dieser Versuch
nicht zu führen; immerhin ist es interessant, daB die biologischen Forscher an
der Wurzel der Verfolgungsideen finden das „Kakon“, das ist das unbestimmte
Gefühl einer Lebensbedrohung, einer unbekannten Gefahr, gegen die sich der
Selbsterhaltungsinstinkt zur Wehr setzt. Trieb, Gefühl, Affekt, Instinkt bilden
auch für sie den Ausgangspunkt für die Verfolgsidee; über körperliche Unlust-
empfindungen geht der Weg zur Angst und dann weiter zu der bereits mit Ideen
geladenen und in die Zukunft blickenden Furcht, schließlich mit Hilfe einer
primitiven, mehr kindlichen, „agglutinierten Kausalität‘‘ (d. h. einer mehr ge-
fühlsmäßig-intuitiv Verknüpfungen suchenden Kausalität; im Gegensatz zu der
logisch-disziplinierten ‚‚Wurzel-Ast-Kausalität‘‘ der Erwachsenen), zuweilen auch
mit Hilfe der „fragmentierten“, bruchstückweisen (nach dem Nächstliegenden
kurzschlüssig greifenden) Kausalität, in die Verfolgungsidee hinein. Das „Kakon“
wird erzeugt durch Erlebnisse, die über vegetatives Nervensystem und die innere
Sekretion, besonders über die Plexus chorioidei (eine Lieblingsidee von Mona-
kows) wirken, oder es wird erzeugt durch irgendeine andere toxisch-humorale
Noxe, die, wiederum über die Plexus, Hirnstamm und Gehirn schädigt. Wie
wenig tragfähig freilich gerade diese Plexustheorie ist und wie dürftig ihre
Stützung heute noch ist (vgl. auch Baumanns Kritik in der im vorjährigen Re-
ferat verwerteten Arbeit), darüber sind sich die Autoren wohl nicht ganz im
klaren. Weniger einleuchtend noch als diese Entwicklung der Verfolgungsideen
scheinen uns die „biologischen Grundlagen der Schizophrenie, bzw. Schizoidie“,
die die Autoren mit großer Bestimmtheit entwickeln. Soweit ich verstehe, unter-
scheiden sie hier zwei Typen der Schizophrenie (die sich durchdringen können),
einen affektverarmten, den man vielleicht unserer klinischen Hebephrenie an die
Seite stellen könnte, und einen affektstarken, paranoiden. Die „Spaltung“ der
Persönlichkeit besteht dabei in der „Entfremdung“ (soll wohl heißen mangelhaft
Schizophrenie 333
gewordenen Zusammenarbeit) der sonst innig verbundenen Systeme der Sphäre
der Orientierung und Kausalität (Hirnrinde) auf der einen, und der Instinktwelt
(Hirnstamm bzw. innersekretorisches System) auf der anderen Seite. Im Falle
der Hebephrenie fehlt das der Instinktwelt entstammende Interesse (affektive
Mattheit), es ist für neue, reale Lebensziele „gelähmt“; dabei bleibt die Möglich-
keit intellektueller Registrierfähigkeit erhalten, aber es wird nicht oder auf be-
sondere Art von dem Individuum davon Gebrauch gemacht. Im Falle des Pa-
ranoids dagegen befreit sich eine kakonhaft erregte und aufgestapelte Instinkt-
energie unter Abkehr von der Welt der Erfahrung in kurzschlüssigen Reaktionen,
in „Fragmenten“ (auch in Form von Iterationen und Stereotypien, aufgefaßt
offenbar als eine Art kurzschlüssiger Drangentladung, ein Gedanke, den Ref.
selbst gelegentlich vertreten hat), oder in Form agglutinierter Kausalität (para-
noide Ideen) von ihren Fesseln, indem sie sich neuen, imaginären Werten wahn-
haft hingibt, sich in anderer Richtung „polarisiert“. Im einzelnen wird versucht,
den Autismus aus jener neurobiologischen „Entfremdung“ zu erklären, ferner
das Auftreten von Halluzinationen (, irritativer, mit energetischem Zwang be-
hafteter Vorgänge zur Hervorrufung psychischer Fragmente in Begleitung von
sensoriellen und viszeralen Eindrücken in Form von Bildern“), von symbolhaften
(hier Anschluß an Freud) und einfachen Wahngedanken, das Auftreten von
bruchstückweisem Abbau der Motorik, der zu striärähnlichen Erscheinungen
führt — wohl der plausibelste Teil der Theorie —, alles abhängig von den ener-
getischen Schwankungen der Instinktwelt (etwa entsprechend Gruhles „Un-
ordnung im Aktivitätshaushalt ?“ [Ref.]), und daher funktional, nicht statisch
fixierbar, der Zeit unterworfen; in kurzer Zusammenfassung: „Abbau der Funk-
tion im Sinne eines funktionellen Anachronismus bis zu infantilem Niveau“,
begleitet von Fragmentation. Gleichzeitig ein Absinken von den moralischen
Werten (Noohormeterien) auf eine primitive Triebstufe des Selbsterhaltungs-
und des sexuellen Instinktes (Hormeterien), der Beginn der Asozialität. Die
ungeheure Schwierigkeit einer theoretisch - biologischen Durchdringung des
Schizophrenieproblems wird in diesen Ausführungen wohl offenbar. Biologisch
liegt das Besondere der Schizophrenie in einem neuen Abbaumodus, in der
„elektiven Durchbrechung im Sinne einer Fragmentierung innerhalb der Sphäre
der Orientierung und Kausalität, sekundär in einer Beeinträchtigung der In-
stinktwelt“. Bezüglich der speziellen somatischen Vorstellungen sei noch folgen-
der Satz angeführt: „Bei der Schizophrenie handelt es sich... ....... um
einen sekretorischen Prozeß, der im wesentlichen auf einer Veränderung im
Gebiete der Plexus chorioidei und des ventrikulären Ependyms beruht, die
wahrscheinlich gewisse biotoxische Substanzen durchlassen, und die geeignet
sind, sekundär lokale pathologische Veränderungen im Gebiete des Kortex zu
bewirken.“ Die Autoren geben freilich selbst zu, daß die Schizophrenie noch von
so viel Dunkelheit umwoben sei, daß alles, was sie sagen, selbstverständlich nur
als provisorische, ganz rohe Erklärungsmöglichkeit betrachtet werden dürfe.
Das ist auch unsere Ansicht. So sehr wir die positiv fördernde Arbeit schätzen,
die die Autoren auf dem Gebiete des biologischen Persönlichkeitsaufbaues ge-
leistet haben, so bedenklich erscheinen uns die allzu sehr von hypothetischen
Überlegungen durchsetzten Ausführungen über den fragmentierten elektiven
Abbaumodus in der Schizophrenie auf humoraler Basis. Dabei bezweifeln wir
nicht, daß der Grundgedanke eines solchen Abbaues auch für die Schizophrenie
334 Gottfried Ewald
viel Richtiges enthält, die Ausführungen der Verfasser gehören sicher zum
Klügsten, was jemals biologisch über die Schizophrenie gesagt wurde, wir
lehnen aber ihre detaillierte Erklärungsform vorläufig als nicht hinreichend ge-
stützt ab. Die Lektüre des Buches ist sehr interessant, ist aber ganz außer-
ordentlich erschwert durch die zahllosen Neologismen, die in solchem Umfang
wohl nicht notwendig gewesen wären, und in die man sich überaus schwer ein-
arbeitet, ohne sicher zu sein, daB man ihren Sinn wirklich erfaßt. Mourgue
hat in seinem auch für die Schizophrenielehre recht beachtenswerten Buch über
die Halluzinationen diese Übersteigerung von Wortneubildungen vermieden und
ist dadurch weit verständlicher geblieben.
In ganz anderer und doch in manchem etwas verwandter Weise nimmt
McDougall in seiner schönen Psychopathologie funktioneller Störungen, die
in gekürzter Ausgabe in der Übersetzung von Prinzhorn vorgelegt wird, Stel-
lung zum Schizophrenieproblem. Er lehnt die Trennung zwischen Dementia
praecox und Schizophrenie (Claude) ab, möchte in der Schizophrenie zunächst
im wesentlichen eine psychogene, erlebnisbedingte Störung erblicken, die auf der
Basis des schizothymen Temperamentes (Kretschmer) oder des introvertierten
Typs (Jung) erwächst infolge eines dauernden inneren Triebkonfliktes. Ein
Mangel oder eine Schwäche der „Selbstaffekte‘‘ oder des Selbstgefühls besteht
keinesfalls, eher das Gegenteil, es fehlt aber an Ausdrucksmöglichkeiten, wodurch
Zurückstauung und Verkrampfung entsteht, die als eine Affektlage der Ver-
legenheit oder des Schmollens (der bessere Ausdruck wäre wohl hier des „Grol-
lens“) bezeichnet wird, und die dann zu plötzlichen raptusartigen Entladungen
(als Beispiel dient das Amoklaufen) führen kann. Der Schizophrene wird so auf
sich selbst zurückgedrängt, die Energie (Hor mé, Libido in Jungs Sinn) in frucht-
losem Konflikt durch hypochondrische, paranoide oder Größenbildungen ver-
braucht (hier Anklänge an v. Monakow). Charakteristisch ist der Mangel an
Humor infolge allzu großer Wichtignahme des eigenen Ichs. Freilich wird durch
diese Hypothese, wie der Autor selbst erkennt, der spezifisch prozeßhaft-schizo-
phrenen Persönlichkeitsspaltung nicht Rechnung getragen. Es wird daher von
ihm zu der mehr biologischen Hilfshypothese gegriffen, daß bei dem Schizo-
phrenen der normale „Integrationsprozeß“ der Gefühle mißlinge, infolgedessen
gelinge es dem Selbstgefühl nicht, die Herrschaft über das ganze System der Ge-
fühle zu gewinnen, es bleibe bei einem Nebeneinanderherarbeiten mit ständigem
Anlaß zu Konflikten, was bestenfalls auf eine Umschreibung der schizophrenen
Ambivalenz, eigentlich auf eine Umschreibung des organischen Bruches hinaus-
läuft.
In weitgehender Übereinstimmung mit den v. Monakowschen und auch
mit unseren eigenen Gedankengängen, wie wir sie schon an mehreren verstreuten
Stellen niedergelegt haben, interpretiert Krisch die schizophrenen Symptome in
einer kleineren Arbeit als Funktionsabbau: Es handelt sich um Funktionen,
die bald in einem höheren, bald in einem tieferen Bewußtseinsniveau ablaufen,
kurz um Desintegrationserscheinungen. Die Bewußtseinslage hat etwas Hypo-
tonisches (Berze), ihr Schwanken bedingt das Hinüberwechseln der Erschei-
nungen von krank zu fast normal, die Beziehungen zum Traum und Einschlafen
(C. Schneider) sind unverkennbar. Auch bei leichter organischer Hirnschädi-
gung stößt man auf überraschende Ähnlichkeiten, wie an Beispielen erläutert
wird; man muß nur die Aphasiker nicht immer lokalistisch, sondern auch funk-
Schizophrenie 335
tional betrachten (Jackson, Pick u. a. m.). Zum Schluß dieser mehr allgemein
gehaltenen Arbeiten sei auch noch darauf hingewiesen, daB ein großer Gesamt-
überblick über das Thema der Schizophrenie von Gruhle für die ‚Neue Deutsche
Klinik“ geschrieben wurde. Er ist sehr lesenswert und gerade auch für den
Nichtfacharzt zur allgemeinen Orientierung sehr geeignet.
Ätiologie: Neben der Tuberkulogenese wird in der Literatur die Frage der
fokalen Infektion immer wieder erörtert und ohne hinreichende Kritik behauptet.
So genügt es Pickworth, der eine größere Zahl von Schizophrenen mit Neben-
höhlenerkrankungen gesammelt hat, zum Beweis des ätiologischen Zusammen-
hangs anzuführen, daß die arterielle Blutzufuhr zum Gehirn dicht an den Neben-
höhlen vorbeigehe und somit genug Gelegenheit zur Aufnahme von Toxinen ge-
schaffen sei. Gibier-Rambaud will Besserungen gesehen haben, wenn er seine
Kranken mit einer Autovakzine, die er aus Streptokokken der Zähne und Ton-
gillen gewann, über Monate (I) behandelt hatte. Auf frühere oder spätere Hirn-
affektionen (Chorea, Meningitis) möchten Marchand und Mitarbeiter die
späteren schizophrenen Erkrankungen zurückführen; allein wieviel Schizo-
phrene haben eine entsprechende Anamnese ? Ein filtrierbares Virus wird von
Camia beschuldigt auf Grund von Impfversuchen an Kaninchen mit Amentia-
gehirn — es soll freilich auch Delirium tremens und Amentia erzeugen können.
Snesarev glaubt bei älteren Schizophrenen besonders häufig Tuberkulose zu
finden, während Montesano mit dem Gedanken liebäugelt, daß die leichten
Fälle von Tuberkulose besonders gefährlich seien; sie würden durch die reichliche
Produktion von Antitoxinen, evtl. noch über das endokrine System, gefährlich
werden. Dementsprechend glaubt Croce bei initialen Fällen von Schizophrenie
im Röntgenbild häufiger als bei der Durchschnittsbevölkerung den Nachweis
einer beginnenden Tuberkulose erbringen und den ätiologischen Zusammenhang
dadurch wahrscheinlicher machen zu können. Hollander und Rouvroy er-
hielten durch Impfung von Meerschweinchen mit Schizophrenieliquor in 7 von
12 Fällen angeblich ein positives Resultat, und Toulouse, Schiff und van
Deinse wollen in einem (!) Falle im Liquor eines Schizophrenen Tuberkelbazillen
gefunden haben. Mit Verwunderung hört man von Bernardi, daß sich im Ge-
hirn von Schizophrenen tuberkelhaltige Zysten finden, die zunächst anaphylak-
tische Erscheinungen in Form von epileptischen Anfällen erzeugen, dann platzen
und durch ihren Inhalt das Gehirn infizieren, wodurch die Geisteskrankheit ent-
steht. Von deutschen Autoren suchen besonders Sagel und Carrière nach einem
toxisch-infektiösen Agens. Sagel stützt sich dabei hauptsächlich auf seine Blut-
untersuchungen, die nach der Leukozytenformel die infektiöse Genese sehr nahe-
legen würden. Von Karl Küppers (Görden) wird ihm mit Kritik widersprochen.
Auf ganz allgemein biologisches Gebiet wird die Frage von Siegfried Cohn ver-
schoben, der sich auch für die Tuberkulosegenese der Schizophrenie einsetzt. In
seinen kleinen Aufsätzen über „das Leben als Synusie“ (gvyeīvaı) weist er auf
das dauernde Wechselverhältnis (Symbiose im weitesten Sinne) aller Organismen
hin. Der Organismus ist ein , Synont“ ebenso wie die Mikroorganismen (Mikro-)
Synonten sind. Es besteht ein „synusitisches Gleichgewicht‘. Durch eine Ver-
schiebung der einen Partei, wenn man so will, kann das synusitische Gleichgewicht
gestört werden, was zur Abänderung der Lebensvorgänge bei dem Partner führt.
Die relative Häufigkeit der Tuberkulose bei Schizophrenen legt ihm nun den Ge-
danken nahe, daß die Tuberkelbazillen Ursache der Verschiebung des synusi-
336 Gottfried Ewald
tischen Gleichgewichts und damit Ursache der Geisteskrankheit sein könnten.
Das gleiche würde nun wohl freilich Buscaino für seine Darmflora behaupten
können, und da auch der harmloseste Parasitismus oder Saprophytismus zur
Synusie zählt, könnten wohl noch zahllose andere Momente verantwortlich ge-
macht werden. So fruchtbar die Beachtung des „synusitischen Gleichgewichts“
für manche biologischen Fragestellungen sein mag, man wird auf diese Weise
niemals einen Beweis für die spezifische Ursache einer Erkrankung erbringen,
auch das Konstitutionsmoment und die Erbergebnisse nicht mit wissenschaftlicher
Exaktheit entkräften und hinwegdisputieren können. Es muß wohl dabei bleiben,
daß wir eine gewisse gleichläufige Bereitschaft für Schizophrenie und Tuberkulose-
anfälligkeit zugeben, wie es Luxenburger tut, und es auch Lange und Oriani
neuerdings wieder einräumen, von denen letzterer bei 386 Autopsien von Schizo-
phrenen nur in 45,75 % irgend einen Anhaltspunkt für überstandene Tuberkulose
fand. — Schechanova konnte einem Erdbeben in Bulgarien keinen Einfluß auf
den Ausbruch schizophrener Erkrankungen einräumen. Courtois und Borel
denken auf Grund von 3 Fällen an eine ätiologische Bedeutung kindlicher Enze-
phalopathien. In gleicher Richtung zielt ein Vortrag von Rehm.
Klinik (Allgemeines): Die ausländische Literatur bringt allenthalben kürzere
zusammenfassende Darstellungen des Schizophrenieproblems. Jelliffe berichtet
in einem Sammelreferat über Arbeiten der letzten Jahre auf diesem Gebiete unter
besonderer Berücksichtigung der anglo-amerikanischen Literatur und der psycho-
analytischen Forschungsergebnisse. Hoskins bringt zum Zwecke der Verein-
heitlichung der Schizophrenieforschung ein genaues Untersuchungsschema, das
psychologische, somatische und therapeutische Punkte umfaßt. May (Boston)
versucht eine Trennung zwischen mehr organischer Krankheit Dementia praecox
und psychologisch erfaßbarer schizophrener Reaktion, ähnlich wie es Ref. im .
Jahre 1928 in Basel tat. Perelmann (Rußland) bezweifelt die Einheitlichkeit
der Erkrankung Schizophrenie und möchte dieselbe lieber aufgefaßt wissen als
exogene Reaktionsform im Sinne Bumkes; daB eine Disposition zur schizo-
phrenen Äußerungsform konstitutionell vorgebildet sei, hält er für möglich.
Rylander (Schweden) gibt einen Überblick über die modernen deutschen Be-
strebungen, Lingjaerde (Dänemark) bespricht die einschlägigen Fragen mit be-
sonderer Rücksichtnahme auf endokrine Einflüsse, berichtet auch über Behand-
lungserfolge mit Schilddrüse. Die möglichst gründliche Ausschaltung infektiöser
‚Noxen als unterstützende Faktoren (fokale Infektion, enterogene Intoxikation,
Unterernährung) hält er für wichtig. In der neuen italienischen Zeitschrift
Schizofrenie gibt Rizatti einen Überblick über den gesamten Stand des Schizo-
phrenieproblems und weist auf die Schwierigkeit hin, die in der Verschiedenartig-
keit des Ausgangsmaterials, namentlich auch in der Einbeziehung des dehnbaren
Schizoids liege, so daß ein Vergleich kaum möglich sei. Endlich versucht er eine
Einteilung nach eigenem Muster, die sich stark an hypothetischen, exogen-ätio-
logischen Faktoren orientiert. Auch von Morselli stammt eine interessante, die
aktuellen Fragen durchsprechende Abhandlung. Stransky verteidigt in einer
temperamentvoll und plastisch geschriebenen Arbeit unter Bezugnahme auf die
neuen Ergebnisse der Enzephalitisforschung nochmals seine alte Lehre von der
innerseelischen Taxie bzw. Ataxie, die er in reversibler Form auch in der
seelischen Unsicherheit (Adler) der Schizoiden wiederfindet und biologisch-
lokalisatorisch beleuchtet. Er gibt ferner an anderer Stelle einen guten Über-
Schizophrenie 337
blick über den gegenwärtigen Stand bzw. die Fortschritte der Schizophrenie-
forschung.
Eine statistische Arbeit aus dem Burghölzli von Pfister läßt ein langsames
Anschwellen der Schizophrenie im Laufe der Jahrzehnte erkennen, was auf die
verfeinerte Diagnostik zurückgeführt wird. Rodiet und Heuyer bringen eine
gute Übersicht über die Geisteskrankheiten im französischen Heere während und
nach dem Weltkriege; die Schizophrenie hat sich, genau wie bei uns, nicht ver-
mehrt, eine eigentliche neue Kriegspsychose gibt es nicht. Nur der Inhalt der
Psychosen spiegelt das Kriegserleben wieder. Gelegentlich kommt eine Aus-
lösung der Psychose in Frage. Cunha Lopes glaubt an der brasilianischen Be-
völkerung zeigen zu können, daß die katatone Form bei Mestizen und Negern
seltener ist als bei Weißen; überhaupt scheint der Weiße häufiger an Schizo-
phrenie zu erkranken. Dagegen fand Otto Fischer in Deutsch-Ostafrika die
Schizophrenie auch bei Negern sehr häufig. Die klimatischen und atmo-
sphärischen Einflüsse auf die Psychosenartung sind nach Blum sehr gering, treten
jedenfalls hinter Rassen- und Kultureigentümlichkeiten zurück.
Kinderschizophrenie: Während die Arbeiten der letzten Jahre im
allgemeinen dahin klangen, daß es vor dem 14.—15. Lebensjahre eine Schizo-
phrenie nicht gebe, werden im Berichtsjahr doch einige beachtenswerte Arbeiten
vorgelegt, die dieser apodiktischen Sicherheit gegenüber vorsichtig machen. Ich
meine nicht die Einzelfälle, die berichtet werden (Hille, Cazac-Averbuch,
Gakkebus und Fundyler, Zelobov, Vanelli), sie können nicht allzu viel
beweisen, ich meine auch nicht die generelle Ansicht, daß das „schizoide Kind“
schon eine Dementia praecooissima sei (Richmond), sondern einige sowohl
symptomatologisch als katamnestisch bedeutsamere Arbeiten. Alle Autoren
sind sich freilich darüber einig, daß früher viel zu häufig „kindliche Schizo-
phrenie oder „Dementia praecocissima diagnostiziert wurde. Aber es kommen
doch Fälle vor, die kaum anders gedeutet werden können, wenn auch vielfach erst
mit 14—15 Jahren der Bruch deutlich wird. Corberi versucht die frühkindlichen
schizophrenieähnlichen Bilder aufzulösen in Richtung der „Dementia infantilis“
mit gleichbleibender tiefer Verblödung, mehr aphasischen Störungen und einem
an die amaurotische Idiotie erinnernden autoptischen Befund, und in Richtung
der mit frühzeitigem sklerotischen Gehirnprozeß verlaufenden „Frenasthenie“
von de Sanctis, behält jedoch einige Fälle übrig, die er nicht anders als wirklich
schizophren deuten zu können glaubt. Auch Schwab behält einige Einzelfälle
bei kritischer Ausschaltung aller nur schizophrenieähnlichen Bilder übrig. Ka-
sanin bringt aus einem recht großen Material 10 Fälle, die stark an Schizophrenie
erinnern, ohne daß er sich auf diese Diagnose ohne weiteres festlegen möchte.
Niedenthal teilt 3 Fälle recht frühzeitig einsetzender Schizophrenie (14, 15,
16 Jahre) mit, welche schon alle nach C. Schneider und Berze diagnostisch be-
sonders wesentlichen Züge der Erwachsenen, wenn auch zum Teil erst im Ansatz,
erkennen lassen, und Ssucharewa konnte bei einer Reihe katamnestisch beob-
achteter Kinder zeigen, daß die frühzeitig auftretenden Änderungen allmählich
übergingen in eindeutige Schizophrenien; nur ist aus dieser Arbeit nicht recht
zu ersehen, in welchem Alter die eindeutige Wendung zum Schizophrenen (die
evtl. auch eine „Pfropfung‘ im Sinne der Pfropfschizophrenie sein könnte 7) ein-
setzt. Tramer glaubt an Hand eines genau beobachteten Falles nachweisen zu
können, daß das Alter von 2—3 Jahren eine erste Knickgefahr mit sich bringe;
Neurologie V, 8 24
338 Gottfried Ewald
gegenüber solchen Behauptungen wird man doch wohl recht zurückhaltend sein
müssen. Immerhin wird man mit einer summarischen Ablehnung der Möglich-
keit einer kindlichen Schizophrenie vorsichtig sein, Einzelfälle könnten sehr wohl
vorkommen; aber man wird sich vor Verwechslungen mit Entwicklungsstörungen,
Schwachsinn (Würfler) oder anderen Psychosen hüten müssen. Auch Else Neu-
stadt-Steinfeld weist hierauf hin. Im Anschluß an eine Arbeit von Kasanin
und Veo warnen Meyer und Will davor, die Lehrer zu Pseudopsychiatern aus-
bilden zu wollen; dieselben können nicht darüber entscheiden, ob absonderliche
Kinder Anwärter auf zirkuläre oder schizophrene Psychosen seien. Clark möchte
der psychoanalytischen Kinderanalyse, besonders auch der des Spieles der
Kinder, eine besondere Bedeutung in der Vorbeugung der Psychosen und Neu-
rosen, auch der Schizophrenie, zuerkennen. Hübner und Stark besprechen
beide das Vorkommen von Schizophrenen unter jugendlichen Verbrechern. Bei
letzterem scheint uns — soweit der Eigenbericht des Verfassers erkennen läßt —
nicht scharf genug unterschieden zwischen gemütloser Psychopathie und Schizo-
phrenie. Daß natürlich kriminalpsychologische und kriminalbiologische Er-
wägungen von Juristen oft nicht hinreichend beachtet werden, darin ist Stark
beizupflichten.
Prodrome: Mit den klinischen Initialsymptomen befaßt sich Croce in einer
für Amtsärzte bestimmten Zusammenstellung, ohne näher auf differentialdia-
gnostische Gesichtspunkte einzugehen. Harrowes weist auf die Wichtigkeit der
neurotischen Reaktionen als Vorläufer der Schizophrenie hin; sie sind eine Art
„partieller Fehlreaktion‘ im Gegensatz zur „totalen Fehlreaktion“ der Schizo-
phrenen als Fehlanpassungen an die Umwelt. Sie bestehen oft schon jahrelang
in Form von Angst und zwangsneurotischen oder hysterischen Zügen. Ihre recht-
zeitige Erkennung vermag nach Meinung des Verfassers zu einer Verhütung des
Ausbruches der wirklichen Psychose beizutragen. Bing weist darauf hin, daß
bei diesen neurotischen Bildern lange schon Suizidalneigung und Krankheits-
gefühl besteht, ehe es in die charakteristischen Züge der Depersonalisation, der
Desozialisation und der Derealisation hineingeht. Mit den schizoiden Zügen vor
Ausbruch der Erkrankung befaßt sich Vié. Er fand sie nur in relativ niedrigem
Prozentsatz; dagegen meint er, daß interkurrente Erkrankungen bei sonst nor-
malen Charakteren zu Verschiebungen in der Persönlichkeit führen können im
Sinne einer Art exogenen Schizoidisierung. Auch des Vorkommens frühzeitiger
leichter schizophrener Schübe (,‚kleine Katatonie“) wird gedacht. Fa ver fand
präpsychotisch unter 154 Katatonischen am häufigsten die verschlossenen Charak-
tere, an zweiter Stelle standen die unauffälligen und an dritter Stelle die reiz-
baren.
Klinische Teilfragen: Damaye trennt mit Claude zwischen Dementia
praecox und Schizophrenie. Kurt Schneider weist auf die Depressionszustände
der Schizophrenen hin, deren Affekt meist auffallend matt sei; selten findet sich
infolge dieser Mattheit ein reaktiver Einschlag auf Erlebnisse, häufiger dagegen
eine depressive Reaktion gegenüber dem Gefühl der eigenen Veränderung. Mehr
in das Gebiet der Untergruppe der „Dementia simplex“ gehört die Arbeit Mar-
cuses über schizophrene Hemmungszustände. Er möchte sie dynamisch erklären.
Sie entstehen auf Grund eines Versagens des seelischen Dranges, der seelischen
Aktivität (Berze, Gruhle usw.). Auch andere Noxen können zu einem solchen
Versagen führen (Schlafmittel, einfache Ermüdung). Da das „Verstehen“ schon
Schizophrenie 339
ein Intensitätsmoment in sich schließt, so bleibt die Abtrennung dieser soma-
togenen Zustände von rein psychogenen nur erfühlbar; die Differentialdiagnose
zwischen verschiedenen somatogenen Geistesstörungen ist durch psychologische
Analyse überhaupt grundsätzlich unmöglich.
Um die Aufklärung der katatonischen Stuporzustände bemüht sich By-
chowski. Er bespricht das verschiedenartige psychische und somatische Ver-
halten im schizophrenen Stupor, die verschiedenen Erlebensformen, erwähnt die
Bedeutung der Stellreflexe und den Vergleich mit dem Parkinsonismus. Als
Grundstörung spricht er eine Störung der „Schaltfunktion“ auf somatischem
und psychischem Gebiete an. Dabei besteht zwischen Somatischem und Psychi-
schem kein Parallelismus; so kann z. B. durch Pharmaka der eine Teil seiner
Stuporfesseln beraubt werden, während der andere verharrt. Auch reaktive Mo-
mente spielen herein. Besonders eng scheint eine Verflechtung von psychischer
und physischer Ursache im Negativismus gegeben. Auch Walther äußert sich
über Ergebnisse und Fragestellungen zur Katatonieforschung und weist darauf
hin, daß wir mit den verschiedensten Methoden noch recht wenig weit gekommen
seien. Er sieht in der Katatonie einen Seele und Körper betreffenden tief greifen-
den Zerfallsprozeß, der eine Tendenz zur Restitution besitzt, dessen Ursache wir
aber noch nicht kennen. Ein katatonischer Fall besonderer Art von Baruk und
Albane sei hier angeschlossen; sie beobachteten bei einem Kranken ein all-
abendlich auftretendes Verfallen in Steifheit mit Manieren, Verbigeration,
Automatismen usw. in engem Zusammenhang mit der Schlafenszeit und denken
an pathogenetische Beziehungen zwischen beiden Zuständen.
In einer sehr ausführlichen Studie sucht Betzendahl mit offenkundigem
psychopathologischem Geschick an Hand von überaus gründlichen Kranken-
geschichten paranoider Psychosen darzutun, inwieweit die frühere Persönlichkeit
den schizophrenen Wahnpsychosen einen Sinn zu geben vermag, ohne daß man
sofort zu theoretischen Deutungen, etwa im Sinne Freudscher Symbolik, seine
Zuflucht nehmen müßte. Es wird das Sichzurückziehen auf den eigenen Körper
und schließlich in eine ideelle oder transzendente Welt gemäß der Eigenart der
Persönlichkeit und ihrer Lebensschicksale zur Darstellung gebracht, in einigen
Fällen auch die Art, wie die Anknüpfung an das soziale Leben nach Überstehen
der Psychose gesucht wird und wieder gelingt. Vieles Beachtenswerte ist zwischen
den Zeilen zu lesen, da der Verfasser weder seine Fragestellung noch seine Ergeb-
nisse recht präzisiert, ja auf letzteres sogar bewußt verzichtet in dem Bestreben,
nur eine brauchbare Grundlage zu schaffen, aus der sich dann jeder heraussuchen
soll, was er braucht. Man wird diese allzu große Zurückhaltung in der Eigen-
bewertung der Arbeit bedauern. Bemerkungen zur Frage des Paranoids finden
sich auch in dem Referat von Bouman über die Paranoia. Er lehnt die Erklärung
des Wahns Schizophrener aus seelischen Motiven (im Sinne Kants) ab, nimmt
eine besondere Veranlagung zur Wahnbildung an und meint, daß es mit der Zeit
zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Paraphrenie und Paranoia kommen
werde. Roncati vertritt die Herausschälung einer besonderen phantastischen
paranoiden Psychose, die von der Paraphrenie Kraepelins abgesetzt werden
könne.
Klinische Besonderheiten werden in den folgenden Arbeiten besprochen:
Vié behandelt klinisch und psychopathologisch die Entstehung der Schwanger-
schaftswahnidee. L&evy-Valensi, Migault und Lacon berichten über einen
24 *
340 Gottfried Ewald
Fall von Schizographie bei vollkommen geordnetem Sprechen. Hühnerfeld
teilt einen Fall von mikropischen Halluzinationen bei einem Schizophrenen ohne
alkoholischen Einschlag mit. Galant weist auf den Abbaucharakter des Rüssel-
reflexes bzw. des katatonischen Schnauzkrampfes im Sinne Minkowskis und
Monakows hin. Epstein will einen Rüsselreflex bei Geisteskranken durch
Schlag gegen die Haut-Schleimhautgrenze der Lippen von differentialdia-
gnostischem Wert kennen. Eine Verbindung von einer unklaren Knochen-
erkrankung (Osteoporose, Paget oder Recklinghausen) mit Schizophrenie sah
Dietrich; er hält es für möglich, daß unter der jahrelangen einseitigen Sonden-
ernährung sich Stoffwechselstörungen entwickelten, die die Knochenerkrankung
mit verursachten. Im Rahmen zweier größerer Arbeiten über Haftpeychosen wird
von Knigge auch die Bedeutung der Schizophrenie für dieses Gebiet gestreift.
Die Arbeiten über den Verlauf der Schizophrenie schließen alle eng an
Kretschmer, Mauz, Eyrich an. Plattner-Heberlein sah die Leptosomen
am häufigsten schnell „schizokar‘‘ verblöden, ebenso Strauß. Ersterer weist
darauf hin, daß die pyknischen Schizophrenen nicht nur schubweise mit guten
Remissionen der Verblödung entgegengehen, sondern bis in alle Einzelheiten der
Psychose ihre syntone Charakterstruktur erkennen lassen, auch in ihrem Wahn
extravertierter bleiben. Katz hält es für richtig, auch bei der Beschäftigungs-
therapie die körperbaulich bedingte Psychomotorik für die Auswahl der produk-
tiven Arbeit zu berücksichtigen. Forel kommt im Prinzip zu den gleichen Er-
gebnissen, weist noch darauf hin, daß die Erkrankung in Wirklichkeit um so
schwerer sei, je leichter sie dem Laien deucht. Von der guten Prognose der Kata-
tonien spricht Bellinger. Levin sah unter 592 aufgenommenen Schizo-
phrenien 35 Heilungen; sie zeigten präpsychotisch keine besonderen Züge, ge-
hörten überwiegend der paranoiden und katatonen Gruppe an. Gegenüber der
heute so gern übertriebenen Behauptung von der Heilbarkeit oder Besserungs-
fähigkeit der Schizophrenie durch alle möglichen psychotherapeutischen oder
medikamentösen Heilmittel erscheint es bemerkenswert, daß Lewis und Blan-
chard unter der „gewöhnlichen“ Anstaltstherapie ohne besondere Eingriffe 80
von 100 Schizophrenen in eine leidliche Verfassung, „bis zu einer Regelung der
inneren Schwierigkeiten“ zurückkehren sahen. Auch Wagner-Jauregg warnt
vor einer Überspannung des Schizophreniebegriffs, die vielen heilenden Schizo-
phrenien der modernen Autoren sind ihm auf Fehldiagnosen sehr verdächtig.
Kombinationen, Überschneidungen, Differentialdiagnose: Nyirö
und Buchmüller sprechen von „ intermediaren“ Psychosen und meinen hiermit
Überschneidungen des schizophrenen und zirkulären Formenkreises. Es erscheint
ihnen aussichtslos, hier nosologisch irgendwie einteilen zu wollen, es seien zu viel
der Überkreuzungsmöglichkeiten gegeben. Auch hinsichtlich der Berücksich-
tigung des Körperbaues für eine prognostische Stellungnahme nehmen sie einen
zurückhaltenden Standpunkt ein. Sioli berichtet über zwei Fälle, denen er den
Namen der ‚„episodischen Entfremdungszustände“ gibt; sie sind nicht schizo-
phren verblödet und sollten am besten den Kleist-Schröderschen episodischen
Psychosen bzw. Degenerationspsychosen zugerechnet werden. Einen Fall von
periodischer, nicht verblödender Halluzinose im höheren Lebensalter, der schizo-
phrene Erbeinschläge, auch eine alkoholische Belastung aufweist, zum zirkulären
Formenkreis Beziehungen nicht erkennen läßt, aber eine Bleiintoxikation vor
längerer Zeit durchmachte, bringt Schulte; er wird im wesentlichen als exogene
Schizophrenie 341
Schädigung aufgefaßt. Senise sieht in der Kombination von Schizophrenie und
Epilepsie kein Zufallsprodukt. Mit der Frage Zwang und Schizophrenie be-
schäftigten sich London und Paskind. Letzterer fand in 10% der darauf
untersuchten Schizophrenen (544 Fälle) phobische Zustände.
Von den Psychosen bei Trinkern gehören die Wahnkranken nach Kolle
zur Schizophrenie. van der Horst sucht eine echte Debilitätspsychose stark
polyvalenten Charakters herauszustellen und weist auf das Vorkommen eines
pseudoschizophrenen Syndroms bei Oligophrenen hin. Die Beziehungen von
moralischem Defekt zur Schizophrenie sind im wesentlichen von Glaser dar-
gestellt. Auf die Gefahr, infolge gewisser symptomatologischer Atypien zyklo-
phrene Anfälle dem schizophrenen Formenkreis zuzurechnen, macht Timofeev
aufmerksam. Laude und LéVvy-Valensi zeigen an Hand von 5 ausführlichen
Krankengeschichten, wie eine Schizophrenie oft lange unter zirkulärem Bilde ver-
laufen kann; sie treten dann für die Trennung zwischen der Krankheit Dementia
praecox und schizophrener Reaktion ein, ähnlich einem früheren Versuch des
Referenten. (Schluß folgt.)
Aus der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Institut)
in München
Neuere Untersuchungen über die Pathologie und Therapie der
syphilogenen Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks
(Lues cerebrospinalis, Lues cerebri, Lues spinalis, Tabes)
Vierter Bericht
von Franz Jahnel in München.
Auf dem Gebiete der Therapie der Lues im allgemeinen und der verschie-
denen Formen der Nervensyphilis im besonderen ist im vergangenen Jahre
eifrig gearbeitet worden. Da wir bei der Besprechung der Fortschritte auf dem
Gebiete der Nervenlues an der Behandlung der Frühsyphilis nicht vorübergehen
können, zumal auf dieser die Therapie der Nervenlues großenteils beruht, so
seien auch der Frühbehandlung der Lues einige Worte gewidmet. Zunächst
eine prinzipielle Angelegenheit. Obzwar man meinen sollte, daß die Frage, zu
welchem Zeitpunkt ein Syphilitiker behandelt werden müsse, bereits längst
endgültig beantwortet worden ist, so zeigen doch vereinzelte Veröffentlichungen,
daß es auf diesem Gebiete noch einige Außenseiter gibt. So hat Raoul Ber-
nard noch in jüngster Zeit die Meinung geäußert, daß es nicht gut sei, einen
Syphilitiker im Primärstadium, sobald die Krankheit diagnostiziert sei, in Be-
handlung zu nehmen. Er meint, man müsse erst das zweite Stadium abwarten,
um die Immunisierung nicht zu stören, eine Anschauung, die übrigens gar nicht
als neu, sondern als schon lange überwunden zu gelten hat. Wenn Bernard
meint, daß es belanglos sei, die Chance einer Abortivheilung zu versäumen, weil
die Lues auch noch später heilbar sei, so stellt er eine Behauptung auf, deren
Beweis er schuldig bleiben dürfte. Und wenn er schließlich meint, daß man
auch andere Bedenken zurückstellen müsse, wie die Außerachtlassung der durch
die sofortige Behandlung zu bewirkenden Drosselung der Infektionsgefahr, so
scheint er sich auch hier der Tragweite seiner Äußerungen nicht recht bewußt
geworden zu sein. Wenn er auch ein derartiges Vorgehen nur für solche Menschen
reserviert wissen will, die keine Sklaven des Fleisches sind und daher für ihre
Umgebung keine Gefahr bilden, so dürfte es im Einzelfalle recht schwierig sein,
für jemanden in dieser Hinsicht eine Bürgschaft zu übernehmen. Man müßte
dann schon dazu übergehen, solche Syphilitiker in Krankenhäusern, wo Maß-
nahmen gegen die Schädigung der Umgebung getroffen werden können, zu
internieren. Aber das kommt alles nicht in Frage und man muß es sehr be-
dauern, daß immer wieder Versuche gemacht werden, die so erfolgreiche Früh-
behandlung der Syphilis zu sabotieren. Wenn auch immer noch die Frage nicht
definitiv beantwortet ist, worauf der Rückgang der Ansteckungen an Syphilis
zurückzuführen ist, etwa auf die heute allgemein geübte rechtzeitige und ener-
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 343
gische Behandlung oder unabhängig von einer solchen auf epidemiologische
Schwankungen, so spricht doch manches dafür, daß an der Abnahme der
Syphilisansteckungen die moderne Behandlung, welche vor allem die Infektiosität
rasch herabsetzt, großen Anteil hat.
Für denjenigen, der das Bedürfnis hat, sich über die moderne Behandlung
der Nervensyphilis und der Tabes nicht aus einzelnen Publikationen zu orien-
tieren, sondern eine zusammenhängende und erschöpfende Darstellung zu Rate
zu ziehen, ist das kürzlich von Dattner herausgegebene Buch ‚Moderne Be-
handlung der Neurosyphilis“ warm zu empfehlen. Die gesamte therapeutische
Technik, einschließlich der Entnahme des Liquors und seiner Untersuchungs-
methodik kommen darin zu Worte. Es ist unmöglich, im Rahmen des mir zur
Verfügung stehenden Raumes dem reichen Inhalt dieses Werkes nur einiger-
maßen gerecht zu werden. Es kann daher hier nur auf dieses Buch verwiesen
werden, das von besonderem Werte ist, weil der Verfasser über ganz ausgedehnte
persönliche Erfahrungen verfügt und in der Lage ist, die in Wien geübte Be-
handlung dieser Krankheiten wiederzugeben. Um nur ein Beispiel zu erwähnen,
erfahren wir daraus, daB Wagner-Jauregg ein Gegner der intralumbalen
Behandlungsmethoden ist, die er für zu gefährlich hält.
Von den Fortschritten der Luesbehandlung verdient in erster Linie die
Salvarsansättigungsbehandlung von Schreus, über die in dieser Berichts-
periode eine ausführlichere Veröffentlichung von Schreus und Bernstein
erschienen ist, große Beachtung, so daß deren ausführliche Besprechung hier
geboten erscheint. Schreus ist schon seit 10 Jahren systematisch den Ursachen
nachgegangen, warum das Salvarsan bei der Lues die ihm von Paul Ehrlich
zugedachte Bestimmung einer Therapia magna sterilisans bisher nicht zu er-
füllen vermocht hat. Schreus vertritt den Standpunkt, daß die Ursache dieses
Fehlschlages auf einer mangelhaften Durchtränkung des Körpers mit Salvarsan
beruhe. Bei einem eindringlichen Studium der Frage, ob eine Verbesserung der
Wirkung der Salvarsane nicht nur durch Hinzufügung eines anderen Mittels, eine
sog. Kombinationsbehandlung (Quecksilber oder Wismut), sondern auch durch
eine Verbesserung der Salvarsanwirkung erzielt werden könne, hat Schreus
sich folgende Möglichkeiten vorgelegt: 1. Die Verwendung hoher Einzelgaben,
2. kürzere Zwischenräume zwischen den Einzelgaben, 3. größere Gesamtdosis
und 4. eine andere Anwendungsweise. Höhere Einzelgaben sind wiederholt
versucht worden und haben glänzende Resultate gezeitigt. Bei der Paralyse hat
besonders gute Erfolge mit hohen Einzel- und Gesamtdosen Sioli erzielt. Da
sich aber bekanntlich auch bei niederer Dosierung zuweilen sog. Salvarsantodes-
fälle ereignet haben, erscheint bei der Frühsyphilis die Verwendung hoher Einzel-
gaben in einer einzigen Spritze im allgemeinen nicht gerechtfertigt. Während
Salvarsan gewöhnlich in Abständen von 3—5 oder 7 Tagen verabreicht wird,
haben einzelne Autoren auch kürzere Zwischenräume gewählt, ebenso ist das
Kurmaß gesteigert worden, z. B. sind möglichst hohe Gesamtdosen erstrebt und
verabreicht worden. Freilich ist die reine Salvarsanwirkung im Verhältnis zu
ihrer Dosierung und Methodik ihrer Anwendung deswegen schwer exakt zu
beurteilen, weil man heute fast allgemein (und dies mit vollstem Recht) dazu
übergegangen ist, eine Salvarsanbehandlung mit der Darreichung anderer be-
währter antisyphilitischer Mittel zu verbinden. Schreus vertritt den Stand-
punkt, daß ein Mangel der Salvarsanwirkung auf einer unzureichenden Ver-
344 Franz Jahnel
teilung des Mittels im Körper beruht. Auf Grund zahlreicher Experimente und
Überlegungen gelangte er zu folgender Art der Salvarsandarreichung, bei der
er innerhalb 40 Minuten große Salvarsanmengen einverleibt. Diese Methodik
hat sich ihm durchaus bewährt, auch ist niemals dadurch Schaden angerichtet
worden. Das Schreussche Prinzip der Sättigungsbehandlung wird in der Weise
durchgeführt, daß zunächst einmal Neosalvarsan in der üblichen Dosis (0,6 g
intraven.) verabreicht wird und dann der Salvarsanspiegel durch eine zweite
und dritte, in Pausen von je 20 Minuten gegebene Einspritzung dieses Mittels
(z. B. à 0,45g) wieder aufgefüllt wird. Der Gefahr, die in der Anwendung so
großer Salvarsandosen besteht, falls man etwa auf einen Fall von Salvarsan-
Intoleranz stößt, hat Schreus durchaus zu begegnen gewußt. Er geht nämlich
erst dann zur Sättigungsbehandlung über, wenn er erst zwei, zuweilen auch erst
drei sog. Vorinjektionen von Neosalvarsan in der bisher üblichen Form (à 0, 45 g
bis 0,6g Neosalvarsan) verabreicht hat. Erst dann, wenn diese Vorinjektionen
anstandslos vertragen wurden, nimmt er die Sättigungsbehandlung vor. Die
einzelnen Sättigungsschläge werden nur einmal wöchentlich verabfolgt aus der
Erwägung heraus, dem Organismus während der großen Pause Zeit zur Aus-
scheidung des Arsenikals zu geben. Die Tagesdosis einzelner Sättigungsschläge
wird auf 1,5 g Neosalvarsan bei Männern und auf 1,05g bei Frauen bemessen.
Von Interesse ist, daß die Gesamtmenge von Neosalvarsan, die während einer
solchen Kur in 5—6 Sättigungsschlägen in den Körper eingeführt wird, nicht
mehr wie 6—9 g Neosalvarsan beträgt, mithin eine Gesamtdosis, wie sie ja auch
bei gewöhnlichen Kuren üblich ist. Auch dauert eine Sättigungskur nicht
nennenswert längere Zeit als eine gewöhnliche Kur. So interessant es wäre, die
Wirkung des Neosalvarsans in Form von Sättigungsschlägen bei isolierter Dar-
reichung dieses Mittels zu studieren, so hat Schreus — und darin muß man
ihm vollkommen beipflichten — es doch nicht für erlaubt gehalten, seinen
Patienten den Vorteil der kombinierten Kuren zu entziehen. Er hat daher regel-
mäßig auch Wismut in Form von Bismogenol oder Mesurol gegeben. Außerdem
hat er zur Unterstützung der Salvarsanbehandlung Fieberkuren herangezogen,
einigemal als Malariabehandlung, doch hat er im allgemeinen dem Pyrifer den
Vorzug gegeben, weil dieses Mittel es gestattet, die Fieberwirkung zwischen die
einzelnen Sättigungsschläge zu legen. Bei Kranken mit normalem Liquor ist
Pyrifer auch weggelassen worden. Meist hat er sich mit einer einzigen Sättigungs-
kur begnügt, doch steht dem nichts im Wege, eine solche Kur nach 6—26 Wochen
zu wiederholen, etwa bei Fällen von Gefäß- oder Nervenlues. Schreus und
Bernstein geben folgendes Schema einer Sättigungskur wieder:
Vorkur: 1. Tag 1. Bi. 0,5, 2. Tag Neosalvarsan 0,45, 5. Tag 2. Bi. 1,0 und
Neosalvarsan 0,6. Eigentliche Sättigungskur: 8. Tag Pyrifer St. I,
9. Tag 3. Bi. 1,0 Neosalvarsan 1. 0,45 + 0,15 + 0,15, 12. Tag 4. Bi. 1,0 Pyrifer
St. II., 15. Tag Pyrifer St. III., 16. Tag 5. Bi. 1,0 Neosalvarsan 2. 0,45 +
0,3 + 0,3, 19. Tag 6. Bi. 1,0 Pyrifer St. IV., 22. Tag Pyrifer St. V., 23. Tag
7. Bi. 1,0 Neosalvarsan 3. 0,6 + 0,45 + 0,3, 26. Tag 8. Bi. 1,0 Pyrifer St. VI.,
29. Tag Pyrifer St. VII., 30. Tag 9. Bi. 1,0 Neosalvarsan 4. 0,6 + 0,45 + 0,45,
33. Tag 10. Bi. 1,0 Pyrifer St. VII., 36. Tag Pyrifer St. VII., 37. Tag 11. Bi.
1,0 Neosalvarsan 5. 0,6 + 0,45 + 0,45, 40. Tag 12. Bi. 1,0 Pyrifer St. VII,
44. Tag Neosalvarsan 6. 0,6 + 0,45 + 0,45. Bei Frauen ist die dritte bis sechste
Sättigung meist in der Stärke der zweiten durchgeführt worden.
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 345
Schreus und Bernstein berichten über ihre Erfahrungen an 212 Kranken.
Sie haben weit über 1000 Sättigungsschläge gegeben, ohne daß sie irgendwelche
besonderen Nachteile beobachtet haben. Sie erwähnen, daß Nebenwirkungen
nicht häufiger als bei der gewöhnlichen Form der Salvarsandarreichung vor-
handen waren und sich auch nicht in anderer Weise geltend machten. Was ja
an dieser so exakt ausgearbeiteten Methodik besonders beachtenswert ist, ist
die Tatsache, daß salvarsanempfindliche Individuen mit Hilfe der Vorinjektionen
ermittelt und ausgeschaltet werden können. Ebenso haben Schreus und
Bernstein sich nicht dazu entschließen können, Nierenkranke dieser Kur zu
unterwerfen, und sich auch bei Leberstörungen große Zurückhaltung auferlegt.
Hingegen haben Kranke mit syphilitischen Herzleiden diese Art der Salvarsan-
zufuhr ausgezeichnet vertragen. Die Autoren haben nur 4mal schwerere Der-
matitiden gesehen, was einer Häufigkeit von 2%, entspricht; bei gewöhnlichen
Salvarsankuren treten solche Dermatitiden bekanntlich in gleichem Prozentsatz
auf. Niemals ist es zu einer Salvarsanenzephalitis gekommen, auch andere Arten
von Salvarsanschäden haben sich nicht ereignet. Die in Rede stehende Bät-
tigungsbehandlung wurde meist im Krankenhaus durchgeführt, doch meinen
Schreus und Bernstein, daß man sie auch ambulant vornehmen könne.
Was die Resultate der Salvarsansättigungsbehandlung anbetrifft, befanden sich
unter den Fällen, die vor längerer Zeit als 1—6 Jahre behandelt worden waren, 23,
die der liquornegativen sekundären Lues angehörten. Bei 15 derselben war
eine Nachuntersuchung möglich gewesen und hatte normalen Liquorbefund
ergeben. Ein einziges Rezidiv war bei einer Frau 2 Jahre nach einer Sättigungs-
kur beobachtet worden. Die übrigen Fälle waren gesund geblieben, auch in
sämtlichen Serumreaktionen. Bei der Beurteilung der Resultate dieser Kur
ist zu beachten, daß die serologischen Ergebnisse am Ende der Kur meist noch
positiv waren und das Blut erst bei späteren Untersuchungen negativen Befund
aufwies. 3 Fälle von Lues, die auf eine gewöhnliche Salvarsanwismutbehandlung
nicht reagiert hatten, wurden durch eine einzige Sättigungskur klinisch und
serologisch geheilt. Bei Lues cerebri und liquorpositiver Lues wurde durch eine
einzige Sättigungskur der Liquor in 87% gebessert, in 56% ganz oder beinahe
saniert. Bei 12 Tabesfällen erfuhren lanzinierende Schmerzen und Krisen in
der Regel eine günstige Beeinflussung, bei einem Kranken hatte die Ataxie
zugenommen, trotzdem der Liquor negativ geblieben war. Ein einziger Fall
hat sich verschlechtert. Bei 8 Tabesfällen war die Sättigungskur ohne Fieber-
behandlung durchgeführt worden. Der Liquor war später bei dreien ganz oder
beinahe saniert, bei vieren gebessert und nur bei einem hatte er sich verschlech-
tert. Bei einem Falle kam eine Sättigungskur in Verbindung mit einer Malaria-
behandlung zur Anwendung; bei diesem Tabesfall wurde der Liquor saniert.
Wie bei der Malaria wird der Liquor oft günstig beeinflußt, aber Liquorbefund
und Besserung des Zustandes laufen keineswegs immer parallel. Die Prüfung
der Salvarsantoleranz vor Einleitung der Sättigungskur halten Schreus und
Bernstein gerade bei der Tabes für besonders wichtig.
Schreus und Bernstein empfehlen eine einzige Sättigungskur zur
Abortivheilung bei seronegativer Syphilis; aber nicht nur bei primärer und
sekundärer Lues, sondern auch bei Spätfällen und mit gewissen Einschränkungen
wurden bei sog. metasyphilitischen Erkrankungen günstige Resultate erzielt.
Die Fiebersalvarsansättigungsbehandlung stellt die intensivste Behandlungs-
346 Franz Jahnel
methode dar — so meinen Schreus und Bernstein — über welche wir bei
der Metalues heute verfügen. Die Verbindung mit Pyrifer kommt vor allem für
diejenigen Fälle in Frage, die gegen Malariabehandlung refraktär sind oder bei
denen sie aus irgendeinem Grunde kontraindiziert ist. Es steht zu erwarten,
daß der Wert solcher Salvarsansättigungskuren in umfangreichen Nachprüfungen
untersucht wird. Da der Erfolg der Luesbehandlung, insbesondere was die
Dauerheilung anbetrifft, erst nach längerer Zeit beurteilt werden kann, so werden
wir auf solche Nachprüfungen wohl noch etwas warten müssen. Immerhin
dürfte nichts entgegenstehen, in geeigneten Fällen von Nervenlues solche Sät-
tigungskuren zu versuchen. Namentlich bei bedrohlichen syphilitischen Me-
ningitiden dürfte ihre Anwendung die Methode der Wahl darstellen. Bei anderen
Fällen wird man die Entscheidung, ob eine Salvarsansättigungskur vorzunehmen
ist, individuell treffen müssen und eine sorgfältige Untersuchung der Nieren
und Leberfunktionen vorausschicken müssen; vor allem wird die Technik be-
sonders exakt durchgeführt werden müssen. Da durch die kurz hintereinander
erfolgenden 3 Injektionen viele Spritzen gegeben werden müssen, wird man
die Venen besonders schonend behandeln müssen, damit sie nicht unwegsam
werden und der Fortsetzung der Kur Hindernisse bereiten. Daß man jede
Neosalvarsanlösung erst unmittelbar vor dem Gebrauch ansetzen darf, ist selbet-
verständlich. Es dürfte ferner nützlich sein, sich jedesmal vor der Bereitung
der Salvarsanlösung zu vergewissern, ob die Ampulle intakt war und das Sal-
varsan nicht etwa mit der Luft in Berührung gekommen war, denn etwaige
toxische Wirkungen könnten gerade bei dieser Methodik unerwünschte Folgen
zeitigen.
Über Versuche, das Eindringen des Salvarsans ins Zentralnervensystem zu
erleichtern, berichten Smith und Waddel. Es wurde von ihnen festgestellt,
daß nach Jugulariskompression und Salvarsandarreichung mehr Arsen im Liquor
nachweisbar ist, als wenn die erstere Prozedur unterlassen wird. Diese Angaben
berechtigen natürlich vorerst nicht, der Jugulariskompression als Adjuvans der
Salvarsanbehandlung das Wort zu reden.
Über eine eigenartige Arsenobenzolschädigung haben Chavany und
Fournay berichtet. Eine 30jähr. Gravida bekam nach der 3. Injektion des
Präparates „Novar‘‘ Übelkeit, ein masernartiges Exanthem, eine 16 Stunden
anhaltende Bewußtlosigkeit, epileptiforme Krämpfe und Nackenstarre. Diese
Erscheinungen, welche von den Autoren auf ein Hirnödem zurückgeführt wurden,
bildeten sich glücklicherweise wieder zurück.
O’Leary und Rogin haben zu der schon oft erörterten Frage erneut
Stellung genommen, ob durch Anwendung der Salvarsane die Entstehung von
syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems begünstigt werden
könne. Unter 500 daraufhin geprüften Fällen solcher Erkrankungen war in
85%, während der Frühperiode kein Salvarsan gegeben worden. Hingegen zeigte
es sich, daß durch Darreichung von Salvarsan die klinischen und serologischen
Erscheinungen der Syphilis des Nervensystems günstig beeinflußt worden waren.
Auch Claude, Nicolau u.a. Autoren erblicken in einer rechtzeitigen und
ausreichenden Behandlung der Frühsyphilis das beste Vorbeugungsmittel gegen
das Auftreten späterer nervöser Erkrankungen.
Aus Amerika liegen wieder günstige Berichte über die Tryparsamidbehand-
lung, insbesondere auch bei der Tabes vor (Lichtenstein, Spitz u.a.). Wäh-
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 347
rend sich Störungen des Sehvermögens bei entsprechender Vorsicht vermeiden
lassen, wird nur-das Vorliegen einer beginnenden oder vorgeschrittenen Sehner-
venatrophie als absolute Kontraindikation gegen die Anwendung dieses Mittels
angesehen (Moore u.a.).
Da nach den Erfahrungen Dattners Remissionen, bei denen der Liquor
sich als unbeeinflußt erwiesen hat, nicht dauerhaft zu sein pflegen, erstrebt
dieser Autor namentlich bei symptomfreier, liquorpositiver Spätlues eine Be-
seitigung der Liquorveränderungen. Bei Fällen, bei denen sich bereite eine frühere
spezifisch-unspezifische Kur in dieser Hinsicht als wirkungslos erwiesen hatte,
hat Dattner Spirocidkuren vorgenommen. Er gab am 1. Tage 2, am 2. und
3. Tage je 3 Tabletten. Nach 3tägiger Pause wurde der gleiche Turnus wieder-
holt, bis die Tablettenzahl von 80—90 erreicht worden war. Höhere Gesamt-
dosen sollten vermieden werden, weil dann auch, wie beim Tryparsamid die
Gefahr von Schädigungen des Opticus in größere Nähe rückt. Gleichzeitig ließ
Dattner Jodkali und Jodnatrium einnehmen. In einigen derartig behandelten
Fällen, bei denen der Liquor in einem geeigneten Intervall (zu frühe Unter-
suchungen können ein falsches Bild geben) nachuntersucht werden konnte,
konnte Dattner einen günstigen Einfluß dieser Behandlung feststellen.
Bekanntlich hatte schon Ehrlich versucht, ein Wismutsalvarsan anzu-
fertigen, das sich ihm aber nicht genügend stabil erwiesen hatte. Neuerdings
hat Raiziss ein Arsenwismutpräparat (Bismarsan) hergestellt. Hadden und
Wilson haben dieses Mittel intramuskulär unter Zugabe eines Lokalanaestheti-
kums verabreicht und im allgemeinen eine günstige Wirkung auf tabische Er-
scheinungen beobachtet.
Zur Behandlung der Nervensyphilis im besonderen haben Buschke und
Boss der Anwendung von kleinen Kalomeldosen das Wort geredet, ein thera-
peutisches Verfahren, das infolge der geringen Kosten, die derartige Kuren ver-
ursachen, dem Sparbedürfnis der Jetztzeit entgegenkommt. Übrigens hatte,
wie ich dem Dattnerschen Buche entnehme, schon viel früher Babinski das
Kalomel als das wirksamste Mittel bei der Tabes empfohlen. Buschke und
Boss verabfolgen 0,03 g Kalomel pro Dosis, evtl. sogar O, O25 g in Intervallen
von 3—5 Tagen. Es werden höchstens 10 Injektionen verabreicht, vielfach sind
5 oder 6 bereits ausreichend. Wird das Kalomel gut vertragen, so kann die
Einzeldosis auf 0,04—0,05 g erhöht werden. Nach Buschke und Boss eignen
sich für die Kalomelbehandlung nicht nur die akut einsetzenden frühsyphilitischen
Meningitiden, sondern auch die Meningoneuritis und andere Formen von Nerven-
syphilis. Buschke und Boss sind der Meinung, daß die beim Salvarsan häufigeren
therapeutisch ausgelösten Neurorezidive nach Kalomel nur selten vorkommen.
Eine Verbesserung der Wismutbehandlung ist ebenfalls versucht worden;
amerikanische Autoren (Mehrtens und Pouppirt) haben sich bemüht, ein
Präparat ausfindig zu machen, das besser ins Zentralnervensystem eindringt.
Da Anione im allgemeinen ein stärkeres Penetrationsvermögen besitzen als
Katione, so haben sie ein Präparat Jodo-Bismitol geschaffen, das ein goldrotes
kristallisches Pulver darstellt und einen Wismutgehalt von 21, 6% aufweist. Es
wird in 6%, Äthylenglykollösung eingespritzt. Bei Versuchstieren konnte dar-
nach Wismut in großen Mengen im Gehirn nachgewiesen werden. Auch im
Liquor ist nach dieser Behandlung der Wismutnachweis geglückt. Inwieweit
dieses Mittel, das auch von Strandberg warm empfohlen wird, tatsächlich
348 Franz Jahnel
eine Bereicherung unseres therapeutischen Arsenals der Nervensyphilis darstellt,
muß abgewartet werden.
Wie nicht anders zu erwarten, beschäftigen sich auch zahlreiche Arbeiten
dieser Berichtsperiode mit der Malariabehandlung, und zwar nicht nur der Para-
lyse, sondern auch der Tabes und der übrigen Formen von Syphilis des Nerven-
systems (Wile und Davenport, Paige, Rickloff und Osborne, O’Leary
u. a.). Die Erfolge der Malaria bei der Tabes und den anderen Formen der Nerven-
syphilis sind hinlänglich bekannt und auch schon wiederholt Gegenstand der
Erörterung in dieser Zeitschrift gewesen. Es dürfte sich daher erübrigen, des
näheren auf diese Arbeiten einzugehen, soweit sie Dinge mitteilen, die sich im
Rahmen des bisher Bekannten bewegen. Die Gefahren der Malaria werden bei
Nichtparalytikern meist sehr gering eingeschätzt. Während Fettleibigkeit viel-
fach als Kontraindikation gegen eine Malariaimpfung betrachtet wird, hat
Neustädter bei einer 34jähr. Frau, die 100 kg wog, eine Malariabehandlung
durchgeführt. Die Kranke hat 8 Fieberanfälle ohne jede Störung überstanden
und stellt eines der besten Behandlungsresultate dieses Autors dar. Paige,
Rickloff und Osborne haben während des Malariafiebers täglich den Blut-
druck kontrolliert und wenn dieser unter 75 mm Quecksilber sank, die Kur
sofort abgebrochen. Desgleichen kupierten sie die Malaria, wenn der Blut-
harnstoff angestiegen war. Bei Opticusatrophie wurde zuweilen trotz der
Malariabehandlung eine Progression des Prozesses beobachtet, weshalb manche
Autoren diese hier ablehnen (Behr, Grage), oder wenigstens zur Vorsicht mahnen
wie Weinberg, der übrigens im allgemeinen dem Pyrifer, bzw. dem Sulfosin
den Vorzug vor der Malaria gibt. Allerdings zeigte es sich später zuweilen, daß
der Prozeß am Opticus doch nach Malaria stationär geworden war. Einen inter-
essanten Fall, der allerdings nicht ganz aufgeklärt ist, hat Katznelson mit-
geteilt. Eine 32jähr. Frau, die zuerst an einer auf eine antisyphilitische Kur
ansprechenden Abduzenslähmung erkrankte, bekam 2 Jahre später eine retro-
bulbäre Neuritis mit Ausgang in Atrophie, die sich durch spezifische Kuren nicht
mehr beeinflussen ließ. Die Patientin machte dann eine spontane Malaria-
erkrankung durch, worauf sich die Sehkraft besserte. Ob trotz der negativen
serologischen Befunde die Annahme des Verf., daß es sich um eine Lues handelte,
richtig ist, steht dahm. Es könnte auch eine multiple Sklerose vorgelegen haben.
Ebenso wird sich in Hinblick auf die Einzahl der Beobachtung die Entscheidung,
ob der Prozeß post oder propter hoc zum Stillstande gekommen ist, kaum treffen
lassen. Vielfach ist auch die Malariabehandlung bei Fällen mit positivem Liquor
befund, die keine klinischen Symptome von seiten des Nervensystems darboten,
durchgeführt worden. Solche Fälle sind in der amerikanischen Literatur auch
als asymptomatische Neurolues bezeichnet worden. O’Leary hat 58 solche
Fälle nach der Malariabehandlung untersucht; bei 20 Fällen waren die Liquor-
befunde vollständig negativ geworden, von den 38 unbeeinflußten Fällen waren
4 später an Lues cerebrospinalis, 1 an Tabes und 1 an progressiver Muskel-
atrophie erkrankt. Da in einzelnen Fällen durch die Malaria zwar die syphili-
tischen Erkrankungen des Zentralnervensystems beeinflußt werden, nicht aber
die viszeralen Lokalisationen der Lues, so hat O’Leary im Anschluß an die
Malariatherapie stets eine energische spezifische Behandlung durchgeführt.
Von Interesse sind auch die Feststellungen, die in einer der Wiener Universitäts-
kliniken für Syphilidologie durch ihren Leiter Kerl gemacht werden konnten.
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 349
Die Ergebnisse der Malariabehandlung bei Fällen von Frühlues waren nicht
völlig befriedigend. Kerl führt deshalb die Malariakur nur bei Kranken durch,
die im vierten Jahre nach der Ansteckung positiven Liquorbefund aufweisen,
selbstverständlich auch bei Spätlues oder Metalues des Zentralnervensystems.
Was jedoch die Wirkung der Impfmalaria auf den Liquor anbetrifft, so ist diese
wie kein anderes Heilverfahren befähigt, den Liquor zu sanieren. In einem
Falle trat 5 Jahre nach der Malaria bei gebessertem Liquor- und negativem Blut-
befund eine Lues cerebri auf. Auch Kerl vertritt den Standpunkt, daß es mög-
lich ist, durch rechtzeitige Malariabehandlung den Prozentsatz der Späterkran-
kungen an Paralyse und Tabes zu verringern. Anhangsweise sei zu den Bedenken
Stellung genommen, die Martini, der schon früher Einwände gegen die Malaria-
behandlung geltend gemacht hatte, erhoben hat. Er weist darauf hin, daß die
Behauptung, eine Impfmalaria könne durch Chinin stets sofort geheilt werden,
nicht immer zutreffe. Mit dem Verschwinden der Anfälle sei eine Malaria nicht
immer ausgeheilt. Andererseits hinterlasse eine Malariainfektion bei einem
hilitiker eine Immunität, so daß man später, wenn eine Paralyse eintrete,
das beste Heilmittel entbehren müsse. Demgegenüber habe ich schon früher
darauf hingewiesen, daß diese Betrachtungsweise nicht richtig ist. Vielfältige
Erfahrungen haben doch gelehrt, daß Rückfälle nach Impfmalaria außerordent-
lich selten sind und daß die Impfmalaria hinsichtlich der Chancen der Ausheilung
eine ganz andere Beurteilung verdient, als die auf natürlichem Wege erworbene
Malaria. Martini meint ferner, daß von der Impfmalaria Ansteckungen aus-
gehen können. Die vereinzelten Fälle, in denen Malariserkrankungen auf ge-
impfte Paralytiker zurückgeführt wurden, sind aber viel zu gering an Zahl
gegenüber denjenigen Beobachtungen, wo keine ungewollten Übertragungen
vorgekommen sind. Mit Sicherheit kann man auch nicht behaupten, daß die
Infektion von geimpften Paralytikern herrührte. Als Drittes kritisiert Martini
die Behauptung, daß die Malaria eine typische Fieberkurve habe. Seitdem
Malariabehandlungen in größerem Umfange durchgeführt werden, kennen auch
die Therapeuten unseres Faches Malariafälle mit atypischer oder fehlender
Fieberreaktion. Gewiß können solche Malariafälle verkannt werden, aber es
steht fest, daß in der Umgebung der mit Malaria behandelten Fälle unklare
Krankheiten in größerer Zahl nicht vorgekommen sind. Und dann müßten,
wenn ungewollte Malarisübertragungen einen größeren Umfang annehmen
würden, doch auch Fälle mit mehr oder weniger typischer Fieberkurve häufiger
beobachtet werden. Ich vermag daher die Besorgnisse von Martini bezüglich
der Gefahren der Malariabehandlung für die Umgebung nicht zu teilen; eine
langjährige Erfahrung spricht dagegen. Auch vermag ich dem Vorschlage von
Martini nicht beizupflichten, bei nicht ganz hoffnungslosen Fällen die Infektion
durch Stechmücken erfolgen zu lassen. Wenn Martini die Technik des Arbeitens
mit Mücken vollständig beherrscht, so darf er nicht annehmen, daß dies bei
allen Klinikern der Fall ist. Ich würde gerade in der Verwendung von Stech-
mücken die von Martini erörterte Gefahr erblicken. Stechmücken können bei
unsachgemäßer Hantierung doch einmal auskommen und dann zu unbeab-
sichtigten Infektionen Veranlassung geben, während eine ungewollte Über-
tragung bei Malariablutverimpfung kaum möglich sein dürfte; denn wenn auch
einmal der Arzt sich selbst mit der Injektionsnadel verletzen sollte, so kann er
den Ausbruch der Malaria kupieren.
350 Franz Jahnel
Von den Ersatzmitteln der Infektionsbehandlung sei zunächst erwähnt,
daß Pope einen Fall von Tabes mit Diathermie behandelt hat und Temperatur-
steigerungen erzielt hat. Über die Diathermie bzw. Kurzwellenbehandlung der
Tabes müssen noch weitere Erfahrungen gesammelt werden, ehe diese Methoden
in die Praxis Eingang finden können. Die Schwefelbehandlung Kn. Schröders,
die früher schon von Winkler!) versucht wurde, hat in Fried einen warmen
Anhänger gefunden. In 6 unter 12 Fällen von Sehnervenatrophie will er wesent-
liche, in 4 Fällen mäßige Besserungen erzielt haben. Rajka und Radnai haben
bei Nervensyphilis Lichtbehandlungen durchgeführt (Ultraviolettbestrahlung
des ganzen Körpers in Erythemdosen, 3mal wöchentlich, im ganzen 10mal).
Sie haben dann des öfteren auch Lé Stunde nach Beginn der Bestrahlung Blut
entnommen und dieses intraglutäal injiziert. Sie wollen mit dieser mit Licht-
behandlung kombinierten Eigenbluttherapie günstige Resultate gesehen haben,
doch sind die meisten Fälle noch nicht genügend lang beobachtet. Auch diese
Methode wird noch gründliche Nachprüfungen über sich ergehen lassen müssen,
ehe die Entscheidung getroffen werden kann, ob sie in der Tat mit den bewährten
Methoden konkurrieren kann.
Auf dem Gebiete der Pathogenese, Symptomatologie und Diagnose der
syphilitischen Erkrankungen des Zentralnervensystems im engeren Sinne ist
grundsätzlich Neues in der Berichtsperiode nicht mitgeteilt worden. Dolin
hat unter der Bezeichnung „akute diffuse Syphilis des Gehirns“ Fälle beschrieben,
die meningeale bzw. meningoenzephalitische Prozesse der zweiten Hälfte des
ersten und des zweiten und dritten Jahres nach der Ansteckung zum Gegen-
stande haben. Die Bezeichnung „diffuse Syphilis des Gehirns“ ist bekanntlich
schon vor vielen Jahren mit Recht von Nissl beanstandet worden, weil sie nur
zu Verwirrungen Veranlassung gibt. Zudem sind die in Rede stehenden Prozesse
keineswegs diffus, sondern zeigen eine bestimmte Prädilektion ihrer Ausbreitung,
was in jüngster Zeit, wie bekannt, besonders von Spatz hervorgehoben worden
ist. Ich vermag nicht einzusehen, warum man für solche Fälle nicht die uns
geläufigen Benennungen „akute syphilitische Meningitis“, bzw. „Meningoenze-
phalitis“ beibehalten soll. Interessant ist, daß unter den 13 Beobachtungen
Dolins 9 Temperatursteigerungen aufgewiesen haben, was dieser Autor auf
eine bestimmte Prozeßlokalisation in den Thalami optici und dem Tuber cinereum
zurückführt. Wenn syphilitische Meningitiden mit Fieber einhergehen, dann
erhebt sich die Frage nach ihrer Unterscheidung von Meningitiden anderer
Atiologie. So haben André-Thomas und Laflotte kürzlich über einen sehr
interessanten Fall berichtet, eine akute, mit Herpes febrilis einhergehende
Meningitis, bei der wider Erwarten die WaR. im Blute und Liquor positiv aus-
gefallen war. Die Atiologie dieses Falles ist nicht restlos geklärt, die Autoren
denken an das von Philibert im Jahre 1923 beschriebene Krankheitsbild der
herpetischen Meningitis, zumal ja auch Ra vaut und Darré festgestellt hatten,
daß bei Herpes in der Genitalregion Liquor veränderungen vorkommen; diese
können, wie Ravaut und Rabeau durch Tierimpfungen nachgewiesen haben,
mit gleichzeitiger Anwesenheit des Herpesvirus im Liquor einhergehen. Aller-
dings pflegen diese Liquorveränderungen bei Herpes progenitalis meist latent,
ohne klinische Symptome zu verlaufen. Es könnte sich aber, wie André-
1) Vgl. 2. Bericht d. Z. Jg. 2, S. 246.
u r
— — 8 .
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 351
Thomas und Laflotte auseinandersetzen, in dem zur Erörterung stehenden
Falle auch um eine Meningitis anderer, unbekannter Ätiologie gehandelt haben.
Nimmt man in diesem Falle eine herpetische oder durch einen anderen, nicht
nachgewiesenen Keim hervorgerufene Meningitis an, so würde auf die Liquor-
befunde die gleiche Erklärung zutreffen, wie z.B. für den positiven Liquor-
Wassermann bei tuberkulöser Meningitis, den ich in meinem ersten Berichte!)
erörtert habe. Natürlich ist auch nicht die Möglichkeit ganz von der Hand zu
weisen, daß eine syphilitische Meningitis vorlag. Doch ist dies nach dem Krank-
heitebild und vor allem, weil die Erscheinungen schon vor Einleitung einer anti-
syphilitischen Behandlung zurückgegangen waren, unwahrscheinlich. Diffe-
rentialdiagnostisch wichtig kann eine andere Form von Meningitiden sein, die
ebenfalls durch eine Spirochäte (Leptospire) hervorgerufen wird, nämlich den
Erreger der Weilschen Krankheit. In der französischen Literatur sind solche
Fälle als Spirochätose der Meningen beschrieben worden. Demme hat kürzlich
in dieser Zeitschrift darüber berichtet“). Ich selbst halte die Kenntnis dieser
Beobachtungen für außerordentlich wichtig, finde aber die Bezeichnung ‚‚Spiro-
chätose der Meningen“ nicht sehr glücklich, weil man darunter ebenso gut
Rekurrens als auch syphilitische Prozesse in den Hüllen des Zentralnerven-
systems verstehen könnte; ich schlage für solche Fälle die Benennung „Lepto-
spirose der Meningen“ vor. Im übrigen sei hier noch auf eine ausgezeichnete
Monographie über diese Krankheit von Troisier und Boquien verwiesen. Bei
der Leptospirenerkrankung der Meningen, bei der übrigens Herpes in 27%, der
Fälle beobachtet worden ist, pflegt die WaR. im Liquor negativ zu sein, nur in
einer Beschreibung von Laignel-Lavastine, Boquien und Puymartin war
die WaR. vom 14. Tage ab schwach positiv, ohne daß Syphilis vorlag. Natürlich
kann die Leptospirose der Meningen auch einmal einen Syphilitiker befallen.
Hierher gehört vielleicht die 3. Beobachtung von Widal, Lemierre, Cotoni
und Kindberg mit positivem Wassermann im Blute. Klinisch erscheint diese
Beobachtung einwandfrei, nur konnte damals der sichere Nachweis der Lepto-
spirenätiologie noch nicht geführt werden, weil man den Erreger der Weilschen
Krankheit zu dieser Zeit noch nicht kannte.
Was das Hirngumma anbetrifft, so hat Cheng darauf aufmerksam gemacht,
daß in China, wo sich noch nicht alle Syphilitiker behandeln lassen, Hirngummen
häufiger sind. Seine 3 Fälle haben klinisch das Bild einer Rindenepilepsie ge-
boten und sind durch eine Operation, für welche Therapie sich dieser Autor
sehr einsetzt, günstig beeinflußt worden. Unter den Fällen von Winkelmann
und Eckel, die einige ausgezeichnet beobachtete und differentialdiagnostisch
wichtige Fälle von Syphilis des Nervensystems beschrieben haben, ist Fall 1
bemerkenswert. Ein 32jähr. Mann war im Status epilepticus verstorben; die
Sektion ergab ein Gumma im rechten Frontallappen, das auch durch die histo-
logische Untersuchung sichergestellt werden konnte. Es verdient besondere
Hervorhebung, daß in diesem Falle zwar das Blut positive WaR. dargeboten
hatte, der Liquor aber nicht.
Unter den Arbeiten über syphilitische Gefäßerkrankungen ist zunächst die
Veröffentlichung von Kamin zu erwähnen, der sich mit der Frage der syphi-
1) D. Z. Jg. 1, S. 320.
3) D. Z. Jg. 5, S. 170.
352 Franz Jahnel
litischen Subarachnoidealblutungen beschäftigt hat. Die Symptome der syphili-
tischen Subarachnoidealblutungen sind denen von Blutungen anderer Atiologie
sehr ähnlich. In der Beobachtung von Kamin hatte die Erkrankung mit einem
meningitischen Bilde begonnen und die Autopsie ausgebreitete syphilitische
Gefäßveränderungen aufgedeckt. Kamin meint, daß solche subarachnoideale
Blutungen sowohl durch Ruptur eines Aneurysmas zustande kommen können
als auch, daß bei denjenigen Fällen, bei denen sich Gefäßzerreißungen nicht nach-
weisen lassen, die Möglichkeit von diapedetischen Blutungen zugegeben werden
muß. Es bedarf eigentlich keiner besonderen Hervorhebung, daß man bei Hirn-
blutungen stets serologische Untersuchungen vornehmen soll, wie denn auch
im Falle von Kamin die WaR. im Blute positiv ausgefallen war. Gaujoux,
Goudet und Fabre haben über 3 Fälle von puerperaler Hemiplegie, die sie
durch Syphilis bedingt ansehen, berichtet; in allen Fällen war die WaR. im
Blute positiv ausgefallen und auch noch andere syphilitische Erscheinungen waren
vorhanden, Es handelte sich um Aphasie, bzw. um Hemiplegien mit Aphasie,
die während, bzw. 12 Stunden nach der Entbindung aufgetreten waren. Daß
ein syphilitischer Prozeß auch ein der Eklampsie ähnliches Bild hervorrufen
kann, lehrt besonders eine Beobachtung (Fall 6) von Winkelmann und Eckel.
Eine 26jähr. farbige Frau im 6. Monat der Schwangerschaft war unter eklamp-
tischen Erscheinungen gestorben. Die mikroskopische Hirnuntersuchung hatte
das Vorhandensein einer meningovaskulären Syphilis mit Endarteritis der kleineu
Hirngefäße ergeben. Auffallenderweise war die WaR. nur im Blute, nicht aber
im Liquor positiv gewesen. Einen eigenartigen Fall von Hirnblutung bei einem
14jähr. Knaben mit Lues congenita hat Sa xl beschrieben, bei dem die Symptome
der Apoplexie aufgetreten waren, nachdem der Knabe kurz vorher in einem
Schwimmbad fast 5 Stunden in der Sonne gelegen hatte.
Die Literatur enthält zahlreiche kasuistische Mitteilungen über endokrine
Störungen bei den verschiedenen Formen von Syphilis, sowohl bei der erworbenen,
als auch der kongenitalen, doch erscheint mir keine dieser Mitteilungen besonderer
Hervorhebung wert. Hingegen berichtet Hoesch über ein interessantes Symptom
bei Lues oerebrospinalis, nämlich Tagesantidiurese und Nykturie. Ein Syphili-
tiker mit positivem Blut- und Liquorbefund gab tagsüber nur wenig und nachts
sehr viel Urin von sich. Der Volhardsche Wasserversuch deckte in langjährigen
Beobachtungen eine ganz extreme Wasserretention auf, so daß der Patient im
Laufe des Tages um 2kg an Gewicht zunahm, wobei die Harnmenge an sich
normal war. Im Liquor wurde auf tierexperimentellem Wege ein vermehrter
Gehalt an antidiuretischen Stoffen, die aus dem Hinterlappen stammen, nach-
gewiesen. Hoesch führt diese Erscheinungen auf einen basalen syphilitischen
Prozeß zurück.
Daß eine Lues spinalis unter dem Bilde einer amyotrophischen Lateral-
sklerose verlaufen kann, kommt nach Kaiser, der einen ganz exakt beobachteten
Fall aus der Försterschen Klinik in Breslau mitteilt, nur selten vor, indem nur
bei 8% der amyotrophischen Lateralsklerose Syphilis festgestellt wurde. An dem
Fall von Kaiser ist bemerkenswert, daß das Leiden nicht eine stete Progression
gezeigt hatte, sondern einmal 13 Jahre lang sistiert hatte.
Milian erinnert wieder daran, daß Ischias auch auf Syphilis beruhen könne.
An diese Ätiologie müsse man namentlich denken, wenn die Ischias gleichzeitig
mit Kopfschmerzen einsetzt. Außer der Ausführung der serologischen Unter-
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 353
suchungen ist das Verhalten der Lymphdrüsen zu prüfen, die eine Schwellung
aufweisen können. Peronaeuslähmungen auf syphilitischer Grundlage sind
außerordentlich selten, deswegen sei die Beobachtung von Sheppe und Oster-
man kurz erwähnt, die auch deshalb besonderes Interesse bietet, weil die In-
fektion bereite 36 Jahre zurücklag, während sonst syphilitische Neuritiden im
Sekundärstadium meist gleichzeitig mit den Hauterscheinungen aufzutreten
pflegen. Es fanden sich neben typischen sensiblen und motorischen Ausfällen
zweifelhafte WaR., positive Kahnreaktion im Blute, im Liquor etwas vermehrte
Zellzahl und positive WaR. von 0,6 an. Jod- und Wismutbehandlung führte
binnen 2 Monaten Heilung herbei.
Was nun die Ta bes angeht, so ist hier ebenso wie bei der Paralyse der Grund,
warum der eine Syphilitiker daran erkrankt, der andere nicht, immer noch dunkel.
Stief hat die Konstitutionstypen bei 185 Tabikern festgestellt und gefunden,
daß sie sich von denen Gesunder kaum unterscheiden, nur unter den Tabopara-
lytikern und den amaurotischen Tabesfällen will Stief meist Pykniker ange-
troffen haben. Daß die Herkunft der Lues offenbar auch keine wesentliche Rolle
im negativen oder positiven Sinne bei der Tabesentstehung spielt, belegen
Sézary und Gallerand mit einem Tabesfall, bei dem die Infektion durch eine
Eingeborene auf Madagaskar erfolgt war. Statistische Erhebungen über die
Länge der Inkubationszeit bei der Tabes haben Sézary und Roudinesco vor-
genommen und an einem Material von 104 Tabikern festgestellt, daß die Inku-
bation im Mittel 16 Jahre betrage, aber daß die Krankheit besonders häufig
nach 10 Jahren manifest werde; als kürzeste Frist verzeichnen sie 2, als längste
56 Jahre. Daß bei Tabes gummöse Erkrankungen auch zuweilen vorkommen,
zeigt wieder die Beobachtung von H. v. Fischer, der bei einem 41 jähr. Tabiker
eine doppelseitige gummöse Nebenhodenaffektion angetroffen hat, welche auf
eine Behandlung mit Syntharsan (einem Schweizer Salvarsanpräparat) und
Oleo-Bi, einem Wismutpräparat von Hoffmann-La Roche prompt abheilte.
Es dürfte noch der Erwähnung wert sein, daß diese gummöse Nebenhoden-
affektion nicht etwa nach einer Malariabehandlung oder einem analogen thera-
peutischen Eingriff entstanden ist, denn der Patient hatte von seiner Infektion
keine Ahnung und hatte sich mithin auch nie behandeln lassen.
Von seltenen Augensymptomen wurde in einem Falle von Hauer Blepharo-
spasmus erwähnt, der zuerst nur 1—2, später 7—8 Sekunden dauerte und nur
im Schlafe und nach reichlichem Alkoholgenuß aufhörte; nachdem eine Malaria-
behandlung und andere therapeutische Maßnahmen versagt hatten, wurden
Alkoholinjektionen in die Musc. orbiculares vorgenommen, die schließlich die
Krämpfe zum Schwinden brachten. In einer Beobachtung von Stanojevit
bestand neben dem typischen Symptomenbild der Tabes Nystagmus, eine
Störung, die auf eine Schädigung der Deiterschen Kerne zurückgeführt wird.
Vancea hat zu den Angaben von Tieri Stellung genommen bezüglich dessen
„tabischer Iristrias“, die in einer generalisierten oder sektorenweisen Irisatrophie,
Unregelmäßigkeit des Pupillarrandes, schräg oval verzogenen Pupillen und in
Anisokorie bestehen soll. Vancea konnte die Angaben von Tieri nicht be-
stätigen, denn es fand sich häufig Lichtstarre, ohne daß die Iris atrophisch war
und umgekehrt war bei atrophischen Erscheinungen an der Iris öfters die Licht-
reaktion vorhanden. Mc. Grath will ebenfalls eine segmentale Entwicklung
der Irisveränderungen beobachtet haben, weshalb er die dem Argyll- Robert-
Neurologie V, 8 25
354 Franz Jahnel
sonschen Phänomen zugrundeliegende Störung ins Ganglion ciliare verlegen
zu dürfen glaubt. Wenn die Lichtreaktion bei den gewöhnlichen Untersuchungs-
methoden fehlt, lassen sich unter Zuhilfenahme geeigneter Instrumente bekannt-
lich zuweilen noch geringfügige Irisbewegungen nachweisen. Neuerdings hat
Longuet am Hornhautmikroskop bei Tabikern noch Lichtreaktionen fest-
gestellt, die sonst nicht wahrnehmbar waren.
Mit der Optikusatrophie beschäftigen sich einige Veröffentlichungen. In-
teressant ist die Mitteilung von Puscariu aus der Augenklinik von Jassy,
daß in Rumänien von den Patienten, die wegen eines Sehnervenschwundes in
Behandlung kamen, 43,6% nichts von einer syphilitischen Infektion wußten.
Viel häufiger als bei Erwachsenen ist die Sehnervenatrophie bei der juvenilen
Tabes, nach Pires ist sie sogar hier das häufigste tabische Symptom. Speziell
zur Frühdiagnose hält Moore Störungen der Dunkeladaptation und Veränderungen
des Gesichtefeldes für besonders wichtig. Behr erblickt in den tabischen Er-
scheinungen keine unmittelbare Folge einer lokalen Spirochäteninvasion und
hält auch diesen Standpunkt gegenüber der Sehnervenatrophie aufrecht. Fort-
schreitende Opticusatrophie kommt auch nach Greenfield und Stern beim
syphilitischen Hydrozephalus vor, der zwar häufiger bei Kindern beschrieben
worden ist, aber auch bei Erwachsenen auftreten kann. Außerdem ist hier oft
ein Ödem der Papille vorhanden.
Blutdrucksenkungen bei 2 Tabikern, die nach Arbeit und Änderung der
Körperlage auftraten, hat Strisower beschrieben. Er führt diese Störung auf
das Versagen normaler Gefäßreflexe zurück. Ein anderer Tabesfall bot jedoch
nach Arbeit einen erhöhten Blutdruck und 3 Pat. keine Veränderungen, bzw. nur
geringgradige Senkung des arteriellen Tonus. Hierzu sei bemerkt, daß, wie in
meinem 2. Bericht?!) ausgeführt, bei Tabikern überhaupt beträchtliche Schwan-
kungen des Blutdruckes vorkommen. Pal führte sogar die Krisen auf eine Blut-
drucksteigerung zurück, die übrigens von anderen Autoren vermißt wurde,
während Paulian geradezu eine Blutdrucksenkung, die er mit einer Hypo-
adrenalinämie in Verbindung bringt, für die gastrischen Krisen verantwortlich
machen zu können glaubt, eine Annahme, die aber auch mit der Erfahrung in
Widerspruch steht. Laignel-Lavastine und Boquien haben bei einem
Tabesfall im Gefolge gastrischer Krisen Herpeseruptionen am Lippenwinkel
beobachtet. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Herpesausbrüche, die
auch gewissermaßen zyklisch im zeitlichen Zusammenhang mit der Menstruation
beobachtet werden. Sie meinen, den Herpes simplex in ihrem Falle im Sinne
Levaditis erklären zu können, daß in bestimmten Metameren des Nerven-
systems der immunotrophische Tonus plötzlich sinke. Ein Patient Milians,
der blitzartige Schmerzen hatte, klagte auch über Pruritus. Er hat sich aber
nie gekratzt, sondern das Jucken durch Druck mit der flachen Hand zu mildern
versucht. Bekanntlich sind Juckkrisen als Äquivalent von lanzinierenden
Schmerzen bei Tabes beschrieben 3).
Interessant ist eine Veröffentlichung von Bergmark, der die Annahme,
daß die tabischen Schmerzen Wurzelschmerzen sind, in Zweifel zieht und meint,
daß diese auch peripher ausgelöst sein können. Als Beleg führt er einen Mann
) D. Z. Jg. 2, S. 241.
2) Vgl. meinen 2. Bericht d. Z. Jg. 2, S. 242.
Untersuchungen über die Pathologie u. Therapie syphilogener Erkrankungen 355
mit alter Beinamputation und typischer Tabes an, bei welchem die Schmerzen
in den Amputationsstumpf, sogar in die fehlenden Zehen projiziert wurden. Die
Schmerzen wurden oft durch Kälte ausgelöst. Die Schmerzen, welche in die
amputierten Teile verlegt wurden, waren schon seit dieser Operation, also seit
27 Jahren vorhanden. Mit der Therapie der gastrischen Krisen, eines Symptomes,
das bekanntlich zuerst im Jahre 1858 von Duchenne de Boulogne beschrieben
worden ist, beschäftigt sich eine Monographie von Horowitz. Er konnte durch
intravenöse Injektionen von Atropin meist ein Sistieren der gastrischen Krisen
bewirken. Er meint, daß die gastrischen Krisen, deren Entstehungsmechanis-
mus noch nicht völlig aufgeklärt sei, im autonomen Nervensystem zustande-
kommen dürften. Horowitz verabreichte intravenös %, oder 1 mg Atropin-
sulfat und hat gegebenenfalls die Injektion wiederholt. Dieses Mittel ver-
ursachte nie Störungen, sogar 3 mg sind vertragen worden. Der Autor hält
das Atropin für ein symptomatisches Mittel und empfiehlt antisyphilitische
Kuren nicht zu vernachlässigen. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt,
daß auch ein Strontiumpräparat (Biostron) gegen tabische Krisen empfohlen
wurde und zwar in Verbindung mit anderen spezifischen Mitteln (Ciambellotti).
Leigheb sah davon nur vorübergehende Erfolge auf lanzinierende Schmerzen,
hingegen eine Verschlimmerung der Blasenstörungen.
Über die Störungen im Bereiche des Urogenitalapparates bei Tabikern hat
Fessler eine Studie angestellt. Bei 121 Tabikern waren Blasenstörungen in
63% vorhanden. Am Anfang zeigen Sphinkter und Detrusor gesteigerten Tonus,
der zu einer häufigeren Blasenentleerung führt. Im zweiten Stadium, wo der
Sphinktertonus überwiegt, kommt es zur Erschwerung der Miktion, sowie zur
teilweisen oder kompletten Harnverhaltung und im dritten Stadium sinkt der
Tonus von Sphinkter und Detrusor, die Blase läßt sich ausdrücken und schließ-
lich kommt es zu Inkontinenz bei leerer Blase. In späteren Stadien ist der Harn
meist infiziert und enthält Eiter. Das Schicksal des Tabikers hängt oft von dem
Zustande der Harnorgane ab. Temperatursteigerungen sind der Ausdruck
eines schweren, destruktiven Nierenprozesses. Bei der Behandlung der Tabes
ist die Vorbeugung und Bekämpfung der Harnstauung, der Harninfektion und
der Urosepsis von außerordentlicher Wichtigkeit. Auch bei der juvenilen Tabes
bestehen nach Pires Blasenstörungen in etwa der Hälfte der Fälle. Dazu ist
allerdings zu bemerken, daB nach verschiedenen Angaben in der Literatur auch
bei kongenitaler Syphilis Enuresis häufig ist. Hissard konnte in einer kürzlich
veröffentlichten Untersuchung in 20% von kongenitaler Syphilis Enuresis
feststellen. Andere Autoren wollen Enuresis bei kongenitaler Lues nur selten
gesehen haben, auch sollen diese Störungen auf Psychotherapie meist gut an-
sprechen. Seibstverständlich ist in jedem Falle von Enuresis nachzuforschen, ob
es sich auch um die bekannte Störung oder um ein ganz anders zu bewertendes
Blasensymptom als Zeichen einer syphilitischen Erkrankung des Zentralnerven-
systems handelt.
Was die Komplikationen der Tabes anbetrifft, so hat Pires das Vorkommen
striärer Symptomenkomplexe bei der Tabes einer gründlichen Betrachtung
unterzogen. Die Syphilis des striären Apparates ist häufiger, als in der Regel
angenommen wird, sie kann sich natürlich auch einmal zu einer Tabes hinzu-
gesellen. Ebenso kann es vorkommen, daß ein Tabiker an einem Parkinsonismus
nichtsyphilitischen Ursprungs erkrankt, etwa an einer Schüttellähmung oder
25
356 Franz Jahnel
einer epidemischen Enzephalitis, wie dies in je einer Beobachtung des Autors
der Fall war. In einem dritten Falle beobachtete er eine Kombination der Tabes
mit einer Pseudosklerose. Dann hat er einen Fall beschrieben, wo unwillkürliche
Bewegungen extrapyramidalen Charakters an Kopf und Hals gleichzeitig mit
den ersten psychischen Symptomen der Paralyse bei einem Tabiker einsetzten.
Unter der Malariabehandlung verschwanden die Bewegungsstörungen, kehrten
aber später in geringerem Ausmaße wieder.
Die Differentialdiagnose der Tabes in der Berichtsperiode behandeln
2 Arbeiten. Ghiannoulatos hat einen Fall von Pseutotabes als Folge des
Denguefiebers beschrieben, bei welcher Infektionskrankheit übrigens außer
allgemeinen nervösen Störungen auch Polyneuritiden, Myelitiden, Enzephalitiden
und Meningitiden vorkommen. Die Diagnose einer solchen Pseudotabes ergibt
sich aus dem Zusammenhang mit einer Dengueepidemie und den fehlenden Zeichen
einer syphilitischen Infektion. Spinetta berichtete von einem 77jähr. Mann,
der an Diabetes litt und abgeschwächte Patellar- und Achillessehnenreflexe
darbot. Dieser Patient hatte kürzlich Lues aquiriert und wies einen Primär-
affekt von einer ganz ungewöhnlichen Ausdehnung auf. Da die syphilitische
Infektion noch frisch war, konnte die Herabsetzung der Patellar- und Achilles-
sehnenreflexe nicht auf diese zurückgeführt werden, sondern war als Folge der
diabetischen Erkrankung anzusehen.
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Neurosen und psychopathische Persönlichkeiten
von H. F. Hoff mann.
Das Schrifttum des vergangenen Jahres hat manche mehr oder weniger
interessante Kasuistik gebracht, die jedoch keine grundlegende neue Erkenntnis
bedeutet. Es handelt sich dabei um Fälle, wie sie jedem Kliniker, jedem prak-
tischen Nervenarzt einmal begegnen, ohne daß man an ihnen eine besondere
Problematik aufzeigen könnte.
An allgemeinen Darstellungen grundsätzlicher Art seien Arbeiten von
Bumke, Hoche, Hoffmann und Reichardt erwähnt. Jeder Neurologe
wird Hoche recht geben, wenn er sagt, dag aus Bequemlichkeit manches als
hysterisch bezeichnet wird, was nichts anderes darstellt als den funktionellen
Ausdruck irgendeiner mangelnden „Gewebstüchtigkeit“. Aus diesem Grunde
habe ich vorgeschlagen, streng zwischen funktionellen und psychogenen Symp-
tomen zu unterscheiden und den Begriff psychogen nur den Störungen vorzu-
behalten, die unter wesentlicher psychischer Beteiligung entstanden sind bzw.
von ihr unterhalten werden. Daß auch bei ihnen mangelnde ‚„Gewebstüchtig-
keit“ ein erhebliches Aufbaumoment sein kann, braucht nicht ausdrücklich
erwähnt zu werden. Funktionelle und psychogene Momente können sich im
Sinne meiner Begriffsbestimmung durchflechten. Wir wissen heute, daß auch
psychogene, hysterische Krankheitebilder ihre somatische Grundlage haben,
worauf nachdrücklich auch Bumke wieder hingewiesen hat. Leider ist uns
darüber noch recht wenig bekannt. Ich hatte aus diesem Grunde für die zu-
künftige Forschung die dringende Forderung aufgestellt, auf den somatischen
Unterbau der Neurosen unser besonderes Augenmerk zu richten. In diesem
Zusammenhang sei eine Arbeit von Hoff erwähnt, die interessante Ausführungen
über die Beziehungen funktioneller und organischer Krankheitserscheinungen
bringt. Gewissen terminologischen Anregungen von Bumke vermag ich nicht
ohne weiteres zuzustimmen, obwohl ich zugebe, daB man über die Zweckmäßig-
keit und „Handlichkeit“ der Begriffe (ihr hauptsächlichster Sinn) streiten kann.
Unter endogen freilich verstehen wir stets „durch die Anlage bedingt“. Es geht
aber m. E. nicht an, exogen mit organisch gleichzusetzen. Wenn wir uns auch
darüber klar sind, daß wir auf unserem Gebiete oft vor recht verwickelten Situa-
tionen stehen, so dürfen wir diese Schwierigkeiten nicht mit einer zu einfachen
Begrifflichkeit zudecken. Es gibt endogene Störungen, die vorwiegend orga-
nischer, und solche, die vorwiegend psychischer Natur sind. Dasselbe gilt für
die exogenen Erkrankungen. Stets sind beide Schichten irgendwie beteiligt,
doch hat im Gesamtgeschehen der Persönlichkeit bald die eine bald die andere
die Führung. So ist denn von mir schon seit Jahren (in Übereinstimmung mit
anderen Autoren) an dieser Stelle die Notwendigkeit einer Schichtbetrachtung
360 H. F. Hoffmann
immer wieder betont werden. Mit ihr passen wir uns den gegebenen Tatsachen
am ehesten an. Bumke hebt im übrigen die Bedeutung der Motivlehre für alle
psychogenen Störungen hervor, während Hoche ihr nicht gerecht wird. Motive
spielen nun einmal beim Zustandekommen der Neurosen eine wesentliche Rolle.
Daß sie uns das Wesen eines psychogenen Geschehens enthüllen, haben wohl
Einsichtige niemals behauptet. Immerhin mag es gut sein, dies gelegentlich zu
betonen, allerdings sollte dabei die Motivlehre nicht über die Massen entwertet
werden. Daß der brauchbare Begriff der „Hysteriefähigkeit“ (Hoche) im Grunde
auch nur etwas umschreibt, über dessen Wesen wir nichts wissen, darüber ist
sich Hoche klar. In der Abhandlung von Reichardt steht die Motivlehre mit
Recht im Vordergrund. Insbesondere bei den Entschädigungsneurosen erleben
wir fast täglich die entscheidende Bedeutung bestimmter Wünsche und Hoff-
nungen, Ängste und Befürchtungen, gewisser Absichten und Begehrlichkeiten.
Für die Entschädigungsneurosen kann die Schichtbetrachtung, der Gedanke
des Aufbaus, der Struktur auch in Fragen der praktischen Entscheidung manche
Erleichterung bringen. Als Grundlage der Neurosen dürfen wir für gewöhnlich
eine psychopathische Veranlagung annehmen, unter der wir ganz allgemein
irgendeine nervöse Schwäche oder eine psychische Disharmonie und Labilität
der Persönlichkeit verstehen. Die Konflikte haben für jeden Menschen spezi-
fischen Charakter, auch der Grad der Komplexbereitschaft, die Empfindlichkeit
der Komplexspannung kann verschieden sein. Hinsichtlich der Erlebnisbe-
deutung wäre zu sagen, daß ich mit Kretschmer Erlebnisse I. und II. Ordnung
unterscheiden möchte. Im ersten Falle sind die Erlebnisse in der Hauptsache
exogen, im zweiten sind sie von der psychopathischen Persönlichkeit provoziert,
sind Ausdruck ihrer Wesensart, auf die dann wieder im Sinne eines zirkulus
reagiert wird. Mit der Bedeutung der psychopathischen Veranlagung speziell
für die Rentenneurose befaßt sich eine Arbeit von Wagner. Sie fand, daß
sich in den Familien der Rentenneurotiker psychiatrisch-neurologische Merk-
male (organische Nervenkrankheiten, Psychosen, Psychopathien) auffallend
häufen. Es darf nach Wagners Berechnungen als erwiesen gelten, daß in Neuro-
tikerfamilien wesentlich mehr abnorme Erbanlagen bzg. des Zentralnerven-
systems vorkommen als in der Durchschnittsbevölkerung. Unter ihnen ist auch
erbliche geistige Beschränktheit als disponierender Faktor hervorzuheben. —
Eine zusammenfassende Darstellung der Neurosen auf analytischer Grundlage
geben Fenichel und Nunberg. Zu bestimmten Fragen der Neurosenlehre
allgemeiner Art nehmen Arbeiten von Levy-Suhl (Gewissen und Neurose),
Krisch (Widerstand des Neurotikers) und J. H. Schultz (Entstellung und
Neurose) Stellung. Wesentliche neue Gesichtepunkte bringen sie nicht.
Unter den Arbeiten über Zwangsneurose sei vor allem auf die ausführ-
liche Schilderung eines interessanten Falles von G. E. Störring hingewiesen.
In der Analyse, die nicht eine solche in psychoanalytischem Sinne ist und sein
soll, sind gewisse Gesichtspunkte hervorgehoben, die Beachtung verdienen. Es
wird unter anderem die bekannte Tatsache betont, daB zum Auftreten von
Zwangserscheinungen das lange „Nachzittern“ der Affekte erforderlich ist, auf
Grund dessen das sog. , klebende“ Denken (Oppenheim, Wexberg, M. Fried-
mann) entsteht. Störring sieht mit Recht darin ein wichtiges Aufbaumoment.
Prädisponierend für den Zwang wirkt ferner die Unfähigkeit, Affekte bzw.
Affektstimmungen abzureagieren. Eine weitere grundlegende Eigenschaft be-
Neurosen und psychopathische Persönlichkeiten 361
steht bei dem Kranken darin, daß er die Neigung hat, letzte Denkrelationen,
Beziehungen zu setzen. In oharakterologischer Beziehung bemerkenswert sind
Störrings Ausführungen über „Summationszentren‘ von Gefühlen (G. Stör-
ring). Hierunter sind intellektuelle Vorgänge (Wahrnehmungen, Vorsteliungen,
Urteile) zu verstehen, an die sich bei einem Individuum im Laufe des Lebens eine
große Zahl von Gefühlzuständen angeschlossen hat, so daß auf Grund solcher
intellektueller Vorgänge Gefühlserlebnisse aus den verschiedensten Perioden
des Lebens zum Nachklingen kommen. Solche Summationszentren stellen
psychophysische Energien von außerordentlicher Intensität dar, die im Kampf
der Motive ausschlaggebend wirken. Bei dem geschilderten Zwangskranken
bestehen in erster Linie negativ orientierte Summationszentren, während der
Gesunde von positiven affektstarken Zielen und Plänen geleitet ist. Die Ent-
stehung der einzelnen Zwangssymptome läßt sich an dieser Stelle nicht wieder-
geben. Es sei nur noch hervorgehoben, daß unter ihnen auch eigentümliche
psychophysische Erschöpfungszustände, von Patienten selbst Bewußtseins-
trübungen genannt, eine Rolle spielen, in denen es zu Fremdheitserlebnissen
ähnlich wie bei der Depersonalisation kommt. Die Arbeit bringt manche An-
regungen, allerdings überwindet auch sie die genugsam bekannte Schwierigkeit
nicht, daß sie uns dem Wesen des Zwangs nicht näher bringt, als es auch anderen
Autoren schon gelungen ist.
Mit gewissen Fragen der psychischen Struktur der Psychopathen setzt
sich eine interessante und sehr lesenswerte Arbeit von K. Schneider aus-
einander, Er geht von der allgemeinen Triebhaftigkeit allen Erlebens aus. In
Strebungen und Gegenstrebungen, in einer Kette von Triebhandlungen besteht
das alltägliche Tun und Handeln der Menschen. Im Willen sieht Schneider
einen „Bremser“, einen „Neinsager (Scheler), der den Trieben die Handlung
frei geben kann oder versagt. Das Triebspiel ist ein in sich geschlossenes System,
das den Willensfaktor zu seiner Funktion nicht braucht. Der Wille setzt jedoch
das Triebspiel als sein Material voraus. Ungeachtet dieser Abhängigkeit vom
Triebspiel stellt der Wille als höhere Kategorie gegenüber den niederen Kate-
gorien des Triebspiels eine durchaus neuartige, überlegene Formung dar. Er
ist dem Triebspiel gegenüber frei. Auf Grund dieser Erwägungen stellt Schnei-
der zwei Charaktertypen auf, den triebhaften und den bewußten Men-
schen. Beim vorwiegend triebhaften Menschen gehen die Triebe ohne wählende
Willensentscheidung unmittelbar in die Handlung über, die natürlich auch eine
Unterlassung sein kann. Der vorwiegend bewußte Mensch hat dagegen die
Fähigkeit, Abstand von seinen Strebungen zu halten, den einen ihren Lauf zu
lassen, die andern zu unterdrücken auf Grund willensmäßiger Entscheidung.
Es ist ihm auch die Fähigkeit eigen, durch Besinnung und Überlegung Gegen-
strebungen zu aktivieren. Aus dem Verhältnis zwischen Triebhaftigkeit und
Willensstärke ergeben sich verschiedene psychopathische Charaktere. Wir werden
bei der Lektüre vielfach an das charakterologische System von Ewald erinnert,
der in einem Ergänzungsband zu seinem früheren bekannten Werk eine Ver-
vollständigung und nähere Ausgestaltung seiner Auffassung entwickelt.
Dubitscher glaubt im Rorschachschen Versuch gewisse charakteristische
Unterschiede zwischen einzelnen Psychopathengruppen herausgearbeitet zu
haben, die einer Nachprüfung bedürfen. Als kompensierenden Bovarysmus
(nach Flauberts „Madame Bovary“) bei ängstlichen Psychopathen bezeichnet
362 H. F. Hoffmann
Levy-Valensi das Symptom des Aufbaus einer Scheinwelt. Der Schöpfer
des Bovarysmus Gaultier verstand darunter die Fähigkeit, sich selbst anders,
in erster Linie besser vorzustellen als man in Wirklichkeit ist. Ängstliche Psycho-
pathen pflegen sich durch Aufbau einer Scheinwelt für ihr Versagen in der
realen Welt zu entschädigen; und zwar häufig in der Art, daß ihre Wachträume
auf reale Leistungen und soziales Verhalten Einfluß gewinnen. Eine sehr gründ-
liche wertvolle Studie über die Psychologie des Menschenhasses verdanken wir
Heidenhain, der eine Pathographie über Swift vorbereitet. Heidenhains
Forschungen über die Persönlichkeit Swifts gipfeln darin, daß der Menschen-
haß als eine Sicherung des heftig übersteigerten und durch fortgesetzte Nieder-
lagen stark gefährdeten Selbstbewußtseins aufzufassen sei. Er gibt trotz aller
Niederlagen eine überlegene Stellung, außerdem Entschuldigung für das Ver-
sagen. Aggressive und sadistische Regungen bilden seinen Unterbau. Der
Menschenhaß spielt sich in einer Sphäre abstrakter Allgemeinheit ab. Daneben
ist es dem Misanthropen möglich, in bezug auf konkrete Beziehungen sich an
den einzelnen oder auch an eine größere Gemeinschaft hinzugeben.
Das Gebiet der sexuellen Perversitäten ist durch eine Reihe von
Arbeiten vertreten. Ich hebe aus ihnen einmal die Arbeit von Binder hervor,
der an Hand von 4 Fällen die Frage des Verlangens nach Geschlechtsumwand-
lung behandelt. Er führt im einzelnen aus, daß jeweils verschiedene psycho-
logische Faktoren wirksam sein können. Es liegt nicht einmal immer im Trieb
zur Verkleidung eine sexuelle Betätigung im eigentlichen Sinne, manchmal geht
er auf das Motiv zurück, sich interessant zu machen auf Grund von Nach-
ahmung, von seelischer Ansteckung, ohne daB man von einem echten Streben
reden könnte. Unter den sexuell perversen Typen unterscheidet er einmal Auto-
sexuelle, die auf Grund einer Spaltung zwischen Ich und Körper ihren Körper
als Partnerin, als sexuelles Fremdobjekt empfinden; zum zweiten Bisexuelle
und Homosexuelle, die von dem Erleben eigener Weiblichkeit und von dem leb-
haften Verlangen nach Geschlechtsumwandlung auf Grund eines gespürten
Andersseins durchdrungen sind. Mit der Frage der Heilbarkeit der Homo-
sexualität befaßt sich Frey, der von zwei psychokathartisch behandelten und
geheilten Studenten berichtet. Er wendet sich gegen die konstitutionelle Auf-
fassung der Homosexualität, die auch in psychotherapeutischer Hinsicht von
Nachteil sei, weil sie dem Patienten die Unabänderlichkeit des Zustandes sug-
geriere. Dennoch wird man die konstitutionelle Bedingtheit der Homosexualität
nicht plötzlich ganz und gar in Abrede stellen dürfen. Es gibt auch hier Grad-
verschiedenheiten der konstitutionellen Verankerung, wie es gleichermaßen für
andere psychopathologische Erscheinungen gilt (s. Schultz-Hencke). Fischer
und Werner schildern Brandstifter, bei denen triebhafte sexuelle Momente eine
Rolle spielten. Die bekannte Tatsache, daß Äußerungen eines krankhaften
Geschlechtstriebes durch Kastration günstig beeinflußt werden, wird von Flesch-
Thebesius hervorgehoben. Cocchi berichtet über therapeutische Erfolge bei
Sexualneurasthenikern mit präparierten Keimorganen niederer Wirbeltiere nach
der Methode Cenis. Von 65 Fällen wurden 31 mehr oder minder geheilt.
Als solide klinische Untersuchungen sind die Arbeiten von Knigge über
psychische Störungen bei Strafgefangenen und über Haftpsychosen zu
werten, wenn sie auch keine neuen Tatsachen ans Licht fördern. Es wird die
alte Erfahrung bestätigt, daß Schizophrenien häufig, manisch-depressive Er-
Neurosen und psychopathische Persönlichkeiten 363
krankungen dagegen selten sind. Im übrigen finden sich depressive Reaktionen
verschiedenster Färbung auf Grund verschiedenster psychopathischer Ver-
anlagungen, ferner rezidivierende Erregungszustände von explosionsartigem
Charakter mit hysterischen oder epileptischen Einschlägen, Selbstschädigungs-
versuche, Ganserzustände, Stuporen, paranoide und querulatorische Entwick-
lungen. Letztere pflegen bei Frauen nicht vorzukommen, statt dessen entwickeln
diese in der Regel paranoide Reaktionen in Form flüchtiger wahnhafter Ein-
bildungen vom Charakter der Wunschphantasien. Klimmer hat speziell die
Frage der Selbstschädigungsversuche bearbeitet, die nicht immer, aber häufig
als Haftreaktionen auftreten. Ihnen können die mannigfachsten Motive zu-
grunde liegen. Neues bringt auch diese Arbeit nicht.
Wichmanns Darstellung der autonomen Hypochondrie und die
Arbeiten von Sieben-Schottky und Michele Emma über induziertes Irre-
sein seien nur flüchtig erwähnt. Hartmann und Stengel entwickeln die
charakterologische Situation für den Fall, daß eine Frau ihren Mann induziert.
In solchen Fällen sei sie überlegen, energisch, kampfbereit, aktiv vital, er da-
gegen sexuell triebschwach, passiv feminin. Mit reichlich viel Umstand beschreibt
Israel bekannte Dinge als typischen Symptomenkomplex funktioneller Störun-
gen im Bereich des Beckens. Dagegen sei die Darstellung neuerotischer Be-
schwerden von A. Mayer, die für die gynäkologische Sprechstunde wichtig
sind, besonders hervorgehoben, wenn sie auch mehr für den Allgemeinpraktiker
als für den Neurologen gedacht sind. Freund bemüht sich um eine Analyse
des Stotterns und betont die an sich selbstverständliche, aber immer wieder
beachtenswerte Tatsache, daß nicht immer Minderwertigkeitsgefühle die Ur-
sache des Stotterns sind, sondern eine leichte „ Verwirrbarkeit“ der innersprach-
lichen Funktionen, die erst Minderwertigkeitsgefühle nach sich ziehe. Demnach
müsse die Therapie stets auch sprachtechnische Übungen bedenken. Als klinisch
wichtig sei an dieser Stelle eine Arbeit von Vogel über neurotische Magen- und
Darmbeschwerden hervorgehoben. Sie betreffen in der Regel Männer zwischen
20 und 40. Es bestehen Klagen über Gefühl von Druck und Völle in der Magen-
gegend, Schmerzen, häufiges Aufstoßen, Stuhlverstopfung, Schwindel, ein-
genommenen Kopf. Da die Patienten früher mit ihrem Leib besonders gut in
Ordnung waren, fühlen sie sich um so mehr in ihrem seelischen Gleichgewicht
gestört. Bei allen ergeben sich bestimmte Charakterzüge von zentraler Be-
deutung: überspitzter Ordnungssinn und Ordnungswille bis zur Pedanterie,
streng geregelter Tages- und Lebenslauf, Pünktlichkeit und Sauberkeit in der
Kleidung. In den Kreis dieser Charakterzüge gehört auch die Regelung der
Nahrungsaufnahme und des Stuhlgangs. Als Anstoß für das Auftreten der Be-
schwerden wirkten irgendwie von außen erzwungene Lebensunregelmäßigkeiten
oder seelische Alterationen. Mit der Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen
Charaktereigenart und körperlichen Störungen verschwanden diese, und es
stellte sich die Ordnung im Leibe wieder her. Vogel weist darauf hin, daß
Freud schon im Jahre 1908 im Magendarmkanal ein Ausdrucksorgan der
Ordentlichkeit und Pedanterie gesehen habe. Fruchtbar für die Praxis ist auch
die Arbeit von A. Schneider über organische und nervöse Angina pec-
toris. Die Differentialdiagnose kann stets wohl nur unter Zuziehung eines
Internisten gestellt werden, zumal sehr häufig organische mit neurotischen
Symptomen vermischt sind. Als besonderen neurasthenischen Symptomen-
364 H. F. Hoffmann
komplex hat Schla yer einen Zustand beschrieben, der fast durchweg Männer
zwischen 30 und 50 in verant wort ungsvoller Stellung, starke Arbeiter, energische
und ungeduldige Persönlichkeiten betrifft. Sie sind unwillig über ihre Beschwer-
den. Diese bestehen in einem raschen Nachlassen der Arbeitskraft in den Vor-
mit tagsstunden (Schwächegefühl, Müdigkeit), Kopfdruck, erhöhter Reizbarkeit
und Schwindel. Meistens liegt starker Kaffee- und Nikotinabusus vor, abends
macht sich ein starkes Verlangen nach Flüssigkeit geltend. Objektiv lassen
sich gesteigerte Reflexe, dick belegte Zunge bei gutem Appetit, spastische
Obstipation und nachmittags trüber, milchiger, phosphatreicher Urin nach-
weisen. Die Magenuntersuchung ergibt Supersekretion und manchmal gastro-
kardiale Erscheinungen. Wird die Supersekretion beseitigt, verschwinden rasch
alle Erscheinungen, sofern eine vernünftige Diät und Giftebstinenz eingehalten
wird. — Auf die Behandlung von vegetativ nervösen Angstzuständen mit Cholin-
präparaten nach Misch sei nur kurz hingewiesen. Bei erkennbaren Angsterleb-
nissen soll der Erfolg gut sein.
Aus dem Gebiet der Neurosen im Kindesalter verweise ich auf Westphals
Ausführungen über pyknoleptische Anfälle, deren Auftreten bei den angeführten
Fällen mit einem schreckvollen Erlebnis in Beziehung stand. Die Anfälle hatten
in ihrer Symptomatik Ähnlichkeit mit affektiven Schocks kleiner Kinder. Ur-
sprünglich auf Grund einer Schockwirkung entstanden, wurden sie später weit-
gehend automatisiert, von ihrer affektiven Beteiligung entkleidet und mehr oder
weniger willkürlich zur Abwehr unangenehmer Aufgaben und Pflichten benutzt.
Der psychotherapeutische Erfolg ist in solchen Fällen ein wichtiger differential-
diagnostischer Faktor gegenüber der Epilepsie.
Zum Schluß sei einer von Eliasberg herausgegebenen Sammlung von
Arbeiten gedacht, die sich mit sozialen Problemen und ihrer Bedeutung für die
Neurosenentstehung befaßt. Die Fragen der Berufswahl, der Berufserziehung
und des Berufswechsels spielen zweifellos sehr bedeutsam in das Gebiet der all-
täglichen Neurosen aus der allgemeinen Praxis hinein (s. auch Gillespie).
In Zukunft wird auch der Psychiater und Neurologe sich mehr als bisher mit
der Aufgabe befreunden und an ihr tätig mitarbeiten müssen, Menschen mit
sozialen Minderleistungen derart in die Allgemeinheit einzugliedern, daß sie
nützliche Arbeit leisten und nicht nur zur Last fallen.
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Schizophrenie
von Gottfried Ewald in Erlangen.
(Fortsetzung und Schluß.)
Symptomatische Schizophrenie: Eine Anzahl Arbeiten beschäftigen
sich wieder mit dem Auftreten schizophrenieähnlicher Bilder nach Enzephalitis.
Leonhard bringt ein anschauliches Beispiel, ebenso Ey. Reiter erörtert aus-
führlich die differentialdiagnostischen Schwierigkeiten. Allein so schlimm ist es
nicht. Wie selten die Diagnose Schizophrenie oder postenzephalitische Psychose,
die meist paranoid-halluzinatorisch verläuft, ernste Schwierigkeiten macht, zeigt
die Feststellung von Steck, den unter 364 Anstaltsenzephalitikern nur 6 zu ernst-
hafteren Erwägungen veranlaßten. Von diesen 6 Fällen hatte einer schon vorher
seine Schizophrenie, zwei andere waren stark belastet. Trotzdem bleibt natürlich
die Schizoidisierung oder Paranoisierung der Persönlichkeit durch organische
Prozesse von höchstem Interesse, man wird nur nicht gleich von einer ‚sympto-
matischen Schizophrenie‘ sprechen wollen, wie wir mit Galant betonen. In
gleicher Richtung spricht sich Kufs aus, der ein schizophrenes Krankheitsbild
von mehr als 30jähriger Dauer bei Paralyse schildert; besonders schleichende
exogene Noxen könnten zu schizophrenieähnlichen Bildern führen. Sagel teilt
13 schizophren gefärbte Krankheitsbilder mit, die bei Paralyse auftraten; Re-
kurrensbehandlung brachte die spezifisch paralytischen Erscheinungen fast völlig
zum Verschwinden, während der schizophrene Anteil bestehen blieb. Er hält eine
Kombination beider Psychosen für möglich, erwägt aber auch, daß die exogene
Noxe im Sinne Bostroems die endogene Psychose zur Auslösung gebracht habe,
und schließt weiter, daß bei einer solchen Annahme nichts hindern könne,
die Schizophrenie als eine exogen (Fokalinfektion, Tuberkulose usw.) ent-
standene Krankheit aufzufassen. Somit nicht nur ein Vorkommen sympto-
matischer Schizophrenie, sondern jede Schizophrenie ist eine symptomatische
Schizophrenie. Zu einem recht anderen Ergebnis führten die Untersuchungen
von Warstadt, der sich meines Erachtens mit Recht gegen eine derartige Über-
wertung der paranoid-halluzinatorischen Bilder nach Fieberbehandlung wendet.
Insbesondere ist bemerkenswert, daß das Bestehen von schizophrenen Zügen
schon vor der Behandlung durchaus nicht das Auftreten paranoid-halluzina-
torischer Bilder fördert. Keinesfalls kann man das Auftreten der paranoid-hallu-
zinatorischen Bilder speziell der Malaria zur Last legen, da eine solche Umwand-
lung des Paralysebildes, wie ja auch Sagels Arbeit zeigt, ebenso nach anderer
Behandlung auftreten kann. Daß man auch nach Bleivergiftung gelegentlich
Neurologie V,9 26
368 Gottfried Ewald
Ähnliches sehen kann, behauptet Rawkin (vgl. auch Schulte). Menichetti
und Pennacchi sahen schizophrene Züge bei einer freilich sonst stark exogen
gefärbten Psychose nach Leuchtgasvergiftung und möchten dieses im Sinne des
exogen-schizophrenen Reaktionstyps Bumkes deuten.
Endokrinologische und andere Besonderheiten: Franke macht auf
das in letzter Zeit sich häufende Vorkommen von Pellagra bei alten Anstalte-
insassen, besonders Schizophrenen, erneut aufmerksam. Schrijver gibt einen
Überblick über Ostitis deformans (Paget) und Psychose; die Kombination mit
Schizophrenie ist nicht besonders häufig, jedenfalls seltener als mit Osteomalazie.
Meumann teilt zwei Fälle von Psychosen bei Hypophysentumoren paranoid-
halluzinatorischen Gepräges mit, lehnt aber eine Identifizierung mit Schizo-
phrenie mit Recht ab. Schulte tritt für eine engere ursächliche Verknüpfung
zwischen endokrinen Störungen (Zwischenhirn — Hypophyse — Genitalapparat)
und paranoiden Krankheitszuständen ein. Miskolczy lehnt auf Grund histo-
logischer Untersuchungen in einem Falle von Verbindung von Schizophrenie mit
Dystrophis adiposo-genitalis eine engere pathogenetische Beziehung ab und hält
ein Nebeneinander für wahrscheinlich.
Konstitution, Erbforschung: Petersen bestätigt an französischem
Material die Kretschmerschen Feststellungen in jeder Beziehung, Misch-
peychosen zeigen gemischten Körperbau, der Verlauf der Psychose wird wesent-
lich durch den Körperhabitus bestimmt. Engerth und Stumpf! bestätigen die
Kretschmerschen Zahlen an ihrem Wiener Material in erster Linie für den
schizophrenen Formenkreis; unter den Manisch-Depressiven waren jedoch weniger
als 50%, Pykniker. Ganz interessant erscheinen die Untersuchungen der Kret-
schmerschen Typen von Hertz auf pharmakologischem Wege, weil sie etwas
über die Funktion und nicht nur über die Statik aussagen. Wenn auch nicht mit
Regelmäßigkeit, so konnte doch in verhältnismäßig hohem Prozentsatz ein Unter-
schied zwischen Pyknikern, Athleten und Asthenikern festgestellt werden. Die
Injektion von Adrenalin, Atropin und Pilokarpin erreichte bei den Pyknikern
und Asthenikern in der 3. Minute bereite ihr Maximum, das bei den Asthenikern
jedoch über die 9. Minute hinaus anhielt, während bei den Pyknikern die Reak-
tion hier bereits abgeklungen war. Die Athletiker erreichten erst in der 9. Minute
ihr Maximium und kehrten mit den Asthenikern erst um die 15. Minute zur Norm
zurück. Die Arbeit trägt noch den Charakter eines vorläufigen Versuches. Auf
Ähnliches laufen von experimental-psychologischer Seite her die Versuchs-
ergebnisse Enkes mit Hilfe des psychogalvanischen Reflexphänomens hinaus,
mit dem er die affektive Ansprechbarkeit und die Nachhaltigkeit der Erregung
zu messen sich bemühte. Ohne Unterschied des Geschlechts fand er eine starke
Ansprechbarkeit im Ruhe-, Erwartungs- und Schreckreizversuch mit stärkerer
Nachdauer der Wirkung bei den Schizothymen, während die Zyklothymen sich
nur auf dem Gebiete der vitalen Schmerzreize empfindlicher verhielten, die
Schizothymen hier offenbar infolge einer allgemein gespannten Affektlage
(Situationsspannung) leichtere Schmerzreize kaum apperzipierten. Die Athleten
sprachen verhältnismäßig langsam mit stärkerer „Viskosität“ an. Frühere Er-
gebnisse von Munz und Enke mittels des Rorschachschen Formendeutever-
suches, den Skalweit sogar diagnostisch verwenden zu können meint, werden
von Dubitscher bezüglich der Formenempfindlichkeit der Schizothymiker und
der Farbenempfindlichkeit der Zyklothymiker im ganzen bestätigt; auch scheinen
Schizophrenie 369
zwischen dem Erlebenstyp des Asthenikers und des Schizophrenen gegenüber dem
Erlebenstyp des Pyknikers und des Zirkulären Beziehungen zu bestehen. Daß sich
der Erlebenstyp des Athletikers mit dem des Epileptikers besonders weitgehend
deckt, sei nebenher bemerkt. Zur Beurteilung der Ergebnisse ist eine sehr gründ-
liche Vertrautheit mit der speziellen Methodik erforderlich. Reiter und Ster-
zinger kommen in experimental-psychologischen Versuchen zu keiner strengen
Zuordnung des Aufmerksamkeitsumfanges und der Aufmerksamkeitsfixation zu
den Kretschmerschen Typen. Wenig ergiebig und aussichtsreich scheint mir
der Versuch Oseretzkys, von der Mimik aus über eine möglichst genaue ana-
tomisch-physiologische Analyse Einblicke in die Verschiedenartigkeit der Kon-
stitutionstypen zu bekommen. Plattner kommt auf Grund der Untersuchung
von 100 Schizophrenen zu der nicht neuen Feststellung, daß sich bei leptosomem
Körperbau sehr häufig, bei pyknischem relativ selten körperliche Degenerations-
zeichen finden, die übrigens auch den Athleten, von öfteren akromegalen Ein-
schlägen abgesehen, fast ganz fehlen. Eine Arbeit über Schädelformen bei Geistes-
kranken von Patzig bringt meines Erachtens keine wesentlichen Einsichten; die
Deutungen sind zu hypothesenreich; der eine Fall betrifft übrigens — erbbio-
logisch nicht uninteressant — einen diskordanten eineiigen Zwilling. Die erb-
prognostischen Untersuchungen an der Nachkommenschaft Schizophrener für
die schlesische Bevölkerung brachten kein von den bekannten Ergebnissen ab-
weichendes Resultat. M. Bleuler fand im Basler Landbezirk die Schizophrenie-
häufigkeit bereits dem Münchener Material gleich im Gegensatz zu Basel-Stadt.
Er glaubt auch eine engere Verwandtschaft zwischen hysterischer Reaktions-
weise und schizoidem Erbkreis ablehnen zu dürfen, eher eine Verwandtschaft mit
moralischen Defekten zu finden. Die Verwandtschaft des Schizoids mit der
Schizophrenie ergibt sich sehr eindrucksvoll aus dem fast völligen Fehlen Schizoi-
der außerhalb schizophrener Sippen. van Emde, Boas und Sanchis berichten
über je ein eineiiges schizophrenes Zwillingspaar. Die Gefahren der Inzucht be-
leuchtet eine gründliche und kritische Arbeit von Brenk.
Psychologie: Experimental-psychologische Untersuchungen Eichners
über den Zeitsinn (Zeitschätzungen) führten zu keinem verwertbaren Ergebnis.
Beringer, v. Baeyer und Marx berichten über die klinischen, psychomoto-
rischen und somatischen Ergebnisse im Haschischrausch mit seinen Beziehungen
zu den schizophrenen Denk- und Bewegungsleistungen. Zuckerund Ceroniäußern
sich auf Grund von Selbstversuchen über den Wert der Rauschgiftversuche, be-
sonders über die erfreuliche Möglichkeit, die Breite des Nacherlebens zu vergrößern.
Die Bedeutung dieser Versuche für das Nacherleben schizophrenieähnlicher Zu-
stände wird man nicht bestreiten wollen; daß es sich natürlich immer noch um
etwas anderes handelt als um wirkliche schizophrene Symptome — was von
jenen Autoren auch keineswegs behauptet wird —, darauf weisen Skliar und
Iwanow mit Recht hin. Eine Anzahl psychoanalytischer Arbeiten bringen die
üblichen Deutungen (Kogan, Zilboorg, Endtz, Gutheil). Die Arbeit von
Garma bespricht etwas prinzipieller die Entstehung der Schizophrenie nach
analytischen Gesichtspunkten.
Bei Besprechung von Einzelheiten seien zunächst Arbeiten zum Wahn-
problem genannt. De Greeff bespricht die Psychogenese der Wahnideen in
besonderer Form; es handelt sich um ein „Absinken des Intellektes“. Das
Tempo des Intelligenzverfalls bedingt die bessere oder geringere Systematisie-
26*
370 Gottfried Ewald
rungstendenz. Bei stark halluzinatorischem Einschlag handelt es sich um eine
Regression zum kindlichen Typ. ,F Schizophrenie“ und Autismus sind ihm ein
Ausdruck einer „relativen“ Demenz, eines Herabsinkens vom früheren Niveau.
Unserer deutschen Auffassung ist eine derartige Auslegung wohl fremd. Auch das
dicke Buch von Targowla und Dublineau über die „wahnhafte Intuition“,
was wohl der Wahnbewußtheit von Jaspers entspricht, bringt für die deutsche
Psychiatrie kaum Neues. Kunz wendet sich kritisch gegen alle bisherigen Ver-
suche der Wahninterpretation und möchte das Problem Schizophrenie von seiner
eigenen „existentialphilosophischen Grundstellung“ aus angegriffen sehen; der
schizophrene Wahn ist ihm jeder anderen Wahnidee ganz unvergleichbar, er ist
der Ausdruck einer ganz eigenen Weise des Daseins, eben der schizophrenen
Existenz; die Arbeit ist wohl nur für eine begrenzte Zahl speziell interessierter
Leser bestimmt. Hier schließt eine Arbeit von W. v. Baeyer über „konformen
Wahn“ an, d. h. über Doppelpsychosen bei eng miteinander lebenden Menschen,
der nicht als einfach induziertes Irresein aufgefaßt werden kann, sondern sich in
seiner „Wirbezogenheit“ nur existential im Sinne von Storch und Kunz ver-
stehen läßt. Jelgersma berührt in seiner Arbeit über die Projektion bei Nor-
malen und Geisteskranken das Wahnproblem. In einer sehr ausführlichen Arbeit
verteidigt Berze seine Theorie der schizophrenen Aktivitätsinsuffizienz besonders
gegenüber Gruhles Ausstellungen, der starke Affektivität mit Hyperaktivität ver-
wechseln würde. Die sehr ausführlichen breiten prinzipiellen Auseinandersetzungen
entziehen sich der Wiedergabe in einem Referat. Einen Fall von Doppelgängerwahn
(‚Syndrom von Capgras“) schildern Larrivé und Jasienski. An Hand von
tagebuchmäßigen Aufzeichnungen berichtet Grotjahn über Selbstbeobach-
tungen beim Erwachen, das von geringen Unterschieden abgesehen ein ähnliches
„schizophrenes Erleben zur Entwicklung kommen läßt wie das Einschlafen
(C. Schneider). Wildermuth bringt unter dem Titel „Schizophrenie von
innen“ zwei eingehende Selbstschilderungen von Schizophrenen. Eine Selbst-
schilderung mit anschließender Selbstschilderung der Wirkung der Beschäfti-
gungstherapie gibt Friedemann. Einzelne Fragen der Schizophreniepsycho-
logie werden in der Zeitschrift ‚l’évolution psychiatrique“ von Ey (Automatis-
mus) und Minkowski (Raumproblem) behandelt. Letzteren beschäftigt auch in
seiner Arbeit über das Erlebnis der , Distanz“ und des „Spielraums des Lebens“
das Raumerleben der Schizophrenen. Morgenthaler untersucht den Abbau der
Raumdarstellung bei Geisteskranken, das Herabsinken von der naturgetreuen
Darstellung über Schema, Symbol, geometrische Figur zum Chaos. Unter
geistigem „fading“ verstehen Guiraud und Deschamps das An- und Ab-
schwellen des inneren Antriebes, wie man es gelegentlich beim Sprechen und Ar-
beiten Hebephrener beobachtet. In seinem Aufsatz über das Gemüt referiert
B. Maier über die Stellung der verschiedenen Autoren zur Abschwächung des
‚„Gemüts‘“ in der Schizophrenie. X. und P. Abély suchen die schizophrene
Spaltung auf dem Gebiete des Gefühlslebens in erster Linie zwischen den &mo-
tions und sentiments (seelische Gefühle und Vitalschicht ?), die nicht mehr recht
aufeinander passen, meinen damit vielleicht etwas Ähnliches, wie MacDougall
mit seiner Integrationsstörung des Gefühlslebens in der Schizophrenie. Betrifft
diese Arbeit mehr die Gefühlszustände bei Hebephrenen und Katatonen, so
äußert sich Janet in einer lesenswerten Arbeit über die Gefühlszustände des Ver-
folgungswahns in den mannigfachsten Abschattierungen, deren Auseinander-
Schizophrenie 371
hervorgehen er darzustellen sucht. Mit der Angst in der Schizophrenie befassen
sich Dupouy und Pichard, ohne neuere Gesichtspunkte beizubringen. Auch
die Arbeit von Hedwig Hadlich über das schizophrene Denken (bruchstück-
weises Erfassen bei vorgelegten Aufgaben) fördert neue Ergebnisse nicht zutage.
Über die schizophrene Kunstsprache und ihren „Stil“, über das „Anderssein“
(und nicht nur Minus) auch im sprachlichen Ausdruck hielt Gruhle einen Vor-
trag. Lucie Jessner schildert einen Fall von schriftlicher Kunstsprache. Die
Schizophasie als dyslogisch-dysphasische Störung (Fehlen einer zwischen Denken
und Sprechen eingeschalteten semantischen Funktion, welche die Ideen analy-
siert, die sprachlichen Elemente zuordnet und synthetisiert) behandelt Teulié.
Schizographische Störungen analysierten Lövy-Valensi, Migault und Lacan.
Eine graphologische Arbeit über die Schrift schizophrener und anderer psychi-
scher Störungen stammt von Anneliese Mandowsky; für mich ist sie wenig
überzeugend. In ebenso wenig überzeugender Weise suchen Gardner, sowie
Heuyer und Guillant und Heuyer und Serin die Intelligenzstörungen bei
Schizophrenen mittels Testmethoden und Schulergebnissen zu beweisen. Letztere
glauben diese Abschwächung zwar überwiegend bei Dementia praecox (Claude)
zu finden, aber auch bei Schizophrenie und Schizomanie, und sehen darin einen
Beweis für die Unmöglichkeit der von Claude erstrebten Scheidung.
Somatisch orientierte Arbeiten: In einer Arbeit über den peychi-
schen Antrieb und Hirnstamm präzisiert Berze seine Auffassung gegenüber den
Anschauungen Reichardts. Der Unterschied liegt wohl im wesentlichen darin,
daß Reichardt in mehr statischer Weise die zweckmäßige Selbstdirektion der
Persönlichkeit und ihre Einheit nur vom Hirnstamm ausgehend denkt, während
Berze nach dem biologischen Prinzip der Wanderung der Funktion nach den
Endstellen auch von der Hirnrinde ausgehende Impulse kennt (im Sinne von
Monakows also etwa außer den Hormeterien auch Noohormeterien als impuls-
gebend ansieht), unbeschadet der gemeinsam vom Hirnstamm ausgehenden Trieb-
kraft. Den primären Antriebsmangel mancher Postenzephalitiker charakterisiert
er als eine Störung im „Prämotorium‘‘, während die primäre Insuffizienz der
psychischen Aktivität der Schizophrenen auch einen ‚„präsensorischen‘“ Faktor
enthalte. In Anbetracht des Fehlens histologischer Veränderungen im Hirnstamm
bei der Schizophrenie glaubt Berze eine funktionelle Lahmlegung der Hirn-
stammregulationszentren auf endokriner Grundlage annehmen zu müssen.
Bouman gibt einen Überblick über die Hirnrindenveränderungen bei Schizo-
phrenie, die vorzugsweise die phylogenetisch jungen Schichten III und V be-
treffen, und weist auf das Vorkommen von Veränderungen im Striatum hin. Eine
schöne Ergänzung zu dem Artikel im Bumkeschen Handbuch stammt aus dem
Nachlaß von Homburger; er erörtert auf breiter Basis die Frage der Lokalisa-
tion motorischer Störungen, besonders bei der Schizophrenie. Dabei ist ihm der
Aufbau der Funktion ein wesentlicher Gesichtspunkt. Sicher spielt das etxra-
pyramidale System eine Hauptrolle, eine scharfe Grenze zwischen neurologisch
erklärbarem und psychologisch verstehbarem Anteil ist jedoch heute noch nicht
zu ziehen, das psychisch Willensmäßige arbeitet zu stark in das neurologisch ver-
änderte Motorium hinein. Baruk läßt sich den Nachweis angelegen sein, daß die
katatone Akinese ein organisch-zerebraler Zustand sei; zwar sei sie beeinflußbarer
als eine rein neurologische Störung, aber der ihr zugrundeliegende Spontaneitäte-
mangel ist zerebral-organischen Ursprungs. Keinesfalls liege eine psychische Ur-
372 Gottfried Ewald
sache zugrunde. Gewisse Besonderheiten der Ergographenkurven fanden sich
sowohl bei der katatonischen Akinese wie bei der Bulbokapninstarre, so daß eine
zerebrale Bedingtheit der katatonischen Erscheinungen als erwiesen gelten
könnte. Bychowski schildert einige Fälle mit passageren Reflexstörungen,
auch Rossolimoreflex, sucht die Erklärung in geringsten Veränderungen der Hirn-
rinde oder aber in Änderungen von Chronaxie und Muskeltonus in Verbindung
mit dem Affektleben. Exogene Einflüsse lagen in einigen der Fälle bestimmt
nicht vor. Die engere neurologische Bedeutung etwa des Rossolimoreflexes wird
dadurch nach seiner Meinung nicht berührt, höchstens seine absolut lokalisa-
torische Gültigkeit in Zweifel gezogen; das Auftreten der Reflexänderungen
würde sich aus der Dynamik der schizophrenen Prozesse ergeben. Die experimen-
tellen Aktionsstrom- und Reflexzeitmessungen von Dysinger konnten keine
Differenzen zwischen Schizophrenen und Normalen aufdecken. Die ungefähr
in gleichem Prozentsatz (60%) bei organischen Nervenkrankheiten zu beobach-
tende Änderung von Stellreflexen glaubt Severino als Beweis für die organische
Natur der katatonen Störung ansehen zu dürfen. Er will auch verschiedene
sog. extrapyramidale Reflexe (besonders den Schrijver- Bernhardschen
Reflex) mit großer Regelmäßigkeit bei der Katatonie gefunden haben. Die Ar-
beiten scheinen etwas optimistisch gefärbt zu sein. Gurewitsch behauptet, das
interparietale Syndrom (Störung des Körperschemas und Metamorphopsie) ge-
legentlich unter anderem auch bei Schizophrenie nachweisen zu können. Das
Auftreten von Kleinhirnerscheinungen bei einer Dementia praecox hält Titeca
für den Ausdruck einer latenten Kleinhirnatrophie (autoptisch sichergestellt), die
erst während der Geistesstörung infolge des Wegfallens der Kompensierungen
seitens der Großhirnrinde offenbar wurde. Thau beobachtete bei je einem Falle
von Katatonie, Dementia simplex und Hebephrenie Fehlen bzw. Hyper- und
Hypofunktion des optokinetischen Nystagmus. Ausführliche Sensibilitätsstudien
zur Frage des Funktionswandels bei Schizophrenen von Beringer und Ruffin
ergaben keine Unterschiede der Schwellenwertlabilität gegenüber Gesunden, nur
eine Herabsetzung gnostischer Leistungen, die vielleicht mit einer Störung in der
Verarbeitung von Bewegungsreizen in Zusammenhang gebracht werden dürfen.
Auch chronaximetrische Untersuchungen des sensiblen und optischen Apparates
brachten keine erheblichen Einsichten ; die Schizophrenen unterschieden sich nicht
von Ermüdeten oder Alkoholikern. Doch zeigte eine stark optisch halluzinierende
Schizophrenie einen besonders hohen optischen Schwellenanstieg. Claude und
Baruk studierten die ‚orthostatische Akrozyanose“, das Blauwerden der Hände
bei aufrechter Körperhaltung, das im Liegen sofort verschwindet. Es soll sich
nur bei der katatonen Form finden und mit Kapillaratonien zentralnervösen
Ursprungs zusammenhängen. Ein kataleptisch-akinetisches Syndrom bei Tha-
lamustumor schildert Béla Hechst, ohne neue Gesichtspunkte beizubringen.
Experimentelle Katatonie: Einen Überblick über den gegenwärtigen
Stand der experimentellen Katatonieforschung und eine Aufreihung der sehr
zahlreichen verwendbaren Mittel (über hormonale Katalepsie noch in besonderer
Arbeit) gibt de Jong. In einem Aufsatz gemeinsam mit Baruk versucht er den
Nachweis zu bringen, daß die experimentelle Katatonie sich von der Katatonie
des Menschen auch hinsichtlich ihrer physiologischen Begleiterscheinungen kaum
unterscheidet. Krause konnte zeigen, daß bei einseitiger partieller Rinden-
verletzung die gegenüberliegende Seite zunächst paretisch wurde, was sich nach
Schizophrenie 373
einiger Zeit verlor. Unter Bulbokapnin trat die Parese wieder auf, die andere
Seite wurde kataleptisch. Waren die Hirnrindenläsionen sehr klein, so konnte
auch auf der gegenüberliegenden Seite die Katalepsie auf Bulbokapnin in Er-
scheinung treten. Buscaino hält es für nahezu gesichert, daß das Bulbokapnin
in basalen Gebieten und nicht in der Hirnrinde angreift, ebenso Ferraro, ähnlich
auch Sager. Evrard und Spiegel, die mit de Jong eine Wirkung des Bulbo-
kapnins sowohl auf die Rinde als auch auf die Basalganglien annehmen (nach
de Jong und Krause schwindet die aktive Komponente des Greifreflexes bei
Hirnschädigung), versuchten eine Durchbrechung der Bulbokapninstarre mit
Kokain, was ihnen auch in einigen Fällen gelang; es soll damit wohl das Herein-
spielen einer Rindenkomponente bewiesen werden. Die Versuche sind wenig ein-
deutig. Noch eine ganze Reihe anderer Autoren hat sich mit diesem Problem
beschäftigt (Henry, van der Horst, Noteboom, Richter und Paterson,
Worrall u.a.), ohne daß sich neue Gesichtspunkte dabei ergeben hätten. De
Giacomo machte Versuche an Menschen — offenbar ein nicht ganz unbedenk-
liches Unterfangen, sah er doch auch heftige Erregungszustände —, er konnte
kataleptische Starrezustände erzeugen, die ihrer Art nach, zumal sich eher Hypo-
tonie als Hypertonie einstellte (gesonderte Arbeit), wesentlich besser zur Kata-
tonie passen, als zum Parkinsonismus. Durch experimental-physiologische Unter-
suchungen (Chronaxie, elektromyographische Untersuchungen usw.) sucht er die
Verwandtschaft zum katatonischen Syndrom zu erhärten. So interessant all diese
Versuchesind undsogroßihre Bedeutung für die Lokalisation katatonischer Störun-
gen ist, so wird man sich doch darüber klar bleiben müssen, daß man damit keine
Katatonie wesensmäßig erzeugt, auch nur bis zu gewissem Grade die somatische
Seite erfaßt, nicht aber die psychische (vgl. Homburgerstreffliche Ausführungen);
oder mit anderen Worten, selbst wenn beim Menschen die Versuche einmal schön
und eindeutig gelingen, würde man damit nicht jemand vorübergehend zum Kata-
toniker machen, sondern nur ein katatonisches motorisches Syndrom erzeugen.
Serologie, Endokrinologie, Blut, Liquor: Aus den serologischen
Arbeiten hebt sich die überaus gründliche und sorgfältig durchgeführte Studie
von Gjessing über die vegetativ-endokrinologischen und Stoffwechselverände-
rungen im katatonischen Stupor heraus. Die Untersuchungen erstrecken sich
über Monate und Jahre, alle störenden Nebenumstände (besonders Infektionen
usw.) wurden aufs genaueste ausgeschaltet, Ärzte und Pflegepersonal für die
Untersuchungen vorher eingearbeitet. Untersucht wurden Körperbau, Körper-
gewicht, Temperatur, Grundumsatz, Wasserhaushalt, Blut, Stuhl, Urin, Puls usw.
Es ergaben sich zwei Typen, der synton-synchrone oder ss-Typ mit akutem An-
stieg und Abfall des Stupors (besonders bei Pyknikern mit geringer Neigung zur
Verblödung) und der asyntone-asynchrone oder aa-Typ mit mehr lytischem und
weniger periodischem Anstieg, Abfall und Verlauf (besonders bei asthenischem
Körperbau mit stärkerer Neigung zur Verblödung). Der Stupor ist kein vago-
tonischer Zustand, wie man vielleicht in Analogie mit dem Schlafzustand anneh-
men möchte, sondern sogar ein sympathikotonischer Zustand. Der Grundumsatz
ist in der freien Wachperiode erniedrigt, im Stupor dagegen erhöht; die Er-
höhung setzt mit Eintritt des Stupors schlagartig ein. In der Wachperiode kommt
es zu einer langsam zunehmenden Stickstoffretention, die im Stupor wieder in
einer Art Selbstregulation, ja Heilungsvorgang, wieder ausgeschieden wird. Das
„Retentionssyndrom“ (herabgesetzter Grundumsatz, Stickstoffretention und
374 Gottfried Ewald
vegetativ-vagotonische Einstellung in der dem Stupor vorausgehenden Wach-
periode) und seine Beseitigung (im Stupor) begleiten gesetzmäßig die Wach-
heits- und Stuporphasen. Das dem Stupor vorausgehende „geisteskranke Wach-
sein“ wird aufgefaßt als eine Art Dämmerzustand oder mißglückten Wachseins,
der Stupor als eine Art mißglückten Schlafes. „In der katatonen Wachperiode
scheinen vegetative Schlafeinstellungen (Vagotonie), zerebrale leichte Ermüd-
barkeit und animale Wacheinstellung, im katatonen Stupor dagegen vegetative
Wacheinstellung (Sympathikotonie), zerebrale schwere Ermüdung und animale
Schlafeinstellung korreliert zu sein.“ Nur so erklärt sich die Uberkreuzung
(dort Vagotonie, hier Sympathikotonie). Die Gründlichkeit der Untersuchung
erhöht das Vertrauen zu den Resultaten, wenn auch eine Nachkontrolle bei der
relativ geringen Zahl von untersuchten Fällen — wie bei der ungemeinen Kom-
pliziertheit der Anordnung und der Untersuchung nicht anders möglich — erst
noch abgewartet werden muß.
Die übrigen serologischen Arbeiten betreffen Einzelfragen. Gulotta unter-
suchte die Atembewegungen mit der Gutzmannschen Apparatur. Er fand im
katatonen Stupor eine Verlangsamung der Atmung mit einer Plateaubildung,
bei anderen chronischen Schizophrenen eine oberflächliche Atmung und nimmt
beides als Ausdruck einer Störung der vegetativen Korrelation. Physikalisch-
chemische Untersuchungen von Blutplasma, Serum, Globulinen, Ionengehalt
stammen von Gerundo; sie wiesen auf einen sympathikotonischen Zustand bei
Schizophrenen hin. Die Untersuchungen Tschassilows über den Laktazido-
gengehalt der Gehirnrinde, der in der rechten Hirnhälfte bei Schizophrenen
größer sein soll als in der linken — ein an sich schon unwahrscheinlicher Befund —,
erscheinen mangels einer Kontrolle am gesunden Gehirn vorläufig als ganz un-
brauchbar. Parhon und Werners Untersuchungen über den Kalzium- und
Kaliumgehalt gaben keine verwertbaren Resultate; auch Ballif und Ghers-
covici konnten eine Beziehung zwischen Säurebasengehalt und Geisteskrank-
heiten nicht aufdecken. Dagegen meinen Puca und Fragola Unterschiede
zwischen Schizophrenie und Epilepsie gesehen zu haben, wenn sie den Einfluß
von pharmakologischen Substanzen (Adrenalin, Pilokarpin, Atropin, Eserin) auf
das Säurebasengleichgewicht beobachteten; sie schließen auf einen hypervago-
tonischen Zustand bei Schizophrenen. Ähnliche Resultate erhielten Puca und
Cerra. Die gründlichen Untersuchungen von Walther und Gordonoff ergaben
eine Labilität des Kalzium- und Kaliumspiegels im Blut Katatoner, die in Rich-
tung einer Labilität des vegetativen Systems gedeutet wird, ohne daß ihnen eine
krankheitsspezifische Bedeutung zugesprochen werden könnte. Schrijver und
Schrijver-Hertzberger wollen für Schizophrenie charakteristische Verände-
rungen im Bluteiweißbild gefunden haben. Die Katalase des Blutes untersuchten
Perelmann, Buinizkaja und Antonow; sie fanden ein Emporschnellen des
Katalaseindex bei scharfem Übergang von katatonem Stupor in Erregung, wie
überhaupt jeder Erregungszustand von einem Ansteigen des Katalaseindex be-
gleitet ist; auch bei anderen Krankheiten kommen starke Katalaseschwankungen
vor. McCowan und Quastel fanden bei Schizophrenen nur selten Schwan-
kungen des Blutzuckers im Gegensatz zu Manisch-Depressiven. Die Unter-
suchungen von Jakobi und Koritter ergaben für die Schizophrenie keine verwert-
baren Ergebnisse in der Blutzuckerfrage; die Blutzuckerwerte sind bei sehr
vielen Psychosen und Neurosen verändert.
Schizophrenie 375
Die vergleichenden Untersuchungen von Karl Küppers (Görden) über die
Hämatologie und den Purinstoffwechsel bei Schizophrenen und Epileptikern
zeigen, wie vorsichtig man mit dem Schluß sein muß, daß eine Linksverschie-
bung des Blutbildes für eine exogene Genese spreche; er fand bei seinen
genuinen Epileptikern nahezu die gleichen Ausmaße an Linksverschiebung wie
bei den Schizophrenen. Der Schluß, daß wegen dieser Linksverschiebung die
Schizophrenie eine infektiöse Genese habe, ist daher nicht ohne weiteres erlaubt.
Rizzatti und Martinengo möchten auf Grund ihrer Blutbilder noch das
retikuloendotheliale System zwischen die toxisch-infektiöse Schädigung und die
schizophrene Erkrankung schalten. Die Ostmannschen Untersuchungen an
verblödeten inaktiven Kranken zeigen, daß die ursprünglich vorhandene Links-
verschiebung im Endstadium nicht mehr besteht. Die völlige Unspezifität der
Blutsenkungsbeschleunigung zeigen die Arbeiten von Trossarelli und von
Zara; das Gleiche geht aus der Arbeit von Pietro bezüglich der Resistenz der
roten Blutkörperchen bei Geisteskranken, und aus der Arbeit von Naranjo
bezüglich der Blutgruppen bei Geisteskranken mit verschiedenster Körper-
konstitution hervor. Auch die Kapillarmikroskopie leistet nach dem Übersichts-
referat von Suckow für die Schizophrenie nichts. Schrijver-Hertzberger
glaubt einen Wechsel in der Kapillarweite bei periodisch wechselnden schizo-
phrenen Zuständen gesehen zu haben. Der Blutdruck ist bei Schizophrenie nach
Freemann, Hoskins und Sleeper am stärksten erniedrigt bei den Kata-
tonen, am wenigsten bei den Paranoiden; Baruk, Lapeyre und Alpane wollen
ihn bei der letzteren Gruppe sogar in 45%, erhöht gefunden haben. Eine Einheit-
lichkeit besteht jedenfalls nicht.
Einen Sammelbericht über die Liquorforschung in den letzten zwei Jahren
geben Emanuel und Fischl. Mit der Frage der Liquorzirkulation beschäftigt
sich Steck in einer gründlichen Studie, er behandelt die Durchlässigkeitsfrage
und den Liquordruck, den er besonders bei Katatonikern erhöht fand. Mehrfache
Untersuchungen des gleichen Falles sind wichtig. Es wird daran gedacht, Ände-
rungen der Liquorzirkulation mit den Besserungen in Zusammenhang zu bringen.
Etwas widersprechend sind die Ergebnisse der Blut-Liquorschrankenforschung ;
während Katzenelbogen und Goldsmith recht differente Ergebnisse hatten,
tritt Charcenko für die Verminderung der Durchlässigkeit bei Schizophrenie
ein. Auch Dancz und Stief fanden eine solche Verminderung; die Liquorresorp-
tion (nach der Försterschen Jodnatriummethode) ging der Permeabilität nicht
immer parallel. Gilbo fand die Permeabilität bei Katatonikern meist erhöht,
auch bei anderen besonders jugendlichen Schizophrenen im Prozeßstadium, da-
gegen vermindert bei den Endzuständen und bei den Paranoiden. Er möchte
diesen Unterschied sogar zur Trennung von Prozeß- und Endstadium verwendet
sehen, wohl ein etwas verfrühter Vorschlag. Hauptmann hält es für berech-
tigt, die Verminderung der Durchlässigkeit in zweifelhaften Fällen zugunsten
einer Schizophrenie auszuwerten, da ihm in hohem Prozentsatz die klaren Schizo-
phreniefälle diese Verstärkung der Schranke aufwiesen, während die fraglichen
Randpsychosen mit stark exogenen Einschlägen umgekehrt eine solche sehr häufig
vermissen lassen. Hoch hat im Hinblick auf die v. Monakowsche Behauptung
über nachweisbare Veränderungen der Plexus chorioidei bei Schizophrenen
17 Fälle (darunter 8 jugendliche, an interkurrenten Erkrankungen verstorbene
Schizophrene) histologisch untersucht, konnte aber nur in einem Falle die von
376 Gottfried Ewald
Monakow als charakteristisch bezeichneten Veränderungen finden; er lehnt die
Monakowsche These von der Bedeutung des Plexus chorioidei für die Ent-
stehung der Schizophrenie daher mit Recht ab. Der Liquoreiweißgehalt ist nach
Hahnemann in den akuten, nach Sondén dagegen in den dementen (frischeren
und älteren) Fällen vermehrt. Heyde konnte im Liquor Schizophrener proteoly-
tische Fermente nicht nachweisen im Gegensatz zu den grob organisch-exogenen
Erkrankungen. Eberhard meint, daß zwischen der Stärke einer enzephalo-
graphischen Luftfüllung der Subarachnoidalräume über Stirn und Scheitellappen
und der Schwere der schizophrenen Erkrankung eine Beziehung bestehen könnte.
Sehr bemerkenswert erscheinen die experimentellen Untersuchungen von Gam-
per, Kral und Stein über die Wirkung von Schizophrenieliquor bei Einbringen
in die Vorderkammer des Kaninchenauges; es ergab sich eine den organischen
Erkrankungen des Gehirns (Paralyse, Arteriosklerose, Epilespie, Alkoholpsycho-
sen und andere organische Erkrankungen) entsprechende Stärke der Reaktion
bei Verwendung von schizophrenem Liquor im Gegensatz zum Liquor von funk-
tionellen Psychosen (Manie, Hysterie, Debilität). Die Verfasser sehen darin den
Beweis für die organische Natur der Schizophrenie, lassen die Frage nach der
verursachenden Noxe jedoch vorläufig noch offen. Bruno und Ghigliazza
lehnen die Boutenkosche Kobaltreaktion, Curti die Costasche, Lippi die
intradermale Kochsalzreaktion nach McClure und Aldrich als für Schizophrenie
unspezifisch ab. Ciabati sieht in der Hautreaktion auf endokrine Präparate
nur einen Maßstab für die allergische Reaktionsfähigkeit des Organismus ohne Be-
ziehung zu einer bestimmten Psychose.
Therapie: Wagner-Jauregg verhält sich nicht ablehnend gegenüber
dem Versuch einer Behandlung der Schizophrenie mit Tuberkulin, da eine (ge-
legentliche) tuberkulöse Genese doch immerhin möglich sei; im übrigen scheint
ihm die unspezifische Reizkörpertherapie angezeigt. Ähnlich spricht sich Ko-
gerer (auch Herrschmann) aus, die auch die Psychotherapie mit Recht nur
zur Beseitigung des psychischen Überbaues gelten lassen. Im gleichen Sinne
äußert sich Schächter, der gelegentlich den Narkotizis sogar den Wert einer
kausalen Wirkung zusprechen möchte. Rudolf stellt die Ergebnisse von 23(!)
Behandlungsmethoden der Schizophrenie zusammen; er möchte die Erfolge auf
den gemeinsamen Nenner einer Beeinflussung des Säurebasenhaushalts bringen.
Carrière setzt sich entsprechend seiner Hypothese von der exogenen Genese der
Schizophrenie für eine intensive aktive Behandlung mit den verschiedensten Sub-
stanzen ein (Vakzinen, Schwefel, Hormonpräparate usw.). Volochov verwandte
Eigenblut mit angeblichem Erfolg, Goldbladtund Krapiwkin versprechen sich
etwas von Bluttransfusionen von gesunden Blutspendern. Die Stupordurch-
brechung teils als Mittel zur besseren Exploration und Kontaktgewinnung, teils
als wirkliches Heilmittel wurde von Langenstraß und von Kelman mittels der
Loewenhardtschen CO,—O-Inhalationsmethode angewendet. Deschamps
bediente sich der exzitierenden Wirkung von Rauschgiften (neben Äther und
Kokain auch Haschisch und Peyotl), Murray und Burns des offenbar nicht ganz
ungefährlichen Natriumamytals. Friedmann meint zur Behandlung der kat-
atonischen Starre Harmin empfehlen zu sollen. Hoch und Mauß sahen von hohen
Atropingaben (soweit sie vertragen wurden) bei Katatonen gar keinen Erfolg.
Auch ein interessanter Versuch von Hoff und Pötzl, die Fiebertherapie durch
einen Wärmestich gleichsam zu ersetzen, führte zu keinem Resultat. In einer
Schizophrenie 377
Zusammenstellung aus der Literatur trägt Nutini 1795 mit den verschiedensten
Fiebermitteln behandelte Schizophreniefälle zusammen, von denen rund 10%
geheilt, 30%, gebessert waren — also nicht gerade ein überzeugender Erfolg.
Die Malariatherapie der Schizophrenie verliert offenbar stark an Anhängern;
gar keine Erfolge hatten Ferrio, Fariello, Swierczek, Emdin und Mi-
niovic, d’Ormea und Broggi. Von 10% Erfolg spricht Roncati und empfiehlt
die Behandlung nur in Ermangelung von Besserem ; auch Mazza hatte begrenzte
Erfolge. Miniovic und Dorst versprechen sich allenfalls etwas von der Behand-
lung akuter Fälle, Verstraeten gerade von der Behandlung subkuter, schizo-
phrenieverdächtiger Psychosen. Nur Belloni hatte gute Resultate. Rekurrens
versagte bei Claude und Coste ganz. Vanelli hält die Schwefelbehandlung
für überlegen. Zoltan von Pap sah angeblich von Neosaprovitan bei akuten
Fällen einigen Erfolg. Magnan setzt sich für Pyrifer ein. Scarapatetti be-
handelte erst mit Typhusvakzine und anschließend intravenös mit Trypaflavin
und sah bei inzipienten akut einsetzenden Prozessen einen Erfolg. Mir scheint,
daß die über Erfolge berichtenden Autoren doch das post hoc — propter hoc nicht
hinreichend erwägen. Als negativ müssen auch die Versuche einer therapeutischen
Beeinflussung mit Schwefelinjektionen bezeichnet werden. Drüen setzt sich für
eine solche Behandlung zur Bekämpfung akuter Erregungszustände ein; aber
McCowan und Northcote dürften wohl recht haben, wenn sie derartige Er-
folge dahin interpretieren, daß der Erfolg durchaus unspezifisch nur durch die
Erzeugung eines erheblichen Krankheitsgefühls zustande käme, das bestenfalls
den Weg für eine Psychotherapie frei macht. Cabitto will 50% Erfolg gehabt
haben, Croce schon erheblich weniger. Praktisch negativ verliefen die Versuche
von Minski, von MacCartan und von Dhunjibhoy und besonders von Mori.
Fraenkel und Katzowna berichten über ihre Erfahrungen mit der Dauer-
schlafbehandlung (Avertin, Somnifen); die Arbeiten enthalten nichts Neues.
Mit großem Optimismus wird von Aschner seine Konstitutionstherapie der
Schizophrenie vertreten, von der eine Entlastung der Irrenanstalten erhofft wird.
Er berichtet über überraschend gute Erfolge bei oft schon scheinbar weit vorge-
schrittenen Kranken — die Diagnose dürfte nicht immer ganz sicher sein —,
die er mit Stoffwechselumstimmung behandelte, Abführen, Hautreize, Bäder,
Aderlaß, Brechmittel, Organotherapie (besonders Emmenagoga zur Erzielung
von Menstruation), Fieber, Diät, Darmbehandlung u. a. m., alles mit großer
Intensität und Konsequenz angewandt. Wie weit die Erfolge mehr zufällig, wie
weit peychisch bedingt sind, mag dahingestellt bleiben. Sollte der Erfolg nicht
ausbleiben, so wäre der Gewinn trotzdem der gleiche. Daß man nach den bis-
herigen Erfahrungen den günstigen Erfolgen gegenüber etwas skeptisch bleibt,
wird Aschner nicht übelnehmen dürfen. Kanduth willin einem nach Aschner
behandelten Falle Erfolg gehabt haben. Delfini behauptet von Behandlung mit
Follikelflüssigkeit Erfolg gesehen zu haben. De Nigris setzte seine Versuche mit
Geschlechtsdrüsenextrakten niederer Wirbeltiere wie es scheint mit mäßigem Er-
folg fort. Bianchi, der diese Methode nachprüfte, erzielte keine Resultate.
Kogerer hält die Unterbrechung der Schwangerschaft bei schubweise in engem
Zusammenhang mit der Schwangerschaft verlaufenden Fällen für nicht unzu-
lässig. Auch Morgenthaler bespricht in zurückhaltender Form diese Frage.
Slotopolski-Dukor berichtet über einen Fall von Heilung bei einer paranoiden
Schizophrenie durch Kastration, und meint einen Kausalzusammenhang bei der
378 Gottfried Ewald
nymphomanen Kranken annehmen zu dürfen. Krapiwkin sah bei zwei Kranken
von Samenstrangunterbindung keinen Erfolg.
Die peychoanalytische Therapie der Schizophrenie wird nach wie vor, wenn
auch in den Arbeiten dieses Jahres mit etwas mehr Zurückhaltung, empfohlen.
Schilder spricht davon, daß man die Schizophrenie, auch wenn man sie für ein
organisches Leiden halte, psychoanalytisch günstig beeinflussen könne, wie auch
andere organische Leiden psychischen Einflüssen zugänglich seien. Löwy, Sulli-
van und Malamud legen den Hauptnachdruck mehr allgemein auf eine Wieder-
gewinnung des Kontakts mit der Realität; besonders letzterer betont, daß erst im
letzten Stadium eine engere psychoanalytische Behandlung, namentlich bei jüngeren
männlichen Schizophrenen in Betracht komme. Erichson und Hoskins treten
im Hinblick auf eine geschickte Auswahl für die Arbeitstherapie für eine Stufung
der Kranken nach der Genesungsnähe ein; es wird diese Stufung dann zur An-
stachelung eines Genesungsehrgeizes ausgenützt. Einen Überblick über den
Stand der Arbeitstherapie in Amerika bringt der statistische Bericht von Pol-
lock und Mack. Statistische Angaben über die Anstaltsaufenthaltsdauer an
größtem Material gewonnen bringen Fuller und Johnston. De Sanctis be-
fürwortet die Frühentlassung. Carrilho äußert aus forensisch-sozialen Gründen
Bedenken. Der Aufsatz Vedranis über Geisteskrankheit in der Freiheit, schizo-
phrener Zynismus, enthält die Schilderung von zwei in der Freiheit lebenden
Katatonikern. Eine katastrophale Schilderung über das Leben Geisteskranker
in der Freibeit im heutigen Rußland geben Strel’cuk und Rumsevic. Inter-
essante Hinweise auf das günstige Verhalten der Kranken Deutschlands in
der Freiheit, d. h. in der offenen Fürsorge, geben demgegenüber die Arbeiten von
Bratz und von Schuch, die im übrigen im wesentlichen sich mit der wirtschaft-
lichen Seite der Außenfürsorge beschäftigen. Gerlach spricht sich über die Ehe-
beratung bei Schizophrenen dahin aus, daß vor einer Ehe mit einem Schizophrenen
gewarnt werden müsse, wenn trotzdem geheiratet worden sei, versucht werden
müsse, Nachkommenschaft zu verhindern. Ob man verpflichtet ist, einen Schizo-
iden vor der Eingehung einer Ehe mit einem ähnlich Veranlagten zu warnen, wie
Gerlach meint, darüber läßt sich besonders im Hinblick auf die Dehnbarkeit
des Schizoidbegriffes und des oft wertvollen Erbgutes schon streiten. Daß die
praktischen Erfolge einer Eheberatung nicht allzu hoch eingeschätzt werden
dürfen, darin ist Kihn recht zu geben, wenn man auch nicht gleich so weit gehen
sollte, wie Graeninger, der jede Eheberatung für nutzlos hält. Die Gerlach-
schen Richtpunkte verdienen volle Beachtung.
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Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse
1931/32
von Hans Luxenburger in München.
Dieser Bericht erscheint im laufenden Jahre erstmalig, und zwar als Anhang
zu meinem Beitrag über Erblichkeit, Keimschädigung und Konstitution. Ich
verweise auf die Vorbemerkung zu diesem Bericht (Heft 1, 1933).
Unter angewandter Erblichkeitslehre verstehe ich in diesem Zu-
sammenhange die Nutzbarmachung der erbbiologischen Forschungsergebnisse
für die Volksgesundheitspflege. So wird klar, daß in diesem Abschnitt vor allem
die Fortschritte auf dem Gebiete der Erbgesundheitspflege, der Rassenhygiene,
Eugenik behandelt werden sollen. Rasse ist hier begrifflich als „Vitalrasse“
zu fassen, die nach dem Begründer der Rassenhygiene in Deutschland, Alfred
Plötz, eine Erhaltungs- und Entwicklungseinheit des durchdauernden Lebens
darstellt und daher mit dem Begriffe des Erbguts, der Erbmasse, wesentlich
zusammenfällt. Die phylogenetischen Spezialisierungen der Vitalrasse, die
anthropologischen Rassen oder Systemrassen, werden, soweit es sich um Probleme
handelt, die sich eng mit denen der Psychiatrie und Neurologie berühren, in
einem eigenen Abschnitt behandelt. Neben der Rassenhygiene kommen in
erster Linie die Fragen der Erziehungsbiologie und der psychischen
Hygiene zu Bericht in ihrem Zusammenhang mit der Erblichkeitsforschung.
Die Anwendung der Ergebnisse der Erbforschung auf die Phänomene
des gesellschaftlichen Lebens oder anders ausgedrückt, ihre Betrachtung
unter dem Gesichtswinkel der Reaktion von Organismus und Umwelt, soll in
ihren Fortschritten künftig unter der Bezeichnung „Sozialbiologie“ dar-
gestellt werden. Hier liegen die engen Beziehungen zu der Eugenik auf der
Hand. Wenn schon Kant die Frage aufwarf, welcher Einfluß dem sozialen
Leben auf die Entstehung der menschlichen Art zuzuerkennen ist, so wird die
moderne Sozialbiologie an den Problemen der Gestaltung der Auslese durch die
Vorgänge der Vergesellschaftung (Mühlmann) und ihren positiven wie nega-
tiven Erscheinungen nicht vorübergehen können. Bedenkt man schließlich,
daß diese Vorgänge auch umzüchtend auf die Systemrassen wirken können, 80
wird die Zusammenfassung der Gebiete „Angewandte Erblichkeitslehre, Sozial-
biologie und Rasse“ bei getrennter Behandlung im einzelnen wohl als gerecht-
fertigt angesehen werden dürfen.
Wenn ich im Rahmen der Sozialbiologie auch die kriminalbiologischen
Probleme behandle, so bin ich mir wohl bewußt, daß die Kriminalbiologie nicht
nur eine angewandte Wissenschaft ist, sondern auch zur reinen Erbforschung
gehört, da ihre Fragestellungen nicht nur die Wechselwirkungen zwischen dem
fertigen Organismus und den Erscheinungsformen des gesellschaftlichen Lebens
Angewandte Erblichkeitelehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 393
betreffen, sondern auch unmittelbar auf das Problem der Reaktion von Anlage
auf Umwelt zurückgreifen. Letzten Endes ist sie aber doch ein Zweig der So-
zialbiologie, ihre Probleme sind unlöslich mit den übrigen Problemen der Lebens-
kunde der Gesellschaft verknüpft.
Das ungeheure Gebiet erschöpfend zu behandeln, ist nicht möglich. Ich
kann nur einen bezeichnenden Querschnitt durch das Schrifttum geben und
versuchen, in großen Zügen die Hauptlinien des Fortschritts herauszu-
arbeiten. Daß ich mich dabei fast ausschließlich auf das deutsche und dem
deutschen nächstverwandte Schrifttum stütze, hat seinen Grund darin, daß
den hier behandelten Problemenkreisen eine starke völkische Gebundenheit
eigen ist, eine Mitberücksichtigung anderer Völker sich aber schon aus Raum-
mangel verbietet. Daß ich, da die Fortschritte gekennzeichnet werden sollen,
weniger die oft nicht sehr wirklichkeitenahen Erörterungen über eugenische
und sozialbiologische Fragen berücksichtige, vielmehr das Hauptgewicht auf
jene Probleme und Ergebnisse richte, die bereits in den lebendigen Strom der
Bevölkerungspolitik eingemündet sind, bedarf wohl keiner weiteren Recht-
fertigung.
I.
Der von Lenz verfaßte 2. Band des bekannten grundlegenden Werkes von
Baur -Fisoher-Lenz über menschliche Erblehre und Rassenhygiene ist unter
dem Titel „Menschliche Auslese und Rassenhygiene“ in neuer, vielfach ver-
mehrter und verbesserter Auflage erschienen. Lenz hat es verstanden, die
neueren Ergebnisse der Forschung organisch und restlos in sein Buch hinein-
zuarbeiten und in sehr begrüßenswerter Weise das ganze Werk vornehmlich
auf die praktisch wichtigsten, bevölkerungs politisch vordringlichsten Probleme
zu zentrieren. Alles, was der Arzt und insbesondere der Psychiater über Be-
gabtenauslese, Förderung der Tüchtigen, Ausgleich der Familienlasten, Schutz
der erbgesunden Familie usw. wissen muß, wird er in dem vortrefflichen Buche,
das in seiner Art auch heute noch einzig dasteht, finden können. Der Baur-
Fischer-Lenz erfährt eine glückliche Ergänzung durch das Buch von Saller,
das mehr hält, als der Titel verspricht. Es ist mehr als nur eine „Ei
in die menschliche Erblichkeitslehre und Eugenik“, da es die Problematik der
menschlichen Erbbiologie und Erbpathologie in den Vordergrund stellt und
insbesondere der Aufgabe gerecht zu werden sucht, die ganze Schwierigkeit
der Forschung und die Kompliziertheit der berührten Zusammenhänge darzu-
legen. Dadurch wird es geeignet, den wesentlich positivistischer eingestellten
Bour. Fieber. Lenz, der sich ja an einen sehr viel breiteren Leserkreis wendet,
in manchen Punkten zu kommentieren. Daß die Anthropologie weitgehend berück-
sichtigt wird, ist ein besonderer Vorzug des Buches. Die Ergebnisse der psy-
chiatrisch - neurologischen Erbforschung erfahren eine im ganzen zutreffende
und sehr verständnisvolle Behandlung. Daß die Arbeit voll sehr persönlicher
Meinungsäußerungen steckt, die vielleicht nicht immer restlos begründet und
begründbar erscheinen, wird den kritischen Leser nicht stören. Sie büßt aber
dadurch an Wert als „Einführung“ ein, da man von einer solchen erwarten
muß, daß sie sich in erster Linie an die objektiven Tatsachen hält und beim
Leser nicht eine so große Fähigkeit zur kritischen Abwägung voraussetzt, wie
das Buch von Saller dies tut. Sehr viel weniger anspruchsvoll ist die kleine
Schrift von Muckermann; sie liefert dem Nicht-Biologen alle zum weiteren
394 Hans Luxenburger
Studium notwendigen Grundlagen und ist in ihrer klaren und maßvoll-vor-
nehmen Sprache geeignet, in weitesten Kreisen für den eugenischen Gedanken,
für eine rassenhygienisch gerichtete Welt- und Lebensanschauung zu werben.
Gerade weil dem rassenhygienischen Denken und Fühlen eine starke welt-
anschauliche Note eigen ist, wird sich die Eugenik beim Übergang von der
biologisch-soziologischen Disziplin zur sittlichen Forderung (Just) mit den
großen, das seelische Leben des Volkes in erster Linie steuernden weltanschau-
lichen Kreisen auseinandersetzen müssen. Sie wird Verbindung mit ihnen zu
suchen haben, Rückhalt, ethischen Boden, in den sie ihre Forderungen ein-
pflanzen kann. Es ist kein Zufall, daß gerade zu einer Zeit, in welcher es der
Eugenik zum ersten Male gelang, mit begründeter Aussicht auf Erfolg in die
Bevölkerungspolitik einzubrechen und zu einem Faktor des öffentlichen Lebens
zu werden, der nicht mehr übersehen, nicht mehr unberücksichtigt bleiben
kann, das Bedürfnis sich geltend machte, in eine grundsätzliche Auseinander-
setzung mit den weltanschaulichen Kreisen des Katholizismus, des Protestan-
tismus und des Marxismus einzutreten. Die Enzyklika „ Casti connubii“ dee
Papstes bot wohl den äußeren Anlaß dazu. So entstand das Buch „Eugenik und
Weltanschauung“, das, von G. Just herausgegeben, den katholischen Euge-
niker Muckermann, den Protestanten Bavink und den Sozialisten K. V.
Müller zu Worte kommen ließ. Daß die nationalistische Weltanschauung,
vor allem in ihrer Synthese mit dem Sozialismus, in die Diskussion nicht ein-
bezogen wurde (oder werden konnte ?), ist ein empfindlicher Mangel des Buches,
das so trotz aller Vielseitigkeit nur ein Torso bleibt. Denn so überzeugend auch
die Verfasser es darzulegen verstehen, daß die von ihnen vertretenen Welt-
anschauungen dem eugenischen Gedanken eine Pflanzstätte, einen Nährboden
bieten können, so darf man doch nie vergessen, daß es sich hier in erster Linie
um eine Bereitschaft zur Unterstützung, um eine freundliche Einstellung, eine
Duldung und nur sehr bedingt um eine wirkliche organische Verbundenheit mit
der Rassenhygiene handelt. Zudem ist der Sozialismus K. V. Müllers so sehr
mit nationalsozialistischen Gedankengängen durchsetzt, daß er mit der Welt-
anschauung des Marxismus nur mehr sehr wenig zu tun hat. Aus der nationa-
listischen Weltanschauung ist dagegen die Rassenhygiene unmittelbar heraus-
gewachsen; sie konnte außerhalb einer völkischen, einzig auf das Wohl der
Nation gerichteten Denkweise schlechterdings nicht begriffen werden, ohne
den Beigeschmack des Absurden und Utopischen zu erhalten. So wird es auch
verständlich, daß Rassenhygiene nie ohne den Motor einer starken Tendenz
denkbar ist. Während die Erbforschung wie alle reine Wissenschaft voraus-
setzungslos sein muß und ihre Richtung allein durch das Streben nach Wahrheit
gewinnt, wird jede angewandte Wissenschaft von vornherein durch eine klare,
in ihrem Anwendungsgebiet liegende Tendenz bestimmt werden. Daß für die
Eugenik die Zielvorstellung und die durch sie bedingte Leitidee aus einem
völkisch-nationalen Denken und Fühlen herauswachsen muß, darüber war
sich schon Galton klar. Nicht umsonst spricht er in seinen für die Eugenik
grundlegenden Schriften von „national eugenics“, „civic worth“, „civic use-
fulness“ usw. Nach allem dürfen wir den Aufsatz von Lenz, „Die Stellung
des Nationalsozialismus zur Rassenhygiene“, der im übrigen äußerlich und
innerlich völlig unabhängig von dem Buche Justs geschrieben wurde, als eine
notwendige Ergänzung zu diesem Werke begrüßen. Lenz betont ausdrücklich,
Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 395
daß Hitler und seine Bewegung die ersten politischen Instanzen sind, welche
die Rassenhygiene als eine zentrale Aufgabe der Politik erkannt haben und sich
tatkräftig für sie einsetzen. Man wird, sagt Lenz, von dem Nationalsozia-
lismus Großes für die Durchführung einer wirksamen Rassenhygiene erwarten
dürfen.
Die Aussprache unter den Ärzten und — was uns hier in erster Linie an-
geht — unter den Psychistern über die psychiatrische Indikation zu
praktisch-eugenischen Maßnahmen, vor allem zur Sterilisierung,
war 1931/32 sehr lebhaft. Im großen ganzen stimmen alle an der Diskussion
beteiligten Autoren — ich nenne hier Baege, Boehm, Bosler, Eichelberg,
Faltlhauser, M. Fischer, Gaupp, Lange, Luxenburger, Rüdin,
Staemmler — über Wert und Notwendigkeit eugenischer Maßnahmen überein.
Daß Eheberatung, Eheverbote, Prävention, Asylierung zu einer wirksamen
Bekämpfung der Erbschäden nicht ausreichen, vielmehr die operative Un-
fruchtbarmachung grundsätzlich mit herangezogen werden muß, darüber gehen
die Meinungen kaum auseinander. Verschiedene Anschauungen bestehen eigent-
lich nur darüber, ob und inwieweit Zwangsmaßnahmen in Frage kommen.
In erster Linie werden solche für die Schwachsinnigen, die rückfälligen Ver-
brecher und für die Schizophrenen gefordert. Zum mindesten soll Zwang
insoweit Anwendung finden, als bei allen Fällen, die für die Sterilisierung in
Frage kommen, das auf die Sterilisierung hinzielende Verfahren in Gang ge-
bracht werden muß. Einigkeit herrscht darüber, daß nach dem augenblick-
lichen Stande der Wissenschaft die Sterilisierung vorerst lediglich für die
Kranken selbst und die ihnen genotypisch gleichstehenden Personen gefordert
werden kann, noch nicht hingegen für die belasteten, nichtkranken Familien-
angehörigen. Hier muß die Forschung erst die Möglichkeit schaffen, die
keimgesunden Personen von den keimkranken, den Trägern latenter Anlagen
zuverlässig zu trennen. Wohl weiß man, daß die Kinder der Schizophrenen
alle die kranke Anlage in ihren Keimzellen besitzen, doch ist angesichts
der Tatsache, daß das Erbleiden nicht einfach rezessiv geht, auch hier eine
Scheidung, und zwar nach der Stärke der Belastung, unbedingt notwendig,
bevor man sie zur Sterilisierung heranziehen kann. Die heute vertretbaren
psychiatrisch-eugenischen Indikationen zur Sterilisierung lassen sich
ganz kurz folgendermaßen zusammenfassen:
Es sind auf jeden Fall zu sterilisieren:
1. Alle Schizophrenen und jene Epileptiker und Schwachsinnigen,
bei denen Erblichkeit als Ursache der Krankheit angenommen werden darf.
2. Die Kinder schizophrener, erblich epileptischer und schwachsinniger
Elternpaare.
3. Die Früchte aus blutschänderischen Verbindungen dieser Kranken mit
nächsten Blutsverwandten.
Die schweren Fälle degenerativer Hysterie.
Die schweren psychopathischen Alkoholsüchtigen.
Die rückfälligen psychopathischen Gewohnheits verbrecher.
Die schweren jugendlichen Zwangs psychopathen schizoider Prägung
mit schlechter Prognose.
8 9
3% Hans Luxenburger
Es sind mit Auswahl zu sterilisieren :
L Die Manisch-Depressiven.
2. Die Morphinisten, Kokainisten und sonstigen Süchtigen.
3. Die ethisch defekten, asozialen Psychopathen, soweit sie nicht unter I, 6
fallen.
Die nicht kranken oder noch nicht kranken eineiigen Zwillingspartner
sind den manifest kranken Personen gleich zu setzen.
Eine heute durch die kürzlich verabschiedete Novelle zum Strafgesetz,
welche die Sterilisierung aus eugenischer Indikation straffrei macht, glücklich
aus der Welt geschaffte Streitfrage, nämlich die strafrechtliche Stellung
der eugenischen Sterilisierung, beschäftigte in den letzten 2 Jahren
Juristen und Mediziner gleich lebhaft. Auf der einen Seite steht vor allem
Ebermayer, der nach dem bis dahin geltenden Recht auch die Sterilisierung
aus eugenischer Indikation in den Wirkungskreis der $$ 224, 225 R.St.G.B.
fallen läßt, auf der anderen F. Lenz, dessen Standpunkt dahin geht, daß diese
Paragraphen auf die Sterilisierung überhaupt nicht anwendbar sind, da sich
der $ 225, um den es sich in erster Linie handelt, nur gegen die gewalttätige
Kastration richte, nicht aber gegen einen ärztlichen Eingriff, der eine erwünschte
Sterilität herbeiführe. Weitaus die größte Mehrzahl der juristischen und medi-
zinischen Autoren, von denen hier lediglich v.Behr-Pinnow, Goerz, Höpler,
Kohlrausch, Rodewald genannt seien, waren, wie ich selbst auch, der An-
sicht, daß die Rechtslage unsicher und eine baldige eindeutige Regelung dringend
erwünscht sei. Den Wunsch auf baldige Legalisierung sprach übrigens auch
Ebermayer aus, während Lenz eine solche für überflüssig hielt. Inzwischen
wurde ja, wie schon erwähnt, vom Gesetzgeber Klarheit geschaffen. Daß der
Novelle zum Strafgesetz nur die Aufgabe zukommt, die Rechtslage bis zu einer
endgültigen Regelung durch das Sterilisierungsgesetz vorläufig zu ordnen, ist
selbstverständlich.
Wenn wir heute vor der ernsten gesetzgeberischen Tat des Sterilisierungs-
gesetzes stehen, die wir als den größten zentralen Fortschritt auf dem Ge-
biete der psychiatrischen Prophylaxe begrüßen dürfen!, so besteht Veranlassung,
kurz darauf hinzuweisen, welche Etappen auf dem Wege zum Erfolg
in den beiden Berichtsjahren zurückgelegt wurden, welchen öffent-
lichen und privaten Stellen in erster Linie das Verdienst gebührt, den Boden
vorbereitet, das große Werk gefördert zu haben. Sie alle haben am Fortschritt
einen Anteil, der nicht vergessen werden darf und soll.
Hier müssen vor allem die Verhandlungen im Preußischen Landes-
gesundheitsrat vom 2. Juli 1932 genannt werden. An die Referate von
Muckermann (Beziehungen zwischen Eugenik und Volkswohlfahrt), Lange
(Psychiatrische Erblehre und Eugenik) und Kohlrausch (Juristische Ge-
sichtspunkte) schloß sich eine Aussprache an, bei der die verschiedensten An-
schauungen zu Worte kamen. Das Ergebnis der Verhandlungen war die Annahme
des Entwurfs zu einem Sterilisierungsgesetz. Der Entwurf sieht die Unfrucht-
barmachung erblich Minderwertiger vor bei Einwilligung des Sterilisanden oder
seines gesetzlichen Vertreters und regelt die Durchführung des Verfahrens.
h Das Gesetz wurde inzwischen verkündet. Wortlaut siehe u. a. „Deutsches
Ärzteblatt“ Nr. 5, S. 161.
Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 397
Inwieweit das Gesetz Abänderungen und Ergänzungen gegenüber dem Entwurf
bringen wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Diesen Verhandlungen im
Gesundheiterat ging eine Entschließung des Preußischen Staatsrats voraus,
die das Ministerium darauf hinwies, daß der Geburtenrückgang sich besonders
in der erbgesunden, familiär verantwortungsbe wußten Bevölkerung auswirkt und
daß die Aufwendungen für die Minderwertigen eine untragbare Höhe erreicht
haben. Es sind daher, so heißt es, Maßnahmen notwendig, um den anerkannten
Lehren der Eugenik eine größere Verbreitung und Beachtung zu verschaffen
und die Kosten für die Minderwertigen auf ein Maß herabzusetzen, das von
einem verarmten Volke noch getragen werden kann. Am 28. 1. 1932 hatte der
Strafrechtsausschuß des Reichstags folgende Fassung des $ 264 (de lege
ferenda) angenommen: „Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Ver-
letzten vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotzdem gegen
die guten Sitten verstößt.“ Diese Reform wurde ja inzwischen durch die Novelle
zum geltenden Recht überholt. Hierher gehört noch die Entschließung der
Bezirkswohlfahrtsdeputation und des Verwaltungsausschusses des
Bezirksjugendamts Berlin-Friedrichshain über die Sterilisierung Aso-
zialer.
Mit dem Vorgehen des Preußischen Staatsrats und des Preußischen Landes-
gesundheiterats hängen eng zusammen die Leitsätze der Deutschen Gesell-
schaft für Rassenhygiene (Eugenik), ihr Aufruf für Ausgleich der Fa-
milienlasten, das eugenische Merkblatt des Deutschen Verbandes für Psy-
chische Hygiene und die Denkschrift, die Muckermann im Auftrag der
Gesellschaft für Rassenhygiene für die gesetzgebenden Körperschaften des
Reiches und der Länder entwarf. Alle diese Verlautbarungen betreffen den
Schutz der erbgesunden Familie, den Ausgleich der Familienlasten zugunsten
der Kinderreichen, die Bekämpfung der Entartung, die eugenische Belehrung
und Erziehung, die Erneuerung der Lebensanschauung im Sinne eugenischen
Verantwortungsbewußtseins.
Ansätze zum Ausgleich der Familienlasten finden sich bereits in
der Gesetzgebung der letzten Jahre. So sah eine Notverordnung von 1930
eine Ledigensteuer vor in Form eines 6%igen — bei Lohnempfängern 10 igen —
Zuschlags zur Einkommensteuer, so verfügte die Bayrische Notverordnung
vom 28. 8. 1931 eine Kürzung der Gehälter nur der ledigen und kinderlos ver-
heirateten Beamten um 5%. Diese Maßnahmen blieben wohl weit hinter dem
zurück, was eine rassenhygienisch eingestellte Bevölkerungspolitik zu leisten
hat, ließen aber doch erkennen, daß wenigstens da und dort ein gewisses Ver-
ständnis für die Dinge bei dem sonst so ahnungslosen Gesetzgeber aufzukeimen
begann. Ein bedeutsamer und nachahmenswerter Versuch rassenhygienischer
Lenkung der Ehewahl war der Befehl des Reichsführers der national-
sozialistischen Schutzstaffel (SS) vom 31. 12. 1931, der die Heirats-
genehmigung auf Grund eines besonderen Tauglichkeitszeugnisses für alle An-
gehörigen der SS vorsah.
Eine Reihe ärztlicher Organisationen und Vereinigungen erhob ihre
warnende und mahnende Stimme. Ich erwähne hier die Entschließung des
Geschäftsausschusses des Deutschen Ärtevereinsbundes über die Auf-
gaben der Eugenik (25. 9. 1932), die EntschließBung der forensisch-psychia-
trischen Vereinigung zu Dresden über die Frage der Unfruchtbarmachung
398 Hans Luxenburger
(Februar 1932), die eugenische Tagung der Württembergischen Ärzte-
kammer (26. 11. 1932) und vor allem die Tagung des Deutschen Verbandes
für Psychische Hygiene in Bonn vom 21. 5. 1932, die ausschließlich euge-
nischen Fragen gewidmet war. Das rassenhygienische Verantwortungsbewußtsein
der ärztlichen Organisationen erwachte wohl erst spät und erst unter dem Druck
der Zeitverhältnisse, doch halfen diese Verlautbarungen mit, den Boden für
die großen Reformen der Jetztzeit vorzubereiten und das Verständnis für sie
im Volke zu fördern. Daß der nationalsozialistische Ärztebund seit
seiner Gründung im August 1929 eine lebhafte und eindringliche Propaganda
für die Rassenhygiene entfaltete, versteht sich bei der grundsätzlichen Ein-
stellung der Gesamtbewegung und der durch den ersten Geschäftsführer Th. Lang
in seiner Einführung klar formulierten Tendenz des Bundes von selbst.
Erwähnt seien hier noch die rassenhygienischen Sondernummern der Zeit-
schrift „Volk und Rasse“ und der nationalsozialistischen Monatshefte,
sowie die Jahrgänge des Archiv für Rassen- und Gesellschafts biologie
und der „Eugenik“, die eine besonders lebhafte Tätigkeit in bezug auf die
Anwendung der erbbiologischen Forschungsergebnisse auf die rassenhygienischen
Probleme entwickelten.
In einer gemeinsam mit v. Verschuer verfaßten Schrift über eugenische
Eheberatung wendet sich Muckermann vor allem gegen die seither geübte
Praxis der Eheberatungsstellen und verlangt Besinnung auf den rassenhygieni-
schen Gedanken. Solche Erwägungen müssen das Hauptziel der Eheberatung sein,
Erblehre und Eugenik sind in den Lehrplan der Schulen einzubauen, Gesund-
heitszeugnisse vor der Verlobung auszutauschen. In dem Buch von Thiele
und 7 Mitarbeitern tritt der rassenhygienische Gedanke hinter teilweise nicht
unbedenkliche juristische und nationalökonomische Gesichtspunkte zurück.
Fetschers etwas kurz gefaßter Beitrag kann diesen Mangel des Buches nur
unvollkommen gutmachen.
II.
Wer sich in die Sozialbiologie einarbeiten will, wird das von Thurn-
wald herausgegebene Buch mit großem Gewinn lesen. Der Versuch, die So-
zialbiologie als angewandte Wissenschaft auf die reine Naturwissenschaft auf-
zubauen und in ihr zu verankern, darf als wohlgelungen bezeichnet werden.
Von Einzeldarstellungen aus dem Gebiete der menschlichen Sozialbiologie
möchte ich vor allem die Arbeit von Brem über Intelligenz und soziale
Schicht nennen. Auf Grund von Untersuchungen an Pfälzer Mittel-, Volks-
und Hilfsschülern kommt er zu folgenden Ergebnissen : Es besteht ein positiver
Zusammenhang zwischen Schulleistung und sozialer Schicht. Die Erklärung
dieses Sachverhaltes muß berücksichtigen, daß die sozial höhere Schicht bio-
logisch und daher auch psychologisch höherwertig ist und daß sie den eigenen
Kindern zu Hause ein höheres Bildungsniveau gewährt. Auf die vielfältigeren
Situationen im Lebensraum der sozial besser Gestellten antworten die Kinder
mit vielfältigeren Reaktionen. Nicht das größere Wissen, sondern die besser
arbeitenden Funktionen gewährleisten in erster Linie die besseren Leistungen.
Mit der Zugehörigkeit zu einer jeweils höheren Schicht wächst im Durchschnitt
die Intelligenz; die geringere Intelligenz der sozial tieferen Schichten ist un-
bezweifelbar. Man wird allerdings Brem nicht ohne weiteres beistimmen können,
wenn er die biologische Minderwertigkeit des Proletariats im wesentlichen nicht
Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 399
als durch die Erbanlagen, sondern nur durch die Geburtskonstellation bedingt
ansieht und der geringen Ausbildung der intellektuellen Funktionen im häus-
lichen Milieu eine so überragende Bedeutung zuerkennt.
Weiterhin möchte ich aus der Fülle des Stoffes 3 Arbeiten herausgreifen,
die eng zusammengehören und schlagartig eine der größten sozialbiologischen
Gefahren beleuchten, die dem deutschen Volke drohen: Die sozialstreberische
Gesinnung, den Bildungswahn und die dadurch bedingte Überfüllung
der akademischen Berufe mit der Proletarisierung des Geistes als End-
zustand. Lotze stellt die gesellschaftsbiologischen Vorgänge klar heraus, die
zu jener Überfüllung führen: Steigerung des Aufstiegwillens breiter Volks-
schichten und gleichzeitiger Rückgang der Aufstiegmöglichkeiten. Nachdem
heute die absolute Zahl der Studierenden mindestens dreimal so groß ist, als
es der volkswirtschaftliche Bedarf rechtfertigen würde, wird man um ein ener-
gisches Eingreifen nicht herumkommen. Nur die Hälfte der Abiturienten soll
das Recht der Durchführung des Hochschulstudiums erhalten. Hartnacke
schlägt vor, beim Abitur eine Trennung von Schulabschlußreife und Hochschul-
reife durchzuführen. Die Auslese der Hochschulkandidaten soll durch 6 bis
8 Arbeiten in den beiden oberen Klassen erfolgen, die mehr die Urteilsfähigkeit
als die Kenntnisanhäufung prüfen. In der streberischen Gesinnung sieht v. Un-
gern-Sternberg auch die Hauptursache für den Geburtenrückgang. Der
Wille, die erreichte Lebenshaltung unter allen Umständen aufrecht zu erhalten
und da, wo sie nicht erreicht ist, eine gehobene Lebensstellung zu erlangen,
läßt den Willen zur kinderreichen Ehe nicht aufkommen. Die übrigen Ursachen,
Urbanisierung, Wohlstand, Präventivverkehr, Entkirchlichung, Konkurrenz
der Genüsse, Wohnungsnot, Notlage, lassen sich auf die Hauptursache zurück-
führen und fördern ihre Wirksamkeit.
Über die unterschiedliche Fortpflanzung liegen zwei Arbeiten von
Bedeutung vor. Löffler fand bei seinen Untersuchungen an Württember-
gischen Volksschullehrern, daß nur die vollendeten Ehen der katholischen Unter-
gruppe eine Kinderzahl aufweisen, die zur biologischen Bestandserhaltung hin-
reicht. Betrachtet man die vollendeten Ehen des Gesamtmaterials, so reicht die
Kinderzahl zum Ersatz der elterlichen Generation nur aus, wenn man annimmt,
daß von den Ehen der Kinder nicht mehr als 10% kinderlos bleiben. Die Ent-
wicklung in der jüngeren Generation zeigt, daß der Geburtenrückgang noch
nicht zum Stillstand gekommen ist und daß in den jüngeren Ehen die Kinder-
zahl keinesfalls zum Ersatz der Eltern ausreichen wird. Beim Vergleich mit
den deutschen Professoren (Muckermann) ergibt sich, daß die allgemeine
Geburtenbeschränkung später einsetzt, die Geburtenzahl aber dann schneller -
und tiefer abfällt. Die Beschränkung der Kinderzahl ist schon für eine Zeit
nachweisbar, in der man wirtschaftliche und politische Bedrängnis noch nicht
in Rechnung stellen kann; die Ursachen müssen also tiefer liegen. Im ganzen
sprechen die Befunde Löfflers dafür, daß, wie dies Lotze betont, sich die
Geburtenbeschränkung besonders bei dem sozial aufstrebenden Mittelstand
geltend macht. Winkler konnte in Mecklenburg-Schwerin feststellen, daß
die Stärke der Fortpflanzung in einer Familie abhängig ist von der Herkunft
der Eltern aus einer geburtenreichen bzw. geburtenarmen Umgebung. Die
Fortpflanzungsgröße wird mitbestimmt von Einflüssen, die mit der Ortsgröße
und auf dem Lande mit der wirtschaftlichen Struktur und den Verkehrsverhält-
Neurologie V, 9 28
400 Hans Luxenburger
nissen zusammenhängen. Sie ist in Familien mit hilfsschulbedürftigen Kindern
um ½ größer als in denen mit überdurchschnittlicher Begabung. In ländlichen
und städtischen Berufsgruppen ist sie überdurchschnittlich in den unteren,
unterdurchschnittlich in den oberen und vor allem in den mittleren Gruppen.
Also auch hier wieder eine Bestätigung von Lotzes Ansicht.
Was die Kriminalbiologie anlangt, so wurden ihre Aufgaben, Wege
und Ziele mehrfach von berufener Seite herausgestellt. Ich nenne hier nur die
Namen v. Rohden, Rüdin, Viernstein. Lange besprach in einem kurzen
Aufsatze vererbungspathologische und eugenische Fragen aus dem Gebiete
der Kriminalbiologie. Rein referierend ist der Aufsatz von Creutz, der sich
mit der Literatur über die Bedeutung von Anlage und Umwelt für die Ent-
stehung des Verbrechens kritisch auseinandersetzt. Eine Reihe lesenswerter
Aufsätze bringen die Mitteilungen der kriminalbiologischen Gesellschaft; sie
können im einzelnen nicht besprochen werden.
Dagegen möchte ich auf drei Arbeiten näher eingehen, zumal sie sehr beacht-
liche Vertreter dreier wichtiger Teilgebiete der Kriminalbiologie darstellen. Es
handelt sich um die pathopsychologische Kennzeichnung krimineller
Persönlichkeiten, um Nachuntersuchungen über kriminelle und
asoziale Jugendliche und um das Studium der Fruchtbarkeit von Ver-
brechern.
Trunk hat versucht, die Ewald schen Charakterstrukturformeln zur
Kennzeichnung krimineller Persönlichkeiten heranzuziehehen, den Ver-
brecher also im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Formel zu bringen. Be-
kanntlich unterscheidet Ewald als Haupt bestandteile, die den Charakter aus-
machen: Die Eindrucksfähigkeit für Erlebnisse (E), die Retentionsfähigkeit für
Erlebnisse (R), die intra psychische Aktivität oder Verarbeitung oder Steuerung
(IST) und die Ableitungsfähigkeit von Erlebnissen (L). E wird untergeteilt in
eine solche, die dem Triebleben angehört (Tr), und eine, die dem höheren Er-
leben entspricht (E). Der Anteil dieser Hauptbestandteile des Charakters wird
durch geschätzte Verhältniszahlen bezeichnet. So kommt 2. B. für den aktiv-
brutalen Berufsverbrecher folgende Formel zustande:
E. —
d` . ST Le
IST erhält verschiedene Verhältniszahlen, je nachdem ob es sich um einen
schlauen oder primitiven Typ handelt.
60 männliche Zuchthausinsassen wurden nach der Ewaldschen Formel
charakterisiert. Ganz allgemein ließ sich die starke Überwertigkeit der Trieb-
schicht und Ableitungsfähigkeit bei gleichzeitiger Unterwertigkeit der höheren
Schicht und Steuerung feststellen; die verbrechenfördernde Bedeutung dieser
Konstellation liegt auf der Hand. Was Trunk sonst noch an Ergebnissen
mitteilt, ist bei der Kleinheit der Untergruppen zu wenig stabil, als daß es hier
heute schon als Fortschritt herausgestellt werden könnte. Für die Praxis des
Strafvollzugs sieht Trunk folgende Vorteile bei seinem Verfahren: Der Ein-
gearbeitete sieht den Charakter des Gefangenen mit der Formel bildhaft deutlich
vor sich. Die Anschauung ist lebendiger geworden. Der Schluß auf die Bes-
serungsfähigkeit oder Unverbesserlichkeit ist eine Resultante aus den ver-
schieden hohen Exponenten. Die Höhe der Eindrucksfähigkeit für höhere
Angewandte Erblichkeitelehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 401
im Verhältnis zu der für triebbetonte Erlebnisse ist zunächst bestimmend, die
Retentionsfähigkeit für E für die zu erwartende Stabilität eines Erziehungs-
ergebnisses kennzeichnend, die Höhe des L von Bedeutung für die Leichtigkeit
der Einfügung und Unterordnung, für die Führung. — Ein abschließendes Urteil
über den Wert des Verfahrens für die Kriminalbiologie wird man erst abgeben
können, wenn es von mehreren Untersuchern womöglich an dem gleichen Ma-
terial erprobt ist. Wenn die Ewaldsche Formel in zuverlässiger Weise lange
und mißverständliche Beschreibungen ersetzen soll, so ist eine weitgehende
Unabhängigkeit des Ergebnisses von der Person des Untersuchers Voraus-
setzung. Ob diese Unabhängigkeit angesichts der sehr willkürlichen quanti-
tativen Schätzung der Exponenten jemals zu erreichen sein wird, scheint mir
heute noch eine offene Frage zu sein. Wenn man sich aber entschließt, für die
Größe der Exponenten strengere Normen einzuführen, wächst wieder die Gefahr
eines zu wenig elastischen Schematismus.
Bei der zweiten Arbeit handelt es sich um die für die Besserungsprognose
so sehr wichtigen Nachuntersuchungen an kriminellen und asozialen Jugend-
lichen. Ich erwähne die Veröffentlichung in erster Linie wegen der grundsätz-
lichen Bedeutung des Problems. Die Ergebnisse sind, da die Verf. (Grieger-
Meissner) es nicht verstanden, sich auf einzelne wichtige Punkte, für welche
die Größe des Materials ausgereicht hätte, zu beschränken, für die Praxis nur
von geringem Wert. Immerhin darf man wohl aus der Arbeit entnehmen, daß
schwachsinnige Verwahrloste seltener (42%) kriminell werden als Psychopathen
(52%) und daß die durch den Infantilismus verursachten Anpassungsstörungen
sich im allgemeinen gut auszugleichen pflegen.
Die Arbeit von Riedl über die Fortpflanzung von Verbrechern ist als
erste größere mit exakter Methodik durchgeführte Untersuchung auf diesem Ge-
biete zu werten. Sie betrifft die Brutto- und Nettofruchtbarkeit von 1000 kri-
minellen, über 50 Jahre alten Männern und die Bruttofruchtbarkeit von 500 weib-
lichen Verbrechern aller Altersklassen. Auf den Kopf einer kriminellen Ehefrau
treffen 3,75, auf eine fruchtbare Ehe 4,46 Geburten, so daß das Erhaltungs-
minimum von 3, 1 bzw. 3,4 Geburten deutlich überschritten ist. Diese Ziffern
sind angesichts der Tatsache, daß die Fruchtbarkeit der Nicht-Kriminellen sich
in Deutschland schon längst erheblich unter dem Erhaltungsminimum hält,
erschreckend hoch. Das gleiche gilt für die Nettofruchtbarkeit (Zahl der Kinder,
welche das 20. Lebensjahr erreicht haben) pro Vater, die 2,39 beträgt. Wenn
auch die Elternschaft und die Verheiratung bei dem „endogenen“ Teile des
Materials vergleichsweise seltener zu sein scheint, mahnen die Ergebnisse der
Untersuchung doch zu einem energischen eugenischen Vorgehen.
III.
Unter Rasse (Systemrasse) verstehe ich in diesem Abschnitt die Spe-
zialisierung des durchdauernden Lebens (Vitalrasse) in Form einer abstammungs-
mäßig, morphologisch, physiologisch und psychologisch eindeutig bestimmten
Bevölkerungsgruppe, die sich auf Grund von anlagebedingten, durch Außen-
einflüsse gar nicht oder nur schwer abänderbaren Merkmalen von Gruppen
anderer Erbprägung scharf unterscheidet und, wie der Anthropologe Aichel
dies ausdrückt, ein Glied in der Kette des phylogenetischen Geschehens darstellt.
Von den Problemen der Rassenbiologie gehören 2 Gruppen in das Grenzgebiet
28*
402 Hans Luxenburger
der Psychiatrie und Neurologie. Die erste betrifft die Frage, ob bestimmte
Erbleiden in bestimmten Rassen häufiger sind als in anderen, die
zweite die Frage, ob Rassenkreuzung geeignet ist, die Erbgesundheit
des Volkes zu beeinträchtigen, sei es durch Neuentstehung krankhafter
Anlagen, sei es durch Bildung ungünstiger Anlagekombinationen.
Eine Vorfrage ist die nach dem zahlenmäßigen Anteil der wichtigsten
Rassen an unserem Volkstum. Hier brachte die Berichtszeit eine bemerkens-
werte Arbeit von Wellisch. Ich gebe aus ihr eine Tabelle wieder, deren Hundert-
sätze mit den früheren Aufstellungen H. F. K. Günthers gut übereinstimmen.
Wellischs Berechnungen decken sich mit den Ergebnissen der Blutgruppen-
forschung.
Nord-
deutsche
West-
deutsche
Was nun die wichtige Frage nach der vergleichsweisen Häufigkeit
der Erbkrankheiten in den verschiedenen Rassen anlangt, so steht
hier die Forschung noch ganz am Anfang. Die Gelegenheitsfeststellungen frü-
herer Zeiten wiegen nicht schwer, groß angelegte systematische Untersuchungen
fehlen noch so gut wie vollständig. Rüdin, der schon immer die Notwendigkeit
und die große Bedeutung einer vergleichenden Rassenpsychistrie hervorgehoben
hat, gab auf der 9. Konferenz der internationalen Föderation eugenischer Orga-
nisationen einen kurz gefaßten Überblick über sein Programm und, betonte
die Durchführbarkeit solcher Untersuchungen unter der Voraussetzung der
tätigen Mitarbeit aller Kulturvölker. Einheitlichkeit des Vorgehens ist dabei
unerläßlich sowohl in bezug auf die Methodik als auch in bezug auf die den
Forschungen zugrunde liegende psychiatrisch-klinische Systematik. Es ist zu
hoffen, daß nun bald mit der Arbeit begonnen werden kann.
Die heute schon einigermaßen gesicherten Ergebnisse betreffen eigentlich
nur die im jüdischen Volke zusammengeschlossenen orientalischen und vorder-
asiatischen Rassengruppen. R. Becker hat in der Berichtszeit eine sehr wert-
volle und so gut wie lückenlose Zusammenstellung der Literatur aus dem Ge-
biete „Geisteskrankheiten bei den Juden“ geliefert. Sie umfaßt 193 Arbeiten,
die fast alle nach 1900 erschienen sind. Bei den wichtigsten Veröffentlichungen
ist eine kurze Angabe des Inhalts und der Ergebnisse beigefügt. Der Wert dieser
Bibliographie wird dadurch erhöht, daß sie auch sonstige ältere Arbeiten über
vergleichende Rassenpsychiatrie berücksichtigt, also nicht nur solche, die sich
mit dem jüdischen Volke beschäftigen. Becker hat neuerdings (1932) eine
Untersuchung über die Juden in Polen veröffentlicht. Während die Juden in
Polen nur 9,8% der Bevölkerung ausmachen, stellt sich ihr Anteil unter den
Anstaltsaufnahmen auf 20,9%. Wenn auch soziale Momente hier eine gewisse
Rolle spielen dürften, so steht Becker doch auf dem Standpunkte, daß die
Rasse zweifellos von großer Bedeutung ist. Es handelt sich hauptsächlich um
Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse 1931/32 403
Schizophrene und Manisch-Depressive, während die Belastung durch Epilepsie
sicherlich geringer ist als bei den nichtjüdischen Einwohnern Polens. Bei den
jüdischen geisteskranken Verbrechern überwiegen die leichten Verbrechen und
Vergehen. Auffallenderweise ist bei ihnen die Mordziffer relativ hoch angesichts
der Tatsache, daß nichtgeisteskranke Mörder unter den polnischen Juden sehr
selten sind. Besonders groß ist der Anteil der Juden bei den Simulanten, was
wohl auf die Häufigkeit der Hysteriker, Psychopathen und Schwachsinnigen
zurückgeführt werden kann. Auch Th. Lang kommt an Hand der Literatur
zu dem Schluß, daß das Judentum in allen Ländern, für welche Untersuchungen
vorliegen, eine Belastung mit Geisteskranken und Geistesschwachen aufweist,
die weit über der seiner Wirtsvölker steht. Vor allem handelt es sich dabei
um Schizophrenie, manisch-depressives Irresein, Hysterie, Psychopathie und
Schwachsinn. Burkhardt unterzog die endogenen Psychosen bei jüdischen
Kranken einer klinischen Analyse und kam zu sehr interessanten Ergebnissen.
Er fand, daß die unkomplizierten manisch-depressiven Psychosen, die mas-
siven Katatonien, die ausgeprägt paranoiden Krankheitsbilder hinter gewisse
symptomenarme, farblose Krankheitsbilder zurücktreten, wie chronische De-
pressionen, Hebephrenien oder auch hinter solche, die zwar reich an Symptomen
sind, bei denen aber die Bilder flüchtig und wenig ausgeprägt erscheinen. Meist
müssen diese Psychosen dem zyklothymen Kreise zugeordnet werden. Der für
das jüdische Volk am meisten charakteristische Zug, sagt Burkhardt, ist
jener Einschlag von reaktiver Labilität, der weder in das syntone noch in das
autistische Register paßt. Er kennzeichnet ihn mit den Worten „Unruhe“ und
„Unzufriedenheit“. Angesichts der Übereinstimmung fast aller Autoren über
die vergleichsweise übergroße Häufigkeit der Geisteskranken unter den Juden
klingt die Feststellung Malzbergs wenig glaublich, daß in dem von ihm unter-
suchten amerikanischen Bezirk 67,7 auf 100 000 Aufnahmen von Nichtjuden
nur 40,7 auf 100 000 Aufnahmen von Juden gegenüberstanden. Wenn diese
Ziffern richtig errechnet sind, so müssen sie wohl durch soziale Momente erklärt
werden. Die geringere Beteiligung der Juden erstreckt sich auf alle klinischen
Hauptformen. Nach Eisenfarb leiden die Juden häufiger an Hypertonie als
die unter ähnlichen Lebensbedingungen stehenden Nichtjuden, trotzdem Lues
und Alkoholismus bei ihnen seltener sind. Die Annahme, daß der arterielle
Hochdruck, vielleicht der Blutdruck überhaupt, zu den Rassemerkmalen gehört,
erfährt durch diese Untersuchungen eine Stütze. Dagegen scheint nach Sorsby
die Rasse bei der Entstehung des Krebses keine entscheidende Rolle zu spielen,
da die Unterschiede bei den verschiedenen Rassen ganz gering sind. Die auf-
fallende Seltenheit der Krebse der weiblichen Geschlechtsorgane und der Brust
bei den Juden führt er auf günstigere Umweltverhältnisse zurück.
Auf die außerordentlich wichtige Frage, ob Rassenmischung als solche
geeignet ist, die Erbgesundheit des Volkes zu beeinträchtigen, ins-
besondere durch eine auf den Bastardierungsprozeß zurückzuführende Neuent-
stehung krankhafter Anlagen, gibt auch das Buch von Lund borg über die Rassen-
mischung beim Menschen noch keine schlüssige Antwort. Er meint auch, daß
es nach dem heutigen Stande der Forschung nicht möglich sei, durch exakte
Beweise zu entscheiden, ob die Rassenmischung an und für sich die Fruchtbar-
keit und Sterblichkeit der Mischlinge beeinflusse oder nicht, da dort, wo Misch-
lingsbevölkerungen eine im Vergleich zu derjenigen der Elternrassen veränderte
404 Hans Luxenburger
Fruchtbarkeit oder Sterblichkeit aufweisen, meistens auch verschiedene soziale,
hygienische und sonstige kulturelle Faktoren eine Rolle spielen. Die Tatsache,
daß durch Kreuzung biologisch fremder Rassen sehr leicht ungünstige Kom-
binationen von Anlagen, ein Übermaß von Verschiedenerbigkeit entstehen
können, wird durch diese Feststellung natürlich nicht berührt. Im ganzen steht
Lundborg auf dem Standpunkte, daß die Kreuzung nahe verwandter Rassen
im allgemeinen sowohl in physischer als auch in psychischer Beziehung gute
Ergebnisse hervorzubringen pflegt, wogegen die Mischung zwischen entfernt
miteinander verwandten Rassen gewöhnlich zu ungünstigen Resultaten führt.
Letztere ist unbedingt zu verurteilen. Lundborg schließt sein Buch mit den
Worten: „Eine gute Rassenpflege und zielbewußte Bevölkerungspolitik, die
sich auf exakte wissenschaftliche Untersuchungen stützen, bilden ohne Zweifel
Hauptaufgaben der Kulturvölker unserer Zeit. An deren Lösung mögen die
Anthropologen, Vererbungsforscher und Rassenhygieniker der ganzen Erde
tatkräftig mitarbeiten.“ Diese Mahnung möchte ich auch an den Schluß des
ersten Berichtes über Angewandte Erblichkeitslehre, Sozialbiologie und Rasse
setzen.
Literatur.
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steskrankheiten bei den Juden in Polen. Allg. Z. Psychiatr. 96, 47 (1932). —
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— — — —
Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände
von Walther Jahrreiss in Köln a/Rh.
I.
Den Oligophrenieen gilt keineswegs nur die Aufmerksamkeit der Psychiater.
Kinderärzte und Heilpädagogen sind ihnen aus „natürlichen“ Gründen schon
seit langem zugetan; die genealogischen Bemühungen und Ergebnisse und in
Wechselwirkung mit ihnen die Fragen und Forderungen der Eugenik haben den
Schwachsinn — oder wenigstens seine Verhütung — zu einem Problem von all-
gemeinem Interesse erhoben. Als ein Zeichen dafür mag die Tatsache gelten,
daß der Deutsche Verein für Psychiatrie eine Preisarbeit für das laufende Jahr
ausgeschrieben hat über das „Häufigkeitsverhältnis von ererbtem und nicht
ererbtem Schwachsinn des frühen Kindesalters“.
Für eine Reihe von Arbeiten über Erblichkeit, Keimschädigung,
Konstitution kann ich hier auf das Referat von Luxenburger in d. Z. (1933,
H. 1) verweisen. |
Nur das besonders wichtige Ergebnis der Arbeiten von Rosanoff und von
Luxenburger muß auch hier erwähnt werden. Rosanoff geht davon aus,
daß der Schwachsinn bei Männern häufiger angetroffen wird als bei Frauen.
Von 27 Paaren verschieden geschlechtlicher Zwillinge seines Materials waren in
11 Fällen beide, in weiteren 11 nur der männliche, und in weiteren 5 nur der
weibliche Partner oligophren. Er schließt, daß bei der Vererbung des Schwach-
sinns — und der allgemeinen Intelligenz — ein geschlechtsgebundener Faktor
wirksam sein könne, und nimmt an: die Anlage zum Schwachsinn liegt nicht nur
in einem autosomalen Chromosom, sondern auch im X-Chromosom. Der Erb-
gang geschehe also nach dem Modus einer Dimerie mit zwei rezessiven Faktoren-
paaren; das eine Paar ist geschlechtsgebunden. Luxenburger konnte an
einem ausgedehnten Material von Geschwistern endogen Schwachsinniger diese
Auffassung bestätigen; wenigstens gelte dieser Erbgang wohl für eine Gruppe
des erblichen Schwachsinns.
Die Annahme des einfach rezessiven Erbgangs verliert an Wahrscheinlich -
keit dann, wenn man sowohl bei den Geschwistern wie bei den Eltern der Pro-
banden nach getrennten Geschlechtern untersucht. Rezessiv geschlechts-
gebundener Erbgang (Monomerie) ist ausgeschlossen; ebensowenig könne die An-
nahme eines Gemenges der beiden Typen — einfache und gesch lechtsgebundene
Rezessivität — befriedigen. Die Theorie von Rosa noff werde dagegen den
gefundenen Proportionen am ehesten gerecht.
In die Berichtsspanne fällt weiter eine Monographie von Torsten Sjögren
über „Oligophrenie in einer nordschwedischen Bauernpopulation“. Er hat
— auf Anregung von Lundborg — in einem schwedischen Kirchspiel, abseits
Neurologie V, 10 29
408 Walther Jahrreiss
von den großen Verkehrsstraßen, seine Untersuchungen auf einen großen Ge-
schlechtekomplex begrenzt, um ein möglichst homogenes Ausgangsmaterial zu
finden. Er traf auf 52 Oligophrene in 34 Familien, die auf 3 Stammpaare zurück-
gehen (,, X = Sjö-Geschlechtekomplex‘‘). Alle Fälle ähneln sich klinisch weit-
gehend — mit Ausnahme von fünfen, die grobe neurologische Symptome zeigen
(Geburtsschäden ? Ref.). Das Intelligenzalter liegt zwischen dem 3. und 4. Jahr;
die Sprache ist dysarthrisch, nicht selten agrammatisch. Neurologisch zeigen
sie regelmäßig eine steife, pithekoide Körperhaltung mit unbedeutenden Mit-
bewegungen (oder Freibleiben davon). Der Gang ist langsam und schwerfällig.
Epileptische Erscheinungen fehlen. Ophthalmoskopisch findet sich nichts Be-
sonderes. In 5 Fällen wurde Hirnpunktat (Stirnlappen) untersucht; zytoarchitek-
tonische Veränderungen konnten nicht nachgewiesen werden. Eine Sektion liegt
noch nicht vor. Es fand sich ein bemerkenswerter Überschuß an männlichen
Oligophrenen (34 O: 189 bei insgesamt 136 : 115 9 Kindern), der freilich noch
nicht statistisch erhärtet werden konnte. Sjögren kommt aber doch auf
Grund dieses männlichen Überschusses zu einer Hypothese über den Erbgang,
anscheinend ohne Kenntnis der Arbeiten von Rosanoff und Luxenburger.
Er meint, daß die — seltene — Form des beobachteten Schwachsinns bedingt
werde durch ein seltenes autosomales Gen und durch ein geschlechtegebun-
denes Gen.
Unter den Müttern der Oligophrenen wiesen 53%, der möglichen Kombi-
nationen Blutsverwandtschaft auf ; die entsprechende Zahl für die Väter betrug nur
14%. Möglicherweise werde also die Krankheitsanlage leichter durch die Mütter
als durch die Väter übertragen, oder sie manifestiere sich leichter, wenn sie
durch die Mütter übertragen werde. Für einen rezessiven Erbgang sprechen sich
weiter Pleger sowie Crew aus.
In einer sehr lesenswerten Arbeit hat A. Strauß eine Reihe von Problemen
zur Entstehung und Klinik der schwersten Schwachsinnsformen in
Kürze erörtert. Die Sondertypen (mongoloide Idiotie, amaurotische Idiotie,
innersekretorisch bedingte Schwachsinnszustände) schließt er für seine Unter-
suchungen aus und betrachtet seine Fälle (etwa 200) zuvörderst mit den Augen des
Neurologen. Erst dann, wenn keine neurologischen Erscheinungen zu finden
sind, könne man vielleicht eine endogene Idiotie annehmen.
Bei der Deutung von Erscheinungen zerebraler Schädigung an Schwach-
sinnigen müsse man die chronogene Lokalisation (Monakow) beachten: das
Gehirn wird in der frühesten Entwicklung — fötel, natal und postnatal — ge-
troffen: die Lokalisation in der Zeit habe — neben der topischen — ihre Be-
deutung. Aber man müsse nicht nur den Zeitpunkt berücksichtigen, an dem eine
Hirnschädigung einsetze, sondern auch bedenken, daß eine Schädigung im kli-
nischen Bilde nach einiger Zeit nicht mehr nachweisbar sein könne. So fand
schon Homburger, daß Störungen, die auf eine extrapyramidale Schädigung
hinwiesen, bis zum 10. Lebensjahr wieder verschwunden waren. A. Strauß
hat deshalb bei seinen Untersuchungen nur Kranke berücksichtigt, die das 10. Le-
bensjahr noch nicht überschritten hatten. Die „Motorik“, die bisher in den
Untersuchungen zu kurz gekommen sei, gebe vielleicht eine Möglichkeit an die
Hand, exogene von endogenen Schwachsinnsformen zu unterscheiden. Nach
seinen Untersuchungen kommen als Ursachen für die Entstehung der schwersten
Schwachsinnsformen in 50—60% Geburtstrauma und Enzephalitis in Betracht.
Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 409
Dabei verweist er im Anschluß an Ph. Schwartz und Spielmeyer nachdrück-
lich auf die Schwierigkeit, aus einem Schaden auf die Pathogenese zu schließen.
Dem Geburtstrauma, mit seinen kreislaufbedingten Defekten, besonders im Ge-
biet der Vena terminalis, komme wohl auf Kosten der summarischen Diagnose
einer frühkindlichen Enzephalitis die größere ursächliche Bedeutung zu. Eine
Veröffentlichung weiterer Ergebnisse, insbesondere auch über das motorische
Verhalten, ist angekündigt.
Über neurologische Untersuchungen an Schwachsinnigen (1000) berichtet
Erik J. Larsen. Auch er bemüht sich dabei um die Klärung ursächlicher
Allerdings umfaßt sein Material auch in 67,2%, Mongoloide, Myxödeme,
Kretine, Dysendokrine, Mikrenzephale, sowie vererbte Defekte ohne neurologische
Erscheinungen. 23,8%, sind Fälle exogenen Schwachsinns: unter den Ursachen
schreibt er ebenfalls den Geburtsschäden eine — allerdings geringere — Rolle zu.
Alkoholismus und Syphilis schätzt er in ihren Wirkungen gering ein, und verweist
darauf, daß syphilitische Mütter nicht selten selber schwachsinnig sind. Unter
28 Zwillingen fand Larsen bei 11 krankhaft neurologische Zeichen (selbst bei
eineiigen). Die Annahme von Geburtsschäden liegt hier besonders nahe.
II.
In einer Reihe von Einzelarbeiten werden therapeutische Fragen im
weiteren Sinne angeschnitten: Eugenik, Erziehung und Unterbringung, Organ-
therapie. Neue Gesichtspunkte sind nicht zu verzeichnen. Bei der Ungeklärtheit
vieler ursächlicher Fragen, wie sie ja auch in den eben besprochenen Arbeiten
noch deutlich genug in Erscheinung tritt, ist auch gegenüber den Erfolgsaussiohten
eugenischer Maßnahmen einige Skepsis angezeigt. Villinger hat schon vor
Jahren (Gesundzfürs. Kindesalt. 5 [1930]) darauf hingewiesen, daß die leichten
Schwachsinnsformen häufig verkannt werden. Davor werden wir wohl nie be-
wahrt bleiben. Auch Larsen hebt hervor, daß bei vielen hereditär Schwach-
sinnigen der Schwachsinn der Eltern relativ gering ist: dadurch werde die Fest-
stellung der Erblichkeit erschwert, gleichzeitig aber die Verbreitung des Schwach-
sinns erleichtert. Die Intelligenz des Volksganzen werde bedroht, weil sich die
Schwachsinnigen auf Kosten der Normalbegabten vermehren (Bruck).
In England (Rep. ment. fic. Comm. 1932) scheint man sich denn auch von
der Sterilisierung keinen wesentlichen Erfolg zu versprechen, da man die leicht
schwachsinnigen Erbträger doch nicht erfassen und nicht sterilisieren könne. Die
Sterilisation solle deshalb auf die asozialen Schwachsinnigen beschränkt werden.
Im übrigen sei in England die Nachkommenschaft der Schwachsinnigen nicht
größer als diejenige der Vollsinnigen.
Über heilpädagogische Bemühungen und Aufgaben, besonders über die Er-
fassung, Schulung und weitere Betreuung von Hilfsschülern berichten Trendtel,
Spornhauer, Lesemann. A.Simons ist auf Grund individualpsycho-
logischer Erwägungen der Meinung, man solle nur Schwachsinnige erheblicheren
Grades in die Hilfsschule schicken; für andere sei das nur eine Entmutigung,
da sie dann amtlich als Schüler II. Klasse abgestempelt würden. Die Ein-
richtung der Heilpädagogischen Abteilung in Uchtspringe und ihre Staffel-
methode schildern H. Bernhard und M. Inglessis.
Die Li pat ren behandlung nach Jaensch wandte F. Majerski in 18 Fällen
29 *
410 Walther Jahrreiss
an ohne greifbaren Erfolg; etwas bessere Ergebnisse erzielte Frieda Lange-
Malkwitz mit Lipatren und Thyroxin bzw. Praephyson. Kinder mit
Neokapillarenbildung zeigten keinen Erfolg; von 7 Kindern mit Archi-
hemmungsbildern ließen 2 sowohl Kapillarentwicklung wie Intelligenzfortschritt
erkennen; 2 nur eine Besserung des Kapillarbefundes.
IH.
Der Streit um die Pathogenese der amaurotischen Idiotie dauert noch
an; ja er wird mit leidenschaftlicher Heftigkeit zwischen Schaffer und Biel-
schowsky ausgetragen. Im letzten Jahrgang (2, H. 10) wurde darüber berichtet.
Da neue Gesichtspunkte nicht angeführt, sondern nur die alten präzisiert wer-
den, kann ich von einem eingehenden Referat hier absehen. Wem es um die
Sache geht, muß ohnehin die Einzelheiten nachlesen. Auch Kufs hat erneut in
diesem Streit Stellung genommen, und seine (auf Spielmeyer-Bielschowsky
und eigene Befunde) gestützte Meinung noch einmal grundsätzlich formuliert.
Es geht nicht an, pathogenetische Beziehungen zwischen Niemann-Pickscher
Erkrankung und der Tay-Sachsschen Krankheit deshalb abzulehnen, weil die
charakteristischen Symptome nicht in jedem Fall vereint beobachtet werden.
Die Niemann-Picksche Krankheit stellt den äußersten Grad einer einheit-
lichen, mit der amaurotischen Idiotie und ihren Phänotypen identischen
Heredodegeneration dar. Schon unter physiologischen Verhältnissen komme dem
Lipoidstoffwechsel im Zentralnervensystem eine besondere Bedeutung zu. Das
häufige Befallensein des Nervensystems von der pathologischen Speicherung von
Lipoiden hänge von einer besonderen histochemischen Struktur seiner Elemente
ab, und nicht von seiner neuroektodermalen Herkunft. Bielschowsky wendet
sich gegen das künstliche System Schaffers, zugunsten des von ihm und anderen
vertretenen „natürlichen“ Systems nicht nur aus empirischen Gründen, sondern
weil er fürchtet, daß sonst die Anbahnung einer kausalen Therapie vereitelt
werden könne.
K. v. Säntha beschreibt eingehend 3 Fälle von infantil amaurotischer
Idiotie (Kinder jüdischer Abstammung), die von Niemann-Pickscher Krank-
heit frei waren. In seinen Folgerungen lehnt er sich weitgehend an Schaffers
Lehrmeinung an. Wichtig sei nicht, daß ee auch — mit Niemann-Pickscher
Krankheit — kombinierte Tay-Sachs-Fälle gebe, sondern daß solche Kom-
binationen sehr selten seien, und daß die reinen Tay-Sachs- Fälle überwögen.
Auf Grund der chemischen Veränderungen im Zentralnervensystem teilt
Epstein die Niemann-Picksche Krankheit in 2 Gruppen: 1. Fälle, bei denen
die typischen zerebralen Veränderungen Symptomenkomplex und Folge der
Niemann-Pickschen Krankheit sind; und 2. Fälle von reiner infantiler amau-
rotischer Idiotie, bei denen pathologisch anatomische Befunde von der charakte-
ristischen Art der phosphatid-zelligen Lipoidose an Leber, Milz, Knochenmark
usw. völlig fehlen.
Die Ammonshornveränderungen bei der amaurotischen Idiotie hat Scherer
eingehend untersucht, und zwar in 10 Fällen (juvenile Formen und 1 Spätfall).
Veränderungen im Endblatt des Ammonshorns hatten Zierl sowie Kufs beobach-
tet. Scherer fand, daß am empfindlichsten gegen die Zellerkrankung der amau-
rotischen Idiotie sind Endblatt und dorsaler Bestandteil, dann folgen Fascia den-
tata und subiculum: in sehr kennzeichnendem Gegensatz zu den Befunden bei
Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 411
vasogenen Schädigungen, wie sie Spielmeyer und seine Schule beschrieben
haben. Es besteht also anscheinend eine elektive Vulnerabilität, und zwar derart,
daß die Schwere der Zellerkrankung bei der amaurotischen Idiotie der physio-
logischen Lipophilie der Zellen parallel geht. Jedenfalls reichen für die Erklärung
dieses Verhaltens weder Besonderheiten der Gefäßversorgung noch zytoarchitek-
tonische Eigentümlichkeiten aus.
Beiträge zur Histopathologie der amaurotischen Idiotie stammen außerdem
von Wenderowic, Sokolansky und Klossowsky. Kasuistische Mitteilungen
bringen Albrecht (3 Fälle von juveniler Form; 2 davon Brüder); sowie Hässler
und Scholz (die durch Hirnpunktion die Diagnose am Lebenden sicherten);
und Ritter, der den einen von 3 Fällen mit gleichem Zustandsbild und gleicher
Vorgeschichte abtrennt, da dieser stationär blieb und schon vor allen Symptomen
im Säuglingsalter Fettsucht zeigte und außerdem mehr das Bild eines angebo-
renen Schwachsinns als einer organischen Demenz bot. Er will diesen Fall der
Laurence-Biedlschen Erkrankung zuzählen.
Den Versuch einer Fermenttherapie, wie sie von Bielsohowsky vorge-
schlagen wurde, hat Vollmer in 2 Fällen von infantiler amaurotischer Idiotie
unternommen. Es handelte sich dabei um Kinder jüdischer Abkunft, deren
gesunde Väter Brüder waren und die je einen gesunden älteren Bruder hatten.
Vollmer gab zunächst dem einen Kind peroral rohe Kalbsmilch und Kalte.
leber als Pressaft und in Substanz; ohne jeden Erfolg. Dem zweiten Kind gab
er je 2ccm eines ätherisch-alkoholischen Gehirnlipoidextraktes in wäßriger
Emulsion (hergestellt von der Firma Promonta) intramuskulär, insgesamt 75 In-
jektionen. Dabei zeigte sich ein bemerkenswerter Stillstand der Krankheit wäh-
rend der Behandlungszeit; mit Einstellung der Therapie trat dagegen sofort
rascher Verfall ein.
IV.
Dem Studium der mongoloiden Idiotie sind wieder eine Reihe von
Arbeiten gewidmet worden. Auch hier steht die Frage nach den Krankheits-
ursachen im Vordergrund.
An erster Stelle sind zu erwähnen die Ergebnisse von Bruno Schulz und
von C. Bennholdt-Thomsen aus der Münchner Kinderklinik. Schulz führt
eine Reihe von Gründen an gegen die Annahme einer einfach erblichen Bedingtheit
des Mongolismus, und wendet sich damit gegen die Ergebnisse von Frau Maklin
(s. d. Z. 1932, H. 10, S. 459), deren Methode er als nicht einwandfrei kritisiert.
Da in der bekannten Monographie von van der Scheer eine eingehende Dar-
stellung der entfernteren Verwandtschaft Mongoloider fehlt, hat Schulz diese
genealogische Betrachtung an 80 Probanden durchgeführt. Er findet in deren Ver-
wandtschaft etwas mehr Schwachsinnige als in der Durchschnittsbevölkerung
und unter diesen Schwachsinnigen wohl auch mehr Mongoloide. Mit der Klein-
heit der Bezugsziffer sei jedoch vorsichtige Stellungnahme angezeigt. Eine
einfache Erblichkeit des Mongolismus läßt sich jedenfalls nicht erweisen. Da-
gegen fand er die Angaben von van der Scheer und anderen bestätigt, daß
Mongolen häufig das letzte Kind sind, und daß die Mütter ein hohes Alter haben.
In seinem Material waren die Mütter mehr als
30 Jahre in 83,7% 40 Jahre und mehr in 43,7%
34 „ „ 67,4% die Väter 45 „, und mehr in 23,7%.
412 | Walther Jahrreiss
Die Väter erwiesen sich an anderen Probandengruppen gemessen als un-
verhältnismäßig jung; die Mütter als unverhältnismäßig alt. Man soll deshalb
raten, eine Schwangerschaft nach dem 35. Jahr zu vermeiden.
Die Entstehung des Mongolismus wird entweder allein auf ein nicht erb-
liches Leiden der Mutter zurückzuführen sein, oder darauf, daß eine erbliche
Anlage besteht, die unmittelbar zum Mongolismus führt, wenn sie bei der Mutter
auf exogen verursachte günstige Bedingung für ihre Manifestation trifft.
Zu ähnlichen Anschauungen kommt Bennholdt-Thomsen. Nicht ein
hohes Eltern-, sondern ein hohes Mutteralter ist von Bedeutung. Ein väterliches
Alter von 50 und mehr Jahren ist ohne nachweisbaren Einfluß auf die Entstehung
kindlicher Krankheiten, insbesondere auf Mongolismus. Da von 382 vierzig-
oder mehrjährigen Müttern 342 keine Mongoloiden geboren haben, andererseits
solche Nachkommen gelegentlich auch von jungen Müttern stammen, kann das
höhere Alter der Erzeugerin keinesfalls für sich, sondern nur in Verbindung mit
einem anderen, gelegentlich auch in früherer Altersperiode gegebenen Momente
den Schadensfaktor darstellen. Folgende Vorstellung zieht Bennholdt-
Thomsen in Betracht: Die für die Einbettung des Eies im Uterus verfügbare
Schleimhautfläche wäre mit steigendem Alter der Frau in zunehmendem Maße
inhomogen ; es würden durch ‚Nidationsschäden‘‘ die besagten Bildungsanomalien
dann entstehen, wenn die Einbettung im Bereiche einer solchen minder geeigneten
Insel der Schleimhaut statthatte, der Keim aber trotzdem zur Entwicklung
gelangt. Dann muß die Wahrscheinlichkeit der Zeugung eines Mongoloiden von
geringen Werten bei der jungen Frau bis zu höheren Werten im Alter ansteigen.
Bei zweieiigen Zwillingen (ähnlich bei Geschwistern) wird die Wahrscheinlichkeit
einer Läsion beider Keime eine geringe, bei eineiigen aber eine absolute sein, wie
es den bisher erhobenen Tatsachen entspricht. Spielt aber ein echtes Erbmoment
beim Mongolismus herein, dann könnte dieses seinen Angriffspunkt bei der
Mutter einerseits, bei der Frucht andererseits finden. Es könnte eine derartige
disseminierte Läsion der Einbettungsfläche aus genotypischen Gründen oeteris
paribus besonders ausgedehnt oder besonders wirksam sein; oder ein patho-
logisches Gen bzw. ein Komplex von zusammenwirkenden Genen, könnte die
Abartung zur Folge haben, wenn dann die ersten auf den Zygoten treffenden
Umwelteinflüsse durch die Veränderung an der Einnistungsfläche manifestierend
und aktivierend wirken. Weitere Angaben über Alter der Mütter bei Mongoloiden
und ihre Stellung in der Geburtenreihe bringen Larsen (unter 63 Mongoloiden
9 Erstgeborene; 2 einzige Kinder; eine von den Müttern war erst 23 Jahre alt),
weiter Giampa (1, von 69 Fällen aus den 3 ersten Schwangerschaften ; hohes
Alter der Mütter (über 40 Jahre) nur (?!) in 10 Fällen) und Pennachietti (von
23 Fällen 12 Mütter älter als 40; nur eine jünger als 28 Jahre; 15 Kinder letzt-
geborene). In den genannten Arbeiten, sowie einer Zusammenstellung von
Edelhaus finden sich außerdem Hinweise auf endokrine Störungen bei Mongo-
lismus, auf die bekannten häufigen Mißbildungen, auf erfolglose Behandlung
mit Drüsenpräparaten.
Über Mongolismus bei Zwillingen berichtet H. Orel. Er stellt 53 Zwillings-
paare aus der Literatur zusammen, und beschreibt eigene neue Fälle: zwei
gleichgeschlechtliche, zweieiige Zwillingspaare. Eine Erblichkeit des Mongolismus
lehnt er ab. Dem hohen Alter der Eltern (?) schreibt er eine gewisse patho-
genetische Rolle zu und nimmt als Hauptursache bisher unbekannte Schädigungen
Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 413
der Keimzellen oder der befruchteten Eizelle an, die sich in bestimmter Richtung
zum Mongolismus auswirken.
Blechmann und seine Mitarbeiter beschreiben eineiige, männliche Zwil-
linge, Erstgeborene junger und gesunder Eltern. Ein jüngerer dritter Bruder
bleibt in seiner Intelligenz hinter dem Durchschnitt zurück.
Einen anscheinend sehr seltenen Fall von Mongolismus in Indien veröffent-
licht Amir Chand.
Penrose hat bei 166 Mongoloiden die Blutgruppen bestimmt. Es fanden
sich keine Beziehungen zur mongolischen Rasse (Nordchinesen). Über Star-
bildung bei mongoloider Idiotie berichtet Elschnig (Literatur) und rät zu
möglichst früher Operation. Welker hat in 18 Fällen Schädelröntgenbilder
untersucht und findet: Hypoplasie der Nasenbeine, des Oberkieferbeins, der
Nasenscheidewand ; mangelhafte Pneumatisation der Keilbeinhöhlen und des
Sinus frontalis.
Villaverde beschreibt Veränderung im Kleinhirn eines Mongoloiden, die
er als Folgen einer Schädigung nach vollendeter Entwicklung deutet, und nicht
als Bild einer Entwicklungshemmung.
Über „mongoloide Debilität‘ berichtet I. S. Galant, als einer Untergruppe
mongoloider Schädigung. Diese sehr diskutable Auffassung bedarf jedoch aus-
gedehnter Nachprüfung.
W.v. Wieser hat erneut über seine Röntgentherapie des Schwachsinns
und des Mongoloidismus gearbeitet. Der Erfolg erstrecke sich auf Besserung
des körperlichen Zustandes (Längenwachstum, Verringerung der Anfälligkeit
gegen katarrhalische Erkrankung usw.), sowie auf Besserung der motorischen und
intellektuellen Schwerfälligkeit. Die Förderung könne bis zur Hilfsschule, ja
bis zur Normalschulfähigkeit gehen. Wieser fand in der Diskussion zu seinem
Vortrag zum Teil in vorsichtiger, zum Teil in ziemlich positiver Form Zustimmung
(Schroeder, Leipzig; Gabriel, Frankfurt; Kroener, Schleswig; besonders
von Linhart, Maller und Viehmann, Wien).
V.
Uber tuberöse Sklerose sind einige, vorwiegend kasuistische Beiträge
erwähnenswert. Jos. H. Globus, Strauß und Selinsky berichten über
11 Fälle von Hirntumor bei vollentwickelter oder symptomenarmer tuberöser
Sklerose. Klinisch war die Lokaldiagnose schwierig; anatomisch waren die Fälle
gekennzeichnet durch den Sitz des Tumors in der striothalamischen Region;
durch den histopathologischen Befund (Anordnung der Tumorzellen in Nestern
und Vorwiegen der Spongioblasten unter den Zellen); außerdem fanden sich
tuberöse Knötchen im Gehirn. Da in diesen Knötchen wie in den Tumoren
Spongioblasten und Neuroblasten vorkommen, schlagen die Verfasser die Be-
zeichnung „Neurospongioblastoma disseminata“ vor, besonders, wenn diese Ge-
schwülste mit der tuberösen Sklerose zusammen vorkommen.
Bychowski untersuchte einen 22jährigen, intellektuell nicht geschädigten
Tischler, der bis zum 5. Jahr epileptische Anfälle hatte; dann Naevi sebacei
und Naevi molles Pringle im Gesicht und am Rücken aufwies. Seit einem Jahr
Tumorsymptome: doppelseitige Stauungspapille, Kopfschmerzen, Vergrößerung
des Türkensattels, Kalkherde an der Rindenoberfläche: tuberoskleröser Herd, der
eine Geschwulst vortäuscht oder Gliom ?
414 Walther Jahrreiss
Ausgeprägte und symptomenarme Formen von tuberöser Sklerose bei Ge-
schwistern fanden Critchley und Earl unter ihrem Material von 29 Probanden.
Über eine familiäre, hereditäre Form von tuberöser Sklerose berichtet Koenen:
6 Fälle in 3 Generationen; keine Blutsverwandtschaft der Eltern oder Groß-
eltern. 4 weitere Familien werden aus der Literatur zusammengestellt. Unter
den Symptomen seiner Fälle erwähnt Koenen subunguale Geschwülste, die im
Berichtsjahr von dermatologischer Seite durch Busch besonders beschrieben
werden. Er findet solche subunguale Fibromatose bei Frauen häufiger als bei
Männern; oft ist sie verbunden mit Adenoma sebaceum, mit Papillombildung
der Mundschleimhaut oder Zunge; immer mit peychischen Störungen. Sie ent-
wickelt sich meist erst um die Pupertät. Die ganze Nagelbettfläche an Fingern
und Zehen ist von papillomartigen Tumoren besetzt bis auf Reste des Nagels.
Mikroskopisch handelt es sich bei diesen Wucherungen, deren diagnostischer
Wert für die tuberöse Sklerose unterstrichen werden soll, um Bindegewebever-
mehrung mit starker Erweiterung der Lymphgefäße.
Eine xerodermatische Idiotie, die in ihren ausgeprägten Bildern zur
Gruppe der tuberösen Sklerose gehöre, und eine heredodegenerative, familiäre
Anomalie mit vorwiegendem Befallensein des Ektoderms darstelle, beschrieben
de Sanctis und Cacchione. 3 Brüder erkrankten im Alter von 3—4 Monaten
an einem pigmentierten Xeroderm der Haut, das sich allmählich in epheliden-
ähnliche Flecken an den unbedeckten Körperstellen umwandelte. Es bestand
Hypoplasie der Hoden; harmonischer Kleinwuchs ohne Mikrozephalie; ver-
zögerte Sprachentwicklung, schließlich gänzliche Rückbildung der Sprache und
Idiotie.
VI.
Eine Reihe von Mikroze phalen erwähnt Larsen in seiner Arbeit (28 Fälle;
in fünfen mehrere in einer Familie). Bela Hechst stellt aus der Literatur 4
Mikrozephale ohne geistige Defekte zusammen (normophrene Mikrozephale)
und beschreibt selber eine 73jährige Frau mit einem Schädelumfang von 50,1 cm
und einem Hirngewicht von 850g (frisch mit Pia). Weder in den Windungen
noch in der Rindenstruktur fanden sich Zeichen einer senilen Atrophie. Weder
in der Myelo- noch in der Zytoarchitektonik der Großhirnrinde waren Abweichun-
gen in bezug auf Zelldichtigkeit, Breite der einzelnen Schichten, Zahl der Mark-
fasern, Größe und Form der Zellen gegenüber einem gleichaltrigen normal großen
Gehirn nachzuweisen.
Lesenswerte kasuistische Beiträge über 4 Mikrozephale sowie über Pubertas
praecox bei einem 5 ½ jährigen Imbezillen mit epileptischen Anfällen stammen
von Kürbitz.
VII.
Unter den Arbeiten klinischen, pathopsychologischen und neuro-
logischen Inhaltes sind besonders hervorzuheben diejenigen von Neustadt,
Helene Geiger, Inge Steinmann und Werth. Neustadt schildert und
analysiert Drangzustände bei Schwachsinnigen. Sie kommen sehr häufig vor,
(90% der erethisch Imbezillen in Anstalten) haben aber kaum eine literarische
Bearbeitung gefunden. Die Gleichförmigkeit des Krankheitsablaufs wird betont,
und die Abgrenzung gegen klinisch verwandte Bilder anderer Genese durch-
t
Die angeborenen und früh erworbenen Schwachsinnszustände 415
geführt: kataton-schizophrene Zustände, epileptische Erregungen, besonders
aber Drangzustände der chronisch-epidemischen Enzephalitis. Im Verlauf ist
das Nachlassen der enzephalitischen Erregungen um die Pubertät kennzeichnend
gegenüber den Drangzuständen Schwachsinniger, deren Höhepunkt in die
zweite Hälfte der Pubertät fällt und die in der Nachpubertät allmählich erlöschen.
Den Kranken selbst erscheint ihr Verhalten unerklärlich, ungewollt und un-
angenehm.
Inge Steinmann berichtet über Mitbewegungen bei aktiven Bewegungen
unter Hilfsschulkindern aus Göttingen (80 Fälle bis zu 15 Jahren) und vergleicht
die Ergebnisse mit denen, die sie an 40 Normalschülern fand. Unter den 80
fanden sich 2 Linkshänder, unter den 40 einer. In beiden Gruppen nahmen die
Mitbewegungen mit zunehmendem Alter ab; bei den Hilfsschulkindern waren
die Mitbewegungen jedoch häufiger und stärker ausgeprägt. Am deutlichsten
traten sie auf beim Zehenspreizen. Bei einem Kind aus der Normreihe wurden
die überhaupt erheblichsten Mitbewegungen beobachtet; und zwar bot dieses
Kind auch die — seltenen — Mitbewegungen bei passiven Bewegungen dar.
(Das Kind zeigte beim Schreiben Zittern ; war also doch wohl neurologisch nicht
unversehrt!)
Im Anschluß an frühere Beobachtungen von Bostroem schreibt Werth
über Abortivformen der Athetose (6 Fälle). Sie zeichnen sich in psychischer
Hinsicht aus durch gesteigertes Selbstgefühl, läppisch heitere Stimmungslage,
plumpes und taktloses Benehmen und durch eine deutliche Neigung zum Witzeln.
Daher lassen sie die rechten adäquaten Gemütsäußerungen vermissen, sind
träge, bequem, ohne ernste Zielsetzung und Ehrzeiz. Sie erscheinen schwach-
sinniger als sie in Wirklichkeit sind ; ihre affektive Eigenart, die der athetotischen
ähnelt, ist am Aufbau der Intelligenzschwäche jedenfalls mehr beteiligt als eine
eigentliche Urteilsstörung. Auch die motorischen Eigentümlichkeiten sind denen
der Athetotiker verwandt: Mitbewegungen im Gesicht, an den Händen; Pseudo-
babinski (C. u. O. Vogt), clownhaftes Grimmassieren, Vollzug feinerer Be-
wegungen unter großem Kraftaufwand. Als Ursache wird eine organische Hirn-
schädigung angenommen (angeboren; Geburtsschaden; frühkindliche Erkran-
kung) ohne Progredienz.
Helene Geiger berichtet über motorische Infantilismen und Magnus-
sche Reflexe; beide werden bei zerebral geschädigten, zurückgebliebenen Kindern
häufig beobachtet, und zwar ist die Altersgrenze gegenüber der Norm in die Höhe
gesetzt. Für das zunehmende neurologische Interesse bei den Untersuchungen
Schwachsinniger spricht auch eine Arbeit von Pei per: Bewegungs- und Atem-
störungen bei Säuglingen.
Zur Frage der Kapillarmikroskopie sei hier auf das Sammelreferat von
Suckow verwiesen. Engere Beziehungen zwischen Schwachsinn und pri-
mitiven Kapillarstrukturen scheinen ihm nicht erwiesen zu sein.
Bei 221 ungarischen Hilfsschulkindern fand Doback in einem Drittel
Anomalien der Skelettreifung (Beschleunigung oder Verzögerung), und zwar be-
sonders häufig bei Schwachsinnsformen endokrinen Ursprungs. Mongoloidismus
und Hypogenitalismus sollen eine beschleunigte Reifung ausschließen.
Über Eidetik bei Schwachsinnigen berichtet Sági. Er hat 131 Hilfsschüler
im Alter von 6—19 Jahren untersucht, nach der Methodik der Brüder Jaensch
und in wiederholter Prüfung mit 4monatiger Pause. Latente Fälle werden nicht
416 Walther Jahrreiss
beachtet, sondern nur die „offenkundigen“, die tatsächlich auf dem Projektions-
schirm mit offenen Augen etwas gesehen haben. Er findet: unterhalb des In-
telligenzalters von 4 Jahren keinen Eidetiker. Vom Gesamtmaterial sind 70 =
53, 4% eidetisch ; 61 = 46,6% nicht eidetisch. (Wenn man die Fortbildungsschüler
abrechnet, steigt die Verhältniszahl der Eidetiker auf 55,1%.)
Eine relativ hohe Zahl von Eidetikern findet sich unter den Besten im Lesen
und Schreiben, den Schwächsten im Rechnen; von Nichteidetikern unter den
Besten im Zeichnen.
Endogen (endokrin) Schwachsinnige sind häufiger eidetisch als exogene
Formen. Fälle mit familiärer Spasmophilie erwiesen sich ohne Ausnahme als
eidetisch.
Die Eidetik ist ein transitorisch veränderlicher, kein konstitutioneller Zu-
stand; sie ändert sich in ihren Anteilszahlen nicht parallel mit dem Lebensalter,
sondern schubweise mit den Entwicklungsphasen.
Zur Frage der geistig minderbegabten, aber trotzdem einseitig talentierten
Kinder (Gedächtnis, Ausdruckafähigkeit, musikalische Talente) nimmt Pézalla
Stellung; ihre sachgemäße Förderung sei nur in Hilfsschulen möglich. Die
Arbeiten von Else Schwab und von Gottschaldt mögen als Beispiele dafür
gelten, daß es nirgendwo mehr befriedigt, Schwachsinnige mit Intelligenztests
zu prüfen, oder auch nur deren Ergebnis in den Mittelpunkt zu stellen.
Allen ernsthaft Bemühten schwebt als Ziel eine Erfassung der Gesamtpersönlich-
keit vor; so etwa bei E. Schwab eine Analyse der Aufmerksamkeit, Wahr-
nehmung, Merkfähigkeit, höheren Intelligenzfunktionen und Fertigkeiten wie
Sprache, Schlußfolgern, Urteilen, Kombinieren, Lesen, Schreiben, aber auch des
Gefühls- und Willenslebens und der Motorik. Gottschaldt versetzt die Prüflinge
in besondere Handlungssituationen, um einen Einblick in die Persönlichkeits-
struktur (Hinnahme von Erfolg oder Mißerfolg, Wahl bestimmter Befriedigungs-
und Ersatzformen usw.) zu gewinnen.
Zum Schluß sei auf ein Lehrbuch für Hilfsschullehrer hingewiesen, das
F.Chotzen in 3. Aufl. erscheinen ließ. In einer Zeit, in der viel praktische
Aufklärungsarbeit von Ärzten erwartet und verlangt wird, wird es manchem be-
sonders willkommen sein.
Literatur.
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Forschungsergebnisse.
(Aus dem Kaiser Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch).
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde
von A. E. Kornmüller.
Mit 3 Abbildungen.
Inhalt.
I. Nomenklatorisches.
II. Einleitung.
III. Die Feldeigenströme.
A. Untersuchungen am Kaninchen.
a) Typen.
b) Lokalisation.
c) Bioelektrische Hirnkarte der dorsalen Konvexität.
d) Die Beziehung der einzelnen Typen zu den Bautypen der architek-
tonischen Felder.
B. Untersuchungen an Katzen und Affen.
IV. Die Feldaktionsströme.
V. Die Modifikationen der bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde unter
unphysiologischen Bedingungen und die Krampfströme.
VI. Das bioelektrische Verhalten des gesamten architektonischen Feldes, seiner
Grenzen und das gleichzeitige Verhalten verschiedener Areae auf Grund mehr-
facher gleichzeitiger Ableitungen.
VII. Allgemeinere Schlußfolgerungen.
VIII. Diskussion und Arbeitshypothese zu den bioelektrischen Erscheinungen der
Großhirnrinde.
Nomenklatorisches.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde, die am normalen
Tier auch bei möglichster Ausschaltung von peripheren Sinnesreizen vorhanden
sind, und die keine strengen zeitlichen Beziehungen zu solchen oder zu effek-
torischen Leistungen des Individuums haben, werden hier als Feldeigenströme
(FES) bezeichnet. Die Begründung der Bezeichnungen wird weiter unten dar-
gelegt. Diese Erscheinungen wurden früher Ruheströme, spontane Schwan-
kungen oder stationäre Ströme genannt.
Wirkt auf das Versuchstier ein physikalischer Reiz, so können unter bestimm-
ten Voraussetzungen, je nach dem erregten Sinnesorgan, von gewissen Arealen
der Großhirnrinde Stromschwankungen registriert werden, die wir als Feld-
aktionsströme (FAS) bezeichnen wollen. Letztere treten aus dem Bild der Feld-
eigenströme durch Besonderheiten ihres Ablaufes hervor und sind durch eine
strenge zeitliche Gebundenheit an den Reiz charakterisiert. Falls solche gefun-
den würden, wären in diese Gruppe auch diejenigen Ströme zu rechnen, die mit
einer anderen Leistung afferenter oder mit Leistungen efferenter Nerven in
420 A. E. Kornmüller
strenger zeitlicher Abhängigkeit ständen. Die FAS sind am ausgeprägtesten
bei plötzlichen Reizänderungen.
Schon relativ geringe Abänderungen der physiologischen Bedin-
gungen sind imstande, die genannten bioelektrischen Erscheinungen zu modi-
fizieren. Umgekehrt sind bei unseren Tierexperimenten die Modifikationen
des normalen bioelektrischen Kurvenbildes sehr feine Indikatoren einer
Zustandsänderung des Gehirns. Abnorme Zustände des Gehirns können zu
extremer Abänderung des bioelektrischen Normalbildes, sowohl zum völligen
Verschwinden aller elektrischen Spannungsproduktionen als auch zu enormen
Steigerungen derselben, führen. Letztere bezeichnen wir als Krampfströme (K S).
Sie bilden sich auf dem Boden einer starken Übererregbarkeit der Hirnrinde und
können motorischen Krämpfen zeitlich entsprechen.
Einleitung.
Meine bisherigen Studien!) über die bioelektrischen Erscheinungen der Groß-
hirnrinde haben u.a. ergeben, daß sowohl die bioelektrischen Erscheinungen
auf peripheren Sinnesreiz als auch die unter physiologischen Verhältnissen trotz
möglichster Ausschaltung peripherer Reize vorhandenen „Feldeigenströme“
streng an architektonische Rindenfelder gebunden sind.
In der vorliegenden Arbeit soll über neuere Ergebnisse meiner Untersuchungen
zusammenfassend berichtet werden. Diese betreffen vornehmlich die Feldeigen-
ströme, also diejenigen bioelektrischen Erscheinungen, welche unter den ein-
fachsten Versuchsbedingungen registrierbar sind und darum eher eine Vertiefung
unserer Kenntnisse von den bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde
versprechen. Bereits von den Aktionsströmen können wir zurzeit noch nicht
behaupten, daß diese annähernd ebenso physiologische Tatbestände darstellen,
was wir weiter unten ausführen wollen.
Während die spontanen Stromschwankungen des Gehirns bis jetzt keine syste-
matischen Bearbeitungen erfuhren, sind über die Aktionsströme in den letzten Jahren
außer von uns solche von einigen Autoren, S. H. Bartley und Mitarbeiter, G. H.
Bishop, M. H. Fischer, L. E. Travis und R. Y. Herren, erschienen. Die ersten
Beobachtungen über umschriebene negative Schwankungen des Gehirns bei peri-
pheren Sinnesreizen, freilich ohne Registrierung, stammen von Caton?), Beck?) und
Fleischl von Marxow.*) Bezüglich weiterer bioelektrischer Literatur verweisen
wir auf die Angaben in den Arbeiten von H. Bergers), Kornmüller“), M. H.
Fischer’) und K. Wachholder). Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen,
1) A. E. Kornmüller, Psychiatr. neur. Wschr. 84, 25 (1932). (Voranm.);
J. Psychol. u. Neur. 44, 447 (1932) (I. Mitt.); Vortrag auf der Tagung d. Ges. Deut-
scher Nervenärzte 1932, Dtsch. Z. Nervenheilk. 180, 44 (1933) (II. Mitt.); J. Psychol.
u. Neur. 45, 172 (1933) (III. Mitt.).
2) Caton, Brit. med. J. 2, 278 (1875). Ref. Zbl. Physiol. 4, Nr. 25 (1890).
3) Beck, Abh. d. Akad. d. Wiss. Krakau 1890. Zbl. Physiol. 4, 473 u. 572
(1890); Beck u. Cybulski, Zbl. Physiol. 6, 1 (1892).
) Fleischl von Marxow: Zbl. Physiol. 4, 537 (1890).
5) H. Berger, Arch. f. Psychiatr. 87, 527 (1929); 94, 16 (1931); 98, 231 (1932);
99, 555 (1933); J. Psychol. u. Neur. 40, 160 (1930).
6) Kornmüller, l. c. bes. I. Mitt.
7) M. H. Fischer, Pflügers Arch. 280, 161 (1932).
83) K. Wachholder, Die allgemeinen Grundlagen der Neurologie IV. Teil;
Fortschr. Neur. 4, 101 (1932).
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 421
daß zu der Zeit, als wir an dieses Arbeitsgebiet herangingen, die Tatsache, daß das
Gehirn lokalisierbare Spannungsproduktionen zeigt, allgemein wenig bekannt war,
und daß den wenigen Beobachtungen der älteren Autoren allergrößte Skepsis ent-
gegengebracht wurde. Es ist Tatsache, daß man selbst in Handbüchern der Jahre
zuvor, wie auch in anderen zusammenfassenden Darstellungen, nicht einmal An-
deutungen von der Möglichkeit der Ableitung bioelektrischer Erscheinungen der
Großhirnrinde findet. |
Während es uns daran gelegen war, mittels der bioelektrischen Erscheinungen
Lokalisation auf der Großhirnrinde zu treiben, was durch meine unipolare Ab-
leitung und durch die Verknüpfung mit der Hirnrindenarchitektonik möglich
wurde, nimmt Hans Berger Ableitungen vom Schädel als Ganzes vor. Der
genannte Autor hat das sog. Elektrenkephalogramm beschrieben, eine elektrische
Erscheinung, die über den ganzen Schädel gleichartig verläuft. Das E.E.G. hat
keinerlei lokalisatorische Ergebnisse gebracht. Bei der Deutung seiner Ergebnisse
geht Hans Berger meist auf peychologische Vorstellungen zurück. Im Gegen-
satz dazu ist die Grundlage meiner Untersuchungen die Morphologie und im be-
sonderen die Hirnrindenarchitektonik. Diesbezüglich verweisen wir noch auf
die Ausführungen unserer Meinung über das Lokalisationsproblem in dem Ab-
schnitt „Feldaktionsströme“.
Nicht unerwähnt sei hier eine Arbeit von Präwdicz-Neminski!) über das
„Elektrozerebrogramm der Säugetiere“, der bei bipolarer Ableitung von dem „op-
tischen und motorischen Gebiet“ Oszillationen von 11—14—16 Frequenz pro Sekunde
mit einem Saitengalvanometer registriert hat. Diese anscheinend nicht weitergeführ-
ten Untersuchungen stehen in ihren Ergebnissen den Bergerschen sehr nahe.
In der vorliegenden Mitteilung soll über weitere Ergebnisse berichtet werden,
die die Verknüpfung bioelektrischer Studien mit der Rindenarchitektonik er-
gaben. Es sollen auch feinere Beziehungen zwischen den bioelektrischen Wellen-
abläufen und den Einzelheiten des Baues der Hirnrinde aufgezeigt werden. Wir
möchten meinen, daß die mitzuteilenden Ergebnisse geeignet sind, den großen
heuristischen Wert der Verknüpfung mit der Architektonik zu zeigen, und daß
sie andererseits dazu drängen, jegliche Lokalisation auf der Großhirnrinde, auch
die nach Funktionen, und jegliche Großhirnrindenphysiologie auf Grundlage
der Morphologie zu betreiben. Wir sind uns bewußt, daß ein solches Vorgehen
allein nicht geeignet ist, alles zu klären, und daß unsere daraus gebildeten Vor-
stellungen an der Wirklichkeit gemessen sehr dürftig sein mögen. Die Morpho-
logie jedoch müssen wir entschieden als die sicherste Basis jeglicher Hirnforschung
betrachten.
Methodik.
Wie bereits erwähnt, sind die normalen bioelektrischen Spannungsproduk-
tionen sehr leicht alterierbar, auch im Sinne einer Abschwächung. Das mag
auch der Grund sein, weshalb viele Autoren die älteren Befunde nicht bestätigen
konnten, weil sie wohl tierexperimentell zu wenig schonend vorgegangen sein
mögen. Den operativen Eingriff so gering und schonend als nur
möglich zu gestalten, ist eine Hauptforderung auch für solche Experi-
mente. Man arbeitet am besten in Lokalanästhesie. Narkotica haben ver-
ständlicherweise Einfluß auf das normale bioelektrische Bild, und zwar haupt-
1) Präwdicz-Neminski, Pflügers Arch. 209, 362 (1925).
422 A. E. Kornmüller
sachlich auf die Aktionsströme. Die Lokalanästhesie soll auch nicht unterlassen
werden, wenn an völlig kuraresierten Tieren gearbeitet wird. Kurare hat gewiß auch
einen Einfluß auf die elektrische Spannungsproduktion, sowohl wegen einer ge-
ringen primären Wirkung auf das Gehirn als auch infolge einer sekundären Wir-
kung zufolge der notwendigen künstlichen Atmung. Letzteres vor allem mag
der Grund sein, weshalb unter Kuraresierung ein Experiment bei weitem nicht
so viele Stunden lang durchgeführt werden kann, als wenn man ohne Kurare
arbeitet. Trotz alledem sind Experimente an kuraresierten Tieren für viele
Fragestellungen sehr vorteilhaft, ja häufig sogar unerläßlich. Die Trepanation
und das Freiliegen der Hirnoberfläche bei zurückgeschlagener Dura können
ebenfalls eine abnorme Abschwächung oder Verstärkung der bioelektrischen
Spannungsproduktion hervorrufen, indem unter diesen Bedingungen die Hirn-
rinde Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen unterliegt oder sogar ver-
sehentlich trocken werden kann. Deswegen ist bei bloßliegender Hirnoberfläche
für gleichmäßige, den physiologischen Bedingungen entsprechende Bespülung
derselben mit Ringerscher Lösung und Erwärmung dieser wie auch des ganzen
Tieres zu sorgen. Mit diesen Schwierigkeiten hat man viel weniger zu kämpfen,
wenn die Dura unversehrt belassen bleibt. Nur bietet die Dura nicht so viel
topographische Anhaltspunkte, wie sie die feine Gefäßzeichnung der Pia aufweist.
Außerdem dürfte die Liquorschicht eine geringe Streuung der Ströme, die aber
gewiß für viele Fragestellungen unwesentlich ist, zur Folge haben. Mit der Zeit
hat sich aus gemeinsamen Untersuchungen mit J. F. Tönnies!) auf Vorschlag
des letzteren für viele Fragestellungen folgendes Vorgehen als sehr zweckmäßig
ergeben: Nach Zurückschlagen der Kopfschwarte und Abschaben des Periosts
werden feine Bohrlöcher von etwa 2 mm Durchmesser durch den Knochen bis
an die Dura angelegt und durch diese mit Metallelektroden abgeleitet. Daß unter
diesen Bedingungen das physiologische Milieu der Hirnoberfläche am besten
gewahrt bleibt, ist verständlich. Die Ergebnisse sind bei einem solchen Vorgehen
am konstantesten. |
Zur Ableitung wurden außer unpolarisierbaren Tonstiefelelektroden auch
verschiedene Metallelektroden verwendet, und zwar vornehmlich Silbernadeln mit
einem kugeligen Ende, welche bis auf letzteres mit eingebranntem Isolierlack
überzogen waren.
Im Gegensatz zu den anderen Autoren leiten wir unipolar vom Gehirn ab.
Diese Art der Ableitung schien mir von Anfang an als die einzig mögliche für lokali-
satorische Fragestellungen. Die indifferente Elektrode wird z. B. an das bloß-
liegende Nasenbein oder an eine andere Stelle des Kopfes, die sich nach einer
Prüfung als frei von Potentialschwankungen erweist, gelegt. Darauf ist ganz
besonders zu achten. Sonst können sich bei Ableitung von zwei verschiedenen
Stellen Parallelitäten der Kurven ergeben, welche von der indifferenten Elektrode
herrühren, was die reinliche bioelektrische Differenzierung der Hirnoberfläche
erschweren würde. Am kuraresierten Tier wurde die indifferente Elektrode häufig
an die Kornea eines gut abgedunkelten Auges gelegt. Meist wurden sogar zwei
unpolarisierbare Tonstiefel als indifferente Elektrode verwendet, um den Wider-
stand im Ableitungskreis und damit die Störmöglichkeiten, vor allem von seiten
des Wechselstromnetzes und der elektrischen Reizmarkierung, zu verringern.
1) J. F. Tönnies, J. Psychol. u. Neur. 45, 154 (1933) u. III. Mitt. d. Verf. Le
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 423
Dies zeigte sich zweckmäßig, obwohl unser bioelektrisches Laboratorium ein
Faradaykäfig ist und sämtliche darin befindlichen elektrischen Apparate sowie
die Beleuchtung mit Gleichstrom gespeist werden.
Zur Registrierung verwendeten wir folgende Apparaturen:
L Den von J. F. Tönnies!) in unserem Institut entwickelten und kon-
struierten Neurographen.
Der Apparat besteht im wesentlichen aus einem Verstärker, der vom Gehirn
abgeleitete Spannungen so weit verstärkt, daß sie imstande sind, eine tinten-
gefüllte Schreibfeder in Bewegung zu setzen, womit die Stromschwankungen
naturgetreu auf einem Papierstreifen von 4,5cm Breite aufgezeichnet werden.
Die naturgetreue Aufzeichnung wird weitgehend dadurch ermöglicht, daß der
Verstärker ein Gleichstrom verstärker ist. Dieser ist auch imstande, die häufig
vorkommenden langsamen Stromabläufe unvermindert wiederzugeben. Der
Verstärker besteht aus drei Vorstufen und einer Endstufe. Der Vorverstärker
ist getrennt von dem Endverstärker, der mit dem Schreibgerät eine bauliche
Einheit darstellt. Durch eine sog. „Gegentaktschaltung‘‘ wird die Verzerrung
durch die Krümmung der Rohrcharakteristiken, sowie die Störmöglichkeit ver-
ringert. Nur dadurch wurde es möglich, eine Verstärkung der Eingangsspannung
auf etwa das 10-Millionenfache und eine Verstärkung der Eingangsleistung auf
mehr als das Billionenfache zu erzielen. Die volle Empfindlichkeit wird nur für
ganz bestimmte Fragestellungen ausgenutzt. Verschiedene Stufen der Empfind-
lichkeit sind einschaltbar. Der große Vorteil des Tönniesschen Neurographen
ist neben anderen vor allem der, daß eine unmittelbar sichtbare Niederschrift der
Stromschwankungen auf Papier erfolgt, so daß man in jedem Augenblick über
die bioelektrischen Abläufe genauest im Bilde ist, Störungen erkennen kann,
notwendige Abänderungen der Versuchsanordnung sich daraufhin treffen lassen
u.a.m. Diese Registrierung kann wegen ihrer geringen Unkosten außerdem
beliebig lange fortgesetzt werden, was bei den photographischen Registrierungen
nicht der Fall ist. Falls die bioelektrische Lokalisationsmethode klinisches In-
teresse bekommen sollte, so wäre der Neurograph, besonders am Operationstisch,
das geeignetste Registrierinstrument. Die vorliegenden Untersuchungen wurden
hauptsächlich mit dem Neurographen Modell 2 ausgeführt. Bei gleichzeitigen
mehrfachen Ableitungen wurde außerdem mit dem Neurographen 1 registriert,
oder aber es wurde an den Verstärker des letzteren eine Oszillographenschleife
(siehe weiter unten!) angeschlossen.
2. Ein Einthovensches Saitengalvanometer von der Firma Eiga, Leyden.
J.F.Tönnies hat dazu noch einen einstufigen Gleichstromverstärker kon-
struiert, der für das Zusammenarbeiten mit dem Einthoven-Galvanometer
besonders eingerichtet ist. Dieser erlaubt einerseits mit größter Saitenspannung
zu arbeiten und erhöht andererseits die Empfindlichkeit auf etwa das 6fache.
3. Eine Oszillographenschleife mit 3000 Hertz Eigenschwingungszahl, die
an die Endstufe eines Neurographenverstärkers angeschlossen ist.
Alle Verstärker sind so geschaltet, daß die indifferente Elektrode geerdet
werden kann, wodurch die Störmöglichkeit geringer wird. So können die Ver-
stärker ohne gegenseitige Beeinflussung gleichzeitig arbeiten.
1) J. F. Tönnies, Vortrag auf der Tagung d. Gesellschaft Deutscher Nerven-
ärzte 1932, Dtsch. Z. Nervenheilk. 180, 60 (1933). Ein erstes Modell des Neurographen
ist beschrieben in Naturw. 20, 381 (1932).
Neurologie V, 10 30
424 A. E. Kornmüller
Der physikalisch- technische Teil der Methodik erfuhr durch J. F. Tönnies
sehr große Förderung. Dieser beteiligte sich an allen Experimenten und Frage-
stellungen, außer den morphologischen. Er wird über seine Ergebnisse an
anderer Stelle berichten.
Die Ableitestellen werden während des Experimentes in eine detaillierte
Skizze der Hirnoberfläche, in welcher die Gefäße der weichen Hirnhaut als An-
haltspunkte eingezeichnet wurden, eingetragen und auf Grund dieser am Ende
des Experimentes durch je einen feinen Einstich in der Hirnrinde markiert. Zur
genauen Lokalisation der Ableitestellen wurden die architektonischen Rinden-
felder verwendet. Dazu wurden die Hemisphären in Paraffin eingebettet und dann
stets so weit als nötig in Serien geschnitten. (Siehe I. Mitt. d. Verf.!).
Die Feldeigenströme (FES).
Es sind also bei tunlichster Ausschaltung peripherer Sinnesreize unter physio-
logischen Verhältnissen ständige Potentialschwankungen von der Hirnoberfläche
ableitbar, welche wir als Feldeigenströme bezeichnen. Sind die physiologischen
Bedingungen am besten gewahrt, dann sind sie am ausgeprägtesten. Verschlech-
terungen dieser Bedingungen können sie vermindern oder gar aufheben. Dies ist
bei den FES viel leichter der Fall als bei den bioelektrischen Effekten auf peri-
pheren Sinnesreiz. Andererseits können die FES bei den verschiedensten Reizen
eine unphysiologische Verstärkung erfahren, welche bis zu bioelektrischen Äqui-
valenten von Hirnkrämpfen führen können. Letztere sind durch mehrfach größere
Spannungsproduktionen und häufig durch höhere Frequenzen neben anderem
gekennzeichnet 1). Anschließend an diese Erscheinungen sind oft nur sehr
schwache oder gar keine FES zu beobachten, wohl ein Ausdruck von Erschöpfung
durch den krampfartigen Zustand. Die Bilder von FES, die schon Übergänge
zu „Krampfströmen“ darstellen, sind sehr vielgestaltig und variabel. Wir werden
weiter unten versuchen, Gesetzmäßigkeiten in der Abänderung der physio-
logischen Bilder aufzuzeigen.
a) Typen.
Die Registrierung der Abläufe der FES zeigt vorerst eine große Mannig-
faltigkeit an Kurvenbildern. Einige Beispiele vom Kaninchen zeigt Abb. 1.?)
Diese Kurven ergeben sich bei Tieren, deren Zustand so physiologisch wie möglich
gehalten wird. Jede dieser Kurvenformen ist an ein bestimmtes architektonisches
Feld gebunden. Die einzelnen Kurven sind qualitativ verschieden. Über ge-
‘wissen architektonischen Feldern zeigen die FES eine ausgesprochene periodische
Wiederkehr von Wellen bestimmter Frequenz. Bei diesen wollen wir die Frequenz
in Hertz, also der Zahl der Schwingungen pro Sekunde, angeben. Über manchen
architektonischen Feldern ist nur eine Frequenz vorhanden, über anderen zwei
bis drei. Die Abläufe einzelner Frequenzen können mehr oder weniger regelmäßig
aufeinander folgen. Andererseits aber können sie sich teilweise oder vollständig
überlagern. Andere architektonische Felder wiederum zeigen keine Periodizität
1) S. II. Mitteilung d. Verf. u. M. H. Fischer, Med. Klin. 29, 15 (1933).
2) Die Kurven dieser Abbildung stammen mit Ausnahme von Pstr von einem
Tier und sind innerhalb einer sehr kurzen Zeit hintereinander registriert worden. In
einer großen Reihe solcher Experimente ergaben sich immer wieder diese typischen
Bilder.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 425
ihrer FESabläufe. Bei diesen wollen wir die Zeitdauer der einzelnen Abläufe in
Sigmen angeben. Neben den qualitativen weisen die FEStypen noch quan-
titative Unterschiede gegeneinander auf. Es ist also beispielsweise ein und
dieselbe Frequenz in zwei Kurven verschiedener architektonischer Felder vor-
handen, doch die Amplituden sind immer in ihren Durchschnittswerten ver-
schieden.
Im folgenden wollen wir die typischen FESkurven verschiedener archi-
tektonischer Felder der dorsalen Konvexität des Kaninchenhirns beschreiben.
Siehe dazu Abb. 1.
Kurve Praecag wurde von der Area praecentralis agranularis (Prae-
cag!)) abgeleitet. Sie zeigt periodische, häufig in unregelmäßigen Abständen und mit
ungleicher Amplitude wiederkehrende Gruppen von Abläufen mit durchschnittlich 15
Hertz Frequenz). Letztere können wie fast alle FES des Kaninchens Spannungs-
produktionen bis zu 1 mV aufweisen.
Um solche Kurven rein zu erhalten, muß sehr nahe oder ganz an der Mantelkante
abgeleitet werden, da das architektonische Feld, das diese ergibt, sehr schmal ist und
sich nur sehr wenig auf die Konvexität erstreckt. Neben diesen Wellen von 15 Hertz
Frequenz konnten häufig auch noch Wellen wesentlich kleinerer Amplitude mit etwa
35 Hertz’) registriert werden. (Siehe speziell den vorderen Abschnitt der abgebil-
deten Kurve!)
Kurve Pc stammt von der Area postcentralis (Pc) und ist durch einen perio-
dischen Ablauf charakterisiert, der aus länger dauernden, etwa 7 Hertzwellen und
etwa 13 Hertzwellen besteht. Letztere weisen auch geringere Amplituden auf. Be-
merkenswert ist noch, daß die 13 Hertzwellen häufig auf der elektropositiven Seite
der Kurve begannen und allmählich auf die negative Seite hinübergingen, was auch
die Abbildung zeigt. Es scheinen sich überhaupt rasche Abläufe mehr auf der posi-
tiven Seite zu finden. (Siehe z. B. auch die Kurven Str und Pstr!)
Kurve Par wurde von einem Parietalfeld, Par 1, registriert. Dieses Feld zeigt
Wellen von 15 Hertz ebenso wie die Praecag, doch von durchschnittlich geringerer
Amplitude als letztere Area. Außerdem liegen zwischen diesen Abläufen noch trägere
Schwankungen von etwa 2—3 Hertz, welche zumeist von den ersten Abläufen über-
lagert sind.
Kurve Str zeigt die FES der Area striata (Str), die vornehmlich aus trägen
Abläufen bestehen. Die mit größerer Amplitude zeigen etwa 2 Hertz Frequenz und
sind manchmal von sehr raschen Abläufen kleiner Amplitude überlagert.
Kurve Rsgß wurde von der Area retrosplenialis granularis dorsalis
(Rs g B) abgeleitet. Sie zeigt keine ausgesprochene Periodizität. Größere Amplituden
weisen vereinzelt isolierte rasche Abläufe von etwa 50—70 Sigmen Zeitdauer auf.
Daneben sieht man spärlichst kleine trägere Abläufe, die aber ebenfalls von den ge-
nannten raschen Schwankungen überlagert sind. Die abgebildete Kurve zeigt eine
längere Strecke mit den Abläufen größter Amplitude. Häufig aber zeigt dieses Feld
über Sekunden nur ganz kleine Schwankungen, aus denen sich vereinzelte rasche Ab-
läufe größerer Amplitude herausheben.
Kurve Petr zeigt den FES der Area peristriata. Neben großen Wellen von
durchschnittlich 5 Hertz Frequenz sind kleinere Schwankungen von etwa 13—14 Hertz
zu registrieren.
1) Sämtliche Bezeichnungen der Felder des Kaninchenhirns sind nach der Nomen-
klatur von M. Roses sehr verdienstvoller, zytoarchitektonischer Gliederung des
Kaninchenhirns gewählt. J. Psychol. u. Neur. 48, 353 (1931).
2) An unkuraresierten Tieren waren nicht selten auch trägere Abläufe zu regi-
strieren. Es zeigte sich aber, daß diese synchron mit der Atmung verliefen und darum
wohl rein mechanisch durch Änderung der Elektrodenauflagefläche bei der Hirn-
pulsation zu erklären sind.
3) Die Frequenz ist die höchste, die wir bis jetzt am normalen Kaninchen
feststellen konnten.
30*
426 A. E. Kornmüller
Wir haben in dieser kurzen Beschreibung vornehmlich nur die Abläufe mit
den größeren Amplituden berücksichtigt. Erst in späteren Untersuchungen wollen
wir mehr in Einzelheiten gehen und auch die Abläufe mit kleinen Amplituden
Abb. 1. Oben M. Roses zytoarchitektonische Gliederung des Kaninchenhirns
(Dorsalansicht der rechten Hemisphäre). Vergr. 6:1. Darunter Feldeigenströme
einzelner architektonischer Felder. Die Kurven sind mit den Abkürzungen der Felder,
von denen sie abgeleitet sind, bezeichnet. Registriert mit Neurograph. Auf ½ ver-
kleinert.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 427
in Betracht ziehen. An dieser Stelle würde dies nur die Übersicht stören. Aus
diesem Grunde haben wir es auch unterlassen, alle uns bereits bekannten FES-
typen des Kaninchens!) zu beschreiben.
b) Lokalisation.
Ein jeder der eben beschriebenen Typen von FES zeigte sich
in allen bis jetzt untersuchten Fällen an bestimmte architek-
tonische Strukturen gebunden. Grenzte man die Ableitestelle eines Typus
gegen die eines anderen exakt ab, so wurde stets eine architektonische Grenze
getroffen. Der Übergang von einem Typus zum anderen vollzieht
sich in der Regel nicht allmählich, sondern scharf.
Die einzelnen FEStypen der dorsalen Konvexität des Kaninchenhirns wur-
den an den verschiedenen Stellen gegeneinander abgegrenzt, und es ergab sich
immer wieder ein strenges Zusammenfallen dieser bioelektrischen Grenzen mit
den architektonischen. Da wir bei den zahlreichen diesbezüglichen Untersuchun-
gen keinen Widerspruch gegen unsere Annahme, daß die bioelektrischen
Erscheinungen der Großhirnrinde in ihrer Ausdehnung je nach
ihrem Charakter an architektonische Einheiten streng gebunden
sind, finden konnten, haben wir von einer Abgrenzung sämtlicher architekto-
nischer Felder abgesehen. Wir nehmen nach unseren vielen diesbezüglichen Er-
fahrungen an, daß das an einer Ableitestelle gefundene Ergebnis unter normalen
Verhältnissen für das ganze architektonische Feld gilt.
Trotz alledem soll die Bezeichnung „Feld“-ES nur der Tatsache gerecht
werden, daß die Eigenströme nach ihrem Charakter feldmäßig lokalisiert sind,
daß es also eine bioelektrische Felderung der Großhirnrinde gibt. Es soll damit
aus heuristischen Gründen nicht vorweggenommen werden, daß sich in jedem Fall
die bioelektrischen Felder mit den architektonischen decken, was zwar wahr-
scheinlich, doch längst nicht für alle Fälle erwiesen ist. Das Dargelegte soll auch
für die Feldaktionsströme gelten.
Wir sind geneigt, die immer wieder sich zeigende, scharfe Begrenzung der
bioelektrischen Erscheinungen, deren Deutung rein physikalisch schwer fällt,
mit morphologischen Tatsachen in Zusammenhang zu bringen, wie wir a. a. O.
darlegen wollen.
c) Bioelektrische Hirnkarte der dorsalen Konvexität des Kanin-
chenhirns.
Aus dem bisher Mitgeteilten ergibt sich prinzipiell die Möglichkeit einer bio-
elektrischen Gliederung der Großhirnrinde des Kaninchens auf Grund der FES.
Daß sich die bioelektrischen Areae weitgehend mit den architektonischen decken
und man also die architektonische Gliederung der Abb. 1 auch als bio-
elektrische Hirnkarte ansehen kann, erhellt aus den vorangehenden Ab-
schnitten.
Jedenfalls konnten wir schon bis jetzt nahezu alle Felder der Abb. 1 bio-
elektrisch charakterisieren. Zwischen wenigen dieser architektonischen Felder
des Kaninchens sind die morphologischen Differenzen nicht sehr groß, und dem-
entsprechend bestehen auch nicht so augenfällige bioelektrische Unterschiede.
1) Auch vom Kleinhirn konnten wir Stromschwankungen registrieren.
428 A. E. Kornmüller
Der Übersicht wegen haben wir hier diese Einzelheiten außer acht gelassen. Es
sei nur noch auf die gleichzeitigen mehrfachen Ableitungen weiter unten hin-
gewiesen, welche auch den zeitlichen Ablauf der einzelnen Wellen verschiedener
Felder beurteilen lassen und damit eine noch feinere bioelektrische Differenzierung
der Hirnoberfläche ermöglichen.
Dies alles zeigt, daß diearchitektonischen Felder auch bioelektrische
Einheiten darstellen. Diese Tatsache läßt schließen, daß die architektonischen
Felder der Hirnrinde nicht nur morphologische, sondern auch physiologische
Einheiten sind, was dazu drängt, jegliche Lokalisation auf der Großhirnrinde,
auch die nach Funktionen, auf der Grundlage der architektonischen Tatsachen
anzusehen und methodisch anzugehen. Es sei hier noch darauf hingewiesen,
daß C. und O. Vogt auf Grund ihrer bekannten elektrischen Hirnrindenreizungen
eine Lehre von der physiologischen Sonderfunktion architektonischer Rinden-
felder vertreten!).
Die Beziehung der einzelnen FEStypen zu den Bautypen der
architektonischen Felder.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde stammen
m.E. von den Ganglienzellen der Rinde.
Zu dieser Annahme zwingen folgende Tatsachen: Das Marklager unter der
Rinde läßt die geschilderten bioelektrischen Erscheinungen nicht ableiten. Von
der Radiatio optica konnten bei gleicher Registrierempfindlichkeit keine
„spontanen“ Schwankungen, sondern nur auf Augenbelichtung vereinzelte
Potentialschwankungen registriert werden, die eine wesentlich geringere elek-
trische Spannungsproduktion aufwiesen und sich von den gleichzeitig von der
Rindenoberfläche ableitbaren Stromschwankungen außerdem dadurch unter-
schieden, daß sie keinen rhythmischen Charakter trugen. Nun sind aber die
Markfasern in der Rinde viel spärlicher als im Mark, und es ist anzunehmen, daß
darum die Fasern der Rinde noch weniger Spannungsschwankungen produzieren.
Wegen der geringen Leitfähigkeit der Hirnsubstanz für die in Frage stehenden
schwachen elektrischen Spannungen, die sich u. a. aus der strengen Abgrenzbar-
keit dieser Ströme ergibt, ist nicht anzunehmen, daß die an und für sich schon
geringen Spannungsproduktionen des Marklagers sich auf der Hirnoberfläche noch
bemerkbar machen könnten. Andere Bausteine der Hirnrinde, z. B. die Glia,
kommen als Erzeuger der bioelektrischen Erscheinungen nach dem jetzigen Stand
unseres Wissens wegen ihrer geringen Aktivität kaum in Frage. Ein weiteres
Argument dafür, daß die von der Hirnoberfläche registrierbaren bioelektrischen
Erscheinungen von den Ganglienzellen oder zumindest aus der Rinde stammen,
ist die Tatsache, daß sie sich streng an architektonische Einheiten dieser in ihrer
Ausdehnung halten.
Bekanntlich läßt sich die Hirnrinde im Zellbild deutlich in eine Reihe von Schich-
ten (Laminae cytoarchitectonicae), die parallel zur Hirnoberfläche verlaufen,
gliedern. Brodmann hat einen ontogenetischen Grundtypus aufgestellt und
nachgewiesen, daß die einzelnen architektonischen Felder des größten Teiles der Hirn-
rinde Differenzierungen dieses Grundtypus darstellen“). Im Hinblick auf diesen
1) C. und O. Vogt, J. Psychol. u. Neur. 8, 277 (1907) und 25, 277 (1919).
2) Brodmanns Grundtypus ist sechsschichtig. O. Vogt differenziert diesen in
sieben Schichten.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 429
Grundtypus lassen sich nach dem Vorhandensein bzw. Fehlen, nach quantitativen
und qualitativen Eigenheiten dieser Zellen verschiedene Typen von architektonischen
Feldern unterscheiden. Fehlt beispielsweise die Schicht der Körnerzellen (IV-Schicht),
so spricht man von einem „agranulären“ Feld, oder sind die Zellen der Pyramiden-
schicht auffallend groß, so handelt es sichum den „gigantopyramidalen“ Typus u. a. m.
Ergebnisse meiner bioelektrischen Studien und daran geknüpfte Über-
legungen brachten mich zu folgender Fragestellung: Gibt es irgendwelche Be-
ziehungen zwischen den FEStypen und den architektonischen Feldtypen der
Ableitestellen ?
Diese Frage glauben wir nun nach reichlichen Experimenten bejahen zu
können. Eingehende Studien der mikroskopischen Bilder der Ableitestellen und
die Analyse der FESkurven der einzelnen Ableitestellen haben an dem meist
untersuchten Tier, dem Kaninchen, ergeben, daß von den architektonischen
Feldern, die durch einen Reichtum an Körnerzellen charakterisiert sind, vor-
nehmlich träge Abläufe von weniger als 10 Hertz Frequenz abzuleiten sind,
während Felder, denen diese Körnerzellen fehlen, fast ausschließlich frequentere
Abläufe registrieren lassen. Diese extremen Bautypen, von denen der erstere als
latogranulär und der zweite als agranulär (C. und O. Vogt) bezeichnet wird,
ergeben bei gröberer Betrachtung nahezu nur eine Frequenz. Felder, die ihrem
Bau nach zwischen diesen beiden Extremen liegen, lassen meist mehrere Fre-
quenzen, die entweder miteinander abwechseln oder sich überlagern, unter-
scheiden. Kurve Praecag der Abb. 1 stammt von der Area praecentralis
agranularis, also einem Feld ohne Körner, das nach dem Obengesagten die
frequentesten Abläufe produziert. Kurve Str stammt von der Area striata,
einem latogranulären Feld. Ihre Hauptwellen sind verhältnismäßig sehr träge
(2 Hertz). Kurve Rsgß stammt von der Area retrosplenialis granularis
dorsalis. Letztere setzt sich zur Hauptsache aus Pyramiden, die sogar eine be-
trächtliche Größe erreichen, zusammen. Eine Körnerschicht läßt sich nicht
herausdifferenzieren, die Zahl der Körnerzellen ist äußerst gering, ihre Größe
außerdem ganz atypisch klein. Diese Area steht im architektonischen Bau von
allen Feldern des Kaninchens der Area praecentralis agranularis am
nächsten. Ihr FESbild besteht, wie das der Praecag, ebenfalls nur aus raschen
Abläufen, die aber keine so ausgesprochene periodische Wiederkehr zeigen, wie
die der Praecag. Die Area parietalis 4, Par 4, ist latogranulär, ebenso wie
die Area striata. Ihr FES (nicht abgebildet) besteht, wie der der letzteren,
zur Hauptsache aus trägen Abläufen.
Die Beziehungen, die wir hier aufgezeigt haben, betrachten wir vorderhand
als rein phänomenologisch und nicht als ätiologisch. Wir können und wollen
zurzeit nicht behaupten, daß eine bestimmte Wellenform die Aktion von Zellen
eines bestimmten Typus anzeigt. Wir sind uns auch bewußt, daß unsere bis-
herigen Vorstellungen gewiß nur ganz schematisch der Wirklichkeit entsprechen
mögen. Die Berücksichtigung weiterer und detaillierterer architektonischer Tat-
sachen und eine weitere Analyse der Kurvenbilder werden uns aber wohl weiter
führen in unserem Bestreben, aus dem bioelektrischen Bild Voraussagen
über den Bau der Ableitestelle machen zu können.
Wir betrachten die einzelnen FES zurzeit noch als das Ergebnis der Span-
nungsproduktionen des ganzen Rindenquerschnittes. Nur führen eben die in
den einzelnen Schichten different gebauten Rindenfelder zu differenten Resul-
430 A. E. Kornmüller
tanten des Zusammenwirkens aller Schichten eines Rindenquerschnittes. Wegen
der schon oben erwähnten geringen elektrischen Leitfähigkeit der Hirnrinde
möchten wir annehmen, daß sich die tiefsten Schichten mit ihren vornehmlich
spindelförmigen Elementen voraussichtlich bei Ableitungen von der freien Ober-
fläche nicht wesentlich an den zur Registrierung kommenden Spannungsschwan-
kungen beteiligen, und daß hauptsächlich diejenigen Schichten in Frage kommen,
die sehr viele gut leitende Verbindungen mit den obersten Schichten haben.
Vermutungsweise könnten die Spitzenfortsätze diese Verbindungen darstellen!).
Untersuchungen an Katzen und Affen?).
In Hinblick auf eine Vertiefung unserer Erkenntnisse über die bioelektrischen
Erscheinungen der Großhirnrinde haben wir die längste Zeit nicht gleichzeitig
Untersuchungen an verschiedenen Tierarten angestellt, sondern fast ausschließ-
lich das Kaninchen als Versuchstier beibehalten. Wir haben bei weitem noch
nicht alle unsere Beobachtungen, die wir an diesem Tier machen konnten, ver-
öffentlicht, sondern uns in den bisherigen Mitteilungen lediglich auf solche Be-
funde beschränkt, die wir immer wieder reproduzieren konnten, und die wir aus-
reichend oft beobachtet haben. Die gesetzmäßigsten Erscheinungen haben wir
dann schließlich auch an Katzen und wenigen Hunden nachgeprüft. Über Feld-
aktionsströme an diesen Tieren und auch an Affen haben wir bereits in den
früheren Arbeiten berichtet.
In den letzten Wochen sind wir nun auch daran gegangen, systematische
Untersuchungen über die Feldeigenströme der Katze und des Affen vorzu-
nehmen. Obwohl wir dabei nicht auf eine so große Zahl von Versuchstieren hin-
zuweisen haben, hat uns doch unsere inzwischen recht weit vorgeschrittene Me-
thodik eine sehr große Fülle von Ergebnissen aus diesen Experimenten gebracht.
Es steht danach fest, daß die Feldeigenströme des Katzen- wie
auch des Affenhirns keinesfalls über der ganzen Hirnoberfläche
synchron verlaufen. Wir konnten uns auch bei diesen Tieren an etlichen Bei-
spielen überzeugen, daß bei gleichzeitigen unipolaren Ableitungen von verschie-
denen architektonischen Feldern sich ganz verschiedene bioelektrische Bilder
ergeben. Die Unterschiede in den Feldeigenströmen der einzelnen Felder
sind wie beim Kaninchen qualitativer und quantitativer Natur und
betreffen außerdem den zeitlichen Ablauf der Wellen.
Ob die Wellenformen der einzelnen Ableitestellen Beziehungen zu dem archi-
tektonischen Bau derselben aufweisen lassen, wie wir es für das Kaninchen fest-
stellen konnten, wird zurzeit noch bearbeitet. Darüber wird an späterer Stelle
berichtet werden. Was alle anderen Befunde betrifft, können wir aber schon
jetzt sagen, daß sie weitgehend analog zu denen des Kaninchens sind. Daß die
Feldeigenströme des Affen nach architektonisch definierten Gegenden
deutlich voneinander verschieden sind, läßt sich grob bereits durch unipolare
Ableitung vom uneröffneten Schädelknochen nach Abtragen des Periostes zeigen.
Abb. 2 zeigt eine gleichzeitige Hirnableitung von zwei verschiedenen architek-
tonischen Feldern des Affenhirns, und zwar von der Area 4 zum Oszillographen
(a) und von der Area 7 zum Einthovengalvanometer (b). Die Verschiedenheit
1) Siehe auch J. F. Tönnics, Dtsch. Z. Nervenheilk. Le
2) Cynomolgus.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 431
der Abläufe und das Fehlen eines Synchronismus kommt dabei deutlich
zum Ausdruck. Die obere Kurve ist wesentlich frequenter (20—25 Hertz) als
die untere (5 Hertz Grundfrequenz). Bereits durch den periostfreien Knochen
des Affen konnten wir außerdem auf Augenbelichtung eindeutige Feldaktions-
ströme registrieren. Die auf dem Schädelknochen gefundene Grenze derselben
wurde auf das Gehirn projiziert und fiel mit dem Sulcus lunatus zusammen,
an welchem bekanntlich die Area striata endet, und in welchem die ganz
schmale Area 18 liegt. Kaudal von dieser waren die auf Augenbelichtung posi-
tiven Ableitestellen. Beruhigungen der Feldeigenströme des übrigen Gehirns
konnten wir bei Lichtreiz am Affen bis jetzt nicht beobachten, obgleich einzelne
architektonische Felder möglicherweise solche aufweisen. Bilder, wie sie Hans
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Abb. 2. Vom Affenhirn gleichzeitig abgeleitete Feldeigenströme der Area 4a und
der Area 7b. a) registriert mit Oszillographen, b) registriert mit Einthovengal-
vanometer.
Berger als Elektrenkephalogramm des Menschen beschreibt, konnten wir bei
unipolarer Ableitung von dem freiliegenden Gehirn an keinem Tier, auch nicht
am Affen, beobachten. Natürlich kann man bei lange dauernden Versuchen neben
vielen anderen Wellen auch Wellen von einer Dauer, wie sie H. Berger beschreibt,
feststellen. Aber andere Frequenzen sind mindestens ebenso häufig und von
ebenso großer Amplitude wie diese zu beobachten.
Bekanntlich hat Hans Berger beschrieben, daß bei Ableitung vom uneröff-
neten Schädel des Menschen periodisch wiederkehrende Wellen zu registrieren sind,
die Spannungsproduktionen von 0,1mV aufweisen und eine Frequenz von etwa
10 Hertz haben. Diese Wellen bezeichnet der Autor als a-Wellen. Außerdem
unterscheidet er noch kleinere Schwankungen, ß-Wellen, die etwa die doppelte Fre-
quenz der ersteren haben. Das EEG verläuft gleichartig über dem ganzen Schädel und
ergibt keinerlei lokalisatorische Ergebnisse. Aktionsströme konnte Berger nicht
beobachten, dafür aber Beruhigungen des EEGs bei peripherem Sinnesreiz.
J. F. Tönnies hat in unserem Institut ausgedehnte Untersuchungen über
die Frage der Ableitungen vom uneröffneten Schädel angestellt und sich dabei
auch eingehend mit dem Studium des EEGs beschäftigt. Über seine Ergebnisse
wird er in der nächsten Zeit berichten.
432 A. E. Kornmüller
Die Feldaktionsströme.
In früheren Veröffentlichungen haben wir mitgeteilt, daß im Tierexperiment
(Kaninchen, Katze, Hund und Affe) auf Augenbelichtung eindeutige Aktions-
ströme abzuleiten sind, und zwar von der Area striata und von benachbarten
Feldern, und daß jedes Feld einen eigenen Typus des Ablaufes dieser hat. Bei
Schallreizen konnten wir an der Katze, wie ebenfalls bereits mitgeteilt, ein-
deutige Aktionsströme von Feld 52, das in der Meynertschen Katzenanastomose
liegt, ableiten.
Diese Untersuchungen waren allermeist mit starken Reizintensitäten an-
gestellt oder zumindest wurden meist nicht ganz physiologische Reize verwendet,
wie es ja allgemein in der experimentellen Physiologie der Fall ist. Es sei nur
an die vielfach verwendete elektrische Reizung erinnert. Uns lag aber sehr daran,
die Versuchsbedingungen immer physiologischer zu gestalten und schließlich auch
betreffs der experimentell gesetzten Reize. Diesbezügliche Untersuchungen mit
J. F. Tönnies sind im Gange. Beim Kaninchen konnten wir in optischen Ex-
perimenten häufig bei Verwendung physiologischer Reize bzw. Reizgefälle kaum
einen Einfluß auf das Bild der Feldeigenströme beobachten, in anderen Fällen
war ein solches zu registrieren, derart, daß die FES der Area striata im Hellen
eine häufigere periodische Wiederkehr zeigten als in dem Falle, wo der Versuchs-
raum völlig abgedunkelt war. Jedenfalls konnten wir die inzwischen auch von
anderen Autoren beschriebenen „Aktionsstrom“ bilder bei Anwendung ganz
physiologischer Reize bis jetzt nicht finden. Diese bestehen nur in Strom-
schwankungen, die zu Reizbeginn und Reizende deutlich hervortreten. Reiz-
beginn und Reizende erfolgen dabei aber meist sehr brüsk. Unsere eigenen Unter-
suchungen erstrecken sich augenblicklich auf das Kaninchen, und das Ergebnis
könnte auch daran liegen, daß das Kaninchen kein ausgesprochen optisches Tier
ist. Zumindest zeigte dessen Area striata keine hohe Differenzierung. Wir
vermögen darum auch in diesem Zeitpunkt nichts Abschließendes darüber aus-
zusagen, ob ganz physiologische Außenreize eine im bioelektrischen Kurven-
bild erkennbare Antwort auf der Großhirnrinde finden.
Inzwischen haben wir als neues Ergebnis mit J. F. Tönnies auch am Ka-
ninchen eindeutige und konstante bioelektrische Effekte auf Schallreiz erhalten.
Als Schallquelle wurde ein elektrischer Tongenerator verwendet, dessen Töne
innerhalb des menschlichen Hörbereiches zu verändern sind und als obertonfrei
bezeichnet werden können. Bioelektrische Effekte waren von einem bestimmten
Gebiet der Hirnrinde mit Sicherheit auf Töne von etwa 100 bis über 2500 Hertz
Frequenz ableitbar. Frequenzen außerhalb dieses Bereiches ergaben keine ein-
deutigen Effekte. Dieser Frequenzbereich könnte möglicherweise mit dem Hör-
bereich des Tieres in Parallele gesetzt werden. Wenn schon nicht am Kaninchen,
so würden doch wohl derartige Befunde an geeigneteren Tieren möglicherweise
interessante Parallelitäten zu tierpsychologischen Untersuchungen über den
Sinnesbereich u. ä. ergeben. Die Effekte bestehen im wesentlichen in einem sehr
raschen Ablauf gegen die elektro-negative Seite, das Potential bleibt meist
verlagert und kann kleinste Schwankungen zeigen. Bei länger dauernder Schall-
einwirkung wird dieses gelegentlich durch vereinzelte Schwankungen von etwa
400 Sigmen Dauer unterbrochen. Mit dem Reizende geht die Spannung wiederum
rasch auf das ursprüngliche Niveau zurück. Dieser letzte Effekt ist häufig am
stärksten ausge prägt. Diese Bilder ergeben sich nur von Ableitungen über einem
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 433
streng umschriebenen Areal, und zwar dem vordersten, nach unten gehenden
Teil des Feldes T 1 nach M. Rose, den wir von T 1 abgrenzen und als Area
temporalis anterior, Ta, bezeichnen. Die Grenze unseres Feldes T a gegen
den übrigen größeren Teil von T 1 nach M. Rose konnten wir auch bioelektrisch
finden. Aber auch mikroskopisch läßt sich diese architektonische Grenze ganz
scharf angeben. Auf die Einzelheiten kommen wir in einer späteren Mitteilung
zu sprechen. Hier sei nur erwähnt, daß unser Feld T a sich besonders durch eine
breite IV-Schicht gegenüber den umliegenden Feldern auszeichnet. Die Körner-
zellen sind aber relativ groß, außerdem zeigen die Elemente dieses Feldes be-
sonders in den unteren Schichten eine deutliche radiäre Anordnung. Die V-
Schicht ist verhältnismäßig schmal und die VI-Schicht dagegen breit.
In vielen Versuchen zeigten die anderen architektonischen Felder auf Schall-
reiz keinerlei Modifikationen des FESbildes. Gelegentlich konnten wir aber auch
eindeutige Beruhigungen der FES auf Schalleinwirkung beobachten. Über ana-
loge Beobachtungen bei Einwirkung von Lichtreiz haben wir früher (II. Mitt.)
berichtet.
Vergleichend architektonisch betrachtet, entspricht wohl unser Feld T a des
Kaninchens der Area 52 der Katze, von der wir, wie erwähnt, ebenfalls bioelek-
trische Effekte auf Schallreiz erhalten konnten. Die leicht zu findende äquiva-
lente Gegend des Hundes entepricht nur zu einem kleinen Teil der Munkschen!)
Hörsphäre. Von dem übrigen Gebiet der letzteren, bzw. von dem äquivalenten
Gebiet der Katze, konnten wir nie akustische Effekte ableiten.
Wie wir nachträglich feststellen konnten, stimmen die Gegenden, die wir am
Kaninchen und an der Katze bei Schalleinwirkung bioelektrisch abgegrenzt
haben, weitgehend räumlich mit frühmarkreifen Gegenden dieser Gehirne überein,
welche C. Vogt?) angegeben hat. Verschiedene Autoren (Ferrier®), Mann“)
und Munk) haben bei elektrischen Reizungen dieser Gegenden verschiedenartige
Ohrbewegungen beobachtet. Demnach haben die besagten Gegenden wohl etwas
mit der Schallperzeption zu tun. Im Gegensatz zu den genannten Autoren nehmen
wir aber an, daß es sich hier nicht um ein Ohrbewegungszentrum, sondern um
ein akustisches Sinneszentrum handelt. Zu dieser Annahme glauben wir vor allem
dadurch berechtigt zu sein, daß die genannten Felder in ihrem architektonischen
Bautypus latogranulär sind. Danach wären die bei elektrischer Reizung erzielten
Ohrbewegungen als sogenannte „Aufmerksamkeitsbewegungen“ zu deuten,
die auf Grund eines Schalleindruckes sekundär in Erscheinung treten.
Die vergleichende Architektonik stellt einen Weg dar, der aus unseren Tier-
experimenten Schlüsse bzw. Vermutungen für das menschliche Gehirn folgern
läßt, die für die Physiologie und Pathologie desselben von Wert sein können. Be-
sonders wichtig sind für diesen Weg Experimente am Affen.
An den bisher untersuchten Tieren (Katzen und Kaninchen) konnten wir
in einer mit J. F. Tönnies angestellten Versuchsreihe keinerlei skalenförmige
Anordnung der Ableitestellen auf verschiedene Tonhöhen finden. Ein jeder
1) Munk, Über die Funktionen der Großhirnrinde. Gesammelte Mitteilungen.
Hirschwald, Berlin 1890.
) C. Vogt, Etude sur la myélinisation. G. Steinheil, Paris 1900.
3) Ferrier, Die Functionen des Gehirnes. Friedrich Vieweg, Braunschweig
1879. Vorlesungen über Hirnlocalisation. Deuticke, Leipzig und Wien 1892.
4) Mann, Journ. of Anat. 80, 1 (1895).
434 A. E. Kornmüller
Ton ließ bioelektrische Effekte von dem ganzen in Frage kommenden Areal ab-
leiten. Dieser Befund spricht nicht für die verbreitete Ansicht einer Lokalisation
nach Tonhöhen in der Hörsphäre (Munk, Larionow u.a.), welcher Meinung
von einigen Autoren (Börnstein!) u. a.) bereits widersprochen wurde. Unsere
bisherigen Ergebnisse brachten auch keinerlei Anhaltspunkte für einen Wever-
Bray-Eiffekt auf der Großhirnrinde.
Wever und Bray haben bekanntlich auf Grund ihrer Experimente die Meinung
geäußert, daß die Frequenz der Aktionsströme des N. akusticus der Frequenz des
Tones, der das Ohr trifft, entspricht, und haben nach erheblicher Verstärkung die
Aktionsströme als die gleichen Töne abgehört, die dem in größerer Entfernung be-
findlichen Tier dargeboten wurden.
In diesem Zusammenhang wollen wir in Kürze unsere Ansicht über die
Frage der Lokalisation von Funktionen auf der Großhirnrinde äußern.
Die Tatsachen der Architektonik drängen entschieden zur Annahme, daß sowohl
die verschiedenen architektonischen Felder, als auch die Zellschichten dieser
eine verschiedene physiologische Bedeutung haben. Doch welche Funktionen
den einzelnen Feldern bzw. Schichten zuzuordnen sind, wissen wir nicht. Darüber
sind lediglich Vermutungen ausgesprochen worden. Wir finden es unangängig,
wenn noch heute auf der Großhirnrinde Gliederungen gesucht werden, die aus
der Physik oder aus der Psychologie entnommen sind. Als Beispiel führen wir
hier nur die Annahme einer skalenförmigen Anordnung der Perzeptionsstellen
verschiedener Tonhöhen an. Heuristisch am wertvollsten schien uns die Ver-
knüpfung der physiologischen Tatsachen mit architektonischen. Wir können
uns keinesfalls der Meinung K. Goldsteins?) anschließen, daß „alle Theorien
von der Funktion des Nervensystems, die auf den sogenannten anatomischen Tat-
sachen aufbauen, höchst problematischen Charakter“ haben, und daß „die Ana-
tomie jedenfalls nicht den Anspruch machen“ kann, ‚eine sichere Grundlage für
die Theorien von der Funktion abzugeben“. Wir glauben ganz im Gegensatz zu
dem genannten Autor, daß eine derartige Skepsis nicht für die Anatomie, sondern
für die Psychologie am Platze wäre, zum mindesten für die Forscher, die Anspruch
erheben, eine naturwissenschaftliche Hirnforschung zu betreiben.
Unsere Ergebnisse zwingen also dazu, an einer physiologischen Lokali-
sation auf der Großhirnrinde festzuhalten. Dabei lehnen wir aber alle Lehr-
meinungen ab, nach welchen je eine Funktion nur ein Substrat haben dürfte,
und denen zufolge man jede Funktionseinheit isoliert und weitgehend selbständig,
ohne Zusammenhang mit dem übrigen Hirn, betrachtet. Verschiedene bio-
elektrische Ergebnisse (Beruhigungen der Feldeigenströme auf den verschieden-
sten Feldern bei Einwirkung eines Sinnesreizes, Synchronismus einzelner Wellen-
abläufe der FE S, wie wir hier noch berichten) haben uns in klarer Weise gezeigt,
daß zwischen den Feldern verschiedene Wechselbeziehungen bestehen. Schließ-
lich weisen ja auch schon die vielen morphologischen Verbindungen innerhalb
des ZNS darauf hin.
Aus den Ergebnissen unserer Studien ziehen wir nicht Schlüsse für eine funk-
tionelle Lokalisation, sondern gewinnen nur Vermutungen, die einen hohen Grad
1) W. Börnstein, Der Aufbau der Funktionen in der Hörsphäre. Karger,
Berlin 1930.
2) K. Goldstein, Bethes Handbuch d. norm. u. pathol. Physiol. Bd. 10/IL,
645. 1927.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 435
von Wahrscheinlichkeit haben. Dieser kann noch erhöht werden durch die Kom-
bination mit anderen experimentellen Methoden, z. B. durch die Exstirpation
bioelektrisch ermittelter Felder. Läßt sich beispielsweise durch eine recht scho-
nende Exstirpation der Felder, die bei Schallreiz Aktionsströme ergaben, Taubheit
des Versuchstieres erzielen, so bestärkt dieser Gegenversuch die Vermutungen,
die aus dem Hauptversuch gezogen wurden. Die Exstirpationen müßten aber
sehr schonend, am besten unblutig (Koagulation) erfolgen und die Gehirne müßten
genauest an lückenlosen Serienschnitten mikroskopisch untersucht werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen wären dabei auch sekundäre Degenerations-
erscheinungen zu beachten, die ebenfalls imstande wären, die Richtigkeit der Ver-
mutungen zu prüfen. Es kämen weiter noch myelogenetische Untersuchungen
bzw. das Heranziehen des vorliegenden diesbezüglichen Materials für die in Frage
stehende Region entscheidend in Betracht.
Unter normalen Verhältnissen besteht ohne Zweifel über die
morphologische Lokalisation (Architektonik) hinaus eine strenge
physiologische Lokalisation, die sich räumlich weitgehend mit
der ersteren deckt. Dies haben eindeutig die reizphysiologischen Unter-
suchungen von C. und O. Vogt!) und meine bioelektrischen Untersuchungen
ergeben. Wenn andere Autoren auf Grund klinischer Fälle eine strenge Lokali-
sation geleugnet haben, so besagt dies u. E. nichts gegen den oben aufgestellten
Satz, denn die Pathologie ist meistens zu grob in ihren Experimenten. Wir selbst
sind auch der Meinung, daß die Einheiten, die man lokalisieren will, zumal sie
vielfach aus der Psychologie abgeleitet sind, keinesfalls in derselben Ordnung
lokalisiert sind. Eine solche Lokalisation von Funktionen ist, glaube ich, aus
prinzipiellen Gründen von vornherein abzulehnen, und Widersprüche dagegen
sind keinesfalls geeignet, eine physiologische Lokalisation auf der Großhirn-
rinde zu entkräften.
Die Modifikationen der FES unter unphysiologischen Bedingungen
und die „Krampfströme“.
Bis jetzt wurden nur die FES, wie sie unter guten Versuchsbedingungen zu
registrieren sind, besprochen. Von diesen konnten bis zu einem gewissen Grade
Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden. Wesentlich schwieriger ist dies für die
Bilder, die sich unter unphysiologischen Bedingungen ergeben, vor allem, wenn
sich Reizerscheinungen zeigen.
Die FES können leicht eine Verminderung ihrer Amplituden aufweisen,
welche bis zu einem völligen Verschwinden dieser führen kann. Dieser Fall konnte
nicht selten nach mehrstündigem Experimentieren bei freiliegender Hirnober-
fläche besonders an kuraresierten, also künstlich ventilierten Tieren beobachtet
werden. Die wechselnden Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse der Hirn-
oberfläche könnten dafür verantwortlich gemacht werden. Dabei ist folgendes
bemerkenswert:
1. nehmen die Amplituden der FE S ab, während die Frequenzen recht gut
gewahrt bleiben, bis schließlich eine nahezu gerade Linie registriert wird. Wäh-
rend dieser Zeit können die FAS keine wesentliche Modifikation zeigen, ja sogar
im Gegenteil eine Steigerung aufweisen.
1) C. u. O. Vogt, Le
436 A. E. Kornmüller
2. verringern sich bei den Typen, die aus Wellen mehrerer Frequenzen be-
stehen, meist nicht alle Wellen gleichzeitig und im gleichen Maße, sondern es
verringern erst die Abläufe einer bestimmten Frequenz ihre Amplituden, so daß
der Fall eintreten kann, daß eine Ableitestelle, die unter normalen Verhältnissen
einen FES aus zwei Frequenzen ableiten ließ, nur noch eine Frequenz aufweist.
Meistens verschwinden zuerst die höherfrequenten Wellen.
Die Modifikationen der FES im Sinne einer Steigerung zeigen viele Über-
gänge bis zu ausgesprochenen „Krampfströmen“, KS, welch letztere vor allem
durch sehr große Spannungsproduktionen, die ein Vielfaches der Größe der nor-
malen Potentialschwankungen betragen können, und häufig durch sehr hohe
Frequenzen der Schwankungen charakterisiert sind. Schon relativ geringe Reize
können solche auslösen, wenn aus anderen Ursachen eine Bereitschaft dazu vor-
handen ist. In vielen Fällen konnten wir die Ursache nicht feststellen. Mecha-
nische, thermische Reize und die langdauernde künstliche Ventilation bei kura-
resierten Tieren sind als auslösende Faktoren zu bezeichnen, desgleichen wech-
selnde Feuchtigkeit der Hirnoberfläche bzw. allmähliche Konzentration der zur
Bespülung des Hirns verwendeten physiologischen Kochsalzlösung. Für eine
Reihe von Versuchen konnten wir die Verwendung einer älteren Kurarelösung für
das ständige Entstehen von KS verantwortlich machen. Hier handelte es sich
wohl um die Wirkung eines Hirngiftes auf dem Blutwege. In einem Fall konnten
wir KS immer wieder durch Hyperventilation eines kuraresierten Tieres hervor-
rufen. (Siehe II. Mitt. d. Verf.) Experimentell lassen sich solche Ströme durch
Hirnkrampfgifte erzeugen, eine Tatsache, die von M. H. Fischer eine Bearbei-
tung erfuhr!). Bei Reizeinwirkung schwächeren Grades ist häufig zuerst eine Zu-
nahme der Amplituden der frequenten Abläufe zu beobachten, oder aber es
können Felder, die unter physiologischen Bedingungen kaum rasche Abläufe
aufweisen (z. B. die Striata), solche eindeutig zeigen. In der Folge können auch
trägere Abläufe ihre Amplituden vergrößern. Zwei Beispiele von KS zeigt
Abb. 3, die bei stark verminderter Empfindlichkeit des Neurographen registriert
sind. Man vergleiche mit Hilfe des angegebenen Eichungswertes die Spannungs-
produktionen mit denen der Abb. 1.
Starke Reizung des Gehirns, wofür wir oben einige Beispiele angeführt haben,
ergibt häufig folgendes Bild: Zuerst sehr frequente Abläufe zunehmender Ampli-
tude. Wenn sich die Amplituden dieser wieder verringern, zeigen sich auch träge
Wellen, deren Amplituden größer werden, und die schließlich nach Verschwinden
der raschen Abläufe allein zu registrieren sind. Die Abstände der trägen Wellen
werden dann immer größer, und schließlich wird eine nahezu gerade Linie re-
gistriert, wohl als Ausdruck der Erschöpfung der betreffenden Ableitestelle.
Dieses Bild kann sich periodisch wiederholen. Es gibt auch KS mit eigen-
artigen, rhythmischen Superpositionen mehrerer Wellenarten und dergleichen
mehr. Manchmal finden sich nur periodisch auftretende sehr frequente Schwan-
kungen. Gelegentlich konnten wir in einzelnen architektonischen Feldern diffe-
rente Krampfstrombilder feststellen. Mehrfache gleichzeitige Ableitung ermög-
lichte uns, die Ausbreitung solcher Krämpfe zu studieren. Dabei ergab sich,
daß die KSwellen über ein und demselben Feld synchron verlaufen. Bemerkens-
wert ist weiter, daß ein Krampf meist in kürzester Zeit ein ganzes architek-
1) M. H. Fischer, Le
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 437
tonisches Feld befällt, daß aber die Ausbreitung auf Nachbarfelder häufig ge-
raumer Zeit bedarf. Wir konnten feststellen, daß sich der Krampf eines Nachbar-
feldes erst 30 Sek. später entwickelte. Die architektonische Grenze stellt gleich-
sam eine Barriere für die bioelektrischen Erscheinungen der einzelnen Felder dar.
Wir kommen weiter unten darauf zu sprechen. In dem eben Mitgeteilten haben
wir noch nicht annähernd die große Mannigfaltigkeit der FES und K S erschöpft.
Dies bleibt späteren Mitteilungen vorbehalten. Die Krampfströme dürften wohl
klinisches Interesse finden.
Auch die FASbilder können Modifikationen erfahren, sowohl in Abhängig-
keit von der Art und Stärke des peripheren Sinnesreizes als auch infolge der Ein-
wirkung von Schädlichkeiten. Bei gesteigerter Erregbarkeit der Hirnrinde kann
ein Sinnesreiz, besonders bei Ableitung von den entsprechenden Rindenfeldern,
zuerst zu bioelektrischen Effekten führen, die den Reiz einige Sekunden über-
RB ML
1. u 3.
— ‚Ber, D
* S. 6.
F
7 1 sec. —-
Abb. 3. Krampfströme, a) abgeleitet von der Area temporalis anterior und
b) von der Area striata des Kaninchens. Registriert mit Neurograph. Auf %
verkleinert.
dauern, oder aber es kann das typische Bild eines Krampfstromes mit wechselnden
Bildern entstehen. Auf einen typischen Krampfstrom haben periphere Sinnesreize
meist keinen Einfluß mehr.
Das bioelektrische Verhalten des gesamten architektonischen Feldes, seiner
Grenzen und das gleichzeitige Verhalten verschiedener Areae.
Daß ein architektonisches Feld auch bioelektrisch eine Einheit darstellt,
haben wir hier und an früherer Stelle genügend aufgezeigt, und zwar sowohl be-
züglich der bioelektrischen Effekte auf peripheren Sinnesreiz als auch bezüglich
der Feldeigenströme. Es ergab sich die weitere Frage zu untersuchen, ob bei
gleichzeitiger Ableitung!) von mehreren Stellen ein und desselben architek-
tonischen Feldes ein zeitliches Zusammenfallen der einzelnen Ab-
1) Bezüglich mehrfacher gleichzeitiger Ableitung siehe J. F. Tönnies (Dtsch.
Z. Nervenheilk., l. o.), der solche in unserem Institut ermöglicht hat. Weiters s.
III. Mitt. d. Verf. l. o.!
438 A. E. Kornmüller
läufe besteht oder nicht. Nun ergab sich bei den untersuchten Feldern des Ka-
ninchens, vor allem der Area striata, ein weitgehender Synchronismus
der Abläufe. Bei genauerer Betrachtung derartiger Registrierungen fällt aller-
dings auf, daß es auch in Details Unterschiede gibt zwischen den einzelnen
Bildern verschiedener Ableitestellen eines Feldes. Diese Differenzen rühren in
unseren Fällen nicht von den verschiedenen Bauarten der Apparaturen her,
sondern sind bestimmt bioelektrischer Natur, wie die genaue Prüfung ergab. Wir
wenden diesen besondere Aufmerksamkeit zu. Bemerkenswert ist noch folgende
Tatsache, daß vereinzelte Abläufe bei weitgehender Ähnlichkeit zeitliche Dif-
ferenzen aufweisen. Wir konnten Latenzzeiten von mehr als 30 Sigmen!) messen.
Dabei ist bald über der einen und bald über der anderen Ableitestelle zuerst das
Einsetzen eines Ablaufes zu beobachten. Darin drückt sich wohl ein Hin- und
Herpendeln von Erregungen aus, dessen genaueres Studium Aufklärung über den
intraarealen Erregungsablauf verspricht, was bis jetzt durch keine Methodik
ermöglicht wurde.
Befinden sich aber zwei differente Elektroden in einem viel geringeren Ab-
stand voneinander als bei den eben geschilderten Versuchen, jedoch diesseite und
jenseits einer architektonischen Grenze, dann ist in vielen Fällen von einem
Synchronismus nichts zu merken. Derartige Experimente haben uns mit ganz
besonderer Eindringlichkeit die bioelektrische Schärfe der architektonischen Gren-
zen gezeigt. U. E. spricht dies dafür, daß eine architektonische Grenze
auch eine scharfe physiologische Grenze darstellt.
Es gibt allerdings architektonische Felder, bei denen ganz konstant Wende-
punkte der Wellen oder ganze Perioden synchron verlaufen. Wir glauben in
diesen Fällen den Schluß ziehen zu dürfen, daß solche Felder miteinander in
engerer Beziehung stehen. Daraus ergibt sich:
1. Eine weitere Methode zur Abgrenzung architektonischer Felder
mittels gleichzeitiger Ableitung von zwei verschiedenen Rindenstellen derart,
daß eine differente Elektrode ruhend gelassen wird, während die andere Stück
für Stück wandert. Zeigen sich dann, was in der Regel bei einer kleinsten
Verschiebung geschieht, deutliche Differenzen im zeitlichen Ablauf, so wurde
eben eine architektonische Grenze überschritten. Dieses Vorgehen wurde von
J. F. Tönnies (l. o.) angegeben.
2. Eine Methode zum Studium der physiologischen Wechsel-
beziehungen architektonischer Rindenfelder, welche Beziehung sich
u. E. aus der zeitlichen Koinzidenz von Wendepunkten der Kurvenabläufe oder
gar von ganzen Wellenperioden über verschiedenen gleichzeitig abgeleiteten Fel-
dern ergibt.
An früherer Stelle (II. Mitt. I. c.) haben wir für das Studium der physio-
logischen Wechselbeziehung architektonischer Felder eine Methodik mitgeteilt,
bei der, in Analogie zu dem Vorgehen von C. und O. Vogt bei ihren Hirnrinden-
reizungen, mittels Deckglasstreifchen Durchschneidungen von Projektions- und
Assoziationsfasern vorgenommen werden in Kombination mit bioelektrischen
Ableitungen. Gegen diese Methodik hat aber die neu mitgeteilte ganz klare Vor-
teile, vor allem, weil sie viel physiologischer ist und wohl auch verschiedene Grade
der Verknüpfung von Feldern unterscheiden läßt.
1) Registrierungen mit der Fallkamera wurden noch nicht vorgenommen.
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 439
Allgemeinere Schlußfolgerungen: ı)
1. Die normale Großhirnrinde läßt sich auf Grund ihrer bio-
elektrischen Erscheinungen regional differenzieren.
2. In ihrem bioelektrischen Verhalten einheitliche Großhirn-
rindenareale decken sich in allen bisher untersuchten Fällen räum-
lich mit architektonischen, also morphologischen Einheiten.
3. Die Unterschiede der einzelnen bioelektrischen Areae sind
qualitativer, quantitativer und zeitlicher Art.
4. Die bioelektrischen Areae sind linear und scharf begrenzt,
ebenso wie die architektonischen.
6. Höchstwahrscheinlich sind die Ganglienzellen der Hirnrinde
die Erzeuger der von der Großhirnrinde ableitbaren bioelektrischen
Effekte.
6. Bestehen Beziehungen zwischen dem Typus der bioelektrischen
Wellen und dem architektonischen Bautypus der Ableitestelle?).
Weitere Schlußfolgerungen finden sich am Ende der vorangehenden Abschnitte.
Diskussion und Arbeitshypothese zu den bioelektrischen Erscheinungen
der Großhirnrinde.
Eine ausführliche Diskussion sämtlicher mitgeteilter Tatsachen ist hier nicht
möglich.
Wir konnten vielseitige Beziehungen der bioelektrischen Abläufe zu den
architektonischen Feldern und deren Bau aufzeigen.
Da wir, wie schon oben dargelegt wurde, der Meinung sind, daß die Erzeuger
der von der Großhirnrinde ableitbaren bioelektrischen Erscheinungen die Gan-
glienzellen sind, glauben wir, daß die Form der bioelektrischen Abläufe in hohem
Maße von dem architektonischen Bau der Ableitestelle bestimmt wird. Als
zweiter Faktor ist der Erregbarkeitszustand dieser zu berücksichtigen. Bei
Vorhandensein von peripheren Sinnesreizen kommen noch deren Qualität,
Intensität, sowie ihre Abänderung in der Zeit in Frage. Selbstverständ-
lich handelt es sich bei den bioelektrischen Abläufen der Großhirnrinde um einen
Ausdruck funktionellen Geschehens. Rein physiologische Vorstellungen sind
darum mit in die Diskussion zu bringen. Davon sehen wir hier aber ab und be-
halten uns dies für eine spätere Mitteilung vor.
L Der architektonische Bau. Unsere von der Hirnoberfläche abge-
leiteten bioelektrischen Schwankungen stammen wohl vom gesamten Rinden-
querschnitt. Trotzdem möchten wir meinen, daß die einzelnen Zelltypen bzw.
Hirnrindenschichten am bioelektrischen Gesamtbild verschieden beteiligt sind.
Dies scheint uns plausibler als die Annahme, daß trotz der großen Baudifferenzen
der Zellen keinerlei Unterschiede in deren bioelektrischer Spannungsproduktion
bestehen sollten. Wenn wir hier von Zelltypen sprechen, so verstehen wir darunter
nicht nur den Zelleib, wie er sich beispielsweise im Nisslbild darstellt, sondern
diesen mitsamt allen seinen Fortsätzen, also das ganze Neuron. Für uns kommen
allerdings hauptsächlich die Fortsätze in Frage, die in der Hirnrinde verbleiben.
Auch deren „Schaltung“ dürfte für den Ablauf der Erregungen und somit für
die bioelektrische Kurvenform, die wohl als ein Interferenzbild anzusehen ist,
1) Diese beziehen sich auch auf die Ergebnisse meiner früheren Mitteilungen l. c.
2) Dieser Satz gelte vorderhand nur für das Kaninchen!
Neurologie V, 10 31
440 A. E. Kornmüller
von wesentlicher Bedeutung sein. Zur Frage der Beziehungen des bioelektrischen
Kurvenbildes zur architektonischen Struktur der Ableitestelle haben wir ver-
schiedene Experimente am Kaninchen angestellt. Die Mitteilung dieser ist hier
nicht möglich. Außerdem möchten wir noch das Ergebnis unserer im Gange
befindlichen Bearbeitung des Katzen- und Affenmaterials abwarten. Am nor-
malen Kaninchen können wir jedenfalls aus den bioelektrischen Kurven mancher-
lei über den architektonischen Bau der Ableitestelle mit Bestimmtheit voraus-
sagen. Außerdem nehmen wir an, daß die verschieden gebauten Zellen auch eine
verschiedene Erregbarkeit haben, und daß demnach bei einem bestimmten Reiz
nur diejenigen Zellarten mit elektrischer Spannungsproduktion antworten, deren
Schwelle für eine bioelektrische Spannungsänderung erreicht ist. Danach wären
von ein und derselben Ableitestelle verschiedene Bilder zu erwarten, derart, daß
bei stärkeren Reizen mehr Arten von Abläufen vorhanden sind als bei schwächeren,
was den Tatsachen durchaus entspricht. Möglicherweise, so einfach diese Vor-
stellung ist, nimmt die Reizschwelle mit der Zellengröße zu. Nach dieser Annahme
würden also die Körnerzellen leichter einen Reiz mit elektrischer Spannungspro-
duktion beantworten als die Pyramiden.
Bioelektrische Spannungsproduktion zeigt die Hirnrinde auch bei tunlichster
Ausschaltung physikalischer Außenreize. Ohne Zweifel sind darum die meisten
der registrierten Erscheinungen primär nicht exogener, sondern endogener Natur.
2. Daß der Erregbarkeitszustand der Ableitestelle Einfluß auf das bio-
elektrische Bild hat, haben wir im Abschnitt über die KS dargelegt. Dort haben
wir auch einzelne Gesetzmäßigkeiten aufzeigen können. Wir suchen auch diese
damit zu deuten, daß wir annehmen, daß eine Schädigung oder Reizung (siehe
oben!) die verschiedenen Bausteine der Hirnrinde bzw. die einzelnen Schichten,
nicht gleichzeitig alteriert, sondern zuerst die vulnerabelsten Schichten und erst
später die resistenten. Es wäre vorstellbar, daß ein Reiz zuerst in den einzelnen
Schichten eine Erregbarkeitssteigerung der Reihe nach hervorruft und dann eine
Lähmung, die aber auch in ihrer Reihenfolge gerichtet ist. Infolge der vielen
Synapsen zwischen den Elementen der einzelnen Schichten dürfte neben der
Wirkung der Noxe auch noch eine Wechselwirkung der einzelnen Schichten und
Felder anzunehmen sein, besonders bei Erregbarkeitssteigerung. Bei den degene-
rativ wirkenden Schädlichkeiten konnte architektonisch von verschiedenen
Autoren (C. und O. Vogt, M. Bielschowsky, M. Vogt u.a.) eine schichten-
weise Degeneration festgestellt werden. C. und O. Vogt!) haben auf Grund sol-
cher Tatsachen ihre Klisenlehre aufgestellt, nach welcher eine verschiedene
Vulnerabilität der einzelnen „topistischen“ Einheiten des Nervensystems, z. B.
der Rindenschichten, angenommen wird. Vielen Reizen gegenüber ist die III-
Schicht die vulnerabelste und die IV. Schicht am resistentesten. Wir müssen
aber zugeben, daß es zurzeit unmöglich ist, befriedigende Deutungen der KS-
bilder zu geben, da wir noch zu wenig über die physiologischen bioelektrischen
Erscheinungen (FES und FAS) wissen. Die Krampfströme sind aber keines-
falls als physiologische Erscheinungen zu bezeichnen. Sie sind im Gegensatz zu
FES und FAS an eine durch starke Schädigungen bedingte Labilität der Hirn-
rinde geknüpft, und darum konnten die verschiedenen Wellenabläufe auch eben-
sogut verschiedenen Stadien der Wirkung von Hirngiften entsprechen.
1) C. u. O. Vogt, J. Psychol. u. Neur. 28, 1 (1922).
Die bioelektrischen Erscheinungen der Großhirnrinde 441
3. Die physikalischen Außenbedingungen sind für die bioelektrischen
Effekte der Großhirnrinde ebenfalls zu berücksichtigen. Als wesentlich sind
ihre Intensität und Qualität zu beachten, worauf wir bereits an früherer
Stelle hingewiesen haben.
Einige spezielle Befunde und die eben in Kürze angedeuteten Gedankengänge
haben uns jedenfalls über die areale Lokalisation hinaus zur Anbahnung einer
Schichtenlokalisation der bioelektrischen Erscheinungen und im weiteren
einer Schichtenphysiologie der Großhirnrinde geführt. Spezielle Unter-
suchungen, die im Gange sind, werden uns von den verschiedensten Seiten her
in diesen Fragen möglicherweise weiter bringen. Einen Hauptweg stellt die
„Exstirpation“ von Hirnrindenschichten durch Röntgenstrahlen dar. Vor-
versuche darüber, die mehr als ein Jahr zurückliegen, haben gezeigt, daß je
nach Dosis der Strahlen eine verschieden große Zahl von Schichten in gesetz-
mäßiger Reihenfolge zugrunde geht.
Trotz der vielen Beziehungen des einzelnen architektonischen Feldes zu tieferen
Zentren oder zu anderen Feldern und der daraus berechtigten Annahme, daß viele
Erregungen nicht dem Feld entstammen, von dem gerade abgeleitet wird, nehmen
wir an, daß das bioelektrische Bild doch zur Hauptsache von dem Ableitefeld selbst
stammt, und daß alle von einem anderen Orte kommenden Erregungen von dem
getroffenen Felde in einer durch die Struktur bestimmten spezifischen Weise beant-
wortet werden.
Zur Begründung dieser Annahme weisen wir darauf hin, daß es sich nur um
relativ schwache neurodynamische Energien handelt, die in den Markfasern geleitet
werden und mittels dieser von einem anderen Orte in das Ableitefeld gelangen. Die
bioelektrischen Erscheinungen des Marklagers sind ebenso wie die der peripheren
Nerven nur sehr schwach im Verhältnis zu denen der Rinde. Sie zeigen außerdem
bei gleicher Registrierempfindlichkeit keinen dauernden Strom, sondern, wie wir
es von der Sehstrahlung feststellen konnten, nur an Reizänderungen gebundene
negative Schwankungen, die Spannungsproduktionen von Bruchteilen derjenigen
aufweisen, welche die Hirnrinde ableiten läßt. Von anderen Teilen des Marklagers
konnten wir unter den gleichen Bedingungen meist nicht die geringsten Spannungs-
produktionen registrieren. Wir müssen uns also vorstellen, daß die von der Hirn-
oberfläche abgeleitete Energie zum allergrößten Teil in der Hirnrinde der Ableite-
stelle entsteht. Sie muß deshalb auch viel eher, wenn nicht ausschließlich, das Ge-
präge von dieser erhalten.
Aus diesen Überlegungen leiten wir die Berechtigung zur Bezeichnung „Feld-
eigenströme“ für die unter physiologischen Bedingungen ohne peripheren Reiz
vorhandenen bioelektrischen Erscheinungen feldmäßiger Lokalisation ab und be-
zeichnen nur diejenigen Teile einer bioelektrischen Kurve als Feldaktionsströme,
die eine zeitlich strenge Abhängigkeit von einem peripheren Sinnesreiz oder einer
negativen Schwankung in den mit der Ableitestelle verknüpften Projektions- oder
Assoziationsfasern haben. Natürlich nehmen wir an, daß auch das Gepräge dieser
Aktionsströme von der Struktur, in der sie entstehen und von der sie abgeleitet
werden, ganz wesentlich mitbestimmt ist. Im Grunde handelt es sich auch hier um
Eigenströme, die lediglich durch eine strenge, zeitliche Gebundenheit an eine Nega-
tivität in den dazu gehörigen Markfasern definiert sind. Demnach ist aber zu er-
warten, daß noch manche der von uns zurzeit als Feldeigenströme beschriebenen
Abläufe als Feldaktionsströme zu bezeichnen sein werden.
Unser Versuchsmaterial vermag auch rein physiologische Fragestel-
lungen über das ZNS in ungeahnter Weise zu fördern. Wir haben uns hier auf
die Lokalisationsergebnisse beschränkt, da wir diese als Grundlage jeglicher
Hirnphysiologie betrachten müssen, und wollen in einer späteren Mitteilung auch
allgemeinere physiologische Fragen des ZNS behandeln.
31*
(Aus der Orthopädischen Klinik München [Vorstand: Geheimer Hofrat Prof.
Dr. Fritz Lange)).
Orthopädie und Neurologie
von Priv.-Doz. Dr. Max Lange, Oberarzt der Klinik.
Mit 2 Abbildungen.
Nachdem in den vergangenen Jahren zahlreiche große Arbeiten erschienen
waren, die in das Grenzgebiet der Orthopädie und Neurologie gehören, wurden
in den letzten Jahren meist nur kleinere Beiträge veröffentlicht. Sie selber be-
deuten noch keinen Fortschritt, sondern liefern nur Bausteine, auf denen sich ein-
mal wieder ein Fortechritt aufbauen kann.
Die spinale Kinderlähmung.
Auf dem Gebiete der Poliomyelitis ist über einzelne Besonderheiten
berichtet worden. So wurde von M. Herzmark eine eigenartige Lokalisation
der Lähmung beobachtet. Eine doppelseitige Masseterlähmung hatte sich
bei einem Kinde neben Lähmungen an den Extremitäten ausgebildet. Die Mas-
seterlähmung ging in 8 Wochen wieder zurück. Die Behandlung bestand in der
Anwendung eines festen Verbandes, der verhütete, daß die Unterkiefer nach
unten herabhingen. Die nicht selten zu machende Beobachtung, daß im An-
schluß an eine Poliomyelitis ein Teil der Kinder dick, schwammig „dystrophisch“
werden, wird von Schaefer auf eine Schädigung des Zwischenhirns zurück-
geführt. Schaefer spricht direkt von einer Dystrophia adiposo-genitalis als
Spätfolge einer Poliomyelitis. Außerdem will Schaefer einzelne Fälle von
Dystrophia musculorum progressiva als Nachkrankheit der Poliomyelitis gesehen
haben. Auch soll die Dystrophia adiposo-genitalis mit der Dystrophia muscu-
lorum progressiva verbunden sein können. Die Angabe, daß nach einer Polio-
myelitis sich Störungen zu mindestens ähnlich wie bei der Dystrophia adiposo-
genitalis entwickeln, können wir bestätigen. Die Annahme einer echten progres-
siven Muskeldystrophie als Nachkrankheit der Poliomyelitis erscheint dagegen
nicht genügend begründet. Das zeigen insbesondere auch die Ausführungen von
Klein, der auf Grund von histologischen Untersuchungen zu einem ablehnenden
Standpunkt gekommen war.
Über die Entwicklung einer Poliomyelitis in 2 Fällen im Anschluß an
eine Osteomyelitis berichtet Huber. Die beiden Fälle werden nicht als zu-
fällige Beobachtung aufgefaßt, sondern es wird angenommen, daß durch die
Osteomyelitis der Durchseuchungswiderstand verringert und dadurch die Mög-
lichkeit zu einer Superinfektion erhöht ist.
Orthopädie und Neurologie 443
Über die Poliomyelitis der Erwachsenen liegen verschiedene Mitteilun-
gen vor (Bremer, Gossels, von Pfaundler). Aus Beobachtungen von Einzel-
fällen wird versucht, Schlüsse über die Besonderheiten der Poliomyelitis der Er-
wachsenen zu ziehen. Von Pfaundler betont, daß bei Erwachsenen die Polio-
myelitis sich dadurch auszeichne, daß sie als rudimentäre, abortive Form ver-
laufe. In der Beobachtung von Pfaundler bot die Erkrankung das Bild der
„Nackenseuche“ . Die Reizsymptome überwogen gegenüber den Lähmungs-
erscheinungen. Die Ursache der vermehrten Resistenz des Erwachsenen sieht
von Pfaundler in einer histiogenen Allergie. Auch Bremer beobachtete meh-
rere Abortivfälle von Poliomyelitis beim Erwachsenen. Sie gingen einher mit
vorübergehender Ptosis an einem Auge, mit vorübergehender Lähmung an einem
Bein oder mit nur kurze Zeit bestehenden Sprachstörungen. Außerdem sah
Bremer einzelne schwere Erkrankungen, die unter dem Bilde der Landryschen
Paralyse verliefen. Überstanden die Patienten das akute Stadium, so ging die
Lähmung bis auf geringe Reste zurück. Das war auch in dem Fall von Gossels
so, wo eine Rückbildung der Lähmung bis auf eine einseitige Deltoideuslähmung
eintrat. Auf Grund solcher Mitteilungen bekommt man den Eindruck, daß die
Prognose für die Rückbildung der poliomyelitischen Lähmungen beim Erwach-
senen günstiger als beim Kinde ist. Leider kann das auf Grund eigener Beobach-
tungen an orthopädischen Patienten nicht bestätigt werden. Es sind die Fälle
keineswegs selten, wo bei der Poliomyelitis des Erwachsenen schwerste Läh-
mungen dauernd bestehen bleiben. Wir haben in den letzten Jahren
14 solche Fälle beobachten und verfolgen können. Bei 11 Fällen trat die Erkran-
kung zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ein, in 2 Fällen in den dreißiger
Jahren und in einem Fall sogar erst mit 46 Jahren (Diagnose durch spezialärzt-
liche neurologische Untersuchung bestätigt). Außer diesen Fällen, wo die Polio-
myelitisinfektion nach dem 20. Jahre eintrat, haben wir auch eine große Zahl
von Fällen, wo die Erkrankung zwischen dem 15. und 20. Jahre erfolgte. Nur in
4 Fällen der Poliomyelitis beim Erwachsenen setzte die Lähmung nicht schnell,
schlagartig, sondern allmählich, „stufenförmig“ ein, wie Bremer das als charak-
teristisch für die Poliomyelitis der Erwachsenen beschrieben hat. In den Ana-
mnesen dieser Fälle finden sich genaue Angaben darüber, wie sich die Lähmung
Schritt für Schritt weiter ausgebreitet hat. So trat z. B. die Lähmung bei einem
23jähr. Mädchen, nachdem schon vorher 1 Woche Fieber bestanden hatte, zuerst
am rechten Arm, am 2. Tag an beiden Beinen, am 3. Tag am linken Arm und am
4.Tag am Rumpf auf. Den Grund der langsamen Lähmungsausbreitung der
Poliomyelitis beim Erwachsenen sieht von Pfaundler in einer vermehrten
Resistenz des Erwachsenen. Als die Fälle in orthopädische Behandlung kamen,
waren die Lähmungen mit einer Ausnahme in allen Fällen so schwer, daß ohne
orthopädische Hilfsmittel Gehunfähigkeit bestand. Die orthopädische Be-
handlung gestaltete sich in den meisten Fällen schwierig, weil außer den Bein-
lähmungen auch eine mehr oder weniger starke ausgeprägte Lähmung der Rumpf-
und insbesondere der Bauchmuskeln vorhanden war.
Für die Behandlung des akuten Stadiums der Poliomyelitis empfiehlt
Becker auf Grund eigener guter Erfahrungen erneut das Gipsbett. In einem
solchen Gipsbett wird durch vollkommene Ruhigstellung erstaunlich schnell
Schmerzfreiheit erreicht. Wenn man das Gipsbett noch mit Beinteilen versieht,
kann man das Gipsbett in schweren Fällen auch noch nach dem Abklingen des
444 Max Lange
akuten Stadiums zur Kontrakturverhütung (bei Rumpflähmung Skoliosenent-
stehung!) verwenden, indem man die Kinder während der Nacht in einer solchen
Schale schlafen läßt.
Über Dauerresultate nach der in ihrem Wert so umstrittenen operativen
Versteifung des Kniegelenks bei schweren Beinlähmungen berichtet Cleve-
land. Die Operation lag bei den nachuntersuchten Fällen mindestens 5 Jahre
zurück und die Nachuntersuchungen erstreckten sich auf Fälle, die bis zum Jahre
1909 operiert waren (90 Nachuntersuchungen von etwa doppelt soviel Operierten).
In 85% war das kosmetische und funktionelle Ergebnis gut, aber nur etwa in
der Hälfte davon „excellent“. Die Apparate hatten in diesen Fällen weggelassen
werden können. Dem nicht zu leugnenden Vorteil, daß nach einer erfolgreichen
Kniearthrodese der Apparat weggelassen werden kann, stehen aber auch be-
trächtliche Nachteile gegenüber. Eine nicht seltene Folgeerscheinung der
operativen Knieversteifung ist, zumal wenn die Operation bei Kindern gemacht
wird, die Entwicklung einer beträchtlichen Beugekontraktur (Cleveland in
18 Fällen). Eine weitere Gefahr, die nicht unterschätzt werden darf, ist das
Erleiden von Frakturen an dem steifen Bein. Cleveland erlebte sie in 15% der
operierten Fälle. Wenn die Patienten Apparate tragen, ist die Gefahr weit geringer
und sie liegt unseren Erfahrungen nach wesentlich unter 1%. Fritz Lange
lehnt die Arthrodese des Knies vor allem deshalb ab, weil ein Poliomyelitiker
mit einer schweren Lähmung vorwiegend auf das Sitzen angewiesen ist. Hierbei
ist das steife Bein aber hinderlich, und wenn beide Knie versteift werden, so wird
das für einen solchen Menschen eine Qual. Fritz Lange fordert deshalb,
wenn man eine Kniearthrodese macht, soll man dies erst nach dem 21. Jahre
tun, wenn die Menschen frei über sich selber bestimmen dürfen. Dem Arzt
allein stünde, auch mit Einverständnis der Eltern, nicht das Recht zu, eine
für das ganze Leben eines Menschen so eingreifende Operation wie die Knie-
versteifung ohne dringende Notwendigkeit zu machen.
Die peripheren Nervenverletzungen.
Die peripheren Nervenverletzungen haben in der amerikanischen Literatur
durch L. Pollock und L. Davis eine neue umfassende Darstellung bekommen.
Sie dürfte für jeden Neurologen eine Fundgrube von Anregungen sein. Die
Symptome der Verletzungen der einzelnen Nerven, ihre Anatomie, Physiologie
und chirurgische Behandlung ist eingehend besprochen. Ein besonderer Wert
wird darauf gelegt, immer wieder zu betonen, daß die Sensibilitätsstörung
nicht immer parallel mit den motorischen Ausfällen geht, und ins-
besondere bei Armplexusverletzungen dürfte man bei geringen Sensibili-
tätsstörungen nie auf eine geringfügige Verletzung des Plexus schließen. Auch
eigenartige Lähmungskombinationen werden mitgeteilt, so z. B. bei Ver-
letzungen des Halsmarkes spastische Armlähmung auf der einen und schlaffe
Armlähmung auf der anderen Seite, so daß außer der zentralen Verletzung noch
gleichzeitig eine Plexusverletzung vorgelegen haben mußte. Ausführlich werden
auch die trophischen Störungen geschildert, die sich bei Nervenlähmungen
namentlich an den Füßen ausbilden, wo bei Ischiadikus- und Tibialisverletzungen
nicht selten Hyperkeratosen an den Fußsohlen angetroffen wurden. Vergleicht
man die ausführlichen Mitteilungen von L. Pollock und L. Davis mit den
deutschen Arbeiten insbesondere von Foerster, so fällt zweierlei auf. Die
Orthopädie und Neurologie 445
Amerikaner können über die Enderfolge der Nervenoperationen kein sicheres
Urteil fällen, weil sie ihre Patienten nicht genügend lange beobachten und ver-
folgen können. Daran krankt auch die große Darstellung „of the Medical De-
partement of the United States Army in the World War“, die 400 Fälle von Ner-
vennähten enthält. Die eigenen Fälle, über die L. Pollock und L. Davis
berichten, sind nur in 50°/, länger als 3 Monate nach der Nervennaht verfolgt
worden. Es bleibt deshalb den Amerikanern nichts übrig, als sich im Hinblick
auf die Endresultate auf die Statistiken von Foerster, Ranschburg, Spiel-
meyer usw. zu berufen. Das Zweite, was gegenüber den deutschen Arbeiten
auffällt, ist, daß so wenig Wert auf eine orthopädische Nachbehandlung zur Ver-
hütung von Kontrakturen bei Nervenverletzungen gelegt wird. Die Entstehung
der typischen Fehlformen bei den Nervenverletzungen wird geschildert, aber
auf ihre Verhütung wird nicht entsprechend eingegangen. Auch der so wichtige
Punkt wird außer acht gelassen, daß man nach einer Nervennaht von vorn-
herein dafür zu sorgen hat, daß die gelähmten Muskeln im Zeitpunkt der Re-
generation des Nerven nicht überdehnt sind.
Das posttraumatische Handrückenödem.
Das noch so unklare Krankheitsbild des posttraumatischen Handrücken-
ödems, unter dem man die Ausbildung einer chronischen Schwellung des Hand-
rückens mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung der Finger, trophischen
Störungen der Haut und Sensibilitätsstörungen nach einem einmaligen Trauma
versteht, fand auf der Unfalltagung eine eingehende Besprechung. Eine volle
Einigung wurde aber auch dieses Mal nicht erzielt. Die Ansicht derer, die das
ganze Krankheitsbild für artifiziell, rentenneurotisch, hysterisch bedingt
halten, steht ziemlich unvermittelt der Auffassung derer gegenüber, die sich
bemühen, die funktionelle, nervöse Natur dieses Krankheitsbildes durch orga-
nische Grundlagen zu erklären. Bettmann stellte 35 Fälle von trauma-
tischem Handrückenödem zusammen, nur in %, der Fälle wurde eine Heilung
erreicht, in 6 Fällen waren Amputationen nötig. Die Ursache des Ödems sei
keineswegs, wie meist angenommen, ein leichtes, sondern meist ein erhebliches
Trauma. Die Sensibilitätsstörungen entsprechen nicht der Ausbreitung
eines oder mehrerer Nerven, sondern sie sind strumpf- oder handschuhförmig
(Braeucker). Durch das Trauma sollen die auf dem Handrücken oberflächlich
und auf einer unnachgiebigen Unterlage liegenden Nerven getroffen werden, die
nach neuen Untersuchungen eine enge Beziehung zu den Gefäßen haben und
unter der Einwirkung des Sympathikus stehen. Als Stütze der Ansicht für die
Entstehung des traumatischen Ödems infolge einer Störung der Gefäßinnervation,
die zu einer vermehrten Lymphproduktion und zu einer verminderten Lymph-
resorption führt, liegen experimentelle Untersuchungen (Fujitsuna) (Erzeugung
des traumatischen Handrückenödems nach Reizung des Sympathikus mit Adre-
nalin) und klinische Beobachtungen vor. Durch Ausschaltung des Sympathikus
gelang es, auch die schwersten traumatischen Ödeme zur Heilung zu bringen
(Leriche, Braeucker). Trotz dieser Beobachtungen muß man der rein orga-
nisch bedingten Natur des chronischen Handrückenödems mit Skepsis
gegenüberstehen. Das zeigen die Mitteilungen von A. W. Fischer, der in 5 Fällen
gemeinsam mit Weichbrodt den Nachweis erbringen konnte, daß die Verletzten
den untersuchenden Arzt täuschten, und daß die Verletzten künstlich durch
446 Max Lange
Abschnürungen, Klopfen und Schleudern das Ödem unterhalten hatten. Die
Forderung A. W. Fischers ist berechtigt, daß bei jeder Begutachtung eines
traumatischen Handrückenödems ein Neurologe oder Psychiater als Mit-
begutachter hinzugezogen werden solle.
Die neuropathischen Gelenkerkrankungen.
Die neuropathischen Gelenkerkrankungen fanden auch im vergangenen
Jahre vermehrte Beachtung. Die Frage des ursächlichen Zusammenhanges
einer neuropathischen Arthropathie mit einem Unfall wurde auf der Unfall-
tagung besprochen, und es wurden als Richtlinien aufgestellt: wenn das Grund-
leiden, die Tabes oder Syringomyelie, früher als Unfallfolgen anerkannt sind, dann
müssen auch später auftretende Arthropathien, ohne daß ein eigentliches Unfall-
ereignis vorliegt, als indirekte Unfallsfolge angesehen werden. Ist das Grund-
leiden nicht als Unfallsfolge anerkannt, so kann eine traumatische Genese für
eine Arthropathie oder eine Fraktur nur anerkannt werden, wenn es ein erheb-
licher Unfall war (A. Blencke). Nur der Unfall kann als wesentliche Ursache
für die Entwicklung einer neuropathischen Gelenkerkrankung angesehen werden,
der auch bei einem gesunden Menschen einen wirklichen Schaden hätte aus-
lösen können (zur Verth).
Über den histologischen Befund bei einer tabischen Arthropathie des
Knies berichteten Cornil und Paillas. Sie fanden u.a. eine Neuritis luetica
der Gelenknerven und möchten darin eine wichtige Ursache der vasomotorischen
Störungen sehen. Einen Fall von tabischer Arthropathie der Wirbelsäule, bei
dem vor allem die Differentialdiagnose gegenüber einer Cauda equina-Störung
zu stellen war, teilte Lachs mit. Analog wie bei der tabischen Arthropathie der
Extremitätengelenke war eine schmerzlose schwere Zerstörung und Defor-
mierung mehrerer Lendenwirbel entstanden. Then Bergh beschrieb 2 Fälle
von Klumpfußbildung bei Syringomyelie Jugendlicher. In dem Fall, wo anfangs
die Diagnose nicht gestellt war, und die Klumpfußbildung nur als „ neurotisch“
angesehen war, entwickelte sich nach der operativen Geradrichtung der Klump-
füße bei dem 23jähr. jungen Mann beiderseits eine ganz hochgradige Arthro-
pathie innerhalb eines Jahres. Erst jetzt wurde die Diagnose der Syringomyelie
gestellt. Auf Grund dieser Beobachtungen sollte bei jedem neurotischen Klump-
fuß vor einem operativen Eingriff eine eingehende neurologische Untersuchung
stattfinden. Wird eine Syringomyelie festgestellt, so haben alle gewaltsamen
Eingriffe zu unterbleiben.
Massage und aktive Gymnastik in der Behandlung der schlaffen
und spastischen Lähmungen.
Nachdem die Massage und Gymnastik in den vergangenen Jahrzehnten von
den Ärzten meist vernachlässigt und im allgemeinen von Laien gehandhabt wurde,
ist das Ansehen und der Wert dieser Behandlungs- und Heilmethode in den
letzten Jahren bei den Ärzten wesentlich gestiegen. Das äußert sich auch in
den Behandlungsvorschlägen für Nervenkrankheiten mit Massage und Gym-
nastik (Kohlrausch, A. Müller). Das, was hier empfohlen wird, ist im wesent-
lichen nichts Neues, es ist aber erfreulich, daß immer mehr Ärzte den Wert einer
sachgemäßen Übungsbehandlung für die Behandlung von Nervenkrankheiten
erkannt und gute Erfahrungen damit gemacht haben. Weil die Aufmerksamkeit
Orthopädie und Neurologie 447
insbesondere durch die Arbeiten von Kohlrausch vermehrt auf die Behandlung
der Nervenkrankheiten mit Gymnastik gelenkt sein dürfte, erscheint es ange-
zeigt, auf die vieljäbrigen orthopädischen Erfahrungen in der Behandlung der
Nervenkrankheiten mit Massage und Gymnastik unter besonderer Berücksich-
tigung der spinalen und zerebralen Kinderlähmung einzugehen.
Die Massage wird für die Behandlung der spinalen Kinderlähmung
vielfach empfohlen, aber nicht genügend wird betont, daß man die Massage sehr
vorsichtig handhaben muß. Man soll mit der Massage erst beginnen nach dem
vollen Abklingen aller akuten Erscheinungen, es ist durchaus früh genug, wenn
mit der Massage je nach der Schwere der Erkrankung erst 4—6 Wochen nach
dem Krankheitsbeginn angefangen wird. Die Massage soll mild gemacht
werden, alle festen Griffe, insbesondere Knetungen sind zu vermeiden. Durch
eine derbe Massage wird, so lange eine Regeneration des Muskels stattfindet
oder noch zu erhoffen ist (in dem 1. bis 2. Jahre nach der Erkrankung), nicht
genützt, im Gegenteil, es besteht die Gefahr, daß durch die groben mechanischen
Reize junge regenerierende Muskelknospen geschädigt oder zerstört werden.
Wie vermeiden deshalb bewußt jede Massage, die durch einen kräftigen mecha-
nischen Reiz (Knetmassage!) eine primäre Wirkung auf die kontraktile Substanz
der Muskeln ausübt. Die Wirkung der Massage im Reparationsstadium der
spinalen Kinderlähmung ist so zu verstehen, daß die Durchblutung der Muskeln
gefördert wird und daß dadurch günstige Bedingungen für die Muskelregeneration
und für eine Erhöhung der Leistungszunahme geschaffen werden. Eine direkte
Vermehrung der Leistung eines Muskels findet durch eine Massage nicht statt,
sie kann nur durch vermehrte Muskelarbeit gewonnen werden. Die ersten Mas-
sagen bei einer frischen Poliomyelitis soll der Arzt selbst machen, um sich von
der Verträglichkeit der Massage zu überzeugen. Die späteren Massagen kann
man von einem Laienmasseur machen lassen, dem der Arzt aber genau angeben
soll, wie massiert werden soll unter besonderem Hinweis darauf, daß alle derben
Handgriffe zu unterbleiben haben. Wenn die Massage etwa 2 Monate durchgeführt
ist, ist es gut, eine Pause von etwa der gleichen Zeit eintreten zu lassen. Während
der Zeit kann die Mutter eine leichte Massage machen. Eine Wiederaufnahme
der Massage wird nur in den Fällen zu empfehlen sein, wo inzwischen ein Rück-
gang der Lähmung zu beobachten ist. Ist dies der Fall, so führt man wieder
eine Massagebehandlung von 1—2 Monaten durch, um dann eine erneute Pause
einzulegen. Vielmonatelanges ununterbrochenes Fortsetzen einer
Massage an gelähmten Gliedern ist zwecklos, die Massage wirkt keine Wunder,
aber verursacht den Kostenträgern große Ausgaben. Deshalb soll die Massage-
behandlung nur solange fortgesetzt werden, wie dies wirklich ärztlich nötig ist.
Die Massagebehandlung bei den spastischen Lähmungen (außer bei
der zerebralen Kinderlähmung auch bei den Folgezuständen nach Apoplexie
usw.) hat nur ein beschränktes Anwendungsgebiet. Entgegen manch anderer
Empfehlung sind wir dafür, daß die Massage grundsätzlich jeden starken Reiz
vermeiden muß, denn der Sinn der Massage ist, beruhigend zu wirken. Außer-
dem strebt man eine Verminderung der Reizempfindlichkeit an. Durch die Ge-
wöhnung an äußere mechanische Reize soll die Bereitschaft zu unwillkürlichen
Bewegungen herabgesetzt werden. Für die Behandlung der spastischen Läh-
mungen ist die Vibrationsmassage besser als die gewöhnliche Streichmassage
geeignet. Die Vibrationsmassage wird mit Hilfe von Apparaten ausgeführt.
448 Max Lange
Man kann behelfsweise dazu einen mit der Hand angetriebenen Massageapparat
benützen. Zweckmäßiger sind aber die elektrisch betriebenen Apparate. Bisher
wurde meist eine Vibrationsmassagevorrichtung gebraucht, die mit dem Motor
des Pantostates verbunden wird. Wir haben uns mit diesem Apparat nie recht
befreunden können. Bei der Massage wurde der, welcher den Apparat bediente,
stärker „vibriert“ als der Patient. Das fällt weg bei dem neuen kleinen Vi-
brationsmassageapparat Forfex (Hersteller: Eisemann-Werke Stuttgart), der
an jeder Lichtleitung angesteckt werden kann, und bei dem man gut die Stärke
der Massage regeln kann. Die Massagen bei spastischen Lähmungen darf man
nie zu lange ausdehnen und zu oft machen. Am Anfang soll man sich mit der
Massage einschleichen und die Massage nur wenige Minuten machen. Hat der
Patient sich an die Massage gewöhnt, so dehnt man die Massage auf 10 bis
15 Minuten aus. Nach 20 Sitzungen ist eine Unterbrechung von mehreren Wochen
angezeigt, danach wird eine neue Massagebehandlung begonnen. Die Vibrations-
massage der spastischen Lähmungen bietet bei frischen Erkrankungen der
Erwachsenen (z. B. nach einer Hemiplegie) bessere Aussicht auf Erfolg als bei
alten, Jahre zurückliegenden Fällen von zerebraler Kinderlähmung. Wegen der
geringen Behandlungsaussichten dieser Fälle wenden wir sie hier fast nie an.
Die Gymnastik ist der Massage bei der Behandlung von schlaffen und
spastischen Lähmungen weit überlegen. Durch die Massage schaffen wir nur die
Voraussetzungen für eine Besserung der Muskelleistung, durch die Gymnastik
erhöhen wir dagegen die Muskelleistung selbst und damit die Gebrauchsfähigkeit
eines Gliedes. Das Geheimnis der guten Erfolge der Gymnastik liegt darin, daß
man für jede Krankheitsform die richtigen Übungen auswählt und sie für die ein-
zelnen Patienten richtig abstimmt. In jeder neuen Übungsstunde muß eine ver-
mehrte Anforderung an den Patienten gestellt werden. Die Übung muß so ge-
wählt sein, daß der Patient zur freudigen Mitarbeit angeregt wird. Dazu ist
auch als Leiter der Übungen eine Persönlichkeit nötig, die versteht auf die Pa-
tienten einzuwirken und aus ihnen das Bestmögliche herauszuholen. Wie wichtig
das für die Nachbehandlung von Verletzten ist, darauf hat vor allem Gebhardt
hingewiesen, und er hat ferner in vorbildlicher Weise gezeigt, auf welche Weise
man die so schwer zu behandelnden Unfallverletzten zu energischer Mitarbeit
erziehen kann. Mit allgemeinen Übungsanweisungen ist bei der gymnastischen
Behandlung der Nervenkrankheiten nichts zu erreichen. Die so beliebten Zander-
apparate sind durchaus überflüssig. Die Münchener orthopädische Klinik hat
nie welche besessen und die chirurgische Universitätsklinik München hat die
ihren abgeschafft. Nicht durch die Maschine erreichen wir mit der
Übungsbehandlung von Nervenkrankheiten unsere Erfolge, son-
dern durch die Mitarbeit des Menschen selbst.
Bei der Übungsbehandlung der schlaffen Lähmungen haben sich die
vor Jahrzehnten von Fritz Lange aufgestellten Grundsätze bestens bewährt:
Die Übung muß so gewählt werden, daß jede einzelne Muskelgruppe, die es nötig
hat, von der Übung besonders getroffen wird, und die Übung muß ferner mit all-
mählich aber stetig steigenden Gewichtswiderständen gemacht werden. Nach
einer frischen Kinderlähmung werden die Übungen frühestens 4 bis
6 Wochen nach Beginn der Erkrankung aufgenommen. Von der Aus-
breitung der Lähmung hängt es ab, an welchen Muskelgruppen zuerst mit Übungen
begonnen wird. Bei ausgedehnten Lähmungen richtet man sich bei der Wahl
Orthopädie und Neurologie 449
der Muskelgruppe danach, für welche Muskelgruppe die Übung zunächst
vordringlich und auf Grund des Befundes am erfolgversprechendsten ist. Ist der
gesamte Körper von der Lähmung befallen, so beginnt man mit Übungen für
die Rücken- und Bauchmuskeln, um baldmöglich wieder ein Sitzen zu erreichen.
Man fängt nicht mit den Armübungen an, weil die Arme auch bei geringem Ge-
brauch unwillkürlich im gewissen Umfange geübt werden. Ist allein ein Arm
von der Lähmung betroffen, so ist vordringlich für die Übungsbehandlung die
Muskulatur des Schultergürtels, insbesondere der Deltoideus. Obwohl die Funk-
tion dieses Muskels so wichtig ist, wird gerade dieser Muskel, wenn er durch eine
Lähmung geschädigt ist, durch den gewöhnlichen Gebrauch der Hand und selbst
des Armes bei Lähmungskranken am wenigsten benützt. Bei Beinlähmungen
hat man am Anfang sein besonderes Augenmerk auf 3 Muskeln zu richten, um
die Wiederherstellung der Gehfähigkeit zu fördern, auf den Glutaeus max., die
kleinen Glutäen und den Quadrizeps. Der Wunsch, möglichst viel Muskelgruppen
gleichzeitig mit einer Übungsbehandlung zu kräftigen, ist verständlich, aber für
die Poliomyelitiker nicht zuträglich. Man muß am Anfang äußerst schonend
vorgehen und alle Überanstrengungen vermeiden. Die Zahl, Dauer und Schwere
der Übungen müssen ganz allmählich gesteigert werden.
Für die Ausführung der Übungen können nur gewisse Richtlinien ge-
geben werden. In der ersten Zeit nach der Lähmung und solange die Muskelkraft
noch schwach ist, werden die Übungen unter Ausschaltung der Wirkung der
Schwerkraft und des Eigengewichtes des Gliedes gemacht. Das er-
reicht man an der Schulter dadurch, daß man das „Arm seitlich heben“ nicht
im Sitzen, sondern in Rückenlage machen läßt. Aus dem gleichen Grunde wird
das Hüftspreizen zur Kräftigung der kleinen Glutäen nicht in Seiten- sondern
in Rückenlage ausgeführt, und das Kniestrecken läßt man nicht im Sitzen, son-
dern in Seitenlage machen. Sind die Muskeln für diese Übungsanordnung noch
zu schwach, so muß die Reibung auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden.
Zu diesem Zweck dienen Übungen im Badewasser, an in schwebenden Gurten
aufgehängten Gliedern oder in leicht gleitenden Rollenapparaten. In den Fällen,
wo wohl eine aktive teilweise Kontraktion eines Muskels nachweisbar ist, aber
noch keine Wirkung auf das Erfolgsorgan im Sinne einer Bewegung möglich ist,
werden die Übungen unter Benutzung eines Gegengewichtes ausgeführt (Fritz
Lange). Das Gegengewicht, das in der zu erwartenden Bewegungsrichtung
angebracht ist, soll durch seine Zugwirkung die Muskelleistung unterstützen.
Mit ansteigender Muskelleistung wird das Gegengewicht immer mehr verringert.
Der Gegengewichtszug wird überflüssig, sobald der Muskel eine aktive Bewegung,
z. B. eine Kniestreckung, selbständig leistet. Um eine weitere Leistungssteige-
rung zu erreichen, wird von jetzt an die Übung gegen Widerstand aus-
geführt. Wie die Übungsanwendung für eine Quadrizepsübung ist, zeigt die
Abb. 1. Der Patient liegt in Seitenlage, an dem Fuß des Übungsbeines ist ein
Gurt befestigt, der mit einer Schnur verbunden ist, die über eine an einem Stuhl
befestigte Rolle läuft und an der ein Gewicht hängt. Die Größe des Gewichtes
wird allmählich gesteigert. Diese methodischen Widerstandsübungen müssen
monatelang konsequent fortgesetzt werden. Ist die Muskelleistung bereite
So groß, daß die Schwere des Gliedes keine Rolle mehr spielt, so können die
Übungen in einfacherer Form ausgeführt werden. Das Hüftspreizen läßt man
in Seitenlage (Abb.2) und das Kniestrecken im Sitzen machen, während ein
450 Max Lange
Gewicht am Fuß hängt. An der Zunahme des Gewichtes hat man ein objektives
Maß für die Zunahme der Leistungsfähigkeit der Muskulatur, das dem Arzt viel
mehr besagt, als ein regelmäßiges Messen der Gliedumfänge!
Die Übungsbehandlung bei der Poliomyelitis kommt keineswegs nur
für die Zeit des Reparationsstadiums in den ersten beiden Jahren nach der Läh-
mung in Betracht. Auch für alte, schon viele Jahre zurückliegende
Poliomyelitisfälle kann man durch Aufnahme von methodischen Übungen
oft noch wesentliche Leistungssteigerungen der Muskeln und damit eine bessere
Gebrauchsfähigkeit der Glieder erzielen. Eine Tatsache, die Kohlrausch als
erstaunlich bezeichnet, die dem Orthopäden aber geläufig ist. Als Beweis, wie
Abb. 1. Kniestreckenin Seitenlage Abb. 2. Hüftspreizen in Seitenlage.
gegen Gewichtswiderstand für die Fälle, Die kleinen Glutäen sind kräftig genug,
wo der Quadrizeps noch so schwach ist, um die Übung in dieser einfachen Weise
daß eine Übung im Sitzen nicht mög- ohne Ausschaltung des Eigengewichts
lich ist. vom Bein leisten können.
richtig durchgeführte Übungen auch bei alten Poliomyelitisfällen sich praktisch
auswirken, möge folgendes Beispiel dienen:
31 jähriges Fräulein. Bereits in früher Kindheit an Poliomyelitis erkrankt. Seit
vielen Jahren nichts mehr für das gelähmte linke Bein getan. Beim Gehen trat äußerst
schnelle Ermüdung ein. Die Gehfähigkeit war etwa !/, Stunde.
Befund: Besonders befallen war das linke Bein. Es bestand neben einer teil-
weisen Lähmung der Fußmuskeln vor allem eine Quadrizepsparese und eine Schwäche
der Glutäen. Die Gewichtsleistung des Quadrizeps beim aktiven Kniestrecken war
1 Pfd. Behandlungsverlauf: Es wurden methodische Übungen für Knie und
Hüfte aufgenommen. Die Gewichtsleistung des Quadrizeps stieg in einem Jahr auf
6 Pfd. und die Gehfähigkeit wurde 1%, Stunden.
Über die Begeisterung der Leistungssteigerung der Muskulatur bei der ak-
tiven Übungsgymnastik darf man bei der Poliomyelitis aber nie die Stellung
der Gelenke bei Belastung außer acht lassen. Besteht z. B. am Fuß
eine Knickfußstellung infolge Schwäche der Supinatoren, so muß eine Einlage
und evtl. auch eine Nachtschiene gegeben werden, bis die Supinatoren durch
die Übungsbehandlung genügend gekräftigt sind. Stellt sich das Knie in X-Bein-
oder in die gefürchtete Rekurvatumstellung ein, so muß für vorübergehend ein
Apparat zum Schutz für das Knie gegeben werden, damit nicht ein Schlottergelenk
entsteht, das nur durch Operation wieder zu beseitigen ist. Außer der aktiven
Übungsgymnastik muß in der Behandlung der schlaffen Lähmungen oft auch eine
passive Übungsbehandlung durchgeführt werden. Ihre Aufgabe und ihr
Ziel ist, leichte Kontrakturstellungen durch die Anwendung eines Dauerzuges
zu beseitigen (z. B. bei Spitzfuß, Kniebeuge- oder Hüftbeugekontraktur).
Orthopädie und Neurologie 451
Bei den spastischen Lähmungen sind die Aufgaben der Gymnastik
andere als bei den schlaffen Lähmungen. Muskelkraft ist bei den spastischen
Lähmungen meist genügend da, nur ist sie ungleichmäßig verteilt und wirkt in
unzweckmäßiger vom Willen unabhängiger Weise. Bei der Behandlung eines
jeden Spastikers ist auch eine passive Gymnastik erforderlich. Die vor allem
spastisch erregten Muskeln, die zur Schrumpfung und Verkürzung neigen, müssen
passiv gedehnt werden. Das sind am Unterarm die Supinatoren, die sonst zur
Ausbildung der Pronationskontraktur der Hand führen, an der Hüfte die Ad-
duktoren und am Fuß die Wadenmuskeln. Um der Entstehung der Kontrak-
turen vorzubeugen, läßt man für ½—1 Stunde täglich einen Dauergewichtszug
von gleichbleibendem Gewicht einwirken, da die Zugkraft den spastisch erregten
Muskeln entgegenwirkt. So läßt man am Fuß zur Bekämpfung des Spitzfußes
einen Zug angreifen, der den Fuß in Hackenfuß zieht.
Die zweite Übungsgruppe, die bei der Behandlung der spastischen Läh-
mungen angewandt wird, sind die Koordinationsübungen. Ihr Ziel ist, daß
die Bewegungen des spastisch gelähmten Gliedes allmählich wieder dem Willen
unterworfen werden. Zuerst läßt man ganz einfache vorgeschriebene Bewegungen
machen, wenn diese beherrscht werden, geht man zu schwierigeren über. Für die
Hand wickelt sich das Übungsprogramm unter Verwendung von Übungs-
tafeln etwa folgendermaßen ab: auf Tafel I müssen einfache vorgezeichnete Linien
mit den einzelnen Fingern der Reihe nach entlang verfolgt werden. Auf Tafel II
sind die Linien kreisförmig im großen Bogen verlaufend. Auf Tafel III hat man
kleine Kreise und verschlungene Linien usw. Um die Übungen für Kinder
schmackhaft zu machen, hat man Tafeln mit Gegenständen, wie mit Früchten,
mit Backwaren oder mit Spielzeug. Bei der Auswahl der Gegenstände kommt es
nur darauf an, daß bei dem Umfahren mit dem Finger von einfachen Linienformen
zu schwierigen geschritten werden kann. Sind an den Tafelübungen bereite Fort-
schritte erzielt, so geht man dazu über, die Hand für einfache tägliche Verrich-
tungen zu üben. Erst spät kann man dazu übergehen, die Hand zum Benützen
der Eßbestecke einzuüben. Um die Kinder auch außerhalb der Übungszeit für
den Gebrauch der kranken Hand anzuhalten, wird die gesunde Hand für einige
Stunden am Tag in einen Beutel gesteckt und mit einem Gurt am Rumpf an-
gebunden. Am Bein handelt es sich bei den Koordinationsübungen vor allem
um Gehübungen. Um die Schritte gleichmäßig zu gestalten, läßt man z. B. die
Patienten auf vorgezeichnete Fußtapfen (auf Linoleum mit Kreide) gehen. Das
Tempo des Gehens erfolgt auf Kommando oder nach dem Zeichen eines Metro-
noms. Kohlrausch empfiehlt vor dem Beginn einer jeden Gehübung rhyth-
mische Schüttelbewegungen am Bein für 5—10 Minuten machen zu lassen, wo-
durch die bestehenden Spasmen vermindert werden sollen. Bei striopallidär
bedingten Rigiditäten mit den „wachsweichen“ Widerständen sah Kohlrausch
Gutes von in rhythmischer Reihenfolge durchgeführten Bewegungen einzelner
Gliedabschnitte. Die gesamte Übungsbehandlung beim Spastiker ist wesentlich
zeitraubender und mühseliger als bei einer schlaffen Lähmung. Eine Übungs-
behandlung bei einem Spastiker anzufangen hat nur Sinn bei guter
Intelligenz, und wenn die Gewähr dafür gegeben ist, daß die Übungen auch
lange genug fortgesetzt werden. Da man die Übungen so auswählen kann, daß
die Übungen auch zu Hause gemacht werden können, sind die Kosten für die
Durchführung einer solchen Behandlung unbedeutend. Bei gewissenhafter Durch-
452 Max Lange, Orthopädie und Neurologie
führung der Übungen lassen sich manche erfreuliche Besserungen im Gebrauch
der Hand oder auch in der Art des Ganges erzielen. Die Eltern solcher unglück-
licher Kinder sind hierüber ebenso erfreut wie Erwachsene, die selber an einer
spastischen Lähmung erkranken und unter der Übungsbehandlung allmählich
wieder zu einer besseren Beherrschung ihrer Glieder kommen.
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Gewerbliche Vergiftungen
von Friedrich Panse in Berlin-Wittenau.
Die Vielfältigkeit der Vergiftungsmöglichkeiten in gewerblichen Betrieben
nimmt deutlich zu, trotz gewerbehygienischer Prophylaxe und gewerbeärztlicher
Kontrolle. Ob die akuten und chronischen Vergiftungen dabei zahlenmäßig,
und ob bei den Einzelbeobachtungen die Schwere der Krankheitsbilder einen
Rückgang erfahren, ist schwer zu entscheiden, mag jedoch zutreffen. Anderer-
seits steht außer Frage, daß die Komplizierung der technischen und chemischen
Arbeitsverfahren das Gewicht der gewerbemedizinischen Aufgaben — auch die
des neurologischen und psychiatrischen Gutachters — allmählich nach der
Richtung der Erkennung, Beurteilung und Verhütung der flüchtigen Gifte, der
organischen Lösungsmittel verschiebt. Deren Zahl — zu denken ist dabei z. B.
an die vielen gechlorten und sonstigen Kohlenwasserstoffe — ist jetzt schon
groß, wächst aber in Zukunft sicherlich noch, da sich die Technik fortschreitend
dahin umstellt, sie zu verwenden. Zangger (82), der schon seit langem auf diese
Gefahren aufmerksam macht und sich bemüht, die notwendigen technischen
und chemischen Kenntnisse den Ärzten zu vermitteln, nimmt heute schon an,
daß die Mehrzahl der Vergiftungen durch flüchtige Gifte erfolgt. Neurologisch
sind sie von besonderer Wichtigkeit, weil sie fast ausnahmslos „narkotisch“
wirken, ihnen also eine besondere Affinität zum Zentralnervensystem eigen ist.
Da bei eintretender Behandlung und Begutachtung dem Betroffenen selbst die
chemische Zusammensetzung der Gifte oft nicht bekannt ist (Fabriknamen),
treten weitere Schwierigkeiten auf, die der Arzt durch besondere Ermittlungen
zu überwinden hat.
Der Bedeutung dieser flüchtigen Gifte entsprechend, soll — abweichend
von der sonst üblichen Aufteilung — mit ihnen begonnen werden.
Unter den einfachen gesättigten Kohlenwasserstoffen der Fettreihe (Paraf-
finen; Formel CH, as; z. B. Methan CH., Hexan = C, Hi) hat gewerbe-
pathologische Bedeutung vor allem das Benzin (Gemisch von Kohlenwasser-
stoffen, hauptsächlich Hexan und Heptan), das starke narkotische Wirkung hat.
Zu den bisherigen noch spärlichen Beobachtungen von polyneuritischen Er-
krankungen nach chronischer Benzinintoxikation teilt H. G. Schwarz (70) einen
Fall mit von schwerer Polyneuritis aller Extremitäten nach 5—6 wöchiger
(allerdings nicht gewerblicher) peroraler Einnahme von einigen Kubikzentimeter
Benzin. Der 28 jähr. Mann wollte damit eine Gonorrhoe kurieren. Die motori-
schen Erscheinungen überwogen, Schmerzen und Sensibilitätsstörungen traten
im Krankheitsbild ganz zurück. Gute Besserung in 7 Monaten; es blieb eine
geringe Schwäche des Peroneus und Tibialis beiderseits.
Neurologie V, 11 32
454 Friedrich Panse
Umfangreiche Anwendung finden als Lösungsmittel die gechlorten Koh-
lenwasserstoffe, die ebenfalls durchweg stark narkotisch (Beispiel Chloroform
= (Cl H, Chloräthyl = C, H, CI) und zum Teil stark toxisch wirken. Während
bisher der Tetrachlorkohlenstoff (CCl, = Tetrachlormethan) als leicht nar-
kotisierend, aber sonst harmlos galt, zeigt eine Beobachtung von Hengge-
ler (28), daß auch hierbei ernstere Vergiftungsfälle auftreten können. Beim ein-
maligen Sprayen mit CCl,-haltiger Fußbodenwichse erkrankten vier Personen,
ein 54jähr. Mann davon schwer: Trübung des Sensoriums, fast vollständige
Anurie, enormer Eiweißgehalt des Urins, heftiger Singultus, kontinuierlicher
Brechreiz, Diarrhöe. Zustand sehr ernst. In der zweiten Woche vorübergehend
Schwächung der Sehkraft (leichte Stauung am Fundus) und mehrtägige Taub-
heit. Blutbild o. B. Ausgang in Genesung.
Von Tetrachloräthan (Lösungsmittel für Lacke; C, H, Cl.) dagegen ist
die Giftigkeit schon länger bekannt. Neben neuritischen Erscheinungen mit
Parästhesien und sensiblen Ausfällen an den Extremitätenenden waren in anderen
Fällen schwere Leberschädigungen mit Erbrechen, Leberschwellung, starker
Gelbsucht und Anämie und schwere Verläufe mit dem Bilde der akuten gelben
Leberatrophie zur Beobachtung gekommen. Von diesem zweiten Intoxikations-
typ sah Zollinger (84) 6 Fälle, von denen 3 nach mehrmonatigem Prodromal-
stadium unter dem Bilde der akuten gelben Leberatrophie starben. Nach akuter
Verschlimmerung von abdominalen Schmerzen und Brechreiz trat sub finem
ein mehrtägiges Koma mit deliranten Erscheinungen, motorischer Unruhe bis
zu jaktativen Bewegungen und nicht näher bezeichneten „Zuckungen“ der
Extremitäten auf. Die Vergiftungsfälle stammten aus einer Schuhfabrik, in der
ein Klebemittel Tetrachloräthan enthielt. Zollinger weist darauf hin, daß sich
die Beobachtung von der Phosphorvergiftung dadurch unterscheide, daß bei
dieser die Leber bis zuletzt stark vergrößert bleibt und Delirien in der Regel
fehlen.
Eigenartige histopathologische Befunde erhob Lutz (44) an den Nerven-
fasern der Zunge eines Chemikers, der viel Tetrachloräthan hatte pipettieren
müssen. Die Zungennerven waren in eine Reihe rosenkranzartig hintereinander
geordnete kugelige Auftreibungen mit kurzen Verbindungsstücken aufgelöst.
Daneben fand sich eine Pseudometaplasie des Zungenepithels und fettige De-
generation der Leber.
Chlormethyl (CH, CI = Methylchlorid) wird viel verwandt in der Kälte-
erzeugungsindustrie (Siedepunkt bei —23,7°). Neben leichteren narkotischen
und Rauschwirkungen waren u. a. als dem Stoff eigentümlich besonders Schläfrig-
keit und Schlafsucht beschrieben worden. Baker (7) beobachtete dagegen sehr
häufig Schlafstörungen in Form hartnäckiger Schlaflosigkeit. Daneben auch
Augenmuskelstörungen, wie Doppeltsehen und Ptosis, unbeeinflußbaren Singultus,
Schwindel, ‚„stampfenden Gang“ und „hängenden Fuß“ (Peroneuslähmung ?),
demnach auch polyneuritische Erscheinungen, die bisher bei Chlormethylver-
giftungen nicht beschrieben waren. Besonders schwere und gehäufte Vergif-
tungen wurden von Kegel, Mac Nally und Pope (34) mitgeteilt aus der Kühl-
schrankindustrie in Chicago. Von 29 Fällen verliefen 10 tödlich. Neben Be-
nommenheit bis mehrtägigem Koma mit deliranten Erscheinungen, Erbrechen,
Anurie (im Liquor 3mal erhöhter Druck, Imal wolkige Trübung, Imal positive
Globulinreaktion; im Harn Albumen und mehrmals Azeton), traten in schweren
Gewerbliche Vergiftungen 455
Fällen epileptiforme Krämpfe, Ptosis, Muskelzittern auf. Ebenso wie Baker (7)
sahen die Autoren bei den meisten Patienten Singultus, auch Augenmuskel-
paresen und Ptosis. Im Blut beinahe bei allen das Bild der primären Anämie.
In 2 Fällen (1 Mann und 1 Knabe) blieb noch durch mehrere Wochen und Monate
nach der Erholung von der akuten Krankheitsphase eine grobe Ataxie (zerebel-
lar ?) zurück. Ein Mann zeigte nachdauernden Intentionstremor, Sehstörungen
und Schwindelanfälle; eine Frau blieb vergeßlich und emotionell schwach. Also
auch langdauernde Folgezustände blieben nicht aus.
Von gewerbepathologischem Interesse sind dann noch kompliziertere Sub-
stitutionsderivate der Kohlenwasserstoffe, z. B. das Dichlorhydrin (C,H, (OH)
C1,), ein Chlorwasserstoffester des Glyzerins, Lösungsmittel für Harze, Farben,
Zellulosenitrate usw. Die narkotische Wirkung der Chlorhydrine war bereits
durch Zangger (82) u. a. bekannt. Molitoris (49) beschreibt neuerdings einen
in wenigen Stunden nach heftigem Erbrechen und Atemnot tödlich verlaufen-
den Vergiftungsfall, bei dem sehr wahrscheinlich Dichlorhydrin unter dem
Fabriknamen „Enodrin“ akut eingewirkt hat. Molitoris nimmt besondere Ge-
fährdung durch frühzeitige Lähmung des Atemzentrums an.
Aber auch die Reihe der Erfahrungen mit einfachen, nicht halogenhaltigen
Kohlenwasserstoffderivaten ist nicht abgerissen. Bo konnten Neiding,
Goldenberg und Blank (54) eingehende klinische Beobachtungen bei einer
Massenvergiftung durch Methylalkohol machen (94 Vergiftete, davon 9 tot,
28 mit schweren neurologischen Erscheinungen). Die alte Erfahrung, daß gegen-
über dem Äthylalkohol Rauscherscheinungen — einschließlich der ataktischen —
stark zurücktreten, bestätigte sich. Es bestand gewisse Erregtheit; Bewußtsein
und Orientierung blieben erhalten, bei den letal ausgehenden Fällen bis zum
plötzlichen Einsetzen des terminalen Komas. Die Pupillen waren meist er-
weitert, in 4 Fällen lichtstarr. Interessant ist die Beobachtung von tonischen
Krämpfen im Gebiet der Nacken- und Kaumuskulatur, der Bauchmuskeln und
der Streckmuskeln der Extremitäten und anderen Muskeln in einigen letalen
Fällen. Bei den Überlebenden fand sich symptomatologisch nichts wesentlich
Neues. Erwähnenswert sind vielleicht vorübergehende Pyramidenbahnzeichen
und Parästhesien in den Extremitäten (neuritisch ? vasomotorisch ?).
Erstmalig werden zwei Äthylenglykolvergiftungen von Hansen (26) be-
schrieben. Äthylenglykol (HO-H,C-CH,-OH), ein zweiwertiger Alkohol, galt
bisher als ungiftig. Bei den beiden Hansenschen Fällen handelt es sich aller-
dings auch um massive perorale Dosen. Zwei junge Männer im trockengelegten
Stavanger tranken ca. 100 ccm in der Annahme, es sei Alkohol. Tiefes Koma,
das sich am nächsten Tage aufhellte. In wenigen Tagen entwickelte sich eine
schwere Nephritis mit Anurie, die in beiden Fällen eine Nierendekapsulation not-
wendig machte. Neurologisch bestanden in den ersten Tagen in beiden Fällen
Augenmuskellähmungen, Erlöschen der Reflexe der Pupillen, die in einem Falle
weit, im anderen eng waren; Parese des Gaumensegels bei der einen Vergiftung.
Beide Male Ausgang in Heilung.
Unter den Aldehyden hat sich der Metaldehyd mit der Formel (C, H,O).
als recht giftig erwiesen. Er findet u. a. in den ‚„Meta-Brennstoff-Tabletten“
Verwendung. Nach Reye (61) nahm ein 45jähr. Mann versehentlich eine Ta-
blette „Meta“ per os anstatt Laxin. Am nächsten Morgen Erbrechen, Leibschmer-
zen, Hals- und Kopfschmerzen, Verschlechterung des Allgemeinbefindens. Beim
32*
456 Friedrich Panse
Besuch des Arztes schwerer epileptischer Anfall mit „wilden Konvulsionen und
Zungenbiß‘“ und Kollaps. Im Anschluß daran verwirrt, nicht zu fixieren, wirft
sich unruhig hin und her, Temperatur 39,20. Zunge auffallend stark belegt.
Rachen diffus gerötet. Danach allmähliche Beruhigung, die Schwerbesinnlichkeit
hielt aber noch acht Tage an. Vorübergehende Nierenschädigung, Ausgang in
Heilung. Symptomatologisch von besonderem Interesse ist eine Beobachtung
von Wolfer (81). Ein 4jähr. Mädchen verschluckt 2 g Meta- Brennstoff. Nach
2 Stunden Erbrechen, nach 5 Stunden neben dem Erbrechen auffallende moto-
rische Unruhe, nach 6 Stunden tonischer Krampfanfall. Danach werden die
Extremitäten herumgeworfen und verdreht, der Nacken gewölbt, der Kopf in
die Kissen gebohrt, es besteht Trismus und Opisthotonus, fortdauernder Brechreiz,
Somnolenz. 10 Stunden nach der Einnahme erneuter Anfall mit Spannung der
Glieder. Dann schließt sich an eine starke und bleibende choreatische Unruhe
der Glieder, ständiges Umherwerfen des Kopfes. Temperatur 38, 6. Auf Som-
nifen leichte Beruhigung. Am nächsten Morgen wieder 2 Anfälle mit nachfolgen-
der starker choreatischer Unruhe. Abends mehrere bedrohlich aussehende An-
fälle mit starker Zyanose und langer Atempause, künstliche Atmung. Lumbal-
punktion ergibt normalen Druck, keine Erleichterung. Liquor o. B. Fortdauernde
schwere Chorea. 40 Stunden nach Auftreten der ersten Intoxikationssymptome
tritt Beruhigung ein, doch zeigen sich noch heftige tonische Krämpfe der Bauch-
muskulatur mit Einziehung des Leibes. 44 Stunden nach Beginn nochmals
tonische Anfälle und Bewegungsunruhe; nach insgesamt 60 Stunden völliges Ab-
klingen. Ausgang in Heilung.
Ich habe diese recht gut beobachteten Fälle ausführlich dargestellt, da sie
ätiologisch und ihrer Symptomatologie nach bemerkenswert sind. Besonders im
Falle Wolfers — allerdings bei einem Kinde — beherrscht die striäre Kom-
ponente das Bild. Aber auch die „wilden Konvulsionen“ im Anfall und die nach-
folgende motorische Unruhe bei der Beobachtung von Reye (61) lassen an striäre
Beteiligung denken. Das ist um so auffallender, als der chemisch nahe verwandte
Paraldehyd ((C, H, O),) allgemein als der Typ des an der Hirnrinde angreifenden
Schlafmittels gilt, im Gegensatz zu den „Hirnstammschlafmitteln“, etwa den
Barbitursäurederivaten. Die Frage des Angriffspunktes der verschiedenen
Schlafmittel bedarf, wie hier nur kurz erwähnt werden kann, auch auf Grund
anderer Erfahrungen der Nachprüfung. Die frühere Auffassung der Abhängigkeit
von Bewußtseins- und Schlafstörungen von Funktionen der Hemisphärenrinde
spielt in die genannte Aufteilung der Schlafmittel zum Teil noch unkorrigiert
hinein. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß Weyer nach For-
maldehyd (CH,O)-Vergiftungen Befunde erhob, die er auf Affektionen im Thala-
mus und Hypothalamus zurückführte.
Eine chemisch sich von den genannten Kohlenwasserstoffen scharf abhebende
Gruppe von Körpern bilden die aromatischen (karbozyklischen) Verbin-
dungen, deren einfachster Repräsentant das Benzol (C, H.) ist. Neben der für
diese Körper charakteristischen narkotischen Wirkung treten hier — besonders
bei chronischen Vergiftungen — Schädigungen des Blutes stärker in Erscheinung
als bei den aliphatischen Kohlenwasserstoffen und beherrschen oft das Gesamt-
bild. Für das Benzol stellt sich diese Blutschädigung bekanntlich in der Form
einer mehr oder weniger ausgeprägten aplastischen Anämie mit Absinken der
Erythrozytenzahl auf 1 Million und darunter, des Hämoglobinwertes auf unter
Gewerbliche Vergiftungen 457
10 % in schwersten Fällen und durch ausgesprochene Leukopenie unter relativer
Schonung der Lymphozyten dar. Auch die Blutplättchen sind stark vermindert,
die Gerinnungsfähigkeit des Blutes verlangsamt, es kommt zu Purpurablutungen
in Haut und Schleimhaut. Daß auch das Gehirn im Verlauf einer chronischen
Benzolintoxikation durch derartige Blutungen betroffen werden kann, hat
Albrecht (2) mit einer interessanten Beobachtung wahrscheinlich gemacht.
Bei einem 35jähr. Manne traten Hirndruckerscheinungen mit Stauungspapille
und blutigem Liquor auf. Es wurde die Diagnose Hirntumor gestellt, doch gingen
diese Erscheinungen allmählich zurück. Erst 44, Jahre später kam es zur Begut-
achtung mit der Frage, ob die durchgemachte Erkrankung und in der Zwischen-
zeit in mehrwöchigen Intervallen aufgetretene Krampfanfälle Folge einer längeren
Beschäftigung mit einem benzolhaltigen Anstrichmittel (Siderosthen) seien. Im
Blutbild — das zur Zeit der akuten Erkrankung nicht untersucht worden war —
fanden sich hohe Erythrozyten- und Hämoglobinwerte, Lymphozytose und
Neutropenie bei normaler Leukozytenzahl. Die hochnormalen Werte im roten
Blutbild ließen sich als überschießende reparative Vorgänge deuten, die Neu-
tropenie als Restzustand einer ehemaligen Schädigung. Am Fundus fanden sich
Reste alter Blutungen (Netzhautblutungen, übrigens auch spinale Erkrankungen
waren bei Benzolintoxikation auch vorher schon beschrieben). Albrecht hat,
sicherlich zu Recht, den ursächlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der
chronischen Benzoleinwirkung bejaht. In jüngster Zeit beschrieb Edith Kor-
vin (36) einen in mancher Beziehung ähnlichen Fall. Hier war es bei einer 21jähr.
Frau nach chronischer Benzoleinwirkung in einer Druckerei ohne akutere
Initialerscheinungen zur Entwicklung einer Epilepsie gekommen zusammen mit
Neigung zu Suggillationen, Leukopenie bei relativer Lymphozytose. Die Autorin
sieht die Epilepsie weniger als Folge einer zerebralen Blutgefäßschädigung, viel-
mehr als Ausdruck einer direkten Parenchymschädigung an. Ob diese Deutung
zutrifft, muß offen bleiben. Der von E. Korvin als Stütze für ihre Hypothese
herangezogene Stieflersche Fall von Epilepsie nach Benzinintoxikation ist nicht
recht beweiskräftig wegen der völlig andersartigen Konstitution des Benzins,
für das auch schwerere Wirkungen auf Blut (Knochenmark) und Kapillaren nicht
charakteristisch sind. Zwei Fälle mit leichter Optikusatrophie nach chronischer
Benzolintoxikation bei Vater und Sohn beschrieb H. Schneider (68).
Verbreitete technische Anwendung, besonders in dem immer mehr an Be-
deutung gewinnenden Tiefdruckverfahren, haben nahe chemische Verwandte
(Homologen) des Benzols gefunden: das Toluol (C,H,CH, = Methylbenzol) und
das Xylol (C, H. (CH,), = Dimethylbenzol). Beide werden meist in Mischungen
wechselnder Zusammensetzung und mit verschiedenartigen Zusätzen als Farb-
lösungsmittel angewandt. Sie galten lange Zeit als — im Vergleich zum Benzol —
relativ ungiftig. Wenn auch so schwere Blutschädigungen wie beim Benzol bisher
nicht zur Beobachtung gekommen sind, so haben andersartige Vergiftungsfolgen
gerade in den letzten Jahren doch erhebliches gewerbemedizinisches Interesse
beansprucht.
1929 hat Stocké (75), der schon auf ältere Erfahrungen hinweisen konnte,
erneut die Aufmerksamkeit auf Beeinträchtigungen des Zentralnervensystems
durch die genannten Lösungsmittel gelenkt. Er beobachtete neben Reizerschei-
nungen der Augenbindehäute dauernde Kopfschmerzen, Rauschzustände,
schwankenden Gang, Übelkeit, Erbrechen, das subjektive Gefühl von Nachlassen
458 Friedrich Panse
des Gedächtnisses und leichte neuritische Erscheinungen in Form von hyper-
ästhetischen Gebieten an den Extremitäten und Parästhesien, Schlaflosigkeit
sowie ausgesprochene Überempfindlichkeit gegenüber dem Alkohol im Sinne
vorher nicht vorhanden gewesener Intoleranz. Diese Beschwerden schwanden in
der Regel nach Aussetzen der Tiefdruckarbeit rasch. Daneben fanden sich leich-
tere Blutveränderungen, auf die noch kurz einzugehen ist. Ähnliche Beobach-
tungen sind seitdem von einer Reihe weiterer Autoren gemacht worden. Adler-
Herzmark und Selinger (1) fanden außerdem Schwindelanfälle und Tremor
der Hände, Litzner und Edlich (43) neben Kopfschmerzen und Alkohol-
intoleranz gesteigerte Reizbarkeit und in einem Falle Parästhesien in beiden Unter-
armen; ebenso Nelken (55). Wilma Sanders (65) gegenüber wurde von etwa
einem Drittel der Belegschaft einer Tiefdruckerei über Taumel und Dösigkeit
nach den Hauptdrucktagen geklagt. Bei jugendlichen Anfängern traten aus-
gesprochene Rauschzustände auf. Auch sie sah leichte neuritische Erscheinungen
an den Armen, Alkoholintoleranz, in einem Falle Interkostalneuralgien.
Die Beobachtungen, die alle aus den letzten Jahren stammen, zeigen, daß
man die Giftigkeit des Toluols und Xylols sicherlich unterschätzt hat, solange
man das Hauptaugenmerk auf die Blutveränderungen richtete. Diese erschöpfen
sich, im Gegensatz zum Benzol, meist in leichten Veränderungen wie relativer
Lymphozytose und leichteren morphologischen Veränderungen (Anisozytose,
Poikilozytose) im roten Blutbild (Litzner (42)). Woronow (zitiert nach Litz-
ner) beobachtete nach längerer Einwirkung von Xylol und Toluol anstatt Leu-
kopenie Ansteigen der Leukozytenzahlen und führt diese dem Benzol entgegen-
gesetzte Wirkung auf das Knochenmark auf die in den beiden ersten Giften ent-
haltenen Methyl-Gruppen zurück.
Eigenartige Vergiftungserscheinungen nach subakuter Vergiftung mit Iner-
tol, einem Anstrichmittel, das hauptsächlich Xylol enthält, sah Rosenthal-
Deussen (63). Nach starken Rauscherscheinungen während der Arbeit trat
am 3. und 4. Tage Erbrechen, heftige Kopfschmerzen, Kaffeebraunfärbung des
Urins mit Eiweiß, Zucker, Indikan und Zylindroiden im Harn auf. Ein Fall
ging durch Ileus tödlich aus, wofür toxische Schädigung des sympathischen
Nervensystems als Ursache angesprochen wird.
Ich glaubte, die Xylol- und Toluolvergiftungen hervorheben zu sollen,
weil einmal mit einer Verbreitung des Tiefdruckverfahrens, in dem diese Körper
vornehmlich Anwendung finden, zu rechnen ist und weil andererseits die starke
Beteiligung des Zentralnervensystems durchaus möglich erscheinen läßt, daß
auch schwerere zerebrale oder spinale Erkrankungen eintreten können. Eine
eigene (noch nicht veröffentlichte) Beobachtung einer akuten exogenen Psychose,
bei der chronische Toluol-Xylol-Vergiftung ätiologisch weitaus das wahrschein-
lichste ist, spricht ganz in diesem Sinne.
Die bisherigen Erfahrungen über die Nitro- und Amidoverbindungen der
aromatischen Reihe sind in den letzten zwei Jahren nicht wesentlich ergänzt
worden. Bonzanigo (9) hat bei 66 klinischen Beobachtungen von akuter
Anilin-, Nitro- und Dinitrobenzolvergiftung Nachuntersuchungen ange-
stellt. An Folgezuständen von diagnostischer Bedeutung, aber ohne wesentliche
Gesundheitsstörung fanden sich bei den Nitrobenzolen im Vergleich zum Anilin
(Amidobenzol) häufiger und länger dauernde Herzbeschwerden, während nach
Anilinvergiftungen als typische Spätfolge eigentümliche, ganz kurzdauernde
Gewerbliche Vergiftungen 459
Schwächeanfälle mit Dunkelwerden vor den Augen ohne Bewußtseinsverlust
und ebenfalls ohne wesentliche Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit auftraten.
Genkin und Raschewskaja (16) kamen bei Untersuchungen an 70 Anilinarbei-
tern zu dem Ergebnis, daß es eine eigentliche chronische Anilinvergiftung nicht
gebe. Wenn bei Anilinarbeitern Beschwerden auftreten, so handle es sich um
flüchtige Symptome akuter Vergiftungen mit bläulicher Verfärbung der Lippen,
Methämoglobinbildung, die jeweils wieder verschwinden. Die in einigen Fällen
festgestellten, uncharakteristischen, nervösen Klagen über Kopfschmerz, Schwin-
del, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, konnten nicht mit Sicherheit mit einer chro-
nischen Anilineinwirkung in Zusammenhang gebracht werden.
Eine chemisch und toxikologisch besondere Stellung nimmt die Blausäure
(HCN = Zyanwasserstoffsäure) und ihre Verbindungen (Zyanide) ein. A. Meyer
(47) konnte auf Grund von Tierversuchen die bereits vor Jahren beim Menschen
erhobenen Befunde in Form elektiver Schädigungen des Pallidum und der roten
Zone der Substantia nigra (wie sie ja auch für die CO-Vergiftung charakteristisch
sind) bestätigen. Er weist darauf hin, daß beiden Giften vor allem die Wirkung
auf die innere Atmung, auf das eisenhaltige Atemferment, das sowohl durch HCN
wie durch CO in spezifischer Weise gehemmt werde, gemeinsam sei. Auch zwei
recht interessante klinische Beobachtungen lassen ein vorzugsweises Befallensein
der Hirnstammregion und des Zwischenhirns erkennen. So trat nach einer mir
leider nur im Referat zugänglichen Beobachtung von Buzzo und Guerra (12)
bei einem 36jähr. Manne nach akuter suizidaler HCN-Vergiftung ein extra-
pyramidaler Symptomenkomplex neben psychischen Störungen auf, und Bratt
(10) beschrieb neben den sonstigen akuten HCN-Vergiftungserscheinungen (Be-
nommenheit, schneller Puls, Zyanose) eine Temperatursteigerung auf 40,4°,
Hyperglykämie und Glykosurie, die er auf Schädigung der entsprechenden
(Zwischenhirn-)Zentren zurückführt. Bisher fehlten eindeutige klinische Be-
obachtungen von pallidären und Zwischenhirnerscheinungen. Überblickt man
aber die älteren klinischen Berichte über schwere akute Intoxikationen, so lassen
Befunde, wie starke Erweiterung der Pupillen, mehrtägige absolute Schlaflosig-
keit, jaktative motorische Unruhe, starke Muskelspannung der Extremitäten im
Koma doch schon recht deutlich Beziehungen zu den genannten Hirngebieten
erkennen. Auch der Fall von Hopmann (33) aus neuester Zeit zeigte im initialen
Koma starke Hypertonie der Extremitäten mit zeitweiligen heftigen Zuckungen.
Diese Erscheinungen gingen schon innerhalb eines Tages zurück, doch blieb eine
bulbäre Sprachstörung, Herabsetzung der Merkfähigkeit, Reizbarkeit, auffallende
Labilität des Pulses, starke Ermüdbarkeit und Potenzschwäche zurück, Erschei-
nungen, die sich im Laufe von zwei Jahren besserten, jedoch nicht schwanden.
Es scheint dies die erste Beobachtung von zerebralen Dauerschädigungen nach
überstandener HCN-Vergiftung zu sein, wenn es sich nicht im Falle von Buzzo
und Guerra (12) ebenfalls um irreparable Störungen gehandelt hat, was
aus dem kurzen Referat nicht ersichtlich ist. Die letztgenannten Autoren
sahen übrigens bei einem 6jähr. Kinde nach akuter HCN-Einwirkung poly-
neuritische Symptome mit partieller Zwerchfellähmung, Teillähmung des
linken Armes, unsicheren Gang ohne Sensibilitätsstörungen (Befund nur dem
Referat entnommen) auftreten. Eine ähnliche polyneuritische Erkrankung, eben-
falls vorwiegend motorisch, ist früher von Collins und Martland beschrieben
worden.
460 Friedrich Panse
Die vorliegenden Einzelbeobachtungen von Vergiftungen mit den alipha-
tischen und aromatischen Kohlenwasserstoffen auf einen gemeinsamen klinischen
Nenner zu bringen, ist noch nicht recht möglich. Es sind dazu weitere klinische
Erfahrungen und das Sammeln gut analysierter Fälle nötig. Die Aufzählung
der Vergiftungsfolgen ist deshalb noch recht unbefriedigend und läßt die Betrach-
tung unter einem höheren Gesichtspunkt, etwa das Aufzeigen der Zugehörigkeit
bestimmter Schädigungstypen zur chemischen Konstitution der Gifte — abge-
sehen von Ansätzen, die hier versucht sind — noch nicht zu. Eins mag auffallen,
daB nämlich der für striäre Erscheinungen durch die Enzephalitiserfahrungen
geübte Blick in zunehmender Häufigkeit auch bei den gewerblichen und sonstigen
Intoxikationen auf Krankheitezeichen stößt, die für Beteiligung der Stamm-
ganglien sprechen. Unter den bisher genannten Giften kann man auf das Chlor-
methyl (Schlafstörungen), Metaldehyd (Chorea), Blausäure (Pallidum, Subst.
nigra) verweisen.
Es braucht deshalb nicht verwundern, wenn auch bei den anorganischen
Giften, von denen noch zu berichten ist, extrapyramidale Schädigungsfolgen
bekannt werden. Für den Schwefelkohlenstoff (CS,) war dies bereits durch
Quarelli's (58) und Gianotti’s(18) Untersuchungen über den Tremor bei CS,
Vergiftungen wahrscheinlich gemacht. Dieselben Autoren, aber auch Negro (53),
Ranelletti (60) und Chiri (zitiert nach Ranelletti) haben diese Erfahrungen
auf Grund chronischer CS,-Intoxikationen bei Kunstseidearbeitern wesentlich
erweitern können. So sah Gianotti (19) neben leichten polyneuritischen Er-
scheinungen, Reizbarkeit, Gedächtnisschwäche und sexueller Frigidität Ruhe-
tremor und einen typischen schweren Parkinsonismus bei einem 27jähr. Mann
nach 7jähriger CS,-Arbeit auftreten. Einen sehr ähnlichen Fall beschreibt
Quarelli (58), der außerdem in einer weiteren Beobachtung (59) schwere tor-
sionsspastische Anfälle auftreten sah. Auch Negro (53) teilt einen schweren
CS,-Parkinsonismus bei einem 30jähr. Arbeiter mit, und Ranelletti schätzt
auf Grund der italienischen Kasuistik, daß bei etwa 7% der chronisch CS, Ver-
gifteten ein (häufiger) amyostatischer oder (seltener) dystonischer Symptomen-
komplex auftrete.
Diesen interessanten Beobachtungen gegenüber treten ergänzende kasuisti-
sche Mitteilungen über Schwefelkohlenstoffpsychosen, Polyneuritiden und retro-
bulbäre Neuritiden (z. B. Nectoux und Gallois (52)) an Bedeutung zurück,
zumal diese Schädigungssyndrome durch die grundlegende Darstellung von
Bonhoeffer, die ältere von Laudenheimer u. a. gut bekannt sind. Er-
wähnenswert sind zwei Beobachtungen von Baader (3), bei denen Schwindel
und Erbrechen so stark im Vordergrunde standen, daß zunächst an Hirntumor
gedacht worden war. In einem der Fälle bestand Fieber bis 42°, das als toxisch
bedingt aufgefaßt wird.
Die „klassische“ chronische Intoxikation mit amyostatischen Folgeorschei-
nungen ist (neben dem CO) bekanntlich das Mangan. Es nimmt dadurch in
seiner toxischen Wirkung unter den giftigen Schwermetallen eine besondere
Stellung ein. Das Syndrom des Manganismus ist gut bekannt und von Hil-
pert (29) in einer zusammenfassenden Darstellung noch einmal umrissen worden.
In einer zweiten Veröffentlichung teilt Hilpert (30) als symptomatologische Be-
sonderheiten Schluckstörungen, Torticollis spastica, plötzlichen Tonusverlust
mit und weist hin auf die relative Häufigkeit von Pyramidenbahnzeichen in dem
Gewerbliche Vergiftungen 461
sonst parkinsonistischen Bild. A. Meyer (48) und L. Schwarz (71) sehen in
einem stärkeren Hervortreten intellektueller Defekte — wie Rechen-, Merk- und
Orientierungsstörungen — ein wichtiges Differentialdiagnostikum gegenüber der
Enoephalitis epidemica. Fälle von Baader (4) und Mosheim (50) zeigen, daß
chronische Manganintoxikationen außerhalb der Braunstein-Gewinnung, -Müllerei
und Verladung auch bei der Braunsteinverarbeitung in Taschenlampenbatte-
rien- und Elementenfabriken auftreten können. Gerade das Übersehen bisher
nicht bekannter Vergiftungsquellen führt zum Nichterkennen vieler gewerblicher
Intoxikationssyndrome.
Daß auch bei Bleienzephalopathien leichtere amyostatische Erscheinungen
auftreten können, zeigen die bereits im vorigen Übersichtereferat von Kant
(Fortschr. Neur. 4, 123 [1932]) ausführlich zitierten Beobachtungen von Raw-
kin. Überblickt man die überaus umfangreiche Bleiliteratur der letzten Zeit,
die sich nur ganz auszugsweise hier erwähnen läßt, so fällt auf, daß sich die Mit-
teilungen über Bleienzephalopathien wieder deutlich häufen, nachdem es jahre-
lang so schien, als ob sie extrem selten geworden seien. Es ist natürlich sehr
zweifelhaft, ob es sich dabei um eine tatsächliche Häufung handelt, viel wahr-
scheinlicher ist wohl, daß die gutachtliche Beschäftigung der Kliniker mit der-
artigen Fällen seit der Einbeziehung der Berufskrankheiten in die Unfallversich-
rung die Veröffentlichungen vermehrt hat. Schmitz (67) hat sich eingehender
mit der Symptomatologie der zerebralen Bleiintoxikationen befaßt. Nach ihm
unterscheidet sich der „enzephalasthenische“ Symptomenkomplex in den chro-
nisch und schleichend verlaufenden Fällen von gleichlautenden Beschwerden bei
Menschen im Rentenkampf durch eine ausgesprochene Passivität der Kranken.
Neurasthenische Beschwerden bei Bleigefährdeten, die bis dahin keinerlei Zeichen
einer psycho- oder neuropathischen Konstitution geboten haben, seien stets ver-
dächtig (mehr kann man auch sicher nicht sagen) auf organische Bleischädigung
des Zentralnervensystems. Schmitz hatte einen Chrombleiarbeiter zu begut-
achten, bei dem sich über ein enzephalasthenisches Prodromalstadium mit
ängstlich-paranoischen Vorstellungen eine exogene Psychose mit inkohärenten,
deliranten und psychomotorischen Zuständen entwickelt hatte. Später trat
Bewegungsarmut und Apathie ein, und der Kranke starb still vor sich hin de-
lirierend an Sepsis. Die Komplikation durch die Sepsis läßt den Fall nicht ganz
eindeutig erscheinen; das Gehirn wurde nicht untersucht.
Nicht ganz selten sind die Fälle, in denen die ersten Zeichen einer Blei-
enzephalopathie lange Zeit, gelegentlich jahrelang, nach Aufhören der Bleizu-
fuhr auftreten. Man muß annehmen, daß in solchen Fällen, die bis dahin un-
schädlichen Bleidepots vor allem in den Knochen irgendwie mobilisiert werden.
So sah Rothschild (64) 14 Jahre nach abgeschlossener Bleiarbeit eine akute
Enzephalopathie mit Krämpfen, deliranten Erscheinungen, Bleisaum und baso-
philer Tüpfelung der Erythrozyten auftreten. Rothschild vermutet als Ur-
sache für die Ausschwemmung des Bleis aus seiner Bindung an das Skelett einen
Diätfehler. Ein 10jähr. beschwerdefreies Intervall zeigt ein Fall von Leschke
(40). Hier war das Bleidepot gesetzt durch einen Schrapnellschuß im Kriege in
der Gegend eines Oberarmkopfes mit Zerspritzen der Kugel in zahlreiche kleine
und kleinste Splitter. 10 Jahre später traten in zunehmender Stärke Stuhlver-
stopfung, Kolonspasmen, Beugekrampf des rechten Zeigefingers, Benommen-
heit, Sehstörungen, dazu eindeutige amyostatische Erscheinungen wie Ver-
462 Friedrich Panse
armung der Mimik, Schauanfälle, Tremor der Finger und Speichelfluß auf. Durch
Eingeben von Natr. bicarb. und Jodkali ließen sich getüpfelte Erythrozyten und
Ansteigen des Bleigehaltes im Blut provozieren.
Nach derartigen Beobachtungen wird man übrigens doch die bisher noch
strittige Frage, ob sich nicht doch — wenn auch sicherlich in ganz seltenen Fällen
— nach stark verspritzten Bleisteckschüssen chronische Bleiintoxikationen ent-
wickeln können, bejahen müssen, wie dies auch H. Neumann (56) tut. Er macht
auf die oft sehr langdauernde Latenzzeit in solchen Fällen aufmerksam. Andere
Autoren (z. B. L. Schwarz (72)) verhalten sich allerdings einer Anerkennung
gegenüber noch ablehnend.
Bleienzephalopathien sind schließlich noch von Viethen (77), Williams,
Huntington, Schulze, Rothschild, Brown und Smith (80), von Nieder-
land und Teleky (57) (9 Fälle) und Zapel (83) beschrieben. Allerdings lassen
‚sich arteriosklerotische Hirnveränderungen, bei denen das Blei nur eine
mehr untergeordnete Rolle spielt, nicht immer mit genügender Sicherheit
ausschließen.
Stärker in den Vordergrund des klinischen Interesses sind schließlich noch
die vasomotorischen und vegetativen Bleivergiftungsfolgen getreten. Bleigan-
grän auf Grund von lokalen Gefäßspasmen ist sicherlich überaus selten, doch
lassen Befunde wie die von Lederer (39) kaum noch an ihrem Vorkommen
zweifeln. Bei einem 26jähr. Glasschleifer fanden sich alle Kardinalsymptome der
Bleivergiftung, es traten enzephalopathische Bewußtseinstrübungen auf, dazu
eine Gangrän des rechten Unterschenkels und drohende Gangrän des linken
Beines. Bei dem jugendlichen Alter und dem voll ausgeprägten Symptomen-
komplex der Bleiintoxikation kommt für die Gangrän ätiologisch kaum etwas
anderes in Frage. Nicht ganz so eindeutig liegt der Fall von Gerbis (17). Hier
trat Gangrän an den Extremitätenenden bei einem Bleiarbeiter auf, der schon
seit Jahren an Morbus Raynaud litt. Gerbis nimmt an, daß hier eine ungewöhn-
liche Empfindlichkeit gegenüber der vasospastischen Wirkung des Bleies vor-
gelegen habe, so daß es so durch das Blei zu einer Verschlimmerung des Ray-
naudschen Symptomenkomplexes gekommen sei. Um nähere Kenntnis über
das den Bleikoliken (Kolonspasmen) und anderen intestinalen Spasmen (z. B.
des Ösophagus und der Kardia; Floret (15)) zugrunde liegende anatomische
Substrat zu erhalten, hat Grünberg (24) Katzen mit kohlensaurem Blei ver-
giftet und deren sympathische Ganglien histologisch untersucht. Es fanden sich
akute Degenerationserscheinungen in allen sympathischen Ganglien, am deut-
lichsten im Gel, oervic. inf., geringgradiger im Ggl. nodosum. Sie konnten nicht
als für Bleivergiftung spezifisch angesprochen werden, da ähnliche Veränderungen
u. a. auch von akuten Infektionskrankheiten (Typhus, kruppöse Pneumonie) her
bekannt sind; doch kam in den untersuchten Fällen ätiologisch nur Blei für die
Veränderungen in Frage.
Der bisher klinisch nur sehr mangelhaft fundierten Anschauung, daß durch
Blei auch gelegentlich spinale Erkrankungen mit Beteiligung der Pyramiden-
bahnen entstehen können, hat Holstein (32) mit 4 Fällen nunmehr sehr viel
mehr Wahrscheinlichkeit gegeben. Bei allen vier Erkrankten handelte es sich
um Bleiarbeiter im Alter von 26—60 Jahren, bei denen auch sonst die Zeichen
der Bleiintoxikation nicht fehlten und neurologisch spastische Erscheinungen
an den Extremitäten mit Pyramidenbahnzeichen im Vordergrund standen.
Gewerbliche Vergiftungen 463
Leider wurde nicht bei allen eine Lumbalpunktion vorgenommen, so daß sich
andere Ursachen nicht ganz ausschließen lassen.
Von der Literatur über die Quecksilbervergiftungen ist nur eine Arbeit
von Kulkow (37) erwähnenswert, der seine bereits im vorigen Referat zitierten
Studien an dem in der Sowjetunion noch reichlich strömenden Material fort-
geführt hat. An 12 Hg-Enzephalopathien bestätigte er im wesentlichen die be-
kannten klinischen Befunde. Bei den schweren Erkrankungen fiel in der Ana-
mnese ausgesprochener chronischer Alkoholismus auf. Bei fast allen Patienten
schwand der Tremor unter der Wirkung des Alkohols, trat jedoch nachher ver-
stärkt auf. Auch hier fiel Kulkow mehrfach eine ausgesprochene Amimie (wie
Rawkin beim Blei) auf. Hypercholesterinämie (176—250 mg ) fand sich in
allen Fällen. Bei 5 Kranken wurde der Liquor untersucht. Verminderung des
Zuckergehaltes (0,039—0,042 mg %) fand sich viermal, obgleich meningeale
Erscheinungen fehlten (bis auf 36 Lymphozyten in einem Falle). Globulin war
nicht vermehrt, die WaR. immer negativ, bei der Goldsolreaktion fand sich
viermal ein Farbumschlag im Sinne einer Lueszacke. Diese serologischen Be-
funde ergänzen die bisher bekannte Symptomatologie in erfreulicher Weise.
Der bisher sehr spärlichen — meist älteren — Kasuistik über Kupfer-
vergiftungen mit vorwiegend neuritischen Erscheinungen hat Simon (73) einen
Fall angereiht, der allerdings auch ätiologisch nicht als völlig eindeutig ange-
sprochen werden kann. Eine 29jähr. Frau wurde durch eine Sprengkapsel in
Form zahlreicher kleiner und kleinster Kupfersplitterchen im Gesicht und an
den Armen verletzt. Diese wurden bei der Untersuchung zum Teil grün und
bröckelig, also chemisch verändert und damit wahrscheinlich resorbierbar be-
funden. Vier Jahre später entwickelte sich ein Raynaudscher Symptomen-
komplex. Simon nimmt dessen Auslösung durch die Kupferwirkung an, ohne
diesen Zusammenhang besonders begründen zu können. In der Literatur fand
sich eine Mitteilung (Thal-Rakischki) von Extremitätengangrän bei einem
65jähr. Manne nach Kupfervitriolvergiftung.
Von den sog. Leichtmetallen verlangt das Thallium klinisches Interesse,
das bekanntlich neben einer Enthaarung schwere und sehr schmerzhafte Poly-
neuritiden mit Atrophien verursachen kann. Über neue Fälle von retrobulbärer
Neuritis nach Gebrauch von thalliumhaltigen Enthaarungspasten berichten
Lillie und Parker (41) sowie Mahoney (45). Ginsburg und Nixon (20) teilen
kurz zerebrale Begleiterscheinungen der Polyneuritiden in Form von Ptosis und
anderen Augenmuskellähmungen, myoklonischen Zuckungen und nicht näher
charakterisierten psychischen Störungen nach versehentlicher Einnahme von
thalliumhaltigem Rattengift mit. Scharrer (66) hat das Gehirn eines Mannes,
der einen Suizid mit Thallium begangen hatte, histologisch untersucht und fand
starke krankhafte Veränderungen in den Oliven, im Nucl. dentatus sowie eine
Degeneration der Gollschen Stränge. Die Untersuchungen wurden durch ex-
perimentelle Thalliumvergiftung beim Affen ergänzt, wo die schwersten Zellver-
änderungen im Hinter- und Vorderhorn des Rückenmarks anzutreffen waren.
Als gewerbliches Gift ist Thallium bisher weniger in Erscheinung getreten, doch
liegen solche Intoxikationen bei der gar nicht seltenen Verarbeitung natürlich
durchaus im Bereich der Möglichkeit.
So hat das Barium, von dem nur sehr wenige gewerbliche Vergiftungen
bekannt sind, neuerdings zu einer solchen geführt. Außer dem unlöslichen Schwer-
464 Friedrich Panse
spat (BaSO,) sind bekanntlich alle Bariumverbindungen sehr giftig. Nach Gott-
wald (22) erkrankte ein 32jähr. Elbschiffer nach mehrtägigem Verladen von
Bariumkarbonat unter starker Staubentwicklung an den typischen Erscheinungen
einer Bariumvergiftung. Nach prodromalen Magenschmerzen und Durchfällen
entwickelte sich recht akut eine völlige Lähmung sämtlicher Extremitäten,
Anurie und Verstopfung (infolge Lähmung der Blasen- und Darmmuskulatur);
das Sensorium blieb, wie immer, frei; in diesem Falle blieb aber auch die sonst
sehr häufige Lähmung der motorischen Bulbärnerven aus, so daß die Vergiftung
günstig verlief. An Hirnnervenerscheinungen bestand lediglich Ohrensausen.
Schon am nächsten Tage (auch das ist bereits beobachtet) waren die Lähmungs-
symptome wieder verschwunden. Bemerkenswert ist der Liquorbefund. Auf
der Höhe der Vergiftung fanden sich bei negativen Globulinreaktionen und WaR.
393/3 Lymphozyten; 10 Tage später waren nur noch 7/3 Zellen vorhanden. Die
Frage, ob es sich um Lähmungen des peripheren motorischen (und sensiblen) Neu-
rons oder um direktes Angreifen des Giftes an den motorischen Endapparaten
in der Muskulatur oder schließlich an der Muskulatur selbst handelt, harrt noch
der Klärung. Gottwald (22) nimmt die letzte der drei Möglichkeiten an. Die
häufiger beobachtete Beteiligung der Sensibilität in Form von Parästhesien und
Empfindungsausfällen, der oft aufsteigende Typ der Lähmungen, lassen jedoch
mehr an eine spinale Genese denken. Leider fehlen, soweit ich sehe, auch jetzt
noch genauere histologische Untersuchungen des Rückenmarks, die der Klärung
dienen könnten.
Unter den nichtmetallischen anorganischen Giften hat das Arsen
unverminderte Bedeutung. Die Klinik der — ja auch gut bekannten — Arsen-
polyneuritiden ist durch neuere Arbeiten nicht wesentlich bereichert worden.
Von Spiridis und Ley (74) und von Hassin (27) wird an die Meesschen Nagel-
bänder als wichtiges Pathognostikum erinnert. Es handelt sich um weißliche
streifen- oder lunulaförmige Querbänder der Finger- und Zehennägel, die durch
Arsenimprägnation vom Nagelbett aus entstehen. Sie fehlen natürlich in ganz
frischen Fällen und können nach längerer Dauer der Polyneuritis mit dem wach-
senden Nagel wieder verschwunden sein. Wigand (79) hat chemisch nachge-
wiesen, daß die bandtragende Nagelsubstanz 10mal so viel Arsen enthielt als die
bandfreie.
Eigenartige zerebrale Erscheinungen führen Bacmeister und Rehfeldt (5)
auf Phosphor-Überdosierung bei Gerson-Hermannsdorferscher Tuber-
kulosediät zurück. Es wurde dabei Phosphorlebertran in Dosen verabreicht, in
denen bis zu 0,0042 Phosphor pro die (Maximaldosis 0,003) nachgewiesen wurde.
Bei einer Reihe von Patienten fiel 2—3 Wochen nach der Diätumstellung eine
auffallende Verminderung der Konzentrationsfähigkeit und Apathie auf; in einem
Falle kam es sogar ziemlich plötzlich zu tiefer Bewußtlosigkeit, die sechs Tage
anhielt. Wertham (78) untersuchte das Gehirn einer Frau, die in einer De-
pression phosphorhaltiges Rattengift eingenommen hatte. Es fanden sich schwere
Ganglienzellveränderungen in der unteren Olive, die auch nach schon vorliegen-
den Untersuchungen von Weimann als besonders empfindlich gegenüber
Phosphor angesprochen wird.
Schließlich ist noch über die Kohlenoxyd-Vergiftung zu berichten, die
jedes Jahr wieder zu sehr zahlreichen Veröffentlichungen Anlaß gibt. Die histo-
logischen Untersuchungen haben bekanntlich über die Pallidumerweichung
Gewerbliche Vergiftungen 465
hinaus mehr oder weniger diffuse Hirnschädigungen ergeben, und es darf deshalb
nicht Wunder nehmen, wenn in der Symptomatologie vom Gros der Fälle sich
abhebende Einzelfälle zur Beobachtung kommen. Sie haben eigentlich nur dann
besonderen Wert, wenn ergänzende histopathologische Untersuchungen zu neuen
pathogenetischen oder lokalisatorischen Erkenntnissen führen. Das ist in den
meisten Fällen aus der letzten Zeit nicht der Fall. Der Hinweis auf die Ver-
öffentlichungen von Camauer, Battro und Llambias (13) (Hemiplegie und
Hemianästhesia dolorosa), Bäumler (6) (Chorea), Gordon (21) (Rollbewegungen
und tetanieähnliche Tonussteigerung der Glieder bei Berührung, in Parallele ge-
setzt zu Dezerebrationserscheinungen bei Tieren), Kötzing (35) (rezidivierende
dämmerzustandsartige Erregungen), Laubenthal (38) (Wesensveränderung mit
Schlafstörungen und „Drangzuständen“), Schultz (69) (rhythmisches Heben
des rechten Armes über den Kopf und spastische Paraparese der Beine) und von
Menichetti und Pennacchi (46) (Frage der Auslösung schizophrener Prozesse
bei Disponierten durch exogene Schädigungen) mag für den Interessierten hier
genügen. Bemerkenswert ist ein Fall von Greving und Geng (23). Hier be-
stand eine terminale, offenbar zerebral bedingte Temperatursteigerung auf 42,3°.
Bei der histologischen Untersuchung fanden sich symmetrische Erweichung im
Thalamus und Blutungen in den verschiedensten Hirngebieten. Diese zeigten
eine Prädilektionsstelle im Nucleus paraventricularis und in geringerem Maße
im zentralen Höhlengrau des 3. Ventrikels, dicht oberhalb der Corpora mamil-
laria. Die Autoren vermuten, daß in den Blutungen im zentralen Höhlengrau
des 3. Ventrikels und besonders im Nucl. paraventricularis — die bisher nicht be-
schrieben wurden — die Ursache für die besonders hohe Temperatursteigerung
vor dem Tode liegen könnte.
Auf vasomotorische Begleiterscheinungen in Form scharf umschriebener, derb
infiltrierter Erythemflecken, sowie auf ähnliche Veränderungen mit Blasen-
bildungen und umgebenden hämorrhagischen Zonen nach akuter CO-Vergiftung
machen Schultz (69), Biancalani (8) und Guillain, Thurel und De-
soille (25) erneut aufmerksam. Die gleichen Autoren beschreiben auch periphere
Neuritiden des N. radialis, N. medianus und N. ulnaris, sowie Atrophien im Ge-
biet des Trapezius, Supra- und Infraspinatus und der Oberarmmuskulatur. Es
scheint, als ob Fälle mit starken vasomotorischen Erscheinungen in der Haut
des Rumpfes und der Extremitäten zugleich besonders leicht an peripheren
Neuritiden erkranken. In einem Falle der französischen Autoren bestanden
direkte örtliche Beziehungen der vasomotorischen Erscheinungen zu den neuri-
tischen Ausfällen. Sie machen darauf aufmerksam, daß die CO-Neuritiden im
Gegensatz zu sonstigen toxischen Polyneuritiden meist nicht symmetrisch sind,
was wohl mit ihrer vasomotorischen Genese zusammenhängt.
Zur Frage der chronischen CO- Vergiftung ist die Kasuistik um einige
recht interessante Fälle bereichert worden. In einer Beobachtung A. Müllers (51)
fuhr ein 35jähr. Arzt zwei Jahre ein defektes Auto, bei dem sich in der Luft am
Führersitz 0, 1—0, 3 Vol.-Proz. CO nachweisen ließen. Nach leidlichem Wohl-
befinden traten im Anschluß an die ärztliche Versorgung eines CO-Suizidfalles
hartnäckige, durch viele Monate sich hinziehende Kopfschmerzen, Brechreiz,
Durchfall, leichte Unsicherheit beim Gehen, Gereiztheit, Nebelsehen, schlechter
Schlaf, Ohrensausen, Herabsetzung der Merkfähigkeit, fibrilläre Zuckungen in den
verschiedensten Muskelgebieten und vereinzelte Myokloni auf. Daneben fanden
466 Friedrich Panse
sich wasserhelle Blasen an der rechten Hand, Atemnot bei kleinsten Anstren-
gungen, abnorm starkes Schwitzen, Polakisurie und Kalkariurie, ab und zu
Glykosurie. Allmähliche Heilung nach Entfernung aus der CO-Atmosphäre.
Diesem Fall mit guter Selbstschilderung und genauer objektiver Untersuchung
reihen sich andere an. So sah Brzezicki (11) ein junges Ehepaar erkranken mit
sehr ähnlichen Beschwerden. Bemerkenswert ist hier, daß sich besonders bei
dem Manne deutliche Anzeichen eines leichten Parkinsonismus in Form eines
Maskengesichtes und kleinschrittigen Ganges einstellten. Die Untersuchung
ergab, daß das Ehepaar in einer Wohnung wohnte, in die von einer Werkstatt
her dauernd CO einströmte. In beiden Fällen besserten sich alle Beschwerden
einschließlich der leichten amyostatischen Erscheinungen rasch nach Ausschal-
tung der Vergiftungsquelle. Auch Symanski (76) beschrieb 7 chronische CO-
Vergiftungen mit Allgemeinbeschwerden, dauernde Kopfschmerzen, Schlaf-
bedürfnis, Konzentrationsunfähigkeit, Flimmern vor den Augen. Zwei der Er-
krankten klagten über Abgang von Blut im Stuhle, zwei über flüchtige quaddel-
artige Hauterscheinungen mit Juckreiz. Die Luftanalyse im Arbeitsraum ergab
0,1—0,25 % CO. Zwei gleiche Erkrankungen beschrieb Holm (31) bei Frau und
Kind. Ihm wie auch Brzezicki (11) fiel eine starke fahle Blässe des Gesichtes
auf. CO konnte von Symanski (76) im Blut nicht nachgewiesen werden, wurde
auch nicht erwartet.
Angesichts solcher Beobachtungen, von denen gerade auch die von Brze-
zicki (II) mit leichten Parkinsonerscheinungen besondere Beachtung erfordert,
wird es immer wahrscheinlicher, daß es eine chronische CO-Vergiftung tatsächlich
gibt, was bisher noch umstritten ist. Man kann sich gewiß auf den Standpunkt
Ellingers (14) stellen, daß es sich immer um eine Anzahl aufeinanderfolgender
akuter CO-Vergiftungen handle und nicht um chronische im engsten Sinne.
Aber diese Einschränkung trifft schließlich auf sehr viele der chronischen gewerb-
lichen Vergiftungen zu, in denen die Giftzufuhr keine kontinuierliche ist und erst
die sich summierenden akuten Intoxikationen durch viele Arbeitsschichten hin-
durch zu Folgeerscheinungen führen. Rosenthal (62) knüpft an das Vorkom-
men urtikarieller Erscheinungen in den Fällen von Symanski (76) die Über-
legung, daß es sich dabei um eine echte Allergie handeln könne. Er schlägt die
Vornahme eines Hautquaddelversuches mit CO-Hämoglobin vor, um auf diese
Weise die CO-Genese sicherzustellen, zumal sich die übrigen oft nicht sehr charak-
teristischen Beschwerden schwer von psychogenen Klagen abgrenzen ließen.
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werblichen Vergiftungen. Schweiz. med. Wschr. 1980 II. 1193 u. 1981 I, 741. —
83. Zapel: Chronische, berufliche Blei-Vergiftung. Ein Fall von Encephalopathia
saturnina. Sammlung von Vergiftungsfällen. Hrsg. von Fühner. 8, 279 (1932). —
84. Zollinger: Über sechs Fälle von Tetrachloräthanvergiftung. Schweiz. Z. Un-
fallmed. 24, 92 (1930).
Neurologie V, 11 33
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten
von Felix Stern in Kassel.
Der folgende Bericht, der sich an einen kritischen Aufsatz über das gleiche
Thema im Zentralblatt f. d. g. Neur. Bd. 58 anschließt, beschäftigt sich vor-
wiegend mit den Arbeiten der letzten 21, Jahre. Die Wichtigkeit, dieses Gebiet
wiederholt einem großen Kreise von Fachgenossen in Erinnerung zu bringen, und
zur Mitarbeit anzuregen, ergibt sich — a en von der jedem Praktiker be-
kannten Häufigkeit entsprechender Fragestellungen — vorzüglich aus der Tat-
sache, daß die Grundanschauungen in den Arbeiten der Berichtszeit, genau so
wie früher, eine Uneinheitlichkeit zeigen, wie sie bei der Begutachtung psycho-
gener Reaktionen (und auch Psychosen) unbekannt ist. Namentlich in der
deutschen Gutachterschaft hat ja doch eine Majorität von Ärzten die prinzipiellen
Anschauungen von Sinn und gutachtlicher Bedeutung psychogener Reaktionen
so weit übernommen, daß man nicht selten das Wort von einer „herrschenden
Lehre“ in zustimmender oder auch ironisch gefärbter Weise hört. Diese Grund-
sätze werden durch die abweichenden Ansichten mancher Autoren, die sich auf
Grenzgebiete, Einzelfragen theoretischer Anschauungen oder praktischer Hand-
habungen, Verwechslung gutachtlicher Probleme mit der klinischen Mannig-
faltigkeit der Neurosen beziehen oder „Outsider“ betreffen, nicht sehr wesentlich
beeinträchtigt; es ist sogar gut, daß solche Kontroversen bestehen, da sie eine
weitere Vertiefung praktischer wie theoretischer Fragen herbeiführen werden.
Von einer einigermaßen ähnlichen Majorität der Anschauungen kann bei
der Bewertung organischer Nervenkrankheiten keine Rede sein, weder bei den
direkt traumatischen Zuständen noch den nicht traumatischen Erkrankungen
in bezug auf ihre Beeinflussung durch Traumen. In der Gruppe der trauma-
tischen Zustände kann man etwa von der Vorstellung, daß nach Kommotion in
wenigen Monaten Störungen nicht mehr erwartet werden können, bis zu der Ansicht
von Sarbö6’s, daß die Erschütterungsfolgen als Symptome einer zerebralen In-
suffizienz aufzufassen sind und auf mikrostrukturellen Veränderungen beruhen,
ein weites Feld mit den verschiedensten Zwischenansichten und Kompromiß-
beurteilungen bedecken, und auf dem Gebiete der nicht traumatischen Erkran-
kungen ist es nicht anders. Während diese weitgehenden Differenzen bei den
traumatischen Störungen in der Hauptsache auf den tatsächlichen Schwierig-
keiten der mit noch zu vielen Imponderabilien belasteten Diagnostik beruhen,
liegen sie bei den nicht traumatischen Erkrankungen in ihren Beziehungen zu
ätiologischen Hilfsfaktoren doch darin, daß die Kriterien darüber, wann wir im
konkreten Fall an eine wesentliche, wann an eine unwesentliche Hilfsbedingung
zu denken haben, noch großenteils unbekannt sind.
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 471
Auf diese Mängel unseres Wissens habe ich eingehender schon in dem bereits
erwähnten Bericht hingewiesen. Seitdem hat man leider nur in geringem Maße
versucht, das Ursachenproblem von diesem Gesichtspunkt aus zu vertiefen.
Veraguth nennt in seinem bisher leider nur im Referat vorliegenden Vortrag
auf dem internationalen Neurologentag in Bern in erster Linie die Statistik, nicht
ohne die Schwierigkeiten dieser Methode zu verkennen. Nun hat die Statistik
für uns nur dann einen Wert, wenn sie uns Vergleichszahlen liefert, welche ma-
thematischen Methoden der Wahrscheinlichkeitsberechnung standhalten. Es ist
nicht ausgeschlossen, daß es gutachtliche Fragen gibt, welche auf diesem Wege
einer Lösung näher geführt werden, wenn man in die Lage kommt, sehr großes
Material durchzuarbeiten, aber bei den meisten Fragestellungen kann das nicht
erwartet werden. Das wird klar, wenn man die Menge der möglicherweise kon-
kurrierenden Bedingungen, die Schwierigkeiten der Beschaffung richtigen Ma-
terials in Betracht zieht und gleichzeitig bedenkt, wie viele Schwierigkeiten die
Auswertung statistischen Materials selbst bei viel einfacheren Fragestellungen
an großem Material, etwa bei Beurteilung des Erbgangs der Schizophrenie, be-
reitet. Man wird sich schwer vorstellen können, wie man mit einer statistisch
reinen Methode etwa ein Urteil darüber in positivem oder negativem Sinne fällen
will, ob eine multiple Sklerose durch ein Trauma beeinflußt wird. Über die Unzu-
länglichkeiten der Kasuistik und Intervallraterei, die noch ungenügende Fun-
dierung durch wissenschaftliche anatomische und experimentelle Methoden soll
kein Wort weiter verloren werden; es genügt, einen Hinweis darauf zu geben,
in wie mißlicher Lage wir uns heute befinden, da wir die früheren Beweisführungen
als zu primitiv empfinden und ein neues Denkgehäuse noch nicht gefunden
haben. In dieser Situation haben es alle kritisch eingestellten Arbeiten, welche
die Mängel der Beweisführung von Zusammenhängen zwischen Trauma und
bestimmten Krankheiten angehen, relativ leicht, aber das letzte Wort über die
Bedeutungslosigkeit der Traumen ist damit noch nicht gesprochen.
Nach diesen Vorbemerkungen gehen wir zu den Einzelarbeiten der Berichts-
zeit über.
Kopftraumen.
Die gutachtlich richtige Bewertung der Kopfverletzungen ist ein vorwiegend
diagnostisches Problem. Es sind daher zunächst die diagnostischen Bemühungen
und Fortschritte der Berichtezeit zu betrachten.
Die Verkennung der Schwere der Verletzung kann schon im akuten Stadium
recht erheblich sein. Zum Teil hängt das, wie E. Guttmann bei Kontusionen
gezeigt hat, mit der mangelnden Ernstwertung der Symptome, die von Euphorie
begleitet sein kann, zusammen. Ähnliche Fälle sind auch dem Referenten be-
kannt; es kann dabei eine erhebliche Wesensänderung eingetreten sein. Berück-
sichtigt man das, dann wird man davor gewarnt, Eigenbeobachtungen, die von
rascher völliger Wiederherstellung nach erheblichen Kommotionen sprechen, zu
sehr zu generalisieren. K. Blum macht auf die Wichtigkeit von Pupillenstö-
rungen bei Schädelverletzungen aufmerksam; einseitige Erweiterung und Starre
ist ein frühes Zeichen von Hirnkompression durch extrazerebrale Blutung und
kann auch für die Seitendiagnose (homolateral) in Betracht kommen. Nach
E. Katzenstein kommen im Anschluß an schwere Kontusionen, namentlich
solchen, die in fronto-okzipitaler Richtung erfolgt sind, öfters Anisokorie und
33*
472 Felix Stern
Formveränderungen, Ektopie, Entrundung, Ovalwerden der Pupillen vor (wie oft,
nicht angegeben); der naheliegende Einwand, daß es sich um konstitutionelle
Abweichungen handeln könnte, wird dadurch, daß diese Veränderungen, oft
gleichzeitig mit den Allgemeinbeschwerden, nach einigen Monaten zurückgehen,
entkräftet. Auf die theoretischen Spekulationen über die anatomische Basis
dieser Störungen braucht hier nicht eingegangen zu werden. Barré betont auch
die Häufigkeit der Anisokorie infolge Sympathikusstörung. Nicht unwichtig ist
die Feststellung von Riddoch, daß die Kopfschmerzen, die unmittelbar nach
Verletzungen auftreten, sowohl auf Hypertension wie auf Hypotension des
Liquors beruhen können. Das von L. Mann angegebene Syndrom ist beachtens-
wert; es besteht in der Hauptsache aus Erschwerung der Blickrichtung nach einer
Seite bis zur Blicklähmung, Schwanken nach Fußlidschluß nach der Seite der ge-
hinderten Blickbewegung, Abweichen beim Zeigeversuch der gleichseitigen
Extremitäten nach außen, homolateralem Fehlen des Armpendelns beim Gehen,
gleichzeitiger Herabsetzung des Gehörs, des Korneal- und Nasenschleimhaut-
reflexes, ferner vasomotorischer Übererregbarkeit und Steigerung des Liquor-
druckes. Dieses „Symptom der hinteren Schädelgrube‘“‘ ist freilich meist ein
Frühzeichen, wenn es auch in einzelnen Fällen Jahre lang dauern soll. Es ist ja
aber für die Begutachtung späterer Stadien so wichtig, daß der Neurologe mög-
lichst früh den Verletzten zur genauen Untersuchung bekommt (viel mehr als es
jetzt geschieht), daß es gewiß beherzigenswert ist, das Syndrom Manns zu be-
achten, da es als Zeichen tatsächlicher leichter Hirnschädigung zu gelten hat.
Die Möglichkeit der Objektivierung von Spätbeschwerden nach Hirn-
erschütterungen durch das Enzephalogramm wird neuerdings besonders wieder
von Hauptmann betont. Bei 40 Fällen, die keine gröberen Hirnläsionen boten,
fanden sich nur viermal normale Ventrikelverhältnisse, 27mal Erweiterung der
Ventrikel überhaupt, I2mal Erweiterung eines Seitenventrikels, 2mal Erwei-
terung des 3. Ventrikels allein, 3mal Abrundung der Spitze eines Seitenventrikels,
6mal Verziehung, 4mal Nichtfüllung eines, 2mal Nichtfüllung beider Ventrikel.
G. Swift geht sogar soweit, zu behaupten: Da von 50 Verletzten mit starken
Kopfschmerzen und Schwindel beim Ventrikulographieren nur 25 % Luft über
der Rinde als Zeichen von Atrophie des Hirns zeigten, so bedeutet das, daß bei
diesen Spätbeschwerden (nach nicht allzu schweren Verletzungen) von 4 Fällen
nur einmal die Beschwerden glaubhaft sind. Vor solchen Schlüssen wird man
sich hüten müssen. Daß gerade Ventrikelverziehungen im Enzephalogramm
offenbar traumatischer Natur sein können, zeigen namentlich die wichtigen
Mitteilungen von Otf. Förster und Penfield über traumatische Epilepsie,
wobei enzephalographischer und Narbenbefund recht gute Übereinstimmung
zeigten; allerdings waren da die Veränderungen recht grob. Im übrigen sind aber
die Bedenken, welche Kehrer gegen die Überbewertung des enzephalographischen
Befundes und die Möglichkeiten konnataler, kongenitaler oder jedenfalls nicht
traumatischer Anomalien geäußert hat, noch nicht beseitigt, und auch Haupt-
mann äußert sich immerhin etwas reserviert, da er zugeben muß, daß ganz
Gesunde relativ selten enzephalographiert werden. Zweifel an dem Wert der
Enzephalographie äußert auch Raimann. Die Zukunft wird voraussichtlich
genauer die Brauchbarkeitsgrenzen dieser Methodik ziehen. Vorsicht ist noch
geboten auch mit der Bewertung der Liquordrucksteigerungen, auf die nament-
lich Gerhartz hinweist, namentlich dann, wenn der übrige Befund damit kon-
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 473
trastiert. Kehrer macht wiederholt auf psychogene Pseudodrucksteigerungen
aufmerksam. Mit diesen Einwänden soll nicht bestritten werden, daß es post-
traumatische Liquordrucksteigerungen auch tatsächlich gibt. Eeg Oloffson
fand wie früher andere Autoren öfters erhöhten Liquorglobulingehalt.
Daß man neben diesen Methoden auch den vasomotorischen und vestibu-
lären Prüfungen Beachtung schenken soll, ist von mir auf Grund der Literatur
und eigener Untersuchungen erwähnt worden. Linthicum und Rand haben
die vestibulären Untersuchungen in 36 Fällen recht sorgfältig durchgeführt, und
zwar Lé bis 2 Jahre nach dem Unfall; m. E. liegt der einzige Vorwurf, den man
den Verfassern machen kann, darin, daß sie bei den Drehprüfungen die Grenzen
der Norm sehr eng gezogen haben; aber auch wenn man die physiologischen
Werte vorsichtiger und breiter faßt, bleibt doch die Feststellung, daß man —
namentlich als Äquivalent des geklagten Schwindels — recht häufig vestibuläre
Störungen findet, und es dürfte auch zutreffen, daß die subjektive Gewöhnung
an die Vestibularstörung, die zentraler Natur ist, nicht so glatt wie bei peripherer
Läsion vor sich geht. Immerhin findet eine solche Gewöhnung statt, denn es
ließ sich in 6 Fällen feststellen, daß im Lauf der Zeit die Labyrintherregbarkeit
immer mehr abnimmt, also sich verschlimmert, während die subjektiven Be-
schwerden sich bessern. Unter den pathologischen Erscheinungen findet man
ebensowohl gesteigerten wie herabgesetzten experimentellen Nystagmus, kalo-
risch mitunter einen perversen Nystagmus, d. h. z. B. rotatorischen oder ver-
tikalen Nystagmus dort, wo nach der Kopfhaltung ein horizontaler erwartet
werden müßte, oder gekreuztes Vorbeizeigen, 6mal ein Syndrom, wie es bei
Kleinhirnbrückenwinkeltumoren vorkommt (vielleicht infolge von Liquor-
stauung im Kleinhirnbrückenwinkel). Wenn die Autoren meinen, daß der
Schwindel peychogen sei, falls der Vestibulärapparat normal befunden wird,
so wird man allerdings wohl bemerken dürfen, daß es auch vasomotorisch be-
dingte Schwindelgefühle ohne vestibuläre Störungen gibt. Bremer, Coppez,
Hicqguet und Martin finden vestibuläre Überregbarkeit namentlich in frischen
Fällen, die Untererregbarkeit findet sich häufiger, mitunter Dissoziation, wobei
die kalorische Reaktion vermindert ist. Auch nach Borries kommen dissoziierte
Vestibulärreaktionen bei Schädelverletzten vor. Portmann macht kleine
Fissuren im Felsenbein, denen Callusbildung folgen kann, dafür verantwortlich.
Nach den Erfahrungen Bouchets sind die vestibulären Störungen in den Spät-
stadien der Kopfverletzten selten, aber auch seine Untersuchungen sprechen für
die Wichtigkeit, bei Begutachtungen Vestibularisprüfungen vorzunehmen. Auch
für Helsmoortel sind die Vestibularisprüfungen von großer Wichtigkeit. Bre-
mer und seine Mitarbeiter betonen auch, wie früher andere Autoren, die Be-
deutung der Vasomotorenphänomene; weniger bekannt ist die Hypertension
des Netzhautarteriendruckes nach Baillart, die sich öfters finden soll und die
mit Liquordrucksteigerungen korrespondiert; ich habe schon früher darauf hin-
gewiesen, daß, wie auch von den französischen Autoren bestätigt wird, die Baur-
mannsche Methode der Netzhautvenendruckmessung ebenso wichtige Ergeb-
nisse zeitigen kann. Von weiteren Vasomotorenphänomenen wird der Muck-
sche weiße Strich beim Adrenalinsondenversuch verschiedentlich bewertet,
etwas skeptisch von Riecke und Raimann, kritisch, aber doch wohlwollend von
Winkler und Liebermann, optimistisch von Gerhartz. Wie andere Vaso-
motorenerscheinungen ist auch der positive „Muck“ nicht spezifisch für Kopf-
474 Felix Stern
verletzungsfolgen und darf als „Signal“ bei der Begutachtung wohl berücksichtigt,
aber nicht in dubiösen Fällen als ausschlaggebendes Zeichen betont werden.
Ebenso wie Raimann halte ich ausgesprochenen Pulssturz, Blässe und Kon-
gestionen usw. bei tiefem Bücken nicht für belanglos als Zeichen traumatischer
Vasomotorenempfindlichkeit, obwohl gewiß, worauf Kehrer hinweist, in man-
chen Gegenden Deutschlands Vasomotorenneurosen (bzw. Hyperthyreosen)
häufiger vorkommen. Daß bei diesen gerade der ausgesprochene Pulssturz beim
Bücken bei Fehlen habitueller „sympathikotonischer‘ Erscheinungen vor-
kommt, ist mir allerdings nicht bekannt. Auch Dragotti, sowie Baumm
und Eisenhardt erkennen die Bedeutung der Vasomotorenlabilität an; letztere
Autoren finden dagegen nur sehr selten eine Bradykardie als Folge einer Hirn-
verletzung. Bremer, Coppez, Martin, Hicquet rechnen die Tachykardie
zu den objektiven Spätsymptomen, aber gerade die spontane Pulsfrequenz ist
so psycholabil, daß man darauf nicht viel Wert legen kann.
Entsprechend der schon erwähnten unbestreitbaren Schwierigkeit trauma-
tisch-organische von situationsneurotischen Erscheinungen nach Trauma zu
trennen, ist die grundsätzliche Einstellung der Autoren den Kopfverletzungs-
folgen gegenüber verschiedenartig. Von kritischem Geiste ist namentlich die
Arbeit Kehrers, der eingehend die Unzulänglichkeit der bisherigen anatomisch-
experimentellen Fundamente und klinisch-gutachtlichen Methoden bei der Unter-
suchung der Kopfverletzungen darlegt und damit einen sehr wichtigen Anreiz
zur exakteren Forschung gibt; wenn ausnahmsweise nach einer Hirnerschütte-
rung einige wenige Personen noch nach Monaten einen zerebralen Beschwerden-
komplex darbieten, dann muß irgendeine individuelle, ererbte oder erworbene
Bereitschaft als Ursache davon angenommen werden. (Allerdings würde eine
solche Disposition, die etwa in irgendeiner abnormen Beschaffenheit oder Re-
aktionsart der Gefäße bestehen könnte und klinisch kaum feststellbar zu sein
braucht, noch nicht genügen, um die rechtliche Bedeutung des Traumas abzu-
lehnen oder selbst die Störung, wenn das Trauma hinreichend stark war, als
nicht posttraumatisch zu bezeichnen.) Ich halte es für wichtig, daß sich der
Gutachter, wie auch seine Einstellung sei, mit der Kehrerschen Arbeit eingehend
beschäftigt; allerdings möchte ich ihm nicht darin folgen, wenn er zum Schluß
die allfallsig tatsächlichen Traumafolgen, obschon sie irgendwie organogener
Natur sein müssen, als postkommotionelle Nervenschwäche oder Neuropathie be-
zeichnen will; der Umstand, daß wir Thyreotoxiker und Migränöse (und vielleicht
sogar Neurastheniker ?) fälschlich noch den Neurosen subsumieren, braucht uns
nicht zu veranlassen, bei anderen „pseudoneurotischen“ Störungen diesen Irrtum
zu wiederholen.
Jedenfalls wäre es gut, wenn möglichst zahlreiche Beobachtungen vielleicht
von einer Zentralstelle aus gesammelt werden, die nur solche Fälle umfassen,
die nicht durch einen Versicherungskomplex getrübt sein können, und die auch
die prätraumatischen wie posttraumatischen Verhältnisse in exakter Weise
schildern. Die bisherigen Einzelschilderungen auf Grund von Selbstbeobach-
tungen sind widersprechend, und wenn ein Autor (Hamm) betont, daß die
nach einem mit Basisbruch verbundenen schweren Unfall verbleibenden Be-
schwerden nach wenigen Monaten voll zurückgebildet waren, so berichtet
dagegen Bujadoux, daß er nach einem Autounfall, der nicht sehr schwer
gewesen zu sein scheint (3⁄4 bis %, Stunde Bewußtlosigkeit), 4 bis 6 Monate lang
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 475
eine Sehstörung und Schwindel beim Blick nach unten zurückbehielt. Daß die
posttraumatischen Kopfschmerzen nicht zu voreilig für psychogen gehalten
werden sollen, wird vielleicht durch die Feststellung mehrerer Autoren nahe
gelegt, daß sie durch Lufteinblasung in den Ventrikelraum gebessert werden
können — an Stelle psychogen-querulatorischer Folgen (Cossa, Reichert,
Penfield; auch bei traumatischer Epilepsie werden gute Resultate durch in-
traventrikulare Lufteinblasung berichtet: Vincent). Ich glaube, daß im gleichen
Sinne auch die Feststellung aufzufassen ist, daß die Folgeerscheinungen vielfach
vermieden werden können, wenn durch zweckmäßige Behandlung, insbesondere
gründliche Ruhe, das akute Stadium „auskuriert“ wird; jedenfalls sind die bei
Fehlen zweckmäßiger Behandlung restierenden Beschwerden organogen, wenn
sie auch ins neurotische Regime übernommen werden können. Auch sind die Er-
fahrungen bei Kindern, bei denen der Entschädigungskomplex gewöhnlich keine
Rolle spielt, von Interesse; hierüber orientiert etwas eine Dissertation von
Stapel. Die Beschwerden und Störungen, namentlich Kopfschmerzen und
Wesensänderungen, halten bei vielen kommotionell Verletzten sehr lange an,
allerdings sind viele Patienten stark „ belastet“. Immerhin wird es wahrschein-
lich gemacht, daß auch nach Verletzungen, die nur als Kommotionen imponieren,
Kopfschmerzen und Schwindelanfälle traumatogener und nicht psychogener
Natur noch nach 4 Jahren vorhanden sind. Über das Auftreten einer Stauungs-
papille nach einer „relativ leichten“ Kopfverletzung beim Skilauf infolge einer
serösen „Meningitis“ (völlige Rückbildung nach Punktionen) berichten Heider
und Weinberg; in diesen Fällen wäre es besonders erwünscht, über die wirk-
liche Art und Schwere der Verletzung orientiert zu sein. Immerhin weisen solche
Fälle darauf hin, wie individuell jede Kopfverletzung hinsichtlich tatsächlicher
Folgen und Prognose beurteilt werden muß. Wenn Einzelfälle gegenübergestellt
werden, um zu zeigen, welche entscheidende Bedeutung dem Suggestivfaktor
zukommt (B. Levin), so ist die Wichtigkeit dieses Faktors zwar nicht zu be-
zweifeln, aber man kann daraus keine generellen Schlußfolgerungen ziehen.
Von statistischen Arbeiten ist diejenige Lisches zu nennen, der 626 Gut-
achten, darunter 408 mit Kommotionen, durcharbeitet und feststellt, daß selten
der ganze postkommotionelle Symptomenkomplex länger als 6 Monate auch
nach schweren Gehirnerschütterungen anhielt. Charakteristisch für die Kommo-
tionsfolgen ist die Gleichartigkeit, Einförmigkeit und der regressive Charakter
der Beschwerden. Nach Pommé und Liégeois bleibt aber das „subjektive
Syndrom“ der Schädelverletzten, das übrigens mit keinen neuen Nuancen ge-
schildert wird, öfters hartnäckig jahrelang bestehen. Die Angabe der Autoren,
daß sich häufig eine sympathikogene Blutdrucksteigerung findet, kann ich nicht
bestätigen. Nach Minkowski sind die Folgen der Kopfverletzungen viel häufiger
organischer und ernster zu bewerten, als man vielfach annimmt. Ein Vergleich
der Beschwerden (so weit sie wirklich organogener Natur sind) mit den pseudo-
neurasthenischen der Enzephalitis ist m. E. berechtigt. Die Aufstellung einer
besonderen Symptomgruppe organisch-funktioneller Störungen halte ich aber
für nicht glücklich; die Alternative organisch-funktionell sollte man überhaupt
aufgeben und nur festzustellen suchen, ob die jeweiligen Beschwerden trauma-
togen (organogen) oder psychogen (Erlebnisverarbeitung) oder ganz unabhängig
von dem Trauma, z. B. als konstitutionell nervöses Symptom anzusehen sind.
Im Gegensatz zu den Anschauungen Minkowskis halte ich den Unterschied
476 Felix Stern
von organogen und (rein) psychogen für gutachtlich durchaus wichtig, auch finde
ich nicht, daß psychogene Beimengungen bei Kopftraumatikern unter dem Ein-
fluß der traumatischen Störungen besonders häufig sind. In einem Falle eines
gleichzeitigen Bauch- und Kopfschusses führt Minkowski eine besondere Ge-
fäßerkrankung mit Thromben und kleinen Blutungen auf das Trauma zurück.
Aus einem besonders umfangreichen Gutachten Minkowskis gewinnt man den
Eindruck, daß er doch die „, bulogenen“ Überlagerungen etwas zu sehr mißachtet,
vielleicht im Gegensatz zu früheren Gutachtern, die eine enzephalopathische
Grundlage ignorierten. v. Sarbo begründet eingehend seine Ansichten von
den mikrostrukturellen traumatischen Veränderungen nach Kopfverletzungen,
wobei er allerdings hauptsächlich die Granatfernwirkungsfolgen berücksichtigt;
diese mikrostrukturellen Veränderungen sind für ihn mikroskopisch-anatomische
Läsionen, die zu Funktionsstörungen führen, nicht etwa molekulare Verände-
rungen. Ganz klar sind die Ausführungen v. Sarbos nicht; seine Argumente,
daß nach Granatexplosionen auch ohne direkte Verletzung anatomische Ver-
änderungen und klinisch-organische Symptome auftreten können, wird gewiß
nicht bestritten werden können, und wenn ein Gutachter oder Autor das Gegen-
teil behauptet und jede Fernwirkung für hysterisch hält, wird v. Sarbo gewiß
recht haben, wenn er energisch dagegen Stellung nimmt; aber darum ist doch
der Schluß nicht erlaubt, daß alle diese Folgen der gewiß schlecht mit dem Na-
men eines Granatschocks zusammengefaßten Geschehnisse organischer Natur
sein müßten; auf diesem Wege kommt der Verfasser schließlich zu dem Er-
gebnis, auch etwa das psychogene Schüttelzittern, die „Myotonoclonia trepi-
dans“, für organische Symptome zu halten, obwohl es im allgemeinen nicht so
schwer ist, diese Zitterformen vom parkinsonistischen zu unterscheiden, und
während des Kriegs in jedem guten Neurotikerlazarett derartige Symptome,
auch wenn sie einem Granatschock gefolgt waren, in wenigen Minuten für immer
durch Suggestion beseitigt werden konnten. Neue Regeln aber für die Differen-
tialdiagnose zwischen organischen und psychogenen Symptomen nach indirekten
Schädeltraumen fehlen leider, ja, die organischen und hysterischen Symptome
werden sogar unrichtig zusammengeworfen, so daß der Gutachter keinen großen
Vorteil von der Lektüre dieser Arbeit hat. Eigenartig berühren einige Angaben
in einer Arbeit von Swift über Spätfolgen von 100 mittelschweren Kopfver-
letzungen (12 % Frakturen), welcher nach einer Durchschnittedauer von 8 Mo-
naten u. a. noch 36mal ein Papillenödem und 6mal Babinski findet (obwohl
anscheinend Fälle mit Lähmungen gar nicht in dem Material enthalten sind);
man gewinnt den Eindruck, daß Untersuchungsfehler hier mit wirksam sind.
Bedenkenlos demgegenüber und bemerkenswert sind die Angaben von Kennedy
und Wortis, die bei 239 akut Kopfverletzten in 9,6 % der Fälle Papillenödem,
33,5 % Kongestion der Papille, 2,9 % Netzhautblutungen finden. Die amerika-
nischen Autoren stützen sich dabei allerdings auf meist recht schwere Unfälle,
besonders Autoverletzungen. Ihre Angaben über Spätbeschwerden sind leider
viel zu summarisch. Sie erkennen Spätbeschwerden von mehr als 4 Monaten
bei Personen unter 60 Jahren als organische Unfallfolgen nur an, wenn bestimmte
Kriterien erfüllt sind: Röntgendarstellung eines Schädelbruchs, blutiger Liquor,
Blutung oder Liquorfluß aus Ohren, Nase, Mund, Herdläsionen und eventuell
noch sicher traumatische Krämpfe, Ventrikelverlagerung sicher traumatischer
Natur und anamnestisch erwiesene verlängerte Bewußtlosigkeit. Diese Auf-
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 477
fassung ist etwas zu dogmatisch starr, wenn auch die Kriterien der Autoren das
Zentrum der Begutachtungsgrundlage darstellen dürfen.
Nach Morrissey fehlen Spätbeschwerden gewöhnlich, wenn milde Kom-
motionen vorangegangen sind ; handelte es sich um schwere Kontusionen, dauern
die Beschwerden gewöhnlich 3—12 Monate. Allerdings betreffen diese Fest-
stellungen Fälle, die im akuten Stadium sehr exakt behandelt worden sind.
Raimann bespricht kritisch die traumatischen Enzephalopathien und kommt
zu dem berechtigten Schluß, daß nur die Gesamtheit der möglichst zu wieder-
holenden Untersuchungen ein Urteil erlaubt; die starken Differenzen der Sta-
tistiken hebt er hervor. Eine schwedische Statistik mit im allgemeinen recht
günstigen Erfahrungen bringt (in einer nur im Referat mir zugänglichen Arbeit)
Åkerman; nur 6,4 % der Überlebenden mit Kommotion, 26 %, derjenigen mit
Schädelfraktur bekommen dauernden Schadenersatz; 8 von 1238 den Schädel-
unfall überlebenden Verletzten erhalten 100 % (Dauerrente?). Wieweit mit
diesen teilweise wohl nur auf Aktendurchsicht beruhenden Feststellungen auch
alle echten subjektiven Beschwerden und Leistungsminderungen erschöpft sind,
steht wohl noch dahin; aber es ergibt sich auch aus eigenen Untersuchungen, daß
nach einfachen Kommotionen rentenbedingende Dauerbeschwerden gewöhnlich
nicht zurückbleiben (abgesehen von Sonderfällen mit bestimmten Extraerschei-
nungen), wohl aber nach Hirnkontusionen bzw. intrakraniellen Blutungen über-
haupt und Frakturen, die allerdings gewöhnlich mit Hirnläsionen verknüpft
sind. Steindl behandelt die Frage mehr vom Standpunkt des Lebensversiche-
rungsarztee aus. Auch nach einfachen Kommotionen soll man ein Jahr
warten, ehe man den Verletzten in die Versicherung aufnimmt, im übrigen
bestehen Bedenken gegen Aufnahme nur bei Impressionsfrakturen und Kon-
tusionen.
Nach Schußverletzungen sind natürlich die Folgeerscheinungen schlimmer.
Nach früheren Arbeiten haben nunmehr auch Vogeler, Herbst und Stupnicki
ein großes Aktenmaterial so Verletzter (ca. 900 Fälle) durchgearbeitet. Es ist
selbstverständlich nicht möglich, die vielen gefundenen Daten hier wiederzu-
geben; den Gutachter interessiert vielleicht besonders folgendes: Von 860 Ver-
letzten, die 1920 noch lebten, sind später 8 % gestorben, 20 % sind „ frühere“
Rentenempfänger (also unter 25 % erwerbsbeschränkt), 72 % bekommen noch
Rente. Von 172 früheren Rentenbewerbern sind 3 dural, 11 Hirnverletzte (bei
späteren Meldungen werden nur 4 als rentenberechtigt anerkannt). Wenn aber
die Verfasser diese nicht mehr Berenteten (einschließlich mehrerer Hirnschüsse!)
als die wirklich Gesundgewordenen bezeichnen, wird man wohl ein Fragezeichen
machen dürfen. Von den 66 Verstorbenen sind 32 den Folgen des Hirnschusses
direkt erlegen, 4 haben Selbstmord begangen, 17 sind an Tuberkulose gestorben.
Vogeler glaubt, die Tb in Beziehung zu dem Kopfschuß bringen zu können;
teils sei die Widerstandsfähigkeit des Kopfschußverletzten herabgesetzt, teils
die Umwelt durch soziale Mängel verschlechtert. Ich glaube, daß man hier gut-
achtlich einen sehr reservierten Standpunkt einnehmen sollte; ich selbst habe
bisher noch nicht eine Neigung der Kopfverletzten zu Tb. feststellen können;
die Zahl von 17 Todesfällen an Tb. unter 860 Verletzten im Verlauf von 10 Jahren
ist vielleicht auch nicht abnorm groß. Besonders eingehend beschäftigen sich die
Verfasser mit der traumatischen Epilepsie, die sie im ganzen in 16,5 % finden,
doch sind auch die Weichteilschüsse darin enthalten. Unter den eigentlich Hirn-
478 Felix Stern
verletzten findet Baumm 44 % mit traumatischer Epilepsie. Piloz sah unter
811 Schädelverletzten 312 an Epilepsie erkranken (217 Schüsse und 59 sogenannte
Kommotionsverletzte). Pilcz meint auch, wie das früher mehrfach geäußert
wurde, daß vorzeitige Vergreisung und Arteriosklerose bei Schädelverletzten
auffällig häufig zur Beobachtung kommen ; ich kann nach eigenen Untersuchungen
diese Annahme nicht bestätigen und glaube auch nicht, daß entsprechende gut-
achtliche Folgerungen gezogen werden dürfen. Baumm und Eisenhardt
kommen zu dem gleichen Ergebnis wie ich; in ihrem großen Material von 1250
Hirnverletzten findet sich auch Tuberkulose nicht häufiger als in der Durch-
schnittsbe völkerung.
Gutachtlich interessant ist der von Laubenthal und Marx mitgeteilte
Fall eines Kopfschußverletzten, dessen „Anfälle“ bisher nicht richtig bewertet
worden waren. Es handelt sich um Bewußtseinsstörungen von z. T. dämmer-
zustandsartigem Charakter, die besonders nach Anstrengungen auftreten und in
deren Beginn starkes Heißhungergefühl und Schwitzen auftraten. Diese Sym-
ptome lenkten den Verdacht auf eine Hypoglykämie; Anfälle konnten auch durch
eine Insulinhypoglykämie ausgelöst werden. Verfasser führen dieselbe auf eine
zentral bedingte, von dem Kopfschuß abhängige Störung zurück; Splitter lagen
wenigstens in der Nähe der Hypophyse (intrakraniell 7). Vielleicht war sogar eine
Brandstiftung in einem hypoglykämischen Dämmerzustand ausgeführt. Man
wird neugierig darauf sein, ob sich Parallelfälle feststellen lassen.
Einige neuere anatomische Feststellungen sind auch für Begutachtungs-
fragen nicht unwichtig. Spatz und Ganner stellen die anatomischen Besonder-
heiten der traumatischen Rindenkontusionsherde in Früh- und Spätstadien fest,
die sich vor allem am Stirn- und Schläfenpol, an der Unterfläche der Stirnlappen
einschließlich des Bulbus olfactorius und am Übergangsgebiet von Basis zur
Konvexität im Schläfenstirnlappengebiet finden. Hierdurch lassen sich Geruchs-
störungen, leichte aphasische Erscheinungen und psychische „Stirnhirnsym-
ptome“ erklären, aber oft sind diese Kontusionsherde klinisch latent oder die
Erscheinungen werden übersehen, bzw. wegen einer anderen Krankheit nicht
erkannt. Daß Rindenkontusionen häufiger vorkommen, als bisher angenommen
werden konnte, ist gutachtlich doch nicht belanglos. Rand und Courville
haben interessante Feststellungen bei 61 Fällen tödlicher Kopfunfälle am Ven-
trikelependym und Plexus chorioideus gemacht. Die Art der Veränderungen soll
in diesem klinischen Bericht nicht genauer geschildert werden; es genügt hier,
zusammenfassend zu erwähnen, daß die Veränderungen, wenn der Tod nicht sehr
rasch eintritt, recht erheblich sind und denen bei experimentellen und Wasser-
hirnen ähneln, welche man erzielt, wenn man Tieren hypotonische Lösungen
einspritzt. Vorläufig fehlen freilich noch systematische Untersuchungen über
Enndzustände bei schweren alten Kopfverletzungen. Man kann nur vermuten,
daß in den überlebenden Fällen die Veränderungen nicht immer reversibel sind
und eine Grundlage für spätere Liquorsekretionsstörungen darstellen. Die
gleichen Autoren haben auch an 26 Fällen die Glisveränderungen studiert, die
für uns weniger Interesse zu haben scheinen. Minkowski macht auf die vielen
kleinen Blutungen in einem Falle nach einem sehr schweren Trauma aufmerk-
sam; es handelt sich um einen ganz frischen Fall (Tod 24 Stunden nach der
Verletzung) und die Schlüsse für die Beurteilung der Spätbeschwerden nach
leichteren Traumen müssen reserviert gezogen werden.
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 479
Auch der sehr eigenartige Fall von Bückmann und Struve kann unter
den anatomischen Berichten mit erwähnt werden, weil er seine — wenn auch
m. E. vielleicht nicht vollständige — Aufklärung erst bei der Sektion erfuhr. In
diesem Fall war ein anscheinend nur leichtes Trauma erfolgt; allerdings war der
Opticus einseitig geschädigt und die ersten Untersuchungen waren ganz mangel-
haft. (Man wird es sich nicht versagen dürfen, besonders darauf hinzuweisen,
daß noch im Jahre 1925 die innere Abteilung eines Krankenhauses eine aus-
gesprochene intellektuelle Schwäche als Stigma einer typischen Unfallneurose
betrachtet! Ebenso hübsch ist der Bericht des ersten Arztes, der kurz nach dem
Unfall an die Berufsgenossenschaft schreibt, es könne sich noch eine Gehirn-
erschütterung entwickeln!) Erst einige Jahre nach dem Unfall stellt sich dann ein
Verblödungsprozeß ein, dessen Zusammenhang mit dem Unfall klinisch mit
gutem Grund abgelehnt wurde; aber die Autopsie zeigt mehrere typische trau-
matische Erweichungsherde, und die histologische Untersuchung ergibt keine
Zeichen einer sonstigen Erkrankung, Paralyse, sonstige l. Krankheit, Arter. oder
präsenile Demenz. Wenn ich meine, daß trotz der genauen histologischen Unter-
suchung eine völlige Klärung des Falles vielleicht nicht eingetreten ist, so möchte
ich das damit vor allem begründen, daß ein gewisser Widerspruch zwischen dem
schweren verworrenen Demenzzustande und den vereinzelten Erweichungs-
herden besteht; in anderen Fällen machen solche Herde jedenfalls keine Demenz-
erscheinungen; aber es ist natürlich wichtig, daß ein anderer Krankheitsprozeß
als Grundlage der Psychose histologisch nicht erwiesen werden konnte.
Abgesehen von diesem Fall und den Guttmannschen Mitteilungen (s.
weiter vorn) ist über psychische Folgen nach Kopftraumen in der Berichtszeit
für den Gutachter wenig Wichtiges erschienen. Rawak teilt mehrere Fälle von
Indolenz und anderen Charakterveränderungen organischer Natur mit, die vorher
in der Begutachtung übersehen worden waren. Jankau sah nach einer Kommo-
tion bei einer früher angeblich sehr lebenslustigen Frau eine tiefgehende De-
pression, die zum Selbstmord führte; wie weit organische Veränderungen dieser
Depression zugrunde lagen, scheint mir fraglich. Bei einer Persönlichkeitever-
änderung eines Kindes nach starker Kommotion sah Bychowski kleptomane
Impulse; doch ist dabei die psychogene Verarbeitung offenbar recht groß gewesen
(Heilung durch Hypnose, psychogene Anfälle).
Es ist dann noch auf jene traumatischen Sonderstörungen einzugehen,
welche erst einige Zeit nach dem Schädeltrauma manifest werden. Soweit es
sich um infektiöse Spätkrankheiten durch Eitererreger, insbesondere Abszesse,
handelt, liegt allerdings kein gutachtliches Problem vor; wesentlich neue dia-
gnostische Erfahrungen hat auch die Berichtszeit nicht gebracht. Auch die trau-
matische Spätepilepsie ist zu bekannt, als daß man dabei lange zu verweilen
brauchte, obwohl auch hier manchmal sehr eigentümliche Fälle noch publiziert
werden (Hendrick: Beginn der Epilepsie 23 Jahre nach einem anscheinend gar
nicht schweren Trauma, umschriebene gelatinöse arachnoideale Zyste etwa in
Gegend des Traumas). Dagegen stellen zunächst die intrakraniellen Spät-
blutungen (und sehr seltene Späterweichungen) immer noch ein sehr diffiziles Ge-
biet dar, auf dem noch sehr vielfache Untersuchungen erforderlich sind. Die
subduralen Spätblutungen werden eingehender von A. Dissen behandelt.
Neben den Fällen aus der Literatur bringt D. auch eine Eigenbeobachtung, die
m. E. gutachtlich recht interessant ist: sie betrifft einen derjenigen Fälle, die
480 Felix Stern
anfangs nur leicht verletzt zu sein scheinen (Motorradunfall), sich nicht recht
erholen können, dann ohne wesentliche neue Schädigung sich verschlimmern
und dann (im Dissenschen Fall nach etwa 8 Monaten) zum Exitus kommen; bei
dem 39jähr. Mann fanden sich teilweise schon organisierte Blutungen über der
rechten Hemisphäre, zum Schluß war eine frische Blutung eingetreten. In einem
solchen Falle kann man auch wohl von einer traumatischen Pachymeningitis
haem. int. sprechen. Gewiß ist dieser Fall erst so spät zur neurologischen Unter-
suchung gekommen, daß man die scheinbare Leichtigkeit des Unfalls und seiner
unmittelbaren Folgen bezweifeln kann; eine exakte Untersuchung hätte auch
vielleicht schon eher die Sachlage klären können; wichtiger erscheint uns aber der
Hinweis auf die tatsächliche gutachtliche Situation, die uns zur Vorsicht bei
der Beurteilung von Beschwerden auch bei scheinbar leichten Unfällen veran-
laßt. Auch Puussep bespricht die Pachymeningitis haem. nach Trauma. In
einer mir nur im Referat zugänglichen ungarischen Arbeit von J. Hirschfeld
wird von einer Spätblutung im Gehirn bei einem 21jähr. Mann gesprochen, der
offenbar einen schweren Basisbruch erlitten hatte und am 29. Tage mit meningi-
tischen Erscheinungen, Benommenheit, blutigem Liquor, allmählich sich ent-
wickelnder Hemiplegie neu erkrankt; es tritt allmählich Besserung ein; in einem
solchen Fall kann auch eine Arachnoidealblutung vorgelegen haben.
Die eigentlichen Spätapoplexien behandeln Eck, Harbitz und Kliene-
berger, letzterer indem er bei einem offenbar einfach liegenden Fall mit Arterio-
sklerose den Zusammenhang mit einem Unfall ablehnt. Dagegen bringt Eck
einen Beitrag zu den anatomisch untersuchten Fällen, in denen der Zusammen-
hang versicherungsrechtlich und wissenschaftlich bejaht werden darf. Bei dem
27jähr. Mann halten nach Sturz aufs Hinterhaupt und mäßigen Kommotions-
erscheinungen die Kopfschmerzen mit Erbrechen an; vier Wochen später treten
bei Wiederaufnahme der Arbeit Hirnerscheinungen auf, die in kurzem zum Tode
führen und bei der Autopsie durch eine frische in die Ventrikel eingebrochene
Blutung auf der Basis eines älteren Kontusionsherdes geklärt werden; eine kon-
stitutionelle Besonderheit der Gefäße kann dabei gewiß angenommen werden,
ist aber histologisch nicht feststellbar. Eck erkennt eine traumatische Spät-
apoplexie wie andere Autoren dann an, wenn die Gefäße vor dem Trauma keine
manifeste Veränderung zeigen; hiermit sind die versicherungsrechtlichen Be-
dingungen der Anerkennung nicht erschöpft. Andererseits weist er darauf hin,
daß auch bei tatsächlicher traumatischer Spätblutung Brückensymptome fehlen
und Blutungen in alten Erweichungen nach Unfällen erst Jahre später erfolgen
können; seinem Wunsch nach genauer autoptischer Klärung in jedem zweifel-
haften Todesfalle wird man sich gewiß anschließen. Harbitz’ (norwegische)
Arbeit kenne ich nur aus dem Referat, aus dem ich ersehe, daß er zwar zu
kritischer Stellungsnahme rät, aber in 2 Fällen eine Spätapoplexie auch an-
erkannt hat,
Die letzte Gruppe von traumatischen Späterkrankungen betrifft jene Fälle
von Meningopathien bzw. Hydrozephalus, die sich über die Symptomatologie
der gewöhnlichen Enzephalopathien mit Liquorzirkulationsstörungen hinaus in
ausgesprochenen Hirndruck- und Herderscheinungen äußern. Solche Fälle sind
selten, kommen aber vor, und nicht nur in Form arachnoidealer Zysten, sondern
auch, wie von Lottig wieder gezeigt wurde, in Form eines Hydrocephalus in-
ternus mit postpapillitischer Atrophie und Symptomen, die einer multiplen
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 481
Sklerose ähnelten. Diese Symptome begannen bei einem kommotionell Ver-
unfallten mit folgender Epilepsie und dadurch bedingten wiederholten Schädel-
verletzungen 6 Jahre nach dem letzten Unfall.
Ein Rückblick auf diese den Schädelverletzungen gewidmeten Arbeiten
lehrt uns, daß wir doch wohl noch nicht das Recht haben, auf Grund bestimmter
anamnestischer oder symptomatischer Teste schematische Generalurteile zu
fällen. Daß die meisten einfachen Kommotionen ohne soziale organogene Folgen
ausheilen, erkennen wir auch weiterhin an; hysterische Reaktionen brauchen
beim Kopfverletzten nicht anders als bei anders Verletzten beurteilt zu werden.
Darauf aber wird man immer nachdrücklich hinweisen können, daß die Beur-
teilung jedes Kopfverletzten stets eine individuelle Angelegenheit ist; und es ist
zu begrüßen, wenn die verschiedenen weiter vorn besprochenen Untersuchungs-
methoden fernerhin kritisch ausgearbeitet und ausgewertet werden. Die Beur-
teilung muß geübten Neurologen überlassen bleiben, dann werden auch solche
Auffassungen nicht mehr möglich sein, wie sie nach einer Mitteilung von W. Groß
aus einer Universitäteklinik stammen sollen: „Es sei Sache der persönlichen Auf-
fassung, ob man die unmittelbaren Unfallwirkungen als Gehirnerschütterung
klassifizieren wolle oder nicht; es sei sozusagen eine Frage der Verabredung, was
man darunter verstehe!“
Traumatische Rückenmarksschädigungen.
Einen Beitrag zu Folgen traumatischer Rückenmarksschädigungen gibt
E. Katzenstein-Zürich. Bei einem Manne, der bei einem Fahrradunfall auf
Kopf und Nacken stürzt und eine Kommotion, vielleicht auch Basisbruch er-
leidet, entwickelt sich alsbald eine Schwäche der Nackenmuskulatur, dann ein
atrophischer Prozeß der Schulter-Armmuskulatur mit fibrillären Muskelzuckungen,
partieller Ea. R., hyperästhetischer Nackenzone, Affektion des einen Phrenikus
und Hinaufsteigen auf den Bulbus (Nystagmus, Fazialis, Zunge, Gaumen), später
steht der Prozeß still. K. nimmt eine traumatische Myolodelese im Kienböck-
schen Sinne an, eine ursprünglich traumatische Läsion, Blutung oder Nekrose,
in deren Gefolge durch gliotische Bildungen oder zystische Umwandlung die
weiteren klinischen Symptome auftreten. Eine Syringomyelie wird, wohl mit
Recht, ausgeschlossen ; der Mangel an Progredienz, den K. hervorhebt, ist aller-
dings kein diagnostisch entscheidendes Merkmal. E. Cohn sah eine Hämatomyelie
8 Tage nach einem Trauma durch Uberfahren; andere ätiologische Faktoren
(vielleicht bis auf skrofulöse Veranlagung) fehlten; aus der Literatur stellte der
Verfasser noch 17 ähnliche Fälle mit Intervall fest. Ob es sich in dem betreffenden
Fall um Blutung oder Thrombose handelt, ist nicht festzustellen ; es liegt nahe,
in diesen Fällen besonders die Rickerschen Vasomotorentheorien heranzuziehen.
Lhermitte bespricht die Rückenmarkserschütterung doch etwas anders, als wir
es gewohnt sind, da er auch Fälle mit erheblichen organischen Dauerverände-
rungen diesem Begriffe einreiht; seinen Ausführungen werden wir noch weiter
hinten bei Besprechung nicht traumatischer Krankheiten begegnen. Ausfüh-
rungen von Guillain und Garcin über den traumatischen Brown-Sequard sind
insofern für den Gutachter von Interesse, als manchmal erst Jahre nach dem
Trauma (eingeheilter Fremdkörper) erhebliche Verschlimmerungen wohl infolge
von Entzündungen auftreten können.
482 Felix Stern
Zu den mehr peripheren traumatischen Nervenerkrankungen gehört ein
gutachtlich interessanter Fall von Bing über eine Erythromelalgie und Ery-
throprosopalgie nach einer Wurzelzerrung im Bereich des rechten Plexus brachia-
lis mit Beteiligung des Sympathikus (Horner); die mit Schwellung verbundenen
Vasomotorenphänomene enwickelten sich erst langsam und wurden demgemäß
anfangs verkannt. Von dieser Beobachtung aus scheinen sich interessante Aus-
blicke auf die Babinskische Physiopathie zu ergeben.
Thermisch-elektrische Schädigungen.
Zu den traumatischen Erkrankungen gehören auch die Hitzschlag-
schädigungen und elektrischen Traumen. Über die ersteren berichten
Fleck und Hückel auf Grund eines klinisch und anatomisch genau untersuchten
Falles, bei dem Arachnoidealblutungen im Vordergrund standen. Ein Betriebs-
unfall lag vor, da der Kranke als Maurer den Hitzschlag erlitten hatte, übrigens,
was auch gutachtlich bemerkenswert ist, an einem nicht allzu heißen Tage.
Pathogenetisch lassen sich Hitzschlag und Sonnenstich nicht scharf trennen,
ähnlich verhält es sich mit den anatomischen Veränderungen. Der Referent
möchte bemerken, daß auch Fälle, die klinisch rein unter dem Bilde einer ent-
zündlichen serösen Meningitis ohne Blutbeimengung zum Liquor verlaufen, nach
Insolation vorkommen, und daß schwere Hitzschlagenzephalopathien mit erheb-
lichen zerebralen Residuärsymptomen der verschiedensten Art in der Gutachter-
praxis nicht ganz selten sind.
Unter den Arbeiten über elektrische Traumen steht an erster Stelle die schon
1930 erschienene Monographie von Panse, die jeder Gutachter, der über ein
angeblich elektrisches Trauma zu urteilen hat, einsehen sollte. Der Verfasser
bearbeitet in kritischer Weise ein großes Literaturmaterial und eine Sammlung
von 43 Akten, die ihm von den Berufsgenossenschaften zur Verfügung gestellt
wurden. Es kann in diesem Referat natürlich nicht auf alle Einzelheiten der
Arbeit eingegangen werden, aber einzelne wichtige Feststellungen seien doch
gemacht. Am bemerkenswertesten ist es, daß nach Unfällen mit relativ niedrig
gespannten Strömen, welche durch die Gliedmaßen fließen, nicht selten spinale
Affektionen vom Charakter der Myatrophien und myatrophen Lateralsklerose
selbst nach einem Intervall von mehreren Monaten auftreten können, an deren
Abhängigkeit von dem elektrischen Trauma auch m. E. festgehalten werden kann.
Panse glaubt nicht, daß es sich um eine direkte Rückenmarksschädigung durch
den elektrischen Strom handelt, sondern um die Folge von Vasomotorenstörungen,
die auch sonst in der Elektropathologie eine nicht geringe Rolle spielen; interes-
sant sind auch die Fälle von Hirnödem nach Halsdurchströmung. Im übrigen ist
das Material von Hirnschädigungen nach Stromdurchtritt durch Rumpfextremi-
täten noch dringend ausbaubedürftig; die meisten hier beschriebenen Fällesind
wahrscheinlich nicht elektrotraumatischer Natur. Gegenüber den Spinalerkran-
kungen, die sich auch in spastischen Symptomen äußern können und vorwiegend
durch Elektrotraumen relativ niederer Spannung bedingt sind, sind die eigent-
lichen Hochspannungsverletzungen des Kopfes pathogenetisch und klinisch anders
bedingt; hier kommt es zu schweren Verbrennungen des Schädels, die von zere-
bralen Symptomen gefolgt sein können; am gefährlichsten sind Spätabezesse,
die nicht ganz selten sind. Die Vasomotorentheorie wird auch bei Besprechung
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 483
des elektrischen Todes ausgearbeitet, wobei wohl mit Recht gegen die Annahme
pathogenetischer Einseitigkeiten, nach denen der Tod nur auf Atemlähmung oder
nur auf Herzflimmern zurückzuführen ist, Stellung genommen wird.
K. Löwenstein und Mendel äußern sich auch eingehend zur Frage der
elektrischen Traumen, teilweise auf Grund eigener Beobachtungen. In früheren
Jahren war die Frage viel diskutiert worden, ob eine Paralyse oder multiple
Sklerose Folge eines elektrischen Traumas sein könne. Diese Frage ist für uns
gewiß gegenstandslos, wohl aber kann man noch sehr wohl damit rechnen, daß
diesen Krankheiten ähnelnde Syndrome durch die elektrische Verletzung hervor-
gerufen werden können. Dies zu beweisen ist auch die Absicht von Löwenstein
und Mendel; sie haben einen solchen paralyseähnlichen Fall mit Pupillenstarre
beobachtet, berücksichtigen allerdings vielleicht zu wenig, daß der Verletzte auch
einen Sturz bei dem elektrischen Trauma erlitten hat, der sehr wohl mit einer
Hirnkontusion verbunden gewesen sein kann; die traumatische Pupillenstarre
ist uns aber schon bekannt, auch sind die psychischen Erscheinungen anscheinend
durch psychogene Zutaten erheblich überlagert, so daß man den Namen pseudo-
paralytisch doch vielleicht vermeiden sollte. Die Verfasser erachten es jetzt für
erwiesen, daß Epilepsie nach elektrischem Trauma vorkommen kann; Hemi-
plegien sind relativ selten; wenn sie vorkommen, meist, aber nicht immer, durch
Arteriosklerose begünstigt. Das Auftreten von Pupillenstörungen bei organischen
Folgen elektrischer Traumen soll charakteristisch sein. Diese organischen Stö-
rungen werden als elektrotraumatische Enzephalomyelosen zusammengefaßt.
Unzweifelhaft richtig ist die Auffassung der Verfasser, daß manche nach erheb-
lichen elektrischen Traumen auftretenden scheinbar funktionellen Symptome in
Wirklichkeit eine organische Grundlage haben. Andererseits zeigt ein Fall, in
dem es sich möglicherweise um die betrügerische Angabe eines elektrischen
Traumas gehandelt hat, wie vorsichtig man in der Diagnose sein muß.
Naville schließt sich in seinem Berner Referat weitgehend an die Arbeiten
Panses an und trennt sorgfältig alles ab, was nicht zum elektrischen Trauma
gehört; er kritisiert auch mit Recht diejenigen Autoren, die in der Entstehung
der multiplen Sklerose dem elektrischen Trauma eine Rolle beimessen. Die
initiale Bewußtlosigkeit ist von den neurologischen Residuärsymptomen zu
trennen. Hirnsymptome nach schweren elektrischen Schädelverbrennungen sind
recht selten; unter den ebenfalls seltenen Hirnsymptomen, die vielleicht mit
Hirnödem zusammenhängen, werden vestibular-kochleare Störungen und Hor-
nersches Symptom genannt. Ferner sind etwa 10 Fälle elektrotraumatischer
Myelitiden bekannt, endlich werden die langsam eintretenden Atrophien der
Muskeln besonders gewürdigt.
Daß Epilepsie nach elektrischem Unfall (wenn auch sehr selten) vorkommt,
wird noch besonders durch einen Fall von Panse (Strom von 380 Volt, Eintritt
in die Hand) gezeigt ; gleichzeitige organische Symptome weisen auf einen Brücken-
herd hin. Recht interessant ist auch das Auftreten einer isolierten Athetose in
einem Bein nach Stromdurchtritt von 220 Volt durch die gleichseitige Hand;
hierüber berichtet S. Löwenstein. Die Frage der parkinsonistischen Erkran-
kungen nach elektrischen Verletzungen ist noch weiter zu bearbeiten; in einem
Falle Heydes waren tikartig-myoklonische Zuckungen neben organischem Tre-
mor vorhanden, sonst war das Zustandsbild von dem eines Parkinsonismus doch
recht verschieden.
484 Felix Stern
Hirntumoren.
Gegenüber der Skepsis, mit der in weiten Kreisen der Zusammenhang
zwischen Traumen und Hirntumoren betrachtet wird, vertritt Beneke einen
ganz entgegengesetzten Standpunkt, den er im Anschluß an frühere Abhandlungen
in neuen sehr eingehenden Arbeiten zu begründen sucht. Die wesentlichste Ab-
weichung von der Durchschnittsansicht liegt wohl darin, daß für B. nicht die
Provokation einer endogenen Tumoranlage durch ein Hirntrauma oder Ver-
schlimmerung bzw. auch Wachstumsbeschleunigung in Betracht kommt, sondern
die Entstehung der Geschwulst durch ein einmaliges Trauma, ja, auch even-
tuell einen heftigen Schreck. Nach Beneke kann man annehınen, daß dem
Trauma ein lokaler Arterienkrampf als Fernreflex folgt; die ischämische Nekrose
geht in Erweichung, in eine Zyste über; die ersten Krankheitserscheinungen sind
nicht durch den Tumor, sondern durch den ‚„Schlagaderkrampf“ und seine Folgen
bedingt. Später kann dann eine blastomatöse „Entgleisung“ einfacher Repara-
tionsvorgänge oder bestimmter traumatischer örtlicher Zustandsänderungen ein-
treten. Als mechanisch chemische Vorbedingungen für die Umwandlung in
einen Tumor werden vor allem der „Wasserstoß“ der Zyste und die Abbau-
stoffe bei den reparatorischen Vorgängen genannt. Die Intervalle zwischen
Trauma und Tumorbeginn schwanken zwischen Wochen und Jahren. Gerade
leichtere Traumen seien geeignet, diese Störungen herbeizuführen. Die theore-
tischen Vorstellungen B.s betreffen also vorwiegend pathologische Probleme,
welche, da sie von den Durchschnittsansichten abweichen, eine ganz besondere
Unterstützung durch Tatsachen erforderlich machen würden. Es kann hier nun
nicht die Frage angeschnitten werden, wie weit es tatsächlich möglich ist (wie B.
meint), traumatische Zysten als Ursprung des Tumors von Zysten, die erst sekun-
där im Tumorgewebe entstanden sind, immer klar zu unterscheiden, ebensowenig
wie die Frage, ob irgendwelche traumatischen Reize gesunde Zellen zum Tumor-
wachstum anzuregen vermögen; hier muß es genügen, eine Reihe von Bedenken
auszusprechen, die sich bei der Lektüre der Arbeit B.s ergeben. Wenn der Autor
ausführt, daß sich in weit über 40% der Tumorfälle in der Vorgeschichte Kopf-
traumen irgend welcher Art feststellen lassen, so unterläßt er die Kontrollfest-
stellung, wie oft dieselben in der (arbeitenden) Gesamtbevölkerung vorkommen;
leichtere Kopfverletzungen sind doch eminent häufig. B. versucht die Ansicht,
daß nach Kopftraumen lokale Arterienspasmen vorkommen, durch einige in-
teressante Fälle zu stützen; ähnliche Fälle traumatischer Erweichungen sind ja
schon von anderer Seite mitgeteilt und sie entsprechen den modernen An-
schauungen über die Bedeutung vasomotorischer Störungen nach vielfachen
Schäden. Darum aber kann man noch nicht den Sprung machen, anzunehmen,
daß schwere zur Nekrose führende Gefäßspasmen etwas häufiges sind; dagegen
spricht die Zahllosigkeit der beschwerdefrei ausheilenden leichten Kopfver-
letzungen. In manchen Fällen scheint eine Verwechslung von Ursache und
Symptom des Tumors vorzuliegen ; so, wenn eine Frau am hellen Tage im Zimmer
zusammenstürzt, liegt es doch wahrscheinlich näher, anzunehmen, daß ein
epileptiformer Anfall infolge der Gehirnkrankheit vorlag, als eine Gehirnerschütte-
rung durch den Fall zur Ursache des Tumors zu stempeln. In manchen Fällen
ist ein Trauma gar nicht bekannt. B. selbst fordert eine vorsichtige und genaue
Erhebung der Vorgeschichte, um die äußeren Ursachen des Tumors besser zu
|
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 485
erfassen; sehr gut; dann darf man sich aber auch nicht mit der kurzen Angabe
begnügen, daß vor dem Trauma Vollgesundheit bestand, sondern muß möglichst
gleich nach der Verletzung umfassende Ermittelungen über das Verhalten vor
dem Unfall anstellen und wird dann manchmal überraschende Feststellungen
über schon bestehende Krankheitszeichen machen können. Solche Lücken sind
besonders empfindlich in Fällen wie etwa demjenigen, wo ein Mann nach einem
anscheinend leichten Unfall noch am gleichen Tage epileptische Anfälle bekommt,
die anscheinend auf das Fokalgebiet 6 b bezogen werden können; es liegt da ge-
wiß der Verdacht nahe, daß dieses Gebiet nicht mehr ganz intakt war, als der
Unfall passierte. Mehrfach soll ein Schreck die Krampfischämie gebildet haben;
es ist aber doch unklar, ob ein Schreck lokale ganz begrenzte Krampfischämien
hervorrufen kann (von Lubarsch bestritten). Diese Bedenken, die es nicht
gestatten, den Ansichten des Autors auf weite Strecken zu folgen, möchte ich
betonen, obwohl ich selbst den Standpunkt einnehmen möchte, daß es auch eine
übertriebene Skepsis geben kann, die an Negativismus grenzt und vor der man
sich auch hüten muß. Und bei allen Unklarheiten des Zusammenhangs finden
sich gewiß auch unter seinen 43 Fällen, welche er diesmal veröffentlicht, ver-
schiedene, welche durch die Innigkeit des Zusammenhangs zwischen Trauma
und klinischen Erscheinungen auffallen und versicherungsrechtlich wohl im
positiven Sinn beantwortet werden dürfen. Vielleicht am interessantesten ist der
mehreren früheren Mitteilungen der Literatur sich anreihende Fall eines russischen
Kriegsgefangenen, der nach einer Säbelhiebverletzung eine alte Erweichung unter
einem abgesprengten Knochensplitter zeigte, um die herum ein Gliom sich ent-
wickelt hatte. Beachtenswert ist auch die Angabe des Autors, daß ein Tumor
sich in sehr kurzer Zeit entwickeln kann, und daß es falsch ist, anzunehmen, daß
2—3 Jahre bis zur Entwicklung verfließen müssen; B. selbst glaubt, daß ein
walnußgroßes „ Sarkom“ in 52 Tagen entstanden sein kann. Die Theorien Ba
treffen nach seiner Meinung auch auf Meningiome zu. Auch der, welcher seine
Ansichten in vielem nicht teilt, wird die Arbeit mit großem Interesse lesen
können.!) l
Parker und Kernohan haben die Frage der Einwirkung von Traumen auf
Gliome an dem großen Material der Mayo-Klinik statistisch nachzuprüfen ge-
sucht und stützen sich auf 431 Fälle, bei denen sie nur 58mal, also in 13,4 %, ein
Trauma in der Vorgeschichte feststellen konnten; Beneke würde hier den Vor-
wurf machen, daß die Anamnesen wahrscheinlich nicht gründlich aufgenommen
worden seien; daß dieser Vorwurf zutreffen kann, geht aus den Kontrollen an
200 gesunden Menschen hervor, bei denen ein Trauma in 35,5 % feststellbar war.
Es ist nicht anzunehmen, daß die Tumorkandidaten vor Unfällen relativ ge-
schützt sind. Unter den 58 Tumorfällen mit Trauma bleiben nur 21, bei denen
man an einen Zusammenhang denken kann, wenn man folgende Kriterien be-
rücksichtigt: 1. Gewisse Schwere des Traumas, 2. Gesundheit vor dem Trauma,
3. Latenzperiode von wenigstens einigen Wochen bis zum Beginn der Tumor-
symptome, 4. mikroskopische Sicherstellung des Tumors, 5. Konkordanz zwischen
1) Anm. bei Korrektur: B. Fischer-Wasels (Monatsschr. Unfallhk. 89, 489)
gibt, wie nachträglich festgestellt wird, eine gründliche Kritik der Ansichten
Beneke’s und bestreitet besonders, daß in einem Tumor mit regressiven Ver-
änderungen eine primäre Nekrose nachgewiesen werden kann. Ebenso lehnt er den
Arterienkrampf als Tumorreiz durchaus ab.
Neurologie V. 11 34
486 Felix Stern
Schnelligkeit des Tumorwachstums und Trauma. Punkt 3 wird etwas schwierig
zu beantworten sein, da man klinisch nach hinreichend schwerem Trauma keine
gute Differenzierung zwischen abklingenden Symptomen eines Hirntraumas und
beginnenden Erscheinungen eines Tumors machen kann. Im ganzen lehnen die
Autoren den ursächlichen Zusammenhang zwischen Trauma und Tumor ab;
vorsichtiger wird man sagen, daß die Statistik keinen sicheren Anhaltspunkt
dafür gibt, daß aber diese Wissenschaft allein nicht geeignet ist, im konkreten
Falle die entscheidende Antwort zu geben.
In der Einzelkasuistik interessiert ein Fall von Laubenthal: Bei einem
1920 schwer mit Schädelbruch verunfallten 48jähr. Mann entwickelt sich ein
Meningiom des linken Parietookzipitallappens (Psammon), das 1931 operativ
entfernt wird. Die Verletzung hatte die linke Schädelseite betroffen, Brücken-
symptome waren in ziemlicher Stärke vorhanden, die Symptome, die als Trauma-
folgen angesehen werden konnten, wie z. B. Rechenstörungen, traten später als
Tumorsymptome besonders hervor. L. will aus diesem Einzelfall mit Recht
keine Schlüsse ziehen, man würde aber m. E. berechtigt sein, in einem solchen
Falle versicherungsrechtlich den Zusammenhang anzuerkennen, es fehlt nur der
in anderen Fällen erbrachte Nachweis, daß ein traumatischer Kallus in Beziehung
zu der Neubildung steht. Über einen Rückenmarkstumor berichtet K. Mayer:
Es handelt sich um ein intramedulläres Lipom des Halsmarks, das operativ mit
Erfolg entfernt werden konnte; der Tumor bestand schon vor dem Unfall, machte
aber nur geringfügige und vorübergehende Erscheinungen, aber sofort nach
einem Unfall mit Fall auf Gesicht und Rücken und heftigen Nackenschmerzen
traten Lähmungserscheinungen ein, die sich dann im Laufe des nächsten Jahres
noch verschlimmerten; ob die histologische Beschaffenheit des Tumors irgend-
welche Hinweise darauf gibt, wie das Trauma die angenommene Verlaufsver-
schlimmerung herbeigeführt hat (Blutung in den Tumor 7), wird leider nicht be-
richtet. In einem Fall von Wright liegt eine infektiöse Geschwulst, ein Tuber -
kulom des Hinterhauptlappens auf dem Boden einer infizierten Schuß verletzung
dieses Gebiets vor; mehrfach waren Abszesse und Sequester vorher operiert
worden. Der Zusammenhang ist hier in gutachtlicher Beziehung eindeutig;
immerhin ist es, soweit meine eigenen Kenntnisse reichen, recht selten, daß auf
dem Boden einer alten Hirnschußverletzung eine Mischinfektion mit Tuber-
kulose eintritt.
Malaria.
Daß die Literatur bei der Frage versagt, ob bei Kriegsteilnehmern nervöse
Folgeerscheinungen nach Malaria vorkommen, wird von A. Strauß betont,
obwohl ja bekannt ist, daß nach Malariaenzephalitis Folgeerscheinungen zurück-
bleiben können. Solche Fälle werden auch von Strauß mitgeteilt; aus der
eigenen Gutachtertätigkeit kann ich bestätigen, daß es recht schwere Rest-
erscheinungen einer Malariaenzephalitis gibt. Bei der Anerkennung einer Malaria-
folge muß man aber sehr vorsichtig sein, und nach unseren klinischen wie ana-
tomischen Kenntnissen kann man die Wahrscheinlichkeit der Malariaätiologie
doch nur dann annehmen, wenn die Malaria erwiesen ist und genügend Verdachts-
momente dafür sprechen, daß die akuten Malariaanfälle irgendwann von einer
Enzephalitis begleitet waren; d. h., es muß die Hirnbeteiligung im Anfall klinisch
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 487
erwiesen oder wahrscheinlich gemacht sein. Das kommt bei der tropischen Ma-
laria häufig vor, bei der benignen Tertiana ist das Vorkommen der Enzephalitis
seltener, wenn auch nicht ausgeschlossen. Außerdem müssen die Folgeerschei-
nungen nach dem fieberhaften Malariaanfall zurückbleiben, sich nicht später
entwickeln. Eine Ausnahme macht hier die Epilepsie nach Malaria, die aller-
dings, worin ich mit Strauß übereinstimme, vorkommt, wohl auf dem Boden
von Narben nach Malariaenzephalitis. Endlich muß man berücksichtigen, daß
immer wieder negative Resultate erzielt werden, wenn die Behauptung nach-
geprüft wurde, daß viele Jahre nach dem Kriege noch Malariaanfälle auftreten;
diese Behauptung wird ja von Rentenbewerbern nicht selten aufgestellt, aber
sie trifft nicht zu. Berücksichtigt man dies alles, dann sind die von Strauß mit-
geteilten Fälle mindestens zum Teil nicht beweiskräftig, z. B. Fall 1, bei dem die
Malaria gar nicht erwiesen ist und erst 1925 eine akute Enzephalitis auftritt. Der
zweite Fall ist darum interessant, weil eine durch Malaria vielleicht verschlim-
merte funikuläre Myelose festgestellt wird, die bei normalem Blutbefund sich,
soweit ich sehe, nur in den Beinen manifestiert. Hierzu möchte ich bemerken,
daß ich ähnliche Fälle bei älteren Leuten gesehen habe, bei denen sich ätiologisch
nichte weiter feststellen läßt (keine Anämie, Lues usw.), bis auf vielleicht geringen
Alkoholismus früher; in der Hauptsache handelt es sich doch um Aufbrauchs-
wirkung; der Blutdruck braucht dabei nicht erhöht zu sein. Sehr merkwürdig
ist dann der von Wilson früher beschriebene, auch von Strauß erwähnte Par-
' kinsonismusfall nach Malaria; auch ich habe einen solchen Fall gesehen. Aber
ich kenne auch andere Fälle, in denen die angebliche Kriegsmalaria eine damals
naturgemäß nicht erkannte gewöhnliche epidemische Enzephalitis war, und
möchte hervorheben, daß anatomisch eine Malarisenzephalitis oder ihre Folgen
als Grundlage eines chronischen Parkinsonismus noch nicht erwiesen sind. Sicher
ist also der Parkinsonismus nach Malariaenzephalitis noch nicht. Die D. B.-
Frage ist auf jeden Fall positiv zu entscheiden, wenn die akute Erkrankung in
der Militärdienstzeit stattgefunden hat. Die Arbeit von Strauß ist auch von
E. Bentmann kritisiert worden, m. E. im wesentlichen mit Recht, wenn auch
zu seinen Ausführungen bemerkt werden muß, daß die Malariaenzephalitis
schon vor den schönen Untersuchungen von Dürck uns bekannt war (hierzu
darf Referent vielleicht auf seine eigenen Ausführungen über Malariaenzephalitis
im Hdb. der Neurologie des Ohrs, erschienen 1929, verweisen. Bentmann
fordert vor Anerkennung der D.B. den Nachweis der überstandenen Malaria
(möglichst auch Art derselben), den zeitlichen Zusammenhang und die Fest-
stellung, ob Chinin wirksam ist. Diese Forderung ist gewiß bemerkenswert, da
tatsächlich auch sogenannte Residuen einer Malariaenzephalitis auf Chinin
günstig ansprechen können ; allerdings muß man nach den histologischen Verände-
rungen bei Malarisenzephalitis auch durchaus die Wahrscheinlichkeit zugeben,
daß Narben mit irreversiblen klinischen Symptomen gelegentlich auftreten. Was
den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang anbetrifft, so wird man, wie ich
oben betonte, bei der Epilepsie (und dem Parkinsonismus ?) dem Wesen dieser
Leiden nach eine Ausnahme machen dürfen, vorausgesetzt, daß die Malaria
schwer (insbesondere tropica) und mit Hirnerscheinungen verbunden war, sowie
keine anderen plausiblen ätiologischen Faktoren feststellbar sind. Mehrere
Fälle von Epilepsie nach Malaria beschreibt Kemen, die Behandlung der Ma-
laria kann auch die Epilepsie bessern.
GEM
488 Felix Stern
Parkinsonismus.
Die Begutachtung parkinsonistischer Erscheinungen zeigt die einleitend ge-
nannten Schwierigkeiten und Divergenzen der Anschauungen in ganz besonderem
Maße. Wenn man hier eine Klärung in etwas versucht, ist es zunächst unbedingt
erforderlich, den traumatischen Parkinsonismus als direkte Unfallfolge durch
Blutungen oder Nekrosen von allen anderen Erkrankungen mit parkinsonisti-
schen Erscheinungen, bei denen nur die Frage der „Auslösung“ oder Verschlim-
merung durch ein äußeres Geschehnis ventiliert wird, zu differenzieren; und nur
soviel wird man zugeben, daß dem traumatischen Parkinsonismus auch die-
jenigen Fälle eingereiht werden können, bei denen die etwaige Blutung durch
eine präexistente Gefäßerkrankung erleichtert wird. Diese Notwendigkeit einer
grundsätzlichen Differenzierung der parkinsonistischen Erkrankungen nach
Trauma ist ja nicht von allen früheren Bearbeitern des Gebiets durchgeführt
worden, wenn auch natürlich den Hauptbearbeitern (Bing u. a.) bekannt ge-
wesen. Ob es einen traumatischen Parkinsonismus überhaupt gibt, war noch
umstritten (Kehrer). Naville und de Morsier haben mit großer Sorgfalt
alle diejenigen Fälle herausgesucht, bei denen ein solches Leiden in Frage kommt,
und diese Zusammenstellung ist gewiß sehr dankenswert, auch wenn man nicht
allen Anschauungen der Verfasser folgt. Unter den über 30 Fällen mit ‚‚trauma-
tischen Parkinsonismus‘‘ erscheinen mir viele recht zweifelhaft; einige aber,
die noch evidenter sind als die bekannten von H. W. Maier u. a., müssen wohl
anerkannt werden. Der von seinem rumänischen Referenten kritisierte Fall
von Paulian liest sich bei Naville und de Morsier ganz anders; ein 25jähr.
Mann erhält einen Schuß in die linke Schläfengegend, das Geschoß sitzt etwas ober-
halb der Hypophysengegend, Entwicklung halbseitig betonter Hypertonie neben
linksseitiger Abduzensschwäche und Hemiatrophie der Zunge. Autoptisch außer
den Läsionen im Schußkanal Blutungen (Erweichungen ?) im Thalamus, Hypo-
thalamus, Linsenkern. Bedeutsam erscheint auch der erste Fall von Pomm6
und Liégeois: 32jähr. Soldat erhält auch Schuß rechts temporal, ist mehrere
Stunden bewußtlos, wird trepaniert, hat 1 bis 2 Monate nach der Verwundung
Zittern der linken Hand, dann auch des linken Beins. Noch 1931 ist vorwiegend
der linke Arm betroffen. Weitere beweiskräftig erscheinende Fälle von Barr6,
Barkman nach Naville und de Morsier. Der eigene Fall letzterer Autoren
erscheint mir darum nicht rein, weil nicht aktenmäßig belegt ist, daß der Par-
kinsonismus nach der (Schuß-)verletzung vor der enzephalitisverdächtigen Er-
krankung bestand, die an sich den Parkinsonismus plausibler erklären würde.
Traumatisch bedingte parkinsonistische Störungen sind verständlicherweise ge-
wöhnlich glied- oder halbseitig begrenzt und mit anderen Symptomen gemischt
(das gilt auch von einem Fall von Crouzon); aber das ist noch kein Grund, die
Bezeichnung zu verwerfen, wenn Rigor und Tremor im Vordergrund stehen;
eine reine Läsion der parkinsonistischen Hirnapparatur wird nicht verlangt (ist
übrigens auch bei anderen Erkrankungen mit Parkinsonismus, z. B. Enzephalitis,
nicht immer vorhanden). In einem neueren Fall von Minovici, Paulian und
Stanesco tritt Parkinsonismus der linken Hand neben Jacksonanfällen der
linken Seite nach einer schweren Hochspannungsverbrennung der rechten
Schädelseite ein, die durch schwere Kommotion kompliziert ist (als Pendant
wird allerdings ein ganz unwahrscheinlicher Fall mitgeteilt). Weitere Fälle der
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 489
letzten Zeit von Mellinghoff, F. Negro, Eckerström erscheinen nicht sehr
beweiskräftig; im Falle des ersteren Autors spricht manches für Enzephalitis.
Kulkov teilt zwei solche Fälle mit, in denen zwar ein traumatischer Parkinso-
nismus zu bestehen schien, aber der Nachweis geliefert werden konnte, daß dem
Trauma noch eine Enzephalitis gefolgt war, die allerdings, wie K. meint, durch
das Trauma vielleicht ausgelöst wurde. In einem Fall von Bing lag vielleicht
eine Fraktur des Proc. clin. anter. vor; den Parkinsonerscheinungen waren
thalamische und pyramidale Symptome beigemengt; trotzdem ist der Fall wohl
nicht ganz gesichert (einige Wochen nach dem Unfall Schlafinversion und Un-
ruhe. Verkappte Enzephalitis ? f). Im Fall von Eliasberg und Jankau bestand
vielleicht eine arteriosklerotische Muskelstarre. Die meisten Vorgutachtei hatten
den Fall ablehnend beurteilt. Dagegen beschreibt Heyde aus dem großen Ma-
terial der Reichardt schen Klinik wieder einige unzweifelhafte positive Fille
nach schweren Hirntraumen; diese Fälle sind wieder dadurch ausgezeichnet,
daß sie mit anderen Symptomen verbunden sind (z. B. Epilepsie, Fazialisparese
usw.), und gewöhnlich nicht progredieren, mitunter sogar remittieren, mitunter
auch nur Teilstücke des parkinsonistischen Syndroms zeigen. Leider nur im
Referat sind mir die Martlandschen Arbeiten bekannt (nach Creutz), wonach
bei amerikanischen Berufsboxern sich manchmal ein Parkinsonbild entwickelt,
dem bei Autopsien multiple punktförmige Hämorrhagien, namentlich in den
Streifenhügeln, an die sich eine Gliose oder progressive Degeneration anschließen
kann, zugrunde liegen sollen. Man kann in solchen Fällen aber nicht von einer
posttraumatischen Enzephalitis sprechen (Creutz). Daß nach einem schweren
Kopftrauma ohne prädisponierende Veränderungen an Hirn oder Gefäßapparat
neben punktförmigen Blutungen im übrigen Hirn eine starke Blutung in einem
Linsenkern stattfinden kann, wird auch von Scatamachia gezeigt. Ein mehr
intentioneller Tremor wird von Almquist mitgeteilt, dieser war durch einen
spitzen Gegenstand (Heugabelstich von der Nase aus) bedingt. Almquist
meint allerdings, in diesem Fall müßte man nach Rekonstruktion an der Leiche
auch eine Striatumläsion annehmen, obwohl der Tremor nicht parkinsonistisches
Gepräge hatte.
Während man so den traumatischen Parkinsonismus nach schweren Kopf-
verletzungen im Grunde wohl anerkennen kann, wenn auch nur mit großer Vor-
sicht diagnostizieren darf, möchten wir dem peripher bedingten Parkinsonismus
auch weiterhin ablehnend gegenüber stehen, auch wenn Naville und de Mor-
sier versuchen, ihn durch Beibringung eines großen Materials aus der Literatur
zu beweisen. Die Tatsache aber, daß ein Trauma und eine bestimmte Krankheit
bei denselben Menschen vorkommen, kann nur dann Anlaß zur Diskussion über
einen etwaigen ursächlichen Zusammenhang geben, wenn nach dem gegen-
wärtigen Wissensstandpunkt eine Erklärung des Zusammenhangs ohne Zwang
denkbar ist. Dies ist hier wohl nicht der Fall. Die Kritik der Schweizer Autoren
an den Unklarheiten des anatomischen Substrats des Parkinsonismus ist insofern
nicht stichhaltig, als jedenfalls eine Affektion basaler Ganglien, mindestens aber
— wenn man allen großen Arbeiten der letzten Jahrzehnte Zweifel entgegen
bringen wollte — des Gehirns dem Syndrom zugrunde gelegt werden muß. Die
Lehre von der „Reperkussion“, der Wirkung des einen Neurons auf höhere, ist
zu wenig gestützt, als daß sie unsere Anschauungen beeinflussen könnte, sie kann
nicht mit den Erfahrungen über Diaschise bei zentralen Läsionen verglichen
490 Felix Stern
werden. Wenn eine Reperkussion von — oft sehr leichten — peripheren Traumen
aus zu zentralen Reflexzentren vorkäme, müßte man sich auch die Möglichkeit
einer Hemiplegie nach einer peripheren Läsion, etwa einer Schulterverrenkung,
vorstellen können, und einen solchen Zusammenhang wird wohl niemand behaup-
ten. Die klinischen Argumente aber, die für den Zusammenhang sprechen sollen,
wie die konstante Aufeinanderfolge von Trauma, Schmerzen, Zittern im ver-
letzten Glied, homolaterale Ausdehnung vor der generalisierten, sind (in diesen
theoretisch uns unverständlichen Fällen!) nicht so beweiskräftig, da diejenigen
Fälle, in denen der Parkinsonismus auf der dem peripheren Trauma entgegen-
gesetzten Seite beginnt, vermutlich viel seltener veröffentlicht werden. Die
außerordentliche absolute Seltenheit dieser Zustände ist doch auch ein nicht
unwichtiges Gegenargument; die Seltenheit traumatischer Parkinsonismen nach
Kopfverletzungen wäre dagegen rein mechanisch verständlich.
Im Gegensatz zum traumatischen Parkinsonismus steht die echte Paralysis
agitans, die eigentliche Parkinsonsche Krankheit, deren Abhängigkeit von
Traumen lebhaft von Kehrer mit wichtigen Gründen kritisiert wird. Diese
Krankheit muß viel mehr als Erbkrankheit aufgefaßt werden, als das vielfach
geschieht, und es ist vorläufig eine nicht beweisbare Hypothese, daß eine von
außen kommende physikalische oder psychische Einwirkung direkt oder auf
vasomotorischem oder innersekretorischem Wege zu mikroskopischen oder
mikrochemischen Störungen in denselben Apparaten führt, in denen sich bereite
in geringem Grade der endogene Prozeß auswirkt; wie der neurologische Befund
vor dem Trauma war, ist fachärztlich nicht festgestellt. Ähnlich wie es sich bei
Huntington verhält, gibt es auch Parkinsonkranke, die nach schwerem Schädel-
trauma keine Verschlimmerung erfahren. Außerdem wird übersehen, daß die
Psychomotilität des beginnenden Parkinsonkranken das Erleiden von Unfällen
in höherem Maße als das anderer organischer Nervenkrankheiten begünstigt.
Diese Einwände werden uns noch schärfer als früher Anlaß geben müssen, mög-
lichst bald nach jeder Schadenersatzanmeldung den prätraumatischen Gesund-
heitszustand und die Art des Traumas wie seine Folgen gründlichst zu erfor-
schen; aber es bleiben nun doch die Fälle übrig, in denen die Manifestation der
Erscheinungen nach der äußeren Einwirkung und in engem zeitlichem Zusammen-
hang damit erwiesen ist. (Neuerer Fall von W. Groß; ein traumatischer Par-
kinsonismus durch Blutungen, an die Verfasser denkt, ist weniger wahrschein-
lich); m. E. wird man in diesen Fällen, wenn die Symptomaufklinkung plausibel
ist, auch den Zusammenhang gutachtlich bejahen dürfen, wie ich an anderer
Stelle auseinandergesetzt habe. Die fehlende Verschlimmerung eines Parkinson-
zustandes durch ein schweres Hirntrauma hat übrigens eine Analogie in der
Epilepsie; gewisse Erkrankungen werden öfters durch schwere Traumen nicht
beeinflußt, und doch wird man die pathogenetische Rolle des Traumas in anderen
Fällen nicht bezweifeln. Daß die Fälle von Paralysis agitans, wo ein Zusammen-
hang mit einem Unfall oder eine starke Schreckreaktion anerkannt werden darf,
selten sind, geht aus der Arbeit von Heyde hervor, der in dem Würzburger
Material keinen entsprechenden Fall, auch keine besondere Häufigkeit der Para-
lysis agitans unter den Unfallpatienten fand. Die Berechtigung zur Annahme
einer D.B. unter bestimmten Umständen wird auch von Kehrer anerkannt.
Wilsonartige Bilder nach Trauma nimmt Halpern in 2 Fällen an; wir
empfehlen hier bei der Begutachtung größte Reserviertheit; auf die mir nicht
—
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 491
plausibel erscheinende Theorie der Abhängigkeit der Leberstörungen von einer
traumatischen Läsion zentral nervöser Apparate kann an dieser Stelle nicht ein-
gegangen werden.
Schließlich ist noch die Verschlimmerung eines Parkinsonismus durch ein
Trauma denkbar; in dieser Beziehung gibt, wie früher, die chronische Enzephalitis
etwas beweiskräftigere Fälle als die Paralysis agitans (Naville und de Morsier,
s. auch Abschnitt Enzephalitis). Über die toxisch bedingten Parkinsonismen
bietet die Berichtszeit nichts wesentlich Neues.
Enzephalitis.
Daß auch auf dem Gebiet der epidemischen Enzephalitis recht viele gut-
achtliche Fragen zu behandeln und teilweise noch strittig sind, geht vor allem
aus einem Buche von R. Neustadt hervor, der nicht nur D.B.-Frage und Ein-
fluß von Traumen, sondern auch strafrechtliche Fragen, Verhandlungs-, Eides-
fähigkeit, Schwangerschaftsunterbrechnung, Arbeits- und Berufsfähigkeit, Ent-
mündigung, Geschäftsfähigkeit, Anstaltsunterbringung, Lebensversicherung,
Kraftfahrerführerschein u. a. behandelt. Bis auf Einzelauffassungen möchte ich
den Ansichten des Verfassers in den meisten Punkten ganz beipflichten und kann
Gutachtern, die einen schwierigen Fall zu bearbeiten haben, die Lektüre der
Arbeit entschieden empfehlen. Mit dem Einfluß von Unfällen auf Enzephalitis
beschäftigt sich eine Arbeit von M. Becker aus der Unfall-Nervenheilanstalt
Schkeuditz. Es ist für die Mentalität vieler Versicherten bezeichnend, daß von
111 chronischen Enzephalitikern 52, also fast 50 , die Krankheit auf einen Un-
fall zurückführten, obwohl dieser doch nur in den seltensten Fällen auch nur in
Erwägung gezogen werden kann. In einzelnen Fällen kann ein Zusammenhang
anerkannt werden und wurde auch angenommen; einer dieser Fälle ähnelt einem
früher von mir beschriebenen sehr; es handelt sich um einen Mann, der nach einer
wuchtigen, aber doch nicht mit Bewußtlosigkeit verbundenen Kopfverletzung
Kopfschmerzen hat und am nächsten Tage schon mit sicherer akuter Enze-
phalitis erkrankt. In einem andern Fall (3) wird angenommen, daß der Unfall
eine mehrere Jahre vorher durchgemachte Enzephalitis verschlimmerte, neue
Krankheitserscheinungen hervorrief. Ich möchte aber nach der Schilderung
eher annehmen, daß dem Unfall eine akute Enzephalitis folgte, während die
frühere Erkrankung nur als eine Grippe bekannt ist, und das sagt an sich gar
nichts. In 2 Fällen wurde auch angenommen, daß ein heftiger Schreck den Er-
krankungsbeginn fördern oder die Krankheit verschlimmern kann; immerhin
ist dieses Problem wohl noch nicht gelöst. Die D.B.-Frage ist prinzipiell viel ein-
facher zu entscheiden; denn daran ist kein Zweifel, daß D.B. anzuerkennen ist,
wenn die akute Infektion während des Militärdienstes, mindestens im Kriege,
stattgefunden hat. Aber der konkrete Fall bietet noch sehr große Schwierig-
keiten, zumal die akute Enzephalitis im Kriege meist unter falschen Diagnosen
ging. Hierüber bringt Mauß jetzt im Rahmen einer Monographie eine große
Kasuistik, nachdem er früher die gleiche Frage schon zusammenfassend kurz be-
handelt hatte. In dieser Kasuistik findet sich nur ein Fall mit richtiger Diagnose
Enzephalitis, und dieser erkrankte 1920 in französischer Kriegsgefangenschaft.
Ich habe aber vor kurzem einen Fall mit enz. Parkinsonismus beobachtet (und
publiziert), der im Frühjahr 1915 in einem deutschen Truppenlager erkrankte,
492 Felix Stern
bei dem schon damals die Diagnose „Encephalitis haemorrhagica‘‘ gestellt wurde.
Nach den Mitteilungen Cruchets wird in der französischen Armee D.B. ähnlich
wie bei uns anerkannt.
Weitere nichttraumatische Hirn-Rückenmarks krankheiten.
Die noch übrig bleibenden nichttraumatischen Hirn-Rückenmarkskrank-
heiten können in einem Schlußkapitel zusammenfassend besprochen werden;
die Berichtszeit liefert hier nur wenige bemerkenswerte Arbeiten. Von einigen
Autoren, wie z. B. Minowici, Paulian und Stanesco, wird gemeint, daß
gerade kleine traumatische Schädigungen an der Entstehung von Hirnkrank-
heiten beteiligt sein können; wir werden gut tun, uns möglichst skeptisch zu
solchen Meinungen zu verhalten.
Eine den Gutachter immer wieder interessierende Krankheit ist die amyo-
trophische Lateralsklerose, die im Verhältnis zu ihrer relativen Seltenheit durch
die oft bemerkte Beziehung zu Außenschädigungen, die gelegentliche Feststel-
lung entzündlicher Veränderungen, die seltene Feststellung von Erbfaktoren
auffällt, so daß man öfters als bei manchen anderen Krankheiten die Wahrschein-
lichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs mit äußeren Schädigungen aner-
kennen kann. In der letzten zusammenfassenden Arbeit (v. Santhas) wird aller-
dings die endogene systematische Natur der amyotrophischen Lateralsklerose
betont, aber doch zugegeben, daß es paratypische Fälle der Krankheit gibt (das
klassische Beispiel ist hier die epidemische Enzephalitis). Dem Trauma könne
eine Rolle in der „Auslösung bzw. Beschleunigung des endogenen Prozesses
zukommen, der allerdings ohne dasselbe wohl auch auftreten würde. Von den
kasuistischen Mitteilungen der letzten Jahre sind zwei bemerkenswert von
Minkowski und v. Bogaert, Ley und Nyssen. In dem Minkowskischen
Fall waren die Symptome einer schweren mehrere Stunden dauernden Durch-
nässung zuerst in Form reißender Schmerzen (die öfters im Beginn der amyo-
trophischen Lateralsklerose beobachtet werden), im Verlaufe weniger Wochen
von a. L. gefolgt; prädisponierend wirkte vielleicht ein leichter Diabetes (ent-
sprechend der schweizerischen Gesetzgebung schätzt M. den „Anteil“ der Er-
kältungsschädigung an der Entstehung der amyotrophischen Lateralsklerose
auf 66½ —75 %). Im Falle der belgischen Autoren, die auch über einen autop-
tischen Befund verfügen, entwickelte sich aber die Krankheit auf dem Boden
einer traumatischen Läsion der parietalen Rinde nach Schußverletzung; merk-
würdig ist dabei nur eine nicht zum Krankheitsbild gehörige Leberzirrhose
(Hilfsfaktor ?). Auch der Referent kennt einen solchen Fall von amyotropischer
Lateralsklerose auf dem Boden einer ziemlich schweren Hirnschußverletzung der
motorischen Region. Theoretisch werden wir hier über Spekulationen nicht
hinauskommen, praktisch den Zusammenhang anerkennen. Weniger bedeutsam
sind Fälle von Roger, Zara und Schmidt. Der Rogersche Fall, in dem
periphere Verletzungen vorlagen, ist in meinen Augen mehr ein Stigma dafür,
daß auch ein lokaler Zusammenhang zwischen Verletzung und beginnender
Atrophie noch nicht allein erlaubt, den Kausalzusammenhang anzuerkennen.
In seinem Aufsatz über Rückenmarkskommotion kommt Lhermitte auch
auf die Provokationsmöglichkeiten an sich nicht traumatischer Erkrankungen
durch ein Trauma, insbesondere spinale Kommotion, zu sprechen. Eine solche
Begutachtung organischer Nervenkrankheiten 493
Provokation ist, wie auch m. E. mit Recht hervorgehoben wird, bei Tabes, Mye-
litis und multipler Sklerose fraglich (und wie wir noch hinzufügen können, von
Hirnkrankheiten bei Paralyse) unbedingt zugegeben wird dieselbe bei amyo-
tropischer Lateralsklerose und syringomyelieartigen Erkrankungen, bei echter
Syringomyelie allerdings ist der Zusammenhang fraglich. Crouzon will in
„seltenen“ Fällen bei p. P. die Rolle des Traumas bejahen, im übrigen drückt er
sich ähnlich aus. Dazu kommen immer von neuem kasuistische Mitteilungen
über traumatogene oder traumatisch provozierte Muskelatrophien spinaler
Genese, allerdings gewöhnlich atypischen Gepräges. Im Fall von Brodin,
Lhermitte und Lehmann sind Rückentraumen den vorwiegend proximalen,
aber doch myelopathischen Atrophien vorangegangen, die Atrophien beschränken
sich auf die Arme, sind einseitig stärker, allerdings fehlen die Eigenreflexe in
allen Gliedmaßen; Differenzen gegenüber den gewöhnlichen genuinen Mya-
trophien liegen doch vor. Eine genauere Abhandlung von Futer bringt Bei-
spiele von luischer Affektion der Vorderhörner, bzw. eine an amyotropische
Lateralsklerose erinnernde luische Erkrankung mit angeblicher Provokation durch
ein Trauma, und zwar, wie F. meint, durch Schädigung der hämato-enzephalen
Barriere, welche syphilitischen Antikörpern geöffnet wird. Daß in einzelnen
Fällen spinaler Atrophie und chronischer Poliomyelitis dem Trauma ein Einfluß
zukommt, wird auch von Raimann zugegeben. Der Gutachter wird immer den
Akzent auf das „ausnahmsweise“ legen müssen und die Art des Traumas, der
zeitlichen Entwicklung, der Besonderheiten der Atrophie zu berücksichtigen
haben. Daß eine typische Dystrophia musc. durch ein Trauma provoziert werden
kann, erscheint mir noch nicht bewiesen. Über Syringomyelie und Trauma
bringt Vercelli 2 Fälle, die nicht beweiskräftig sind; ohne daß ich es für erlaubt
hielte, versicherungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs anzu-
nehmen, ist der zweite Fall immerhin eigenartig; ein Mann erleidet eine vorüber-
gehende indirekte Spinalläsion mit Tetraplegie durch Streifschuß, wird wieder
ganz gesund, und 13 Jahre später beginnen die Symptome einer syringomyelischen
Erkrankung.
Der Schatten der Reflexepilepsie wird von G. Martino heraufbeschworen ;
es handelt sich aber um eine genuine Epilepsie, die schon gebessert nach einer
toxischen Darmaffektion mit einer Aura der rechten Hand beginnt; an einem
Tage, an dem allerdings schon Paraesthesien im Arm bestehen, gelingt es durch
Reizung der Hand mit einer Nadel einen mit klonischen Kontraktionen der
Fingerbeuger beginnenden Anfall auszulösen; das ist zwar ganz interessant, hat
aber mit dem Begriff der Reflexepilepsie nichts zu tun. Einen entschädigungs-
pflichtigen Fall von Epilepsie nach Tetanus teilen Eliasberg und Jankau mit.
Die noch vorhandenen Unsicherheiten in der Begutachtung vieler Hirn-
Rückenmarkskrankheiten hinsichtlich ihrer Abhängigkeit von äußeren Schä-
digungen werden vermutlich nicht so bald durch eine wirkliche wissenschaftliche
Klärung behoben werden. Man wird sich fragen dürfen, ob es nicht das beste
wäre, wenigstens den öffentlichen Versicherungen festumgrenzte, unserm heutigen
beschränkten Wissen angepaßte Bestimmungen, Richtlinien aufzustellen, welche
für den Gutachter wie die Behörde bindend sind; in diesen Bestimmungen wäre
für jede Krankheit prinzipiell festzulegen, unter welchen Bedingungen bzw.
inwieweit der ursächliche Zusammenhang zwischen Krankheit und Schädigung
anerkannt wird. Diese Richtlinien würden entsprechend den sogenannten Fort-
494 Felix Stern
schritten der Wissenschaft in bestimmten Zwischenräumen zu kontrollieren und
gegebenenfalls zu modifizieren sein. Eine derartige Regelung würde die Begut-
achtung erheblich reibungsloser machen, ohne die Rechtssicherheit zu schädigen.
Wie die Zusammensetzung solcher Richtlinien aufsetzender Kommissionen sein
soll, braucht umso weniger diskutiert werden, als es sich ja vorläufig nur um
einen frommen Wunsch handelt.
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— —
.
Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus und
der gewerblichen Vergiftungen
von Fritz Kant in München.
I. Untersuchungen über künstlich erzeugte Gifträusche.
In Fortführung früherer Rauschgiftversuche mit Mescalin hat Beringer
zusammen mit v. Baeyer und Marx an der Heidelberger Psychiatrisch-Neuro-
logischen Klinik Untersuchungen über die Haschischwirkung vorgenommen.
An 30 Gesunden wurden Versuche mit 0,1 g Cannabinol, dem gereinigten Harz
des indischen Hanfs, ausgeführt. Die Beobachtungen Beringers erstrecken sich
vor allem auf die Störungen des Denkens im Haschischrausch und er hebt drei
prägnante Formen hierbei heraus. Die erste stellt eine Beeinträchtigung des be-
ziehenden Erfassens innerhalb höherer komplexer Vorgänge dar. Es werden nur
Teile einer Gesamtsituation erfaßt, während es nicht gelingt, diese so miteinander
in Beziehung zu bringen, daß der Sinn des Ganzen herausspringt. Bei diesem
Typus der Denkstörung soll eine erhöhte Reizgebundenheit für die Inhalte des
Gegenstandsbewußtseins, die eigenartig eindringlich erlebt werden, zusammen
mit einem Spontaneitätemangel eine fundierende Rolle spielen. Die zweite Form
ist gekennzeichnet durch ein Versagen der mnestischen Speicherungsfähigkeit.
Das eben Vernommene und Erfaßte blaßt schon nach wenigen Sekunden restlos
ab und entschwindet. Diese mnestische Störung ließ sich psychologisch nicht
weiter zurückführen und wird als eine Grundstörung angesehen. Die dritte Form
betrifft den Denkablauf. Es handelt sich um ein Abreißen der Gedanken, indem
der eben noch völlig klar und innersprachlich formulierte aktuelle Denkinhalt
mit dem Denkziel verschwindet. Dieses Gedankenabreißen im Haschischrausch
wird dem Phänomen des Gedankenentzuges Schizophrener gegenübergestellt.
Es unterscheidet sich von letzterem durch die kurze Dauer, meist waren es nur
wenige Sekunden, und dadurch, daß es nie unmittelbar mit dem Charakter des
Gemachten erlebt wurde. Anhangsweise wird auf Störungsfaktoren hingewiesen,
die aus der veränderten Gegebenheit des Denkmaterials selbst entspringen. So
kommt einerseits das bruchstückhafte Denken zustande infolge bildhaft ge-
gebener rasch wechselnder Vorstellungen und andererseits das Klarsehen von
Einsichten und Denkergebnissen, die nicht erarbeitet, sondern bei eindringlicher
optischer Gegenständlichkeit des Denkens im Sinn unmittelbar damit verknüpft
sich spontan einstellen.
Gerade in dieser Verschiedenheit der Störungsformen, trotz gleicher Qualität
und Quantität der Noxe, sieht Verfasser einen instruktiven Beitrag zur Reich-
weite der exogenen Reaktionsformen. Eine Erklärung dafür, warum bei der
einen Versuchsperson die mnestische Störung, bei der anderen das Gedanken-
Neurologie v. 12 35
498 Fritz Kant
abreißen oder andere Formen vorzugsweise auftraten, kann vorläufig nicht
gegeben werden. Diese Frage sollte bei weiteren Rauschgiftuntersuchungen mit
im Vordergrund des Interesses stehen.
Von Baeyer gibt eine Analyse der motorischen Phänomene bei der Ha-
schischvergiftung. Er unterscheidet einmal motorische Äußerungen, die analog
normalen Ausdrucksbewegungen dem jeweiligen Gefühlszustand entsprechen,
nur quantitativ oft stark gesteigert sind. Dem stellt er Erscheinungen gegenüber,
die primär aus dem zentralen motorischen Apparat hervorgehen, als Steigerung
oder Hemmung der motorischen Impulse, und sekundär erst sinnerfüllt werden.
Ein weiterer Typus wird als Ich-fremd erlebt und hat rein neurologisches Gepräge.
Es handelt sich um hyperkinetische Bilder, die teils mehr myoklonischen, teils
mehr choreatischen Charakter tragen. In drei Fällen wurden auch pseudokata-
leptische Zustände beobachtet. Daß diese scharfen Abgrenzungen innerhalb
des Motorischen nur schematische Bedeutung haben, hat der Verfasser selbet
erkannt.
Besonders wichtig erscheinen auch die Untersuchungen von Marx über die
Störung des Stoffwechsels unter der Haschischwirkung. Es liegen bisher allzu-
wenig Untersuchungen über den Einfluß von Giften auf die körperlichen Abläufe
vor. Lediglich von Pohlisch und seinen Mitarbeitern sind die körperlichen Ab-
änderungen bei den verschiedenen Stadien des Alkoholismus systematisch unter-
sucht worden, während sonst nur einzelnen hervorstechenden Giftwirkungen
Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Regelmäßig kam es im Haschischrausch
zu einer starken Bluteindickung, so daß Zunahme des Hämoglobins bis zu 25 %,
des Ausgangswertes beobachtet werden konnte. Der Kalziumspiegel stieg bis
um 50 % des Wertes, während gleichzeitig die Phosphorsäure stark absank.
Wurde Haschisch morgens nüchternen Versuchspersonen gegeben, so fand sich
eine starke Verminderung der Blutzuckerwerte, oft bis zu hypoklykämischen
Werten herab. Hierin sieht Verfasser die Erklärung dafür, daß die Haschisch-
esser den Haschisch entweder direkt in Zucker als Konfitüren oder mit stark
gezuckerten Getränken genießen. Für weitere Einzelheiten der Stoffwechsel-
befunde müssen wir auf die Originalarbeit verweisen.
Zweifellos bedeutet die gleichzeitige Untersuchung der Erscheinungen im
künstlichen Giftrausch von der körperlichen und der psychischen Seite her einen
glücklichen Ansatz zur Erforschung der somatischen Korrelate psychischer
Störungen, wie überhaupt der psycho-physischen Beziehungen.
Eine Arbeit von Fernberger, die uns nur im Referat zugänglich war, be-
schäftigt sich mit der Frage, ob es gelingt, die Visionen im Peyote (Mescalm)-
Rausch zu unterdrücken oder abzuändern. Die Anregung dazu gaben dahin-
gehende Beobachtungen des Anthropologen Patrullo bei den Delaware-In-
dianern. Verf. nahm eine Nachprüfung an neun weißen Versuchspersonen vor
und es zeigte sich, daß fünf von diesen imstande waren, die Visionen in bezug auf
Dauer, Form und Farbe willkürlich zu beeinflussen.
Skliar und Iwanow berichten über ihre Erfahrungen bei Anascharauchern.
Anascha soll dem Haschisch im wesentlichen identisch sein, aber schwächer
wirken. Die Beobachtungen entsprechen auch dem, was sonst über die Erschei-
nungen im Haschischrausch bekannt ist; interessant ist die Feststellung der großen
Variationsbreite der Wirkung bei verschiedenen Personen und ihre Abwand-
lung bei chronischem Gebrauch. Mit besonderem Interesse wird man die von
Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw. 499
den Autoren angekündigte Veröffentlichung über Psychosen, die auf dem Boden
des Anaschamißbrauches entstehen, erwarten, zumal die Frage der chronischen
Intoxikationspsychosen durchaus noch nicht ausreichend geklärt ist.
II. Suchtgifte.
In Amerika wird die Zahl der Alkaloidsüchtigen gegenwärtig auf 100000—
150000 geschätzt, wie Wolff auf Grund von Nachforschungen im Lande selbst
mitteilt. Der illegale Handel spielt hier eine wesentlich größere Rolle als etwa
in Deutschland, obwohl die Opiumgesetzgebung noch über die Bestimmungen
der internationalen Konventionen hinausgeht. Am 30. 6. 31 saßen 2461 Personen
wegen Verletzung des Opiumgesetzes allein in Bundesgefängnissen. Einen neuen
Versuch im Kampf gegen die Suchten bedeutet die Errichtung von sog. Narcotio
Farms, in denen Süchtige nach und nach in verschiedenen Abteilungen zur Ent-
ziehung untergebracht und gleichzeitig der Arbeit zugeführt werden, bis sie
schließlich nur noch einer gewissen Kontrolle unterstehen und auswärts ihrer
Beschäftigung nachgehen.
In Fortsetzung früherer Untersuchungen über die Prognose des Morphinis-
mus (referiert in dieser Zeitschrift Jahrg. I, 1929, S. 156), hat Schwarz das
Schicksal von 119 Morphinisten aus einem Material von über 200 Fällen, die in
den Jahren 1917—1925 in der Charité behandelt worden waren, nachuntersucht.
Von den 119 Ausgangsfällen waren 1927 42 % freigeblieben, 35 % rückfällig
geworden, der Rest von 23 % war fraglich. Mit Ausnahme von 6 Fällen konnten
bei einer Nachprüfung der Ergebnisse im Jahre 1930 Katamnesen erhoben
werden. 1927 waren bereits 20 % verstorben, das Durchschnittstodesalter lag
bei 33 Jahren; 1930 waren insgesamt 25 % nicht mehr am Leben, das Durch-
schnittstodesalter hatte sich auf 37 Jahre erhöht; mehr als ein Drittel war durch
Suizid geendet. Im Übrigen wurden 1930 zwar einige Veränderungen bei dem
Material festgestellt — einige Rückfällige waren frei geworden und umgekehrt —
im ganzen genommen war aber das Resultat im wesentlichen das gleiche geblieben,
frei 40 , fraglich 24 , rückfällig 36 J.
Weit ungünstigere Ergebnisse fanden Dansauer und Rieth bei kriegs-
beschädigten Morphinisten. Hier blieben nur 18,4 % länger als ein Jahr nach der
gewährten Entziehungskur frei, was die Autoren auf die erleichterte Beschaf-
fungsmöglichkeit des Morphins für Kriegsbeschädigte zurückführen. Auffallend
ist, daß unter ihrem großen Material (647 Kriegsmorphinisten) kein Selbstmord
festgestellt wurde. Die Verfasser meinen, daß die materielle Sicherung durch
die Kriegsrente, welche sie vor der größten Not schützt, hierbei wohl eine gewisse
Rolle spiele.
Hingewiesen sei auf die bemerkenswerten Ausführungen von J. E. Staehe-
lin über Entstehung und Behandlung der Süchte, die sich im einzelnen kurz
nicht referieren lassen. Verfasser betont u. a., wie entscheidend für den Behand-
lungserfolg die Einstellung des Arztes zum Süchtigen ist.
Hirsch nimmt an Hand eines eigenen Gutachtens zu der praktisch immer
wieder wichtigen Frage der Entschädigungspflicht bei Rauschgiftsucht Stellung.
Er formuliert die allgemeine Fragestellung dahin: 1. Sind die körperlichen Folgen
der Kriegsdienstbeschädigung oder Unfallverletzung abgeklungen und besteht
die Rauschgiftsucht als „Krankheit für sich“ fort ? 2. oder haben wir es mit einer
35*
500 Fritz Kant
Rauschgiftsucht bei gleichzeitig bestehenden Krankheitserscheinungen infolge
einer alten Kriegsverletzung oder Unfallverletzung zu tun?
Im ersten Falle sei anzunehmen, daß die Rauschgiftsucht im wesentlichen
auf psychopathischer Grundlage beruhe, Kriegsdienstbeschädigung und Unfall-
folge sei abzulehnen. Im zweiten Falle sei trotz Mitwirkung einer psychopathi-
schen Veranlagung Kriegsdienstbeschädigung und Unfallfolge für die Rausch-
giftsucht anzuerkennen.
Diese Leitsätze geben wohl die große Linie an, in der die Beurteilung liegen
muß, sie bedürfen aber der Ergänzung. Im ersten Fall wird auch bei Fortfall
der unmittelbaren Schädigungsfolgen die Rauschgiftsucht solange entechädigungs-
pflichtig bleiben, bis dem Versorgungsberechtigten die Möglichkeit zu einer sach-
gemäßen Entziehung gewährt worden ist, da bei einmal vorhandener Sucht eine
Selbstentwöhnung nicht erwartet werden darf. Zu Fall 2 aber wird man sagen
müssen: nur wenn wahrscheinlich gemacht wird, daß ein besonders hoher Grad
körperlicher Beschwerden als Folge der Kriegsdienst- oder Unfallverletzung fort-
besteht, wird man auch für den Rauschgiftmißbrauch die Entschädigungspflicht
anerkennen. Im allgemeinen kann auch bei Fortbestehen eines körperlichen
Leidens dem Verletzten eine Entziehungskur zugemutet werden, nach deren
Beendigung die Sucht nicht mehr Kriegsdienstbeschädigung — oder Unfallfolge
ist. Zur Bekämpfung der Schmerzen müssen dann andere Analgetika an die
Stelle der Opiate treten. Die Beurteilung wird sich also ganz nach dem Einzel-
fall richten.
Da die bisher bekannten Methoden zum Nachweis von Opiaten im Urin,
auch das durchaus zuverlässige Verfahren von Loofs, recht umständlich sind,
ist tatsächlich praktisch wenig Gebrauch davon gemacht worden. Es ist daher
sehr zu begrüßen, daß Panse jetzt „eine einfache, klinisch brauchbare Methode
des Nachweises von Opiaten im Harn der Morphinisten“ mitgeteilt hat. Für die
Technik der Methode und ihre Grenzen verweisen wir auf die Originalarbeit. Es
liegt auf der Hand, welche große Bedeutung für die ganze Behandlung der Opiat-
süchtigen, sei es im Krankenhaus, sei es ambulant, eine chemische Kontrolle
haben muß.
Das Blutbild der Morphinisten während der Entziehung ist von Sioli und
Rinkel verfolgt worden. Bemerkenswert ist die Feststellung einer nicht uner-
heblichen Eosinophilie, die ungefähr sechs Wochen anhält. Das initiale Stadium
der Entziehung ist gekennzeichnet durch eine relative und meist absolute Ver-
mehrung der Neutrophilen bei relativer aber nicht immer absoluter Lympho-
penie. Es folgt ein Stadium der metabolischen Schwankungen, das durch gegen-
sätzliches Absinken und Ansteigen der Neutrophilen- und Lymphozytenkurven
charakterisiert ist. Im Stadium der Rekonvaleszens herrscht eine Lymphozytose
vor. Der charakteristische Ablauf der Blutbildveränderungen wird durch inter-
kurrente Erkrankungen (Abszesse usw.) naturgemäß beeinflußt. Die Eosino-
philie betrachten die Verfasser als Ausdruck allergisch-anaphylaktischer Vor-
gänge während der Entziehung. Jedenfalls zeigen die Blutbildschwankungen
überhaupt, „daß das biologische Gleichgewicht des Körpers beim Morphinisten
während der Entziehung auf lange Zeit hinaus gestört ist.“ Sie gäben daher
objektive Unterlagen über den Ablauf der Entziehung, die keineswegs als beendet
angesehen werden dürfe, wenn klinische Erscheinungen nicht mehr manifest,
sind.
Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw. 601
Modinos berichtet über gute Erfolge bei der Morphiumentziehung mit der
Phlyktänotherapie (Injektion von Blasentranssudat, das durch Auflegen von
Kantharidenpflaster gewonnen wird), die auch von Sioe und Hong (referiert
in dieser Zeitschrift Jahrg. 4 1932, S. 120) empfohlen worden war. Andere Nach-
untersucher kamen zu einem ziemlich negativen Ergebnis. Van Otterlo und
Bonebakker halten die Wirkung lediglich für psychisch bedingt und konnten
das Auftreten einer Abneigung gegen Morphin nicht feststellen. Auch Nord-
hoek Hegt erkennt der Methode nur suggestiven Wert zu und erzielte durch die
Blasenkur keine Überempfindlichkeit für Opiate.
Ein Fall von Koffeinismus wurde von Stransky mitgeteilt, und zwar
handelte es sich um eine Frau, in deren Verwandtschaft auch Suchten vorkamen.
Sie aß täglich fünf und mehrere Handvoll Kaffeebohnen. Dieser chronische Miß-
brauch bewirkte Angst und Fahrigkeit in ihrem Wesen, körperlich äußerte sich
die Giftwirkung in Durchfällen und Tachykardie. Bei der Entziehung traten
Müdigkeit und Schlaflosigkeit auf. Später wurde sie wieder rückfällig.
III. Vergiftungen durch Medikamente und Nahrungsmittel.
Als klinischen Beitrag zur Theorie der Hirnstammschlafmittel kann man die
Mitteilung eines Falles von chronischem Veronalmißbrauch durch Mussio-
Fournier, Garcia Ausst und Arribeletz betrachten. Es handelte sich um
eine 58 jährige Frau, die wegen Schlaflosigkeit täglich 1—2 g Veronal nahm. In
den letzten 3 Jahren stellte sich ein schweres Parkinsonsyndrom ein (keine
Pyramidenzeichen), außerdem Gedächtnisschwäche und Apathie. Nach Absetzen
des Mittels bildeten sich die Erscheinungen allmählich völlig zurück. — Es wird
von den Autoren darauf hingewiesen, daß auch bei anderen Vergiftungen (Kohlen-
oxyd, Schwefelkohlenstoff, Mangan) Stammgangliensyndrome vorkommen und
daß Martinez auch Verschlechterung des Parkinsonsyndroms durch Veronal
beobachtet hat.
Drei Abstinenzdelirien nach Phanodormmißbrauch hat Mosbacher ver-
öffentlicht und Langelüddeke beobachtete eine Phanodormpsychose, die eben-
falls in der Entziehung zum Ausbruch kam. Während für die Entstehung des
Alkoholdelirs die Entziehung doch nur eine untergeordnete Rolle spielt, steht
eben bei den meisten Psychosen nach Schlafmittel- oder Opiatmißbrauch der
Faktor der Entziehung durchaus im Vordergrund.
Diese Erfahrung bestätigt auch ein von Panse beschriebenes Delir nach
chronischem Morphium- und vor allem Somnifenmißbrauch. Zur Erklärung der
gleichzeitig bestehenden Polyneuritis denkt Verfasser allerdings auch an die Mög-
lichkeit ausgedehnter Abszeßbildung als Ursache. Auffallend war allerdings, daß
unmittelbar nach Absetzen des Somnifens das Fieber herunterging und vor allen
Dingen das Vorliegen einer Abduzensparese. Verfasser weist auf das Vorkommen
hoher Temperatursteigerungen bei der Somnifendauernarkose hin und vermutet
mit Recht auch im Hinblick auf die Augenmuskelstörung eine der Pseudoenze-
phalitis Wernicke ähnliche Lokalisation der Schädigung. Auf die Bedeutung
der Barbitursäurevergiftung für diese Hirngebiete haben schon Lange und
Guttmann hingewiesen. Leider liegt ein anatomischer Befund der Kranken
Panses, die später an einer Veronalvergiftung starb, nicht vor. Diese Fragen
müssen durch klinische und anatomische Zusammenarbeit weiter geklärt werden.
Wir selbst verfügen über einen Fall (nicht veröffentlicht), in dem bei der Ent-
602 Fritz Kant
ziehung nach schwerem Dikodidmißbrauch ein der Pseudoenzephalitis Wernicke
ähnliches Zustandsbild auftrat, auch ein Merkdefekt war vorhanden. Bei diesem
Kranken bildeten sich die neurologischen und psychischen Erscheinungen völlig
zurück. Auch Kral hat neuerdings das Vorherrschen von Hirnstammsymptomen
in dem Erscheinungsbild der akuten Barbitursäurevergiftung betont; vegetative
Störungen und automatoseähnliche Erscheinungen weisen auf Regulations-
störungen des Zwischen- und Mittelhirns hin.
Fast unbekannt war bisher die Apiolvergiftung. In den letzten zwei Jahren
sind zahlreiche Fälle dieser Vergiftung beschrieben worden (Stanojewic und
Vujic, Ter Braak, Jagdhold, Hellmuth und Grün, Schaltenbrand,
Guttmann, v. Jaksch-Wartenhorst, Geithner u. a.). Seine Verwendung
als Abtreibemittel hat die gehäuften Vergiftungen mit diesem aus Petersilien-
extrakt gewonnenen Präparat, das in Gelatinekapseln als Apiol im Handel ist,
bedingt. Gewöhnlich treten erst nach einer Latenzzeit von 2½ Wochen Ver-
giftungserscheinungen auf. Dann folgt eine rasch sich entwickelnde Polyneuritis.
Charakteristisch ist die Symmetrie der Lähmungen und das vorwiegende Befallen-
sein der distalen Extremitätenabschnitte mit Fehlen stärkerer Sensibilitäts-
störungen. Gerade diese elektive Schädigung der motorischen Anteile der peri-
pheren Nerven tritt bei der Apiolvergiftung besonders hervor (Jagdhold). In
manchen Fällen waren in dem Zeitraum zwischen der Einnahme der Apiol-
kapseln und dem Auftreten der neurologischen Erscheinungen andere klinische
Symptome vorhanden. Ter Braak sah Magendarmbeschwerden, und Stanoje-
viz und Vujic nennen Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfälle und gesteigerte
Diurese. Die Prognose in bezug auf die Lähmungen scheint im allgemeinen wenig
günstig zu sein, völlige Rückbildung tritt kaum jemals ein.
Seit Bonhoeffer 1920 zuerst in Deutschland Fälle von Pellagra beschrieben
hat, wächst die Kasuistik sporadischer Fälle zusehends. Franke meint, daß die
Pellagra in Deutschland stark zunehme, er konnte allein im Sommer 1932 in der
Anstalt Altscherbitz sechs Pellagraerkrankungen beobachten. Was die Zunahme
anbetrifft, so muß man allerdings auch den Umstand berücksichtigen, daß die
klinischen Erscheinungen der Pellagra bis vor wenigen Jahren dem Arzt in
Deutschland jedenfalls aus eigener Anschauung noch wenig bekannt waren und
deshalb wohl auch oft nicht diagnostiziert wurden. Sporadisch scheint die
Pellagra in allen europäischen Ländern vorzukommen. Neuere einschlägige Ar-
beiten von Georgi und Beyer (13 Fälle), von Roggenbau und Seelert sind in
dieser Zeitschrift 1931 und 1933 in den Abschnitten, Symptomatische Psychosen“
von Seelert bereits besprochen worden. Der Streit um die Ätiologie und Patho-
genese der Pellagra geht weiter. Pentschew betrachtete als Ursache der Pella-
grapsychosen eine gefäßschädigende Wirkung des pellagrösen Giftes, und stellte
sie als „angiogene“ Psychosen in Analogie zu den psychischen Störungen bei
Ergotin-, Blei- und Kohlenoxydvergiftung. Er begründete dies mit der Spät-
wirkung und dem progressiven Charakter der psychischen Störungen bei der
Pellagra, die nicht parallel der Stärke der übrigen pellagrösen Krankheitserschei-
nungen sich entwickeln. Die von ihm erhobenen Gehirnbefunde bei sieben Fällen
von Pellagrapsychosen waren nicht sehr ergiebig. Am bedeutungsvollsten und
regelmäßigsten waren Ganglienzellveränderungen an den Betzschen Riesenzellen
(primäre Zellreizung „Nissl‘“), ohne daß aber Funktionsstörungen feststellbar
waren.
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Die Vergiftungen mit Ausnahme des Alkoholismus usw. 503
Im Gegensatz zu Pentschew, der vor allem den Verlauf der Pellagra mit
der Auffassung der Erkrankung als einer Avitaminose für unvereinbar hält, wird
der Vitaminmangel von internistischer Seite ätiologisch durchaus in den Mittel-
punkt gestellt. Der dänische Kliniker Hess Thaysen vertritt auf Grund der
Untersuchungen Gold bergers und seiner Schüler die Ansicht, daß dem pella-
grösen Organismus ein Stoff mangelt, der als Vitamin B, bezeichnet wird. Dieser
soll z. B. im Fleisch, in der Milch und in grünen Gemüsen vorkommen,. Die
Tatsache, daß vitaminreiche Nahrung die pellagrösen Erscheinungen keines wegs
immer zum Verschwinden bringt, erklärt er damit, daß infolge einer intestinalen
Erkrankung der Organismus nicht mehr imstande ist, das Vitamin zu resorbieren.
Er beschreibt auch zwei Krankheitsfälle, die er im Anschluß an O’Leary als
sekundäre Pellagra bezeichnet. Es handelte sich primär um gastrointestinale
Erkrankungen, bei denen später dann pellagröse Erscheinungen auftraten.
Auch Thannhauser betrachtet die Pellagra als Avitaminose, er lenkt die
Aufmerksamkeit auf die endokrinen Ausfallserscheinungen in dem klinischen
Bilde hin (Abmagerung, Kalkverarmung der Knochen, Pigmentschübe, Be-
haarung). Auf Grund älterer pathologisch-anatomischer Untersuchungen und
des Befundes, den Aschoff an einem seiner Fälle erhob, glaubt Th. annehmen
zu dürfen, daß im Verlauf der chronischen Pellagra die Nebennierenrinde stark
leidet und hierdurch die endokrinen Ausfallserscheinungen bedingt werden.
Einen durch seinen Verlauf interessanten Fall von Pellagra hat Müller
veröffentlicht. Es handelte sich um einen Kranken, der wegen einer zirkulären
Psychose neun Jahre lang ununterbrochen in psychiatrischer Beobachtung
stand. Hier bildete eine Pellagrapsychose die Einleitung der zirkulären Psychose;
während die pellagrösen Krankheitserscheinungen abklingen, verläuft die manisch-
depressive Erkrankung in wechselnden Phasen weiter, bis nach sieben Jahren
wiederum schwere Pellagrasymptome auftreten. Verfasser weist darauf hin, wie
häufig die Pellagra mit endogenen Psychosen vergesellschaftet ist, er glaubt des-
halb, daß die Konstitution bei der Pellagra die Hauptrolle spiele. Daneben
möchten wir die Ansicht von White, Barton und Taylor stellen, daß Geistes-
kranke, die die Nahrung verweigern, eben besonders der Gefahr ausgesetzt sind,
Pellagra zu bekommen.
Wyjasnowsky stellt auf Grund seines Materials von 15 Fällen fest, daß
Pellagrapsychosen stets einen progredienten Verlauf nehmen. Er unterscheidet
zwei Typen: Fälle, die mit Veränderung der Psyche einsetzen, verlaufen langsam,
und remittieren manchmal auch. Psychosen aber, die sich sekundär entwickelt
haben. entfalten sich stürmisch und führen in raschem Tempo zum Tode.
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Manisch-depressives Irresein
von Ernst Braun in Kiel.
Ludwig Binswanger macht in einer sehr umfang- und inhaltreichen Studie
den Versuch, vom philosophisch-pseychologischen Standpunkt aus den Begriff
der Ideenflucht zu vertiefen. Ausgehend von der Psychologie Heideggers,
Hönigswalds, Külpes führt er mittels seiner existenzial-anthropologischen
Methode den Nachweis, daß Ideenflucht nicht lediglich ein Symptom für die
Störung der normalen Funktionsleistung ist, sondern als eigener und eigentüm-
licher Modus des menschlichen Daseins verstanden werden muß. Diese be-
sondere Daseinsform ist u. a. charakterisiert durch ein „springendes Denken“,
das gleichwertig z. B. neben dem Alltagsdenken des Durchschnittsmenschen
und dem besonnen-philosophischen Denken steht. Das Springende und Gleitende
bezieht sich nun aber auf das gesamte Dasein des Ideenflüchtigen und wirkt
sich hier im einzelnen aus auf die Räumlichkeit (Weite, Großspurigkeit, Nivel-
lierung), die Zeitlichkeit (Unverweilen, Nivellierung), die „Konsistenz (Weich-
heit, Bildsamkeit, Vielgestaltigkeit), Belichtung und Kolorit (Helle, Rosigkeit,
Farbigkeit), Gestimmtheit (festliche Daseinsfreude), das „Verfallen“ und die
„Geworfenheit‘‘ (Betriebsamkeit, Neugier, Aufgehen im Mitsein, vorab in der
Form sprachlicher Kundgabe vom Gespräch über die Expektoration bis zum
bloßen Spielen mit dem Sprechzeug) und das eigentliche Seinkönnen (Uneigent-
lichkeit, Unselbständigkeit). „Im springenden Modus des Daseins ist die Aus-
einandersetzung von Ich und Welt... . unausgesprochener oder unakzentuierter
als im schreitenden oder besonnenen Modus des Daseins“, ihr Niveau ist hier
geringer als im Modus der Besonnenheit. Wenn die Klinik in moralisierender Art
den Ideenflüchtigen lax, oberflächlich, leichteinnig, flüchtig, inkonsequent nennt,
dann unterwirft sie ihn damit einem unerlaubten Vereinfachungs- und Re-
duktionsprozeß. Das Abnorme erweist sich in anthropologischer Betrachtung
keineswegs als Chaos, sondern als ein eigentümlicher Kosmos, dessen Gesetze
sich bis in die feinsten Verästelungen dieser Daseinsform hinein nachweisen
lassen. Es ist natürlich auch falsch, etwa zu sagen, die Ideenflucht sei im Hirn-
stamm lokalisiert; vielmehr müßte es heißen: „Diejenige Struktur des Mensch-
seins, zu der die Ideenflucht als eins ihrer Glieder gehört, ist dann zu beobachten,
wenn das Funktionssystem des Hirnstamms in bestimmter Weise verändert ist.“
Als psychopathologische Konstituentien des hochkomplexen Phänomens
der Ideenflucht nennt Binswanger:
1. die optimistische Gestimmtheit; 2. das Bewußtsein der Unabgeschlossen-
heit des Denkraums; 3. das innere Tempo des Unverweilens; 4. die Unschärfe
der Denkgegenstände; 5. das Ineinanderfließen der Bedeutungen; 6. das vor-
wiegende Aufgehen in der Kundgabe, wobei dem klinischen Begriff des Rede-
506 Ernst Braun
dranges ein Sichaussprech- oder Mitteilungsdrang entspricht, während der Rede-
oder Wortschwall ein Spielen mit Sprech- oder Wortklangzeug ist.
Eigentümlich ist der Ideenflucht ferner ein Zurücktreten der Nebensatzform
und des Verbums bis zum Telegrammstil und der bloßen Aneinanderreihung
der Nomina.
Die Wernickeschen Grade der geordneten, ungeordneten und inkohärenten
Ideenflucht erscheinen in anthropologischer Betrachtung als ebenso viele ver-
schiedene Abwandlungen ein- und derselben weit ins Bereich des Normalen
hineinreichenden Form des Menschseins.
Ein letzter Blick auf den manisch-depressiven Menschen lehrt schließlich,
daß auch seine Antinomik nur aus der Gesamtstruktur seines Daseins verstanden
werden kann. Handelt es sich beim Manischen um eine springende und gleitende
Existenzform, so beim Depressiven um eine stapfende und klebende. Der
manisch-depressive Mensch kostet im Gegensatz zum Durchschnittsbürger alle
Höhen und Tiefen des Daseins aus. Aber beide Existenzformen weichen vor
dem eigentlichen Seinkönnen aus. Die gesunde Form der Auseinandersetzung
zwischen Welt und Ich hält die Mitte zwischen der manischen Vorwegnahme
der Welt im bloßen Wünschen und Phantasieren und der depressiven Zurück-
haltung von der Welt im Nichthinwegkommenkönnen über Getanes und Ge-
schehenes.
Ich gestehe, daß meinem einfachen Verstand Manches in diesem Buch
unzugänglich geblieben ist; ich muß daher die Auseinandersetzung mit seinen
200 Seiten philosophischeren Köpfen überlassen und habe mich hier damit zu-
frieden geben müssen, einige seiner wichtigsten Gedanken herauszugreifen.
Manchmal scheint es mir, als wenn Binswanger der Klinik doch nicht ganz
gerecht wird, wenn er ihr immer wieder Grobschlächtigkeit und mangelhafte
psychologische Vertiefung vorwirft. Kein Kliniker meint ja wohl im Ernst
— wenn auch der alltägliche klinische Sprachgebrauch es so scheinen lassen
mag —, daß die Ideenflucht ein isoliertes, gewissermaßen in der Luft schwe-
bendes Symptom sei, das auf die Krankheit Manie hindeute. Jeder glaubt
ja wohl, daß dieses Symptom nicht ohne Anderung der Gesamtstruktur der
Persönlichkeit bestehen kann, auch wenn er sich vielleicht über diese Veränderung
im einzelnen nicht in so umfassendem Maße klar ist, wie Binswanger es fordert
und lehrt. Es ist kein Zweifel, daß hier die Klinik noch große Aufgaben vor
sich hat.
Einige weitere, mehr klinisch-psychologisch orientierte Arbeiten mögen an
dieser Stelle erwähnt werden. De Angelis befaßt sich vermittels des Asso-
ziationsexperiments mit der Denkstörung des Manischen. Er unterscheidet
1. logische und objektive Anknüpfung, 2. Assoziationen rein persönlicher Natur,
3. Reaktionen ohne Zusammenhang mit dem Inhalt der Testworte und findet,
daß sich der Manische vornehmlich der zweiten Anknüpfungsart bedient, also
vor allem egoistische Wünsche und Bedürfnisse assoziiert.
Harrowes berichtet im Anschluß an A. Meyer von reaktiven manischen
Phasen, deren Wahninhalte durch Lebensschwierigkeiten bestimmt werden und
deren Dauer von der Dauer dieser Schwierigkeiten abhängig sein sollen. Burk-
hardt findet bei Juden in 16 von 55 Fällen manisch-depressive Psychosen.
Quängelsucht, Farblosigkeit, Phantasiearmut, Einförmigkeit sind seiner Meinung
nach charakteristisch für die jüdischen Psychosen des Formenskreises; die
Manisch-depressives Irresein 607
Manien sind überdies ausgezeichnet durch Hetzen und Beleidigen, die De-
pressionen durch Ängstlichkeit und das Gefühl der Benachteiligung. Leonhard
untersucht die Mischaffekte und findet sie vornehmlich im Ansteigen und Aus-
klingen der Phasen, außerdem bei sog. Mischzuständen. Zorn scheint ihm ein
Mischaffekt der Manie, Reizbarkeit einer der Melancholie zu sein.
Kurt Schneider setzt sich mit gewohnter Prägnanz vom klinischen Stand-
punkt aus mit den verschiedenen Formen der Depressionszustände auseinander.
Er unterscheidet zunächst die seelisch begründete, verständliche reaktive De-
pression von den außerbewußten, unverständlichen, durch körperliche Um-
stimmung exogener oder endogener Art verursachten Depressionsformen. Den
Begriff der endogenen Depression erweitert Schneider gegenüber dem üblichen
Sprachgebrauch und dehnt ihn auf alle jene Formen aus, bei denen durch körper-
liche Umstimmungen eine erhöhte Bereitschaft zu depressiven Reaktionen
gesetzt wird. Solche zunächst körperliche Ver- und Umstimmungen können
z.B. verursacht werden durch Erschöpfung, Rekonvaleszenz, Menstruation,
Schmerzen, unzulänglichen Schlaf usf. Auch seelische Erlebnisse können auf
dem Umwege über körperliche Umstimmung zu dieser erhöhten depressiven
Reagibilität führen. Das Erlebnis verliert in diesen Fällen — zum mindesten
im weiteren Verlauf der Depression — mehr und mehr an psychologischem Wir-
kungswert, während die kausalen, außerbewußten Momente immer mehr in den
Vordergrund treten. Die zyklothyme, in engerem Sinne endogene Depressions-
phase wird damit ein Spezialfall, eine spezifische Abart dieser Depressions-
zustände. Sie ist gekennzeichnet durch die nach Art eines „Vitalgefühls“
irgendwie körperlich empfundene Traurigkeit und damit etwas qualitativ
Anderes als die reaktive Depression. Auch exogene Ursachen können zu er-
höhter Depressionsbereitschaft führen. Teils exogener, teils endogener Art sind
dann die depressiven Verstimmungen bei Epileptikern, Arteriosklerotikern, Para-
lytikern und Schizophrenen, Alle Depressionen können verstärkt werden durch
reaktiv-depressive Zutaten, wenn die eigene Erschöpfung, Verstimmung oder
Geisteskrankheit bewußt wird. Je nach der befallenen Persönlichkeit trägt die
Depression dystone — reizbare, mißmutige — oder syntone — weiche, warm-
herzig-traurige — Färbung. Syntone Persönlichkeiten neigen biologisch mehr
zu vitalen Depressionen als dystone, aber psychologisch besteht kein Zusammen-
hang zwischen vitaler Depression und syntonem Wesen.
Schneider nähert sich mit dieser Betrachtungsart der Hocheschen Syn-
dromenlehre. Er gewinnt damit größere Freiheit gegenüber den Depressions-
zuständen, die im Rahmen peychopathischer und psychotischer Erscheinungs-
formen, also außerhalb des Manisch-Depressiven, auftreten. Wohl mit Recht
betont er ihre bisher oft unterschätzte Bedeutung und Häufigkeit. Die allzu
enge Begriffsfassung der endogenen Depression, die immer nur das Manisch-
Depressive meint, hat wohl bisher den Blick für die Besonderheit dieser Zustände
versperrt. Auf der anderen Seite haben auch die Versuche, den körperlichen
Grundlagen des Manisch-Depressiven näherzukommen, bisher unter der Enge
des Blickfeldes gelitten. Ich erinnere z.B. an die Ewaldsche Konzeption des
Biotonus, dessen jeweilige Beschaffenheit den Phasen des Manisch-Depressiven
entsprechen soll. Warum aber nur des Manisch-Depressiven ? Hat nicht jeder
Mensch seinen Biotonus, und was geschieht bei solchen Biotonuserscheinungen,
die nicht auf eine manisch-depressive Anlage treffen? Mit Schneider kann
508 Ernst Braun
man jetzt antworten, daß hier eben endogene Depressionen eintreten, die mit
dem Spezialfall Manisch-Depressiv nicht identisch sind, wenn sie ihm auch in
psychologischer, klinischer und ätiologischer Hinsicht eng benachbart bleiben.
Mir selbst sind die Schneiderschen Gedankengänge insoweit vornehmlich
deshalb willkommen, weil ich auf dem Nachbargebiet der „vitalen Syndrome“
einen ähnlichen Versuch gemacht habe, dessen Grenzen sich mit denen der
Schneiderschen endogenen Depressionen an manchen Stellen berühren und
überschneiden. Allerdings erscheinen mir diese zumal im Gebiet der Nervosität
und neurasthenischen Reaktion auftretenden Syndrome mehr als Verstimmung
wie als Depressionen. Aber es ist zuzugeben, daß depressive Einschläge dabei
nicht selten sind.
Nun freilich zieht Schneider aus dieser Auffassung klinisch-systematische
Konsequenzen, die nicht ganz unbedenklich scheinen und zumal Stauders
Widerstand hervorgerufen haben. Schneider beschäftigt sich nämlich in
einer zweiten Arbeit mit der Abgrenzung und Häufigkeit — oder vielmehr
Seltenheit — des Manisch-Depressiven, dem er übrigens den nicht ganz un-
belasteten Namen „Zyklothymie“ gibt. Hier ist vor allem von Interesse der
scharfe Schnitt, den er zwischen Manisch-Depressiven und Psychopathen zu
legen sucht. Er gibt zwar zu, daß „es (unter anderen) Hyperthymiker geben
könnte, die gewissermaßen eine chronische Hypomanie darstellen“, scheint also
damit den fließenden Übergang wenigstens des Manischen zur Norm für möglich
zu halten. In bezug auf das Depressive lehnt er diese Übergänge aber ab. Zyklo-
thyme Depressionen seien nicht — was auch wohl niemand in dieser Form ernst-
haft behauptet — Vergrößerungen von psychopathischen depressiven Reaktionen.
Auch die Schwerblütigen Kretschmers seien etwas völlig anderes als chronische
zyklothyme Depressionen.
Ich vermag ihm hierin nicht ganz zu folgen. Warum soll, was für die Manie
gilt, nicht auch der Depression zugebilligt werden ? Es mag sein — und ich halte
es sogar für sicher —, daß es neben den Verdünnungen dee Zyklothym-Depressiven
auch „depressive Psychopathen“ gibt, die mit dem zyklothymen Formenkreis
nichts zu tun haben. Es mag auch sein, daß hier die Differentialdiagnose oft —
und vielleicht öfter als Schneider meint — schwierig ist. Aber daß es diese
weichen, schwerblütigen, warmherzigen, chronisch leicht depressiven Persön-
lichkeiten gibt, die sich in genealogischer und körperbaulicher Hinsicht dem
manisch-depressiven Kreise anschließen und vielfach auch durch früher oder
später einsetzende Phasen ihre Zugehörigkeit zur „Zyklothymie“ erweisen,
scheint mir hinreichend gesichert. Sie sind sogar — Birnbaum hat erst vor
kurzem erneut darauf hingewiesen — diagnostisch und therapeutisch von be-
sonderer Wichtigkeit.
Stauder, der seinerseits im Anschluß an Bumke an Stelle des manisch-
depressiven Irreseins von „Thymopathien“ und der „pyknisch-thymopathischen
Konstitution‘ spricht, polemisiert zunächst gegen den Versuch Schneiders,
das Manisch-Depressive auf eine einheitliche Grundstörung, nämlich die phasisch
verlaufende Depression oder Exaltation der Lebensgefühle, zurückzuführen. Dann
aber nimmt er den Fehdehandschuh um die Abgrenzung des Manisch-Depressiven
auf und versucht seinerseits, zum Teil im Anschluß an Bumke, den Be-
reich der Thymopathien gegenüber Schneider möglichst zu erweitern. In der
Tat sind die Ziffern, die Schneider für das Manisch-Depressive von seinem
Manisch-depressives Irresein 609
Gesichtspunkt aus — also im wesentlichen zugunsten der psychopathischen
Reaktionen — an Hand eines Jahrgangmaterials seiner Abteilung errechnet,
überraschend klein. Schneider findet nämlich unter 1053 Aufnahmen nur rund
5%, Zyklothymien, darunter eine einzige Manie. Demgegenüber stellt er bei
33%, der Fälle die Diagnose der peychopathischen Persönlichkeiten oder ab-
normen Reaktionen. Beide Ziffern der Zyklothymien sind nach der Stauder-
schen Berechnung aus der Münchener Klinik — und auch nach älteren Statistiken
— wesentlich größer. Es hängt eben sehr vom jeweiligen Untersucher und dem
von ihm gerade vertretenen Standpunkt ab, wo um einen Formenkreis mit mo-
torisch breiten Rand- und Übergangsgebieten wie das Manisch-Depressive die
Grenzen gezogen werden. Speer z. B., der ebenfalls in der Berichtszeit von
psychotherapeutischen Gesichtspunkten ausgehend über Depressionszustände be-
richtet, findet unter 178 von ihm beobachteten Fällen 148 „sicher reaktive“,
eine Zahl, die wiederum nach einer anderen Richtung hin etwas überrascht.
Ich weiß nicht recht, ob es sehr fruchtbar wäre, den alten Streit um die
Grenzen dieses Formenkreises auf der ganzen Linie wieder aufzunehmen. Es ist
Schneider gewiß zuzugeben, daß man gut tut, bei der Verfolgung von kli-
nischen, genealogischen oder biologischen Problemen des manisch-depressiven
Kreises von möglichst reinen und gesicherten Fällen auszugehen. Solchen rein
wissenschaftlichen Zielen zuliebe können die Grenzen in der Tat nicht eng genug
gezogen werden. Anders ist es im klinischen Alltagsgebrauch. Hier wird man
wesentlich nachgiebiger sein und zudem noch weite Randgebiete anerkennen
müssen, in denen die Strukturanalyse zu Worte kommen muß.
Ich berichte kürzer über die übrigen klinischen Arbeiten der Berichtszeit:
K. Hofmann gibt eine interessante statistisch-klinische Übersicht über 48
manisch-depressive Frauen aus der unterfränkischen Anstalt Werneck. 23 dieser
Patientinnen zeigten ein manisches, 25 ein depressives Zustandsbild; bei den
Ersterkrankungen überwiegen allerdings die Melancholien, immerhin stehen dabei
noch 16 Manien 29 Depressionen gegenüber. Verglichen z. B. mit der Schneider-
schen Aufstellung ist das eine ganz erstaunlich große Zahl von Manien. Auch
mit norddeutschen Verhältnissen verglichen scheint mir die Zahl der Manien be-
merkenswert hoch zu sein. Fast ½ der Kranken ist bei der Ersterkrankung
unter 20 Jahre alt, eine Ziffer, die mir ebenfalls bemerkenswert hoch zu sein
scheint. In einem Drittel der Fälle findet sich gleichartige Belastung, etwa 60%
sind überhaupt erblich belastet. Bei einem eineiigen konkordanten Zwillingspaar
ist zwar die präpsychotische Persönlichkeit mit ihren Neigungen, ihrer Entwick-
lung und ihrer schwerblütigen Veranlagung vollkommen gleich, aber die manisch-
depressive Psychose verhält sich sehr verschieden: Bei dem einen Zwilling treten
mit 15, 40 und 60 Jahren Depressionen auf, von denen die letzte 8 Jahre anhält
und von einer hyperthymen Phase gefolgt ist; bei dem andern findet sich lediglich
im 66. Lebensjahr eine Depression, die bis zum Tode im 68. Jahre anhält. Jene
Kranken, die zum erstenmal während des Klimakteriums erkranken (!/, der
Fälle), zeigen erbliche, präpsychotische und klinische Besonderheiten, „schizoide“
Einschläge und protrahierten Verlauf der Psychosen. Klimakterische Depres-
sionen, denen eine depressive Phase im früheren Leben vorausgegangen war —
die also mutmaßlich dem manisch-depressiven Kreise angehören oder nahestehen
— zeigen ähnliche Abweichungen wie die rein klimakterielle Depression. Da-
neben gibt es Fälle, die im Klimakterium gesund bleiben, obwohl sie vorher und
510 Ernst Braun
nachher von Depressionen befallen werden. Einige strukturanalytische Bemer-
kungen zur Überschneidung des Manisch-Depressiven mit den epileptischen und
schizophrenen Formenkreisen schließen die Arbeit ab.
Es mag ganz gewiß von Nutzen sein, wenn solche komplizierteren, mit hetero-
nomen Symptomen gemischten Fälle immer wieder beschrieben und analysiert
werden (Bianchi), wenn dabei vor Fehldiagnosen gewarnt wird (Timofeev)
oder der Genese eines auffälligen Wahns nachgegangen wird (Schulte). Aber
man sollte mit den Hypothesen vorsichtig sein, die man auf solchen Erfahrungen
aufbaut. Man sollte z. B. nicht, wie Galatschian es tut, an Hand eines einzigen
Falles, bei dem nach der dritten — übrigens nicht sehr zulänglich beschriebenen
und diagnostisch höchst zweifelhaft bleibenden — manischen Phase eine un-
charakteristische allgemeine Niveausenkung der Persönlichkeit eintrat, davon
reden, daß hier infolge heterozygoter schizophrener Faktoren eine Minderwertig-
keit gewisser biologischer Mechanismen bestanden habe, die zu vorzeitiger Ab-
nutzung dieser Mechanismen durch die manisch-depressiven Anfälle geführt
habe. Das mag sein, es kann aber auch ebensogut anders liegen, und in jedem
Falle sind solche Vermutungen nicht sehr fruchtbringend.
Der statistischen Methode bedienen sich mehrere Amerikaner. Bowman
und Raymond finden, daß Wahnideen in 40% der manisch-depressiven Psycho-
sen fehlen, während Halluzinationen bei 70%, der Männer und 63%, der Frauen
vermißt werden. Barrett sieht in 5%, seiner Fälle die erste Phase vor dem
12. Lebensjahr auftreten. Er findet in diesen kindlichen Fällen besonders starke
erbliche Belastung und hält die Prognose für besonders schlecht. Paskind setzt
den Grad der erblichen Belastung in Beziehung zum klinischen Verlauf. Er findet
durchschnittlich bei unbelasteten Fällen ein Erkrankungsalter von 33 Jahren, eine
Dauer der Einzelattacke von 4 Monaten und Intervalle von 7 Jahren. Dem-
gegenüber stehen bei Belastung von beiden Eltern her ein Erkrankungsalter von
22 Jahren, Attacken von 5 Monaten und Intervalle von nur 4 Jahren. In die
erbliche Belastung rechnet er allerdings Migräne, Nervosität und andersartige
Psychosen mit ein. Anders Pollock, der bei 8000 Kranken, die er 11 Jahre lang
im Auge behielt, eine Durchschnittsdauer der Einzelattacke von mehr als einem
Jahr findet. Mehr als die Hälfte der Fälle zeigt in diesen 11 Jahren keine Rück-
fälle. Treten Rückfälle ein, so wächst die Dauer der Phasen unregelmäßig mit
dem Alter.
Wenn man die zahlreichen Arbeiten überblickt, die sich Jahr aus Jahr ein —
so auch in der Berichtszeit — mit den somatischen Begleiterscheinungen
des Manisch-Depressiven befassen, so kann man sich des Gedankens nicht er-
wehren, daß hier manchmal etwas wahl- und planlos darauf los gearbeitet wird.
Liest man dann kritische zusammenfassende Arbeiten wie etwa die Darstellung
Wuths in Bumkes Handbuch oder das Würzburger Referat Roggenbaus, dann
sieht man, wie herzlich wenig eigentlich mit all diesen Untersuchungen und Ex-
perimenten bisher geschafft ist. Ich gebe nur einige Stichproben: Wenn etwa
Abely und seine Mitarbeiter die Aschheim-Zondeksche Reaktion bei Mani-
schen stets positiv, bei Melancholischen stets negativ finden und dementsprechend
an eine Hyperfunktion des Hypophysenvorderlappens in der Manie denken, so
ist das viel zu schön um wahr zu sein. Ebenso unwahrscheinlich klingt es, wenn
Mira wieder einmal den Grundumsatz bei Manisch-Depressiven untersucht, ihn
bei der Manie erhöht, bei der Melancholie erniedrigt findet — was im großen und
Manisch-depressives Irresein 611
ganzen wohl zutreffen dürfte —, nun aber Ausnahmen von der Regel zu pro-
gnostischen Zwecken benutzt und etwa bei wider Erwarten erhöhtem Grund-
umsatz den baldigen Umschlag der Melancholie in die Manie und umgekehrt
erwartet. Wagnerov&ä-Hatrikov& findet einen niedrigen Blutzuckerspiegel
bei manisch-depressiven Zuständen und führt das teils auf hormonale Wirkung,
teils auf Mehrverbrauch durch die Psychose zurück. Laignel-Lavastine und
Mitarbeiter untersuchen den pg-Gehalt des Urins, finden ihn bei Melancholien
erhöht, bei Manien gesunken, bei symptomatischen z. B. schizophrenen De-
pressionen ebenfalls auffallend niedrig und erhoffen sich von dieser Feststellung
differential-diagnostische Möglichkeiten. Wichtiger, zumal in klinischer Hinsicht,
scheinen die röntgenologischen Untersuchungen Henrys zu sein, der bei Hypo-
manischen eine ausgesprochene Vermehrung von Tonus und Motilität des Darms
findet, die bei eigentlich Manischen schon weniger deutlich ist, bei Depressiven
aber, und hier namentlich bei hypochondrischen, verwirrten und gehemmten
Formen, in eine ausgesprochene Herabsetzung der Darmmotilität umschlägt.
Eine Bariummahlzeit wird von Hypomanischen in durchschnittlich 47 Stunden,
vom größten Teil der Depressiven aber erst in 5 Tagen verdaut. Ohne Laxantien
finden sich bei Depressiven noch nach über 2 Wochen Reste der Mahlzeit in der
Ampulle. Hier werden also vegetative Störungen — klinisch längst bekannt —
ad oculus demonstriert: Eine energische Mahnung, der Darmfunktion der De-
pressiven besondere therapeutische Aufmerksamkeit zu schenken.
Zwei weitere Arbeiten beschäftigen sich mit der Untersuchung der Blutkapillaren.
Schewelew findet bei Depressiven weite, zum Teil gigantische Kapillaren mit
Staseerscheinungen, bei Manischen enge, schlanke Kapillaren mit erhöhter Strö-
mungsgeschwindigkeit. Er hält das für einen Beweis für endokrin bedingte Stö-
rungen im vegetativen System. Kritischer ist Gerendasi, der bei ängstlich-
erregten Melancholikern lange, bei psychomotorisch gehemmten kurze Schlingen
findet, aber vor Bewertung dieser Befunde die mikroskopische Festsetzung der
Durchschnittsgrögen der Kapillaren fordert. Nicht viel mehr als spekulativen
Wert hat wohl vorläufig die Meinung Ratners, die das Manisch-Depressive als
Dienzephalose hinstellt, bei der die Funktion des Zwischenhirns bald durch
physiologische, bald durch stärkere inkretorische Reize gestört werden soll.
Endlich ein Wort über den Versuch von Zondek und Bier, der Biologie des
Manisch-Depressiven auf dem Wege über den Bromspiegel des Blutes und des
Liquors näher zukommen: Mit einer von Pincussen und Roman ausgearbei-
teten Mikromethode fanden Zondek und Bier, daß der Bromspiegel im Blut
bei Manien und Depressionen in 35 von 40 Fällen erniedrigt war, während das bei
anderen Psychosen — abgesehen von einigen Schizophrenien mit stärkeren de-
pressiven Einschlägen — nicht der Fall war. Der Bromgehalt des Liquors war bei
6 Manisch-Depressiven verschwunden oder nur noch spurweise nachweisbar.
Wenn es so wäre, so wäre natürlich ein bedeutsamer Schritt zur Erforschung
der Biologie des Manisch-Depressiven getan, ja es wäre — und dieser Meinung
neigen Zondek und Bier etwas voreiliger Weise zu — möglicherweise ein diffe-
rential-diagnostisch brauchbares körperliches Symptom gewonnen.
Leider scheint sich zu erweisen, daß die angewandte Methode nicht brauch-
bar ist. Nachdem schon Fleischhacker und Scheiderer, später Hahn,
ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit der Methode energisch geäußert hatten, lehnt
neuerdings Roggenbau auf Grund einer in Arbeitsgemeinschaft zwischen
512 Ernst Braun
Zondek und Pincussen einerseits und Holtz und Roggen bau andererseits
angestellten Nachprüfung die Zondek-Bierschen Resultate und Hypothesen
rundweg ab. Damit dürften vorerst die Hoffnungen, die sich an die Zondek-
Biersche Methode knüpften, zu begraben sein.
Wenige Hinweise noch auf die therapeutischen Versuche, soweit sie
der Nachprüfung bzw. Anwendung wert zu sein scheinen. Birnbaum sowohl
wie Speer weisen zunächst auf die psychotherapeutische Zugänglichkeit mancher
leichterer Depressionen, zumal solcher mit reaktiver Auslösung oder reaktiven
Einschlägen hin. Hartmann und Weiß mann haben das von de Crinis einge-
führte Decholin versucht. Von 16 Kranken zeigten 8 subjektive und objektive
Besserung, nur bei 3 war die Wirkung von Dauer. Auch Leischner hat bei
10 Fällen mit Decholin Erfolge gehabt. Tomasson geht davon aus, daß der
Manische relativ sympathicoton (eigentlich aber hypoamphoton) sei und gibt
dementsprechend Ephedrin per os und Azetylcholin subkutan. 9 Kranke zeigten
unter der Therapie eine relativ schnelle Gesundung; während die Krankheits-
dauer der Einzelphase sonst durchschnittlich 157 Tage betrug, dauerte sie unter
der Behandlung nur 50 Tage. Hühnerfeld empfiehlt das Photodyn, ein Hä-
matoporphyrinpräparat der Nordmarkwerke. Die Hyperkalzämie mancher Me-
lancholien spielt nach Hühnerfeld eine biologisch ausschlaggebende Rolle.
Das Präparat senkt den Ca-Spiegel zum Normalen, zugleich soll — aueh in
Fällen, die gegen Opium und Luminal refraktär waren — nach 8 bis 10 Tagen
Besserung eintreten. Bufe verwendet bei Melancholie Dicodid, steigend bis
dreimal täglich 0,03, zugleich gibt er Cardiazol, das eine Anregung des gesamten
Nervensystems setzen soll. Auch Becker hat das Mittel, wie er meint, mit gutem
Erfolge, versucht. Leonhard gibt bei Manischen das parasympathikuslähmende
Atropin, bei Depressiven das sympathikuslähmende Ergotamin. Er hat Erfolge
zumal bei typischen Melancholien und schließt daraus rückläufig auf die vegeta-
tiven Tonusverhältnisse.
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Neurologie V, 12 36
Namenverzeichnis
(Die fett gedruckten Seitenzahlen bezeichnen Literaturangaben.)
A
Abadie, Ch. 258, 260
Abely, Paul 370, 878, 510,
512
Abély 878
Abély, Xavier 370, 878
Ach 235
Achelis 67, 85
Ackermann, Armin 271,
272
dall Acqua 168, 178
Adant 151, 171
Adie, W. J. 249, 250, 260
Adler 336
Adler, Alfred
275, 276
Adler-Herzmark 458, 466
Adrian 45, 47, 48, 49, 62,
83, 84, 86
Aebli, R. 259, 260
Agadjanian 69, 85
Aguian 169, 178
Ahringsmann, H. 270, 272
Aichel 401
Äkerman 477
Alajouanine, Th. 100, 108,
114, 126
Alajouanine 190, 198
Albane, A. 339, 375, 879
Albanese, A. 121, 126
Albrecht 411, 416, 457,
466
Aldrich 376
Alexander, Franz 878
Alexander 263, 266, 819
Alexander, H. 295, 304,
816
Alexander, K. 816
Alexander, L. 148, 149
Alexander, W. 122, 123,
126
Alexander-Marburg 198
Alkan, L. 292, 307, 816,
819
Allen 78, 88
Allen, J. M. 864
199, 202,
Allers 885
Allison, R. S. 271, 272
Almquist, R. 490, 494
Alpers, B. J. 254, 260
Alt 263
Altenburger 57, 61, 66, 78,
79, 85, 88
Altenburger, H. 66, 67
Alzheimer 330
Amaducci, G. 118, 126
Ambrus 153, 171
Amrein, O. 295, 296, 297,
299, 301, 302, 316
Anderson 166, 178
André-Thomas 350, 351,
856
Andresen 159, 160, 161,
171
Angelescu 178
de Angelis, E. 506, 512
Angyal, Lajos 878
Angyal, L. v. 10, 27
Anossow, J. J. 282
Ansaldi, I. B. 380
Antonow, J. J. 374, 888
Argentina, G. B. 301, 816
Aronowitsch 158, 171
Arribeletz, G. 501, 504
Aschaffenburg 213, 290
Aschner, Bernhard 377,
378
Aschoff 503
Ask-Upmack 158, 159, 171
Astruck, P. 306, 319
Asüa, L. J. de 281, 282
Auby 269, 269
Auer 282
Ausst s. Garcia-A.
Averbuch s. Cazac-A.
Axen, A. 121, 126
Axente, S. 240, 247
Ayala 170, 174
Azerat, E. 112, 127
B
Baader, E. W. 460, 461,
466
Babinski 347, 482
Babitzky, P. 97, 108
Babonneix, L. 26, 29
Bachman, E. 487, 494
Bachstelz, E. 248, 250,
251, 254, 260
Bacmeister 464, 466
Badonnel 141
Baege, E. 395, 404
Baer 304
Baernreiter, I. M. 281
v. Baeyer, W. 369, 370,
879, 497, 498, 508
v. Baeyer 143
Bailey, P. 122, 126
Bailey 75, 86
Baillart 473
Baisley 166
Baker 454, 466
Bakke, S. N. 103, 108
Ballif, L. 374, 879
Ballıff 64, 85
Ballin 58, 86
Baló, J. 115, 126
Bambach, C. 118, 126
Bandouin 154, 171
Bankart, B. 111, 127
Banks 168, 178
Bänsch 192, 198
Banting 75, 87
Banus s. Sanctis-B.
Barany 262
Barenhoorn, J. A. J. 282
Barker, L. F. 99, 108
Barkman 488
Barraquér, Ferre L. 25, 29
Barré, J. A. 119, 128
Barré 472, 488
Barrett, A. 510, 512
Barth, G. 304, 816
Bartley, S. H. 420
Barton 503
Baruk, H. 302, 816, 817,
339, 371, 372, 375, 879,
880, 884, 890
Barwich 170, 178
wy
Battro 465, 467
Baudouin, A. 100, 108
Bauer, J. 864
Baumann 332
Baumen 474, 478, 494
Baumen, H. 494
Baumgart, A. 281
Bäumler 465, 466
Baur-Fischer-Lenz 393
Baurmann 473
Bauvens 494
Bavink 394
Bayliss 176
Beaulieu s. Faure-B.
Bechterew 281
Beck 420, 420
Beck, O. 269
Beck, Seb. 281
Becker, F. 443, 452
Becker, Max 491, 494
Becker, R. 402, 406
Becker 512, 512
Béclère 188, 189, 190, 198
Beer s. Löw-B.
Beevor 59, 85
Behr, C. 79, 88, 117, 126,
249, 251, 256, 257, 260,
348, 856
v. Behr-Pinnow 396, 404
Beisken 164, 172
Bellavitis 141
Bellinger, C. H. 340, 879
Belloni, G. B. 377. 879
Belot 192, 198
Benedek, L. 404
Beneke, R. 484, 485, 494
Bennholdt-Thomsen, C.
411, 412, 416
Benoit, W. 271, 272
Benzanigo 458, 467
Bérand 163, 172
Bergara, C. 118, 126
Berger 48, 49, 84, 88, 171
Berger, Hans 421, 431
Berger, H. 420, 420
then Bergh 446, 452
Bergmann, G. v. 289, 314,
316
Bergmark 356
Bergson 90, 91
Beringer 143, 879
Beringer, K. 321, 322, 324,
369, 372, 879, 497, 508
Beringer-Pasche-Osersky
282
Beritoff 51, 52, 67, 68, 77,
84, 85
Namenverzeichnis
Berkow, S. G. 8, 27
Berlit, B. 19, 20, 29
Bernard, Raoul 342
Bernard, R. 126, 126
Bernardi, Raffaele 335,
879
Bernhard s. Schrijver-B.
Bernhard, H. 409, 416
Bernstein 4, 9, 10, 343,
344, 345, 346
Bernstein, H. 300, 816
Bertrand, J. 126, 126
Berze, Josef 323, 324, 326,
329, 334, 337, 338, 370,
371, 879
Berze, J. 146, 149
Besançon s. Justin-B.
Besançon, L. s. Justin-
Besançon, L.
Best 249
Bettmann, E. 445, 452
Betzendahl 143, 339, 879
van Beurden, A. J. 115,
129
Beyer 152, 268, 502
Biancalani, A. 112, 126,
465, 467
Bianchi, Giuseppe 879,
510, 512
Bielschowsky 271, 272
Bielschowsky, M. 410, 411,
416, 440
Bier, A. 511, 512, 512, 518
Bigwood 183
Binder 323
Binder, H. 362, 864
Bing, Reidar 338
Bing, R. 482, 488, 490, 494
Bingel, A. 113, 114, 126
Binswanger 143
Binswanger, H. 195
Binswanger, Ludwig 505,
506
Birnbaum, Karl 200, 204,
275, 276
Birnbaum, K. 508, 512,
512
Bishop, G. H. 420
Blair 60, 86
Le Blanc 150, 154, 157,
163, 164, 165, 167, 171
Blanchard, Elsie 340, 886
Blanchet, P. 125, 126
Blank 455, 468
Blechman, S. 412, 416
Bleckmann 163, 172
Bledsoe 302, 816
Blencke, A. 446, 452
Blenke, A. 105, 108
515
Blenke, B. 105, 108
Bleuler 323, 324, 326
Bleuler, E. 210, 213, 280,
864
Bleuler, M. 369, 879
Block, W. 107, 108
Bluhm, Agnes 5, 27
Blum, K. 294, 816, 337,
879, 471, 494
Boas 369
Boas s. van Emde-B.
Bobé, Jean 891
Bochalli 295, 296, 299,
301, 302, 816, 317, 818
Bock, K. A. 10, 28
Bodechtel 150, 164, 171,
172
Boehm 395
Boehme 71, 85
Boeke 82
Boenheim, Kurt 197, 198
van Bogaert 492, 494
van Bogaert, L. 271, 278
van Bogaert, Ludo 100, 108
Bogomolow, L. 119, 127
Böhme 51, 78, 84, 88
Boltanski, E. 114, 128
Bonasera, G. 817
Bond, C. J. 879
van Bondwyk-Bastiaanse
215, 216, 217
Bonebakker, A. 501, 504
Bonhoeffer 323, 460, 502
Bonhoeffer, K. 290, 298,
305, 307, 816, 819
Bonnafoux-Serieux 386
Bonnano 178
Bonnano-Greckowitz 170
Bonzanigo 458, 467
Boquien 351, 857
Boquien, Yves 858
Borchardt, L. 13, 15, 28
Borel, J. 336, 881
Börnstein, W. 434, 484
Borries 473
Borruso 165, 172
Borstel s. Meyer-B.
Boschi, G. 864
Bosler 395, 404
Boss, A. 347, 856
Bostroem 367, 415
Bouchet 473, 494
Bouckaert 82, 88
Boulin, R. 112, 127
Bouman, K. Herman 371,
879
Bouman, L. 23, 29, 238,
246, 339, 879
Bouquain 174
ae
516
Namenverzeichnis
Bougin 170
Bourguignon. Gges. 879
Bourguignos 119
Bourguin 170
Boutenko 376
Bowman, Karl M. 510,
512
Boyd, Thos. M. 858
ter Braak 502, 504
ter Braak, J. W. G. 112,
113, 129
Brack, E. 107, 108
Braeucker 445, 452
Braeucker, W. 123, 124,
126
Braid 169, 178
Brain 170, 178
Brain, R. 111, 127
Brandenberg, A. 300, 817
Brandt, W. 6, 7, 27
Bratt 459, 467
Bratz, E. 378, 879
Braun 106, 132, 141, 277,
278, 279, 280, 287
Braun, E. 8, 27
Braun, L. 306, 306, 308,
309, 310, 315, 819
Bray 434
Brehmer 298
Brem, H. 399, 405
Bremer 443, 452, 473, 474,
494
Bremer, Fr. 48, 59, 64, 67,
74, 84, 85
Brenk, H. 1, 26
Brenk, Herm. 369, 879
Breuer 309
Brickner, R. M. 270, 272
Brodin 493, 494
Brodmann 428
Broggi, E. 377, 887
Bromberg, R. 232
Bronner, H. 191, 198
Brouwer, B. 245, 246
Brouwer 155, 156, 171
Brown 462, 469
Brown, Denny 44, 54, 55,
58, 64, 66, 84, 86
Brown Graham 46, 51, 52,
55, 70, 71, 73, 74. 77,
78, 80, 81, 83, 84, 85, 88
Bruchansky, N. 301, 317
Bruck, A. W. 409, 416
Brücke 48. 62, 63, 64,
65, 67, 80, 84, 85, 88
Brücke, E. Th. 46
Brüel, Oluf 379
Brügelmann 36
Brugger, K. 2, 5, 11, 12,
13, 21, 28, 29
Brun 201
Brüning 33
Bruno, Arturo A. 376
Bruns 269
Bruns, Ludwig 188
Brütt, H. 98, 108
Brzezicki, E. 272, 272,
466, 467
Buchanan 167, 178
Buchman s. Friedman. B.
Buchmüller, Josef 340,887
Bückmann 479, 494
Bückmann, I. 880
Bucura, C. 880
Bufe, E. 512, 512
Bühler, Karl 94
Buinizkaja, T. L. 374, 888
Bujadoux 474
Bumke, O. 143, 290, 305,
321, 322, 323, 336, 359,
360, 864, 371, 508
Burckhardts 157, 171
Burgdorff s. Meyer-B.
Bürger-Prinz 322, 331
Bürger-Prinz, H. 149, 244,
247
Burghard 34
Buri, Th. 292, 293, 301,
302, 303, 817
Burkhardt, H. 403, 405,
506, 512
Burns 187, 189, 198
Burns, Maudie Marie 376,
887
Buscaino, V. M. 327, 330,
336, 373, 880 g
Busch, N. 414, 416
Buschke, A. 347, 856
Buzzo 459, 467
Bychowski. Gust. 339,
372, 380
Bychowski 479, 494
Bychowski, Z. 413, 416
C
Cabitto, Luigi 377, 880
Cacchione, Aldo 414, 417
Cairus 190, 192, 198
Calisov, M. 10, 27
Callewart 300, 817
Calvin 302
Camann 158
Camauer 171, 465, 467
Camauer, Armando, F. 856
Camauer, A. F. 116, 126
Camia, Maurizio 335, 880
Camp, John 190, 198
Camus 158, 171
Cann 171, 178
Cannon 180
Capecchi 154
Capgras 370
Caramazi 171
Caramazza 160, 171
Cardot 45, 60, 84, 86
Careres 174
Carmichael, E. A. 270, 272
Carrara 281
Carrière, R. 336, 376, 380
Carrilho, Heitar 378, 880
Carson, H. W. 107, 108
Cassirer 187, 188
Cassirer, E. 243
Castex 158, 171
Catalano, Angelo 380
Caton 420, 420
Cattell 69, 86
Catterucia 171
Cavallier 178
Cavengt 22, 29
Cazac-Averbuch, A. 337,
880
Cazac-Averbuch 141
Cazamian 157, 171
Cerkes, L. 880
Ceroni, Luigi 369, 380
Cerra, Rocco 374, 888
Chabannier 178
Champeil 118, 126
Chand, Amir 413, 416, 417
Charcenko 375
Charcenko, F. 880
Charcot 265
Charlin, C. 118, 126
Chavanne 263
Chavany, J. A. 120, 126,
346, 356
Cheng, Yu Lin 351, 856
Cherbuliez 60, 86
Cherry, J. 8. 270, 272
Chevany 178
Chevassut, Kathleen 270,
272
Chiabov, A. 880
Chiancone, Francesco Ma-
ria 880
Chiri 460
Chotzen, E. 416, 417
Christoffel, H. 311, 819
Ciabati, Omero 376, 880
Ciambellotti, E. 856
Ciampa, Giuseppina 417
Ciampi, L. 880
Ciarla, E. 304, 817
Cirera s. Perez-C.
Clairmont 180
— . —
EE f |
Clark, L. Pierre 880
Claude 171
Claude, H. 270, 272, 302,
317. 334, 338, 371, 372,
377, 880
Claude, Henry 346, 856,
377
Clearkin 170, 174
Cleveland 444, 452
Cleveland, A. 270, 274
Cobb 69, 75, 86
Cocchi, A. 864
Coghill 81, 88
Cohen 169, 178
Cohen, H. 111, 127
Cohen, Louis H. 884
Cohn, E. 481, 494
Cohn, Else 101, 108
Cohn, P. 291, 308, 816
Cohn, S. 817
Cohn, Siegfried 335, 880
Coleman, Stanley M. 881
Collins 459
Conner, L. A. 819
Constantinesco 172
Coombs, F. C. 819
Cooper 55, 86
Coppez 473, 474, 494
Corberi, G. 336, 881
Cornil 446, 452
Corning 120
Cortlandt, M. M. 864
Cossa 475
Costa 376
Coste, F. 377, 880
Cotoni 351
Couléon 378, 512
Cournand, A. 271, 272
Courtois, A. 881
Courtois 131, 141, 142, 336
Courville 478, 495
Craene 302, 817
Craig, Winchell Mc. K. 99,
108
Crandall, L. A. 270, 272
Creischer, L. 299, 300, 317
Creischer 318
Creutz, W. 400, 405, 490,
494
Crew, F. A. G. 408, 417
de Crinis 512
Critschley, Macdonald 414,
417
Critschley 271, 272
Croce 335, 377
Croce, G. 338, 881
Croft 178
Crouzon 488, 493, 496
Crozier 69, 86
Namenverzeichnis
Cruchet 494
Cumings, J. N. 115, 126
Cumming 167, 178
Currado 164
Curschmann 269, 269
Curti, Giuseppe 376, 881
Curtius, F. 117, 126
Curtius, Fr. 1, 2, 13, 26, 26
Cushing 153, 254
Cybulski 420
D
Dahlberg, G. 1, 4, 27, 28
Dahmann, H. 238, 246
Damaye 141
Damaye, H. 301, 817
Damaye, Henry 338, 881
Dancz, Marta 375, 881
Dandy 123, 189, 198
Dansauer 499, 508
Dariaux 192, 198
Darré 350
Dattner, Bernhard 343,
347, 856
Dautrebande 82, 88
Davenport, Kenneth 348,
358
David 496
Davis 48, 58, 64, 84, 86,
151, 171
Davis, L. 101
Davis, Leyal 444, 445, 452
de Decker 117
Dederding 269, 269
van Deinse, F. 335, 890
Delagénière, Yves 107,
108
Delay, J. 114, 126
Delfini, Carrado 377, 881
Demme 155, 157, 163, 171,
171, 172, 174, 351
Dennie, Charles C. 856
Dervieux 171
Desbouquois 168, 178
Deschamps, Andrée 370,
376, 881, 888, 887
Desoille 465, 467
Desoille, H. 112, 127
van Dessel 191, 198
Dettweiler 296, 317
Deussen s. Rosenthal-D.
Deutsch, F. 316
Dhunjibhoy, J. E. 377,
381
Diehl 37
Dietrich, B. 340, 881
Dissen, A. 479, 480, 494
Djermekow 231
Doback, G. 415, 417
517
Dobak 27
Dolin, A. O. 350, 356
Dollfus, M. A. 117, 127
v. Domarus 324
Dominici, G. 112, 128
Dorsey, John M. 381
Dorst, A. 377, 386
Dost 305, 817
Doyle, John B. 99, 108
Draganesco 278
Draganesco, E. F. 100,
108
Draganesco, St. 109
Dragotti 474, 494
Dramsizow, N. 881
Drüen 377, 881
Drüner 151, 171
Dubberstein 160, 171
Dubitscher, F. 149, 361,
864, 368, 881
Dublineau, J. 370, 890
Dubois-Reymond 93
Duchenne 111
Duerto, J. 118, 126
Dujarric de la Rivière 168,
178
Duken, J. 297, 817
Dukor s. Slotopolski-D.
Dunphy, E. B. 260
Dupire 158, 172
Dupouy, R. 371, 881
Dupré 157
Durand 269, 269
Dürck 487
Durig, A. 316, 819
Duruy, A. 858
Dusser de Barenne 69, 86
Duthoit, A. 97, 109
Duvienne 151
Dworecki 169, 178
Dworski 165, 172
Dysinger, Donald 372, 881
Dzikowsky 156, 171
E
Ear! 414
Ebbecke 47, 48, 80, 84, 88
Ebeling, C. 281
Eberhard, Werner 376, 381
Ebermayer 396, 404
Eccles 46, 48, 50, 5b, 64,
84, 86
Eck 480, 494
Eckel, John L. 351, 358
Eckerström 490, 494
Eckstein 84, 150, 154, 157,
159, 160, 161, 163, 164,
165, 166, 171, 172
Edelhaus, M. 412, 417
wur + -
518
Edens, E. 864
Edlich 458, 468
Eeg-Olofsson 155, 473, 494
Efremov, D. 881
Ehrenfels 93
Ehrenwald 278
Ehrenwald, H. 243, 245,
246
Ehrlich, Paul 343, 347
Eichbaum s. Lange-E.
Eichelberg 395
Eichenwald, L. 301, 817
Eichner 369
Eiselsberg, A. 98, 107, 108
Eiselt 817
Eisenfarb, J. 403, 405
Eisenhardt 473, 474, 478,
494
Eliasberg 165, 490, 493,
494
Eliasberg, W. 143, 149,
364, 864, 865
Ellet, E. C. 260
Ellinger, Ph. 466, 467
Elsberg, Ch. A. 102, 108
Elsberg, Ch. 190, 198
Elschnig 249
Elschnig, A. 413, 417
Elvove, E. 113, 129
Emanuel, G. 375, 381
Embden 234, 271
van Emde 369
van Emde- Boas, C. 881
Emdin, P. 377, 881
Emma, Michele 363, 865
Endtz, A. 369, 882
Engel 163, 164, 166, 172
Engelhardt 302, 817
Engerth 368, 882
Enke, W. 145, 149, 368,
882
Eppinger 180
Epstein, A. L. 340, 882
Epstein, E. 302, 817
Epstein, Emil 410, 417
Erb 188
Erdheim 104
Erickson, Milton H. 378,
882
Escarra, J. 281
Espildora Luque, C. 118,
127
Esser 151, 171
Esser, A. 114, 127
Esteves Balado 133, 141
Eulenburg 113
Evans s. Franklen-E.
Evans, W. 121, 127
Namenverzeichnis
Eversbusch 295, 301, 304,
817
Evrard, E. 373, 882
Ewald, G. 290, 293, 295,
300, 305, 308, 816, 818,
819
Ewald 275, 276, 277, 287,
361, 400, 401, 507
Ewen, John X. 882
Exner 56, 59, 86
Ey, Henri 367, 370, 882
Eyrich 340
F
Fabre 356
Fabritius 236, 246
Fahrenkamp 132, 141
Fahrenkamp, K. 306, 311,
312, 313, 314, 315, 316,
819
Faltitschek, J. 116, 127
Faltlhauser, V. 395, 404
Färber 34
Fariello, Vito 377, 882
Fascioli 174
Fattovich, G. 11, 28
Faure- Beaulieu 168, 178
Faver, H. E. 338, 882
Fa vory 253, 260
Feldmann 134, 141
Feldweg 304
Felsenreich, G. 301, 817
Fenges, J. 26, 80
Fenichel, O. 360, 865
Fenichel, Otto 196, 197
Ferguson 271, 272
Fernberger, Samuel W.
498, 508
Ferraro, Armando 373,
382
Ferri 207, 208, 214, 226
Ferrier 433, 488
Ferrio, Carlo 377, 882
Fessler, L. 856
Fetscher 398
Feuereisen, W. 105, 108
Fioretti, F. 118, 127
Fischberg 302, 817
Fischer, A. L. V. 296
Fischer, A. W. 106, 108,
445, 446, 452
Fischer, Eugen 105
Fischer, H. v. 866
Fischer, M. 395, 404
Fischer, M. H. 420, 420,
424, 436, 436
Fischer, O. 362, 865
Fischer, Ö. 272, 278
Fischer, Otto 337, 382
Fischer s. Baur-F.-Lenz.
Fischer-Wasels, B. 485
Fischer-Wasels 180
Fischl, Viktor 375, 381
Flatau 160, 162, 172
Flaubert 361
Fleck 482, 494
Fleischer 260
Fleischhacker 511, 512
Fleischhacker, H. 239, 246
Fleischl von Marxow 420,
420
Flesch-Thebesius 362, 865
Flick 57, 86
Floret 462, 467
Foerster 57, 73, 155, 172,
444, 445
Foerster, O. 55, 60, 63, 66,
72, 73, 76, 82, 86, 88,
144, 149
Fog 140, 141
Foix 100
Forbes 48, 64, 69, 81, 83,
84, 86, 178
Forel, O. L. 340, 382
Forster, E. 234, 246
Förster, Otf. 472, 494
Förster 183, 191, 375
Foster, N. B. 314, 819
Fournay 346
Fournier s. Mussio-F.
Fox, Ch. 235, 246
Fraenkel, E. 34
Fraenkel, Jeanetta
382
Fragola, Vincenzo 374, 888
Franke, Gerhard 368, 882
Franke, G. 502, 504
Frankl s. Misch Re.
Frankl-Hochwarth 263,
265, 269
Franklen-Ewans, I. J. 258,
260
377,
Frantz 166, 172
Fraser, J. S. 119, 127
Frazier, Ch. H. 113, 123,
124, 127
Frazier, W. H. 129
Frédéric 77, 88
Frederighi 68, 86
Freeman 170, 174
Freemann, H. 375, 882
French 166, 178
Frenckel, G. 819
Frerichs 288
Freud 196, 197, 202, 275,
277, 279, 281, 282, 283,
285, 287, 302, 337, 329,
333, 339, 363
Ee e ee
Namenverzeichnis
Freude, E. 116, 127
Freund, H. 363, 365
v. Frey 82
Frey, E. 362, 365
Fried, J. 257, 260
Fried, Joseph 350, 856
Friedemann, Adolf 370,
882
Friedemann, A. 270, 278
Friedl 192, 198
Friedländer 166, 172
Friedman-Buchman, Ethel
885
Friedmann, Karl 376, 882
Friedmann, M. 360
Frischeisen-Köhler, J. 15,
Gardner, George E. 371,
382
Garland, H. G. 114, 128
Garma, Angel 882
Garnier 170, 178, 174
Garrey 60, 86
Gärtner, W. 115, 127, 271,
278
Gasteiger 256, 260
Gate, J. 357
Gaujoux, E. 356
Gaultier 362
Gaupp 396
Gaupp jr. 271, 278
Gautier 161, 172
Gebhardt 448, 452
v. Gebsattel, V. E. 865
Geiger, Helene 414, 415,
417
Geist, F. 303, 304, 305, 817
Geithner, R. 502, 504
28
Fritz 121, 127
Fröhlich, Fr. W. 48, 51.
62, 77, 80, 84, 86, 88
Frostig 324
Frugoni 38 Gelb 236, 237, 245, 246,
Fuchs, A. 304, 817 247
Fuchs, F. 856 Gelmi 166, 172
Fujitsuna 445, 452
Fuller, R. G. 378, 882
Fulton 61, 64, 66, 66, 69,
85, 86
Fundyler, R. 337, 382
Fünfgeld 330
Fürnrohr, W. 110, 120,
127
de Fursac, Rogues 518
Fürstner, Gregor 145, 149
Furuhata 10
Geng 465, 467
Genkin 459, 467
Georgi 502
Georgi, F. 270, 272, 278
Gerbis 462, 467
Gerendasi, G. 11, 28, 511,
518
Gergens 71, 86
Gerhartz, H. 472, 473, 494
Gerlach, F. 378, 888
Göronne, A. 865
Futer 493, 494 Gerson 180
Gerstmann, J. 243, 246,
6 271, 278
Gerundo, Michele 374, 888
Gabriel 413
Gagel 150, 171
Gakkebus, V. 337, 882
Galant, Joh. Susmann 340,
367, 382, 413, 417
Galatschian, A. 510, 512
Galindo 170
Gallas, Wilhelm 282
Gallerand 858
Gallois 460, 468
Galton 394
Gamper, E. 376, 382
Gandolfi 159, 172
Ganner 478
Ganter 319
Ganter, R. 145, 149, 295,
299, 301, 303, 304, 817
Gappeef, P. J. 258, 260
Garcia Ausst 501, 504
Garcin 117, 127, 481, 494
Gesse, E. 119, 127
Gherscovici 374, 879
Ghiannioulatos, G. P. 356,
856
dhigliazza, Nelida E. 376,
379
de Giacomo, Umberto 373,
888
Giampa 412
dianotti, Audo 460, 467
Gibbens 160, 172
Gibier-Rambaud, Geo 335,
888
Gibson 132, 141, 178
Gibson, A. G. 314, 819
Gibson, F. G. 365
Giehm, Gerhard 888
Giesen, L. 365
Gifford, S. R. 248, 249, 260
Gilbert 165
519
Gilbo, E. 375, 888
Gilkey, M. 856
Gillespie, R. D. 364, 865
Gilliland, A. R. 888
Gilman 178
Ginsbory 178
Ginsburg 463, 467
Gironés, L. 271, 278
Girot 190, 198
Giugni 165, 172
Gjessing, R. 373, 888
Glagolewa, M. 10, 28
Glaser 32
Glaser, J. 341, 865, 888
Globus, Jos. H. 413, 417
Gloyne 164, 172
Goalwin 190, 198
Goebel 164, 172
Goerz 396, 404
Gohn 151
Gold, E. 107, 108
Goldberger 152, 171, 503
Goldbladt, H. 376, 888
Goldby, F. 114, 127
Goldenberg 455, 468
Goldflam 172
Goldhammer 192, 198
Goldman 151, 171
Goldscheider 82, 290, 314,
816
Goldsmith, H. 375, 885
Goldstein 74, 86, 236, 237,
245, 246, 247, 291
Goldstein, H. G. 169
Goldstein, H. J. 178
Goldstein, I. 260, 260
Goldstein, K. 234, 235,
246, 434, 484
Gollwitzer-Meier 77, 82, 88
Golosow 141
Gonzalo, G. R. 314, 319
Goormaghtigh, N. 99, 108
Gordon 167, 178
Gordon, A. 465, 467
Gordonoff 374
Gorter 161, 172
Gossels 443, 452
Gottschaldt, K. 416, 417
Gottwald, G. 464, 467
Goudet 856
Gougerot 1685, 172
Gozzano 271, 278
Gracoski 162
Graefe-Saemisch 254
Graemiger, Otto 888
Graeninger 378
Graf 134, 141
Grage 256, 260, 348, 357
Granit 46, 84, 86
520
Grechowitz 170
Greckowitz 178
Greckowitz s.
Gr.
de Greeff, E. 369, 888
Greenfield, J. G. 357
Greenthal 169, 173
Gretener 211
Greving 465, 467
Grieger-Meissner, D. 401,
405
Grigoresco 161, 172, 278
Grigoresco, D. 240, 247,
272, 278
Grimaldi 141
Grimm 32
Grispigni 212, 231
Grolman, G. von 118, 127
Groom, W. C. 817
Groß, K. 865
Groß, W. 481, 490, 494
Groß s. Mayer-Gr.
v. Grosz 248
Grotjahn, M. 148, 149
Grotjahn, Martin 370, 888
Gruber 151
Gruhle 143, 146
Gruhle, Hans W. 321, 323,
324, 325, 326, 328, 331,
333, 335, 338, 370, 371,
888
Grün 502
Grün, R. 107, 108
Grünbaum, A. A. 238, 243,
246
Grünberg 462, 467
Grünhut 94, 282
Grünthal, E. 26, 80
Grützner 81, 88
Guerra 459, 467
Guillain 190, 198, 465,
467, 481, 494
Guillain, G. 112, 127
le Guillant, L. 371, 384
Guillaume 119, 126
Guillaumin, Ch. O. 416
Guiraud, P. 270, 278
Guiraud, Paul 370, 888
Guleke 151, 152, 171
Gulotta, S. 374, 888
Gunn 166, 178
Gunther 159, 160, 172
Günther 156, 172, 242, 246
Günther, H. F. K. 402
Güntz, E. 106, 108
Gurewiéz, B. 818
Gurewitsch, M. 145, 149,
372, 888
Gutheil, E. 369, 388
Bonnano-
Namenverzeichnis
Güttich 268, 269
Guttmann, E. 471, 479,
494
Guttmann, Erich 165
Guttmann 501, 502
Gutzeit 167, 178
Gutzmann 374
H
Haas 59, 88
Haase, E. 317
Haber 35
Hadden, Samuel B. 347,
357
Hadlich, Hedwig 371, 388
Haessler 159, 160, 172
Hagen 299, 303, 304
Hahn, F. L. 511, 513
Hahnemann, W. 376, 888
Haizlep 170, 173
Hajós 32
Hajös, L. 317
Halban 8
Haldane 183
Hall 171, 174
Hall, Muriel Burton 245,
246
Hall, S. Burton 245, 246
Hallé 170, 178
Hallervorden, J. 271, 272,
278
Halpern, L. 490, 494
Halphen, E. 125, 126
Hamburg, J. 258, 260
Hamm 474, 494
Hammer 151, 171
Hammerbeck, W. 106, 108
Hamsun 302
Handelsman, J. 272, 278
Hanke 154, 172
Hanse 169, 170, 173
Hanse, A. 238, 246, 293,
301, 817
Hansen 34, 36, 37, 57, 60, 86
Hansen, K. 455, 467
Harbitz, F. 480, 494
Haret 192, 198
Harris 139
Harris, W. 111, 122, 127
Harrowes, W. M. 338, 888
Harrowes, W. Mc. C. 506,
618
Härtel, F. 122, 124, 127
Hartmann, Max 90
Hartmann, H. 363, 865,
612, 518
Hartnacke, W. 399, 405
Harvier 170, 174
Harvier, P. 99, 108
Haskoveo 131, 142, 165,
172
Hako vec, Lad. 888
Hasselbalch 179
Hassın 464, 467
Hassin, G. 272, 273
Hässler, E. 411, 417
Hatrikov& s. Wagnero-
vá-H.
Hauer, Karl 857
Hauptmann 155, 172, 375,
883
Hauptmann, A. 237, 246,
472, 494
Hautant 269, 269
Haven 151, 171
Head 68, 86, 234, 235,
241, 291
Heberlein s. Plattner-H.
Hechst, Béla 372, 888,
414, 417
Hechst 133, 141
Hecht-Johansen 172
Hedrich 166, 178
Heermann 266
Hegler, C. 240, 246
Hegt s. Noordhock-H.
Heidegger 505
Heidegger, M. 144
Heidenhain, A. 362, 865
Heider 475
Heidsieck, E. 105, 108
Heilig, H. 292, 816
Heimberger, J. 281
Heinichen 37
Heinrichs 171
Heinzelmann, H. 317
Hellmuth 502
Hellpach 294, 297, 299,
817
Helmer, Ross D. 888
Helsmoortel jr. 473, 494
Helsper, R. 857
Hencke s. Schultz-H.
Henderson 176, 183
Hendrick 479, 495
Henggeler 454, 467
Henkel, Gerhard 857
Henry George W. 373, 888
Henry, G. W. 511, 518
Henschen, C. 495
Hentig, H. v. 281
Herbst 164, 477, 496
Herich, W. 296, 817
Hering 63, 86, 87
Hermannsdorfer 33
Herms 34
Hernett 222, 232
Herren, R. Y. 420
Namenverzeichnis b21
Hoskins, R. G. 336, 375,
378, 882, 884
Hou 65, 85
Howland 182, 183
Hrlov 166, 178
Huber 442, 452
Hübner, A. 338, 884
Hübschmann 164, 172
Hückel 482, 494
Hühnerfeld 512, 518
Hühnerfeld, J. 340, 884
Hume, E. E. 113, 127
Hunt, J. R. 110, 127
Huntington 490
Hoagland 68, 86
Hoch, Paul 375, 376, 884
Hoche 507
Hoche, A. E. 119, 127, 230,
280, 311, 319, 359, 360,
865
Hochheimer, W. 245, 246
Hochwald 165, 172
Hochwarth s. Frankl-H.
Hocking 271, 278
Hoenigwald 234
Hoepfner, Th. 11, 28
Hoesch, K. 357
van Hosvell, J. 365
Herrick 54, 86
Herrmann, G. 272, 278
Herrschmann, H. 376, 884
Hertz, Th. 7, 27, 368, 384
Hertzberger s. Schrij ver -H.
Hervy, J. 100, 108
Herz 130, 141, 159, 172
Herz s. Kleist-H.
Herzau, W. 126, 127
Herzig 170, 178
Herzmark s. Adler-H.
Herzmark, Maurice 442,
452
Herzog 249
Herzog, J. 107, 108 Hofbauer 41 Husler 183 ser
Heß 306 Hussameddin 166,
Hess, L. 116, 127 Hoff, H. 18, 20, 350. 368, Husserl 324
Hess, W. R. 51. 84 376, 884 s Huth, A. 865
B Th. E. 603, Hoff 60, 86, 165, 172, Hyman, S. 116, 128
321 I
Hessberg, E. 256, 257, 260
Hessberg, R. 357
d' Heucqueville 141
d' Heucqueville, G. 518
d' Heucqueville, Gges. 879
Heuer 189, 198
Heuyer 371, 884
Heuyer, G. 337, 889
Heyde, W. 376, 884, 483,
490, 495
Heyer 37
Heyer, G.R. 198, 199, 291,
298, 305, 306, 308, 314,
816, 819
Heymann 187
Heymanowitsch 79, 88
Heymans 82, 88
Hicks, B. 271, 278
Hicquet 473, 474, 494
Higier, St. 865
Hilemond 172
Hille, Willi 337, 884
Hilpert 237, 246
Hilpert, P. 270, 278, 460,
467
Hinsey 77, 86
v. Hippel, E. 249, 253, 260
Hirai 157
Hirsch 171, 174
Hirsch, S. 499, 508
Hirsch - Kauffmann 137,
138, 141
Hirschfeld, R. 114, 127
Hirschfeld, Ist. 480, 495
fan 34, 35
Hissard 857
Hitler 395
Hitschmann, E. 365
Ho 65, 86
Hoffmann, H. 296, 302,
317
Hoffmann, H. F. 359, 365
Hoffmann, Hermann F.
317
Hoffmann, P. 46, 49, 57,
60, 61, 66, 80, 84, 86
Hoffstädt, E. 299, 300, 317
Hofmann, E. 509
Hofmann, F. B. 62, 86
Hofmann, K. 518
Hohlbaum 156, 157, 172
Hoke, E. 302, 817
Holfelder 107
d' Hollander, F. 335, 384
Hollin 171, 178
Holm, K. 466, 467, 495
Holstein, E. 462, 467
Holtz 75, 86, 168, 178
Holtz, F. 512, 518
Holub, A. 317
Holz 33
Homburger 408
Homburger, August 327,
371, 373, 884
Homös 84
Hong 501
Hönigwald 505
Hoogerwerf 87
Höpler, E. 396, 404
Hopmann, R. 459, 467
Hormé 334
Horner 482, 483,
Horniker 255
Horowitz 109
Horowitz, A. 357
van der Horst, L. 147, 149,
341, 373, 884
Ichok, G. 817
Igersheimer 253, 257
Ijzuka 157
Ilberg, G. 304, 305, 817
ming 134, 141
Illing, E. 100, 108
Inglessis, M. 409, 416
Ingvar, 8. 115, 127
Ingvar, Sven 312, 319
Irrgang 32
Isayama 47, 84
Ishikawa, Eisuke 272, 278
Israel, W. J. 363, 865
Isserlin 79, 88
Isserlin, M. 233, 234, 246
Iwanow, A. 369, 890, 498,
508
Iwaskiewicz 166, 172
d
Jaburek, L. 272, 278
Jackson 241, 266, 885
Jackson, Hughlings 241
Jacobi 170, 173, 292, 817
Jacobi, J. 16, 28
Jaeger, E. 260
Jaensch 94, 322, 409
Jaensch, E. R. 297, 300,
817
Jaensch, W. 10, 28
Jaensch (Brüder) 415
Jagdhold, H. 113, 127,
502, 504
Jäger 252
Jahnel 150
Jahrreiß 285, 287
Jakob 75, 330
Jakobi, Erich 417
522
Jakobi, Josef 374, 384
Jakobson 266
Jakobsson 269
v. Jaksch -Wartenhorst 502
James 280
Jamin, F. 10, 28
Jampolsky 168, 178
Janet, Pierre 370, 884
Jankau, V. 866
Jankau 479, 490, 493, 494,
495
Janker, R. 104, 108
Janota 131, 141
Janowski, W. 301, 817
Jasienski, J.-J. 370, 885
Jaspers 325, 328, 370
Jauregg s. Wagner v. J.
Jefferson, G. 111, 127
Jelgersma, G. 370, 884
Jelliffe 336, 884
Jenkins, R. L. 2, 3, 27
Jenks 169, 178
Jessen, F. 293, 295, 297,
301, 302, 303, 304, 317
Jessner, Lucie 371, 384
Joetten 167, 173
Johansen 161
Johansen s. Hecht-J.
Johnston, M. 378, 382
Johow 268
Jolly 188
Joltrain 158, 172
de Jong. H. 372, 373, 884
Jordanesco, C. 108
Jores, A. 107, 108
Jorgensen, C. 865
Josephi 330
Jossmann, P. 244, 246
Juhäsz- Schäffer, A. 255,
260
Julesz 33
Jung 151, 153, 334
Jung, C. G. 42, 198
Junghanns, H. 102, 103,
106, 107, 108, 109
Just 4, 5
Just, G. 394, 404
Justin-Besangon 172
Justin-Besancon, L. 114,
128
K
v. Kadečka 282
Käding 300
Kafka 152, 163, 171
Kahl, W. 213, 215, 280
Kahn 285
Kahn, Eugen 321,
325, 884
322,
Namenverzeichnis
Kaiser, Herbert 857
Kalkoff 495
Kallıus, H. U. 105, 108
Kamenetzki, P. 219, 282
Kamin, Michsel 351, 857
Kämmerer 31, 34, 36
Kanduth, Kristof M. 377,
384
Kant 339, 461
Kant, Immanuel 281, 392
Kant, O. 283, 284, 286,
287, 287, 325
v. Kapff 33
Kapp 166, 178
Kapp, Franz 384
Kapsenberg 169, 173
v. Karman 232
Karmann, L. 416
Kasanin, J. 337, 338, 885
Kashiswahara 269
Kato 65, 66, 86
Kattentidt 305
Katz 270. 278, 340
Katz, Helena 385
Katzenelbogen, Salomon
375, 885
Katzenelbogen, S. 385
Katzenstein 76, 86
Katzenstein, E. 471, 481,
495
Katznelson, L. 357
Katzowna, Helena 377,
385
Kauffmann s. Hirsch-K.
Kauffmann, O. 271, 273
Kaufmann, F. 97, 109
Kegel 454, 467
Kehrer, F. 472, 473, 474,
488, 490, 495
Keller 69, 86
Kelman, Harold 376, 885
Kemen 487
Kempf 178
Kempner s. Rabino-
witsch-K.
Kennedy 476, 495
Kerl, Wilhelm 348, 857
Kernohan 485, 495
Kessel 170, 178
Ketterer, K. 241, 246
Keyserling, Graf v. 96
Kienböck 481
Kienböck, R. 25, 80
Kihn, B. 378, 885
Kindberg 351
King 60, 86
Kinney 192, 198
Kirow, J. J. 222, 282
Kirschbaum 31
Kisseleff 64, 87
Kisselew, M. W. 17, 29
Klabund 302, 817
Klaesi 328, 330
Klages 146
Klar, J. 251, 252, 260
Klär, Ch. 10, 27
Klare, K. 296, 817
de Kleijn 58
Klein, M. 865
Klein 442, 452
Klein, R. 235, 237, 246
Kleinhans, E. 107, 109
Kleinknecht 58, 86
Kleinschmidt 165, 172
Kleist 23, 244, 276, 324,
327, 328
Kleist-Herz 322
Kleist-Schröder 340
Klemperer, F. 296, 817/18.
Klemperer, Gg. 288, 289,
305, 307, 816
Klemperer 308
Klestadt 58, 87
Klewitz 31, 33, 34
Klieneberger 480, 495
Kliewe 170, 178
Klimke, W. 865
Klimmer, R. 363, 865
Klimo, Z. 885
Klossowsky, B. 411, 418
Kment, H. 99, 109
Knapp 263
Knick 268
Knigge. Fritz 362, 865, 885
Kobrak 262, 263, 264, 265,
266, 267, 268, 269, 269
Koch 292
Kockel, H. 15, 28
Koenen, J. 22, 29, 414, 417
Koerner 118
Koffka 93
Kogan, J. M. 369, 885
Kogerer, Heinrich 376,
377, 885
Köhler s. Frischeisen-K.
Köhler 93, 178
Köhler, F. 297, 301, 818
Köhler, J. 230
Kohlrausch 396, 446, 447,
450, 451, 452
Köhn, W. 14, 28
Kohnstamm 84
Kollarits 157, 171
Kollarits, J. 296, 296, 299,
300, 301, 316, 818
Kolle, Kurt 341, 885
Kolle, K. 15, 23, 29
Kolmer 153, 169, 171, 178
—
Namenverzeichnis
Kuttner, H. 240, 246
Kutzinski 257, 261
Kyriaco 238, 246
Kyrieleis, W. 251, 260
L
Labbé, M. 112, 127
Laborderie, J. 125, 128
Lacan, Jacques 339, 371,
882, 886
Lachs 446, 452
Laflotte, L. 350, 351, 356
Laignel-Lavastine 158.
170, 172, 174, 351, 857,
511, 518
Kolodnaja, A. J. 7. 27
Konaschko 269
Koränyis 32
Koritter, Hans 374, 384
Kornmüller 420, 420, 424,
489
Környey, St. 99, 109
Kortenhaus 170, 178
Korvin, Edith 457, 467
Kötzing 465, 467
Krabbe 159, 172
Kraepelin 23, 299
Kraepelin, E. 307, 308,
819, 322, 328, 339
Kraepelin-Lange 818
Kral, A. 376, 882, 502, 504 | Lajta 27
Krammer 134, 135, 141 Lamache 159, 171
Krannich 65, 85 Lamb 178
Lambert 48, 64, 84, 86,
168, 178
Lampé 269
Landegger, G. 258, 260
Landouzy 166, 172
Lang, Th. 2, 12, 22, 26, 29,
398, 403, 405
Langbehn 331
Lange 336, 501
Lange, Fritz 444, 448, 449,
452
Lange, Johannes 15, 239,
246, 290, 336, 885, 395,
396, 400, 405
Lange, Max 452
Lange-Eichbaum 96
Lange-Malkwitz, Frieda
410, 417
Lange s. Kraepelin-L.
Langelüddeke, A. 501, 504
Langenstraß, Karl H. 376,
885
Langer 163, 164, 172
Langfeldt 179
v. Langsdorff 32
Lapeyre, J. 375, 879
Lapicque 45, 48
Lapicque, L. 46, 84
Lapicque, M. 46, 84
Larionow 434
Larivière, P. 889
Larrivé, E. 370, 385
Larsen, Erik J. 409, 412,
414, 417
Lashley 71, 87
Lassen, M. Th. 13, 14, 28
Last, S. L. 235, 244, 246,
247
Laubenthal 140, 141
Krapf, E. 315, 819
Krapf, Eduard 885
Krapiwkin, A. 376, 378,
888, 385
Kraulis, W. 20, 29
Kraus 196, 279
Krause 139, 141
Krause, F. 112, 127, 372,
373, 885
Krause, Fedor 187, 198
Krehl, Ludolf v. 289, 291,
292, 306, 307, 816, 819
Kretschmer, E. 7, 20, 27,
31, 95. 96, 277, 286,
292, 322, 323, 334, 340,
360, 368, 508
Krimmel 304, 818
Krisch, H. 334, 360, 365,
385
Kroener 413
Kroh 322
Kronfeld 204, 324, 327
Kronfeld, A. 865
Krukowski, G. 271, 278
Kuenburg, Gräfin M. v.
236, 237, 246
Kufs, H. 22, 29, 271, 278,
367, 885, 410, 417
Kuhn, H. S. 25, 80
Kühn, K. 105, 109
Külbs 305, 819
Kulkov 490, 495
Kulkow 463, 467
Külpe 505
Kunjavskaja, S. 385
Kunos, St. 113, 127
Kunz, Hans 370, 885
Küppers, Karl (Görden)
335, 375, 885
Küppers 291
Kürbitz, W. 414, 417 467, 478, 486, 495
Laubenthal, F. 865, 465,
523
Lauber, H. 306, 320
Laude 341
Laudenheimer 39. 40, 460
Läufer 134, 141
Lauff 171
Laugier 46, 60, 84, 86, 87
Launois 263
Lauwers, M. E. 111, 128
Lavastine s. Laignel-L.
Laviano, G. 111, 128
Law 154, 172
Layburn 166
Lazzeroni 302, 318
O’Leary, Paul A. 346, 348,
357, 503
Le Blanc 150, 154, 157,
163, 164, 165, 167, 171
Ledebour 171, 174
Lederer, E. 462, 467
Legras, A. M. 15, 25, 28
Le Guillant, L. 380, 884
Lehmann 305, 820, 493,
494
Lehmann, E. 97, 109
Lehner, A. 18, 29
Lehoczky 156, 172
Leibovici, R. 887
Leidler 269
Leigheb, V. 357
Leiri, F. 119, 128
Leischner, A. 512, 518
Lejard, Ch. 819
Lemierre 351
Lemierre, A. 114, 128
Lenz, F. 393, 394, 395,
396, 404
Lenz 8. Baur-Fischer-L.
Leonhard, K. 23, 29, 507,
512, 518
Leonhard, Karl 385
Leonard, K. 116, 128
Lepennetier 192, 198
Lépine 270, 278
Lepsky, 8. 121, 128
Lereboullet 154, 171
Léri 271
Leriche 445
Leériche 114, 125
Leschke 461, 467
Lesemann, G. 409, 417
Levi, A. 278
Levin 134, 141
Levin, B. 475, 495
Levin, H. L. 340, 886
Lévy 163, 172
Levy, E. 34
Levy, Margarete 297, 818
Levy-Suhl, M. 360, 865
524
Levy-Valensi, J. 339, 341,
362, 865, 371, 880, 886
Lewandowski 57, 87
Lewandowsky 242
Lewin 93
Lewis, Nolan D. C. 340,
886
Lewy, F. H. 154, 155, 165,
172
Ley 464, 468, 492, 494
Ley, A. 247
Ley, J. 247
Ley, R. A. 271, 273
Lhermitte, J. 100, 109,
380, 481, 493, 494, 495
Lichtenstein 159, 160, 172
Lichtenstein, H. 115, 128
Lichtenstein, Julia V. 346,
357
Lichtwitz 32
Liddell 46, 61, 64, 65, 66,
72, 84, 85, 86, 87
Liebermann 473, 496
Lieber meister, G. 299, 302,
318
Liégeois 475, 488, 495
Liepmann 242
Liljestrand 67
Lillie 354, 463, 467
Lindblom 151, 171
Lindblom, A. 101, 109
Lingjaerde, Ottar 336, 886
Linhart 413
Linthicum 473, 495
Lipmann 93
Lippi, Guglielmo 376, 886
Lische, R. 475, 495
de Lisi, L. 240, 247
List, C. F. 124, 128
v. Liszt, Else 231
Litzner 458, 468
Llambois 465, 467
Lode 167, 178
Loeb 182
Loew, H. 818
Loewenhardt 376
Loewi, M. 144, 149
Loewi, O. 48
Loff 174
Löffler, L. 399, 405
Logan 87
Lokay 21
Lombroso 208
London, L. S. 341, 886
Longuet 357
Loofs 500
Looft, C. 17, 28
Lopes, Cunha 337, 886
Lopez s. Naranjo-L.
Namenverzeichnis
Lottig, H. 14, 16, 28
Lottig 480, 495
Lotze, R. 399, 400, 405
Low, A. A. 238, 246
Löw 303, 304
Löw- Beer 191, 192, 198
Löwenstein, E. 270, 278
Löwenstein, K. 124, 128,
483, 495
Löwenstein, O. 14, 28
Löwenstein, S. 483, 495
Löwy, M. 820
Löwy, Samuel 378, 886
Lubarsch 485
Lubinska 60, 87
Lucae 265
Lucas 62, 83, 84, 87
Lucas, F. 281
Lucas, K. 45, 47, 48
Luciani 74
Lucke, H. 25, 80
Lukäcz 166, 172
Lundborg 407
Lundborg, H. 403, 404,
405
Luniewski 296
Lupa 178
Luque s. Espildora-L.
Lüthy, F. 272, 278
Lutz, G. 454, 468
Lutz, K. 365
Lux, A. 123, 128
Luxenburger 218, 231
Luxenburger, H. 29, 302,
304, 318, 395, 404
Luxenburger, Hans 321,
322, 336, 386, 407, 408,
417
Lynch 169, 173
Lysholm 190, 198
M
Maas 271, 272
Mac Auley, H. F. 125, 128
Me Cann 182
Mc Cartan, William 377,
880
Mc Clure 376
Mc Cowan, P. K. 374, 377,
881
Me Dougall 71, 87
Me Dougall, William 334,
370, 381
Mc Grath, W. M. 857
Mo Kenzie 191, 198
Mc Khann 168, 178
Me Lean 191, 198
Mac Nally 454, 467
Mack, Gertrud M. 378, 888
Mack, Julian W. 222, 281
Mackenzie 174
Maday 27
Madden 169, 178
Maeder, Le RoyM. A. 272,
273
Magenau, O. 302, 318, 386
Magnan 377
Magnus 58, 67, 71, 72, 75,
76, 87
Mahoney 463, 468
Maier, Berthold 370, 386
Maier, H. W. 488
Maier, Irene 250, 260
Maisler 170, 174
Maison, E. 108
Majersky, F. 409, 417
Makarewicz, J. 288
Makenzie 171
Maklin 411
Malamud, W. 378, 886
Malis 170, 173
Malkwitz s. Lange-M.
Maller 413
Malzberg, B. 403, 405
Manasse 263, 266
Mandl, A. 260
Mandowsky, Anneliese
371, 886
Mangold 46, 68, 84, 87
Mangubi, M. 880
Manicatide 158, 172
Mann 433, 488
Mann, L. 472, 495
Mann, Thomas 302
Mannini, R. 121, 128
Manser, J. B. 218, 281
Marburg, O. 243, 247, 271,
278
Marburg 272, 330
Marchand 131, 142
Marchand, L. 335, 886
de Marco, Ottilio 886
Marcus, H. 122, 128
Marcuse, Harry 338, 886
Mareschal 141
Margulies 268
Margulies, M. 143, 149
Margulis, M. S. 113, 128
Marie, Pierre 234
Marinesco, G. 100, 109,
240, 247, 271, 278
Marinesco 46, 84, 161, 172
Marriott 180
Marshall 69, 86
Martin, I. P. 473, 474, 494,
495
Martinengo, Vittorio 375,
888
Namenverzeichnis 525
Martinez 501 Meynthaler 170, 178 Moore, Joseph Earle 347,
Martini, E. 349, 857 Mezger 211 357
Martino, G. 493, 495 Michaelis 175 Moos, Paul 271, 278
Martins 169, 178 Michail 160, 172 Moos 35, 36
Martland 459, 490 Michaux, Leon 271, 278 Morgan, B. 128
Martynow 134, 135, 141 Micheli, F. 112, 128 Morgenthaler, Walther
Marx, H. 369, 386, 497, Michelsen 157 370, 377, 387
498, 503 Michelsen, J. 98, 101, 109 | Morges 111
Marx 140, 141, 478, 495 Michejew, W. W. 300, 818 | Mori, Luigi 377, 887
Massary 158 Migault, Pierre 339, 371, Morquio 158, 164, 172
de Massary, J. 238, 247 886 Morris, L. 122, 128
Mathieu, Albert 296 Miget 25, 29, 172 Morrissey, E. 477, 495
Mathien 247 Milew, A. 258, 260 de Morsier 488, 490, 491,
Mathieu 25, 29 Milian 100, 109 495
Matthaei 46, 47, 48, 49,85 | Milian, G. 357 de Morsier, G. 887
Maus, J. 227, 228, 281 Miller 75, 87 Morselli 302, 818
Mauss 491, 495 Miller, E. 865 Morselli, G. E. 236, 238,
Mauss, Wilhelm 376, 884 | Miller, W. R. 886 247, 336, 887
Mauthner 268 Minet 158, 172 Mosbacher, F. W. 501,
Mauz 322, 329, 340 Mingazzini 236 504
May, James 886 Miniovic, P. 377, 882, 886 | Moses, J. 866
v. Mayendorf s. Niessl v.M. | Minkowska 18, 29 Mosheim, D. 461, 468
Mayer 190, 198 Minkowski 18, 240 Mosso, F. E. 128
Mayer, A. 363, 865 Minkowski, E. 327, 340, | Mourgue, R. 145, 149,
Mayer, C. 45, 85 370, 886 332, 334, 886
Mayer, K. 486, 495 Minkowski, M. 475, 476, | Mourgue, Raoul 887
Mayer-Groß 321, 323, 327, 478, 492, 495 Muck 269, 269, 473
328, 329, 330 Minovici 488, 492, 495 Muckermann 393, 394,
Mazza, Antonio 377, 886 | Minski, Louis 377, 886 396, 397, 398, 399, 404,
Meerloo 131, 141 Mira, E. 510, 518 405
Meerson, D. 293, 299, 818 | Misch, W. 364, 865, 866 Muenzer, A. 302, 818
Mees 464 Misch-Frankl, K. 865 Mühlmann 392
Meesmann, A. 857 Miskolczy, D. 368, 886 Mühsam 178
Mehrtens, H. G. 347, 857 | Mittermaier 281 Mukai, T. 417
Meier s. Gollwitzer-M. Möbius 299 Müller, A. 446, 452, 465,
Meighan, S. Sp. 254, 260 | Mock 171, 174 468
Meissner s. Grieger-M. Modinos, P. 501, 504 Müller, F. v. 301
Melander, R. 112, 128 Moerchen, F. 866 Müller, H. 503, 504
Meller, J. 260 Moersch 132, 141 Müller, K. V. 394
Mellinghoff 489, 495 Mohr, Fr. 816 Müller, Max 329
Melzer, E. 302, 818 Mohr 36 Müller, Otfried 34
Menichetti, E. 368, 886 Mohr-Staehelin 289, 293, | Müller, Walter 102, 103,
Menichetti 465, 468 305 105, 109
Mendel, K. 483, 495 Mol van Otterloo, A. de | Müller 94
Mönière, P. 262, 263, 264, 501, 504 Mumme 171, 174
269 Moldenhardt 168, 178 Munch-Petersen, C. J. 25,
Mercklin 304, 818 Molitoris 455, 468 80
Merkel, Klaus 271, 278 Moll 263 Munk 433, 488, 434
Mestitz, W. 8, 27 Mollaret 270, 278 Munz 368
Met zulescu 159, 172 Monakow 340, 376, 408 Münzer, Th. 117, 128
Meumann 154, 172 v. Monakow 133, 141, 238, | v. Muralt 293, 301, 818
Meumann, Ernst 368, 886 239, 327, 330, 332, 334, | Murata, M. 272, 278
Meyer 170, 178, 180, 338 371, 375, 886 Muroma 169, 178
Meyer, A. 247, 459, 461, | Monedjikowa 172 Murray 167, 178
468, 506 Monier-Vinard 100, 109, | Murray, V. F. 376, 887
Meyer, F. 10, 27, 316, 820 167, 178 Musculus, W. 887
Meyer-Borstel, H. 105, 109 Moniz 171, 174 Mussio-Fournier, I. C. E.
Meyer-Burgdorff, H. 104, Montaud 172 501, 504
109 Montesano, G. 335, 887 Mygind 268, 269, 269
526
N
Nadoleczny 269
Nagel 54, 87
Nagy 141
Nakamura 65, 86
Naranjo Lopez, Alfonso
375, 887
Nathan 164, 172
Natrass, F. J. 107, 109
Naujoks, H. 107, 109
Naunyn 177
Naville, F. 100, 109
Naville 483, 488, 490, 491,
495
Nayrac, P. 97, 109
Nectoux 460, 468
Nedelmann 169, 173
Negro, F. 460, 468, 490,
495
Neiding 455, 468
O’Neil 178
Nelken 458, 468
Neminski s. Präwdicz-N.
Netter, A. 115, 128
Netter 160, 172
Neuburg, A. 887
Neuhof 57, 87
Neumann, H. 462, 468
Neuner 304
Neureiter, F. 9, 27
Neustadt, R. 887, 414,
417, 491, 495
Neustadt 143
Neustadt-Steinfeld, Else
338, 887
Neustaedter, M. 348, 867
Newell, H. W. 14, 28
Newton 196
Neymann, Cl. 301, 818
Nicaud 170, 174
Nicolas, J. 857
Nicolau, S. 346, 857
Niedenthal, E. 337, 887
Niederland 462, 468
Niessl v. Mayendorf 240,
241, 245, 247
de Nigris, Giovannı 377,
887
Nissl 350
Nixon 463, 467
Noeggerath 164, 172
Noguchi 180
Nonne, M. 97, 109
Nonne 156, 157, 172
Noordhock Hegt, F. I. H.
501, 504
Nordmann, J. 254
Namenverzeichnis
Northcote, M. L. M. 377,
381
Norton 166, 178
Noteboom, L. 373, 888
Nottley 178
van Nouhuys 123, 128
Novak, J. 15, 28
Nunberg 196, 197
Nunberg, H. 360, 866
Nußbaum, R. 495
Nutini, Gino 377, 887
Nyirö, Julius 340
Nyirö, J. 144, 149
Nyssen 492, 494
0
Oba Shigama 281
Ochsenius 164
Odin 151, 171
O’Leary, Paul A. 346, 348,
357
Olivecrona, H. 123, 128
Olkon 16, 28
Olmstedt 87
Olofsson s. Eeg-O.
Ombredane, A. 387
O'Neil 178
Opalsky 164, 172
Oppenheim 188, 265, 267,
269, 360
Oppler 887
Orel, Herbert 412, 417
Orel, H. 3, 17, 24, 28, 80
Oriani, Ferrante 336, 887
Orlinski 168, 178
d’Ormea, A. 377, 887
Orosz 164, 172
Orzechowsky 168, 178
Osborne, Earl D. 348, 857
Oseretzky 131, 142
Oseretzky, N. 369, 887
Osersky s. Beringer-Pe-
sche-O.
Ossipowa, E. A. 318
Ossoinig 172
Osswald, K. 304, 318
Ostenfeld, J. 866
Osterman, A. L. 858
Ostermann 33
Ostmann 303, 304, 318,
375, 887
Otter loo s. Mol van O.
Ottow 164
P
Paget 368
Paige, Arnold 348, 357
Paillas 446, 452
Pakula, Sidney F. 856
Palcs6 152, 153, 171
Paneth 198
Pannhorst, R. 306, 320
Panse, F. 482, 483, 495
Panse, Friedrich 500, 501,
504
Pansen 458
v. Pap, Zoltan 377, 887
Papandrea 170, 174
Pappenheim 268, 270, 278
Paraschiv 162, 172
Parhon, C. 374, 887
Parker 463, 467, 485, 495
Parsonnet, A. E. 116, 128
Pasachoff 170, 178
Pascal, C. 887
Pasche-Osersky s. Berin-
ger-P.-O.
Paskind 341, 510
Paskind, H. A. 18, 29
Paskind, Harry A. 888
Päßler, H. 270, 278
Passek, V. 878, 512
Passow 268, 269
Paterson, Arth. S. 888
Paterson, J. E. 254, 261
Patrullo 498
Patzig, B. 369, 388
Paulian 270, 278, 488, 492,
495
Paulian Dem. Em. 100, 109
Paunz, M. 261
Pawljutschenko,
300, 818
Pawlow 561, 61,
85, 87, 292
Pearson, K. 5, 27
Péhu 168, 178
Peiper, Albrecht 415, 417
Penfield 155, 172, 472,
475, 494
Pennacchi, F. 368, 886
Pennacchi 465, 468
Pennacchietti, Mario 412,
417
Penrose, L. G. 413, 417
Penrose, L. S. 21, 29
Penson 158, 172
Pentschew, A. 602, 503,
504
Perathoner, A. 231
Perazzi, V. 866
Perelamann, A. A. 888
Perelmann, A. 336, 374,
388
Pereyra 157, 172
Perez-Cirera 66, 87
Peritsch 231
Peroncini 162, 172
E. M.
67, 70,
|
1
P
Perrault 178
Perwitzschky 266
Pesch 178
Peters 166, 171, 178
Petersen, Sigurd 368, 888
Petersen, S. 7, 27
Petersen s. Munch-P.
Peterson, Bl. 297, 818
Petow, H. 31, 34, 35, 36,
37, 39
Petrén, A. 216, 282
Pétrignany 253, 260
Pette, H. 252, 261
Pette 162, 172
Peyrot 161
Pezalla 416, 417
Pfahl 79, 88
v. Pfaundler 7, 23, 27, 150,
171, 443, 452
Pfimlin 261
Pfister, Hans Oscar 337,
888
Philibert 350
Philipps 142
Pichard, H. 371, 881
Pick 184, 257, 261, 335
Pick, A. 233, 241, 247
Pickworth, F. A. 335, 888
Pierach, A. 258, 260
Pieri, G. 114, 128
Pietro, Durando 375, 888
Pilcz, A. 478, 495
Pillemont 178
Pincock, T. A. 888
Pincussen 511, 512
Pinéas, H. 244, 247
Pineles, F. 263, 818
Pinnow s. v. Behr-P.
Pires, Waldemiro 857
Plate, E. 121, 128
Plate, L. 3, 26
Plattner, W. 8, 27
Plattner, Walter 369, 888
Plattner-Heberlein, F.340,
888
Plaut, A. 167, 178
Pleger, W. 20, 21, 29, 408,
417
Plötz, Alfred 392
Pockels 170, 178
Podkaminsky 33
Pogibko, N. 10, 27
Pohlisch 498
Poirier 141
Politzer 263
Pollak 38, 270, 278, 295,
818
Pollak, Franz 888
Pollnow, H. 31, 35, 38
Namenverzeichnis
Pollock 58
Pollock, Horatio M. 378,
888, 510, 518
Pollock, Laris J. 444, 445,
452
Pommé 475, 488, 495
Pontano 167, 168, 178
Poos, G. H. 261
Pope 166, 178, 454, 467
Pope, Curran 350, 857
Popek, K. 11, 28
Popovici 178
Popow 130, 142
Popow, N. M. 888
Poppelreuter 243
Popper 152, 171
Popper, E. 866
Poppinga, O. 8, 27
Porot 495
Portmann 473
Pötzl, O. 234, 240, 245,
246, 247, 376, 884
Pouffary 238, 246
Pouppirt, P. S. 347, 857
Präwdicz-Neminski 421,
421
Prengowski 142
Prince, M. 146, 149
Prince, W. F. 146, 149
Prinz s. Bürger-P.
Prinzhorn, Hans 334, 881
Prochatzka 495
Prochazka 165, 172
Prussak, L. 25, 26, 80
Pucca, Annibale 374, 888
Pucca, A. 888
Pulch 496
Puntigam, F. 260
Purves-Stewart 270, 271,
278
Puscario, Elena 857
Putnam 189, 198
Putnam, T. 270, 278
Puusepp 480
Puusepp, L. 110, 128
Puymartin 351
Q
Quadfasel, F. 235, 247
Quarelli 460, 468
Quastel, J. H. 374, 881
Quénu, Jean 192, 193
Quincke 154
R
Rabeau 350
Rabinowitsch 270
Rabinowitsch-Kempner
278
527
Radbill 169, 178
Rademaker 74, 75, 76, 87
Radnai, E. 350, 867
Radovici 46, 84
Radulesco, J. 282
Raffo, Juan M. 856
Raillet 168, 178
Raimann, E. 472, 473, 474,
477, 495
Raiziss 347
Rajka, E. 350, 357
Rakischky s. Thal-R.
Ramage, B. 107, 109
Rambaud s. Gibier-R.
Rand 473, 478, 495
Ranelletti 460, 468
Ranschburg 445
Ranschburg, P. 238, 247
Ranson 70, 77, 81, 86, 87
Rascana 46, 84
Raschewskaja 459, 467
Rathke, L. 106, 109
Ratner, J. 511, 518
Ra vaut 350
Rawak 479, 495
Rawkin 461, 463
Rawkin, J. G. 368, 888
Rayburn, Chas. R. 858
Raymond, Alice F. 510,
512
Raymond 117, 127
Rech 57, 86
Recht 33
Redfern, A. R. 866
Redlich, E. 270, 278
Rehfeldt 464, 466
Rehm 336, 888
Reichardt, M. 359, 360,
866, 371
Reichardt 490
Reiche 158, 172
Reichert, F. 106, 109
Reichert, F. L. 475, 495
Reichmann 31
Reid 102, 109
Reinwein 136, 137, 138,
140, 142
Reisch 47, 85
Reisner, A. 105, 109
Reiss, R. 33
Reiter, Otto 327, 369,
888
Reiter, Paul J. 367, 888
Rendu, André 111, 128
Répin 23
Reutter, A. 271, 278
Reye 455, 456, 468
Ribot 240
Richet 44
628
Richmond, Winifred 337,
888
Richter, Curt P. 373, 888
Ricker 481
Rickloff, Raymond J. 348,
857
Riddoch 46, 85, 472
Riebeling 132, 133, 142
Riebeling, Carl 888
Riecke, H. G. 473, 495/96
Riecke 172
Rieckert, Hans 858
Riedl, M. 401, 405
Rieger 79, 88
Riese, W. 242, 247
Riesenberg 152, 171
Rieth 499, 508
Rinkel 504
Rinkel, Max 500, 504
Rioch 61, 86
Riquier 165, 172
Ritter 8
Ritter, F. H. 411, 417
de la Rivière s. Dujarric
de la R.
Rizatti, E. F. 336, 888
Rizzatti, Emilio 375, 888
Rizzolo 58, 87
Rjabowa 131, 142
Roberti, C. E. 888
Robert, S. R. 312, 820
Robin, Gilbert 889
Robin, M. G. 18, 29
Robinson 271
Robinson, G. W. 274
Robinson jr. 274
Robles 150, 171
Rocco 208, 218, 220, 225,
227
Roch 161, 172
Rodewald 396, 405
Rodiet, A. 337, 888
Roepke 300, 818
Roger, H. 492, 496
Rogers, Helen 270, 274
Roggenbau 133, 142, 502
Roggenbau, Chr. 510, 51 l,
512, 518
Rogin, James R. 346, 857
v. Rohden, F. 400, 405
Rollet, J. 258, 259, 261
Rollier, A. 295, 818
Roman, W. 511, 512
Romanoff 170, 178
v. Romberg 304, 314
Romberg, Ernst 306
Römisch, W. 297, 818
Rona 182
Namenverzeichnis
Roncati, Cesare 339, 377,
889
Rondepierre, J. 880
Ronez 178
Rorschach 361, 368
Rosanoff, A. J. 22, 29, 407,
408, 417
Rose, M. 425, 426, 433
Rosenberg 178
Rosenstern, J. 8, 27
Rosenthal, K. 25, 26, 30,
118, 128
Rosenthal, W. 466, 468
Rosenthal-Deussen 458,
468
Rosesco 172
Roßrucker 160, 172
Rostock 178
Roth 142
Rothschild 461, 462, 468,
469
Rouart, J. 886
Roudinesco 858
Rouvroy, Ch. 335, 884
Roux 168, 178
Rubel 168, 178
Rubiano, Santos 299, 818
de Rudder 294
Rüdin 321
Rüdin, E. 395, 400, 402,
405
Rudolf, G. de M. 376, 889
Ruffin, Hanns 372, 879,
889
Rule 169, 178
Rumševič 378, 890
Runström 151, 171
Runte, B. 98, 109
Russel Brain 58, 87
Russell, W. R. 114, 128
Rylander, Gösta 336, 889
S
Sachs 168, 178
Sacon, J. I. 116, 126
Saemisch s. Graefe-8S.
Sagani, F. 278
Sagel, Wilh. 335, 367, 889
Sager, O. 373, 889
Sager 161, 172, 278
Sagi, F. 9, 27, 415, 417
Saller, K. 393, 405
Salus, F. 99, 109
Salvati, G. 99, 109
Salzer 255
Samojloff 64, 87
Samson 152, 163, 171
Sanchís-Banús 212, 369,
889
de Sanctis, C. 240, 247
de Sanctis, Carlo 414, 417
de Sanctis, Roberto 337,
378, 889
Sanders, Wilma 458
Sanfilippo 170, 178
v. Sántha, K. 410, 417
v. Santhas 492, 496
Santori, G. 117, 129, 249,
261
v. Karbo 470, 476, 496
Sarbo, A. v. 250, 252, 281
Sarno, Domenico 889
Sauerbruch 179, 180
Saxl 165, 172
Saxl, Otto 858
Scarapatetti 877
Scarpatetti, Walter 889
Scatamacchia 490, 496
Schabach 263
Schachtel 269
Schächter, Antal. 376, 889
Schade 179, 180
Schaefer 442, 452
Schaefer, R. 261
Schaeffer, H. 99, 109
Schäffer s. Juhasz-Sch.
Schaffer, K. 240, 247, 417
Schaffer, Karl 410, 417
Schaffle 152, 171
Schaltenbrand 502
Scharrer, E. 463, 468
Schechanowa, H. 336, 889
van der Scheer 3, 411
Scheid 259
Scheid, F. K. 144, 149
Scheiderer, G. 511, 512
Scheler 146, 290, 291
Scheler, Max 94
Scheller, H. 243, 247
Scherer 140, 142
Scherer, Hans Joachim
410, 418
Schewelew, N. A. 511, 518
Schieck, F. 253, 261
Schierl 135, 142
Schiff 496
Schiff, F. 10, 27
Schiff, P. 335, 890
Schilder 147
Schilder, P. 243, 247
Schilder, Paul 327, 378,
889
Schill, E. 238, 247
Schinz 192, 198
Schiedt 158, 159, 172
Schippers 171
Schittenhelm 198
— — —— — — —
= g
Schlapper, K. 295, 296,
299, 301, 818
Schlayer, C. R. 364, 866
Schlesinger 242
Schloßmann 150, 171
Schmid, H. J. 112, 129
Schmidt, G. 492, 496
Schmidt, L. 120, 129
Schmidt, Max 140, 141
Schmidt, M. B. 100, 109
Schmieden 107
Schmitt, Fr. 305, 818
Schmitz 461, 468
Schmorl, G. 101, 102, 103,
106, 109
Schmutter 153, 171
Schmuttermayer 167, 178
Schneider 159, 160, 161,172
Schneider, A. 363, 866
Schneider, C. 324, 327,
329, 334, 337, 370
Schneider, Carl 324, 329
Schneider, H. 457, 468
Schneider, K. 130, 142,
149, 338, 361, 366, 389,
507, 508, 509, 518
Schnidtmann, M. 11, 28
Schnieder, E. A. 301, 818
Schnyder, P. 866
Schob, P. 271, 274
Schoenemann 151, 171
Schoenthal 159, 172
Scholz, W. 411, 417
van Schoonhoven, R. E.
115, 129
Schott, A. 9, 27
Schottmüller 157, 163
Schottky, J. 363, 866
Schreus 343, 344, 345, 346
Schrijver, D. 368, 374, 889
Schrijver-Bernhard 372
Schrijver-Hertzberger, S.
374, 375, 889
Schroeder 413
Schröder, George E. 858
Schröder, Knud 350, 858
Schröder s. Kleist-Schr.
Schuch, H. 378, 389
Schüller 189, 190, 191,
192, 198
Schulte 88
Schulte, H. 510, 518
Schulte, Heinrich 325, 340,
368, 889
Schultz 269
Schultz, E. G. 465, 468
Schultz, J. H. 194, 195,
196, 291, 312, 816, 820,
360, 866
Neurologie V, 13
Namenverzeichnis
Schultz-Hencke, H. 362,
866
Schultz-Reichmann 31
Schultze, F., s. Sieg-
mund - Sch.
Schulz, Bruno 411, 418
Schulz, B. 2, 3, 6, 12, 22,
28, 29
Schulze 462, 469
Schürmeyer 180
Schwab, Else 416, 418
Schwab, Georg 337, 389
Schwab, O. 74, 76, 87
Schwabach 265
Schwalber, L. 1, 26
Schwartz, Ch. 190, 193
Schwartz, H. G. 453, 468
Schwartz, Ph. 409
Schwarz 180
Schwarz, H. 499, 504
Schwarz, L. 461, 462, 468
Schwarz, O. 291, 816, 819
Seelert 142, 502
Sehrt, E. 107, 109
Seidemann, H. 243, 847
Seidemann, Herta 243, 247
Seifarth 164, 172
del Sel, M. 119, 126
Selinger 458, 466
Selinger, E. 117, 129
Selinsky, H. 413, 417
Sellei 157, 172
Selter 165, 172
Senise, T. 341, 889
Sérieux s. Bonnafoux- S.
Serin 371, 884
Setschenow 67, 87
Severino, Agrippa 372,
889
Sezary, A. 358
Shapiro, Ph. F. 99, 109
Sharlitt 180
Shelburne 169, 178
Sheppe, W. M. 858
Sherrington 44, 46, 48, 49,
60, 52, 53, 54, 55, 56, 60,
61, 63, 64, 65, 66, 71, 72,
74, 75, 76, 78, 80, 84, 85,
86, 87
Shigama s. Oba Sh.
Shwatzmann 168, 178
Sicard 114
Sicco 170, 174
Sickmann, W. 237, 247
Sidlick, D. M. 116, 129
Sieben, A. 363, 866
Siebenmann 265, 269
Siebert 165, 172
Siegel, O. 288
629
Siegfried 818
Siegl 168, 178
Siegmund-Schultze, F. 281
Sievers 161, 172
Silberberg 151
Simmel 93
Simon, A. 463, 468
Simon, Th. 389
de Simone 160, 171
Simons 58, 76, 87
Simons, Alfons 409, 418
Simpson 164, 172
Sımson, T. 297, 818
Singer, L. 820
Sioe 501
Sioli 340, 343, 890, 500,
504
Sitsen, A. E. 9, 27
Sittig 112
Sittig, O. 241, 242, 247
Sjögren, T. 22, 29
Sjögren, Torsten 407, 418
Skalweit 149
Skalweit (Rostock-Gehls-
heim) 368, 390
Skliar, N. 131, 142, 369,
390, 498, 508
Slauck 33
Sleeper, F. H. 375, 882
Slotopolski-Dukor, Benno
377, 390
van Slyke 177
Smirnow 83, 88
Smith 263, 462, 469
Smith, Dudley C. 346, 858
Smith, J. Chr. 16, 17, 21,
28
Smith, M. J. 113, 129
Smithburn 166, 178
Snesarev, P. 335, 890
Sokolansky, G. 411, 418
Solares, A. 858
Sollgruber 168, 173
Somogyi, J. 10, 25, 27, 80
Sondön, Torsten 376, 890
Soper 165, 172
Sörensen 175
Sorrentino, M. 112, 129
Sorsby, M. 403, 405
Sosmann 189, 191, 192,
198
Soulié, P. 112, 127
Souques 191, 198
Sowton 65, 87
Spagnoli, Bruno 890
Spatz 74, 75, 87, 271, 272,
274, 350, 478, 496
Specht 325
Speer 509. 512, 518
37
530
Spiegel, E. A. 373, 382
Spielmeyer 254, 272, 409,
410, 411, 445
Spinetta, Bernard 356, 858
Spiridis 464, 468
Spitz, Jakob 346, 358
Spornhauer, E. 409, 418
Spranger 275, 276, 277
Springer 96
Springovitz, C. 258, 261
Ssucharewa, E. G. 300,
301, 302, 818
Ssucharewa, G. 337, 890
Staehelin, J. E. 499, 504
Staehelin, R. 293, 2956,
299, 318
Staehelin s. Mohr-St.
Stählin, S. 25, 80
Staemmler 395
Stammers, F. A. R. 125,
129
Stanesco 488, 492, 495
Stanojevid, L. 112, 129,
358
Stanojovid 502, 504
Stapel, H. 475, 496
Stark 338
Starlinger 153, 171
Stauder, K. H. 6508, 509,
518
Steck, H. 367, 375, 390
Stefko, W. H. 7, 10, 27, 28
Stein 268, 269, 269
Stein, J. 244, 247
Stein, R. 261, 376, 888
Steinach 45, 85
Steinbrügge 263
Steindl, H. 477, 496
Steiner 327, 330
Steiner, G. 102, 109, 272,
274
Steiner, R. 282
Steinert 178
Steinfeld s. Neustadt-St.
Steinmann, Inge 414, 415,
418
Stekel 38, 39, 42
Stemplinger 890
Stenberg, S. 28
Stender, A. 270, 274
Stengel, E. 18, 29, 97,
109, 272, 274, 363, 865
Stenvers 190, 198
Stern 167, 172, 178
Stern, Erich 293, 294, 295,
296, 297, 299, 301, 819
Stern, F. 156, 471, 473,
486, 487, 491, 496
Stern, R. O. 357
Namenverzeichnis
Stern, William 94, 95
Sternberg 45, 57, 60, 85,
87
Sternberg s. v. Ungern-St,
Stertz 280, 287
Sterzinger, Othmar 369.
388
Stewart 168, 169, 174, 249
Stewart s. Purves- St.
Steyska 269
Stibor 495
Stief, A. 358, 375, 881
Stiefler 457
Stiefler, G. 114, 129
Stigler, R. 10, 27
Stirling 46, 85
Btocké 457, 468
v. Stockert, F. G. 148, 149
Stone 150, 151, 171
Stookey 155, 172
Storch 196, 327, 370
Störring 361
Störring, G. 145, 361
Störring, G. E. 143, 360,
866
Störring, W. 145, 149
Strandberg, James 347,
358
Strandgaard, N. J. 297,
319
Stransky 269
Stransky, Erwin 336, 390,
601, 504
Stransky, E. 308, 309, 820
Straub 176, 184
Straus, E. 112
Strauß 151, 171, 327, 340
Strauß, A. 408, 413, 418,
486, 487, 496
Strauß, E. B. 327, 340, 890
Strauß, Israel 417
Strauss 242, 244
Sträußler, E. 271, 278
Streit 151, 171
Strel’&uk, J. 378, 890
Strisower, Rud. 858
Stfitesky 141
Strughold 50, 60, 85, 87
Strümpell 33, 291
Struve 479, 494
v. Studnitz 79, 88
Stumpf 95
Stumpfl 368, 882
v. Stupnicki 477, 496
Suckow, Hans 375, 890,
415, 418
Suhl s. Levy-S.
Sullivan, Harry Stack 378,
390
Swierczek, Stanislaw 377,
390
Swift 362
Swift, George 472, 476,
496
Symanski 466, 468
Sysak 151, 171
Szasz 165, 172
Szondi, L. 9, 27
Szumlansky 151, 171
T
Tada 65, 86
Taga, Ken 272, 274
Tailleur 163, 172
Takahashy 182
Tamarin 166, 172
Tannenberg 150
Tansig 165, 172
Tapolewsky 157, 172
Tardieu, A. 819
Targowla, R. 370, 890
Tatum 179
Taussig 131, 142
Taylor, A. L. 503, 604
Teissier 168, 178
Teleky 462, 468
Terbrüggen 167, 178
Tesch 169
Teulié, Guilhem 371, 390
Thal-Rakischki 463 2
Thannhauser 503. 504
Thau, H. 372, 890
Thaysen, Hess s. Hess-Th.
Thebesius s. Flesch- Th.
Thiel, R. 255, 261
Thiele, A. 398, 405
Thiele, R. 247, 366
Thiers 133, 142
Thiersch 124
Thies, O. 253, 261
Thoma, E. 105, 106, 109
Thomas 60, 87
Thomas, A. 271, 274
Thomas s. André-Th.
Thompsom, B. A. 819
Thomsen s. Bennholdt-Th.
Thomsen, O. 10, 28
Thurel 465, 467
Thurel, R. 112, 127
Thurnwald, R. 398, 405
Thurstone, L. L. 2, 3, 27
Tiefensee 32
Timmer, A. P. 366
Timoféeff-Ressovsky, N.
W. 6, 27
Timofeev 510, 518
Timofeev, N. 341, 890
Tinel, J. 390
— — — — ——— ———— — ü ᷣ — - —
Tirelli, G. 257, 261
Titeca, Jean 372, 890
Tixier 163, 172
Többen, H. 281
Tomanek, Z. 819
Tomasson, H. 512, 513
Tonkich 67, 87
Tonndorf 266
Tönnies, J. F. 422, 422,
423, 423, 424, 480, 431,
432, 433, 487, 438
Torp 215
della Torre, P. L. 119, 126
Toulouse 142, 335
Toulouse, E. 300, 819, 390
Tournay, Raymond 856
Towne, E. 106, 109
Toyama, M. 272, 274
Trabaud 158, 172
Trainis 222, 282
Tramer, M. 337, 890
Trautmann 265, 266, 269
Trevis, L. E. 420
Travis, Lee Edward 881
Trendelenburg 153
Trendelenburg, W. 57, 87
Trendtel, F. 409, 418
Troisier, Jean 351, 358
Troisier 170
Trombetta 111
Trossarelli, Alberto
890
Troyer, E. 114, 129
Trunk, H. 400, 405
Tschalissow, M. A. 374,
890
di Tullio, B. 281
Turban, K. 297, 299, 301,
819
Turner, F. D. 21, 29
U
Uchtomsky 71, 87
Ueprus, V. 6, 27
v. Uexküll 71, 72, 87
Uhlenbruck 112, 129
v. Ungern-Sternberg, R.
399, 405
Upmack s. Ask-U.
Urbantschitsch 269
Urechia 131, 142, 174
V
Valdés, Lambea J. 319
Valensi s. Lévy-V.
Valentine 170, 178
Vallejo, Nagera A. 302,819
Valtis, J. 890
Vambéry 282
375,
Namenverzeichnis
Vambéry, R. 282
Vancea, P. 858
Vanelli, Angelo 337, 377,
891
Vanghan 170
Vargas 165
Vasile 168, 178
Vasilesco, N. 108
Vastine 192, 198
Vaughan 174
Vedrani, Alberto 378, 891
Veiel, C. 312, 820
Venturas, D. G. 281
Veo, Louise 338, 885
Veraguth 496
Vercelli, G. 493, 496
Vergas 172
Verschuer, O. v. 7, 10, 13,
27, 28, 398, 405
Verstraeten, Paul 377, 891
zur Verth 446, 452
Vervaeck 302, 819
Verworn 48, 51, 62, 85, 87
Verzàr, D. 48, 49, 52, 81,
85
Vészi 62, 87
Victoria, M. 242, 247
Vidal 159
Videla 162, 172
Vié, Jacques 338, 339, 891
Viehmann 413
Viernstein, Th. 400, 405
Vieten 134, 142
Viothen 462, 469
Viets 159, 160, 172
de Villaverde, José Maria
413, 418
Villinger 409, 418
Vinard s. Monier-V.
Vincent 170, 174, 190, 198,
475, 496
Visineanu 172
Vizioli 271, 278
Vogel, P. 363, 866
Vogeler 477, 496
Vogt, C. 415, 428, 428,
429, 433, 488, 435, 485,
438, 440, 440
Vogt, O. 415, 428, 428,
429, 435, 485, 438, 440,
440
Volhard 133
Vollmer, Hermann 411,
418
Vollmer 179, 183
Volochov, N. 300, 819
Volochov, P. 376, 891
Vonderahe, A. R. 113, 129
Voornveld 33
531
Vos, L. de 891
Voß 267, 268
Voss 110, 129
Voüte 295, 819
Vranešić, G. 120, 129
Vujić, V. 112, 129
Vujic 502, 504
W
Waaler, G. H. M. 24, 29
Wachholder 57, 58, 59, 63,
66, 67, 75, 76, 77, 78, 79,
80, 81, 86, 87, 88
Wachholder, K. 420, 420
Waddell, J. A. 346, 858
Wadsworth 168, 178
Wagner, M. 360, 866
Wagner-Jauregg, Julius
212, 281, 256, 340, 343,
376, 891
Wagnerov&-Hatrikovä, H.
511, 518
Waldbott 34
Walker, Cl. B. 250, 254,
261
Wallenberg 245
Wallgren 159, 160, 173
Walshe 58, 67, 88
Walter 152
Walther, F. 339, 374, 891
Wand 169
Wangenheim 166, 178
Ward 174
Warner, G. L. 866
Warner 87
Warstadt, Arno 367, 891
Wartenhorst s. v. Jaksch -
W.
Wasels s. Fischer-W.
Watkins, H. J. 113, 129
Watson 280, 281, 287
Watts 160, 172
Weber 305
Wechsler, J. S. 247
Wedensky 62, 85, 88
Weichbrodt 445
Weichsel, M. 866
Weil 351
Weil, Artur 270
Weil, A. 98, 99, 109, 270,
274
Weil, F. 366
Weill, G. 254, 261
Weill, J. 278
Weimann 464
Weinberg, E. 257, 261,
348, 858
Weinberg, W. 4, 21, 27
Weinberg 305, 475
37*
632
Weinmann 34
Weiss, E. 120, 129
Weiss, R. F. 316, 820
Weißenbach 159, 172
Weigmann, Max 512, 518
v. Weizsäcker 54, 70, 88,
204, 295
Welker, Karl 413, 418
Wellisch, S. 9, 28, 402, 405
Wellisch 33
Welti, M. H. 302, 319
Wenckebach, F. 306, 316,
320
Wenderowic, E. X. 411,
418
Werner 362
Werner, Gherta 374, 387
Werner, H. 304, 819
Wernicke 234, 241, 506
Werth, Hans 414, 415, 418
Wertham 150, 171, 464,
469
Wertheimer 93
Westenhöffer 151
Westphal, K. 17, 29, 302,
819, 364, 866
Wetzel 330
Wever 434
Wexberg 360
Wexler, D. 260, 260
Weyer 456
Weygandt 301, 819
White 166, 178, 250
White, E. Barton 503, 604
Wibaut, F. 5, 13, 28
Wichert 165, 178
Wichmann, B. 363, 866
Widal 351
Wiechmann 135, 136, 137,
138, 139, 140, 142
Wieser, W. v. 413, 418
Wigand, R. 464, 469
Namenverzeichnis
Wilder, Josef 135, 136,
137, 138, 139, 140, 142
Wildermuth, Hs. 370, 891
Wile, Udo J. 348, 858
Will 338
Williams 462, 469
Willis, Th. A. 105, 109
Willis 158, 172
Wilm 170, 174
Wilmanns 218, 231, 323,
331
Wilson, George 347, 857
Wilson, I. G. H. 271, 272
Wilson, J. 274
Wilson 487
Wimmer 100
Winkelmann 351, 358
Winkler, L. 257, 261
Winkler, W. F. 399, 405
Winkler 350, 473, 496
Winterstein, D. 77, 83, 88
Wittkower, E. 31, 36, 36,
37, 39
Wittmaak 263, 267, 269
van Woerkom, W. 236, 247
Wohlwill 272, 274
Wolepor, B. 319
Wolfer, L. 302, 319
Wolfer, P. 456, 469
Wolff, G. 91, 92
Wolff, P. 499, 504
Wolff, 8. C. 891
Wollstein, H. 366
Wolmann, I. J. 254, 260
Woronow 458
Worrall, R. L. 373, 891
Wortes 476, 495
Wright, A. D. 486, 496
Wright 169, 174
Wronsky 204
Wulff 159, 160, 161, 171
Wundt 95, 288, 305, 306
Würfler, P. 866
Würfler, Paul 338, 891
Wuth 510
Wyjasnowsky, A. E. 503,
504
v. Wyß, W. H. 290, 291,
292, 295, 298, 299, 306,
306, 307, 308, 816, 819,
820
Y
Yates, S. 866
Young, J. L. 866
2
Zange 152, 171, 268, 269
Zangger 453, 455, 469
Zanker, A. 866
Zapel 462, 469
Zara, Eustachio 375, 891
Zara 492, 496
Zdansky 34
Zeiß 77, 86
Zellmann, Grete 272
Zellmann, M. 274
Zelobov, P. 337, 891
Zerfar 178
Ziegler 33
Ziehen, Theodor 95
Zierl 410
Zilboorg, Gregory 369, 891
Zimmer, E. 110, 129
Zimmermann, W. 247
Zollinger 121, 129, 164,
178, 454, 469
Zondek, H. 511, 512, 518
Zsak6, St. 145, 149
Zuccola 167, 173
Zucker, Konrad 369, 891
Zutt, J. 242, 247
Zwirner, E. 241, 246
Sachverzeichnis
A
Abduzenslähmung 117
Abnorme, geistig, u. Geburtenkurve 2
—, Stellung in der Geburtenreihe 5
Abstinenzdelirien nach Vergiftung 501
Achillessehnenreflex s. a. Muskeleigen-
reflexe
Achsenzylinderveränderungen bei mul-
tipler Sklerose 272
Adams - Stokes - Symptom,
Einflüsse 313
Adaptation u. Hemmung 50
Addisonsche Krankheit u. Spontanhy-
poglykämie 139
Addition, latente (Richet) 44
Adrenalin bei Asthma bronchiale 32
Adrenalinausschüttung u. Affekt 307
Adrenalinbehandlung b. retrobulbärer
Neuritis 249, 251
Adrenalinsondenversuch n. Kopftrauma
473
Ähnlichkeitsgesetze (Gestaltspsycholo-
gie) 93
Angstlichkeit b. Herzklappenfehler 307
Athylenglykol, Vergiftung 4585 —
Affektanomalien u. Zurechnungsfähig-
keit 212
Affekte u. Herzgefäßsystem 305
—, körperliche Wirkung 306
Affektivität u. Körperbautyp 145
Affengehirn, bioelektrische Erscheinun-
gen 430
Agnosie 233 ff.
Agonisteninnervation, überschüssige 66
Agrammatismus s. a. Aphasie
— in der englischen Sprache (Fall) 238
Agraphie 238 f., 243
Akalkulie 243
Akinere, katatone, b. Schizophrenie 371f.
Akridinfarbstoffe, Wirkung auf die Me-
ningen 153
Akromegalie, Wirbelveränderungen 104
Akrozyanose b. Schizophrenie 372
Aktbegriff 95
Aktinomykose des ZNS. 171
Aktionsstiöme des Gehirns 420
— nach Hinterwurzeldurchschneidung
66
psychische
Aktionsströme u. rhythmische Tätigkeit
des ZNS. 79
— sensibler Nervenfasern 45 f.
Aktionsstrommess ungen b. Schizophre-
nie 372
Aktionsstromschwankungen im Gehirn
48
Aktivität, allgemeine psychische, u.
Aphasie 233
—, Störungen der psychischen 146, 148
Aktivitätsinsuffizienz, schizophrene 370f.
Aktivitätsstrom (Behaviouris mus) 280
Aktivitätszustand, korrelative Ande-
rungen im ZNS. 68
Aktstörung (Schizophrenie) 324
Akustikusstörung u. Herpes zoster 116
Alexio 238.
Alkalität, aktuelle 175
Alkalireserve 176 ff.
Alkaloidwirkung u. Körperbau 368
Alkalose u. Epilepsie 183
— des Organismus 179
— u. Tetanie 182 |
Alkohol u. Azidosis 185
— u. Nachkommenschaft 5f.
— u. Polyneuritis 114
Alkoholiker im Gesetz s. Sicherungs-
strafrecht
Alkoholhalluzinose u. Schizophrenie 329
Alkoholintoleranz nach gewerblichen
Vergiftungen s. d.
Alkoholismus, Erkrankungs wahrschein-
lichkeit 12
— u. Quecksilbervergiftung 463
— u. Radialislähmung 110
— u. Schwachsinn 409
— u. Zurechnungsfähigkeit 219 f.
Alkoholsucht, Sterilisation 395
Allelentheorie 10
Allergieforschung s. a. Asthma bron-
chiale
Allianzerscheinungen im ZNS. 53 ff.
Alopezie nach meningealer Reizung 157
— u. Polyneuritis 113 f.
Alters veränderungen der Wirbelsäule
103
Alzheimersche Krankheit u. Aphasie 240
Ambivalenz 326
534
Amentia u. Schizophrenie, Differential -
diagnose 329
— -virus u. Schizophrenie 335
Amimie b. Quecksilbervergiftung 463
Ammonshornveränderungen b. amauro-
tischer Idiotie 410f.
Amnesie, retroaktive 147
Amnesien b. Schizophrenie 326
Amöbendysenterie u. Arachnoiditis ad-
haesiva 156
Amöbenerkrankungen u. Meningitis 158
Anämie, perniziöse, symptomatische
Psychosen 134
Anästhetica, Wirkung auf das Rücken-
mark 101
Anascharaucher, Erfahrungen b. 498 f.
Anfälle s. a. Krämpfe, Epilepsie, Hy-
sterie
—, epileptische, u. tuberöse Sklerose
413
— b. gewerblichen Vergiftungen s. d.
— b. Menière'scher Krankheit 263, 265
— b. Schizophrenie 327, 335
Angina u. Meningitis 161, 164
— pectoris u. Angst 308
— — u. Herpes zoster 116
— — (Herz u. Psyche) 310
— — u. Herzneurose 312
— —, organische u. nervöse 363
Angiofibrom der Arachnoidea, Fall 97
Angioma racemosum mit Kalkeinlage-
rung 191
Angiopathia labyrinthica 262 ff.
Angst u. Herz 132, 308 ff.
— — — (Braun) 309 ff.
— u. Verfolgungsideen 332
Angstaffekt des Herzneurotikers 307
Angsteinflüsse bei Hypertonikern 315
Angsthysterie (Neurosenlehre) 197
Angstneurose u. Asthma bronchiale 42
Anilinvergiftung 458
Anlage u. Umwelt (Kriminalbiologie)
400
— — — b. Zwillingen 16
Annäherungskontraktur 73
Anosognosie 245
Anoxämie, paradoxe, b. Epilepsie 183
Anstaltsaufenthaltsdauer b. Schizophre-
nie 378
Anstaltserziehung krimineller Jugend-
licher 224 f., 229
Anstaltsunterbringung s. a. Verwahrung
— b. kriminellen Trinkern 221 ff.
Anthropologie u. Erblichkeitslehre 393
Anthropometrie 8
Antigonokokkenserum u. Radialisläh-
mung 112
Antipyrin bei Morphiumentziehung 185
Antipyrininjektion b. Ischias 121
Sachverzeichnis
Antiseptika, Wirkung auf die Meningen
153
Antithyreodin b. Basedowpsychose 135
Antrieb 278 f.
—, innerer (Schizophrenie) 370
Aortenaneurysma, Rekurrensschädi-
gung 119
— mit Rückenmarkskompression 97
Aphasie 233 ff.
— b. Hypoglykämie 140
— b. Parotitis epidemica 159
— u. Sprachstörung Schizophrener 324
Apiol, Polyneuritis nach 112
Apiolvergiftung 502
— u. Sehnervenstörung 255
Apophysen, persistierende 104
Apoplexie u. Labyrintherkrankung 266
Apraxie 233 ff.
Arachnoidealblutung nach elektrischem
Trauma 482
Arachnoiditis adhaesiva circumscripta
107
— — spinalis 155 f.
Arbeitsfähigkeit b. Schizophrenie 330
—, subjektive, b. Herzkranken 311
Arbeits psychologische Untersuchungen
an Kreislaufkranken 316
Arbeitstherapie b. Schizophrenie 378
Architektonik d. Rinde u. bioelektrische
Erscheinungen 437 ff.
Area parietalis, Feldeigenströme 425,
429
— peristriata, Feldeigenströme 425
— postcentralis, Feldeigenströme 425
— praecentralis agranularis, Feldeigen-
ströme 425, 429
— retrosplenialis granularis dorsalis,
Feldeigenströme 425, 429
— striata, Feldaktionsströme 432
— —, Feldeigenströme 425, 429
— temporalis anterior, Feldaktions-
ströme und Architektonik 433
Areae architectonicae, bioelektrische
Zusammenhänge 437 ff.
Arsenobenzolschädigung 346
Arsenschädigung der Nerven 112
Arsenvergiftung 464
Arteria auditiva (Anatomie) 265
— centralis retinae u. Optikusatrophie
258
Arterienspasmen u. Hirntumorentste-
hung 484
Arteriosklerose u. Depression 507
Arteriosklerose des Gehirns, Erkran-
kungswahrscheinlichkeit 12
— u. Hypertonie 314
— b. Schädelverletzten 478
— u. Trigeminusneuralgie 123
— u. Unfall 480
KA — a
Sachverzeichnis 535
Arthritis deformans u. Psyche 299
Arthritismus, Erbfragen 25
Arthrodese nach Poliomyelitis 444
Arthropathie s. a. Gelenkerkrankungen
Arzt u. Patient 293
— — — b. Herzkranken 311
Asoziale, Sterilisation 397
Asozialität, schizophrene (Erklärung v.
Monakows) 333
Aspergillose der Meningen 171
Asphyxie u. Entbindungslähmung 111
Assoziationsexperiment b. Manischen
506
Assoziationsleitung, Störung, u. Aphasie
240
Asthenie 276
— u. Kapillarent wicklung 11
— b. Kleinhirnausfall 74
— u. Lungentuberkulose 302
Astheniker, pharmakologische Unter-
suchungen 368
, Tuberkulosesterblichkeit 304
Asthenische Typen (Charakterologie) 286
Asthma u. Angst 308
— bronchiale 31 ff.
Asthmahusten 34 f.
Ataxie, familiäre, u. hypertrophische
Polyneuritis 114
—, innerseelische 336
— d. Tabiker 66
Atembewegungen im katatonischen Stu-
por 374
Atemübungen b. Asthma bronchiale 41
Atemzentrum u. Morphinismus 186
Atherosklerose u. Sehnervenerkran-
kungen 254 f.
Athetose, Abortivformen 415
— nach Elektrotrauma 483
Athleten, pharmakologische
suchungen 368
Athletik, Affektivität 145
Atmung, hypnotische Beeinflussung 306
— u. Reflexbahnung 60
— u. Säurebasengleichgewicht 176
— b. Stuporen 181
Atmungsänderung u. Hemmung 68
Atmungsinnervation, rhythmische 81
Atmungsmechanismus, Physiologie 77
Atmungsregulation, chemische 82
Atonie nach Kleinhirnausfall 74
Atropin b. Manischen 512
Atropinbehandlung b. Optikusatrophie
258
Atropintherapie b. gastrischen Krisen
355
Auffassungsstörung b. subkortikaler De-
menz 148
Aufgaben der Erlebenspsychologie 143
Unter-
Aufgabenbewußtsein, Störung (Aphasie-
lehre) 236
Aufmerksamkeit b. Schizophrenie 326
—, Störung der optischen 243 f.
—, Störung nach Starkstromschädigung
148
Aufmerksamkeitsschwankungen, rhyth-
mische 77f.
Auf merksamkeitsstörung u. Aphasie 238
Aufmerksamkeitstyp u. Körperbau 369
Augenmuskelstörungen b. aseptischer
Meningitis 159
Ausdruck, sprachlicher, b. Schizophre-
nie 371
Ausdrucksbedeutung d. Organe 305
Ausdrucksbewegungen Schizophrener
327
Ausdruckserscheinungen, körperliche,
der Gefühle 290
Ausdruckstätigkeit u. Erlebens psycho-
logie 143
Auslese, menschliche 392
Außenwelt (Allgemeine Psychologie) 91
Autismus u. Schizoid 323
Automatismen, Störung b. Apraxie 341f.
—, subkortikale 59
— im ZNS. 77
Automatismus (Sinnestäuschungen) 324
Autosuggestion (Psychotherapie) 194 f.
Autovakzine b. Schizophrenie 335
Avitaminose u. Pellagra 503
Azetylcholin b. Manie 512
Azidität, aktuelle 175 ff.
Azidose u. Asthma bronchiale 32
— u. Krampfanfälle 184
— des Organismus 179
— u. Tetanie 182
B
Babinskis Phänomen (Physiologie) 76
Bahnung u. Reflexschaltung 72
Bahnungen, Physiologie des ZNS. 56f.
Bakterienabwehr u. Azidose 180
Bakterium enteritidis u. Meningitis 169
Bandscheiben s. Wirbelsäule
Barbitursäurevergiftung 501f.
Bariumvergiftung 463 f.
Basalganglien u. Bulbokapninwirkung
373
— b. Meningitis 150
— b. multipler Sklerose 272
Basedow, Psychose b. 134 f.
Basedowsche Krankheit, Herzstörung u.
Psyche 307
— — b. Tuberkulose 301
Bazillenträger (Meningitis epidemica) 166
Beckenerkrankungen u. Ischias 120
Beeinträchtigungswahn, praeseniler, u.
Schizophrenie 329
636 Sachverzeichnis
Begutachtung organischer Nervenkrank-
heiten 470 ff.
Behaviourismus 280
Benzinvergiftungen 453
Benzolvergiftung 456
Berührungsempfindungen, Physiologie55
Beruf u. Neurose 364
Berufe, akademische (Sozialbiologie) 399
Beschäftigungstherapie 330
— u. Psychomotorik 340
— b. Tuberkulösen 295
Besserungsanstalten s.Anstaltserziehung
Bestrahlungstherapie b. Ischias 120 f.
Bettnässen b. Zwillingen 14
Beugekontraktur nach Kniegelenkver-
steifung 444
—, Physiologie 73
Beugereaktionen (Physiologie des ZNS.)
76
Beuger - und Streckerzentren, gekoppelte
52
Beugereflex, Bahnung 56 f.
— nach Enthirnung 73
— u. Hemmung 50f.
— u. rhythmische Tätigkeit des ZNS.
78
—, Summationszeit 46
Bewährungssystem (Strafrecht) 223
Bewegung u. Handlung 91 f.
— u. rhythmische Tätigkeit des ZNS.
79
—, willkürliche, Physiologie 63
Beweg ungsantriebe u. Affekte 306
Bewegungsinner vation, Schema 81
Bewegungs mechanismus u. rhythmische
Tätigkeit des ZNS. 77
Bewegungsreaktionen, Aufhebung b.
äußerem Reiz 67
Bewegungsrückschlag 79
Bewegungsstörungen b. Säuglingen 415
Bewegungsvorstellungen u. Apraxie 241
Bewußtsein, alternierendes 146
—, Enge u. Hemmung 63
— u. Gehirn 91
, Psychopathologie 148
— b. Schizophrenie 326
Bewußtseinsinhalte, rhythmische Glie-
derung 80
Bewußtseinslage b. Schizophrenie 334
Bewußtseinspsychologie u. Behaviouris-
mus 280
Bewußtseinsschichtung
logie) 277
Bewußtseinsstörung s. a. Zurechnungs-
fähigkeit
Bewußtseinstrübungen b. Schizophrenie
329
Bewußtseinsveränderung b. Hypogly-
kämie 136 ff.
(Charaktero-
Bikarbonate im Blut 176
Bildnerei der Schizophrenen 331
Biologie u. Psychologie 89 f.
Biotonus 275
— u. manisch-depressives Irresein 507f.
Bismogenol b. Neurolues 344
Blasenstörungen b. Tabes 366
Blausdure vergiftung 459
Bleienzephalopathien 461
Bleivergiftung 112
— u. Meningismus 157
— u. Schizophrenie 367 f.
Blendung u. Reflexhemmung 67
Blepharospasmus b. Tabes 353
Blickbewegungen u. Dyslexie 244
Blicklähmung nach Kopftrauma 472
Blut befund b. Schizophrenie 335
Blutbild b. gewerblichen Vergiftungen
s. diese
— b. Morphinisten 500
— b. Schizophrenie 375
Blutchemismus b. Psychosen s. Chemie
d. Psychosen
— u. Seelenleben 95
Blutdruck u. Malariabehandlung 348
—, physikalische, chemische u. pharma-
kologische Grundlagen 316
— u. Säurebasengleichgewicht 180
— b. Schizophrenie 375
— b. Tabes 354
Blut drucksteigerung s. a. Hypertonie
—, emotionelle 307
Blutgruppen b. Geisteskranken 375
— b. Mongolismus 413
Blutgruppenforschung 9f.
Blutkapillaren b. manisch-depressivem
Irresein 511
Blutkörperchensenkung b.
phrenie 375
Blut- Liquorschranke b. Schizophrenie
375
Blutreize u. automatische Erregung im
ZNS SIT.
Blutsverwandtschaft u. Schwachsinn
408
Bluttransfusionen b.
376
Blutverlust u. Sehstörung 258
Blutverluste u. Reflexumkehr 52
Blutzucker b. Geisteskranken 374
Blutzuckergehalt s. a. Diabetes u. Hypo-
glykämie
— u. Säurebasengleichgewicht 179
Blutzuckerspiegel b. manisch-depressi-
vem Irresein 511
Bovarysmus 361 f.
Brachialneuralgien 124 f.
Brandstifter, Kastration b. perversen
362
Schizo-
Schizophrenie
u — 4
Sachverzeichnis
Bromspiegel b. manisch-depressivem
Irresein 511
Bronchialasthma s. Asthma bronchiale
Bronchitis, infektiöse, u. Asthma bron-
chiale 34
Bulbärsymptome b. aseptischer Me-
ningitis 160
Bulbokapninstarre u. Schizophrenie 372
Bulbokapninversuch (Schizophrenie)
327
c
Calmetteimpfung u. tuberkulðse Me-
ningitis 163
Cannabinol s. Haschisch
Capsula interna, Summationszeit 46
Cardiazol b. Melancholie 512
Cauda equina, tuberkulöse Meningora-
dikulitis 165
Charakter, epileptoider 18
— u. Herzkrankheit 314
— u. Körperbau 7
— u. Krankheitserlebnis 291
—, tuberkulöser 293
Charakterenthüllung b. Tuberkulose 301
Charakterentwicklung, biologische Fak-
toren 8f.
Charakterologie 275 ff.
—, Grundlagen Op
— u. Zwillingsforschung 14
Charakterreaktion b. Schizoiden 286
Charakterstörungen, Psychotherapie 196
Charakterstrukturformeln (Ewald) b.
Kriminellen 400 f.
Charakterveränderung durch Sanato-
riumsaufenthalt 297
Charakterveränderungen b. Hypertonie
315
— nach Schädeltrauma 479
Chemie d. Psychosen 175 ff.
Chiasmatumoren, Röntgenbefunde 190f.
Chinin b. Labyrintherkrankungen 269
Chininderivate, Wirkung auf die Me-
ningen 153
Chinintherapie b. Malarisenzephalitis
487
Chloralhydrat b. Schwindelanfällen 268
Chlormethylvergiftung 454
Chlorretention u. psychische Störungen
133
Cholesteatom des Rückenmarks 98
Cholesterinspiegel im Blut b. Queck-
silbervergiftung 463
Cholin b. Morphiumentziehung 185
Cholinpräparate b. Angstzuständen 364
Chorea u. Schizophrenie 335
Chorioiditis tuberculosa 165
Chorioretinitis, tuberkulöse 253
537
Chronaxie b. autogenem Training 196
— b. Schizophrenie 372
Chrona xie untersuchungen u. Hemmung
65, 67
Claustrumherd u. Aphasie 236
Coccobacillus meningitidis 169
Cochlearerkrankungen s. Kochlearer-
krankungen
Codex iuris canonici s. Strafrecht
Commotio s. Kommotio
D
Dämmerzustände, episodische 329
—, —, Vererbung 23 f.
— b. Hypoglykämie 137
Darmblut ung u. Sehstörung 258
Darmmotilität b. manisch-depressivem
Irresein 511
Darmtätigkeit, automatische, u. Stoff-
wechselreize 83
Daseinsanalyse u. Psychopathologie 144
Dauerschlafbehandlung b. Schizophre-
nie 330, 377
Debilität, mongoloide 413
Debilitätspsychose 341
Debilitas mentis u. Zurechnungsfähig-
keit 214f.
Decerebration s. Enthirnung
Decholin b. manisch-depressivem Irre-
sein 512
Degenerationspsychosen u. Schizophre-
nie 329, 340
Degenerationszeichen u. Körperbautyp
369
Dehnungsreflex 72 ff.
Delir b. symptomatischen Psychosen
131 f.
Delirien b. Morphiumentziehung, Er-
klärung 185
— nach Vergiftung 501
Deltoideuslähmung, einseitige, b. Polio-
myelitis 443
Dementia praecocissima 329, 337
Dementia praecox s. Schizophrenie
— — u. Schizophrenie 334, 338
Demenz nach Schädeltrauma 479
— schizophrene 329
—, senile, Erkrankungswahrscheinlich-
keit 12
—, sub kortikale 148
Denguefieber u. Pseudotabes 356
Denken 505 f.
— , archaisches 277
— b. Erwachen 148
— im Haschischrausch 497
—, hypochondrisches 285
—, klebendes 360
—, Psychopathologie 145
—, schizophrenes 371
638
Denken u. Sprechen 233 f.
Denkform, subjektive, u. Zuordnungs-
versuche 236 f.
Denkstörung b. Manischen 506
—, schizophrene 324
— u. Schizophreniediagnose 329
Denkstörungen u. Sprachstörungen b.
Schizophrenen 239
Depersonalisationsphänomene 245
Depolarisationswellen 51
— am ZNS. 48
Depression, Existenzform 506
— u. Herzleiden 308
—, initiale, b. Tuberkulösen 301
Depressionen s. a. Melancholie
— b. Juden 506f.
Depressionszustände d. Schizophrenen
338
— (Kurt Schneider) 507
Dermatitiden u. Salvarsanbehandlung
345
Dermatitis u. Apiolvergiftung 255
Desensibilisierung u. Ataxie 66
Desorientiertheit b. subkortikaler De-
menz 148
Desorientierung b. Korssakoff-Syndrom
147
Diabetes u. amyotrophische Lateral-
sklerose 492
— u. Azidose 177
— u. Psychose 138 ff.
—, Reflexanomalien 112
— u. Säurebasengleichgewicht 180
— u. Tabes 356
Diättherapie b. Asthma bronchiale 32 f.
— b. Labyrintherkrankungen 269
Diathermie b. Tabes 350
Dichlorhydrin, Vergiftung 455
Dienstbeschädigung s. a. Begutachtung
Dikodid b. Melancholie 512
Dikodidmißbrauch 502
Dinitrobenzolvergiftung 458
Dispargen b. epidemischer Meningitis
168
Disposition, Begriffe (W. Stern) 94
Dissimulation b. organisch Herzkranken
313
Doppelgängerwahn 370
Drangzustände b. CO-Vergiftung 465
— b. Schwachsinnigen 143, 414
Drusenbildung b. multipler Sklerose
272
Drusenfunktion b. Morphiumentziehung
185
Durchschnittsbevölkerung,
thologie 11f.
Dyslexie 243 f.
Dysplastiker,
304
Psychopa-
Tuberkulosesterblichkeit
Sachverzeichnis
Dystrophia adiposo-genitalis nach Po-
liomyelitis 442
— — — u. Schizophrenie 368
— musculorum, traumatische Auslö-
sung 493
— — progressiva nach Poliomyelitis
442
Echinococcus des Rückenmarks 98
Eheberatung, eugenische 398
— b. Schizophrenen 378
Eheproblem 96
Eidetik b. Schwachsinnigen 415 f.
— u. Typenlehre 8
Eifersuchtswahn, alkoholischer, u. Schi-
zophrenie, Diff.Diagn. 330
Eigenbeziehung, schizophrene 325
Eigenblutbehandlung b. Schizophrenie
376
Eigenreflex u. Summationswirkung 45
Eigenschaften, Vererbung erworbener 3
Eihautdiagnose b. Zwillingen 13
Eindrucksfähigkeit beim Hypochonder
285
Einheitsbildungen, sprachliche 233
Einheitsprinzip in der Psychologie 95
Einsicht u. Strafmaß b. Jugendlichen
227 f.
Einstellung, motorische (Aphasielehre)
235
Einstellungswechsel b. Agnosie 244
Eiweißkörper u. Wasserstoffionenkon -
zentration 176
Eklampsie u. Lues 352
Elektrenkephalogramm 421, 431
Elektrische Traumen des ZNS. 482
Elektrizitätsschädigung u. Aufmerksam-
keitsstörung 148
— d. Rückenmarks 100
Elektrokardiogramm, hypnotische Be-
einflussung 306
Elektrountersuchungen der Großhirn-
rinde s. diese
Elektrozerebrogramm der
421
Empfinden (Psychopathologie) 144f.
Empfindungen, Physiologie des ZNS.
54 f.
— u. Rhythmus 80
Encephalitis u. aseptische Meningitis
160 f.
— disseminata 271
—, Drangzustände 415
— epidemica, Begutachtung 491f.
— — u. Herpes zoster 115
— — u. Kapillarentwicklung 11
— — u. Manganvergiftung 461
— — u. Spinalerscheinungen 100
Säugetiere
vi
Sachverzeichnis 539
Encephalitis u. Malaria 486 f.
— u. Meningitis 150
, postvakzinale, u. Meningitis 158
— Psychosen b. 130 f.
— u. Schizophrenie 323
— u. Schizophrenie, Diff.Diagn. 329
— u. Schwachsinn 408 f.
— u. traumatischer Parkinsonismus
488 ff.
Encephalogramm nach Hirnerschütte-
rung 472
— u. Meningitis 154
Encephalographie b. Schizophrenie 376
Encephalomyelitis acuta 99 f.
— disseminata u. retrobulbäre Neuritis
251f.
— u. Lymphogranulomatose 99
Encephalopathia traumatica 155
Encephalopathien, kindliche 336
—, traumatische 477
Enchondrom 97
Endogen (Begriff) 359
Endokrinologie s. a. System, endokrines
— u. Schizophrenie 327
Energie, seelische (Bergson) 90 f.
Energiestoffwechsel b. Stupor 182.
Entbindungslähmungen 110 ff.
Entfremdungszustände, episodische 340
Enthemmung im ZNS. 69
Enthirnung (Physiologie des ZNS.) 7lff.
Enthirnungsstarre 58
—, Physiologie des ZNS. 74 ff.
— u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 79
Entladungen, längerdauernde moto-
rische (Physiologie des ZNS). 49
Entschädigungspflicht b. Rauschgift -
sucht 499
Entspannungsgymnastik u. autogenes
Training 196
Entstellung u. Neurose 360
Entwicklungsmechanik, vergleichende
6f.
Entwicklungspsychologie 93
Entwicklungsstörungen, neurotische 203
Enuresis b. Kindern (Psychotherapie)
198
— b. Lues congenita 355
— u. Wirbelsäulenmißbildung 105
Ependym, ventrikuläres, u. Schizo-
phrenie (v. Monakow) 333
Ephedrin b. Asthma bronchiale 32
— b. Manie 512
Ephedrininjektion u. Stützreaktion 77
EpiduralabszeßB 99
Epilepsie u. Alkoholismus der Eltern 6
— u. Benzolvergiftung 4567
— u. Blutdruck 180
— u. Depression 507
— nach elektrischem Trauma 483
Epilepsie, Erkrankungswahrscheinlich-
keit 12
— in Familien Hysterischer 20
— u. innere Erkrankungen 132f.
— u. Interparietalsyndrom 145
— u. Kapillarentwicklung 11
— u. Lues 351
— nach Malaria 487
— in Psychopathenfamilien 19
— u. Pyknolepsie, Diff.diagn. 364
— u. Schizophrenie 17, 341
—, Sterilisation 395
— u. Tetanus 493
—, traumatische 472, 475, 477f.
— u. traumatischer Parkinsonismus
489
—, Wahnideen 326 f.
— u. Zwillingsforschung 15f.
Epilepsieproblem, Säurebasengleichge-
wicht 183
Epileptiker u. Körperbau 17f.
Epileptoide 286
Erbgang b. Leberscher Sehnerven-
erkrankung 253
— b. Schizophrenie 321
Erbkrankheiten u. Rasse 402
Erblichkeit 1ff.
— u. Asthma 31
— b. multipler Sklerose 271
Erblichkeitslehre, angewandte 392 ff.
Erblindung b. Tabes 255 f.
Erbpat hologie 393
Erbprognose b. Schizophrenie 369
— b. Epilepsie 12
Ergotamin b. Melancholie 512
Erleben, Arten 144 ff.
—, Grundeigenschaften 146 ff.
—, Hintergrund 148 f.
Erlebensform, oneiroide 329
Erlebens psychologie, systematische 143
Erlebenstyp u. Körperbau 369
Erlebnis d. Krankseins 288 ff.
Erlebnisbedeutung (Neurose) 360
Erlebnistyp u. Rorschachscher Versuch
144
Erlebnis verarbeitung beim Hypochon-
der 285
Ermüdung u. Erregbarkeit 49 f.
— u. Funktionswandel 245
Erotiker (Freud) 282
Erregbarkeit (Charakterologie) 275
, gesteigerte, b. Herzkranken 307
, neuromuskuläre, u. Alkalose 182
—, reflektorische, b. Dehnung 73
—, sensible, b. Trigeminusneuralgie 124
—, veränderte, u. Hemmung 49
Erregbarkeitsschwankungen im ZNS. 43f.
Erregbarkeitszustand der Hirnrinde u.
bioelektrische Erscheinungen 437ff.
540 Sachverzeichnis
Erregung (Dauerzustand) u. Tempera-
ment 275
— u. Hemmung (rhythmische Tätigkeit
des ZNS.) 81
—, motorische, u. Azidose 181
Erregungen, automatische, durch Stoff-
wechselreize 81f.
—, Wirkung wiederholter gleichartiger,
im ZNS. 44f.
—, Zusammentreffen verschiedenarti-
ger nervöser 53 ff.
Erregungsdominanz 71
Erregungsgleichge wicht u. Kleinhirn-
funktion 74
Erregungsinterferenz, scheinbare Hem-
mung durch 63
Erregungsrückschlag im ZNS 78
Erregungsrückstand u. supernormale
Phase 48
Erregungsrhythmen im ZNS. 77 ff.
Erregungsschalt ung 59
Erregungs zustande b. Diabetes 137
— b. Häftlingen 363
— b. CO-Vergiftung 465
Ersatzbefriedigung (Asthmagenese) 37
Erschöpfung u. Psychose 130
Erschöpfungszustände u. Zwangserleben
361
Erstgeborene u. Erbkrankheiten 3
Erwachen, Psychopathologie 148
—, Selbstbeobachtung (Schizophrenie)
370
Erysipel, Hirnbefund 131
— d. Kopfes u. Meningitis 158
Erythromelalgie 482
Erythroprosopalgie 482
Erziehung krimineller Jugendlicher 224f.
Erziehungsbiologie 392
Es (Freud) 281
Eugenik s. Rassenhygiene
— u. Schwachsinn 409
Eukaininjektion b. Ischias 121
Eunuchoidismus u. Muskelatrophie 25
Euphorie der Tuberkulösen 298 ff.
— b. Zwischenhirnsyndrom 280
Exantheme b. aseptischer Meningitis
160
— b. epidemischer Meningitis 167
Existentialanalyse (Ideenflucht) 505
Existentialanalyse u. Psychopathologie
143 f.
Existentialphilosophie u. Schizophrenie
370
Exogen (Begriff) 359
Exophthalmus b. Thoraxkompression
258 f.
Experimentalpsychologie (Schizophre-
nie) 322
Expressivsprache (Aphasielehre) 236 f.
Extrasystolie (Herz u. Psyche) 310
— u. Psyche 307
—, psychisches Verhalten b. 313
Extremitätenreflexe, phasische (Phy-
siologie d. ZNS.) 58
Extrospektion (Pereonalismus) 94
Extroversion b. Tuberkulösen 301
F
Fahrlässigkeit (Trunkenheit) 220
Falx cerebri, Verkalkung 192
Familie, Schutz im Strafrecht 208
Familienanamnese, klinische 2
Familienlasten, Ausgleich 393, 397
Farbennamenstörungen 238
Fazialislähmung 116, 118
—, rezidivierende, Erbfragen 25
Fazielisparese u. traumatischer Parkin-
sonismus 489
Fazialisparesen b. Menière'scher Krank-
heit 265
Fehlleistungen u. Agnosie 243
— u. Sprache 233
Fehlreaktion, partielle, u. Schizophrenie
338
Feldaktionsströme 419 ff., 432
Feldeigenströme 419 ff., 424 f.
— b. unphysiologischen Bedingungen
435 f.
Felsenbein veränderungen, Röntgenbe-
funde 190
Fermente, proteolytische, im Liquor 376
Fermenttherapie b. amaurotischer Idio-
tie 411
Fettleibigkeit u. Malariabehandlung 348
Fibromatose, subunguale, u. tuberöse
Sklerose 414
Fieber, psychische Veranderungen 289
Fieberkuren b. Neurolues 344
Fingeragnosie 343
Fingergrundgelenkreflexe u. Summa -
tions wirkung 45
Fleckt yphus, symptomatische Psychose
b. 131
Foramen jugulare, Syndrom 119
— opticum, Erweiterung b. Gliomen
190
Forensische Psychiatrie 205 ff.
Formaldehyd vergiftung 456
Formauffassung, Störung der optischen
244
Formdeuteversuch u. Körperbau 368 f.
Fortbewegung, Physiologie 59
—, rhythmische, u. Stoffwechselreize 83
Fortpflanzung, unterschiedliche (Sozial-
biologie) 399
Frenasthenie 337
Fruchtbarkeit v. Verbrechern 401
Frühentlassung Schizophrener 330, 378
— 2
Sachverzeichnis
Fühlen, Psychopathologie 145 f.
Fürsorge, offene, b. Schizophrenie 378
Fürsorgeerziehung Jugendlicher 224
Fürsorgefragen b. Schizophrenen 330
Funktion u. Lokalisation der Hirnrinde
434
Funktionell u. psychogen 359
Funktionswandel im Bereich des op-
tischen Systems 244
Funktionswanderung (Schizophrenie)
371
Furchtkomplex b. Tuberkulösen 302
Fußklonus, Physiologie 78
d
Ganglienzellen u. bioelektrische
scheinungen 428
Ganglion Gasseri b. Herpes zoster 115
— —, Tumor, Diff. degen, 125
Gangstör ungen s. a. Orthopädie
Ganzauffassungen b. Zwillingen (ex-
perim. Psychologie) 14
Ganzheitspsychologie (Aphasielehre) 236
Ganzheitsstörung 239
Gebrechlichenzählungen, amtliche 11f.
Geburtenfolge u. Schwachsinn 21
Geburtenreihe, Stellung in der 2f.
Geburtenrückgang (Sozialbiologie) 399
— u. Sterilisationsgesetz 397
Geburtslähmungen, Behandlung 111
Geburtsmonat u. Psychopathie 2
Geburtstrauma u. Schwachsinn 408 f.
Gedächtnis, Psychopathologie 147
Gefäßerkrankung des Rückenmarks 100
Gefäßerkrankungen u. Ischias 120
— b. Menièrescher Krankheit 263 f.
— u. Sehnerv 254
—, syphilitische 361 f.
Gefäßstörungen b. Halsrippen 111 f.
Gefäßveränderungen b. Landryscher
Paralyse 115
— u. Polyneuritis 115
— b. tuberkulöser Meningitis 164
— u. Wurzelsymptome 106
Gefangene, psychische Störungen, 8.
Haftpsychosen
Gefühl (Psychologie) 92
Gefühle, experimentelle Untersuchung
306
— b. Hypochonder 285
Gefühlsintegration b. Schizophrenie 334
Gefühlsleben d. Schizophrenen 370 f.
Gefühlsmensch 277
Gefühlsschicht u. Idealbildung 284
Gefühlsstörung b. Schizophrenie 326
Gefühlszustand, krankhafter, u. Wahn
325
Gefühlszustände u. Triebe 146
Er-
541
Gehirn s. a. Zentralnervensystem (Phy-
siologie), Hirn, Großhirn
— u. Bewußtsein 91
—, syphilogene Erkrankungen 343 ff.
Gehirnbefunde b. inneren Erkrankungen
131 ff.
Gehirnblutungen b. Benzolvergiftung
457
Gehirnerkrankung u. Angst 310
Gehirngewicht 9
Gehirnreizung, direkte, u. Summations-
wirkung 45
Gehörstörungen s. Otologie
Geisteskranke im Strafrecht s. foren-
sische Psychiatrie
Geisteskrankheit u. Blutgruppe 10
— u. Tuberkulose 303 ff.
Geisteskrankheiten, Häufigkeit 12f.
Geistesschwäche s. a. Unzurechnungs-
fähigkeit
Geisteszustand, obligatorische Unter-
suchung b. Verbrecher 218 f.
Gelenkaffektionen u. Geisteskrankheit
302
— d. Wirbelsäule 105
Gelenkerkrankungen,
446
Gemeingefühle (b. Herzkranken) 309
Gemeinschaft u. Neurose 200 ff.
Gemütsbewegungen, Einfluß auf die
Lungentuberkulose 296 f.
Gemütserregungen u. körperliche Krank-
heiten 291
Generalprävention (Strafrecht) 205 f.
Generationsvorgänge u. Schizophrenie
323
Genieproblem 96
Geruchsstörungen nach Kontusionen
478
Geschlecht u. Schizophrenie 321
Geschlechtscharaktere u. Keimdrüsen-
funktion 8
Geschlechtedisposition b. Krebskranken
24
Geschlechtsdrüsenextrakte b. Schizo-
phrenie 377
Geschlechtsgebundenheit b. Sehnerven-
erkrankung (Leber) 253
neuropathische
Geschmacksempfindungen, Phyiologie
55
Geschwistermethode 4
Geschlechtsumwandlung, Verlangen
nach 362
Gesellschaft u. Strafrecht 206 ff.
Gesellschaftsordnung (Psychotherapie)
200
Gesichtsfeld b. Optikuserkrankungen
8. d.
— b. retrobulbärer Neuritis s. d.
542
Gesichtsfeld, Schrumpfung 245
— b. Tabes 354
Gesichtsfeldstörungen b. aseptischer
Meningitis 160
Gestalten, die physischen (Köhler) 93f.
Gestalts psychologie 93f.
— (Aphasielehre) 236
—, Kritik 94
Gestaltstheorie (Agnosielehre) 244
Gestation u. Schizophrenie 323
Gewebeazidität u. Blutazidität 179
Gewerbevergiftungen s. Vergiftungen
Gewissen, biologisches 332
— u. Neurose 360
— u. Über-Ich 281
Gewohnheitssysteme (Behaviourismus)
281
Gibbusbildung, angeborene 105
Gifte, flüchtige, s. Vergiftungen
Gifträusche, künstlich erzeugte 497 ff.
Gipsbett b. akuter Poliomyelitis 443 f.
Glandula pinealis im Röntgenbild 191 f.
Glaukom ohne Hochdruck (Thiel) 255
Gleichgewichtsstörungen s. Menièresche
Krankheit
Gliome mit Kalkeinlagerungen 191
—, Röntgenbild 190
— d. Rückenmarks 98
— u. Trauma 485
Glossopharyngeusneuralgien 122
Gonorrhoe u. Polyneuritis 113
Graphologie b. Geisteskranken 23, 371
— u. Zwillingsforschung 15
Gravidität u. Wirbelsäulentrauma 107
Greisenalter im Strafgesetz 229
Grippe u. Arachnoiditis 156
—, Hirnbefund 131
— u. Kausalgie 125
— u. Neuritis optica 252
— u. Psyche 299
— u. Radikulitis 114
Grippenmeningitis 169
Großhirnausschaltung, Physiologie 73
Großhirnrinde, bioelektrische Erschei-
nungen 419 ff.
—, Reaktionsvariabilität 70 f.
— u. Rückenmark, Bahnung 59
— u. Rückenmark, funktionelle Unter-
schiede 83 f.
—, Schichten physiologie 441
—, Summationszeit 46
— s. a. Hirnrinde
Grundhaltungen, seelische 286
Grundstörung b. Aphasie (Fall) 237
Grundtypus, ontogenetischer 428 f.
Grundumsatz b. Manisch-Depressiven
510
Gymnastik, aktive, b. Lähmungen 446 ff.
Gynäkologie (Neurosen) 363
Sachverzeichnis
Gyrus angularis (Alexie) 238
— — u. Fingeragnosie 243
— supramarginalis (Aphasielehre) 237
— — u. Apraxie 242
— — u. Fingeragnosie 243
H
Hämangiom des Rückenmarks, Fälle 97
Hämatom, intramediastinales 107
Hämatomyelie, posttraumatische 101
— nach Trauma 481
Hämoglobin b. Haschischvergiftung 498
Haftpsychosen 362 f.
— u. Schizophrenie 323, 328, 340
Halbzentren, gekoppelte 81
Halluzination, Neurobiologie 145
Halluzinationen, endogene u. exogene
144 f.
— (Erklärung v. Monakow) 333
—, mikropische, b. Schizophrenie 340
— (Mourgue) 334
—, schizophrene 324
Halluzinose, periodische 340
Halsrippe u. Plexusschädigung 111f.
Halswirbelsäule, Mißbildungen 105
Halswirbeltraumen 107
Haltung d. Glieder u. Plexusschaltung
71 ff.
— u. Krankheit 292
— u. Thythmische Tätigkeit des ZNS. 79
— Schizophrener 327
Haltungsanomalien d. Wirbelsäule 103
Handlung (Aphasielehre) 236
— (Psychologie) 91 f.
—, strafbare s. Strafgesetze
Handlungsstörungen s. a. Apraxie
Handlungssysteme (Beha viourismus)
280
Handmuskeln, Atrophien 110
Handrückenödem, posttraumatisches
445
Harminbehandlung b. Katatonie 376
Harmonie, prästabilierte 91
Harn u. Säurebasengleichgewicht 176ff.
Haschischrausch, experimenteller 369
—, Klinik 143
Haschischwirkung 497
Haß (Psychologie) 362
Haut u. Säurebasengleichgewicht 180
Hautbeschaffenheit u. Kapillarentwick-
lung 11
Hautreaktion b. Schizophrenie 376
Hautreflexe, Abschwächung 49
—, Bahnung 57
— u. Hemmung 66
— (Physiologie des ZNS.) 53 ff.
—, rhythmische Tätigkeit 79
Hautreiz u. variable Reaktionen 71
Sachverzeichnis
Hautreizungen u. Summationserschei-
nungen 45 f.
Hautsensibilität, Physiologie 82
Hebephrenie (Klinik) 328 |
—, Tuberkulosesterblichkeit 304
Hefepilzerkrankungen der Meningen
170 f.
Heilpädagogik b. Schwachsinnigen 409
Heilstättenkranke, Psyche 296
Heiratsgenehmigung bei der SS 397
Hemianästhesia dolorosa b. CO-Vergif-
tung 465
Hemiplegie nach elektrischem Trauma
483
—, Erbfragen 25
— u. fehlende Selbstwahrnehmung 245
— b. CO-Vergiftung 465
—, Massagebehandlung 448
— (Physiologie des ZNS.) 58
—, puerperale, u. Lues 352
Hemmung, autogene 66
— u. Ermüdung 50f.
—, periodische, im ZNS. 80f.
—, schizophrene 326
Hemmungen, tonische 69 ff.
Hemmungserscheinungen im ZNS. 61 ff.
Hemmungszentren 70
—, tonische 67
Hemmungszustände, schizophrene 338
Heredodegeneration u. Schizophrenie
327
Herpes febrilis b. Meningitis 350
— opticus 118
— zoster 115 f.
— — u. Radikulitis 114
— —, Schmerzzustände nach Behand-
lung 125
Herpesausschlag b. epidemischer Me-
ningitis 167
Herpeseruptionen b. gastrischen Krisen
354
Herpes virus u. Meningitis 162
Herzanfälle u. Azidose 184
Herzklopfen 311
Herzkranke, der (Fahrenkamp) 311
Herzleiden u. Psyche 305 ff.
— u. psychische Krankheitserschei-
nungen 132
— u. Salvarsanbehandlung 345
Herzleistung u. Säurebasengleichge-
wicht 176
Herzmuskelveränderung b. Meningitis
151
Herztätigkeit, automatische, u.
wechselreize 83
Hilfsschullehrer, Lehrbuch für 416
Hirn s. a. Gehirn, Großhirn
Hirnarteriosklerose u. Labyrintherkran-
kung 268
Stoff-
543
Hirnbefunde b. Schizophrenie 330
Hirndruckerhöhung im Röntgenbild 189
Hirnkompression u. Pupillenstörung 471
Hirnkrämpfe, bioelektrische Erschei-
nungen 424
Hirnnervenerkrankungen 116 ff.
Hirnnervenlähmung, multiple, u. Me-
ningitis 156
Hirnödem nach elektrischer Halsdurch-
strömung 482
Hirnpunktion 188
Hirnrinde, Kapillarbau 150
—, Kontusionsherde 478
— b. multipler Sklerose 272
— b. Schizophrenie 371
— u. vitale Person 279
— s. a. Großhirnrinde
Hirnrindenfunktion (Charakterologie)
277
Hirnschaden u. Schwachsinn 408
Hirnschwellung b. Urämie 133
Hirnstamm b. Blausäurevergiftung 459
— u. Herztätigkeit 310
— u. psychischer Antrieb 371
— u. vitale Person 279
Hirntrauma u. Schizophrenie 323
Hirntumor u. tuberöse Sklerose 413
— u. Vergiftung, Diff.diagn. 457, 460
Hirntumoren 187 ff.
— u. Trauma 484 ff.
Hirnverletzung u. amyotrophische La-
teralsklerose 492
Hitzeeinwirkung u. Meningismus 157
Hitzschlagschädigungen im ZNS. 482
Höhenklima u. Säurebasengleichgewicht
177
Höhlengrau (Charakterologie) 276
Hörsphäre b. Tieren, bioelektrische Un-
tersuchungen 432 f.
Hörstörungen s. Otologie
Homosexualität 362
Hormeterien 332
Hüftgelenkentzündung u. Ischias 120
Hydrotherapie b. Labyrintherkran-
kungen 269
Hydrozephalus, luetischer 354
— u. Meningitis 154 f.
— n. Schädeltrauma 480
Hygiene, psychische s. a. Rassenhygiene
Hyperkeratosen nach Nervenlähmungen
444
Hyperkinese b. Haschischvergiftung 498
— b. Schizophrenie 327
Hypermetamorphose b. Schizophrenie
328
Hypertension, Erbfragen 25
Hypertonie, arterielle, b. Juden 403
—, —, u. Psyche 314
544
Hyperventilation u. Alkaleszenz 182
— u. epileptischer Anfall 183
— u. Krampfströme 436
— u. Säurebasengleichgewicht 177, 181
Hypnose u. Herztätigkeit 306
— u. Körperbeeinflussungen 291
— (Psychotherapie) 194 f.
—, Theorie (Pawlow) 51
—, tierische 68
Hypochondrie, autonome 363
Hypochondrisches Denken 285
Hypogenitalismus u. Zwillingsforschung
15
Hypoglykämie u. psychische Störungen
135 f.
— n. Schädeltrauma 478
—, forensische Bedeutung 140
Hypophyse u. Keimdrüsenfunktion 8
— u. Sellabefund 190
— u. Spontanhypoglykämie 138, 140
Hypophysenerkrankung, Erblichkeit 25
Hypophysengangtumoren im Röntgen-
bild 191
Hypophysentumoren u. Optikusatrophie
254
—, Psychosen b. 368
Hypophysenvorderlappen b. Manie 510
Hypotonie des Bewußtseins (Schizo-
phrenie) 326
Hysterie, Erkrankungswahrscheinlich-
keit 12
—. Familienuntersuchung 20
— b. Juden 403
— u. psychologische Typen (Freud) 283
— u. Schwindelerscheinungen 268
—, Sterilisation 395
— u. Zwillingsforschung 16
— Psychotherapie 196
Hysterieanfälle u. Stoffwechsel 182
Hysteriefähigkeit 360
Hysterisch u. funktionell 359
I
Ich u. Es 281f.
Ichbedrohung, schizophrene 325
Ichbewußtsein, Psychopathologie 146
Ichstörung 323
Idealfunktion u. Über-Ich 281
Ideal-Ich (O. Kant) 284
Ideenflucht (Analyse Binswanger) 144,
505f.
Idioten, mongoloide, Erbuntersuchung 22
Idiotie, amaurotische 410f.
—, endogene 408
—, juvenile amaurotische, Erbfragen 22
—, mongoloide 411f.
— u. Stellung in der Geburtenreihe 21
— u. Zwillingsforschung 15f.
—, xerodermatische 414
Sachverzeichnis
Immunisierungsvorgänge,psychische Be-
einflussung 296
Individualität u. Gemeinschaft (Psycho-
therapie) 200
Individualpsychologie u. Lungentuber-
kulose 302
— (Psychotherapie) 199
— b. Schwachsinnigen 409
Induktion (Physiologie des ZNS.) 54
Infantilismen, motorische 415
Infantilismus b. herzkranken Kindern
308
— u. Krankheitserlebnis 290
— u. Kriminalität 401
— b. Lungenkranken 295
Infektion u. multiple Sklerose s. d.
— u. Schizophrenie 335f.
Infektionskrankheiten, Begleitpsychosen
130f.
— u. Meningismus 157f.
Influenza s. Grippe
Ingwerschnapslähmungen 113
Injektion, epidurale, b. Ischias 121
Innervation, epidurale, b. Ischias 121
Innervation, reziproke 63, 77ff.
—, willkürliche, u. Hemmung 66
Ionengleichgewicht u. Nervenreizung
8lff.
Inselerkrankung u. Aphasie 240
Instinkt (Psychologie) 92
Instinkte u. Triebe 278
Instinktwelt 332
Insuffizienz, primäre, s. a. Aktivität
—, —, u. psychische Aktivität 146
Insulinbehandlung s. a. Hypoglykämie
Intellekt u. Charakter 275f.
Intelligenz, Erbgang 407
— d. Kinder 95
—, Psychopathologie 148f.
— u. Rorschachscher Versuch 144
— u. Schizophrenie 324
— u. soziale Schicht 398
Intelligenzalter u. Eidetik 416
Intelligenzforschungen u. Gestaltepsy-
chologie 93
Intelligenzquotient u. Stellung in der
Geburtenreihe 3
Intelligenzschwäche b. Athetose 415
— b. Zwischenhirnsyndrom 280
Intelligenzvererbung u. Zwillingsfor-
schung 15
Intelligenzverfall u. Wahnideen 369f.
Intention b. Schizophrenie 324, 326
Interferenztheorie der zentralen Hem-
mungen 62
Interferenzwirkungen im ZNS
53ff.
Interkostalneuralgie 124f.
Introspektion (Personalismus) 94
43 ff.,
Sachverzeichnis
Introversion u. Schizophrenie 334
— b. Tuberkulösen 301
Intuition, wahnhafte 370
Invalidisierung Schizophrener 330
Inzucht 1
— (Schizophrenie) 369
Irisatrophie b. Tabes 353
Iritis b. Erkrankung des Nervus nasalis
118
Irresein, induziertes 363
—, 505ff.
—, manisch-depressives, Angst bei 310
—, — —, Erkrankungswahrscheinlich-
keit 12
—, — —, in Familien Hysterischer 20
—, — —, Familienuntersuchung 18
„— —, in der Haft 362
—, — —, b. Juden 403
— —, u. Pellagra 503
— —, pharmakodynamische Un-
tersuchungen 7
—, — —, Prognose u. Körperbau 7
„— —, in Psychopathenfamilien 19
, — — u. Schizophrenie 340
—, — —, Sterilisation 396
„ — —, u. Stoffwechsel 181
, — —, u. tuberkulöser Charakter 299
„ — —, Wahnideen 325
— —, u. Zwillingsforschung 15f.
1 u. tuberkulöse Meningitis 165
Ischias, Schmerzen bei 119f.
— u. Syphilis 352
Iteration b. Schizophrenie 328
Iterationen (Erklärung v. Monakow) 333
J
Jacksonanfälle nach Trauma 488
Jahreszeit, Schwankungen des Blutche-
mismus 176
— u. tuberkulöse Meningitis 164
Jodo-Bismitol b. Neurolues 347
Jodöle, Wirkung auf die Meningen 101
Jodpräparate, Wirkung auf die Menin-
gen 153
Juckkrisen b. Tabes 354
Juden, Geisteskrankheiten b. 402f.
— u. manisch-depressive Psychosen
506f.
Jugendgerichtsgesetze 222 ff.
Jugendliche, kriminelle, Nachuntersu-
chungen 401
— im Strafgesetz 222ff.
Jugulariskompression u. Salvarsanbe-
handlung 346
K
Kakon (v. Monakow) 332
Kaliumionen u. Säurebasengleichge-
wicht 179
Neurologie V, 18
545
Kalium-Kalziumspiegel b. Schizophrenie
374
Kalkeinlagerungen b. Hirntumoren,
Röntgenbefund 191
Kalkspiegel b. Melancholie 512
Kalkstoffwechsel b. Myelom 107
Kalomelbehandlung b. Neurolues 347
Kalziumionen u. Erregbarkeit 182
— u. Säurebasengleichgewicht 179
Kalziumionisation b. Epilepsie 183
— u. Erregbarkeit 182
Kalziumspiegel b. Haschischvergiftung
498
Kaninchenhirn, Zytoarchitektonik u.
bioelektrische Felder 426
Kapillaren b. Kindern 150
Kapillarforschung u. Therapie 10
Kapillarmikroskopie b. Schizophrenen
375
— b. Schwachsinnigen 410, 415
Karbonate s. Säurebasengleichgewicht
Karzinom, Gasbehandlung 180
Karzinommetastasen u. Optikuserkran-
kung 259
Kastration b. Schizophrenie 377f.
Katalase des Blutes b. Schizophrenie 374
Katalepsie 326
—, hormonale 372
Katatonie, experimentelle 327, 372
— (Klinik) 328
, präpsychotischer Charakter 338
—, Prognose 340
—, rassisch verschiedene Häufigkeit 337
, Tuberkulosesterblichkeit 304
Kategoriale Störung (Aphasielehre) 236f.
Katzengehirn, bioelektrische Erschei-
nungen 430
Kaudakompression 106
Kaudaschädigung durch Lumbalan-
ästhesie 157
Kauen, subkortikaler Mechanismus 59
Kaumuskellähmung nach Trigeminus-
operation 123
Kausalgie n. Schußverletzung 110
Kausalgien, Monographie 125
Kausalität, agglutinierte 332
Keimdrüseninkrete 8
Keimschädigung Iff.
— u. Schizophrenie 322
Keratitis b. Erkrankung des Nervus na-
salis 118
— b. Trigeminusneuralgie 122
Keuchhusten u. tuberkulöse Meningitis
164
Kinderlähmung, spinale, s. Poliomyelitis
anterior acuta
Kinderpsychologie 93
Kinderpsychotherapie 198
Kinderschizophrenie 337
546
Kinderschutzgesetz 227
Kindesalter, Konstitutionsanalyse 9
—, Neurosen 202, 364
Kleinhirn, bioelektrische Erscheinungen
427
Kleinhirn b. multipler Sklerose 272
Kleinhirnausschalt ung, Folgen 69
Kleinhirnbrückenwinkeltumoren, Rönt-
genbefunde 190
Kleinhirnentfernung, Physiologie 73
Kleinhirnerregungen u. Bahnung 57f.
Kleinhirnerscheinungen b. Schizophrenie
(Fall) 372
Kleinhirnsymptome b. aseptischer Me-
ningitis 160
— u. Meningitis 155f.
Kleinhirnveränderung b. Mongolismus
413
Klima u. Krankheit 294
— u. Psychoseartung 337
— u. Schizophrenie 321
Klimakterium u. Depression 509f.
Klisenlehre (C. u. O. Vogt) 440
Klumpfuß u. Wirbelsäulenmißbildung
105
Klumpfußbildung b. Syringomyelie 446
Kniegelenkversteifung, operative, b.
Lähmungen 444
Knochenerkrankung u. Schizophrenie
340
Knorpelknötchen (Schmorl) 102f.
Kobaltreaktion b. Schizophrenie 376
Kochlearerkrankungen s. Otologie
Kochsalzreaktion b. Schizophrenie 376
Körnerzellen der Rinde u. bioelektrische
Erscheinungen 429
Körperbau u. Charakter 7
— u. Lungent uberkulose 302
— u. Psychose 368
— u. Schizophrenieverlauf 322, 340
Körpergefühle beim Hypochonder 285
Körpergröße (Anthropometrie) 8
Körperschema b. Agnosie 243
—, Störung b. Schizophrenie 372
—, Störungen 145
Koffeinismus, Fall 501
Kohlenoxydvergiftung 464ff.
— mit Lähmung 112
— u. multiple Sklerose 270
Kohlensäure s. a. Säurebasengleichge-
wicht
Kohlensäureintoxikation u. Psyche d.
Tuberkulösen 299
Kohlensäurevergiftung u. Liquorbefund
181
Kohlenwasserstoffe s. Vergiftungen, ge-
werbliche
Kokainismus, Sterilisation 396
Kolimeningitis 169
Sachverzeichnis
Kolloidstabilitöt u. Säurebasengleich-
gewicht 179
Koma s. a. Diabetes, Hypoglykämie u.
Urämie
Komazustände b. Morphiumentziehung,
Erklärung 185
Kombinationsauffassung b. Zwillingen
14
Kommotio labyrinthi 264
Kommotionsfolgen s. a. Kopftrauma
470
Konfabulationen b. Korssakoff-Syn-
drom 147
Konstitution lff.
— der Epileptiker 17f.
— u. Homosexualität 362
— u. Hypertonie 314
—, Pyknisch-thymopathische 508
— u. Schizophrenie 17
— u. vitale Person 279
Konst it utionsanatomie (Brandt) 6f.
Konst it utions psychologie 95
Konst it utionstherapie d. Schizophrenie
377
Konstitutionstyp u. Rorschachscher Ver-
such 144
Konstit utionstypen s. a. Körperbau u.
Charakter
— b. Tabikern 353
Kontrakturen u. Dehnungsreflex 73
— u. Enthirnungsstarre 75
—, Physiologie 63
Kontrasterscheinungen im ZNS. 70
Kontusionen des Schädels 471
Konvergenzlehre (W. Stern) 94
Koordinationsstörungen u. rhythmische
Tendenz im ZNS. 79f.
Koordinationsübungen 451
Kopfschmerz b. Menièrescher Krank-
heit 265
Kopfschmerzen nach Kopftrauma s. d.
Kopfstellung u. Streckreaktion 76
Kopf traumen 471ff.
Kopfverletzung u. Enzephalitis 491
Koronare klerose u. psychische Verände-
rung 310
Korssakoff-Syndrom 147
Krämpfe u. Alkoholismus d. Eltern 6
—, epileptische, u. Enthemmung 69
—, —, Folgeerscheinungen 184
— b. Meningitis 158
— b. Pellagra 132
— u. Säurebasengleichgewicht 178, 180
Krampfanfälle u. Hyperventilation 183
— b. Hypoglykämie 137
Krampfbereitschaft Schizophrener u.
Körperbautyp 17
Krampferscheinungen (Physiologie) 54
Krampfströme 420
Sachverzeichnis
Krämpfströme d. Hirnrinde 436f.
Krampfzustände, pharmakologische, u.
Reflexauslösbaıkeit 60
Kraniographie 188ff.
Krankenhausaufenthalt, psychische
Schädigung 297
Krankenversicherung b. Schizophrenie
330
Krankheiten, innere, u. Psychiatrie
288ff.
Krankheitsbegriff, psychiatrischer, u.
Persönlichkeitsreaktion (O. Kant)
287
Krankheitsbild, autoplastisches (Gold-
scheider) 290
Krankheitseinsicht, fehlende, b. orga-
nisch Herzkranken 313
Krankheitsform u. Persönlichkeit 289
Kratzreflex, Summationszeit 46
Krebs, Erbfragen 24
Kreislauf u. Peyche 305ff.
Kreislaufänderung u. Hemmung 68
Kreislauffunktion u. Psyche s. a. sym-
ptomatische Psychosen
Kreislaufkrankheiten u.
gleichgewicht 180
Kreislaufsystem u. Herzneurose 312
Kret inis mus u. Kapillarentwicklung 11
—, Ursachen 22f.
Kriege beschũdigung u. Morphinis mus
499
Kriegserlebnis u. P: ychose 337
Kriminalbiologie 392f.
— u. Erblichkeitslehre 400
Kriminalität s. a. Strafgesetze
— b. Erstgeborenen 3
— b. Zwillingen 16
Kriminalpsychologie b. Schizophrenen
330
Krisen, tabische 354f.
Kropf u. Kapillarforschung 10
Kropfentstehung u. Bodenbeschaffen-
heit 22f.
Kümmelsche Krankheit 102
Kulturformen und Neurosen 200f.
Kunst, schizophrene 331
Kurzwellenbehandlung 350
Kutanreaktion, suggestive Beeinflus-
sung 37
Säurebasen-
L
Labyrintherkrankungen s. a. Otologie
Labyrintherregbarkeit nach Kopftrau-
ma 473
Labyrintherregungen u. Bahnung 57f.
Labyrinthreflexe, Physiologie 58
Lähmung, schlaffe, b. Lymphogranulo-
matore 99
—, —, Physiologie 57
647
Lähmungen b. Apiolvergiftung 502
Lähmungen b. gewerblichen Vergiftun-
gen s. d.
— b. Gonorrhoe 113
— b. Parotitis epidemica 159
— b. Poliomyelitis der Erwachsenen
443
—, postoperative 110
—, traumatische 444
—, Übungsbehandlung 446ff.
Lagophthalmus, Behandlung 118
Laktazidogengehalt d. Hirnrinde 374
Lamarckis mus, moderner 3f.
Laminektomie b. Ischias 120
Laryngeus superior, Neuralgie 122
Lateralsklerose, amyotrophische, u. En-
zephalitis 100
—, —, u. Lues 352
—, —, u. Trauma 492
—, familiäre amyotrophische 25
—, myatrophe, nach elektrischer Schä-
digung 482
Lautagraphie 239
Leben u. Seele (G. Wolf) 91
Lebensalter u. Krankheitserlebnis 290
— u. sog. tuberkulöser Charakter 298
Lebensformen, neurotische 203
— (Spranger) 276
Lebensgefühl (Charakterologie) 275f.
Lebensgeschichte u. innere Krankheit
290
Lebens problem 91
Lebensrhythmus als vitale Qualität 278
Lebensschicksal, Bedeutung b. Asthma-
behandlung 41f.
Lebens versicherungsaufnahme nach
Kommotio 477
Leberaffektion u. Spontanhypoglykämie
139
Leberbehandlung b. Anämie u. sympto-
matische Psychose 134
Leberschädigungen b. Vergiftungen 454
Lebersche Sehnervenerkrankung 253
Leberstauung, psychische Veränderung
308
Leberstörungen u. Salvarsanbehandlung
345
Leberveränderung b. Meningitis 151
Legasthenie, dysjunktive 296
Leib-Seele-Problem s. a. innere Krank-
heiten u. Psychiatrie
— — — 90f., 276ff.
Leistung, konstruktive, u. Apraxie 243
Leistungsherabsetzung u. Refraktärste-
dium 80
Leist ungsschwankungen im ZNS. 43ff.
Leitungsaphasie s. Aphasie
Leitungsbahnen, Vorstellung u. Wahr-
nehmung b. Schädigung 144
38
Ki
548 Sachverzeichnis
Leptosome, Affektivität 145
— u. Schizophrenie 17
Leptosomie u. Schizophrenieverlauf 340
Leptospirose d. Meningen 351
Leptothrixerkrankungen des ZNS. 171
Leseschwäche, kongenitale, u. Alexie 238
Lesestörung s. Alexie
Leuchtgasvergiftung mit Neuritiden 112
— u. Schizophrenie 368
Leukoencephalitis concentrica 271
Leukozyten u. Säurebasengleichgewicht
179
Libido s. a. Sexualität
Libido u. psychologische Typen 282
Lichtbehandlung b. Tabes 350
Lichtreiz u. bioelektrischer Effekt 432
Lidöffnungsapraxie 242
Ligamenta flava u. Spinalsymptome 106
Linguistik u. pathologische Physiologie
der Sprache 234
Linkshänder, Aphasie b. zweisprachigem
240
Linkshändigkeit u. Alexie 238
—, Erbfragen 9
Linsenkernaphasie 240
Linsenkernblutung, traumatische 489
Lipase d. Blutes u. multiple Sklerose 270
Lipatrenbehandlung b. Schwachsinn
409.
Lipiodoleinspritzungen b. Ischias 121
Lipoidstoffwechsel b. amaurotischer Idi-
otie 410
Lipome d. Wirbelsäule 106
Liquor cerebrospinalis, Entnahme u.
Untersuchungsmethodik 343
— — b. Herpes 350f.
— — b. Herpes zoster 115
— — b. Kreislaufkranken 180f.
— — b. manisch-depressivem Irresein
511
— — b. Meningitis s. d.
— — b. Myelitis 100
— — b. Neurolues s. d.
— — b. retrobulbärer Neuritis 248, 252
— — nach Schädeltrauma 154f.
— — b. Schizophrenie 335, 375
Liquorbefund b. Quecksilbervergiftung
463
— b. Thalliumvergiftung 464
Liquordruck nach Kopftrauma 472
Liquorsekretionsstörungen nach Schä-
deltrauma 478
Liquorveränderungen b. Polyneuritis 113
Lokalisationslehre u. bioelektrische Er-
scheinungen d. Großhirnrinde s. d.
Lues cerebri u. Labyrintherkrankung 268
— cerebrospinalis, Pathologie u. Thera-
pie 342ff.
— congenita u. Hirnblutung 352
Lues cerebri u. Okulomotoriuslähmun -
gen 117
— u. Meningitis 155
— u. multiple Sklerose 270
— u. Optikusatrophie s. Optikuserkran-
kungen
—, Optimismus b. 300
— u. Schwachsinn 409
Lumbago u. Ischias 120f.
Lumbalanästhesie u. Meningitis 151
—, Spätschädigungen 98, 101
Lumbaldrainage b. Meningitis 152
Lumbalinjektion b. epidemischer Menin-
gitis 168
Lumbalisat ion 105
Lumbalpunktion, eitrige Meningitis nach
151
Luminalnatrium, zysternale Applikation
u. Fazialislähmung 118
Lungenkarzinom mit Hirnmetastasen
259
Lungentuberkulose, Erkrankung u. Ver-
hütung 304f.
— u. Psychiatrie 292ff.
Lymphogranulomatose u. Rückenmark
98f.
Lyssaimpfung u. Myelitis 100
M
Machtstreben 276
Magen -Darmbeschwerden, neurotische
363
Magen-Darmbeschwerden u. Psyche 299
Magensalzsäure u. Säurebasengleichge-
wicht 176 ff.
Magenveränderungen u. Herpes zoster
116
Magnesiumionen u. Erregbarkeit 182
Makuladegeneration, progressive fami-
liäre, Erbfragen 22
Malaria, nervöse Folgeerscheinungen 486
—, psychische Krankheitsbilder 131
Malariabehandlung b. Frühlues, Ein-
wände 349
— b. Neurolues 344, 348
— u. paranoid-halluzinatorische Bilder
367
Malariaenzephalitis 486
Malariaimpfung u. Blutgruppe 10
Malariaplasmodien im Liquor 170
Malariatherapie u. Optikusatrophie 256
— d. Schizophrenie 377
Mandelerkrankungen u. retrobulbäre
Neuritis 250
Manganvergiftung 460 f.
Manie s. a. Irresein, manisch-depressives
—, Existenzform 506
—, verworrene, u. Schizophrenie, Diff.
Diagn. 330
— — m een, ren — — . — — —— Aigen — . —⁊ — ——— ——— — — —
Sachverzeichnis
Manieren, schizophrene 326
Manifestationswahrscheinlichkeit d. erb-
lichen Schwachsinns 21
Markfasern, bioelektrische Erschei-
nungen 428
Marklager, bioelektrische Erscheinungen
441
Masern u. tuberkulöse Meningitis 164
Masernmeningitis 158
Massage b. Lähmungen 446 ff.
Masseterlähmung b. Poliomyelitis 442
Mastoidoperationen u. Fazialislähmung
118
Medianusschädigung mit Dissoziation
111
Mediast inaltumoren,
gung 119
Medulla oblangata u. Charakteraufbau
277
Megaphonie 136
Melancholie s. a. Irresein, manisch- de-
Pressi ves
— u. Herzangst 308
— u. Neurose 147
— u. perniziöse Anämie 134
— u. Schizophrenie, Diff.diagn. 330
Melodietaubheit 245
Menièresche Krankheit 262 ff.
Meningen, Karzinose u. Optikusatrophie
259
— d. Rückenmarks, nichtsystematische
Schädigungen 97 ff.
Meningiom des Rückenmarks, Fälle 97
— u. Trauma, Fall 486
Meningiome, Theorie d. Entstehung 485
—, Röntgenbilder 189 f.
Meningismus 157 f.
Meningitiden, frühsyphilitische 347
Meningitis 150 ff.
—, akute syphilitische 350
— concomitans 162
—, epidemische, u. Pachymeningitis
hypertrophica 99
—, herpetische 350
—, idiopathische aseptische 159 f.
—, luetische, u. Labyrintherkrankung
268
— u. Plexusabriß 114
— u. Schizophrenie 335
— serosa 154, 159
— — spinalis, Differentialdiagnose 98
— seröse, nach Hitzschlag 482
— tuberculosa 163
—, tuberkulöse, u. Sehnerv 253
—, —, (symptomatische Psychose) 131
Meningokokkenmeningitis 166 ff.
—, Folgen 155 f.
Meningokokkensepsis 167
Rekurrensschädi-
549
Meningopathien nach Schädeltraums
480
—, traumatische 154 f.
Menstruation u. Herpes 354
Meralgia parästhetica 120
Merkschwäche b. subkortikaler Demenz
148
Meskalinversuche 497
Metaldehyd, Vergiftung 455
Metamorphopsie 145
Metatuberkulose u. multiple Sklerose
270
Metenzephalitis u. Zurechnungsfähigkeit
216
Methylalkohol, Vergiftung 455
Migräne, Erbfragen 25
— u. Fazialislähmung 118
— u. Hypoglykämie 136
Migräneanfälle mit Labyrinthattacken
268
Mikropsie 145
Mikrozephalien 414
Miliartuberkulose u. Meningitis 165
Milzbrandmeningitis 169 f.
Mimik u. Körperbau 369
— u. Krankheit 292
Minderwertigkeitsgefühl 276
Minderwertigkeitegefühle u. Stottern
363
Mineralstoffwechsel u. Säurebasen-
gleichgewicht 179
Mischaffekte b. manisch-depressivem
Irresein 507
Mischpsychosen u. Körperbau 7, 368
— (Schizophrenie) 329
Mißbildungen d. Wirbelsäule 104 f.
Mißtrauen b. Tuberkulösen 293
Mitbewegungen bei Hilfsschulkindern
415
Mitralstenose, psychisches Verhalten 312
Mittelhirn, Summationszeit 46
Mongolen, Kapillarentwicklung b. 10
Mongolismus 411 f.
— u. Schwachsinn 2
— u. Stellung in der Geburtenreihe 3
— u. Zwillingsforschung 17f.
Mononukleosen u. seröse Meningitis 161
Monotrean b. Labyrintherkrankungen
268 f.
Morphinismus, Prognose 499
Morphinismus, Sterilisation 396
Morphiumabstinenz u. Säurebasen-
gleichgewicht 185
Motivlehre (Psychogenese) 360
Motorik b. Agnosie 243
— b. Agraphie u. Alexie 238 f.
— Aphasischer 235
— b. Athetose 415
— gesteigerte, u. Azidose 184
550
Motorik b. Haschischvergiftung 498
—, schizophrene (Erklärung v. Mona-
kow) 333
— Schizophrener 327
— b. Schwachsinnigen 408
Muskelatrophie n. elektrischer Schädi-
gung 482
—, neurotische progressive, Erbfragen
24
—, Progressive, Diff. diagn. 110
—,. —, u. Neurolues 348
Muskelatrophien, spinale, traumatische
Auslösung 493
Muskeldystrophie s. Dystrophia mus-
culorum
Muskeleigenreflexe, Bahnung 57
—, Hemmung 61, opt,
— u. sinkende Erregbarkeit 49
— u. Summationswirkung 45 f.
Muskeleigenreflexe nach Rückenmarks-
durchschneidung 69
Muskelinnervation, Physiologie 55
Muskelnerven, sensible, u. Hemmung
65 f.
Muskelsinneserregung, Physiologie 54
Muskelregeneration s. Poliomyelitis
Muskelspannung u. Erregungsleitung 59
Muskuläre u. Schizophrenie 17
Mutationen b. Röntgenbestrahlung 6
Mutat ionsforschung 5
Myalgien, Fehldiagnose 102
— u. Ischias 120
Myatrophie s. Muskelatrophie
Myelitiden, elektrotraumat ische 483
Myelitis, akute disseminierte 100
— b. Gonorrhoe 113
— nekrotisierende 100
— d. Pneumokokken 169
—, traumatische Auslösung 493
— durch Unfall 100
Myelographie b. circumscripter Menin-
gitis 156
— u. meningeale Reaktion 151
Myelom, generalisiertes 107
Myelose, funikuläre, u. Malaria 487
Myopsyche u. autogenes Training 196
Myxödem u. symptomatische Psychose
135
N
Nachbilder, periodische, Physiologie 80
Nachgeburtsbefunde b. Zwillingen 13
Nachgreifen u. Agraphie 239
Nachkontraktionen, unwillkürliche 49
Nackenseuche 443
Nagelbänder b. Arsenvergiftung 464
Narkolepsie, genuine u. symptoma-
tische 18
Sachverzeichnis
Narkose u. Säurebasengleichgewicht 178
— u. Summationsfähigkeit im ZNS. 56
Narkoselähmungen 110
Narcotic Frams 499
Narzisstischer Typ (Freud) 283
Nasenerkrankungen u. Meningitis 151 f.,
163
— u. Sehnerv 248 ff.
Nationalsozialismus u. Rassenhygiene
394
Nautisan b. Schwindelanfällen 268
Nebenhodenaffektion b. Tabes 353
Nebenhöhlenerkrankungen u. Schizo-
phrenie 335
— u. Sehnerv 117, 248
Nebenniere b. Morphiumentziehung
185 f.
Nebennierenrinde b. chronischer Pella -
gra 503
Negativismus b. Schizophrenie 327
— b. spontaner Hypoglykämie 137
— im Stupor 339
Nephritis u. Säurebasengleichgewicht
177
Nephrosklerose u. Hypertonie 314
Nerven, Erkrankungen d. peripheren
110 ff.
Nervenendigungen, freie, u. Schmerz-
empfindung 82
Nervenextraktion b. Trigeminusneural-
gie 124
Nervenfasern, Befund b. multipler Skle-
rose 272
—, sensible, f. Hemmung u. Erregung 65
Nervenkrankheiten, organische, Begut-
achtung 470 ff.
—, —, u. Rentenneurose 360
Nervenoperationen 110, 445
Nervenschädigung, traumatische 110
Nervensyphilis 342 ff.
Nervensystem, exterozeptives u. intero-
zeptives 332
—, peripheres, Physiologie 43 ff., 53 ff.
—, —, u. Stoffwechselreize 81
—, Physiologie u. Psychologie 92
Nerventumoren 125 f.
Nervenverletzungen, periphere 444 f.
Nervosität, Probleme d. 8f.
— u. Verstimmung 508
Nervus cruralis 120
— nasalis, Erkrankungen 118
Netzhaut verletzungen n. Kopf ver-
letzung 476
Neubildungen, intrakranielle 187 ff.
Neuralgie b. Gonorrhoe 113
Neuralgien, Behandlung 124 f.
—, Fehldiagnose 102
— u. Stoffwechselreize 81
Sachverzeichnis
Neurasthenie u. Hypoglykämie 139
—, klinische 204
— u. Schwindelerscheinungen 268
— u. Tuberkulose 301
Neuritiden s. a. Nerven, Erkrankungen
d. peripheren
— b. CO-Vergiftung 465
Neuritis ascendens 114
— luetica d. Gelenknerven 446
—, retrobulbäre 117, 248 ff.
—, —, (Neurolues) 348
—, —, b. Thalliumvergiftung 463
—, —, b. Vergiftung 460
Neurofibromatose (Recklinghausen),
Erbfragen 25
Neurograph (Tönnies) 423
Neurotisation durch Tuberkulose 297
Neurologie, allgemeine, physiologische
Grundlagen 43 ff., 53 ff.
—, Erbfragen 24
— u. Orthopädie 442 ff.
— u. Schwachsinn 408 f.
Neurom d. Halssympathikus 125
Neuromyelitis optica 99 f.
— — u. multiple Sklerose 271
Neuropathie, postkommotionelle 474
Neuropathologie u. Zwillingsforschung
13
Neurose u. Herz 311 f.
— u. psychologische Typen (Freud) 283
— u. Schizophrenie 338
— u. Schwindelerscheinungen 268
— u. Tuberkulose 293
Neurosen 359 ff.
, Atmungsänderung 182
— u. Azidose 184
Neurosenlehre, allgemeine (Nunberg) 196
—, psychoanalytische spezielle 196 f.
Neurospongioblastoma disseminata 413
Neurosyphilis, moderne Behandlung 343
Neurotiker (O. Kant) 285
—, Persönlichkeit 201 f.
Neutralität, psychophysische (W. Stern)
94f.
Niemann-Picksche Krankheit 410
Niereninsuffizienz, symptomatische Psy-
chosen 132 f.
Nierenkrankheit u.
lung 345
Nieren veränderung b. Meningitis 151
Nitritreaktion b. Influenzameningitis
169
Nitrobenzolvergiftung 458
Notneurose 204
Nucleus dentatus b. Thallium vergiftung
463
— ruber u. Tonus verteilung 75
Nystagmus b. hypertrophischer Poly-
neuritis 114
Salvarsanbehand -
551
Nystagmus b. Labyrintherkrankungen
265 f.
— n. Kopftrauma 473
—, optokinetischer 372
— b. Tabes 353
Nykturie b. Lues cerebrospinalis 352
0
Ödeme, kardiale, u. Psyche 308
Ohrensausen s. Otologie
Ohrerkrankungen u. Meningitis 151 f.,
163
Okulomotoriuslähmungen 117 f.
Okzipitallappen u. Gerstmannsches Syn-
drom 243
Oligophrenie, pseudoschizophrenes Syn-
drom 341
— s. a. Schwachsinn
Oliven b. Thalliumvergiftung 463
Ophthalmoplegie bei Hypoglykämie
137
Ophthalmoplegien, Ursache 126
Opiate im Harn, Nachweis 500
Opiumgesetz 499 f.
Optikus, entzündliche u. degenerative
Erkrankungen 248 ff.
Optikusatrophie bei Benzolvergiftung
457
—, erbliche 25
— b. Tabes 354
Optikusentzündung, isolierte 117
Optikusgliome, Röntgenbefunde 190
Optimismus d. Tuberkulösen 298 ff.
Optochin b. epidemischer Meningitis
168 f.
Ordnungs versuche, Aphasielehre 236
Organempfindungen, abnorme (Herz u.
Psyche) 308
— u. autogenes Training 194 f.
Organischen, die Welt des 89 f.
Organfunktionen als Ausdrucksfeld 306
—, psychische Beeinflussung 292
Organgewichte, normale 9
Organtherapie b. Sexualneurasthenikern
362
Orientierung, Störung d. räumlichen,
(Fall) 243
Orientierungsreaktion 67
Orientierungsstörung u. Apraxie 242
Orthopädie u. Neurologie 442 ff.
Osteomalazie u. Schizophrenie 368
Osteome d. Wirbelsäule 106
Osteomyelitis u. Poliomyelitis 442
Ostitis deformans u. Psychose 368
Oszillationen in der Tätigkeit des ZNS.
79
Otologie u. Neurologie 262 ff.
552
P
Pachymeningitis cervicalis hypertro-
phica 156
— haemorrhagica nach Trauma 480
— hypertrophica 99
— lumbosacralis 156 f.
— spinalis 155
Pädagogik u. Psychologie 93
Pagetsche Krankheit u. Optikusatro-
phie 259
Pallidostriatum (Charakterologie) 276
Pallidum b. Blausäurevergiftung 459
Pallidumstarre, Physiologie 63
Pankreasveränderungen b. Nervener-
krankungen 115
Papilla optica s. a. Optikuserkrankungen
Papillenödem nach Kopfverletzung 476
Parästhesien b. Anämie, wahnhafte Deu-
tung 134
Paragnosie, optische 245
Paragraphie 238
Paraldehyd u. Azidosis 184
Parallelismus, psychologischer 90, 92 f.
Paralogie (Schizophrenie) 325
Paralyse (Landry) 114 f.
—, Landrysche, u. Poliomyelitis 443
—, progressive, u. Depression 507
—, —, u. elektrisches Trauma 483
‚—, Erkrankungswahrscheinlichkeit
12
—, —, u. frühzeitige Malariabehand-
lung 349
—, —, u. Schizophrenie 323, 367
—, —, traumatische Auslösung 493
—, —, u. Tuberkulosesterblichkeit 303
—, —, u. Wahnideen 325
Paralysis agitans u. Trauma 490
Paramnesie, reduplizierende 147
Paranoia, Erbfragen 23
— u. Paranoid 339
— u. Schizophrenie 328
Paranoid (Erklärung v.
333 f.
—, psychopathisches, u. Schizophrenie
328
Paranoisierung durch organische Pro-
zesse 367
Paraphrenie, Erbfragen 23
— u. Schizophrenie 328, 339
Paraplegie, spastisch-ataktische fami-
liäre 25
Monakows)
—, spastische, alternierende Bewe-
gungen 79
Parasympathikus s. a. System, vegeta-
tives
Parietalherd (Aphasie) 236
Parietallappen u. Aphasie 240 f.
Sachverzeichnis
Parietallappen u. Gerstmannsches Syn-
drom 243
Pariet alstörung u. Anosognosie 245
Parkinsonismus nach Elektrotrauma 483
— b. CO-Vergiftung 466
— b. CS,-Vergiftung 460
— u. Stupor 339
— u. Trauma 488 ff.
— u. Tabes 355
Parkinsonsyndrom b. chronischem Ve-
ronalmißbrauch 501
Parotitis epidemica u. Meningitis 158
— — u. tuberkulöse Meningitis 164
Patellarsehnenreflexe s. a. Muskeleigen-
reflexe
Pathographie (Swift) 362
Pathographien Tuberkulöser 302
Pavor nocturnus (Psychotherapie) 198
Pellagra b. Geisteskranken 368
—, symptomatische Psychose 132
Pellagrapsychosen 502 f.
Periarteriitis nodosa 115
Perimetrie s. a. Optikuserkrankungen
Peritonealtuberkulose, psychische Ver-
änderungen 298
Permeabilität b. Katatonie 375
— b. Meningitis 152
Peronäuslähmung, doppelseitige 110
Peronäuslähmungen b. Lues 353
Perseveration u. Körperbautyp 145
Person, Struktur d. geistig-seelischen, u.
Psychotherapie 198
—, vitale 277
Persönlichkeit (Beha viourismus) 280
— u. Ideenflucht 506 f.
— u. Krankheitsform 289
, präpsychotische, u. schizophrener
Wahn 339
Persönlichkeiten, kriminelle (Charakter-
forschung) 400
—, psychopathische 369 ff.
Persönlichkeitsabbau u. Schizophrenie
332
Persönlichkeitsartung u. schizophrener
Wahn 325
Persönlichkeitsaufbau s. a. Charaktero-
logie
Persönlichkeitsentwicklung u. Wahn-
bildung 143
Persönlichkeitserfassung b. Schwach-
sinnigen 416
Persönlichkeitsschichten (W. Stern) 95
Persönlichkeitsveränderungen nach
Schädeltrauma 479
Personwissenschaft 94
Perversionen u. Neurosenlehre 197
—, Psychotherapie 196
Perversitäten, sexuelle 362
Pfropfschizophrenie 329, 337
nen
Sachverzeichnis 553
Phänomen, Kohnstammsches 49
—, psychogalvanisches 201
Phänomenologie u. Psychopathologie
143 f.
Phanodormvergiftung 501
Phase, supernormale 47, 56
Philosophie u. Gestalts psychologie 94
— u. Psychologie 89
Phlegmasia alba u. Ischias 120
Phlyktänotherapie b. Morphiument-
ziehung 501
Phonetik u. Aphasie 241
Phonologie u. pathologische Physio-
logie d. Sprache 234
Phosphate s. Säurebasengleichgewicht
Phosphorkreosotlähmungen 113
Phosphorsäure b. Haschischvergiftung
498
Phosphorüberdosierung, cerebrale Er-
scheinungen 464
Photodyn b. Manie 512
Phrenikusneuralgie 122 f.
Phthise s. Tuberkulose
Physiologie, allgemeine, d. ZNS. 43 ff.
Picksche Krankheit u. Aphasie 240
Pleozytose nach Schädeltrauma 154
Plexus brachialis, Sensibilitätsstörung
444
— —, Wurzelzerrung 482
— chorioidei u. Kakon 332
— — b. Schizophrenen 375 f.
— — b. Urämie 133
— chorioideus nach tödlicher Schädel-
verletzung 478
— —, Tumor mit Kalkeinlagerung 191f.
Plexusabriß 114
— u. Meningitis 151
Plexuslähmungen 110 f.
Plexusveränderungen b. tuberkulöser
Meningitis 164
Pneumatokele, Röntgenbild 190
Pneumokokkenmeningitis 168 f.
Pneumonie u. Krampfanfälle 184
Pneumothorax mit Plexusschädigung
112
Polioencephalitis haemorrhagica, Zwi-
schenhirnbefunde 150 f.
Poliomyelitis anterior acuta 442 ff.
— — —, Massagebehandlung 447 f.
— u. aseptische Meningitis 160
— u. Meningitis 162
Polyglotten, Aphasie b. 240
—, aphasische Störungen 234
Polymyelitis b. multipler Sklerose 272
Polyneuritiden, toxische, s. Vergiftungen
Polyneuritis nach Apiolvergiftung 255
— u. Lymphogranulomatose 99
—, toxische 501 f.
— b. Vergiftung 112 f.
Polyneuromyositiden 113
Polyneuroradiculitis ascendens u. Lan-
drysche Paralyse 115
Polyphänie 1
Polyradikulitiden 113
Polysklerose s. multiple Sklerose
Polyzythämie, symptomatische Psy-
chose 134
Pons b. Urämie 134
Porphyrinurie u. Polyneuritis 112
Postenzephalitis u. Schizophrenie 367
— u. subkortikales Denken 148
Postikuslähmung, tabische 119
Präephysonbehandlung b. Schwachsinn
410
Probandenmethode 4
Probationssystem (Strafrecht) 223
Proportion, psychästhetische 323
Proteinkörpertherapie b. Morphiument-
ziehung 185
Prozeßpsychose s. a. Schizophrenie
Pruritus u. Tabes 354
Psammome, Kalkeinlagerung 191
Pseudoenzephalitis (Wernicke) u. Ver-
giftung 501 f.
Pseudoischias 120
Pseudosklerose u. Tabes 356
Psychiatrie, vergleichende, s. a. Rasse
Psychoanalyse u. autogenes Training
196
— u. Herzangst 311
— b. Herzkranken 312
— b. Hypertonikern 315
— b. Kindern 338
— u. Neurosenlehre 196 f., 360
— b. Schizophrenen 330, 336, 369, 378
—, neue Vorlesungen 281
Psychogenese b. Asthma bronchiale 34f.
— v. Körperkrankheiten 291
Psychologenkongreß 1932 89
Psychologie, allgemeine 89 ff.
—, biologische u. reine 275
— d. Person 199
—, personalistische 94
Psychomodalität (Charakterologie) 276
Psychomotorik im Haschischrausch 369
— b. Schizophrenie 328
Psychoneurosen u. Psychotherapie s. d.
Psychopathen, anstaltsbedürftige, Häu-
figkeit 12
, gemütlose, u. Schizophrenie 338
— im Gesetz s. Sicherungsstrafrecht
—, Gesetz d. kriminellen 214 f., 217
—, jugendliche, Unterbringung 224
—, schizoide 323
Psychopathenheim f. kriminelle Jugend-
liche 223
Psychopathentypen (Berlit) 19
554 Sachverzeichnis
Psychopathie s. a. Persönlichkeiten, | Pyknik u. Schizophrenieverlauf 340
psychopathische — u. Zykothymie 95
— u. Geburtsmonat 2 Pyniker, Affektivität 145
— b. Juden 403 , pharmakologische Untersuchungen
— u. manisch-depressives Irresein 508
— u. Neurosenlehre 197
—, pharmakodynamische Untersuchun-
gen 7
—, Sterilisation 395 f.
— u. Zwillingsforschung 16
— u. Zwischenhirn 280
Psychopathieproblem, Erbpathologie
18 f.
Psychopathologie, allgemeine 143 f.
— d. Durchschnittsbe völkerung 11 f.
— b. inneren Krankheiten s. d.
— d. Schizophrenie 323 f.
— u. Zwillingsforschung 13
Psychophysik, experimentelle 90
Psychophysische Funktionszusammen-
hänge u. autogenes Training 196
Psychose u. Herz 305
— u. psychologische Typen (Freud) 283
—, symptomatische, b. Vergiftung
(Fall) 458, 461
Psychosen, Chemie 175 ff.
—, endogene, 8. a. Schizophrenie, Irre-
sein, manisch-depressives, Geistes-
krankheit
—, Psychotherapie 196
, symptomatische 130 f.
Psychotherapie b. Asthma bronchiale
35 f.
— b. Depressionen 512
—, Fortschritte 194 ff.
— b. Herzkranken 312 £.
— b. Hypertonie 314
— in Sanatorien 297
— b. Schizophrenie 376
— körperlicher Symptome 291
— Tuberkulöser 295
Ptosis nach Poliomyelitis 443
Pubertas praecox b. Imbezillen 414
Pubertät u. Drangzustände 415
— u. Keimdrüsenfunktion 8
Pubertätspsychose 329
Puerperalerkrankungen, Hirnbefunde
131
Pufferwirkung (Blutchemismus) 176
Pupillenreaktion b. Tabes 353 f.
Pupillenreflexe, oszillatorische Erschei-
nungen 79
Pupillenstarre nach
Trauma 483
—-, periodische 156
Pupillenstörungen b. Schädelverletzung
471
Purinstoffwechsel b. Schizophrenen 375
elektrischem
368
— u. Schizophrenie 17
— u. Tabes 353
Pyknolepsie 364
Pylorospasmus u. Alkalose 183
Pylorusstenose b. Erstgeborenen 3
Pyramidenbahnspasmus 63
Pyriferbehandlung oder Malariabehand-
lung 348
— b. Neurolues 344, 346
Pyrifertherapie u. Optikusatrophie 257
Quecksilberschädigungen u. Polyneu-
ritis 113
Quecksilberverbindungen, Wirkung auf
die Meningen 153
Quecksilbervergiftungen 463
Querschnittslähmung b. Meningitis epi-
demica 156
—, traumatische 481
Querschnittssyndrom b. Tumor 97
Querulanten, Erbfragen 23
R
Radialislähmung 110, 112
Radikulitiden 114
—, spezifische 100
Radioaktivitätshypothese u. Kretinis-
mus 23
Randpsychosen u. Permeabilität 375
Rasse u. Genie 96
—, jüdische, u. amaurotische Idiotie
410 f.
— u. Körperkonstitution 322
— u. Psyche Tuberkulöser 296
— u. Schizophrenie 32], 337
—, Schutz im Strafrecht 208
Rassenhygiene 392 ff.
Rassenmischung u. Erbgesundheit 403f.
Rassenverteilung in Deutschland 402
Rathkesche Tasche, Röntgenbefund b.
Tumoren 191
Raumproblem (Schizophrenie) 370
Raumvorstellung, Prüfung 235
Rauschgifte b. Katatonie 376
Rauschgiftsucht u. Zurechnungsfähig-
keit 219f.
Rauschgiftversuche 369, 497.
Ra ynaudsche Krankheit b. Bleivergif -
tung 462
— — b. Kupfer vergiftung 463
Reaktion Aschheim-Zondek b. manisch-
depressivem Irresein 510
Sachverzeichnis
Reaktion, manische 506
—, schizophrene, u. Dementia praecox
341
—, umgekehrte (Physiologie des ZNS.)
51f.
—, Wassermannsche, b. Meningitis 152,
351
Reaktionen, depressive 507
—, in der Haft 363
hysterische, Vererbung 20
psychogene, Begutachtung 470
psychopathische, s. a. Psychopathie
—, Familien untersuchungen 20
—, u. Schizophrenie, Diff. diagn. 330
—, b. Zwillingen 14
schizoforme 322f.
schizophrene 336
zentralnervöse, 8.
des ZNS.
Reaktionsabschwächung, zentralnervöse
50
Reaktionsarten, habituelle persönliche
286
Reaktionsform, exogene, u. Schizophre-
nie 336
Reaktionsformen,
räusche 497f.
Reaktionstyp, exogener, 8. a. sympto-
matische Psychosen
—, —, u. psychische Veränderung b.
inneren Krankheiten 292
Reaktionswandlungen im ZNS. 70
Rechtsgefühl (Hoche) 230
Rechtsgefühle s. a. Forensische Psychia-
trie
Rechts-Linksstörung 242
Rechtsbrecher s. Verbrecher u. Strafrecht
Reflexe, alliierte 53
—, bedingte 67, 70
—, Erlöschen u. Hemmung 51
—, phasische u. rhythmische 78
Reflexepilepsie 493
Reflexlehre s. a. Zentralnervensystem,
allgemeine Physiologie
Reflexologie (Bechterew) 281
Reflexphänomen, psychogalvanisches, u.
Körperbau 368
Reflexschaltung b. Enthirnung 72
Reflexstörungen b. Schizophrenie 372
Reflexumkehr 71
Reflexwandlungen nach Gehirnaus-
schaltung 73 =
Refraktärstadium u. Hemmung 50
— u. Hemmungserscheinungen 62
— u. Thythmische Tätigkeit des ZNS.
80
— u. Summationswirkung 47
—, zentrales 64
Regulationssystem, biologisches 278
* * * * * *
a. Physiologie
exogene, u. Gift-
555
Reichsjugendwohlfahrtsgesetze 224
Reife, problematische, (Jugendgerichts-
gesetze) 224, 226f.
Reizgewöhnung s. Adaptation
Reizkörpertherapie bei Schizophrenie
376
Reizwirkung b. Schädigung afferenter
Leitungsbahnen 144
Reizzeit u. Hemmungszeit 64
Rekonvaleszentenserum b. Parotit is epi-
demica 159
Rekurrens, symptomatische Psychose
131
Rekurrensbehandlung b. Schizophrenie
377
Rekurrensimpfung u. Blutgruppe 10
Rekurrenslähmungen 119
Religion, Schutz im Strafrecht 208
Remissionen u. Liquorbefunde b. Neuro-
lues 347
Rentenneurose 360
Reperkussion b. Trauma 489f.
Reststickstoffwerte s. a. symptomatische
Psychosen
Retinabefund nach Thora xkompression
259
Retinablutungen b. Menièrescher Krank-
heit 265
Retinalgefäße, Druckmessung nach
Kopftrauma 473
Retinitis pigmentosa, Erbfragen 22
Rhythmenbildungen, pathologische
(Physiologie des ZNS.) 78
Rhythmisch alternierende Tätigkeit im
ZNS. 77ff.
Rhythmus u. Herz 310
Rhythmusstörungen b. Herzkranken
311. 313
Rigiditätszustände u. Enthirnungsstarre
75
Rigor u. Bahnung 60
—, Massagebehandlung 451
Rindenepilepsie b. Hirngumma 351
Rindenfelder. architektonische, u. Feld-
eigenströme 420ff.
Röntgenbestrahlung b. epidemischer Me-
ningitis 168
— b. Fazialislähmung 118
— b. Meningitis 162
— b. Wurzelschmerzen 125
Röntgenkater u. Säurebasengleichge-
wicht 185
Röntgenkunde d. Wirbelsäule 101f.
Röntgenographie d. Schädels 188ff.
Röntgenstrahlen, Erbänderungen durch
6
Röntgentherapie d. Schwachsinns 413
Rorschachscher Versuch zu Diagnosen
144
656
Rückenmark s. a. ZNS. (Physiologie)
— b. Blei vergiftung 462
— u. Hirnrinde, funktionelle Unter-
schiede 83f.
—, nichtsystematische Schädigungen
97 ff.
Rückenmark, Summationsfähigkeit 45f.
—, syphilogene Erkrankungen 342ff.
— b. Thalliumvergiftung 463f.
—, traumatische Meningitis 155
Rückenmarkserkrankung u. psychische
Veränderungen 134
Rückenmarkskommotion 492 f.
Rückenmarksläsion, Physiologie 76 f.
Rückenmarksschädigungen, traumati-
sche 481
Rückenmarkstumor 97 ff.
— u. Trauma 486
Rückenmarkstumoren u. Meningitis,
Diff.diag. 156
Rüsselreflex b. Geisteskranken 340
Sakralisation 105
Salvarsanintoleranz 344
Salvarsankur u. Optikusatrophie 256
Salvarsansättigungsbehandlung 343
Sanatoriumsleben, psychische Einflüsse
294 ff.
Sanktion im Strafrecht 207
Sauerstoffzufuhr u. Säurebasengleich-
gewicht 177
Säuglingssterblichkeit u. Alkoholismus
d. Eitern 5
Säurebasengehalt u. Geisteskrankheit
374
Säurebasengleichgewicht,
175 ff.
Scapula scaphoidea, ein Degenerations-
zeichen ? 9
Schädel, Röntgenbild 188 ff.
— u. Wirbelsäule 105
Schädelbasisfraktur u. Meningitis 151
Schädelformen b. Geisteskranken 369
, normale, im Röntgenbild 192
Schädelfraktur u. Kommotionsfolgen
476 f.
Schädelnähte b. Hirndruck 189 f.
Schädelröntgenbidler b. Mongolismus
413
Schädeltrauma u. Meningitis 154f.
Schädelverbrennungen, elektrische 482
Schallreiz u. bioelektrischer Effekt 432
Schaltungen im ZNS. 70
Scheinbewegungen u. Agnosie 244
Scheitellappensyndrom 145
Schichtbetrachtung (Neurose) 359 f.
Schichtenbiologie s. a. Charakterologie
Störungen
Sachverzeichnis
Schilddrüse s. a. Thyreoidea u. endo-
krines System
— u. Kapillarentwicklung 11
— u. Keimdrüsenfunktion 8
Schildersche Krankheit u. Neuromyelitis
optica 271
Schimmelpilzerkrankungen d. Meningen
171
Schizographie 340, 371
Schizoid, Begriff 322 f.
—, Erbgang 322
— u. Schizophrenie 336 f.
— u. Schizophrenie in Sippen 369
Schizoidie 286
Schizoidisstion durch Tuberkulose 297
— b. Tuberkulösen 301
Schizophasie 371
Schizophrenie 321 ff.
—, Angst b. 310
— u. Denken b. Erwachen 148
— u. Depression 507
— u. Erbforschung 3
—, Erkrankungswahrscheinlichkeit 12
— in Familien Hysterischer 20
—, Halluzinationen 145
— u. Interparietalsyndrom 145
— b. Juden 403
— u. CO-Vergiftung 465
— u. Konstitution 17
— u. manisch-depressives Irresein 510
— u. Neurosenlehre 197
, pharmakodynamische Untersuchun-
gen 7
—, Prognose u. Körperbau 7
— in Psychopathenfamilien 19
—, Selbstschilderungen 370
—, Sprachstörungen 239 f.
—, Sterilisation 395
— u. Stoffwechsel 181
, symptomatische 367 ff.
—, Theorie 331 f.
— u. Tuberkulose 270, 302 ff.
— u. Zwillingsforschung 15 f.
Schizophrenien in der Haft 362
Schizopthyme im Experiment 368 f.
Schizothymie, Kritik 96
Schlaf u. Azidose 184
—, Hemmung 61
— u. Stupor 339
—, Theorie (Pawlow) 51
Schläfenhirn, Kontusionsherde 478
Schlaffunktion (Charakterologie) 277 f.
Schlafmittel, Angriffspunkt 456
Schlafmittel u. Säurebasengleichgewicht
184
—, Theorie d. Hirnstamm- 501
Schlafmittelschädigung u. Nervenläh-
mung 112
Sachverzeichnis
Schlafstörungen b. Chlormethylvergif-
tung 454
— b. CO-Vergiftung 465
Schluckzentrum u. supernormale Phase
47
Schmerzempfindung u. Angstempfin-
dung b. Herzkranken 309
—, Physiologie 82 f.
Schmerzempfindungen, Physiologie 55
Schmerzen, seelische Veränderungen b.
291
Schmerzhemmungsbahnen, Beeinträch-
tigung b. Hypochonder 286
Schmerzreiz u. generelle Hemmung 68
Schnauzkrampf L Schizophrenie 340
Schock u. Reflexumkehr 52
— u. Suımmationsfähigkeit im ZNS. 56
Schreck u. Enzephalitis 491
— u. Herztod 308
— u. Krampfischämien im Gehirn 485
Schreckreaktion u. Paralytis agitans 490
Schuldgefühl (O. Kant) 283
Schußverletzungen d. Schädels 477 f.
Schutzaufsicht Jugendlicher 224
Schwäche, reizbare, bei Tuberkulösen
293
Schwachsinn, Biologie des (Szondi) 9
— u. Drangzustände 143
— u. Eidetik 9
—, Erbfragen 26
—, Erblichkeit 20 f.
—, Häufigkeit 12
— b. Juden 403
— u. Kapillarentwicklung 11
— u. Mongolismus 2
—, Sterilisation 395
— u. Tuberkulosesterblichkeit 304
— u. Zwillingsforschung 17
Schwachsinnszustände, angeborene u.
früh erworbene 407 ff.
Schwangerschaft u. Schizophrenie 377
Schwangerschaftswahnidee 339
Schwefelbehandlung b. Optikusatrophie
257
— b. Schizophrenie 377
— b. Tabes 350
Schwefelkohlenstoff vergiftung 460
Schwindel b. Vergiftungen s. d.
Schwindelanfälle s. a. Menièresche
Krankheit
Schwindelgefühle nach Kopftrauma s. d.
Seele, der Organismus der (Heyer) 198
Seelenblindheit 235, 245
Sehfelder, Wettstreit 80
Sehnenreflexe s. a. Muskeleigenreflexe
— b. Diabetes 112
Sehnerv s. Opt ikus
Sehnervenatrophie u. Malariabehand-
lung 348
657
Sehstrahlung, bioelektrische
nungen 441
Sein s. a. Existentialanalyse
Sekretion, innere, u. Kakon 332
Selbstaffekte b. Schizophrenie 334
Selbstbeobachtung u. er-Ich 281
Selbstbeschädigungen in der Haft 363
Selbstentspannung, konzentrative 194
Selbsterhaltungstrieb und Sexualtrieb
285
Selbstmörder in Psychopathenfamilien
19
Selbstunsicherheit d. Neurotikers 203
Selbstwahrnehmung, fehlende, d. De-
fektes 245
Sella turcica b. Druckerhöhung 189 f.
— — im Röntgenbild b. Tumoren 190f.
Sensibilität, Physiologie 54 ff.
—, Summationswirkung 45
Sensibilitätsstörung b. Verletzung peri-
pherer Nerven 444 f.
Sensibilitätsstörungen b. Bechterew-
scher Krankheit 105
Sensibilitätsstudien b. Schizophrenie 372
Sepsis, psychische Veränderungen 299
Serotherapie b. Meningitis 152 f.
— b. Pneumokokken 169
Serumbehandlung u. Myelitis 100
Seruminjektionen u. Meningitis 151
Serumtherapie b. epidemischer Menin-
gitis 167 f.
Sexualerregung u. Asthma bronchiale
36 f.
Sexualhormone 8
Sexualität, abnorme 362
—, —, u. Zurechnungsfähigkeit 216f.
— u. Anlage 23
— b. Morphinismus 185
— (Psychotherapie) 196 f.
— u. Psychotherapie 198 f.
— Tuberkulöser 295, 300
Sexualpathologie u. Zwillingsforschung
15
Sexualperversionen b. Neurotikern 203
Sexualtrieb u. Selbsterhaltungstrieb 285
Sicherheitsgefühl b. Herzkranken 311f.
— b. organisch Herzkranken 313
—, schwindendes, b. Hypertonikern 315
Sicherungsstrafrecht 205 ff.
Sicherungsstreben b. Neurotiker 203
Sicherungstriebe b. Hypochonder 285
Silberpräparate, Wirkung auf die Me-
ningen 153
Sinnesorgane, Physiologie 54 f.
Sinnesphysiologie u. Psychologie 90
Sinnesreize u. bioelektrischer Effekt
432 f.
—, periphere, u. Aktionsströme d. Ge-
hirns 420 f.
Erschei-
558
Sinnestäuschungen b. Schizophrenie
323 f.
— u. Veränderungen d. Blutzuckerge-
haltes s. symptomatische Psychosen
Sinuisitis 8. Nebenhöhlenerkrankungen
Sittlichkeitsverbrechen, Strafrecht 216f.
Situation, Bedeutung in der Aphasie-
lehre 235
Situationsprüfung b. Schwachsinnigen
416
Skelettreifung, Anomalien b. Hilfs-
schulkindern 415
Sklerose, diffuse u. multiple 271
Sklerose, multiple 270 ff.
—, —, u. elektrisches Trauma 483
—, —, u. Encephalopathia disseminata
351 f.
—, —, u. Myelitis 100
—, —, u. retrobulbäre Neuritis 117,
248 ff.
—, —, traumatische Auslösung 493
—, —, u. Trigeminusneuralgie 122
—, —, u. Zwillingsforschung 16, 25 f.
—, tuberöse 413 f.
—, —, Erbfolge 22
Skotom, zentrales, 8. a. retrobulbäre
Neuritis
Solarson u. Radialislähmung 112
Solganalkur u. Optikusatrophie 258
Solipsismus 91
Solitärtuberkeln, meningitische Verände-
rungen 165
Somnifen u. Radialislähmung 112
Somnifenmißbrauch 501
Sozialbiologie 392 ff., 398 f.
Soziale Bedeutung d. Schizophrenie 330
Sozialformen b. d. Neurosen 200 f.
Sozialtherapie d. Neurosen 204
Soziologie u. Neurose 364
— d. Neurosen 200f.
Spätapoplexien 480
Spätblutungen, intrakranielle 479
Spätepilepsie, traumatische 479
Spätkatatonie 329
Spannungsverteilung u. Tonuszentrum
75 f.
Spasmen u. Enthirnungsstarre 75
—, Physiologie 73
—, Ubungsbehandlung 446 ff.
Spasmophile Epilepsie bei Zwillingen
16f.
Spasmophilie u. Eidetik 9
—, familiäre, u. Eidetik 416
Spasmus u. Bahnung 60
Sperrung, schizophrene 326
Spezialprävention (Strafrecht) 207
Spherula insularis 270
Spiegelschrift u. Alexie 238
Spina bifida 105
Sachverzeichnis
Spinalerkrankung, funikuläre, s. a. per-
niziöse Anämie
—, —, u. Lymphogranulomatose 99
Spinalganglienerkrankung u. Meningitis
162
Spirochaeta icterogenes u. Meningitis
170
Spirochätenätiologie d. multiplen Skle-
rose 270
Spirochätenbefund b. Optikusatrophie
257
Spirochätose d. Meningen 351
Spirocidbehandlung b. Neurolues 347
Spondylarthritis ankylopoetica, Rönt-
genbefunde 103
Spondylitis deformans u. Wirbelverände-
rungen 104
— u. Epiduralabszeß 99
—, typhöse 107
Spondylosis deformans, Röntgenbefunde
103
Spontanhypoglykämie, hypophysäre 138
Sprache, pathologische Physiologie 233f.
— b. Schizophrenie 324, 371
Sprachstörungen b. Hypoglykämie 136f.,
140
Sprachtaubheit (Fall) 237
Stammganglien u. CO-Vergiftung 465
— b. Vergiftung 459
— u. vitale Person 279
Stammgangliensyndrom b. Veronalmiß-
brauch 501
Starbildung b. mongoloider Idiotie 413
Stauungspapille b. aseptischer Menin-
gitis 159
— b. seröser Meningitis 475
Stehfunktion b. Rückenmarkläsion 77
Stellreflexe b. Schizophrenie 372
— u. Stupor 339
Stellung d. Glieder u. Reflexschaltung 72
Stereotypien (Erklärung v. Monakow)
333
— Schizophrener 327
Sterilisation Schizophrener 330
Sterilisationsgesetz 396 f.
Sterilisierung, psychiatrische Indikation
395
— Schwachsinniger 409
Sthenie 276
Stheniker, Tuberkulosesterblichkeit 304
Stimmung 278 f.
Stimmungen u. Zustand d. Organiemus
290
Stimmungslage b. Athetose 415
Stimmungsreaktion b. Zykloiden 286
Stirnhirn, Kontusionsherde 478
—, Physiologie 74 f.
Stirnhirnatrophie (Pick), Erbfragen 26
Stirnhirnschaden u. Aphasie 236
Sachverzeichnis
Stirnhirntumoren u. Sehstörung 254
Stirnhirnverletzung m. Lautagraphie
239
Stoffwechsel b. Haschischvergiftung 498
Stoffwechsel b. Morphiumentziehung
185 f.
— u. Wasserstoffionenkonzentration 176
Stoffwechseländerungen b. Hypertoni-
kern 315
— b. Katatonie 373 f.
Stoffwechselleiden u. Psyche 299
Stoffwechselreize u. automatische Erre-
gung im ZNS. 811.
Stoffwechselsteigerung durch Affekte
307
Stoffwechselstörung u. Lymphogranulo-
matose 99
Stoffwechselstörungen u. Meningismus
157
— u. Trigeminusneuralgie 123
Stoffwechseluntersuchungen b. Tuber-
kulösen 300
Stottern, Analyse 363
— u. Speichelalkaleszenz 182
— b. Zwillingen 14
Strafgesetze, neuere ausländische 205 ff.
Strafmilderung, obligatorische u. fakul-
tative 215 f.
Strafmündigkeit b. Jugendlichen 223 ff.
Strafrecht u. Sterilisation 396 f.
Strafrechtstheorien 206 f.
Strafvollzug b. psychisch abnormen Ver-
brechern 216 ff.
Strahlengenetik 6
Streben, Psychopathologie 146
Strecker- u. Beugerzentren, gekoppelte
62
Streckkontraktur, Physiologie 73
Streckreaktionen 76
Streckreflexe nach Enthirnung 73
— u. rhythmische Tätigkeit des ZNS. 78
—, Summationszeit 46
Streckstellung u. Enthirnungsstarre 76
Striatum b. gewerblichen Vergiftungen
456
— b. Hypoglykämie 136
— b. Schizophrenie 371
— b. Tabes 355
— b. Urämie 134
Striatumausscheidung, Folgen 69
Striatumblutung b. Boxern 489
Striatumerkrankungen u. Aphasie 234
Striatumsymptome, Physiologie 55
Strontiumtherapie b. tabischen Krisen
355
Struktur d. Neurose 360
Stützreaktion nach Enthirnung 74
— u. Enthirnungsstarre 76
—, Physiologie 54
659
Stupor, katatonischer, u. Stoffwechsel
373 f.
—, schizophrener 328
Stuporzustände, katatone 339
— u. Stoffwechsel 181 f.
Subarachnoidalblutungen, syphilitische
352
Subkortex u. Bahnung 59
Subletalfaktor b. Schwachsinnigen 21
Sublimierung 284
Substantia nigra b. Bilausäurevergif-
tung 459
Suchtgifte 499 f.
Süchte, Entstehung u. Behandlung 499
Süchtige im Gesetz s. Sicherungsstraf-
recht
—, Sterilisation 396
Suggestibilität und Asthmaentstehung
35f.
Suggestion u. autogenes Training 196
Suggestivversuche an Tuberkulosen 296
Sukzessivkontraste, Physiologie 80
Sulfosin- oder Malariabehandlung 348
Summation, Physiologie des ZNS. 64
Summationserscheinungen (Physiologie
des ZNS.) 44 f.
Summations mechanismus b. Muskel-
eigenreflexen 60 f.
Summationszentren von Gefühlen 361
Symbol, Äußerungsweise (Psychothere-
pie) 198
Symbolbewußtsein u. Aphasie 233
Symbolvorstellungen (Aphasielehre) 237
Sympathektomie b. Lagophthalmus 118
— b. Neuritis ascendens 114
Sympathikus s. a. System, vegetatives
— u. posttraumatisches Handrücken-
ödem 445
— b. Trigeminusneuralgie 122
Sympathikusschädigung b. Geburtsläh-
mung 111
Sympatol b. Asthma bronchiale 32
Symptomenkomplex, amnestischer, u.
Lautagraphie 239
—, —, b. Lymphogranulomatose 99
—, enzephalasthenischer 461
—, postkommbotioneller s. Kopftrauma
Synästhetiker (E. R. Jaensch), tuber-
kulöse 297
Syndrom, Gerstmannsches 243
Syneidesis (Schizophrenie) 332
Synthese, schöpferische 95
Synusie (S. Cohn), (Schizophrenie) 335 f.
Syphilis s. Lues
Syringomyelie u. Gelenkerkrankung 446
— u. Lymphogranulomatose 99
— b. multipler Sklerose 272
— u. Myelitis 100
—, traumatische Auslösung 493
560
System, endokrines, u. Affektivität 146
—, —, u. Antriebsmangel 371
—, —, u. Kapillarentwicklung 10f.
—, —, u. Konstitution 95
—, —, u. Labyrintherkrankungen 268
—, —, u. Lebersche Sehnervenerkran-
kung 253
—, —, b. Lues 352
—, wc b. manisch-depressivem Irresein
511
—, —, b. Morphiumentziehung 185
—, —, u. Schizophrenie 336, 368
—, —, b. Stupor 181
—, —, im Stupor 373
—, —, b. Tuberkulösen 300
, extrapyramidales, Physiologie s. a.
Striatum, Nucleus ruber, Tonusver-
teilung usw.
—, —, b. Schizophrenie 371
—, —, u. Tabes 356
—, —, b. Vergiftungen 459 f.
, vegetatives, u. Affektivität 146
—, —, u. Angina pectoris 310
—, —, b. Bleivergiftung 462
—, —, u. Charakterentwicklung St,
Funktionsziele 306 f.
. gastrische Krisen 355
Hemmung Out.
. Hypoglykämie 136
Kakon 332
Kapillarentwicklung 11
. Katerzustände 185
. Konstitution 95
. Morphiumentziehung 185
pharmakodynamische Reak-
tionen 7
‚ —, u. Säurebasengleichgewicht 179
—, —, b. Stupor 181, 373
—, —, Tonus u. Säurebasengleichge-
wicht 184
—, —, b. Tuberkulösen 300
—, —, u. vitale Funktionen 278 f.
CC
e
g g SRE ESE R E
|
T
Tabes dorsalis, Lähmung d. Hirnnerven
119
— —, Optikusatrophie 255 f.
— —, Pathologie u. Therapie 342 ff.
— u. Gelenkerkrankungen 446
—, Optimismus b. 300
—, traumatische Auslösung 493
Tabula interna b. Hirndruck 189
Tachyarrhythmie, psychisches Verhal-
ten b. 313
Tachykardie, paroxsysmale, u. Psyche
307
—, —, psychische Erscheinungen 132
Tätigkeitsperioden im ZNS. 77 ff.
Sachverzeichnis
Tagesschwankungen b. Hypertonikern
315
Talentierung, einseitige, b. Schwach-
sinnigen 416
Taubstumme, Ordnungs versuche (ex-
perim. Psychologie) 236
Tay-Sachssche Krankheit 410
Temperament u. Charakter s. a. Cha-
rakterologie
Tempo, inneres, u. Ideenflucht 505
Tempo, psychisches 275
Temporallappen u. Aphasie 240 f.
Tetanie u. peripher entstandene Erre-
gungen 81
— u. Säurebasengleichgewicht 177
— u. Stoffwechsel 182
Tetanoide Anfälle d. Heizer 157
Tetanus u. Epilepsie 493
—, Magnesiumsulfattherapie 182
Tetanuswirkung (Physiologie) 54
Tetrachloräthan, Vergiftung 454
Tetrachlorkohlenstoff, Vergiftung 454
Thalamus (Charakterologie) 276
— u. Hirnlues 350
— b. Vergiftungen 456
Thalamusfunktion u. Anosognosie 245
Thalamustumor (Fall) 372
Thalliumvergiftung 463
Thoraxkompression u. Optikusatrophie
258 f.
Thymopathien u. manisch-depressives
Irresein 508
Thyreotoxikose u. Morphiumentziehung
185 f.
Thyroxinbehandlung b. Schwachsinn
410
Tic b. Kindern (Psychotherapie) 198
Tiefenperson u. autogenes Training 196
— u. vitale Person 279
Tierpsychologieu. Gestaltspsychologie 93
— u. Psychologie 90
Todesangst b. Angina pectoris 310
Todesstrafe u. Strafmündigkeit 227 f.
Toluolvergiftung 457
Tonus d. Extremitäten b. tuberkulöser
Meningitis 165
Tonussteigerung b. CO-Vergiftung 465
Tonusveränderungen b. Vergiftung 459f.
Tonusverteilung, abnorme, u. Ent-
hirnungsstarre 75 f.
—, normale 74
Torulasepsis mit Meningitis 171
Totstellreaktionen 68
Toxinwirkung b. Tuberkulösen 298 ff.
Training, autogenes 194 f.
—, —, b. Asthma bronchiale 40 f.
Trauma s. Unfall
Träume Herzkranker 308
— Lungenkranker 302
Sach verzeichnis
Traumeinflüsse b. Hypertonikern 315
Traumsituation u. Erwachen 148
Tremor, Physiologie 59
— u. Rhythmus im ZNS. 79
Trieb u. Wille (Kurt Schneider) 361
Triebe s. a. Charakterologie, Psycho-
therapie
Triebfedern, seelische 284
Triebpathologie 146
Triebschichten (O. Kant) 283 f.
Triebstörung u. schizophrener Wahn
325
Trigeminusnerven, Erkrankung d. mo-
torischen 117
Trigeminusneuralgie 121
—, symptomatische 123
Trinker, Psychosen 341
Trophopathia pedis myelodysplastica 105
Trunkenheit u. Zurechnungsfähigkeit
219 f.
Trypaflavin b. epidemischer Meningitis
168
Tryparsamidbehandlung b. Neurolues
346 ' |
Tuber cinerreum u. Hirnlues 350
Tuberkelbazillen b. multipler Sklerose
270
Tuberkulinbehandlung b. Schizophrenie
376 i
— b. tuberkulöser Meningitis 165
Tuberkulinreaktion b. tuberkulöser Me-
ningitis 166 |
Tuberkulinwirkung auf die Psyche 300,
302
Tuberkulogenese d. Schizophrenie 327,
335
Tuberkulom d. Gehirns, traumatisches
486 , |
Tuberkulose in den Anstalten 303 ff.
— u. aseptische Meningitis 161
— u. Kopfschuß 477
— d. Lunge u. Psyche s. Lungentuber-
kulose
— u. Meningitis 163 f.
— u. Neuralgien 124
— u. Polyneuritis 114
— d. Sehnerven 253.
Tuberkuloseerkrankung u. Schizo-
phrenie 322
Tuberkulosesterblichkeit in Psycho-
pathenfamilien 19
Tumor cerebri s. Hirntumor
— n. Granatschock 476
Typen, psychologische (Freud) 282
— psychopathologischer Theorienbil-
dung 143
—, vitale 279
—, vollwertige u. minderwertige
(Stefko u. Kolodnaja) 7
Neurologie V, 13
561
Typenlehre u. Eidetik 8
Typhus, Hirnbefund 131
— u. Meningitis 169
Typhus vakzine b. Schizophrenie 377
Tyroxin b. Optikusatrophie 258
U
Übererregbarkeit d. Gefäße b. Hyper-
tonie 315
—, vasomotorische, b. Herznervösen
311
Über-Ich 281
Übertragung, mangelhafte, organisch
Herzkranker 313
Übungsbehandlung, hypnotische, b.
Asthma bronchiale 39
— b. Nervenkrankheiten 466 ff.
Übungstherapie s. a. Psychotherapie
— b. Pallidumstarre 63
Ultraviolettbestrahlung b. Neurolues
350
Umkehrungen im ZNS. 70
Umwelt d. Herzkranken 311
— u. Neurose 200 ff.
Umwelteinflüsse b. Tuberkulösen 293
— b. Zwillingen 16
Unbewußtes (Freud) 281
Unfall u. Ischias 121f.
— u. Labyrintherkrankung 267
— u. Meningitis 151, 154f.
— u. neuropathische Gelenkerkran-
kung 446
— u. organische Nervenkrankheiten
470 ff.
—, Rückenmarksschädigungen 100 f.
— u. Schädigung d. peripheren Nerven
110
— u. Trigeminusneuralgie 128
— u. tuberkulöse Meningitis 164
— u. Wirbelerkrankung 102
— u. Wirbelsäule 107
Unfallneurose (Birnbaum) 204
Unfruchtbarkeitstypen, weibliche 8
Unfruchtbarmachung s. Sterilisation
Unmündige im Strafgesetz 226
Unterernährung u. Azidose 181
Unzurechnungsfähigkeit 205 ff.
Urämie u. Meningismus 157
—, psychische Veränderungen 299
— u. Säurebasengleichgewicht 180
—, symptomatische Psychose 133
Uraninmethode 152
Urethan u. Alkalosis 184
Urogenitalapparat b. Tabes 355
Urotropin b. Meningitis 153
— b. epidemischer Meningitis 168
Urotropinanwendung b. Polyneuritis
113.
39
562
Urteilsschwäche b. Tuberkulose 293
Urteilsstörungen b. Korssakoff-Syndrom
147
V
Vagotonie u. Schlafzentrum 184
Vagus s. a. System, vegetatives
Vaguskern, dorsaler, Veränderungen b.
Tuberkulösen 300
Vagustonus u. Blutdrucksteigerung 181
Vaguszentrum, automatische Schwan-
kungen 77
—, Tonus u. Stoffwechselreize 83
Vakzination u. tuberkulöse Meningitis
164
Vakzinetherapie b. epidemischer Me-
ningitis 168
Vakzineurinbehandlung b. Kausalgie
110
Vakzinotherapie b. Polyneuritis 113
Varizellen u. Herpes zoster 115 f.
Varizellenmeningitis 158
Vasano b. Schwindelanfällen 268
Vasomotorenschädigung nach Trauma
482
Vasomotorenzentrum, automatische
Schwankungen 77
Vasomotorische Störungen b. Trige-
minusneuralgie 124
Vasomotorium b. Bleivergiftung 462
— nach Kopftrauma 473 f.
Venenkanäle b. Druckerhöhung 189 f.
Ventrikeldrainage b. Meningitis 152
Ventrikelependym b. epidemischer Me-
ningitis 167
— nach tödlicher Schädelverletzung
478
Ventrikelverhältnisse nach Hirner-
schütterung 472
Verblödung, schizophrene 329
Verblödungsprozeß nach Schädeltrauma
479
Verbrechensbekämpfung s. Strafgesetz
Verbrecher s. a. Strafrecht
—, Fortpflanzung 401
—, geisteskranke jüdische 403
—, Gewohnheits-, Sterilisation 395
—, jugendliche, u. Schizophrenie 338
—, psychiatrische Untersuchung 218 f.
—, Verwahrung vermindert zurech -
nungsfähiger 216 ff.
Verbrechertum u. psychologische Typen
(Freud) 283
Verdrängung (Freud) 281
— u. Krankheitserlebnis 291
Vereinsamung, schizophrene 325
Vererbung s. a. Erblichkeit
—, Gesetz vom Knotenpunkt der 96
— d. Variationen d. Wirbelsäule 105
Sachverzeichnis
Verfolgungsideen, Biologie d. 332
Vergeltungstheorie (Strafrecht) 206 f.
Vergiftungen (ohne Alkoholismus u. ge-
werbliche Vergiftungen) 497 ff.
Vergiftungen, gewerbliche 453 ff.
Verhaltensweisen d. Aktivitäten (Be-
haviourismus) 280
Vernunftgebrauch s. a. Zurechnungs-
fähigkeit
Veronalmißbrauch, chronischer 501
Verrücktheit, primäre 23
Verschrobenheit, schizophrene 324, 326
Verstandesmensch 277
Verstandestätigkeit, Störungen s. a.
Unzurechnungsfähigkeit
Versteifung d. Wirbelsäule 106
Versteifungsinnervation 857
Verstimmung, ängstliche, b. Hypertonie
315
— u. Nervosität 508
Verwahrloste, schwachsinnige 401
Verwahrung psychisch Abnormer 216 ff.
Verwirrtheit b. Nierenerkrankung 133
— u. schizophrene Denkstörung 324
Verwirrtheitszustand b. Diabetes s. d.
—, epileptischer, mit Mikropsie 145
Vestibularerkrankungen s. a. Otologie
Vestibularisbefund nach Kopftrauma
473
Vestibularisstörung u. Herpes zoster 116
Vibrationsmassage s. Massage
Visionen im Meskalinrausch 498
Vitalgefühle (Charakterologie) 275
— b. Depressionen 507
— u. Körperbautyp 145
Volk u. Rasse 398
Volltrunkenheit im Gesetz 220 f.
Vollzugsweise, Änderungen b. Schizo-
phrenie 324
Vorbeireden (Schizophrenie) 325
Vorhofflattern u. Psyche 307
Vorstellen, Psychopathologie 145
Vorstellung, Beziehung zur Wahrneh-
mung 144
W
Wachträume d. Psychopathen 362
Wärmestich b. Schizophrenie 376
Wahn u. Anlage 23
—, konformer 143, 370
—, Psychologie 145
— Schizophrener 339
— (Schizophrenie) 325
Wahnbildung, hypochondrische, u. De-
personalisation 245
Wahngedanken, schizophrene (Erklä-
rung v. Monakow) 333
Wahnideen b. manisch-depressivem
Irresein 510
Sachverzeichnis
Wohnideen, Psychogenese 369
Wahnstimmung 325
Wahrnehmen (Psychopathologie) 144 f.
Wahrnehmung b. Agnosie 243
Wahrnehmungsalteration durch Wahn
325
Wasserstoffionenkonzentration (Chemie
d. Psychosen) 175
Wechselwirkung, psychophysische 90 f.,
92 f.
Weilsche Krankheit u. Meningitis 351
Weltanschauung u. Eugenik 394
Werten, Psychopathologie 145 f.
Werkzeugstörung s. Aphasie, Apraxie
Wertgebilde beim Neurotiker 203
Wertgefühle, geistig-abstrakte 284
Wetter u. Krankheit 294
— u. Todeszeit d. Hypertoniker 316
Widerstand d. Neurotikers 360
Wille a. s. Charakterologie
—, freier, im Strafrecht s. d.
— b. Schizophrenie (Gruhle) 326
Willenshandlung, gestörte, Apraxie 242
Willensleben b. subkortikaler Demenz
148
Willenspathologie 146
Willkürinnervation u. Bahnung 57 ff.
Willkürinnervationen b. Striatumer-
krankungen 55
Wilsonsche Krankheit nach Trauma
490 f.
Wirbelaffektion b. Lymphogranuloma-
tose 98
Wirbelbogen, getrennte 105
Wirbelentzündung, akute 107
Wirbelgleiten 103 f.
Wirbelkrankheiten 101 ff.
Wirbelosteomyelitis u. Meningitis 163
Wirbelsäule, pathologische Anatomie
101 f.
Wirbelsäulenarthropathie, tabische 446
Wismutbehandlung b. Neurolues 344,
347
Wismuttherapie u.
256 f.
Witzelsucht b. Athetose 415
Wohlfahrtspflege u. Psychotherapie 204
Wollen, Psychopathologie 146
Wortfindung, erschwerte 238
Wort findungsstörungen b. Schizophre-
nen 239
Wortneubildungen, schizophrene 324
Wortgestalt u. Bedeutungsinhalt (Apha-
sielehre) 237
—, experimentelle Untersuchungen
235 f.
Wundheilung u. Säurebasengleichge-
wicht 180
Wurmkrankheiten u. Meningismus 157
Optikusatrophie
563
Wurzeln, Durchschneidung d. hinteren,
Physiologie 66
—, nicht systematische Schädigungen
97 ff.
Wurzelgebiete b. multipler Sklerose 272
Wurzelgranulom u. Neuritis 117
Wurzelschmerzen b. Bechterewscher
Krankheit 105
— u. Tabes 354 f.
Wurzelzerreißungen 111
A
Xerodermmie u. Idiotie 414
Xylolvergiftung 457
2
Zahnerkrankungen u. retrobulbäre
Neuritis 250
Zeichenstörung u. Apraxie 242, 244
— (Fall) 243
Zeichnen in der Psychotherapie 198
—, Störungen b. Aphasie 234
Zeitanschauung u. Rhythmus 80
Zeitauffassungsstörung (Fall) 243
Zeitbewußtsein, Psychopathologie 147
Zeitfaktor u. Funktionswandel (Agnosie-
lehre) 245
Zeitsinn, primitiver 278
— b. Schizophrenie 369
Zellerregbarkeit u. Säurebasengleich-
gewicht 182
Zellpermeabilität u. Säurebasengleich-
gewicht 182
Zelltypen u. bioelektrische Erschei-
nungen d. Hirnrinde 428, 439
Zentralnervensystem, allgemeine Phy-
siologie 43 ff., 53 ff.
—, chemische Veränderungen b. Nie-
mann-Pickscher Krankheit 410
Zervikalwurzeln, Belastungsprobe 111
Zivilisation u. Neurasthenie 204
Zungen- Kieferreflexe, Physiologie 60
— — u. Summationswirkung 45f.
Zuordnungsversuche, Aphasielehre 236
Zurechnungsfähigkeit 205 ff.
— b. Jugendlichen 223
—, verminderte 213 ff.
—, —, b. Tuberkulösen 302
Zwang u. Schizophrenie 341
— u. Straffreiheit 213
Zwangsbewegungen (Physiologie) 59
Zwangsgreifen u. Agraphie 239
Zwangshandlung (Psychopathologie)
146
Zwangslachen b. Hypoglykämie 136
Zwangsneurose 360
Zwangsneurosen, Psychotherapie 196
Zwengspsychopathie 143
—, Sterilisation 395
99°
564
Zwangstypus (Freud) 282 f.
Zwangszustände u. Schizophrenie 329
Zwillingsforschung u. Blutgruppen 10
— u. Entwicklungsmechanik 7
—, Ergebnisse 13 f.
— u. manisch-depressives Irresein 509
—, Methodik 5 .
— u. Mongolismus 412
— u. Schizophrenie 3, 322
— u. Schwachsinn 21, 407
Zwillingspaar, schizophrenes 369
Zwillingspathologie 18 f.
Zwischenhirn b. Blausäurevergiftung
469
— u. manisch- depressives Irresein 511
— b. Meningitis 150 f.
Zwischenhirnschädigung b. Poliomye-
litis 442
Zwischenhirnsyndrom (Stertz) 280
Sachverseichnis
Zwischenwirbellöcher, Röntgenunter-
suchung 105 f.
Zwischenwirbelscheiben, Umbildungen
u. Erkrankungen 103, 106
Zykloidie 286
Zyklothyme im Experiment 368 f.
Zyklothymie s. a. Irresein, manisch-de-
pressives
— u. manisch-depressives Irresein 508
— u. Körperbau 322
Zysten, arachnoideale, nach Schädel-
trauma 480
—, meningeale 154 f.
— d. Rückenmarks 98
, traumatische, u. Hirntumor 484
— in den Zwischen wirbelscheiben 106
Zysternendrainage b. Meningitis 152
Zytoarchitektonik u. bioelektrische Er-
scheinungen d. Großhirnrinde s. d.
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